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Die Jahre 1969-1970: Sachlich, kritisch, optimistisch
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Weltbild
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Gisela Oechelhaeuser: Sachlich, kritisch, optimistisch . . .
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1. Kapitel: Sachlich, kritisch, optimistisch
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Jochen Petersdorf Das Echo
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Peter Gauglitz Ein Beschwerdefall
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John Stave Der Kulturobmann am Nagel
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C. U. Wiesner Frisör Kleinekorte als Verschönerungsrat
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Werner Troegner Kleines Organon für den perfekten Schauspieler 2. Kapitel: Alles zum Wohle des Volkes Humorvolles aus dem Alltag
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Inge Ristock \Varenhausgeflüster
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Johannes Conrad \\Tenn die Neugier nicht wär
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Ernst Röhl Schall und Rauch
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Klaus Lettke Individualität
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Angela Gentzmer Oma \Vanda 11nd Opa Friedrich
Sketch mit Helga Hahnemann und Alfred Müller Renate Holland-Moritz
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Ging-ging-gong-gong
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Lothar Kusche Ein Leben mit der Seife
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Peter Gauglitz Schwein gehabt
38
John Stave Pferd 11nd \Vagen
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Inhalt
3. Kapitel: Lernen, lernen, nochmals lernen Als wir Schüler und Pioniere waren
5
43
Renate Holland-Moritz Kindergeburtstag
44
Ernst Röhl Pünktchen und Anton
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Peter Hacks Schulstunde spielen
49
Ottokar Domma Wie man die Ferien verleben kann
so
John Stave Erziehungsmaßnahmen 4. Kapitel: Was des Volkes Hände schaffen Wir Werktätigen in Stadt und Land
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Irmgard Abe Tagewerk
58
Hanskarl Hoernjng Cosi non fan tutte
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Ulrich Speitel Bauen auf unserer Klitsche
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Peter Gauglitz Zeit-Zeichen
67
5. Kapitel: Heißer Sommer Von Ostseestrand, Datsche und Jugendclubs . . .
69
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C. U. Wiesner Kleines Haus am Wald
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Renate Holland-Moritz Wozu ist der Garten da? Erwin F. B. Albrecht Kofferstudie
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Rudi Strahl Meeresbiologische Erkenntnis ...
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Jürgen Hart Alle Jahre wieder
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John Stave Ostsee-Aussichten
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Auf der Kurpromenade
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Inhalt
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6. Kapitel: Höher, schneller, weiter! Sportlich sportlich
Ernst Röhl Die vierbeinigen Sport-Freunde Hans Krause Knockout Ralph Wiener Ein bescheidener Herr
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7. Kapitel: Unter vier Augen Über Verliebte und Verheiratete
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Hansjoachim Riegenring Die Verführer Lothar Kusche Diskretion am Telefon Johannes Conrad Interview mit einem Kämpfer Erwin F. B. Albrecht Merkt euch diesen Anschluß, Männer! Klaus Möckel Poesie Ernst Röhl Flüchtlings-Gespräche Klaus Lettke Fortschritt 8. Kapitel: Wo wir sind, ist vorn! Es geht seinen sozialistischen Gang
Ralph Wiener Start mit Scheibenbremse Klaus Möckel Verkehrte Zeitung Peter Ensikat Berlinisch for Sie Heinz Helm Es tropft Ein ganz besonderer Saft
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Zeittafel
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Rechtliches
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Die Einheit von Kopf und Zwerchfell •
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So wäre sie gerne gewesen, die größte DDR der Welt, Frontstaat des Ostens gegen den übermächtigen Westen. In Berlin wurde der Fernsehturm gebaut. Unter dem Jubel der ganzen Republik wurde jeder Nagel in den Zaun der Großbaustelle am Alexanderplatz eingeschlagen. Die DDR hatte eine gepflegte Hauptstadt. Ihre Hinterhöfe, die Bezirksund Kreisstädte, versteckte sie lieber. Sie feierte ihren 20. Geburtstag. Walter Ulbricht schenkte seiner Lotte zu diesem Anlaß den Karl-Marx-Orden. In den offiziellen Thesen zum 20. Jahrestag lesen wir: »Die sozialistische DDR ist dem imperialistische estdeutschland um eine ganze Epoche voraus.« Die Anerkennungswelle der DDR began · Kambodscha, Irak, Syrien, die VAR, Sudan und der Südjemen waren die mutigen Länder, die gegen die Hallstein-Doktrin verstießen und die damit riskierten, die Wirtschaftshilfe des Westens zu verlieren. Die Anerkennung der DDR bereitete der BRD nämlich einiges Kopfzerbrechen. Auf der Feier zum 20. Jahrestag in der Werner-Seelenbinder-Halle verkündete der Genosse Leonid Breshnew, Generalsekretär der KPdSU, vor Gästen aus 84 Ländern: »... daß sich in der DDR ein vollkommen neuer Menschentyp herausgebildet hat, der Erbauer der sozialistischen Gesellschaft.« Leider klaute auch der neue Mensch und bereicherte sich kräftig am Volkseigentum. Wenn er schon nicht wirklich neu war, der neue Mensch, so war er doch wenigstens schnell. Karin Balzer lief innerhalb von drei Monaten drei Weltrekorde über 100 Meter Hürden, und bei der Leichtathletik-Europameisterschaft in Wien errangen die Sportler der DDR vor der Sowjetunion die meisten Medaillen. Ebenfalls in den Thesen zum 20. Jahrestag lesen wir: »In der DDR ist der alte '!raum der Einheit von Geist und Macht verwirklicht.« So lautete die Theorie, und wie gerne hätte ich das geglaubt. Unser Alltag aber wurde bestimmt vom Kampf zwischen Theorie und Praxis. Auch unsere Kabarettprogramme lebten von diesem Widerspruch. Jürgen Hart, der Chef der »academixer«, setzte dagegen lieber auf die »Einheit von Kopf und Zwerchfell«. In einer Parodie auf den Goetheschen Erlkönig streiten sich Theorie und Praxis um einen Studenten. Student: »Siehst, Theorie, du die Praxis nicht? Ich bin gegen die Praxis nicht immun.« Theorie: »Du bist bei mir, sie kann dir nichts tun! ... Student, Student, laß uns schnell gehen! Ich bin für die Praxis, doch ich will sie nicht sehn!« Am 21.10.1969 wurde Willy Brandt Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Fünf Monate später trafen sich der Ministerpräsident der DDR, Willi Stoph, und der Bundeskanzler der BRD, Willy Brandt, die beiden deutschen Willis, in Erfurt, um über die Beziehungen beider deutscher Staaten zu reden. Tausende DDR-Bürger riefen begeistert »Willi«, und zum Glück konnte man nicht hören, ob sie den mit »I« oder den mit »Y« meinten, oder eben alle beide. Gisela Oechelhaeuser
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Sachlich, kritisch, optimistisch
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Jochen Petersdorf
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>>Hier haben Sie was Schönes für Ihre Zeitung. Da erübrigt sich ja wohl jede Kritik.<<
Meister Spatz arbeitet als Echo. Jedoch nicht auf der Oberhofer Höh oder in einer Felsspalte der Sächsischen Schweiz, sondern in den Spalten der Zeitung. Natürlich nicht hauptberuflich. Welche Zeitung hält sich schon ein hauptberufliches Echo! Meister Spatz ist richtiger Meister, so wie es sich gehört. Er leitet im »VEB Werkzeuge« eine Brigade, die sich mit dem Problem des Entrostens beschäftigt. Ein wichtiges Problem und nicht gerade die feinste Arbeit, wie man sich denken kann. Meister Spatz hat die Brigade im Zug. Dies nur als Vorbemerkung - damit nicht etwa ein falscher Eindruck entsteht von Meister Spatz. Nun zu seiner Echo-Tätigkeit. Die begann vor einigen Jahren. Es war ein heller Sonnentag. Aber mehr draußen. Drinnen in der Entrosterei zog der Staub in Schwaden durch den Raum und teilweise auch durch den Abzug, so daß man auf den Redakteur Bernd Wetzer erst aufmerksam wurde, als er mächtig hustete. Meister Spatz ließ die Schmirgelscheiben und die Entrostungstrommeln anhalten. »Wo brennt's denn?« fragte Spatz den Redakteur. In der Redaktion, sagte Wetzer. Das heißt, er sagte es nicht so direkt, denn er war ja Redakteur. Aber er gab zu verstehen, daß ein Echo fehlte. Ein Echo auf den Wettbewerbs-Aufruf der Kumpels vom VEB 8. März. »Noch gar nicht gelesen«, sagte Meister Spatz. Macht ja nichts, erwiderte Bernd Wetzer. Er sagte das natürlich nicht so direkt, denn er war ja Redakteur. Aber es wäre eben schön, meinte er, wenn der Wettbewerbsaufruf sofort ein Echo fände. Mit den Feinheiten könnte man sich ja später immer noch vertraut machen.
Sachlich, kritisch, optimistisch
»Da ist was dran«, meinte Meister Spatz, »und ein Wettbewerb ist ja im Prinzip auch immer eine gute Sache.« Aus den letzten drei Wörtern machte Wetzer die Schlagzeile und berichtete dann noch recht anschaulich vom lebhaften Echo, das der Wettbewerb vom VEB 8. März bei den Entrostern um Meister Spatz gefunden hat. Auf dem Foto war zwar wegen der Staubschwaden so gut wie nichts zu sehen, aber weil die Leser solche Fotos gewöhnt waren, wirkte alles sehr natürlich. Ein paar Monate später machte der VEB 1. Mai von sich reden. Mit einer großen Betriebssportinitiative. »Gesundheit«, rief Meister Spatz, als Redakteur Wetzer in der staubigen Entrosterei nieste. Unter dieser Schlagzeile berichtete Wetzer tags darauf vom lebhaften Echo, welches das Sportprogramm des VEB 1. Mai bei der Brigade Spatz gefunden hat. Den Volkskunstaufruf vom VEB 7. Oktober hatte Meister Spatz bereits morgens in der Straßenbahn gelesen. Deshalb brauchte Redakteur Wetzer diesmal erst gar nicht lange in der Entrosterei herumzuhusten, sondern konnte das Echo bereits um 9.30 Uhr telefonisch entgegennehmen. Die telefonische Echo-Arbeit wurde von beiden Seiten als sehr angenehm empfunden und beibehalten. Im Laufe der Zeit qualifizierte sich Meister Spatz so weit, daß Redakteur Wetzer kaum noch etwas zu redigieren brauchte und den Echo-Ruf gleich zur Druckerei durchstellen konnte. Mit dieser Methode war er den anderen Redaktionen natürlich um Längen voraus, was ihm allerlei Neid einbrachte. Meister Spatz jedoch war in letzter Zeit sichtlich verstimmt. Seit Wochen war nichts sonderlich Begrüßenswertes herausgekommen. Eine ausgesprochene Dürre. Mißmutig stapfte er durchs Werktor. Da hörte er, wie der Pförtner zu einem Kollegen sagte: »Es war auch Zeit, daß die Jungs mal was unternehmen betreffs Kultur am Arbeitsplatz.« »Kann ich mal telefonieren«, fragte Meister Spatz. Der Pförtner reichte ihm den Apparat durchs Schiebefenster. Als Redakteur Wetzer Spatzens Stimme hörte, stellte er gleich zur Druckerei durch. Heute früh las Redakteur Wetzer in seiner Zeitung den Beschluß der Entrosterbrigade Spatz, ihre Arbeitshalle staubfreier und kulturvoller zu gestalten. Wie weiter mitgeteilt wurde, hat diese Initiative bereits ein lebhaftes Echo gefunden, das man auf Seite zwei lesen könne. Da mußte Bernd Wetzer unheimlich husten.
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Zwei ehemalige Direktoren begegnen sich im Gefängnis. »Wo warst du Direktor?« »Ich war Zirkusdirektor!« - »Und warum bist du hier?« - »Ich habe • 1m vergangenen Oktober ein Transparent am Zirkus anbringen lassen.« - »Und was stand drauf?« - »20 Jahre DDR - 20 Jahre volkseigener Zirkus! Und du?« »Ich war Direktor einer Textilfabrik und hab auch ein Transparent anbringen lassen.« »Und was stand drauf?« - »Jeder zweite Genosse ein Spinner!«
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Peter Gauglitz
'IH Letzte Woche trat ich meinen Dienst in der Kundendienstabteilung des zentralen Warenhauses an. »Wrr ziehen zur Zeit gerade den Monat der konsequenten Beschwerdenachgehung durch«, steckt mir mein Leiter und läßt auch was von Pluspunkten für gutes Nachgehen fallen. Kurz darauf tritt ein Mann im Lodenmantel bei mir ein, nicht mehr der Jüngste, der Herr Kunde. Ich biete ihm Platz, wora~ er sich setzt und seinen grünfilzigen Hut zwischen den Händen dreht. Gespannt frage ich ihn, welcher Art sein Anliegen sei. »Ich wollte mir ein Pfund Pflaumenmus in Papier kaufen«, erwiderte er, »oben bei Genußnahrungsmittel, aber der Fahrstuhl ist nicht gefahren.« »Und darüber«, nehme ich das Wort, »wollen Sie Qualitätseinbrüche dürfen nicht auf sich beschweren?« der Kappe der Endverbraucher lasten. »Türlich, ist doch ne ziemliche Schlamperei«, sagt er heftig,»das kann gar nicht laut genug ausgesprochen werden.« Flüssig notiere ich »Fahrstuhl verkehrt nicht!« und sage: »Immer dieser Fahrstuhl. Beine werde ich ihm machen. Beine!« Der Lodenmantel blickt mich dankbar an. »Das haben Sie fein gesagt«, sagt er. »Immer rauf aufs Schlimme! Wenngleich ... « »Wenngleich?« »Nun, es ging auch so. Ohne den Fahrstuhl. Und wenn ichs richtig überlege, wars gar nicht mal so übel, daß er nicht gefahren ist. Ich bin nicht die Treppe zu Nahrungsmittel raufgestiegen, sondern unten geblieben. Im Erdgeschoß.« »Ja, unser Erdgeschoß ... «, werfe ich hin und streiche die Fahrstuhlbeschwerde weg, »ist auch nicht ohne. Und hatten Sie etwa einen guten Einkauf?« Der Lodenmäntelige stülpt sich den grünen Hut übers Knie. Jetzt hat er die Hände frei, breitet die Arme aus und zeigt mir die leeren Handteller. »Einkauf? Wieso? Als ich kam, waren gerade Dosenöffner reingekommen. Richtige Büchsenöffner mit spitzer Schneide, Kollege! Ich stellte mich also an, und wie ich endlich an die Reihe kam - entschuldigen Sie meine preußische Ausführlichkeit, meine Eltern waren alles Potsdamer -, da sticht mich doch der Hafer, und ich erkundige mich, wie so eine Büchse mit dem Öffner aufgemacht wird. Leider hatten sie keine einzige volle Büchse bei der Hand, nur zwei leere ... «
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Unverzüglich verurteile ich die lückenhafte Handelsweise, werfe »Keine bindende Kooperation Öffner - Vollbüchse - Verkaufskultur?«aufs Papier und bemerke: »Jawohl, die Beschwerde leuchtet mir vollinhaltlich ein!« »Nicht wahr«, sagt der Beschwerdeführer, »dagegen kann man gar nicht scharf genug, da muß man ... Wenigstens einerseits. Andererseits ... « »Ja, bitte?« »Es hat auch wieder sein Gutes gehabt, • ganz pnma sogar ... « Enttäuscht betätige ich mich als Streicher von Beschwerden. Und der Mann erläutert mir ausführlich, was an dem Schlechten das Gute war: Mit dem Büchsenöffner wäre er gewiß losgestiefelt und hätte nie im Leben am Strickstand ein paar hellrote Pulswärmer aus Zellwollgemisch der Größe 48 erstanden. Leider aber wären ihm diese beim ersten Waschen bereits so eingegangen, daß er sie doppelt gemoppelt als unelastisches Uhrenarmband habe 1 tragen müssen! Diesen nun, wahrhaft haarsträubenden Beschwerdefall vor Augen, frage ich klipp und scharf: »Hersteller, Produktionsnummer, EVP? Moment, ich läute gleich mal zum Einkauf rüber - der kann sich vielleicht auf was gefaßt machen!« »Was sein muß, muß sein«, erwidert der Grüne. »Aber trotzdem wars schön - ach, wenn Sie wüßten, wie schön es war!« »Wo? Etwa in den eingelaufenen Pulswärmern?« »Wieso Pulswärmer? Die hatte ich doch eine Woche später schon ... « »Umgetauscht?« frage ich resignierend und ziehe den Finger aus der Wählscheibe zurück. »Nein, bewahre, umgetauscht hat sie mir keiner.« Endlich, endlich wird mir klar, worüber sich mein Besucher beschweren will: Für jene schundbaren Pulswärmer, Zellwollgemisch hellrot, wurde ihm, dem Kunden, kein Regreß gewährt! »Qualitätseinbrüche dürfen nicht auf der Kappe des Endverbrauchers lasten«, notiere ich begierig und lese meinen Text dem Manne vor. •
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»Was ist Philoso.phie?« . »Wenn man mit verbundenen . Augen in einem verdunkelten Zimmer nach einer schwarzen Katze sucht.« »Und was ist der Unterschied zwischen materialistischer und idealistischer Philosophie?« »Materialisten suchen in einem · dunklen 'Zimmer mit verbundenen Augen nach einer . schwarzen Katze, die wirklich da ist. Idealisten . suchen im gleichen Zimmer mit verbundenen Augen nach einer Katze, die gar nicht da ist.« »Und wie ist das mit den DDR-Philosophen?« >>Die suchen im . gleichen Zimmer mit verbundenen · Augen nach einer schwarzen Katze, die nicht da ist, ·und rufen dabei laut: >Wrr haben die Katze gefunden!<« .
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»Richtig« sagt er. »Sie sagen es!« Der festen Meinung, meinen Beschwerdefall unter Dach und Fach zu haben, erkunde ich nebenher, was eine Woche später denn gewesen wäre . »Da hatte mir die Kollegin vom Wollestand die Pulswärmer schon etwas angestrickt, gleich nen ganzen Pullover, obendran. Mit Norwegerhirschmuster.« Der lodengrüne Mann läßt eine Pause eintreten, in deren Verlauf sein Gesicht sich mehr und mehr verklärt. »Ja, ja, Verkäuferinnen gibts ... « »Und wieder keine Beschwerde?« frage ich erschüttert und streiche schon immer. »Nein«, sagt mein Visavis. »Dann nennen Sie mir wenigstens den Namen der Kollegin. Er kommt an die Wandzeitung, wegen hervorragender Kundenbetreuung.« »Geht nicht. Gertrude ist weg. Nicht mehr im Kaufhaus.« Nun werfe ich, stark erschöpft schon, ein, auch das wäre der Vorwurf einer Beschwerde. »Der Kunde gewöhnt sich an ein freundliches Gesicht, und plötzlich ist es weg, verschwunden - elende Fluktuation!« »Ja, ja«, sagt der Mann. Das wäre nicht gerade angenehm. Jedoch das liebe Leben spiele nun mal so. »Nichts dran zu machen.« »Sie verzichten also wieder?« frage ich auf neunundneunzig. »Klar, ich habe Gertrude doch geheiratet. Wir haben drei Kinder, Kollege, eins ist schon verlobt - mit nem ersten Verkäufer sogar! - und als der Fahrstuhl nicht fuhr, das ist nun auch schon an die neunzehn, zwanzig Jahre her.« »Dann wollen Sie sich, in drei Teufels Namen, überhaupt nicht beschweren?« frage ich und lasse alle Höflichkeit fahren. »Doch, doch«, sagt mein Gegenüber. »Klar, will ich - und wie!« »Nun sagen Sie bloß noch«, sage ich gereizt, »Über das Warenhaus vor neunzehn, zwanzig Jahren!« »Nein, über heute.« •• »Uber heute? Da rede ich die ganze Zeit mit Ihnen über heute, und Sie meinen immer die Jahre von vorgestern - Herrgottchen im Obergeschoß, was solls denn sein?« »Pflaumenmus«, sagt der Grüne. »Aber nicht die Konfitüre im Glas, sondern Mus in Packpapier. Das war damals um vier Pfennig billiger ... « Na endlich! Die Kampagne und meine Pluspunkte waren gerettet.
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John Stave
»Ich mache jedenfalls den ganzen Zauber nicht mehr mit!« erklärte Bramberg kategorisch. »Ich hab mich damals breitschlagen lassen: Bramberg, du bist der richtige Mann, du hast Ahnung, du bist belesen, du schaffst das. Wir legen den Kulturobmann in deine Hände! So schmieren sie dir Honig ums Maul. Natürlich, das hört jeder gerne: Wir brauchen dich! Aber jetzt häng ich alles an den Nagel. Solln sie sich selber um ihre Bildung kümmern. Ich habe über fünfzig Bücher zu Hause, und jetzt hab ich auch wieder Zeit für mein Theateranrecht und so weiter. ':
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Weißt du, was sie dir obendrein noch machen? Vorwürfe - so siehts aus! Da kann ich mich richtig erregen! Ich hab den Bildungsplan aufgestellt für letzten Monat. Ich hab manche freie Stunde rangehangen nur damit alles klappt. Und der Dank? Keine Resonanz. »Ich muß meiner Frau bei der Wäsche helfen, ich muß die Kinder vom Kindergarten abholen, ich muß zum Durchleuchten, ich muß das und das und dieses und jenes.« So drücken sie sich. Aber wenn du dann mal in die Oase reinsiehst, da sitzen sie in dem ganzen Qualm und trinken Bier.
Frühjahrsputz
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Ich mach das nicht mehr mit! Ich kann auch mein Bier in der Oase trinken, wie jeder andere auch. Ich kann auch sozusagen meiner Frau bei der Wäsche helfen oder die Kinder gewissermaßen abholen. Mit ein bißchen Phantasie geht alles. Man macht sich ja lächerlich! Der Kollege Zwack zum Beispiel machte ein ganz süßsaures Gesicht, als er mir die Vorteile des Kaufhalleneinkaufs schmackhaft machte. Ich hatte dreißig Stühle schön halbrund aufgebaut, aber kein Aas kam. Frieda Zibulski konnte ich noch am Schürzenzipfel erwischen, die kennst du auch. Ich sage, jetzt türmst du, aber der Vortrag ist wichtig für dich. Jetzt muß ich einkaufen, sagt sie und reißt sich los. Noch schlimDer Fernsehturm fiel vollkommen mer war die Sache am 28. Alles für die jungen Leute ins Wasser, weil Nebel war. organisiert. Der Kollege Scherbarth ist ein Phänomen unter den Frisören, der Stolz der ganzen Innung! Ich mußte regelrecht um ihn kämpfen. Drei Tage war ich alleine deswegen unterwegs, alles für die Jugend. Und der Dank? Ich saß alleine da, vollkommen alleine! Aber das war noch nicht das schlimmste. Wenn ich wenigstens Haare auf dem Kopf gehabt hätte! Den Meister Scherbarth kriegen jedenfalls keine zehn Pferde mehr in unseren Betrieb. Der Doktor im Tierpark hatte noch obendrein Glück im Unglück. Gerade als ich ihm mitteilen wollte, daß kein Aas da wäre, kommt eine Rentnerbrigade mir wie gerufen und fragt, ob sie im Extraraum Platz nehmen und Kaffee trinken könnten. Der Doktor Weber wundert sich natürlich, daß wir so ein überalterter Betrieb sind. Gerade wir von der Elektronik, aber wie er dann für seine Spitzschwanzelfen so riesigen Applaus erntet, hat er das Alter vollkommen vergessen. Ich hab das Dankschreiben von ihm noch oben, das kann ich mir an die Wand nageln. Natürlich - ich hätte auch lieber was über Elefanten, Nashörner, Löwen, Tiger, Känguruhs oder Schlangen gehört, aber der Doktor Weber war der einzig greifbare Mann Anfang des Monats, und er kann eben nur über Spitzschwanzelfen, helf er sich. Ich war viermal deswegen auf dem Gelände. Vier Abende, wo ich auch lieber in der Oase gehockt hätte! Bei den Dachrinnen waren außer mir zwei ganze Personen, der rothaarige Mechaniker Polzin und die kleine neue Botin, die auch den Fahrstuhl mitunter führt und so ein bißchen humpelt, aber kein Interesse für Dachrinnen und daß man sich
sachlich, kritisch, optimistisch
dabei anseilen muß. Dauernd gequatscht, so daß ich ein paarmal ordentlich zischen mußte. Der einzige der Referenten, der noch so ein bißchen menschlich mir gegenüber reagierte, war der Kollege Bade mit seinem Kastenrudern, mit dem er ja schließlich auch selber ankam. Wilhelm, sagt er, mach dir nichts draus, wenn keiner kommt. Es ist ja nur gesellschaftliche Arbeit. Zu mir kommt fast nie einer, höchstens mal aus Versehen. Aber ich hab trotzdem wunderbare Urkunden ... Ich lehne das jedenfalls ab. Ich will Resonanz! Zum Beispiel auf den Rieselfeldern. Die Kollegin Pauske - noch eine sehr reizvolle Dame Anfang fünfzig!-, die die Führung machen sollte, war richtiggehend eingeschnappt. So ein interessantes Thema, sagt sie, das wirklich jeden angeht! Die kennt die Rieselfelder, sag ich dir, wie ihre eigene Westentasche, muß natürlich auch immer entsprechend Parfüm anspritzen. Rats auch nicht leicht! Ich hab sie dann in den Marzahner Krug eingeladen, und da hat sie mir die ganze Geschichte vom Urschleim an erzählt, daß die Sache in Zukunft geklärt wird und so weiter. Hinterher wollte sie sich beinahe noch sofort mit mir verloben, weil ich so ein verständnisvoller Mensch wär. Brüderschaft war schon, aber ich hab dann lieber schnell bezahlt, dann rein in den 0-Bus, weg war ich erst mal. Der Fernsehtunn fiel vollkommen ins Wasser, weil Nebel war, und bei den ägyptischen alten Steinen, war ich nicht auf dem Posten, weil ich mich auf dem Rieselfeld vielleicht doch etwas erkältet hab. Na ja, das ist ja nun alles vorbei. Schon wegen der Vorwürfe, die sie dir hinterher noch obendrein machen. Hast du mit den Kolleginnen und Kollegen denn vorher diskutiert? Hast du nach ihren Interessenkomplexen gefragt? Ich sage, da hört sich alles auf! Ich kenne die Interessenkomplexe: Oase, Fernsehen und so weiter. Ich war schon zufrieden, daß ich die ganzen Vorträge und Exkursionen soweit alle unter Dach und Fach hatte. Wenn ich noch jeden vielleicht extra gefragt hätte, hätten wir Weihnachten Kastenrudern können oder zum Friseur gehen. Bei mir ist der Bart jedenfalls ab! Weißt du was? Ich pachte mir ein Häuschen an den Rieselfeldern, und dann wandre ich mit Kollegin Pauske drüber hin. Und ab und zu reinige ich die Dachrinne - ich weiß ja, Gott sei Dank, Bescheid, wie das geht! - und halte auch selber Vorträge darüber. Wenn du erst mal Kulturobmann bist, kannst du dich bei mir anmelden!
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Aus Solidarität mit der Sowjetunion erklärt die DDR der Volksrepublik China den Krieg. In Peking wundert man sich und schickt ein Telegramm: »Bedenkt, ihr seid ein Volk von 17 ·Millionen. Vielleicllt habt ihr ejne Million unter Waffen~"Wrr dagegen sind eine Milliarde und haben 1_7 Millionen unter Waffen. 'lVollt ihr wirklich gegen uns antreten?<< . In Berlih tritt das P-0litbüro zusammen, beratschlagt und schickt ein Alltworttelegfamm folgenden Inhalts: »Ziehen:die Kriegserklärung zurück. Wrr wüßten nicht, wohin mit so vielen Kriegsgefangenen.« . .
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C. U. Wiesner
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Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Was mir betrefft, ick werd wohl heut auch nich pünktlich Feierabend machen können, indem nämich die janze Koppverschönerung sozusagen auf meine gebrechliche Schultern beruht. Nu werdense vielleicht denken, Herr Kafforke sitzt wieder im Blauen Affen, sauft rum und blamiert seinen greisen Meister mittels dumme pullitische Reden, wovon er sowieso nischt versteht. Aber nee - dazu hat er diesmal jar keine Jelegenheit. Ick hab ihm nämich als meinen Delektierten versandt, nein, nich aufm Deutschen Frisörkongreß, wo es bei Lichte besehn gar nich gibt. Nein, auch nich zum Schaufrisieren. Wo denkense denn hin! Kuckense sich doch mal Kafforkes Mohrrübenfinger an, den laß ick doch nich mal an meine alten Stammkunden· ran. Na, nu haltense mal stille und sindse nich so neugierig! Dis isjewissermaßen einJeheimnis, und ick bin doch keine Quasseltante, deß ick so was ausplaudere, wo es noch dazu obendrein um ne ziemlich brenzliche Sache betreffen tut. Sagense mal, ham Sie eigentlich diese Schampanje verfolgt, wo es als Motto immer lautete: Schöner unsere Städte und noch ville schöner unsere Jemeinden? Wörtlich krieg icks auch nich mehr beisammen. Man erzählte sich ja sojar, deß der Majistrat 'n künstlichen Mond an Fernsehturm ranbammeln wollte. Wie ick Ihre Glatze noch tarnen soll, weiß ick bald auch nich mehr. Na, jedenfalls soll et nur daranjescheitert sind, desse nich wußten, wie se dis mit die einzelnen Mondphrasen hinkriegen. Also wenn Se mir fragen, ick find den Naturmond ville preiswerter, jedenfalls solange, wie der Ami nich wirklich anfängt, unsern blassen Heinrich da oben parzellenweise an seine Mülljonäre zu verscheuern. Herrjottnochmal, ick sag ja gamischt gejen die wüssenschaftliche Leistung, aber mitm Sack voll Mondklamotten als Jebrauchsmuster fängts an und - nehmse mal den Kopp 'n bißken runter, sonst werdense am hellerlichten Tage noch mondsüchtig, und ick verschnippele Ihnen noch den spärlichen Rest. Moment mal! Muttern, jeh doch mal kicken, ob sich Herr Kafforke immer noch so dusselich anstellt! Wenn nich, kannste ihm auch 'n Töppchen Kaffe bringen. Tschuldigense, also
Sachlich, kritisch, optimistisch
wie jesagt, mir intressiert der Mond nich fürn Sechser. Ick komm ja doch nich mehr rauf - und darum bleib ick lieber aufm Teppich. Sehnse, zum Beispiel die janze Verschönerungskiste, in Berlin, dis hat mir eigentlich richtigjehend jefreut, und da war ick auch mal ausnahmsweise von Anfang an nich dagejen. Wenn Se sich noch erinnern sollten, ick hab schon vor zwanzig Jahre zu meine Stammkundschaft jesagt, wenn die hier im Laden meckerten: Paßt mal auf, dis kommt noch ville schöner! Hab ick natürlich janz anders jemeint, wo ich doch damals nich wissen konnte, deß der Staatsrat dis janz wörtlich nimmt. Ick selber hab ja schon immer sehr auf Reinlichkeit jehalten, schon weil unsereinen die Hügüneordnung dis so vorschreibt! Aber son Reinemachefimmel wie beinah alle Berliner auf einen Haufen, den kriegt Muttern beispielsweise nur im Frühjahr. Momentan siehts ja nu ziemlich manierlich inne Stadt aus, Jrünanlagen, Blumen, schmuck und natürlich meine Laube nich zu verjessen, wo ick eijenhändig neu anjepinselt und mit neue Kletterrosen versehen habe. In jewisse Weise isses aber auch zu einige Übertreibungen je- Dit war die jünstige Jelegenheit, den kommen, wo ick mir sage, dis hätte nich sein Staatsrat zu zeigen, det ick würklich brauchen. Wissense, auf die eine Seite macht auch alleine mitrejiere. der Staat immer so mächtig auf der Arbeitertradition und wünscht in alle Fernsehspiele, deß man sich auf ihr besinnt. Und wie sieht die Wirklichkeit aus? Grade hier, unsre Gejend, wo immer mehr so ein Proletenviertel war, was man ihm auch ansah ... und plötzlich kommense und kloppen die letzten schönen vennurkelten ollen Fassaden runter und verputzen alles wie son richtigjehender Neubau. So werden einen ebent die letzten Erinnerungen jenommen. Kaufmann Uppendahl wird Ihnen doch 'n Bejriff sind? Jenauso 'n privater Fels inne volkseigene Brandung als wie icke. Und über sein Laden prangt immer dis Schild Colonialwaren. Gott, wissense, der olle Mann is ja so charakterlos. Dis schöne Schild, noch von sein Opa eigenhändig jemalen, dis hat er sich überpinseln lassen. Bloß weil ihm die Natzjonale Front bei diese Gelegenheit gleich sein janzen Laden mitrenoviert hat. Janz so dusselig isses freilich auch nich. Kolonien gibs hier schon lange nich mehr; aber schließlich hamse bei uns auch die Herren abjeschafft - könnense mein Jedankenjang noch folgen? Ich überlege ja auch schon dauernd, wie ick am jünstigsten unsere olle Küche renovieren lasse. Wenn ick mir nu bei die Natzjonale
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Zwei Schulfreunde treffen sich nach langer Zeit wieder und erzählen, was aus ihnen beruflich geworden ist. Der eine, ein Stotterer, berichtet: »Ei-ei-eieigentlich wo-wowollte i-i-ich ja RuRu-Rundfunksprecher werden ... « Der andere: »Und warum bist du es nicht geworden?« »Wei-wei-weil i-i-ich ni-ni-nicht i-in der P-P-P-Partei bin.<<
Sachlich, kritisch , optimistisch
Front erbietig zeigte und sagen täte, die sollen statt Wtllem Kleinekorte Herrensalong dreiste ranpinseln: Kleinekortens Werktätigenverschönerung? Aber vermutlich würdense denn kommen und sagen: Der jroße Jeburtstag von ne Republik is vorbei, jetz gehts wieder ohne Musike, und nu ham wir schon wieder janz andere Sorgen, als wie unsere Städte noch ville schöner zu machen. Die Menschheit is ja manchmal so kurz von Jedanken. Jestern hab ick mir mit Albert Wuttken, den Wirt von HO Blauer Affe, inne Wolle jehabt. Wissense, wenns da nich so jemütlich wär, würd ick ja in diesen ollen Räucherschuppen jar nich mehr verkehren. Albert, sag ick eijentlich könntste mal 'n paar neue Jardinen anschaffen und 'n paar Vasen auf die Tische stellen, die paar Herbstastern spendier ick sojar aus mein }arten. Wie er mir daraufhin wie son anjeschossener Rehbock ankickt, werd ick mir doch zu die Äußerung hinreißen lassen: Sinngemäß - denn sprech ick immer janz fein - hat der Staatsrat nämlich auch gemeint: Schöner unsere Eckkneipen! Wissense, was Wuttke mir jeantwortet hat? Die janze Aktion is längst abjeblasen, und dis weiß er aus sicherste Quelle, von einen Majistratsangestellten, der jesagt hat: Endlich hamwa wieder unsere Ruhe! Mir hat dis ja nu keine Ruhe jelassen. Erstens war ick von Natur aus schon immer 'n Schönjeist, und zweitens war dis die erste jünstige Jelegenheit, den Staatsrat mal zu zeigen, deß ick würklich auch alleine mitrejiere, zumündestens hier bei uns ins Haus, da bin ick denn in solche Fälle wie Julius Cäsar. Ick also jestern abend noch alle greifbaren Hausbewohner zusammenjetrommelt, Fritze Ladenthin, Dokter Lielke und so. Denn hab ickjeden erst mal 'n Doppelten einjeschenkt, mit se meine Absicht nich so schnell durchschauen, und denn schlängelte ick mir so pöapöh an meinen Jeheimplan ran: Wie wärs denn, wenn wir unsern ollen Hinterhof mal alle zusammen renovieren würden? Wissense, und nu kommt da 'n Buddelkasten für die Jören hin, dazu 'n Kletterjerüst und 'n klitzekleines Stück Rasen mit zwei Bäumchen. Die hab ick direkt überrumpelt, wo ickja auch noch mitm guten Beispiel voranjegangen und für heute nachmittag Herrn Kafforke zum Dreckwegkarren delektiert habe. Sehnse, auf die Art jeh ick ebent doch meine eigenen Wege. Aber erzählnses bitte nich weiter, sonst kriegt mir womöglich der Majistrat anne Hammelbeine, weil ick so einfach ohne Anweisung die Verschönerungsschampanje auf eigene Faust verlängert habe!
Sachlich, kritisch, optimistis<;h
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Werner Troegner
' OIHOS per o toH Der Sprung von der Schauspielschule zum großen Ruhm gelingt selten auf Anhieb. Es fehlte bisher eine wissenschaftliche Anleitung. Allen ambulanten Verleihern von Geste, Mimik und Stimme kann demnächst hilfreich unter die Arme gegriffen werden. Ein sechsbändiges Standardwerk erscheint im Verlag »Kunst und Karriere, Kalau«. Die nachfolgenden Ausführungen sind als Verlagsprospekt zu betrachten. Band 1: Grußrecht und Grußpflicht. Für alle Sparten mit Anhang Kleinkunst. Allgemeine Grüßordnung (darstellendes Fach). Den Intendanten: Ernst grüßen. Kinn etwa 15 Sekunden unten lassen. Kann verkürzt werden, falls dein Vertrag verlängert wurde. Unhöflichkeit zahlt sich nie aus. Er hat den längeren Arm. Den Regisseur (fest verpflichtet): Wenn du bleiben willst, freundlich grüßen. Dazu empfehlen sich einige Worte über die letzte gemeinsame Arbeit, etwa: »Schwerer Brocken! Hat aber viel Spaß gemacht, viel gelernt! Endlich mal gearbeitet worden.« Wenn dein Bleiben sicher ist, genügt ein nett-kollegialer Gruß. Dazu vielleicht Floskeln wie: »Aber nicht wieder nur die Wurzen, bitte!« oder »Daß du dem die Rolle geben konntest! Da hätte ich dir aber was anderes draus gemacht.« (Stimmt immer.) Wenn du gehen willst, grüße trocken und ironisch. Dazu paßt dann: »Woanders wird das Stück vor der Premiere erst einmal inszeniert!« Oder: »Gelernte Regisseure kenne ich schon aus Perleberg.« Oder: »Man müßte irgendwo mal wieder künstlerisch arbeiten können!« Den Regisseur (als Gast tätig), wenn er a) von einem größeren Theater kommt: Gruß geradezu herzlich. Du hast alle seine Inszenierungen gesehen und findest sie »einfach toll«. Redewendungen: »Ja, bei Ihnen wird künstlerisch gearbeitet! Sie holen aus den Leuten alles raus.« Kommt der Gastregisseur b) von einem mittleren oder gleichwertigen Theater, so wird ein freundlicher Gruß in den meisten Fällen als ausreichend angesehen. Dazu dann: »Ich werde hier immer unterschätzt!« oder
Kabarettist und Schauspieler Werner Troegner gibt in seinem ))Kleinen Organon« hintersinnige Ratschläge für die Kollegen Schauspieler.
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Sachlich, kritisch, optimistisch
. ,)}Warum schmecken .
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clie Frühjahrs-
}rartoffeln genauso ·.schlecht wie die~ Wmterkartoffeln vom Vorjahr?« »~Das läßt sich mit Lenin erklären, der :sagte: >lm Sozialismus ist das Morgen schon Geschichte.<«
»Man gibt mir ja nichts zu spielen, alles Intrige hier!« (Schon läuft es.) Kommt der Gastregisseur c) von einem kleinen Theater, so nicke nur arrogant. Wrr wissen, daß du es nicht bist, aber tue wenigstens so. Rede wenig. Wenn, dann allenfalls: »Wir haben das hier immer so gemacht!» oder in eisigem Ton »Vielleicht bei Ihnen in Perleberg« oder »Mein Publikum will das so!« (Macht immer Eindruck.) Wie grüßt man Kollegen? Kollegen grüßt man grundsätzlich nicht, die hat man. Band 2: Bekleidungsordnung mit dem erweiterten Teil: »Das Auto als Berufsbekleidung«. Band 3: Vertragsverhandlungstechnik. Mit kleinem Ratgeber für das Arbeitsgericht (kleines und großes Recht). Band 4: Rangordnung der Theater, Sender, Filmgesellschaften und ähnlicher Institute. Nebst Wertigkeitstabelle. Band 5: Der große Bankett-Knigge . Band 6: Auszeichnungen und Preise, mit dem Hauptteil »Welche Rolle erspielt welchen Preis?« Weitere Ergänzungsbände befinden sich in Vorbereitung. Unentbehrlich für jeden Interessenten dürfte auch ein Leitfaden sein, der unter dem Arbeitstitel »In zwei Tagen perfekt« vorbereitet wird. Es handelt sich um ein komplettes schauspielerisches Etüdenbuch mit allen sechs Tönen und einer mimischen Anleitung. Als Beispiel für eine gestische Probe-Etüde möge »die Nervosität« dienen, nämlich: Nervosität - der Spieler wibbelt mit der linken Hand (bei negativen Rollen rechte Hand). Hervorzuheben ist die Aufmerksamkeit, die dem Spiel der Augenbrauen gewidmet ist. Das Kapitel »Der Weg zur Rampe« bringt neue Untersuchungen über das Stand- und Gangbein. Dankbar begrüßt wird sicherlich auch die Broschüre »Der Weg zur Bühne<<, ein Hotelwegweiser mit vollständigem Bettverzeichnis. Selbstverständlich wurde das Gesamtwerk auch reich bebildert. So zeigt eine Farbtafel den Künstler Gojko Mitic, auf einer Lokomotive reitend. Kleine Indianer Schaufeln vom Tender Kohlen auf die angehängten Loren mit weniger erfolgreichen Filmen. Ein Großfoto bringt uns Professor Dathe näher. Er zeigt auf einen Kakadu und sagt: »Ich habe auch gefiederte Freunde.« Einband: halbseiden. Ausstattung: Werner Klemke. Voraussichtlicher Preis des Gesamtwerks: Nationalpreis.
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lnge Ristock
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>>Aber sauen Sie nicht alles wieder ein. In einer halben Stunde ist Feierabend.<<
Morjen. Hat schon jemand gemerkt, daß ick zu spät bin? Mann, seh ick aus! Mann, is mir schlecht! Ick hab vielleicht 'ne Nacht hinter mir! Also det muß ick dir erzählen. - Strumpfhosen? Könn Se nich lesen? Ein Stock höher. - Blöde Kuh. Bei der Jahreszeit Strumpfhosen! Wo war ick stehngeblieben? Ach so: Ick bin ja so unglücklich! Gestern war ick doch bei der Manuela aus de Miederabteilung zum Jeburtstag. Dis is vielleicht 'ne arrogante Zicke! Da war ooch ihr Kusäng, so 'n richtig einjebildeter Pinkel. Jab furchbar an mit , seim 'frabant, den er bestellt hat. Na, dachte ick, bei mir blitzt du ab. Und richtig, will mir doch der Makker nach Hause bringen! Junger Mann, sage ick - ganz Dame, verstehste? -, ich bin ein anständiges Mädchen, und vor der Düre stehn und so is bei mir nich. Also sind wir zu ihm. - Wenn die Zicke da drüben jetzt zu mir kommt, also die bedien ick nich. Die hat sich doch neulich fünf Perlonblusen zeigen lassen und dann nich mal 'n Knopp jekooft. Jetzt geht se zu'n Mänteln. Wo war ick stehnjeblieben? Ach so: Bei ihm inne Wohnung. Eine Liege hat der! Gelb und lila. Aber zu essen hat er mir nischt anjeboten. Hätt ja ooch nischt jenomm. Ick wollte den Kerl ja nur verladen. Er war ja so janz nett, aber ick blieb uff Distanks. Na, hör mal, man weiß ja, was man sich schuldig is! - Unterröcke? Da drüben. Selbstbedienung. Steht dran. Aber wühln Se nich alles durcheinander, wir ham jestem erst sortiert. Wenn Se Ihre Größe nich wissen, kann ich Ihn ooch nich helfen. Um einsen wollt ick jehn. Da merk ick doch, daß ick mein Haustürschlüssel vergessen hab. Eigentlich hatte ick ihmjajar nich vergessen, aber ick dachte es. Er war inner Jackentasche.
Alles zum Wohle des Volkes
Natürlich laß ick dummes Schaf, naiv wie ick bin, mir überreden zu bleiben. Na, hör mal! Ick steh doch nich sechs Stunden im Rejen vor meiner eijenen Hausdüre! Hätt mir ja'n Dood jeholt! Nee, Klingel is nich. Denn hab ick ihm 'n paar jelatscht! Warum? Mann, Kollegin, bist du aber naiv! - Pullova ham wir nur janz teure und janz billige. Und nur in Grün und Rosa. Nee, in Blau nich. - Also, Freddy, hab ick jesacht, so heißt er nämlich. Und wenn man schon Freddy heißt, is bestimmt was faul! Freddy, wir kennen uns erst seit fünf Stunden und überhaupt: Beim ersten Male nie! Da hab ick meine Prinzipien. - Kostüme? Da hängen se doch. Die passen Ihnen sowieso nich. Die sind nur für Schlanke. - Und jetzt kommt der Gipfel: Früh um fünfe haut mich Freddy raus. Seine »Schwester« käme um sechse von Schicht. Da hab ick ihm noch 'n paar jelangt. Warum? Weil dis eine hundsjemeine Jemeinheit is! Also Männer jibs, nee! Keene Moral im Leibe. Natürlich war nischt, weil ick nich wollte. Mir is janz schlecht. Hoffentlich krieje ick keen Kind. Wo doch mein Bräutijamm seit acht Wochen uff Lehrjang is ... Apropos Lehrjang. Weißte schon, daß wir alle 'n Lehrjang zur Hebung der Verkaufskultur besuchen solln? Als ob wir nich schon so jenug um die Ohren hätten.
Wo1t1t dio N OIAtJior 1tieAt wär """ Heute morgen schaltete ich wie üblich die Nachrichten des Berliner Rundfunks an. In der Spitzenmeldung teilten mir die Kollegen Nachrichtenredakteure mit, daß drei Zwimerinnen des VEB »Spul mit!« den doppelten Auerbachknoten entwickelt haben, der so gut wie maschenfest ist und einen jährlichen Nutzen bringt. Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen schaltete ich daraufhin die Nachrichten aus und eilte beschwingt zur Arbeit. Im Betrieb erfuhr ich von einem Kollegen, der die Nachrichten bis zum Ende gehört hatte, daß in der vergangenen Nacht aus bisher noch ungeklärten Gründen Australien im Meer versunken ist. Daraufhin nahm ich mir vor, bei Nachrichtensendungen künftig auch die Unter-ferner-liefen-Meldungen anzuhören. Denn irgendwie interessiert einen ja doch, was sonst noch so passiert.
Johannes Conrad
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Alles zum Wohle des Volkes
Ernst Röhl
>>Hier ist zwar nichts los, aber eine Planstelle ist eben eine Planstelle. «
Auf den Namen kommt's nicht an, sagen manche Leute. Ich denke anders darüber. Vor drei Wochen hieß ich noch Obermüller. Aber sagen Sie selbst - Obermüller, klingt das nicht ekelhaft unbescheiden? Als ob man sich aus den Millionenmassen einfacher, werktätiger Müllers um jeden Preis herausheben wollte. Vor drei Wochen, bei meiner Hochzeit, habe ich die Gelegenheit genutzt und den Namen meiner Frau angenommen. Nun heiße ich Gott sei Dank Müller. Oder der Name meines Betriebs: Volkseigenes Kombinat für kaltgepreßtes südsüdostsächsisches Leinöl und spezialgereinigte südsüdostsächsische Leinsaat, Sitz Sollsdruff, Werk Kannsdruff, Betriebsteil Darfsdruff. Gewisse Spottdrosseln finden den Namen zu lang, weil sie bei der Aussprache ein paar Mal Luft holen müssen und weil bei der Einstellung neuer Kollegen die Ausweise für Arbeit und Sozialversicherung immer gleich voll sind. Ich dagegen gehe vom Positiven aus und behaupte: Kein Wort ist überflüssig. Der Name ist so kurz und genau wie möglich. Völlig ausgeschlossen, daß meine Bude mit dem Halbstaatlichen Kombinat für warmgepreßtes nordnordwestthüringisches Rapsöl und allgemeingereinigte nordnordwestthüringische Rapssaat, Sitz Willsdruff, Werk Mußdruff, Betriebsteil Möchtsdruff verwechselt wird. Und jeder, der den Namen hört, kann sich genau vorstellen, was wir den lieben, langen Tag treiben. Leider gibt es noch eine Menge wenig aussagekräftiger Firmenschilder. Zum Beispiel VEB Schlachthof. Wer oder was wird geschlachtet? Zu welchem Zweck? Wird eventuell Fleisch verarbeitet? Wenn ja, wozu? Zu Buletten, zu Frikadellen, zu Leberwurst?
Alles zum Wohle des Volkes
Ja? Na also. Demnach müßte der Name wenigstens VEB Fleisch- und Wurstverarbeitung lauten. Die meiste Gefahr droht diesem Zweig der sozialistischen Namensgebung von poetischen Naturen, denen die Genauigkeit der Bezeichnung schnuppe ist, denen es um weiter nichts geht als bloß um klangvolle Namen. Von Typen, die die Vierfruchtlimonade Viefruli für ihr Leben gern in Brausella und den VEB Schädlingsbekämpfung, Ernährungsschutz und Desinfektionsanstalt Halle lieber heute als morgen in VEB »Kammerpirsch« umtaufen würden. Wenn es nach ihnen ginge, wimmelte es nur so von Textil-KG »Seemannsgarn«, VEB Aufzugsbau »Empor«, Jagdkollektiv »Ruhige Kugel«, Spezialverkaufsstelle für Autoersatzteile »Füllhorn«. Zum Glück geht es nicht nach ihnen. Solche dichterischen Namen halten den Stürmen der Praxis meistens nicht stand. Die Berliner Wäscherei »Blütenweiß« heißt nun auch schon jahrelang REWATEX. Damit die Kunden bei der Betrachtung ihrer Wäsche zum Schaden nicht auch noch den Spott haben. So eine Umbenennung läßt sich häufig gar nicht vermeiden. Nehmen wir nur mal den VEB Auer Besteck- und Silberwarenwerke (ABS). Die Messer und Gabeln aus Aue sind auf fünf Kontinenten ein Begriff, wenn nicht gar auf sechs. Wie leicht kann in aller Welt der Verdacht aufkommen, die erzgebirgischen Silberwarenwerker gingen mit ihrem berühmten Namen hausieren. Um diese Gefahr zu bannen, um zu zeigen, daß Bestecke aus Aue für sich sprechen, tritt der Betrieb seit einiger Zeit unter der Bezeichnung UNIWEMA auf. Das ist wahre Bescheidenheit. Das ist ungefähr so, als ob Beethoven zu jemand sagte: »Ich heiße Ludwig van, aber du kannst Scharlie zu mir sagen.«
Die meisten Menschen sind so wie die meisten. Doch ist es ein Gesetz auf dieser Welt, daß nicht mal einer, könnt er sich's auch leisten, sich selbst für einen von den meisten hält.
Klaus Lettke
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Was ist die symbolische Bedeutung des Fernsehturms? Auf einer immer enger werdenden Basis befindet sich ein riesiger Wasserkopf mit einer Spitze obenauf, die beständig schwankt.
Alles zum Wohle des Volkes
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Angela Gentzmer
011ta Wa11da '-"" Opa 1tiodtieA Sketch mit Helga Hahnemann und Alfred Müller Opa: Zeig mal unsern Wochenplan! Oma: Den hast du doch zwischen deinen Rentnerausweis und den Kurantrag gesteckt, damit wir 'n immer griffbereit haben! Opa: Wo denn? Oma: Links! Friedrich! Neben deine Lesebrille! Opa: Na, die hab ich doch auf der Nase! Oma: Die is' doch die für die Feme! Links is, wo der Daumen rechts ist! •• Opa: Ach ja, hier! Liest: Ubertrag! Oma: Friedrich! Jetzt haste die Sammelliste vonne Volkssolidarität jejriffen! Kannst du denn keine Ordnung in deine Taschen halten? Jetzt wühlt Oma in seinen Taschen und holt ein vollgeschriebenes Blatt Papier hervor: Nehmen wir dis solange! So! Nu lies mal vor, aber langsam! Ich muß meine Optik erst suchen! Jetzt wühlt sie in ihrer Tasche. Opa: 6 Uhr! Wecken! Oma: Zu früh! Opa: Nö! Zu spät! Oma: Friedrich! Wenn ich sage, zu früh, dann isses zu früh! Wir haben heute unsern Rommeabend! Da kommen wir vor 11 nicht in die Federn! Und gerade morgen will ich eben nicht aussehen wie meine eigene Großmutter! Weiter: Opa: 10 Uhr Abfahrt nach Bad Schandau mittels per Reisebus! Oma: Und Frühstück? Opa: Na, vorher, Wanda! Oma: Ich frage ja, wann? Opa: 8.15 bis 9.10 Uhr! Oma: Geht gerade noch! Sonst hab ich während der Fahrt immer so'n hartnäckigen Schluckauf! Opa: 13 Uhr Essen! 16 Uhr Kaffeetafel - anschließend Tanz! Oma: Hoffentlich ham se 'ne vernünftige Kapelle! Opa: Die »city-Kreis-rollers! « Oma: Na ja, die ham ja 'n ganz vernünftigen Sound! Opa: Die sind auch laut genug! Oma: Der Tag ist jedenfalls hin! Opa: Der ist hin!
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Oma: Sehen wir mal Dienstag! Opa: Der Dienstag ist für mich völlig ausgebucht! 9.00 Uhr Treff mit Jungen Pionieren! Da halte ich einen Vortrag über die Arbeiterbewegung - anschließend Diskussion, danach Rennbahn! Oma: Rennbahn? Is Mittwoch! Du bist wohl wieder inne falsche Spalte gerraten? Opa liest: Ich meine ja auch die andere Rennbahn: Die BollenBahn! Oma: Zeig mal her! Mit Otto und Karl zur Bowling-Bahn! Mensch, Friedrich! Ich denke, du hattest am Gymnasium in Rezitation 'ne Eins? Opa: Du sollst mich nicht immer korrigieren, Wanda! Selbst gelernte Schauspieler brauchen auf der Bühne für ihren Text einen Dompteur! Oma: Friedrich!! Auf welchem Posten stehen wir Mittwoch? Opa: Bei dem vom »anderen Ufer«! Beim Friseur! Oma: Dis heißt, du 3 Stunden und ich eine! Da kann ich dann noch schnell ein paar Besorgungen machen! Du brauchst unbedingt lange, wollene Unterhosen! Weiter! Opa: Dann sind wir auf »Haifischjagd in der Karibik«. Oma: Müssen wir da alle beide hin? Opa: Ja, selbstverständlich! Da ist doch wieder derselbe Doktor, der im vorjen Jahr schon den Lichtbildervortrag gehalten hat! Der nimmt das nachher noch persönlich krumm, wenn einer fehlt! Oma: Donnerstag? Opa: Schöner unsere Städte und Feierabendvorgärten! Gemeinsames Unkrautzupfen mit Blasmusik! Essen aus der Gulaschkanone! Danach medizinischer Vortrag von Frau Dr. Bauerlein »Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an!« Oma: Bleibt uns dann noch Zeit, irgendwie unsere Pflicht zu tun? Opa: Wenig, aber wir können es ja versuchen! Oma: Können wir uns Donnerstag wenigstens ausschlafen? Opa: Wo denkst du hin? Donnerstag, Freitag, Sonnabend - da geht's hier rund! Besuch des Bürgermeisters - feierliche
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Sketchpartner Helga Hahnemann und Alfred Müller: Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an!
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Walter Ulbricht will in das Staatsratsgebäude, da bemerkt er einen kleinen Jungen, der vor der Tür steht. Ulbricht spricht ihn an: »Na, wa machst du denn hier , mein Kleiner?« - »Ich warte auf meine Oma, die macht in diesem großen Haus sauber.« Ulbricht: »Fein. Weißt du, ich arbeite nämlich auch in diesem Gebäude.« Der Junge: »Na, Onkel, da kommst du wohl auch so schlecht mit deiner Rente hin.«
Alles zum Wohle des Volkes
Übergabe eines Farbfernsehers. Fortsetzung der Dreharbeiten für den populär-wissenschaftlichen Film! Oma und Opa - ein wichtiges Hilfsmittel der sozialistischen Kleinkind-Erziehung! Treffen mit Feierabendbrigaden im Club der Volkssolidarität unter dem Motto: Laßt das mal den Opa machen! Gemeinsam Musizieren mit dem Mittelalter-Chor »FischerInsel«: »Das Lieben kostet Zeit«! Oma: Dis heißt, danach sind wir fix und fertig! Opa: Ich bestimmt! Oma: Also? Was machen wir mit Marias Hochzeit? Opa: Tja, der Bengel muß sie eben noch etwas verschieben nach hinten! Nächste Woche hätten wir ja noch 'nen freien Tag! Oma: Ja? Ach, das ist ja schön! Also los, wir schreiben ihm 'ne Karte! Opa: Brief! Is doch viel handschriftlicher! Oma: Ja, Brief is gut! Wir können ja ordentlich viel Marken draufkleben, dann wird er noch gewichtiger! Opa: Wrr schreiben: Lieber Enkel! Oma: Sohn! Enkelsohn! Opa: Also, lieber Maria! Da wir zu Deiner Hochzeit Oma: Zu Eurer Hochzeit! Die Kati heiratet ja auch! Opa: Am selben Tag? Oma: Na ja, die ist doch den Maria seine Braut! Opa: Ach, das ist schön! Dann können wir das gleich mitfeiern! Oma: Friedrich! - Da wir, lieber Enkelsohn, als Deine Großeltern ... Opa: ... und Oma und Opa ... Oma: ... gern zu Eurem Ehrentag anwesend sein würden, bitten wir dich ... Opa: ... die Hochzeit um einige Monate zu verschie ... Oma: Red doch nich' so'n Quatsch! Viel zu lange! Nachher is vielleicht schon 'n Kind da! Opa: Also gut - um einige Wochen Oma: Nein! Friedrich! Auf den nächsten Sonnabend 9.45 Uhr zu verschieben. Da Deine Großeltern sich ... Opa: ... aufgrund enormer Verpflichtungen ... Oma: Augenblicklich nicht in der Lage fühlen, auf zwei Hochzeiten zu tanzen! Gruß und Kuß! Deine lieben Großeltern! Opa: Nebst Oma und Opa! P.S.: Euer Hochzeitsgeschenk ist ein Volkswagen - Marke »Trabant«! Oma: Gebt uns bitte Nachricht, ob Ihr den Wagen in Grau, Hellgrau, Dunkelgrau oder Hellschwarz haben möchtet ...
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Eulen-Spiegelbild aus Senzig, Kreis. Königs Wusterhausen: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.
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I Eine Kundin fragt einen Lehrling im Kaufhaus
zeche Prellen? Aber nicht bei mir.
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nach Weißkohl. »Harn wa nich!« Das hört der Lehrausbilder. »Du gehst da falsch ran. Wenn du nach Weißkohl gefragt wirst, sagst du, Weißkohl haben wir nicht, aber Rotkohl ist vorrätig.« Am nächsten Tag ist der Lehrling in der Haushaltwarenabteilung. Kommt eine Kundin und fragt: »Haben Sie Klopapier?« - »Nein«, sagt der Lehrling, »Klopapier haben wir nicht, aber Sandpapier ist vorrätig ... <<
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Pikantes WOnflelsch Obetbocten mit loost
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Geffügefsalat mit Butter und Toost Ungotisdier Rindrlehdu.alat mit Brot )( Ei&tSOlat mit Sdiinkensbeif;n
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Alles zum Wohle des Volkes
Renate Holland-Moritz
Opa Tiede ist ein Mensch und Staatsbürger, den man sich nicht besser backen könnte. 'Irotz seiner siebzig Jahre immer nett und kregel, bei allen Aufbauschichten dabei, hilfsbereit und zuvorkommend gegen jedermann und vor allem ein großer Bastler vor dem Herm. Wrr, die Nachbarn von Opa Tiede, haben noch nie über tropfende Wasserhähne, defekte Bügeleisen oder unbeschnittene Obstbäume zu klagen gehabt. Wrr brauchen den jeweiligen Schaden bloß bei offenem Fenster zu erwähnen, und schon kommt Opa Tiede angeflitzt und bringt alles in Ordnung. Gewiß, manchmal dauert so eine Reparatur ganz schön lange. Aber schließlich war Opa Tiede vor seinem Rentnerleben beim telefonischen Störungsdienst beschäftigt und betreibt alle anderen handwerklichen Sparten als Amateur. 'Irotzdem befaßt er sich mutig mit jedem heißen Eisen. Ein solches Eisen war unsere Klingel. Das heißt, unsere Klingel war eigentlich noch ganz gut. Sie bestand aus einem leicht verrosteten Drückapparat an der Gartentür, von welchem sich ein vier Meter langes Kabel ins Haus zog und dort in einen altertümlichen Holzkasten mündete, der im Bedarfsfall heiser scheppernde Laute von sich gab. Zum letzten Geburtstag meines Mannes schleppte sein bester Freund ein kleines schwarzweißes Plast-Schächtelchen an. Wenn man es ein wenig schüttelte, ertönte ein liebliches GingGong-Geläut, wie man es aus den eleganten Komfort-Wohnungen kennt, die sich vorwiegend in DEFA-Filmen befinden. Und in diesem Augenblick kam Opa Tiede. Er stürzte sich sofort auf das Ging-Gong-Schächtelchen und vertiefte sich in die beiliegende Beschreibung. »Großartige Erfindung«, sagte er, »und popelleicht zu verstehen. Da will ich doch gleich ... « »Erst wollen wir mal anstoßen«, unterbrach ihn mein Mann. Nach dem fünften Kognak stieß Opa Tiede aus Versehen an das Ging-Gong-Gerät und war sofort wieder voll Tatendrang. Wrr mußten ihm eine Trittleiter an den altertümlichen Schepperkasten stellen, den er sogleich abmontierte. Ein, zwei Stündchen später war auch das schicke schwarzweiße Kästchen befestigt und ein Druck auf den Knopf an der Gartentür bewies, daß Opa Tiede wieder einmal ganze Arbeit geleistet hatte:
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Alles zum Wohle des Volkes
Wenn man scharf hinhörte, war das liebliche Ging-Gong-Geläut durchaus zu vernehmen. Allerdings mußten zu diesem Zweck Radio- oder Fernsehgerät ausgeschaltet und die Kinder zu äußerster Ruhe ermahnt werden. »Was Recht ist, muß Recht bleiben«, sagte Opa Tiede, »dieses Ging-Gong ist effektiv zu leise. Aber keine Angst, ich finde schon einen Ausweg.« Und er fand einen. Das heißt, er fand ein zweites Ging-GongKästchen in einem Geschäft für Wirtschaftsartikel, und er präsentierte es uns samt gepfefferter Rechnung. Wir waren wohl etwas konsterniert, aber Opa Tiede erklärte schnell, er habe schon einen wunderbaren Platz für das zweite Ging-Gong gefunden, nämlich im Keller. Er erziele damit einen feinen Doppeleffekt und das natürlich doppelt laut. Also befestigte er das Kästchen im Keller neben einer Abzweigdose, führte Drähte durch das Kellerfenster, entfernte aus dem Gartenweg einen halben Zentner Pflastersteine, legte auf diese Weise das Kabel
SJAHREDDR
10JAHREDOR
1SJAHRE DDR
zu Ging-Gong Nr. 1 frei, hielt sämtliche Drähte zusammen und im Haus erscholl es von oben und unten sehr lieblich aber doch hörbar: Ging-Ging-Gong-Gong. Opa Tiede verabschiedete sich stolz und müde, denn über seinen vielerlei Anstrengungen war es später Abend geworden. Am nächsten Morgen kam er gleich nach dem Frühstück, erprobte noch einmal durch Zusammenhalten der Drähte den schönen Doppeleffekt, verband dann die Kabel sachkundig, schippte den Gartenweg wieder zu, klopfte die Pflastersteine ein und begann seine übliche Ziererei wegen der Bezahlung. »Ehe ich das Geld annehme, wollen wir uns die Sache noch ein-
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Der Leiter eines Landwarenhauses will eine neue Yerkäuferin einstellen. · Er fragt: »Sind Sie verheiratet?« Die Frau nickt. »Wie viele Kinder haben Sie?« Die Frau voller Stolz: »Vier.« »Leben Ihre Eltern noch?« - »Ja.« »Schwiegereltern auch?« - »Ja!<< »Haben Sie Geschwister?« - »Ja, fünf. Und die haben auch Familie 'und wohnen alle in der Nähe, so daß man sich auch mal gegenseitig unterstützen kann.<< - )>Tut mir leid«, sagt der Verkaufsstellenleiter, »dann kann ich Sie nicht anstellen. Von den Apfelsinen und Bananen, die wir zweimal im Jahr geliefert bekommen, müssen wenigstens ein paar über dem Ladentisch verkauft werden.« . . „„. ..„... .:
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mal anhören«, sagte er mit falscher Bescheidenheit und drückte auf den Klingelknopf. Es geschah nichts! Weder Ging noch Gong waren zu hören. Opa Tiede entfernte sich hochroten Kopfes, um über das Phänomen nachzudenken. Am nächsten Morgen buddelte er die Pflastersteine und danach das Kabel wieder aus, durchschritt das Wohnzimmer und die Küche und stieg in den Keller. Hier hielt er die Drähte zusammen, und beglückt vernahmen wir das liebliche Ging-GingGong-Gong. Opa Tiede atmete auf und reparierte in stundenlanger Arbeit den aufgerissenen Gartenweg. Als er den letzten Pflasterstein eingeklopft hatte, ging er frohgemut zum Klingelknopf, drückte und - nichts! Nun wurde Opa Tiede zum Stier. Er riß den Gartenweg wieder auf, als vermutete er darunter einen vergrabenen Goldschatz. Er rannte ins Haus, durch das Wohnzimmer, die Küche, in den Keller, hielt die Drähte zusammen und lauschte bebend dem doppelten Ging-Gong. Dann rannte er aus dem Keller, der Küche und dem Wohnzimmer in den Garten, drückte auf die Klingel nichts! Sein Marathonlauf zwischen Garten und Keller währte, bis ihn seine Frau holen kam. Es war gegen Mitternacht. Die Tortur wiederholte sich. Am nächsten Morgen, am übernächsten, am dritten. Wrr waren zu keiner Arbeit und zu keinem wie auch immer gearteten Familienleben mehr fähig. In Wohnzimmer, Küche und Keller war Opa Tiede durchgehend anwesend. Sein Gesicht hatte einen manisch gehetzten Ausdruck, aber er ließ dennoch nicht davon ab, im Keller die Drähte zusammenzuhalten, versonnen dem doppelten Ging-Gong zu lauschen, voll rasender Spannung nach oben zu rennen, durch Küche, Wohnzimmer in den Garten und erneut festzustellen, was schon unzählige Drückversuche vorher bewiesen hatten: Die Klingel funktionierte nicht. Da sich aber Opa Tiede trotz minutiöser Nachforschungen und stundenlangen Nachdenkens keiner technischen Unterlassungssünde bewußt wurde, versuchte er eben wundergläubig immer wieder sein Glück. Er versuchte es drei Wochen lang, Tag für Tag. Seine Frau weinte sich bei uns aus, die fürchtete, er werde den Verstand verlieren, auch kränkten sie die ironischen Bemerkungen der Nachbarn, die ihre Schäden allein reparieren mußten, weil wir angeblich Opa Tiede bestochen hatten, nur noch für uns zu arbeiten. Dabei hätten wir gern eine größere S11mme springen lassen, wenn wir dafür Opa Tiede losgeworden und wieder in den Besitz unserer alten, scheppernden Klingel gelangt wären.
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Alles zum Wohle des Volkes
Endlich geschah wirklich ein Wunder. Ein Kurantrag, den Opa Tiede schon vor Monaten gestellt hatte, wurde günstig beschieden, und er verließ uns schweren Herzens in Richtung Bad Berka. Wrr waren dankbar und glücklich, und es störte uns nicht im geringsten, daß uns die stumme Klingel und der aufgerissene Gartenweg vor Zeitungskassierern, Versicherungsvertretern und anderen lieben Gästen bewahrten. Doch nach vierzehn Tagen ungetrübten Glücks kam ein Telegramm. »Kur abgebrochen stop Fehlerquelle gefunden stop Tiede. «Vierzehn Tage und Nächte hatte Eintreffen morgen stop •• der Armste über das Geheimnis . . . des lautlosen Doppel-Ging-Gongs .' nachgegrübelt und plötzlich war ..,. . __ [j ihm aufgegangen, was er uns nun „. • strahlend vorführte: Kellerlicht • und Klingel liefen wohl über ein und denselben Draht, waren also gewissermaßen zusammengeschaltet. Da er aber als ordentlicher und sparsamer Mensch bei jedem Verlassen des Kellers das Licht ausgeknipst hatte, war damit auch der Klingelstromkreis unterbrochen. Oder so ähnlich. Jedenu- ~~ falls handelte es sich jetzt nur . noch um eine Arbeit von wenigen • Stunden, und Opa Tiedes schönster Augenblick wurde durch einen Druck auf den Klingelknopf mit einem lieblichen Ging-Ging-GongGong eingeläutet. »Wenn das kein Grund zum Feiern ist!« sagte mein Mann und holte eine Flasche Sekt aus dem Keller. »Geben Sie her«, sagte Opa Tiede fröhlich, »im Öffnen von Sektflaschen bin ich mindestens Europameister.« Er entfernte das Silberpapier und den Draht und begann vorsichtig den Korken hochzuschieben. Im nächsten Augenblick ertönte ein gewaltiger Donnerschlag, etwas krachte und zerschellte und ein liebliches, wenn auch einfaches Ging-Gong untermalte die Szene musikalisch. Und das alles nur, weil bei uns nie einer die Wohnzimmertür zumacht. Sonst hätte der Sektkorken niemals das hübsche schwarzweiße Plast-Kästchen treffen und total zerstören können. •
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Alles zum Wohle des Volkes
Lothar Kusche
Die Tante aus Köln schreibt an ihre Verwandten in der DDR und schließt mit den Worten: »Hoffentlieh erreicht euch der Brief, man hört ja · immer, daß die Post bei euch durch die Stasi kontrolliert wird.« Nach zwei Wochen kommt der Brief zurück mit dem Aufdruck: »Nicht befördert wegen Verleumdung der Sicherheitsorgane der DDR. Es gibt keine Postzensur.«
Man hatte mich ins Variete geschickt, wo ich einen auftretenden Künstler interviewen sollte, und ging also zu einem von denen hin und fragte, wie lange er dort schon arbeite, und er sagte: »Ich bin nicht zum ersten Mal hier. Ich arbeite seit fünfundvierzig Jahren. Das heißt: Ich arbeite seit fünfundvierzig Jahren mit Seife.« »Stellen Sie Seife her?" »Aber nein«, sagte er, »ich arbeite mit Seife.« »Aha. Sie waschen sich mit Seife.« Er schüttelte sich. »Ich kann Seife nicht riechen. Wenn man fünfundvierzig Jahre mit Seife gearbeihat, kann man sich damit nicht auch noch waschen. Ich benutze nur Badusan.« Was er denn nun mit dieser Seife eigentlich täte? »Genaugenommen tue ich gar nichts mit ihr. Sie rutscht mir bloß immerzu aus der Hand - das ist alles.« Das verstand ich nicht ganz. Er sagte: »Ich verstehe es eigentlich auch nicht. Aber waren Sie niemals im Variete? Sind Sie der erste Mensch, der meine Nummer noch niemals gesehen hat? Seit fünfundvierzig Jahren lacht die ganze Welt über mich!« »Wie war doch gleich Ihr werter Name?« »Mein Name«, brummte er, »tut gar nichts zur Seife. Sache, meine ich. Ich heiße Plaschek. Auf der Bühne aber bin ich Knilly, der urkomische Fensterputzer. Zuerst steige ich auf meine große Stehleiter, und dann ... « »Dann putzen Sie die Fenster ausgerechnet mit Seife?« »Das ist doch scheißegal. Ich komme ja sowieso nicht zum Putzen. Schließlich handelt es sich nicht um Fensterputz-, sondern um Unterhaltungskunst. Außerdem fällt mir die Seife sofort aus der Hand. Und dann falle ich hinterher. Von der Leiter. Und das mache ich fast jeden Abend - seit fünfundvierzig Jahren. Sind Sie schon mal von der Leiter gefallen?« »Ich kann mich nicht erinnern.« »Na ja, Sie sind ja auch bloß Journalist - da braucht man so was nicht zu können. Ich dagegen muß die Seife nicht bloß fallenlassen, sondern sie auch wieder einzufangen suchen. Schwierig. Die Seife ist naß. Sie rutscht immerzu weg. Und ich rutsche immerzu hinterher.« »Und das«, erkundigte ich mich höflich, »kann man fünfundvierzig Jahre lang machen?«
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Alles zum Wohle des Volkes
Knilly-Plaschek sah melancholisch in sein Teeglas und bemerkte: »Es gibt Leute, die knipsen sechzig Jahre lang Fahrkarten. Die sind großenteils nicht sehr glücklich; ich meine: die Leute, nicht die Fahrkarten. Im Gegensatz zu diesen Knipsern mache ich den Leuten ein bißchen Spaß. Ein Fensterputzer, der keine Fenster putzt, sondern bloß die Leiter herunterfällt und dann auf allen vieren seiner nassen Seife hinterherschleicht - das ist etwas für das Herz der Menschen. Glauben Sie, irgend jemand hat einen besonderen Spaß daran, wenn ihm einer die Fahrkarte knipst? Ich sage es nur als Beispiel, ich habe nichts gegen Fahrkartenknipser. Aber die fallen ja KUcHE nicht mal von einer Leiter runter.« Nun fragte ich ihn, um dem Interview einen kleinen philosophischen Stich zu geben, nach seiner Ansicht vom Wesen der Seife. Das aber hatte ihn niemals interessiert, und er sagte bloß: »Eine Definition könnte ich Ihnen anbieten. Aus Berlin: Seife is, wenn du keene hast, kannste ooch Bimsstein nehmen. Das stimmt natürlich; aber das habe ich vor fünfundvierzig Jahren auch schon gewußt. Damals wollte ich noch kein Seifenfänger werden, sondern Flieger. Aber ich war zu kurzsichtig. Das heißt, ich bins heute noch. Doch das stört nicht beim Runterfallen von der Leiter, man kommt in jedem Fall unten an. Schwerkraft und so. Newtons Apfel, falls Sie sich erinnern können. Beim Seifensuchen ist die Kurzsichtigkeit ausgesprochen vorteilhaft; die Leute lachen sich krumm, weil sie denken, ich täte so als ob - dabei kann ich die Seife wirklich kaum sehen. Das Geheimnis meines bescheidenen Erfolges ... « »Verehrter Herr Knilly-Plaschek, ich danke Ihnen für das Gespräch.« Das muß man nämlich nach Interviews immer sagen. »Darf ich mir gestatten, Sie noch rasch auf ein Täßchen Kognak in die Kantine einzuladen?« »Sehr freundlich«, sagte er, »aber bitte keinen französischen Kognak ... « »Vertragen Sie den nicht? Ich hatte mir immer eingebildet, es sei der allerbeste?« »Mag sein«, sprach Knilly, »aber er hat so ein seifiges Aroma.«
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> >Das Beschwerdebuch gebe ich Ihnen nicht. Ich will doch nicht in Teufels Küchel<<
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Peter Gauglitz
Abends spät rüttelt Erich bei mir an der Gartenhauspforte. »Stell dir vor, morgen früh ist Maxi dran, um halber acht!« »Am Sonntag?« »Ging nicht anders - wegen Fritze.« »Fritze? « »Das ist doch der, welcher - na, du weißt schon.« »Ach der, dieser ... « Auch mir will die Berufsbezeichnung des Fritzen, bei dem Maxi drankommen soll, nicht über die Lippen. So hart am Rande der großen Stadt hat man eben noch seine eigenen herzlichen Beziehungen zu den Haustieren. Meine beiden Enten, Daphne und Chloe, aßen, bis ich sie wegschenkte, beispielsweise in der Küche mit. Hinterher habe ich immer feucht nachgewischt. Und Maxi, die rundum rosige Maxi, welche Erich für einen Spottgroschen als Kümmerling von der LPG an Land gezogen, ihr ein Dach übern Kopf gezimmert und sie darunUnter anfeuernden Rufen tragen Frau ter aufopfemd fettgepflegt hatte - morgen früh und fünf Kinderchen hinterher, was also. Erich fährt sich mit der Daumenmaus Maxis sterbliche Hülle hergegeben hat. übers Auge weg. Dann sagt er, leicht erstickt, daß er um halb acht mit mir als Freund rechne. »Du kommst doch?« »Ich komme!« Selbstredend bin ich hingegangen, nur nicht ganz so früh. Ich mag nämlich jene betont schwermütigen Rückblicke auf die dahingegangene Existenz nicht, kann überhaupt keine kummervollen Nachgesänge aushalten. Und um der Wahrheit noch die letzte Ehre zu geben: Ich habe auch Manschetten gehabt vor Fritze, der Maxi ... So bin ich gegen Mittag mit weichen Knien zum Tatort gestakst. Erichs Waschküche - ein einziger Hexenkessel: Bullenhitze. Wurstbrühe siedet. Dampf wallt. Unweit der Axt mit kühnem Schwung im Stahl liegt lappig ein Maxiohr am Boden. Das linke, das rechte? Erich, die Ärmel aufgeschürzt, knetet still Pfeffer unters frisch Gehackte. Gequetscht stoße ich »Mahlzeit!« hervor. Erich zweigt eine Handvoll Hackepeter ab. »Schmeckt unheimlich - koste mal!« »Danke, ich habe schon gegessen!« Inmitten Fleischdunst und Wurstwasserdampf ragt Fritze als Fels aus der Brandung. So um die Sechzig rum, groß, bäuchig,
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etwas ungeschlacht - ein Vollblutherr mit stimmungsvollen Blauaugen. Fritze hält einen Darm um den andern ans Wurstmaschinenmaul. Drauf bindet er mit Strippe Zipfel ab und langt in den Siedekessel. »Frische Leberwurst, so was Gutes kriegste in kein Konsum nich! «Fritzen kann ich nicht widerreden, Fritze lacht so gewinnend. In die Leberwurst hineinhauend, staune ich dann nicht schlecht über Erichs sonst immer affentierfreundliche Familie. Unter anfeuernden Rufen tragen Frau und fünf Kinderchen hinweg, was Maxis sterbliche Hülle an Wurst- und Fleischware hergegeben hat. Nun bemerke ich pietätvoll-schlicht: »Gutes Tierchen, schnuffschnüff armes Tierchen!« »Maxi?« heult Erich. »Das Vieh hat mir gestern noch im =---. neuen Halbschuh gei SUPPl =· bissen, Schweine----rei!« Von Erichs Untierigkeit brüskiert, halte ich mich an den wurstpressenden Fritze. Scheint er mir doch noch am meisten Mensch geblieben zu sein. »So ists recht«, freut sich Fritze. »Hol mal fix heißes Imiwasser mit Bürste bei und schrupp den Hackklotz ab!« Den Hackklotz!! Aber zieren gilt nicht. Nicht bei Fritze, dem Großen. Freundlichen. So flüstere ich mir behende ein, Tätigkeit lenke vom Greulichen ab, und werde Mitarbeiter. Nachdem auch Hackepeterwolf und Schwungaxt sauber glänzen, spanne ich mich als Mitesser von Schnauze mit Mostrich ein. Nunmehr darf ich auch gleich beim Nachspülen mit Verschnitt mithalten, der bald ausgeht, was wiederum eine Ortsverlagerung zum WEISSEN SCHWAN hin nach sich zieht. Und alles Weitere geht saukomisch vonstatten - besonders meine Skatrunde mit Fritze um Maxis Ringelschweif, den ich prompt verloren habe, weil ich immerzu an das liebe Tier denken mußte. Aber Schwamm drüber: Morgen früh, so halber achte, ist Suse dran. Die Vierzentnersau vom Wrrt ... ;
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John Stave
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Zwei Volkspolizisten stehen auf der Straße ·und weinen. Ein mitfühlender Passant fragt, ,was denn los sei. · »Uns ist der Streifenhund davon„ gelaufen!« »Ach«, tröstet der Bürger, »das ist doch nicht so . schlimm. Der findet · schon zurück zum Revier.« »Ja, der!« '
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Ich habe mir jetzt kürzlich erst Pferd und Wagen zugelegt. Es bot sich eine günstige Gelegenheit. Das Pferd ist ein Wallach, heißt Jupp und ist acht Jahre alt, während der Wagen mehr einer Kutsche ähnelt, aber ohne Bock. So daß ich auch bei Regen trocken sitze. Wissen Sie, ich hatte es einfach satt, immer zusehen zu müssen, wie der Wohlstand um mich herum wächst, blüht und gedeiht, wie sich die Freunde und Bekannten ein Auto nach dem anderen anschafften, während ich nach wie vor im Sommer mit dem Rad, im Wmter mit der Straßenbahn ins Geschäft fuhr. Dann geriet ich schon ins Gerede, daß ich Säufer wäre, nur weil ich ein einziges Mal in einer Kneipe war, um mir Streichhölzer zu kaufen. Natürlich habe ich mich einen Moment dort niedergelassen und anstandshalber ein Bier getrunken. Gleich hieß es am andern Tag: Wir haben ihn wieder (!) in der Kneipe gesehen. Er trank allein für sich. Kein Wunder, daß er kein Geld für ein Auto hat! Dabei waren das früher alles ganz vernünftige Menschen. Die gingen nach Feierabend einen heben, trudelten ein bißchen, sangen mitunter und stritten auch, aber waren ein Herz und eine Seele. Bis der erste sein Auto hatte. Es war ein ganz popeliger Opel P 4. Er bestand vorwiegend aus Klappern - also Geklappere. Ich fand das recht komisch, weil ich noch nicht ahnte, welche Weiterungen diese Anschaffung nach sich ziehen würde. Wenn ich nur die Gesichter meiner sogenannten Freunde besser oder genauer betrachtet hätte, wenn dieser schäbige Opel P 4 in ihr Blickfeld rollte! Dann ging es Schlag auf Schlag. Eddi kaufte sich einen alten Hanomag. Paul einen F 7, Kurt einen F 8. Lothar einen P 70. Heinrich einen F 9. Carl einen EMW, Klaus einen P SO. Max einen Wartburg. Theo einen Adler-Triumph, Johannes einen Hansa Lloyd (über DHZ), Achim einen Opel Kapitän (ebenfalls DHZ), Hans einen Trabant, Siegfried einen Skoda MB 1000. Willi einen Moskwitsch und Franz einen Wolga. Ich kaufte mir - wie üblich - eine Monatskarte. Der Stammtisch war jetzt veiwaist. Ich erfand in der ersten Zeit noch Trudelspiele, die man allein veranstalten konnte. Dann blieb ich auch weg. Der Gastwirt nahm sich das Leben. Die Frauen meiner Freunde wurden dicker. Sie paßten jetzt
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schon beinahe nicht mehr durch die Autotür. Manchmal half ich schieben. Beim Einsteigen. Der Kollege mit dem Opel P 4 war inzwischen über einen Trabant (gebraucht) und über einen Skoda Felicia auf einen Tatra umgestiegen. Martin war in früheren Zeiten mal ein guter Trudler, jetzt wurde er fetter und feister, die Augen wuchsen ihm langsam zu. Auf dem Fußweg von der Bordschwelle zum Hauseingang litt er unter Atembeschwerden, aber die Mädchen scharten sich nur so um ihn! Bei mir war genau das Gegenteil der Fall. Ob-- . wohl ich mir meine tadellose Figur aus der Vergangenheit herübergerettet habe, obwohl mein ausdrucksvolles Gesicht nach wie vor scharf geschnitten ist und durch die leicht angegrauten Schläfen nur gewonnen hat meine, Chancen waren dahin. Zum Beispiel bei Kitti, die mein letztes Angebot, eine Tasse Kaffee trinken zu gehen. mit folgendem Wort ablehnte: »Radfahrer! « Wahrscheinlich resultierte ihre besonders starke Abneigung aus der Tatsache, daß ich sie auf dem letzten Betriebsfest zum Tanz aufgefordert hatte, ohne vorher meine Hosenklammern zu entfernen. Jedenfalls langte es mir. Nun trat noch dieser herrliche Zufall ein, daß ich zirka 8000 Mark in der Sächsischen Landeslotterie gewonnen hatte, und so kaufte ich mir kurz entschlossen den alten Traber Jupp. Den Wagen schenkte man mir dazu. Dabei ist er noch wie neu, wenn man nicht genau hinsieht. Jupp hat ja in seinem 'lraberleben sechzehn Rennen gewonnen und war achtunddreißigmal plaziert. Für richtige Wettrennen taugt er natürlich nicht mehr, aber auf der glatten Straße macht er noch seine vierzig Sachen. - - - - -·- - - - - - - Wenn man bedenkt, daß er nur ein PS hat ... Manchmal können Sie mich sehen, wenn ich durch die Warschauer, Bersarin- oder Dimitroffstraße sause. Unter den Linden ist ja leider gesperrt für Pferdefuhrwerke. Manchmal fahren wir auch nach Karlshorst. Habersäcke kaufen. Und immer Damen im Wagen! Und überhaupt keinen Trudeldrang mehr! 1
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Selbst Kitti rief neulich an, ob ich mit ihr eine Radtour machen wollte. Als ich ihr mitteilte, daß ich jetzt selber Pferd und Wagen hätte, war sie natürlich sehr überrascht, nahm meine entsprechende Einladung aber gern dankend an, ohne die Hosenklammern von damals in den Mund zu nehmen. Vergangenen Sonnabend nun kam Martin mit seinem Tatra vorgerauscht. Ich wollte gerade anschirren gehen. Rechts um die Ecke bei mir, die alte Tischlerei, die hatte sowieso einen Stall, und der alte Tischlermeister Holzbach hat den Jupp mit offenen Armen aufgenommen und untergestellt. Er pflegt ihn sogar kostenlos - ist ja auch Rentner -, und manchmal laß ich die beiden eine Biege fahren. Also Martin. Ach, er stöhnte wegen seiner Atembeschwerden. Setzte sich gleich auf den Rinnstein und japste. »Du sollst jetzt einen Wagen ohne Motor haben? Ich meine. einen Wagen, der ohne Motor geht?« »Mit Pferd.« »Wie denn: fährt? Welche 'fype? PS?« »Ein PS.« Du kannst ja so ein Tier nicht nachts »Witzbold! Verbrauch?« unter der Laterne stehenlassen. »Zentner Hafer die Woche. Es ist ein Hafermotor!« »Ein Pferd???« »Ja, ein Pferd mit Wagen.« Martin wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wieviel Kilometer hatten der Gaul runter?« »Ich weiß nicht. Aber jedenfalls läuft er acht Jahre ohne Generalreparatur.« »Und die Puppen? Ich meine, die Mädchen sollen ja sehr beeindruckt sein. Kitti hat mir letzte Woche sogar einen Korb gegeben.« »Du kannst dir das Gefährt ja mal ansehen. Es ist gleich hier um die Ecke.« »Ein Garagenpferd? Ich meine, ein Stallwagen?« »Natürlich. Du kannst ja son Tier nicht nachts unter der Laterne stehnlassen. « »Ach so«, machte Martin verächtlich. »Dann kommt für mich so was sowieso nicht in Frage. Dann kauf ich mir doch den Tschaika de luxe. « Sprachs, wälzte sich in sein Auto und brauste los. Diesmal gebe ich aber so schnell nicht klein bei..Wenn der sich tatsächlich den Tschaika de luxe anschafft, kauf ich mir ne Quadriga.
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Renate Holland-Moritz
Die Geburtstage unserer Tochter verliefen seit ihrem dritten Lebensjahr immer auf die gleiche Weise: Wrr rannten uns die Hakken ab, um etwa ein Zehntel ihrer Wünsche zu erfüllen, schleppten Torten, Eisbomben, Würstchen und Brause, ferner einen Sack voll kleiner Artikel wie Malhefte, Buntstifte, Autos und Püppchen, die bei den Pfänderspielen verteilt werden sollten, behängten am Vorabend die Bäume im Garten mit Lampions, die wir am Geburtstagsmorgen alle wieder abnahmen, weil sie vom obligatorisch einsetzenden Regen völlig aufgeweicht waren. Zum Kaffee erschienen vierzehn bis fünfzehn minderjährige Gäste mit erwartungsvollen Augen und bunten Blumensträußen, und dann gings los. Die Kleinen aßen die Früchte von den TorErst tanzte er mit allen Mädchen Tango und ten, bespritzten sich mit SchlagsahWalzer, dann spielten wir Hänschen-piep-einmal. ne, verschmähten Kakao und Milchkaffee, bevorzugten einhellig eine Mixtur aus Eiscreme und Brause, mußten mit Ersatzschlüpfern versorgt und teilweise sogar in die Badewanne gesetzt werden. Während der Pfänderspiele gabs Jubelrufe und Verlierertränen. Wurden die Verlierer mit Trostpreisen bedacht, setzte es Prügel durch die gerechtigkeitsfanatischen Sieger. Nach der abendlichen Salat- und Würstchen-Schlacht zogen die Kleinen glückstrahlend und mit Geschenken beladen ab. Wir hingen kraftlos in den Seilen und trösteten uns mit der einjährigen Schonzeit. So verlief der feierliche Tag viele Jahre lang. Tochter und Gäste wurden größer und gefräßiger, die Ratespiele komplizierter, allein die Strapa• zen und das Chaos blieben sich gleich. Bis zum letzten Mal: Das liebe Kind sah seinem vierzehnten Geburtstag entgegen. »Jetzt ist endgültig Schluß mit den Kindereien«, sagte sie hoheitsvoll. »Ihr braucht lediglich für ein kaltes Buffet und eine Ananasbowle zu sorgen, dann könnt ihr gehn. « »Zu liebenswürdig«, sagte mein Mann, »wann dürfen wir wiederkommen?« - »So gegen neun, zehne. Paar Zigaretten für die Jungs ist wohl zuviel verlangt?« - »Ist«, sagte ich scharf. »Was die Bowle betrifft, so gib dich keinen Illusionen hin. Ich werde nicht Ananas noch Selters scheuen, mehr spielt sich nicht ab.« »Mann o Mann«, stöhnte das Kind, »woanders werden wir mit Sie angeredet! Ihr denkt wohl, wir bleiben ewig Babys?« Wrr überschlugen uns wie alljährlich, waren aber trotzdem froh-
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gemut, denn der eigentlichen Katastrophe durften wir ja fernbleiben. Am Nachmittag nahmen wir die Gratulationscour ab. Wir erinnerten uns amüsiert, manche der jungen Damen und Herren, die aus lichten Höhen von 1,70 m bis 1,90 m auf uns herabsahen, vor Jahren aufs Töpfchen gesetzt zu haben. Schließlich zeigte unsere Tochter unmißverständlich zur Uhr, und wir verdufteten. Das befreundete Ehepaar, das wir besuchten, hatte Bedenken. »Könnt ihr das verantworten?« sagte die Frau des Hauses. »Immerhin sind sie mitten in der Pubertät. Was da so alles passieren kann, steht sogar in der >Jungen Welt
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>>Na schön. "Wenn dir Opi auf Dauer zu langweilig ist, geben wir ihn Tante Elfriede, und du bekommst deinen eigenen Farbfernseher. <<
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[n oer Schule ler~ , nen die Kinder, daß der Mensch vom Affen abstammt. Meint Fritzchen z11m Lehrer: »Aber -DDR-Bürger stammen bestimmt nicht vom Affen ab.« - »Wieso nicht?« - »Kein ehemaliger Affe -. Hält es so lange · ohne Bananen .
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aus.«
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»Det fetzt ein, eh«, sagte Peter, »det Futter fetzt ein.« »Du nich«, entgegnete Karin, »ick denke, du bist der Stimmungsbomber, eh! Aber nee, setzt sich hin und frißt hundert Stunden. Ick finde dich urst ... « »Wie bitte?« flüsterte mein Mann. »Wie findet sie ihn?« »Langweilig, denke ich«, flüsterte ich zurück. »Fernsehen jestern war cheffig«, sagte unsere Tochter, »einfach urst, eh.« Mein Mann guckte ratlos. »Gestern hats ihr noch gefallen. Ich versteh das nicht.« »Schorsch ist ein Unterheuler«, sagte Wolfgang. »Detter gibt er ne Eins bei zwölf Punkte und mir bei elfe ne Drei. Da kuckste nich durch, eh.« »Hör auf mit Mathe«, brummte Katja, »oller Arithmetikpenner. Am besten is Bio. Olle Josy is superurst, einwandfrei, eh.« Wolfgang, einer der schwächsten Schüler, hatte kein Interesse an diesem Gespräch. Er wandte sich an unsere Tochter: »Weeßte noch, vor zwee Jahre, eh? Deine Alte hat prima Eis angeliefert, und bei Blindekuh hat sie sich aufn Appel gesetzt und gelacht. Schaue Frau, eh.« »Dein Vater voriges Jahr- einfach fetzig, eh! Stadt-Land mit erschwerten Bedingungen, det haut ein. Ick hab zwei Kugelschreiber gewonnen.« »Adrian sein einziges Erfolgserlebnis«, kicherte Myriam. »'Irotzdem, wo sind denn deine Ernährer? Ohne die is ja urst ... « »Jetzt reichts«, sagte mein Mann, dem das linke Bein eingeschlafen war. Wrr gingen ins Haus und wurden mit Freudengeheul begrüßt. Erst tanzte er mit allen Mädchen Walzer und Tango und ließ sich von ihnen die verrückten Beat-Sachen beibringen, ich tat desgleichen mit den jungen Herren. Dann spielten wir »Hänschen piep einmal«, Länderraten und MauMau. Als Preise verteilten wir aus eigenen Vorräten Bücher und Singleplatten. Da es an diesem Tag ausnahmsweise nicht geregnet hatte, begaben wir uns bei Einbruch der Dunkelheit in den Garten, zündeten die Kerzen in den vorjährigen Lampions an und gerieten in eine richtiggehende Singebewegung. Um halb zehn verabschiedeten sich alle in einwandfrei verständlichem Hochdeutsch von uns und versicherten, es sei so schön gewesen wie all die Jahre, wenn nicht noch schöner. Rechtschaffen müde fielen wir ins Bett. Mein Mann rieb sich die schmerzenden Kniegelenke. »Was ist schon so ein bißchen Muskelkater gegen das, was da alles hätte passieren können«, sagte er milde.
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Ernst Röhl
Unser Anton ist nun schon ein halbes Jahr Schüler, und ich muß sagen, es geht besser, als wir gedacht hatten. Denn Herr Quinten, sein Klassenlehrer, kennt allerhand Mittelchen, mit denen er seinen ABC-Schützlingen die Schul-Arbeit leicht macht. Er verteilt nicht bloß für jede Antwort Zensuren, sondern er drückt Anton, wenn er fleißig war, auch hin und wieder einen Bienchenstempel ins Heft. Das stachelt unsern Anton immer besonders an, denn für zwanzig Bienchen gibt es ein schriftliches Lob. Damit die Kleinen aber ganz genau wissen, wohin der Hase in der Schule läuft, teilt Herr Quinten außerdem noch Punkte aus. Für gutes Verhalten einen roten, für schlechtes Verhalten einen schwarzen Punkt. Seit er Schüler ist, steht für Anton nicht mehr der Mensch, sondern der Punkt im Mittelpunkt. • • •• • Neulich zeigt er mir einen Marienkäfer mit fünf schwarzen Pünktchen auf dem Buckel und sagt: »Guck mal, Vati, der hat auch • • nicht grade ne reine Weste! « Na ja, das ist • • •• so Kindermund. Aber seit das mit den Punkten geht, zieht meine Frau nie mehr die ~~7'r~-~---:-:-:-;---~=-~ schwarzgepunktete Kittelschürze an, die sie vorher in der Küche gern getragen hat. Mich dagegen bewun- Das Punktsystem dert Anton hemmungslos, denn ich bin Hobby-Imker und habe im Garten einen Bienenstock mit vier Völkern. Das sind knapp gerechnet hunderttausend Bienchen. Kurz und gut, auf Anton hat das Bienchen-Punkt-System seinen Eindruck nicht verfehlt. Herr Quinten aber ist schon wieder am Knobeln. Auf der Elternversammlung vor drei Wochen erklärte er uns die verfeinerte Punktwertung (System Quinten). Er meinte, daß untadelig gutes Verhalten und extrem schlechtes Verhalten eigentlich selten vorkämen und rein rote Punkte beziehungsweise rein schwarze Punkte folglich ebenso selten vergeben werden dürften. Er hätte deshalb angefan. gen, auch die Zwischenwerte zu erfassen. Nicht ganz gutes Verhalten ergibt demnach einen rosa Punkt, nicht ganz schlech-
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tes Verhalten einen hellschwarzen Punkt. Mittelmäßiges Verhalten, das bisher überhaupt nicht bewertet werden konnte, bringt einen rein weißen Punkt ein, der bei schlechter Beleuchtung allerdings unsichtbar ist. Ich finde diese Punktwertung im Prinzip ausgezeichnet, fürchte jedoch, daß sie meinen Bienchen-Nimbus untergräbt, wenn Anton mir die schwarzen Punkte ankreidet, die ich in diesem Text aus grammatischen Gründen setzen mußte. Es sind - I-Tüpfelchen, Umlaute und Doppelpunkte mitgerechnet - insgesamt zweihundertunddrei. >>jetzt haben wir aber eine "Weile zu tun, bis wir die wieder eingewohnt haben!«
Butterbrot mit Ei, Ich bring dir was bei. Goldne Berge sind aus Gold, Blechne Berge sind aus Blech, Kupferberge sind aus Kupfer, Wer mit Stullen wirft, ist frech. Butterbrot mit Braten, Ich will dir was verraten. Es sprach der große Zoroaster: Wer keinen Tabak hat, raucht Knaster. Es sprach der große Kasimir: Wer keinen Branntwein hat, trinkt Bier. Es sprach der große Kammundbürste: Wer keinen Schinken hat, ißt Würste.
Aber, Junge, dein Benehmen Ist zum Schämen. Man trägt keine Mäuse in den Taschen, Ohne ihnen die Füße zu waschen. Und deine Haltung zu Treppengeländern Mußt du auch ändern. Butterbrot mit Käs, Schwatz nicht, ich sehs. Butterbrot mit Speck, Du bist mir zu keck. Butterbrot mit Mandelkernen, Warte, bis man dich verdrischt, Alle Menschen müssen lernen, Nur der Lehrer, der lernt nischt.
Peter Hacks
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In einer Leipziger Schule. Der Lehrer läßt die Kinder Tee-Sorten und ihre Wirkung aufzählen. Fritzchen meldet sich. "S-E-Dee!« - "So", sagt der Lehrer verwundert, "und welche Wirkung • · ·. soll das haben?" Fritzchen: "Mein Vater sagt: >Zum Einschlafen.«
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sind die vier • schwersten Jruit:e _im ? << Leben eines Polizisten. »Die erste Klasse. «
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Ottokar Domma
' ' 10 OtlOH aHH Das Wort Ferien heißt auf deutsch Urlaub und hat verschiedene Auswirkungen: Man muß das einmal bei einigen Schülern und Elternteilen untersuchen. Die Ferien sind ein Ereignis, welches alle Jahre wiederkommt. Vorher und nachher gibt es auch mal Ferien, aber bloß ein bißchen zum Rumeiem und Schularbeiten nachholen. Die richtigen Ferien beginnen im Sommer und hören im Herbst auf. Dazwischen fängt ein paar Tage die Schule an, damit wir uns wieder an die Schulluft gewöhnen. Deshalb kann man die Herbstferien mit zu den großen Ferien rechnen. In unserer Klasse gibt es verschiedene Ferienfonnen. Die meisten fahren in ein Betriebsferienlager. Ich war auch schon einmal in einem solchen. Wir haben meistens appelliert, morgens und abends, und wenn ein hoher Betriebsleiter oder so was kam, appellierten wir zwischendurch noch einmal. Dann räumten wir dauernd die Zelte auf und nahmen Befehle entgegen. Die schönsten Stunden waren, wenn die Gruppenleiter Skat spielten, und das war oft. Jetzt konnten wir uns erst richtig freizeitbeschäftigen. Dabei lernte ich ebenfalls das schöne Skatspiel. Als wir wieder nach Hause fuhren war ich ziemlich dreckig. Daraus muß man eine Lehre ziehen. Sie lautet, man soll sich nie über ein Ferienlager beschweren. Als ich nämlich meinen Elternteilen so ein bißchen erzählt habe, wie es war, schlug meine Mutter die Hände übern Kopf und machte ein Faß auf, indem sie auf der Betriebseltemteilversammlung sprach: »Man muß die Bengels doch mal erinnern, daß sie sich ordentlich waschen und sauber halten!« Diese Kritik stimmte aber nicht, denn meine Mutter hat sich selber gewundert, wieso meine Unterhosen und Hemden im Koffer noch ganz sauber waren. Bloß die Sachen, die ich dauernd an hatte, waren nicht mehr so. Auch mein Vater machte seinen Mund auf und ziemlich viel Wmd, weil ich nicht richtig Skat gelernt habe und nur mauem kann. Diese Kritik ist auch nicht gerecht, denn mein Gruppenleiter hatte gar keine Zeit, uns das Skatspielen richtig beizubringen, und er jagte uns beim Zugucken jedesmal weg, indem er ausrief, er kann Kiebitze nicht leiden. Und wir sollten lieber mit der Dame spielen. Weil wir keine hatten, sondern in einem Knabenzelt lebten, lehrte uns der Zeltknabe Horst Kubitzka
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das Skatspielen. Mauem lernten wir nicht, das kommt vielleicht erst in der 8. Klasse dran. Als die Elternteile von der Versammlung kamen, sagten sie, es ist besser, wenn ich vielleicht einmal zu Hause bleibe und nicht ins Betriebsferienlager mitfahre und es reicht, was sie wieder über mich gehört haben. Daraus muß man lernen, dass man sich niemals nicht beschweren soll. Denn eine Beschwerde kann man auch mit einem Echo vergleichen. Sie kommt gleich wieder mehrstimmig zurück. Ein paar aus unserer Klasse fahren zu einer Expedition. Hier hätte ich auch gern mitgemacht. Aber unser Pilei rief, ich war voriges Jahr dabei, andere wollen auch einmal. Das stimmt. Voriges Jahr experimentierten wir Manche Schmeichler bringen dem nach Kleinbeimersdorf und suchten Spuren. Die Lehrer sogar ein Geschenk mit. einen mußten rauskriegen, wer die ersten Genossenschaftsbauern waren und was sie damals dachten, und die anderen mußten erforschen, wer heute Genossenschaftsbauer ist und was heute gedacht wird. Mein Freund Harald und ich haben uns einen ausgesucht, der damals schon drin war und auch heute noch denkt. Er war ganz prima, und wir schrieben alles auf. Als wir wieder zu Hause waren, brachte der Schweine-Sigi ein Stullenpaket mit einer Zeitung drumrum mit. Dort war unser Genossenschaftsbauer schon fotografiert, und der Reporter schrieb einen Artikel über ihn, aber viel mehr als wir und flotter und mit etwas weniger Fehlern. Deshalb muß man überlegen, ob wir immer richtig expedirieren und ob es nicht besser ist, wenn wir gleich zur Zeitung gehen und dort alles abschreiben? Auch gibt es bei uns ebenfalls solche Genossenschaftsbauern, und man muß nicht extra nach Kleinbeimersdorf eine Expedition machen. Aber mein Freund Harald meinte, unsere Genossenschaftsbauern kennen wir schon zu gut, und es ist genauso, als wenn wir unsere Elternteile oder Lehrer beschreiben möchten. Und es gibt dann bloß Knatsch und Tratsch. Deshalb ist eine Expedition in andere Dörfer, Wüsten und Urwälder besser. Dort können wir wirklich aufschreiben, was wir hören, was wir aber bei uns im Dorf hören, das schreibt man lieber nicht auf. Manche Kinder verreisen mit ihren Elternteilen. Der Pillenheini fährt in diesem Jahr nach Ungarn und die dicke Mia in die Hohe Tatra. Auch kennen sie schon mehrere solche Länder. Wenn sie wiederkommen, geben sie immer mächtig an und fragen, ob sie schön braun sind. Als ich voriges Jahr der dicken Mia antwortete, sie und ihre Eltern sind ganz schön besengt,
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>>Was möchtest du denn mal werden?« >>Versetzt. «
petzte sie es gleich wieder. Mias Mutter hielt deswegen mit ihrem Wartburg und frug mich zum Fenster raus, wie ich das meine, sie sind besengt? Und die Mutter ist deshalb auf dem Weg zum Direktor. Ich erwiderte, dass am Schwarzen Meer die Sonne mehr und länger sengt als bei uns, und das wissen wir von unserem Herrn Erdkundelehrer Burschelmann. Mias Mutter gab Gas und hinterließ einen elenden Gestank. Entweder kam das vom Schock oder ihre Mischung haut nicht hin. Der Pillenheini gibt jetzt nicht mehr so toll an. Denn als er erzählte, er ist mit der IL 18 über unseren Wald geflogen, fragten wir ihn, ob er einmal mit uns in den Wald fährt und wir zeigen ihm ein Geheimnis. Der Pillenheini holte gleich freudig sein Rad, und dann fuhr er mit mir, meinem Freund Harald, dem Schweine-Sigi und dem langen Schücht los. Wir fuhren ein paar Kilometer ziemlich kreuz und quer. An einer Stelle im Wald hielten wir und stellten die Räder hin. Wir sagten zum Heini, er muß sich jetzt die Augen verbinden lassen, damit er nicht das Versteck sieht, wo wir unser Geheimnis aufbewahren. Wir nahmen dann leise unsere Räder und hauten ab. Der Pillenheini hat erst drei Stunden später wieder zurückgefunden, weil er den Wald bloß von der IL 18 aus kennt. Manche Kinder schreiben aus den Ferien auch Ansichtskarten an die Lehrer, damit sie wissen, wo sie überall gewesen sind. Auch freuen sich die Lehrer darüber, wenn sie aus den Karten lernen, welche Gasthäuser es in Thüringen oder woanders gibt. Und manche Schmeichler bringen sogar dem Lehrer ein Geschenk mit, sagen wir grüßende Fische, die auf ihrem Rücken verkünden, daß sie aus Binz sind oder ein Perlmutterschiff vom Brocken, auf welchem eine Hexe sitzt, auch hat sie einen Schlitz, wo man Geld reinsteckt und schon ist die Sparkasse fertig. So ein schönes Geschenk kann ich nicht machen, weil ich zu Hause bleiben muß. Aber ich werde unsere Kneipe »Zur feuchten Grotte« fotografieren und unserem Herrn Burschelmann schicken. Darauf schreibe ich: Das Wetter ist sehr heiß und hier ist es sehr schön. Auch habe ich schon einen ziemlich tollen Brand und eine gute Aussicht. Es grüßt Sie Ottokar
Lernen, lernen, nochmals lernen
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John Stave
»Diese Rodelbahn ist viel zu gefährlich für so ein kleines Kind«, sagte Anita Falke streng zu ihrem Mann Benno, der sich gerade in seinen zweitbesten Ulster warf. Die Mutter richtete den Blick zärtlich auf ihren fast zehnjährigen Sohn Etzel, der bereits in einen dicken Anorak gehüllt war, in Schihosen und Schistiefel. Auf dem Kopf trug er eine sogenannte Teufelsmütze, rot und blau gestreift. »Heute wird der neue Schlitten eingeweiht und damit basta! Ich bin ganz andere Todesbahnen schon als Sechsjähriger hinuntergefahren und habe es auch überlebt. Und was hatten wir damals noch für Schlitten! Sogenannte eiserne Enten, kreuzgefährlich, mein Junge!« »Ja, Papa«, sagte Etzel Falke todesmutig. »Ich nehme an«, bemerkte Anita, »dein Vater war der König der Todesbahnen. Er ist nur zu bescheiden, es hinauszuposaunen. « »Ich war nicht schlecht. Immerhin war ich der einzige von den ganz Kleinen, die die Todesbahn auf dem Bauch liegend hinuntersausten. Und nun komm!« Benno schulterte den im Korridor stehenden funkelnagelneuen Schlitten und stakste - er trug ein paar Filzstiefel, die ihm ein ehemaliger Straßenbahnfahrer für ein Spottgeld abgelassen hatte - gefolgt von seinem nunmehr doch etwas blaß werdenden Söhnchen, die Treppe hinab. Die Straße war völlig vereist. Ein einziger Sommertag mitten im tiefsten Winter hatte die ganze Schneepracht gewaltig zusammenschrumpeln lassen, aber dann hatte der Frost das Zepter sofort wieder an sich gerissen. Und nun wurden ältere Bewohner der Stadt stark an die Eiszeit erinnert. An den zur Straße abfallenden Hängen des großen Parks versuchten ein paar Kinder und Halbwüchsige ihr Rodelglück, doch die meisten scheiterten. Selbst ein Thomas Köhler hätte bei diesen Bodenverhältnissen seinen Schlitten vermutlich sowieso an den Nagel gehängt. Nicht so Benno Falke, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, mit seinem Sohn Etzel Schlitten zu fahren. Und Benno ist nun einmal ein prinzipienfester Mann. Ein steiler Weg führte einen Berg hinauf, der durch Zuschütten eines im Krieg zerstörten Bunkers künstlich entstanden
Ein Amerikaner, ein Russe und ein DDR-Bürger werden von einem Kannibalenstamm gefangengenommen. Der Häuptling will wissen, aus welchem Land sie stammen. Der Amerikaner trumpft auf: »Ich komme aus den Vereinigten Staaten, dem größten Imperium der westlichen Welt. « Der Häuptling schüttelt den Kopf: »Kenne ich nicht, ab in den Kessel. « Er fragt den Russen: »Ich komme aus der Sowjetunion, der mächtigsten Kraft des Kommunismus. « - »Kenne ich nicht, ab in den Kessel. « Als der DDR-Bürger seine Heimat nennt, umarmt ihn der Häuptling: »DDR gut - Solidarität, bei euch habe ich doch studiert ... «
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war. Von der obersten Plattform dieser Anhöhe nahm die Todesbahn ihren Anfang. Benno wunderte sich insgeheim, daß ihnen niemand begegnete oder folgte oder sie überholte, denn Vater und Sohn hatten große Schwierigkeiten mit dem Aufstieg und kamen nur langsam voran. Sie zogen sich an Gelän•• dem und tief herunterhängenden Asten Meter um Meter in die Höhe. Die Filzstiefel erwiesen sich hierbei als nicht sehr rutschfest, weil sie auch mehr zum Stehen auf der Plattform einer Elektrischen angefertigt worden waren. Etzel fand mit seinen Schistiefeln besser Halt, deshalb durfte er den Schlitten ziehen. Nach gut zwanzig Minuten waren die Falkes oben angelangt. Und siehe da: die Abfahrtsluken der Todesbahn waren vernagelt. Ein Schild sprach unmißverständlich ein sogenanntes Verbot aus. »Die Ro-del-bahn«, las der Knabe hoffnungsvoll, »ist we-gen Verrei-« Geteilte Freude ist doppelter Schmerz. »Steh nicht herum, hilf mir lieber«, herrschte Paß auf, wie es gemacht wird! Benno den Jungen an. Der Vater schwang sich auf eine steinerne Begrenzung, zog den Schlitten zu sich herauf, dann den Knaben. Etzel segelte sofort zur anderen Seite wieder hinunter und wäre um ein Haar vorfristig auf die Todesbahn geraten, hätte er sich nicht geistesgegenwärtig an den funkelnagelneuen Schlitten geklammert, der ihm nun folgte. Und gleich nach dem Schlitten kam Benno Falke mit seinen Filzstiefeln. »Hornochse«, knurrte Benno im freien Fall. »Hält sich am Schlitten fest.« »Du hast ja auch nicht losgelassen, warst ja selber dumm«, verteidigte sich der jüngere der beiden Männer. Kein Wunder, daß dem älteren die eine Hand ausrutschte. Plitsch - es war die erste Maulschelle, die Etzel von seinem Vater im Liegen empfing. »Hör auf zu heulen! Los, ich leg mich jetzt bäuchlings auf den Schlitten. Du setzt dich obendrauf, auf meinen Rücken. Aber die Quanten werden auf die Kufen gestellt, verstanden? Nicht im Schnee mit rumfuhrwerken. Putz dir erst mal die Nase!« Benno sah die Todesbahn jetzt aus einer längst vergessenen Augenhöhe, mehr aus der Froschperspektive, und zum ersten Mal wurde ihm wieder bewußt, welche Ängste er vor dreißig Jahren ausgestanden, wie er sich an einen Pflock geklammert hatte und wie die Großen schließlich seine Hände gelöst und ihn mit Gewalt abgeschoben hatten.
Lernen, lernen, nochmals lernen
Klein-Benno war damals während der Fahrt abgesprungen und laut schreiend ohne Schlitten nach Hause gelaufen. »Ich habe ganz echt Angst, Papi!« sagte Etzel von oben herab Benno spürte, daß der Knabe an allen Gliedern zitterte. »Ach was«, sagte Benno, »jetzt geht die Post ab. Dein Vater ist doch bei dir! Halt dich schön fest. Eins, zwei, los!<< Es war gewissermaßen auch eine Erziehungsmaßnahme, beruhigte sich Benno auf den ersten Metern der Todesbahn. »Mich haben sie damals auch ins Wasser geschmissen, und ich rief Benno, und für einen Moment konnte nicht schwimmen!« •• hatte er die Ubersicht verloren. Der Schlitten gewann an Schnelligkeit, begann sich jedoch im Kreise zu drehen wie eine bemannte Rakete, nur daß die Schwerkraft nicht aufgehoben war. Etzel Falke wurde wie die erste Stufe der Rakete in den Weltraum geschleudert. Benno legte noch zehn, fünfzehn Meter in einer recht eigenwilligen Technik zurück: Er rutschte, auf der rechten Seite liegend, Hände und Füße weit von sich gestreckt, mit dem Kopf nach hinten, quer über die Bahn. An einem Wall kam Benno zum Halten. Der Schlitten war umgeschlagen, aber weder Personen- noch Sachschaden war entstanden. »Ich habe dir extra eingeschärft, du sollst die Füße drauflassen. Klar, daß wir aus der Bahn geraten mußten.« »Ich kannja sowieso schon schwimmen, Vati«, versuchte Etzel sein bißchen Haut zu retten. »Hör auf zu singen! Jetzt gehts noch mal nach oben«, befahl Benno Falke. »Nein, nein, liebster Papa«, bettelte der Knabe. »Ich hole auch andauernd Kohlen aus dem Keller und Zigaretten und Bier und helfe immerzu Mutti beim Abwaschen und will auch meine Schularbeiten immer ganz schön erledigen und ... « »••• und stecke deine Rute ein«, äffte Benno den Jungen nach. Die Erziehungsmaßnahme schien schon ein bißchen gewirkt zu haben. »Das kennen wir. Aber damit du siehst, mein Sohn, daß dein Vater auch gleichzeitig dein treuester Freund ist ... « »Das ist ja schon Heini Pawliczek!« »Quatsch nicht! Also weil ich dein treuester Freund bin, werde
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))So, und nun sei schön vorsichtig, hörst du?«
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ich alleine hinunterfahren, damit du einmal siehst, wies gemacht wird.« »Ich kann doch dann gleich unten bleiben, Papsi«, schlug Etzel praktischerweise vor. »Nichts ist: Geteilte Freude ist doppelter Schmerz. Du kommst mit zum Start!« Kühn und zuversichtlich machten sich die zwei erneut an den anstrengenden Aufstieg. Benno mehr kühn, aber Etzel mehr zuversichtlich, denn ihm konnte, falls der Vater sein Wort hielt, herzlich wenig passieren. Halb erschöpft, aber glücklich, langten sie nach einer guten Viertelstunde oben an. Etzel rieb sich verstohlen die Hände. Benno begab sich an den Start. »Paß auf, wie es gemacht wird!« rief Benno, der bereits auf dem Schlitten lag. »Eins, zwei ... « »Halt, im Namen des Parkgesetzes!« ertönte da eine krächzende Stimme. Aus einem verschneiten Gebüsch trat ein altes Männlein in der Dienstkleidung des Gartenamtes. »Mensch. Sie sind doch der ... «, sagte Benno erfreut, »der mir die Stiefel hier verkauft hat.« »Jetzt verkauf ich Ihnen was andres«, sagte der Parkwächter. »Hier, einen Ordnungsstrafschein in Höhe von fünf Mark . •• Wegen Ubertreten eines Parkverbotes und wegen Sachbeschädigung beim Übersteigen einer Absperrung!« »Aber lieber Freund«, begann Benno. »Ich bin eine Amtsperson. Im Weigerungsfalle muß ich Sie der Polizei übergeben.« »Nananana, nun mal kurzgetreten, Herr General«, sagte Benno. »Da haben Sie Ihre fünf Mark - machen Sie sich einen schönen Sonntag. Und nun geben Sie die Bahn frei!« »Halt«, rief der Parkwächter wiederum und sprang wie ein junges Reh vor den startklaren Schlitten. »Das Wintersportgerät ist konfisziert!« Benno stand langsam auf. Er war zwei Köpfe größer als das Männlein. »Ich weiche nur der Gewalt«, sagte Benno Falke, und sein Gesicht rötete sich schnell. »Wo und wann kann ich den Schlitten also wieder abholen?« »Unten an meiner Bude«, sagte das Männlein. »In einer Minute.« Es schwang sich auf den Schlitten, stieß sich mit beiden Beinen ab, rief noch: »Es handelt sich um eine reine Erziehungsmaßnahme!« und sauste sicher zu Tale. »Deine scheiß Schlittenfahrerei«, sagte Benno zu seinem Sohn Etzel. Dann machten sie sich an den Abstieg.
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Was des Volkes Hände schaffen
lrmgard Abe
owor Montags geht Rosi ganz gerne in die Stinkbude, montags hat der Versand••angenehme Arbeit, Sendungen an Kliniken oder an praktische Arzte, sauber und leicht zu verpacken. Kleine Kartons, Zellstoff und Holzwolle, zum Schluß das neue hellgrüne Packpapier - fertig sind die Päckchen an die Herrn Dr. med. in Philadelphia, Leau oder Casabra, Namen, die fremd anmuten, geheimnisvoll, oder auch solche, die Rosi einfach Spaß machen: Butterlake, Wassersuppe, Hammelstall und Hundeluft. Ab Dienstag siehts schon unfreundlicher aus, schmierige Kanister, große Korbflaschen, staubige Säcke mit immer denselben unpersönlichen Adressen - Piesteritz, Leuna, Bitterfeld. Aber heute fängt ja alles erst an, heute ist Montag, und der Alte hat grade die Listen verteilt. Rosi guckt sich ihre Posten an, Buchstaben G-K, da geht der Spaß schon los: Dr. med. Friedrich Wilhelm Gänsicke, Ohnewitz - na bitte, hinein ins Vergnügen. Holzwolle griffbereit, passenden Karton aufgeklappt, weiter kommt sie nicht, denn Waltraud, L-0, winkt Rosi hinüber an ihren Packtisch, da sind schon Inge, A-F, und Helga, P-S, eifrig dabei, einen Geburtstagstisch herzurichten für Annchen, T-Z. Annchen, selbstverständlich, ist noch nicht da, eine Viertelstunde später kommt sie. Mit Kuchen. »Hat die Verwandtschaft übriggelassen«, sagt sie. »Mann, war was los!« Die Kolleginnen der Versandabteilung trinken Kaffee. Annchen berichtet, was los war, spendiert eine Runde Pralinen. Rosi begeistern Annchens Tanten nicht, sie möchte kleine Päckchen packen, sie sagt: »Wenn ich morgens rauche, wird mir schlecht.« »Weder morgens noch abends«, sagt plötzlich eine Männerstimme. »Aber wenn schon rauchen, dann feuer- und lebensversichert! « Da hat sich der Verwalter des Materiallagers eingeschlichen, bringt eine Rolle hellgrünes Packpapier, und alle wissen: So seltene Kavaliersgesten sollen in Versicherungspolicen umgemünzt werden, mit denen der Kollege Materiallager-Verwalter nebenberuflich einen Pfennig verdient. Aber er wird lediglich eine halbe Stunde fabelhaft auf den Armgenommen, von A-Z, das heißt, G-Kist auszuklammern, denn Rosi hat sich zu ihrem Packtisch zurückgeschlichen, greift auch schon tatendurstig in die Holzwolle - da zischt Annchen: »Der Alte!« Alle schnappen ihre Versandlisten, der Materiallager-Verwalter wedelt mit dem Material-Entnahmeschein, trollt sich dann über
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Was des Volkes Hände schaffen
den Hof in die Oxydanlage, vielleicht ist hier ein Pfennig zu verdienen. In den Raum poltert der Alte: »Kurze Pause. Besprechung.« Zu besprechen ist der geplante Abteilungsausflug, wie macht mans am besten? Vorarbeiten? Haushaltstag? »Einer muß auch kassieren.« Das zieht sich hin. Rosi steckt aufs neue entschlossen die Hand in die Holzwolle, das raschelt, das macht stutzig. »Tja«, sagt der Alte, »wir müssen weitermachen, überlegts euch, wir sprechen morgen noch mal drüber.« Und geht. Die Kolleginnen der Versandabteilung sprechen gleich noch mal drüber. Rosi fischt derweil aus hohen Regalen, was an den ulkigen Doktor in dem ulkigen Dorf zu verschicken ist. Da setzt draußen eifriges Laufen ein. Die Kollegen der Oxydation, die Weißkittel von der Pharmazie, Sekretärinnen der Werkleitung, alles rennt zur Kantine. »Der Röntgenzug«, sagt Rosi. Richtig! Sie sind ja auch darauf eingerich• • tet, also schnell die Ausweise, noch bißchen überkämmen, bißchen frisch machen und hin. Da steht zwar eine ansehnliche Schlange, aber zurücklaufen lohnt nicht, gleich ist Mittag. Als die Kolleginnen der Versandabteilung den letzten Blusenknopf wieder schließen, tutet es. Essen. In der Kantine, durch die Stuhlreihen. drängt sich der BGLer. Gibt auch Rosi ein o• Zeichen. Rosi steckt den Nachtisch, zwei • Goldparmänen, in die Kitteltasche, geht zur kleinen Baracke neben dem Hauptlabor: Versammlung der Gewerkschaftsvertrauensleute. Hart, was da gesagt wird. Zugegeben, der Versand hat keinen Einfluß auf Produktionszahlen, die Frauen verpacken, was kommt, mal mehr, mal weniger, trotzdem - Rosi denkt an ihren verlassenen Packtisch, an die Liste G-K. Indessen, Rosis Packtisch ist keineswegs verlassen, hier herrscht reger Betrieb. Der Kollege Materiallager-Verwalter kam noch mal auf einen Sprung rüber, dokumentarisch zu belegen, wie schnell der Mensch sich den Tod holen kann. Einmal leichtsinnig anziehen, Lungenentzündung, aus! Die Dokumente, Fotos, zeigen in der Tat leichtsinnig gekleidete Menschen, und wenn die Kollegin genau hinsehen, überhaupt völlig unbekleidete Menschen. »Altes Schwein!« sagt Annchen. Von wegen Schwein. »Alles FKK!« Sie ziehen den Kollegen ein • ••
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Zwei F.reuno~. ~"':; terhalten sich-üöen ··.· die neue Arbeit, fü? · der eine in einem· ·VEB aufnehmen will. »Machst halt den stellvertreten- ~ .u:il '
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bißchen auf. Materiallager-Verwalter für den FKK-Strand - so ein Posten! Keine Arbeit und mancher Pfennig nebenbei zu verdienen. Plötzlich Schritte auf dem Gang, angestrengtes Lauschen, prophylaktische Griffe zu Versandlisten. Gott sei Dank - nur Rosi. Aber dann, hinter Rosi der Alte! Fixes Mäuschenhuscheln. Der Verwalter verfatzt sich planlos und diesmal ohne jedes Papierehen. »Kurze Pause! Arbeitsbesprechung«, wettert der Alte. Dicke Luft. Rosi wickelt das Päckchen ein. Das Päckchen an Herm Dr. med. Friedrich-Wilhelm Gänsenicke, Ohnewitz, hastig, eilig, dieses eine wenigstens soll heut fertig werden. Dann bricht das Donnerwetter los. Seit fünf Jahren wird hier über die Bedeutung der Postleitzahlen gesprochen! Seit fünf Jahren geht immer wieder was schief! Also noch mal: »Wieviel Nester Naundorf gibt es?« - »Zweiundzwanzig.« - »Ja, das sitzt, das habt ihr begriffen. Aber jetzt: Wieviel Petersdorfs?« - »Fünf.« - »Nein. sechs«, sagt Rosi. »Einen in Berlin bei der Funzel.« Aber das kommt heute nicht an. Weil eine Sendung nicht angekommen ist, jedenfalls nicht bei Herrn Erich Müller, Arzt, 12101 Petersdorf, sondern bei Herrn Erich Müller, Bestattungsinstitut, 12141 Petersdorf. »Also«, sagt der Alte, >>der Mann kommt sich verscheißert vor. Aber darum gehts nicht. Es geht um das Porto, das hier aus dem Fenster fliegt, 70 Pfennig, Tara nicht gerechnet . . . Bares Geld, Volkseigentum! Wann denkt ihr eigentlich im großen Rahmen, Donnerwetter!« Da tutet die Sirene, da ist Feierabend, und Annchen sagt: »Man kommt reinweg zu nichts!« und damit ist Schluß für heute, diesen Montag, in der Versandabteilung. Nein, doch nicht Schluß und Feierabend. Da kommt ja noch mal - lange nicht gesehen und doch wiedererkannt - der Kollege Materiallager-Verwalter. Roter Kopf und irrer Blick: »Wo sind die Fotos?«Viel Gesuche, kein Erfolg, nirgends Fotos, nirgends Nackedeis, verdammte Schweinerei. Vielleicht in irgendein Doktorpäckchen eingepackt? »Los, alles aufmachen!« Da ist, gottlob, nicht viel aufzumachen, denn da ist, welch Glück, nur ein Päckchen gepackt worden, an irgendeinen ulkigen Doktor in irgendeinem ulkigen Dorf. Was bleibt - Rosi reißt es wieder auf, da haben wir sie ja, und es gibt noch einen nachträglichen Spaß, als Annchen sagt: »Ob der Doktor sich beschwert hätte?« Aber das alles ist schon nach der Sirene, also nach der offiziellen Arbeitszeit, und interessiert uns deshalb in dieser Chronik nicht mehr.
Anfrage des Landwirtschaftsministeriums an eine sächsische LPG: >~Genossen, könnt ihr die Milchproduktion um 10 Prozent steigern?« - »Kein Problem.« - »Genossen, könnt ihr die Milchproduktion um weitere 20 Prozent steigern?« - »Natürlich können wir auch das, aber dann wird die Milch schon seht dünn!«
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Hanskarl Hoerning
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Zwei Straßen-Bauarbeiter
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»Die Arbeit in drei Schichten klappt noch nicht, aber das Umkleiden.<<
Erster: August, guck mal, das Loch ist immer noch in der Straße, das gute alte Loch ... Zweiter: Das dient doch jetzt der Wissenschaft. Gestern waren schon die Archäologen da. Erster: Wer war da? Zweiter: Archäologen. Das sind Altertumsforscher. Erster: Die haben wohl deine Alte erforscht? Zweiter: Ich weiß, daß du mit Cohrs in einer Klasse warst. Erster: Na mal im Ernst: Was wollten denn die Archäologen? Zweiter: Die sind in das Loch reingekrochen. Die haben nach Werkzeugen gesucht, aus der Steinzeit. Erster: Haben se denn welche gefunden? Zweiter: Freilich, jaja. Eine Hacke. Bloß im Jahrhundert haben die sich geirrt. Das war die, die du vor zwei Jahren liegengelassen hast . • •• 0 Erster: Wieso haben die sich da geirrt, August? Die Werkzeuge, mit denen wir arbeiten, die stammen doch aus der Steinzeit. Zweiter: Sage nichts gegen die Steinzeit, du. Das Werkzeug damals hat wenigstens gehalten! Komm, pack mit zusammen, es ist gleich Feierabend. Erster: August, wir haben noch eine ganze Stunde Zeit. Zweiter: Ach, was ist denn heute für ein Tag? Erster: Donnerstag, Zweiter: Na also. Wenn wir Donnerstag nicht wenigstens eine Stunde vor Feierabend Feierabend machen, was ist denn da? Erster: Ach so, ich weiß, da sind wir freitags müde. Zweiter: Und wenn wir freitags müde sind? Erster: Da können wir am arbeitsfreien Sonnabend nicht richtig arbeiten. Zweiter: Bei fünffachem Verdienst. Erster: Genau. Das ist eben die Dialektik,
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Zweiter: Seit wann machst denn du auf Dialektik? Erster: Wenn's ums Geld geht, schreck ich vor nichts zurück. Zweiter: Und wer zahlt uns den fünffachen Verdienst? Erster: Na unser volkseigener Straßenbau, wer denn sonst. Zweiter: Ist eine großzügige Bude, kann man nicht anders sagen. Erster: Bloß es gibt eben noch viel zuwenig Löcher. Zweiter: Zuwenig? Mir langt schon unser Planungsleiter, das Loch! Erster: Ich mein doch so ein Loch in der Straße. Das liegt und liegt. Zweiter: Ein Auto nach dem anderen fährt rein.
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Erster: Eine Achse nach der anderen bricht. Zweiter: Die Achsenbauer kommen gar nicht mehr mit der Produktion nach. •• Erster: Es sei denn, sie machen Uberstunden. Zweiter: Am arbeitsfreien Sonnabend ... Erster: Bei fünffachem Verdienst. Zweiter: Wie wir. Erster: Und wem haben die Achsenbauer das zu verdanken? Zweiter: Den Schlaglöchern ... Erster: Die wir so liebevoll hegen und pflegen. Zweiter: Siehst du, Paul, so wäscht eine Hand die andere. Erster: Deswegen gibt es bei uns auch so viele saubere Menschen .
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))Natürlich fällt das unter Leistungslohn. Oder ist das etwa keine Leistung?<<
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Was des Volkes Hände schaffen
Ulrich Speitel
Bei uns, bei den Leuten vom flachen Lande, steht das Bauen in hoher Blüte. Kein achtbarer Mensch, der nicht irgend etwas zu bauen hat, Zäune, Garagen, Taubenschläge und Hollywoodschaukeln, nicht zu glauben, was alles gebaut werden kann. Wir saßen zwei Jahre auf unserer Klitsche, mühten uns, hinter den manchmal absonderlichen Baudrang der Leute zu kommen, und bauten nichts. Es wurde gefragt: Was ist er für einer? Es wurde geantwortet: Er baut nicht! Es wurde geredet: ein Bruder Leichtfuß, träg und ohne strebsame Ader. Wir wollten nicht als unstrebsam, träge und leichtfüßig gelten und beschlossen den Bau einer Badestube. Selbstverständlich kann man um den Bau einer Badestube bei einem Mit dem Bauen kam die sozialistische Baubetrieb nachsuchen. Doch dort klärte man uns Nachbarschaftshilfe in Gang. auf, daß der Bau einer Badestube ins NAW, Unterabteilung Eigeninitiative fällt. Die Eigeninitiative beginnt mit der Suche nach einem Maurer, der nebenberuflich noch hinreichend Mumm, Zeit und Laune in petto hat, eine Badestube hochzuziehn. Mumm und Laune waren bei allen Maurern reichlich vorhanden, Zeit nicht. Nach hundertsechs Eigeninitiativkilometern endlich hatten wir Glück. Ein Maurer kam und besah sich den Stall. Unser Stall enthielt derzeit außer Luft und zwei Schwalben lediglich drei Hühner. Wrr planten, eine Stallecke zur Badestube hochzupolieren. Der Maurer billigte unsern Plan und sah sich um. »Material?« Material hatten wir keins. Der Maurer strich sich bekümmert die Backen. »Auto?« Wir besaßen einen Trabant, das rettete uns. Es wurden nämlich Steine gebraucht und Zement, Kalk, Kies, Bretter und sogenannte Sauerkohlplatten, dies für den Maurer und für den Anfang. Wir notierten das kurz und schätzten die Materialbeschaffung auf zwei, allerhöchstens vier bis sechs Wochen. Der Maurer sah uns gutmütig an. »Kommt ihr vom Zirkus? Könnt ihr zaubern?« Da schwante uns, daß Baustoff irgendwie knapp sein mußte und eine Steigerung unserer Eigeninitiative um 500 Prozent
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verlangte. Unser Maurer hatte geraten, vom Material reichlich zu bestellen, etwa das Doppelte von dem, was gebraucht wurde. Das ergab sich aus seinen Baustofferfahrungen. Wir hatten auch unsre Erfahrungen und bestellten sicherheitshalber das Doppelte von dem, was gebraucht wurde an zwei, auch drei ver•• schiedenen Stellen. Doch das Material hatte Ahnlichkeit mit der Bahn: Es ließ sich Zeit. Wrr hüllten die Mutter in hübsch kurze Kleider, brachten ihren natürlichen Charme in Schwung und ließen sie auf die Handwerker und auf andere Baustoffquellen los. Den Herbst und den Wmter waren wir im Prinzip unterwegs, forschten hier, fragten da, spielten mit dem blöden Gedanken, Fliesen und sanitäre Keramik notfalls mit Spargelstangen zu lockern, merkten aber glücklicherweise beizeiten: Es war alles, alles da. Gabs eine Fußbodenentwässerung nicht in der Nähe nicht in Brandenburg oder Rostock - in Dresden lag eine „ .... . " • „ . . . herum, das war so gut wie fast • ... „ •. . .... . _ „. sicher. Ein Boiler fand sich in der Hauptstadt, im Quartal darauf auch in Friesack, und was momentan nirgendwo zu erstehen war, hatten seltsamerweise die Nachbarn im Schuppen. Das wunderte uns, da sahn wir nicht durch. Wieso hatten die Nachbarn allerlei Material, wenn Baustoff gewaltig knapp war? »Na eben ... weils knapp ist«, sagten die Nachbarn, lächelten weise, und da sie inzwischen unsre Baulust bemerkt hatten, griffen sie uns mit anerkennenden Worten und mit ihren Materialreserven unter die Anne. So kam mit dem Bauen zunächst die sozialistische Nachbarschaftshilfe in Gang. Später kam dann der Frühling, und mit dem Lenz kam auch tatsächlich der Maurer wieder. Später erschienen auch der Tischler, der Elektriker und der Klempner. Sie arbeiteten flott, tranken mäßig, hielten ihre Tarife in Grenzen. Mich qualifizierten sie nebenbei zum Handlanger. Ich lief bestiefelt herum, die Brust entblößt, meine Muskeln gerieten in Form und türmten sich, und ein seltsames Gefühl kam mich an, das Gefühl des Bauens. •
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))Bis Wochenende muß der Kabelgraben zu sein. Montag fängt die Gasversorgung hier an zu buddeln. <<
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Bauen schien mir mit einemmal etwas Besonderes zu sein. Du schreibst eine Geschichte, sie wird gedruckt oder nicht, damit hat sich der Fall. Oder du nähst einen Anzug, irgendwer trägt ihn - was bleibt? Aber wenn du was baust, mein Lieber, das steht eine Weile, da ist was zu sehen, das erfreut noch Enkel und weitere Kindeskinder, was du da hingeklotzt hast. So ein Gefühl etwa kam mich an und wollte nicht wieder gehen. Als die Akazien blühten, bereinigten wir den Dreck, badeten an und sahen mit einemmal, daß unsre Klitsche von allerhand übriggebliebenem Baustoff bedeckt war. Was tun damit? Baustoff ist keine Räucherware und hält sich nicht ewig. Der Zement wird hart, auch der Kalk will verbaut sein. Das Baugefühl in meiner Brust war noch mächtig zugange, und ich begann unverzüglich die Waschküche abzuputzen. Besenputz. Auf halbem Wege ging mir der ~ Baustoff aus. Ich holte Nachschub heran, sicherheitshalber ein wenig mehr, und behielt genug übrig, um eine Hundehütte in Angriff zu nehmen. Die Hundehütte war kaum begonnen, da wurde neuer Baustoff erforderlich. Ich beschaffte ihn, es ging wieder nicht ohne Reste ab, und so wuchs die Hundehütte hin. .über ins Bienenhaus, das Bienenhaus in massive Zäune und Wege, die Wege in eine Gartenlaube, ich komm aus dem Bauen nicht mehr heraus, aber eins steht fest: Sobald ich meinen eigenen Grabstein errichtet habe, mache ich Schluß! Kein Baustoffrest wird mich wieder verleiten, ich habe anderes mit ihm vor. In der Nachbarschaft ist nämlich, ein Bruder Leichtfußzugezogen, träge und wenig strebsam, das sieht man gleich. Fast ein Jahr wohnt er hier, ohne irgend etwas gebaut zu haben. Dem schenk ich die Reste. Oder wart mal: Ich könnte natürlich auch einen luftdichten Schuppen bauen, der mir das Restmaterial sicher beherbergt. •
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))Schön vorsichtig, der Mischer gehört unserem Betrieb! Wenn er kaputt ist, kann ich ihn nicht mehr für 5 Mark die Stunde vermieten. ((
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Peter Gauglitz
Zoit· Jüngst habe ich ein hübsches kleines Erlebnis in der Verwaltung gehabt. In Zimmer 112, beim jungen Kollegen Müllersohn. An der Tür finde ich das Schildchen »Komme sofort wieder« vor. Nachdem ich eine Viertelstunde brav Posten gestanden habe, geht eine nette Brünette den Gang entlang. »Kollege Müllersohn kommt gleich!« »Nein«, stelle ich richtig, »sofort. Da stehts.« »Ist doch das gleiche.« Die Brünette verhält, und wir philosophieren über die Ungleichheit von gleich und sofort. So gehen die nächsten zehn Minuten weg. Worauf derjunge Kollege Müllersohn erscheint. »Zu mir? Gut, kommen Sie gleich mal rein!« Ich sage: »Sofort!« und darf mich unverzüglich setzen. »Also, ich möchte - mein Anliegen ist folgendes ... « »Einen Moment, bitte!« »Bitte!<< Der junge Kollege Müllersohn schiebt einen Akt genießerisch von sich, zieht einen anderen Vorgang heran, und nichts deutet darauf hin, daß Müllersohn, der »einen Moment« gesagt hat, in den nächsten paar Momenten für mich momentan wäre. »Hmmm-mmchch!« »Sagten Sie was, Bürger?« »Ich habe gehüstelt.« »Gesundheit!« wünscht mir der Kollege Müllersohn. Darauf greift er zum Telefon, pikt einen Stift in die Drehscheibe und läßt sie über die Nummern schnurren. »Wenn Sie sich noch einen Moment gedulden ... « Noch einen! Müllersohn spricht in den Draht. In schöner Zeitlupe sagt er dem anderen Ende durch, das Wetter habe sich ja nun Gott sei Dank verbessert. Aber das andere Ende muß die Verbesserung nicht ganz mitgekriegt haben, denn Müllersohn wird deutlicher. »Es ist umgeschlagen - ra-di-kal! « Seitenblick zu mir: »Augenblick noch!« Gut, in Augenblicken kann mir keiner was vormachen. »Ein Augenblick« habe ich mal gelesen, ist genau die Zeit, welche ein Auge benötigt, um den Blick auf etwas zu werfen. Bei Augenpaarblicken dauerts übrigens auch nicht län-
Ein Handwerker stirbt und kommt zu Petrus. Der be~~ grüßt ihn mit den S·iW'orten: · »Da btst ~du · ja endlich.« Darauf der Handwerker: »War es denn wirk. lieh nötig, mich so '.+.früh zu holen?<~;;;... . ,,· ~>Wieso?« fragt Petrus. »Na, ich bin doch erst 45 Jahre alt.« Petrus: »Das · .kann nicht sein. .~' Wenn.ich mir Q;ie ·. . .
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sehe, die du ausgefüllt hast, bist du schon über 80. «
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>>Was hat dieser Knüllmann eigentlich erfu.nden? >>Die Pausenzigarette. << )) •???(( • •
>>Brennt länger.<<
Was des Volkes Hände schaffen
ger. Die Augenblicke gehen zu Hunderten ins Land. Was dem jungen Kollegen Müllersohnjedoch nichts weiter ausz11machen scheint. Ohne Anzeichen von nervöser Hast hat er sich mittlerweile in ein zweites Telefonat verstrickt. Geruhsam bespricht er irgendeine Rosi, rund zwanzig Minuten lang. Dann aber, gerade als Kollege Müllersohn mich mit dem vierten Augenblickehen! abgefrühstückt hat, muß bei Rosi der Bürowasserkessel gepfiffen haben. Müllersohn hält sich gelassen sein Ohr zu. Dann legt er resignierend auf, und ich bin dran. »Sie wünschen, Kollege?« »Ich, ich ... << In diesem Moment läutet es. »Eine Sekunde!« Hurra, endlich etwas Greifbares. Weiß ich doch längst, daß Müllersohns »Eine Sekunde« kaum länger als sechs Augenblicke - zwanzig Minuten andauern wird. Aber dann wickelt sich alles erheblich kürzer angebunden ab. Müllersohn haucht »Müllersohn ... « in die Muschel. Worauf ein beachtlicher Ruck in die eingesunkene Sitzgestalt des jungen Kollegen fährt. »Neeiin! « schreit er entgeistert auf. »Ist ja entsetzlich! Komme sofort! Fliege schon!« Und jetzt kommt das Verrückteste: Der junge Kollege Müllersohn schnellt hoch. Er überspringt in einem einzigen gewaltigen Temposatz seinen Schreibtisch und meine Beine. Wirft mir von oben herab den Ruf »Kleine Sekunde nur!« zu und katapultiert sich schreckensbleich aus dem Zimmer in den Gang. Wie einer, bei dem ein liebenswerter Angehöriger möglicherweise Trabant 601 - völlig überraschend das Zeitliche gesegnet hat. Doch nichts dergleichen war geschehen. Wie ich eine kleine Sekunde (gleich dreißig Minuten) später von ihm selbst erfahre, hatte Kollege Müllersohn in der Hast der Monate nur eine Kleinigkeit verschwitzt: Sich rechtzeitig in die Urlaubsliste einzutragen.
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Was des Volkes Hände schaffen
Jürgen Hart
Rudi: Na, ihr wollt wohl zu mir? Produktionsleiter (zitiert aus einem Bericht): »..• und so ist es uns gelungen, den Halbjahresplan mit siebenundachtzigkommafünf Prozent zu erfüllen. Das ist ein schöner Erfolg! Dennoch sind bei uns keine Spuren von Selbstbefriedigung zu verzeichnen. Bei weiterer kontinuierlicher Arbeit unserer Brigade sollte es möglich sein, den Jahresplan mit fünfundneunzig Prozent zu erfüllen!« Kommt dir das nicht bekannt vor? Rudi: Freilich, ist doch von mir! Produktionsleiter: Mehr fällt dir dazu wohl nicht ein? Rudi: Nee! Sekretärin: »••• ist es uns gelungen, den Halbjahresplan mit siebenundachtzigkommafünf Prozent zu erfüllen?« Rudi: Na und? Ist doch wohl stilistisch einwandfrei formuliert? Sekretärin: Aber die Prozentzahlen! Rudi: Siebenundachtzigkommafünf Prozent ist viel, gelle? Produktionsleiter: Aber wir hatten hundert ausgemacht! Rudi: Hundert Prozent? Das hättet ihr mir aber vorher sagen können, das gabs ja noch nie. Und wenn ich mir das richtig überlege, ist das auch gar nicht zu schaffen! Sekretärin: So, warum denn nicht? Rudi (aufbrausend): Na, was kann ich denn dafür, daß wir den Paule im Winter vierzehn Tage zum Schneeschippen abstellen mußten. Bis hierher stand uns der Schnee! Und wenn der Paule nicht geschippt hätte, na ich weiß nicht, wo er heute stände! Und dann gleich die Grippewelle! Hundertfünfzig Grad Fieber hatten wir in der Brigade! Sekretärin: Hundertfünfzig Grad? Rudi: Natürlich, alle viere! Jeder siebenunddreißigkommafünf! Jeden Tag ham wir aus eigener Tasche drei Flaschen Wodka gekauft, nur damit wir gerade an der Maschine stehen konnten! Und dann kam noch der Sommer mit der Urlaubswelle. Kaum wird es warm, schon rammeln die Leute in Urlaub! Sekretärin: Das kann man aber vorausplanen ! Rudi: Wie wenn man vorneweg wüßte, wanns warm wird! Ich hab im Juli schon gefroren wie ein Hund, und im Februar hab ich geschwitzt! Man kann eben nicht planen, wann man schwitzt oder friert! Und trotzdem ham wir den Plan mit siebenundachtzigkommafünf Prozent erfüllt!
Walter Ulbricht ist in Moskau zu Besuch und hält sich im Kreml auf. Während er auf Breshnew wartet, beobachtet er einen kleinen glatzköRfigen Kerl, der ~ der Heizung hantiert. »Kennen wir uns · nicht?« fragt er. »Klar, ich bin doch Nikita Chruschtschow.« - »Was machst du denn,hier als Schlosser?« »Ich bin froh, daß ich den Posten oekommen habe.<<'~ »Mensch, du warst mal der erste Mann im Staat. Das geht doch nicht. Ich spreche mal mit Leonid. « Chruschtschow: »Walter, sei vorsichtig, der braucht auch noch einen Tischler.« .
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Warum gibt es keine Trabis, die
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schVJarzlackiert sind?
Produktionsleiter: Ja, schon, aber wem solln wir denn das weitermelden! Rudi: Das ist eure Sache, wir ham gearbeitet, geschuftet, gewühlt, durchgezogen, rangeklotzt ... Produktionsleiter: Na, Moment mal? Wenn zum Beispiel der Paule nicht Schnee geschippt hätte? Rudi: Der hat aber! Produktionsleiter: Nur mal angenommen! Rudi: Welcher Paule? Produktionsleiter: Na hier der ... Rudi: Zickenpaule? Produktionsleiter: Ja, der! Rudi: Der hat gar nicht geschippt! Der Karnickelpaule hat geschippt! Produktionsleiter: Das ist doch völlig egal! Rudi: Das ist eben nicht egal! Der Zickenpaule hat sich doch im Winter neunundfünfzig/sechzig die Ohren erfroren, den kann man nicht in den kalten Schnee rausschicken! Produktionsleiter: Das ist mir jetzt egal!!! Rudi: Na, das ist vielleicht ein Arbeitsklima! Produktionsleiter: Jedenfalls hat der Paule nicht geschippt! Rudi: Aber ... Produktionsleiter: Und wenn die Kaltwelle nicht getobt hätte! Rudi: Die Grippewelle! Produktionsleiter: Und wenn die Urlaubswelle nicht dazwischengekommen wäre, dann hättet ihr doch den Plan mit hundert Prozent erfüllt? Rudi versteht langsam: Ja, dann, mit hundertundein Prozent! Produktionsleiter: Na, dann melden wir doch einfach weiter, daß die siebenundachtzigkommafünf Prozent nach unseren neuesten präzisierten Plänen einer Planerfüllung von hundertzwei Prozent entsprechen. Sekretärin: ... hundertdrei Prozent entsprechen. Rudi: Na, das ist eure Sache! Hauptsache, die Jahresendprämie stimmt! Produktionsleiter: Na, das kriegen wir schon hin! Rudi: Wer weiß, wie lange noch? Produktionsleiter: Wir ham da schon für die Zukunft vorgesorgt. Wir haben einen Patenschaftsvertrag mit der Rappbodetalsperre abgeschlossen. Sobald wir mit der Planerfüllung nicht mehr hinkommen, werden dort Maßnahmen wirksam! Rudi: Die wolln uns dann wohl Arbeitskräfte schicken? Produktionsleiter: Nein, die öffnen dann die Schleusen!
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Heißer Sommer
C. U. Wiesner '
»Und wenn wir nun doch zu Knauerhases Silvesterparty gehn?« »Nein, Elisabeth. Da wird den ganzen Abend über Kunst und Autos gequatscht, nach Mitternacht trägt Knauerhose selbstgehämmerte Gedichte zur Gitarre vor. Pfui Deubel!« - »Und wenn wir nun doch mit dem Reisebüro irgendwohin fahren?« »Nein, Elisabeth. Da weiß man nicht, wie die Quartiere sind. Und dann Silvesterpunsch mit lauter fremden Leuten? Nee. mein Kind!« - »Und wenn wir nun ... es gibt noch Karten für die Neunte. Und dann nach Haus, so ganz für uns und keine Leute?« - »Nein, Elisabeth. Die Hausgemeinschaft feiert eine Treppe höher, kuck mich nicht so an! Die Leute, die man täglich auf der Treppe trifft ... ! Man kennt das doch: So kurz nach zwölfe klingeln sie bei uns - die armen Pfeiffers Im Harze jodelt man, wenn sind allein. Dann traut man sich nicht, nein zu sagen, man sehr fröhlich ist. besäuft sich, andern Tags wird man beredet. Ohne uns, Elisabeth!« Frau Pfeiffer hätte nach vielen Jahren mal wieder gern so richtig Silvester gefeiert. Sie war von Haus aus ein fröhliches Kind, aber so herzensgut, daß sie ihrem Manne nie widersprach. Dessen Entschluß stand unumstößlich fest: Zurück zur Natur. Ein Jahreswechsel ohne Tamtam. Ohne Leute. Am Nachmittag des 26. Dezember verließen Pfeiffers in Mutzingerode den Kleinbahnzug. Herr Köpernitz, ein gemeinsamer guter Bekannter, seines Zeichens Leiter des Mutzingeröder Ferienheimes, erwartete sie mit seinem Kombi vor dem Bahnhof. »Ihr hättet natürlich«, sagte er, als sie am Ortsausgang das idyllisch gelegene Heim passierten, »ohne weiteres hier im Haus unterkommen können. Was meint ihr, was wir Silvester für ein Faß aufmachen! Tanz in allen Räumen, und das halbe Dorf dabei.« Die arme Frau Pfeiffer warf einen hilflos flehenden Blick auf ihren Mann, doch der sah stur gradeaus und fragte: »Wie weit ist es noch?« Den letzten Kilometer mußten sie zu Fuß gehen, denn der Weg ward schmal und steil. »Wenn ihr was braucht«, so sprach Herr Köpernitz - er trug den größeren der beiden Koffer - »'ne gute Stunde ist es bis zum Dorf.« - »Wir sind mit allem eingedeckt«, entgegnete Herr Pfeiffer, der an dem andern Koffer schwer zu schleppen hatte. »Sogar zum Feiern ein paar Flaschen. Nee, mein Lieber, so ist das nun nicht.«
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Heißer Sommer
Die Jagdhütte lag in einem tiefen dunklen Tann. Für gewöhnlich wurde sie vom Heim nur in der Sommersaison mit Gästen belegt. Nachdem sich Herr Köpernitz mit den Worten: »Na denn guten Rutsch! « verabschiedet und der jungen Frau noch einen mitleidigen Blick zugeworfen hatte, begannen sich Pfeiffers einzurichten. Das Holz war feucht, und es dauerte geraume Zeit, bis Herr Pfeiffer das Herdfeuer entfacht hatte. Unter anderen Umständen hätte er wohl geflucht, so aber sagte er mit einem etwas gequälten Jauchzen in der Stimme: »Elisabeth, jetzt wirds gemütlich.« Sein Weib, das teure, befühlte zerstreut die klamme Bettwäsche - seit Tagen hatte es im Harz geregnet und rief mit leiser Stimme: »Holdrio!<< • . . ' „ • Worauf Herr Pfeiffer wissen wollte, „ ,'-' \ )• \ , \ • „ , - (\ "\ . ', •. ..... ,..,..)J"')" .... . . . ,,.. \ ;". . „<:', " was sie damit meinte. Vorm Fenster _."" .' ,„ , „ „ ' .„ schwammen in der Dämmerung Ne... .... , . „ belschwaden. »Na, ich versuch zu j o'\' :„,. "\ ' ().. . ,.. ' . ' deln «, sprach Elisabeth, »im Harze j o_ \ ,) ' " (). ... delt man, wenn man sehr fröhlich „ . / l ist. « Wortlos setzte Herr Pfeiffer ,.._, _,, J1. , I einen Kessel Wasser auf, um einen Grog zu brauen, denn er sah, daß seine Frau schon blaue Lippen hatte. Und ein Unmensch war Herr Pfeiffer nicht. Als sie am Morgen drauf erwachten - ob es Morgen war oder Mittag, wußten sie nicht genau zu sagen; seine Uhr war stehngeblieben, ihre Uhr war liegengeblieben im Badezimmer in der Stadt - fielen draußen dichte, weiße Flocken. »Die Pfähle dort vom Zaun«, sprach sinnend der Herr Pfeiffer im Trainingsanzug, den er auch die ganze Nacht getragen hatte, »sehn sie nicht aus, Elisabeth, als hätte ein Zaubrer sie mit weißem Pelz bedeckt?« Frau Pfeiffer widersprach wie üblich nicht. Das dünne Eis der Waschschüssel klimperte unter ihren starren Fingern. Nachdem sie den Inhalt einer Fleischbüchse mit einem unaussprechlich ungarischen Namen gegessen hatten, hielten sie Mittagsruh. Was hätten sie sonst machen sollen? Die Tür ging nicht mehr auf. Es schneite unablässig. Und außerdem, da drinnen wars gemütlicher. So meinte wenigstens Herr Pfeiffer. Er wurde nur ein bißchen ungehalten, als er erfuhr, Eli-
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Zwei Touristen aus 'dem Westen sind m Moskau. Sagt der eine vor dem Mansole11m: »Ich will mir mal den Lenin cUisehen. « Darailf der andere: »Ach, weißt du, bei der langen Schlange, ich warte solange in dem Cafe hier. {( Nach fünf Minuten . ist der erste wieder da. »Na die Schlan:. ge war dir wohl doch zu lang?« - . >>Nein, ich habe d~1l ·Wachsoldaten zehn Westmark in die Hand gedrückt, da haben sie mir Lenin heraus·-r
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sabeth hätte vergessen, die frischen Batterien für das Transistorradio einzupacken. Das Biest krakeelte nämlich nur noch heiser. Zäh rann das alte Jahr dahin. Elisabeth sprach wenig. Im tiefen Tann, wo es dauernd schneite, war es so dunkel, daß sie den trüben Tag kaum von der hellen Mondnacht unterschieden. Herr Pfeiffer hatte schließlich keine Zigaretten mehr. Zwar wär er gern ins Dorf gegangen, doch schreckte ihn der lange Winterpfad. Herr Pfeiffer war nicht mehr so ausgelassen wie am ersten Tag. Er unterbrach nicht einmal seine Frau, wenn sie bei Kerzenschein erzählte, wie sie in früher Jugendzeit - ein wenig zwar nach deutscher Spießerart, jedoch recht froh und ausgelassen - mit Punsch und Sekt und vielen, vielen Leuten das Fest der Jahreswende einst verbracht. Zuweilen flog ein Specht aufs Fensterbrett und pickte von den Frühstückskuchenkrümeln. Und wieder fiel der Mond aus allen Wolken, in Silber tauchend den verschneiten Tann. Nach des Herrn Pfeiffer angenommener Uhrzeit war es kurz vor zwölf. Gar feierlich entkorkte er den Sekt; es war der letzte Alkohol. Sogar an eine Wunderkerze hatte er gedacht. »Prost Neujahr!« sprach er zu Elisabeth und küßte sie am offnen Fenster. Dort stand sie, lauschte, ob der Wind den Krach der Böller nicht aus dem Dorf zur Hütte trage. Doch es war windstill, und die Flocken fielen. »Na«, sagte launig tröstend der Herr Pfeiffer, »es ist überstanden, morgen schaufeln wir uns heimwärts.« Indessen, es kam anders. Sie wachten auf. Es klingelten die Glöckchen. Zwei Schlittenpferde. Und Herr Köpernitz. Die standen draußen. »Mensch, ihr seid eingeschneit, das dacht ich mir. Ich mach mir schon Gewissensbisse.« Im Heim, so fuhr er fort, sei ein zentralgeheiztes Zimmer frei. Und lud sie herzlich ein zur heutigen Silvesterfeier. Herr Pfeiffer blickte ratlos auf die Uhr. »Wieso Silvester? Das ist längst vorbei!« - »Du alter Dachs«, entgegnete Herr Köpernitz, »in diesem Bau kann man durchaus die Zeit verschlafen.« Herr Pfeiffer murmelte was vor sich hin. Doch diesmal widersprach ihm seine Frau. Zum ersten Male mit Erfolg. Und als beim zwölften Glockenschlag das neue Jahr im Harzer Kurort Einzug hielt, saß auf Herm Pfeiffers Kopf ein buntes Hütchen, auf seinem Schoß des Bürgermeisters dralles Weib, und selig lächelnd sprach Herr Pfeiffer: »Mein Kind, ich heiße Ernst.«
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In Berlin im Hotel Unter den Linden hängt ein Schild: »Hier wird Russisch, Englisch, Französisch und Spanisch gesprochen.« Der Gast versucht es in allen Sprachen. Er wird nicht verstanden. Schließlieh fragt er auf Deutsch: »Wer spricht denn hier
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eigentlich diese Sprachen?« Darauf der Kellner: 1
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Renate Holland-Moritz
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Ein Westdeutscher ist zu Besuch in ceipzig und diskutiert mit seinem Cousin Paul über die politischen Verhältnisse. Er sagt: »Ich kann mich zum Beispiel in Bonn auf die Straße stellen und laut rufen: >Bundeskanzler Brandt ist ein Idiot!< Da passiert mit gar nichts!« - »Na und«, sagt Paul, »ich könnte mich auch · auf den Leipziger · Hauptbahnhof stellen und laut rufen: >Bundeskanzler Brandt ist ein Idiot!< Da würde mir auch nichts • passieren.«
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Gestern abend war ich völlig tot. Dabei hatte ich nur Laub geharkt und zu großen Haufen aufgeschüttet. Bei zwölfhundert Quadratmetern haut das ganz schön auf die Muskeln. Dazu noch die vertrockneten Astern, die nett in die Finger piken, aber dafür gut brennen. Nach so ein paar Stunden gesunder Gartenarbeit sind die Hände voller Wunden; aber was soll sein, es ist Frühling, und »Schöner unser Berlin!« mfts von jedem Bretterzaun. Wer da nicht mitmacht, ist überhaupt kein richtiger Kleingärtner, sondern höchstens so ein Gartenpenner wie unser Nachbar Rappelzundt. Also gestern hat er mir ja wieder geschmeckt! »Es grünt so grün«, blökte er seiner Frau zu, »setz Kaffeewasser auf, ich stell inzwischen die Möbel auf den Rasen.« Rappelzundt und Rasen! So was von verpedeter Wiese würde ja selbst einen blinden Engländer beleidigen. Was bei dem wächst, ist schon kein Gras mehr, das ist das reinste Schilf. Dabei müßte er den ganzen Mist nur mal abbrennen, alles umgraben, planieren, Rosen aussäen und ein bis zwei Jahre nicht drauf mmtrampeln. Und natürlich viel sprengen. Dann könnte - gärtnerisch gesprochen - von einem gewissen Grün die Rede sein. Aber dieser Rappelzundt tut den Teufel. Er denkt offenbar, der Garten ist nur zur Pflege seiner faulen Haut da. Jedenfalls stellte er die Gartenmöbel hin, legte noch ne weiße Decke auf (oben hui, unten pfui!) und rammelte den Sonnenschirm in die hucklige Landschaft. Wenn einer gern im Unkraut lebt - bitte sehr! Bei mir jedenfalls herrscht Ordnung, und jeder Gartenfrühling fängt nun mal mit einer großen Verbrennung an. Aber da hätten Sie die Rappelzundts hören sollen! Sie kriegte sofort einen Hustenanfall und brachte ihren Kuchen in Sicherheit. Er brummte was von Sonntagsnachmittagsbelästigung und daß das Abbrennen von Scheiterhaufen erst ab siebzehn Uhr gestattet ist. Na, ich bin ja in solchen Fällen taubstumm. Sollen sie doch in der Stube Kaffee trinken, wenn sie das bißchen Rauch stört! So was gehört nun mal zur Natur wie Regen und Hagelschlag. Aber diese Menschen haben ja überhaupt keine Beziehung zur Natur! »Kuck doch mal, Alfred«, jubelte die olle Rappelzundt, »kuck doch, die Forsythien brechen auf!« Nun müßten Sie diese Forsythien sehen - seit mindestens fünf Jahren sind die wilden
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Heißer Sommer
Triebe nicht entfernt worden! Der Strauch hat schon gar keine Proportion mehr, sondern wuchert in die Gegend wie eine Brombeerhecke. Wirklich, zum Brechen! Dann haben diese Leute so eine Art Weg in der Wildnis, und mitten auf diesem Trampelpfad wachsen ein paar Krokusse. Man ist ja als anständiger Gartennachbar gewissermaßen zur Hilfe verpflichtet, deshalb habe ich schon vergangenen Herbst gesagt, sie sollen die Zwiebeln ausgraben und sich einen Steingarten anlegen, wo Krokusse immer sehr nett zur Geltung kommen, wenn sie als farbige Tuffs ein bißchen symmetrisch ver-
> >Er will sich nicht in unser Kollektiv einfügen. Er fährt nur her, um zu faulenzen.<<
teilt werden. Aber nein. Rappelzundt, der Banause, schätzt es, wenn ihm die Dinger um die Füße rumwachsen. Solchen Leuten dürfte von Rechts wegen gar kein Garten zustehen. Mein Schwager Jürgen, der sich immer einstellt, wenn ihm die Gute Luise in den Schoß fällt oder der Apfelwein ausgeblubbert hat, würde das Rappelzundt-Grundstück gern übernehmen. Mein Mann hat ihm das schon mal aufgemalt, wo man ein Spargelbeet hinsetzen könnte und etwas Frühgemüse, eingerahmt von Küchenkräutern. Vor dem Haus natürlich ein Rosenrondell und an den Zaun die Frühblüher, damit der wintermüde Spaziergänger eine Freude hat. Aber Rappelzundt war stur. Er braucht den Garten, sagte er. Wozu braucht er den Garten? Er pflegt ihn nicht, liebt ihn also nicht, was will er denn damit? Am Nachmittag desselben Tages erhielten wir die Antwort. Es war der 1. Juni, das Datum werde ich nicht vergessen. Da kam •
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Heißer Sommer
doch so eine Invasion aus dem Kinderheim, wo die olle Rappelzundt in der Küche aushilft. Mindestens zehn Gören stürmten auf das Grundstück und freuten sich in einer Lautstärke, daß mir fast die Hacke aus der Hand fiel. So lange sie mit Kaffee und Kuchen vollgestopft wurden, gings ja noch, aber dann schwatzte ihnen Rappelzundt solche albernen Kinderspiele wie Eierlaufen und Sackhüpfen und Wurstschnappen auf, und da gings mit Karacho über Stock und Stein. Mein Mann und ich hörten natürlich kaum hin. Wenn man seinen Garten in Schuß halten will, hat man keine Zeit, sich um die lieben Nachbarn zu kümmern. Aber unsere Kinder standen dauernd am Zaun und kuckten wie zwei Kühe, wenns donnert. Ich wurde ganz schön sauer, schließlich haben die Kinder genug zu tun mit ihrem Radieschenbeet, und für die Karnickel müssen Butterstauden gestochen werden, und von einem bißchen Gießkannenschleppen sterben sie auch nicht gleich. Da platschte ein Ball in die Pfingstrosen. Ich dachte, mein Mann wird nicht mehr. Voll Wut wollte er den Ball über den Zaun schießen mit Zielrichtung Kaffeekanne, aber Gegen Gartenanarchie und Zweckent- leider traf er eine Klamotte und mit dieser die fremdung ist kein Kraut gewachsen. Hauswand, wo sich an einem Spalier die Clematis hochrankelte - bis zu diesem Augenblick. Die Klamotte wurde zu ihrem Grabstein. Mein Mann schnauzte mit schmerzverzerrtem Gesicht, daß ihm der Rappelzundt für den Schaden aufkommen muß, egal, wie er das machen will, und wenn er dem Herrn Förster in Barnim eine Clematis aus den Rippen schneidet. Währenddessen hatten unsere Kinder den Ball rübergebracht und sich von Rappelzundts einladen lassen. Mein Mann verlangte, daß ich dem Spuk sofort ein Ende bereite, aber man legt sich ja nicht gern mit den Nachbarn an. Als die Kinder nach Stunden zurückkamen, schleppten sie einen Haufen Luftballons, Lampions und ähnliche Kinkerlitzchen an und sagten, das sei ein prima Kindertag gewesen, und wenns nächstes Jahr schön wäre, dürften sie wieder mitfeiern in Rappelzundts Garten, in dem es so richtig gemütlich ist. Mein Mann hat sich schon an den Kulturbund gewandt und an die Schiedskommission, aber gegen Gartenanarchie, Zweckentfremdung und negative Beeinflussung anständiger Kleingärtnerkinder ist kein Kraut gewachsen. Da versagt der Gesetzgeber. Jedenfalls ist das ein gutes Thema für unsere Jahreshauptversammlung im Kleingärtnerverein. Den Kindertag feiern wir natürlich auch: Wenns am 1. Juni nicht regnet, gehen wir mit den Kindern ins Kino.
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Erwin F. B. Albrecht
' 10 orst~ Der Koffer kommt in vielen Variationen vor, von der heulenden Miniform »Kofferheule« bis zum voluminösen Schrankkoffer. Variabel ist auch das Material der Koffer, es reicht von der Pappe über die Kunststoffe bis zum Krokodilleder, wobei sich der Vermerk erübrigt, daß beim Krokokoffer nicht nur das Material, sondern auch die Preise nicht von Pappe sind. Die größten Kaffer nehmen nicht nur den Reisebedarf, sondern auch die Reisenden selber auf, haben unten Räder und heißen
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Wohnwagen. Mit ihren Bewohnern haben sie eins gemein: Sie hängen am Auto. Andere Reisende, die wegen ihres Koffers besonders auf der Hut sein wollen, stellen sich natürlich auf Hutkoffer ein. Und wer bei dem unterwegs vorkommenden Ärger leicht in die Luft geht, besorgt sich einen Luftkoffer. Verbleiben wir bei dem normalen Reisekoffer. Er wird entstaubt, aber nicht entzettelt, denn die Klebezettel bedeuten beispielsweise für die Familie Kagelmann das gleiche wie Stocknägel für den repräsentationshungrigen Wanderer. Der Klebezettel dokumentiert, daß das Ehepaar Kagelmann nebst Söhnchen in Oberrumpelhausen das Hotel »Zum Waldgesäusel« beehrt haben, in Quiekenhagen bei Berlin das HO-Hotel »Zum Goldbroiler« und natürlich in Vama das Strandhotel »Pfirsichblüte«.
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Die Klebezettel bleiben also dran, während Mutti Kagelmann routiniert zu packen beginnt und Vati die Kofferschlüssel sucht, die auch Himmelsschlüssel heißen könnten, weil Vati mindestens dreimal flucht: »Himmel, wo hast du die Mistdinger bloß verbuddelt, Frau!« Schließlich finden sie sich in seiner Urlaubszigarrentasche. Keiner versteht wie Mutti den Koffer bis auf den letzten Kubikmillimeter vollzustopfen. In ihrem linken Winterhausschuh (man kann nie wissen) bringt sie mindestens zwei Bürsten, eine Dose Krem, drei Schuhlappen, eine Büchse Heringshappen (für alle Fälle) unter. Und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn im rechten Schuh neben Vatis Elektrorasierer und einer Rolle Klopapier nicht auch noch Flibol und Tipp fix Platz fänden (wegen der Mücken). Schließlich ist der Koffer voll. Um die Schlösser zum Einschnappen zu bringen, muß sich die ganze Familie geschlossen auf den Deckel setzen. Aber erst nachdem gegen Sohnis Protest die zusammenklappbare Kinderschaukel wieder rausgeflogen ist, hats geschnappt, und das gleich mehrfach: Die Schlösser sind zugeschnappt, Sohni ist eingeschnappt, Mutti schnappt nach Luft und Vati sich die letzte Flasche Pils. Und jetzt packt Kagelmann den Koffer, um mal das Gewicht zu testen. Kricks, reißt das Ende des betagten Kunstledergriffs aus dem Metallbügel. »Himmel und Zwirn!« donnert Vati. »Das ist ja denn doch zum Kofferheulen! «
MoorosOiollo9iseAo erl(OHHtHiS oi1tos Ostsoo~ra"~Oors Der albernste Fisch ist die Flunder: Man tritt dauernd drauf, und sie nimmts in Kauf da ist ihre Plattheit kein Wunder! Das schlauste Vieh unter Fischen ist sicher der Aal: Den konnt ich nicht mal geräuchert im Laden erwischen.
Rudi Strahl
Heißer Sommer
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John Stave
stsaaIn wenigen Jahren wird es soweit sein: Da wird ein Tag kommen, an dem sämtliche Bürger der DDR (mit Ausnahme der Bürger, die sowieso ans Schwarze Meer fahren) am 1. Juli in der Ostsee baden wollen. Einer, der den Zug verpaßt hat, kommt noch angerannt. In HERINGSDORF zur Kurverwaltung: »Haben Sie noch ein Bett für mich?«
»Ja, wir haben hier noch ein Zweibettzimmer, das nicht richtig ausgelastet ist. Es befinden sich erst 149 Urlauber drin«, sagt die Kurverwaltung. »Dann hab ich ja noch mal Glück gehabt!« ruft der letzte Urlauber beglückt aus und geht ins Wasser. Am Konsum in ZEMPIN stehen 4 789 Leute Schlange nach Schrippen. ZINNOWITZ beherbergt an diesem bewußten Tag allein 1,8 Millionen Urlauber. Vor dem Selbstbedienungs-Gasthaus »Einheit« werden die Hungrigen aus kleinen Kanonen mit MenükoFeinfrost-Buletten beschossen. Der KOLPINSEE wird ausgebaggert, gekachelt und von der Brause-Feuerwehr mit Limonade gefüllt. Die Getränkeversorgung in Kölpinsee und Loddin ist damit gesichert. Die Oberförsterei NEUPUDAGLA schießt alle frei herumlaufenden Ochsen gleich mit Spießen, so daß nur noch Feuer unter
>>Wer an Land gehen will, empfängt sofort eine tischfertige Konserve, ein Kl.appstühlchen und zwei Flaschen Brause. Es ist verboten, die Sachen in der Stadt zu verscheuern!<<
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Heißer Sommer
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TECHNiSCHER, DiREKTOR,
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den erlegten Tieren angemacht werden muß. Die Verteilung der Ochsen am Spieß liegt in den Händen der Fischbratküchen des HO-Kreisbetriebes WOLGAST. Das Kulturhaus in MURCHIN wird zur Snackbar für ganz Usedom umgebaut. Der Bürgermeister von KARLSHAGEN führt am Strand vor, wie man ohne größere Verletzungen oder Brüche aus einer Tiefkühlassiette Sauerkohl essen kann. Die FDGB-Heime in Friedrichroda (Thür.) werden nach BANSIN (Us.) umgesetzt. Unter Anteilnahme von 17559 unterkunftslosen Urlaubern wird in AHLBECK durch den FDGB-Feriendienst ein Bettenhaus für zwölf Personen eingeweiht. •• UCKERITZ: Vor 500000 begeisterten Zeltlem verspeist der Direktor von Menüko eine in seinem Betrieb vorbereitete kochfertige Kartoffel und geht daran zugrunde . Die Wassertemperatur beträgt an diesem Tag in TRASSENHEIDE elf Grad im Schatten. Luft: dick.
KAU~ftth:NN.
DiREKTOR.
Wenn zwei sich flachsen, freut sich der dritte. Daher waren Walter und Hans im ganzen Ferienheim so beliebt, und wo ein Witzduell zwischen ihnen entbrannte, sammelten sich Zuhörer. So schlenderten wir auf dem Wege zum Kurkonzert wie zufällig hinter den beiden her. Und schon ging's los. »In deinem Betrieb herrschen ja jetzt anscheinend wunderbare Zustände«, sagte Walter, Angestellter des Berliner Magistrats, zu dem Freund, »da scheint ja jetzt wirklich alles zu schlafen. Wohl den Sauregurkenschlaf?« »Sauregurkenschlaf? Wieso denn?« »Na, ich hab gehört, sie haben eurem BGL-Vorsitzenden vor vierzehn Tagen aus Ulk den Schreibtisch zugenagelt.« »Na und?« »Das hat der Mann bis heute nich jemerkt ... « »Och, det is noch jarnischt«, entgegnete der andere, »in euer Rathaus soll doch neulich een entsprungener Löwe einjedrungen sein. Det haben se sojar erst nach vier Wochen jemerkt.« »Das ist ja nun Blödsinn, mein Lieber«, opponierte Walter. »Wovon soll denn der Löwe in der ganzen Zeit gelebt haben?« Hans guckte sich um und zwinkerte uns zu. Dann meinte er trocken: »Der hat jeden Tag een Abteilungsleiter jefressen ... «
Höher, schneller, weiter
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Ernst Röhl
Dieter Fromm und Jürgen Haase sind in aller Munde, wie man so sagt. Schön. Doch wer spricht eigentlich von Fidelio, der allein wesentlich schneller rennen kann als Fromm und Haase zusammen? Im Sport-Echo drucken sie ellenlange Riemen über Mittelstreckler, die die Meile unter vier Minuten laufen. Ein Rennpferd, Herrschaften, das die Meile nicht in wenigstens zwei Minuten schafft, braucht sich gar nicht erst zum Ziel zu bemühen, sondern kann gleich den kürzesten Weg zur PonyDiele einschlagen. So siehts doch aus. Im Mittelpunkt steht der Mensch. Ein Pferd kann sich zehnmal die HakRennpferde lassen in puncto Verkehrs- ken ablaufen; es rangiert in der Sportberichtsicherheit zu wünschen übrig. erstattung selbst dann noch unter »ferner liefen«, wenn es gewonnen hat. Ich finde, es ist an der Zeit, mit diesem Brauch zu brechen und auch mal Notiz von den Leistungen derjenigen Athleten zu nehmen, die ihren Sport auf vier Beinen ausüben. Kürzlich fand in Wroclaw das Meeting der besten Vollblutpferde aus Polen, Ungarn, Bulgarien, der Sowjetunion, der CSSR und der DDR statt. Während des vorausgegangenen Meetings in Hoppegarten bei Berlin hatten unsere Pferde die Order, unbedingt vor der Gegnerschaft im Ziel einzutreffen. Das gelang leider in keinem Rennen. Um einen derartigen Einbruch in diesem Jahr zu verhindern, packte ich meinen Koffer, eilte auf dem Schienenweg schnurstracks an den Ort des Geschehens und klopfte auf der Rennbahn Wroclaw-Partynice an die Stalltür der DDR-Delegation. »Verstehen Sie denn was von Pferden?« fragte Trainer Lehmann. »Das will ich meinen«, sagte ich. Schließlich habe ich schon im frühen Kindesalter ein ungebärdiges Schaukelpferd zugeritten. Später beim Turnen übersprang ich das Pferd nicht achtlos, sondern demonstrierte meine Liebe zum Pferd stets, indem ich mich rittlings auf dasselbe setzte. »Sind Sie jemals von einem Rennpferd abgesetzt worden?« fragte der Trainer. »Von einem Rennpferd nie!« entgegnete ich wahrheitsgemäß. Obwohl mich dieser Umstand als Jockei empfahl, verzichtete ich auf alle Ritte und ließ mich bescheiden als Stallbursche engagieren. Und das war gut so, denn wie ich kurze Zeit darauf feststellte, lassen Rennpferde trotz der hohen Geschwindigkeit, die sie entwickeln, in puncto Ver-
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kehrssicherheit zu wünschen übrig. Kein Lenkrad, keine Hupe, nicht einmal ein simples Katzenauge am Hinterrad. Das einzige, was entfernt an ein Motorrad erinnert, ist der Sattel. Um meinen Stallburschenverpflichtungen nachkommen zu können, brauche ich nur noch ein Quartier. Leider ist im Stall keine Box mehr frei, wo ich mein müdes Haupt auf einen Habersack betten könnte. Die Hotels der Stadt sind gastlich, aber leider nicht gastfrei. Die Zimmervermittlung hat jedoch noch ein wohnliches Stübchen in petto bei der duften Oma Grzeczuk. Ich sage: »Dzien dobry ... «Sie: »Guten Tag.«Damit haben wir beide unseren deutsch-polnisch polnisch-deutschen Sprachschatz erschöpft. Immerhin ermittele ich durch Hoppe-hoppe-ReiterGebärden, daß die wyscigowy, also die Rennbahn, mit der Straßenbahn zu erreichen ist. Allerdings dauert die Fahrt fast eine St11nde. Das ist eine gewisse Härte, denn das Tagwerk eines Stallburschen verlangt den Heroismus des Frühaufstehers, der mir im Grunde fremd ist. Kaum daß ich zu Bett gegangen bin, stehe ich also wieder auf. Es gelingt mir tatsächlich, mich den Kollegen anzuschließen, die auf dem Weg zum Stall sind. Dort setzt freudiges Gewieher ein, sobald die Renner die trauten Stimmen ihrer Pfleger vernehmen. Wahrscheinlich haben sie einen gehörigen Brand in der Kehle. Wer könnte das besser verstehen als ich! Dann mache ich die Bekanntschaft der durstigen Seelen. Sie heißen Fidelio, Wmton, Bergfried, Angola, Monet. Ulkige Namen. Aber es kann ja nicht jeder Mike, Denis oder Kai-Uwe heißen wie die Schulanfänger heutzutage. Ich halte mich nicht lange mit Begrüßungsformeln auf, sondern bringe Monet eilends den ersehnten kühlen Trunk. Ein Glas Wasser, bis zum Rand gefüllt. Das ruft allgemeines Kopfschütteln hervor. Die vierbeinigen Athleten wünschen die kalte Labsal eimerweise. Bitte sehr, gleich! Einen Eimer Wasser für Monet. Er leert ihn im Handumdrehen bis zur Neige. So einen Zug habe ich noch nicht erlebt, zumindest nicht im Zusammenhang mit Wasser. Hernach gibts eine Portion Hafer samt Kraftfutter-Dessert. Im Anschluß an die Fütterung werden die Boxen gesäubert. Pferde machen Mist, wie man weiß. Einen Haken allerdings hat die Sache: Der Apfel fällt nicht weit vom Pferd, die launische Angola, in deren Box ich mit Hand anzulegen versuche, hat es nicht nur faustdick hinter den Ohren. Sie hat auch eine lockere Hinterhand, mit der sie mich schlagfertig begrüßen möchte. Gewiß sticht sie Hafer. Es glückt mir, ihrem Hinter-Hand-
Auf die Plätze ...
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... fertig ...
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... los!
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>>Wem sagen Sie das? Bei mir sinds die Bäume, die ausschlagen.<<
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schlag auszuweichen. Ich kann solche Vertraulichkeiten nun mal nicht ausstehen, vor allem nicht auf nüchternen Magen. Mittlerweile ist der Morgenspaziergang fällig. Die Jockeis und Pfleger nehmen unerschrocken auf den Pferden Platz. Dann geht es schrittweise im Kreis herum, Gänsemarsch. Es ist Sitte, daß die Damen den Herren Vortritt lassen, damit letztere beim Anblick des schönen Geschlechts nicht auf dumme Gedanken kommen. Auch Pferde haben kein Herz von Stein. Für Flirts ist ohnehin keine Zeit, denn die Morgenarbeit beginnt. Die Pferde müssen auf dem grünen Rasen ein paar hundert Meter »schnell gehen«, worunter etwa sechzig Sachen •• zu verstehen sind. Ubung macht den Meister. Das Training verläuft ohne Nervosität von Roß und Reiter. Zwei Tage später allerdings, kurz vor dem Rennen, kann Monet ein gewisses Startfieber nicht unterdrücken. Wer wollte es ihm verdenken! Schließlich ist er nicht im Ausland, um sich die Beine zu vertreten. Sondern die Republik. Die Rennbahn in Wroclaw hat ihren großen Tag. An allen Ecken und Enden Fahnen und Schlachtenbummler. Sie wollen ihre Favoriten gewinnen sehen, und sie lassen sich das vor den Totalisatoren schon einen Zwanzig-Zloty-Schein kosten. Sie nehmen Platz oder setzen auf den Sieg ihres Pferdes. Auf »los!« gehts los. Auch in Wroclaw. Allerdings heißt »los!« hier »jazda!« Bis zu diesem Grad müssen Roß und Reiter die Landessprache beherrschen. Nach fünf Rennen hat das Publikum eine hohe Meinung von der Höflichkeit unserer Pferde, die den Siegerkranz fünfmal andern überließen. Das sechste Rennen bestreiten Monet und Fidelio. Fidelio übernimmt die Rolle des Schrittmachers, schlägt gleich eine harte Gangart an und zermürbt die Gegner. Monet sieht sich die Sache lange vom letzten Platz an, aber als das Ziel näher rückt, macht er sich auf die Socken und siegt vor zwei starken polnischen und zwei ungarischen Gegnern. Triumph, Applaus, gewonnen! Wetterlage an den Toto-Schaltern: Moneten für Monet! Siegerehrung. Das Zaumzeug von Monet wird mit der rotweißen Siegerschleife geschmückt. Die DDR-Hymne ertönt. Ich stehe dabei, gerührt, siegesbewußt, Stolz in der Brust. An diesem Sieg habe auch ich meine schwerwiegende Aktie. Schließlich spielte ich im Stall eine tragende Rolle. Ich trug - erinnern Sie sich? - einen Eimer Wasser für Monet.
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Hier wird Billard gespielt und nicht Fernsehturm l"
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1 Beim Spiel von BFC Dynamo gegen Union geht es heiß ! her, es kommt zu einer Rangelei zwischen zwei Spie1 lern. Der Schiedsrichter zieht die rote Karte für den Unioner. Als der protestiert, sagt der Schiedsrichter: »Ich habe genau gesehen, daß du als erster zurückgeschlagen hast. «
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Nun bringt die Hausfrau wieder die Gefäße aus Glas und Porzellan in Sicherheit. Und in den Sesseln brüten die Gesäße beim heißersehnten Fernsehdauerfight. Herr Schultz begrüßt Europas harte Männer, geht in den Tele-Clinch und simpelt fach. Denn auch die weichen fühlen sich als Kenner beim Bildschirmnahkampf unterm eignen Dach.
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Man sitzt zu Haus in der neutralen Ecke und führt bei einem Täßchen Tee Regie. Man macht die einen innerlich zur Schnecke und schenkt den andern seine Sympathie.
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Man ist stets um zwei Conterschläge schlauer und immer einen Uppercut voraus. Man trifft gestochne Linke viel genauer und wenn man punktet, punktet man gleich aus.
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Trotz bester Kondition sind dann die Nerven nach ein paar Stunden meistens Häckerling. Die teure Gattin muß das Handtuch werfen und nimmt den Gatten kampflos aus dem Ring. Noch im Pyjama tritt er vor den Spiegel und meint: Wenn ich an deiner Stelle wär ... Ein Blick der Hausfrau auf den Eisbeinhügel hart unterm Brustbein - und er boxt nicht mehr!
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Ralph Wiener
Die »Lauf-dich-gesund-Bewegung« war im vollen Gange. Alle Bürger vom vierten bis zum vierundneunzigsten Lebensjahre waren aufgefordert worden, am Sonntag früh um sieben zum gemeinsamen Langstreckenlauf zu erscheinen. »Die Sache hat etwas für sich«, sagte Herr Cornfeld und legte rund um seinen Garten eine Aschenbahn an. Dann begann er zu laufen. Jeden Morgen pünktlich um sieben zog er seine Kreise. Er lief genau 1500 Meter. Keine besonders lange Strecke, aber es genügte. Die »Lauf-dich-gesund-Bewegung«wurde von Herrn Comfeld beharrlich verwirklicht. Die verantwortlichen Organe der Kreisstadt Polzau jedoch runzelten die Stirn. »Was ist das für eine Art«, rief Bürgermeister Krone in einer Stadtverordnetenversammlung aus. »Wir wollen uns alle in einer modernen, gesundheitsfördernden Bewegung zusammenschließen, wollen gemeinsam dokumentieren, wie positiv das tägliche Laufen zu werten ist - und da läuft einer um seinen Garten herum. « »Individualist«, ertönte es aus der Versammlung. »Außenseiter! « »Das soll gesund sein?« Die Wellen der Empörung machten sich freien Lauf. Schließlich erhob sich der Redakteur der Kreiszeitung. »Mich trifft dieser Vorfall am schwersten«, sagte er. »Was soll ich auf unserer Sportbeilage berichten? Daß sich die >Lauf-dich-gesund-Bewegung
Eine DDR-Sportlerin zeigt ihrer Oma auf dem Globus, wo sie überall schon gewesen ist. »Guck mal, Oma, hier ist Afrika. Und hier ist Asien. Und hier war ich auch schon, hier ist Amerika.« Fragt die Oma: »Und wo ist die DDR?« Die Enkeltochter zeigt es ihr: »Da, siehst du, der klitzekleine, winzige Punkt hier, das ist die DDR.« Da fragt die Oma ungläubig: »Du, weiß das der Honeclier? «
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»Hören Sie zu«, unterbrach Sport-Sekretär Schilasky die Beteuerungen. »Es geht nicht nur darum, daß Sie laufen. Wir wollen über unsere >Lauf-dich-gesund-Bewegung< berichten. An den Rat des Bezirkes und vielleicht noch höher. Verstehen Sie?« Herr Cornfeld verstand nicht. »Mann«, drängte Kollege Jungnickel, »wenn jeder für sich läuft, davon haben wir nicht den geringsten Nutzen. Das spielt sich im stillen ab. Was wir wollen, ist eine Massenbewegung, eine Dokumentation der Volksgesundheit!« Aber da hatte Herr Cornfeld schon die Tür verschlossen. »Irgendwas haben wir falsch gemacht«, sagte der Sport-Sekretär zu der übrigen Delegation, und Kollege Wenn Cornfeld anerkannter DDR-Meister Jungnickel meinte, er wolle sich gelegentwird, gibt das bei uns Großen Bahnhof! lich etwas Besseres einfallen lassen. Unterdessen lief Herr Comfeld treu und brav seine Runden. Täglich 1500 Meter. Bei Wind und Wetter. Und von Woche zu Woche wurde er schneller. So eifrig war er in sein tägliches Laufen vertieft, daß er gar nicht merkte, wie sich der Vorsitzende der BSG Stahl, Sportfreund Weichleder, hinter einem Busch niederließ und interessehalber die Zeit stoppte, welche Herr Comfeld für die 1500 Meter benötigte. Nach Beendigung des Laufes blickte Weichleder auf die Uhr. Seine Hand begann zu zittern. Schweiß stand auf seiner Stirn. Fiebernd vor Aufregung lief er zum Sportplatz der BSG, wogerade für die kommenden Bezirksmeisterschaften trainiert wurde. »Das ist nicht möglich!« rief er schon von weitem. »Das glaubt ihr nicht, Leute. Seht auf meine Uhr!« Die Sportfreunde umringten ihren Vorsitzenden. »Das braucht Comfeld für die 1500 Meter«, stammelte Weichleder. Freund Bachmann, ein erfahrener Leichtathletik-Trainer, blickte auf den noch zitternden Zeitmesser. »Das bedeutet Bezirksmeister«, sagte er. »Ein Bezirksmeister in Polzau«, rief Sportfreund Krause. »So etwas hat es noch nicht gegeben!« »Wir stellen den Bezirksmeister!« jubelten die Sportler. Der Vorsitzende hob die Hand. »Moment!« beschwichtigte er. »Wir können den Bezirksmeister nicht stellen.« »Warum nicht?« entgegneten die Sportler. »Weil wir Herrn Cornfeld nicht melden können«, stellte Weichleder fest. »Er gehört keiner BSG an.«
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»Aber er läuft die 1500 Meter in einer phantastischen Zeit!« betonte Bachmann. »Das schon«, stimmte Weichleder zu, »aber privat.« Die Sportfreunde begriffen nicht. »Die Sache ist die«, erklärte der Vorsitzende, »um an einem offiziellen Wettkampf teilzunehmen, muß man irgendwie organisiert, also Mitglied einer BSG sein. Herr Cornfeld läuft lediglich um seinen Garten herum. Wer soll den da vorschlagen?« »Vielleicht die Kleingartensparte«, meinte Freund Krause. Weichleder reckte sich empor. »Es bleibt nur ein Weg offen: Wrr müssen diesen Herm Cornfeld überreden, unserer BSG beizutreten.« Dann gingen sie zu Cornfeld. »Wenn ich Sie recht verstehe«, sagte der Gartensportler, »wollen Sie, daß ich an irgendwelchen Meisterschaften teilnehme. Das ist es gerade, was ich nicht will. Nichts verachte ich so sehr wie eitlen Ruhm. Ich laufe, um mich gesund zu erhalten. Auf billigen Lorbeer bin ich nicht erpicht.« »Menschenskind«, raunte Weichleder, der sich kaum noch beherrschen konnte, »z11m erstenmal in der Geschichte des Sports hat unser Polzau die Aussicht, einen Bezirksmeister zu stellen - und das wollen Sie uns versauen?« »Ich bitte Sie«, sagte Herr Cornfeld, »wir wollen doch etwas den guten Ton wahren. Oder ist es bei uns so, daß jemand gegen seinen Willen gezwungen werden kann, einer BSG beizutreten?« »Das nicht«, gab Weichleder kleinlaut zu und zog mit den Sportfreunden unverrichteterdinge ab. Die Bezirksmeisterschaften lagen einige Wochen zurück, als es in der BSG Stahl eine ungeheure Aufregung gab. »Ich werde wahnsinnig!« schrie Weichleder. »Es ist nicht zu fassen! Heute früh habe ich Cornfelds Zeit gestoppt. Der Mann läuft DDR-Rekord! Ein DDR-Meister in Polzau!« In Windeseile verbreitete sich die Kunde. »Stell dir vor«, sagte Trainer Bachmann zu seiner Frau, »dieser Cornfeld läuft DDR-Rekord. Wenn wir den in unsere BSG kriegen, geht es mit uns allen bergauf. Ich, Trainer Bachmann. habe ihn so weit gebracht, wird es heißen. Das bedeutet, ich werde vielleicht zentraler Verbandstrainer! Na, und unser Bürgermeister erst! Wenn Cornfeld anerkannter DDR-Meister ist, gibt das in Polzau einen Großen Bahnhof. Der Bürgermeister hält die Willkommensrede. Weißt du, was das bedeutet? Wrr alle klettern eine Treppe rauf!«
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))Ist gut, wir glauben es Ihnen ja!«
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)) . . . kann man fest damit rechnen, daß sich jedermann entgegenkommend zeigt/<<
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»Aber nicht, solange der in seinem Garten rumläuft«, schränkte Erna Bachmann ein. »Da hast du recht«, gab der Trainer ernüchtert zu und versank in angestrengtes Grübeln. Eine Woche später berief der Kreisausschuß für Kultur, Bildung und Sport eine Sondersitzung ein, zu welcher Herr Comfeld eingeladen wurde. »Meister Cornfeld«, sagte Kollege Jungnickel, »durch unermüdliches Training haben Sie den bisherigen DDR-Rekord im 1500Meterlauf eingestellt. Die Kreisstadt Polzau ist stolz auf Sie! Ich kann Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß Ihnen die Ehrenmitgliedschaft in der BSG Stahl verliehen wurde und sie zu den DDR-Meisterschaften nach Leipzig . delegiert werden.« Max Cornfeld lächelte einfältig. »Ihre Entscheidung in allen Ehren«, erwiderte er, »aber erstens nehme ich die Ehrenmitgliedschaft nicht an, und zweitens nehme ich prinzipiell an keinen Meisterschaften teil. Jeglicher Ruhm ist mir zuwider.« Kollege Jungnickel und Sekretär Schilasky nahmen infolge restloser Erschöpfung ihren Jahresurlaub. Als sie zurück waren, lief Max Cornfeld Europarekord. »Dieser Gartensportler bringt uns alle ins Irrenhaus«, schnauzte Bürgermeister Krone. »Wie könnten wir dastehen! Aber von jetzt ab weht ein anderer Wind: Er soll sehen, wohin Eigenbrötelei führt! Das Kollektiv der Stadt wendet sich von ihm ab.« Das war für Herrn Cornfeld zuviel. Er schwor den Polzauern bittere Rache und zog nach Wilkenau, einem Ort, der über dreihundert Kilometer von Polzau entfernt war. Kurze Zeit später erschien eine Meldung in sämtlichen Zeitungen: »Max Comfeld, Mitglied der BSG Aufbau in Wilkenau, lief bei den Olympischen Spielen im 1500-Meterlauf Weltrekord.«
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Unter vier Augen
Hansjoachim Riegenring
ie ller ~ rer Das Mädchen saß uns gegenüber und lächelte aus einem uns unbekannten Grunde vor sich hin. »Hübsch, nicht?« sagte mein Freund Eduard. »Hm.« »Diese Haare.« »Hmhm.« »Bestimmt hat sie grüne Augen.« »Möglich.« »Und wie sie lächelt!« »Aber der Rock ist etwas zu lang.« »Eine Frau, die so lächelt, braucht kei' nen Minirock.« »Das stimmt«, gab ich zu. »Sicher eine Ausländerin.« »Wie kommst du darauf?« »Ich habe einen Blick dafür.« »Angeber.« »Brauchst sie ja nur zu fragen.« »Frag doch selbst.« »In Ordnung«, nickte Eduard. »Ich gehe jetzt hin und frage, ob ich sie zu einem Spaziergang einladen darf.« »Haha.« . . . . . .__. ,,.~ »Traust du dich etwa?« »Natürlich. Aber ich mache das nicht so plump. Ich sage etwa: Guten Tag, meine Dame, gestatten Sie, daß ich mich zu Ihnen setze, ohne Ihnen nahezutreten?« »Habe ich mir gedacht«, schmollte Eduard, »daß du es wieder auf die Witzige versuchst.« »Sehen Sie, werde ich weiter sagen, ich bin ein Mann, der ... « »Bedaure, mein Herr«, flötete Eduard mit Frauenstimme, »erstens lege ich keinen Wert auf Ihre Bekanntschaft, und zweitens mache ich mir nichts aus Männern.« »Darauf werde ich antworten: Das trifft sich gut. Ich auch nicht.« »Weiß schon«, seufzte Eduard, »dann muß sie lachen, und du hast gewonnen. Aber eine Chance mußt du mir auch geben.« ~
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>>Und wenn du tausendmal Herzchirurg bist: Hör endlich auf, dir andauernd Notizen zu machen.<<
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Unter vie r Augen
»Ist gemacht. Sie nimmt also deine Einladung zu einem Spa• z1ergang an.« »Danke. Ich frage, wohin sie gehen möchte, und sie sagt: Zum Fernsehturm.« »Meinst du?« »Ja. Weil sie nämlich im Turmrestaurant Kaffee trinken will.« »Interessant. Bin gespannt, wie du reagierst.« »Ich sage: Dafür ist es noch zu früh, mein Fräulein. Aber wenn Sie nichts dagegen haben, leiste ich Ihnen bis zur Eröffnung Gesellschaft.« Er zwinkerte mir listig zu. »Das ist etwa in einem dreiviertel Jahr!« »Donnerwetter«, rief ich ehrlich erstaunt, »was sind wir heute raffiniert und schlagfertig! Was machst du n11n mit ihr?« »Ich werde sie zum Tanzen auffordern«, sagte Eduard. »Sie kann gar nicht tanzen.« »Sie hat dir wohl einen Korb gegeben?« »So geht es nicht«, protestierte ich. »Wir müssen uns einigen. Entweder sie kann tanzen oder nicht.« »Sie kann nicht«, gab Eduard nach. »Bist du wenigstens damit einverstanden, daß sie einen netten kleinen Schwips hat?« »Einverstanden.« »Gut. Eine Taxe fährt vor. Wrr steigen ein. Sie lehnt sich an mich. Meine Hand legt sich auf ihre ... « »Nun komm«, bremste ich, »laß mich auch mal ein Stück mit der Dame fahren! Sie lehnt sich an mich mit glücklichem Lächeln ... « »Das habe ich vergessen«, sagte Eduard bedauernd. »Ich streichle ihre Haare, ihren Nacken, ihren Hals, ihren ... « »Ich weiß«, winkte Eduard ab, »du warst immer schon mutiger als ich. Das letzte Stück gehen wir natürlich zu Fuß. Was hältst du davon, daß sie übermütig die Schuhe wegschleudert?« »Das machen viele. Nein, sie verdreht beim Gehen die Füße ganz nach innen und fragt, ob ihr das gut steht.« »Aha. Das kannte ich noch nicht.« »Wrr kommen an die Haustür. Sie sieht mich lange an. Legt die Arme um meinen Hals. Und dann ... « »Ein Kuß.« Eduard schloß mit glücklichem Lächeln die Augen. »Ein Kuß«, flüsterte ich, »ein langer heißer Kuß.« Eduard boxte mich in die Seite. »Uns kann so leicht keine Frau widerstehen, was?« »Völlig unmöglich«, grinste ich. Dann standen wir auf und gingen. An dem Mädchen vorbei.
Es lebe der Fernsehturm mit Walter llibricht an der Spitze!
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Lothar Kusche
Man kann das Telefon für ein Instrument zur Vermittlung wichtiger persönlicher Nachrichten halten, man kann es aber auch wie ein Spielzeug zur privaten Massenkommunikation handhaben, und eben dies tut meine Freundin Natalie mit Leidenschaft. Ich trete unverhofft in die Wohnung, den Hut noch auf dem Kopf, weil der Nagel, da ich ihn selber eingeschlagen habe, längst aus der Wand gefallen ist, werde mit der Andeutung eines Kopfnickens begrüßt und höre: »Na, du alte Tüte; jetzt versuch ich es schon zum vierhundertsten Mal. Was machen denn die Kinder? So. Hm. Da geht das Fieber meistens genauso schnell weg, wie es kommt. -Ach, der ist gestorben? Na so was. - Nu paß mal auf. Die neueste Super-Schote. Meinhard ·ttl ·i K lt Dippel ist rausgeschmissen worden. Ja, raus. Eb D1e r sensuppe, m1 erwe1 e zur a . . · kt b t .. bt . f geschmissen. Er hat sich an der Portokasse sc ha1e ers tarrt, bl 1c e ru zu mir au . vergriffen. Ich wußteesJa, · dasmußteJa · k ommen, er hatte schon immer diese knallbunten Schlipse ... was kocht bei dir über? - Na gut, ich wollte dir das bloß mal erzählen. Tschöh. « Inzwischen ist mir eingefallen, daß ich meinen Hut auf den gipsernen Franz Liszt plazieren kann, der als Erbstück die obere Seite unseres Klaviers ziert, und ich will soeben eine höfliche Frage, das Mittagessen betreffend, in den Raum gleiten lassen, aber Natalies rastlose Telefonfinger sind schon wieder mit dem Wählen beschäftigt. »Hier bin ich! Rufe schon seit Tagen an. Sitzt ihr auf den Ohren? Sag mal, du kanntest doch Dippel, nicht? Meinhard Dippel! Ja, genau den meine ich. Nun stell dir mal vor, der war doch bei Schneusenheim angestellt, bei dieser Bude, die solche Dingspieperichverschlüsse machen oder so was. Und nun haben sie ihn gefeuert, verstehst du? Er ist zackig auf die Straße geflogen wie ein altes Fensterleder, weil er Briefmarken geklaut hat. Doll, wa? - Ja, meinem Alten gehts soweit gut, der steht hier rum und glotzt. -Also bis später dann. Grüß dich. Ja, den auch.« Ich benutze die Pause, um tief durchzuatmen, doch schon wird der nächste Partner drahtlos angesprochen. »Ich dachte schon, euch gibts gar nicht mehr. - Ja, ja. - Also ganz kurz. Dippels Meinhard hat seine dreckigen Finger etwas
Unter vier Augen
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zu tief in die Portokasse gesteckt, und darauflrin hat ihm der alte Schneusenheim empfohlen, sich zu empfehlen. Dippel, nicht Schneusenheim. Er liegt auf der Straße. Fristlos entlassen. Dippel, Mensch! Nicht Schneusenheim. Dem seine Briefmarken waren es ja. Bis nachher!« Ich nehme im Sessel Platz, vorsichtig, weil der Sessel alt ist und zuweilen knarrt, wie alte Sessel und Menschen das an sich haben. »Natalie«, hauche ich, und ein liebenswürdiges »Nu warte doch mal einen Moment, du Affe« beglückt mich. Dann werden Erna, Susanne, Jutta, Berta und die andere Jutta darüber verständigt, daß Meinhard Dippel wegen Veruntreuung von Portogeldem entlassen worden ist, was Natalie ganz genau weiß, weil ihr die Dippeln, also Meinhards Frau Beate, dies persönlich gestanden hat. Kaum sind zwei Stunden vergan•• . • gen, da steht schon die nur noch . TfLEF0Niß9.Hf wenig dampfende Erbsensuppe Wro
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>>Bei dem Personalmangel kann man ruhig mal einen Mann ranlassen!«
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Irene, Ema, Susanne, Jutta, Berta und die andere Jutta werden darüber aufgeklärt, daß sie von dem, was inzwischen die halbe Welt weiß, nämlich von Meinhard Dippels Veruntreuung, nichts wissen dürfen. Ich habe mir die Schuhe ausgezogen und schleiche leicht besockt (Natalie kann während ihrer Telefonate keine Geräusche - die eigenen ausgenommen - vertragen, weil sie sonst absolut nichts hört. Für den Zettelkasten notieren: Das absolute Nichtgehör) zum Wohnzimmerschrank, llm aus der darin befindlichen Blechdose einen Keks (den letzten) zu mausen. Das muntere Mädchen indes kurbelt nicht faul an der Sprechmaschine. »Lilolein! Wrr haben uns ja schon eine Ewigkeit nicht gesehen! - Wer? Ach, der! Ja, der sitzt hier neben mir. - Was soll er denn machen? Der macht doch nie was, der faule Hund. - Ja, er läßt dich auch recht herzlich grüßen ... « Alles erlogen und erstunken, kein Wort wahr. »Du, Lilolein. Ich muß ... na ja, es ist mir so ein bißchen unan. . . t h t genehm, aber ich muß es dir doch sagen. Weißt du, lh r h1rne1genes 01spa c ersys em di S h ·t D. D. D ··ff Id ,,, . ht. . d e ac e mi 1ppe1. 1ppe1. .. - oseno ner, a, hat versag t . Und fo1ger1c 19 wir . . . „rt t lb tk ·t·k ··bt zwomal die Pauke, Emil und Ladenschluß. Meinhard ha es e 5e s r1 1 geu . · t doch bei· schneugenannt , also von vom. und der 1s senheim rausgeflogen, weil er die Portokasse beklaut hat. - Wie bitte? - Na, bei Schneusenheim, dieser kleinen Firma, die irgendwas herstellen, mit dem man irgendwas zuschrauben kann. Kennst du nicht? Auch gut. - Aber Dippel kennst du doch, und nun hatte ich dir die Schote mit der Portokosse erzählt, und da . . . Seine Frau ist nämlich der Meinung, daß man das nicht weiter rumerzählen soll, verstehst du? - Wieso kennst du Dippel nicht - den Meinhard, der früher dieses griine Fahrrad hatte, als wir alle noch dachten, wir könnten auf der Schule was lernen? Den kennst du überhaupt nicht? - Na, warum hatte ich dir denn seine große Sache anvertraut, die Portogentlemen bitten zur Kasse und so weiter? - Ach, dir hatte ich das vorher gar nicht erzählt? Dann entschuldige bitte. Und nichts weitersagen, ja? Oder jedenfalls nicht sagen, daß du das von mir hast.« Erschöpft bricht Natalie zusammen. Ihr himeigenes Dispatchersystem hat versagt. Und folgerichtig wird härteste Selbstkritik geübt. In unserem Falle lautet diese: »Wenn man sieht, wie du dich hier herumräkelst, kann man wirklich keinen klaren Gedanken fassen!«
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Die sowjetische Führung beschließt, ihrem Volk im Fernsehen Striptease zu zeigen. Als es so 1 weit ist, fragt der Chefideologe. »Und, ist die Frau, die sichjetzt Millionen Sowjetbürgern nackt zeigen wird, auch ihrer Aufgabe gewachsen?« - »Aber ja, Genosse«, sagt Breshnew, »Sie ist ein zuverlässige Genossin und hat ihr Parteibuch seit 1916.« KAlfl/lt HEuTC !o/J( 4r ~0~·1M[N, [H E.f:.--·ICH LIEGE HIT
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Unter vier Augen
Johannes Conrad
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Zu Hause sagt Walter llibricht zu Lotte: »Lotte, geh mal i1m den Tisch herum.« Lotte: »Was soll denn das?« Walter: >>Nun mach mal. Und zieh dabei langsam ,'·,> . .. deine Blus'e aus:1<>.· Sie zieht die Bluse· aus. »Und nun laß mal deinen Rock fallen.« So geht das immer weiter, bis Lotte entkleidet dasteht. Da sinniert Walter: »Lotte, ich kann einfach nicht verstehen, was Kapitalisten .an.: i '"{<',; Striptease so toll ; finden.« ~·
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Reporterin: Woran denken Sie, Herr Kabbel, wenn Sie das Wort Frauentag hören? Kabbel: Frauentag? Nun, das ist eben der Frauentag. Der internationale Frauentag, nicht wahr. Das müßten Sie doch wissen. Ist das nicht der sechste März? Reporterin: Der achte! Kabbel: Richtig, der achte. Ich habe das jetzt mit dem Geburtstag von Hans Sachs verwechselt. Reporterin: Hans Sachs? Wurde der nicht am 5. November geboren? Kabbel: Ich sagte ja, ich habe das verwechselt. Reporterin: Gut! Also, woran denken Sie bei Frauentag? Kabbel: Nun, an den achten März eben! Er wurde zu Ehren der Frauen im internationalen Maßstab von uns Männern erkämpft, nicht wahr. Sozusagen ist er ein fortschrittlicher Ehrentag. Auch für meine Frau. Reporterin: Wie werden Sie den achten März begehen? Kabbel: Ich weiß doch jetzt noch nicht, wie ich den achten März begehe. Das weiß doch kein Mensch! Wenn ich nicht krank bin, werde ich sicherlich schuften. Meine Frau wird auch arbeiten. Reporterin: Dann nehmen wir den achten März des vergangenen Jahres. Haben Sie da Ihrer Frau eine besondere Freude gemacht? Kabbel: Wenn ich Sie nun fragen würde, was Sie beispielsweise Ihrem Mann am 26. Juli für eine besondere Freude gemacht haben, hähä! Reporterin: Aber der Frauentag ist doch ein besonderer Tag! Kabbel: Nun ja, für meine Frau eben. Der internationale Frauentag eben. Das haben wir ja erkämpft, nicht wahr. Er ist ein Ehren ... Reporterin: Dann will ich mal direkt fragen: Schenken Sie Ihrer Frau am Frauentag nicht wenigstens Blumen? Kabbel: Blumen? Die bekommt sie doch im Betrieb! Reporterin: Sie schenken Ihrer Frau also nicht einmal Blumen? Kabbel: Aber natürlich doch! Zum Geburtstag kriegt sie meist welche. Reporterin: Und den Frauentag feiern Sie nicht?
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Kabbel: Ich bin doch keine Frau, hähä. Bei Feiern fällt mir ein: Wir Männer haben am letzten Frauentag die Frauen unseres Betriebes in der Kantine bedient. Dabei trugen wir weiße Tändelschürzchen, hähä. Sogar unser BGL-Vorsitzender! Das werden wir wohl in diesem Jahr wieder tun. Jetzt weiß ich es wieder, weil ich am nächsten Morgen diese außerordentlichen Kopfschmerzen hatte. Reporterin: Außerordentliche Kopfschmerzen? Kabbel: Nun, das Ehrenbedienungspersonal hat sich nach der Anstrengung noch auf einen kleinen Umtrunk begeben. Verdientermaßen sozusagen, nicht wahr.
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)>Na und? Du siehst mich doch sowieso nur von dieser Seite!«
Reporterin: Und die Frauen? Kabbel: Die sind natürlich nach Hause geganqen. Wir konnten doch nicht mit den Kolleginnen losziehen. Was hätten da unsere lieben Gattinnen gesagt! Reporterin: Wo waren denn Ihre lieben Gattinnen? Kabbel: Die waren auch zu Hause. Wir konnten sie doch nicht an ihrem Ehrentag auf diese dumme Sauftour mitnehmen! Reporterin: Dann wünschen wir Ihnen auch für dieses Jahr die außerordentlichen Kopfschmerzen, Herr Kabbel! Und ein heftiges Dankeschön für Ihre aufschlußreichen Worte!
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Erwin F. B. Albrecht
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»Du vertrottelst immer mehr, Otto«, stellten meine Skatkumpane im »Blauen Affen« zu Pinneleben eines Abends fest und fuhren mit verteilten Rollen fort: »Schon wieder haste dir statt ner Krawatte den Gürtel von deinem Bademantel um den Hals gewürgt.« - »Es wird wirklich Zeit, daß de heiratest, Mann. Brauchst doch nur die Null-null zu wählen.« Nun, mir war wohlbekannt, daß bei uns in Pinneleben über die Null-null die probeweise eingerichtete Eheanbahnung der Deutschen Post zu erreichen war. Ebenso wußte ich, daß unser Fernmeldeamt bei der Vermittlung von Ehen bereits mehr Erfolge aufzuweisen hatte als bei der Vermittlung von Ferngesprächen. Ich überwand also meine notorische Schüchternheit und wählte andertags die Null-null. »Eheanbahnung Platz 17. Tante Kornelia«, meldete sich eine h F h tt . h . . nicht unflotte Amselstimme. Die Namensnennung . . .. E1ne so 1c e rau a e 1c 1n meiner . hatte man eingefuhrt, um den Verhandlungen Schulzeit gesehen, auf dem Rummel, . . t· h .. · h Ch akt 1 ih di . . emen m 1msp ansc en ar er zu ver e en, e als Herkul1ssa, das Urwaldwe1b. Beze1c . hnung »'T'l.ant e« wie . derum d.1ent e der 111 .... i.. vvGU1rung der gebotenen Distanz zwischen Amtsperson und Heiratswütigen. »Gut, rufen Sie morgen wieder an und verlangen Sie Tante Kornelia«, schloß Tante Kornelia die Aufnahme meines Antrags. Mit Hochspannung geladen, rief ich wieder an. »Ihr Fall liegt nicht sehr schwierig, lieber Eheanwärter«, sagte die Amselstimme. »Unser Computer hat für Sie die günstigsten Erfolgschancen in Form eines Besuches im >Alten Walzerhaus< in Berlin errechnet. Es gibt dort einen Tischfernsehfunk, und sonnabends ist >Verkehrter Ball<, der verhilft auch dem Verklemmtesten zur Braut.« Ich fuhr nach Berlin. Eben hatte ich im »Alten Walzerhaus« bei dem mindestens ebenso alten Ober ein Pils bestellt und konstatierte gerade, daß die erschienene, mehr als reife Jugend wie montags für den Filmfreund ausgewählt aussah, als mein Tischfernseher klingelte. Ich stellte auf Empfang und hörte: »Schöner Mann! Ihre Glatze stört mich nicht, denn Ihr Mollenfriedhof strahlt soviel Wärme aus. Sie müssen der Meine werden.« Schön und gut, aber wie sah sie aus? Das Organ klang nach
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Adele Sandrock mit einem Schuß Louis Armstrong. »Ich bin eine noch unverbrauchte Schlächtermeisterswitwe, zart wie Schabefleisch, aber ich weiß, was ich will. Versuchen Sie also nicht, mir zu entrinnen. Alle Ausgänge sind von meinen ehemaligen Klotzgesellen besetzt. Und nun bitte ich um den nächsten Tanz, ich habe den Kokswalzer für uns bestellt.« Richtig setzte die Drei-Opas-Band mit »Mutter, der Mann mitn Koks is da« ein - da kam auch das Bild. Es zeigte Tisch Nr. 9 und eine Dame daran, die ich so ähnlich schon mal in dem Rummel. Als Herkulissa, das Urwaldweib, {a " ~efee;c~t w;„/J 11<4.r~" das mit Männern jonglierte. Jetzt erhob sie sich y, &c> ~ zu einer Länge, die sie zur Alpinistin prädesti"' ' nierte. Ein Klimmzug, und sie war oben auf dem Matterhorn. Und nun kam die Schlächterin näher, l1m mich als willenlosen Kalbsbraten auf das Parkett zu schleifen. Da sprang ich auf, hechtete durch ein offenes Saalfenster, landete in einem Gebirge ausgefegter Papierschlangen und fuhr wieder nach Hause, um mich zu beschweren. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte die Amselstimme, »wir haben inzwischen den Fehler auch schon bemerkt. Sie sollten nicht zum >Alten Walzerhaus<, sondern Sie müssen sich am nächsten Heiratswunschkonzert bei Radio DDR, 3. Programm beteiligen. Ich wünsche vollen Erfolg.« Knapp einen Monat später hielt ich einen Brief in der Hand, den ich immer wieder las. >>Lieber, alter Strolch! Wie freue ich mich, daß uns das Radio wieder zusammenführt! Weißt Du noch, wie wir als echte Berliner Rotznasen den Müggelsee unsicher machten und wie Du verrückt nach meinem Pferdeschwanz warst? Ich bin seit zehn Jahren als erfolgreiche Tapetenkunstschaffende tätig, fühle mich aber in meinem Landhaus auf dem Weißen Hirsch so allein. Was hat Dich, den begabten Apotheker, nach Pinneberg verschlagen? Du sollst mir die Stadt zeigen, und ich möchte Dich dieserhalb mit meinem Wolga besuchen. Vielleicht blüht uns beiden ein spätes Glück? Wann darf ich kommen? Immer Deine Ingelore.« Der Wolga kam, ich sah, sie siegte. Zwar war Ilo für meinen Geschmack ein wenig zu dünn, zu bunt, zu mini - aber na,
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Warum gibt es in der DDR keine staatlich geregelte Familien·. planung? ,•. Die erforderlichen · , · Produktionsmittel ligen immer noch in privater Hand. <
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sagte ich mir, man muß sich an neue Tapeten eben erst gewöhnen. Ich zeigte der Jugendfreundin unsere Sehenswürdigkeiten, das Geburtshaus des bekannten Lyrikers Arthur Müller-Pinneleben und das Sterbehaus von August Leberecht Knobel, dem Erfinder der Knobelbecher. Schließlich schliefen wir im Hotel »Stadt Pinneleben«, Zimmer 8 und 9. Am nächsten Morgen war meine Zukünftige weg. Auf meinem Nachttisch lag ein Zettel. »Strolchi! Sei nicht böse, aber ich konnte Dir doch nicht sagen, daß ich noch zwei andere Anwärter testen muß, die ich in die engere Wahl gezogen habe, einen Ingenieur aus Rostock und einen Oberlehrer aus Greifswald. Nachdem die beiden mir ihre Städte gezeigt haben, werde ich mich entscheiden. Wenn sie nicht mehr aufweisen als Du mit Deinem ausgesprochenen Murmeltier-Temperament, komme ich auf Dich zurück! Küßchen! Ingelore.« Noch vom Hotel aus wählte ich die Null-null, um mich über die neue, falsche Verbindung zu beschweren. Mit einem beachtlichen Prozentsatz Krähe in der Amselstimme erklärte Tante Kornelia: »Mein Gott, Sie haben auch immer was zu meckern Schließlich sind wir doch ein Probebetrieb.« Ich aber war nun nicht mehr zu halten. Vor vier Wochen habe ich geheiratet. Na, wen schon! Die Amselstimme mit dem Prozentsatz Krähe und sonstigem Zubehör, das man treffend eine dufte Serpentine nennen könnte: Kurve an Kurve. Und bei unserm ersten Waldspaziergang hat Kornelia gestanden: »Es war uns doch erlaubt, nach Feierabend die Elektronenanlage für uns selbst zu benutzen. Und da hat der Computer mir geraten, ihn bei der Bearbeitung Ihres Antrags zweimal falsch zu füttern, so daß ich statt Ihrer Daten die von einem alten, auf ein Abenteuer scharfen Hafenkapitän und das andere Mal von einem jungen Innendekorateur einspeiste. Dann wurde ich auf Geheiß des Computers Ihre Kundin ... « »... um Krügerolbonbons und Spalttabletten zu kaufen, obwohl Sie nicht mal'n Bandwurm haben, bloß um mich zu schnappen«, rief ich glücklich, »bis mein Gespür sich nicht mehr bremsen ließ und ich Sie als Platz 17 erkannte.« Zehn Minuten später waren wir verlobt, und meine frische Braut nahm mich mit nach Hause, um mir ihre sechs munteren Kinderchen vorzustellen. Denn Tante Kornelia war schon mal. Aber schuldlos geschieden. Die lieben Rangen heißen Alarich, Beowulf, Cäcilie, Desdemona, Epaminodos und Feodosia. Doch vor Quinctilius möchte Kornelia nicht aufhören, sie fin-
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det den Namen so schön. Von mir aus machen wir auch bis Zacharios durch, ich schrecke vor nichts mehr zurück, denn das mit dem Murmeltier laß ich mir nicht noch einmal sagen. In acht Monaten erwarten wir den Buchstaben G, Gregorius oder Geraldine. Und vorige Woche meinte Kornelia: »Es wird nun auch langsam Zeit, Otto, daß du dich von deinen Kneipkollegen trennst. Du vertrottelst immer mehr. Als du gestern zu deinem Bierlachs gingst, haste dir statt ner Krawatte den Gürtel von deinem alten Bademantel um den Hals gehängt.« Seitdem gehe ich nicht mehr zum Skat, sondern studiere Elektronik. Außerdem habe ich für meine Freizeit eine produktive Nebenbeschäftigung übernommen. Als Aushilfe bei unserm Fernmeldeamt. Und wenn ein an unserer Damenkollektion mit dem ständigen Eingang von Neuheiten interessierter Postkunde einmal unsere Null-null wählen sollte, kann er unter Umständen meine pappihaft strahlende Stimme hören: »Hier Eheanbahnung Platz 18, Onkel Otto.«
Poosio Da war ich jung Du hast mir Verse vorgelesen Von mir hast du gesagt ich hab's geglaubt Was bin ich damals für ein dummes Ding gewesen Ich hab dir dies und das und noch viel mehr erlaubt Heut weiß ich längst die Verse warn von Heine und du ein Schuft Mein Gott bin ich allein Das BUCH DER LIEDER träumt im Lampenscheine Könnt ich nur einmal noch wie früher dämlich sein!
KT.aus Möckel
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Ernst Röhl
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Mensch, Habersack, alte Pfeife! Gibts dich auch noch! Aber in alter Frische. Und was trinkst du? Wie früher. Otto, zwei Pils, zwei Spezi! Na, wie siehts aus, was machen Frau und Kinder? Keine Ahnung, lange nicht gesehn. Wieso? Bist du nich mehr verheiratet? Theoretisch ja. Aber ich leb nich mehr mit „ ' . , - • -- --/ der Alten zusammen. Und wie gehts Hilde? ' ' Von der bin ich geschieden. Ging einfach lnich mehr. Von morgens bis abends das Ge• mecker: Du hast die Wahl - entweder der Schnaps oder wir! Und? Da is mir die Wahl nich schwergefallen. Na, erst mal Prost, alter Hund! Prost, Habersack! Und du? Immer noch in der Kfz-Bude? Schon lange nich mehr. Hat mir nich mehr gefallen mit der Zeit. Bin zum Schlachthof rüber. Was denn, du als gelernter Schlosser? Den Beruf konnte ich dann nich mehr ausüben. Vom Schlachthof bin ich rüber zum Kohlehandel. Warum denn das? Hat mir nich mehr gefallen. Beim Kohlehandel hab ich auch bald in den Sack gehaun. Dann Kartoffeln ausgeladen, Möbel getragen und momentan bin ich bei der Schädlingsbekämpfung. Nagervertilgung, wenn dus ganz genau wissen willst. Ich bin auf einer Stelle immer bloß so lange geblieben, bis mjrs nich mehr gefallen hat. Aus Prinzip. Und wann hats dir nich mehr gefallen? Immer wenn der Lohnpfändungsbeschluß eintrudelte. Mann, da gehts dir genau wie mjr. Prost! Zum Wohl, Habersack! Otto, noch mal zwei Pils, zwei Spezi. Ich hab auchn Haufen Stellen hinter mir. Sieht ja nich gut aus ,
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im Arbeitsbuch, aber mach was. Hilde hat sich natürlich gleich hinters Gericht geklemmt. Vor der Hochzeit die große Liebe, nach der Scheidung Paragraph 141. Zahlemann und Söhne. Ich kenn die Weiber, mein Lieber. Aber erst müssen se Vatem mal zu fassen kriegen. Hast du eigentlich wieder was von dem Schimmelpfennig gehört? Allerdings. Von dem nimmt kein Hund mehr ein Stück Brot. Wieso? Der sitzt ... •• Mach kein Arger! Wollte ja immer hoch hinaus. Zuletzt war er Buchhalter. Hab mir gleich gedacht, daß das nich gut geht. Weißte, was der füm Ding gedreht hat? Na? Zweitausend Eier unterschlagen. Das Saustück! Schimmelpfennig ein Krimineller! Da kannste mal sehn. Mal ehrlich, das hätte ich ihm doch nich zugetraut. Nee, ich auch nich. Sag mal, warum glotzt du andauernd so dußlig zur Tür? Reine Notwehr! Versteh ich nich. Meine Frau hat mal zu mir gesagt: Wo du hingehst, da will auch ich hingehn. Stell dir vor, die findet mich! Haste viel Rückstand? Na ja, mittel. Höchstens zweieinhalb Mille. Genau wie ich. Na denn, prost! Prost, Habersack! Eins will ich dir sagen - man muß im Leben konsequent sein. Konsequent, das ist das Wichtigste. Ich hänge mit der Miete. Mir hamse Strom und Gas abgedreht. Die Raten füm Fernseher sind überfällig. Und jetzt frage ich dich - soll ich ausgerechnet bei den Alimenten anfangen? Is das konsequent? Na, sag mal selbst! Meine Alte tut so, als wärse wer weiß wie arm. Dabei hatse erst vergangenen Herbst ihm Meister gemacht. Weiß doch jeder, was solche Leute nach Hause bringen. Verlogen is das Aas, du glaubst es nich. Was hab ich gepredigt damals: Vorsicht is die Mutter der Porzellankiste, hab ich gesagt. Wo ne Pille is, is auch ein Weg. Aber nee - ihr Kinderlein kommet! Nu stehtse da. Tja, wer nich hören will, muß fühlen. Und ich würde ja zahlen, kannste glauben. Wennse mir nich so fürchterlich un-
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>>Endlich haben wir sie soweit, und jetzt wird wieder Naturfarbe modern.<<
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sympathisch wär! Aber die is mir zuwider, das kann sich keiner vorstellen. Wo se geht und steh denktse nur ans Geld. Mir tun bloß die armen Kinder leid. Laß den Kopf nich hängen, Junge! Prost! Prost, Habersack! Na ja, ich hab ne ziemlich kaputte Leber. Wenn mirs zu bunt wird, laß ich mich auf Rente setzen. Da mußte aber viel Schwein haben. Da lassense unsereins nich so schnell ran. Wenn ich damit nich durchkomme, verzieh ich mich einfach. Nach Leipzig oder Dresden. Mal sehn. Wohin der Wind uns weht. Du bist schön blöd. Irgendwann schnappense dich auch da. Aber wie soll ich denn sonst untertauchen, Habersack? Machs wie ich! Ich hab wieder geheiratet. Na und? Ich habe den Namen von meiner Frau angenommen. Gestatten - Lehmann, geborener Habersack!
1ortseAritt Es war einmal ein Känguruh, das nähte seine Tasche zu und sagte stolz zu seiner Sippe: »Mein Sohn geht in die Kinderkrippe.«
Klaus Lettke
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Ralph Wiener
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Der Zug setzte sich in Bewegung. Erst stockend, dann zügiger. Bäume flogen vorbei, vereinzelte Häuser, Gartenzäune und plötzlich ein langes, riesiges Transparent: Wir Eisenbahner begrüßen stürmisch die Konferenz zur breiteren Entfaltung des umfassenden Aufbaus der Produktivkräfte und ist dies ein weiteres Bollwerk bei der Festigung ... Mehr konnte man nicht lesen, denn der Zug fuhr schnell und das Transparent drohte auf Nimmerwiedersehen zu entschwinden. Aber da hatte es nicht mit Herm Lilienstein gerechnet, der geistesgegenwärtig aufsprang und die Notbremse zog. Es gab ein ohrenbetäubendes Knirschen, der Zug verringerte seine Geschwindigkeit, bis er schließlich stand. Herr Lilienstein sprang aus dem Wagen und lief zurück in Richtung Transparent. Als das Zugbegleitpersonal Herrn Lilienstein zurückgeholt hatte, schrie der Schaffner den Ausreißer an: »Warum haben Sie die Notbremse gezogen?« - »Wegen des Transparentes«, verkündete Herr Lilienstein mit ruhiger Stimme. »Wegen was?« Der Frevler holte zu einer näheren Erklärung aus: »Als ich vorhin durch die Scheibe sah, fiel mir ein Transparent ins Auge. Ich konnte nicht mehr lesen, bei welcher Festigung die Konferenz ein Bollwerk sein sollte, und da habe ich ... « - »Da haben Sie die Notbremse gezogen?« schrie der Schaffner und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Das mußte ich ja wohl tun«, sagte Herr Lilienstein. »Sehen Sie, Herr Schaffner, da haben sich die Eisenbahner soviel Mühe gegeben und eine Losung an der Bahnlinie aufgestellt. Ich finde, die Achtung vor ihnen gebietet es, den Reisenden zu ermöglichen, den Text unverstümmelt aufzunehmen. Es war meine Pflicht ... « Der Schaffner hielt es nicht für geraten, sich in einen Disput mit dem sonderbaren Herrn einzulassen. Er stellte schnell noch dessen Personalien fest, qann fuhr der Zug weiter. Vier Wochen später saß Herr Lilienstein dem Reichsbahn-Amtmann Merkel gegenüber. »Sie wollen die Strafe für unberechtigte Betätigung der Notbremse nicht zahlen?« fragte der Amtmann.
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»Wie komme ich dazu?« entgegnete Lilienstein. »Wenn die Reichsbahn an der Bahnlinie ein Transparent aufstellt, erwartet sie damit zugleich, daß man es lesen soll.« Der Amtmann wischte den Schweiß von der Stirn. »Sie messen der Sache einen zu großen Wert bei.« »Da protestiere ich aber energisch!« unterbrach Lilienstein. »Meinen Sie etwa, daß Ihre Kollegen Eisenbahner das Transparent nur aus Jux dort angebracht haben?« »Also hören Sie zu«, beschwichtigte ihn der Amtmann, »ich werde feststellen, wer die blödsinnige Idee hatte. Kommen Sie in vierzehn Tagen wieder!« Die Untersuchungen des Amtmanns ergaben, daß eine Malerbrigade des Reichsbahnausbesserungswerkes das besagte Transparent hergestellt hatte, weil in ihrem Quartalsarbeitsplan die Verpflichtung enthalten war, »zwölf moderne Losungen grafisch zu gestalten und im Bahnbetriebsgelände zu verbreiten«. Da bereits alle Türen und Wände in Bahnhofsnähe versorgt waren, hatte sich Kollege Falkner bereit erklärt, ein Transparent an der Bahnlinie in der Nähe seines Wohnhauses - er wohnt sechs Kilometer vom Bahnhof entfernt - anzubringen. »Die Losung wird sofort entfemt! «befahl Amtmann Merkel der Malerbrigade. »Entfernen?« fragte Brigadier Graumann entsetzt. »Eine Losung?« - »So schnell wie möglich!« bekräftigte der Amtmann. »Emma«, sagte ein paar Tage später Kollege Falkner zu seiner Frau, »wir sollen die Losung da drüben wieder entfernen. Du kannst das nachher gleich mal machen!« »Ich?« fragte Emma empört. »Ich soll eine Losung abreißen?« Kollege Falkner versuchte es noch mit seinen Kindern, aber das waren junge Pioniere, und zu so etwas waren sie nicht bereit. Überall stieß er auf eisige Ablehnung. »Ihr Beispiel macht Schule!« sagte Amtmann Merkel zwei Wochen später zu Herrn Lilienstein. »Inzwischen ist schon wieder zweimal die Notbremse gezogen worden. Auf Grund dieser Vorgänge haben wir entschieden, daß Sie die Strafe nicht zu zahlen brauchen. Es ist das Recht jedes Staatsbürgers, Losungen vollinhaltlich in sich aufzunehmen. Aber in Zukunft, verehrtester Herr Lilienstein, werden wir das Ziehen der Notbremse zu verhindern wissen!« »Nehmen Sie das Transparent weg?« fragte Lilienstein. »Wo denken Sie hin!« seufzte der Amtsmann. »Wenn bei uns irgendwo eine Los11ng hängt, bleibt sie hängen. Aber der Malerbrigade spielen wir einen Streich: Wrr leiten die Züge um!<<
Warum fand das Treffen Wtlly Brandts mit Willi Stoph in Erfw:t;µn.g nicht in ßerliri,statt? Antwort: In Berlin hätte der Eindntck entstehen können, daß man Brandt einen Bären aufbinden wollte. In Erfurt dagegen konnte man durch die · Blume sprechen.. .
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Klaus Möckel
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Auf Seite eins sehr schwarz und fett Lokales Fernsehtips das Wetter die Gärtnerpost ein bißchen Bett ein Mord jedoch in kleiner Letter Auf Seite zwei sehr knallig SPORT in Ganzaufnahme unsre Mannen Das setzt auf Seite drei sich fort mit Kämpfen wo wir nicht gewannen Für Technikfreunde finden wir was von Motoren Mikrofonen dazu Kultur auf Seite vier drei Verse und zwei Rezensionen Danach was in der Welt geschieht wer wo auf welche Art regierte was man für Konsequenzen zieht wie gut man selbst die Wirtschaft führte Die großen Reden endlich klein zum Schluß soweit die Seiten reichen Und das soll UNSRE Presse sein sagt ihr Ach bitte nicht erbleichen Es ist ja bloße Phantasie Wenngleich ganz praktisch wär's gewesen für jene Bürger nämlich die ihr Blatt gespannt VON HINTEN LESEN.
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20 Jahre DDR 20 Jahre MITROPA auf neuen Wegen
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Peter Ensikat
Lehrer: Meine Damen und Herren! Um einem dringenden Bedürfnis aller Zugereisten mit und ohne Zuzugsgenehmigung für unsere Hauptstadt zu entsprechen, hat sich der Deutsche Fernsehfunk entschlossen, ab sofort »Berlinisch for Sie« in sein Lehrprogramm aufzunehmen. Mein Mitarbeiter, der Berliner Sprachwissenschaftler Professor Orje, und ich wollen versuchen, Sie in die Geheimnisse des Berliner Mundwerks • • emzuwe1sen. Professor: Det heeßt, wir lern Sie det, wa. Lehrer: Zunächst aber einige allgemeine Bemerkungen über den Berliner und sein Verhältnis zur Sprache. Denn daß er was mit ihr hat, steht fest. Da, wo der Sachse gemütlich durch die Syntax
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Lehrer: Aber bis Sie, meine lieben Anfänger, es so weit bringen, werden Sie wohl noch viele hübsche Mädchen still an sich vorüberziehen lassen müssen. Beginnen wir zunächst mit einfachen Ausspracheübungen. Lassen Sie alles hängen und bullern Sie aus Leibeskräften. Ein normaler Umgangston würde Sie nämlich sofort als Nicht-Berliner entlarven. Dann fügen Sie überall das schöne Wort »möh«, auf deutsch »Mensch«, ein. Professor: Wat denn »mÖh«, det soll 'n Auto sein, möh? Det is ej doch keen Auto möh, det haste wohl uff'm Weihnachtsmarkt als belegtes Brötchen gekooft. Lehrer: Was immer Sie an grammatischen Regeln gelernt haben, müssen Sie auf der Stelle vergessen. Professor: Also dieset spärliche Männeken da will mir in puncto Auto wat vormachen. Na klar hatt'ste Vorfahrt, Mann! Aba wenn de mir so dusselig ankiekst, denkt doch keena, daß de det weeßt. Merke - der Berliner sagt immer mir. Auch dann, wenn's stimmt. Lehrer: Ein Berliner, angesprochen auf das Alter einer nicht mehr jungen Dame, wird stets die Form wahren. Professo: Also alt isse nich, aba 'ne janze Weile schon off der Erde. Lehrer: Da, wo der Normalverheiratete scheinheilig fragt: Juckt es dich etwa, Liebes? wird der Berliner praktisch raten. Professor: Nicht kratzen Puppe, waschen. Lehrer: Und wo in normalhochdeutschen Kreisen der Tod eines Bekannten Ratlosigkeit und Entsetzen auslöst, bemerkt der Berliner nur ... Professor: Na, wenna sich vabessat hat! Lehrer: Sie merken schon, liebe Schüler, Berlinisch kann man nich wie andre Sprachen lernen. Berlinisch kann man nur denken. Dann aber kann man fast alles sagen, auch das, was man eigentlich nicht sagen kann. Zum Beispiel zu einem Mädchen, dessen Minirock auch das Notwendigste kaum bedeckt ... Professor: Puppe, da mußte aban Schal vom Mund lejen, sonst haste Durchzuch! Lehrer: In der Hoffnung, daß auch Sie, liebe Nicht-Berliner, so etwas bald über die Lippen bringen, schließen wir unsere erste Lektion »Berlinisch for Sie« mit dem Hauptmerksatz: Der Berliner ersetzt die Grammatik durch seinen unwiderstehlichen Charme. Den allerdings müssen Sie mitbringen.
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Ein Flugzeug stürzt ab, an Bord befanden sich Breshnew, Husak, Kadar und Gomulka. Wo ist die Trauer am größten? In der DDR. · Warum? Weil Ulbricht nicht dabei war.
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Heinz Helm
Ort: Eisenbahnabteil 1. Klasse Personen: Otto, Emma, seine Frau, Handelsreisender, Monteur, Kulturfunktionär, Schaffner, Zeitungsleser
Frage: Wie verhält · man sich bei einem. eventuellen Einsatz von Atomwaffen? Antwort: Sofort ·. den Kopf mit ein,em weißen Taschen~_ ·;·:„ ;. """''""' "' tuch bedecke$ ~- . '~ ",_ . gemessenen . S'c-t::"-~ tes zum Ftiedh(JF·· J;,"'.· ·;· , gehen. .. Nachfrage: Wa.ru..tll · gemessenen Schrittes? Antwort: Damit in der ganzen Kater;. strophe nicht nocli eine Panik entsteht. · ~·
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Otto (faßt sich an den Kopf und sieht nach oben): Es tropft. Handelsreisender: Wie bitte? Otto: Es tropft! Da ist irgend etwas undicht. Kulturfunktionär: Ja, da oben. Anscheinend das Dach. Ist ja kein Wunder bei dem Regen. Handelsreisender: Kein Wunder, na hören Sie mal! Otto: Meine Schwiegermutter war neulich in Westdeutschland, die sagt, da regnet es nie durch. Das ist typisch für unsere Verhältnisse. Irgendwas ist immer undicht. Handelsreisender: Die Ausnutzung der Wasserkräfte ist letzlich der entscheidende Schritt zur Durchsetzung der weitgehenden Elektrifizierung im Kommunismus - Lenin! Otto: Wohltätig ist des Wassers Macht, wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht - Goethe! Monteur: Zitate hin - Zitate her, es regnet durch. Emma: Jetzt habe ich auch einen Tropfen auf den Kopf bekommen! Otto, kannst du das nicht dicht machen? Otto: Erstens bin ich kein Dachdecker und zweitens habe ich Urlaub. Kulturfunktionär: Aber man muß etwas unternehmen! Monteur: Wir können ja wetten, auf wen der nächste Tropfen fällt. Handelsreisender: Lassen Sie doch diese albernen Scherze! Zeitungsleser (sieht von der Zeitung hoch): Was ist denn das für eine Streiterei? Kulturfunktionär: Haben Sie nicht gehört, es tropft! Zeitungsleser (sieht nach oben): Ja, aber von oben. (liest weiter) Otto: Packen Sie doch mal Ihre blöde Zeitung beiseite und sagen Sie was. Zeitungsleser: Das könnte Ihnen so passen! Das habe ich einmal gemacht in meinem Betrieb. Seit der Zeit warte ich immer erst ab, wie sich die Mehrheit äußert. Kulturfunktionär: Darum geht es ja gar nicht. Wir müssen etwas unternehmen.
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Zeitungsleser: Solange das Wasser von oben kommt, ist kein Grund zur Besorgnis. Monteur: Na, von unten kann es ja nicht tropfen. Dies ist doch kein Dampfer. Zeitungsleser: Sehen Sie! Emma: Otto, ich werde naß! Unternimm doch mal was! Otto: Heute ist nicht Frauentag. Setz dir meinen Hut auf. Emma: Huch, jetzt ist mir das ganze Wasser in den Hals gelaufen! (Otto schlägt sich auf die Schenkel und lacht.) Emma: Was lachst du denn so albern, Otto? Otto: Ich warte schon lange darauf, daß du den Hals einmal vollkriegst. Emma: Taktgefühl hattest du nie. Otto: Als letzten Winter ..· I> meine Nase tropfte, hast du ... Kulturfunktionär: Aber streiten Sie doch nicht. Wir verderben uns die 1 ganze Kleidung. Otto: Ich kann mit meiner Frau streiten, so oft ich will. Kulturfunktionär: Ist denn kein richtiger Werktätiger dabei, der etwas tut? Wrr müssen etwas unternehmen. Handelsreisender: Das sagen Sie schon zum vierten Mal. Kulturfunktionär: Nein, zum dritten ... Handelsreisender: Zum vierten! Emma: Wir müssen die Notbremse ziehen! Otto: Bloß nicht, nachher kommt da auch noch Wasser raus! Zeitungsleser: Aber Kollegen. Das sind doch alles nur kleine Unzulänglichkeiten. Wie sah es denn 1945 aus? Da gab's überhaupt kein Wasser. Man muß alles im Zusammenhang sehen. Die Sonne scheint auch schon wieder. Otto: Das steht wohl in Ihrer Zeitung? Zeitungsleser: Nein, aber ich habe bisher noch keinen Tropfen abbekommen.
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> >Also wirklich, ich freue mich sehr über die Urkunde. Aber Idioten-Alfred war eigentlich nur mein Spitzname in der Schule. <<
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Monteur: Hä, Kunststück, das Wasser läuft ja auch von oben in Ihre Tasche rein! Zeitungsleser: Was! (Springt auf, nimmt die Tasche aus dem Gepäcknetz, öffnet sie, es läuft Wasser heraus.) Emma: Otto, er macht mir die Füße feucht! Beschütze mich, oder ich lasse mich endgültig von dir scheiden und ziehe mein Geld aus dem Geschäft! Otto (springt auf): Herrrr! Sie haben meine Frau von unten naß gemacht! Kulturfunktionär: Wie die kleinen Kinder! - 1~ '1\e Zeitungsleser: Da, sehen Sie, CA. "" r „ der BKV ist durchgeweicht ---VOIJ.'\ und die Zeitung ist auch ---nicht mehr trocken. Schaffner (tritt ein): Was ist denn das für ein Lärm? Kulturfunktionär: Bitte, Herr Schaffner, Sie müssen uns helfen, es läuft durch! Schaffner: Wer hat hier geraucht? Monteur: Ich, das sehen Sie doch! Schaffner: Rauchen ist hier verboten. Paragraph dreizehn der Eisenbahnverkehrsordnung. Sie zahlen fünf Mark! Monteur (zahlt): Und daß es - - -hier durchläuft, stört Sie wohl nicht? Schaffner: Durchlaufen ist nicht verboten. Kulturfunktionär: Sie müssen uns helfen! Schaffner: Das werde ich auch! Wenn wir in Dresden sind, schreibe ich die fünfte Mängelanzeige - es kommt ja doch keiner. Monteur: Ich kann mir denken, woran das liegt. Da ist das Abflußrohr vom Wasserbehälter undicht. Schaffner: Nicht mein Bier! Monteur: Hören Sie, ich weiß, woran das liegt! Schaffner: Na, denken Sie, ich nicht?!
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Wo wir sind, ist vorn
Monteur: Dann stellen Sie's doch ab! Sie brauchen nur hier draußen das Ventil zweimal herumzudrehen. Schaffner: Dafür bin ich nicht zuständig. (Geht ab.) Kulturfunktionär: Junger Mann, Sie wissen doch mit so was Bescheid, Sie sind doch ein Werktätiger. Retten Sie uns! Sie wissen, wo das Ventil ist. Monteur: Damit er mich noch mal in die Pfanne haut! Zeitungsleser: Für die sozialistische Menschengemeinschaft darf uns kein Opfer zu groß sein. Monteur: Ich gehe ja schon. Aber auf Ihre Verantwortung. (steht auf und dreht an einem Ventil.) Handelsreisender: Es hört auf. Kulturfunktionär: Wenn Denken und Handeln eine Einheit sind - das ist Marx in der Praxis. Monteur: Das Ventil war nicht richtig festgeschraubt. Das ist Murks in der Praxis. Schaffner (kommt zurück): Na, tropft es noch? Kulturfunktionär: Gott sei Dank nicht mehr! Der junge Mann hat es abgestellt. Es gibt eben noch Eigeninitiative. Schaffner: Was heißt hier Eigeninitiative?! Gemäß Paragraph drei der Eisenbahnverkehrsordnung gibt es keine Eigeninitiative, denn das eigenmächtige Hantieren der Reisenden an den Einrichtungen der Reichsbahn ist streng verboten. Sie zahlen zehn Mark Strafe und stellen sofort wieder an!
»Spenden Sie Ihr Blut für den Betrieb, für den Stadtbezirk oder direkt fürs Rote Kreuz?« »Eigentlich hatte ich mehr an Menschen gedacht ... « »Ich meine, statistisch gesehen.« »Geben Sie's dem, der es am nötigsten braucht.« »Nötig brauchen brauchen's alle; für die Quartalsabrechnung.« »Ach, Sie stehen im Wettbewerb?« »Erraten.« »Taj, ich arbeite beim Stadtbezirk ... « »Sie befinden sich aber in unserer Betriebspoljkljnik. Wissense was, ich schreib Ihr Blut unserem Betrieb gut.« »Und der Stadtbezirk?« » •.• der soll sich für den Quartalsbericht was aus den Fingern saugen.«
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Familie Meyer hat einen Papagei, der immer »Die Saukommunisten! Nie, der mit der SED!« krächzt. Eines Tages kündigt ein SED-Funktionär seinen Besuch an. Die Hausfrau putzt die Wohnung blitzblank, aber wohin mit dem Papagei? Der landet im Tiefkühler. Der Mann . kommt, agitiert ein bißchen und geht · · wieder. Drei Stunden danach denkt die Hausfrau an den Papagei und holt ihn aus dem Tiefkühler. Da krächzt er nur noch: >)Liebe Kom·munisten! Nieder mit dem Kapitalismus!« Die Hausfrau fragt erstaunt, warum er seine Meinung geändert habe. Darauf der Papagei: »Drei Stunden Sibi- · rien reichen mir!« .
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1969
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1969 1. Januar
Gerhard Bengsch
Stehen zwei kleine Jungen an der Grenze, einer auf westlicher, einer auf östlicher Seite. Der im Westen ißt eine Banane. Der aus dem Osten guckt traurig. Der aus dem Westen: »Ätsch, ich habe eine Banane!« Der aus dem Osten: »Ätsch, wir haben den Sozialismus!« Der aus dem Westen: »Ätsch, wir haben auch bald den Sozialismus!<{ Der aus dem Osten: »Ätsch, dann habt ihr aber keine Bananen mehr ... «
An der deutsch-deutschen Grenze werden die ersten BetonBeobachtungstürme errichtet. 5. Januar Der erste Film des Fünfteilers >>Krupp und Krause<< nach einem Drehbuch von Gerhard Bengsch wird im Fernsehen ausgestrahlt. 22./23. Januar In Halle findet mit 700 Teilnehmern eine Konferenz zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität in der DDR statt, die sogenannte Schrittmacherkonferenz. 31. Januar - 2. Februar Petra Tierlich gewinnt den Weltmeistertitel im Einsitzer-Rennschlitten. 4. Februar Ruth Schleiermacher erzielt im Eisschnellauf in Davos Weltrekord über 500 m. 4.-9. Februar Gabriele Seyfert wird Europameisterin im Eiskunstlauf in Garmisch-Partenkirchen. 8. Februar-5. März Innenminister Friedrich Dickei untersagt allen Mitgliedern der Bundesversammlung ab dem 15. Februar bis auf weiteres die Durchreise durch die DDR nach West-Berlin. Die DDR protestiert damit gegen die geplante Bundespräsidentenwahl in West-Berlin.
Warum ist die Banane krumm? Weil sie immer einen B9gen um die DDR macht. DEFA-Kinderfilmpremiere >>Käuzchenkuhle<< nach dem Kinderbuch von Horst Beseler. 15. Februar Konstituierung eines >>Ständigen Internationalen Komitees für die Anerkennung der DDR<< in Helsinki. 23. Februar DEFA-Märchenfilmpremiere >>Wie heiratet man einen König?<<, Regie Rainer Simon. 26. Februar - 2. März Gabriele Seyfert wird Weltmeisterin im Eiskunstlauf in Colorado Springs. 2. März Zwischenfälle und Gefechte an der sowjetisch-chinesischen Grenze. 9. Februar
Reportage: »Meine Hörerinnen und Hörer, ich stehe an der sowjetischen Grenze und erleb.e, wie von chinesischer Seite ein friedlicher russischer Mäb.dresaher: beschossen wird.·Sie werderl ,sich fragen, was macht (;derl~ii~ältche sowjetische Mähdres6h~r?" Ja, ich kann es.Ihnen sageti, et schießt zurück und fliegt davon.« ;·
6. März
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Der Literaturpreis des FDGB wird an Helmut Sakowski verliehen.
Zeittafel 1969 20. März 22. März 17. April 8. Mai
12. Mai
12.-25. Mai 14. Mai 16. Mai 28.-30. Mai
Jurek Beckers Lustspiel >>Jungfer, Sie gefällt mir<< nach Kleist wird von Günter Reisch für die DEFA verfilmt. DEFA-Kinderfilmpremiere >>Mohr und die Raben von London<<, nach dem Roman von llse und Vilmos Korn. Nach der Zerschlagung der tschechischen Reformbewegung tritt Alexander Dubcek als Vorsitzender der KPC zurück. Als erstes nichtkommunistisches Land nimmt Kambodscha diplomatische Beziehungen zur DDR auf. Im laufe des Jahres erkennen der Irak, der Sudan, Syrien, die Demokratische Volksrepublik Jemen und die Vereinigte Arabische Republik die DDR völkerrechtlich an. Der Vorsitzende der DDR-CDU, Gerald Götting wird zum neuen Präsidenten der Volkskammer als Nachfolger des verstorbenen Johannes Dieckmann gewählt. Die DDR wird Mannschaftssieger bei XXII. Friedensfahrt. In Rostock wird der erste Museums-Neubau der DDR, die Rostacker Kunsthalle, eröffnet. DEFA-Filmpremiere >>Mit mir nicht, Madam<< mit Manfred Krug und Annekathrin Bürger. Auf dem VI. Deutschen Schriftstellerkongreß wird ein neues Statut angenommen.
Was ist der Unterschied zwischen einer Fuhre Langholz und der Kulturpolitik der DDR? Bei einer Fuhre Langholz kommt erst das dicke Ende und dann die rote Fahne. 30. Mai
10. Juni
11.-13. Juni
27. Juni 2. Juli 12. Juli 22. Juli
26. Juli
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BRD-Regierung beschließt, daß jede Anerkennung der DDR weiterhin als unfreundlicher Akt gewertet werde (modifizierte Hallstein-Doktrin). Gründung des Bundes der Evangelischen Kirche in der DDR. Damit wird die bislang bestehende juristische und organisatorische Einheit der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) beendet. Der 2. Frauenkongreß tagt unter dem Motto: >>Der Frauen Herz, Wissen und Tat für unseren sozialistischen Friedensstaat<<. Fast die Hälfte aller Frauen ist berufstätig. DEFA-lndianerfilmpremiere >>Weiße Wölfe<< (Co-Produktion DDR/Jugoslawien). Die 250er MZ ETS Trophy Sport wird im Zschopauer Motorradwerk gebaut. Roland Matthes schwimmt in Santa Clara über 200 m Rücken Weltrekord. Die Bundesregierung beschließt, künftig das Hissen der DDR-Nationalflagge und das Abspielen der DDR-Staatshymne bei Sportveranstaltungen nicht zu behindern. Eröffnung des V. Turn- und Sportfests in Leipzig.
Günter Reisch
Zum ehemaligen tschechischen Parteichef Dubcek kommt ein Engel und sagt: »Du bist ein echter Kommunist, darum will ich dir drei Wünsche erfüllen. « Dubcek überlegt nicht lange und sagt: »Die Chinesen sollen in die Tschechoslowakei kommen und sie besetzen und wieder abziehen.« - «Und der zweiteWunsch?« Nach mal das gleiche. Und der dritte? Nach mal das gleiche. Der Engel wundert sich und fragt vorsichtshalber noch mal, ob er sich das gut überlegt habe. Dubcek: »Selbstverständlich. Da müssen die Chinesen sechsmal durch die Sowjet•
UllIOn.«
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Zeittafel 1969 27. Juli 29. Juli
Weltrekord von Karin Balzer über 100 m Hürden auf dem V. Turn- und Sportfest. Walter Ulbricht stellt fest, daß die Freundschaft zur Sowjetunion in eine neue Qualität übergegangen ist.
Anfrage an den Sender J,erewan: »Ist es wahr, daß sich die Liebe der DDR zur Sowjetunion ständig vertieft?« Antwort: »Ja, sie hat soepen einen Tiefpunkt erreicht.« . " · '
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Karin Balzer Sowjetisch-chinesischer Krieg: Sowjetische Siegesmeldung am ersten Tag: »100 000 chinesische Kriegsgefangene.« Siegesmeldung am zweiten Tag: »1 Million chinesische Kriegsgefangene.« Siegesmeldung am dritten Tag: »10 Millionen chinesische Kriegsgefangene.« Am vierten Tag trifft ein Telegramm aus Peking ein: »Gebt auf, sonst ergeben wir uns alle!«
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1. August Die 20-Pfennig-Münze kommt in Umlauf. 23.-24. August Die Frauenmannschaft gewinnt in Budapest den Europapokal im Schwimmen. 27. August Der Ministerrat beschließt eine Erhöhung des staatlichen Kindergeldes: Ab 1. Oktober gibt es ab dem 3. Kind statt 20 nun 50 Mark Kindergeld monatlich. 28. August Zentrales Fest der jungen Talente in Artistik und Schlager. 10.-14. September Der DDR-Achter gewinnt die Goldmedaille bei der RuderEM der Männer in Klagenfurt (Österreich). 13.-20. September Die DDR-Mannschaft gewinnt das Weltpokal-Turnier im Volleyball der Männer. 16. -19. September Verhandlungen zwischen Ministerien der DDR und der BRD über Verkehrs- und Postfragen. 16. September DEFA-Filmpremiere >>Seine Hoheit, Genosse Prinz<< von Rudi Strahl mit Rolf Ludwig und Rolf Herricht. 20. September Uraufführung von Rudi Strahls Komödie >>In Sachen Adam und Eva<<, eines der meistgespielten DDR-Stücke, in Magdeburg. 25. September Die ersten Fünfmarkmünzen kommen in Umlauf. 29. September DDR unterzeichnet Atomwaffen-Sperrvertrag. 2. Oktober Neues Wahrzeichen für den Alexanderplatz: die Weltzeituhr. Sie wird zu einem der beliebtesten Treffpunkte in Berlin. 3. Oktober Das zweite Programm des DFF beginnt zu senden. Erste Farbfernsehsendung im französischen SECAM-System. Ab sofort erscheint die Fernsehzeitung FF-Dabei in Farbe.
Eine japanische Delegation besucht das Gelände des DDR-Fernsehens in Berlin-Adlershof. Nach dem Rundgang sagt der Delegationsleiter: »Ein schönes Fernsehmuseum haben Sie hier.Und wo produzieren Sie?« 3. Oktober
Der Fernsehturm in Berlin (365 m hoch) wird feierlich eröffnet. Das sich drehende Cafe im Turm ist eine besondere Attraktion.
Vom Berliner Fernsehturm kann man vier Meere sehen - unten ein Häusermeer, oben das Wolkenmeer, im Westen das Lichtermeer und im Osten gar nichts mehr.
Zeittafel 1969
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4. Oktober 4. Oktober
In Berlin eröffnet der Vergnügungspark Plänterwald. Die 4 x 800-m-Staffel der Frauen (Schmidt, Hoffmeister, Pöhland, Wieck) läuft Weltrekord in Potsdam. 7. Oktober Am Altmarkt in Dresden wird der neuerbaute Kulturpalast eröffnet. Zum Auftakt erklingt Beethovens 9. Sinfonie. 9.- 20. November V. Internationaler Robert-Schumann-Wettbwerb in Zwickau. 12. November 550. Jahrestag der Gründung der Universität Rostock. Festansprache Willi Stophs. 15.-22. November XII. Internationale Dokumentar- und Kurzfilmwoche für Kino und Fernsehen in Leipzig. 19. November Die Puhdys geben in Freiberg ihr erstes Konzert. Gilt als Gründungsdatum der Band. 28. November Abkommen zwischen der DDR und der Sowjetunion über visafreien Reiseverkehr zwischen beiden Ländern. 30. November DEFA-Kinderfilmpremiere >>Der Weihnachtsmann heißt Willi<<. 4. Dezember DEFA-Filmpremiere >>Weite Straßen - stille Liebe<< mit Jutta Hoffmann und Manfred Krug. 18. Dezember Käthe-Kollwitz-Preis der Deutschen Akademie der Künste an Theo Balden verliehen. 18. Dezember Staatsratsvorsitzender Walter Ulbricht schickt Bundespräsident Heinemann einen Brief mit dem Entwurf eines Vertrages über die Aufnahme gleichberechtigter Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland. 19. Dezember Uraufführung der Oper >>Lanzelot<< von Paul Dessau an der Deutschen Staatsoper Berlin (Text: Heiner Müller). 29. Dezember Die Zeitungen sprechen vom kältesten Dezember seit 1893. Rekordminustemperaturen führen zu Engpässen bei Nahrungsmitteln und Brennstoffen. 1969 verlassen 16 975 DDR-Bürger das Land.
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Sportler des Jahres: Roland Matthes (Schwimmen) Petra Vogt (Leichtathletik) Volleyball-Nationalmannschaft der Männer Torschützenkönig der Oberliga: Gerd Kostmann vom FC Hansa Rostock mit 18 Treffern
Fernsehlieblinge: Lissy Tempelhof Günter Herlt Karl-Eduard von Schnitzler Hans-Georg Ponesky Benito Wogatzki Klaus Feldmann Annemarie Brodhagen Kollektiv Sandmännchen Karl-Heinz Gerstner Heinz Florian Oertel Manfred Krug
neue Bücher: Stefan Heym >>Lassalle<< Erwin Strittmatter >>Ein Dienstag im September<< Jurek Becker >>Jakob der Lügner<< Peter Edel >>Die Bilder des Zeugen Schattmann<< Helmut Sakowski >>Wege übers Land<<
große Hits: >>Mach dir keine Sorgen<< Andreas Holm >>Schön fängt jede Liebe an<< Michaelis Chor >>Kleines Boot<< Kathrin und Klaus >>Was so begann<< Roland Neudert >>Verliebt<< Klaus Sommer >>Es fängt ja alles erst an<< Rosemarie Ambe
Zeittafel 1970
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1970
\ Götz Friedrich
6. Januar
Horst Queck wird Sieger der internationalen Vierschanzentournee.
13. Januar
In Berlin-Mitte legt Oberbürgermeister Herbert Fechner den Grundstein für die neue Leipziger Straße.
20. Januar
Oskar Fischer löst Otto Winzer als Außenminister ab.
22. Januar
Bundeskanzler Willy Brandt schlägt dem Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Willi Stoph, Verhandlungen über Austausch von Gewaltverzichtserklärungen vor.
24. Januar
Gershwins >> Porgy and Bess<< mit Manfred Krug hat in der Regie von Götz Friedrich an der Komischen Oper Premiere.
2.-3. Februar
Die Landwirtschaft der DDR kann die Bevölkerung nicht ausreichend versorgen, mit der Sowjetunion werden baldige Lieferungen vereinbart.
Rostacker Hafen. Ein Mann beobachtet die einlaufenden Schiffe . Ein Wachoffizier.spricht ihn an. »Was machen Sie liier?« . »Ich warte, um zu sehen, wie die sowjetischen Schiffe voll mit · Weizen beladen aei uns eintreffen.« Der Offizier: »Dann gucken Sie nicht so viel aufs Meer, gucken Sie in die Zeitung!« . .
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3.-9. Februar
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Gabriele Seyfert holt sich den Europameistertitel im Eiskunstlauf in Leningrad.
15.-21. Februar Das 1. Festival des politischen Liedes findet in Berlin statt. DDR-Singeklubs, Gruppen und Solisten aus aller Welt treffen sich von nun an jedes Jahr. Dieter Süverkrüp, Miriam Makeba, die chilenische Gruppe lnti-lllimani sind dabei.
24. Februar
Erste Folge des fünfteiligen Fernsehfilms >>Ich -Axel Cäsar Springer<< mit Horst Drinda in der Titelrolle.
3.-8. März
Gabriele Seyfert wird Weltmeisterin in Ljubljana.
18. März
Einen Tag vor dem Besuch Brandts in Erfurt wird im DFF die Fernsehdokumentation >>Bei Kuhnerts war man Sozialdemokrat<< ausgestrahlt.
Zeittafel 1970 19. März
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Treffen von Bundeskanzler Brandt und Ministerratsvorsitzendem Stoph zu Verhandlungen in Erfurt. Die Willy-WillyRufe gelten Willy Brandt.
Als Willy Brandt und Willi Stoph in Erfurt zusammentreffen, unterhalten sie sich über ihre Hobbys. Brandt: »Ich sammle Witze, die man über mich macht. « Darauf Stoph: »Und ich sammle die, die Witze über mich gemacht haben.{( Die Botschafter der drei Westmächte in der Bundesrepublik und der sowjetische Botschafter in der DDR nehmen Verhandlungen zu einem Viermächte-Abkommen über Berlin auf.
26. März
7. April
Der Schriftsteller Bruno Apitz stirbt in Berlin.
16. April
DEFA-Filmpremiere >>Unterwegs zu Lenin<< nach Alfred Kurella (Co-Produktion DDR/UdSSR).
16. April
In Wien beginnen amerikanisch-sowjetische SALT-Verhandlungen, Gespräche zur Begrenzung strategischer Rüstung.
17.April
Beschluß über Umtausch der Parteidokumente der SED-Genossen, mit 99,6°/o der Mitglieder und Kandidaten werden persönliche Aussprachen geführt.
19. April
An der Berliner Leninallee wird das Lenin-Denkmal des Bildhauers Nikolai Tomski eingeweiht.
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Hermann Axen geht spazieren und kol!J~t am Lenin.:Dehkmal vorbei·. Da hört er jemanden stöhnen. Verwundert schaut er Lenin an und hört ihn sagen: »Alle haben ein Pferd, nur ich muß stehen. Besorg mir ein Pferd!<
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22. April
Der 100. Geburtstag Lenins wird mit zahlreichen Veranstaltungen begangen, u. a. mit den Ausstellungen >>Im Geiste Lenins - mit der Sowjetunion in Freundschaft unlösbar verbunden<< im Alten Museum und >>Ein neuer Mensch - Herr einer neuen Welt<< in der Akademie der Künste.
29. April
Beilegung des jahrelangen Streits um den Kostenausgleich bei der Post zwischen DDR und BRD.
7. Mai
Die DDR eröffnet ein Außenhandelszentrum in Paris.
8.-9. Mai
Der sowjetische Film >>Befreiung<< hat in der DDR aus Anlaß des 25. Jahrestages der Befreiung feierliche Premiere.
14. Mai
Landeskulturgesetz regelt Umwelt- und Landschaftsschutz.
21.-24. Mai
Bei der Judo-EM in Berlin siegen Rudolf Hendel (Halbmittelgewicht) und Klaus Hennig (offene Klasse).
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Zeittafel 1970
Anfrage an den Sender Jerewan: »Dart ein kleiner Funktionär einen großen kritisieren?« Antwort: »Im Prinzip ja, aber es wäfe schade um den" klei~ nen.« '
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9.-14. Juni
Bei der Europameisterschaft der Ringer in Berlin gewinnt Heinz-Helmut Wehling im Klassischen Stil (Federgewicht), Klaus-Peter Göpfert (Leichtgewicht) und Horst Stottmeister im Freistil (Mittelgewicht).
12.-14. Juni
Die 12. Arbeiterfestspiele finden im Bezirk Rostock statt.
21. Juni
Schiedsrichter Rudi Glöckner pfeift das Fußball-Weltmeisterschaftsfinale in Mexico-City.
26. Juni
Der erste Olsenbanden-Film kommt in die DDR-Kinos.
27. Juni
DEFA-lndianerfilmpremiere >>Tödlicher Irrtum<< mit Gojko Mitic, Annekathrin Bürger und Armin Mueller-Stahl.
1. Juli
Exportwaren werden ab sofort nicht mehr mit >>Made in Germany<<, sondern mit >>Made in GOR<< oder >>Hergestellt in der DDR<< gekennzeichnet.
4.-6. Juli
Peter Frenkel erreicht im 20 km Gehen Weltrekord, Burglinde Pollak gelingt mit 5406 Punkten Weltrekord im Fünfkampf.
26. Juli
Weltrekord über 100 m Hürden durch Karin Balzer.
28. Juli
Erich Honecker reist nach Moskau, um mit Breshnew geheim über Ulbrichts Ablösung zu beraten. Breshnew kritisiert an Ulbricht: >>Er will mir Vorschriften machen.<<
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Bei Erich Honecker klingelt spät abends das Telefon. Als Erich abnimmt, legt der anonyme Anrufer auf. Das wiederholt sich. Beim dritten Mal nimmt Erich ganz schnell den Hörer ab und ruft: »Mein lieber Walter, wenn du das jetzt noch einmal machst, dann nehme ich dir das Telefon auch noch weg.« 10. August
Eröffnung des neuerbauten Spreewaldhafens.
12. August
Moskauer-Vertrag zwischen BRD und SU wird geschlossen (Gewaltverzicht, Anerkennung bestehender Grenzen).
29./30. August In Stockholm sichert sich die Leichtathletik-Männermannschaft den Europa-Pokal.
Wolfgang Nordwig
3. September
Wolfgang Nordwig springt Weltrekord im Stabhochsprung bei der Studentenweltmeisterschaft in Turin.
3. September
DEFA-Filmpremiere >>Netzwerk<<, Drehbuch und Regie Ralf Kirsten.
5. September
Auf der Leipziger Herbstmesse sprechen Außenwirtschaftsminister Horst Sölle und Carsten Rohwedder aus dem Bonner Wirtschaftsministerium über Handelsfragen. 1969 hatte sich der Handel BRD und DDR um 25 Prozent ausgeweitet.
15. September Gründung der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. 27. September Volksbühnen-Premiere der ersten Regiearbeit von Fritz Marquardt in Berlin, Katajews >>Avantgarde<<.
Zeittafel 1970
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1. Oktober
DEFA-Filmpremiere >>Dr. med. Sommer II<< mit Werner Tietze in der Hauptrolle.
2. Oktober
Die Volleyballmannschaft der DDR wird Weltmeister; Rudi Schumann weltbester Volleyballer des Jahres 1970.
7. Oktober
Die 750 Meter lange Seilbahn, mit der man von Thale auf den 250 Meter höher gelegenen Hexentanzplatz fahren kann, wird eingeweiht.
7. Oktober
Die >>HO-Gaststätte Goldbroiler<< eröffnet als erstes BroilerRestaurant Erfurts.
Karl-Heinz Gerstner .
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Oberliga:-Plazierung · 1970 ·. .· .
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12.-18. Oktober Manöver >>Waffenbrüderschaft<< aller Armeen des Warschauer Vertrages in der DDR. 25. November
Das Centrum-Warenhaus, jetzt das größte Kaufhaus der DDR, wird auf dem Berliner Alexanderplatz eröffnet.
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17. Dezember
Zwischen dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt Egon Bahr und dem DDR-Staatssekretär Michael Kohl beginnen die Verhandlungen über Verkehrsfragen, ein Transitabkommen und den Grundlagenvertrag. DEFA-Filmpremiere >>Signale - Ein Weltraumabenteuer<< (Co-Produktion DDR/Polen).
1970 verlassen 17 519 DDR-Bürger das Land.
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27. November
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Sportler des Jahres:
Fernsehlieblinge:
neue Bücher:
große Hits:
Roland Matthes (Schwimmen)
Lissy Tempelhof Karl-Heinz Gerstner Hans-Georg Ponesky Heinz Florian Oertel Fuchs und Elster Erika Radtke
Franz Fühmann >>Der Jongleur im Kino<<
>>Unsre Sommerreise<< Dagmar FrederidSiegfried Uhlenbrock
Erika Zuchold (Turnen) Volleyball-Nationalteam
Wolfgang Joho >>Die Kastanie<< Joachim Knappe >>Die Birke da oben<<
Torschützenkönig der Oberliga:
lrmtraud Morgner >>Gauklerlegende<<
Otto Skrowny von der BSG Chemie Leipzig mit 12 Treffern
Erik Neutsch >>Die anderen und ich<< Herbert Otto >>Zum Beispiel Josef<<
>>Dankeschön für die Stunden mit dir<< Klaus Sommer >>Regen stört uns nicht<< Monika Hauff/KlausDieter Henkler >>Ein himmelblauer Trabant<< Sonja Schmidt
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Nachweise
Die Karikaturen stammen von Dietrich Bauer: 33 Heinz Behling: 61 u., 65, 68, 81, 113 o. Manfred Bofinger: 48 m., 48 u., 52, 86, 92, 94, 99 m., 99 u., 103, 118 Henry Büttner: 73, 88, 110 Peter Dittrich: 13, 15, 31 u., 35, 77 Heinz Jankofsky: 26, 117 Harald Kretzschmar: 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127 Lothar Otto: 61 o., 75 u. Harri Parschau: 10, 47, 48, 66, 75 o./m., 79, 82, 106, 108, 112, 113 u. Louis Rauwolf: 31 m., 37, 45, 59, 61 u., 62, 63, 85, 87 o., 97, 101, 105 Karl Schrader: 8, 18, 24, 41, 48 o., SO, 55, 87 1., 99 o. Wolfgang Schubert: 31 o., 61 m., 87 u., 91 Fotos: Klaus Winkler: 29
Für die freundliche Genehmigung zum Abdruck danken wir den Autoren, Zeichnern und Erben. Nicht in allen Fällen ist es uns gelungen, Rechteinhaber und Rechtsnachfolger zu ermitteln. Berechtigte Honoraransprüche bleiben gewahrt.
Impressum
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sachlich, kritisch, optimistisch
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