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Die Jahre 1953-1954: Beim Barte des Propheten
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Weltbild
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Harald Kretzschmar: Jeder 'n Kopp für sich
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1. Kapitel: Beim Barte des Propheten
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Renate Holland-Moritz Ausnahmen Gerhard Rutsch Immer wieder dasselbe Edgar Külow Die Mongolen Ralph Wiener Der Gast Hansgeorg Stengel Besuch von drüben Lothar Kusche Zwei Frauen um Norbert Feder Rudi Strahl Die Struktur meiner Persönlichkeit ••
2. Kapitel: Alles zum Wohle des Volkes Humorvolles aus dem Alltag
Fritz Bernhard Das Elektroöfchen Hans-Joachim Stein Die Wunderschreibmaschine John Stave Der Kai"Pfen Ottokar Nils Werner Der Konsum kimmt Paul Schwarz Ein morsches Faß hält selten dicht Eva Salzer Alfons und sein Motorrad Renate Holland-Moritz So wat Jemeinet! Wolf D. Brennecke Der Mann, der kein Trinkgeld mehr geben wollte Fritz Bernhard Der Mieterschreck
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Inhalt .
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John Stave
Wir hatten mal Durst 3. Kapitel: Lernen, lernen, nochmals lernen Als wir Schüler und Pioniere waren
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Fritz Bernhard
Der Kre11zwortonkel
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Renate Holland-Moritz
Ansprache eines betrogenen Vaters
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Jo Schulz
Jugendfrage
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John Stave
Vater wird das Kind schon schaukeln!
53
Alfred Brandl
Der Gewinner
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B. Idamann
Auf dem Heimweg 4. Kapitel: Was des Volkes Hände schaffen Wir Werktätigen in Stadt und Land
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Erich Brehm Frühjahr
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Hansjoachim Riegenring
Menschen auf dem Holzweg
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Ulrich Speitel
Der Mann mit dem Fahrrad
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Erich Brehm
Auf der Höhe 5. Kapitel: Heißer Sommer Von Ostseestrand, Datsche und Jugendclubs ...
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Erich Hanko
Wieder daheim
70
Fritz Bernhard
Die Eigenbaukapelle
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Rudi Strahl
Schrebergartensommer
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Lothar Kusche
Abenteuer im Zauberladen
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Erich Hanko
Wolkig bis heiter
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Inhalt
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6. Kapitel: Höher, schneller, weiter! Sportlich sportlich
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Hansjoachim Riegenring
84
Kaum zu glauben Erwin F. B. Albrecht Der Kampf mit den Brettern Achim Fröhlich Auf der Kippe zum Ruhm
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7. Kapitel: Unter vier Augen Über Verliebte und Verheiratete
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88
Heinz Fischer
Spaziergang mit Ziege Hans-Joachim Stein Liebesbriefe eines Gartenfreunds Rolf Pester Der blaue Tag Erich Brehm Oskar und Lenchen Hansjoachim Riegenring Amor unterm Kanapee 8. Kapitel: Wo wir sind, ist vorn! Es geht seinen sozialistischen Gang
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Hans Krause
Wie hätten Sie's denn gern? Nils Werner Kleine Kundendienst-Romanze John Stave Verkehrsmittel der Zukunft Edgar Külow Advent Lothar Kusche Alter Mann -was nun? John Stave Im Zusammenhang Achim Fröhlich Ich bin gestorben Zeittafel Rechtlich es
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Ein kollektives Korsett
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Das Porträtieren von prominenten Personen hat im Tätigkeitsfeld des Humors immer einen Platz gehabt. Zumal mit etwas Ironie und Satire gewürzt schnell ein charakteristisches Bild dabei herauskommt. Aufs Wesentliche verknappte Gesichtszüge bringen den mit Aha hinlänglich beschriebenen Effekt hervor. Es war nur eine Wiederbelebung einer guten Tradition, als so peu a peu das Karikieren von Köpfen im Lande DDR zunehmend in Mode kam. Am Anfang ohne Unterschied der Person, also politische Promis inklusive. Im Zuge der Verfestigung aller Strukturen verabschiedeten sich allerdings die führenden Politniks von dieser probaten Methode, sich beliebt zu machen, bei der man nur sein wertes Antlitz der Erheiterung preisgibt. Spätestens seit Rückzug ins Ghetto von Wandlitz waren sie tabu dafür. Zum Ausgleich durfte die Prominenz aus der bürgemahen Kulturszene eine wahre Orgie der ironischen Verherrlichung mittels Gesichtsstenografie erleben. Ein förmlicher Wettlauf setzte ein. Wer keine Porträtkarikatur vorzeigen konnte, mußte sich zweitklassig fühlen. Der Top-Kameramann der DEFA, Werner Bergmann, brachte es auf den Punkt: »Von Kretzschmar karikiert zu werden, ist wichtiger als ein Nationalpreis.« Damit hob er nur den Künstler hervor, der die Mehrzahl der in Presse und Literatur gedruckten treffenden Konterfeis hergestellt hatte. Elizabeth Shaw und Herbert Sandberg hatten das originelle Genre begründet, und auch Leo Raas und Rolf Kiy, Otto Damm und Gerhard Bläser, Harri Parschau und Horst Alisch taten sich darin hervor. Jeder hatte seine individuelle Methode des humorvoll zugespitzten Gesichterzeichnens. Und die Modelle erst - sie waren immer ein wahrer Ausbund von verschiedenartigem Aussehen, von besonderer Mentalität und extremem Temperament. Ein merkwürdiger Widerspruch in einer Gesellschaft, der ein kollektives Korsett verpaßt werden sollte. Dieses Phantom bemüht man heute offiziell gern als Tatsachenbehauptung. Vergebens, liebe Geschichtsfälscher. Dem war nicht so. Das versichert Ihnen der zeichnende Gesichterentdecker vom Dienst Harald Kretzschmar
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Beim Barte des Propheten 1
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Renate Holland-Moritz
Keiner sage, es sei belanglos, womit ein Herr eine soeben kennengelernte Dame beim Tanz unterhält! Die jahrzehntealten Floskeln vom besonders glatten Parkett, dem minderwertigen übrigen Publik11m und (etwas später) von der schwülen Luft im Saal ziehen nicht mehr. Wir sind moderne Frauen und verlangen Originalität. Außerdem sind wir gleichberechtigt und kennen den Dreh. Der Herr, mit dem ich neulich tanzte, war keiner von denen. Im Gegenteil. Männlich-kraftvoll drückte er mich beim Slowfox an sich, sah mir tief in die Augen und fragte: »Welchen Film haben Sie zuletzt gesehen?« Diese Art kannte ich noch nicht. Wollte er anspielen? Wenn ja, worauf? Trotzdem antwortete ich wahrheitsgemäß: »Treffpunkt Aimee.« - »Und?« fragte er. »Miserabel«, antwortete ich. »Na ja«, sagte er, »DEFA, Nach unserer dritten Flasche Sekt altes Thema. Lohnt sich schon gar nicht mehr. Bis hatte die Bardame Feierabend. auf die Ausnahmen.« Wir empfanden unsere Seelengemeinschaft. Für ihn Anlaß genug, nunmehr Sekt zu bestellen. »Wissen Sie«, sagte er nach dem ersten Glas, »die meisten Mädchen in Tanzlokalen sind Konsum-Konfektion: doof, langweilig und von gestern. Sie haben weder von irgendwas eine Ahnung noch zu irgend etwas eine Meinung.« Er trank mir zu. »Auf die rühmlichen Ausnahmen«, kommentierte er galant. Er war ein Mann, wie er in Frauenzeitschriften gebacken wird: Er plauderte geistvoll, flirtete mit Takt und Anstand, trank wie ein Seemann, tanzte wie Fred Astaire und sah aus wie Marlon Brando. Ich kann nicht verhehlen, daß ich voller Stolz auf meine Errungenschaft blickte. Im Laufe des Abends wälzten wir noch viele gewichtige Probleme. Wir verstanden uns als unerbittliche Gefährten im Kampf gegen den Bürokratismus, verurteilten gemeinsam Heuchelei und Karrierismus, zogen zu Felde gegen Dogmatismus und Personenkult und wünschten dem Geld, das in unserem Staat noch für so mancherlei zum Fenster hinausgeworfen wird, eine bessere Verwendung. Es geschah nicht zum erstenmal, daß ein Mensch diese meine Anschauungen teilte. Aber ER war sogar Mitarbeiter des Staatsapparates, nämlich Abteilungsleiter in irgendeinem Ministerium. Das imponierte mir.
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Beim Barte des Pro heten
Gleich morgen würde ich meinen Kollegen im Büro erzählen, daß die Leute in der Regierung genauso denken und reden wie • wrr. Nach unserer dritten Flasche Sekt hatte die Bardame Feierabend. Weil wir sie nicht um ihre verdiente Tagesruhe bringen wollten, verabschiedeten wir uns. »Was nun?« fragte ich, denn meine erste S-Bahn fuhr noch nicht. Ein Taxi wollte ich ihm nach dem teuren Sekt nicht zumuten, ich wohne ein bißchen weit. Aber der gestrenge Kritiker der Bürokraten und Verschwender hatte vorgesorgt. Mit konspirativem Augenzwinkern flüsterte er mir zu: »Ich bringe dich wohlbehalten nach Hause, mein Dienstwagen steht vor der Tür.« Die Wirkung des Sekts war im Nu verflogen. »Ich möchte nicht«, bemerkte ich unangenehm betroffen, »daß Sie sich des Deliktes der Trunkenheit am Steuer schuldig machen.« »Aber Kind«, sagte er väterlich-milde, »wo werde ich denn gegen unsere demokratische Gesetzlichkeit verstoßen! Im Wagen wartet natürlich der Fahrer!«
Tisch und Stühle. Ein Herr im Hintergrund, ein anderer betritt den Raum und sieht sich unentschlossen lJm. 1: Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen, mein Herr? 2: Ja weischt, isch mescht net z'lange bleibe. 1: Entschuldigen Sie, wäre es nicht viel bequemer für Sie? 2: Sehr freindlich. Ha lass'n Se no. Vielleicht gewe Se mir e Katalog. 1: Katalog??? Wieso? 2: (weist auf die Bilder) 1: Ach so! Das ist doch unser Präsident, das unser Kulturminister, dort unser Ministerpräsident, das der Minister für Handel und Versorgung und das dort ist unser stellvertretender Ministerpräsident. 2: Danke schön, Herr Auschstellungsleiter! 1: Ausstellungsleiter?? - Ich bin der Objektleiter dieser HOGaststätte.
Gerhard Rutsch
Worin besteht der Unterschied zwischen der Theorie und der Praxis im
Marxismus-Leninismus? Theorie ist, wenn man alles weiß und nichts funktioniert. Praxis ist, wenn alles funktioniert und keiner weiß, warum.
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Beim Barte des Propheten
Edgar Külow
Es war kurz vor Pfingsten, als im VEB Handbesamungstechnik »Lotte Ulbricht« in Königs Wusterhausen ein Ferngespräch aus dem Ministerium für künstliche Besamung und Motorradzubehör für gewaltige Aufregung sorgte. Dem Betrieb wurde mitgeteilt, daß am kommenden Mittag eine Delegation aus Ulan Bator zu einem Freundschaftsbesuch in Königs Wusterhausen eintreffen würde. Der Hauptbuchhalter raste wie von der Tarantel gestochen durch die Halle und schrie: »Die Mongolen kommen! Die Mongolen kommen!« In der Parteileitung sagte der Sekretär: »Genossen! Das ist eine hohe Ehre für unsere Parteiorganisation. Immerhin kommt der 1. Sekretär der Kreisleitung mit, und ihr wißt, was das für ein scharfer Hund ist. Der war schon drei Mal in Moskau auf dem Roten Platz und hat im Mausoleum mit dem toten Lenin gesprochen. Also, erst mal raus mit den Transparenten >Es lebe der Genosse Stalin<.« Der Chor sang zum dritten Mal Suliko, der Chor»Der ist doch auch schon tot!« leiter dirigierte dazu Stille Nacht, heilige Nacht. »Na, um so besser. Zwei Mann mit dem Kleintransporter in die PatenLPG und einen Hammel aufreißen! - Willi, du warst doch schon mal in der Mongolei? Was trinkt man da so?« »Na, Wodka. Und Stutenmilch.« »Haben wir Wodka?« »Hektoliter.« »Haben wir eine Stute?« »Die dicke Semmelrogge.« »Laß die Witze, Harschte. Es geht um unsern Kopp. Die sprechen doch Russisch in der Mongolei?« »Nein, Mongolisch.« »Aber die haben sicher einen Dolmetscher mit. Ach, übrigens: Die bringen für den Werkdirektor den >Suche-Bator-Orden< mit. Wrr müssen den Anführer von den Mongolen auch hoch deko• neren.« »Aber wie willst du auf die Schnelle einen hohen Orden herkriegen, ja - Eugen?« »Ich habe von meinem verstorbenen Schwager - der war doch Panzerfahrer in Afrika - noch ein Ritterkreuz liegen.« '>>Nee, das geht nicht!«
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Beim Barte des Pro heten
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»Das geht. Tun wir in eine rote Mappe, erkennen die gar nicht. Und unser Volkskunst-Ensemble, die kriegen so viel Geld, die sollen gefälligst was Russisches singen!« »Das Kälbchen sitzt am Weiher und summt ganz leis das Lied vom Don und vom Kosaken.« Am nächsten Mittag spuckte ein Bus 28 Mongolen aus. Jeder bekam ein Wasserglas voll Wodka und eine Flasche Bier zum Empfang. Der Werkleiter begrüßte seine Gäste und wunderte sich, daß der Dolmetscher offenkundig sehr gut Mongolisch, aber sehr schlecht Deutsch sprach. Trotzdem begann er: »Liebe Freunde, wir haben uns ... « Die Freunde schrien: »Urrah! « »... wir haben uns sehr gefreut.« Die Freunde schrien: »Urrah! « Der Werkleiter schnäuzte sich: »Mein Gott, das geht aber blöde los!« Die Freunde schrien: »Urrah! « Da gab er es auf und lud zum Hammelessen ein. Die 28 Gäste übergaben 28 Ein7Liter-Flaschen Alkohol. Das erste Glas wurde
Auch die Tagespresse bildet die > >vier Klassiker<
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von allen auf die DDR geleert, das zweite auf die Mongolei, das dritte auf die Sowjetunion, das vierte auf Täve Schur, das fünfte auf die DDR, das sechste auf die Mongolei - und alles im Minutentakt, sechsundneunzigprozentiger Wodka! Die erste, die schon beim dritten Glas umfiel, war die Genossin Sirupkovic vom Betriebsfunk. Viele folgten ihr. Nach dem sechsten Glas sang der BGLer »Bomben auf Engeland« und trank aus einer Bodenvase fünf Liter Blumenwasser nach. Der Kampfgruppenkommandeur wollte vom Dolmetscher unbedingt wissen, ob es stimme, das die Mongolinnen sie quer sitzen hätten? Der Kreissekretär wollte wissen, natürlich ganz vertraulich, ob die Mongolei eine Atombombe besitze? Als der Dolmetscher bejahte, lud er ihn zu sich nach Hanse ein, nachdem er ihm erklärt hatte, daß bei einem Atomangriff der Bürger sich sofort auf den Boden schmeißen und sich die Aktentasche über den Kopf stülpen müsse. Der Chor sang zum dritten Mal »Suliko«, jetzt aber schon als Kanon. Der Chorleiter dirigierte dazu »Stille Nacht, heilige Nacht«. Als alle dachten: Jetzt gibt es keine Steigerung mehr, zogen sich zwei Mongolen völlig aus und rieben ihre braunen, nackten Körper mit Hammelfett ein. Der Genosse Rothstein, fünfzig Jahre in der Partei, wußte nicht, daß ein Ringkampf zelebriert wurde. Er zog sich solidarisch auch sofort aus, schmierte sich aber mit Butter ein. Da flog die Saaltür auf und der Hetman der Mongolen kam auf einem struppigen Pony in den Saal geritten und - vom Krach gereizt - schiß es nervös auf das Parkett ... Am nächsten Tag stand ein großer Artikel über die deutschmongolische Freundschaft im ND: In Königs Wusterhausen sei die erste Grundorganisation ins Leben gerufen worden. Dazu ein Bild von einer Frau aus der Delegation. Woher das Bild kam, blieb bis heute unerklärlich. Egal, die Mongolen sehen ja alle gleich aus. Bis aufs Pferd. •
Beim Barte des Pro heten
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Ralph Wiener
»Sie haben doch sicherlich von den Märzkämpfen gehört«, sagte Fritz Tüngler zu dem westdeutschen Besucher, der sich zum ersten Mal in der DDR befand, »und einige Ereignisse haben sich auch hier in unserer Gegend abgespielt.« »Ich weiß nichts von Märzkämpfen«, sagte Herr Burli. »Die großen preußischen Kriege fanden meistens im Sommer statt.« »Aber vielleicht wissen Sie, daß Max Hölz ... « »Unbekannt«, unterbrach Herr Burli und zeigte, ein neues Thema anschneidend, durch das Fenster auf ein Denkmal. »Was ist denn das?« Fritz Tüngler sah kurz hinaus. »Ein Mahnmal für die Opfer, die im Anschluß an den Reichstagsbrandprozeß ... « »Reichstagsbrandprozeß?« murmelte Herr Burli. »Ach so, ich entsinne mich dunkel. Wissen Sie, ich befasse mich mit den Reden, die Bismarck im Reichstag gehalten hat. Die liegen uns ja auch viel näher.« »Ich dächte«, meinte Fritz Tüngler, »die Konzentrationslager in der Nazizeit ... « »Ach, hören Sie auf!« unterbrach wieder Herr Burli. »Wer weiß, ob das alles so schlimm war. Und dann höre ich immer >Nazizeit< - das ist doch ein ziemlich laienhafter Ausdruck, nicht?« »Erlauben Sie mal!« stieß Fritz Tüngler hervor. »Die Bezeichnung ist im Nürnberger Prozeß ... « »Kenne ich nicht«, winkte Herr Burli lässig ab. »Der Prozeß des Müllers Arnold gegen Friedrich den Großen erscheint mir wichtiger.<< »Wenn Sie schon diesen Monarchen erwähnen<<, meinte Fritz Tüngler, »dann wissen Sie ja auch, daß er die grausamsten Strafen in der Armee verhängen ließ und daß ... « »Gar nichts weiß ich!« entgegnete Herr Burli grob. »Aber Franz Mehring hat das doch eingehend geschildert!« bekräftigte Fritz Tüngler. »Mehring?« fragte Herr Burli. »Wer ist das?« »Ein berühmter Historiker«, klärte ihn Fritz Tüngler auf. »Außerdem gilt er als Begründer der marxistischen Literaturbetrachtung.« .
»jetzt soll mir noch jemand sagen, daß ich mich nicht auf die Kl.assiker stütze!<<
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»Ach so«, meinte Herr Burli und spuckte geistig aus. Dann sah er seinen Gesprächspartner aufmerksam an: »Sagen Sie mal, jetzt interessiert mich doch, woher Sie das alles wissen, was sind Sie eigentlich von Beruf?« »Brigadier im Kupferbergbau«, antwortete Fritz Tüngler. »Und Sie?« Herr Burli lächelte mokant: »Professor für Geschichte!«
Man spürt es gleich am sanften Hub der Schritte, am Schal des Mannes und am Duft der Frau: Hier handelt's sich um eine Stippvisite der Bundesrepublik in Crimmitschau. Sie kämen, sagen sie, aus Ludwigshafen. Nun üben sie ihr Gastspiel-Rollenfach, stolzieren übers Pflaster wie Exklaven und halten so ihr Westbewußtsein wach. Das mindeste: Die Dame ist Komtesse und er Besitzer einer Tuchfabrik. Sie haben Geld wie Heu und Auslandspässe, und ihre Fotos stehen in der »Quick«. Man würde beide schrecklich gern befragen. Doch geht man ganz behutsam auf sie zu, hört man den Dünkel der Gesäße klagen: »Wir sind zu vornehm für ein Interview.« Nur der Hoteldirektor Heinrich Lehmann weiß, weil sie auf dem Meldezettel stehn: Es sind die Gerbersgattin Koch plus Eh'mann aus Hof, die schwänzelnd durch die Straßen gehn.
Hansgeorg Stengel
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Beim Barte des Pro heten
Lothar Kusche
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Der Norbert Feder unterhält intime Beziehungen zu zwei Frauen, genauer gesagt, zu zwei jungen Mädchen. Die erste, namens Maria, ist achtzehn alt und zeichnet sich nicht etwa wie die gleichnamige Jungfrau durch fromme Demut, sondern vielmehr durch forsches Kämpfertum aus. Maria ist aktiv. Mehr noch, sie ist Aktivistin in einem für den Bestand unserer Republik (und somit auch für die Existenz des Norbert Feder) ungemein wichtigen Betrieb der Schwerindustrie. Sie ist ein politisch wie moralisch einwandfreies Mädchen, daß man sie eigentlich ein blitzsauberes Mädchen nennen möchte, was Norbert Feder auch oft genug tut. Das blitzsaubere Mädel ist für alle fortschrittlichen Gedanken aufnahmefähig; solche Gedanken werden von ihr aufgesaugt, als wäre sie Löschpapier. Versuchungen aller Art hingegen gleiten von ihr ab, werden förmlich abgestoßen wie das Wasser von der Perlonfaser. Im übrigen besteht kein Kontakt zwischen Maria und Perlon, weil sie zumeist blitzsaubere Kniestrümpfe mit lustigen farbenfrohen Mustern trägt, I, und natürlich - Norbert Feder plaudert gern I darüber - zum schlichten Rock die leuch,, I f tend blaue Bluse der Freien Deutschen JuI Jt..i gend. Nach dieser Beschreibung läßt es sich unschwer erraten, was unter Marias wuscheligem Blondhaar strahlt: nämlich ein paar blanke Augen. Marias Hand ist zart; doch hat mir Norbert Feder eindringlich versichert, daß sie kräftig zupacken kann. Von ihrer Figur wäre zu sagen, daß diese rank ist, worunter sich der Leser ganz nach Belieben alles oder gar nichts vorstellen mag. Mit festem Schritt eilt das blitzsaubere Mädel den lieben langen Tag im Betrieb umher, um ~e, denen sie begegnet, ob diese es nun hören I
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wollen oder nicht, vom Neuen zu überzeugen, als dessen geläufige Repräsentantin wir sie, laut Norbert Feder, zu betrachten haben. Ob Maria ein Nachthemd besitzt, wissen wir nicht, ob sie schläft und was sie dabei träumt - darüber lastet geheimnisvolles Dunkel. Marias Hang zum Laster äußerte sich nach Norbert Feders vertrauenswürdiger Mitteilung lediglich darin, daß sie am Nachmittag des Ersten Mai von einem Schoppen köstlichen Obstweins nippte, worauf ihre Wangen wie rotbackige Äpfel glühten. Die zweite junge Dame, welche ich in engem Zusammenhang mit Norbert Feder kennenlernte, heißt Anneliese, läßt sich aber gern Lisa nennen. Ich weiß nicht genau, was Lisa für einen Beruf hat und wie alt sie ist. Ich halte sie für Anfang zwanzig; und ihr Beruf, falls sie einen ausübt, scheint ihr genügend Zeit dafür zu lassen, sich der sorgfältigen Pflege ihrer Garderobe und ihres Teints zu widmen. Sie besitzt ein auffälliges Talent, teure Cocktails zu bestellen, wenn Norbert Feder diese bezahlt, und sich für etwas zu begeistern, das sie »schräge Musik« nennt. Auf den Vorschlag Norbert Feders, gemeinsam auszugehen, geht sie stets gern ein. Hierzu macht Lisa in aller Ruhe mehk-ab, weil Norbert Feder das an ihr außerordentlich schätzt. Sie könnte, ihrer äußeren Erscheinung nach, durchaus ein Mannequin sein und trägt beinahe so schöne Kleider wie ein Mannequin. Falls ihr Busen echt ist, so darf man ihn getrost hervorragend nennen. Lisa wirft einem beim Tanzen Blikke zu, die einem auf verschiedene Gedanken kommen lassen. Außerdem geht sie auch gern ins Kino. Hier bevorzugt Lisa den Liebes- oder Kriminalfilm. Im Augenblick wüßte ich kein Buch zu nennen, das sie bestimmt gelesen hat. Mit ihren schlanken, langen Beinen steht Lisa zwar nicht direkt auf dem Boden unserer Gesellschaft, aber doch fest auf sehr hohen modischen Absätzen. Dies wäre eine ungefähre, skizzenhafte Beschreibung der zwei Frauen, die im Zusammenhang mit dem Schriftsteller Norbert Feder eine wichtige Rolle spielen. Interessant ist vielleicht noch, daß die erste die Heldin seines neuen Romans, die zweite hingegen seine ständige Freundin ist.
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Beim Barte des Pro heten
Rudi Strahl
io tr„ t„r HtOiHOI Porsö1t ieA oit Nichts stimmt mich beklemmender als der Gedanke, daß alle Menschen sterben müssen. Also auch ich. Und obgleich ich sonst kein Phantast bin, ertappe ich mich immer wieder in der Hoffnung, daß man eines schönen Tages dem Tod ein Schnippchen schlagen könnte. Die Wissenschaft hat schon so viele Wunder vollbracht; warum sollte ihr nicht auch dieses gelingen? Desto begeisterter war ich, als mir ein gelehrter Artikel in die Hände geriet. Er behandelte nichts Geringeres als die Frage, wie unserem Dasein der Sprung ins ewige Leben zu ermöglichen sei. Theoretisch, hieß es, schiene das heute schon ganz einfach. Praktisch bedürfe es noch einiger Voraussetzungen, die aber theoretisch ebenso einfach zu schaffen wären. Zugegeben, ich verstand nicht alle Einzelheiten des erwogenen Verfahrens. Die Sprache der Forschung ist komplizierter, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt. Immerhin glaubte ich das Prinzip zu begreifen. Danach müßte man auch dann eines Tages sterben, doch mittels einer künstlichen Lebenssubstanz und der vorher aufgezeichneten Persönlichkeitsstruktur könnte jedes beliebige Individuum funkelnagelneu erschaffen werden. Haargenau so, wie es früher ausgesehen hat. Mit allen persönlichen Eigenarten, allen Neigungen und Abneigungen, Wünschen und Sehnsüchten, ja sogar mit allen Erinnerungen an die bisherige Existenz. Und nicht nur einmal, sondern beliebig oft. Kaum würde der alte Adam zu Grabe getragen, läge der neue schon in der Wiege. Welch eine Aussicht! Freilich riet mir der gesunde Menschenverstand, meine jauchzende Freude im Zaum zu halten. Gewiß dürften noch fünfhundert oder tausend Jahre vergehen, ehe man ein Abonnement aufs ewige Leben erhoffen könnte. Selbst dann würde nicht gleich jeder gewöhnliche Sterbliche Unsterblichkeit erlangen; zuerst kämen gewiß die ganz großen Persönlichkeiten an die Reihe, dann Leute mit Verbindungen, Handwerker, Kunstpreisträger, Behördenangestellte, Rennfahrer und dergleichen . .Ich wäre sicher erst dran, wenn jede Spur
· Fünf kleine Negerlein, die saßen am Klavier; das eine spielte Musical, da warn es nur noch • vier. Vier kleine Negerlein verhöhnten die Partei; das eine griff der SSD, da . warn es nur noch drei. Drei kleine Negerlein, die hörten Radio; das eine · stellte RIAS ein, da warn es nur noch 'ZWO.
Zwei kleine Negerlein, die glaubten, · es hört sie keiner; das eine hat nen Witz erzählt; da war es nur noch • emer. Ein kleines Negerlein ließ diese Verse sehn; da sperrt man es in Bautzen ein, und nun ·.sinds wieder zehn!
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von meinen Erdentagen erloschen und vergessen wäre. Doch wie, wenn ich selber die Struktur meiner Persönlichkeit aufzeichnete und sie zu späterer Verwendung an einem sicheren Ort deponierte? Zwar würde ich tausend aufregende Jahre nicht miterleben, aber desto überwältigender wäre das Wiederauftauchen in einer Welt, die in tausend Jahren längst zur Vollkommenheit gediehen ist. Mit fliegenden Fingern griff ich zu Papier und Bleistift. Zunächst notierte ich die feststehenden Daten meiner Existenz: Größe, Gewicht, Haar und Augenfarbe, besondere Kennzeichen
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(keine), Schulbildung, berufliche Qualifikation, Parteizugehörigkeit, Steuergruppe. Auch schrieb ich auf, daß ich Bierfilze sammle, Angst vor dem Zahnarzt habe und wöchentlich einmal ins Kino gehe. Das heißt, die letztere Behauptung strich ich gleich wieder durch und ersetzte sie durch die Bemerkung, daß ich mir immer wieder vornehme, wöchentlich einmal ins Kino zu gehen, dann aber doch in der Stammkneipe hocken bleibe. Allerdings brachte diese einfache Korrektur eine Walze ins Rollen, die mich fortan von einer Kalamität in die andere stolpern ließ. Denn zu meinem wachsenden Schrecken stellte ich fest, daß ich mich . immer ganz anders eingeschätzt hatte als jetzt, wo es auf ab-
Beim Barte des Pro heten
solute Genauigkeit ankam (wollte ich doch wieder als ich selbst zur Welt kommen!). Ich biß die Zähne zusammen und wappnete mich mit dem Mut eines Tauchers, der an Riffen und Klippen vorbei in tiefste Abgründe gelangen muß. Und wie dort die Ungeheuer des Meeres den Eindringling umdrängen, belauerten mich hier die Fratzen meiner eigenen Untugenden. Umsonst versuchte ich, ihnen meine Vorzüge entgegenzuhalten. Sie erwiesen sich nicht haltbarer als Karnevalsmasken am Aschermittwoch. Auch halfen mir keine bisherigen Erfahrungen der Selbstkritik; wollte ich mich in tausend Jahren wiedererkennen, mußte ich wohl oder übel Farbe bekennen. Ich konnte mich nicht einmal in den Panzer. des Selbstmitleids hüllen, der einem sonst die Ansicht bewahrt, man sei trotz allem ein ganz famoser Kerl. Denn da wäre später ein ganz anderer Kollege ins Leben zurückgekehrt ... Mit Rücksicht auf die öffentliche Moral muß ich darauf verzichten, meine Persönlichkeitsstruktur mit besonders treffenden Beispielen zu belegen. Auch brach mir der Bleistift ab, als ich erst bei den harmlosesten Fällen angelangt war. Etwa bei meiner Neigung zum Schwindeln, die ich mir bisher als Quelle unzähliger reiner Vergnüglichkeiten gerechtfertigt hatte. Nun aber stellte sich heraus, daß ich immer aus ganz profanen Gründen gelogen hatte. •• Aus Angstlichkeit, die Wahrheit zu sagen. Um es mit niemand zu verderben. Um mich aufzuspielen. Oder um andere Fatalitäten zu kaschieren. Beispielsweise die Faulheit, die ich stets für zähes Nachdenken ausgegeben habe. Oder den Geiz, den ich als Sparsamkeit betrachtet wissen wollte. Oder die Gleichgültigkeit gegenüber anderen Leuten - ich hatte sie Rücksicht und Achtung vor der Intimsphäre genannt. Kurz, worin ich mich auch überprüfte, überall stieß ich mich an den Ecken und Kanten meines Charakters und der entsprechenden Verhaltensweisen. Ich hatte den Bleistift längst wieder angespitzt und mehr als dreizehn Seiten niederschmetternder Erkenntnisse verfaßt, als mich jäh der Gedanke überfiel, wo ich sie für die nächsten tausend Jahre sicher deponieren könnte? Vergrübe ich sie einfach im Garten, bestünde die Gefahr, daß ein d11mmer Zufall sie schon zu meinen Lebzeiten an die Öffentlichkeit brächte. Wie entsetzt wären alle meine Freunde und •
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Ein Westdeutscher ;:reist in die DPR~ ·"Er wird ein eFs:tes - Mal von der Grenz.polizei kontrolliert, .. passiert eine Sperre und soll erneut .< i~
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Bekannten! Und wie würden die Leute triumphieren, die mich sowieso nicht leiden mögen? Der Rest meines jetzigen Daseins wäre jammervoller als das Grab! Fand ich aber ein sicheres Versteck, würde meine papierene Persönlichkeitsstruktur vielleicht auch in tausend Jahren nicht gefunden. Ganz umsonst hätte ich die Abgründe meiner selbst ausgelotet und aktenkundig gemacht. Nur, daß ich nie wieder guten Gewissens lügen oder herumschlawinern könnte, weder in der Gegenwart noch in der Zukunft. Und wer garantierte mir, daß der glücklichste Fall - die tatsächliche Auffindung meines Dokuments zum richtigen Zeitpunkt - zu meiner Rekonstruktion führen würde? Mußte ich nicht befürchten, daß die entsprechende Kommission und damit Nachwelt erschrocken darauf verzichtete, mich ins Leben zurückzurufen? Denn in tausend Jahren dürfte die Welt und die Menschheit einen Grad der Vollkommenheit erreicht haben, den unsereiner sich nicht einmal träumen läßt. Und vorausgesetzt, man ließe Gnade vor Recht ergehen und rekonstruierte mich wirklich - wie würde ich mich unter den Kindern jener Zeit ausnehmen? Mir schauderte, als ich daran dachte. Allenfalls sah ich die Chance, in einer Art Museum gezeigt zu werden oder als Kleindarsteller in historischen Filmen mitzuwirken. Aber nicht allein wegen dieser mißlichen Aussicht zerriß ich meine Aufzeichnungen rascher, als ich sie sie verfaßt hatte. Denn glücklicherweise fiel mir ein, daß es noch nicht zu spät war, meine Persönlichkeitsstruktur rigoros zu ändern. Nein, nicht auf dem Papier, das hätte keinen Sinn. In der Wirklichkeit! Daß ich einerseits ich selber bliebe und andererseits doch ein ganz anderer Mensch würde! Noch dürfte mich von einem leicht verhaben, ich dreißig, vierzig Jahre Zeit •• lotterten Individuum der Ubergangsepoche zu einem auch in Zukunft brauchbaren Geschöpf zu verwandeln. Staunen sollen sie, die Späteren! Staunen werden freilich auch meine Freunde und Bekannten sowie jene Leute, die mich nicht leiden können. Manche werden sogar glauben, ich sei verrückt geworden. Da muß ich aufpassen, daß ich nicht nur an die Zukunft in tausend Jahren denke. Auch eine Menge jener Vorzüge, die man dann vorweisen muß, kann man garantiert auch heute schon verwenden.
Alles zum Wohle des Volkes
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Fritz Bernhard
Auf einem kleinen Dorf kommt ein Mütterchen zum Bürgermeister. »Bürgermeister, sag mal, im Sozialismus, gibt es da diese Dinger, na, am Dach, wo das Wasser reinläuft? « »Ach Frieda, du meinst Dachrinnen, ja, die gibt es.« »Und das, was am Haus so nach unten geht ... ?« »Du meinst Fallrohre, ja, die gibt es.« »Und unten, du weißt schon, was so geknickt ist, gibt es das auch im Sozialismus?« »Das sind die Knie, selbstverständlich gibt es auch die im Sozialismus.« »Jetzt bin ich aber froh, dann ist es ja fast wieder wie zu Kaisers Zeiten.«
Hätte meine Frau mit ihren ewig kalten Füßen nicht diesen ekelhaften Schnupfen gekriegt - nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, ihr ein Elektroöfchen zu versprechen. So aber eilte ich sechs Tage durch die Berliner Spezialgeschäfte, zwar ohne Erfolg, aber doch freundlich von den Verkaufskräften beraten, die mir teils empfahlen, meine Frau nach Hawaii zu verschicken, teils auch zur Anschaffung mehrerer Kaffeewärmer rieten, die in die Ofenröhre gesteckt und über die Füße gezogen hervorragende Heizeffekte gezeitigt haben sollen. Endlich, am siebenten Tag, fand ich in einem großen HO-Elektroladen in der Dingsbumsstraße, nahe Berlin-Nordbahnhof, das ersehnte Öfchen. Gewiß, sein Äußeres erinnerte stark an die Heimarbeit eines Bastlers, der eine Eigenbau-Klavierlampe, weil sie zu plump geraten, in einem Anfall von Schwermut zur Erheiterung seiner Hühner auf einen alten Kochtopfdeckel gelötet haben mochte. Aber immerhin, es war ein Öfchen. Flugs überschlug ich die Gestehungskosten des Apparates. Einige Stückchen Blech, etwas Abfall von einem Drahtzaun, ein Schräubchen, eine Heizspirale und der Topfdeckel »Wenn man die Akzise hinzurechnet, mag dieser Artikel so an die fünf bis sechs Mark kosten, was?« wandte ich mich schüchtern an einige Herrn hinterm Ladentisch. Dem Verkäufer fiel vor Schreck die Zigarette aus dem Munde, die er angezündet haben mochte, weil er, elektrotechnisch gesprochen, damit seinen Riechkolben anzuheizen trachtete. »Das Öfchen kostet 21,95 DM, mein Herr«, sagte er entsprechend kalt, »aber Sie brauchen es nicht zu kaufen. Es sind die letzten. Wir werden sie reißend los.« - Als der Geburtstag meiner Frau und damit auch unser lieber Onkel Willi gekommen war, schenkte ich meiner Frau das Öfchen. Onkel Willi ist von Beruf Reklameversdichter der Likörfabrik, die das bekannte »Wurzelwunder« herstellt. Mitternacht war vorüber. Wir saßen beim Geburtstagsskat, und das Öfchen brannte, zum erstenmal. Plötzlich verbreitete sich ein Geruch, was sage ich, ein Gestank von so infernalischer Widerwärtigkeit, daß ein verwesender Walfisch dagegen als ein Wölkchen Veilchenparfüm erscheinen mußte. Sprachlos sahen .wir uns an. Dann stürzte meine Frau in Richtung Badestube davon, während ich alle Fenster aufriß und Onkel Willi lako-
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nisch meinte: »Kein Zweifel! Dieses Öfchens Mief - beleidigt jede Nase tief!« Und sachlich fügte er hinzu: »Das kommt von dem Anstrich. Vermutlich hat die Herstellerfirma auch dazu ein Abfallprodukt verwendet. Es riecht deutlich nach Schwefelwasserstoffbenzolfom1aldehydhexamethyltetrachloridazetat oder nach etwas anderem. « Von Hustenanfällen unterbrochen, erzählte ich die Geschichte vom Kauf des Öfchens. Onkel Willi goß sich mehrere Wurzelwunder ein und sprach: »Zuweilen grenzt ans Wunderbare - der Preis, doch leider nicht die Ware!« Wir schalteten das Öfchen aus, aber der entsetzliche Mief blieb. Ka11m zurückgekehrt, begann meine Frau aufs neue zu würgen. »Nun denn«, sagte Onkel Willi entschlossen, »da der Aufenthalt in eurer Wohnung menschlichen Lebewesen in den nächsten vier bis sechs Stunden nicht zugemutet werden kann, gehen wir in >Danzemeiers Bierstuben<. Danzemeier ist ein Kunde von uns und hat sicher noch auf. Er hat nämlich morgen Geburtstag und pflegt ihn am Abend vorher anzugießen.« Als wir uns den Bierstuben von Danzemeier näherten, fiel uns schon von weitem auf, daß alle Fenster und Türen weit offenstanden. Dann begegnete uns ein Feuerwehrmann, der achselzuckend erklärte: »Die Wiederbelebungsversuche waren zwar erfolgreich, aber wir mußten Familie Danzemeier nebst siebzehn Gästen zwecks Auslüftung vorübergehend in das nahegelegene Teppichreinigungsinstitut von Pardubitzer & Co. einliefern, das wir zum Glück alarmieren konnten.« »Um Gottes willen, was ist denn geschehen?« fragte meine ahnungslose Frau. »Herr Danzemeier hatte ein Elektroöfchen in Betrieb gesetzt«, sagte der Mann mit warmem Mitleid in der Stimme, »das er von seiner Frau zum Geburtstag gekriegt hat. Weil er an kalten Füßen leidet. Es soll von der HO in der Dingsbumsstraße am Nordbahnhof sein ... « So kam es, daß Onkel Willi, meine Frau und ich den Rest unserer Geburtstagsfeier begingen, indem wir mit der Ringbahn um Berlin herumfuhren. Vielleicht haben einige Leser uns zufällig gesehen, wir waren unschwer zu erkennen. Meine Frau hielt ihre Füße auf die in unserer Ringbahn Gott sei Dank geruchlose Heizung, ich versuchte, sie mit HO-Witzen zu erheitern, und Onkel Willi murmelte jeweils zwischen zwei Schlukken aus einer Flasche »Wurzelwunder«: »Freund, merke dir, daß nur die Doofen im Wmter einen Ofen koofen! « •
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Alles zum Wohle des Volkes
Hans-Joachim Stein
Eines Morgens - ich schrieb gerade an meinem später so berühmt gewordenen Aufsatz: »Vorsicht mit der Technik« - rasselte plötzlich etwas in der Schreibmaschine, und mit einem kurzen, trockenen Seufzer blieb sie stehen. »Was hat denn das liebe Maschinchen?« fragte meine Frau. »Was wird sie schon haben«, entgegnete ich, »wahrscheinlich einen Tick.« Und dar•• aufhin gossen wir 01 in die Maschine, wuschen sie in Seifenlauge, trockneten sie mit dem Fön, und als all das nichts half, schaffte ich sie zu einem Reparateur. Der Reparateur war ein freundlicher, alter Herr. »Sie müssen ja allerhand blödes Zeug geschrieben haben, daß sie kaputtgegangen ist«, sagte er. Und dann nahm er die Maschine, schleuderte sie fünf-, sechsmal auf den Zwei Tage später wurde Fräulein Müller vom Dienst Boden, trat einige Male mit beiden suspendiert, Grund: ein Protokoll, auf dem acht Füßen drauf, horchte sie mit einem Seiten nichts weiter stand als: Brabrabrabrabrabra. großen Hörrohr ab und fuhr fort: »Wir werden sie etwas reparieren müssen. Kommen Sie nächste Woche wieder.« Dabei lächelte er vielsagend, und ich verließ ihn, nicht ohne noch einen Blick auf das zerbeulte Jammergebilde zu werfen, das einstmals meine Schreibmaschine gewesen war. Niemand wird es mir also verdenken, daß ich äußerst überrascht war, in der nächsten Woche meine Maschine blitzsauber und tadellos überholt zurückzuerhalten. »Was macht das?« fragte ich. Der alte Herr lächelte seltsam: »Eigentlich ist meine Arbeit unbezahlbar«, sagte er, »aber - na, geben Sie mir hundert Mark, dann sind wir quitt.« Ich war etwas erstaunt über den Preis, zahlte jedoch und ging. Und nun ereignete sich etwas Seltsames: Zu Hause angelangt, stellte ich fest, daß die Maschine zwar hervorragend funktionierte, aber daß sie nicht mehr das aufschrieb, was ich eigentlich sagen wollte, sondern das, was ich dachte! Zum erstenmal stellte ich diese unglaubliche Tatsache beim Schreiben einer Theaterkritik fest. Folgenden vorsichtig-kritischen Satz hatte ich mir überlegt: »Gewisse Fehler, die den Eindruck der Aufführung gewissermaßen allgemein etwas abschwächten, konnte der an sich nicht unbegabte Regisseur sozusagen leider mitunter nicht vermeiden.«
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Und was schrieb die Maschine? »Ich halte den Regisseur für eine totale Null und die Aufführung für völlig vorbeigeraten.« Das war peinlich. Ich ließ die Sache liegen und setzte mich an ein Gedicht. Das Gedicht sollte ein Liebesgedicht werden und meiner Frau gewidmet sein. Der Anfang lautete schlicht-einfach: »Ich liebe dich.« Aber diese satanische Maschine schrieb doch tatsächlich: »Eigentlich stimmt's ja nicht ,, mehr so mit der Liebe, wir haben uns eben aneinander . '\~ . --„ -· ·- ..„ ! 11 gewöhnt.« Und unangenehmerweise vergaß ich, das 1 ' • -·--. -1! Blatt auszuspannen. Am nächsten Morgen kam ein Brief von einer Akade•• mie: »Werter Herr Dichter«, hieß es, »wir haben Ihre werte Arbeit, die 80. Umarbeitung Ihres werten Filmszenariums betreffend, gelesen und bitten Sie, doch auch noch die 81. Umarbeitung vorzunehmen.« Ich war ganz ruhig, wirklich, ganz ruhig. »Frau«, sagte ich, »komm her. Ich will dir die Antwort diktieren.« Und dann diktierte ich: »Sehr geehrte Herren! In dankendem Erhalt Ihres wertgeschätzten Schreibens beeile ich mich, Ihren überzeugenden Argumenten zuzustimmen. Gern bin ich bereit, auch noch die 96. bzw. 98. Umarbeitung vorzunehmen.« Nie habe ich früher einmal diktierte Briefe nochmals gelesen, ehe ich sie abschickte. Glücklicherweise tat ich es, durch die vertrackte Maschine unsicher geworden, in diesem Fall. Der Brief wurde sofort von mir verbrannt. Er enthielt nur einen Satz: »Sie können mich mal am ... !« Was war zu tun? Mit der Hand schreiben? Unmöglich! Ich wollte nicht, daß der Empfänger in einem Sanatorium für Augenkranke aufgenommen werden muß. Die Maschine verkaufen? ·\
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>>Montag Schulung, Dienstag Parteilehrgang, Mittwoch Zirkel, Donnerstag Selbststudium, Freitag Seminar, Sonnabend frohes Jugendleben. Gott sei Dank, nichts vergessen.«
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Ja, das ist gut gesagt! Trennen Sie sich mal von dem, was Ihnen ans Herz gewachsen ist. Aber einen Ausweg gab es - verborgen! Sehen, ob nur mich der Maschine Fluch betraf. Glücklicherweise bot sich bald eine gute Gelegenheit, Fräulein Müller mußte dringend Protokoll schreiben; es fand im nahen Bürgermeisteramt eine wichtige Sitzung statt, und die dortige Maschine war kaputtgegangen. Mit Freuden borgte ich ihr das Teufelsding. Und freudestrahlend brachte Fräulein Müller die Maschine zurück. »Vielen Dank auch noch«, sagte sie, »es ist eine herrliche Maschine, so leicht! Im Handumdrehen habe ich zwölf Seiten mitgeschrieben, vielen Dank.« »Bitte, bitte«, sagte ich, »haben Sie übrigens gelesen, was Sie geschrieben haben?« Fräulein Müller verneinte. Und zwei Tage später wurde sie vom Dienst suspendiert, Grund: Ein Protokoll, auf dem acht Seiten nichts weiter stand als: Brabrabrabrabrabra. Und am Ende der Satz: »Jetzt hat er drei Stunden lang dusselig gequatscht. Dieser Abteilungsleiter ist eine Pfeife.« Das genügte. Mich packte ehrliches Entsetzen: Wohin sollte es denn führen, wenn dauernd ruchbar wurde, was eigentlich man dachte? Schließlich ist kein Mensch fehlerfrei, und gerade ich habe manchmal so unanständige Gedanken. Beruf, Existenz standen auf dem Spiel! Ich beschloß, einen guten Freund um Rat zu fragen. Umsonst! Selbst in Privatbriefen war die vermaledeite Maschine unerbittlich: »Lieber Freund«, las ich, »eigentlich halte ich Dich ja für einen Idioten, SO Mark kriege ich auch noch von Dir, und überhaupt: Man sollte Dir gar nichts anvertrauen, Du quatschst ja doch alles weiter.« Es ist gräßlich, wenn man einen solchen Aufpasser hat. Aber ich konnte nicht anders, es zog mich unwiderstehlich an die Maschine. Und die Maschine machte mich zu einem anderen Menschen: Ich bin ehrlich, lüge nicht mehr, äußere stets meine Meinung, sage niemandem Schmeicheleien, verschweige nichts. Aber es ist ein sehr schwerer Kampf, ich leide unsäglich. Und deshalb habe ich alles einmal aufgeschrieben. Jawohl, auf eben dieser Maschine! Und wenn Sie zehnmal glauben, dies sei eine erfundene Geschichte, so sage ich Ihnen: Das ist keine wahre Geschichte!
Ein Reporter befragt die Arbeiter in einem volkseig~ nen Betrieb, wie · . sie sich in det? . ~. ':·. · neuen Zeit fillil~nl:;, ~ Ein alter Arbeiter · gibt ihm die Auskunft: »Früher giilg es uns gut, heute geht es uns besser. Es wäre besser wenn es uns bald wieder gut ginge.
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John Stave
»Halt, Mensch! Tiefer runter - soooo. Nu 'n Haken schlagen, richtich. Jetzt schnell nach links, ja - jut! « Der dicke Mann vor dem Fenster des HO-Fischgeschäfts in der Stalinallee wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er war zusehends erleichtert. Jetzt winkte er mit dem Taschentuch, machte »dudududududu«, und all sein Gebaren galt augenscheinlich diesem großen Karpfen, der das Schaufensterbekken mit seinen weniger stattlichen Artgenossen teilte. Jetzt zog er ruhig seine Bahn - aber wieder war Gefahr im Anzuge! »Ottokar, Junge, schnell nach links!« riet ihm der schwitzende Mann am Schaufenster. »Tiefer, Mensch! Tiiiiefer! !!« Doch der Karpfen Ottokar schien taub zu sein. Blindlings schwamm er in seine Katastrophe. »Halt! Halt! « schrie da der ........ „"""' Dicke noch und fuchtelte · mit den etwas kurzgerate„. ...,. ._,"i, ,,.,. '. nen Armen. Dann war es zu spät. »Nein - nein - nein! Furchtbar, der arme Kerl! „.„,.,._„...„.,......... . Grauenvoll!« .... ... ,,,,, . Der dicke Mann wandte sein .____ __„ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _____. gramzerfurchtes Antlitz ab. Tränen standen ihm in den Augen. »Sie kannten ihn wohl schon länger?« versuchte ich Trost zu spenden, als Ottokar bereits zappelnd auf der Wiegeschale lag. »Ich beobachte ihn bereits zwei Stunden«, seufzte der Dicke. »Immer hatte er Glück gehabt und war mit dem Schrecken davongekommen. Und jetzt - - -«, der Dicke schluchzte, »und jetzt ist er der Verkäuferin doch ins Netz gegangen. Ich frage Sie, lieber Tierfreund, möchten Sie in der Haut eines so bedauernswerten Karpfens stecken?« Der dicke Mann schaute mich mitleidheischend an. Ich verneinte: Mir bereite das Rasieren schon so immer erhebliche Schwierigkeiten. Er strich sich nachdenklich übers Kinn. Wrr gingen in Richtung Strausberger Platz. »Ich hatte den Eindruck«, sagte der Dicke, »daß es ein zu früher -~-~··
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Tod war. Ich habe es seinen Augen angesehen, seinen wundervollen treuen Augen, daß er es bis Silvester machen wollte.« Ich nickte beiläufig. »Sie machen sich wohl nichts aus Fisch?« forschte ich, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Er schüttelte den Kopf. Stumm erreichten wir den U-Bahneingang. Der Dicke streckte mir die Hand entgegen. »Aus Fisch - nein«, sagte er mit fester Stimme. »Allerdings«, setzte er entschuldigend hinzu, als wir uns die Hand schüttelten, »aus Fischkonserven - ja. Aus ihrem Inhalt kann man aber auch nicht so sehr die Seele des Tieres herauslesen!« Dann schritt er langsam die Treppe hinunter - ein erschütterter Mann, der einen teuren Freund verloren hat. Das Pfund zu 2,20 Mark.
Still liegt das Dörfchen in der Runde, als hätte es die Nacht durchzecht. Ein Heupferd schnarcht mit offnem Munde. Nicht schlecht.
Es jubelt selbst am Schwanz der Schlange: »Seht hin, das Gute liegt so nah!« Voll Zuversicht fragt eine Lange: »Was ham'sen da?
Der Dorfplatz gähnt, es ist noch früh. Zum Brunnen schlurft ein alter Mann. Ein Fuhiwerk naht mit hott und hüh. Guck einer an!
Ich brauche eine Badewanne und Wassereimer für den Stall, zwei Schüsseln und ne Bratenpfanne. Das wär man Fall!«
Der Fuhrmann nickt und rumst vorbei, das Rot der ersten Sonne glimmt. Da plötzlich irgendwo ein Schrei: »Der Konsum kimmt!«
»Gemach, ihr lieben Dorfbewohner. Kauft Nippes-Schmuck fürs Vertiko, Ersatzzimt, Zwirn und Sohlenschoner und Schnaps engros -
Da kommen sie in hellen Hanfen so hoffnungsschwanger angehaucht: »Vielleicht gibts diesmal das zu kaufen, was man so braucht.«
»Ich wollte einen Eisenrechen«, ruft einer, und dann flucht er stumm: »Das Angebot ist zum Erbrechen!« Und alle kehrten um.
Still lag das Dorf nach einer Stunde, als hätte es die Nacht durchzecht. Ganz leise jaulten ein paar Hunde. Mit Recht!
Nils Utemer
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Schon gehört? In der DDR soll zweilagiges Klopapier eingeführt · werden. · Warum denn das? Weil von jedem Scheiß eine Kopie . , nach Moskau geht. ··. 7:
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„Ja, Kinder, was soll ich denn machen, der Kunde wollte durchaus so eine Hose, wie ich sie trage!''
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Personen namhaft macht; · die Schutt, Asche und dergleichen im Wald·e abladen. Staatl. Forstwirtschaftsbetrieb Dresden, Dresden-N. 15, Dr.-Kurt-Fischer-Platz 3
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Paul Schwarz
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Frau Behrend hatte eine unangenehme Art, ihren Untermieter Ludwig Meyer mit Sprichwörtern zu quälen. Wenn er zum Beispiel einmal später nach Hause kam und etwas nach Bier roch, sagte sie am nächsten Morgen finster und prophetisch: »Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.« Wurde Ludwig von seiner Freundin Elsa zum Kino abgeholt und pfiff diese Freundin beim Hinausgehen leise vor sich hin, so sagte Frau Behrend bei der nächsten passenden Gelegenheit mit ziemlicher Schärfe: »Mädchen, die pfeifen, und Hühnern, die krähen, soll man beizeiten den Hals umdrehen.« Ludwig Meyer hatte diese Weisheiten bereits vor vielen Jahren von seiner Großmutter gehört. Sie waren inzwischen nicht geistreicher geworden und hingen ihm, sprichwörtlich gesprochen, zum Halse heraus. Aus diesem Grunde sann Ludwig auf Rache. Er kaufte sich das Werk >>Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten, gesammelt und mit Anmerkungen versehen von Josef Archibald Hintergruber«, zum Preise von 4,85 DM und studierte eifrig darin, um den Spruchweisheiten der Frau Behrend gewachsen zu sein. Wenn sie nun um den Monatsersten herum beiläufig sagte: »Geld im Beutel vertreibt die Schwermut«, so antwortete Ludwig ebenso beiläufig: »Einen Nackten kann man nicht ausziehen.« Schließlich bestand ihre Unterhaltung fast nur noch aus Spruchweisheiten. Dadurch wurde Ludwig Meyers Vorrat an Sprichwörtern allmählich knapp, und auch Josef Archibald Hintergruber konnte bald nicht mehr den notwendigen Nachschub liefern. Katharina Behrend aber buddelte aus den unerschöpflichen Archiven ihres langen Lebens immer wieder neue Spruchperlen ans Tageslicht und freute sich, wenn ihr Untermieter passen mußte, ohne »Kontra!« sagen zu können . Da hatte Ludwig eine Idee. Er fing auf eigene Faust an, Sprichwörter zu erfinden. Eines Tages fragte er Frau Behrend, wer der Frau Müller aus dem 1. Stock erzählt haben könnte, daß er nur über zwei Nachthemden verfüge und daß seine Socken hauptsächlich aus Löchern bestünden, die nur notdürftig voneinander abgegrenzt waren.
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»Die Wahrheit will niemand gern hören«, meinte Frau Behrend. »Ein morsches Faß hält selten dicht«, meinte Ludwig. Katharina Behrend stutzte und erwog den tieferen Sinn des Zitates, das ihr unbekannt war. »Was wollen Sie damit sagen?« »Nichts Besonderes. Es ist ein arabisches Sprichwort. Aus der Gegend von Mekka.« Frau Behrend schwieg und ging hinaus. Den ganzen Tag über machte sie einen zerstreuten Eindruck und schüttelte manchmal geistesabwesend den Kopf. Sein Erfolg gab Ludwig Meyer neuen Auftrieb. Er fing an, Sprichwörter aus allen Teilen der Weltkugel zu zitieren, die ihm auf Frau Behrend und bestimmte Vorfälle ihres Zusammenlebens zu passen schienen. Zum Beispiel diese: »Ein altes Kän ist nicht immer ein weises Känguruh.« (Australien) »Wenn eine Kokosnuß auf einen Kopf fällt, und es klingt hohl, so ist nicht immer, die Nuß daran schuld.« (Salomon-Inseln) »Zahnlose Krokodile sind noch keine Engel.<< (NilDelta) »Kobras soll man nicht auf den Schwanz treten.« (Indien) »Kühe, die viel brüllen, geben am wenigsten Milch.« (Argentinien) »Es schlägt nicht immer ein, wenn es donnert.« (Nordpol) Katharina Behrend schien dieser neuen Wunderwaffe nicht gewachsen. Jedesmal, wenn Ludwig Meyer einen neuen sprichwörtlichen Volltreffer erzielt hatte, zog sich seine Wirtin in ihr Zimmer zurück. Geschlagen und hilflos, wie Ludwig annahm. Den wahren Grund entdeckte er eines Sonntags in der Unterhaltungsbeilage der »Neuenhagener Volkszeitung«. Dort fand er alle seine schönen, mühsam ausgeknobelten Sprichwörter wieder, sauber nach Erdteilen geordnet. Und darüber stand: >>Sprichwörter der Nationen. Gesammelt von Katharina Behrend. « Der Untermieter Ludwig Meyer begab sich unverzüglich zu der Sammlerin. »Was haben Sie als Honorar bekommen?« fragte er und dachte mit Erbitterung daran, daß er bald wieder Miete bezahlen mußte. »In diesem Punkte«, sagte Frau Behrend mit ruhiger Würde, »in diesem Punkte hält auch ein morsches Faß ausnahmsweise mal dicht.« •
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Eva Salzer
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»Ich habe in der Lotterie gewonnen und mir ein Motorrad gekauft«, sagte Alfons (er sagte »Mo-torrad«, wohlgemerkt, mit der Betonung auf der ersten Silbe), »fast neu, tadellose Maschine. Willst du morgen einen Ausflug ins Grüne mit mir machen?« Natürlich wollte ich: Wer könnte sich etwas Besseres wünschen, als mit Alfons und seinem fast neuen, tadellosen Motorrad ins Grüne zu fahren? Früh um 6 Uhr trafen wir uns. Wie eine Rakete schoß das Vehikel vorwärts, für die auf der Landstraße zurückbleibenden Radfahrer hatten wir heute nur einen Blick wohlwollenden Mitleids. »Prima Sache, so ein Mo-torrad, was? Man spart Zeit, Geld und Kalorien. In einer Stunde sind wir am Ziel.« Zehn Minuten später hatten wir eine Panne. »Nicht der Rede wert«, versicherte Alfons, »der Motor hat bloß mal ausgesetzt. Paß auf, gleich geht's weiter.« Ich paßte auf, aber es ging nicht weiter. »Dumm«, meinte Alfons, »wir werden ihn bis ins nächste Dorf schieben müssen.« Er sagte »er«,~ nicht »es«. »Es« zu sagen, wäre geradezu eine Beleidigung für ein solches Motorrad gewesen. Außerdem hieß er Anton. Also schoben wir. Doch Anton war schwer und der Tag heiß. »Ich muß doch mal versuchen, ob ich ihn wenigstens bis zur nächsten Reparaturwerkstatt flott kriege ... « Diesmal sprang der Motor ohne Widerrede an. »Siehst du«, triumphierte Alfons, »er ist prima, ich sagte es gleich. Jetzt braucht er natürlich nicht zur Reparatur.« Er besah kritisch seine Hosenbeine, die eine leichte Färbung angenommen hatten, und schwang sich Anton auf den Rücken. Ich tat das gleiche, und schon rasten wir wieder die Chaussee entlang, quer durch den Ort, an der Tankstelle vorbei, bis ins übernächste Dorf. »Warum hältst du hier, Alfons?« >>Ich möchte ein Eis kaufen.« Das war eine fromme Lüge. In Wirklichkeit hatte nämlich nicht Alfons, sondern Anton angehalten. Als ich mit zwei Eiswaffeln zurückkehrte, sah ich Alfons treten, daß die Schweißperlen nur so an ihm herunterrannen. Seine Stirn war gerötet, seine graue Sonntagshose noch um eine Nuance dunkler geworden. Ringsum hatten sich eine An-
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zahl Männer und Knaben versammelt, die sachverständig Ratschläge gaben. Aber der Motor schwieg. »Es ist nichts«, rief mir Alfons entgegen und wischte sich mit der öligen Hand über das erhitzte Gesicht, »es sind nur die Gänge, die immer herausspringen. Gibt es hier eine Reparaturwerkstatt?« wandte er sich an die Volksmenge. »Ja, gleich in der Nebenstraße«, rief einer der Knaben und lief voran, um uns den Weg zu weisen. Wir folgten langsamer mit dem schweren Anton. Die Kirchturmuhr schlug 9, und unser Ziel war noch weit. Alfons fluchte heimlich, aber ich hörte es trotzdem. Wütend trat er auf den Anlasser. Plötzlich knatterte Anton los. »Na, bis zur Reparaturwerkstatt wird er's schaffen«, meinte ich. »Was heißt Reparaturwerkstatt?« fragte Alfons erstaunt. »Die Maschine ist doch in Ordnung! Mußte sich nur etwas erholen ... « Er warf einen flüchtigen Blick auf seine gut ein/ geölten Ringelsöckchen, dann kletterten wir ff I( Anton wieder auf den Rücken. Das nächste Mal war es mitten im Walde. Während Alfons wie ein Besessener an der Maschine herumarbeitete, photographierte ich ihn von allen Seiten, denn es ist immer schön, wenn man später eine liebe Erinnerung hat. Dann frühstückten wir, denn es war mittlerweile 10 Uhr geworden. »Weißt du«, erklärte Alfons kauend, »es kommt nur davon, daß ich zu schnell vom 4. auf den 1. Gang zurückgeschaltet habe. Ich muß mich erst mal richtig mit Antons Eigenarten vertraut machen. Im Grunde genommen ist er prima. Und schließlich spart man ja auch Geld, Zeit und Kalorien.« Er streifte sein wunderschönes, blaues Oberhemd ab und wrang es vorsichtig aus. Dann näherte er sich Anton mit energischen Schritten. Nach einer halben Stunde eifrigen Tretens brachte er den Motor in Gang. »Sieh, da unten liegt der Werbellinsee!« rief Alfons nach einiger Zeit. »Keine 5 Minuten mehr, und ... «Hier setzte der Motor aus. »Ach, da ist nur die Schwimmemadel verklemmt. Kein Grund zur Beunruhigung. Paß auf ... « »Weißt du was?« unterbrach ich Alfons, »jetzt schieb ich dich den Berg runter~ Und dann gibst du Anton endgültig zur Reparatur! «
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Nach hundert Schritten sprang der Motor wieder an, und wir fuhren beide bis zur Tankstelle. Der Mechaniker untersuchte die Maschine und machte eine Probefahrt. Er fand nichts. Anton benahm sich musterhaft und zeigte keinerlei Mucken. »Siehst du!« rief Alfons, »ein tadelloses Mo-torrad, ich habe es immer gesagt! Im übrigen habe ich einen Bärenhunger. Es ist nämlich keine Kleinigkeit, mit Anton fertig zu werden!« Bei diesen Worten warf er sich in die ölige Brust und sah mich erwartungsvoll an. Er war hoffnungslos verschmiert, von oben bis unten, total verschwitzt und roch nach Motorenöl. Und nun forderte er meine Bewunderung. »Du bist ein ganzer Mann«, sagte ich. »Nur Männer können so sein.« Abgesehen davon, daß der Kartoffelsalat, die Brötchen und der Kuchen nach Schmieröl rochen, die am Sattel befestigten Aktentaschen zerschrammt und tiefschwarz eingefärbt waren, hatten wir beide unser Vergnügen am Ausflug, jeder auf seine Weise. Am Abend lief Anton recht brav. Ein einziges Mal blieb er stehen, das war, als Diesmal half kein Zureden. Wer kennt sich das Gewitter aufzog. Vielleicht hatte Alfons schon in der Seele eines Motorrades aus? wieder mal zu schnell vom 4. auf den 1. Gang geschaltet, vielleicht lag's auch an der Schwimmernadel oder am Wetterleuchten. Wer kennt sich schon in der Seele eines Motorrades aus? Diesmal half kein Zureden - Anton streikte, und wir wurden pudelnaß. Zum Glück trafen wir einen Fuhrmann, der uns alle drei auf seinen Wagen lud. Langsam, aber sicher zuckelten die Pferde heimwärts. Vielleicht schämte sich Anton, denn als wir ihn wieder auf die Räder setzten, knatterte er durch die Nacht, daß es eine Lust war. Alfons strahlte. »Gute Nacht, Evilein! Hoffentlich hat dir unser erster Mo-torradausflug gefallen ... Was ich dich noch fragen wollte« - er zögerte und sah einen Moment rührend verlegen aus - »magst du Anton noch leiden?« Ich hätte ein Herz von Stein haben müssen, um auch nur den geringsten Verdacht einer Antipathie gegen Anton aufkommen zu lassen. Freundschaftlich patschte ich ihn auf den Sattel und gab Alfons einen Kuß. »Wer sollte euch beide wohl nicht liebenswert finden ... « »Aber«, fügte ich hinzu, »wenn ich mal in der Lotterie gewinne, dann kauf ich mir lieber ein Pferd. Das lassen wir im Beiwagen mitfahren, der Sicherheit halber, weißt du ... ?« 1
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Renate Hol land-Moritz
»Rach, juten Tach, Buntzeln! Det man sich imma in de S-Bahn treffen tut! -Neu, der Mantel? Todschick! Leineweber, wenn ick mir nich irre. - Wat sagen Se, HO? Da staun ick aber. Ach Jott, uns jeht et soweit janz danke. Bloß, det wa keene Pakete mehr von mein Schwager aus Köln kriejen. Nu wird sich der Große det Moped doch noch nich koofen können, weil ick ja nu wieder mehr Kostjeld brauche. Naja, det is ne lange Jeschichte. Die Pakete kriejen wa schon seit neunundvierzich. Da hat mein Oller sein Bruder Justav, der, wo vor Jahren nach Köln jemacht is - kenn' Se den noch? Der hat doch det blonde Manneköng aus den jroßen Modesalon jeheiratet -, also, den hatta mal jeschrieben, det er Tach und Nachtschubbern jehn muß, damitta seine Norm schafft, und det wa uns trotzdem keene Butter uffs Brot leisten können. Und der Justav hat doch denselben Beruf wie meiner, der is ooch Dreher. Und außerdem isser 'n juter Mensch, und weil er sein eenzijen Bruder nich hungern lassen will, hatta uns jeden Monat 'n jroßet Freßpaket jeschickt. Na, und wat soll ick Sie sagen, neulich war der Justav mit sone Jewerkschaftsdelejation aus Köln bei uns in Osten. Da hamse denn Betriebe besichtigt und konnten ooch janz frei mit die Arbeeter quatschen. Anschließend hatta uns ooch noch für een Tach besucht. Nu hat sich det dumm jetroffen, det wa uns jrade ne Musiktruhe und een Eisschrank uff Teilzahlung jekooft hatten. Bei uns war er ja noch janz stille, aber zwee Tage später kam 'n Brief. Und da schrieb er, nu hätta sich ja übazeujen können, wie die Arbeeter im Osten schuften müssen, und wenn er in sein Betrieb in Köln son Tempo vorlejen würde, denn hättensen schon längst rausjeschmissen. Mit sone Norm möchter seine Kohlen ooch ma verdienen. Und denn stand noch so janz zinisch als P. S. unten drunter, wenn wa mal janischt mehr in unsern Eisschrank zu packen hätten, denn will er uns jerne wieder unter die Arme jreifen. Wat sagen Sie zu so wat, Buntzeln? Aber det ha' ick mir ja gleich jedacht, wenn eener schon mit Jewerkschaft und Delejation und sone politischen Sachen zu tun hat, denn isser nich astrein. Na, von uns hört der jedenfalls keen Sterbenswörtchen mehr. So wat Jemeinet is mir lange nich vorjekomm. Wat denn, schon Sonnenallee? Da muß ick aussteijen. Na, denn machen Sie't manjut, Frau Buntzel, und nich die Hoffnung uffjeben! Es kommen ooch wieder andere Zeiten!«
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Wolf D. Brennecke
Schuld an allem ist der Kellner, der mich solange auf mein Essen warten ließ. Ich saß und saß, studierte die Speisenkarte und stieß auf einen Satz: »Unser Personal ist gehalten, auf Pfennigabrechnung zu sehen.« Darunter: »Unser Personal bezieht auskömmliche Gehälter und ist auf 'llinkgelder nicht an• gewiesen. « Welche Beschämung für mich! 'llinkgelder hatte ich gegeben, hatte Menschen wie Lakaien behandelt und gedemütigt. Der Kellner kam. Ein Mensch mit festem Gehalt. Ein Kollege. Nein - einem Kollegen gibt man kein Trinkgeld. Er machte die Rechnung und steckte mein Geld ein. »Bitte, Herr Kollege«, sagte ich zu ihm, »ich bekomme noch acht Pfennig zurück.« Er sah mich einige Sekunden lang starr an und schien aufs höchste verwundert. Ich lächelte ihm freundlich zu. »Acht Pfennig, hm«, murmelte er. »Acht Pfennig! Na, bitte wenn Sie absolut Wert darauf legen. Pfennige -- hm. Ich habe keine. Wenn Sie zwei Pfennige haben, können Sie 'n Groschen von mir kriegen. Aber ich schenke Ihnen die zwei Pfennje auch gerne - bitte!« Ich legte Wert darauf. Ich gab ihm zwei Pfennige und bekam einen Groschen. Der Kellner stand wie erstarrt. Der Pikkolo aber sprang diensteifrig herbei und machte mir die Drehtür auf. »Der hat sich acht Pfennje rausgeben lassen!« sagte der Kellner. Da ließ der Pikkolo vor Verwunderung die Tür los. Sie schlug mir ins Kreuz oder auch etwas darunter und ließ mich auf den Fahrdamm fliegen. Ich gab von nun an nie mehr Trinkgelder und erregte Aufsehen mit dieser Methode. Sie war nicht ganz ungefährlich. Ein Taxichauffeur war derart angetan von der Methode, daß er mir beinahe zwei Finger abquetschte, so heftig knallte er die Tür hinter mir zu. Ich mußte bald erkennen, daß noch viel Erziehungsarbeit auf diesem Gebiet zu leisten war, besonders bei den Kollegen Friseuren. Ich wurde nicht mehr abgebürstet, ich mußte mir ällein in den Mantel helfen, keine Tür wurde mir geöffnet, mein Abschiedsgruß blieb unerwidert. Als man mir die Haare aber
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nur noch stufenförmig schnitt und mir Seifenschaum in die Augen rieb, wechselte ich den Salon. Auch die Gaststätte mußte ich wechseln. Ich war dort zu bekannt geworden. Kein Kellner ließ sich mehr herbei, mich zu bedienen. Wenn aber, dann fehlte bestimmt die Gabel; und bis ich sie bekam, wurde mein Essen kalt. Und Taxis bekam ich überhaupt nicht mehr. Sie waren immer gerade bestellt oder nicht im Dienst oder soeben kaputtgegangen. Ich wurde ein einsamer Mensch. Meine Freunde begannen sich zu genieren, mit mir ein Lokal zu betreten. Ich wurde gemieden und kam mir selbst wie ein Ausgestoßener vor - und alles nur, um das Ehrgefühl bestimmter Berufsgruppen nicht zu beleidigen. Eines Tages ertappte ich mich dabei, daß ich begann, auf den Speisenkarten nach Zusammenstellungen zu suchen, die runde Markbeträge ergaben. Errötend dachte ich: Nein, du darfst nicht klein beigeben, wenn du die Menschen erziehen willst. Du hast nun einmal beschlossen, keine Trinkgelder mehr zu geben, also gib auch keine mehr! Aber etwas mußte geschehen. Und ~ "" deshalb mache ich es jetzt anders. ~Ich gehe in eine Gaststätte, bestelle mein Essen und lasse mir meine Pfennigbeträge herausge- »Entschuldigen Sie ben. Dann aber erhebe ich mich von meinem Platz, ergreife die bitte, ist mein Otto Hand des mürrischen Kollegen Kellner und sage: »Es ist mir vielleicht noch hier?<< ein Bedürfnis, Ihnen kundzutun, daß es mir in dieser Gaststätte ausgezeichnet gefallen hat, daß das Essen gut und Ihre Bedienung hervorragend war. Gestatten Sie bitte, daß ich Ihnen meinen wärmsten Dank ausspreche!« Dann schüttele ich ihm die Hand, schreite hinaus und bekomme keine Tür mehr ins Kreuz. Zum Kollegen Friseur sage ich: »Der Haarschnitt ist vorzüglich geraten. Meinen besten Dank!« Ich schüttele ihm, •• der mich anstaunt, die erschlaffte Hand und gehe hinaus. Ahnlich spreche ich mit jedem Taxichauffeur, jedem Eilboten, jedem ... Das wirkt! Das wirkt besser als fünfzig Pfennig Trinkgeld. Ich werde dabei bleiben. Bis man hinter meinen Trick kommt. Deshalb bitte ich den Leser, diese Geschichte keinen Kellner, Friseur, J'axichauffeur und so weiter lesen zu lassen ... I
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Fritz Bernhard
Er hieß Fürchtegott Süßmilch und sah aus wie eine Mischung aus Missionar und wilhelminischem Oberlehrer. Ging er aufs Finanzamt, überwog der Missionar. Schurigelte er seine Mieter, schlug der Oberlehrer durch. In der Nachbarschaft nannte man ihn »die Kotzkanne«, zuweilen auch »den Großmogul«. Seine Bekanntmachungen pflegte er nach dem Vorbild hoher Amtspersonen - »Der Generalstaatsanwalt«, »Der Oberbürgermeister« - mit »Der Hauswirt« zu unterzeichnen. Mit einiger Beklemmung stand ein älteres Ehepaar vor dem kurzgeschorenen Vorgarten und las: »Das Abstellen von Fahrrädern am ' . Zaun sowie das Werfen von Bällen ~ ," · *" und Schatten auf den Rasen ist streng verboten.« Das Paar trat näher. Neben der Haustür hing ein Schild: »Das Spielen der Kinder vor, in oder hinter dem Hause ist strengstens untersagt. Radfahrer absteigen! Die Benutzung des Hausflurs ist verboten, Handwagen sind zu tragen. Die Hoftür bleibt geschlossen. Der Hauswirt.« Kopfschüttelnd durchquerte das Ehepaar den Hausflur und warf einen Blick auf den Hof. In einer Ecke stand eine Tafel: »Teppichklopfen verboten! Nicht rauchen! Nicht spucken! Ausrufen und Handeln untersagt! Husten und Niesen in der Zeit von 12 bis 15 Uhr strengstens verboten! Der Hauswirt.« »Das scheint ja ein reizender Mensch zu sein«, sagte die Frau kleinlaut zu dem Mann, »wollen wir nicht lieber wieder umkehren, Georg?« »Kommt nicht in Frage«, gab der Mann zurück und nahm die Frau unter den Arm, »wir gehen rauf.« »Tür leise schließen!« mahnte eine Aufschrift an der Haustür. >>Füße abtreten! Abtreter schonen!« befahl ein Schild auf der anderen Seite. Im Treppenflur schrie eine Tafel: »Ruhe!! Das Passieren der '' ' 1
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>>Erst hatten wir ausgeschachtet. Nun will er kein Haus mehr und hat sich einen Kahn gekauft.<<
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Treppe ist verboten! a) mit Kinderwagen, Rollern und sonstigen Gefährten, b) ... « Es folgten Einzelanweisungen bis zum Buchstaben k), aber schon fesselte die Augen ein kleines Standschild auf der ersten Stufe: »Treppe frisch gebohnert! Bitte den Läufer benutzen!« Zwei Stufen höher besagte ein anderes Schild: »Das Betreten des Läufers mit Nagelschuhen oder mit Absätzen ist streng verboten! « Auf dem Treppenabsatz befand sich eine Tür, über deren Klinke in einem Ausschnitt das Wörtchen »FREI« zu lesen war. Beherzt öffnete der Mann die Tür. An der Wand hing eine Papptafel, mit Rundschrift in schwungvollen Lackbuchstaben bemalt: »Benutzung der Retirade nur vormittags 8 bis 10 Uhr gestattet. Außerhalb dieser Zeit ist das Wasser abgesperrt. Rauchen und Zeitunglesen verboten! Sparsam spülen! Der Aufenthalt ist auf zwei Minuten zu beschränken! Licht ausknipsen!« »Das ist ein Hauswirt, vor dem man lieber ins Wirtshaus geht«, brummte der Fremde. »Was haben Sie denn da zu suchen?« unterbrach ihn eine Stimme von oben, die unangenehm scharf klang und in der Höhe kickste, »wie kommen Sie überhaupt ins Haus, wie? Ich habe doch ausdrücklich angeordnet, daß die Haustür auch am Tage verschlossen zu halten ist, zweimal herum!« »Wrr kommen wegen der Wohnung«, sagte der Mann. Gleichzeitig stieß die Frau einen kleinen Schrei aus. Das Treppenhaus verdunkelte sich. Draußen, vor dem Fenster, glitt langsam und an Seilen hängend eine Oma im Lehnstuhl abwärts. »Tja«, rief der Hauswirt, »qa staunen Se, was? Bei mir herrscht Ordnung! Krankentransporte über die Treppe sind in meinem Hause verboten, und wehe, wer sich meinen Anordnungen nicht fügt! Dem entziehe ich den elektrischen Strom! Nun los, kommen Se rein und sehen Se sich meine Hausordnung an. Die haben Sie zu unterschreiben, bevor ich entscheide, ob ich Sie nehme.« Auf vier eng beschriebenen Seiten war es u. a. streng verboten, Kanarienvögel zu halten, Kohl zu kochen, Kinder zu kriegen oder Grands mit vieren zu spielen. Die Miete war am Monatsersten bis 11 Uhr vormittags zu zahlen, doch verpflichtete das den Wirt nicht zu Gegenleistungen. Als der Besucher die Hausordnung gelesen hatte, sagte er kühl: »Sehr schön, Herr, aber für uns nicht maßgebend. Hier haben Sie meine Einweisung vom Wohnungsamt. Sie ist unwiderruflich ... « Süßmilch schn?-ppte nach Luft. »Haben Sie etwa Kinder?«
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»Nur sechs«, sagte der Fremde sanft, »aber das siebente ist unterwegs - na und ein paar sollen ja noch dazukommen.« »Schikane! Schikane!« brüllte der Großmogul, »Schi ... « Da platzte er mit scharfem Knall. Die Obduktion ergab: Abnorme Vergrößerung der Galle - völliger Mangel an Herz. Wegen Mangel an Leidtragenden kürzte der Geistliche seine Rede stark ab. Lediglich ein Bläserquartett, das von niemandem bestellt, aber in froher Hoffnung auf Geschäfte erschienen war, trat nach dem Segen an die Grabstelle. Kaum hatten sie die ersten Takte geblasen, als der erste Trompeter erbleichend sein Instrument absetzte. Eine scharfe Stimme, die in der Höhe kickste, hatte aus der Tiefe gerufen: »Das Musizieren ist auf dieser Stelle strengstens verboten!« und hier, meine Damen und Herren, sehen Sie die herrliche gotische Fassade des alten Rathauses!((
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John Stave
Bullerjahn nahm das Thermometer von der Wand, stellte es in ein Glas mit eisgekühltem Wasser und sprach die folgenschweren Worte: »Höchste Zeit, daß wir mal 'ne Weiße mit 'n Schuß trinken j ehn. « Das waren gute treffende Worte. Wrr setzten uns einen Tropenhelm auf und zogen los. Bullerjahn immer vorneweg, ich immer hinterher. Ohne ernstliche Hitzschläge gelangten wir in unser vegetarisches Stammlokal, wo außer Gemüse immer alles zu haben ist. »Weiße«, beruhigte uns die Bedienung freund„. lich, »bekommen wir wieder rein, wenn der Brauereiwagen angekommen ist. Vor vierzehn Tagen haben wir antelefoniert, da war er nämlich schon unterwegs.« Bullerjahn meinte, wir sollten inzwischen ruhig etwas Helles trinken. Wrr tranken fünf. »Höchste Zeit, daß wir mal 'ne Weiße mit 'n Schuß trinken jehn«, sprach Bullerjahn. An und für sich hat er eine Nase für Weiße. Selbstsicher nahm er die Fährte auf, aber nachdem wir in einem halben Dutzend bestens renommierter Lokale außer bedauernden Antworten nur Pilsner aus Pilsen, Riesling aus Rumänien, Wodka aus Adlershof, Kognak aus Armenien, Helles aus Radeberg, Rotwein aus Frankreich bekommen hatten - und, keine Berliner Weiße -, da ließ Bullerjahn die Nase hängen wie ein pensionierter Hühnerhund. »H-höchste Zeit, daß wir mal 'ne Weiße mit 'n Sch-Schuß trinken jehn täten«, sprach Bullerjahn. Wrr machten uns auf zur Stalinallee, denn dort konnte es ja gar nicht schiefgehn. Im Cafe Warschau tranken wir schätzungsweise mehrere Helle ohne einen einzigen Schuß. Wrr saßen im Freien, und die Sonne meinte es gar nicht so gut mit uns. »Weiße«, dozierte Bullerjahn, »is ein köstlichet Getränk, insofern man et hat, es macht nich besoffen, und du kannst von ihr so ville trinken, wie de willst.« Er bekam Augen wie aus Milchglas, und ich zahlte ganz rasch. •
))Der Gast meint, die Gänsebratensoße schmeckt nach Hammelbratensoße. « )}Komisch, dasselbe sagte ein Gast auch schon von der Kalbsbratensoße.<<
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Die Stalinallee kam uns merkwürdig krumm vor, als wir eine Hütte erreichten, die aber nur so heißt. Es war die »Frankfurter Hütte«. Das Bier dort war stark und wohltemperiert. Bullerjahn sah dem Ober traurig ins Gesicht und bemühte sich mit schwerer Zunge, ihm etwas klarzumachen. Er röchelte: »Wweiii-ßßee!« Der Ober verstand und erklärte uns, wir möchten die Straßenbahnlinie drei nehmen. Als wir am Weißen See ankamen, hatten wir ein gutes Dutzend Weißenseer Kneipen hinter uns gebracht. Dieser Stadtteil heißt aber nicht so, weil es dort etwa Weiße gibt, sondern im Gegenteil. Bullerjahn stand am Ufer des Teiches - Verzeihung! - des Sees und trocknete immer mehr zusammen. »Alo-koholl«, erklärte er, »entz-zizieht dem Körper die Feusch-feuchtichkeit! « und sprang mit einem gewaltigen Satz ins Wasser. Mir blieb nichts anderes übrig, als einen Raddampfer zu mieten und ihn zu retten. Ich schleppte ihn ins »HO-MilchBullerjahn intonierte einen Wirtinnenvers, häuschen« und goß ihm, obwohl er flehentlich um eine »Wwwweii-weii« bat, einen ander sich auf Weiße und Schuß reimte. gewärmten Wodka in den Rachen, um einer Erkältung vorzubeugen. Als der Anzug wieder trocken war, machten wir einen letzten verzweifelten Versuch. Wir nahmen eine Taxe und langten zur schwülsten Abendstunde im Spezialausschank der Willner-Weißen-Brauerei, Pankow, Berliner Straße, an. Bullerjahn intonierte einen Wrrtinnenvers, der sich auf Weiße und Schuß reimte. Dann hauchte er die Thekenfrau energisch an: »Aha! Sie ham also ooch keine Weeße, wa?« Die Frau fand das Benehmen natürlich unerhört, langte aber nichtsdestoweniger sofort zwei kleine Flaschen unter der Theke heraus. Eine halbe Minute später standen vor uns zwei riesige Gläser voll des schäumenden, säuerlichen Getränks, das Bullerjahn liebt wie sonst keins auf der Welt. Seine stumpfen Augen bekamen plötzlich wieder Glanz, mit letzter Kraft hob er den Kelch an den Mund und trank, trank ... Dann fiel er vom Stuhl. »Weiße würft dir nich um!« sagte Bullerjahn, als ich ihn unter dem Tisch vorzog. Dann lächelte er selig und schlief endlich • em. Höchste Zeit, daß wir wieder mal 'ne Weiße mit 'n Schuß trinken jehn.
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Fritz Bernhard
roi.zworto1t Wenn Onkel Adalbert, genannt Adi, zu Familie Mehlmann auf Besuch kam, war seine Aufnahme bei den Kindern nicht immer die gleiche. Brachte er eine Tüte Bonbons mit, freuten sie sich. Brachte er nur ein neues Kreuzworträtsel mit - Onkel Adi nannte sich selbst gern einen Kreuzworträtselpro:fi-, freuten sie sich ebenfalls; aber nur mit dem Mund. In Gedanken sehnten sie jedesmal das Ende der Raterei herbei, die Onkel Adi mit peinlicher Gewissenhaftigkeit zuendezuführen pflegte. Heute hatte er wieder mal ein Kreuzworträtsel mitgebracht, und Kurti, der Sechsjährige, durfte zu seinem Kummer erstmalig daran teilnehmen. »Weißt du überhaupt schon, Kurti«, begann Onkel Adi, nachdem er die Kinder um den Tisch versamNun, was ist denn die Ehe, fragte Onkel melt hatte, mit einem scharfen Blick durch die schwarze Hornbrille, »wozu ein Adi. Die Ehe ist eine Sache der Entwicklung. Kreuzworträtsel da ist?« >>Klar, Mann«, erwiderte Kurti harmlos, »damit man es raten kann.« »Falsch«, sagte Onkel Adi, »total falsch. Ein Kreuzworträtsel ist dazu da, daß Menschen mit einem unentwickelten Bewußtsein - wie zum Beispiel ihr - ihre Allgemeinbildung in fortschrittlichem Sinne fördern können. Und nun aufgepaßt, wir beginnen! Eins waagerecht: ein Inselbewohner.« Da der Ire den Kindern schon geläufig war, konnte Onkel Adi sogleich weitergehen. Die Hafenstadt in Südfrankreich, der Hirsch des Nordens, die dem Winde abgewandte Schiffseite und der Ern, jener unvermeidliche Hausflur, machten keinerlei Schwierigkeiten. Die Förderung der Allgemeinbildung in fortschrittlichem Sinne marschierte. Mehr und mehr hellten sich die Gesichter Wolfgangs, Monikas und Kurtis auf. Ihre Entlassung zum Versteckspielen im blühenden Garten schien näherzurücken. Da stutzte Onkel Adi. »Nanu? Was ist denn das? Ist der Kerl verrückt geworden? Wahrhaftig, der scheint Tinte gesoffen zu haben.« »Was ist denn?« erkundigte sich Wolfgang ungeduldig. »Man sollte an die Redaktion schreiben«, wetterte Onkel Adi, »nein, man sollte sich an die Regierung wenden! Das ist doch geradezu bodenlos ist das doch! So was!« •
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»Stimmt denn was nicht?« drängte Monika. . »Natürlich stimmt was nicht«, schimpfte Onkel Adi, »bei 14 senkrecht muß >Ehe< rauskommen, und wie definiert das dieser Dummkopf von einem Rätselmacher? Ganz einfach als >Verbindung<. So ein Trottel! So ein Versöhnler! So ein Reaktionär!« »Was hat er denn dabei falsch gemacht?« bemühte sich Wolfgang die Philippika etwas abzukürzen. »Nun, was ist denn die Ehe, hä?« fragte Onkel Adi dagegen. »Die Ehe ist, wenn ein Mann und 'ne Frau heiraten«, erklärte Monika. »Falsch.« Onkel Adi warf einen strafenden Blick durch die Brille. »Total falsch. Die Ehe ist eine fi 1l Sache der Entwicklung. Nach ~~ Ft:::::..::-~:::.·· ·:.:::-:.:.::·-::J-d ---.. . l.~ Friedrich Engels gibt es nämlich . --·r--. . . . . -, . ; \.._ ] ' ---- -· drei Hauptforn1en der Ehe, die u """ ich zitiere - im ganzen und großen den drei Hauptstadien der menschlichen Entwicklung ent1 sprechen.« »Wie hätte der Rätselmacher das aber ausdrücken sollen?« warf f • Wolfgang ein. »Ganz einfach«, meinte Onkel Adi, 1 »er hätte etwa sagen können: 14 senkrecht, Gegenstand der Entwicklung, für den es nach Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates (Marx und Engels, Ausgewählte Schriften, Band Hinterlistige Konkurrenz II, Seite 216) drei Hauptformen gibt.« »Aha«, sagte Wolfgang artig. »Und nun weiter«, fuhr Onkel Adi fort. »18 waagerecht: papierenes Erzeugnis mit 8 Buchstaben und hinten ein I. « Gespannt blickte er auf die Kinder. Ob sie die Lösung »Konfetti« wohl herausbekommen würden? Da hob zum erstenmal Kurti die Hand und rief triumphierend: »Ick weeß! « »Na und?« ermunterte Monika den Kleinen, »wie heißt das papierene Erzeugnis?« »Onkel Adi. « 1
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Renate Holland-Moritz
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Ick habe in mein Leben als Buchmacha vom Alexjewiß schon manchet Schwere durchjemacht, wovon der jewöhnliche Mensch nüscht ahnen tut. Wenn son Penner oder meinswejen och een ehrlicher Famililenvata mit seine Wette wieder mal rinjefallen is, denn schmeißt er mir seine Salem an Kopp und macht een Krakeel in mein Laden, als wie • e1 wenn ick die Schuld dran hätte, det sein Steppenjaul een büßken zu langsam jeloofen is. Keener von die Brüder denkt dranne, det son Buchmacha ooch ne Seele hat und detta nüscht weita will, als wie jutet Jelt vadienen und mit die Seinen een scheenet Familjenjlück flejen. Und da bin ick schon bei den wunden Punkt in mein Leben anjelangt. Wat meine Olle.betrifft, die is ja nu anno dreiundfuffzich mit son vahungerten Jockei durchjebrannt. Aba mein Junge is mir doch imma noch jeblieben, mein Klausi, der Sonnenschein in mein dusteren Alltach. Also, den hätten Se kennen müssen, wo er noch een Kind war! Jewiß, seine Demlichkeiten hatta ooch jemacht, und die Vasichrung hat für manch eene Schaufensterscheibe berappen müssen. Solla ruhich, hab ick damals imma zu meine Olle jesacht, wennse desterwejen ze flennen anfing, wenna in jede andre Beziehung nach sein Vata kommt, denn is mir um Klausin nich bange. Und so war et ooch. Papa, hatta imma gesacht, als er so elwe, zwölwe war, wenn ick ma jroß bin, komm ick bei dir in Laden. Denn wem wa die Leute ma zeijen, wat zwee richtije Männa können. Und eines Tages steht üba een jroßet Haus am Kudamm »Buchmacherei von Otto und Klaus Lemke«. Jawoll, so
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Die ABC-Zeitung, die Monatszeitschrift jü.r Jungpioniere.
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war mein Junge, det hatta gesacht, so wahr wie ick hier sitze. Und denn hatta sich am Abend den Besenjegriffen und hat den Laden aufjefecht, als wie wenn det janüscht wäre für een zukünftjen Buchmacha vom Kudamm. So war allet herrlich und in Freuden, bissa eines Tages die Roten uffen Leim jekrochen is. Wie det anjefangen hat, weeß ick noch wie heute. Een Sonnabend kommta aus Schule und is so stille. Ick sage, Klausi, sag ick, dir is wat über die Leber jeloofen, rück raus mit die Sprache, vertrau dir dein alten Vata an. Druff er: Weeßte, Papa, unsa Lehrer hat uns det heute mal so richtich erklärt mit die Kaptalisten und die Ausjebeuteten, und ick will keenen ausbeuten, und uffen Kudamm bei die feinen West-Pinkels wer ick ooch nich jehn. Ick denke, mir trifft der Schlach. Klausi, sage ick, willste dein Vata beleidijen? Hab ick dir villeichs ausjebeutet, weil du imma mal den Laden ausjefecht hast? Dadruff konnte er nüscht sagen, aba ausjefecht hatta den Abend ooch nich. Da issa det erste Mal in son. Jugendklub jejangen. Wie ick ihm frage, wattajemacht hat, sachta, er hat Tischtennis jespielt. Ick sage, Klausi, sag ick, wenn et det is, een Tischtennis wer ick dir koofen, sollste haben, mein Junge. Aber nee, er will bei die andern l j ehn, da spieln sie Volleyball und lesen sich Jeschichten vor, und sonntachs fahrnse mit Zelte int Jrüne. Da wart ja nu aus mit meine langmütje Jeduld. Ick hau ihm kurz und zackich eene runter und sage: »Jetzt wer ick dir mal ne Jeschichte erzähln, denn kannste dir anschließend int Jrüne vadrücken und von mir aus Volleyball spieln. Ick wer dir enterben, mein lieber Sohn, meine Hand wer ick von dir abziehn, denn sollste zusehn, wo de mit deine Klubbrieda bleibst.« Natürlich hab ick imma wieder mit all meine Vataliebe vasucht, den Bengel uff qen rechten Weg zu führm. Jut, hab ick jesacht, wenn de nich uff Buchmacha lernen willst, brauchste nich, ob-
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Titelblatt der Zeitschrift > Jugend und Technik« mit dem Entwuif eines Regierungspalastes für den einstigen Schloßplatz in Berlin.
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wohl mir det Herze brechen tut. Jehste ebent bei Kolonialwarenhändler Schmidt aus de Dimitroffstraße in die Lehre und schlägst im kaufmännischen Fach. Aba nee, da hatten ihm die Funzenäre einjeredet, er könnt uff Obaschule jehn und späta studiern. Ick sage, Klausi, sag ick, die Bildung vadirbt den Menschen. Beim Turf isset ooch ejal, ob een Akademicker oder een Schornsteinfeja wettet. Jlück mußte haben. Und denn noch een Laden, det is wat Reellet. Aba er hat ja nich hören jewollt. Jetzt studiert er uff Landwirtschaft, mit det Jrüne hattas ja schon immajehabt. Wenn ick ihm auslache, von wejen Kuhbauer, denn machtan Ubaheblichen und sacht, in die moderne Landwirtschaft hatta mit mehr Maschinen ze tun als wie ick in meine Buchmacherei. Wie er mit die Kunden in mein Laden umjeht, is ja nich wieda jutzumachen. Mein alta Jrundsatz is: Wat der Kunde sacht, hat Jott jesacht. Det jebietet schon die Höflichkeit. Aba er disketiert mit die Leute und sachtse, wenna ne andere Meinung hat. Det schärfste Ding hatta sich ja nu mit Herrn Schnalle erlaubt. Dem sind doch vorichte Woche een paar dicke Wetten danebenjejangen, und sein Valust war nich von Pappe. Klausi, der Strolch, jrient natürlich, und ick jeb mir Mühe, den Herm ze trösten. Aba der meent, so schlimm wäre det nu wieder nich, denn wird er ebent die Mieten in sein Haus een bißken erhöhen und die Flaumen von Mieter wat von erhöhte Reparaturkosten erzähln. Da wird doch Klausin gleich über ihm herfallen, det wäre unjesetzlich und Betruch und wat weeß ick. Herr Schnalle zeicht ihm einfach een Piepvogel. Und wat macht der dadruffhin? Er jeht bein Volksvatreta, weila anjeblich die Mieter zu ihm Recht vahelfen muß. So weit isset nu jekommen. Aber die Schuld trifft allene die da oben. Ick for meine Person hab jetan, wat in meine Macht stand, detta een brauchbara Mensch wem tut. ••
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>>Dumm biste, gelernt haste nischt, am besten, wir schicken dich aufs Landl<<
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„Hab ich dir nicht tausendmal gesagt, wie man sich bei Tisch benehmen soll!"
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FDJ-Schuljahr
2.Derufsweftbewerb
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der deutschen Jugend
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chenbude und wundem sich, daß auf einem Schild steht »Senf umsonst«, auf einem anderen »Senf kostenlos«. Der Unterschied will ihnen nicht einleuchten. Sie wenden sich an einen Studenten und fragen ihn. Seine Antwort: »Wenn ich studiere, ist das kostenlos, wenn ihr ·. studiert, ist das umsonst.«
Pionierlager Unbefugtes Betreten verRlli~ntet zu _ ; "' .
lreiwil\igem Arbeits~~ · einsatz für das LafJer La erte1tu11
Kumpel, studiere im politischen Zirkel der FDJ • -----
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Jo Schulz
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»Sie verzeihen, meine Dame, daß ick Ihnen nähertrat Fritze Priemel ist mein Name, Fritz - vom Lehrlingskombinat. Ick bin eene dufte Biene, aber sicher, janz jewiß daß ick ooch schon wat verdiene ist vielleicht keen Hindernis. »Mein Sohn«, sagt stolz eine Mutter, »kommt nach Marx. Er hat einen gewaltigen Bart, studiert und hat schon eine Entdekkung gemacht.« »Mein Sohn«, sagt eine andere, »kommt eher nach Lenin. Er hat schon eine Glatze, und kaum ist er aus dem Knast raus, muß er auch schon wieder rein.«
Und ick sag das nicht von wegen ... wie Sie denken keinesfalls ... doch ... na ja Zusammenlegen kostet schließlich nicht den Hals. Paddelboot - am Wasser zelten, für uns zwei der rechte Wind keine Bange vorm Erkälten ... weil wir doch alleine sind. Sie sind eine schnieke Puppe ... ehrenwörtlich ... alles dran! Meine Kumpels? Auch ne Truppe, die sich sehen lassen kann. Freilich gibt es solche Brummer, die noch Ausschuß produziem. Auch der Meister macht mir Kummer, denn er sagt, ick soll studiem! Und er will mich vorbereiten, und er wäre für mich froh heute wären andre Zeiten ... Und nu frag ick Sie, wieso?«
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Lernen, lernen, nochmals lernen
John Stave
llator wir as iH se OH se al4 a HI »Tja, mein lieber Herr Treuber, natürlich kann ich Ihnen da helfen! Man geht ja schließlich als Vater nicht blind durch das Leben, man begutachtet, man beobachtet ja, man sammelt seine Erfahrungen. Schaun Sie, lieber Treuber, bei meinem Sohn ließen sich noch vor recht kurzer Zeit ähnliche Symptome wie bei Ihrem Knaben feststellen. Auch mein Herr Sohn frönte des öfteren in der Woche dem westlichen Kinogang. Durch meine kolossale Arbeitsüberlastung kam ich erst ziemlich spät den Abwegen meines Kindes auf die Spur. - Nehmen Sie noch einen Kognak, Herr Treuber! Zigarre? - Ich stellte meinen Sohn demokratisch zur Rede. Sprach • von Raubüberfällen als Folgeerscheinung von Gangster-Filmbesu- ® chen, sprach von Sittlichkeitsdelikten - mit dem nötigen Feinge• fühl selbstverständlich - kurzum, ich opferte dem Buben eine geschlagene halbe Stunde für diese für sein späteres Leben so eminent -. wichtige Unterhaltung. Man kann .. sich ja mit der Jugend nicht genug ---. '""~~ beschäftigen! Heute nun, lieber Treuber, kann ich Ihnen mitteilen, daß meine Bemühungen auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Danke schön! Der Junge besucht regelmäßig den Jugendklub in der Westemannstraße. Und jeden Abend erstattet er mir wahrheitsgemäß Bericht, ob es ihm gefallen hat. Sehen Sie hier, Herr Treuber, habe ich mein Notizbuch. Schauen Sie hier. Montag: Ein Buch spricht zu uns. Ein Leseabend. Hier rechts die Beurteilung Haralds: Sauber! - Naja, die Jugend von heute spricht ihre eigene harte Sprache. Oder Dienstag: Vor dem Jugendgericht wurde verhandelt, ein Ausspracheabend mit einem Staatsanwalt. Haralds Urteil: Mittelprächtig bis interessant! - Mittwoch: Rund un;i den Schlager, Diskussion mit Beispielen:
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Doll! - Donnerstag: 2 x 5 Wochen in Moskau, ein Reisebericht: Dufte! - Freitag: Der erste künstliche Planet, Lichtbildervortrag: Sehr gelungen! ... « In einem anderen Notizbuch lesen wir über dieselben Tage: Montag, Rixi »Am Rande der Unterwelt«; Dienstag, WBT »Der Weiße Teufel von Arkansas«; Mittwoch, Metropol »Schwarze Nylons, heiße Nächte«; Donnerstag, Bonbonniere »Eddie, Tod und Teufel«; Freitag, Aladin »Duell im Morgengrauen«. Auf dem Umschlag des Notizbuches steht der Name Haralds. »Na, mein lieber Treuber, stecken Sie sich man noch eine von den guten Zigarren an! Jetzt haben wirs zehn. Gleich muß der Junge kommen. Wissen Sie, Herr Treuber, man darf diese Erziehungsmaßnahme - soll sie dauerhaft von Erfolg gekrönt sein - natürlich nicht übertreiben! Deshalb habe ich Harald erlaubt, heute mal ins Kino zu gehen. Wohin er immer will. Er soll den Unterschied merken. - Ach, da ist er ja schon. Nun, mein Kind, wie wars? Mäßig und langweilig? Soso! Merken Sie was, Herr Treuber?! Beharrlichkeit führt 1 zum Ziel!« \ In Haralds Notizbuch lesen wir über diesen Sonnabend: Versuchsweise Jugendklub »Ein Buch spricht zu uns« ... .• •
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>>Deine schlechte Heftführung werde ich im Klassenbuch vermerken.<<
Der Qewi1111er
Der gute Onkel kam an einen Sandkasten. Drei Steppkes stritten sich. »Nun«, fragte der gute Onkel, »warum zankt ihr euch denn so?« »Ach, es ist bloß«, antwortete der Älteste, »weil wir gewettet haben, wer das schönste Märchen erzählt ... « »Ich«, riefen die beiden anderen wie aus einem Mund. »Nein, ich«, gab der dritte zurück und begann, seine Gefährten mit Sand zu bewerfen. Da griff der gute Onkel in seine Rocktasche, fingerte ein paar Fünfer hervor und sagte: »Da, Jungs, lauft in die HO und holt euch jeder eine Zuckerzigarre oder eine Gummischlange oder sonstwas Süßes füm paar Pfennige ... « »Gewonnen, Onkel, du hast gewonnen!« krähten alle drei in schönster Eintracht. Alfred Brand!
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B. ldamann
' OIHIWO ... vom Seminar gelang es dem jungen Mann endlich, den Platz an ihrer Seite zu gewinnen. »Es war sehr kollegial von Ihnen, daß Sie mir während meiner Krankheit Ihre Schulungshefte gebracht haben. So konnte ich heute mühelos dem Seminar in Stilistik folgen!« sagte das junge Mädchen anerkennend zu ihm. Der junge Mann errötete verlegen und zupfte einen Blütenzweig vom Strauch, der doldenschwer über den Zaun hing, an dem die beiden entlanggingen. »Das mit den Heften ist nicht der Rede wert«, sagte der junge Mann zögernd, »doch ich habe Ihnen nicht nur Schulungsmaterial gebracht, sondern auch ein paar Blümchen. Damit wollte ich Ihnen gewissermaßen andeutend durch die Blume sagen ... « »Ha, ha«, unterbrach ihn das junge Mädchen fröhlich, »welche Tautologie ist Ihnen da passiert: andeutend durch die Blume sagen!« »Lachen Sie mich bitte nicht aus«, entgegnete der junge Mann mit Würde, »ich glaube, meine Anteilnahme an Ihrem Befinden ging doch etwas über das allgemeine Interesse aller anderen Kursteilnehmer hinaus.« »Noch eine Tautologie!<< jubelte das Mädchen, »das allgemeine Interesse aller, der klassische Fall einer Tautologie ist das!« »Jedenfalls wollte ich mit den Blumen zum Ausdruck bringen ... «, versuchte der junge Mann fortzufahren, doch das Mädchen unterbrach ihn wieder: »>Zum Ausdruck bringen< ist eine analytische Wortverbindung, die ihres Schablonencharakters wegen zu den Stilverstößen zu zählen ist. Das Verb >ausdrükken< drückt das gleiche besser und kürzer aus.« Der junge Mann war ob dieser Korrekturen sichtlich zerknirscht. »Sie waschen mir aber stilistisch gründlich den Kopf«, klagte er. •
»Wissen Sie, in seiner stillen und gutmütigen Art kommt der junge ganz nach mir.<<
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Lernen, lernen, nochmals lernen
»Auch diese idiomatische Redewendung ist keine periphrastische Einmalbildung, sondern, stilkritisch betrachtet, eine mitsamt ihrer drastischen Expressivität plattkonventionelle Ausdrucksformel«, gab das junge Mädchen sachlich zu bedenken. Der junge Mann blieb verzweifelt stehen ... »Sie verstehen es, ein himmelhoch jauchzendes Herz zu Tode zu betrüben!« Nun wurde das junge Mädchen aber ernstlich ungehalten: »Mit diesen beiden letzten charakteristischen Erscheinungsformen traditioneller Periphrasentypen, auch Hyperbeln genannt, krönen Sie gewissermaßen die Hypertrophie Ihrer Tropen! Dazu noch das doppelte >ZU<. Es scheint mir, Sie haben während der 6 Wochen meiner Krankheit in Ermangelung des Studienmaterials überhaupt nichts gelernt!?« »Doch, ich habe!« erwiderte der junge Mann düster, aber entschlossen. »Allerdings zu spät. Denn erst jetzt erkenne ich, daß ich mich falschen Illusionen hingegeben habe, und das Engelsbild, das ich im strahEr gebrauchte keinen einzigen Neologislenden Goldrahmen Ihrer blonden Locken in mus, der sich semantisch von adäquaten der Brust trug, enthüllt sich mir nun als Frau Konversationsfloskeln unterschied. Herzeleid. Vergessen Sie mich, mein Fräulein, und leben Sie wohl!« So sprach der junge Mann und enteilte. Das Mädchen blickte ihm kopfschüttelnd nach. Dann ging es auf das nahe Haus zu, wo an der Gartentür die Mutter seiner voll Ungeduld wartete. »War das nicht der nette junge Mann, der täglich Blumen brachte und sich so teilnehmend bei mir nach deinem Befinden erkundigte? Er ging so eilends fort, was sagte er denn?« fragte die Mutter. »Ach, er brachte eine ganze Menge allegorische Metonymien und Metaphern, bildhafte Umschreibungen, Synonyma und Vergleiche durcheinander, daß mir der Kopf davon noch dröhnt. Das pleonastische Epitheton >falsch< in Verbindung mit >Illusion< ist mir besonders deutlich in Erinnerung geblieben«, antwortete das junge Mädchen. »Sonst hat er dir nichts gesagt?« forschte die Mutter beim Hereingehen. »Ich meine, etwas Besonderes?« »Eben nicht«, entgegnete das Mädchen. »Ich sagte dir doch, er gebrauchte keinen einzigen Neologismus, der sich semantisch von adäquaten Konversationsfloskeln unterschied.« »Schade«, seufzte die Mutter, »ich hatte bestimmt geglaubt, daß er dir etwas Persönliches sagen würde. So ein netter junger Mann ... !« •
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Was des Volkes Hände schaffen
Erich Brehm
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Breit und wuchtig lag die Maschinen-Traktoren-Station im Wmtersonnenschein. Thomas, der Leiter der MTS, griff sich einen Schraubenschlüssel und ging pfeifend über den Hof. Die MTS war in Ordnung und das Reparaturprogramm so gut wie beendet, was nur dank der guten Planung und angestrengten Arbeit aller seiner Mitarbeiter möglich gewesen war. Vor der Reparaturwerkstatt blieb Thomas einen Augenblick stehen und hob schnuppernd die Nase. Das riecht ja fast wie Frühling! dachte er und fügte laut hinzu: »Soll er kommen, der Frühling!« Es kam aber nicht der Frühling, sondern eine Kommission! Den vorfahrenden zwei Autos entstiegen fünf Männer und eine Frau, die Thomas freudig begrüßten. Bevor die Einmann-Kommission abfuhr, entschul- »Wir haben gehört, daß Ihre MTS geradigte sie sich noch mal, daß sie so klein war. dezu vorbildlich arbeitet, und das interessiert uns natürlich!« Thomas legte also den Schraubenschlüssel wieder weg und zeigte stolz und geduldig die MTS. »Wunderbar! - »Ausgezeichnet!« - »Großartig!« - riefen die Kommissionsmitglieder. »Können wir Ihnen irgendwie helfen?« fragten sie dann. »Bei uns ist das nicht nötig«, antwortete Thomas, »aber wie wäre es denn, wenn Sie die MTS Bruchwitz besuchten? Ich weiß, daß bei denen manches nicht klappt, und es sind nur zweiundzwanzig Kilometer bis dahin.« »Keine Zeit mehr!« riefen die Kommissionsmitglieder wie aus einem Munde und schlüpften eilig in die Autos. Thomas nahm verblüfft den Schraubenschlüssel wieder auf. Gerade als er in die Werkstatt wollte, gab es neuen Besuch. Diesmal war es aber nur ein einzelner Autofahrer. »Ich bin die Kommission von eurem Patenbetrieb !« stellte er sich vor. »Wir sind eigentlich vier Mann, aber die andern drei sind verhindert. Da wir in unserem Verlag gehört haben, daß ihr so vorbildlich arbeitet, wollen wir euch ganz groß in der Zeitung herausbringen!« Er blieb über Nacht und photographierte am nächsten Morgen das Tor, die Traktoren, die Katze, Thomas mit Schraubenschlüs-
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Was des Volkes Hände schaffen
sel, Thomas ohne Schraubenschlüssel, kurz, wenn er alles mitgenommen hätte, was er photographiert hatte, wäre anstelle der MTS eine Wüstenei zurückgeblieben. Bevor die Einmann-Kommission abfuhr, entschuldigte sie sich noch einmal, daß sie so klein war und fragte, ob die MTS Hilfe brauche. Thomas bot noch einmal die MTS Bruchwitz an, allerdings wieder ohne Erfolg. »Ist ja nicht unser Pate!<< erklärte der Kommissions-Robinson und brauste davon. Bevor Thomas nach dem Schraubenschlüssel greifen konnte, erschien ein Autobus, aus dem sich siebenundzwanzig Perso-
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nen über die MTS ergossen. Es war eine Kommission, die die VdgB auf die Reise geschickt hatte, als die Kunde von der vorbildlichen MTS zu ihr gedrungen war. Thomas wollte zunächst etwas unwillig werden, beschloß dann aber, sich über seinen jungen Ruhm zu freuen. Nachmittags saß überall, wohin man auch guckte, ein Kommissionsmitglied und schrieb eifrig an einem Bericht über die vorbildliche MTS. Am vierten Tag, als. sich die achte Kommission verabschiedet
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Was des Volkes Hände schaffen
Ein Hengst betrent hundert Stuten. . .-· Eines Tages sielit-er traurig aus. ~. ;.· · Fragt ihn eine ~ _"'; . Stute, was der '. ·. ~:i::.....· Grund sei. »Acli·'c.1''·; · ; · · ich muß zur Quaa·:"'?"~fizierung. « »Und was ist so . · schlimm daran?<{ . fragt die Stute~ · »Weil in der Zwi- .·. schenzeit irgend . so ein Esel mit -~ . Diplom kommtw
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hatte, war Thomas doch etwas müde, und da jede Kommission beim Eintreffen erklärte, sie habe des schönen Wetters wegen gerade jetzt die Gelegenheit ergriffen, begann er, den Himmel nach Wollren abzusuchen. Auf seinem Bürotisch lagen Anmeldungen vom Rundfunk, der einen Abend in dieser vorbildlichen MTS veranstalten wollte, von zwei Staatssekretariaten, von Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen usw. Alle wollten die vorbildliche MTS besuchen, um daraµs neue Kraft für ihre Arbeit zu schöpfen. Als die neunte Kommission auftauchte, erklärte Thomas kurzentschlossen: »Liebe Kollegen, ich freue mich, daß ihr gerade zu uns gekommen seid, obwohl wir doch noch so viele Mängel und Schwächen haben!« Die Besucher sahen sich erstaunt an. »Die MTS Bruchwitz«, fuhr Thomas fort, »hätte euem Besuch viel eher verdient! Wrr werden übrigens oft mit ihr verwechselt, weil wir nur zweiundzwanzig Kilometer auseinanderliegen!« Wieder gab es verdutzte Gesichter. Sollte hier ein Irrtum vorliegen? »Also, dann will ich euch mal aufzählen, woran es bei uns noch hapert!« fuhr Thomas ungerührt fort. »Zeit habt ihr euch doch genug mitgebracht, nicht wahr?« Der Leiter der Kommission räusperte sich. »Ich fürchte, Kollege, wir sind ... «, sagte er, »wir wollten eigentlich nur fragen, wie weit es noch bis Bruchwitz ist. Zweiundzwanzig Kilometer also! Ja, da müssen wir schnellstens weiter, vielleicht klappt es ein andermal besser!« »Wird schon einmal klappen!« antwortete Thomas und sah vergnügt zu, wie die Kommission die Autos bestieg und nach Bruchwitz weiterfuhr. Bei den folgenden Kommissionen war es einfacher. Denen brauchte er nur zu erzählen, daß die Vorgänger nach Bruchwitz weitergefahren waren - schwupp - sausten sie hinterher. Am nächsten Abend rief der Leiter der MTS Bruchwitz an und zählte erfreut auf, was er alles an Hilfe bekommen würde. »Wenn das so weitergeht«, meinte er, »wird auch bei uns die Frühjahrsbestellung planmäßig geschafft werden!« »Das müßt ihr auch schaffen!« antwortete Thomas ernst, »du weißt ja, was die BevöTh:erung von uns erwartet.« Dann nahm er fröhlich seinen Schraubenschlüssel und ging in die Reparaturwerkstatt. Auf dem Hof sah er sich noch einmal den Himmel an. Hoffentlich hält sich das gute Wetter ein paar Tage! dachte er.
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Tägtich zu besichtigen ab 1. November von 10 bis 20 Uhr
Ein alter Thüringer Bauer will sich zur Ruhe setzen und gibt seinen Hof an die neugegründete LPG. Zum Inventar gehören ein Huhn, ein Hund und ein Ochse. Eine Weile geht alles gut, aber eines Tages kommt das Huhn zu seinem alten Besitzer zurück. »Warum kommst du zurück?« fragt der Bauer. »Ach«, sagt das Huhn, »bei dir wars zum Aushalten. Ich legte jeden Tag ein Ei. In der LPG soll ich zwei pro Tag legen.« Nach einer Weile kommt auch der Hund zurück. »Ach«, klagt er sein Leid, »das ist doch kein Leben in der LPG. Ich soll alles bewachen. Bei dir wurde nur in der Nacht geklaut, dort klauen sie Tag und Nacht.« Nun vergeht ein ganzes Jahr, aber der Ochse lässt sich nicht blicken. Aber eines Ta-· ges, als der Bauer vor der Tür steht, rast er vorbei. »He, warte!« ruft der Bauer. »Erzähl mir doch, wie es dir geht!«- 1>Keine Zeit«, ruft der Ochse, >lieh bin LPG-Vorsitzender geworden.«
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Was des Volkes Hände schaffen
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Hansjoachim Riegenring
»Holz ist knapp«, sagte mein Freund Eduard und setzte die Säge an. »Was wird denn das?« fragte ich neugierig. »Ein Kaninchenstall. Einer ist mir mißlungen, weil ich falsch gemessen habe, beim zweiten habe ich die Türen vergessen, und bei dem hier fehlen noch ein paar Bretter.« Das Dach des halbfertigen Stalles stand nach beiden Seiten ungefähr einen halben Meter über. Eduard prüfte die Zähne der Säge, biß seine Zähne zusammen und machte die Sache glatt. Ich holte ganz tief Luft, mit Sägespänen vermischt. »Mensch«, nieste ich, »wenn du immer so arbeitest, muß ja Holz knapp werden. Gut vorbereiten, das Material stets restlos ausnützen. - das sind die Wir erfüllen unseren Plan bis zum letzten Astloch! Die Holzindustrie ist immer auf dem Kien. Grundlagen der modernen Holzverarbeitung! Denn du kannst doch nicht an einem Kaninchenstall Holz für drei verschwenden!« Damit er mal sehen konnte, wie man mit Holz umgeht, besuchten wir den VEB »Holzwurm«. »Tut mir leid«, sagte der Meister, »Bretter kann ich Ihnen leider nicht geben.« Eduard sah traurig auf die vielen Bretter im Hof. Holz aus aller Hölzer Ländern, ringsumher hochgestapelt. »Dieses Holz«, erklärte der Meister, »ist unsere eiserne Reserve. Und natürlich restlos eingeplant.« »Sie arbeiten doch sicher nach den strengsten ökonomischen Grundsätzen?« fragte ich. Wie da der Meister überlegen lächelte! »Das ist doch selbstverständlich. Wir erfüllen unseren Plan bis zum letzten Astloch!« »Nach dem Leitsatz: Die Holzindustrie ist immer auf dem Kien!« schmunzelte Eduard und hob zwei glattpolierte kaukasische Nußbaumbretter auf, die von einem hochhaushohen Haufen heruntergerutscht waren. »Abfall«, warf der Meister die wunderschönen Bretter verächtlich in die Hofecke. »Wir haben ja so enorm viel Verschnitt.« »Rum?« horchte Eduard auf. Der Meister zeigte auf zwei Arbeiter, die gerade Bretter mit der Kreissäge der Quere nach zerschnitten. »Wir bekommen Bretter von fünf Meter Länge geliefert, brauchen aber für unsere Produktion welche von zwei sechzig. Bleibt jedesmal ein Rest von zwei vierzig.«
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Eduard faßte sich an die Stirn, wo sie am heißesten war. »Aber die schönen Bretter, die kann man doch nicht astlos beiseite werfen. Das sind doch die Bretter, die das Geld bedeuten!« Er rechnete aus, was man aus dem »Abfall« für herrliche Dinge bauen könnte: 200 große oder 387 kleine Tische oder 187 Schuhschränke oder 456 Rodelschlitten oder 345678 Frühstücksbrettchen oder 2495724 Streichhölzer, oder ... »Und wann sollen wir unseren Plan erfüllen?« zersägte der Meister seine Berechnungen. »Das ist ja schrecklich«, seufzte Eduard. »Der eine braucht ein Brett und der andere hat's vorm Kopf.« Er ließ noch eine lange Rede über fehlende • ~' Bretter vom Stapel. »Wir waren auf dem falschen Holzplatz«, versuchte ich, ihn zu 1 beruhigen. »Wrr müs• sen uns nur einen gutorganisierten Iny dustriebetrieb ansel J „ hen.« Wir gingen in / _/ eine Möbelfabrik. Tische standen da und Schränke und Betten, und das möbel·· · te uns richtig wieder · · auf. Die Tischer, Schränker und Bettenmacher (hoffentlieh sind das die richtigen Berufsbezeichnungen) sahen uns neugierig entgegen. »Gut Holz«, grüßte ich, »wir möchten uns gern einmal fortschrittliche Produktionsmethoden ansehen.« Eduard lehnte sich gegen einen Küchenschrank, der daraufhin erschrocken zusammenbrach. »Macht gar nichts«, lachte der Transportabteilungsleiter. »Er wäre unterwegs sowieso entzweigegangen.« Er zeigte auf einen großen Haufen Brennholz im Hof. »Alles Ausschuß. Manches geht hier kaputt, und manches geht beim Verladen kaputt, und vieles geht auf der Bahn kaputt.« Er wollte sich kaputtlachen. Wir guckten uns die Abteilungen an, in denen Radiogehäuse gebaut wurden und Standuhren und Fernsehtruhen. Tempo hatten sie ja. Wen~ ein Stück nicht paßte, verloren sie keine Zeit damit, es an einer anderen Stelle zu verwenden oder es neu ab-
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Was des Volkes Hände schaffen
zumessen. Sie warfen es beiseite, und ruck-zuck hatten sie ein neues Brett angesägt. Über den Hof führte ein schöner Knüppeldamm aus Weißbuchenbalken, damit man nicht in die Pfützen trat, in denen das Sperrholz lag. »Der Abfall ist ja so schrecklich groß in der Holzverarbeitung«, sagte der Werkmeister. »Man müßte eben mehr Ersatzstoffe verwenden.« »Meine Meinung«, stimmte ich zu. »Vor allem müßte man die vielen Holzköpfe durch richtige ersetzen.« »Die schönen Bäume<<, seufzte Eduard. »Erst schlägt man sie. Dann macht man sie zu Treibholz, Schnittholz, Rundholz, und wenn es an Hirnholz fehlt, auch noch zu Kleinholz.« Dann war er still und dachte an seinen Kaninchenstall. Ich merkte es daran, wie er schnuppernd die Nase bewegte. Auf der Straße stießen wir gegen ein Baugerüst. Es erzitterte bis ins dritte und vierte Glied, denn es war morsch, und seit drei Jahren war kein BauDer Polier sah versöhnt den drei laufenleiter über die Bauleiter geklettert. den Metern Dachlatten nach, die ein »Diese Rüstung«, machte ich höflich den neMaurer für seinen Hühnerstall wegtrug. benan arbeitenlassenden Polier aufmerksam, »ist eigentlich schon eine historische Rüstung. Hätte man sie nicht schon woanders verwenden können? Ein ganzer Wald steckt in ihr, und stellenweise fault sie schon.« »Verfault und zugenäht«, erwiderte der Polier freundlich. »Ist das mein Wald? Oder Ihrer?« »Nein«, sagte Eduard bescheiden, »er ist nur volkseigen.« »Na also«, brummte der Polier versöhnt und sah drei laufenden Metern Dachlatten nach, die ein Maurer für seinen Hühnerstall wegtrug. »Das machen sie alle«, winkte er ab. »Da kommt doch mit der Zeit eine ganz schöne Latte zusammen«, wollte ich sagen, doch er überwachte das Abladen von Mauersteinen, von denen die meisten auf einen Stapel neuer Fensterrahmen fielen. Wir stolperten über Gerüststangen, Balken, Bohlen, Dielen, Furnierhölzer, die in großzügiger Streuung zwischen Kalkhaufen und Disteln ihrem Ende entgegenfaulten. Eduard sagte nichts mehr. Gestern traf ich Eduard im Wald. Er suchte neun große, starke Bäume aus. »Ich will mir ein Tischkegelspiel bauen lassen«, grinste er, »und das hier« - er zeigte auf eine riesige Eiche mit einer gewaltigen Krone - »wird der König.«
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Ulrich Speitel
''" Josef Schiliol ist von Beruf Erfasser, also besitzt er die Meinung »Alle Bauern sind schlecht!« und außerdem ein nicht mehr ganz neues Fahrrad. Damit fährt er allmorgendlich seiner Arbeit nach, um landwirtschaftliche Produkte zu erfassen: Getreide, Fleisch, Erbsen und dergleichen und ferner, um darüber zu wachen, daß die Bauern ihr Soll erfüllen, und zwar schon vorgestern. Josef nähert sich also im 18er Schnitt dem Hof des Neubauern Baberschke, stapft in die Küche und brummt: »Hör mal, Franz, terrningemäß fehlt dei„ nem Quartalssoli noch fast ein halbes Kilo Schweinefleisch! Was denkst du dir so?« »Prost, Josef!« sagt Franz, nachdem er den letzten Bissen seiner Frühstücksstullen verdrückt und zwei große r' Kognaks eingeschenkt hat. Dieser Umstand bewirkt, daß sich Josef in zwei Hälften sozusagen spaltet, das heißt: Dem Erfasser Josef läuft das Wasser im Munde zusammen. Sein Bewußtsein jedoch fährt energisch dazwischen: »Nichts da von Bestechung! Schweinefleisch will ich und keinen Kater!« »Na schön«, macht Franz und trinkt die Kognaks alleine. »Dann wirst du eben beides nicht kriegen! Mein Soll an Rindfleisch habe ich schon bis zum Jahresende erfüllt. Das gleicht sich dann aus.« Nun dreht sich in Josefs Innerem etwas herum: Sein Bewußtsein sieht das ein, aber der Erfasser Josef denkt: Nichts da von Ausgleich und dergleichen, sonst ist meine Prämie futsch! und spricht: »Termin ist Termin! Von dir lassen wir uns die Versorgung nicht gefährden, Freundchen! Ein halbes Kilo - in Buletten umgerechnet sind das ... na, jedenfalls 'ne ganze Menge!« Dann trumpft Josef mit der demokratischen Gesetzlichkeit auf, und siehe da, nach einer Stunde hat Josef ein Schweinchen er•
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>>Das ist unsere Milchstraße!<<
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Was des Volkes Hände schaffen
faßt, reichlich einen Zentner schwer, also in der Blüte seiner Wochen und gar nicht fett. Der Bauer ist böse, denn dieses Schwein, noch eine Weile gefüttert, hätte sein Jahressoll erfüllt. So braucht er noch eins. Der Erfasser Josef grinst und hat sein Bewußtsein inzwischen beruhigt: Es fehlt ein Pfund am Quartalssoll, basta! Nichts da von falschem Mitgefühl! Die Bauern sind sowieso alle schlecht! Nachdem Josef in zwei ähnlichen Fällen ebenso demokratische Gesetzlichkeit demonstriert hatte, war sein Bewußtsein beinahe mausetot, der Erfasser Josef aber in seinem Element: Da waren doch noch welche, die hatten Anfang September ihr Getreidesoll noch nicht erfüllt! Josef hatte ausdrücklich angekündigt: Am 31. August hat jeder sein Getreide abgeliefert, sonst fahre ich mit euch Schlitten! Aber diese Herren ... Na, Moment mal! Kannst du, Brüderchen, dein Soll erfüllen? Du kannst? Aha! Du kannst, aber du tust's nicht! Du bist also sozusagen beinahe ein Saboteur! Siehst du wohl, jetzt wackeln dir die Hosen! Was sagst du da, laut Ablieferungsbescheid hast du noch eine Weile Zeit, und du hast noch in deinem Mist zu wühlen? Da siehst du, was du für ein Dreckspatz bist, wühlst im Mist, aber Getreide abliefern - keine Zeit. Ich sage dir, du wirst Zeit haben, deine Schande öffentlich zu lesen! Ans Schwarze Brett kommst du! Schlechte Ablieferer: Emil Stollnow und Konsorten! Derart hatte Josef bis gegen Abend einige Tonnen Getreide erfaßt, als sich plötzlich das beinahe mausetote Bewußtsein noch einmal seufzend meldete: »Wrr haben uns nicht um August Bolleg gekümmert. Der Kerl hat dies Jahr noch keine Ähre oder gar einen Schweineschwanz geliefert. Ich glaube, wir müssen uns mehr um die Auguste kümmern.« »Ach«, winkte der Erfasser Josef ab, »laß mir den August in Ruh! Das ist ein armer Hund. Der erfüllt nicht mal sein Soll. Und er verkauft mir billige Eier. Eine kleine Freude muß jeder Mensch schon haben. Soll ich mich auch noch mit meiner Frau rumärgem, bloß weil ich keine Eier mehr kriege, wenn ich . mich mit August befasse? Ich kämpfe lieber mit Tod und Teufel als mit Johanna! « Damit war Josefs Bewußtsein, das Bewußtsein eines Staatsfunktionärs, endgültig futsch. Der Erfasser Josef blieb übrig und erhielt eine Prämie. Nur: Wie merken die Bauern, mit wem sie es manchmal zu tun haben? Man wird sie alle auf einen psychologischen Lehrgang schicken müssen. Aber das wird allerhand kosten, was?
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Erich Brehm
Arnold hat fleißig gespart. Nun, da der Sommer gekommen ist, will er sich einmal etwas Gutes leisten, etwas für seinen Bauch. Arnold will sich eine Hose leisten, eine genau passende sommerlich-leichte Bauchhose aus bestem Stoff - so eine, wie sie jedem dicken Mann von Zeit zu Zeit im Traum erscheint. Arnold geht also ins HO-Bekleidungshaus am Alexanderplatz in Berlin. »Wo befindet sich die Maßabteilung?« erkundigt er sich. Ein Fahrstuhl liftet ihn sofort in die Höhe des dritten Stockwerkes. »Ja, wir sind auf der Höhe!« sagt der Fahrstuhlführer stolz. Auf einem langen Verkaufstisch liegen die Stoffballen. Arnold probiert vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und schnalzt dann verzückt mit der Zunge. »Das ist ein Stöffchen, was?« sagt er zu einem Nachbarn, einem jungen Mann, der ihm zuschaut. »Leicht wie Tüll und weich wie Butter!« _____ Nachdem Arnold einen Stoff ausgewählt ·;_ ~t hat, wendet er sich an die freundliche Ver- ...._____- _t, _ _ _ _ _ _ _ _ __ käuferin. »Ich möchte bitte eine Sommerhose nach Maß«, sagt »Mögen Sie die Suppe er und erzählt, wie lange er gespart hat und wie sehr er sich nicht, mein Herr?<< >>Doch, aber ich möchte auf die Hose freut. sie in der Sonne etwas »Bitte sehr«, sagt die Dame hinter dem Tisch, »Sie sind ja wohl warmen.<< darüber orientiert, daß wir hier im Jahresmaßstab arbeiten?« »Jahresmaßstab?« »Jawohl«, sagt die Gute, »im Frühling müssen Sie den Entschluß fassen, im Sommer kaufen, im Herbst ist Anprobe, und im Winter haben Sie dann Ihre Hose!« »Oh«, sagt Arnold, »ich wollte ja eigentlich eine Sommerhose!« »Bitte sehr«, anwortet die Verkäuferin, »das hier sind ja Sommerstoffe! Wir sind auf der Höhe, mein Herr!« »Aber ich wollte die Hose nicht nur im Sommer kaufen, sondern auch im Sommer tragen!« wendet Arnold ein. »Das können Sie ja auch«, lächelt die Verkäuferin. »Im nächsten Sommer natürlich erst!« Arnold kämpft eµien schweren Kampf. »Wissen Sie«, sagt er schließlich, »ich werde Ihre Schneiderei ein bißchen entlasten. ••
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Bilanz des Jahres 1953·: Alles ist schlechter geworden, nur eins ist besser geworden: Die Moral ist schlechter geworden.
Was des Volkes Hände schaffen
Ich nehme nur den Stoff. Meine Frau schneidert ein bißchen, und so eine Hose ist ja schließlich kein Eisenhüttenkombinat. Auf die Weise habe ich dann in etwa einer Woche meine Hose!« Denkste! denkt die Verkäuferin und sagt: »Wir dürfen den Stoff nur verkaufen, wenn Sie die Hose bei uns anfertigen lassen!« »Ist das Ihr letztes Wort?« fragt Arnold. »Es ist eine Anordnung von oben!« sagt die Verkäuferin. »Da will wohl jemand unbedingt verhindern, daß ich meine Hose noch diesen Sommer tragen kann!« entrüstet sich Arnold. »Es ist eine Anordnung von oben!« sagt die Verkäuferin. Arnold sieht keine andere Möglichkeit, in den Besitz der erträumten Hose zu kommen, als auf das seltsame Geschäftsgebaren einzugehen. Er kauft, zahlt und läßt sich Maß nehmen. »Und nun«, sagt der Herr Maßschneider, als er Arnold ausgemessen hat, »bitte zur Ärztlichen Abteilung. Wir sind nämlich auf der Höhe, mein Herr!« Arnold, der sich vor soviel Höhe ganz klein vorkommt, wird in einen weißgekachelten Raum geleitet, wo ihn ein Arzt empfängt. Arnold wird gründlich untersucht, gewogen usw. »Verdauung in Ordnung?« fragt der Doktor. »Treiben Sie Sport? Welchen? Baden Sie öfters? Warum? Waren Ihre Eltern dick oder dünn? Wieviel Eier essen Sie pro Tag? Trinken Sie Bier? Welches? Wann werden Sie abends müde?« Arnold erlaubt sich die Frage, wozu die Feststellungen dienen. »Wir arbeiten auf streng wissenschaftlicher Grundlage!« erklärt der Arzt. »Anhand von Tabellen wird aufgrund Ihrer Angaben und jetzigen Masse errechnet, welchen Umfang Sie im nächsten Jahr haben. Die HO will doch, daß Sie eine passende Sommerhose bekommen!« »Donnerwetter!« staunt Arnold. »Das nenn ich Kundendienst!« »Ja, wir sind auf der Höhe«, sagt der HO-Doktor, »Sie dürfen sich wieder ankleiden.« Als Arnold den Raum verläßt, wartet der junge Mann darauf, hineingerufen zu werden. Er erzählt Arnold, daß er sich einen großartigen Anzug »bauen« lassen will und daß er in sechs Wochen heiratet. Arnold legt sofort mit seinen Kenntnissen los. »Junger Mann«, sagt er, »den Anzug kriegen Sie erst, wenn Ihr erstes Baby angekommen ist! Schon eine Hose dauert fast ein Jahr! Und nun erst ein Anzug! Gehen Sie nach Hause, junger Mann! Ich kenne die Praxis der HO!« »Ich auch«, sagt der junge Mann und fügt dann erklärend hinzu: »Man muß natürlich auf der Höhe sein. Den Anzug will ich ja für meine Silberne Hochzeit haben!«
Heißer Sommer
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Erich Hanko
Festlich gestimmt betraten wir nach Verbüßung unserer diesjährigen Urlaubsreise wieder unsere Wohnung. Fröhlich zogen wir die Sommerferienwasserstiefel aus, entfachten ein lustiges Herdfeuer und hingen unsere feuchten Pelzsachen zum Trocknen auf. Dann stürzte meine Frau zum Büfett, um festzustellen, ob noch Rum in der Flasche war, während ich in die Küche eilte, um nach Wasser für Grog zu sehen. Wrr hatten bei der Abreise vergessen, die Wasserleitung abzustellen und ablaufen zu lassen. Die dauernde Angst, daß sie vielleicht einfrieren könnte, hatte uns viel von unserer Urlaubsfreude genommen. Aber nein, sie lief! Sie war nicht eingefroren! Im Gegenteil, sie schien gebrochen zu sein. Starker Wellenschlag im Keller brachte uns auf diese Vermutung. Sie erwies sich als unbegründet. Zugegeben; der Keller war voll Wasser, auf dem einige Pantoffeln, ein Besen und sieben tote Mäuse schwammen. Bei der Heimkehr vom Skatabend war Aber es war kein Leitungswasser, sondern ihm ein Briefkasten in den Weg gelaufen. einfaches Regenwasser, wie wir durch Geschmacksproben feststellten. Wrr schlossen aus dieser Tatsache, daß auch hier während der letzten zwei Wochen keine Dürre geherrscht hatte, und dieser Gedanke ließ uns die Urlaubsreise in einem milderen Licht erscheinen. Vielleicht wären wir hier dem Tode des Ertrinkens noch näher gewesen als im Harz. Beim Ausschöpfen des Kellers wurden wir so warm, wie wir es seit Wochen nicht gewesen waren. Urlaubsreisen haben doch ihre guten Seiten. Inzwischen war auch das Grogwasser heiß geworden. Wrr setzten uns in unsere Sessel und stellten mit frohem Erstaunen fest, wie angenehm sie waren. Der Stuhl, auf dem ich die beiden Wochen im Harz verbracht hatte, war so scharfkantig gewesen, daß sich in meinen unteren Oberschenkeln zwei Rillen gebildet hatten, die sich wahrscheinlich erst im Laufe einiger Wochen zurückbilden werden. Meine Frau litt nicht unter dieser Erscheinung. Sie kann langes Sitzen nicht vertragen und hatte meist am Fenster gestanden, um den Regen zu beobachten. Dadurch hatte sie Senkfüße bekommen, die wir aber durch eifrige Zimmerfußgymnastik bis Silvester wieder loszuwerden hoffen. Falls sich das Wetter bis dahin ändern sollte, wollen wir es auch im Freien versuchen. Etwas mehr Bewegung müssen
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wir uns in den nächsten Wochen sowieso machen. Das Abreißen von Kalenderblättern, auf das wir uns im Urlaub beschränkt hatten, ist auf die Dauer zu einseitig und führt zur Verkümmerung wichtiger Muskeln, wie uns unser Arzt versicherte. Dieser Gedanke scheuchte uns wieder aus unseren Sesseln hoch. Meine Frau stieg auf den Trockenboden, um warmes Unterzeug aus der Truhe zu holen und nach dem Christbaumschmuck zu sehen. Da fiel mir etwas ein. »Luise«, rief ich erschrocken. »Wir haben nichts zum Abendessen!« »Macht nichts«, rief sie fröhlich runter. »Hier oben wachsen ganz wunderbare Pilze.« In diesem Augenblick klingelte es. Frau Krüger, unsere Nachbarin, hatte aus den Geräuschen in unserer Wohnung geschlossen, daß wir wieder zurück waren, was auch stimmte. Sie brachte unseren Papagei, den wir bei ihr in Pflege gegeben hatten. Ich erkannte ihn zuerst nicht. Frau Krüger, die Gute, hatte ihm meine Leibbinde umgebunden, die ich sonst beim Skifahren trage, und einen Eierwärmer auf den Kopf gesetzt. Sonst sah unser Liebling ziemlich kahl aus, da er sich anscheinend ebenfalls in der Jahreszeit geirrt hatte und mitten in der Mauser war. Aber wie er sich freute! »Habt ihr auch so gefroren?« waren seine ersten Worte. »Lorchen«, rief meine Frau mit Tränen in den Augen. »Liebes kleines Lorchen!« »Willst du nun endlich still sein, verdammtes Vieh!« sagte Lorchen wunderbar klar und deutlich. Das hatte er bei unserer Abreise noch nicht gekonnt. Wrr merkten überhaupt erst nach und nach, was er in den vierzehn Tagen sonst noch alles gelernt hatte. Ich schätze, daß Lorchen höchstens drei Wochen benötigen wird, um unsere Wohnung besucherfrei zu machen. Nun erkundigten wir uns noch bei den übrigen Nachbarn, wie sie die Zeit unserer Abwesenheit verbracht hatten, ob inzwischen Kinder geboren worden waren und ähnliches mehr. Es war nicht der Fall„ da jeder mit dem Wetter genug zu tun gehabt hatte.
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Schließlich zogen wir uns in unser Heim zurück, genossen den häuslichen Frieden und studierten die eingegangene Post. Onkel Gustav litt wieder stark an Nasenbluten und lag im Bett, wie uns Tante Uschi mitteilte. Am letzten Dienstag war ihm bei der Heimkehr vom Skatabend ein Briefkasten in den Weg gelaufen und hatte seine neue Brille zerschlagen, die er erst zwei Tage vorher von der Sozialversicherung bekommen hatte und die regulär 18, 70 DM kostet, weil sich Tante Elisabeth bei der Geburtstagsfeier von Onkel Wtlli in der vergangenen Woche auf die alte gesetzt hatte, von der nachher nichts mehr zu retten gewesen war, weil Tante Elisabeth wieder zugenommen hat und jetzt 205 Pfund wiegt. Was würde die SVK dazu sagen? Zu der Brille, meinte Tante Uschi. Ihr selbst machten ihre Krampfadern wieder viel zu schaffen. Bei dem Gewitter am letzten Sonntag wäre ein Blitz beinahe in das Hühnerhaus gegangen. Seitdem legen die Hennen nicht mehr. Und der Kater ist auch gestorben, und Meiers Mäxchen hat jetzt angefangen, zur Schule zu gehen. »Wollen wir nicht ein Fenster aufmachen?« sagte meine Frau »Es riecht hier so komisch.« Ich hatte es auch schon bemerkt. Dann lasen wir weiter. Ein Lotterieeinnehmer wunderte sich, daß wir bisher immer noch nichts gewonnen hatten. Er machte uns keine direkten Vorwürfe, aber er meinte, es wäre nun höchste Zeit, die Sache systematisch zu betreiben und nicht immer bloß ein Achtellos zu spielen, sondern vielleicht mal drei Fünftel. Neulich hatte ein älterer H.err, der seit neun Jahren regelmäßig bei ihm spielte, plötzlich damit aufgehört. Bei der nächsten Ziehung gewann das Los. Er wolle den Fall nicht verallgemeinern, aber immerhin, er sollte uns zu denken geben. Es roch immer noch komisch. Wir beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, und schnüffelten uns bis zur Tür der Vorratskammer. Wir machten sie auf, aber auch gleich wieder zu. Mit zwei Wäscheklammern gelang es uns, unsere Nasen einigermaßen abzudichten. Dann trugen wir die drei Weckgläser hinaus, in denen meine Frau kurz vor unserer Reise die Gebeine einer Ente beigesetzt hatte, aber anscheinend nicht richtig, denn jetzt waren die Gläser offen. Wrr rissen alle Fenster auf und machten neuen Grog. Unsere Fröhlichkeit wuchs. Als ich mich dann später rasierte - der Anblick der Entenbeine hatte mich daran erinnert-, schlug mir meine Frau mit der flachen Hand ins Kreuz und sagte übermütig: »Mensch, Erich, jetzt machen wir es uns aber bis zum nächsten Urlaub gemütlich.« Dann holte sie Watte zum Blutstillen.
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Fritz Bernhard
Natürlich nennt sie sich nicht selber so. Im Programm ist sie meist harmlos als »Peter-Aumoll-Melodiker« oder als »Richard Zickendraht mit seinen Solisten« angekündigt. Nachdem man dann gebührend die seidenen Paradehandtücher bewundert hat, die von den Notenpulten herabhängen, und auf nichts Böses weiter gefaßt ist, geht es los. Kinder, Kinder, Kinder! Ich erlebte die Eigenbau- oder Selbstversorgerkapelle in einer kleinen, mitteldeutschen Stadt, wo sie - auf einer Tournee begriffen und 17 Mann stark - ein Konzert mit »neuer deutscher Tanz- und Unterhaltungsmusik« gab. Es muß aber nicht diese mitteldeutsche Stadt sein. Im Rundfunk können Sie, lieber Leser, die Selbstversorger ebenso gut, das heißt ebenso schlecht erleben. Die Anfangsnummer, ein spanischer Paso Dohle, war -wie üblich - ein flotter Eigenbau des Kapellmeisters. »Und nun folgt«, meinte der Ansager, »ein besonderer KunstDer neueste Foxtrott: Wunderbar, -bar, -bar genuß! Sie hören einen langsamen Walzer, Ist ein Schlager von Lehar, -har, -har! betitelt >An der schönen grünen Oder<. Komponist ist unser Gitarrist, Herr Emil Zimperling, der auch das Arrangement besorgt _hat. Viel Spaß!« Nun, es ging noch an. Die schöne grüne Oder hatte zwar ein bißchen was von der schönen blauen Donau, und ein paar Wellen aus der Moldau waren ebenfalls vertreten, während das Ganze sanft in eine Mondnacht auf der Alster getaucht schien. Aber immerhin, der Walzer von Herm Gitarrist Zimperling ging noch an, denn er hatte wenigstens keinen Text. »Als nächstes bringen wir nun einen Foxtrott unseres begabten Schlagbassisten, Herrn Ferdinand Rumpler, der auch den Text geschrieben hat: >Noch einmal möchte ich am Bugspriet stehn, auf einer Jacht so weiß wie Schnee.< Viel Spaß!« Diesmal ließ mich der Text gar nicht auf die Melodie achten, denn dem Kollegen Rumpler war bei der Dichtung anscheinend die poetische Ader versiegt. Bei der Stelle »Das Schiff fährt Tag und Nacht« hatte er nicht mehr weitergekonnt, obwohl sich doch die Reime geradezu anboten, zum Beispiel so: »Das Schiff fährt Tag und Nacht/ Bis daß die Luke kracht« oder »Das Schiff fährt Tag und Nacht/ Bis Neptun Pleite macht« oder »Das Schiff fährt Tag und Nacht/ Es rollt die Heringsfracht<<. Aber wiegesagt, Herm Rumpler war nichts mehr eingefallen, und viermal-
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ließ er das Schiff bei Tag und Nacht hintereinander fahren, viermal. Ich habe genau mitgezählt. Ein einigermaßen tüchtiges Schiff hätte es in dieser Zeit gut bis in das Land gebracht, wo der Pfeffer wächst. Es folgte ein Tango des Harmonikasolisten, und wie nicht anders zu erwarten, war jetzt das italienische Milieu an der Reihe: »O kleine braune Signorina, Spiel mir was auf der Okarina, Und reizt mich zärtlich dein Busoni, Eß ich mit dir dann Makkaroni!« Die Musik war eine erfolgreiche Kreuzung zwischen »Isola bella«, »Santa Lucia« und »Ü sole mio«. Langsam wurde mir übel. Aber jetzt wurde es erst richtig schlimm. »Jubel, Trubel, Heiterkeit!« verkündete der Ansager, »wir bringen Ihnen, meine Damen und Herren, unsere neuesten Aufbauschlager! Und da die Stalinallee schon durch einen Schunkelwalzer verarztet ist, hören Sie jetzt den ersten Originalschlager über die Leninallee. >Mit meinem Preßlufthammer und Juchhee, Bau ich ein Hochhaus in der Leninallee!< Text und Musik von unserem begabten Joseph Maria Pickel, den Sie hier am Schlagzeug sehen! Viel Spaß!« Nur noch ächzend, unter Aufbietung aller Kräfte, überlebte ich die Polka von der Leninallee. Die Musik war diesmal unver, dünnte, hochprozentige Feld, Wald und Wiese, mit einem Schuß »Amboßpolka«. Als es überstanden war, winkte ich einen jungen Mann heran, der eben durch den Saal schritt und, nach der Haartracht zu urteilen, zur Kapelle gehören mußte. »Können Sie die da oben nicht mal fragen«, flüsterte ich ihm zu, »ob sie nicht noch was Besseres haben, vielleicht mal was von Lincke, Künnecke oder Lehar oder so?« Diensteifrig nickend verschwand der Jüngling im Bühneneingang. Inzwischen hatten die Solisten auf der Bühne bereits einen Schlager des zweiten Trompeters begonnen, einen Rumba, der den Aufbau rings um den Bersarinplatz besang. »Komm mit, komm mit zum Bersarinplatz, Da riecht es noch nach Kalk, mein Schatz! Der Kalk, der ist mein ganzes Glück, Er bringt die Jugend mir zurück!« Die Musik schien &tark exotisch gemeint zu sein, die Trompete quiekte wie ein schlecht gestochenes Wasserschwein.
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>>Was macht eigentlich Ihr Bräutigam, Fräulein Lilly?<< - >>Der steht unten und hält meine Eiswaffel!<<
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»Können Sie mir sagen, wie ich zum Heimatmuseum komme?« »Keine Ahnung, ich bin von hier.«
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Doch nun trat der Sprecher wieder vor die Kapelle, sieghaft lächelnd, die personifizierte Überlegenheit. Ich begann zu hoffen. »Und nun, meine Damen und Herren«, sagte er, »auf allgemeinen Wunsch eines einzelnen Herm im Publikum eine Einlage von Lehar! Sie hören unseren neuesten Foxtrott in einer Uraufführung: >Wunderbar, -bar, -bar, Ist ein Schlager von Lehar, -har, -har, Wenn bis früh um vier, vier, vier, Ich so sitz beim Bier, Bier, Bier!< Der Text ist vom Onkel unseres Pianisten, Herm Klempnermeister August Runzelwitz, die Musik vom Autobusfahrer der Deutschen Konzert- und Gastspieldirektion, den Sie an der Kasse sehen können, Herrn Schorsch Peesemann. Viel Spaß!« Schon setzten die Trompeten ein, diesmal mit einer Mischung aus »In Rixdorf ist Musike« und dem »Land des Lächelns« - da ergriff ich die Flucht. Und ich habe geschworen, mir nie wieder neuzeitliche Tanz- und Unterhaltungsmusik anzuhören, falls der Kapellmeister nicht vorher öffentlieh erklärt und schriftlich versichert, daß in seiner Kapelle kein Eigenbau betrieben wird.
Die Beete sind geharkte Symmetrie mit einem Duft von herber Poesie, gemischt aus Taubenmist und Lindenblüten ... Den linealgezognen Pfad behüten die sieben Zwergelein, aus Ton gebrannt. Dem kleinsten fehlt der Kopf und eine Hand. Der home-is-castle-Laube vis-a-vis steht eine Sonnenblumenkompanie in dienstvorschriftgemäßem Stillgestanden. Zwei ausgediente Bockbierfestgirlanden umkränzen in sensibel-blassem Bunt das Warnungsschildchen: »Achtung- scharfer Hund!« Der Sommer ist Familieneigentum, der Kürbis reift zu seines Züchters Ruhm, die Kinder dürfen nur des Sonntags spielen in diesem einen Garten von sehr vielen. Der fast zwei Meter hohe Bretterzaun hat keinen Zwischenraum, hindurchzuschaun. Rudi Strahl
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Heißer Sommer
Lothar Kusche
»Heute ist dein letzter Urlaubstag«, sagte meine Frau, »da wollen wir mal ganz was Tolles unternehmen«, und so machten wir einen Ausflug ins Automaten-Restorang am Alex. Wir gingen schon früh am Morgen los, damit wir in Ruhe alles ansehen konnten, und das war auch ganz gut. Zuerst mußten wir uns vor der Wechselkasse ein bißchen anstellen. Dort wird das Geld der Deutschen Notenbank gegen das Geld der Deutschen Automatenbank eingewechselt. Denn die Automaten nehmen kein gewöhnliches Geld, sondern nur ganz feine Münzen, die extra für sie gemacht worden sind. In der Schlange war es recht gemütlich. Erfahrene Besucher hatten sich Klappstühlchen und Butterbrote mit" gebracht. Meine Frau schnitt sich den Stoff zu, den sie vorher im Wa- · . ~ . """"'""""""' renhaus gekauft hatte, und ich las • einen Roman, den mir der Mann vor uns geliehen hatte. (Er war etwas früher als wir gekommen und hatte ,,,,... das Buch schon zweimal durchgele"... sen.) Gegen Mittag erreichten wir ' .. ...... ., . „. ' .. die Wechselkasse und erwarben vier ' •• • ::l'o,"'":: - .„. . -,„ Automaten-Münzen »Nummer drei« „,,,,,, .·. und zwei »Nummer vier«; vielleicht · , . ., ~-··-- ...~'.t ·~„.!>'~-'-· , waren es aber auch drei »Nummer fünf« und eine »Nummer >>Da staunen Sie, wat? vier« und zwei »Nummer drei« oder vier »Nummer eins«; ich Das ist nämlich mein weiß es nicht mehr genau, weil es sehr kompliziert ist mit die- Verbesserungsvorschlag sen Münzen. Dann suchten wir die Automaten. Sie befinden für überfüllte Gartenlokale!« sich auf der gegenüberliegenden Seite des Lokals; vor ihnen stehen die Tische und an diesen die Esser. Wrr krochen auf dem kürzesten Wege unter den Tischen durch und wurden etwas getreten, aber das macht nichts: Wrr sind ja erwachsen und wissen, daß das Leben hart ist. Dann warfen wir Münzen in einen Automaten. Ein Brötchen-Fahrstuhl sank herab, bis sein unterstes Abteil frei lag. Ein Griff, und schon hatten wir das Brötchen, es war um drei Uhr nachmittags. Wirft man die falsche Münze ein, so bewegt sich der Schrippen-Paternoster nicht, und die Münze kommt wieder heraus, oder sie kommt auch nicht wieder heraus, oder sie paßt erst gar nicht in den Schlitz; „.
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Heißer Sommer
ich weiß es nicht mehr genau, weil es sehr kompliziert ist mit diesen Münzen. Meine Frau wollte gern Schinkenbrötchen, aber der Schinkenbrötchen-Automat war leer, weil die Kollegen Heinzelmännchen, welche hinter den Automaten Wache halten, noch keine neuen Schinkenbrötchen nachgefüllt hatten. Aber das machte ja nichts, ein Automat ist schließlich bloß ein Automat, und so tauschten wir die Schinkenbrötchen-Münze flugs gegen eine Bier-Münze um. Das ging zack-zack. Gegen acht Uhr abends erreichten wir den Bier-Automaten. Vor diesen haben die Götter einen Gläserspüler gesetzt, der kein Automat, sondern ein Mann ist und heftig mit Wasser spritzt. Nachdem wir uns abgetrocknet hatten, erlaubte mir der Gläserspüler, die Münze einzuwerfen. Ich hielt das Glas unter den Hahn, warf anmutig-kraftvoll den Bier-Hebel herum, und schäumend ergoß sich das Bier über meine Hose, weil ich Wer schnell essen will, geht in ein gewöhnliches das Glas unter den Limonaden-Hahn gehalten hatte. »Wer Bier verschüttet, Lokal, wo es nur zwei bis drei Stunden dauert. hat Glück im Spiel«, suchte mich meine Frau zu trösten, und ich sagte: »Laß nur, wenn ich nächstes Jahr wieder Urlaub habe, gehen wir wieder her, und dann halten wir das Glas unter den richtigen Hahn.« Wir kämpften uns zum Ausgang durch und kamen dort in eben dem Augenblick an, in dem das Automaten-Restorang geschlossen wurde. Denn nachts ist es natürlich nicht geöffnet; sonst könnte ja einfach jemand hineingehen und nachts essen (!). Das kommt nicht in Frage, denn die Automaten müssen nachts ihre Ruhe haben; wer Hunger hat, soll gefälligst daheim speisen oder Stullen mitnehmen. »Sieh mal«, sagte meine Frau, »das Automaten-Restorang hat unter anderem den Zweck, das Hartgeld, das uns fehlt, nicht unter die Leute zu bringen. In anderen Lokalen hat man nur Personal, aber hier hat man Personal und Automaten, und das ist gerade das Feine.« Ich nickte, obgleich mich ihre Argumente seltsam verwirrten. »Sieh mal«, fuhr sie fort, »ein Automaten-Lokal zu bauen zu einer Zeit, in der genügend Münzen im Umlauf sind, ist eine Kleinigkeit. Aber ein Huhn auszubrüten, wenn kein Ei da ist, das ist die Kunst! Außerdem braucht man sich ja nichts aus dem Automaten zu ziehen, sondern kann nach hinten durchgehen und am Verkaufsstand eine Bockwurst holen, für richtiges Geld. Wer schnell essen will, geht sowieso in ein gewöhnliches Lokal, wo es nur zwei bis drei Stunden dauert. Und die Automaten, die sind doch mehr für die Kinder.« »Ja«, sagte ich, »in jedem echten Berliner ist ein Kind versteckt, und das will ein Automaten-Restorang haben - zum Spielen.«
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Heißer Sommer
Erich Hanko
Das Meer: Als wir an die Ostsee kamen, schäumte sie und war sehr böse, nicht so sehr über unsern Anblick, sondern hauptsächlich wegen eines Tiefs, das sich über Südskandinavien gelagert hatte und uns bereits seit Stunden Regen und Wind bescherte, wie uns der Lautsprecher am Strande nachträglich mitteilte. Wrr hatten es aber schon bemerkt. Die See war wegen dieses Tiefs vollkommen menschenleer. Es war nur Wasser drin, das sich unruhig hin und her bewegte. Die Badegäste standen am Ufer und sahen vorwurfsvoll hinein, da sie ja eigentlich hergekommen waren, i1m zu baden. Wenn sie das Meer lange genug betrachtet hatten, sahen sie sich nach anderen Flüssigkeiten um. Wir taten das schließlich auch. Das Baden: Der Vorgang des Badens ist ziemlich einfach, wie wir am nächsten Tage feststellten, als das Tief aufgestanden war und langsam nach Osten wanderte, die Ostsee also keinen os• s-rttA~ll Grund mehr hatte, sich noch weiter aufzuregen. 181' f/1111 2<' 11!/ll Man entledigt sich der Kleidung, die man sonst U VllMIASSIN! beim Mittagessen oder im Kino trägt, und zieht einen Badeanzug an, den man vorher in der HO kauft. Hierbei ist es wichtig, daß man als Größe 42 zur Welt gekommen ist, höchstens aber 44. Wer so unvorsichtig war, sich einen 46er oder 48er Körper zuzulegen, muß mit dem Baden so lange warten, bis diese Größen wieder mal eingetroffen sind. Das dauert manchmal einige Wochen, und wenn man dann endlich einen passenden Badeanzug hat, ist vielleicht schon wieder ein neues Tief im Anzug. Manche 48er haben in ihrer Verzweiflung versucht, sich mit einer Kombination von zwei 42er Hosen zu behelfen. Aber das glückt nicht • unmer. Nehmen wir an, wir gehören zu den glücklichen 42ern und stehen badebereit am Badestrande. Jetzt springen wir erst mal heiter im Sande herum, juchzen dabei laut, werfen uns Bälle an den Kopf und sind so vergnügt, wie es die Badeordnung erlaubt. Das dauert ungefähr 10 Minuten, manchmal auch länger. Dann Gelächter ins Wasser, wobei wir uns gegehen wir mit frohem . •
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genseitig bespritzen und uns ausgelassen auf die Schenkel schlagen. Bespritzen ist wichtig. Dadurch sind schon viele Ehen •• zustande gekommen, oder doch wenigstens etwas Ahnliches. Aber auch Verheiratete dürfen sich bespritzen, wenn auch gemäßigter und nicht ganz so leidenschaftlich. Nun fangen die Schwimmer an zu schwimmen. Die Nichtschwimmer machen ihre Badetiere flott, die in wenigen, aber ziemlich häßlichen Exemplaren an der Ostseeküste vorkommen und den Glauben an die Darwinsche Theorie von der »Entstehung der Arten« erschüttern. In allen Bädern stößt man auf denselben Gummifrosch mit dem leidenden Gesichtsausdruck, das Krokodil mit dem verlegenen Lächeln auf der Oberlippe und jene Kreuzung zwischen Wärmflasche und Aktentasche, die zoologisch erst noch eingeordnet werden muß. Wenn man mit dem Baden fertig ist, steigt man aus dem Wasser, damit die nächsten rein können, geht stolz zu seinem Strandkorb, läßt sich von der NachbarDer Gesamt-Kaffee-Eindruck war jedenfalls schaft zu dem Erfolg gratulieren und sieht nach, ob es schon Zeit zum Mittagessen ist. trübe, eben weil der Kaffee so klar war. Wenn nicht, läßt man sich ein Weilchen von der Sonne bescheinen und sieht dann wieder nach. Mal muß es ja soweit sein. Weiter soll hier eine Lanze gebrochen werden für die Heimleiter, Objektleiter und Kurverwaltungen, die sich wirklich Mühe geben, die immer haftbar gemacht werden, wenn etwas schiefgeht, die aber kaum genannt werden, wenn etwas gut geht. Leicht ist ihr Los wirklich nicht. Obwohl sie meist verheiratet sind, schweben sie dauernd in Gefahr »zusätzliche Kinder« zu kriegen. Das hat mit Seitensprüngen nichts zu tun, sondern ist eine Berufskrankheit, über die uns Kollege Schirm in Bansin - einen schönen Gruß übrigens! - aufgeklärt hat. »Zusätzliche Kinder« werden von ihren Eltern außerplanmäßig mitgebracht, ohne Urlaubsscheck, in der Annahme, daß sie, wenn alle Stränge reißen sollten, doch mindestens im Bücherschrank des Heimleiters oder im Nähkörbchen seiner Gattin untergebracht werden können. Wenn man abends beim Zubettgehen nie genau weiß, wie stark am nächsten Tage die Familie sein wird- also, ich weiß nicht, meine Nerven würden das nicht aushalten! Ich würde mich wahrscheinlich dem Trunk ergeben. Das bringt mich auf die Getränkefrage, die wir natürlich ebenfalls ernsthaft geprüft haben. Und jetzt müssen wir wieder ein bißchen meckern.
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Da gibt es zunächst eine dunkle Feuchtigkeit, die in Tassen ser-
viert wird, mit Milch und Zucker. Wir probierten sie in verschiedenen Bädern, und merkwürdig, überall behaupteten die Kellner, es wäre Kaffee. Unter ihnen scheint eine geheime Verabredung zu bestehen, harmlosen Fremdlingen diesen Irrglauben beizubringen. Als wir einigen die Pistolen auf die Brust setzten und die Wahrheit zu wissen begehrten, verschanzten sie sich hinter »schlecht gelagerten Kaffeesäcken«, aus denen sich beim besten Willen kein besseres Aroma herausholen ließe. Wir waren allerdings > >Findest du nicht auch, daß es in unserem Maschinensaal ganz schön ruhig war!<<
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der Meinung, daß man die Kaffeezubereitung nicht in die Hände von Leuten legen sollte, die entweder leidenschaftliche Wassersportler sind oder kein Wässerchen trüben können, und sei es auch nur mit gemahlenem Bohnenkaffee. Aber halt! Von einer rühmlichen Ausnahme können wir berichten. Der HO-Gaststätte »Erzhammer« in Zinnowitz gelang es, unseren Pulsschlag durch Koffein zu beschleunigen. Wahrscheinlich wird es auch noch andere aufrechte Gaststätten geben, die nicht nur für Kaffee kassieren, sondern auch Kaffee verkaufen. Wrr konnten natürlich nicht alle Lokale zwischen Rostock und Usedom aufsuchen. Der Gesamt-Kaffee-Eindruck war jedenfalls trübe, eben weil der Kaffee so klar war. Alkoholfreie Getränke sind selten. Selters ist stellenweise so knapp, daß die HO-Gaststätte »Seeblick«in Graal-Müritz auf die geniale Idee gekommen ist, eine Flasche Selters nur noch in Verbindung mit eine~ Glas Weinbrand zu verkaufen, möglichst
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doppelstöckig. Noch besser wäre allerdings eine Flasche Weinbrand mit einem Gläschen Selters. - Wustrow erhielt bisher für 1500 Urlauber 100 Flaschen Apfelsaft. Man stelle sich das Gedränge vor, wenn je 15 Urlauber an einer Flasche saugen! Sonstige Sehenswürdigkeiten: Graal-Müritz: Ein höhlenartiges Bauwerk auf der Strandpromenade, auf dessen Fertigstellung alle Fledermäuse der Umgebung sehnsüchtig warten, um endlich ein passendes Unterkommen zu finden. Der Bürgermeister ist der Meinung, daß es ein Musikpavillon werden soll. Wustrow: Die von der DSU Stralsund eingestellte Dampferverbindung nach Ribnitz-Damgarten. Dadurch werden unliebsame Besucher erfolgreich daran gehindert, den Badeort durch ihre Anwesenheit zu beunruhigen. Zinnowitz: Ein Ort, in dem sich nichts Wesentliches zu beanstanden fand. Koserow: Das stillgelegte Motorboot für Rügenfahrten. Soll anscheinend für den Winterbetrieb ' „ geschont werden. Bansin: Das fehlende Kino und die von der HO versprochene Milchbar. Heringsdorf: Das ungewöhnlich hübsche Fräu, lein Lucie Müller aus Templin, Strandkorb Nr. 67, Urlauber-Scheck Nr; 15486. Sie ist aber bereits verlobt. ~ . ..---- }..-~,,, • Ahlbeck: Die Sonnenfinsternis vom 30. Juni . =..=--~·J ·" .:-·ra.t":_ Sie wurde von der Kurverwaltung zur Unterhaltung der Badegäste veranstaltet, vollkommen gratis. Wir verfolgten sie von einem Gartenlokal ";. , ,.,... .. ..... eo. aus und aßen dazu Gurkensalat. Gegen 13.50 Uhr wurde es ganz finster, und wir guckten alle angestrengt in den Mond, der die Sonne verdunkelte, auch die Ober. Als es wieder hell wurde, stellte sich heraus, daß nicht nur die Sonne verschwunden war, sondern auch ein Gast, der in der Aufregung vergessen hatte, drei Portionen Rührei zu bezahlen. Daraufhin entschloß sich die Kurverwaltung nach Rücksprache mit einem zufällig anwesenden Astronomen, vorläufig von weiteren Sonnenfinsternissen abzusehen und die nächste erst wieder im Jahre 2135 abzuhalten. Da wir nicht so lange warten wollten, setzten wir uns in unser Auto und fuhren nach Berlin zurück. •
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Hansjoachim Riegenring
Wir saßen so fröhlich beisammen und tranken. Gewiß, man kann Grippebazillen auch mit Tee bekämpfen. Aber stellt euch doch einmal ein Dutzend Männer vor, erwachsene, kräftige Männer, die richtige Männergespräche führen, sich lachend auf die Schenkel schlagen und dazu Fliedertee trinken! Das ist einfach ein Stilbruch. Wrr tranken einen schönen Grog, und glaubt mir, Freunde, das ist eine gute Sache! Schädlich daran ist nur das viele Wasser, was die meisten Leute hineinschütten. Ich war der Außenseiter in diesem Kreise, die anderen - Innenseiter, gibt's so was? - na, also alles Sportler; ja doch, ich weiß, Sportler trinken keinen Alkohol, es war ja auch nur wegen der Bazillen. Seit Jahren warte ich Wir suchten einfach die Stelle, an der auf die Gelegenheit, ein Erlebnis zu erzählen, er unter dem Eis herumschwamm. das etwas unwahrscheinlich klingt, eine einmalige, bisher noch von keinem Menschen vernommene Angelegenheit. (Oder kennt ihr die Geschichte schon?) Hier war der richtige Ort dafür, die richtige Zeit. »Im vorigen Wmter«, begann ich, »ging ich eines Nachmittags ... « »Darf ich mal unterbrechen?« unterbrach mich Fred. >>Aber wenn ich Wmter höre, fällt mir eine Sache ein, hahaha, also die muß ich unbedingt ... « Weil er unbedingt mußte, verzieh ich ihm. Er hustete kurz und fragte, was wir vom Eisbaden hielten. »Sehr erfrischend«, sagte ich, »besonders im Sommer.« Sie fanden den Witz nicht gut, es wäre ein lauer Witz, ein Kalauer. Fred räusperte sich wieder präludierend. »Ein Freund von mir ist ein leidenschaftlicher Bader.« »Friseur«, übersetzte ich in die moderne Umgangssprache. »Eisbader«, erklärte mir Fred freundlich-ärgerlich. »Wir haben manches Loch ins Eis gehackt, unerschrocken tauchten wir in das eisige Wasser, mutig ... « »... und kaltblütig«, ergänzte ich. »Ihr wißt, ich schrecke vor nichts zurück«, sagte Fred bescheiden, »aber an dem Tag ... an dem Tag ... «, er seufzte und trank, »an diesem Tag war es so kalt - 38 Grad! Hättet ihr da ... ?« Wir tranken erschrocken und sagten, wir hätten auch nicht. Fred schien etwas getröstet. »Aber mein Freund wollte unbedingt ins Eis. Bei achtunddreißig Grad!« »Im Sch~tten? «fragte ich. »Bei dieser Kälte war das Eis ein heißes Eisen!«
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»Wrr brauchten 2 Stunden und 24 Minuten, um das Loch ins Eis zu hacken, 4 Mann arbeiteten daran. Mein Freund stieg hinunter, wir liefen umher, gingen nach 10 Minuten zu dem Loch zurück, und stellt euch vor« (Spannung!) »es war weg.« Ich tat einen schnellen Zug aus meinem Glas, einen Eilzug. »Weg?« »Ja. Zugefroren. Nichts mehr zu sehen, nur die glatte Eisfläche.« Wrr schauten schweigend in unsere Gläser. Traurig. (Sie waren leer.) »Und wie«, fragte einer vorsichtig, »habt ihr - ich meine, hat man später ... im Sommer ... ?« »Wir fanden ihn zehn Minuten später<<, sagte Fred ruhig. »Lebend. Wrr suchten einfach die Stelle, an der er gerade unter dem Eis herumschwamm.« »Aha«, nickten wir zweifelnd. »Mit einem Geigerzähler«, ergänzte Fred. So, Geigerzähler. Na, dann war alles klar. »Wieso?« »Mein Freund«, erklärte Fred geduldig, »hatte vorher eine Tablette gegessen, die Isotope enthielt, und ihr wißt ja, die Strahlungen ... « Natürlich, damit war die Sache geklärt. Da mußten sie ihn ja finden. Wir tranken, und ich begann: »An jenem Nachmittag also, im Winter ... « Karl stieß mich freundlich an. »Du sagst Nachmittag. Wenn ich Nachmittag höre, muß ich immer an einen Nachmittag denken - darf ich das rasch mal erzählen?« Bevor ich sagen konnte, daß er eigentlich nicht durfte, fing er schon an: »Wenn ich sagte, an einem Nachmittag im Winter, so stimmt das nicht ganz. Es war eigentlich ein Vormittag im Sommer, und wir trainierten auf unserem Tennisplatz, und der Oskar - ihr kennt doch Oskar?« Wir nickten alle, wie man es bei einer solchen Frage immer macht, auch wenn man von dem Betreffenden nie gehört hat. »Der Oskar ... «, Karl überlegte, »sagt mal, wißt ihr eigentlich, wo der Habicht herstammt, der in unserem Klubhaus hängt?« Wrr tranken und sagten, wir hätten nicht die kleinste Ahnung. »Dachte ich mir«, sagte Karl zufrieden. »Der kommt daher, weil Oskar an dem Tage, an dem Vormittag ... «
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»Im Sommer«, vervollständigte ich. » ••• weil Oskar da einen Rückhandschlag schmetterte, ihr wißt, ich erwische jeden Ball, lasse mir keinen Ball entgehen ... « »Einschließlich Maskenball«, murmelte ich. »... doch den Ball, nein, der kam wie ein Überschallturboproraketendüsenj äger angeschossen, prallte auf die Grundlinie, sauste senkrecht hoch und ... « Kunstpause. Wir hingen an seinen Lippen, an seinem »und« ... »... herunter kam der Habicht«, berichtete Karl ruhig. »Tot.« »Sehr gut«, grinste ich, »da mache ich eine Geschichte draus.« Hätte nie geglaubt, daß sich Sportler so aufregen können. Ob ich auch nur im geringsten daran zweifelte, daß alles stimme, was hier erzählt werde, bis aufs Komma ... ? Sie waren zehn, ich war einer. Ich glaubte. »An jenem Nachmittag«, erzählte ich, um sie zu beruhigen, »im Winter, ging ich ... « Bei dem »ging ich« erinnerte sich Emil an eine ganz tolle Geschichte, die er unbedingt loswerden mußte. Das war bei einem Langstreckenlauf, über ich weiß Ich breitete die Arme aus und nicht mehr wieviel Kilometer, ich glaube, zweimal stieg immer höher, wie ein Vogel. um den Äquator, und da fiel es Emil plötzlich auf, daß seine Schuhe so drückten, er spürte jeden Stein durch die Schuhsohlen hindurch, aber er hatte natürlich keine Zeit, die Schuhe auszuziehen. Die Verfolger waren ihm auf der Achillesferse, und erst am Ziel ... »Stellt euch vor, stellt euch das vor, da hatte ich mir doch die Schuhsohlen total durchgelaufen und hatte den ganzen Weg barfuß zurückgelegt.« Ich schluckte das runter und spülte mit Grog nach. »Es war, wie gesagt, im Winter«, startete ich, »an einem Nachmittag, der Schnee lag ... « »Schnee« war das Stichwort für Peter, den Skiläufer. Der war beim Skispringen in einen Aufwind geraten ... »... ich breitete die Arme aus und stieg immer höher, wie ein Vogel, und bestimmt wäre ich abgestürzt, zerschmettert ... « Wir tranken erschrocken. »... wenn mich nicht ein des Weges kommendes Flugzeug aufgenommen hätte.« Ich hörte mir noch sieben gleichwertige Sporterlebnisse an. Dann kam ich endlich an die Reihe. »An jenem Nachmittag also, im Winter, wollte ich mal an die Luft gehen. Vor meiner Tür lag eine Schneewehe von zwei Metern Höhe ... « Diese Blicke. Verachtung. Kopfschütteln. Enttäuschung. »Daß diese Laien«, sagte einer, »doch immer so maßlos übertreiben müssen.«
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Beim Sportunterricht liegen alle auf dem Rücken und fahren Rad. »Fritzchen! Warum machst du nicht mit? Du liegst ja ganz ruhig da! « schimpft der Lehrer. »Sehen Sie nicht, ich bin Täve Schur und will den anderen ne Chance zum Aufholen geben!« J
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Erwin F. 8. Albrecht
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Ein Mann kommt in die HO-Gaststätte, hängt seinen Mantel an die Garderobe und befestigt einen Zettel . daran: »Fritz Schul- · ze, Ringer.« Als er nach einer Stunde das Lokal verlassen will, ist der Mantel verschwunden. Am Haken hängt ein Zettel: »Egon M., Marathonläufer.«
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Daß ich ein geschworener Nichtskiläufer bin, hat physikalische Gründe. Bei einem kleinen Menschen von, sagen wir, 1,50 m Gesamtlänge, befindet sich das Gesäß etwa 70 cm über der Erdoberfläche, bei einem Kleinkind ist die Entfernung noch viel geringer, bei einem großen Menschen dagegen um so größer. Je größer aber die Entfernung vom Erdboden, um so heftiger ist nach dem bekannten, untrennbar mit dem Na.men Newton verbundenen Fallgesetz - der Aufprall des fallenden Körpers. Darum stehen Kleinkinder, wenn sie auf dem Po gefallen sind, sofort lachend wieder auf. Ich dagegen bin 1,90 m groß. Natürlich war eine Frau schuld daran, daß ich, der passionierte Rodel- und Schlittencrack, mir an der Skiausleihbude ein Paar von den gefährlichen, glitschigen Ständern griff und unterschnallte, die von den Zünftigen Bretter genannt und noch extra mit Wachs beschmiert werden. Sie hieß Vera und wohnte im gleichen Ferienheim. Auf meine vorsichtige Einladung zum Rodeln hatte sie mich herzhaft ausgelacht, lud mich aber ihrerseits zu einer Skitour nach der Hubertushütte ein. »Sie können doch Ski laufen, wie?« fügte sie mit einem taxierenden Blick hinzu. »Na klar«, sagte ich leichthin und war eisern entschlossen, die Bretter am nächsten Morgen zu meistem. Teufel auch, was konnte schon dabei sein, wo hierzulande schon die Säuglinge Ski zu laufen schienen! Der Wille versetzt Berge! »Du wirst es schon schaffen, Fritze«, bestärkten mich die Kollegen, »ist alles halb so wild. Bloß beim Fahren das Gewicht immer schön nach vom reinlegen und beim Bremsen etwas kanten.« Mag sein, daß es auch umgekehrt oder anders war mit dem Kanten und dem Reinlegen, ich weiß es nicht mehr so genau. Die ganze Nacht brütete ich über Slalom, Christiania, Bindungen, Schußfahrt, Sprunglauf und was die Hölle sonst noch für Bretterfachausdrücke erfunden hat, ging in die Hocke, fuchtelte mit nicht vorhandenen Stöcken in der Luft herum, kantete beim Bremsen und legte sogar noch im Schlaf mein Gewicht schön nach vom hinein. Am andern Morgen begann ich schon sehr zeitig mit dem Training, denn bevor sie kam, hatte ich etwa eine halbe Stunde Zeit. Teufel ja, es war nicht leicht. Meine Skier schienen überhaupt kein Ende zu nehmen und zeigten dauernd das Bestreben, sich
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mit der Spitze ineinander zu verheddern. Hatte man sie aber vom glücklich auseinander, ging es ebenfalls nicht voran, weil man sich jetzt hinten mit dem einen Brett aufs andere trat. Aber allmählich lernte ich doch - der Wtlle versetzt Berge! -, mich mit Hilfe der beiden Stöcke langsam voranzuschieben, und schließlich fühlte ich mich einigermaßen Herr meiner Bretter, ein vielleicht noch nicht tumierreifer, aber doch schon ganz beachtlicher Skisportler. Da kam er mit langen, kundigen Schritten von unserm Ferienheim her angeschwebt, mein Skihase, Unsinn, mein Skiengel, Quatsch, meine Skigöttin. Natürlich auf eige~,__-...,.---------------:------i nen Brettern. Sie begrüßte mich mit einem eigentümlichen Lächeln und fuhr los. Ich hinterher. Es ging gar nicht einmal schlecht. Meine Schritte wurden länger, ich drehte auf, legte Zahn um Zahn zu. Bis jene verdammte Erhöhung am Wegrand kam, ein tückisch unter Neuschnee verborgener Maulwurfshügel oder Ameisenhaufen oder auch nur Kuhklacks, der die erste peinliche Unterbrechung des Ausflugs verursachte. Meine Beine eilten mir plötzlich voraus, meine Arme segelten, die Stöcke mitreißend, hilflos durch die Luft, und krach, lag ich auf dem - also kurz und gut, lag ich. Weiteres siehe unter Newton. Bevor ich mich noch in dem Gewirr von Stökken, Skiern, Beinen und Armen zurechtgefunden hatte, war - wie sehr peinlich! - Vera bei mir, half mir aus dem Schnee, meinte lachend: »Ich denke, Sie können laufen?« »Ich bin nur etwas aus der Übung«, sagte ich so forsch wie möglich und spuckte Schnee, »seitdem ich damals in Oberhof die Meisterschaft in der großen Abfahrt mit 24 Toren und 70 Telemarks >>Augenblick, Meister, hingelegt habe, oder war es die Christiania-Schanze, na egal ... , mit diesen W'eiten hatten wir nicht da sind immerhin zwei Jahre vergangen. Und dann ist dieser gerechnet!« Schnee hier anscheinend nicht g'führig genug.« »Wollen wir erst mal auf den Idiotenhang?« fragte sie teilnahmsvoll, ja fast besorgt. »Kommt nicht in Frage«, entgegnete ich beglückt und verletzt zugleich, letzteres wegen des Idiotenhanges. »Nur weiter, Kollegin, ich komme schon wieder rein.« •
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»Mit welchen Sportarten beschäftigst du dich denn?« fragt Paul seinen Kollegen. »Ach, mit Fußball, Volleyball, Boxen, Schwimmen, Hochsprung ... « Paul staunt: »Alle Wetter, strengt das nicht sehr an?« »Ach nee, ich kriege immer nen Sitzplatz.«
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Es ging jetzt auf einen Feldweg mit ziemlichem Gefälle bergab. Vera fuhr voraus, ich hinterdrein. Sofern ich fuhr. Denn weiß der Teufel, was meine Bretter gegen mich hatten! Vielleicht war ich ihnen zu schwer. Oder der Alte in der Bude hatte ihnen zuviel Wachs zu fressen gegeben. Oder sie hatten sich gezankt. Jedenfalls überfuhren sie sich nach fünfzig Metern gegenseitig, bockten, bäumten sich und steckten schließlich gegen meinen ausdrücklichen, Berge versetzenden Willen mit dem hinteren Ende im Graben, während ihre Spitze blöd in den Himmel zeigte. Ich lag dazwischen. Aber diesmal gelang es mir, mich herauszuarbeiten, ohne daß Vera etwas merkte. Da sich die Differenzen meiner Bretter jedoch alle fünfzig Meter wiederholten, ka.m ich mit ihnen naturgemäß nur sehr langsam voran. Hinzu kamen noch die Aufenthalte, die ich der Schönheit der Natur zollte, was freilich auf einer Notlüge beruhte. Wiederholt nämlich machte Vera kehrt, um zu sehen, wo ich denn bliebe. Dann erstarrte ich, um mich vor ihr nicht aufs neue zu blamieren, jedesmal zu der Haltung eines hingerissenen Naturschwärmers, legte die Hand über die Augen, schaute ins Weite und rief, während mir die Knie bebten: »Schauen Sie doch nur, Kollegin Vera, schauen Sie! Dort jener Baum! Ist er nicht herrlich? Und dort der Telegraphenmast! Und überall Schnee darauf! 0 Mutter Natur!« Nach einer Weile - Vera war mit einem kleinen Kilometer Vorsprung um ein Waldstück verschwunden - tauchte hinter mir ein junger Mann auf. Er lief sehr schnell. Da ich nicht wünschte, mich vor ihm zu blamieren, erstarrte ich wieder zu meiner Naturschwärmerpose. Da hielt er schon bei mir. »Verzeihung«, sagte er artig und deutete auf Veras Spur, »läuft hier vor Ihnen vielleicht eine hübsche junge Dame mit einem roten Pullover?« »Nee«, log ich kühn, um den Burschen abzuwimmeln. Das konnte mir gerade so passen, jetzt noch einen taufrischen perfekten Skiläufer als Rivalen auf den Hals zu kriegen! »Und einem andern Paar sind Sie auch nicht begegnet?« »Nee. « »Schade«, sagte der Junge redselig, »ich bin nämlich ihr Freund und eben erst hier angekommen. Sie hat mir im Heim einen Zettel hinterlassen, sie wäre unterwegs nach der Hubertushütte, zusammen mit einem selten komischen Skisäugling, der ihr immer nachläuft.« Damit fuhr er ab. Ich aber habe bis zum heutigen Tage keinen Skier mehr angerührt, es dagegen als Rodelbremser und pferdebespannter Schlittenfahrer zu recht beachtlichen Erfolgen gebracht.
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Achim Fröhlich
or Als kurz vor dem Abpfiff die giftgrün verpackten Waden seiner Jungs den gegnerischen Strafraum überrannten und durch den Fuß eines Zitzenhagener Kämpen das erste und einzige Tor dieses Spiels fiel, da verlor Lappert den letzten dürftigen Rest seiner Beherrschung, schrie sich die Kehle wund und faßte einen unumstößlichen Entschluß: Einst sollte Zitzenhagen und sein Fußball die Welt aufhorchen lassen! Wie viele fanatische Fußballer litt Lappert an jener übertriebenen Begeisterungsfähigkeit, welche dazu verleitet, ein unerwartet errungenes Tor blindlings als historisches Ereignis zu feiern. Dazu ,,. . kam noch, daß er frischgebackener " /. Leiter der BSG 'lraktor vom Dörfchen ;/ , .„ . Zitzenhagen (400 Einwohner) war, außerdem Leiter der dortigen Sektion Fußball und der weiteren Sektio{ nen Handball, Schach, Wandern und Touristik, Leichtathletik, Tischtennis, Handball, Schach, Wandern und Touristik, Leichtathletik und Tischtennis wurden nicht gespielt. So sollte es auch bleiben, schwor sich Lappert, denn es gab ja doch nur einen großen, schönen, kämpferischen, herrlichen Sport. Dieser Sport hieß Fußball. Nach dem triumphalen 1:0 Sieg über die Fußballmannschaft der BSG 'lraktor von Knabersdorf (etwa 123 Einwohner), begab sich Lappert mit seinen Jungs in die zentrale Dorfkneipe von Zitzenhagen. Trunken war Lappert schon vor den 21 Stiefeln Bier, die hier verzehrt wurden. »Ich hab's!« rief er plötzlich, als seine Begeisterung über den Rand schäumte, »wir erhöhen ganz einfach die Zahl der Fußballmannschaften unserer BSG von einer auf acht. Oder auf zehn, oder auf zwölf.« Vom Grundschulpftlichtigen bis zum Großvater soll binnen eines Monats ganz .Zitzenhagen Fußball spielen!« Lappert begann gleich tags darauf in Zitzenhagen mit einer Fußballwerbekampagne. Vier Wochen später wurden das Spritzenhaus, sämtliche Konsumtüten, alle landwirtschaftlichen Geräte der MTS, der ~riedhof sowie weitere markante Stellen des Ortes mit Plakaten und Zetteln beklebt: »Zitzenhagen steht auf .;
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))Er möchte so gern mal einen Ball von Erich halten!((
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der Kippe zum Weltmeister im Fußball - macht alle mit!« Lappert sah in eine rosig überstrahlte Zukunft: »Das letzte Mal haben wir ja ausnahmsweise verloren, aber bald werden sie im Staatlichen Komitee mit Hochachtung von uns sprechen, und vielleicht, man kann's nie wissen, kriege ich irgendeine Auszeichnung, Verdienter Meister des Sports oder so.« In Zitzenhagen wurde denn auch eine zweite Fußballmannschaft gegründet, deren jüngstes Mitglied gerade vor der Schulentlassung stand, und deren ältestes unlängst die goldene Hochzeit gefeiert hatte. Bei der Aufstellung einer dritten Mannschaft ergaben sich aber bereits erhebliche Schwierigkeiten. »Boxen«, erklärte der Traktorist Franke, »Boxen«, unterbrach Lappert, »ist ohne Zweifel eine tapfere, männliche Sportart. Aber das Fußballspiel, mein lieber Kollege, ist viel fairer. Und humaner natürlich! Willst du etwa dauernd k.o. gehen? Ich würde dir raten, in unsere vierte FußballWir gründen in Zitzenhagen die erste mannschaft einzutreten, dort kannst du meiFrauenfußballelf. Das ist eine Sensation! netwegen auch boxen, wenn es der Schiedsrichter nicht sieht.« Wenig später erschien im BSG-Zimmer die junge Eva Schneider. »Leichtathletik«, erklärte sie. »Na, na, na, nicht so stürmisch«, entgegnete Lappert, »wie du weißt, hat Zitzenhagen die Fußballweltmeisterschaft direkt vor sich. Wir entwickeln nämlich zur Zeit den Massensport auf dem Lande! Und da habe ich eine glänzende Idee: Wrr gründen in Zitzenhagen die 1. Frauenfußballelf. Das ist eine Sensation! Du mit deiner Figur bist die geborene Mittelstürmerin.« »Schach«, erklärte Bauer Zillich, und Lappert unterbrach: »Schach bringt finanziell nicht viel ein!«, weil er gerade beim Skatspielen 2,70 DM verloren hatte. »Du kannst aber in unserer Altherrenfußballmannschaft spielen, die wir bald gründen!« Nachdem sogar die erste Mannschaft zum zehnten Male verloren hatte, schimpfte Lappert: »Die Leute haben kein Verständnis für die Entwicklung des Massensports!« So gingen denn eines Sonntags an die 30 Zitzenhagener Sportverhinderte zum Nachbarort Knabersdorf, um sich bei der dortigen BSG zwecks Sport anzumelden. Der Vorsitzende der BSG Traktor Knabersdorf empfing die wallfahrtenden Ankömmlinge mit außergewöhnlicher Freundlichkeit: »Sport wollt ihr treiben? Ausgezeichnet! Wir entwickeln nämlich bei uns gerade den Massensport. Knabersdorf steht auf der Kippe zur Weltmeisterschaft im Fußball. Da können wir euch sehr gut zum Aufbau der nächsten drei Fußballmannschaften gebrauchen!«
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Unter vier Augen
Heinz Fischer
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· . . . ich saß damals seit zwei Stunden auf einem Felsen, etwa zehn Meter über der Straße, und konnte nicht vorwärts und traute mich nicht rückwärts. Außer mir war noch Tante Agathes Ziege da, die eigentlich an allem schuld war, aber sie wußte sich auch keinen Rat. Gerufen hatte ich schon, daß mir die Backen schmerzten - es kam niemand. Vier Meter über uns führte eine andere Straße vorbei, denn ich hörte manchmal die Geräusche von Kraftfahrzeugen. Es war zum Heulen! Sie fragen, wie es dazu kam? Wissen Sie, eigentlich hatten wir nichts Besonderes im Sinn, als wir loszogen- die Ziege und ich. »Du kannst sie weiden lassen, am Straßenrand und wo es ihr sonst noch gefällt, und brauchst nur aufzupassen. Das wenigstens wirst du doch können?« So sprach Tante Agathe. Mein Gott, ich hatte Urlaub damals, kein Mensch weit und breit kannte Ich dachte: Immer höflich zu den weiblichen mich, warum sollte ich nicht? Aus Vorsicht Wesen - auch wenn sie Ziegen sind. setzte ich aber einen alten Hut von Onkel Oskar auf und schwärzte mein Gesicht leicht mit Ruß; denn es wäre mir peinlich gewesen, mit einer Ziege ... also, ich bin Doktor beider Rechte und gelte daheim als seriöser Mensch ... Sie verstehen mich doch? So schritten wir munter unseres Weges fürbaß; ich pfiff mir eins, und der Ziege war es recht. Sie fraß da ein Hälmchen und dort ein Blümlein, und ich dachte: Das liebe Tier, es nährt sich redlich und ist ohne Arg. Aber dann kamen wir an den Steilhang links der Straße und an den Felsen. Auf dem wuchs ein kleiner Strauch, und zu ihm wollte die Ziege. Sie sagte es nicht direkt, aber ein geübter Ziegenhalter merkt so was gleich. Erst war ich ja dagegen, dann dachte ich: Immer höflich zu den weiblichen Wesen - auch wenn sie Ziegen sind! Ich band ihr also den Strick vom Halse, wobei wir uns wieder ins Auge schauten, dann gab ich ihr einen leichten Schubs in Richtung des Felsens, rief »Bergheil! « und holte meine Zigaretten hervor. Sehen Sie, das war alles. Ich hätte nicht geglaubt, daß damit das Unheil begann. Denn als sie den Strauch kahlgefressen hatte, sollte sie wieder herunterkommen - sie kam aber nicht. Sie hatte ganz einfach Angst. Da dachte ich mir: Hier muß der Mensch eingrei-
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fen mit seiner überlegenen Intelligenz und seiner Barmherzigkeit - der gute Hirte sozusagen - und muß die Kreatur retten. Also kletterte ich hinauf. Hinter mir brachen beiläufig gute siebzig Zentimeter des schmalen Felsenweges ab und rutschten in die Tiefe ... ich finde, die Qualität der Gebirge hat sich im Gegensatz zu früher sehr verschlechtert. Bis zur Straße hinab waren es fast zehn Meter ... ich weiß nicht, wie es kam, aber nach rückwärts zu gehen, hatte ich keinen rechten Mut. Nach oben zu führte überhaupt kein Weg, das wußte auch die Ziege schon. Allmählich wurde es langweilig; ich nahm auch an, in der Nacht würde es regnen. Da faltete ich die Hände, schloß die Augen und richtete einige Worte an Pan, den Gott der Ziegen. Das half sofort, denn mit bedächtigem Wanderschritt kam unten ein Mann des Wegs daher, vermutlich ein Feriengast aus dem nahen Kurort. Endlich war er heran. »Guten Abend!« sagte ich von oben herab, jedoch mit fester Stimme. Er erschrak, blickte sich nach allen Seiten um und hatte mich endlich erspäht. .. . . Lange betrachtete er mich, dann sagte .. . . . •„ er zögernd: »Es geht Ihnen doch hoffent.•. •"'• .„·· ,• .. lich gut, wie?« • ,•••„. ' .• . • »Das schon, aber ich möchte gerne her"' „ .• •-.'. ' l'.. „„ ' ./' • .„ "' • "'" ··· unter ... auch ist es Essenszeit.« Er nickte. »Bitte schön ... frei ist der Bursch ... die Straße steht zu ihrer Verfügung. Was gibt es denn bei Ihnen heute abend? Auch Käse?« Unschwer erkannte ich in ihm einen Geistesverwandten. »Lieber guter Mann«, raffte ich mich auf, »so kommen wir nicht weiter ... ich kann nicht runter, der Weg ist hinter mir abgebrochen ... dort unten bei Ihnen liegen die Trümmer.« »Ach was! Ihr jungen Leute von heutzutage habt eben keinen Mut! Ich komme Ihnen entgegen.« In unglaublich kurzer Zeit stand er an der gefährlichen Stelle. »Los!« sagte er. »Holen Sie lieber einen Strick«, sagte ich. Da schnaubte er verächtlich durch die Nase, sprang und landete in meinen Armen. »Sehen Sie, Sie Hasenfuß!« Langsam trennte sich. von dem Kletterpfad ein metergroßes •
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Stück ab, die Trümmer legten sich unten sauber neben die anderen. »Ich glaube, jetzt ist es ganz aus«, sagte ich und reichte ihm mein Etui. »Rauchen Sie?« Mechanisch griff er zu, paffte ••schweigend vor sich hin und betrachtete seinen zerrissenen Armei. »Was nun?« drängte ich. Er lachte bitter. »Keine Sorge! In etwa fünf Minuten wird mein Weib mich vermissen. Sie ging nur mal eben seitwärts in den Wald. Sie besitzt die Eigenschaft einer Klette und folgt meiner Spur todsicher. Wie ich ihr allerdings meine Anwesenheit hier oben erklären soll ... ich befürchte das Schlimmste.« Er zuckte die Achseln. »Mann«, sagte ich, »schließlich haben Sie doch eine Bombenausrede. Hilfsbereitschaft der Tat ... und so weiter ... das impaniert den Frauen immer!« Sie ist natürlich kein Engel, sondern zeigt »Und der zerrissene Ärmel? Ich nehme an, Sie sind ledig?« durchweg menschliche Eigenschaften. »Ja«, sagte ich. Er winkte müde ab. »Wer sind Sie eigentlich? Sie sind doch kein Eingeborener? Und warum ist Ihr Gesicht so schwarz?« Es lag mir ferne, wahre Auskunft über mich zu geben. »Ich entstamme altem Hirtengeblüt«, bog ich aus, »vormals waren meine Ahnen die Mächtigsten im Land und ihrer Ziegen Zahl war nur zu schätzen. Diese eine hier ist die letzte, die mir verblieb im Wandel der Zeiten.« Ich deutete auf Tante Agathes Ziege und rückte Onkel Oskars Hut verwegen aufs Ohr. Dabei entging mir nicht, daß mein Retter ängstlich von mir abrückte, so gut es die Örtlichkeit erlaubte. Dann kam sein Weib. Als ich ihr zurief, sie möge um Gottes willen unten bleiben, tippte sie sich nur an die Stirn und fragte, ob wir es noch eine Stunde aushalten könnten, ohne neue Dummheiten zu machen. Wir bejahten es, und es frappierte mich von neuem, wie schnell Frauen eine Situation erfassen. »Und wir sprechen uns dann heute abend«, sagte sie zu meinem Gefährten und blickte ihn irritierend an. »Wie du willst, liebe Emma«, sagte er. Dann eilte sie davon. Wahrhaftig, sie eilte! Sie muß ihn doch sehr lieben, dachte ich und machte ihn darauf aufmerksam. Aber er beachtete mich nicht. Nun hatten wir wieder etwas Zeit für uns. Ich versuchte daher, ein Gespräch anzufangen über Schroffen und Schründe, über
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Eispickel, Kamine und Steigeisen - wovon eben Bergsteiger so sprechen bei kurzer Rast in der Wand. Der Gesell neben mir jedoch war verstummt. Wenn ich es recht bedenke, so hörte ich seine Stimme zum letzten Male, als er sagte: »Wie du willst, liebe Emma.« »Seid ihr zwei Deppen noch da?« erklang es plötzlich von oben. Ich blickte hoch. Kaum vier Meter über uns stand das Weib meines Bergkameraden und schaute uns mißbilligend an. Wie kam die Frau da hinauf? Als sie meine starren Blicke bemerkte, zog sie sich schnell zurück - na ja, keine Dame liebt es, von unten betrachtet zu werden. Aber dann stand an der gleichen Stelle plötzlich ein Mädchen, ein Mädchen ... was sage ich? ein Engel stand dort! Ich beschloß sofort, sie zu lieben, und trat einen Schritt zurück, um sie genauer ins Auge zu fassen. Für meine Person hätte ich dadurch beinahe das Problem des Ortswechsels auf einfache Art gelöst, aber mein Kumpan ergriff mich rechtzeitig am Gürtel. Ich sah nur noch, daß auch mein Engel zurückwich. Dann warf man uns das Seil zu, und wir verknoteten zunächst die Ziege. Als sie, von kundigen Männern gezogen, nach oben schwebte, fraß sie .....„„ ... "• schnell noch den oberen Zweig, den sie vorher nicht hatte erreichen können, vom Strauche. Tiere sind in allen Lebenslagen praktisch. Jetzt war mein Retter an der Reihe. Schweigend drückte er mir die Hand, und auch ich wollte die Stunde nicht durch Worte entweihen. Sein Weib war da von anderer Art und machte sich rechtschaffen bemerkbar. Schließlich war auch ich oben angelangt. Mein Kamerad und seine Gattin schritten bereits in angeregter Unterhaltung auf der Landstraße davon. Wahrscheinlich wurde ihm gerade verziehen. Die Seilmänner wollten mich jetzt ausfragen, aber ich spielte den Dummen, packte mich bei den Rockaufschlägen und warf mich gegen einen ·~
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Baum. Dabei sagte ich ganz schnell die Gewinnzahlen des Leipziger Lottos vom letzten Sonntag her und verschwieg auch die Quoten nicht. Dies machte einigen Eindruck, und plötzlich war ich allein. Nur das Mädchen und ein anderes weibliches Wesen standen noch da. »Schade um den Menschen«, sagte sie traurig, »er sieht eigentlich ganz gut aus. Wo mag er sich nur so geschwärzt haben, der Arme?« Dann gingen sie den andern nach. Und das mit Onkel Oskars altem Hut! 0 du mein Engel! Ich will Ihnen nicht berichten, was Tante Agathe sagte, als wir zurückkehrten, das ist nicht wichtig. Wichtig ist, daß ich am nächsten Tag meinen feinen Anzug hervorholte. Sie kennen
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ihn - der Schlips ist taubengrau mit gelben Tupfen. Wenn ich ihn trage, bemerke ich oft, daß schöne Frauen mit rätselhaft sinnenden Blicken mir nachschauen. Naja ... und dann lief ich in den Kurort und suchte meinen Engel. Nachmittags erst traf ich sie ... und dann redete ich und erklärte ihr und ... seit einem Vierteljahr ist sie meine Frau. Sie ist natürlich kein Engel, sondern zeigt durchweg menschliche Eigenschaften; aber sie ist immer lustig und sehr lieb ... und ich hätte ihr gleich gefallen, sagte sie. Eines ist ganz merkwürdig: Seitdem sie den Oberbefehl über mich hat, passieren mir keine »tollen Dinger« mehr und mein Leben verläuft ruhig und normal. Ziegen halten wir keine.
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»Geliebte Lisa! Nun kommt die Zeit, da im Garten die Mistbeete bestellt werden, und es drängt mich, Dir von meinen Gartennöten zu schreiben. Alle Kollegen verlangen, daß ich mich dem gesellschaftlichen und kulturellen Leben widmen soll. Aber ich will mich nicht. Die Ziegen sind gesund, ich leider nicht, denn meine Nerven halten die dauernde Belästigung kaum noch aus. Du in der Kleinstadt hast es gut! Keiner spricht dort von Kultur und so. Onkel Karl hatte Grippe, Tante Minna einen leichten Husten, und der Großvater ... « »Meine Liebe! Ich habe den Angorakaninchen Birkenwasser ins Fell gerieben, damit endlich die Haare wachsen. Im Betrieb versucht man auf jede Weise, mich für Theater, Konzerte und Vorträge zu interessieren. Aber ich sage immer: Bleibe im Garten und jäte redlich. Und wenn ich auch Bestarbeiter bin, so kann man doch nicht verlangen, daß ich mir noch den Kopf über >Faust< oder über politische Probleme zerbreche. Ach ja, alles ist ein Jammer. Paul nennt mich dauernd >Zwiebelprofessor< und sagt, ihm wäre ein Theaterstück lieber als zehn verkrüppelte Radieschen. Ich bin sehr erschüttert über diesen Verrat eines früheren Gesinnungsgenossen, denn auch Paul hat einen Garten. Wenn er auch behauptet, er könne beides - ins Theater gehen und den Garten bestellen -, so weiß ich es besser. Der Garten verlangt den ganzen Mann, und ich sehe mit Betrübnis, wie Pauls Gartenbaumoral verfällt. Aber ich wanke nicht! Besser ein Radieschen in der Hand als eine Beethovensymphonie im Ohr. Onkel Karl hatte Grippe, Tante Minna ... « »Lisa! Ich bin sehr erschüttert über Deine Zeilen! Du schreibst, meine Briefe seien langweilig, und ich solle nicht immer nur von meinem blödsinnigen Garten schreiben. Es hat mich sehr getroffen, weil nämlich mein Garten nicht blödsinnig ist und meine Briefe nicht langweilig sind. Ich werde Dir das gleich beweisen. Onkel Karl hatte Grippe. Gestern haben wir sehr gelacht, denn Tante Minna hat eine Tasse zerschmissen. Vom Garten werde ich Dir nichts mehr schreiben, außer, daß er mein ein und alles ist. Gestern habe ich den Blumenkohl verschnitten und den Hühnerstall grün gestrichen, weil die Hühner in letzter Zeit keine Eier mehr legten. Oskar meinte, den
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Hühnern fehle Grünes. So habe ich Oskars Rat befolgt, denn Oskar ist ein kluger Mann und versteht etwas vom Garten. Nun siehst Du, daß ich auch sehr lustige und interessante Briefe schreiben kann. Onkel Karl hatte Grippe, ich bin ewig Dein Edmund.« »Liebe Freundin! Ich muß Dir leider mitteilen, daß Tante Minna gestern die Treppe runtergefallen ist, welches Ereignis mich sehr erschüttert hat. Außerdem muß ich Dir einen ernsten Vorwurf machen. Du schreibst, wenn ich nicht bald meinen Gartenfimmel ablege, wirst Du Dich anderweitig verlieben. Liebe Lisa! Ich bin immer einsam gewesen mit meinem Garten. Die Enttäuschung würde mich zwar treffen, aber nicht töten. Ich bin einem Pflaumenbaume ähnlich, der durch einen harten Winter zwar mitgenommen wird, aber nichtsdestoweniger im nächsten Frühling wieder blüht. Schließlich habe ich mein Kressebeet und kann die Menschen entbehren. Außerdem bin ich gar nicht so kunstfeindlich wie Du denkst. Erst gestern habe ich im Garten Kunstdünger gestreut. Was willst Du also? Onkel Karls Grippe ist heute etwas schwächer, sicher freut Dich das. Tante Minna hat ... « »Verehrtes Fräulein! Soweit ist es also schon. Weil ich nicht ins Theater gehe, fühlen Sie sich bemüßigt, mit einem fremden Mann namens Willi ein Konzert zu besuchen. Nun gut, ich brauche kein Konzert, ich habe meinen Schnittlauch. Es hat mich bitter enttäuscht, daß Sie genauso wenig wie meine Kollegen etwas über meine gartentechnischen Fähigkeiten, die Sie die Freundlichkeit hatten, mit >Fimmel
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>>Schatz, ist dein blondes Haar natürlich oder gebleicht?<<- >>Natürlich gebleicht!<<
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Rolf Pester
Ich behaupte keineswegs zuviel, wenn ich sage, daß ich von Natur aus ein gewissenhafter Mensch bin. Morgens finde ich mich pünktlich am Arbeitsplatz ein, und abends gehe ich mit der gleichen Pünktlichkeit nach Hause. In der dazwischenliegenden Zeit verrichte ich meine Arbeit zu allseitiger Zufriedenheit. Doch in jedem Menschen steckt bekanntlich ein mehr oder weniger großes Exemplar jenes Beelzebubs, der ständig auf der Lauer liegt, um uns vom Pfade der Tugend abzubringen. Als ich morgens die Augen aufschlug, blinzelte die Sonne so strahlend freundlich durch die Vorhänge, daß ich sofort Sehnsucht nach Wasser, Wiese und blauem Himmel bekam - an sich eine ganz unsinnige Vorstellung, da heute kein Sonntag, sondern ein ganz gewöhnlicher Werktag war, an dem Ein Blick auf mich schien ihm die ich wie üblich um sieben ins Büro zu marschieren fällige Erleuchtung zu geben. hatte. Doch die Vision ließ sich nicht verscheuchen, selbst dann nicht, als ich bereits auf dem Bettrand saß und mit gekrümmten Zehen nach den Pantoffeln angelte. Weiß der Teufel, woher ich den Mut nahm - jedenfalls war ich plötzlich fest entschlossen, heute dem Büro den Rücken zu kehren und einmal regelrecht blau zu machen. Die aufkeimenden Bedenken beschwichtigte ich mit der Feststellung, daß ich bisher ein Muster an Pflichteifer gewesen und es deshalb dringend erforderlich sei, den zermürbenden Trott des Alltags kühn zu durchbrechen, um nicht gänzlich zu verknöchern. Ich packte also mein Badekrämchen und zog frohgestimmt hinaus in die Natur. Ich suchte mir einen einsamen Waldsee heraus, an dessen Ufern ich meine bleiche Bürohaut ein wenig anzubräunen hoffte. Ein grasbestandenes Plätzchen nicht weit vom Wasser fand meinen Beifall. Ich entfaltete meine Decke, stieg aus meinen Kleidungsstücken und hängte sie an die benachbarten Büsche ... Eben wollte ich mich behaglich ächzend hinstrecken, als aus dem Blätterwerk neben mir plötzlich ein weiblicher Kopf mit überschwerer Sonnenbrille herausfuhr und mich empört anfauchte: »He, Sie, was machen Sie denn hier?« Man wird meine unangenehme Überraschung begreifen. War ich doch der festen Überzeugung, hier weit und breit das einzige lebende Wesen zu sein. Deshalb entgegnete ich ziemlich unhöflich: »Was wollen Sie denn?«
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Mit diesem kämpferischen Wortwechsel begann meine Bekanntschaft mit einer der reizendsten Weiblichkeiten, die mir je begegnet war. Wir verbrachten zusammen einen zauberhaften Tag voll Sonne, Lachen und Plaudern. Es stellte sich heraus, daß sie Urlaub hatte - den letzten Tag übrigens - und morgen in einem neuen Betrieb als Direktionssekretärin anfangen wollte. »Das trifft sich gut«, sagte ich erfreut. »Auch bei mir geht der Urlaub zu Ende. Sehr schade, wirklich.« Wrr blieben bis z11m Einbruch der Dämmerung, dann gingen wir gemeinsam zur Stadt und verabredeten uns an ihrer Haustür für den nächsten Abend. Zuvor aber kam erst einmal der nächste Morgen. »Wo haben Sie denn gestern gesteckt?« empfing mich mein Abteilungsleiter sofort mit der gefürchteten Frage, auf deren Beantwortung ich mich allerdings gründlichst vorbereitet hatte. »Im Bett«, sagte ich mit schwacher Stimme und jener leidzerquälten Miene, die ich mir auf alle Fälle bereits beim Betreten des Betriebes zugelegt hatte. »Ich war krank. Ich wollte unter allen Umständen kommen, aber es ging einfach nicht. An der Haustür bin ich bewußtlos zusammengebrochen.« »Schrecklich. Sie sehen in der Tat gar nicht gut aus«, sagte er mit besorgtem Blick. Ich lächelte mitleiderregend. »Ja, ich bin auch keineswegs wohlauf«, entgegnete ich mit noch schwächerer Stimme. »Doch man muß die Zähne zusammenbeißen - man kann ja nicht im Bett bleiben.« »Ich möchte Sie am liebsten noch mal noch Hause schicken« überlegte er. »Auf keinen Fall«, wehrte ich mich. »Es wird schon gehen. Bestimmt.« - »Nun gut«, sagte er. »Trotzdem werde ich Ihnen für heute eine leichtere Arbeit zuweisen. Kommen Sie!« - »Vielen Dank«, murmelte ich demütig. Wrr gingen durch einige Zimmer. Er öffnete eine Tür und ließ mich eintreten. »Kollegin Steinbeck, hier bringe ich Ihnen einen Kollegen, der Ihnen etwas zur Hand gehen ... « Er unterbrach sich und sah mich forschend an. »Was ist mit Ihnen? Wrrd Ihnen wieder schlecht?« Ich war jäh erbleicht und stan·te mit entsetzten Augen auf die •
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weibliche Gestalt, die sich uns jetzt zuwandte. Heiliger Strohsack ... das war keine Halluzination, das war doch meine reizende Bekanntschaft vom gestrigen Tage! Auch auf ihrem Gesicht malte sich Überraschung. Wäre sie, was ich in diesem Moment brennend gewünscht hätte, eine Frau wie tausend andere gewesen, so hätte sie zweifellos in Gegenwart eines Vorgesetzten unsere Bekanntschaft nicht ruchbar werden lassen. Aber sie war nun eben mal eine besondere Frau, eine mit außergewöhnlichem Temperament und ohne Verstellungskünste. Mit strahlendem Lächeln kam sie auf mich zu. »Na, das ist aber eine Überraschung!« Das ist es ohne Zweifel, dachte ich erschlagen und verfluchte meine Unfähigkeit, nicht augenblicks mit Donnerschlag und Rauchentwicklung in den Boden versinken zu können. Da ich solches nicht vermochte, kam alles so, wie es kommen mußte. »Sie kennen sich?« fragte mein Abteilungsleiter erstaunt. Ich brach in wütendes Hüsteln aus. Zwecklos. Ihr ging jeder Sinn für Diplomatie ab. »Natürlich«, sagte sie fröhlich, »wir trafen uns doch gestern beim Baden!« Wenn ich nicht im Augenblick Mittelpunkt des Geschehens gewesen wäre, hätte ich über sein Gesicht laut lachen müssen. »Beim Baden«, fragte er verständnislos.» Gestern? Ich denke ... « Er brach ab. Ein Blick auf mich schien ihm die fällige Erleuchtung gegeben zu haben. Jetzt fühlte ich mich wirklich krank. Er schwieg eine peinliche Weile. Schließlich sagte er, langsam und jedes Wort betonend: »Daß Sie krank waren, glaube ich Ihnen ohne weiteres, lieber Kollege. Nur haben Sie sich anscheinend in der Diagnose Ihrer Krankheit geirrt. Sie waren nicht bewußtlos, sondern eher, hm, bewußtseinslos, wie?« Ich räusperte den imaginären Kloß hinweg, der mir im Halse steckte. »Ahem«, sagte ich beschämt, »Sie haben recht ... « Damit war der Fall erledigt. Als ich mich am Abend mit meiner undiplomatischen Bekanntschaft traf, fragte sie schuldbewußt: »Jetzt sind Sie mir sicher sehr böse, nicht?« »Im Gegenteil«, sagte ich und blinzelte sie zärtlich an. »Wenn Sie nämlich nicht gewesen wären, hätte ich wahrscheinlich Geschmack an der Sache gefunden und wieder mal blau gemacht.« »Sehn Sie, verehrter Kollege«, lächelte sie schelmisch, »das freut mich. Hier liegt nämlich der Hund begraben. Meiner Ansicht nach lohnt es nicht, für einen einzigen blauen Tag wochenlang rot werden zu müssen!« Ganz unter uns: Für diese Antwort bekam sie den ersten Kuß.
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Unter vier Augen
Erich Brehm
Ende April, am Sonntagnachmittag, geht Oskar mit Lenchen spazieren, was ausschließlich auf Lenchens Drängen zurückzuführen ist. Oskar wäre lieber zu Hause geblieben. Lenchen macht Oskar darauf aufmerksam, wie schön die Sonne scheint. Oskar sieht in seinem Taschenkalender nach. »Die Sonne soll das sein?« sagt er. »Da sieht man wieder einmal, wie die Praxis trügt! Die Sonne ist schon um 15 Uhr 32 untergegangen. Was wir da sehen, ist also nur eine optische Täuschung! Du solltest einmal das Buch >Theorie der Täuschungen< lesen, Lenchen. Sehr interessant, sage ich dir!« - »Aber die Sonne scheint doch!« sagt Lenchen. »Sie scheint? Sie scheint zu scheinen!« sagt Oskar streng und versucht zwei Sekunden lang in die optische Täuschung zu sehen. Dann schließt er geblendet die Augen und klopft auf den Kalender. »Die Zeitangaben hier«, sagt er, »sind auf Grund theoretischer Erwägungen errechnet. Die stimmen!« - »Vielleicht ist es ein Druckfehler«, sagt Lenchen. »Theoretisch besteht diese Möglichkeit«, sagt Oskar und sieht noch einmal nach. »Nein«, sagt er dann nach eingehender Prüfung, »du irrst, Lenchen! Die Daten stimmen - nur habe ich statt bei der Sonne beim Mond nachgesehen.« Die nun auch theoretisch anerkannte Sonne strahlt freundlich auf die beiden, die sich am Waldrand niedersetzen. Oskar holt sofort ein Buch hervor und beginnt »Die Theorie des Irrtums« zu lesen. Da summt etwas durch die Luft und klatscht auf Oskars Buch. »Sieh da«, sagt Oskar, »der erste Maikäfer!« - »Aber Oskar«, sagt Lenchen. >>Ich weiß, was du sagen willst«, sagt Oskar, »du meinst, theoretisch dürfte der erste Maikäfer frühestens am ersten Mai erscheinen, aber es gibt eine Theorie, nach der die ersten Maikäfer auch schon im April auftauchen können, wenn wir nämlich ein warmes Frühjahr haben!« Damit greift Oskar nach dem ersten Maikäfer, der daraufhin etwas völlig Unvorhergesehenes tut: Er sticht Oskar kräftig in die Hand! »Au, au«, jammert Oskar und sagt dann empört: »Also, das ist doch die Höhe! Theoretisch hätte mich der Maikäfer gar nicht stechen dürfen, weißt du!« - »Es war ja auch eine Hummel!« sagt Lenchen. Oskar freut sich, denn theoretisch ist damit für ipn wieder alles in Ordnung. Praktisch allerdings läuft er mit einer geschwollenen Hand umher.
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Unter vier Augen
Hansjoachim Riegenring
»Guten Tag«, sagte ich, »ist ... << »Er ist zu Hause«, erklärte die Dame an der Tür, und die Worte flossen aus ihrem Munde wie konzentrierte Schwefelsäure. »Er ist zu Hause, dieser ... << Das Ende des Satzes zennalmte sie knirschend zwischen den Backenzähnen. Dann, zwei Grad wärmer: »Na, Sie können ja nichts dafür.« »Bestimmt nicht«, beteuerte ich eilig. »Ehrenwort! Worum handelt es sich denn?« Sie zog mich in den Flur. Sie schloß die Tür, drehte den Schlüssel zweimal herum, schob den Riegel vor und sicherte die Kette. Dann atmete sie so tief ein, daß ich für einen Was erforschen die Wissenschaftler Moment im luftleeren Raum stand. »Ihr nicht alles. Aber über die Probleme eines Freund«, kam die Luft, zu Worten verunstalliebenden Untermieters schreibt keiner. tet, wieder heraus, »Ihr Freund, das ist ja, nein, so etwas in meiner Wohnung! Ich werde, und zwar heute noch ... « »Ich muß Ihnen völlig recht geben«, sagte ich hilfreich. »Nicht wahr? Bringt doch dieser Mensch ... hier, das habe ich beim Aufräumen in seinem Zimmer gefunden.« Aus der Schürzentasche holte sie einen - oh! »Das ist ja ... « »Jawohl, das ist eine Frechheit! Ausdrücklich habe ich ihm Damenbesuch untersagt. Und nun das!« Sie hielt mir den Büstenhalter unter die Nase. Er roch nach Lavendel. Ich versuchte, aus Form und Größe auf seine Besitzerin zu schließen. Sie mußte - olala! »Na?« riß mich die Dame aus meinen Lavendelträumen. »Unerhört!« nickte ich. Was hatte Sigmund bloß wieder angestellt? Ich mußte ihm natürlich helfen. In meinem rechten Großhirn blitzte ein Gedanke auf, raste ins Sprachzentrum, setzte meinen Kehlkopf in Schwingungen und fuhr als wohlgeformte Lüge aus meinem Mund. »Die Sache ist ganz einfach zu erklären. Mein Freund hat vorübergehend die Vertretung für eine Miederwarenfinna übernommen, und da ist wohl - ja, so wird es sein.« Ich riß die Tür zu Sigmunds Zimmer auf. »Sigmund« - ich blinzelte ihm heftig zu - »du hast wohl ein Stück aus deiner Musterkollektion verloren hier ... « Sigmund sah mich, die Wirtin, den Büstenhalter. »Aber natürlich«, rief er sichtbar erleichtert, »den suche ich schon den gan-
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zen Tag in meinem Musterkoffer. Schönen, heißen, herzlichen, lieben, vielen Dank!« Er schloß die Wirtin in seine Arme und dann die Tür hinter ihr zu. »Entsetzlich«, stöhnte er entsetzlich, »daß Dagmar ihre Sachen nie zusammenhalten kann.« - >>Wer ist Dagmar?« - »Oh, Dagmar ... « Seine Hände streichelten die zarten Spitzen des Dingsda, und ich fürchte, in seiner Phantasie streichelte er etwas anderes. »Ein Mädchen ... « - »Dachte ich mir doch! Und wie kommt die Dame hierher?« Er schmunzelte. Erinnerungsschwanger. »Meine Wirtin war einen Tag verreist, naja - ein Untermieter ist doch auch ein Mensch!« /i ----Welch ergreifender Aufschrei einer ge„ knechteten Seele. Ein Untermieter ist doch auch ein Mensch! Sprechen wir es ruhig einmal aus. Ein offenes Wort! Jeder von uns, jeder Mensch auf der Welt, reich oder arm, darf den Menschen, den er liebt, an seinen Busen drücken. Nur der Untennieter nicht. Vor seinem menschenleeren Bett sitzt (symbolisch!) die Wirtin, die Gralshüterin seiner Moral, seiner Tugend. Er lebt wie ein Mönch. Wie ein Mönch? (Sprichwort: Der Mönch lebt nicht vom Brot allein!) Schlimmer als ein Mönch. Was erforschen die Wissenschaftler nicht alles: die Nöte der Jugend, die Gefühle der Frau, das Verhalten des Mannes - über die Probleme eines liebenden Untermieters schreibt keiner. Da liegt der Fuchs im Pfeffer! Auch ein Untermieterherz sehnt sich nach Liebe, und das nicht nur zur Sommerszeit. »Es ist entsetzlich«, jammerte Sigmund und fragte mich, »was soll ich nur machen? Du bist Schriftsteller-fällt dir nicht vielleicht trotzdem etwas ein?« Ich sprach mit seiner Wirtin. Ich erklärte ihr, daß ein Mann nicht immer nur im »Magazin« lesen könne. »Das ist aber besser«, behauptete sie. Und ganz vertraulich: »Ich weiß das, ich habe auch mal möbliert gewohnt, und einmal besuchte mich mein Freund, heimlich, ich hatte solche Angst, daß meine Wirtin hereinkommt.« - »Und kam sie?« - »Nein, aber wir mußten ganz schnell heiraten.« - »Lohn der Angst«, murmelte ich. Sie kochte mir e.inen Kaffee, der mein Herz springen ließ wie ein gedoptes Rennpferd. Sie würde gern wieder heiraten, säusel•
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))Und wenn schon Herrenbesuch, dann nur Cousins.«
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Unter vier Augen
te sie mir ins Trommelfell, wenn der richtige Mann ... Ich konnte mich noch rechtzeitig verabschieden. »So ists richtig«, schäumte Sigmund (er war beim Zähneputzen), »fremde Tugenden bewachen und selbst - ha! Wer im Steinhaus sitzt, soll nicht mit Gläsern werfen!« Er goß Kognak ein. Dann tranken wir noch einen. Und noch einen. »Wenn alle Menschen«, schrie Sigmund, »in Untermiete wohnen würden, wäre die Menschheit längst ausgestorben!« Er trank. »Jawohl«, brüllte ich. »Die Zimmervermieterinnen sind der Untergang der edelsten menschlichen Gefühle.« Vor der Tür schrie jemand empört auf. »Man müßte«, überlegte ich, »deiner Wirtin ein Schlafmittel in das Essen schütten. Genau dosiert.« Ich trank. »Wie das, Freund?« fragte Sigmund gierigen Ohres. »Zum Beispiel so: Deine liebe, süße Dagmar besucht dich. Drei Stunden Liebe - also muß die Wirtin drei Stunden schlafen.« »Drei Stunden?« Sigmund war empört. »Ich will meine Dagmar ewig lieben!« »Demnach müßte die Wirtin ... « Ich rechnete. »Oh, das geht nicht. Aber ich weiß was. Gegen männlichen Besuch hat deine Wirtin doch nichts?« - »Nee«, kicherte er, »sondern ganz im Gegenteil.« - »Dann schick sie mal zu mir!« - »Meine Wirtin?« fragte Sigmund erstaunt. Ich verließ ihn wortlos. Die Flasche war sowieso leer. Es macht den Frauen viel Mühe, eine gute Figur zu bekommen. Es macht noch mehr Mühe, sie zu verbergen. Dagmar hatte eine sehr gute Figur. Das Jackett saß sehr straff. Meine Oberhemden paßten sich allerdings der ihnen ungewohnten Situation gut an. Ich brachte Dagmar bei, wie sich ein Mann benimmt. Beim Rauchen, Trinken, einer Dame gegenüber. Sie lernte erstaunt, daß ein Mensch auch ohne Lippenstift und Nagellack lebensfähig ist. Sigmund stellte sie seiner Wirtin vor. »Ein Freund von mir. Ein begeisterter Schachspieler wie ich.« »Ein netter junger Mann«, flüsterte mir die Wirtin zu. Und eines Tages erzählte sie mir auf der Straße, wie höflich Sigmunds Freund sei. Er brächte ihr immer Blumen mit. »Und ein geradezu fanatischer Schachspieler, sage ich Ihnen. Dreimal in der Woche spielen die beiden ganze Nächte durch!« Es ist doch ein wundervolles Gefühl, einem Menschen zu helfen. Und die beiden sind mir so dankbar - Moment, der Briefträger. Ein Brief von Sigmund. »... muß ich Dir leider mitteilen, daß alles vorbei ist. Meine Wirtin will unbedingt Dagmar heiraten.«
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Hans Krause
OHH Ausgehend von der trauten Tradition des Briefstellers für Liebende, Denkfaule und Steuergeschädigte hat Herr Dr. Dr. h.c. Weihrauch kürzlich einen Knigge für Selbstkritiker herausgegeben, dem wir die folgenden Modell-Referate für die Landwirtschaft entnehmen: A Selbstritik bei Kritik von unten Diese Variante erfordert keinerlei Vorbereitungen. Um sie zu beherrschen, muß man nicht einmal sich selber beherrschen. »Liebe Genossen! (mit einer Stimme, wie sie Cäsar gehabt haben mag, als er sterbend das klassische Zitat »Auch du mein Sohn Brutus!« herausließ) Ich bin von euch kritisiert worden! Obwohl ich wie ein Vater zu euch war und euch jede Prämie von den Augen abgelesen habe. Ich gebe euch 30 Sekunden Zeit, eure voreilige Kritik zurückzunehmen! Fall dies nicht geschieht - na schön, ich kann auch anders! Wenn ihr denkt, ich mache mich hier mit meiner Selbstkritik zum Dorfaffen, dann irrt ihr euch. Mein Leitungsstil paßt euch nicht? Nun gut, ihr werdet euch noch wundem. Ich werde euch einen Leitungsstil hinlegen, daß ihr Stielaugen kriegt, Freunde! - Ende!« B Selbstkritik bei Kritik von oben Entscheidend für den Erfolg dieser Variante ist die richtige Differenzierung. »Einen Schritt zurück und zwei Schritte vor!«, wie man in Abwandlung eines Lenin-Zitats formulieren könnte. »Werte Genossen! (sachlich, aber nicht zu unbeteiligt) Ihr habt mich kritisiert! Nun gut, ich bin nicht nachtragend. Um so weniger, da ich weiß, daß ihr es in guter Absicht getan habt. Ich will damit nicht sagen, daß eure Kritik völlig unberechtigt ist. Aber so ein Leitungsstil ist schließlich kein Pappenstiel. (rhetorisch über sich hinauswachsend) Der muß wachsen, muß reifen, muß sich entwickeln. (mit einer Überlegenheit, als hätte man mit dem Landwirtschaftsminister die Schulbank gedrückt) Um so unverantwortlicher ist es, daß ihr diesen meinen Entwicklungsprozeß durch eure harte Kritik in eine ernste Krise bringt. (rasch einlenkend) Zugegeben, ich habe Fehler gemacht, aber wer ist schon frei von Fehlern? (wieder überlegener) Habt ihr zum Beispiel bei eurer Kritik genügend Weitsicht walten lassen, das Wozu und Warum genau bedacht, die Zusammenhänge genügend studiert? Keine Sorge, Genossen, ich bin der letzte, der euch dieser durchaus menschlichen Mängel wegen
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verdammen würde. Im Gegenteil, ich danke euch für eure helfende Kritik, jedoch nicht ohne euch zum Abschluß mahnend zuzurufen: Bedenkt, Genossen, Kritik ist eine Waffe, mit der man leicht jemanden ernsthaft verletzen könnte!« (Man falte ruhig sein Manuskript zusammen und scheide in der schönen Gewißheit, alles zerredet und nichts zugegeben zu haben.) C Selbstkritik bei Kritik von ganz oben Bei dieser Variante ist darauf zu achten, daß die Wasserkaraffe gut gefüllt ist. Kleidung: Großer Selbstkritikanzug, aschgrau, gesprenkelt. Möglichst zwei, drei Nummern zu groß. Das garantiert einen besseren Schlottereffekt. Darl unter Hemd, aber keine Krawatte. • »Hochverehrte Genossen! (einfach, aber eindringlich) Ich danke euch! Ich danke euch für . , . . . eure Kritik, die mir hart am Rande des Plan- .;V;~· ' ._ tiefs die Augen geöffnet hat. (Hier lasse man ft"~ . .w.: ~~·-· · · die eben geöffneten Augen etwas feucht wer- ~:?.~ ---~~ · ~ den.) Als sechster Sproß einer achtköpfigen ·~: ~ : Gutskutscherfamilie (man lasse seine Herkunft 30 Sekunden gewichtig im Raume stehen), war ich daran gewöhnt, die Zügel gelegentlich etwas schleifen zu lassen. Hier liegen die tiefen Ursachen, wenn ich als Schrittmacher in der Landwirtschaft zwar immer bemüht war, alle Aufgaben zu deichseln, jedoch ohne durch allzu straffe Leitungsmethoden die Pferde scheu zu machen. Ich bin zerknirscht. (Mit einer Handvoll Kies in der Hosentasche lassen sich hervorragende Wirkungen erzie. len.) Ich bin erschüttert! (Unsere gebräuchlichen Rednerpulte haben den Vorzug, daß man solche Erschütterungen sehr gut auf sie übertragen kann.) Aber ich bin auch zutiefst geläutert und bereit, aus meinen Leitungsfehlern optimale Konsequenzen zu ziehen (man nehme einen langen Zug). Das heißt, ich werde keine Mittel unversucht lassen, um meinen Leitungsstil im Sinne eurer Kritik zu überprüfen und zu korrigieren. (Hier ist der Moment, wo man sich einige Male an die Brust schlagen kann. Ein Topfdeckel unter dem Hemd verstärkt den Eindruck, daß es sich dabei nicht nur um hohle Versprechungen handelt.) Nochmals, Genossen, meinen aufrichtigen Dank!« (Man bleibe noch einen Augenblick mit gesenktem Haupte stehen un.d spüle dann mit dem Rest des Karaffeninhalts die ganze Angelegenheit hinunter.) •
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ROHttlltZO Ein Russe bestellt im Restaurant immer fünf Gläser Wodka auf einmal. Irgendwann fragt ihn der Wirt nach der Bewandtnis. Der Russe erzählt ihm, daß sie im Krieg fünf Kamera~ den waren und die Abmachung getroffen hatten, daß diejenigen, die am Leben bleiben, immer für die anderen mittrinken. »Ich habe als einziger überlebt und trinke getreu unserer Abmachung für die anderen mit.« Eines Tages bestellt er nur vier . Wodka. »Was ist los?« fragt der Wrrt. »Nun«, sagt der Russe, »ich bin Antialkoholiker geworden.« .
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Vorgetragen vom HO-Filialleiter Schlicht Ich bin ein Mensch mit viel Gemüt und leider noch nicht abgebrüht, und das betrübt mich sehr. Ich herrsche über Brot und Salz, Radieschen, Wurst, Sidol und Schmalz und Pfefferminzlikör. Und weil ich weichgesotten bin, hab ich, zwecks Umsatz und Gewinn, die Dauerwurst poliert, die Käseglocken abgestaubt, den losen Türgriff festgeschraubt und Fleischsalat garniert. Ich scherzte: »Na, was darfs denn sein? Ein Viertel Wurst? Ein halbes Schwein? Ein Päckchen Scheuersand? Hier ist ein Lutscher für das Kind (!). Sie staunen, daß wir höflich sind? Ich bitt Sie, küß die Hand.« Der Lutscher und die Höflichkeit, das sprach sich rum in kurzer Zeit! Ich war voll Zuversicht. Da sagte meine Hilfskraft Kraus: »Das artet ja in Arbeit aus! Das geht natürlich nicht.« Ich rügte sie. Das nahm sie krumm. Jetzt steh ich hier alleine rum und werde nicht mehr froh. Und außerdem: Das Fräulein Kraus sitzt jetzt in einem Warenhaus im Kundendienstbüro.
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„An dieser Stelle soll ich einen Rechenschafftsbericht abgeben?" „Ja, es ist der Platz für unser Kulturhaus, dessen Bau Sie uns vor vier Jahren versprochen hatten."
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John Stave
or Marta Lehmann hat sich bei den Berliner Verkehrsbetrieben als Schaffnerin beworben. Bei dieser Gelegenheit wurde ihr die Aufgabe gestellt, einen Vortrag über das Thema »Der Obus ein Verkehrsmittel der Zukunft« zu halten. Der Bewerbung wurde nicht stattgegeben. Der Wortlaut des Vortrages liegt hier vor: So ein Obus is ne feine Sache. Fährtuff Jummiräder und schukkelt deswejen nich so wie ne altherjebrachte Straßenbahn, die schienenjebunden is. Ein Obus is ausweichbar - wie et inne Fachsprache heißt. Und deshalb hat sich ooch unsre Be-Vau-Je dazu entschlossen, detjanze Straßenbahnwesen langsam aba sicha auszubauen und durch Obüsse zu asetzen. Den ersten Schritt hat se jetan mit den Obus 30, der im Berliner Osten rum.kutschiert. Dafür hat se die Straßenbahnlinie 65 injezogen, wat mit det Sparsamkeitsprinzip im Einklang zu bringen is. Nu jibt et leida ville Arbeita, die üba den Obus rummeckan. Diese muß ein enerjischet Halt entjejenjeboten werden. Worüba rejen sich die Leute uff? Sie sagen, der Obus is ein langsamet Vehikel und die Be-VauJe will uns damit vascheißan - gelinde ausgedrückt: uffn Arm nehmen. Wat is daran wahret? Et muß von Kreisen der Be-VaJe zujejeben werden, daß diesa ulkije Bus langsam fährt. Nu, Kollejen, wat is dadran Schlimmet? Wer langsam fährt, kommt ooch zums Ziel. Oder: Wat lange fährt, wird jut. Denn sagen noch die Kollegen, des der Obus so sehr stuckern tut. Dazu möcht ick foljendet sagen: Obüsse müssen so sein, weil sie nämlich aufs Pflaster fahren, während die Straßenbahn ihre jleichjültigen Schienen hat. Ein Kollege hat sich sojar soweit erdreistet, daß er foljendet ausjedrückt hat: »Et is schade um denjanzen Draht, den die Be-Vau-Je vaspannt hat. Und um den alten Eichen, die se fürs Halten von den Draht entästet haben dito.« Kollejen, ick hab euch mal die janzen feindlichen Arjumente uffjezeichnet, damit ick ihr jleich am Boden zerstören kann. Foljendet: Der Obus is eine jute Sache, wenn ooch für ihn das Arjument »Neue Obüsse kehren jut« nich stichhaltig is.
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Wo wir sind, ist vorn
Aba - kommt Zeit kommt Draht - Verzeihung: Rat natürlich. Inne Hauptstraßen ham wir Eisenmasten vawendet, nur in die Nebenstraßen, wo sowieso keena so jenau hinkiekt, ham wa alte hundertjährige Eichen vawendet. Und det Stuckern, Kollejen, hört mir ooch baldigst uff. Wenn ihr mal een Auge uff die Wtlhelm-Pieck-Straße wirft, werd ihr sehen, des mit die Pflasterarbeiten bereits bejonnen wurde. Jedenfalls steht so ville fest: Der Obus ist ein Verkehrsmittel der Zukunft. Und wer inne Jejenwart noch lange rummeckat, soll jefällichst die Straßenbahn nehm. Wenn die alladings wie im Fall von die 65 - injezogen is, denn hatta sich anjeschmiert. Ick jedenfalls danke die Be-Vau-Je für die Obus-Inrichtung. Ick fahr nämlich jeden Tach sowieso nur U-Bahn.
Advent, Advent - ein Lichtlein brennt. Kollege Klein hat's angemacht, und mit dem Lichtlein schleicht er sacht zur LPG, zum Lagerhaus, dort holt er noch ein Lichtlein raus. Ganz vorne glitzert weiß der Schnee, und hinten brennt die LPG. Am Morgen kommt der ABV. Er untersucht den Brand genau. Und mittags kommt er zu dem Schluß, daß dieser Brand gelegt sein muß. Das war bestimmt Klein, der Agent, weil der die LPG gut kennt. Doch diesmal hat er sich geirrt. Der ABV den Fall entwirrt: Denn die goldnen Zuckerrüben sind draußen auf dem Feld geblieben, erfroren zwar - doch nicht verbrannt, gibt stolz die LPG bekannt. Der Klein floh schnell nach Bielefeld und wurde also nie gestellt. Die LPG bekam 'nen Orden, Kreissieger wäre sie geworden in schweren Klassenkampfmomenten bei der Bekämp.fung von Agenten.
Greifvogel mit 3 Buchstaben? ABV.
Edgar Külow
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Lothar Kusche
tor Oder: Was Hemingway sagen wollte Ernest Hemingways Erzählung »Der alte Mann und das Meer« (1952) ist nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Interpretieren sehr gut geeignet. Ein alter kubanischer Fischer, seit vierundachtzig Tagen ohne Beute, fängt einen Fisch, so groß, wie er noch nie vorher einen Fisch gesehen hat. Der alte Mann, allein in seinem Boot, besteht einen langen harten Kampf, zuerst mit dem großen Fisch und später, als er diesen getötet und mühsam an seinem Boot festgebunden hat, mit den Haien. Der alte Mann kämpft, so lange er kämpfen kann. Er unterliegt. Die Haie fressen seinen großen Fisch auf bis auf die Gräten. Es gibt viele Auslegungen und viele Ausleger. Der Berufs-Analytiker starrt die Geschichte so lange an, bis sie, jedenfalls in seinen Augen, durchsichtig, zu deutsch: transparent wird. Alsdann gilt's, dem Dichter und seinen Lesern beizubringen, welchen Sinn die Geschichte eigentlich hat, denn das, was »damit gesagt werden sollte«, steht in den meisten Geschichten gar nicht oder nur in verklausulierter Form drin. Also was wollte Hemingway uns »mit seiner Erzählung sagen«? Der kämpferische Mensch ist großartig: Er bietet den Haien die Stirn, auch nachdem sein Messer kaputtgegangen ist. Der kämpferische Mensch ist immer überlegen. Die Haie sind den Menschen überlegen, besonders den alten Männern. Diese retten vor den Haifischen höchstens mal ein nutzloses Skelett. Kampf um des Kampfes willen . .
In der Person des alten Mannes symbolisiert Hemingway den kleinen Unternehmer, dem von den großen Konzernen alles weggefressen wird. Nicht in dem alten Mann, sondern in dem am Boot festgebundenen Schwertfisch, den die Haie fressen, erblicken wir deutlich den kleinen Unternehmer. Natürlich sind die Haie die Konzerne, das versteht sich. Aber der alte Mann hat keinen
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Symbolwert und ist in der Geschichte (oder Story, wie Hemingway solche Texte nannte) eigentlich überflüssig. Die vorliegende Novelle idealisiert den wahren Individualismus: Der alte Mann, einer der ganz großen Einsamen, die ausziehen, um die Welt zu erobern (wie einst der bekannte Napoleon oder der weniger bekannte Erfinder der Erbswurst) - in diesem Falle einen Fisch. Selbstverständlich ist in des alten Mannes Boot kein Platz für ein Radio, weil ein Individualist kein Radio braucht. Zumindest nicht beim Rudern! Die Erzählung kritisiert in scharfer Weise den Individualismus, denn sie zeigt uns deutlich, daß der moderne Ozean nur von einer kollektiven Fischwirtschaft genutzt werden kann und nicht von irgendwelchen einzelnen und noch dazu alten Männern. Das Dichterherz des Verfassers schlägt impulsiv für die Fische, diese zeitlosen Ur-Kreaturen, welchen weder der alte Mann noch der Mensch überhaupt und als solcher vergleichbar ist. Dessen Geschick ist von unbekannten Mächten im voraus bestimmt, zu denen gewöhnliche Leute niemals Zugang haben. Das ganze Kämpfen ist Quatsch, denn am Ende bleiben doch bloß ein paar Gräten übrig. Die Erzählung vom alten Mann auf dem Meer leitet eine neue Epoche im Schaffen des E. Hemingway ein. Der Autor bringt nämlich erstmals zum Ausdruck, daß man auch Wasser trinken kann. Diese Möglichkeit hatte E. H. in keinem seiner bisherigen Texte erwähnt. Die wundervolle Meerwasser-Novelle ist ein Loblied auf das Bier! Die Raffinesse des Verfassers: Er läßt seinen Helden nur ein einziges Glas Bier trinken und dann in die fast endlose Wasserwüs~e hinausgondeln, welch ein Kontrast! Die
Stalinporträt aus der Tagespresse 1953.
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Opa Friedrich steht mit einer amerikanischen Fahne an der Grenze und winkt. Ein Grenzer stellt ihn zur Rede: »Opa, was machst du denn hier mit der amerikanischen Fahne?« »Ich warte auf die Amerikaner.« »Aber Opa, jetzt im Jahr 1954? Das geht doch nicht. Im übrigen scheinst du ja dein Fähnchen laufend zu wechseln, denn ich erinnere mich gut: 1945 hast du mit der roten Fahne in Berlin gestanden und auf die Russen gewartet.« »Na und, sind sie nicht gekommen?«
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Geschichte könnte auch heißen »Der alte Mann und der Durst«. Hemingway wollte damit sagen, daß sich das Meer womöglich rächt, wenn man ihm Fische entnimmt, um sie zu essen oder einzusalzen, sowie, daß man gut tut, zum Fischen immer ein bißchen Salz, eine oder zwei Zitronen und irgendwas mitzunehmen, mit dem Haifische rasch getötet werden können. Mit seiner Geschichte wollte Hemingway die Weltöffentlichkeit nachdrücklich darauf hinweisen, um wie vieles besser es den alten Männern in der DDR geht als denen im damaligen Kuba.
»Also hömse ma ßu. Sie wudan sich imma in Ihre Ejenschaft als Leiter von die Hausjemeinschaftsleitung, disse keen politijen Schwung in die Bude kriejen. Is doch keen Wunda, Mann! Sie ßiehn den Laden ja ooch ville ßu wenich jeistreich uff! Wennse ßum Beispiel ßu Meiern ausm dritten Stock sagen: >Mein lieber Herr Meier, dürfte ich Sie recht herzlich einladen zu unserer nächsten Hausversammlung? Wir haben uns als Thema gestellt die Beschlüsse der Regierung zur Festigung des Friedens. Wennse so .komm, denn is doch klar, daß Meier als Praktika gleich uff seine krittlosen Fenstan hinweist und uff die vaßogne Stubentür. Dit müssense andas machen. Beispielsweise so: >Guten Tag, Frau Mülla! Näxten Dienstach um achte hamwa wieda mal ne Vasammlung. Thema: Unsa letzta Wassarohrbruch und der Bau des Assuahnstaudamms in Ejipten. < Denn sollnse ma sehn, wie se alle anjetanzt komm. Dit is doch dit Wesentliche: imma im Zusammenhang, Mann!« »Vielen Dank auch, Herr Krause. Bei der Gelegenheit möchte ich Sie dann gleich noch zu unserer nächsten Versammlung einladen. Thema: Tibet, das Dach der Welt - aber auf unserem Boden regnets durch!«
John Stave
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Achim Fröhlich
Kürzlich faßte ich unversehens in meine Herzgegend. Da durchzuckte mich ein eisiger Schreck. Es war kein Irrtum: Das Herz schlug nicht mehr! Ich war tot, war gestorben, ohne daß ich es bemerkt hatte. Schnurstracks ging ich zu meinem Bestattungsinstitut. »Zeigen Sie mir einen schönen, großen Sarg«, sagte ich bescheiden, »er ist für mich bestimmt; ich bin gestern verstorben.« ·--
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>>Keene Bange, ich bin nicht abergläubisch.<<
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Der Verkäufer sah mich entsetzt an und fiel ohnmächtig um. Danach rief ich meinen Chefredakteur an. »Hallo«, flüsterte ich mit Grabesstimme. »Sie werden kein einziges Manuskript mehr von mjr erhalten. Ich bin seit gestern tot.« Da hörte ich am anderen Ende der Leitung ein schreckliches Gurgeln. Aus! Dann inforn1ierte ich meine Wirtin über den Tod. »Liebe Frau, nehmen Sie 's nicht übel«, brummte ich, »aber ich bin seit gestern verschieden.« Die arme Frau bekam einen mittleren Schlaganfall. Anschließend ging ich zu all meinen Bekannten und teilte ihnen mein Ableben mit - mit dem Ergebnis, daß sie alle von Nervenzusammenbrüchen, Ohnmachten lind Schockzuständen hingestreckt wurden. Zuletzt wanderte ich zu einem Mann, der die Mitteilung über mein Dahinscheiden mit Fassung zu tragen wußte. Er sprach die Hoffnung aus, daß sich meiner Beerdigung keinerlei Schwierigkeiten in den Weg stellen möchten. »Recht vielen Dank für Ihren Besuch«, sagte er zum Abschied. Der Mann ist Sachbearbeiter beim Wohnungsamt. •
1953
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1953 Als Stalin im Jen- : ·. , " seits den Zaren ·N:iKo-
1. Januar
Ab sofort Erfassung aller Geschwulst-Erkrankungen im Nationalen Krebsregister, wichtig für Prophylaxe und Forschung .
3. Januar
Zum ersten Mal wird der Titel >>Meister des Sports<< verliehen.
7. Januar
Die ersten 70 Wohnungen der Stalinallee in Berlin werden bezogen.
15. Januar
Verhaftung des Außenministers und stellvertretenden Vorsitzenden der DDR-CDU, Georg Dertinger, unter dem Vorwurf der Spionage.
23. Januar
DEFA-Filmpremiere >>Geheimakten Solvay<< in der Regie von Martin Hellberg mit Wilhelm Koch-Hooge und Ulrich Thein.
25. Januar
Beginn der ersten gesamtdeutschen Mannschaftsmeisterschaften im Ringen in Hamburg.
30. Januar
Grundsteinlegung zum Neuaufbau Rostocks im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks.
4. Februar
Johannes R. Becher wird in Moskau mit dem >>Internationalen Stalinpreis für die Festigung des Friedens zwischen den Völkern<< ausgezeichnet.
4. Februar
Otto Grotewohl fordert vor der Volkskammer alle Werktätigen zu strenger Sparsamkeit auf.
1. März
Eröffnung der dritten >>Deutschen Kunstausstellung<< in Dresden, die Werke des sozialistischen Realismus zeigen soll.
5. März
Der 73jährige sowjetische Partei- und Regierungschef Josef Stalin stirbt in Moskau an den Folgen eines Schlaganfalls.
14./15. März
Bei der ersten DDR-Hallenmeisterschaft der Frauen im Faustball gewinnt die BSG Rotation Dresden-Mitte.
21. März
Eine Gruppe von Agenten wird im Carl-Zeiss-Werk Jena verhaftet.
27. März
Gründung der Sportvereinigung Dynamo.
1. April
Der von Ernst Busch gegründete Musikverlag >>Lied der Zeit<< wird zum Volkseigenen Betrieb VEB Deutsche Schallplatten .
1. April
Erstmals läuft im Fernsehen eine Kabarettsendung (mit Gottfried Herrmann und lrmgard Düren).
9. April
Aufhebung der Rationierung von Schuhwaren und Textilien.
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lai trifft, ignoriert er ihn natürlich. Doch bei der zweiten Begegnung macht sich Nikolai an ihn heran und sagt: »Ich weiß schon, wir sind ei-. gentlich Klassengegner, aber ich bin nach ßO langer Zeit ein~ · , fach neugierig. 'Wie..:.·: ist es denn jetzt in · Rußland?« »Sehr gut ist es!« antwortet Stalin. »Wirklich? Gibt's denn noch Sibirien? « »Gibt's! « »Gibt's auch noch die Ochrana?« »Heißt jetzt et:Was„ · . anders, aber gibt~s!·« »Gibt's auch noch ·, ·. Wodka?« »Natürlich!« »Wirklich? Sechzigprozentigen? « »Nein - bei uns 40 Prozent!« »Ach so ... Na ja, ist auch nicht wenig. Aber sag mal . wegen clieseF 20 Rrozent mußtet ihr eine Revolution ma· chen?!« • ,,....
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Zeittafel 1953
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10. April
Der DEFA-Film >>Die Unbesiegbaren<< hat Premiere, ein Zeitpanorama über das Kaiserreich, mit Erwin Geschonneck als Wilhelm Liebknecht, Karl Paryla als August Bebel und Hanns Groth als Kaiser Wilhelm II.
20. April
Der Arbeiterdichter Erich Weinert stirbt im Alter von 62 Jahren.
30. April
Erlaß der >>Verordnung über körperliche Erziehung der Schüler an den allgemeinbildenden Schulen<<, Körpererziehung wird zum Hauptfach.
30. April
Stiftung des Karl-Marx-Ordens in der DDR für >>besondere Verdienste beim planmäßigen Aufbau des Sozialismus<< .
7. Mai
Das Wohngebiet des Eisenhüttenkombinats erhält den Namen Stalinstadt.
9. Mai
Erste Eigeninszenierung des Deutschen Fernsehfunks: Büchners >>Der hessische Landbote<<, mit Eduard von Winterstein und Edwin Marian.
9. Mai
Sieg der DDR in der Mannschaftswertung der Friedensfahrt, Täve Schur auf Platz 3 der Einzelwertung.
10. Mai
Chemnitz wird aus Anlaß des 135. Geburtstages von Marx in Karl-Marx-Stadt umbenannt.
17.-24. Mai
Ulrich Nitzschke erkämpft den Titel im Halbschwergewicht bei der Europameisterschaft im Boxen.
23. Mai
Am Berliner Ensemble hat >>Katzgraben<< von Erwin Strittmatter in der Regie von Brecht Premiere.
28. Mai
Der Ministerrat der DDR ordnet eine Erhöhung der Arbeitsnormen um 10,3 Prozent an.
9. Juni
Das Politbüro der SED berät Korrekturen und Rücknahme einiger Maßnahmen, um mehr Rechtssicherheit und bessere Lebensbedingungen zu schaffen.
16. Juni
Bauarbeiter der Baustellen Krankenhaus Friedrichshain und Stalinallee legen die Arbeit nieder und ziehen zum Haus der Ministerien.
17. Juni
Der Streik gegen die Normenerhöhung in Ost-Berlin weitet sich aus. Über insgesamt 167 Städte und Landkreise wird der Ausnahmezustand verhängt.
Fragt ein Amerikaner: >JWarum haben die sowjetischen Truppen beim Volksaufstand am 17. Juni 1953 interveniert und auf die streikenden Arbeiter geschossen?« Antwortet ein DDR-Bürger: »Weil wir uns in unsere eigenen Angelegenheiten eingemischt liaben. « .'" .
21. Juni
Das ZK der SED beschließt eine Kurskorrektur. Die Normenerhöhung wird zurückgenommen, Fahrpreisermäßigung, Erhöhung der Mindestrenten und Forcierung des Wohnungsbauprogramms werden beschlossen.
1.-Mai-Losung 1953: »Brüderlicher Gruß und Dank den Sowjetärzten! Vorwärts zu neuen Taten!«
Eduard von Weinstein
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25. Juni
Die erste Ausgabe der Kinderzeitschrift FRÖSI erscheint, bis 1955 alle 6 Wochen, dann monatlich.
28. Juni
Mit Heinar Kipphardts >>Shakespeare dringend gesucht<< hat in den Berliner Kammerspielen das erste satirische Zeitstück der DDR in der Regie von Herwart Grosse Premiere.
1. Juli
Die Stromsperren für Haushalte werden abgeschafft.
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Gisela Birkemeyer
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Zeittafel 1953
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13.-19. Juli
Bei Sommerspielen in Leipzig werden 15 DDR-Rekorde erzielt. Gisela Birkemeyer wird DDR-Meisterin im Hürdenlauf und holt sich diesen Titel ununterbrochen bis 1961.
15. Juli
Amtsenthebung von Justizminister Max Fechner, Nachfolgerin wird Hilde Benjamin.
24. Juli
Das Ministerium für Staatssicherheit wird dem Ministerium des Inneren als Staatssekretariat angegliedert, Minister Wilhelm Zaisser von Ernst Wollweber abgelöst.
24.-26. Juli
Auf der 15. ZK-Tagung der SED wird der >>Neue Kurs<< bestätigt. Hauptziel: Hebung des Lebensstandards. Walter Ulbricht wird zum 1. Sekretär (bisher Generalsekretär) des ZK gewählt. ...
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Hilde Benjamin
6. August
Gründung der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar.
14.-19. August Eine gesamtdeutsche Mannschaft belegt bei den Weltspielen der Gehörlosen und Taubstummen (Brüssel) Platz 1. 19. August
Über 880 Yards erzielt Ursula Jurewitz in Budapest den ersten DDR-Weltrekord, der von der IAAF anerkannt wird.
21.-30. August Gustav-Adolf Schur gewinnt die 5. DDR-Radrundfahrt. 1. September
In Erfurt nimmt das Pädagogische Institut in einem Neubaukomplex seine Arbeit auf, ab 1965 trägt es den Namen >>Dr. Theodor Neubauer<<.
13. September Nikita Chruschtschow wird zum Ersten Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU gewählt. 13. September Umfangreiche Preissenkung für Lebensmittel, Gebrauchswaren und Postgebühren: Brief 20 Pfennig, Postkarten 10 Pfennig. Diese Gebühren gelten bis zum Ende der DDR.
Lothar Bolz
29. September >>Wie wir heute arbeiten, so werden wir morgen leben!<< überschreibt Frida Hockauf ihren Wettbewerbsaufruf. Sie ist Weberin im VEB Mechanische Weberei und webt 45 Meter über den Plan.
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Zeittafel 1953
1. Oktober
Lothar Bolz, NDPD, wird Minister für auswärtige Angelegenheiten.
2. Oktober
Das Berliner Kabarett >>Die Distel<< stellt das erste Programm vor.
5. Oktober 6. Oktober
Der Schriftsteller Friedrich Wolf stirbt.
7. Oktober 7. Oktober 24. Oktober
Einstimmige Wiederwahl Wilhelm Piecks zum Präsidenten.
24. Oktober
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Der Bildhauer und Grafiker Fritz Cremer erhält den Nationalpreis. Beginn der Sendereihe >>Aus unserer Wunschmappe<<. Ministerrat beschließt die bis dahin umfangreichste Preissenkung für Lebensmittel, Genußmittel und Verbrauchsgüter. Der DDR-Keglerverband wird in den internationalen Sportkeglerverband aufgenommen.
Friedrich Wolf
24./25. Oktober Das ZK der SED beruft eine >>Zentrale Konferenz werktätiger Frauen<< in Ost-Berlin ein. Verstärkt sollen Frauen für den Arbeitswettbewerb gewonnen werden.
Was ist Kommunismus? Wenn jeder von allem genug hat. 1. November
In mehreren Städten kommt es zu Verhaftungen wegen Verdachts auf Augententätigkeit.
13.-19. November Franz-Schubert-Festwoche aus Anlaß des 125. Todestages des Komponisten.
17. November In Güstrow wird die Ernst-Barlach-Gedenkstätte eröffnet. 25. November Aufhebung des lnterzonenpaßzwanges. Damit ist der Personalausweis ausreichend für Reisen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR.
12. Dezember 13. Dezember
Gründung des VEB Sport-Toto.
23. Dezember
Der DEFA-Kinderfilm >>Die Geschichte vom kleinen Muck<< in der Regie von Wolfgang Staudte hat Premiere.
28. Dezember
Walter Ulbricht besucht die LPG Merxleben, die erste, am 8.6.1952 gegründete LPG.
Wilhelm Pieck gratuliert zum 5. Jahrestag der Pionierorganisation.
1953 verlassen 331 390 DDR-Bürger das Land. Sportler des Jahres: Täve Schur wird bei der erstmaligen Umfrage der >>Jungen Welt<< populärster Sportler.
Torschützenkönig der Oberliga: Harry Arlt vom SC Einheit Dresden mit 26 Treffern
neue Bücher:
Oberliga-Plazierung 1953 1. Dynamo Dresden 2. WismutAue 3. Motor Zwickau 4. Rotation Dresden 5. Stahl Thale 6. Motor Dessau 7. Turbine Erfurt 8. Chemie Leipzig 9. Aktivist Brieske-Ost 10. Empor Lauter 11. Lokomotive Stendal 12. Rotation Babelsberg 13. Turbine Halle 14. KVP Vorwärts Leip• z1g
Willi Bredel >>Die Enkel<<
Franz Fühmann >>Die Fahrt nach Stalingrad<<
Anna Seghers >>Der Bienenstock<<
Stefan Heym >>Goldsborough<<
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Zeittafel 1954
1954 1.Januar
Die letzten 33 Betriebe der Sowjetischen Aktiengesellschaften (SAG), mit Ausnahme der Urangruben Wismut-AG, werden an die DDR zurückgegeben und in Volkseigene Betriebe (VEB) umgewandelt.
7. Januar
Der Ministerrat der DDR bildet den >>Ausschuß für deutsche Einheit<<, der bis 1965 existiert. Bildung des Ministeriums für Kultur in der DDR, erster Minister wird der Schriftsteller Johannes R. Becher.
17. Januar
Beschluß der sowjetischen Führung, ab sofort 1600 wegen Kriegsverbrechen verurteilte Häftlinge aus DDR-Gefängnissen zu entlassen.
22./23. Januar 17. Tagung des ZK der SED: Parteiausschluß von Wilhelm Zaisser und Rudolf Herrnstadt (ihre Funktionen als Staatssicherheitsminister und Chefredakteur des Neuen Deutschland hatten sie bereits nach dem 17. Juni 1953 verloren). r•
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27.-31. Januar Austragung der 1. DDR-Meisterschaften im Bobsport in Oberhof. 4. -7. Februar
Die 1. DDR-Meisterschaften im Rodeln in Oberhof.
25. Februar
Premiere von Mozarts >>Zauberflöte<< in der Inszenierung von Walter Felsenstein an der Komischen Oper.
7. März
Eröffnung des >>Hauses der Jungen Talente<< im Podewilschen Palais in Berlin durch Friedrich Ebert.
9. März
DEFA-Filmpremiere >>Ernst Thälmann - Sohn seiner Klasse<< in der Regie von Kurt Maetzig. Thälmanndarsteller ist Günther Simon. Der biographisch-historische Film endet mit dem Hamburger Aufstand 1923.
19. März
Das Berliner Ensemble zieht in ein eigenes Haus, das Theater am Schiffbauerdamm. Eröffnung mit Molieres >>Don Juan<< in der Bearbeitung von Bertolt Brecht. Regie: Benno Besson. Hauptdarsteller: Erwin Geschonneck.
24. März
Erklärung des Ministeriums für Kultur >>Zur Verteidigung der Einheit der deutschen Kultur<<.
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Zeittafel 1954 25. März
Die Sowjetunion erklärt die Souveränität der DDR und nimmt mit ihr die gleichen Beziehungen auf wie mit anderen souveränen Staaten.
30. März-6. April Der IV. Parteitag der SED gibt sich ein neues Statut. Die Mitgliedschaft währt lebenslang, nur ein Parteiausschluß beendet sie. Walter Ulbricht wird als Erster Sekretär des ZK bestätigt.
Was ist Sozialismus? ., Sozialismus ist die Gesellschaftsordnung, welche lahlend vers11cht, mit Problemen fertig zu werden, die .es ·ohne Sozialismus gar nicht geben würde. , · · · · ·, .~ 1
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1. April
Die Reparationszahlungen an die Sowjetunion werden erlassen.
7. April
Die Bundesregierung und der Bundestag lehnen die Anerkennung der DDR ab und stellen den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik fest.
21. April
Die Volkskammer stiftet den >>Vaterländischen Verdienstorden<<.
21.April
Eröffnung der wiederaufgebauten, kriegszerstörten Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz mit Schillers >>Wilhelm Tell<< .
22. April
Alfred Spengler stellt in Dresden über 400 m Lagen den ersten Weltrekord für den Schwimmsport der DDR auf.
29. April
DEFA-Filmpremiere >>Kein Hüsung<< von Artur Pohl über das Leben einer mecklenburger Bauernfamilie im 19. Jahrhundert. Drehbuch: Ehm Welk.
1. Mai
Die Maidemonstrationen finden erstmalig unter Teilnahme der >>Kampfgruppen der Arbeiterklasse<< mit der Losung >>Bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der Heimat<< statt.
1. Juni
Gründung der >>Deutschen Lufthansa<<, 1958 in >> lnterflug<< umbenannt.
6./7. Juni
II . Deutschlandtreffen der Freien Deutschen Jugend in Berlin.
9. Juni
Der im Januar 1953 verhaftete DDR-Außenminister Georg Dertinger (CDU) wird wegen >>Verschwörung zum Sturz der DDR<< zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. 1964 wird er begnadigt.
17. Juni
Erstmals wird in der Bundesrepublik Deutschland der >>Tag der deutschen Einheit<< als gesetzlicher Feiertag begangen.
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Zeittafel 1954
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27 .- 29. Juni
Bei einer Volksbefragung zum >>Friedensvertrag oder EVG << entscheiden sich 93,5 Prozent der gültigen Stimmen für einen Abzug der Truppen und den Friedensvertrag.
7.-11. Juli
Am 1. Evangelischen Kirchentag in Leipzig nehmen 60 000 Besucher teil.
23. Juli
Der bisherige Präsident des Bundesverfassungsschutzes Otto John gibt in einer Rundfunkansprache aus Ost-Berlin seinen Wechsel in die DDR bekannt.
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24.-25. Juli
Die ersten DDR-Meisterschaften im Kunstreigenschwimmen finden in Magdeburg statt.
24.-25. Juli
In beiden Teilen Berlins findet der >>Deutsche Kulturtag<< statt. Die gefaßten Beschlüsse für die gesamtdeutsche Kul-turarbeit werden von den Regierungen der BRD und der DDR bestätigt.
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31. Juli-8. August XII. Akademische Sommerspiele in Budapest. DDR-Sportler bringen 14 Gold-, 7 Silber- und 6 Bronzemedaillen nach Hause, Ursula Jurewitz läuft über 400 m Weltrekordzeit. 4. August
Die Volkskammer bestätigt das >>Gesetz zur Pflege und zum Erhaltung der heimatlichen Kultur<<.
5. August
Ab sofort dürfen DDR-Bürger nur noch 12 Pakete jährlich in den Westen senden und genauso viele erhalten. Bestimmte Mengen- und Inhaltsbeschränkungen werden vorgegeben.
19.-22. August Erstes Deutsches Turn- und Sportfest mit 35 000 Teilnehmern, darunter 5 000 aus der BRD und Westberlin, in Leip• z1g.
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Kurl: Stern
27. August
DEFA-Filmpremiere >>Alarm im Zirkus<< von Gerhard Klein über den Pferdediebstahl im Berliner Zirkus Barlay.
27. August
Beschluß des Magistrats von Berlin, den verwilderten Schloßpark Friedrichsfelde in einen Tierpark umzuwandeln.
29. August
Zum ersten Mal nach Kriegsende findet wieder der traditionelle Brockenlauf statt.
12. September Premiere des ersten eigenproduzierten Films des DDR-Fernsehens, >>Ti Iman Riemenschneider<<. 24. September DEFA-Filmpremiere >>Stärker als die Nacht<<, Regie Slatan Dudow, Drehbuch Jeanne und Kurt Stern, ein Film über menschliches Verhalten im NS-Alltag.
Zeittafel 1954
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6. Oktober
Heinrich Mauersberger, der Erfinder der Malimo-Technologie, erhält den Nationalpreis.
7. Oktober
Deutsche Erstaufführung >>Der Kaukasische Kreidekreis<< von Bertolt Brecht am Berliner Ensemble.
11. Oktober
Der auf der Neptun-Werft als Reparationsleistung gebaute 3000-Tonner >>Rostock<< bleibt in DDR-Besitz, nachdem die Sowjetunion auf weitere Reparationen verzichtet hat.
17. Oktober
Wahlen zur 2. Volkskammer mit einer Wahlbeteiligung von 98,4 Prozent und 99,46 Prozent Zustimmung.
1. November
Die Volkspolizei erhält grau-grüne Uniformen. .
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Zwei Volksp-OliZisten~ laufen Streife~ »Guck mal«, sagt der eine, »ein toter Vögell « · ·. Der andere blickt nach oben UBä fragt: »Wo?«. . .
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13. November Aufruf des neugegründeten >>Zentralen Ausschusses für Jugendweihe<< an Eltern und Erzieher zur Einführung der Jugendweihe in der DDR. 21. November Auf der Jugendschanze in Oberhof wird erstmals auf Kunststoffmatten gesprungen. 7. Dezember
In Leuna wird in einer Versuchsanlage Polyäthylen, ein Kunststoff auf Erdölbasis, erzeugt.
9. Dezember
DEFA-Filmpremiere >>Carola Lamberti - eine vom Zirkus<< mit der weltberühmten Stummfilm-Diva Henny Porten in der Hauptrolle.
10. Dezember
Aufnahme der Zentralen Sektion Judo der DDR in die Europäische Judo-Union in Brüssel.
25. Dezember
Die DEFA-Literaturverfilmung >>Pole Poppenspäler<< nach Theodor Storm hat Premiere, Regie Artur Pohl.
30. Dezember
Edith Keller-Herrmann gewinnt das Große Internationale Schachturnier in Hastings.
Oberl iga-Plazier:ung 1954 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.
Turbine Erfurt Chemie Leipzig Dynamo Dresden Wismut Aue Rotation Babelsberg . Aktivist Brieske-Ost Rotation Dresden Turbine Halle . Empor Lauter Fortschritt Meerane Motor Zwickau Einheit Ost Leipzig Lokomotive Stendal Motor Dessau
1954 verlassen 184 198 DDR-Bürger das Land.
Sportler des Jahres:
Torschützenkönig der Oberliga:
Bei der Umfrage der >>Jungen Welt<< wird Gustav-Adolf Schur zum Sportler des Jahres gewählt.
Heinz Satrapa von der BSG Wismut Aue und Siegfried Vollrath vom SC Turbine Erfurt mit jeweils 21 Treffern
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neue Bücher: Georg Lukacs >>Die Zerstörung der Vernunft<< lnge von Wangenheim >>Auf weitem Feld . Eri nneru ngen <<
Arnold Zweig >>Die Feuerpause<< Bodo Uhse >>Die Partrioten << Wolfgang Schreyer >>Unternehmen Thunderstorm<<
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Rechte
Nachweise Die Karikaturen stammen von Ulrich Amtage: 82; Horst Alisch: 25, 47, 55, 73 u. r.; Günther Barkowski: 99 o.; Walter Bedau: 8 (Titelseite der Schweriner Zeitung, 1954); Heinz Behling: 29; Kurt Bienias: 111; Karl-Heinz Birkner: 13; Herbert Böhnke: 59; Gerhard Bräuer: 54; Peter Dittrich: 20, 27, 35, 42, 53, 114, 119; Erich Goldmann: 101; Christian Heinrich: 77, 98, 105; Kurt Herzog: 63; Kurt Klamann: 33, 71, 73 o. r. und u. 1., 75, 79, 81, 87 o.; Harald Kretzschmar: 121, 122, 123, 124, 125, 126; Harri Parschau: 40, SO, 51, 85, 87 u., 89, 91, 97, 99 u.; Gerhard Radestock: 103; Louis Rauwolf: 61; Rudi Riebe: 65; Vtlmar Riegenring: 31; Paul Rosie: 17; Heinz Scheffler: 117; Kurt Schote: 15; Karl Schrader: 95, 107; Georg Wtlke: 43, 67, 113 Für die freundliche Genehmigung zum Abdruck danken wir den Autoren, Zeichnern und Erben. Nicht in allen Fällen ist es uns gelungen, Rechteinhaber und Rechtsnachfolger zu ermitteln. Berechtigte Honoraransprüche bleiben gewahrt.
Impressum Besuchen Sie uns im Internet: www.sammelwerke.de Genehmigte Lizenzausgabe für Sammler-Editionen in der Verlagsgruppe Weltbild, Steinerne Furt, D-86167 Augsburg Copyright © Eulenspiegel · Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Berlin Umschlaggestaltung: Peperoni Werbeagentur GmbH, Berlin Umschlagmotiv: bpk /Kunstbibliothek, SMB / Bernard Larsson Druck und Bindung: Offizin Andersen Nexö Leipzig GmbH, Zwenkau Printed in the EU
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• Beim Barte des Propheten
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