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Die Jahre 1975-1976: Humor ist eingeplant
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Humor ist ein e
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Weltbild •
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Edgar Külow, Wolln wir doch mal ehrlich sein ...
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1. Kapitel: Humor ist eingeplant
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Edgar Külow Genossinnen und Genossen! Solo-Abend in der Distel Ottokar Domma Wann und wie darf ein Schüler lachen Erwin F. B. Albrecht Der H11morist Horst von Tümpling Bitte lacht nicht! Günter Krone Der Berufsaffe
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2. Kapitel: Alles zum Wohle des Volkes _ Humorvolles aus dem Alltag
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Angela Gentzmer Die Verkäuferinnen Sketch mit Helga Hahnemann und Dagmar Gelbke Peter Ensikat Kein Kapitel Zärtlichkeit Johannes Conrad Hurra, ich habe ein Fremdwörterbuch John Stave Der allgemeine Trend Ernst Röhl MUTTERsprache, MUTTERlaut C. U. Wiesner Frisör Kleinkorte als Universalgenie
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20 22
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Inhalt 3. Kapitel: Lernen, lernen, nochmals lernen Als wir Schüler und Pioniere waren
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Ottokar Domma
Unsere Schulwanderung
46
Renate Holland Moritz
Ein Elternabend
so
Johannes Conrad
Familienszene
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Hans Krause
Toast für einen frisch Geweihten 4. Kapitel: Was des Volkes Hände schaffen Wir Werktätigen in Stadt und Land
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55
Jochen Petersdorf
Die Arbeitszeit Sketch der Drei Dialektiker
56
Jochen Petersdorf
Laufkundschaft
58
Manfred Strahl
Das Erfolgserlebnis
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Alfred Schiffers Am Tag, als die Kohlen kamen
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Lothar Kusche Wie wir unser Bestehen feierten Alfred Schiffers
65
Tagebuch eines Bockwurstverkäufers
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5. Kapitel: Heißer Sommer Von Ostseestrand, Datsche und Jugendclubs ...
73
Jochen Petersdorf
Picknick im Walde
74
Hansjoachim Riegenring
Einmal rückwärts E1·furt
79
Heinz Erkler
Hellende Natur
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Ernst Röhl
Nach uns die Sintflut
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Inhalt
6
6. Kapitel: Höher, schneller, weiter! Sportlich sportlich
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John Stave Eine strapazierfähige Sportart
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Ernst Röhl Petri heil!
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Frank Kleinke In Dur und Moll und Fußballschuhen
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Jochen Petersdorf Gesunde Lebensweise Sketch der Drei Dialektiker 7. Kapitel: Unter vier Augen Über Verliebte und Verheiratete
92
95
Ralph Wiener Leben mit Antje
96
Heli Busse Der Freizeit Lust und Last
99
Ernst Röhl Dä11melinchen 75
104
Gerd W. Heyse Abendspaziergang
105
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8. Kapitel: Wo wir sind, ist vorn! Es geht seinen sozialistischen Gang
106
John Stave Der Tod im Neubau
108
Heinz Winkler Das Auftragswerk
112
Heinz Helm Hilfe, es kommt Besuch!
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Nils Werner •
Teils, teils
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Edgar Külow Der Genosse Bornschein
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Ernst Röhl Korrektur Zeittafel Rechtliches
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Was für ein Theater
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o oe 111a o 1tlie soiH ••. Was war das für eine bewegte Zeit im Kulturleben der DDRBürger! Wie Heuschrecken fielen die Künstler in die Produktionsbetriebe, interviewten und störten die Arbeiter, schrieben Drehbücher, Romane und Gedichte. Den Satirikern fielen die Stoffe ins ständig geöffnete Maul. »Kommt ein Einkäufer in eine Pumpenfabrik. Sagt er zu einem Arbeiter: >Weißt du eigentlich, Kollege, was ihr für beschissene Pumpen produziert?< Sagt der Angeredete: >Moment mal, ich bin überhaupt kein Arbeiter, ich bin Schriftsteller.< Meint der Einkäufer: >Ach daher!<« Der Leiter des Hallenser Kabaretts »Die Taktlosen« schrieb ins Programmheft: »Schauspieler beraten Volkskunstschaffende!« Und ADN meldete: »20 Künstler vom Bergarbeitertheater Senftenberg leiten Volkskunstgruppen an. Ihre Hilfe trägt unter anderem dazu bei, das Kabarett des BKK Senftenberg zu einem Arbeitertheater zu entwickeln.« Woraufhin sich das Kabarett »Die Taktlosen« verpflichtete, eine Arbeiteroper zu werden. Das Theater Senftenberg gibt es heute noch. Vom Arbeitertheater hört man nichts mehr. Dafür sind einige operettenreife Szenarien in Erinnerung geblieben, die von den Kulturpolitikern geschrieben wurden. Sie nahmen die Kollegen Kulturschaffenden im allgemeinen und die Kabarettisten und Satiriker im besonderen unter ihre Fittiche, feuerten sie zu kämpferischem Humor an oder zeigten ihnen zumeist mit Verweis auf eine »jähe politische Wendung« oder die »besonders angespannte politische Großlage« - die Daumenschrauben. Kinder, Kinder, was habe ich an der Leipziger Pfeffermühle, an der Berliner Distel und auf anderen Bühnen für ein Auf und Ab von Genehmigung und Verboten, von Beifall und Rückzügen erlebt. Da ließen sich Geschichten erzählen! Und das waren keine Sternstunden des Humors! Um so besser, daß uns diese Anthologie das einstige Tun und Treiben der Kabarettisten, Fernsehkomiker und Humorautoren noch einmal vor Augen führt. Viel Spaß wünscht Ihnen Ihr Edgar Külow
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Edgar Külow
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Solo-Abend in der Distel Bitte keine Zwischenrufe, wenn Sie was zu sagen haben, melden Sie sich bei Ihrem Zehnergruppenleiter. Genossinnen und Genossen, ich begrüße und beglückwünsche Sie zum Welttheatertag, verlese Ihnen die Tagesordnung der Zentralen Delegiertenkonferenz der Sonderkommission zur Untersuchung der gesellschaftlichen Relevanz des real existierenden Theaters, zur Beantwortung der gravierenden Frage: Muß das Theater hier und heute unterhaltenden Charakter haben? Kollegen, die Tagesordnung: Wahl des Präsidiums. Unser Lachen kommt weder aus Zwotens: Kulturprogramm. Drittens: Referat. Vierdem Kopf noch aus der Lende, tens: Diskussion. Fünftens: Schlußwort. Sechstens: weder aus der Kehle noch aus Gemeinsamer Gesang der Hymne. Wer mit dieser Tadem Herzen. Es kommt aus der gesordnung nicht einverstanden ist, den bitte ich um Faust! das Handzeichen. Keiner? Wo ist die Bezirksdelegation Halle? Der Bezirksverband Halle war vom Sekretariat angewiesen, eine Nein-Stimme zu stellen. Warum ist das nicht erfolgt? Wir haben es mit Cottbus versucht, aber da wollte der Delegierte mit der Nein-Stimme auch zugleich die Ausreisegenehmigung haben. Teilen Sie sich 's ein, es dauert drei Stunden. Das ist weiter nicht tragisch, schreib ins Protokoll: Einstimmig. Punkt 2 der Tagesordnung: Referat. Genossinnen und Genossen, Kolleginnen und Kollegen, Schauspieler und Schauspielerinnen, Sänger, Genossen Sänger, heute begingen die Werktätigen des Theaterwesens ihren internationalen Kampf- und Feiertag für sozialistischen Realismus und höhere Löhne. Liebe Freunde, während es in Westdeutschland immer trauriger, nicht wahr, wird, ist seit dem IX. Parteitag der Frohsinn Bestandteil unseres täglichen Lebens geworden. Früher waren unsere Menschen vergnatzt, wenn es mal etwas nicht gab, eine Schrankwand, einen Reißverschluß, ein Fahrrad. Heute lachen wir nur noch darüber. Welch ein bedeutender Fortschritt gegenüber dem Eisenacher Kongreß von 1869. Wer hat denn in der Kunst so viel goldenen Humor wie die DDR?
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Keiner! Wer hat denn Herricht/Preil? Wrr! Wer hat denn Reiner Süß und Ingeborg Springer? Wir. Wer hat denn Ekkehard Schall? Wir! Ja, manche mußten wir schon an den Westen abgeben. Und dieser Humor wird im nächsten 5-Jahr-Plan noch um 27,4 Prozent zunehmen. Siegfried Wagner, Minister für Batik und Kartoffelsiebdruck, wies auf der Unterhaltungskonferenz darauf hin, daß wir durch die selbstlose Mitarbeit der seriösen Künstler wie Reiner Süß, Gisela May, Jochen Thomas, Ingeborg Springer, Peter Schreier, Theo Adam, Dieter Mann den Humor planmäßig vorangebracht haben. Ich wurde vor der Konferenz von einigen Delegierten gefragt, warum ich nicht auf der Konferenz der Unterhaltungskunst gewesen wäre. Es ging nicht. Auf meinem Mandat saß schon der andere. Und ich wurde weiter gefragt, warum ich denn nicht an der Gala-Schau der Komiker teilgenommen hätte, da saß auch schon der andere. Immer, wenn ich in der Heiteren Muse aufkreuze, schreit der andere: »Ich bin schon da!« Naja, vielleicht, liebe Freunde, ist der andere wirklich komischer als ich. Auf alle Fälle ist er immer da, der Genosse Professor Wolfgang Heinz. Und schon, liebe Freunde, kommt in uns wieder diese ungeheure Fröhlichkeit hoch. Aber, Genossen, diese Fröhlichkeit muß eine parteiliche sein. Sie muß Klassencharakter haben. Sie ist scharf und zupackend. Die Fröhlichkeit unserer Funktionäre ist kurz und vernichtend für den Gegner. Es gilt, die Scheißfreundlichkeit kleinbürgerlicher Philanthropen zu überwinden. Unser Lachen kommt weder aus dem Kopf noch aus der Lende, weder aus der Kehle noch aus dem Herzen. Es kommt aus der Faust! Sie nehmen's mir nicht übel, aber schlagen Sie bitte noch mal im Rechenschaftsbericht nach, da werden Sie an dieser Stelle lesen: »Langanhaltender Beifall, der sich zu Ovationen steigert!« Da hab ich nichts von bemerkt. Natürlich müssen wir uns beim Finden von neuem Humor auf bereits vorhandenen stützen. Unser klassisches Humor-Erbe liegt zum Beispiel im Faschingstreiben, da liegt es volkstümlich verankert. Diese positiven Ansätze müssen von uns politisch gelenkt werden. Wir müssen also heute darüber beraten,
Das Who is who der revolutionären Traditionen: Unser Bester-Kabarettist Edgar Külow - in der Mitte zwischen den Helden von 1976.
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ob wir die Elferräte im Karneval zum Beispiel in Parteileitungen umwandeln - oder die Parteileitungen in Elferräte. Was ja in der Praxis bedeuten würde, daß der Parteisekretär den verpflichtenden Beinamen Prinz Karneval verliehen bekäme. Wie dem auch sei, liebe Freunde. Entscheidend ist nicht, ob du eine Pappnase auf hast, sondern wie du zur Sowjetunion stehst. Hennann Axen~ Ho-; Heute, am Welttheatertag, läuft im Fernsehen Richard III. neckers engster Mit7 .; Heinz Adameck hat also richtig erkannt, daß am Welttheaterarbeiter, besucht eine tag in der DDR Köpfe rollen müssen. landwirtschaftliche Aber auch der Humor soll nicht zu kurz kommen. Im ersten Produktionsgenosvon 1943. Naja, ich bitte Programm läuft ein Ufa-Lustspielfilm senschaft. Die Presdas, was jetzt kommt, nicht zu protokollieren: Hitler hat seleute haben ein schließlich nicht nur Schlechtes gemacht, man denke nur an paar Fotos gemacht, die Autobahnen und die Ufa-Filme. Überdies hat Grete Weiser die Axen inmitten einer Herde Schweine mal gesagt, Westberlin sei eine großartige Insel im kommunizeigen. Nunmehr entstischen Meer. Dafür müßte sie eigentlich schon mal bald im steht in der Redak»Kessel Buntes« zu sehen sein. tion des »Neuen ·. ,.· . · , Entscheidend ist ja schließlich immer der Aspekt, unter dem Deutschland« ein,"k '· . man eine Sache sieht. Es hat zum Beispiel im abgelaufenen Streit über den'Text im Süden der DDR gegeben. Berichtsjahr einige Theaterbrände der Bildunterschrift. Uns liegt unter anderem ein Bericht über einen Theaterbrand Der erste Redakteur im Süden vor, darin meldet der Intendant dem Oberbürgermeischlägt vor: »Axen ster: »Mein Theater hat dank eines heldenhaften Einsatzes unter Schweinen.<< Der zweite Redakdie Feuerprobe heute bestanden.« Der OB meldet an den Rat teur: »Das geht nicht. des Bezirkes: »Dank meines heldenhaften Einsatzes hat das Besser ist: Axen in~ Theater ein glühendes Bekenntnis abgelegt.« Der Rat des Bemitten von Schweizirkes ans Ministerium für Kultur: »Unser Theater hat einen nen.« Darauf der.diät:. geleistet.« Das Ministerium an den zündenden Beitrag Minite Redakteur: ». Urli ·.. ~ sterrat: »Der Süden unserer Republik ist ein leuchtendes VorGottes willen, das · bild geworden.« Und »leuchtendes Vorbild« wollen wir doch gibt Probleme mit der schließlich alle sein. Wir müssen alle brennen, oder? Ich denk Zensur. Ich schlage dabei natürlich nicht an irgendwelche Selbstverbrennungen. vor: Vierter von links: Hennann Axen.« Das wäre für unsern Staat auch zu teuer. Die Tonne Erdöl kostet doch heute keine sechzehn Rubel mehr wie vor zehn Jahren. Genossinnen und Genossen, das sozialistische Lager, insbesondere die DDR, hat große Erfolge zu verzeichnen, und deshalb kann schon heute, und nicht erst, wie beabsichtigt, 1980, auf die grünen Essenmarken wahlweise auch Pudding abgegeben werden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Sie hören nun das übliche Kulturprogramm. .
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Prolog Wrr standen einst geschlossen hinter allen Beschlüssen, die Partei und Staat gefaßt. Doch sind dann leider ejnjge abgefallen Und von zehn andern möcht ich sagen, fast.
Inzwischen haben wir sie umgemodelt. Sie wissen wieder, wo sie hingehören. Auch Volker Braun hat jüngst für uns gejodelt, Und Jurek Becker will uns nicht mehr stören. Verschiedene Mimen mimen jetzt im Westen, So wird man von der DDR verwöhnt, Ernst Kahler darf bei uns hier weiter spielen, So sind die Künstler allesamt versöhnt.
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Naja, die Kunst geht letztlich doch nach Brötchen, Und so ein Schauspieler, der braucht viel Brot. Der apportiert, gibt auf Kommando Pfötchen, Schart Geld zusammen, und dann ist er tot. An seinem Grabe grinsen die Kollegen,
Und sieben Witwen stehen hier schwarzbetucht. Minister Hoffmann gibt den letzten Segen. Die kleinen Kinder wirken ausgeruht. Wir denken heute aller dieser Mimen, Die sich durch viel Theater intrigiert, Die Funk und Femsehn tausendmal beschissen, Und letzten Endes immer nur kassiert. Doch gibt es Treue, echte deutsche Treue, Und diese Treue gibt es im Verband, Und sie ist frei, selbst bei Betrug, von Reue, Und diese Treue nennt sich Hermann Kant. Er steht geschlossen, hab ich jüngst gelesen. Das rufen wir auch unserm Nachwuchs zu. Hast du im eigenen Hause deinen Besen ... (Schön, kann ich die Zeile weglassen ... ) Auch für den Mimen bleibt der beste Job 'ne Genexmucke und Synchron bei Intershop.
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Bereits in der ersten Stunde unserer Konferenz liegen zahlreiche Grußadressen vor. Einige verlese ich: Anläßlich der Delegiertenkonferenz der Freunde des 1. April verpflichtet sich das ND in der Sonnabendausgabe statt eines bekannten Staatsmanns auf der Titelseite einen weiblichen Akt zu bringen. Bewerberinnen müssen mindestens eine vierzigjährige Parteizugehörigkeit haben. Doktor Manfred Wekwerth grüßt die Delegierten und läßt wissen, daß er einen Film über Thomas Müntzer dreht. Den Müntzer spielt Renate Richter. Die vom Fernsehen der DDR für den 1. April geplante Gala.h h schau des Humors ist durch den Vorsitzenden einige 1ch hoffe, daß 1c morgen noc Mal . hn·tt d ·· d rt d s· t ··gt d. z t. d 0 1 . rt e emgesc 1 en un veran e wor en. 1e ra ie usAim.mlku~g er e egie en jetzt auf allgemeinen Wunsch den Namen »Aktuelle des 2. pr1 r1ege. K amera«. Der Verband der Harzer Natur- und Heimatroller grüßt die Delegierten. »FrräundewirrrgrrüßendieDeligrrrrrtenundrrrmpenbrrrpendrmmmtenterrrundrrrmpenbrrrpendrmmmtenterrr ... « Die Fußballnationalmannschaft der DDR grüßt die Delegierten aus Athen vom Olympia-Qualifikationsspiel. »Wrr sind hier auf der Akropolis. Die Griechen, sieht man hier, hatten es schon immer schwer. Alles Krüppel: dem einen fehlen die Arme, dem andern die Ohren, einigen sogar die Köpfe. Croy meint, das sei alles Tarnung, und wir sollten uns auf vollständige Gegner gefaßt machen. Georg Buschner will Vogel als Griechen einsetzen.« Ich wurde in der Pause von zwei oder drei Delegierten angesprochen, ob es stimme, daß - ich will keine Namen nennen der und der im Publikum wäre. Es sind zweifelsohne ein paar Köpfe da, die sehen wie ein paar andere Köpfe aus. Sind es aber Gott sei Dank nicht. Es ist ein Antrag ans Präsidium gegangen von der Delegation aus Krumhermersdorf. Dort macht man sich Gedanken ... Sie wissen, wo Krumhermersdorf liegt? - Lieben Freunde, wenn Sie wissen, was man dort für Antennen bauen muß, um überhaupt ... Da kaufen Sie sich hier in Berlin Autos für! - Und die haben gefragt, wie das ist bei der Kunstauswahl, ob die Wahl des Stoffes dabei eine entscheidende Rolle spielt ... Ich will's hier erklären. Ja, sie spielt eine entscheidende Rolle. Sie spielt eine solch große Rolle, daß man ein bißchen was dazu sagen muß. Der Aufhänger zu dieser Angelegenheit ist: Ich sah jetzt im Fernsehen aus Dresden den »Revisor«. Ich hab den »Revisor«
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schon sehr oft gesehen, aber was da losgelassen wird! Ich habe mal ein Laientheater ohne Anleitung gesehen, die Klassiker waren gegen das, was da kam. So was Schlimmes hab ich noch nie gesehen und dachte: Das kann nicht sein! Selbst Wolfgang Dehler, ein durchaus seriöser Mensch, der ließ da die Hosen runter. Und dann las ich die Kritik im ND und die war un-geheu-er guuut. Also das ist das Größte, was je auf unserm Theater lief! Der Regisseur kam aus Leningrad! Ich habe Sie darauf hinzuweisen, daß schon in der ersten Stunde Glückwunschtelegramme eingegangen sind. Ich möchte verlesen, von welchen Einrichtungen uns Glückwunschtelegramme zugingen ... und auch von Einzelpersonen ... wahren wir den feinen Unterschied, jawoll, der muß sein. Bertolt Brecht. Besamungsanstalt Pablo Picasso, Torgau. Kreisparteischule Apostel Paulus, Wolmirstedt ... vielleicht von der CDU? Das Hilfswerk Vater und Kind ... Das erste möchte ich verlesen. Es kommt vom Fernsehen der DDR. »Anläßlich eurer Delegiertenkonferenz verpflichten wir uns, im kommenden Jahr >Distels Nachtmusik<, >Die Leiden des jungen W< und >Die Kipper< nicht zu senden. Darüber hinaus ist weder an Fernsehsatire noch irgendwelchen geistvollen Fernsehspaß gedacht. Ihr kennt das ja, zu leicht gerät man in die Situation, daß, wenn man Gutes bringt, die Menschen dann immer mehr davon haben wollen, während bei ständigem Mittelmaß doch eine rechte Zufriedenheit herrscht. Ihr Intendant.« So, die anderen verlesen wir vielleicht später ... So, ich hab die ersten Zahlen von den Kommissionen. Die Redaktionskommission teilt mit: Auf unserer Delegiertenkonferenz befinden sich 6 hervorragende Persönlichkeiten, 24 Persönlichkeiten, 356 Delegierte, 48 Gäste. Der Frauenausschuß ergänzt, daß von den Delegierten heute abend 187 Frauen sind, von diesen 187 Frauen nehmen 129 die Pille, 51 haben Angst, sieben sind emanzipiert. Wrr treten in eine viertelstündige Pause ein. Bitte die Delegierten pünktlich wieder die Plätze einnehmen!
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Die Delegierten haben eine Grußadresse an die UNO, Sektion April verfaßt. Der Wortlaut: >>Angesichts der Tatsache des Umstandes versichern wir, daß die DDR immer, stets und dauernd! Herzliche Grüße an Waldheim und die anderen Österreicher! Die Delegierten des 1. April.« Wer gegen diese Resolution ist, den bitte ich ums Handzeichen. Ich hoffe, daß ich morgen noch die Zustimmung der Delegierten des 2. April kriege. Du, Genosse? Ach so, schon für morgen! Wrr kommen zum Punkt 6 unserer Tagesordnung, Aufforderung
an das Präsidium und Publikum zum Singen der Hymne ... Und die Stelle mit »Deutschland einig Vaterland« summen wir einfach weg! >>
Wzr machen alles nur
mit Netz.<< •
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Ottokar Domma
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"''" Das Lachen in der Schule gehört zu den schönsten Vorkommnissen im Leben eines Schülers. Man kann das Lachen in drei Abteilungen einteilen: Erstens das normale Schülerlachen, zweitens das unfreiwillige Schülerlachen und drittens das verbotene Schülerlachen. Einer, der nicht mehr zur Schule geht, denkt vielleicht, Lachen ist Lachen, aber da irrt er sich mächtig, und ich werde das an einigen Beispielen erklären. Das normale Schülerlachen ist am häufigsten, und es entsteht meist von ganz allein. Als Schüler können wir über alles lachen, zum Beispiel über Witze, Blödheiten, Versprecher, Fratzen, doofe und lustige Antworten, auch über Tintenkleckse, öffentliche Kleidungsstücke, ulkige Figuren beim Sport, Witzzeichnungen, nackichte Fotos, Liebesbriefehen und Liebespärchen, Kaugummiblasen, manche Bücher und Filme, schlafende Schüler, Affen im Tierpark, Clowns oder auch über moderne Damen und Lackaffen, über komische Stimmen, betrunkene Werktätige, Aprilscherze, Gesellschaftsspiele, beim Faschingsfest und überhaupt, wenn die Erwachsenen sich wichtig machen und angeben. Manchmal lachen wir, wenn wir ausgeschimpft werden, damit keiner merkt, wie es uns ärgert. Die Mädchen lachen oft nur so dahin und wissen gar nicht, warum. Es genügt schon, wenn sie sich bloß angucken. Man bezeichnet dies auch als albernes Lachen, und es entspricht nicht dem hohen Lachniveau. Das normale Lachen muß man vom Auslachen unterscheiden. Das Auslachen ist pioniergesetzlich verboten, macht aber Spaß. Auch ist es nicht immer leicht, zwischen diesen beiden Lacharten zu differenzieren, wissenschaftlich ausgedrückt. Wenn man nicht genau weiß, ob jetzt ein erlaubtes oder ein verbotenes Lachen dran ist, braucht man nur zu gucken, ob der Pionierleiter oder der Lehrer mitlachen muß. Wenn ja, dann ist man gesetzlich geschützt, wenn nein, dann kann man immer noch durch die Nase lachen. In diesem Falle ist es aber angebracht, ein sauberes Taschentuch bei sich zu haben, sonst vergeht auch dem lustigsten Lehrer die Lache.
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Das unfreiwillige Schülerlachen, auch künstlerisches Lachen genannt, hat große Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Lehrerstimmung. Das künstlerische Lachen haben die Erwachsenen als schlechtes Vorbild erfunden und ist meistens ganz schön falsch. Dazu ein Beispiel: Wenn der Herr Lehrer Kurz in unsere Klasse kommt, dann ist es besser, wir stellen uns auf einen ernsten Gesichtsausdruck ein. Der Herr Kurz spricht immer sehr gebildet und wissenschaftlich, und in der Wissenschaft sind dumme Witze nicht erlaubt. Aber manchmal hat auch der Herr Kurz einen Tag, an dem er lustig sein möchte. Das geht so vor sich. Er kommt in die Klasse, zeigt ein künstlerisches Lächeln und spricht sehr schön hochdeutsch: >>Und nun wollen wir einmal eine Blüte der Wissenschaft anhören, was sie uns und der Nachwelt zu sagen hat.« Er ruft dann meistens den armen Schweine-Sigi auf. Das ist für manche Schmeichler und Kratzer das Zeichen, dem Herrn Kurz zuzulachen, und der Herr Kurz freut sich, wie es ihm gelungen ist, wenigstens einige Schüler fröhlich zu machen. Wer nicht mitlacht, ist die nächste wissenschaftliche Konifäre oder so was ähnliches. Ich war auch einmal ein Auserwählter, nämlich als wir unsere Klassenarbeiten zurückbekamen. Der Herr Kurz sprach lobend zu mir: »Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn«, und ich antwortete dankend: »Und ein alter • Gockel muß Federn lassen!« Alle lachten, aber das war schon ein verbotenes Lachen. Denn der Herr Kurz fragte gleich streng, wie ich das meine. Ich sagte, biologisch, damit er mir nichts anhängen konnte. Es kommt auch vor, daß manche Lehrer ein richtiges Witzchen machen. Trotzdem muß man dabei vorsichtig sein und darf nicht an der falschen Stelle lachen. Das verbotene Schülerlachen tritt meistens dann in Erscheinung, wenn es nichts zu lachen gibt. Und das passiert öfter. Aber manchmal kann man sich auch täuschen. Dazu ein weiteres Beispiel:
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Wenn ich Witzzeichnungen sehe, muß ich immer lachen, weil die Figuren so ulkig sind. Manchmal schneiden wir sie aus und kleben sie im Flur an die kritische Wandzeitung. Gestern stand ich wieder davor und habe mich über eine Figur halb kaputt gelacht. Ich sagte zu meinem Freund Harald: »Guck mal, der da sieht aus wie der Herr Burschelmann. So ein Bauch und so eine Knollennase!« Der Harald hustete und gab mir einen Tritt von der Seite. Ich dachte, es ist Freude, und fuhr fort: »Und die Hosen sind genauso verbeult wie beim Herm Burschelmann! « Der Harald fing plötzlich leise an zu singen: »Paß auf, paß auf, sonst gibt's was drauf!« Ich dachte, er besingt die Knollennase und ergänzte meine Bildbetrachtung: »Wenn ich jetzt noch eine Brille dranmale, dann ist es ganz der Herr Burschelmann! « Da sprach hinter mir eine tiefe Stimme: »Darf ich dir meinen Filzstift dazu leihen?« - Es war tatsächlich der Herr Burschelmann. Ich wollte mich schon entschuldigen, aber da geschah etwas Seltsames. Der Herr Burschelmann malte selbst die Brille auf die Witzfigur, und danach lachte er, daß sein Bauch nur so wackelte. Aber das hatte noch ein Nachspiel. In der Mathestunde tauchte plötzlich der Herr Direktor Keiler auf. Er hatte die Witzzeichnung in der Hand und fragte: »Wer war das?« Auf die Figur wurde nämlich inzwischen noch ein Schnurrbart gemalt, und jetzt sah sie aus wie der Herr Direktor persönlich. Ich wollte nicht, daß der Herr Burschelmann reinfällt, und meldete mich gleich als der Täter. Da sprach der Herr Keiler zum Herrn Burschelmann: »Na, das erledigen Sie wohl am besten selbst!« und ging. Der Herr Burschelmann rief: »Ottokar, dein Tagebuch!« Ich war ganz erschrocken, denn nie hätte ich dem Herm Burschelmann zugetraut, daß er mich dafür auch noch bestraft. Als ich dann nachschaute, hätte ich beinah ein bißchen geheult, aber ich riß mich zusammen. Nur dem Harald zeigte ich, was der Herr Burschelmann hineingeschrieben hatte, nämlich diesen Satz: »Lob und Dank für Dein kameradschaftliches Verhalten!« Harald bekam auch schon rote Augen, und so können wir sagen, daß wir schon lange nicht mehr so fröhlich waren, aber mehr nach innen. Die anderen in der Klasse freuten sich jetzt auch - aber mehr aus Schadenfreude.
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Erwin F. B. Albrecht
Sauer wie ein Faß Essiggurken betrat der Humorist Peter Pilsator, in Kollegenkreisen auf »Pepi« abgekürzt, die örtliche Umtauschzentrale, wurde vom Pförtner registriert, abgestaubt und unter aufmunternden Zurufen in das Büro der Aufnahme, Buchstabe P, geführt. »Was hätten Sie denn gerne umgetauscht?« Der Mann am Schreibtisch sah den Besucher an wie eine Dackelmama ihre frisch geworfenen Jungen. »Ihren Pfeifkessel oder die Ehefrau oder das Auto oder Ihr flämisches Barockspeisezimmer?« »Ich möchte meinen Beruf umtauschen«, erklärte Pepi, »denn mich wurmt, daß trotz meines hohen Alters noch kein einziger MMM t t d Dampfer meinen Namen trägt. Es müßte ja nicht unbe. Ein neues en s an : dingt . Kri hiff · d h k · z hnt dt Männermode von morgen. em egssc sem un auc em e ausen onnenfrachter - wenn es nur einer von den kleinen grünen Vergnügungsdampfern wäre, wie sie bei uns auf dem Dollbrägensee verkehren ... « Dem Dezernenten kommen die Tränen. »Sie haben recht - dem Humoristen flicht die Mitwelt keinen Lorbeer.« Er betätigte einen Druckknopf. »Wollen sehen, was unser Computer Ihnen zum Tausch anbietet.« Auf dem Bildschirm erschien eine Wanderschrift: ,,peter pilsator, humorist, geb. 13. 7.16, im umtausch geeignet als 1. soßenkoch, 2. irrenwärter, 3. modeschöpfer. ende.« »Als Herrenmodeschöpfer hätte ich vielleicht 'ne gute Idee«, meinte Pepi. Ein halbes Jahr später sah sich der Humorist als Objektleiter eines »Herrenausstatters«, dessen Bestimmung als Versuchsanstalt kaum erkennbar war, weil Pepis Vorgänger, wie Experten sagten, nicht einmal den Versuch eines Versuches versucht hatten, die Herrenmode zu beleben. Unter dem Slogan »Für die Gleichberechtigung des Mannes!« schöpfte Pepi Mode. Ein neues »MMM« entstand, der Begriff »Männermode von morgen«, die sich ausschließlich an den bisherigen Privilegien unserer lieben Frauen orientierte. Neuartig wirkte auch das Herrenparfüm mit der Benzin- und Ölduftnote, und als apart durften nicht nur die Ohrclips mit den Fußballanhängern gelten, sondern auch die Männerhandtaschen mit Kognakflakon. Die Nahtlosen, Modell »Bis oben ran«, wurden dagegen mehr mit Zurückhaltung aufgenommen. »Wegen eurer Stachelbeerbeene«, meinte eine junge Dame.
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Doch was tat's - von Tag zu Tag waren Pepis Schaumodelle dichter umlagert, und bald schon kam die Stunde, wo der Wagen des Generaldirektors der Vereinigung der Umtauschbetriebe vor dem Laden hielt. Der hohe Besucher lachte dezent, aber wegweisend. »Natürlich alter Hut, das da! Damenimitatoren gab's schon zu Ben Akibas Zeiten. Aber der Objektleiter hat nicht nur Mutter-, sondern auch Vaterwitz. Und wie nötig brauchen wir Humoristen! Werden ihm Engagement besorgen. Wozu sind wir schließlich eine Umtausch-Organisation?« So kehrte Pepi auf die Bühne zurück. Durch die direktorale Belobigung mächtig aufgepulvert, beschloß er, kühn dem Beispiel der Herrenmode zu folgen und beim alten zu bleiben. Und kam nun, als »Ben Akiba des Humors«, erst richtig in Mode, nicht zuletzt durch seine Fernsehreihe »Die heitere Mottenkiste«. Pepis Titel »Heute wird noch mal gesumpft, / Morgen kommt der Wendepumpft« wurde ein Karnevalsknüller. »Immer wieder, immer/ Knie ich mich ins Zimmer, / Rufe froh, wo bleibst du nur, du Schlimmer!« - mit diesem Spaß also hat Pepi sogar zu einer Vermehrung der Kaviarimporte durch den DIA beigetragen. Doch all das war nur ein Anfang. Während die Männerhosen gerade wieder mal schlotterweit und mit Umschlag um unsere Fesseln schlenkerten, ermunterten Pilsators Erfolge eine wachsende Zahl junger Talente, mit Witz und Ironie die verkalkte Schnulze zu liquidieren. »Der Humor besiegt den Wimmerkitsch «, schrieb bissig ein führender Kritiker. »Ein völlig neues Zwerchfellgefühl überkommt die Menschen, während die abgelösten Schnulzentexter ~~~·~· ~: ·: durch unsere Umtausch-Organisation zu den Her- ..___. - ·- · _ _ _ __ _______. renausstattern vermittelt werden, so daß der Einfallslosigkeit >>So was läßt sich eben in der Männermode auch künftig nichts im Wege steht.« nicht erzwingen. (( Pepi aber konnte sich nun bald zur Ruhe setzen. Zur Erinnerung an den Applaus kultivierte er fortan in seinem Garten Klatschmohn. Und als er sechzig wurde, buk seine Wirtschafterin ihm eine Butterkremtorte. Zur gleichen Stunde, da Frau Strietzel sie anschnitt, taufte man übrigens am Gestade des Dollbrägensees den jüngsten Dampfer der grünen Flotte auf den Namen »PILSATOR«. Allerdings wurde damit nicht des Humoristen Pepi gedacht, sondern der Erfindung eines gewissen Bierbrauers Eugen Pilsat, der ja auch Verdienste, gewissermaßen mehr geistiger Art, an seine Fahne geheftet hat.
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Horst von Tümpling
Als die Szene kam, in welcher der Verkehrspolizist auf seinem Podest inmitten des flutenden Straßenverkehrs mit seiner Mütze zu kämpfen begann, da wollten sogar die beiden abgebrühten Aufnahmeleiter fast zerplatzen vor Lachen. Auch der Regisseur warf prustend seinen Oberkörper vor und zurück; seine Sonnenbrille, die er, weiß Gott warum, immer im Haar statt vor den Augen trug, flog in weitem Bogen über drei Stuhlreihen des Abnahmeraumes und zerbrach knirschend unter den Absätzen des Kameramannes, der vor Vergnügen mit den Füßen stampfte. Währenddessen rutschte vom auf der Leinwand dem Verkehrsposten seine Mütze abwechselnd vor die Augen und in den Nacken; der Mann stand so zeitweise im Dunkeln und mußte sogleich der tückischen Kopfbedeckung mit der KraSelbstverständlich sollen unsere genbinde einen unsicheren Halt geben. Auf dem rechMenschen auch mal herzlich ten und auf dem linken Ohr hing die Mütze abenteulachen. Es fragt sich eben immer erlich, immer in Gefahr, ganz herabzufallen. Endlich nur worüber! klemmte sie sich der Unglückliche zwischen die Knie, aber sofort zeigte es sich, daß ihm nun die vorschriftsmäßige Wendung unmöglich wurde, mit der er den Einbiegeverkehr freizumachen hatte. Jemand machte im Abnahmeraum Licht. In den Stuhlreihen sahen sich schweißnasse, vom Lachengerötete Gesichter verlegen an. Alle schwiegen betreten, nur die Ateliersekretärin in des letzten Reihe stieß noch einen letzten spitzen Jauchzer aus. Der Regisseur erhob sich, fuhr sich durchs Haar, wo er die Brille vermißte. Er wandte sich den Umsitzenden zu: »Na?« fragte er. »Ja, ich glaube auch ... Ich fürchte sogar ... «, stammelte der Produktionsleiter, dessen Kurzatmigkeit von dem soeben glücklich überlebten Lachkrampf herrührte. Der Regieassistent blätterte verlegen im Drehbuch. »Ja«, sagte der Regisseur, »ich glaube, das geht nicht. Es ist, nun ja, es ist eine Klamotte. Einfach zu albern. Zu wenig Substanz, ja.« »Viel zu wenig Substanz«, setzte der Produktionsleiter den Gedanken fort, »das denke ich auch ... « Der Regieassistent aber bemerkte entschlossen: >>Nicht nur
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das, es ist auch falsch. Denn was sagt uns diese Szene? Sie sagt doch, daß unsere Verkehrspolizei keine passenden Mützen hat. Und wollen wir das, frage ich?« Alles schwieg betroffen. Der Kameramann aber wandte ein: »Aber er hat doch, Einstellung römisch sechs Strich vier, in der Inspektion nur versehentlich eine fremde Mütze gegriffen. In der Eile. Weil er verliebt ist, darauf beruht doch die ganze Story ... « »Trotzdem«, behauptete sich der Regisseur und schwitzte, »trotzdem, und sehen Sie mal: Wie sagt zum Beispiel Brecht? Brecht sagt: Nicht mehr fehlte mit der vierten Wand zugleich der Erzähler. In seinem Aufsatz über das epische Theater. Es trifft ja vielleicht nicht ganz unser Problem, aber immerhin, Brecht wußte, was er sagte.« Die Versammelten waren nun doch nachdenklich geworden. Dann meldete sich der Regieassistent zu Wort: »Ich denke so: Eine Mütze verwechseln, was heißt das? Wollen wir Wirklichkeit vielleicht so darstellen, als ob in den Reihen unserer Volkspolizei, ich will mal sagen, Schlamperei und Unordnung herrschen? Wie ist denn unsere Wirklichkeit? Unsere Wirklichkeit ist doch so, daß gerade der Kampf gegen die Schlamperei und für eine noch bessere Einhaltung der Ordnung ... « »Es ist doch ein Lustspiel ... «, wagte sich der Kameramann wiederum hervor. >>Und wir zeigen das doch auch, hier im Drehbuch steht es ja!« Er reichte das Manuskript dem Regisseur, der reichte es dem Produktionsleiter, der sofort mit fliegendem Auge über den Text herfällt. Und was er sucht, das findet er auch: »Na, bitte, hier steht deutlich: Während Leutnant Karstens gelassen zum Telefon greift, hastet Wachtmeister Gerd zu seinem Spind, greift dort, ohne hinzusehen, eine Mütze, die er - Schnitt - auf der Straße aufsetzt ... Ja, merkt ihr denn nichts, Kollegen?! Gelassen der eine, hastig der andere. Wozu diesen künstlichen Gegensatz in das Kollektiv einer Polizei-Inspektion hineinkonstruieren? Und dann noch: ohne bjnzusehen! Also han•
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delt unsere Volkspolizei sozusagen blindlings, kopflos, unüber_: Elli Vo1Kspoiizist ·· · · . · legt, was? Also, ich verstehe euch nicht, Kollegen ... !« . sitz:lmit' seinen, Fra.11 ~ »Ein Lustspiel ... «, wiederholte der Kameramann erneut. Man ·.illr~ ~t). ·Die.iril~-·· ~· . blickte sich erstaunt an. ::~ßz~n~.-zeigt·· e~en · •. . · »Also, diese Frage des Lustspiels ist, denke ich, ausdiskutiert. , ~cliw~k:enden Steg,. ·.·uoer den~ ein Polizist· Selbstverständlich sollen unsere Menschen auch mal herzlich .1äuft. >>Weftendaß:aer ~ duktionsleiter scharf. ~' gt~iclt ins Wa.sseF < , · »Nur über meine Leiche!« ließ sich der Regisseur hören, der :· fälJ;tl« ·Der Mann:hält ~ aber bloß falsch verstanden hatte. Dann zuckte er die Achseln . .,.;a~gegen .. Dacn ~ · '. M~· »Man könnte vielleicht«, schlug er vor, »die Szene mit der Po· · gleicli darauf -fällt: . lizei noch einmal drehen. In anderen Uniformen. So daß das -den Polizi~t ::itis: Was- · ganze im Ausland spielt. Schweden vielleicht ... « set~ Eer l?oliZist ·. ·.'.' ·: »Schweden! Ich denke, wir haben keinerlei Grund, uns mit den :.l~Rfsc~ütterl1~: ·JJfGh ·. na}) ~a:en~Rilm'gestem~ neutralen Ostseeländern anzulegen. Nachher heißt es, wir machen uns über die Einführung des Rechtsverkehrs da oben lusehon gesehen uiid ·~ ·. stig«, sagte der Produktionsleiter ernst. J~4ä.tte: ge~~cnt, -·" ::· »Lassen wir es doch bei der Szene, Kinder!« rief der Kamera.
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fröhlich. »Der Gegenspieler ist der, der nun eine zu kleine Mütze aufhat. Das ist doch logisch!« Niemand wollte aber diesen Knüller würdigen. Der Aufnahmeleiter war wegen seiner rüden Späße zu bekannt. Der Produktionsleiter erhob sich. Nach einer bedeutsamen Pause sagte er: »Ich glaube, wir brauchen kein Wort weiter zu sagen. Die Fronten sind nun klar, denke ich. Alles weitere an anderer Stelle.« Damit ging er hinaus. In verzagter Reihe folgte der Drehstab. Zurück blieben der Aufnahmeleiter und die Ateliersekretärin. Sie warteten, daß es wieder dunkel wurde im Abnahmeraum. Alles in allem, so stellte sich später heraus, war es ein nützlicher Meinungsstreit. Noch jetzt lacht man manchmal herzlich im engeren Bekannten- und Freundeskreis von Regisseur, Kameramann und Produktionsleiter über den unglücklichen Verkehrspolizisten mit der vertrackten Mütze. Vom oftmaligen Vorführen in den klimatisch nicht immer günstig gelegenen Wohnsitzen der Filmschaffenden ist der kurze Streifen schon etwas brüchig geworden. Aber alle waren zufrieden, und das ist die Hauptsache. Nur die Volkspolizisten, die an jenem Film als Statisten mitgewirkt hatten, waren irgendwie enttäuscht, als das Filmwerk in die Kinos kam. Dabei erinnerten sie sich doch deutlich, daß bei den Aufnahmen so viel gelacht worden war. Aber zum Glück wird gegenwärtig schon wieder ein neues Lustspiel gedreht.
>>Nelken in Aspik<< heißt die DEFA-Komödie von Günter Reisch aus dem Jahr 1976. Im »Haus der Werbung<< schwingt der unbegabte Werbezeichner Schmidt (Armin MuellerStahl) große Reden, bis er eines Tages ins Schweigen fällt - ganz einfach, weil er gerade seine Schneidezähne eingebüßt hat. Sein Schweigen befördert seine Karriere, unfreiwillig bringt er es bis zum Generaldirektor, ein vertrauenswürdiger, bedächtiger sozialistischer Leiter, so scheint es. Als er wieder redet, ist es damit allerdings vorbei.
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-==..=:===================================================== Günter Krone
Ein Affe, der, dressiert als Star, schon häufig aufgetreten war, behängt mit Hose und Jackett, grinst von der Bühne ins Parkett. Das Publikum, auf die Dressur gespa.nnt, lacht amüsiert retour.
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Der Affe tapst im Kreis herum, die Beine breit, den Rücken krumm. Er stolpert bis zum Bühnenrand und patscht mit der behaarten Hand auf seinen Bauch und den Popo nach Art des Affen von Niveau. Und weil, wenn er Grimassen macht, das Publikum erheitert lacht, spreizt er die Lippen bis zum Ohr. Der Affe kommt sich komisch vor und hält die Faxen für Humor. Ein Irrtum, der uns unbedingt dem Affen menschlich näherbringt.
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Alles zum Wohle des Volkes
Angela Gentzmer
ia llar äl4 ariHHOH Sketch mit Helga Hahnemann und Dagmar Gelbke
)) Wat ziehsten du an zur Brigadefeier?<< )) 'n janz irren Fummel!<<
Henne und Dagmar Gelbke als Verkäuferinnen beobachten die Kunden und unterhalten sich. Henne: Na, sag mal, die drängeln sich hier wieder rum, diese Knalltüten! Können die nich' mitten inne Woche einholen? Ausj erechnet freitags falln se über ein' her wie de Heuschrekken - machen hier allet mistig und meckern obendrein noch, det se anne Kassen so lange anstehen müssen! Dagmar: Schad' se gar nischt! Henne: Wat haben Se denn da eben rinjeschmissen, junge Frau? Wat? Dit Eis is' jar nich' mehr im Karton? Sie ham wat am Karton! Bevor sie't inne Pfoten hatten, sah et nämlich noch janz manierlich aus! Da kannste mal sehen, Jacqueline, schmeißt dit einfach uff den andern Matsch wieder ruff! Dabei sieht et in die Kühltruhe sowieso schon aus wie bei Hempels untert Sofa! Dagmar: Du - die will gar keen Eis - ich gloobe, die sucht Spinat! Henne: Na, dit schlägt doch wohl dem Faß den Boden aus! Wenn Se noch lange suchen, junge Frau, werden Se zwischen dit Sahne-Eis vielleicht noch uff Öl stoßen, aber Spinat - den finden Se bei uns neben de Makrelen! Wrr sind ja schließlich 'ne jut aussortierte Halle! Dagmar: Wrr halten nämlich den Hallenrekord. Henne: Da is' keener drin? Na, denn isser eben alle! Mann, jetzt muß man die Leute ooch noch sagen, wat se kochen sollen! Für die paar Piepen! Wrrd Zeit, det et mal wieder 'ne Prämie gibt. Dagmar: Wat ziehsten du an? Henne: Zur Brigadefeier? 'njanz irren Fummel. Grün- mit Pailetten! Also, hier is allet so jezogen, wa? Tiefer Ausschnittkeen BH drunter und 'n Chiffon-Schal - den wickel ick mir dreimal so um'n Hals - wat is, Oma? Wieviel der Käse kostet? Steht doch clruff! Wenn Se nich' lesen können, müssen Se 'ne Brille tragen! Meine Jüte, Oma, wie kann man denn in Ihr' Alter noch so eitel sein?
Alles zum Wohle des Volkes
Dagmar: Also ehrlich, hier loofen nu so viel junge Leute rum - gönnde ihr da nich' mal eener was vorlesen? Henne: Ach, die ham doch alle keen Benimm! Siehste, jetzt haben se ihr sojar noch jeschubst! Halten Se sich an't Kuchenrejal feste, Oma! So, aber wenn't jeht, die Schrippen nich' mitte Hände anfassen -wegen der Hygiene! Wat is' los, Fräulein? Ob dit allet Angola is'? Wenn Se inne Schule besser uffjepaßt hätten, wüßten Se, det wir inne DDR leben! Dagmar: Du, die meint Cola zum Trinken! Henne: Ach - Cola? Ja, dit is' allet! Oder wollen Se sich an Cola etwa dotsaufen? Dagmar gähnt. Henne: Ick hab ooch so schlecht geschlafen. Am besten schlaf ick immer bei's Fernsehen. Aber sobald ich im Bett liege, bin ich hellwach. Dagmar: Ick habe ooch keen Ooge zujemacht! Henne: Haste Egon wieder mal nach oben genommen, wat? Dagmar: Na, was sollt'sch denn machen? Sonst repariert der doch nich' mein Fernseher - ach, da kommt Karl! Henne: Wat'n, unser AGLer? Den hab ick gefressen! Der wollte mir inne Versa.mmlung mal kritisieren! Aber, dit hab ick gleich im Keim erstickt! Den hab ick erst mal meine janzen Orden und Ehrenurkunden unter de Neese jerieben! Und dann hab ick mir jegen seine oberflächliche und unsachliche Formjanz energisch verwahrt! Zum Schluß hat er sich mit 'ne Pulle Wein bei mir entschuldigt! Und ick hab ihm 'n Wmk jejeben, det er mein anjekratztet Image mit 'ne Prämie wieder uffpolieren kann! Dagmar: Du, aber soviel ich weeß ... Henne: Na, sage mal - is' denn sowat möglich? Jetzt stehn die schon hier hintenhin Schlange! Herrschaften, habt ihr denn nischt besseret zu tun, als hier unser Dienstjespräch zu belauschen? Fahr fort, Jacqueline, aber 'n bißchen leiser! Du weeßt, wir sind Jeheimnisträger! Dagmar: Ich wollte bloß sagen, daß ich gehört habe, daß du diesmals gar keene Prämie kriegen sollst! Henne: Icke? Keene Prämie? Da biste aber schief jewickelt! Mensch, wenn ick als Verkoofskraft mit Weltniveau schon keene Prämie verdient habe -wer soll'n denn eene kriegen?
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))Herrschaften, habt ihr denn nischt besseret zu tun, als hier unser Dienstjespräch zu belauschen?«
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Peter Ensikat
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»Sie gucken mich immerzu an. Kennen wir uns?<<
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Unsere Menschen werden ausgezeichnet, wenn sie gut arbeiten. Sie werden von Presse, Funk und Fernsehen an ihren jeweiligen Ehrentagen gewürdigt. Sie bekommen Prämien, wenn sie irgend etwas Besonderes geleistet haben oder gerade dran sind. Aber sie werden hier und da noch miserabel bedient, wenn sie ein Bier trinken gehen. Da nutzen auch keine noch so zahlreichen und gewichtigen Eintragungen in der Kaderakte unter der Rubrik »Staatliche Auszeichnungen«, es gibt Kellner, vor denen sind wir alle gleich. Gewiß, Kellner ist kein leichter Beruf. Aber ehe sie Gast in unserer Gastronomie werden, entschließen sich doch viele, lieber Kellner zu sein. Sei es im gemütvollen Dresden, im schnoddrigen Berlin oder gar an der Ostseeküste, wo sich zur Saison alles zu treffen scheint, was es in der Republik an Unfreundlichkeit 1 und schlechter Laune gibt. -.----· Ein Restaurant betritt der Gast nicht ohne Lampenfieber. Am schlimmsten ist es in den feineren. Da beginnt die Ungeselligkeit schon an der Tür und anonym. Ein Schild bittet den Gast oder fordert ihn einfach auf, sich einen Moment zu gedulden, da der Restaurantleiter oder Oberkellner ihn »ordnungsgemäß« (im Dresdner »Szeged« steht wirklich ordnungsgemäß) plazieren werde. Nichts kann bei uns so lange dauern wie dieser Moment. Da steht dann der Bittsteller, der diesen Service auch noch mit höherer Preisstufe bezahlt, verlegen an der Tür, starrt den bereits »Plazierten« auf die Teller und sehnt sich nach dem Selbstbedienungsding an der Ecke, in dem alle stehen müssen. Aber jetzt heißt es durchhalten, vielleicht einen verirrten Kellnerblick auffangen, das Gesicht in Bittfalten legen und insgesamt einen trinkgeldfähigen Eindruck machen. Der Schlips wird nur noch in Nachtbars verlangt, Trinkgeld überall. Kommt dann der Restaurantleiter doch mal vorbei, schaut er einen an mit dem Blick, den ich von meiner Stieftante Elly kenne, die an der Ostsee wohnt und jedesmal, wenn man bei ihr klingelt, über den vielen Besuch stöhnt. Dann ist man schließlich froh, wenn man überhaupt unterkommt.
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Alles zum Wohle des Volkes •
Vorbei der Traum von einem Platz an einem der schönen freien Fenstertische! Die feine Entschiedenheit des gequälten Oberkellners, der eigentlich Einsiedler werden wollte, heißt einen dankbar sein, wenn man sich irgendwo mit ranquetschen darf. Was dann kommt, muß nicht näher beschrieben werden. Es ist zwar überall ein bißchen anders, aber das Prinzip ist das gleiche: sitzen, warten, bestellen, warten, essen, warten, zahlen. Was man zu essen bekommt, wie man's bekommt und was den Kellner sonst noch an den Gästen stört - das hat ja wohl jeder schon erlebt. So. Spätestens jetzt ist der Moment zu sagen, daß die Kellner gar nicht gemeint sind. Wo kämen wir hin, wenn wir eine ganze Berufsgruppe ... Und ganz bestimmt gibt es auch einen Berufsverband, der mit aller Entschiedenheit darauf hinweisen muß, daß hier ganz einseitig nur das Schlechte gesehen wird, noch dazu übertrieben und falsch verallgemeinert wurde. Stimmt. Deshalb lasset uns nun erst mal richtig verallgemeinern: Es sitzen oder stehen jene Kellner nicht nur in der Gastronomie herum. Wir begegnen ihnen auf der Post, im Wohnungsamt, im Konsum an der Ecke, im Warenhaus, kurz überall dort, wo es was gibt, was jemand haben will. Sei es eine Fahrkarte oder einen Wohnungstauschantrag, ein neues Auto oder einen Staubsauger, überall muß man damit rechnen, einem jener Kellner zu begegnen. Ich habe vor kurzem meine Fahrerlaubnis erworben. Bei der Prüfung nahm ein stummer, aber durchaus nicht freundlicher Herr im Fond Platz. Er war von jener unfreundlichen Höflichkeit, die man bei uns Korrektheit nennt und gegen die manchmal auch eine Dienstbekleidung nicht schützt. Nachdem wir zwei Prüflinge die Prüfung bestanden hatten, begann der Prüfer seine Auswert11ng. Zum eigentlichen Prüfungsgegenstand hatte er wenig zu bemerken. Um so mehr zur Haartracht meines Mitprüflings. Wenn es nach ihm ginge, bekäme so jemand überhaupt keine Fahrerlaubnis, bevor er sich nicht seine Haare schneiden ließe und überhaupt, wie er herumlaufe, und wie sein Ausweis aussehe ... Der junge Mann hatte tatsächlich lange Haare. Mir fiel sogar auf, daß seine Finger nicht ganz sauber waren. Er war nämlich Dreher und hatte für die Prüfung zwei Stunden freibekommen, wie er mir hinterher erzählte. Weil er gern die Fahrerlaubnis haben wollte, ließ er sich alles stumm gefallen. Und das meine ich: Wer was haben will, muß sich noch so viel gefallen lassen, daß man eigentlich nur froh sein sollte, wenn man mal nichts will.
»Warum setzen Sie ·. (len Kelliler nicht an L.;·~?
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Johannes Conrad
' ' ~rra, 1e a o 01H wö1to1 ~e I Sie wissen ja, wie das ist: Kaum hat man die Zeitung aufgeschlagen, da springen einem auch schon die Fremdwörter wie kleine Affen an, und man versteht oft nur die Hälfte des Artikels. Dann kommt man sich dumm und häßlich vor, denkt gar, man sei ungebildet, wenn nicht schlimmer, schlägt sich vor die Stirn, und schnell hat sich ein Minderwertigkeitskomplex bei uns eingeschlichen. Wrr kriegen in Gesellschaft dauernd eine rote Nase oder ähnliches, treten verlegen auf den Füßen und werden darum nie mehr zum kalten Büfett geladen: »Das ist der mit der roten Nase!« Aus diesen Gründen habe ich mir kürzlich ein Fremdwörterbuch gekauft: 20000 Fremdwörter aus Gesellschaft, Ich fand im Fremdwörterbuch Soljanka, Wissenschaft, Technik und Kultur! Der Winterbei deren Nennung man sofort an den wind blies. Ich kam mit kalten Ohren zu Hause Klang der Balalaika und an Moskaus an und schlug sofort das Buch auf. goldene Zwiebeltürme denken muß. Es war wie eine Reise ins Abenteuer, Freunde: an den Orinoko, zum Alpha Centauri oder an die BAM! Man fühlte sich in seine Robinson-Crusoe-Periode zurückversetzt. Zuerst habe ich natürlich schnellstens einmal nachgeschlagen, was »Bidet« bedeutet, denn das lag mir am Herzen, weil mein Kollege Wustermann in Paris anläßlich einer Gastspielreise in der Toilette unseres Hotelzimmers beim Anblick dieses merkwürdigen Porzellanbeckens bemerkte, die Franzosen hätten aber kleine Badewannen! Dann hat er sich die dreckigen Füße drin gewaschen . •• Ubrigens war das jene Gastspielreise, wo spät abends, als wir gerade ins Hotel zurückgekehrt waren, das Licht ausging. Mein Kollege Wustermann, der sich nachts immer noch einen starken Kaffee aufbrüht, wollte sich nach den Ursachen des Stromausfalls erkundigen, verließ unser Zimmer und sah im Treppenhaus plötzlich zwei große, kluge, weiße Menschenaugen ohne alles auf sich zukommen. Er schrie entsetzlich auf, aber da ging glücklicherweise das Licht wieder an, und die zwei großen, klugen, weißen Menschenaugen gehörten einem gewissen Sambesi Bdemilla, Bürger aus Zaire, welcher in schwarzem Bademantel aus dem Bad gekommen war, um sich ebenfalls
Alles zum Wohle des Volkes
über die Stromausfallursachen zu informieren. Sambesi spendierte uns am gleichen Abend auf seinem Zimmer noch mehrere Dosen Bier. Wrr haben uns in der Zeichensprache unterhalten, obwohl er drei Sprachen sprach. Für uns Spracharme waren es aber leider fast nur Fremdwörter. Da hätten wir auch ein Fremdwörterbuch gebraucht! Jedenfalls bekam ich durch den oben beschriebenen Badewanneneindruck, wie ich erst jetzt beim Studium meines Fremdwörterbuches feststellen konnte, ein völlig falsches Bild von der französischen Nation, denn ein Bidet ist nun mal keine für den ganzen Menschen gedachte Badewanne, sondern ein zur Säuberung eines wenn auch wichtigen, aber doch relativ kleinen Körperteils gedachtes Sitzbadedings. Außerdem konnte man das Bidet auch noch verwechseln, wie ich eruieren konnte, mit dem Bizeps. Wie sternenhimmelweit wird doch der Horizont des Menschen durch ein Fremdwörterbuch! Vom Transverter dachte ich beispielsweise jahrzehntelang, er sei ein Nachahmer des anderen Geschlechts, so eine Art Weibmann also. Ja, Pustekuchen! mit Elektrizität hat der Kerl zu tun! Und ein Trend ist auch kein Wettermantelstoff. Beim Nachschlagen kann man natürlich auch höllisch aufs Maul fallen! Zufällig schlug ich »Colla Destra« auf. Ich dachte erst an so was wie eine ausländische Vita Cola, doch es hieß: »Mus mit der rechten Hand«. Aha, dachte ich, das ist also ein mit der rechten Hand zubereitetes Mus: Pflaumenmus, Kartoffelmus und anderes. Mir lief schon das Wasser im Munde zusammen. Aber dann lese ich doch plötzlich, daß »con dolore« »Mus, schmerzvoll, trauernd« sein sollte. Erst dachte ich da auch noch, stur wie man ist, es sei eine Speise für traurige Anlässe: für Premierenfeiern und ähnliches. Dann begann ich positiv zu zweifeln und fand unter »Abkürzungen und Zeichen«, daß Mus Musik bedeutete und nicht Kartoffelmus! So überrascht kann man werden, wenn man ein Fremdwörterbuch unsachgemäß benützt. Ansonsten aber nur schiere Freude, Freunde! Und Aufklärung! Die Wörter erwachen zum Leben! Das ist so, wie mit meiner Kollegin Agnes Kraus, die jajeder aus dem Fernsehen
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kennt, als wir einmal in Rostock waren und auf dem dortigen Bahnhof eine fanatische Mutter ihr Kind hochriß und laut rief: Na, nu gugge ma rischtsch, Danscha: Jädzd siehsdse ma läwändsch! Und so läwändsch werden einem auch die Fremdwörter durch ein Fremdwörterbuch! »Non« beispielsweise ist kein geschwollenes Versammlungsredner-Nun, sondern es heißt »nicht«. Also, dachte ich mir, ein Nonagon ist so etwas wie das Gegenteil von Estragon, die Verneinung davon eben, ein negatives Gewürz also. Aber weit gefehlt! Es ist ein Neuneck. Nicht einmal ein Nichteck. Von der Charmeuse dachte ich schon als Knabe, sie sei ein charmantes Weib. Ist aber ein maschenfestes Kunstseidengewirk! Warum aber ein charmantes Weib ein maschenfestes Kunstseidengewirk ist, das konnte ich nicht feststellen. Das stand nicht drin. Es steht aber das beliebte Biskuit drin, was wir ja alle kennen. Seltsam heimelig mutet es an zwischen Wörtern wie Biozönose und bizyklisch, was nicht etwa ein von einem Sachsen ausgesprochenes »bezüglich« sein soll, sondern ganz etwas anderes. Wie eben vieles ganz etwas anderes ist im Fremdwörterbuch! Selbst die Soljanka fand ich darin! 0 Soljanka, bei deren Nennung man sofort an den Klang der Balalaika (auch die steht drin!) und an Moskaus goldene Zwiebeltürme denken muß! 0 liebliche, sahneveredelte Soljanka, bei deren Genuß mein Kollege Lisewski vor Jahren anläßlich eines Ausflugs bei einem Leningradgastspiel staunend fragte: »Det Soljanka sein?«, was ich dann sofort in der EULE berichtete, wo man aber druckte: Det soll Soljanka sein? Das war sehr traurig für mich, weil die Kollegen mich daraufhin der pointenversauenden Berichterstattung und der Blödheit bezichtigten. Nur ein etwas vergeßlicher Kollege, dessen lieber Name hier ungenannt bleiben soll, kam Wochen später, weil er einem jüngeren Freund die obige Anekdote berichten wollte, zu mir und fragte mich: »Du, he, sag doch mal, he, wo steckte denn gleich in dem Leningradwitz von Lisewski Det soll Borstsch sein?< der Witz, he? « Ich konnte es ihm auch nicht beantworten. Aber es erfüllt mich mit Stolz, daß ich das jetzt hier dank meines Fremdwörterbuches allen interessierten Schichten berichten kann, denn vorher wußte ich nie so richtig, wie man Borstsch schreibt. Und sogar das wunderbare Rumpsteak fand ich in meinem Fremdwörterbuch. Dagegen ist ein Bootssteak nicht vorhanden. Also wird ein Bootssteak wahrscheinlich kein Fremdwort sein. Kein Wunder auch, wo man das Ding doch an jedem märkischen Tümpel findet. >
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Alles zum Wohle des Volkes
Aber das lernt man dann eben aus so einem Fremdwörterbuch gleich mit. Allgemeinbildung, Freunde! Ahnten Sie zum Beispiel, daß die Differentialgeometrie die Anwendung der Infinitesimalrechnung auf die Untersuchung von Raumkurven und krummen Flächen ist? Von krummen Flächen! Wann je hört man sonst von krummen Flächen! Das kommt einem vor wie die vierte Dimension bei Stanislaw Lern! Mit einer weniger ausschweifenden Phantasie darf man bei krummen Flä• chen natürlich auch an das Erzgebirge, an Thüringen oder alten Zuckerkuchen denken. Wie man sieht, steckt eben selbst in der Differentialgeometrie die süßeste Romantik und Barbara Uttmann und der ganze Rennsteig. Das ist mir schon eine erfreuliche Kiste mit den Fremdwörtern, trotz ihrer hundsgemeinen Orthographie! So etwas von eindrucksvoll! Wußten Sie, wie die Leuchterscheinung beim Zerbrechen von Kristallen heißt? Ja, ja, jetzt möchten Sie wohl auch ein Fremdwörterbuch haben? Nun, ich will es Ihnen verraten: Tribolumineszens heißt sie! Welch ein stattliches Wort! Als käme Altmeister Goethe persönlich angeschritten! Wenn Ihre Frau beim Abwaschen die teure Bleikristallvase von Tante Emmi fallen läßt und es leuchtet, können Sie ab heute rufen: »Mach doch nicht so eine Tribolumineszenz, Klara! « Schön, so ein Fremdwörterbuch! Zum Beispiel ist es mir jetzt möglich, die unverständlichsten Sätze zu bilden, und trotzdem verstehe ich sie. Das wichtigste aber ist: Ich kann meine Tagesgazette nun immer ohne Mißverständnisse lesen! Mit einem Fremdwörterbuch wird man eben zum Digger, wie man als alter Fremdwörterbuchleser sagt, was Goldgräber heißt und nicht etwa ein wohlbeleibter Leipziger ist. Es lebe das Fremdwörterbuch! Ich nehme es jeden Abend mit ins Bett. Meine Frau ist schon eifersüchtig! r
KULTUR IST JEDER ZWEITE HERZSCHLAG UNSERES LEBENS
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>>Sie sehen doch selbst für Bilder habe ich keinen Platz!«
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Alles zum Wohle des Volkes
John Stave
Einern allgemeinen Trend folgend, habe ich mir jetzt gewissermaßen ein Auto gekauft, einen sogenannten Trabant, weil er, als Wagen des kleinen Mannes, am ehesten meinem ganzen Charakter oder auch Habitus entspricht. Zunächst muß ich jedoch einmal mitteilen, daß unser Haus, in dem wir wohnen, kein typisches Haus ist. Es hat keinen Fahrstuhl und mißt auch nur drei Stockwerke. Das Bauwerk ist außen ohne jeden keramischen Zierat und etwa kurz nach der Jahrhundertwende entstanden. Die Bewohner sind zum größten Teil ältere Menschen, die meisten Rentner. Einige jedoch sind noch jünger, also berufstätig, zum Beispiel in einer Röntgenabteilung, in einem Massageinstitut, bei der Deutschen Post und so weiter. Das alleruntypischste in diesem alten Haus ist allerdings die Tatsache, daß kein einziger Mieter bis dato ein Auto besaß, was ·ß t t . f d' st· mich so lange auch nicht im geringsten störte. Denn die Schwe1 ra mir au 1e 1rn. . . . . Straße als solche, m der das Haus sich befindet, wrrd 1ch begann, an dem a11 gemeinen k aft t ffb t · b G fäh' rt h h. · 'f von r s o e ne enen e en o ne 1n ausre1Tren d zu zwei e1n. chend benutzt. Sogar eine Omnibuslinie führt von morgens 4.45 Uhr bis abends 23.45 Uhr direkt am Haus vorbei. Aber ein allgemeiner Trend zielt ja wohl dahin, daß jeder Bürger der DDR bis zum Jahr 2000 ein bis eineinhalb Autos besitzen wird. Und wenn jedes Haus es, rein autobesitzermäßig, wie unser verehrtes Haus halten wollte, da geriete die ganze Planung mächtig ins Wanken. Noch vor einigen Wochen sagte Frau Baumstamm aus dem zweiten Stock zu mir: »Na, höm Sie mal, daß Sie keinen Wagen besitzen - das widerspricht doch völlig Ihrem Status. Sie könnten doch Autos noch und noch haben ... « Ich redete so drum herum, daß ich an und für sich gegen Umweltverschmutzung jeder Art sei, und daß die Unfallquote schon hoch genug sei, und so weiter und so fort. Aber insgeheim war der Keim des allgemeinen Trends in mir doch schon aufgegangen wie bei einer eingekellerten Winterkartoffel. Kurz und gut, ich habe dem Lager der Fußgänger den Rücken gekehrt und bin quasi ins Lager der motorisierten Bevölkerung konvertiert. Natürlich fühlte ich mich in meiner Haut anfangs nicht gleich sauwohl, sondern kam mir vor wie der Mann, der in der Bibel
Alles zum Wohle des Volkes
oder irgendwo anders immerzu den teuersten Wein trinkt, aber lediglich Wasser predigt. Nun, jedenfalls eines Tages stand das betreffende Vehikel auf der Straße vor dem genannten Haus. Es war kein nagelneuer Wagen, er hatte 70 000 Kilometer herunter und bereits den ersten Besitzer hinter sich. Ich war der zweite. »Secondhand«, sagt der Fachmann. Der Wagen war mir aus Freundeshand zugefallen, und zwar zu einem so günstigen Preis (5000 Piepen), daß der betreffende Freund mir sogar die Freundschaft aufkündigte, als er erfuhr, was er unter Brüdern für den Schlitten hätte herausschinden können, wobei mit den Brüdern keine leiblichen Geschwister gemeint waren. Ich stand also gewissermaßen auf der Straße und wusch den Wagen. Er war von grauweißer Farbe, die nun langsam zum Vorschein kam und in der Frühlingssonne blitzte. Hin und wieder öffnete ich die Wagentür und ließ sie bald darauf krachend wieder ins Schloß fallen, ANMELDUNG einige Male betätigte ich die Hupe. Hinter den Fenstern unseres Hauses tauchten verstohlen Gesichter auf. Zuerst das Gesicht von Frau Lösche, dann das von Frau Baumstamm. Frau Barley kämmte ihrem schulpflichtigen Sohn Maximilian auf dem Balkon die Haare. Herr Frei machte sich an seinem Fensterbrett zu schaffen. Sie taten es alle sehr geschickt, aber ich merkte, daß ihr Interesse einzig und allein mir beziehungsweise dem Vehikel galt. Um nun dem Wagen ein etwas besseres Aussehen zu verleihen, hatte ich mir schon beim Zubehörzentrum eine rote Fondablage zu 9,50 Mark angeschafft, des weiteren ein schwarzes kunstledemes Lenkerband sowie eine chromblitzende Auspuffkralle, und zwar nicht nur angeschafft, sondern auch angebracht. Herr Lösche kam mit seinem ewigen Rucksack aus dem Haus und ging offenbar in die Kaufhalle einholen. Der Nachbar sagte freundlich »Guten Tag! « und lief ohne Umschweife und ohne meinen Wagen überhaupt zu bemerken weiter. Auch der Knopflochfabrikant aus dem Nebenhaus nahm, als er
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>>Und dabei habe ich nur gesagt, wenn er schneller bedient sein will, soll er die Scheiben selber mit etwas Papier abdecken. «
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seinem knallgelben Shiguli entstieg, zwar von mir, nicht jedoch von meinem sogenannten fahrbaren Untersatz Notiz. Gerade bückte ich mich, um dem linken Vorderrad den nötigen Glanz zu verleihen, als die Stimme von Frau Baumstamm ertönte. Sie rief aus ihrem Erkerfenster: »So ein billiges Auto paßt gar nicht zu Ihnen. Sie müßten doch mindestens einen Wartburg de luxe, diese Preislage jedenfalls, haben!« Peng schloß sie das Fenster und zog hastig die Gardine zu. Herr Frei kam mit seinem Hund herunter. »Hattest du nicht gesagt, wir wollten mal bei Gelegenheit ein Bier trinken gehen?« fragte Herr Frei, während sein Hund ungeniert an meinen Wagen pinkelte. Ohne eine Antwort abzuwarten, zogen die beiden weiter. Dann öffnete sich die Tür, und Frau Barley betrat mit ihrem Sohn Maximilian die Straße. Ich nahm die Mütze ab und wollte einen meiner üblichen netten Scherze anbringen, etwa sagen: »Sonne auf allen Wegen, Frühlingskönigin und Maienprinz ... « Aber Frau Barley hielt die Hand ihres Sohnes fest umschlossen, und als sie grußlos vorbeischritten, hörte ich, wie die junge Mutter zu ihrem Sohn sagte: »Sieh einmal, Mäxchen, dieser violette Zastava dort drüben gehört Doktor Meisel, bei dem wir nächste Woche einen Termin haben.« Ich stand wie bedeppert mit meinem nassen Lederlappen in der Hand da. Schweiß trat mir auf die Stirn. Ich begann, an dem allgemeinen ---Trend zu zweifeln. Ich verfluchte den allgemeinen Trend. Plötzlich sah ich, wie die Spatzen auf den Bäumen ihr rußiges »Als Trabantbesitzer sollten Sie daran denGefieder putzten, bemerkte, daß eine Taube zaghaft aus einer ken, daß mein Vater Olpfütze trank. Die ganze Umweltverschmutzung kam mir auf Leiter des Ersatzteillaeinmal wie kalter Kaffee hoch. Ich schleuderte den Lederlapgers ist!<< pen in den Plasteimer, und das herausspritzende Dreckwasser benetzte mein Beinkleid. Noch am selben Tag begab ich mich zur nahe gelegenen DEWAG-Anzeigen-Annahmestelle. Ich füllte ein Anzeigenformular aus: »Verkaufe Trabant 601 Sx, Baujahr 70, Garagenwagen, viele Extras, etwa 7000,- Mark.« Den kleinen Aufpreis müssen Sie schon entschuldigen, verehrter Leser. Damit folge ich nur einem allgemeinen Trend. „._ --
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, ·Erich Honecker geht in Ost-Berlin spazieren. Ersieht eine Frau, vollbepackt mit Einkaufstaschen. >>Na Genossin, da haben Sie aber fleißig eingekauft!<< >>Das kann man wohl sagen, Genosse Staatsratsvorsitzender. Drei Stunden musste ich dafür anstehen!<< - »Aber Genossin! Es gibt Länder, da müssen die Leute für einen Schluck Wasser einen ganzen Tag anstehen! <<- »Ja, die sind dann aber sicher schon länger sozialistisch als wir ... «
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Ernst Röhl
Runkelbauer hatte ich seit unserer Schulzeit so gut wie aus den Augen verloren. Neulich begegneten wir einander per Zufall, jeder in Eile, und verabredeten einen Lokal-Tennin in meiner Stammkneipe »Zum halben Liter«. Leicht verspätet traf ich ein. »Entschuldige, Runkelbauer«, sagte ich außer Atem, »ich habe noch ein bißchen was eingekauft. Frische Semmeln, wenn dir so was ein Begriff ist.« »Semmeln? Semmeln??« Er legte die Stirn in Falten und verstand offenbar nicht so recht. »Diese handlichen, faustgroßen, knackigen Apparate. Bröt. h F . h b „ .t f" chen, Knüppel, Schrippen ... « 1ch b1n nam 11c ac ar e1 er ur 11 r · kl · b · · k, gt »vv eizen einge ac . « sa e er. Transpiration. Früher nannte man »Genau. Und stell dir vor: Im Kaufhaus hab ich enddas Schweißer. lieh einen Zollstock erwischt.« »Zollstock?« fragte er zurück und fing wieder an zu grübeln. Ich öffnete meine Tasche und hielt ihm den Zollstock unter die Nase. Er klatschte sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Holzgliedermaßstab«, rief er. »Daß ich darauf nicht gekommen bin!« »Bei der Gelegenheit hab ich auch gleich mal geguckt, ob ich für meine Tochter nicht 'ne nette Lampe und einen passablen Ofen sehe.« »Lampe?« fragte er, und ich wurde nun doch langsam stutzig. »Für die Stube, Mensch. Mehr Licht!« »Ach, eine Wohnraumleuchte! Pardon«, fügte er hinzu, »aber du befleißigst dich da einer unpräzisen, seltsam antiquierten Ausdrucksweise.« »Hauptsache, du weißt wenigstens, was ein guter, alter Ofen ist.« »Bedaure, nein.« Prüfend blickte ich ihm in die Pupille, ohne allerdings etwas anderes als aufrichtiges Unverständnis zu bemerken. »Ein Ofen«, erläuterte ich geduldig, »ist ein Gerät zum Beheizen von Räumen. « »Siehste, und darum heißt es Raumheizer. Ofen hieß es vielleicht früher mal.« »Na schön, ein Raumheizer. Weißt du, meine Tochter, die Roswitha, die arbeitet als Sekretärin ... «
Alles zum Wohle des Volkes
»Als ... « »... als Tippse, genau. « »Als Facharbeiterin für Schreibtechnik.« »Auch gut. Also, die ist verheiratet, mein Schwiegersohn ist übrigens Sargtischler ... « »Sargtischler?« »Der stellt Särge her, wenn's recht ist.« »Du meinst Erdmöbel. Särge sagte man früher.« »Meinetwegen Erdmöbel. Also, die beiden bauen ein Häuschen ... « »Ein Eigenheim.« »Richtig. Und die haben Ofenheizung, also Raumheizerheizung ... « In diesem Augenblick erschien Otto, der Kellner: »Wie immer - der Herr, Pils und Doppelkorn?« »Für mich ja. Und für diesen Herm ein Gerstenkaltgetränk und einen potenzierten Getreidebrand. « Otto schwirrte, leicht verwirrt, ab. »Wär doch gelacht, Runkelbauer«, erklärte ich, »wenn wir beide keine gemeinsame Sprache fänden.« »Eigentlich«, bemerkte er, »könnten wir auch etwas zu essen kommen lassen.« »Um Himmels willen - bei meinem Ubergewicht! Ich nehm sowieso schon Nahrungsbedarfsminimierer. « Runkelbauers Miene verriet eine gewisse Ratlosigkeit. »Appetitszügler, wie man früher sagte. Trinken«, fuhr ich fort, »dürfte ich strenggenommen auch keinen Tropfen. Ich hab nämlich ein ambulantes Harnausscheidungsorgan, verstehste.« »Nein. « »Was - nein?« »Ich verstehe nicht. « »Wanderniere«, sagte ich ungerührt. »Stört mich im Beruf manchmal ganz schön. Ich bin nämlich, falls du das nicht wissen solltest, Facharbeiter für Transpiration. Früher nannte man das Schweißer.« Otto baute die Lage vor uns auf. Lächelnd erhob ich mein Glas: »Prost, alter Schüttgutbehälter! Oder, wie es früher mal hieß, mein lieber Runkelbauer: Prost, alter Sack!«
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»Kein Zutritt, ]ahresabschlußfeier!<< )>Aber ich bin doch der ]ahresabschlußmann. «
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C. U. Wiesner
risöt lloiHo orto ' llHlll alls Hi11111sa1J Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Dis geht gleich los. Die Arbeitskräftesittuatzjohn wird immer komplessierter, jedenfalls in mein Salong. Nehmse sich mal so lange 'ne Zeitung, ick muß bloß noch den Laden ausfegen. Einkaufen war ick vorhin schon. Nee, ick bin momentan völlig auf mir alleine anjewiesen. Mein Personal, also Herr Kafforke und Muttern, die rennen nämlich von Lehrjang zu Lehrjang. So, nu leg ich bloß noch 'n paar Preßkohlen nach. Ick muß mir ja beeilen, denn um halb sechse mach ick dichte und begebe mir meinerseits selber aufm Lehrjang. Oder dachten Sie, ich bin ein Frosch und schließ mir von die neue große Massenignazjatiefe aus? Wat denn? Sie ham noch nischt von dis Schulungsprogramm vonne KaWeVau jehört? Na, villeicht hat ausjerechnet unser Stadtbezirk damit anjefangen und jewissermaßen die Nullnullserie von diesen dicken Extraknüller jekreiert. Kann ja sind, deß ihnen sonst nich jenug einjefallen is zu den berühmten »Mach mit! Schöner unsere Städte als unsere Jemeinden!« Denn unter diese Losung drunter laufen nu die Kursusse für Selbsthelfer. Wattensema, ick muß rasch den Eimer auskippen. Dis Rohrunters Becken is schon seit Aujust undicht. Zuerst hab ick noch wien Geier auf der Klempner-PeJeHa »Rohrspatz« drauf rumjehackt, aber nu hab ick mir inwendig richtigjehend entschuldigt. Ick konnt doch nich wissen, deß sich die Klempner alle auf ihre Lehrtätigkeit als qualefessierte Fachlektoren bei der KaWeVau vorbereiten. Wie sollnse denn da noch Zeit finden für sone porfane Arbeit wie Rohrbrüche und verstoppte Lokusse. Nee, in diese Zeit bringense nu die Bevölkerung bei, wie man selber mit die Lötlampe und die olle Scheißspirale hantieren tut. Nehmense mal den Kopp 'n bißken runter! Diesen Kursus besuch ick nämlich eigenhändig. Herr Kafforke war sich zu fein dazu, und Mutternwolltick diese Schweinerei nich zumuten. Aber die machen dis da sehr ordentlich. Meine Professoren sind Buletten-Meyer und UmstandsEmil vonne PeJeHa. Meyer macht die Theorie und erzählt, was es bei die Klempner für Arbeitskräftesorgen gibt, und Emil is mehr so für die praktischen Vorführungen zuständig. Dis is auch
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besser so als wie umjekehrt, denn Umstands-Emil braucht sonst zu ville Zeit, trotzdem die beiden Herren Fachlektoren da ville nüchterner sind, als wenn se bei mir vor Ort jearbeitet ham. Leider hab ick mir in dis Fach »Zeitspüler und Spülkastenanlage« schon 'ne Vier einjehandelt, weil ick mit Fritze Ladenthin jeschwatzt habe. Wenn ick mit den Kursus fertig bin, fang ick noch an, Ofensetzerarbeiten zu erlernen, und dabei denk ick sojar perschpektiefisch. Sehnse, je mehr Wohnungen mit Fernheizung der Staat baut, um so mehr Töpper hängen ihre Lehmmolle an Nagel, und auf diese Weise hab ick noch 'ne Schangse, falls ick doch mal altershalber mein Salong anne PeJeHa »Wellenreiter« abtreten muß. Hinten 'n bißken kürzer, wa? Die andern vier Kurse teilen sich Muttern und Kafforke. Muttern hat Tischlern und Schlossern belegt. Erstens, meintse, kannst du sowieso kein Nagel grade einklappen, und zweitens, meintse, haste schon dreimal die Schlüssel vermasselt, und wir standen vor verschlossene Türen. Und was Herrn Kafforken betrefft, der tut sich in die Kurse Maler sowie Maurer, Putz, Beton und Fliesenlegerarbeiten als Musterschüler hervor. Dis is natürlich wie immer bei diesem staubigen Kunden eine janz schnöde Berechnung. Bis jetz malert er nur Wohnungen, zum Teil sojar mitten inne Dienstzeit, und als Jeschäftsstelle mißbraucht er meinen Salong. • Quasselt die Stammkunden beis Haare. schneiden an und sagt, er kann ihnen noch janz andre Sachen als bloß immer den Kopp verschönern. Ick hätt ihn ja längst rausjeschmissen, aber wo krieg ick denn 'n andern Jehülfen her bei die komplessierte Arbeitskräftesittuatzjohn? Tschuldigense, dis is bloß 'n Kratzer, ick jeh gleich mitm Blutstüller rüber. Nu denkt sich nämlich Herr Kafforke, in Kürze kann er mit seine neue Fähigkeiten auch noch beim Datschenbau groß rauskommen, aber da hat er sich jeschnitten. Sehnse, dis laßt schon nach, brennt bloß noch 'n bißken. Er rechnet ja nich damjt, deß die andern Leute auch die janzen Kurse besuchen und sich in Zukunft ihre Datschen janz alleine hochleiern können. Dis is nämlich der Haken von die Medallje und der endjültige Bankrott von bestimmte Handwerkerinnun.
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»Gottlob kann uns keiner reinreden, was wir mit unseren vier Wänden anstellen. ((
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gen, wo sich besonders schlau vorkommen. Jenau wie ein Zauberkünstler, der seine janzen Tricke dis Publikum verraten tut. •• Uber den grinsen die Leute doch, und denn kann er höchstens noch als Pausenklohn auftreten. Wenn ick nu nachts wieder mal nich schlafen kann, denn stim. ,Fv~~· eirr.• •f{tipotler:,_.· ~· · mulier ick so vor mir hin, ob die janze neue Schampanje nich noch mächtig inne Kinderschuhe drinnesteckt. Der erste Fort•· •.~· }>Wfe ·i~t· .ilire ·Met:·•. ·. ;nufig z~ril iieilen ·<·~··.c: schritt war die Selbstbedienung inne Kaufhallen, bei de Post und :'~iatt~tPi:~'ui~?·;: ·• '~ ·: anne Tankstelle, aber nu tritt man schon in eine neue, höhere I-r}~~infi.:~d~· ijclit1g.·<( ···.,·. " Phrase rein, die Selbsthelferei. Damit überwindet man sozusa·•· )>Yf/as··,sag~!l,·Si.e--zu~·· · :· gen hüstorisch die Stufe »Eine Hand wäscht die andere« -könn„?$e!lnfistell.ei5k~n~:J"_~:. . '·. folgen? und nu heißt es, jede Hand is so se mir jeistig noch ,.~ij~~-~~~~t~'.·,i!·;~. :~x:-~i:~·.::r.;;f~·.·.· -~1~·l~ universaljebüldet, desse sich selber wäscht, natürlich unter die „;~·_»Rigl1tigr :g11~s.·,·µc11- :~·ö Anleitung von quallefessierte Fachlektoren wie Buletten-Meyer .,·~g;~t;::~'.'.\'.;.:". f~~;,:;:}0·J:··~· und Umstands-Emil. >»Hab·en61e denn; . ''> .~:~elii~-~5~igeh~;· M~i~·:{'f~,:z~f: Aber nu muß man ebent sone hoffnungsvollen Anfänge weiter.·.tiu~g?'i(f·•·':;, ·.:··. E~:;.:··. ·?r·:; :~i.,.:;:.~r.~~'{:,.~~ entwickeln. Wenn erst alle Frauen ihre Männer selber die Haare :· ··:·~e':&-ie·~· ·n "·..·:.;;.~·~;h'· 1'l ·a·~m ·•·~., ~ie . :.·2~~:/:~ :}_-!~-~-: ·:-,b .:.:.:.:.., .: : _:~~7.\-~::,„_~~:: ~,· -·~·,;....,·': :~ -. schneiden können, dis grassiert ja immer mehr um sich, denn '; 1;' .'.y.cli'geraae· a:n '«···.·<" :.'.··,„ , bewerb ick mir beim Magistrat als Scheffignazjator und knall : ';: '. .:i·;:,„~.;}~"'~ ~·~t .: '. „·. ';;{t ~-; ; .•·; :· •. ihm meine kühnen Ideen aufm Tisch. Beispielsweise könnte man in alle Jaststätten die Küche in lauter kleine Kochnischen aufteilen, wo sich die }äste selber ihr Kotlett braten. Wie ick jestem meine kühnen Pläne vor Robert Köppen ausbreite, Sie wissen doch, der vonne Bezirksleitung, wollte er mir gleich mit sein elektrischen Matrijalismus aufs Kreuz legen. Wenn sone jutjemeinten Kurse übertrieben werden, meint er, denn hätten wir ja noch weniger Arbeitskräfte als wie vorher: Wenn nämlich die Leute alle Dienstleistungen selber machen müssen, hamse jar keine Zeit mehr, auf ihre richtige Arbeit zu jehn. Wat denn, sag ick, ihr wollt doch immer den allerseits jebüldeten Menschen? Grinst er bloß und meint, aber jeder kann doch nicht alles können, oder willste dir ooch deinen Tabak wieder selber aufm Balkong anbauen wie fümmenvierzig? Und denn wollter mir noch weismachen, sie sind eigentlich mehr für Arbeitsteilung und Spezialisierung. Aber in diese Beziehung bin ich ein Fuchs und warte erst mal den Parteitag ab. Und wenn Robert Köppen recht hat, denn sag ick den Töpperkursus ab und laß mir lieber aufe Volkshochschule griechische Jötterkunde einbimsen. Denn versteh ick wenigstens die modernen Theaterstücke. Macht zweifuffzig.
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Ottokar Domma
Zu den wichtigsten Jahreszeiten gehört auch der Frühling. Wenn die schöne Frühlingszeit daherkommt und wir Knaben unsere Lederhosen anziehen und die Mädchen dumm kichern, dann sagt eines Tages unser Herr Direktor Keiler, morgen, Kinder, ist ein Wandertag. Wir fangen dann an, freudig zu jauchzen, und der Herr Direktor Keiler macht dazu ein gütiges Gesicht, wogegen unsere Lehrer mächtig zischen und öfter fragen, ob wir uns jetzt in einem Zirkus befinden oder wo. Wir können dann kaum den anderen Tag erwarten. Mein Freund Harald und ich, und wir beide denken uns dann gleich einige Geheimnisse aus, und Schweine-Sigi darf auch mit uns kommen, weil er nicht petzt und seine Schinkenstullen gegen Keks tauscht. Sigi sagt, seine Mutter hat genug mächtige Schinken und sein Vater den Schweinestall unter sich nebst einer individuellen Sau, welche öfter ferkelt. Wir bilden dann ein Triumphirat und schwören, niemals auseinanderzugehen. Aber meist sagt unser Herr Klassenlehrer, daß er uns durchschaut, und er wird sein Auge auf uns werfen. Die Wanderung beginnt immer mit einer Ermahnung von unserem Herrn Klassenlehrer. Er will sich alle gut merken, die Blödsinn treiben und aus der Reihe tanzen. Auch müssen wir Höflichkeit zeigen und unseren Sitzplatz den Erwachsenen anbieten. Dabei schaut mich unser Herr Klassenlehrer meist 1ch f rag te unseren KI assen 1ehrer, d. h h h ih h. uf · · art bl F "bt an, un 1c sc aue auc zu m 1na wie ein z es wo es aue rauen 9' · Lamm. Zu unserer Schulwanderung gesellt sich immer eine Klassenmutter oder auch zwei. Diese sind verschieden. Wenn die Klassenmutter eine ordnungsliebende ist, dann zupft sie fortwährend an uns herum, zum Beispiel am Halstuch oder wenn das Hemd hinten raushängt. Neben den Zupfmüttern gibt es noch Zählmütter, die uns fortwährend zählen. Die meisten Mütter machen ein freundliches Gesicht und freuen sich, wenn die Leute auf sie schauen und denken, sie sind Lehrerinnen. Manchmal ist auch eine Mutter dabei, die nur ihr eigenes Kind bewacht. Dieses tut uns leid. Es muß sich dauernd wie ein dressierter Dackel benehmen und auf Kommando die Nase putzen und immer laut danke und bitte sagen, damit unser Herr Lehrer hört, wie gut das Kind dressiert ist. Wenn wir marschieren, dann latschen wir uns meist auf die Hacken und sagen uns gegenseitig einige Schimpfwörter. Die-
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ses ist dann die erste Prüfung für unseren Lehrer. Sind viele Leute um uns drum herum, dann besteht die Prüfung aus mehreren grausamen Blicken. Wenn wir in stiller Natur latschen, dann läßt unser Herr Klassenlehrer halten, und er erkundigt sich, wer ein altes Kamel ist und ob er jemanden vormerken soll. Auch tauscht er öfter die Kinder aus und nimmt die Lieblinge in seine Obhut. Ich war auch manchmal sein Liebling. Die zweite Prüfung besteht unser Herr Klassenlehrer, wenn wir ein Stückchen mit der Bahn fahren . Der schönste Platz ist immer am Fenster, und darum beginnt ein großes Geschubse. Das dauert aber nicht lange, und wir sitzen wie die Engel. Jetzt kommt die Zeit, wo wir unserem Herrn Lehrer eine Freude machen können, indem wir uns beim Herannahen der Erwachsenen von den Plätzen erheben. Und diese Erwachsenen sind auch verschieden. Einmal kam eine alte Oma, und ich sagte bitte, hier ist mein Platz. Sie schenkte mir ein freundliches Lachen und einen Apfel. Dann kam eine vornehme Dame mit viel Schminke und einem drolligen Pudel. Mein Freund Harald sagte auch bitte, und die Pudeldame setzt sich auf seinen Platz und hat meinen Freund Harald überhaupt nicht angesehen, nur ihren Pudel. Ich sagte zu meinem Freund laut »Danke, mein Junge« und zu Sigi, ob er nicht weiß, wie man sich benimmt, und er möchte doch dem Herrn Pudel seinen Platz anbieten. Unser Herr Klassenlehrer nahm mich gleich wieder in seine Obhut, weil die vornehme Dame fortwährend fragte, ob die Kinder heute so erzogen werden, und sie möchte nicht meine Mutter sein. Einmal kam ein besoffener Herr und sang uns lauter Lieder vor. Unsere Klassenmutter ist ganz rot geworden und sagte immerzu, wir sollen nicht hinhören. Ein andermal kam ein sowjetischer Soldat und sagte strastwuitje und prüfte, wie wir Russisch können. Auch setzte er uns seine Mütze auf. Manche Leute steckten uns Bonbons zu und fragten, ob wir einen Ausflug machen. Wir sagten dann ja. Meistens machen wir hinterher eine längere Wanderung durch Wald und Flur. Unterwegs läßt uns unser Herr Lehrer öfter raten, was wir für Bäume und Gräser sehen und wie man die Himmelsrichtung bestimmen muß. Auch dürfen wir Spuren lesen. Die tiefste Spur hinterlassen der Traktor, die Wildsau
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))Schon eins! Wo hast du wieder rumgebummelt? Du kannst mir nicht weismachen, daß heute die letzte Stunde nicht ausgefallen ist!<<
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und unser Herr Klassenlehrer, weil er der Schwerste von uns ist. Wenn wir an einer Stelle mit schönem Ausblick sind, dann heißt es meist rasten. Die Stullen haben wir schon in der Bahn aufgegessen, jetzt kommen die Eier dran. Sind wir Ferkel, dann schmeißen wir die Eierschalen ins Gras. Sind wir naturliebende Pioniere, dann stecken wir die Schalen in unseren Brotbeutel oder in die Kapuze der Mädchen. Haben die MädDas Gemeine an Schulwanderunchen die Schalen gefunden, dann stecken sie die Schagen ist, daß wir darüber einen len wieder heimlich in unsere Hosentaschen. Wenn Aufsatz schreiben müssen. die Schalen mehrere Taschen und Kapuzen gesehen haben, dann landen sie am Schluß in Wallys Beutel. Wally gibt sie dann zu Hause ihren Hühnern zu fressen, damit sie neue Eier legen. Harald nennt das eine Kalkverwertung und unser Herr Klassenlehrer eine große Enttäuschung. Manchmal rasten wir auch in einer Gaststätte und trinken ein Glas Limonade oder auch zwei, je nachdem, aus welcher Familie wir kommen. Die dicke Mia kommt aus einer Familie, wo man mit dem Geld nur so rumschmeißt. Die Mia zeigt uns meist einen Zwanzigmarkschein, und wir sollen uns ausdenken, was sie sich alles kaufen wird. Zum Beispiel Torte. Wir denken aber, daß ihr die Torte im Halse steckenbleibt. Einmal sagte Mia zu unserem Herm Klassenlehrer, sie will alles bezahlen, was er getrunken hat. Da ist unser Herr Lehrer furchtbar zornig geworden wie noch nie, und er hat der Mia vorgerechnet, wie lange man arbeiten muß, bis zwanzig Mark zusammen sind. Seitdem lieben wir unseren Herrn Klassenlehrer noch mehr. Unterwegs haben wir Knaben Hühnerdreck gesammelt und in Bonbonpapier gewickelt und zur Mia gesagt, sie soll nicht traurig sein und unsere Bonbons mitessen. Am schönsten ist es, wenn wir eine Fabrik oder eine LPG besichtigen. Einmal waren wir auch in einem Burgmuseum. Wie die anderen weitergegangen sind, prüften mein Freund Harald, Schweine-Sigi und ich die Folterwerkzeuge aus, zum Beispiel die Daumenschrauben. Ich konnte am längsten zählen und habe keinen Mucks von mir gegeben. Nach vier Wochen ist wieder ein neuer Nagel nachgewachsen. Einmal waren wir in einer Bilderausstellung. Auf einem Bild war eine Frau mit blauer Haut und violettem Haar. Es hieß »Die Sinnende«. Ich fragte unseren Herrn Klassenlehrer, wo es blaue Frauen gibt. Er sagte, daß er auch noch keine blaue Frau gesehen hat. Ein anderes Bild hieß »Die Feldbaubrigade«. Es waren wieder verschiedene Frauen zu sehen. Sie waren alle
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sehr dick und in alten Klamotten. Daran kann man erkennen, daß ein Kunstmaler es schwer hat. Entweder ist ihm die Farbe alle geworden, und er hat nur noch Blau, oder er sieht nur dicke Frauen mit alten Lumpen. Die meisten Bilder waren schön, aber ich weiß nicht mehr, welche, weil wir uns beeilen mußten. Denn unser Herr Lehrer wollte noch mit uns zum Zirkus. So kann man auf einer Schulwanderung viel erleben. Das Schönste an unseren Wanderungen ist, wenn wir uns einmal richtig austoben dürfen, das Gemeine ist, wenn wir darüber einen Aufsatz schreiben müssen.
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»Warum ist die Schule nicht etwas lustiger?« »Weil sie euch auf den Ernst des Lebens vorbereitet.<<
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Renate Holland-Moritz
' IH Wie üblich waren vornehmlich Mütter erschienen. Die Väter, mit Ausnahme von Herrn Baumann, waren entweder durch Scheidung abhanden gekommen oder besuchten just in diesem Abend kulturelle Veranstaltungen beziehungsweise Weiterbildungslehrgänge. Die Ausmaße der Schulbänke machten einigen schwergewichtigen Elternteilen zu schaffen. Um der Unruhe Herr zu werden, klopfte Sabine Walter nachdrücklich mit dem Bleistift auf den Lehrertisch. Sie war sichtlich aufgeregt. Zu ihrer Unterstützung hatten Sebastian Lehmann, Silke Gerasch, Mike Göschler und Tamara Tamke neben ihr Platz genommen. Sabine Walter räusperte sich noch einmal kräftig und begann. »Liebe Eltern! Im Namen des Gruppenrates der 5 b 1m Namen des Gruppenra t es be- b .. ß . h s· h t· Elt b d Wi ·· ß · h s· Elt b d egru e 1c 1e zu unserem eu 1gen erna en . rr gru e ic ie zum erna en · wollen uns gar nicht erst mit der Auswertung der Pionierleiterkonferenz, mit Spendenaktionen und der Renovierung einzelner Klassenräume aufhalten, sondern gleich zum einzigen Tagesordnungspunkt kommen, nämlich zu Ihren Kindern. Mit denen gibt es einige Probleme, bei deren Lösung Sie uns vielleicht behilflich sein können. Ist Frau Hermann anwesend?« Eine füllige Dame in der letzten Bankreihe meldete sich zaghaft. »Sie brauchen sich nicht aufzuregen, Frau Hermann«, sagte Sabine Walter beruhigend, »im großen und ganzen sind wir mit der Arbeit Ihrer Tochter als Klassenlehrerin recht zufrieden. Nur in letzter Zeit wirkt sie ausgesprochen unausgeglichen und launisch. Hat sie vielleicht privaten Kummer?« Frau Hermann errötete heftig. »Na ja, da ist doch die Sache mit ihrem Freund. Er ist ihr nämlich durchgebrannt, und zwar mit einer Sportlehrerin aus der 12. Oberschule. Seither ist das Mädel wie umgedreht. Statt sich auf den Unterricht vorzubereiten, schließt sie sich in ihrem Zimmer ein und heult. Ich bin schon ganz verzweifelt.« »Ach Gott, die Arme«, rief Silke Gerasch mitleidig, »wenn ich das gewußt hätte, wäre ich gestern nach ihrem Wutanfall nicht so pan1pig zu ihr gewesen. Ich schlage vor, wir beschließen einen Monat der besonderen Rücksichtnahme auf Fräulein Hermann. Bis dahin hat sie bestimmt einen neuen Freund gefunden, wo sie doch so urst schau aussieht!«
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Der Gruppenrat erklärte sich spontan einverstanden, und Frau Hermann wischte sich die Tränen der Rührung aus den Augen. »Weiter im Text!« Sabine Wolter klopfte wieder mit dem Bleistift auf den Tisch. »Ein besonders trübes Kapitel sind die Eintragungen. Die Lehrer fragen im allgemeinen gar nicht erst lange, warum einer was tut, was er nicht soll. Sie verlangen sofort das Hausaufgabenheft, und wir haben abends den Arger mit unseren Eltern.« »Da möchte ich gleich ein Beispiel nen nen«, warf Sebastian Lehmann ein, »gestern im Werkunterricht bei Herrn Glaser haben wir Untersetzer gesägt. Mir macht sowas großen Spaß, deshalb habe ich das Volkslied >Keine Bange, wir holen eine Zange< gesungen. Darauf schrieb Herr Glaser die Eintragung: >Sebastian sang im Werkunterricht<. Als ich mich für die nette Mitteilung an meine Eltern bedankte, bekam ich zusätzlich einen Strich in Betragen.« »Das verstehe ich nicht«, sagte Frau Glaser, »als der Junge noch bei mir zu Hause wohnte, haben wir immer beim Abwaschen gesungen. Aber seit er diese Frau hat, ist es aus mit Fröhlichsein und Singen.« Ehe sich Frau Glaser länger über ihre Schwiegertochter auslassen konnte, setzte Sabine Wolter fort: »Ich bitte Sie herzlich, liebe Eltern, mit Ihren Kindern über Sinn und Zweck der Eintragungen zu reden. Wenn jemand von uns eilig über den Flur rennt, hat er unter Umständen nur Durchfall. Und wenn sich einer nicht auf den Unterricht konzentriert, liegt's manchmal auch am Unterricht. Bei Herrn Baumann zum Beispiel ist es so langweilig, daß man sich beim besten Willen nicht konzentrieren kann. Da helfen auch die Ausmeckereien zu Hause nichts.« »Der Junge wollte ja eigentlich auch gar nicht Lehrer werden«, ließ sich Herr Baumann vernehmen, »ihn zogs schon immer zur Wissenschaft.« »Leider haben manche Lehrer auch zu wenig Humor«, sagte der kleine Mike Göschler schnell. »Einmal sollten wir einen Auf••
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satz zu einem freigewählten Thema schreiben, und da hab ich mir eine Ulkgeschichte ausgedacht. Unsere Deutschlehrerin, Frau Ritter, gab mir dafür eine Fünf und schrieb drunter: >Höchstens für den Eulenspiegel geeignet<.« »Also Mike, nun hör auf mit den ollen Kamellen«, fuhr ihn Sabine Wolter an, »du weißt genau, daß Frau Ritter nicht mehr an unserer Schule ist, sondern inzwischen bei der Lehrerzeitung arbeitet. Wenden wir uns doch wieder aktuellen Problemen zu, wenn ich bitten darf!« »Halt, halt, liebe Kinder«, rief die sonore Stimme des Direktors. »Das war ja schon alles recht hübsch, aber doch sehr zugespitzt und allzusehr aus der Froschperspektive gesehen. Immerhin beweist das Experiment, euch an einem Gruppennachmittag einen satirischen Sketch nach eigener Wahl spielen zu lassen, daß wir Lehrer sehr wohl Humor haben und auch Kritik nicht scheuen. Aber nun singt noch ein paar fröhliche Pionierlieder, und dann ab in den Fernsehraum. Es läuft, wie immer im Ferienprogramm, der preisgekrönte DEFA-Film >Die Abenteuer des Werner Holt<.«
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Kürzlich war ich wieder mal auf dem Lande. Da hörte ich, wie die fünfzehnjährige Tochter meines Freundes Knorr begeistert rief: »Guckt mal, Mami und Papale, das Huhn und der Hahn spielen Bremer Stadtmusikanten!« Ich glaube hieraus folgern zu dürfen, daß die Eltern Knorr doch einmal in sich gehen sollten mit der Frage: Was haben wir bei der Erziehung unserer heranwachsenden Tochter versäumt? Denn schließlich bestehen die Bremer Stadtmusikanten ja nicht nur aus zwei Tieren!
Johannes Conrad
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: >>Welches ist de; größte Strom der Erde?« fragt der Geografielehrer. »Das ist die Elbe«, sagt Fritzchen. »Wie kommst du darauf?« wundert sich der Lehrer. »Meine Großeltern haben gesagt, sie brauchen 60 .. .
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Lernen, lernen , nochmals lernen
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Hans Krause
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7ottst i.r OIHOH riseA Mein Sohn, bevor wir von der Hühnerkeule zu Kalbs- und Schweinebraten übergehn, gestatte, daß ich mir das Wort erteile. Ich bin gerührt, doch glaub nicht, daß ich heule, denn heute könnt ich dich nicht feixen sehn. Moral verdaut man besser vor dem Essen. Drum nutze ich die letzte Möglichkeit. Es ist dein Tag, doch du darfst nicht vergessen, man kann ihn nicht am Wert der Gaben messen, die man dir heut zu Jugendweihe weiht.
~ - das werden
wir!
Zum Moped wird es sicherlich nicht reichen, obwohl der Onkel Heinz nicht kleinlich war. Doch ließest du dich nach dem Fest erweichen. das Holz zu hacken und den Zaun zu streichen, so klappte es vielleicht im nächsten Jahr. Man hat dich heute morgen reif gesprochen. Nun trag die Würde stolz und unverzagt. Ich rechne zwar nicht gleich mit Flitterwochen, doch wenn du willst, dann kannst du darauf pochen, daß man Kollege Krause zu dir sagt.
Neunjährige posieren fiir den IX Parteitag 1976.
Doch mit den Rechten kommen auch die Pflichten. Die Weihe selber war nur Richtefest. Noch gibt es manche Ritze zu verdichten. Es liegt bei dir, das Haus so einzurichten, daß es sich ehrenvoll drin wohnen läßt. Und nun entfaltet wieder die Serviette. Du aber, Junge, sei dir stets bewußt: Das Herz und nicht die erste Zigarette macht dich zum Glied in jenere großen Kette, in der du Wert beweisen mußt.
Was des Volkes Hände schaffen
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Jochen Petersdorf
Sketch der Drei Dialektiker Uhlig: Damen und Herren! Wir kommen nunmehr zum populärwissenschaftlichen Teil des heutigen Abends! Köbbert: Im Rahmen unseres Weiterbildungszyklusses für gemischtes Publikum und Schauorchester ... Stückrath: ... und getreu unserem Motto: Der Kessel macht nicht nur Pläsier, nein, sondern auch er bildet Dir! Hören Sie nun eine Lektion zum Thema: Die Arbeitszeit. Uhlig: Die Arbeitszeit ist aus unserem heutigen Leben nicht mehr wegzukriegen! Köbbert: Wegzudenken! Uhlig: Wie bitte? Ach so. Nicht mehr wegzudenken! Stückrath: Das macht uns stolz und glücklich! Köbbert: Quatsch! Unsere Vorfahren kannten die Stückrath: Wieso denn Quatsch? Das ist 'ne offizielle Urzeit, nicht die Arbeitszeit. Meinung! Uhlig: Aber die kommt jetzt noch nicht! Wir gehn doch chronologisch vor! Stückrath: Ach so. Also! Als unsere Vorfahren durch Einführung des aufrechten Ganges langsam menschlich wurden, gab es noch keine gesetzliche Arbeitszeit, sondern nur Urzeit. Köbbert: Heute ist es genau umgekehrt. Wrr haben eine feste Arbeitszeit und die Uhrzeit spielt keine Rolle . • Uhlig: Willste damit was gegen Uberstunden sagen? Köbbert: Quatsch. Ich meine Urzeit ohne h. Wir gehen doch chronologisch vor. Stückrath: Genau. Also weiter! In der Urzeit saß eines Tages der große Denker Bitterlehmann, der später übrigens auch ein gleichnamiges geistiges Getränk erfand, also Bitterlehmann saß auf einem Stein und dachte. Köbbert: Die Sonne stand im Zenit. Stückrath: »Hei nun!«, rief da der große Bitterlehmann. »Es wird Zeit, daß ich mal wieder was erfinde!« Uhlig: Und darauf erfand er die Arbeitszeit? Köbbert: Genau! Und als er die Arbeitszeit erfunden hatte ... Stückrath: ... saß er da und wußte nich, was er machen soll. Köbbert: Quatsch. Er wußte es genau. Er sagte sich: Die Erfindung muß unter die Leute. Und er schritt zu Tal. Uhlig: Zu wem? Stückrath: Zu Tal. Nach unten, Mensch! •
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Was des Volkes Hände schaffen
Uhlig: Unsinn. Wenn man was erfunden hat, geht man doch nach oben. Wie will man denn sonst 'ne Auszeichnung kriegen? Köbbert: Er wollte keine Auszeichnung, sondern seine Erfindung anwenden! Uhlig: Junge, Junge! Finsterste Urzeit! Stückrath: Ruhe und weiter: In der nächsten menschlichen Siedlung war gerade ein munteres Volksfest im Gange. »Warum feiert ihr, Kollegen«, rief Bitterlehmann. Köbbert: »Wrr feiern ohne Grund«, sagte der Vorsitzende. Uhlig: »Das muß anders werden«, rief Bitterlehmann. »Ab sofort habt ihr Grund. Denn ich habe die Arbeitszeit erfunden.« Stückrath: »Das muß gefeiert werden«, jubelten alle. Und dann ging's rund. Köbbert: Sie sangen: »Jetzt geht die Party richtig los« - und am anderen Morgen lagen alle flach. Uhlig: Außer Bitterlehmann. Der schritt durch die Siedlung und rief: »Auf, auf - zum fröhlichen Jagen!« Stückrath: »Aber doch nich in der Arbeitszeit«, murmelte der Häuptling.
Uhlig: »Das ist doch der Sinn der Sache«, brüllte Bitterlehmann. Köbbert: Und wer hat gewonnen? Uhlig: Beide. Ein Teil ging jagen, und ein Teil soff weiter. Stückrath: Und damit war gleichzeitig die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen erfunden. Uhlig: Genau! Köbbert: Das glaub ich nicht! Uhlig: Wieso? Köbbert: Dann müßten wir ja heute bei uns noch Ausbeutung haben. Denn wie oft wird während der Arbeitszeit gebechert. Uhlig: Das ist doch ganz was anderes. Heute gibts keine Analphabeten mehr, sondern eine gebildete Nation. Köbbert: Was hat'n das damit zu tun? Stückrath: Ganz einfach. Wenn du früher gefeiert hast, anstatt zu jagen, ging dir der Hase durch die Lappen. Heute kannste schreiben. Stunden! •
Horst Köbbert, Manfred Uhlig, Lutz Stückrath von links - als Die drei Dialektiker.
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Uhlig: Und wenns hart kommt, drohste mit Kündigung! Köbbert: Hab verstanden. Außerdem ist ja alles 'ne Frage der Proportion. Man hat noch nie gehört, daß zur selben Zeit 'ne ganz VVB blau war. Uhlig: Sehr richtig. Es sind ja höchstens einzelne Abteilungen, und die Zeiten sind gestaffelt. Stückrath: So isses! Außerdem gibt es niemanden, der stupide vor sich hinkümmelt. Die Menschen sind gewachsen! Köbbert: Genau! Man kann stundenlang in der Kneipe sitzen! •• Aber worüber wird geredet? Uber die Arbeit! Uhlig: Womit bewiesen ist: Man muß die Sache als Dialektiker sehen. Stückrath: Die Arbeitszeit ist eine Einheit. Man muß sie einhalten und zugleich ausnutzen! Uhlig: Ende der Lektion! Es ist bedauerlich, daß sich keiner von Ihnen Notizen gemacht hat. Köbbert: Denn diese Rede erscheint nicht im Dietz-Verlag! Stückrath: Woran man wieder mal sieht, wie viele geistige Arbeit mitunter völlig sinnlos ist! Guten Abend!
»Na, Frau Lehmann, wo wolln Sie denn hin?« »Nach Pankow, mein Eisen reparieren lassen.« »Was für ein Eisen?« »Mein Bügeleisen.« »Aber warum sagen Sie denn nur Eisen, wenn Sie Bügeleisen meinen?« »Das ist wegen der Spezialisierung. In Pankow reparieren sie nämlich nur das Eisen. Mit dem Bügel muß man jetzt nach Köpenick.« »Aber Frau Lehmann! Ein Bügeleisen hat doch keinen Bügel, sondern einen Griff.« »Sehr richtig, und den Griff reparieren sie in Weißensee.« »Aber da machen die in Köpenick doch eigentlich gar nichts.« »Ist doch unwichtig. Hauptsache, sie haben sich spezialisiert. - So, nun muß ich aber rennen!« »Und warum hüpfen Sie nur auf dem rechten Bein?« »Das mache ich nur hinwärts. Zurück benutze ich das linke. Wenn man mehr herumrennen muß, ist eine gewisse Spezialisierung ganz nützlich. Tschüß!«
Jochen Petersdorf
Lothar ist 19 Jahre. Er arbeitet ols Sattelschlepper beim VEB Kraftver· lcehr. Edmuna He 1d, der FDJ•
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Manfred Strahl
))Ganz einfach! Wzr fragen den Chef, wer von uns die Sache entscheiden soll. «
Nicht weniger als ein Dutzend Drohbriefe und mindestens doppelt so viele Bittschriften hatte Pradelbroth in den letzten Wochen verfaßt. Umsonst! Der VEB Bolzen und Beschläge blieb stur. Die restlichen zwei Drittel der für das laufende Planjahr benötigten Winkeleisen, so antwortete der Betrieb stets lakonisch, könne er bestenfalls um die Weihnachtszeit liefern. Pradelbroth, der die letzten Vorräte sowie seinen guten Ruf als Beschaffungsexperte schwinden sah, war außer sich. »So geht das nicht mehr weiter«, verkündete er grollend, »jedes weitere Fernschreiben ist pure Zeit- und Geldverschwendung. Ich schlage vor, Kollegen, wir rücken dem VEB Bolzen und Beschläge mal höchstpersönlich auf die Pelle.« Die fünfköpfige Delegation mit Pradelbroth an der Spitze wurde wider Erwarten recht freundlich begrüßt. Sogar mit Kognak. Doch Pradelbroth verspürte wenig Neigung, sich auf ein langwieriges diplomatisches Vorgeplänkel einzulassen. »Nichts für ungut, Kollegen«, sagte er und schob energisch das Glas beiseite, »mir wäre es ganz lieb, Kollegen, wenn wir gleich zur Sache kämen.« Und in kurzen, aber zu Herzen gehenden Worten schilderte er die mißliche Lage, in die sein Betrieb geraten mußte, falls der VEB Bolzen und Beschläge nicht unverzüglich lieferte. Danach herrschte betretenes Schweigen. Die bekannte Ruhe vor dem Sturm der Entrüstung, dachte Pradelbroth. Doch Krawinke, der Sprecher der Gegenseite, wirkte eher niedergeschlagen. »Wrr würden euch wirklich gerne helfen«, sagte er ehrlich betrübt, »aber momentan sind unsere Kollegen einfach überfordert. Jede Menge Aufträge und keinen Penny mehr im Prämienfonds.« Das klingt ja fast entgegenkommend, dachte Pradelbroth und blinzelte vielsagend den Seinen zu, die Seinen blinzelten vielsagend zurück. •
Was des Volkes Hände schaffen
»An eine kleine finanzielle Zuwendung hatten wir ohnehin gedacht«, erwiderte Pradelbroth. »Schön«, freute sich Krawinke, »unter diesen Umständen können wir euch die ersten Wmkeleisen vielleicht sogar schon Ende November liefern.« Pradelbroth glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. »Ende November? Das ist ja lachhaft, Kollegen. Wir pfeifen doch jetzt schon auf dem letzten Loch.« Krawinke zuckte bedauernd mit den Schultern. »Was soll ich machen?« fragte er. »Solange wir die neuen Automaten nicht montieren können, geht's halt nicht.« »Woran fehlt's denn?« erkundigte sich Pradelbroth. »Bloß an ein paar Handwerkern«, antwortete Krawinke. »Unsere eigenen sind leider voll mit der Instandhaltung ausgelastet. Dabei könnten drei qualifizierte Leute die Montage bequem in zwei Tagen schaffen.« Pradelbroth dachte eine Weile angestrengt nach. »Nun, wenn's weiter nichts ist«, seufzte er schließlich, »die stellen wir euch zur Verfügung.« »Wenn das so ist, könnt ihr vielleicht schon übernächste Woche mit den Winkeleisen rechnen«, räumte Krawinke launig ein. »Was heißt hier vielleicht?« fragte Pradelbroth. »Wir verlassen uns drauf.« »Etwas riskant ist die Sache natürlich noch«, erklärte Krawinke. »Auf unseren Fuhrpark ist zur Zeit nämlich überhaupt kein Verlaß.« »Na gut, wir holen uns die Wmkeleisen Montag in einer Woche selber ab«, versprach Pradelbroth. »Einverstanden«, sagte Krawinke, »für alles andere übernehmen wir die Garantie. Ihr wißt ja, man hilft, wo man kann!« '
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Alf red Schiffers
Um neun Uhr läutete es. »Das werden die Kohlen sein«, sagte meine Frau. Ich war skeptisch: »Wo denkst du hin! Die sind zwar für neun Uhr angekündigt, aber erfahrungsgemäß trudeln die Herrschaften frühestens nachmittags ein, wenn nicht noch später.« Es läutete abermals. Meine Frau eilte auf den Balkon, warf einen Blick nach unten und triumphierte: »Was ich gesagt habe, die Kohlen!« Ich öffnete die Haustür. Vor mir stand ein feiner Mann, kein Kohlenträger, sondern ein Mensch in Zivil, mit Schlips und Kragen, . d t . hd der seinen Hut mit vollendeter Armbewegung lüfteDann vera bsc h1e e e s1c as t d . h 't d d h.. dritt zähn· K0 hl k II kt' ·t H d hl e un mic mi en wun ersc onen en en en e iv mi an sc ag anstrahlte: »Einen guten, guten Morgen, Herr Meier! und allen guten Wünschen für eine allzeit glückhafte Heizperiode. Ihr Kohlenhändler, dem Sie im Mai diesen Jahres das Vergnügen bereiteten, Ihre Bestellung aufzutragen, gibt sich die Ehre! Wrr haben die gewünschten achtundzwanzig Zentner angefahren und sind - mit Ihrer gütigen Erlaubnis - bereit, das schwarze Gold in Ihrem Keller unterzubringen!« Danach stellte er mir seine Mannschaft vor: Kohlenträger August Schwemme!, Kohlenträger Emil Kalkhahn und Kohlenträger Gottfried Lämmerwart. »Meine Leute werden mit der gewissenhaften Einlagerung beginnen, sobald Sie die dafür vorgesehenen Räumlichkeiten geöffnet haben!« Bei einem Blick aufs rransportfahrzeug stellte ich fest, daß man uns lose Kohlen zudachte. Krause reagierte schnell: »Wir haben die Lieferung in dieser Gestalt bekommen und können infolgedessen - sehr zu meinem Bedauern - nur lose Kohlen bringen. Unsere vornehmste Aufgabe wird allerdings darin bestehen, das Material so zu stapeln, daß Sie nach Beendigung des Liefervorganges das Gefühl haben, Sie hätten es von vornherein mit gepackten Kohlen zu tun.« Dann gab Herr Krause das Zeichen zum Beginn des Einkellerns. Zu diesem Zwecke entrollte Kohlenträger Kalkhahn einen blitzsauberen Läufer vom rransportfahrzeug über Gehsteig und Kellertreppe bis vor Ort, womit jede Verunreinigung der genannten Strecke ausgeschlossen werden sollte. Die Träger eilten zügig hin und her. Sie vermieden sorgsam alle
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unnötigen Nebengeräusche, fluchten fast gar nicht, niesten ausschließlich hinter vorgehaltener Hand und ließen ihr bekannt phonreiches Husten nur in angemessenen Abständen vom Haus ertönen. Am Rande sei vermerkt, daß Herr Lieferant Krause gleich zu Beginn der Aktion erkannte, daß die Glühlampe im Keller ein zu kümmerliches Licht spendete. Spontan schritt er zur Zugmaschine, kletterte hinein, förderte eine weitaus stärkere Lampe zutage und wechselte diese eigenhändig gegen die schwächere aus. Eine Berechnung erfolgte nicht: »Kundendienst«, sagte er freundlich und lächelte mild. Es wäre müßig mitzuteilen, daß die Träger auf ihren Rückwegen vom Keller zum Fahrzeug alle Kohlenkrümel gewissenhaft aufnahmen, vorübergehend in ihren Kohlenträgermützen deponierten und sie nach Erreichen des Hängers in eine eigens dafür bereitgestellte Kiepe ablegten. Das uns, den Kunden, verlorengegangene Gewicht wurde durch Herm Krause, der in diesem Stadium des Geschehens an der Waage weilte, sofort und großzügig ersetzt. Herr Krause nämlich beobachtete das Einwiegen mit Argusaugen und ließ lieber eine Kohle mehr als zuwenig über die Waage gehen, die er, nebenbei bemerkt, erst am Tage zuvor hatte amtlich justieren lassen. Nachdem über die Hälfte der vorgesehenen Menge in den Keller getragen und lotrecht gestapelt worden war, kehrte einer der Träger zurück, flüsterte Herrn Krause etwas ins Ohr, der daraufhin bedeutungsvoll die Brauen hob, mich belustigt anschaute und meinte, daß wir die Menge der anfallenden Kohlen wohl ein wenig unterschätzt hätten; denn die von uns freigemachte Seite des Kellers reiche leider nicht für die achtundzwanzig Zentner! 24 bis 26 Zentner seien an der vorgesehenen Wand mit Ach und Krach unterzubringen, vierzehn Doppelzentner leider nie und nimmer! »Aber ... « »Kein Aber, lieber Herr Meier«, wehrte der Chef des Unternehmens, fast beleidigt, ab. »Das machen wir schon! Mitdreihandfesten Männern ist das Gerümpel schnell fortgeschafft. Wenn Sie gestatten, fahren wir es sogar gleich ab. Die Gelegenheit ist günstig - unsere Fahrzeuge stehen sowieso vor dem Haus, und es besteht natürlich gar keine Frage, daß wir das kostenlos erledigen. Kundendienst - ganz einfach Kundendienst!« Nach weiteren drei Viertelstunden war alles geschehen. An einer Längs- und Querwand unseres Kellers lagerten achtundzwanzig Zentner herrlich gestapelter Kohlen. Das Gerümpel war weg und der Keller gefegt. Weder auf der Treppe noch im Hausflur
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)) Vorwärts zum IX. Parteitag 1976<<
Was des Volkes Hände schaffen
oder gar auf dem Gehsteig die geringste Spur eines Kohlenstäubchens! Zu einem freudigen Ereignis kam es darüber hinaus - beim Begleichen der Rechnung. Entschieden weigerten sich die Kollegen Träger, ein Trinkgeld anzunehmen. Herr Krause erklärte dezent, daß der Gedanke, die kleine Mühewaltung der Bürger Schwemme!, Kalkhahn und Lämmerwart durch dergestalt irdische Güter zu lohnen, durchaus lobenswert sei, indessen wäre es eine unerschütterliche Maxime des Hauses, die werte Kundschaft nicht mit zusätzlichen Ausgaben wie beispielsweise Trinkgeld zu belasten. Vielleicht, so erlaubte sich Herr Krause vorzuschlagen, kämen die vorgesehenen Beträge einer gesellschaftlichen Institution, der Freiwilligen Feuerwehr, dem Kaninchenzüchterverband, et cetera, et cetera gelegen. Dann verabschiedete sich das Kohlenkollektiv mit Handschlag und allen guten Wünschen für eine allzeit glückhafte Heizperiode und in der aufrichtigen Hoffnung, auch in Zukunft als stets dienstbereiter Lieferant beehrt zu werden. »Das Erstaunlichste an der Sache«, jubilierte meine Frau, als wir wenige Augenblicke später im Keller unseren unvermuteten Reichtum betrachteten, »ist, daß wir in den vergangenen Jahren auch immer 28 Zentner bei Krause bestellten, aber jedesmal sehr gut mit der Fläche von nur einer Wand auskamen.« »Trotzdem hat sich Herr Krause diesmal keinesfalls geirrt«, warf ich ein. »Diese erstaunliche Menge haben wir ganz offensichtlich einem Umstand zu verdanken, der mir erst jetzt in den Sinn kommt. Vor ein paar Tagen nämlich begegnete ich Herrn Krause vor dem Rathaus. Wir grüßten uns, und ich sagte nichts weiter zu dem Mann als >Na, in der kommenden Woche wollen Sie uns ja laut Mitteilungskarte wieder beliefern, wie? Was glauben Sie wohl, wie sehr wir uns heute schon auf die achtundzwanzig Zentner freuen!
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Was des Vo lkes Hände schaffen
Lothar Kusche
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oiortoH Ich hätte gar nicht bemerkt, dass unsere Firma schon seit zehn Jahren bestand, wenn sie mich nicht eines schönen Tages zur Feier eben dieses zehnjährigen Bestehens eingeladen hätten. Es gibt immer Leute, die auf solche Jubiläen achten und auch keinen Geburtstag vergessen können. Die Vorstellung, nichts vergessen zu können, ist für mich schrecklich; aber wahrscheinlich geht es anderen Leuten genau umgekehrt, und sie fürchten nichts so sehr, als irgendeine Sache zu übersehen. Die Feierlichkeiten sollten in den Räumen der Firma stattfinden, damit man das Geld sparen konnte, das die Saalmiete gekostet hätte, und wir waren auch alle der Meinung, daß es in den altgewohnten Räumen viel gemütlicher sein müßte als in irgendwelchen vornehmen Klubs oder Restaurants. Die Feier sollte am Freitag um 13 Uhr mittags beginnen, was meiner Frau etwas zu früh vorkam. Aber Walter, mit dem ich deshalb telefonierte, meinte, man könne dem Pförtner nicht zumuten, am Tage unseres zehnjährigen Bestehens in seinem Verschlag zu sitzen, und deshalb wolle man das Hauptportal gegen 14 Uhr mittags zusperren, und danach würde es schwierig für jedermann sein, überhaupt noch in das Gebäude der Firma hineinzukommen. Die Bezeichnung »Hauptportal« ist für den betriebsfremden Leser womöglich irreführend; so nennen wir den Eingang, den wir immer benutzen, was wir schon aus dem naheliegenden Grunde tun, daß gar kein anderer Eingang da ist. Es war ungefähr um halb drei Uhr nachmittags, als ich mit meiner Frau an diesem Hauptportal ankam. Sie hatte sogenannte feine Garderobe angelegt, und sogar ich trug ein recht weißes Hemd mit einem unbequemen Kragen, denn ich weiß, was ich unserer Firma und ihrem zehnjährigen Bestehen
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»Den Wert der Verwaltung erkennt man schon daran, daß wir einen besseren Kaffee kochen als die meisten Gaststätten. ((
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schuldig bin. Das Hauptportal war übrigens nicht zugesperrt, sondern weit geöffnet, und gleich dahinter im Hausflur standen einige Kollegen um ein Faß Bier, das mit einer Flasche Kohlensäure verbunden war. Unser alter Pförtner betätigte sich als Zapfer, so gut er konnte; er konnte es aber nicht sehr gut. Es gelang ihm viel leichter, Kohlensäure in die Gläser zu befördern als Bier, was daran lag, daß man vergessen hatte, etwas Eis auf das Bierfaß zu legen. Ich fragte meine Frau, ob sie Lust hätte, etwas warmes Bier zu trinken, aber sie hatte keine Lust, und so gaben wir einigen Leuten die Hand und lächelten und blickten etwas verlegen umher, ob nicht jemand da wäre, den wir intimer kannten und mit dem wir uns ungezwungener unterhalten könnten. Der alte Pförtner war offenbar etwas gekränkt, weil wir nichts von dem Bier genommen hatten, und er sagte: »Hier sind auch Spritzkuchen, wenn Sie die wollen.« Neben dem Bierfaß war nämlich auf einem Tisch eine ungeheure Menge von Spritzkuchen aufgebaut. Ich sagte ihm, daß wir erst etwas später essen wollten, und bot ihm eine Zigarette an, die zwar nicht gut war, aber teuer, Das gehackte Fleisch war auf und dann gingen wir in den Speisesaal, um uns dort Suppentellern zu Bergen aufgeein wenig umzusehen. häuft, höher als ein britischer Im Korridor, der zum Speisesaal führt, war aus Seh utzm an nshe1m. einigen Büromöbeln eine Bar improvisiert, hinter welcher der Oberbuchhalter Schnaps ausschenkte. Davor standen einige Kollegen und unterhielten sich über Fragen der Berliner Architektur, über den Neuaufbau des Stadtzentrums und darüber, ob es neue Bars geben würde. Der Direktor begrüßte uns. Er vertrat die Ansicht, das Wichtigste in Bars seien die Bardamen, aber seine Frau meinte, von Bardamen könne man wohl nicht sprechen, es handle sich bestenfalls um Barfrauen oder Barfräuleins. Wir machten einige Witze über unsern Oberbuchhalter als Barfräulein, die er aber nicht übelnahm. Er selber trank übrigens nichts von dem Schnaps, ganz im Gegensatz zum stellvertretenden Leiter des Fuhrparks, der an der Theke des Oberbuchhalters geradezu festgewachsen zu sein schien. Als wir in den Speisesaal gingen, kamen uns zwei Frauen aus der Expedition entgegen, die sich gegenseitig stützten. Eine von ihnen sah uns mit sehr großen Augen an und sagte zu meiner Frau: »Mann, bin ich blau.« Dann verschwanden sie in der Toilette. Im Speisesaal gab es Musik vom Plattenspieler. Einige Paare tanzten. An den Tischen saßen ältere Betriebs-
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angehörige mit ihren Frauen und tranken Kaffee oder Wein. Die ganze Längswand war mit Pappe verkleidet, und einige Kollegen mit Talent zum Zeichnen hatten Karikaturen darauf gepinselt, von denen manche sehr lustig anzusehen waren. Wir beglückwünschten unseren Freund Thomas, der diese Dekorationen arrangiert hatte. In diesem Moment kam Spiegel auf uns zu, der Lagerverwalter. »Na, hört mal«, sagte Spiegel, »ihr steht hier rum, als wärt ihr in einem Museum. Das ist aber nicht der Sinn des Tages. Heute wird gefeiert. Hier hat keiner rumzustehen ohne ein Glas Bier in der Hand, und zwar ein volles, denn Spiegel hat vorgesorgt. Geht mal rauf, es ist in allen ,.. -.... Etagen was los, und 'nen kleinen Imbiß könnt ihr auch oben kriegen. « Wir gingen hinauf, um Spiegel nicht zu kränken. Die einzelnen Büros waren von lachenden Leuten bevölkert, die fast alle gleichzeitig sehr laut redeten. Auch Spiegels Büro war aufgeräumt worden, und auf seinem Schreibtisch lag nicht die kleinste Aktennotiz. Ich hatte bis zu meinem Ausscheiden vor einem Jahr insgesamt neun Jahre in der Firma gearbeitet, aber es war mir niemals in den Sinn gekommen, daß Spiegel überhaupt imstande sein könne, seinen Schreibtisch aufzuräumen. Ich sagte es meiner Frau, die Spiegel daraufhin ein Kompliment machte. »Was blieb mir anderes übrig«, sagte Spiegel, ' »wir brauchten doch den Platz für die Gläser und einen kleinen Imbiß.« Tatsächlich waren, so weit ich sehen konnte, alle Schreibtische mit Gläsern und vor allem mit gehacktem Fleisch und mit Wurst bedeckt. Das gehackte Fleisch war auf Suppentellern zu Bergen aufgehäuft, höher als ein britischer Schutzmannshelm. Auf anderen Tellern lagen daumenlange Stücke von Jagd- und Fleischwürsten. Diese Berge waren allerdings etwas niedriger, denn wenn Spiegel sie so hoch gebaut hätte wie die Hackfleischberge, so wären sie unwei- Erfahrungsaustausch gerlich zusammengebrochen. Meine Frau sagte: »Solche Fleisch- und Wurstmengen habe ich noch nie auf einem Haufen gesehen.« Spiegel entgegnete: .
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»Da müßten Sie mal die Schlachthöfe von Chicago sehen, die haben da noch mehr von solchem Zeug. « »In Chicago vielleicht« , sagte meine Frau, »aber das ist wahrscheinlich auch der einzige Ort auf der Welt, an dem mehr Fleisch und Wurst gelagert wird als hier.« Ich kostete von der Jagdwurst, die fett und salzig war. Spiegel lächelte befriedigt und sagte: »Wenn du die Wurscht so trocken nicht runterkriegst, dann nimm dir 'ne Schrippe dazu. « Die Schrippen hingen in einem Netz an der Türklinke. Das Waschbecken war mit Weißweinflaschen gefüllt, über die kaltes Wasser hinweglief, und unter dem Waschbecken standen etwa zwanzig Flaschen Rotwein und ungefähr zehn Flaschen Dessertwein. In den Sesseln streckten sich einige meiner früheren Kollegen und tranken Wein. Manche aßen auch von der Wurst, was ihren Durst steigerte, obwohl sie nur wenig aßen. Meine Frau fragte mich, ob wir nicht in einen Raum gehen konnten, in dem etwas weniger Fleisch und Wurst sei, und so gingen wir nach nebenan. Von dort hatten wir schon Ich trank mit Thomas ein Glas vorher das dröhnende Lachen von Erwin gehört, der Wein, um ihn über seinen mit mir gemeinsam aus dem Betrieb ausgeschieden Schmerz hinwegzutrösten. war und gleich mir aus alter Anhänglichkeit zur heutigen Feier eingeladen worden war. Erwin, den jeder von uns nur Onkel Erwin zu nennen pflegte, erzählte gerade von seinen Erinnerungen an die Zeit, in der er Repetitor und zweiter Kapellmeister bei einem Wandertheater gewesen war. Ich kannte seine Geschichten; sie waren gut. Wir blieben da, schon weil meine Frau Onkel Erwins gute Geschichten nicht kannte, und er berichtete von dem Tag, an dem er mitsamt dem Dirigentenpult zusammengebrochen war, und welche Popularität ihm dies bei sehr vielen Leuten eingebracht hatte. Von jenem Tage an hatte man nämlich in einer ganzen Reihe von Ortschaften Engagements des Wandertheaters davon abhängig gemacht, daß der Kapellmeister dirigieren müsse, der mitsamt dem Dirigentenpult zusammengebrochen war. Als Onkel Erwin eine Pause machte, sagte meine Frau zu ihm: »Jetzt müssen Sie sich aber stärken! « Denn auch auf dem Tisch neben Onkel Erwin standen Teller mit großen Hackfleisch- und Wurstbergen. Die Leute aßen auch davon, aber man konnte nicht sehen, daß es weniger wurde. »Nein«, wehrte Onkel Erwin den Vorschlag meiner Frau ab, »ich esse heute weder Fleisch noch Wurst, denn ich mache eine Kur. « Dann
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trank er ein großes Glas Rotwein aus. »Ich mache nämlich eine Rotweinkur; sie ist zwar teuer, aber gesund, denn Rotwein ist das gesündeste Getränk, das es gibt.« »Ich dachte, Milch ist das gesündeste Getränk«, sagte ich. »Nein«, korrigierte mich Onkel Erwin, »Milch ist zwar gesund, aber Milch ist kein Getränk. Meine Kur schreibt mir vier Flaschen Rotwein pro Tag vor.« Er deutete mit der Hand auf drei noch volle Flaschen Rotwein, die unter seinem Stuhl standen. Meine Frau ging das Fenster öffnen, weil es ihr zu stark nach Wurst roch. Eine Sekretärin kam herein und setzte sich auf meinen Schoß und sagte: »Warum bist du so schrecklich nüchtern?« Ich klopfte ihr auf den Rücken und wusste nicht recht,
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was ich tun sollte, bis ihr Mann hereinkam und sie wegholte. Unser Werbeleiter, der bis dahin stumm in der Ecke gesessen hatte, erwachte aus seiner Lethargie und verkündete: »Ich beherrsche drei Sprachen!« Meine Frau war die einzige, die den Witz noch nicht kannte; sie erkundigte sich bei ihm, welche Sprachen das seien, und der Werbeleiter erläuterte: »Laut, leise und langsam!« Aus Gewohnheit lachten wir alle. »Was lacht ihr denn?« fragte Spiegel, der in diesem Augenblick das Zimmer betrat. »Habt ihr nichts mehr zu trinken? Warum ißt niemand?« Er hatte beide Hände voller Weinflaschen. »Wo ist Drops?« fragte er. Onkel Erwin gab Auskunft: »Drops ist nicht hier, er muß unten sein. Wir wollten ihn nicht
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Es lebe der 1. Mai, der Kampf und Feiertag der Werktätigen der ganzen Welt für Frieden, Demokratie und Sozialismus!
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hier haben. Er fing schon wieder an, leere Flaschen aus dem Fenster zu werfen, und wir haben ihn weggeschickt. Ich hatte Angst, es könne ihm noch einfallen, auch volle Flaschen aus dem Fenster zu werfen.« »Aha«, sagte Spiegel, »soll ich noch etwas zu essen holen?« Aber es waren noch genügend Vorräte da. Meiner Schätzung nach hatte sich Spiegel auf eine Speisung der Fünftausend eingerichtet, obwohl höchstens achtzig Gäste da waren. Meine Frau stellte plötzlich fest, daß wir Thomas' Frau noch gar nicht gesehen hatten. Ich sagte: »Entschuldigt uns mal, wir wollen mal sehen, wo die Frau von Thomas steckt.« Dann gingen wir sie suchen. Im Erdgeschoß gab es an der Bar des Oberbuchhalters gerade eine Auseinandersetzung zwischen Drops, der spaßeshalber die Schnapsgläser an die Wand werfen wollte, und dem Barmann, der die Gläser lieber auf dem Schanktisch gesehen hätte. Die Auseinandersetzung endete damit, daß Drops die ganze Bar umwarf, dem Oberbuchhalter eine Ohrfeige und einer dazwischentretenden Kontoristin einen Kinnhaken verabreichte und daraufhin durch den Direktor von der weiteren Teilnahme an der Feier unseres zehnjährigen Bestehens beurlaubt und hinausgeworfen wurde. Die Kontoristin begann zu weinen, so daß meine Frau sich bemühte, sie zu trösten. »Er hat mir einen Kinnhaken gegeben«, sagte die Kontoristin, »und nun kriege ich Nasenbluten. « Sie kriegte es tatsächlich. Alle waren sehr nett zu ihr und machten Witze; so hörte sie bald zu weinen auf. »Wir wollen doch die Frau von Thomas suchen«, erinnerte ich meine Frau. Aber wir brauchten nicht mehr zu suchen, denn sie kam gerade die Treppe herunter und machte ein ganz böses Gesicht. »Wo ist mein rechter Schuh?« rief sie verärgert. Sie hatte in der Tat nur noch einen Schuh an, und zwar genau den rechten, wohingegen ihr der linke fehlte. Ganz offensichtlich war sie in einem Zustand der Erregung, in dem man wohl links und rechts einmal verwechseln kann, und im Grunde war ja auch nur wesentlich, daß ihr ein Schuh fehlte, und nicht, welcher Schuh ihr fehlte. »Es war so ein guter Schuh«,
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klagte die Frau von Thomas, »und jemand muß ihn mir weggenommen haben.« Einige Kollegen machten sich auf die Suche nach dem Schuh, ausgenommen Thomas selbst. Thomas tanzte im Speisesaal und war seiner Frau böse, weil ihr der Schuh abhanden gekommen war. »Natürlich«, sagte er, »natürlich mußte sie den Schuh verlieren. Ich habe es vorher gewußt. Sie läßt keine Gelegenheit vorübergehen, mich zu blamieren.« Er schien davon überzeugt zu sein, daß die Frau den Schuh absichtlich verloren habe, um ihn zu blamieren. Ich trank mit Tho·m as ein Glas Wein, um ihn über seinen Schmerz hinwegzutrösten. Dann ging ich wieder hinauf zu Onkel Erwin, wo ich neben anderen die Frau von Thomas und meine Frau fand. Man hatte den verlorenen Schuh wiedergefunden, und nun weinte die Frau von Thomas. Meine Frau gab ihr ein Brötchen mit Wurst, doch sie weinte weiter. Spiegel brachte zwei neue Teller mit Wurst sowie zwanzig Flaschen Wein, und dabei saßen doch höchstens zehn Gäste in diesem Raum. Onkel Erwin schloß die Fenster, denn es war ihm inzwischen zu kühl geworden. Vor den Fenstern war schon die Dunkelheit, denn wir feierten unser zehnjähriges Bestehen an einem Tag im Frühjahr, und da blieb es nicht lange hell am Abend. In allen Stockwerken war noch Betrieb, als wir nach Hause gingen; es wurde getanzt und getrunken, gelacht und geweint, geredet und gesungen, und Spiegel schleppte unermüdlich neue Vorräte von Hackfleisch, Jagdwurst, Fleischwurst und Wein herbei. »Du bist mit deinen früheren Kollegen gar nicht so richtig warm geworden«, sagte meine Frau. »Vielleicht bist du schon zu lange aus der Firma heraus.« »Ich weiß nicht, ob es das ist«, sagte ich, »wir haben uns eigentlich immer sehr gut verstanden. Es ist ja gar nicht so lange her, daß ich in der Firma gearbeitet habe. Früher war es ein bißchen anders. Da hatten wir auch nicht so schrecklich viel zu essen und zu trinken, vor allem nicht so viel zu essen. Vielleicht ist es das. Ich weiß nicht, ob es das ist, aber vielleicht ist es das.« Mir war warm geworden, und ich freute mich schon darauf, daß ich zu Hause mein Hemd ausziehen konnte.
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DEINE HAND FÜR. DEIN
PR.ODUKT
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Alfred Schiffers
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Halberstädter Würstchen - lecker und rar. Zeitweise verschwanden sie ganz aus den Läden, um in Griechenland, Zypern oder der Bundesrepublik wieder aufzutauchen. Mitte der siebziger Jahre gab es die ))Halberstädter<< in den ))Delikat-Läden« „ manchmal. Ubrigens: Aus Halberstadt kamen 30 Prozent der gesamten DDR-Wurst und -Fleischproduktion.
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Ende.
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Offnung der Bockwurstbude. Vorübergehende Schließung der Bockwurstbude. Anruf im VEB Bockwurst: Bockwürste liefern! Wiedereröffnung der Bockwurstbude. Vorübergehende Schließung der Bockwurstbude wegen Warenannahme (Bockwürste). Einfüllen des Wassers in den Topf. Wiedereröffnung der Bockwurstbude. Vorübergehende Schließung der Bockwurstbude zwecks Beschaffung von Streichhölzern. Entfachung eines Feuers untenn Topf. Wiedereröffnung der Bockwurstbude. Einlegen der Bockwürste in den Topf. Vorübergehende Schließung der Bockwurstbude zwecks Bestellung von Senf beim VEB Mostrich. Wiedereröffnung der Bockwurstbude. Vorübergehende Schließung der Bockwurstbude wegen Warenannahme (Senf). Wiedereröffnung der Bockwurstbude. Vorübergehende Schließung der Bockwurstbude. Anruf beim VEB Pappteller zwecks Lieferung von Papptellern. Wiedereröffnung der Bockwurstbude. Vorübergehende Schließung der Bockwurstbude wegen Warenannahme (Pappteller). Wiedereröffnung der Bockwurstbude. Schließung der Bockwurstbude. Herausnahme der Bockwürste aus dem Topf, Einlegen in Salzwasser. Blick in die Kasse. Feststell11ng, daß sich stundenlanges Abrackern auch nicht auszahlt.
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Jochen Petersdorf
Manche wissens ja bereits, meine Frau raucht auch. Und nicht schlechter als ich. Wrr haben auch häufig Gäste. Alles Raucher. Andere würden es nicht überstehen. Die Tapete unseres Wohnzimmers war vor zwei Jahren zart gelb, vorige Woche kaffeebraun. Und wir kochen keine Schmunzelbrühe. Kurz und gut, die Bude war fällig. Das Tapetengeschäft gerammelt voll. Von Menschen. Die Anzahl der Tapeten war nicht ganz so groß, aber es gab fast dreißig Sorten. Die Industrie stellt ein paar hundert Sorten her, habe ich in der Zeitung gelesen. Der Leiter des Tapetengeschäfts liest wahrscheinlich nur das »Sportecho«. Meine Frau fand trotzdem etwas Passendes. Im Warenhaus stieß ich auf Mischwald. Auch, was den Preis betraf. Da sah ich plötzlich • Birkenwäldchen hatten sie nicht. diese Dinger. Ubem1annshoch und einen guten Meter breit. Auf dem einen war ein hübscher Kirschzweig, auf dem anderen ein Birkenwäldchen mit einem schmalen Weg, der nach hinten immer enger wurde und schließlich hinter einem Gebüsch nach rechts abbog. »Was ist das? « fragte ich die Verkäuferin. »Das sinn Dierfohdohs«, sagte sie. »Aber es sind ja gar keine Tiere drauf.« »Fier de Flur- oder Stupendiere!« rief sie und beschoß mich mit einem ungeheuer verächtlichen Blick. »Ach so«, murmelte ich und fragte meine Frau: »Gefällt dir so was?« - »Nein«, meinte sie. Daraufhin kaufte ich das Birkenwäldchen mit dem schmalen Weg. Unser Flur ist nicht sehr lang, aber immerhin länger als breit. An der Stirnseite, von der Wohnungstür aus gesehen, ist ein Einbauschrank. Dort haben wir das Bettzeug drin und allerlei anderen Krempel. Ich klebte das Birkenwäldchen an den Einbauschrank. Die Wirkung war verblüffend. Betrat man nun die Wohnung, glaubte man, am Anfang eines romantischen Waldweges zu stehen, der sich durch einen Birkenhain schlängelt und in der Feme rechts hinter einem Ge•
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büsch im Schlafzimmer verschwindet. Auch meine Frau fand die Sache ganz putzig. Sie ist nämlich sehr naturliebend, hat nur etwas gegen die weit verbreitete Fotografiersucht. Aber die Orientierungswanderungen, die unsere Heimatzeitung regelmäßig veranstaltet, macht sie ebenso regelmäßig mit. Deshalb gefiel ihr nun wohl auch der Weg durchs Birkenwäldchen. Aber mich störte etwas. Die Illusion hatte einen Haken. Einen optischen Knick oder, wenn man so will, Stilbruch. Die alberne Streifentapete unseres Flurs ging nicht nahtlos ins Birkenwäldchen über. Man mußte von der Wohnungstür aus zu lange laufen, bis man in der Natur war. Ja, wenn der ganze Flur von vorn bis hinten mit Birken beklebt wäre, sähe die Sache anders aus: Man kommt nach Hause, schließt die Tür auf und steht im Wald. Jetzt ahnen Sie schon etwas? Jaja, aber so einfach war das nicht. Ich klapperte alle einschlägigen Geschäfte ab. Alle Birkenwäldchen-Fotos waren gleich. In der Mitte der Weg, der nach hinten immer schmaler wird und schließlich hinter einem Gebüsch nach rechts abbiegt. So etwas kann man natürlich nur an die Stirnseite kleben. Die gleichen Bilder rechts und links den Flur entlang würden den Effekt
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einer großen Waldlichtung ergeben, von der nach allen Seiten Wege abgehen. Man käme sich irgendwie hilflos, wenn nicht sogar verirrt vor und könnte vor allem nachts beim gedämpften Flurlicht auf dem Gang zur Toilette Angstzustände bekommen. Also mußten einzelne Bäume her. Wald ohne Weg. Um es kurz zu machen: Ich hatte Glück. Nicht in Berlin, aber in Spremberg, wohin mich eine berufliche Angelegenheit führte. Dort stieß ich im Warenhaus auf Mischwald. Birkenwäldchen hatten sie nicht. Aber in diesem Mischwald kam auch etwas Birke vor, so daß ich überzeugt war, er ·t N würde in unseren Flur passen. h · . . . Der ABV ste'lte sie m1 amen Außerdem kaufte ich noch einen Blick von der neuen und Dienstgrad vor, dann sagte Dresdner Elbbrücke, unter der gerade ein Fahrgaster uns die genaue Uhrzeit und schiff mit fröhlich heraufwinkenden Menschen hinseine Meinung. durchfährt. Das Dampferfoto klebte ich an eine Wand der Duschecke unserer Toilette. Natürlich überpinselte ich es noch mit Latex. Wegen der Feuchtigkeit. Von nun an war das Duschen jedesmal ein Erlebnis. Ich glaubte stets, in strömendem Regen auf der Elbbrücke zu stehen und konnte mich nicht genug freuen über die prächtigen DDR-Bürger auf dem Schiff, die trotz des miesen Wetters fröhlich und optimistisch zu mir heraufwinkten. Bald hatte ich mir ihre Gesichter alle eingeprägt. Den Dünnen mit der auffällig großen Hakennase habe ich neulich sogar mal im Warenhaus am Alexanderplatz getroffen. Er tat aber, als kenne er mich nicht. Was mich nicht wundert, denn die Blondine, die er zärtlich am Händchen hielt, war wesentlich knackiger als das untergehakte Muttel auf dem Dampfer. Doch das nur nebenbei. Zurück zum Flur. Waren Sie schon mal auf dem Darß oder im Thüringer Wald? Können Sie glatt vergessen, wenn Sie gelegentlich einen Blick in meinen Flur werfen. Das ist ein Wald, wie er im Bilderbuch steht. Natur plus Fotokunst. Mit einem Wort: Kein schöner Land in dieser Zeit. Ich habe ihn auch mit etwas Fauna durchsetzt. Auf der Rotbuche an der Stubentür hockt eine prächtige ausgestopfte Eule, und aus dem Haselnußstrauch neben der Toilettentür lugt ein Rehkitz. Es ist ziemlich klein, denn ich habe es aus dem »Bummi « ausgeschnitten. In der NBI war mal ein größeres. Doppelseitig. Als Poster mit der Jimmy-Wood-Combo drumrum. Und diese Jungs haben alle
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einen leichten Schimpansen-Look. Musikalisch sind sie ja nicht schlecht, aber in meinem Wald möchte ich ihnen nicht begegnen. Vorigen Freitag rief ich meine Freunde an. Ernst, Manne, Elli und Antek sowie Horst und Reni. »Morgen läuft ein Ding«, sagte ich. »Picknick im Walde! Wir treffen uns um 19.30 Uhr vor unserem Haus!« Lediglich der schlaue Manne sagte: »Zu dieser Jahreszeit ein Picknick? Und dazu noch nachts? Warum denn nicht am Tage?« »Tagsüber muß meine Frau die Wohnung säubern und den Flur harken. « »Wieviel hast'n heute schon wieder genascht?« rief Manne und kicherte anzüglich. Aber er sagte zu. Am nächsten Abend versammelten wir uns alle vor unserm Haus. Antek war im Lodenmantel erschienen, und Elli trug Gummistiefel, denn es nieselte. »Wolln wir nicht lieber in deiner Wohnung picknikken? « fragte Reni, »wir holen uns ja sonst alle die Grippe. « »Wie ihr wollt«, sagte ich. »Kommt hoch.« Als sie die Wohnung betraten, standen sie wie vom Donner gerührt. Meine Frau hatte die grüne Flurlampe angeschaltet, und aus der Stereoanlage im Wohnzimmer erscholl der Jägerchor aus dem Freischütz. »Ich glaub mich knutscht ein Elch«, schrie Ernst. Er hatte sich als erster gefangen und brach den Bann der Ergriffenheit. Ein riesiger Tumult begann. Alle quirlten durcheinander, beklopften die Bäume, streichelten das Reh, tippten der Eule an den Schnabel, und Antek versuchte sogar, seinen Lodenmantel an einen Ast der Rotbuche zu hängen. »Garderobe dort hinter der Krüppelkiefer«, rief meine Frau. »Und die Gummistiefel nicht ins Gebüsch, sondern auf die Toilette in die Duschecke! Die Toilette ist hinter der Rotbuche mit dem Herzchen!« Elli verschwand hinter der Buche. Als sie wieder hervorkam, rollte ihr eine Träne übers Gesicht. »Onkel Max«, schluchzte sie. »Vorige Woche haben wir ihn begraben, und hier fährt er quietschvergnügt aufm Dampfer und winkt sogar.« Verflucht noch mal. Wer hätte das geahnt! »Kinder«, rief ich, »das Leben geht weiter! Laßt uns einen zur Brust nehmen. Prosit. Schirij oh! «
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>>Im Rahmen der allgemeinen Umstellung auf Selbstbedienung eröffne ich die diesjährige Jagdsaison!<<
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Wir breiteten ein paar Decken aus, hockten uns hin und ließen die Gläser klingen. Es kam Stimmung auf. Elli fing an, recht derbe Witze zu erzählen, die sie von Onkel Max geerbt hatte. Meine Frau servierte Mititei, frisch aus der Bratröhre. Ich versprühte Tannenspray. Gegen den Knoblauchduft. Dann legte ich die Stimmungsplatte auf. »Denn im Wald da sind die Roheuber, halli hallo, die Roheuber ... « Beim Kasatschok fiel die Eule herunter. Ich trug sie in die Küche und legte sie in die Bratröhre. Meine Frau sagte: »Trink nicht so hastig!« und setzte sie wieder auf ihren Ast. Antek hatte sich eine Flasche Wurzelpeter mitgebracht. Als er keinen Tropfen mehr herausbekam, den Arm hob und sang: »Er nahm die Büchse, schlug sie an ein' Baum«, riß ich ihm die Buddel aus der Hand und versuchte sie zu vergraben. Horst hatte unser Brotmesser aus der Küche geholt und begann, ein Herz in die Rotbuche zu schneiden. Ich legte schnell seine Lieblingsplatte »La Paloma« mit Hans Albers auf und rettete den Baum. Antek machte plötzlich einen Heidenkrach, weil Der ABV ist ein anständiger Kerl. seine Frau Elli sich weigerte, mit ihm Brüderschaft Es hätte teuer werden können. zu trinken. Ernst schlichtete den Streit mit dem genialen Vorschlag, eine Treibjagd zu veranstalten. Wir schleppten alle verfügbaren Topfdeckel zusammen und stolperten mit mörderischem Krach durchs Unterholz. Manne stieß dabei mehrmals den Hetzruf aus: »Hussassa, pack die Sau!« Da klopfte es an der Wohnungstür. Ich öffnete und rief: »Waidmannsheil, Herr Oberförster.« Aber der Grüne war unser ABV. Er stellte sich mit Namen und Dienstgrad vor, obwohl ich ihn genau kannte. Dann sagte er uns die genaue Uhrzeit und seine Meinung. Ich versuchte gegenzuhalten. Aber er hatte die besseren Argumente. »In Ordnung«, sagte ich. »Ich blase jetzt zum Halali.« »Unterstehen Sie sich«, rief er. »Sonst sind Sie die Trompete los und ein bißchen Taschengeld!« Dann ließ er seinen Blick noch kurz durch unseren Flur schweifen, schüttelte den Kopf und ging mit kurzem Gruß. »Ein anständiger Kerl«, sagte ich. »Es hätte teuer werden können.« »Wegen dem bißchen Krach?« krähte Antek. »Quatsch«, sagte ich. »Deshalb doch nicht. Aber er hat großzügig übersehen, daß wir alle im Wald geraucht haben!«
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Hansjoachim Riegenring
Da war vielleicht was los, als am Montag der Platzkartenschalter vorzeitig geschlossen wurde. Zwei Stunden hatten manche angestanden, und dann durften sie abziehen, ohne überhaupt nach ner Karte fragen zu können. Ich glaube, ich war der letzte, der bedient wurde. »Ich möchte übermorgen nach Erfurt«, sagte ich, »erster Klasse, mit dem D 138.« Der Platzkartenverkäufer nahm eine Karte, schrieb Wagen- und Platznummer drauf, verlangte eine Mark und gab mir die Karte. Ich hatte nichts gegen ••• .;„„... den Mann. Bestimmt nicht. Ich betone das, weil mir am Fahrkartenschalter folgendes passiert war. Ich verlangte eine Karte erster Klasse D-Zug nach Erfurt. Die Fahrkartenverkäufe•• rin fragte: »Uber Leipzig?«, und ich antwortete: »Wieso über Leipzig? Ich will mit der Bahn fahren und nicht fliegen. « Daraufhin wollte die Kollegin wissen, ob ich etwas gegen sie hätte. Also noch mal: Ich hatte nichts gegen den Mann am Platzkartenschalter. Ich wollte nur ganz sicher gehen beziehungsweise fahren und erkundigte mich höflich: »Es ist doch hoffentlich ein Sitzplatz?« »Ist doch wohl klar«, meinte er. So klar fand ich das gar nicht. »Ich habe mal für ein FußballLänderspiel eine Karte gekauft, zum doppelten Preis, auch angeblich ein Sitzplatz. Und was durfte ich? Stehen!« »Im D 138«, sagte er, »wird nicht Fußball gespielt. Beruhigt Sie das?« »Ungemein. Besten Dank. Dann ist ja alles in Ordnung.« Ich sah mir die Karte flüchtig an. »Platz Nummer 53, ist das in einem Raucherabteil?« »Wollen Sie damit andeuten«, fragte er, aber nicht mehr ganz
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so freundlich, »daß Sie lieber in einem Nichtraucherabteil fahren möchten?« »Sie können Gedanken lesen«, nickte ich anerkennend. Er schrieb eine neue Karte aus. »So, bitte, D 138 übermorgen erster Klasse Nichtraucher. Und nun machen Sie bitte für den Nächsten Platz. Vorwärts!« »Gut, daß Sie daran gedacht haben. Rückwärtsfahren vertrage ich nämlich nicht. « Er sah mich mit einem Blick an, den ich als außerdienstlich bezeichnen möchte. Ich kann mir nicht denken, daß ein Eisenbahner einen Reisenden dienstlich zum Teufel wünschen darf. Er schrieb eine neue Karte aus. Er mußte sie dreimal schreiben, weil seine Hand etwas zitterte. »Vielen, vielen Dank! « rief ich ihm herzlich zu und nahm die Platzkarte. »Und sogar ein Eckplatz!« Meinen freundlichen Abschiedsblick konnte er nicht erwidern, weil er gerade eine Handvoll Beruhigungstabletten schluckte. »Nur eine letzte, winzig kleine Bitte noch«, sprach ich ihn vorsichtig an, »ich glaube, Sie haben die Platzziffer falsch geschrieben.« Seine Augen waren wie die Scheiben eines Vorartzuges. Trübe. »Es ist doch ein Eckplatz! « flüsterte er. »Aber am Gang! Jeder, der raus und rein will, klettert über meine Beine.« Er schrieb eine neue Karte aus. Beim achten Versuch gelang es ihm. Er legte einen Stapel Blanko-Platz»So«, sagte er mit letzter Kraft, »mit dieser Karte karten vor mich hin, schloß das fahren Sie in einem Nichtraucherabteil auf einem Fenster und hängte ein Schild auf: Fensterplatz des D 138 nach Erfurt, und zwar vorWegen Krankheit geschlossen. wärts! Sind Sie nun endlich zufrieden?« »Vollkommen!« rief ich. »Und nochmals herzlichen Dank! Nur eine Frage noch - ich fahre zwar vorwärts, aber nur bis Leipzig, stimmt's? Das ist ein Kopfbahnhof. Da müßte ich eigentlich den Platz wechseln, sonst fahre ich von Leipzig nach Erfurt rückwärts. « Da legte er einen Stapel Blanko-Platzkarten vor mich hin, warf seine Essenmarken, seine Angelkarte und einen Postabholerausweis dazu, schloß das Fenster und hängte das Schild auf »Wegen Krankheit geschlossen«. Eigentlich wollte ich noch beim Fleischer Gulasch kaufen. Oder lieber nicht? Es ist nämlich der einzige Fleischer in unserer Gegend.
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Heißer Sommer
Heinz Eckler
at~r Der Arzt sagt: »Sie brauchen einen Garten. Ausgleichsbeschäftigung, ein bißchen körperliches Austun, Grünes für die Augen, Vitamine für den Kreislauf, einen Liegestuhl zum Ausbaumeln der Nerven.« Wildbruch ist schockiert. Aha, denkt er, jetzt kommen sie mir mit Naturheilverfahren. Er will schroff ablehnen mit dem Hinweis auf seine beruflichen und gesellschaftlichen Verpflichtungen, auf seine Uberzeugungen und überhaupt. Aber der Arzt handelt ihm das Zugeständnis ab, noch mal in Ruhe darüber nachzudenken. Und als Wtldbruch hinaus ist, führt der schlaue Doktor rasch einige Telefongespräche: mit dem Parteisekretär, mit der Ehefrau, mit dem Chef Wildbruchs. Nach einer Woche ist Genosse Wildbruch perspektivisch auf einen Schrebergarten ausgerichtet. Er glaubt mit der Kraft der Verzweif"ldb h . lung daran, daß er nur mit Hilfe eines Schrebergartens 11 ~eno~se V'!' ruc ist vo . imstande ist, seine frühere Spannkraft wiederzugewin,~~egrie.rt in das gesamte klein- nen. Er sieht sich mit einem Strohhut und mit halblangartner1sche Geschehen. ger Pfeife an Rosenstöcken herumbosseln. Wider Erwarten, ein wenig mit Nachhilfe höherer Gewalten, ergattert Wildbruch recht bald eine Parzelle in der Anlage »Frühlingserwachen«. Die Beete sind nur leidlich verunkrautet, und die Laube kann mit erschwinglichem Aufwand zu einer Restnutzungsdauer veranlaßt werden. Nach vier Wochen hat Wildbruch schon Schwung in der Sache. Die körperliche Arbeit bekommt ihm wie Medizin nach Noten, und nun ist bereits jene Phase in Aussicht, da er das Rackern im angenehmen Rhythmus mit Bosseln, Baumeln und Bräunen durchsetzen kann. Da lehnt sich der Spartenvorsitzende über den Zaun. »Na, Genosse Wtldbruch, schon eingelebt in unserer Gemeinschaft?« Darüber hat sich Wildbruch noch keine Gedanken gemacht. Er ist die ganze Woche über immerzu in Gemeinschaft und hatte mit dem Garten eigentlich mehr die Ruhe und den Dialog mit der Natur im Auge. »Wird schon, wird schon, lieber Gartenfreund!« setzt sich der •• Vorsitzende über Wildbruchs Sprachlosigkeit hinweg. »Ubrigens, am Sonnabend ist Großeinsatz am Spielplatz. Zaun streichen, das Karussell reparieren, ein bißchen planieren, frischen Kies anfahren, na, du weißt schon, was so alles nötig ist für das Kinderfest in vierzehn Tagen. Die Gartenfreunde rechnen mit dir. Glück auf! « ••
Heißer Sommer
»Glück ab!« dankt Wtldbruch überwältigt und läßt einige Hoffnungen auf Ruhe und Beschaulichkeit fahren. Nach dem Arbeitseinsatz am Sonnabend verteilt der Vorsitzende die Aufgaben für das Kinderfest. Wildbruch wird die Ehre zuteil, die politische Einleitung mit einem kurzen Referat zu geben, von der politischen Lage geschickt zum Glück der Kinder und zu den Bratwürsten überzuleiten. »Du weißt schon, dir brauchen wir ja nichts zu sagen, du stehst ja in der Materie.« Nach dem Referat wird Wildbruch als Kampfrichter beim Sackhüpfen arbeiten, später die Biermarken für die Erwachsenen verteilen und abrechnen und schließlich am Sonntag einen kleinen Bericht für den Kreisverband über das geistigkulturelle Leben in der Anlage erarbeiten. Aber dann ist erst mal Ruhe. Nicht lange. Dann kommt eine Obstbaumzählung. Anschließend überträgt ihm der Vorsitzende (Vertrauenssache, Genosse Wildbruch!) die Erfassung von Erdbeeren, Johannisbeeren, Kirschen, Schoten, Gurken, Tomaten, Radieschen, Porree, Kornäpfeln - Wildbruch nimmt ehrfürchtig eine nie geahnte Breite des Anbausortiments zur Kenntnis. In der Jahresversammlung, die Gartenfreunde erwarten das von ihm als politisch exponiertem Menschen und Bürger, tritt er mit einem Diskussionsbeitrag auf, der ihn sofort geeignet erscheinen läßt, im Vorstand mitzuarbeiten. Damit ist Genosse Wildbruch voll integriert in das gesamte kleingärtnerische Geschehen. Auf seine Erfahrungen in der Arbeit mit den Menschen vertrauend, beauftragt ihn der Vorstand mit Aussprachen: Liederliche Gartenfreunde sind unkrautfrei zu erziehen, die gesamte Kolonie ist von einer einheitlichen Zaunfarbe zu überzeugen, der sparsame Umgang mit Wasser ist zur Herzenssache eines jeden Gartenfreundes zu machen. Wildbruch arbeitet in seinem eigenen Gärtchen hektisch wie vor Quartalsschluß, um Zeit für die gesellschaftliche Arbeit in der Kolonie herauszuwirtschaften. Am Arbeitsplatz betrachten ihn die Kollegen besorgt. Die sich anbahnende Bräune seines Gesichts weicht sorgenvoller Blässe. Der Chef läßt ihn kommen. »Genosse Wildbruch, jetzt mal ernsthaft, das ist eine Weisung: Zieh dich zurück von den gesellschaftlichen Aufgaben im Be-
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»Siehste Paul, seit wir die Grünanlage parzeliert haben, klappt 's mit der Pflege ausgezeichnet!<<
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trieb und im Wohngebiet, ist doch alles mit der Partei abgesprochen! Verschwinde in deinen Garten! Schalte ab! Die Welt bleibt nicht stehen, wenn du mal eine Weile untertauchst!« Um diese Zeit ist Wildbruch schon Vorsitzender der Sparte, steht vor seiner Wahl in den Bezirksvorstand und hat den ehrenvollen Auftrag, den überparteilichen Erfahrungsaustausch zu organ1s1eren. Als Wildbruch wieder vor seinem Arzt sitzt, hört der sich aufmerksam die Entwicklung der Kleingärtnerkarriere an und erkennt, daß er für einen rührigen Mann die falsche Therapie ausgewählt hatte. Er denkt einen Augenblick an Briefmarken, hat aber Befürchtungen im Hinblick auf die Kadersituation im Philatelistenverband und führt Wildbruch lieber zurück auf die Plattform der Pharmazie: Er verschreibt ihm »Faustan«. •
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Ernst Röhl
Nael!c ~HS dia st~tHt
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odor: 'Dia Ki-isto iHt Sopto11tOor Wo die Ostseewellen schrecken jäh am Strand und wo Strandkorbtrümmer modern tief im Sand, wo's viel Wasser gibt, vor allem im Kaffee, da ist nun allmählich die Saison passe. Auf der Düne liegt ein alter Suppentopp und daneben Dosen aus HO und Shop. Selbst ein Damenhöschen weht im Wind verwaist, wer es trug, ist unten ohne abgereist. Und die Hühner ziehen gnatzig überall wieder ein in ihren finstren Hühnerstall; Badegäste schliefen drin und fanden's toll Hühner, die sind eben ziemlich anspruchsvoll. Wo man lange Schlange stand vorm Strandlokal in der Hoffnung auf Makrele oder Aal, steht ein weißer Golf, den hat der Wirt glashart seinem werten Gast vom Munde abgespart. Und die Riesenautoschlangen, die verziehn sich nach Crimmitschau, nach Plauen und Berlin. Keine Abgasschwaden, alles öd und leer. An der Küste riecht es ekelhaft nach Meer.
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John Stave
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Wieder war ein Bierlachs zu Ende. Damit erhöhte sich Kupfers Verlierquote auf neun Pils und sechs Kurze. Martin hatte sechs Pils, und Schikanowski war wieder mal leer ausgegangen. Kupfer war bedient. »Mir langts, Leute. Ickjeh za Hause«, sagte er und warf die Karten hin. »Übrij ens wartet Trude mits Ahmtbroot. « »Mensch, du würst noch ma vahungem. Wat sagstn, dette so frieh za Hause kommst!« bemängelte Martin sanftmütig. »Nu jib ma noch mal, Kupfa«, feixte Schikanowski, »diesma packste uns bestimmt in.« Kupfer schüttelte den Kopf. »Man dürf die Sache nicht übertreihm. Wennick heute zu sehr üban Zappen haue, denn kooft ma Trude den Fußball am nächsten Sonntach nich mehr ab.« »Watt'n fom Fußball, Kupfa? « fragten Schikanowski und Martin wie aus einem Mund. »Na, Mensch, denkt ihr denn vielleicht, Trude läßt ma nach unsan vorchten MarrathonSkat noch mal zum Kartenkloppen? Un da hab ick ihr einfach det Ding mit dem Fußball enjeschenkt, Turbine 89, hab ickjesagt, jejen Chemie Halleluja, ein sehr intressanta Kampf, Trude, hab ick jesagt, kannst ja mitkomm, Mädel, hab ick jesagt - bloß so, vastehste? Na, aus Fußball macht die sich sowieso nischt. Ins Jejenteil: Obse mir mal als Kind aus Vasehn mitn feuchten Lappen jetroffen ham, frägtse. Na, ick komm ihr noch entjejen. Trude, hab ickjesagt, et is auch bessa, du bleibst za Hause, wo et aufn Platz nich jeheizt is und du von unten so empfindlich bist bei Kälte. Und gerade heute, wo et ein Großkampf is, Obalija und so dreieinhalb Stunden und so, da bleib ma lieba inne scheene warme Kiche. Und du würst ma doch nich die kleene Freude nehm, hab ick jesagt, wo et doch keen reenes Vajnüjen is? Nee, nee, hatse jeschluchzt, so hatt ick ihr übazeucht, jeh man. Is ja wirklich eene sehr strapazierfähige Sportart, aba immer noch besser wie Schkat! - Siehta, und dadrum muß ickjetzt Feierahmt machen, so leid's ma tut. Gloobt mir, Leute, et zwickt ma inde Fingern!«
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Es trat eine kurze, andächtige Pause ein. »Mann, Kupfa«, unterbrach Martin das Schweigen, »det haste wien Paster jemacht. Ich hab janich jewußt, wat for Talente in dir schlumman. Aber scheen wärt doch, wenn wa noch een Lachs spielen könnten, oda? « Kupfer zuckte die Achseln. Aber Schikanowskis Gesicht hellte sich auf. »Ick habs, sprach Schika! « grinste Schikanowski. »Du azählst Trude einfach, det det een Pokalspiel wa, Kupfa. Denn sagste, detse sich beit rejuläre Ende ein Remies erkämpft hatten und det Spiel um zwee Stunden valängert werden mußte!« »Mensch«, sagte Kupfer, »det ick dadruff nich alleene jekomm bin! Trude, wer ick sagen, eene Valängerung ließ sich nich vameiden, wejen det Remies. Na, wirdse sagen, dir Luda kenn ick, du willst ma wohl uff die Schippe nehm! Fußball ins Dustre, so wat jibs doch janich. « »Und wat sagsten denn?« fragten Schikanowski und Martin wie aus einem Mund. Kupfer deutete auf die Bierhähne. »Tiefstrahler!« und gab Karten.
Ernst Röhl
Potri l!coiß! Der Morgen graut. Der Wurm ist drin. Das Wasser schillert vage. Was sagt der Fisch, hat's heute Sinn? Das ist die Grätchenfrage. Der Vogel singt. Der Angler schweigt. Natur - welch ein Erlebnis! Die Pose steht. Die Sonne steigt. Kein Bißchen, kein Ergebnis.
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Die Sonne sinkt. Genug gefischt. Nun den Erfolg verdichten! Gebissen nischt, gefangen nischt, doch sooooviel zu berichten.
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Höher, sc h neller, weiter -=========:==:===:;::;::::=~~=====:;:=================
Frank Kleinke
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OH Die allseitige Entwicklung jedes Schülers ist ein feines Ziel. Aber das Ziel ist das eine und das Kräfteverhältnis in einem Pädagogenkollektiv das andere. Ich kam als junger Musiklehrer von einer Schule, wo die kulturell-ästhetische Erziehung edelstes Ziel war, und ich ging an eine Schule, wo die sportliche Erziehung im Mittelpunkt der Arbeit stand. Daß der Sport die erste Geige spielt, wurde mir sofort an den Pokalen, Medaillen, Siegerurkunden, Rekord- und Ergebnislisten im Schulhaus bewußt. Im Musikzimmer stand zwar auch eine Beethoven-Büste, aber der Meister hatte das Gesicht bescheiden zur Wand ge>--;:. dreht. ,„ " " Diese ersten Eindrücke verfehlten nicht ihre Wirkung. Als ich mich in der Direktion vorstellte, sagte ich nicht »Guten Tag«, sondern - wenn auch ein wenig zaghaft - »Sport frei! « »Du paßt zu uns«, rief strahlend der Direktor, »so stelle ich mir einen Musiklehrer vor!« Das Kadergespräch war kurz. Danach wußte ich zweierlei: Erstens, daß ich als Vorstopper in der Lehrerfußballmannschaft eingesetzt werde, und zweitens auch, in welchen Klassen ich Musik unterrichte. Einige Wochen danach hängte die AG »Sportfoto« ein übergroßes Porträt von mir ins Schulhaus. Ich war im zweiten Punktspiel so unglücklich gestolpert, daß ich versehentlich das Siegestor geschossen hatte. Das bedeutete Tabellenspitze. Seitdem hieß ich »Klein Frenzel« und war anerkanntes Mitglied des Schul- und Pädagogenkollektivs. Das aber änderte nichts daran, daß in mir tausend kleine musikbesessene Teufelchen tanzten. Und mit kleinen Teufeleien begann ich meinen denkwürdigen Feldzug für die Musik. Mußte ich zum Beispiel eine Musikstunde ausfallen lassen, um dafür eine Stunde Sport zu geben, begann ich mit leichten Laufund Lockerungsübungen. Dann gingen wir zu Atemübungen ,· '
))Mehrzweckanlage! Bei Schnee nutzen wir sie als Rodelbahn. < <
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über. Ich erklärte den Schülern, daß die Atemgymnastik die Lunge kräftige, und sagte auch, daß Singen eigentlich noch viel besser wäre. Die kleinen Sportfans kamen von ganz allein darauf, daß man viel mehr singen müsse, um in Sport eine »l« zu bekommen. Wir starteten deshalb sofort mit »Sonne, Sonne, scheine heller«und trainierten kurz vor Stundenschluß das »Heidenröslein«. Die Akustik der Turnhalle war phantastisch! Ich konnte 4 Boxer, 3 Schwimmer und einen Leichtathleten für meinen Schulchor werben. Solcherlei Fortschritte organisierte ich in der Folgezeit zahlreich und ebenso fleißig, wie ich mich um die Vergrößerung meiner Leistungen im Fußball bemühte. Dann: mit maßvollen Pässen für meinen Direktor und selbsterzielten Toren schoß ich mir- mittlerweile als linker Flügelstürmer - sozusagen den Weg zur Entwicklung des musischen Klimas an der Schule frei. Ich gebe zu, daß die Kollegen und Schüler meine kleinen Aktionen bald durchschauten. Als ich eines Tages bei den Schachspielern aufV.KINDE~·UNDJUGEND· tauchte, guckten die mich gleich mißtrauisch SPARTAKIADE DER DDR an. Ich sagte erst einmal gar nichts und spielte Schach. Einige wenige konnten die Niederlage gegen einen Musiklehrer nicht verkraften. Ebendiese begann ich zu trösten. Ich sagte, sie sollten nicht enttäuscht sein. Laut Karl Marx stecke wirklich injedem ein Boris Spasski oder auch J>Die Spartakiadeteilnehein Raffael und in ganz seltenen Fällen auch einmal ein Peter mer von heute sind die Olympiasieger von morSchreier. Aber, sagte ich, man wisse natürlich vorher nie so gen!<< ganz genau, ob es nun gerade ein Spasski wird, wo vielleicht ausgerechnet ein Schreier drin steckt. Einige Zeit später fragte mich ein Schüler meiner Singegruppe verschmitzt, ob Marx das wirklich gesagt hätte, denn ihm wäre hinterher eingefallen, daß Marx damals weder Spasski noch Schreier kennen konnte. Ich erwiderte, daß das mit dem Raffael wirklich stimmt, und was den Spasski und Schreier betrifft, so könnte er als FDJler wieder einmal lernen, wie Marx' Ideen, auf die heutige Zeit angewandt, uns immer den rechten Wegweisen. Das befriedigte ihn, denn er war nun einmal ein guter Sänger, aber eben nur ein mittelmäßiger Schachspieler. Jedenfalls entwickelte sich alles in flottem Rhythmus günstig weiter, zumal ich verbreiten ließ, daß ich die rote Karte zeigen
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>>Wenn Sie die Sterbeszene nicht besser bringen, hole ich mir meinen Hauptdarsteller vom Fußballplatz.<<
würde, falls es irgendwelche Probleme mit der Musik geben sollte. Da die Beendigung meiner aktiven Fußballerlaufbahn einen Rutsch ins Mittelfeld der Tabelle bedeutet hätte, gab es auch keine mir unangenehmen Fragen oder Aussprachen. So verging das erste Schulhalbjahr, und es endete an einem Vormittag mit dem Pädagogischen Rat. Der Schulrat lobte den Direktor für die gute kulturelle Entwicklung an der Schule, ich nahm als stellvertretender Kapitän die Urkunde für unseren 1. Platz als Schulhalbjahresfußballmeister entgegen, und Fridolin Breckenfelder aus der lb wurde für den neuen Klassenstufen-Weitsprung-Kreisrekord von 2,57 m ausgezeichnet. Am Abend wurde die traditionelle Abschlußfete des Kollegiums gefeiert. Wir hatten schon alle mächtig einen geschweppert, als sich unser Direktor erhob und vorsichtig zu sprechen begann. »Koegen«, sagte er, »Koegen, jetzt spricht zu euch euer ieber Direktor ... Aso, was schulte uns das erste Lehrhalbjahr? - Na? Ich sage euch, Koegen, wir brauchen nich nur - musikbegabte Füg... Fügelstürmer ... ! Wir brauchen ... maaa... lende Phys - hick! • - lehrer, chemisch interessierte Deutschehrer, poly... poly... poytechnische Russischlehrer ... i tak dallsche ... ponimajesch Koege!! Warum?! - In mir is nämlich der Mozart wieder auferstanden, und ich sage euch, in mir sch... sch ... schlummert da noch der Darwin, der Herr Einstein, der Goethe Wolfgang und wie sie alle heißn. Und wenn ihr für euer Fach so kühn den Riemen auf die Orgel schmeißt wie unser Mus ... Musik-Frenzel, Koegen, dann ham wir genügend Sooo ... los für unser pädagogisches Konzert ... « Mit einem Brummschädel zog ich heim. Und in meinem alkoholertränkten Gehirn kreiselte die bange Frage, wie ernst die Kollegen die direktorale Rede genommen hatten. Mein Chor zum Beispiel hatte nämlich zur Zeit genau jene stimmliche Ausgewogenheit, die man als »homogen« bezeichnet. Das würde natürlich sofort flötengehen, wenn meine lieben Fachkollegen unter den 64 Sängern die Talente entdeckten, die zwar Singen, aber eben auch noch vieles andere mehr und vielleicht sogar besser können ...
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Bei einem Internationalen Leichtathletik-Sportfest wirft ein a.m erikanischer Hüne den Hammer 84,23 Meter weit. Weltrekord! Die Reporter fragen ihn: »Sagen Sie, worauf führen Sie diesen Erfolg zurück?« - »Auf mein College. Dort bin ich ausgebildet und trainiert worden. Ich liebe mein College und schenke ihm diesen Sieg.« Der russische Konkurrent wirft seinen Hammer 85,26 Meter weit. Weltrekord! Wieder fragen die Reporter: »Wie haben Sie das geschafft?« - »Ich liebe die ruhmreiche Sowjetunion«, sagt der Russe. »Ich habe nur an mein Land gedacht. Ihm verdanke ich alles.<< Es tritt ein Sportler aus der DDR an, der schleudert seinen Hammer 87 Meter weit. Neuer Weltrekord! Die Reporter eilen herbei: »Weltrekord! Worauf führen sie das zurück?« - »Auf meinen Vater«, sagt der Sieger. »Wieso auf Ihren Vater?« - »Als ich noch ganz klein war, hat mein Vater zu mir gesagt: »Wenn dir jemals einer einen Hammer in die Hand drückt, mein Junge, wirf ihn soweit weg wie möglich.«
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Jochen Petersdorf
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Sketch der Drei Dialektiker
Köbbert: Werte Anwesende! Weil wir erfahren haben, daß der letzte Urania-Vortrag über die gesunde Lebensweise wiederum nur von 6 Rentnern und zwei Leistungssportlern besucht war ... Uhlig: Und weil wir Sie, die's eigentlich nötig hätten, gerade mal so schön auf einem Raufen haben ... Stückrath: Deshalb sehen wir uns veranlaßt, Ihnen einen kurzen Lehrgang zum Thema gesunde Lebensweise unter die Weste zu jubeln. Köbbert: Der Lehrgang kostet Sie keine zusätzlichen Gebühren. Er wird durch die Eintrittskarten finanziert und mit LottoMitteln gestützt! Uhlig: Mitglieder sozialistischer Brigaden können den Vortrag in ihren Kultur- und Bildungsplan aufnehmen und abhaken ... Stückrath: Und Teilnehmer am Parteilehrjahr haben trotzdem weiterhin ihre planmäßigen Zirkelabende zu besuchen. Es Immer drauf auf die Butter, geht los! Die gesunde Lebensweise im Wandel der Zeiten! solange sie jung ist. Köbbert: Die gesunde Lebensweise ist eine Abart des normalen Alltags und kommt mitunter sogar in den besten Familien vor. Uhlig: Die gesunde Lebensweise ist so alt wie die Menschheit. Sie führte schon lange, bevor Darwin entdeckt war, einen harten Kampf ums Dasein! Köbbert: Das wird durch folgendes Zitat bewiesen: »Am Amazonas, da saßen unsre Ahnen/ und warfen mit Bananen!« Stückrath: Gesammelte Werke, Band III! Uhlig: Diese Schmeißerei war eine äußerst negative Einstellung zum Obst und somit eine sektiererische Haltung zur gesunden Lebensweise. Köbbert: Durch die Menschwerdung des Affen kam es zu positiven Veränderungen, und wir können heute mit Stolz feststellen, daß es nur noch selten vorkommt, daß einem jemand Bananen hinterherschmeißt! Stückrath: 'frotzdem erlebte die gesunde Lebensweise in ihrem Kampf um Anerkennung immer wieder Rückschläge. Als sich Eva einen Apfel schnappte, was übrigens schon damals mit einer Schlange verbunden war, bekam sie mit ihrem Adam ein mächtiges Ding übergebraten und wurde zu körperlicher Ar~ beit verdonnert.
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Uhlig: Was jedoch kein ausgesprochener Nachteil war, denn Bewegung an frischer Luft ist ein entscheidender Bestandteil der gesunden Lebensweise. Köbbert: Leider wurde diese gesunde Arbeit von den alten Germanen vernachlässigt. Das wird durch dieses Zitat bewiesen: »Sie lagen auf Bärenhäuten/und tranken immer noch eins!« Stückrath: Gesammelte Werke, Band rv. Uhlig: Das Lieblingsgetränk der alten Germanen war der Met. Köbbert: Deswegen heißt es ja auch noch heute: Met in Germany. Er war trüb, leicht säuerlich und somit ein Vorläufer des Flaschenbieres. Besonders verdienstvolle Zecher wurden vom damaligen Getränkekontor mit dem Titel Doktor Met geehrt. Stückrath: Und an allen Wanderwegen hingen damals Schilder mit der Reklame »Öfter mal ins Metropol! « Köbbert: Wenn die Germanen etliche Humpen gekübelt hatten, stießen sie urige Schreie aus oder begannen zu singen. Uhlig: Weil es noch keine Schlagerdichter gab, sangen die alten Germanen, was ihnen gerade einfiel. Etwa: »Rumba, humba, Tätärä!« Köbbert: Auf dieser Stufe blieb ein Teil von ihnen stehen. Stückrath: Ein anderer, sehr beliebter Schlagergesang hieß: »Heute blau, und morgen blau und«- übermorgen kamen dann die Römer und sammelten die Bierleichen ein. Uhlig: Woran man erkennt, daß Weintrinker moralisch überlegen sind, vor allem, wenn sie Originalabfüllungen zur Verfügung haben. Köbbert: Trotzdem kann man auch die alten Römer nicht gerade als Vorkämpfer der gesunden Lebensweise betrachten. Im Gegenteil: 1.runksucht und Nikotin sowie übermäßiger Genuß von schweren Speisen und leichten Mädchen rissen bei ihnen mächtig ein und zehrten an der Substanz. Stückrath: Bacchus, Gambrinus, Ganimed und Lukullus sind dafür mahnende Beispiele. Deshalb haben spätere Generationen nach diesen 'fypen Gaststätten benannt und sie aus erzieherischen Gründen mit großer Preisstufe und kleinen Portionen ausgestattet. Uhlig: Der Erfolg ist jedoch gering. Die Dinger sind trotzdem immer voll - und wems zu teuer ist, der schlägt sich zu Hause den Bauch voll. Denn auch die Freßgier ist bei uns volkseigen.
1972 erstmals im Fernsehen ausgestrahlt: Ein Kessel Buntes. 28 Folgen lang führten Die drei Dialektiker durch das Programm, bis ihre satirischen Spitzen 1976 nicht mehr gefragt waren.
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Köbbert: Was durch folgendes Zitat bewiesen wird: »Immer drauf auf die Butter, solange sie jung ist!« Stückrath: Und: »Solange der Bauch in die Weste paßt, I wird keine Cama angefaßt!« Ausgewählte Reden, Band I. Uhlig: Ziemlich wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, daß man den enormen Butterverbrauch rapide senken könnte, wenn man die Wartezeiten auf ein Kilo Butter der Wartezeiten auf einen Trabant angleichen würde. Stückrath: Es gibt auch Leute, die die umgekehrte Theorie vertreten. Sie sagen: Wenn man Autos bekäme wie Butter, brauchte man nicht mehr zu schmieren. Köbbert: Was man jedoch ablehnen muß, denn es ist wesentlich gesünder, einen Autoverkäufer zu schmieren als einen Trauerredner. Uhlig: Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der gesunden Lebensweise ist ein Minimum an Sauberkeit und Körperpflege. ~ Köbbert: Was durch folgendes Zitat bewiesen wird: »Wasser ist zum Waschen da, valleri und vallera!« Stückrath: Köchelverzeichnis Nr. 12. Uhlig: Diesem Zwecke dienten im Mittelalter die sogenannten Badehäuser, wo sich Männlein und Weiblein gemeinsam in einer Wanne tummelten. Beim Format unserer heutigen Badewannen ist ein derartiger Jux höchstens noch Eberhard Cohrs vergönnt. Stückrath: Alle diese Badefreuden spielten sich damals nur in festen Häusern ab. Das Baden in Flüssen und öffentlichen Gewässern galt als Schweinerei. Was wir heute nicht mehr so empfinden, weil wir uns anschließend waschen. Köbbert: Zur Körperwäsche benutzten die damaligen Menschen genau wie wir eine gepreßte Masse mit seifenähnlichen Eigenschaften. Uhlig: Und die Zahnpastaproduktion befand sich genau wie bei uns noch im Versuchsstadium. Stückrath: Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die gesunde Lebensweise schon immer nicht leicht in den Griff zu kriegen war. Uhlig: Sie ist das Einfache, was schwer zu machen ist. Köbbert: Zum Abschluß noch 'n Zitat: Lachen ist gesund! Uhlig: Wo steht'n das geschrieben? Stückrath: Vertrauliche Verschlußsache. Nicht für die Offentlichkeit. ••
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Ralph Wiener
Hljo Man kann verstehen, daß es Max Kleinweber gründlich satt hatte. Ein Junggeselle mit vierzig will seine Ruhe haben und nicht jeden Tag dieselben Fragen gestellt bekommen: »Was ist denn, Herr Kleinweber, noch immer nicht unter der Haube?« »Sie wollen wohl wirklich als Hagestolz sterben?« »Na, Herr Kleinweber, schon was in Sicht?« Es war einfach nicht mehr auszuhalten. Ja, fast sah es aus, als ob ein•• Unverheirateter in einem gewissen Alter zum öffentlichen Argemis würde. Kleinweber beschloß deshalb, die Sache mit einem Schlag zu beenden. All den lästigen Fragen wollte er die Grundlage entziehen. Ruhe wollte er haben! Nichts weiter! Und so lasen die um sein Lebensglück besorgten Nachbarn eines schönen Tages folgende Zeitungsannonce: WIR HABEN GEHEIRATET Antje und Max Kleinweber Freunde und Bekannte wunderten sich zwar, daß sie diese Antje noch nie zu Gesicht bekommen hatten, aber Max war h b. schon immer ein Heimlicher. Auf jeden Fall waren sie . Fl'tt Da d1e 1 erwoc en vor e1 f. d t llt . M .1 . h zu ne enges e . waren, reagierte ax rea rst1sc . »Jet zt hat es ihn endl.1ch erwisc · ht «, sagte Frau B.rrnbaum zur Postzustellerin und sah dabei sogar ein bißchen schadenfroh aus. »Sie sind schon auf Hochzeitsreise«, verkündete die Zustellerin, »vierzehn Tage wollen sie bleiben, hat Herr Kleinweber gesagt.« »Wohin fahren sie denn? An die Ostsee?« Das war ein kluger Schachzug von Kleinweber. Vorerst war er die Fragesteller los. Er fuhr in aller Ruhe zu seiner Schwester nach Heringsdorf, wo er seinen regulären Urlaub verbrachte. Gelegentlich schrieb er Ansichtskarten an seine Freunde und Kollegen, die alle den gleichen Text hatten: Von der schönen Insel Usedom senden die herzlichsten Grüße Antje und Max. Nebenbei gesagt, kostete ihn die Hochzeitsreise fast gar nichts. Nur die Ansichtskarten mußte er aufbringen. Eigentlich gar nicht so teuer, verheiratet zu sein - dachte er sich, und als er wieder zu Hause war, lenkte er sein Eheleben in entsprechende Bahnen. »Meine Frau schläft früh sehr lange«, sagte er zur Postzustellerin, die unbedingt ihre Gratulation persönlich darbringen
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wollte. Auch andere hielt er fern. Das war nicht einfach, zum Beispiel Fritz Meusel war ganz hartnäckig: »Menschenskind, sag wenigstens, wie sie aussieht! « - »Sie ist blond«, erklärte Max, »hat ihre Haare am Scheitel eng anliegend, das macht sie ein bißchen streng, aber hinten fallen sie schön auseinander.« - »Nun weiß ich es genau«, sagte Meusel. Um keinen Verdacht zu erregen, ging Kleinweber fortan mittags nach Hause. Antje sei leidenschaftliche Köchin, hatte er erklärt, und nun kaufte er täglich ein. Gemüse, Fleisch, Kartoffeln. »Ihre Frau hat's gut«, sagte die Verkaufsstellenleiterin, »alles schaffen Sie heran. So einen Ehemann möchte ich auch mal haben! « , 1 Max verkniff sich weitere Bemerkuni gen und erlernte die Kochkunst. Das : • ging nicht ohne Zwischenfälle ab. Oft brannte etwas an. Der Geruch von Angebranntem stieg in alle Etagen. Da die Flitterwochen vorbei waren, reagierte Max in solchen Fällen ganz realistisch. Er rannte wild in der Woh,,___ . nung umher, rief: »Schlampe! Wo hast -- ·--===... - ··du bloß deine Gedanken! « - und die . Hausbewohner tuschelten, indem sie \ „. r ' __.. . . . „. nach oben zeigten: »Bei Kleinwebers ist wieder was los!« Allmählich wurden Antje und Max ein normales Ehepaar. Sogar >>So, nun können Sie zum Stammtisch ließ er sich nicht mehr überreden. »Ich kann nicht mehr durchs meine Frau nicht allein lassen«, erklärte er, und die übrigen Schlüsselloch gucken. « Ehemänner nickten verständnisvoll. »Aber zwei Theaterkarten nimmst du mir wenigstens ab?« drängte Kulturobmann Schmidtchen. »In >Rigoletto< wirst du sie wohl mal mitbringen können!« Max nahm zwei Karten. Kurz vor Beginn der Vorstellung stand er noch wartend am Eingangsportal. »Wann kommt denn deine Frau?« fragte Schmidtchen. »Du weißt doch, wie das ist«, seufzte Max, »sie wird wahrscheinlich mit dem Make-up nicht fertig.« »Das ist wie bei meiner«, stellte der Kulturobmann fest, »gehen wir also alleine! « Es fiel gar nicht auf, daß Antje nicht kam. Auch der Postzustellerin fiel nichts mehr auf: Es kamen nämlich hin und wieder Briefe, die klar und deutlich an »Frau Antje i
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Kleinweber« adressiert waren. (Die hatte zwar Max geschrieben, aber das konnte die Christel von der Post nicht wissen!) Kleinweber seinerseits lebte glücklich. Er genoß in vollen Zügen, daß ihn niemand mehr fragte, wann er endlich heiraten wolle, alle Nachbarn waren beruhigt, und billig war diese Ehe außerdem. So eine Frau wie Antje fand er nicht alle Tage! Aber er fand eine Petra. Just an seinem einjährigen Hochzeitstag lief sie ihm über den Weg. Zu dumm, daß Antje nicht in den Weinkeller gekommen war! Ausgerechnet am Hochzeitstag hatte sie Migräne. Aber die Kollegen hatten dafür Verständnis. »So ein Jubiläum regt Frauen immer auf«, hatte Bernd Breuer gesagt, und allmählich war diese Petra nicht mehr von seiner Seite gewichen. Spät am Abend kamen sie vor seiner Wohnung an. »Üb deine Frau wirklich schon schläft?« fragte sie. »Ich nehme es an«, erwiderte Max. Sie schlichen die Treppe hinauf. Kurz vor der Tür blieb Petra stehen. »Nein«, flüsterte sie, »das kriege ich nicht fertig.« »Sei kein Frosch!« ermunterte sie Max. »Unsere Ehe ist nicht wie andere. Antje hat für mich Verständnis. Ich wette, selbst wenn sie aufwacht, wird sie uns nicht stören! Sie wird tun, als sei sie gar nicht da.« »Trotzdem«, beharrte Petra, »ich mache das nicht!« »Was ist hier los?« ertönte eine keifende Stimme, und eine Tür über ihnen offnete sich. »Gehört sich das mitten in der Nacht?« Eine wütende Frau wurde sichtbar. »Ach, sieh mal an, der Herr Kleinweber! Und mit einem jungen Mädchen noch dazu! Nehmen Sie denn auf Ihre Frau gar keine Rücksicht?« »Die arme Frau Kleinweber!« ertönte es vom zweiten Stock, und bald war das Treppenhaus von empörten Bewohnern angefüllt. »Schämen sollten Sie sich!« - »Ein Skandal!« - »Und das in unserm Hause!« Petra war längst weggelaufen, und Max Kleinweber schlich gesenkten Hauptes durch das zürnende Spalier. »Verzeih, Antje«, sagte er, als er seine Wohnung betrat, »SO etwas soll nie wieder vorkommen!« Aber Antje kannte kein Pardon. Und irgendwie hatte sie recht. Denn die Hausbewohner und überhaupt alle Nachbarn waren erst wieder besänftigt, als Max mit einem Seufzer, aber doch konsequent mitteilte: »Wir sind geschieden!«
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Auf die Gefahr hin, ein allgemeines, verständnisloses Schütteln des Kopfes auszulösen, behaupte ich: Es ist bei uns etwas nicht in Ordnung mit der Gleichberechtigung! Schuld daran sind - und nun werden mir wenigstens die Männer verständnisvoll zustimmen - wir Frauen. Es fällt mir gewiß nicht leicht, dies einzugestehen, doch ein besonders beschämender und dennoch typischer Vorfall, dessen Zeuge ich zufällig wurde, veranlaßt mich, die bislang geübte Rücksicht auf das eigene Geschlecht aufzugeben. Der Vorfall ereignete sich in dem erzgebirgischen Wallfahrtsort für die Freunde der Schmalspurbahn Oberrittersgrün. Einern am ehemaligen Bahnhof des Ortes parkenden Pkw entstiegen Vater nebst Sohn, und während diese mit verklärten Gesichtern die liebevoll konservierten Anlagen betrachteten, blieb eine Frau mit böse verkniffenem Mund im Wagen zurück. Wie denn? fragte ich mich. Hat nicht auch sie das Bedürfnis, durch Schauen und Betasten der Schmalspurreliquien in den Genuß des tief beglückenden und zugleich unendlich wehmütigen Gefühls zu gelangen, da sich ihre männlichen Artgenossen hier in so großer Zahl verschaffen? Nein! Und schlimmer noch: Als Vater und Sohn nach wenigen Stunden von der Besichtigung des Heiligtums zurückkehrten, beeilte sich diese Frau, das gesteigerte Lebensgefühl ihres Gatten durch gezielte Schmähungen wieder auf Normalnull zurückzuängstigen. »War es das«, sprach sie hohntriefend, »wofür du mit mir zweihundertfünfzig Kilometer wie ein Verrückter gerast bist? Diesen Schrott mußtest du unbedingt sehen?« Unauslöschlich hat sich mir eingeprägt, was sich bei diesen zynischen Worten im Antlitz des Gatten widerspiegelte, nämlich das ganze Leid der jahrhundertelangen Unterdrückung des Mannes durch die Frau und darüber hinaus die schmerzliche Erkenntnis, starke Gefühlsaufwallungen, wie sie im normal empfindenden Manne etwa von einer gebrechliche, handbedienten Schmalspurweiche ausgelöst werden, in seelischer Einsamkeit bewältigen zu müssen. Dieses Erlebnis lehrte mich zu verstehen, was bei uns mit der
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»Nun behaupte aber nicht mehr, daß ich dir nichts biete!«
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Gleichberechtigung nicht in Ordnung ist. Es geht längst nicht mehr um ihre Durchsetzung am Arbeitsplatz. Dies Thema ist bei uns nur noch für Historiker interessant. Das Problem liegt heute vielmehr auf dem weiten Feld der sinnvollen Freizeitgestaltung, auf dem die entscheidende Schlacht für ein weiteres glückliches Zusammenleben der Geschlechter geschlagen wird. Doch statt ihrem mutig in den Freizeitbereich einmarschierenden Mann zu folgen, fällt die Frau ihm oft genug beleidigt in den Rücken, und dies nicht nur in Oberrittersgrün. Dafür gibt es Beispiele die Fülle. So eine mir bekannte Dame, deren Gatte die äußerst wichtige Aufgabe eines Amateurfunkers wahrnimmt. Von der Arbeit heimgekehrt, begibt er sich in den Keller des Hauses zu seinen Sendern und Empfängern, wo ihn die Frau bis in die tiefe Nacht hinein ohne jede Nahrungszufuhr sitzen läßt. Anfangs wachte sie im Bett, um ihn, wenn er nach der harten •• Arbeit im Ather erschöpft auf seine Ruhestatt fiel, zum Beispiel für die viele Tausende Mark zu beschimpfen, die er für die Geräte verausgabte. Heute tut sie noch nicht einmal mehr dies für ihn, sondern nimmt ein Beruhigungsmittel ein, träumt eine Weile von einer Wolgareise und schläft ein. So hat der Mann besseren Kontakt zu den Fidschiinseln als zu seiner Frau. Ich fragte sie, was sie davon abhalte, mit ihm gemeinsam die Fidschis anzufunken. Sie zählte den üblichen Kleinkram auf, daß ich mich in die Anfänge der Gleichberechtigung zurückversetzt fühlte: Beruf, Haushalt, Kinder, Qualifizierung. Doch kein Wort kam über ihre Lippen zum wahren Grund: ihr mangelndes Interesse nämlich am wunderbaren, weltumspannenden Amateurkurzwellenbereich. Eine französische Schachmeisterin soll auf die Frage, warum so wenige Frauen bei diesem Spiel anzutreffen sind, geantwortet haben: »Weil Frauen nicht so lange schweigen können.« Eine charmante Ausrede oder für Französinnen vielleicht auch zutreffend. Die Frau eines meiner Kollegen aber hat gelernt, tagelang zu schweigen. Dennoch ist nicht sie, sondern ihr Mann die Schachkoryphäe des Ortes. Oft kämpft er vier- und fünfmal die Woche bis gegen Mitternacht mit ungeheuer geistiger Konzentration am Brett, hoch angesehen und geschätzt bei allen, die etwas von Schach verstehen. Daheim aber mußte er sich abgewöhnen, das Wort Schach auch nur zu denken. Tut er es dennoch, blickt ihn die Frau aus entzündeten Augen haßerfüllt an, und so fragt er sich begreiflicherweise oft, warum er sie geheiratet hat, wenn sie
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mit Vierzig schon so schlimm aussieht und er sich mit ihr noch nicht einmal über das Wichtigste in seinem Leben unterhalten kann. Ich hatte kürzlich Gelegenheit, mir in Altenburg beim Skatgericht Anfragen aus fast allen fünf Erdteilen zu komplizierten Spielsituationen anzusehen. Männer mit hohem geistigem Rang und umfassenden intellektuellen Fähigkeiten sprechen hier Skatrecht nach ehernen Gesetzen. Und dennoch ist dies Spiel in den meisten weiblichen Köpfen irgendwo zwischen sinnlosem Zeittotschlagen und unheilbarem Schwachsinn angesiedelt. Ein sieggewohnter Skatspieler wird daheim oft so behandelt, als wäre er nicht ein überall begehrter dritter Mann, sondern irgendein Versager in zwischenmenschlichen Zweier,,,,, ,,, , Beziehungen Die Frau weigert sich zu verstehen, daß Ehe rasch, Skat aber nie langweilig wird. Oder unsere vierbeinigen Freunde, die Hunde, für die doch gewiß jeder Verständnis haben sollte. Ein , Herr in unserer Straße hat es in besonderem Maße. i' • I , Fünf Jahre hintereinander gewann er mit seinen · 1 l' t , ,,1 ,, / J Hunden erste Preise, und man darf wohl ohne Uber' ' treibung sagen, daß er und seine Hunde ein Herz und eine Seele sind und haben. Außer den Tieren besitzt dieser im ganzen Ort angesehene Mann drei t , vl Kinder und eine Frau. 111 111 ' \ , Aber keines der Kinder gehorcht auch nur annä• hernd so wie die Hunde, und nur selten ist eines so sauber gestriegelt. Hatte die Frau nicht die gleiche ' ... ' -- -- "r . .,, . -- -Chance wie der Mann, ihre Freizeit sinnvoll zu nutzen und aus den ihr anvertrauten Lebewesen preis, , t/ I ; I . würdige Geschöpfe zu machen? Sie hatte und hat ,,1.. „ • ( diese Chance, doch statt sie wahrzunehmen, bereitet sie dem Gatten unfreundliche Szenen, wenn er an den Wochenenden frühmorgens mit seinen Lieblingen in den Wagen steigt, um zur Trajningsbahn aufzubrechen . Ahnlich Erschütterndes ließe sich aus dem Leben der Kaninchenzüchter, Motorsportler, Modelleisenbahner und - ich sage nur: - und und und berichten. Warum ist das so? Stellvertretend für viele sei hier die Meinung von Herrn M. wiedergegeben. Herr M. gehört zu jenen leidenschaftlichen Fußballenthusiasten, die ihre sinnvolle Freizeitgestaltung nicht vor der Bildröhre absolvieren, sondern mit ihrer Mannschaft durch die Republik ziehen, um jedes Spiel direkt vor Ort zu verf t
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folgen. So manches entscheidende Tor fiel oder unterblieb schon dank seiner wohlüberlegten Pfiffe. So ist Herr M. ein mit beiden Beinen im Leben stehender, weitgereister Mensch, der viel Ärger mit seiner Frau hat und auf dessen Urteil man daher etwas geben sollte. Er sagte mir: »Das Unglück besteht darin, daß die Frauen die Dinge nicht so sehen, wie sie sind! Zum Beispiel die Hausarbeit. Ist sie sinnvoll? Sie ist es! Wird sie in der Freizeit erledigt? Sie wird! Ist es eine Beschäftigung? Es ist eine! Doch welche Frau bringt den Mut und die Logik auf, die Bewältigung dieses Krams nun auch als sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu akzeptieren?« »Keine«, gab ich zu, »aber es ist nun mal auch kein Hobby, das Erholung und Entspannung bringt.« »Halten Sie es für Erholung und Entspannung«, fragte mich Herr M. hierauf, »Wochenende für Wochenende auf irgendeinem Fußballplatz irgendwo in der Republik bei Wind und Wetter die Niederlagen seiner Mannschaft miterleben zu müssen? Zwei verschiedene, wissenIn einer Vorstadtkneipe schales Bier trinken und bei schaftlich fundierte, sinnvolle einem Kameraden auf dem Fußboden schlafen zu müsFreizeitgestaltungen sind in sen?« Herr M. hat den Nagel auf den Kopf getroffen! Es einer Ehe unmöglich. ist der entscheidende Fehler der Frau, die sinnvolle Freizeittätigkeit ihres Mannes mit dem Wort Hobby und als Erholung und Entspannung abzutun. Dadurch werden Skat oder Fußball in die Nähe von Pulloverstricken oder das Abschleifen des Rostes von Schmalspurbahnpuffem in die irgendeiner unverbindlichen Kulturveranstaltung gerückt, und es entsteht der Eindruck, als ginge der Mann seinem Vergnügen nach, während die Frau davon ausgeschlossen ist. So entstehen Neid, Mißgunst und im schlimmsten Falle sogar die Überzeugung bei der Frau, es dem Manne gleichtun zu können. Die Frau eines Kollegen beispielsweise, der Biergläser aus der Produktion aller sozialistischen Länder sammelt, trat der Kulturbundsparte der Kakteenzüchter bei. Zu spät begriff sie, daß zwei verschiedene, wissenschaftlich fundierte, sinnvolle Freizeitgestaltungen in einer Ehe unmöglich sind. Der Kollege kam in kürzester Zeit völlig herunter und war kaum noch fähig, ein Bierglas zu halten. Natürlich ließ er sich scheiden. Ich denke, das genügt. Wie damals, als es um die Durchsetzung der Gleichberechtigung am Arbeitsplatz ging, haben die Männer auch heute bei der sinnvollen Freizeitgestaltung die größere Last zu tragen und die härteren Pflichten übernommen. Die Frau sollte ihnen dankbar dafür sein.
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Eine Frau will mit Erich Honecker verbunden, sie sei eine persönliche Bekannte. »Ich bin's, die Edith Müller, erinnerst du dich, Erich? Wir haben mal miteinander geschlafen.«- »Ja?« sagt Erich zögernd. Die Frau: »Und da dachte ich mir, du würdest mir bestimmt helfen. Ich brauche ein neues Auto ... « - »Schon gut
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Ernst Röhl
Vor 100 Jahren, 1875, starb Hans Christian Andersen. Seine Märchen leben, wie jedermann weiß, weiter, wenn sich auch das eine oder andere heutzutage ein wenig anders liest: Es war einmal eine Frau, die nichts mehr fürchtete, als ein kleines Kind zu bekommen. Um diesem Mißgeschick vorzubeugen, nahm sie treu und brav und sehr gewissenhaft die Pille. Jeden Abend vor dem Zubettgehen fragte ihr Mann, der gleichfalls nichts mehr fürchtete, als daß ein kleines Kind käme, mißtrauisch: »Bevor wir zur Sache selbst schreiten, Schätzchen, sag an - hast du heute schon dein Verhüterli eingenommen? Nicht, daß mir plötzlich aus heiterem Himmel ein Kind hereingeschneit kommt. Du weißt sehr wohl, wir sind in unseDas Kind wurde nicht etwa Schackeli- rer Vierzimmerneubaukomfortwohnung räumlich stark beengt, bauen derzeit in der Dübener Heide ne oder Babsicola genannt, sondern einen Bungalow und sind auf einen Shiguli angeschlicht und einfach Däumelinchen. meldet!« »Du kannst mir vertrauen, Liebling«, beteuerte die Frau hoch und heilig. »Ich habe doch Molly, unseren entzückenden Bedlington-Terrier; wie könnte es mich da nach einem Kinde verlangen!« Aber wie es so geht - das Leben fordert sein Recht, und sogar die Pille ist nicht unfehlbar. Eines schönen Tages trudelte ein Kindlein ein, und weil es so außerordentlich unerwünscht war, war es nur sehr, sehr winzig, kaum einen halben Daumen hoch. Es wurde deshalb auch nicht etwa Schackeline oder Babsicola genannt, sondern schlicht und einfach Däumelinchen. Und weil es mit seinem Geschrei nicht nur den, wie man so sagt, glücklichen Eltern auf die Nerven ging, sondern auch dem Hund, kam es auf dem schnellsten Wege zur Oma. Der Mann, von dem schnöden Vertrauensbruch seiner Frau zutiefst enttäuscht, ergab sich dem Trunke und trieb fortan in allerlei zwielichtigen Bars und Kneipen mit allerlei zwielichtigen Weibspersonen Hallodri, ging schließlich und endlich aber ein reichlich intimes Verhältnis mit der Bardame Vanessa Sommerlatte ein. Die Frau ihrerseits, von der Vertrauenswürdigkeit der antikonzeptionellen Mittel zutiefst enttäuscht, suchte auf schier endlosen Spaziergängen mit dem Bedlington-Terrier zu vergessen, was ihr widerfahren war. Auf einem dieser Spaziergänge übrigens machte sie die folgenschwere Bekanntschaft des Dompteurs Rinaldo Perdido, der einen Boxer von männlicher Aus-
Unter vier Augen
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strahlung an der Leine führte und auch selbst eine stattliche Erscheinung genannt zu werden verdiente. Kurz und gut, die Ehe konnte als zerrüttet gelten, und die Scheidung war unabwendbar. Da aber unter solchen unerfreulichen Zuständen ein unschuldiges Kind bekanntermaßen am meisten zu leiden hat, beeilte sich der Vater, das kleine Däumelinchen von der Großmutter weg ins Elternhaus heimzuführen, wo er es rührend umsorgte und ihm gar das Fläschchen reichte. »Haha! « rief die Mutter. »Woher dieses überraschende Interesse an meinem heißgeliebten Däumelinchen?« »Einer muß sich schließlich um das Kleine kümmern, du Schlampe«, entgegnete der Mann. »Du hast ja mit deiner Töle genug zu schaffen.« »Mein eigen Fleisch und Blut geb ich nicht preis! « stieß die Mutter leidenschaftlich hervor und breitete, zum Äußersten entschlossen, beide Mutterhände über die Wiege. Alsbald traten Frau und Mann vor den Scheidungsrichter und erklärten, daß sie fürderhin von Tisch und Bett getrennt leben, um nichts auf der Welt aber auf ihr Kind verzichten wollten. Der weise Richter jedoch, der klar erkannte, daß ihnen lediglich der Spruch »Wer das Kind hat, hat die Wohnung« im Kopfe herumspukte, sprach das kleine Däumelinchen der Oma zu. Doch halt! Für dieses salomonische Urteil, so wünschenswert es immer sein mag, kann der Autor leider keine Gewähr übernehmen. Aber beim Märchen muß ja nicht unbedingt jede Einzelheit stimmen; Hauptsache, es ist wahr.
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))Keine Auswahl bei der Anschaffung, kein Stammbaum, lebenslang dasselbe - nee!«
Unter vier Au en
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Gerd W. Heyse
))Wenn du kochen könntest, ließe ich drüber reden. «
Es riecht nach Frühling. Betty findet das auch. Sie schmiegt sich eng an•• mich. Ich schmiege mich zurück. Aber wir fallen nicht auf. Uberall schmiegen sich heute zweie aneinander. Plötzlich bleibt Betty stehen. »Ich hätte es doch bald vergessen«, seufzt sie. »Ja, dein Gedächtnis«, seufze ich zurück. Aber da wird Betty sofort böse. »Mein Gedächtnis ist fabelhaft. Aber du hast überhaupt keins. Kannst du mir wirklich Vergeßlichkeit nachweisen?« Ihr plötzlicher Ausbruch ernüchtert mich. Noch mehr, daß sie sich nicht mehr an mich schmiegt, sondern wütend neben mir einherstapft. »Aber Betty! Wie soll ich dir jetzt Vergeßlichkeit nachweisen! Um diese Zeit! Ich habe keine Lust, an solch einem Abend sinnlos zu diskutieren. Komm, sei wieder nett, Betty. « Betty wirft mir einen wütenden Blick zu. »Du bist grob und ungebildet. Warum schreist du überhaupt gleich so laut! « »Ich schreie ja gar nicht«, schreie ich, »aber du bist albern. Möchtest du dich nicht erst einmal einen Augenblick setzen?« Aber Betty will sich nicht setzen. »Es wäre ja auch der erste Abend, den du mir nicht verdirbst. Den ganzen Ärger des Tages läßt du immer an mir aus. Aber einmal wird das eben zuviel. Ich will nicht mehr. Gute Nacht!« Betty macht große Schritte. Ich auch. »Betty, jetzt hör mal zu. Ich sehe alles ein. Ich bin rücksichtslos, verärgert und launenhaft. Jawohl, ich bin ein Ekel. Ich bin unbeherrscht, brutal und beinahe wie ein Mörder. Kannst du mir noch einmal verzeihen? Sei wieder gut, Betty! « Betty zieht einen reizenden Schmollmund. »Unter einer Bedingung, mein Lieber. Du mußt mir zur Strafe morgen meine Balkonkästen streichen. Einverstanden?« »Ja, aber was hattest du vorhin eigentlich beinahe vergessen?« Betty zieht die Stirn kraus. »Daß ich dich bitten wollte, morgen meine Balkonkästen zu streichen«, sagt sie ärgerlich.
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John Stave
Wir sind, liebe Freunde und Genossen, vor einigen Wochen umgezogen. Das Haus ist riesengroß, vielleicht fünfhundert Meter lang, allerdings nur vierzig Meter hoch. Klar, daß man trotzdem in so verhältnismäßig kurzer Zeit nicht jeden Bewohner oder Mitmieter auf Anhieb kennt oder sogar »Guten Tag! « sagt, zumal es sich insgesamt um nicht weniger als 1500 Seelen handelt, und zwar um äußerst lebendige. Die meisten sind überhaupt Kinder, Säuglinge und so weiter, die in den ausgedehnten Fluren Rollschuh fahren oder einfach mit den Fahrstühlen spielen. Dementsprechend zählen die meisten erwachsenen Bewohner um die dreißig Lenze. Aber es gibt auch einige weitaus ältere Bürger ... Na ja, gut. Geben ist seliger wie nehmen. Nun, eines sonnigen Nachmittags läutet es an der Tür. Ein guter Start für unsere weitere Ich denke noch so: Wer kann denn das wohl sein? Aber Zusammenarbeit zum Gedeihen . da öffne ich auch schon. Eine mir völlig unbekannte unserer Hausgemeinschaft! Person männlichen Geschlechts steht vor mir und lüftet den weichen Filzhut. Es ist eine Art Bleichgesicht oder vielmehr eine sogenannte Leichenbittermiene. Alt ist die Person etwa vierzig, fünfundvierzig. »Guten Tag, mein lieber Kollege Zabel«, sagt die Person. »Gut, daß ich Ihnen endlich einmal antreff. Ich war schon paarmal hier, aber immer unanwesend. Die Sache ist die, daß wir HGLmäßig noch nicht arbeitsfähig sind, aber trotzdem muß das Leben ja anrollen. Sie kennen auch kaum jemand im Haus, oder?« »Nein«, entgegne ich furchtlos. »Und ich bin sowieso öfter auf Achse«, setze ich noch entschuldigend hinzu und bitte denselben, also den Besucher, herein. »Sie sind Genosse und so?« fragt er ein bißchen lauernd, wie mir scheint. Ich sage: »Ja, ich bin Genosse. >Und so< bin ich ebenfalls! « »Gut, also hör zu«, sagt er. »Es handelt sich um einen sogenannten traurigen Fall. Gewissermaßen eine tragische Kiste.« Er holt tief Luft, legt den Hut auf den Tisch und zieht aus der Jacke ein Blatt Papier, das er entfaltet. Ich sehe genauer hin, und da entpuppt es sich als eine Sammelliste. Sie heißt: »Sammelliste für einen Kranz der Hausgemeinschaft Oskar-Schulze-Allee 90 für den verstorbenen Kollegen Ewald Trappe (Mitmieter).« »Ich kenne ja den betreffenden Kollegen überhaupt nicht!« sage ich, denn ich spüre sofort, daß ich hier offenbar zur Kasse gebeten werden soll. Ich bin nämlich von Natur aus ein bißchen
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geizig und gebe an und für sich nur, wenn es sich absolut nicht vermeiden läßt. »Niemand kannte ihn! Aber alle haben gegeben! Hier, sehe dir die Liste an: Neumann drei Mark, Selbelang vier Mark, Kunze eine Mark, Doktor Knöterich zehn Mark, Waxmann fünf Mark und so weiter und so weiter. « Dem Leichenbitter stehen direkt Tränen in den Augen. Ich taste langsam und nachdenklich nach meinem Portemonnaie in der Gesäßtasche. Ich tue es ungern, aber was soll's. Ich seufze. Er sagt: »Laß nur! Laß deine Kröten stecken, Zabel! Ich sehe schon, was mit dir los ist, was für ein Typ du bist. Wir bringen unsern Kollegen Trappe auch so unter die Erde. Er war neunundachtzig! Du brauchst nichts geben. Aber eins sage ich dir: Es ist kein sehr ruhmreiches Ruhmesblatt, das du dir da als Hausgemeinschaftsmitglied zwecks E. ·· g und Reklame an die - · 1 Brust heften tust! « ~ ~~ Er schnaubt sich hörbar die Nase. Ich rutsche so auf dem Stuhl rum. Ich sage: »Nun komm, hör auf zu heulen! Ich will mich ja eintragen. Aber weißt du, der ganze Umzug und so, das ist mächtig ins Geld gegangen. Ein Klappbett mußte ich auch anschaffen ... « »Der Kollege Trappe braucht kein Klappbett mehr. Auf dem letzten Gang brauchst du nicht das popligste Bett! Gibst du nun, oder gibst du nicht? « »Ich geb ja schon«, beeile ich mich zu versichern. ,~ Er schiebt mir die Liste herüber, den Kugel~~-schreiber auch, und glotzt. Er hat rotgeäderte Augen und riecht ein ganz klein wenig nach Lichtenberger Doppelkorn. Ich notiere zaghaft eine »1«, aber der Leichenbitter wird sofort von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt. Zusätzlich schluchzt er auch noch. Obendrein. »Ewald Trappe«, sagt er leise, »hatte sich so sehr gefreut, war richtig glücklich, daß es endlich mit der neuen Wohnung geklappt hat. Er wohnte ja solange in der Kleingartenanlage >Einigkeit<, und seine Laube war auch nicht mehr das, was sie einmal war. Sie sollten schon lange herunter, eigentlich. Die Obstbäume waren schon alle weg. Und dann die freudige Botschaft! Ich sehe noch, wie der gute alte Ewald vor der neuen Badewanne steht. Er war ... « Der Bleichgesichtige bricht ab. Er zuckt mit den Schultern. Ich setze entschlossen eine »Ü« hinter die » 1«. r- •
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>>War hier mal ein solches?<< > Ja, aber sie brauchten Baufreiheit für die Errichtung des Straßenschildes. «
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»Brav!« sagt der Sammler. Er erhebt sich, reicht mir die Hand: »Geben ist bedeutend seliger wie nehmen. Du, lieber Kollege Zabel, stehst mit dem Doktor an der Spitze der Tabelle. Ein guter Start für unsere weitere Zusammenarbeit zum Gedeihen unserer Hausgemeinschaft!« Er steckt die Liste ein, schneuzt sich noch einmal und verschwindet. Ich höre, wie es beim Nachbarn »Klingklang« macht. .
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Auf der ersten Hausgemeinschaftsversammlung ist es gerammelt voll, weil auch die Mängel erfaßt werden sollen. Der Dr. Knöterich hat die Leitung. Den Leichenbitter kann ich im Moment noch nicht entdecken, und der so früh von uns gegangene Kollege Trappe glänzt selbstverständlich auch durch Abwesenheit. »Wir wollen nun einmal gleich in medias res gehen«, sagt der Doktor, »und deshalb schlagen wir folgende Mie ... « »Moment emol «, sage ich spontan. »Ich will mal was zur Geschäftsordnung sprechen. Es handelt sich um folgenden Fakt, daß wir uns zunächst einmal von den Plätzen erheben wollen, was dem Doktor unterlaufen ist, um unseren teuren, jedoch verstorbenen Mitmieter, den Kollegen Trappe, den wir alle so schätzen, gewissermaßen zu ehren!« Sie stehen alle auf, einige erheben sich auch, nur der Hausmeister, der in seiner Ecke sitzt und raucht, denkt nicht im Traum daran. Im Gegenteil, er fängt plötzlich an zu lachen: »Welcher Mieter Trappe? Trappe haben und hatten wir hier nicht. Jedenfalls nicht, solange ich hier bin, und ich bin von Anfang an hier«, sagt er völlig pietätlos. »Den müßte ich ja kennen, was?« Nun geht natürlich ein Raunen durch die Massen. Alles ruft durcheinander. Einer behauptet, er habe zwanzig Mark gegeben, doch das läßt sich ja nicht mehr überprüfen . »Aber es hat doch jemand gesammelt!« ruft einer. »Der mit dem Vogelkopf.« »Es war ein gewisser Sandmann, Kollege Sandmann. Ich hab auch zehn Mark gegeben«, gibt der Doktor zu. »Und ich erst!« rufe ich dazwischen. Denn nun bin ich natürlich ganz besonders sauer, weil es nicht einmal einem guten Zweck gedient hat. Verflucht und zugenäht! So ein Mist. Der Sandmann, dieser fingierte Kollege, der hat uns ganz schön auf die Nudel geschoben. Aber insgeheim, liebe Freunde und Genossen, als die Versammlung ihren Fortgang nimmt, denke ich doch ganz unvermutet bei mir: Die Idee als solche war nicht schlecht. Oder?
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Heinz Winkler
Endlich! Penndorf rieb sich innerlich die Hände. Er, Sachbearbeiter beim Bezirk für Kultur am Arbeitsplatz, hatte die Werktätigen des VEB KULKOPANT, vertreten durch den Betriebsleiter, den Hauptbuchhalter und den BGL-Vorsitzenden, von ihrer künstlerischen Mission überzeugt. Penndorf versprach, in Kürze bei dem auftragswilligen Malkünstler Sorgenfrey vorstellig zu werden, um die Einzelheiten auszuhandeln. VEB KULKOPANT produziert, wie der Name schon richtig sagt, Kugellager und in der Konsumgüterproduktion Antennen. Und das muß, so forderten kategorisch die drei Werktätigen, in dem Kunstwerk zum Ausdruck kommen. Penndorf war mit Sorgenfrey so schnell zur Stelle, daß der Hauptbuchhalter argwöhnte, der Künstler habe vor dem Betriebstor gewartet. Denkste! Sorgenfrey versicherte den KULKOPANT-VerSorgenfrey zog sich aus dem tretem, daß er ihr Bildverlangen wohl verstehen könne, Tumult zurück, seine Schöpfung wer könne das nicht, nicht wahr, aber er sei total aushatte nicht nur die materielle gebucht, doch für unsere Arbeiter täte er alles, und er Seite gestärkt. wolle mal sehen ... »An wieviel hatten Sie denn gedacht?« wurde er endlich konkret. »An ein oder zwei Bilder«, sagte der Betriebsleiter, ein bißchen eingeschüchtert schon. Penndorf vern1ittelte schonend: »Herr Sorgenfrey meint den Wertumfang, damit er in bezug auf die Größe des Bildes disponieren kann.« »Wollen wir nicht erst mal drüber reden, was drauf soll?« wagte der BGL-Vorsitzende einen Einwurf. Man zeigte Sorgenfrey die große Wand im Speisesaal, und er stellte sofort bindend fest: »Ein Triptychon!« Aus einer abgeschabten Aktentasche zog er einen dicken Stapel einschlägiger Preislisten, überschlug die Fläche der Wand und fand auf der Liste 47 a, daß das Bild sechsunddreißigfünf kosten müsse. Erneut mußte Penndorf verhandlungsfördemd eingreifen. Er sprach von den Bedürfnissen unserer Menschen nach großer Kunst, verwies auf die Verpflichtungen gegenüber nachfolgenden Generationen und brachte schließlich die Steigerung der Arbeitsproduktivität ins Spiel, zu der sich die Werktätigen, von dem Bildwerk angeregt, spontan entschließen würden. Der Betriebsleiter forderte nur noch resignierend: »Aber Kugellager müssen hinein!«
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»Vielleicht sehe ich da gewisse Möglichkeiten«, äußerte sich der Künstler. »Wenn das Werk fertig ist, lade ich Sie zu einer kritischschöpferischen Diskussion über das Sujet ein. « »Wrr als gesellschaftliche Auftraggeber sollen doch wohl auf die künstlerische Konzeption Einfluß nehmen. Können wir das denn noch, wenn das Ding schon fertig ist?« fragte vorlaut der BGL-Vorsitzende. »Die Diskussion wird dazu dienen, daß Sie die richtige Einstel1ung zu dem Kunstwerk finden!« Sorgenfrey wurde fast ärgerlich, blieb aber höflich, denn der Vertrag war noch nicht unterschrieben. Vier Monate später bereits wurde die schöpferische Diskussion über das fertige Werk zelebriert. Jetzt stellten sie erst mal fest: Das Bild hatte großes Format. 22 Quadratmeter. Auf dem unteren Teil breitete sich in acht Meter Länge und eineinhalb Meter Höhe eine spätbürgerliche Produktionslandschaft in voll entfalteter Apokalypse aus. Der Betriebsleiter setzte die Fernbrille auf, um zu entdecken, ob auch Kugellager mit an die Oberfläche kamen. Aber die nahmen mit vollem Recht den zukunftweisenden rechten Oberflügel in Anspruch, wo sie sich in langer Kolonne auf einer welligen Straße auf ein sperrangelweit offenstehendes Tor zuwälzten, hinter dem mächtige Schlote qualmten.
»Was rauf muß, wissen wir schon. ivlr können bloß nicht malen.<<
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>>Dauert's noch lange?<<
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»Bitte beachten Sie«, schwärmte Sorgenfrey, »daß die Kugeln in den Lagern ganz rechts noch nicht rund sind, sie werden nach links zu immer runder und symbolisieren so augenfällig die wachsende Qualität unserer Produktion. Und ganz in der fernen, aber schon erreichten Zukunft rollen die Produkte unserer Menschen in ein Atomkraftwerk hinein, das als Statussymbol der wissenschaftlich-technischen Revolution mit seinen Schloten wie mit siegesgewissen Fingern in den Himmel greift!« Der wie immer naseweise Begeeller räusperte sich: »Sie haben ein älteres Braunkohlenkraftwerk abgemalt.« Sorgenfrey war heute nicht zu beleidigen. »Wer, mein lieber Freund, von solchen naturalistischen Details nicht zu abstrahieren vermag, wird nichts Bleibendes schaffen können. Für mich war es 1 eine logische und künstlerische Konsequenz, daß die Kugellager in einem Atomkraftwerk und nur dort sich selbst realisieren können. Futuristisches Denken ist nuklear determiniert.« Bei der feierlichen Enthüllung des Bildes, das mit einem Tieflader seinen Bestimmungsort erreicht hatte, guckten die Werktätigen konsterniert. Sorgenfrey verbrauchte zu seiner Selbstentäußerung in fünfundzwanzig Minuten das gesamte Vokabular, das ihn als Modemen auswies, und hatte dann nicht mehr die Nerven, sich dem Maschinengewehrfeuer der Fragen zu stellen. »Wer ist denn das auf dem Pferd?« - »Hebt der mit dem dunkelgrünen Gesicht die tote Katze auf, oder schmeißt er sie weg?« - »Haste schon mal solche Kullern gesehen?« - »Soll das immer hier hängen bleiben, auch beim Essen?« - »Kann man davon leben, wenn man so was malt?« Und als gar ein älterer Brigadier seine jungen Kumpels in völliger Verkennung der Sachlage damit beruhigte, daß man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul gucke, verdrückten sich der Betriebsleiter und der Hauptbuchhalter mit einem unangenehmen Ziehen in der Magengegend. Sorgenfrey zog sich aus dem allgemeinen Tumult ebenfalls diskret zurück. Er fuhr nicht ohne Stolz nach Hause. Seine Schöpfung hatte nicht nur die materielle Basis stabilisiert. Sie hatte auch stürmische Diskussionen herausgefordert.
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Heinz Helm
I " Versammlung, A am Rednerpult A: Kollegen, ich komme nun zu Punkt 95 meiner grundlegenden Ausführungen: Die Beitragszahlung für die DSF. Wir mußten feststellen, daß bei einigen Mitgliedern Beitragsrückstände bis zu 4 Monaten bestehen. Kollegen, die Deutsch-Sowjetische Freundschaft ist uns nicht nur Herzenssache, sondern auch ein Lippenbekenntnis. B kommt herein. A: Was ist denn? B: Der Pförtner hat eben angerufen. Unten sind drei Russen. A: Das heißt nicht Russen, sondern Sowjetbürger. Was wollen sie denn? B: Der Pförtner sagt, er kann sie nicht verstehen. Sie sprechen sowjetisch. C: Das heeßt russisch! Wo wollen sie denn hin? B: Na, zu uns. D: Ach du meine Fresse, die kommen bestimmt wegen dem Export. C: Wieviel Planschulden haben wir denn? A: Dreihunderttausend. B: Deswegen kommen wahrscheinlich dreie, das macht eenen pro Hunderttausend! D: Ich gehe gleich mal runter in die Produktion. Die sollen sofort eine Selbstverpflichtung abgeben, ihre DSF-Mitglieder um 10 Prozent zu erhöhen. C: Aber die sind doch schon alle drinne! D: Du guck mal nach, ob 'n paar ihren Ausweis verbummelt haben, da könn' die wieder neue eingetreten werden. A: Quatsch! Das interessiert die drei da unten doch überhaupt nicht. C: Dann möchte ich wissen, weshalb du dich eben so aufgepustet hast. A: Mir schwant Schreckliches! Karl-Eduard, sag die Wahrheit! Hast du bei deiner letzten Dienstreise eine Sowjetfrau unsittlich berührt? Hast du dich dort so benommen, wie auf dem letzten Betriebsvergnügen? D: Nein. A: Na, was können die denn sonst noch wollen?
Der Parteichef von Suhl berichtet im Dezember im Politbüro, daß es in seinem·Bezirk keine Kohlen mehr gibt. »Und was macht die Bevölkerung da?« erkundigt sich Honecket. · »Sie friert.« »Es.ist doch bewundem·swert «, sagt Honecker, >>wie unsere Menschen sich immer wieder zu helfen wissen.« .
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B: Vielleicht kommen sie bloß wegen der Freundschaft. A: Los, Frieda, koche Kaffee. B: Die Russen trinken doch keinen Kaffee. A: Das heeßt nicht Russen, sondern Sowjetmenschen. Da kochste Tee. B: Sowjetischen? A: Russischen natürlich. Daß du mir keenen chinesischen kochst. Was stellen wir denn nun mit den Russen an? D: Siehste, jetzt sagst du's selber. A: Herrgott ja, aber mit so etwas hat doch kein Mensch gerechnet. C: Ich habs! Wir lassen sie nicht rein. D: Du spinnst wohl! C: Wieso? Es gibt eine Dienstanweisung, wonach Ausländer den Betrieb nur mit Genehmigung des Generaldirektors betreten dürfen A: Das kann man doch mit Freunden nicht machen! Wo ist der Generaldirektor? B: Auf Dienstreise in der Sowjetunion. A: Dann müssen wir sie eben auf der Straße empfangen. D: Freunde empfängt man nicht auf der Straße. Was willst du denn zu ihnen sagen? A: Ich? Wieso ich? Ich denke, du kannst russisch, von deinen Dienstreisen . D: Ja, aber nur die Speisekarten. Ich kann sie doch nicht mit »Soljanka, Soljanka!« begrüßen! Am besten, wir setzen uns mit ihnen ihn eine Kneipe mit hohem Niveau. C: Aufn Fernsehturm . A: Quatsch, da ham sie doch in Moskau een viel höheren. D: Dafür sind bei uns die Preise im Cafe höher. Das gleicht sich wieder aus. B (hat in Akten geblättert): Hier stehts. Die Dienstanweisung ist wieder aufgehoben. Also dürfen se rein. A: Das hat uns gerade noch gefehlt. Es klopft. C: Das sind sie. Wie heißt »herein« auf russisch? A (laut): Drushba! !! E kommt herein. • •
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> >Ich denke, du kannst russisch, von deinen Dienstreisen?(( >Ja, aber nur die Speisenkarten. ( Auch 1975 gab es wieder für Freunde der russischen Sprache Filme aus dem Bruderland.
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Wieso bläkst du denn russisch, wenn ich dich was fragen will? A: Mach mich nicht wahnsinnig! Jeden Moment können die Brüder - die Freunde kommen. E: Ach die! Die hab ich ins Klubhaus geschickt. Die waren eingeladen zu einem, zu einem Vortrag über Deutsch-Sowjetische Freundschaft. A: Gott sei Dank! Ich dachte schon, die wollen wissen, wie das bei uns in der Praxis funktioniert.
Nils Werner
1ail!s, tail!s Er ist natürlich nicht irgendwer, nicht irgendein kleiner Statist. Er ist Funktionär, Kultursekretär. Ein Preuße - und etwas Marxist ... In seinen Adern pulst Pflaumenmus, sein Wille ist schmiegsamer Kitt. Auf tönernem Fuß, nach obenhin Schmus, entfaltet er Stumpfsinn-Verschnitt. Bekämpft eine Glosse (mit Recht) den Mief, erhebt er sofort ein Geschrei: »Das Ding liegt schief! Zu negativ! Es freut nur die Gegenpartei!« Er ist im Amte und auf der Hut. Er ist für Satire, gewiß. Satire ist gut für Leute mit Mut. Doch er hat meistenteils Schiß. Er ist natürlich nicht irgendwer, nicht irgendein kleiner Statist. Er ist Funktionär, Kultursekretär. Ein Preuße - und etwas Marxist ...
>>Morjen, Herr Direktor I<<
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Edgar Külow
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Ein Amerikaner, ein · Franzose und ein · DDR-Bürger unterhalten sich, was ihr ·tollstes Erlebnis .. war. . .
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Der Amerikaner . .· sagt, sein tpllstes Erlebnis war ·ein MultiMillionen-Dollar Ge~ · schäft .. .. Der Franzose sagt, sein tollstes Erlebnis war eine Nacht mit ·einer .Schönheitskömgm. · Da sagt der ·DDR~ . · Bürger, mein.tollstes Erlebnis war, als · · morgens um fünf die Stasi bei ihm klingelte und fragte, .ob ·er · · Herr Müller sei und er·antworten konnte: Nein, der wohnt ein · Stockwerk höher. .
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Es gibt welche, die haben dauernd Pech. Der Genosse Bornschein, der war so einer. Dienstag früh fragt sein Parteisekretär: »Komm mal rein, warum warst du gestern nicht in der BPO-Versammlung?« Bornschein brach der kalte Schweiß aus: »Ich hab's glatt vergessen!« »Du hast in der Partei einige Male was vergessen. Ich hab mir deine Kaderakte angeguckt, und was les' ich da?« »Ich weiß, Genosse Parteisekretär, ich hab 'ne ganz miese Akte.« »Ja, Genosse Bornschein, du hast in den fünfziger Jahren, als die Partei das gar nicht wollte, Westverwandtschaft ersten Grades gehabt, bist Volkswagen gefahren und hast versucht, 'ne Datsche an der Ostsee zu erwerben!« »Ja«, sagte Bornschein, »es waren fürchterliche Jahre!« »Und dann?« lauerte der Parteisekretär. »Die Verwandten starben, die Datsche ließ ich sausen, den Volkswagen hab ich verkauft, in jeder Parteiversammlung hatten sie mich damals dran.« »Und heute?« »Was ist heute?« »Wir haben in der Leitung entsetzt festgestellt, daß einige Genossen genau wie du die schon vor Jahren initiierte neue Parteilinie nicht befolgen! Bei dir müssen wir konstatieren, daß du keine Datsche hast, weder Gemüse noch Obst anbaust, daß du keine Westverwandtschaft hast, daß du keine müde Westmark in den Intershop trägst!!! Ja, Genosse Bornschein, deine ideologische Unklarheit zieht sich wie ein roter Faden durch deine dreißigjährige Parteizugehörigkeit ... siehst du das ein?« »Natürlich sehe ich das ein, bloß ich habe mich ideologisch in der letzten Woche wirklich stark gebessert.« »Ah, hast du mal Marx und Lenin gelesen?« »Nee, aber ich hab über hunderttausend Westmark geerbt ... « »Mein Lieber, warum sagst du das nicht gleich?« »Eigentlich wollte ich ... in meiner jetzigen Situation ... also, ich wollte einen Ausreiseantrag ... « »Alter, du mußt doch dumm sein! Hier bei uns wohnen und genügend Westgeld haben, besser kann's dir doch gar nicht gehen!«
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»Aber ich kann ja leider nicht ... also, nach'm Westen kann ich ja nicht!« Der Parteisekretär kam immer mehr auf Touren. Es ging darum, über hunderttausend Westmark unserem Staat zu erhalten. »Genosse Bomschein, das machen wir doch, das machen wir doch alles .... willste in die Schweiz? Zieh deine Ausreise zurück, mach Urlaub im Westen, mach Arbeitsurlaub im Westen, aber bleib DDR-Bürger! Das machen doch schon mit großem Erfolg die Schauspieler und so weiter ... « »Ja«, sagte Bomschein, »ja.« Er holte sich einen Fiat, kaufte sich für Westgeld in Ahrenshoop ein Häuschen, lud die hohen Funktionäre und die Künstler ein ... Ach, in der DDR Kommunist sein, das ist manchmal verdammt schwer! Aber es kann natürlich auch unheimlich schön sein!
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Ein Vorurteil sei korrigiert: Der Pessimist, Kollegen, ist genaugenommen Optimist, nur besser informiert. Ernst Röhl
))Allen muß sie es herausposaunen, daß sie dieses Jahr wieder mit den Kindern ins Ausland reist!((
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1975
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1. Januar
Die Sonntagsausgaben aller DDR-Zeitungen werden aufgrund von Papiermangel eingestellt.
1.Januar
Die FDJ errichtet das Reisebüro >>Jugendtourist<< speziell für junge Leute.
15. Januar
Der VEB Transportable Wohnzellen schickt die ersten drei Wohnunterkünfte für die Unterbringung der Trassenbauer des Zentralen Jugendobjekts Drushba-Trasse in die Ukraine. 20. Januar Otto Winzer tritt als Außenminister zurück (t 3. März 1975). Oskar Fischer wird sein Nachfolger. 25. Januar-2. Februar Günter Mittag vereinbart auf einer Japanreise den Ausbau der Handelsbeziehungen. Die DDR erhält von Japan einen Kredit zum Bau des internationalen Handelszentrums in Berlin.
Ein Parteifunktionär läßt sich von einem japanischen Manager die Motivation für das hohe Arbeitsethos der Japaner erläutern. »Die Japaner arbeiten 3 Stunden für den Kaiser, 3 Stunden für Japan und 3 Stunden für sich.« Der Parteifunktionär erleichtert: »Genau wie bei uns in der DDR, nur haben wir keinen Kaiser, und Japan geht uns nichts an.« 28. Januar-2. Februar In Kopenhagen wird Christine Errath Europameisterin im Eiskunstlauf. 31. Januar
Nach Unterzeichnung des Protokolls für den Warenaustausch 1975 zeichnet sich ab, daß die Sowjetunion die Erdölpreise schrittweise steigern wird. Die Verbraucherpreise in der DDR bleiben stabil. 14.-16. Februar Wolfram Fiedler, Margit Schumann und B. Hahn/U. Hahn werden Weltmeister im Rennschlittensport in Hammarstrand (Schweden).
21. Februar
Christine Errath
1. März 2. März 13.-15. März
25. März
Ein neuer Film mit der beliebten Olsenbande aus Dänemark läuft an: >>Die Olsenbande läuft Amok << . Erstaufführung von Tennessee Williams' >>Endstation Sehnsucht<< in Leipzig. Gert-Dietmar Klause gewinnt als erster Mitteleuropäer den Wasalauf. Übergabe der Bauernkriegsgedenkstätte auf dem Mühlhäuser Kornmarkt. Richtfest fü r das Bauernkriegsdenkmal bei Bad Frankenhausen. In Ost-Berlin unterzeichnen Österreich und die DDR einen Konsularvertrag, in dem Österreich als erstes westliches Land die Existenz einer eigenen DDR-Staatsbürgerschaft anerkennt.
Zeittafel 1975 26. März 5.-6. April
Der Vorsitzende des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes Herbert Warnke stirbt. Sein Nachfolger wird Harry Tisch. Die 15. DDR-Juniorenmannschaftsmeisterschaften im Badminton finden in Dorfchemnitz statt.
14. April
Vertreter der DDR und der Essener Firma Krupp unterzeichnen eine Rahmenvereinbarung über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit.
17. April
DEFA-Filmpremiere >>Jakob der Lügner<< (DEFA/Fernsehen der DDR) nach Jurek Beckers Roman.
23. April
23.-25. April
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Die Festveranstaltung zum 150jährigen Bestehen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels findet in Leipzig ohne Vertreter der Bundesrepublik statt. 2000 Bauschaffende nehmen an der 6. Baukonferenz des ZK der SED teil. Schlußwort Erich Honecker: >>Unsere ganze Politik dient dem Wohle der Arbeiterklasse und aller Werktätigen.<<
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des Zentralkomitees: »Genossen, ich habe eine·· erfreuliche Mit· ·' " teillilig für euct1;' ab 1. Mai wird der Lebensstandard in derl}DR um fü:illzig Proient steigen;~ « »Um fünfzig Prozent, meinst du das im .
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25. April
27. April
Die DDR unterzeichnet ein Rahmenabkommen mit der Hoechst AG, das die Lieferung von drei schlüsselfertigen Chemiewerken bis 1979 vorsieht. Die erste DDR-Baukolonne der Drushba-Trasse erreicht Tscherkassy in der Ukraine.
Bei einem Moskau-Besuch bemerkt US-Präsident Gerald Ford, daß abends die Straßen menschenleer sind. Er fragt einen Passanten, wie das zu erklären ist. - »Ach wissen Sie, Herr Präsident, im letzten Jahr wurde Solschenizyn wegen seines Buches in den Westen abgeschoben. Seitdem sitzen die Leute nach der Arbeit zu Hause - und schreiben, schreiben, schreiben.«
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Mit der Besetzung Saigons durch Truppen des Vietcong endet der seit 1946 andauernde Krieg.
1. Mai
In Magdeburg wir das erste regionale Folklorezentrum, >>Zentrum Harzer Volkskunst<<, eröffnet.
6. Mai
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Als erste Westbanken dürfen Credit Lyonnais, Societe Generale sowie Banco Commerciale ltaliana in Berlin eine Dependance einrichten.
23. Mai
DEFA-Filmpremiere >> Till Eulenspiegel<< nach einer Vorlage von Gerhard und Christa Wolf mit Winfried Glatzeder in der Titelrolle. 23. Mai Die erste Müllverbrennungsanlage der DDR nimmt in Berlin-Lichtenberg den Betrieb auf. 6. Juni Egon Günthers Verfilmung des Thomas-Mann-Romans >>Lotte in Weimar<< mit Lilli Plamer, Martin Hellberg, Jutta Hoffmann und Rolf Ludwig läuft an. 19. Juni Die Volkskammer verabschiedet das Zivilgesetzbuch. Erlaß des Denkmalpflegegesetzes und des >>Gesetzes über die Bearbeitung von Eingaben der Bürger<<. 26. Juni DEFA-lndianerfilmpremiere >>Blutsbrüder<<. 30. Juli/1. August Während der Abschlußphase der KSZE kommen Erich
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Winfried Glatzeder
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Honecker will Urlaub machen und fragt Helmut Schmidt, ob er ihn nicht vertreten könne. Schmidt ist einverstanden und fragt, ob es Probleme gäbe, die er in dieser Zeit lösen könnte. Honecker nennt erstens das Versorgungsproblem, zwei.tens das Wohnungsproblem und drittens: »Es gehen immer noah zu viele SED- · Genossen in die Kir~ ehe.« Nach drei Wochen kehrt Honecker · zurück und fragt · Sc.hmidt: »Hast du meine Probleme lösen können?« . Schmidt antwortet: »Das war ganz leicht. Versorgungsproblem . gelöst - Ostgrenze ·geschlossen. Woh:nungsproblem gelöst - Westgrenze geöff- · net. « - »Und das Kir- · chenproblem? « fragt ·Honecker·erstaunt. »Das war ganz leicht. Ich habe in allen Kirchen dein Bild aufhängen lassen, seitdem läßt sich da keiner mehr sehen.« .
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Honecker und Bundeskanzler Helmut Schmidt erstmals zu Gesprächen zusammen. 1. August Unterzeichnung der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki durch 35 Staaten. 20.-25. August WM-Titel für Klaus Grünkeim 1000-m-Zeitfahren und Thomas Huschke im 4000-m-Einzelverfolgungsfahren bei den WM im Bahnfahren in Lüttich-Rocourt (Belgien). 27. August 3. September
Stapellauf des größten DDR-Fährschiffs, >> Mukran <<. Die DDR bricht für anderthalb Jahre ihre diplomatischen Beziehungen zu Spanien ab, weil dort Todesurteile gegen Regimekritiker erlassen wurden. 15.-23. September Peter Wenzel (Mittelgewicht) wird Weltmeister im Zweikampf bei der WM im Gewichtheben in Moskau. 19.-26. September Bei den 3. Tagen des sozialistischen Films im Bezirk KarlMarx-Stadt wird der sowjetische Spielfilm >>Kalina Krasnaja<< von und mit Wassili Schukschin erstmals in der DDR gezeigt.
22. September Die Klaus Renft Combo wird verboten. 24. September Die Einwohnerzahl Jenas erreicht die 100000-Grenze, womit Jena zur 14. Großstadt der DDR wird. 6.-13. Oktober Erich Honecker weilt in Moskau. Der zweite >>Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand<>Grundlagen der sozialistischen Persönlichkeitsentwicklung junger Arbeiter und Studenten<< in Leipzig. 11. Oktober In den Berliner Kammerspielen hat Peter Hacks' >>Jahrmarktsfest zu Plundersweilern<< mit Eberhard Esche, Cox Habbema und Dieter Franke Premiere. 13.-17. Oktober Besuch einer Delegation des Deutschen Sportbundes der Bundesrepublik unter Leitung seines Präsidenten Willy Weyer in der DDR. 15. Oktober
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28. Oktober
Zeittafel 1975
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30. Oktober
Uraufführung von Heiner Müllers >>Die Schlacht<< an der Berliner Volksbühne, Regie: Karge/Langhoff. 7. November Monika Hauff und Klaus-Dieter Henkler erhalten beim Internationalen Chansonwettbewerb in Paris den >>Grand prix de Paris<<. 14.-20. November Festtage der DDR-Dramatik in der Sowjetunion. 120 Theater stellen Inszenierungen vor. 26. November Anna Seghers erhält anläßlich ihres 75. Geburtstages des Kulturpreis des Weltfriedensrates. 1.-6. Dezember Die RGW-Staaten beschließen in Budapest ein Langzeitprogramm über den Ausbau des Straßennetzes. Die Autobahnen Berlin-Warschau-Moskau und Rostock-Berlin-PragBudapest-Bukarest sollen gebaut werden. 2.-13. Dezember Die DDR-Hallenhandball-Frauenmannschaft wird Weltmeister.
15. Dezember
Günter Guillaume wird in Düsseldorf wegen Spionage für die DDR zu 13 Jahren Haft verurteilt.
16. Dezember
Der Korrespondent des Nachrichtenmagazins >>Der Spiegel<< in Ost-Berlin, Jörg Mettke, wird wegen grober Verleumdung aus der DDR ausgewiesen. Er hatte in einem Artikel über >>Zwangsadoption<< von Kindern berichtet, deren Eltern in den Westen geflüchtet waren.
19. Dezember
Vereinbarung zwischen BRD und DDR über Verbesserung im Berlin-Verkehr, u.a. Sanierung der Autobahn Berlin-Marienborn. 1975 verlassen 16 285 DDR-Bürger das Land.
Oberl iga-Plazierung
1975 1. 1. FC Magdeburg 2. FC Carl Zeiss Jena 3. SG Dynamo Dresden 4. BFC Dynamo 5. FC Vorwärts Frankfurt/O. 6. Stahl Riesa 7. Sachsenring Zwikkau 8. 1. FC Lokomotive Leipzig 9. FC Rot-Weiß Erfurt 10. FC Karl-Marx-Stadt 11. Hallescher FC Che• m1e 12. Wismut Aue 13. FC Hansa Rostock 14. Vorwärts Stralsund
Sportler des Jahres:
Fernsehlieblinge:
neue Bücher:
große Hits:
Kornelia Ender Schwimmen
Monika Hauff/ KlausDieter Henkler, Susan und Emöke, Helga Göring, Gisela May, Ingeborg Krabbe, Marianne Wünscher, Angelica Domröse, Maria Moese, Nina Hagen, Regina Thoss, Agnes Kraus; Walter Richter-Reinick, Reiner Süß, Heinz Fülfe, Rolf Herricht, Hans-Joachim Wolfram, Herbert Käfer, Heinz Schröder, Frank Schöbe!, Andreas Holm, Hans-Jürgen Beyer, Armin MuellerStahl
Fred Wander >>Ein Zimmer in Paris<<
>>Nach der Schlacht<< Renft
Günter Kunert >>Der Mittelpunkt der Erde<<
>>Mir doch egal<< Reinhard Lakomy
Hermann Kant >>Eine Übertretung<<
Veronika Fischer
Roland Matthes Schwimmen Europapokal-Mannschaft der Leichtathletinnen
Torschützenkönig der Oberliga: Hans Vogel vom FC Chemie Halle mit 17 Treffern
>>Nie zuvor<< Karl-Hermann Roehricht Brot und Salz >>Vorstadtkindheit<< >>Auf der Wiese<<
Klaus Schlesinger >>Alte Filme<< Kurt Bartsch >>Kalte Küche<<
Rote Gitarren >>Anna Maria<< >>Die Liebe ist ein Haus<< Regina Thoss
>>Doch ich wollte es Gert Prokop wissen<< >>Der Tod des Reporters<< Kreis •
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Zeittafel 1976
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1976 1. Januar
Das Zivilgesetzbuch tritt in Kraft.
6. Januar
Sieger der Internationalen Vierschanzentournee BRD/Österreich wird Jochen Danneberg aus Halberstadt.
14. -16. Januar Die Direktive zum IX. Parteitag sowie der Entwurf des neuen Parteistatus werden veröffentlicht.
Franz Fühmann
»Hast du schon gehört? Ein SP.ortwa- . genmodell Trabant kommt auf den·
21. Januar
Ehrung der Akademie der Künste zum 200. Geburtstag von E. T. A. Hoffmann. Laudator ist Franz Fühmann.
26. Januar
Als Menschenhändler wird Rainer Schubert aus West-Berlin zu 15 Jahren Haft verurteilt.
4.-15. Februar
Olympische Winterspiele in Innsbruck. Medaillenbilanz: siebenmal Gold, fünfmal Silber, siebenmal Bronze.
4. Februar
In Reaktion auf die Ankündigung der französischen Kommunistischen Partei, den Begriff >>Diktatur des Proletariats<< aus dem Programm zu streichen, betont die DDR: >>Wir sprechen von unserem Staat als einer Form der Diktatur des Proletariats. Die Arbeiterklasse kann die sozialistische Ordnung nicht schaffen, wenn sie nicht die Macht dazu hat.<<
12. Februar
DEFA-Filmpremiere >>Hostess<< von Rolf Römer mit Annekathrin Bürger.
14. März
Auf der Leipziger Messe ist nach der DDR die Bundesrepublik, nicht mehr die Sowjetunion, größter Aussteller.
30. März
Regierungsabkommen zwischen der DDR und der BRD zum Post- und Fernmeldewesen.
30. März
Uraufführung von Peter Hacks >>Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe<< im Staatsschauspiel Dresden.
12.April
Das Fernsehen zeigt die erste Folge des Mehrteilers >>Daniel Druskat<< nach dem Roman von Helmut Sakowski.
25. April
Der Palast der Republik wird für die Öffentlichkeit zugänglich; auch Eröffnung des Theaters im Palast mit der PolitRevue >>Salut an alle - Marx<< und der Galerie mit 16 Gemälden u. a. von Tübke, Mattheuer, Womacka, Paris im Hauptfoyer.
25. April
Der Allgemeine Deutsche Motorsportverein führt Autocross als Meisterschaftssportart ein.
Markt!« . · . ·
»Nö, wie sieht denn der·aus?« . · »Mit Turnschuhen im ·Handschuhfach.« ·. .
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Zeittafel 1976 30. April
Bei der EM im Segeln (Soling-Klasse) sichern sich Dieter Below/Olaf Engelhardt/Michael Zachries den EM-Titel in Genf (Schweiz).
30. April
Der Internationale Jugendcampingplatz am Leipziger Auensee wird übergeben.
9. Mai
Christina Brehmer läuft in Dresden über 400 m Weltrekord; Angela Vogt stellt einen Weltrekord im Weitsprung auf.
13. Mai
DEFA-Filmpremiere >>Das Licht auf dem Galgen<< nach einer Erzählung von Anna Seghers; mit Alexander Lang, Erwin Geschonneck und Jürgen Holtz.
18.-22. Mai
Der IX. Parteitag der SED findet im Palast der Republik statt. Ein neues Programm und ein neues Parteistatut werden angenommen. Das Wohnungsbauprogramm wird zum Kernstück der Sozialpolitik erklärt. Erich Honecker wird zum Generalsekretär der Partei gewählt, Erich Mielke wird Mitglied des Politbüros.
27. Mai
Beschluß des ZK und FOG B über die >>Weitere planmäßige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen<<. 42-Stunden-Woche für Schichtarbeiter, 43 % für alle anderen.
30. Mai
Was haben die DDR und die Schweiz gemeinsam? Beide bestehen aus Bergen und Engpässen.
Jürgen Holtz
Heiner Müllers 1961 verbotenes Stück >>Die Umsiedlerin<< wird unter dem Titel >>Die Bauern<< an der Berliner Volksbühne aufgeführt, Regie: Fritz Marquardt.
30. Mai
Eröffnung der Ausstellung >>Junge Künstler der DDR 1976<<.
5. Juni
Die Schwimmerin Ulrike Richter erreicht in Berlin über 100 m Rücken eine neue Weltrekordleistung.
29./30. Juni
In Ost-Berlin treffen sich 29 Delegationen von kommunistischen und Arbeiterparteien Europas.
Jemand fragt einen guten Freund: »Sag mal ehrlich, was hältst du von dem Honecker?« Der Gefragte sieht sich um, führt den anderen aus der Kneipe durch mehrere dunkle Gassen in eine leere Straße. Dort sieht er sich noch mal um und antwortet schließlich leise, in das Ohr des Freundes flüsternd: »Find ihn gar nicht so schlecht.« 9.-11. Juli
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Nun muß man tatsächlich auf ein Auto nur noch 4 Tage warten: Einen Tag Anmeldung und drei Parteitage.
Bei der 1000-Jahrfeier von Altenburg werden über hundert Jugendliche wegen angeblicher Randale festgenommen.
17. Juli - 1. August XXI. Olympische Sommerspiele in Montreal. Die DDRFußballelf holt Gold, ebenso Waldemar Cierpinski im Marathon. Die DDR gewinnt insgesamt 40 Goldmedaillen. 30. Juli
Die Mindestlöhne in der DDR werden von 350 auf 400 DM erhöht.
18. August
Der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz aus Zeitz verbrennt sich, um gegen die DDR-Regierung zu protestieren.
Waldemar Cierpinski
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Ein Offizier kommt aufgeregt zu Breshnew: »Genosse Generalsekretär. Auf dem Roten Platz sind mindestens hunderttausend Leute!« - »Ja, und? Das sind Touristen.« - »Genosse Generalsekretär, sie sitzen alle auf dem Boden!« - »Sie wollen sich wahrscheinlich ausruhn. « »Genosse Generalsekretär, sie habe alle ihr Essen ausgepackt!« - »Sie werden Hunger haben, was ist daran so schlimm?« - »Nichts, Genosse Generalsekretär, aber sie essen mit Stäbchen.«
Zeittafel 1976 26. August
DEFA-Filmpremiere >>Die Leiden des jungen Werthers<< mit Katharina Thalbach (DEFA/Fernsehen der DDR).
26.-28. August Zum fünften Mal geht der Europapokal im Wasserspringen der Männer an die DDR-Mannschaft - in Edinburgh. 6. September
Als erster hochrangiger Politiker der DDR trifft Außenminister Oskar Fischer in Großbritannien zu einem offiziellen Besuch ein.
9. September
In Peking stirbt Mao Tse-tung.
15. September Während des Fluges von >>Sojus 22 << machen die Kosmonauten mit der Multispektralkamera MKF 6 Fotos von der Erdoberfläche. Die MKF 6 ist bei Carl Zeiss in Jena konstruiert worden. 20.-26. September Am 1. Puppentheaterfestival in Magdeburg nehmen 350 Puppenspieler aus der DDR, der UdSSR, Bulgarien und Polen tei 1. 24. September Die DEFA-Komödie >> Nelken in Aspik << mit Armin MuellerStahl und Eberhard Cohrs hat Premiere. 29. September Der Lessing-Preis wird an Hermann Kahler und Heiner Müller verliehen. 5. Oktober
In einem Interview mit einem französischen Fernsehsender betont Leonid Breshnew, daß die Sowjetunion durch internationale Bestrebungen der USA-Politik zur Verteidigung gezwungen und >>mit einem zügellosen Wettrüsten konfrontiert<< ist.
Breshnew bekommt Besuch von seiner Mutter. Er führt sie durch . den Kreml, zeigt sein Büro, seine Wohnung, sein Auto. Er fliegt mit ihr nach Sotschi, zeigt ihr Datsche und Swimmingpool. »Schön, schön, Jungchen«, sagt seine Mutter, »aber was machst du, wenn die Roten ko~men?« · · .· ·'·· . ·· · . .
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7. Oktober
Angelica Domröse und Hilmar Thate erhalten den Nationalpreis der DDR.
11. Oktober
Am Deutschen Theater hat >>Die Insel <<, ein Zweipersonenstück des Südafrikaners Athol Fugard mit Alexander Lang und Christian Grashof, Premiere.
13. Oktober
Unterzeichnung des Abkommens über kulturelle Zusammenarbeit zwischen der DDR und Dänemark.
14. Oktober
DEFA-Filmpremiere >>Beethoven - Tage aus meinem Leben << nach einer Vorlage von Günter Kunert.
17. Oktober
Wahl der 7. Volkskammer.
29. Oktober
Horst Sindermann, bisher Vorsitzender des Ministerrates, wird zum Präsidenten der Volkskammer, Erich Honecker zum Vorsitzenden des Staatsrates und des Verteidigungsrates und Willi Stoph zum Vorsitzenden des Ministerrates gewählt.
1. November
Erstmals verkehrt der Städteexpreß Gera-Leipzig-Berlin.
Günter Kunert
Zeittafel 1976
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3. November
Der Schriftsteller Reiner Kunze wird wegen des Erscheinens seines Buches >>Die wunderbaren Jahre<< in der BRD aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen.
11. November
Für den Export von Getreide aus den USA dürfen DDR-Schiffe erstmals in US-Häfen einlaufen.
16. November
Während einer Tournee des Liedermachers Wolf Biermann durch die Bundesrepublik beschließt das Politbüro der DDR dessen Ausbürgerung.
17. November
Petition von Künstlern und Intellektuellen gegen die Bierman.n-Ausbürgerung.
19. November
In Dessau wird die Rekonstruktion des Bauhauses nach den von Walter Gropius 1925 entworfenen Plänen abgeschlossen.
26. November
Robert Havemann wird unter Hausarrest gestellt.
15. Dezember
Beschluß des Fünfjahrplanes 1976-80.
18. Dezember
Der Sowjetdissident Wladimir Bukowski wird gegen den chilenischen KP-Sekretär Luis Corvalan ausgetauscht.
21. Dezember
22. Dezember
Das >>Neue Deutschland<< berichtet über die Regierungserklärung von Bundeskanzler Schmidt vom 15.12. Im Widerspruch zu abgeschlossenen Verträgen wären Positionen der Souveränitat der DDR zurückgenommen worden. Der ARD-Fernsehkorrespondent Lothar Loewe wird aus der DDR wegen Diffamierung des Volkes ausgewiesen, man schieße >>auf Menschen wie auf Hasen<<.
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31 . Dezember
Im Weihnachtsprogramm laufen erneut Folgen des Mehrteilers >>Das unsichtbare Visier<<. >>Ferien ohne Ende<< - der erste Maxe-Baumann-Schwank wird ausgestrahlt. Bis 1982 läuft immer zu Silvester eine neue Folge.
1976 verlassen 15 188 DDR-Bürger das Land.
Sportler des Jahres: Kornelia Ender Schwimmen Waldemar Cierpinski Marathonläufer Fußball-Olympiamannschaft Torschützenkönig der Oberliga: Hans-Jürgen Kreische von der SG Dynamo Dresden mit 24 Treffern
Fernsehlieblinge: Von 1976 bis 1979 werden keine Fernsehlieblinge gekürt.
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neue Bücher: Jurek Becker >>Der Boxer<< Juri Brezan >> Krabat<< Joachim Nowotny >>Ein gewisser Robel << Christa Wolf >>Kindheitsmuster<< Erwin Strittmatter >>Die blaue Nachtigall<< Sarah Kirsch >>Rückenwind. Gedichte<<
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große Hits: >>Lebenszeit<< Puhdys >>Suche ein Zimmer<< Karat >>Wasser und Wein<< Lift >>Gartenparty<< Gruppe WIR >>Daß ich eine Schneeflocke wär<< Veronika Fischer >>Wenn der Abend kommt<< Holger Biege
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Nachweise Die Karikaturen stammen von: Horst Alisch: 88, 94 Peter Bauer: 61 Heinz Behling: 41, 50, 59, 109, 111, 113 Henryk Berg: 39 Manfred Bofinger: 8, 15, 16, 26, 51, 65, 81, 87, 117 Henry Büttner: 53, 81, 97, 99, 103 Peter Dittrich: 75 Barbara Henniger: 32, 43, 47, 69, 105, 119 Heinz Jankofsky: 24, 30, 91, 103, 114 Kurt Klamann: 63 Harald Kretzschmar: 120, 121, 124, 125, 126 Lothar Otto: 21, 35, 91 HarriParschau: 23, 60,67, 79, 86, 90, 101 , 103, 111 Kurt Poltiniak: 71 Louis Rauwolf: 37, 77, 91 Horst Schrade: 83 KarlSchrader: 12, 17, 18, 19, 42, 46, 106 Klaus Vonderwerth: 38 Fotos: DEFA-Siftung/Meister, Rudolf: 25 Klaus Winkler: 28, 29, 57 Für die freundliche Genehmigung zum Abdruck der Texte danken wir den Autoren, Zeichnern und Erben. Nicht in allen Fällen ist es uns gelungen, Rechteinhaber und Rechtsnachfolger zu ermitteln. Berechtigte Honoraransprüche bleiben gewahrt.
Impressum Besuchen Sie uns im Internet:
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