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Die Jahre 1977-1978: Auf Marx und Pfennig
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Weltbild
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Ulf Annel: Auf Marx und Pfennig!
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1. Kapitel: Auf Marx und Pfennig
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Hanskarl Hoerning/Günther Schwarz In einer Neubauwohnung Hansgeorg Stengel Auf Marx und Pfennig Ulrich Speitel Pferdchen auf unserer Klitsche Ernst Röhl Der Weg nach oben Heinz Helm Störung in Piepenhagen Doppelte Anekdote
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2. Kapitel: Alles zum Wohle des Volkes Humorvolles aus dem Alltag
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John Stave Sensation in Hessenwinkel Angela Gentzmer Berliner Lokalteil Ottokar Domma Unsere liebe Oma Hansjoachim Riegenring Die Freundin des Bildhauers 3. Kapitel: Lernen, lernen, nochmals lernen Als wir Schüler und Pioniere waren
Ottokar Domma Wenn man unsere Zeugnisse sieht Peter Ensikat Die Axt im Haus Jochen Petersdorf Was heißt UTP? Ernst Röhl Auf den ersten Blick ein Rabenvater
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Inhalt
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Rudi Strahl Ansprache an meinen Sohn
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Tom Renner Versetzungsgefahr
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4. Kapitel: Was des Volkes Hände schaffen Wir Werktätigen in Stadt und Land
Alfred Schiffers Peng!
Auf der Baustelle Heli Busse Brigade Klotzer Peter Gauglitz Freitagnacht Heinz Winkler Die Schlüsselirage 5. Kapitel: Heißer Sommer Von Ostseestrand, Datsche und Jugendclubs ...
Johannes Conrad Die Flucht des Einhorns
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Jochen Petersdorf Paternoster in Bottelkow Lothar Kusche Ein schlafloser Musikfreund
Vom Nutzen des Reisens Hans Seifert Ein paar Worte im Hinblick auf die Strandkörbe 6. Kapitel: Höher, schneller, weiter! Sportlich sportlich
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Jochen Petersdorf Das große Rennen
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Ernst Röhl Vorwärts, wir ziehn uns zurück
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John Stave Radtour
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Inhalt
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Klaus Lettke Der Simultansportler
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Ernst Röhl Schopf und Schöpfer
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Erklärung eines Phänomens
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Jochen Petersdorf Angriff nach der Grätsche
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7. Kapitel: Unter vier Augen Über Verliebte und Verheiratete
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C. U. Wiesner Frisör Kleinekorte und die halbnackten Tatsachen 96
Renate Holland-Moritz Mißverständnisse
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Johannes Conrad Tröstliches aus dem Leben
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Achim Fröhlich Die Folgen einer Betriebsfeier
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Wolfgang Tilgner Arbeitsgemeinschaft
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Johannes Conrad Meines Mannes schöner Samstag 8. Kapitel: Wo wir sind, ist vorn! Es geht seinen sozialistischen Gang
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Peter Ensikat Die Ausnahmen und die Regel
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Rudi Strahl Die Sauerei in der Milchbar
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Heinz Wmkler Die Produktivkraft Wissenschaftler
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Edgar Külow Die verrückte Heirat
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Ernst Röhl Offen und ehrlich Dringlich Zeittafel Rechtliches
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Glückspfennige und Alu-Chips
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Was für ein aktueller Buchtitel, wenigstens zur Hälfte. Immer wenn die unermeßliche Geldvermehrung ganz überraschend nicht mehr so gut oder ganz und gar nicht mehr funktioniert, taucht der Name Marx auf. Pfennige sind ja leider nicht nur deutschlandweit aus den Port-Moneys (Vorschlag für die nächste Rechtschreibreform) vertrieben. Da und dort wird wohl noch ein Glückspfennig stecken, aber damit kann heute keiner mehr offenstehende Rechnungen auf Heller und Pfennig begleichen. 1977/78 waren das gewöhnliche Zahlungsmittel, wobei man einschränkend sagen muß: Marx blickte vom 100-Mark-Schein, und ich war Student. Insofern hatte ich ein ausgiebigeres Verhältnis zum Pfennig, den ich laut großmütterlichem Ratschlag ehren sollte, weil ich sonst den Taler nicht wert sei. Oma Johanna hat den Spruch nie von Taler auf Alu-Chip aktualisiert. Chips waren für sie sowieso nie aus Aluminium, höchstens aus Kartoffeln. Und Johannas Enkel ging seine zweiten Schritte auf dem Weg zum Berufskabarettisten, studierte aber noch artig Journalistik und war zum Beispiel darüber froh, für die Monatsmiete im Studentenwohnheim nur 10 Mark berappen zu müssen. Der 10-MSchein wurde gern benutzt, um die lange Wartezeit auf einen Trabant zu illustrieren. Man zeigte die junge Frau auf der Rückseite und sagte: So siehst du aus, wenn du den Trabi bestellst. Dann wurde der Schein gewendet mit den Worten: Und so, wenn du den Trabi kriegst. Zu sehen war eine alte Dame. Die Dame war übrigens Clara Zetkin -wem sagt der Name heute noch was? Zu der Geldumwendegeschichte fällt mir noch eine Wendegeschichte ein. Erst 1989/90 nämlich erfuhr die Mehrheit der DDR-Bürger erstaunt, daß es auch Banknoten mit dem Aufdruck 200 und 500 gab. Die waren nie im privaten Umlauf, was bei der in weiten Teilen der Bevölkerung nur rudimentär vorhandenen Geldgier auch wenig verwunderte. Allerdings hätte man dann einen der zehntausend VW-Golf, die Ende 1977 den Weg über die Staats- und System-Grenze fanden, mit viel leichterem Port-Money erwerben können. Zehntausend war auch die Zahl der Ausreiseanträge, die Erich Honecker zugeben mußte. Den Weg über besagte Grenze, allerdings in umgekehrter Richtung, fanden zu dieser Zeit Reiner Kunze, Jürgen Fuchs, die halbe Renft-Combo und Manfred Krug in Person sowie erstmals Reisig, Mattheuer, Sitte, Cremer und Tübke in Fonn von Kunstwerken für die Documenta Kassel. Und Treffen zwischen politischen Vertretern beider deutscher Staaten wurden kunstvoll auf einer Autobahnraststätte arrangiert. Trotzdem haben wir unseren Humor behalten, was nicht immer leicht war. Uber allem schwebte im August 1978 unser Siggi, Sigmund Jähn, der erste Deutsche im All. Ein unbezahlbarer Augenblick. Wir hockten in Raufen vor den Fernsehern. Und wir mußten dafür nicht mal GEZ bezahlen. ••
Ulf Annel
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Auf Marx und Pfennig
Hanskarl Hoerning/Günther Schwarz
' H OIHOt Drei Tapezierer [Helmut, Egon und der Iaeine) beim Frühstück. Egon niest.
Was ist der Unterschied zwischen Marx und 'Murks? . Marx ist die Theo. ne.
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Helmut: Gesundheit. Egon: Danke, mein guter Helmut, danke. Helmut: Du hast wohl Schnupfen? Egon: Nee, Rheuma, das hörst du doch. Kleiner: Du solltest eben mal ein bissel mehr Sport treiben. Egon: Mach ich doch schon, ich lese doch die »Fußballwoche«. Kleiner: Das härtet nicht ab, das macht einen weich. Helmut: Ich glaube, den berauscht's. Kleiner: Ich brauche doch kein Rauschgift. Helmut: Nee, wenn du willst, daß dir schwindlig wird, dann guck dir noch mal an, wohin du gestern in meiner Datsche die Tapeten geklebt hast. Kleiner: Na an die Wände. Helmut: Ja, an die Wände. An die Wände vom Bad! Kleiner: Die sahen aber auch komisch aus, lauter so grüne Kästchen an der Wand, und weiße Striche dazwischen, lauter solche Reihen ... Das hätte dir bestimmt nicht gefallen. Helmut: Du bist ein gottbegnadetes ... Egon: Helmut! Nu hacke doch nicht auf dem Kleinen rum, der kann doch nichts dafür. Guck mal, 1974 hat er mit der Lehre angefangen, seitdem tapeziert er nur in Neubauwohnungen. Woher soll er denn da wissen, wie ein gekacheltes Bad aussieht? Kleiner: Ein gekacheltes Bad? Ich weiß überhaupt nicht, wovon ihr redet! Egon: Von grünen Kästchen. Wende dich in der Frage mal an Helmut, der klärt dich auf, der ist nämlich sehr gebildet. Der hat vorige Woche eine Buchprämie gekriegt. Helmut: Oh, wer kommt denn da?
Der Meister kommt, einen Schnellhefter unter dem Ann. Meister: Paßt nur auf, daß ihr euch keine Schwielen sitzt. Helmut: Kollege, wo kommen wir denn jetzt her? Die Planerfüllung beginnt bei uns früh um sechse. Meister: Käse du mich nur auch noch voll! Wenn ich euch nicht bescheinigen würde, daß ihr am Tag 36 Stunden arbeitet, könntest du dir keine drei Frauen leisten.
Auf Marx und Pfennig
Egon: Du hast ja wieder eine stinkige Laune heute. Helmut: Der kommt doch von der Produktionsberatung. Kleiner: Vom utopischen Stündchen! Na dann erzähl mal, wie sieht denn die Zukunft aus? Meister: Du wirst gleich Samba tanzen: Unser Freund ist wieder mal in Gefahr. Egon: Wer? Meister: Der Plan. Helmut: Welcher Plan? Meister: Na der für uns viere hier. Kleiner: Was ist denn daran gefährlich? Meister: Daß wir ab morgen bloß noch drei sind. Egon: Ach, du gehst in Rente. Meister: Guck mal in einen Spiegel, wenn du einen Oldtimer sehen willst. Aber hört mal zu, es ist folgendes beschlossen worden, ich konnte's auch nicht verhindern: Wir müssen einen abstellen. Helmut: Wir müssen einen abstellen. Für die Planung. Egon: Für die Planung nicht. Wenn die einen aus der Praxis kriegen, das irritiert die doch bloß. Kleiner: Einen abstellen! Der soll wohl die Reklamationen machen? Helmut: Was heißt hier Reklamationen! Die gibt es bei uns gar nicht, schließlich arbeiten wir nach dem Motto »Meine Hand für mein Produkt«. Kleiner: Da müßte dir nach Feierabend immer die Hand abfallen. Helmut: Du hast es nötig, du mit deinem tapezierten Bad! Egon: Helmut, nicht immer wieder auf dieselbe Stelle! Denk mal an dich selber, was hast denn du neulich gemacht, hier im Neubau, alle Küchen zutapeziert! Helmut: Na ja, ich hab gedacht, die haben vergessen, die kleinen Löcher zu vergipsen. Kleiner: Du, Meister, wer von uns soll denn nun abgestellt werden? Meister: Na hier, zeigt auf Egon eins-zwei-drei, das faule Ei! Egon!
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>>Zuerst die schlechte Nachricht: Unser neuer Drehvollautomat hat Totalschaden!«
>>Und nun die gute Nachricht: Damit erfü.llen wir spielend unsere Schrottauflage!«
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Egon: Ich? Ich laß mich doch nicht abstellen, ich bin doch kein Fahrrad. Meister: Du meldest dich jedenfalls bei der BGL. Die werden schon eine Möglichkeit finden, dich freiwillig zur Schulung zu delegieren. Egon: Ich gehe nicht. Meister: Du gehst. Egon: Nee. Meister: Und danke deiner Gewerkschaft, daß sie dir eine so ehrenvolle, den allseitigen Interessen dienende, hohe Anforderungen an dich stellende Aufgabe in dich hineinträgt und dir zuteil werden läßt und so weiter! Kleiner: Habt ihr das gehört? Der war schon zu so einer Schulung! Meister: Noch so eine blöde Bemerkung, und du gehst mit! Egon: Ich gehe jedenfalls nicht. Was soll ich denn auf der Schulung zum Beispiel lernen? Meister: Na ja, geh nur erst mal hin. Helmut: Geh hin, dort wirst du ideologisch gefestigt. Auf wissenschaftlicher Galaxis. Egon: Und was hab ich davon? Meister: Das ist gut, da kannst du den Leuten dann wissenschaftlich erklären, warum sie das, was sie brauchen, nicht kriegen. Helmut: Aber bedenk das mal, da schicken sie den zur Schulung, und wir, wir haben keine Arbeitskräfte. Meister: Na ja, durchdenken darfst du so was nicht. Aber laß mal, das ist ganz gut, da fällt's nicht so sehr auf, wenn wir mal zuwenig Material haben. Egon: Immer zuwenig Material. Immer das, was du brauchst, ist nicht da. Kleiner: Dafür gibt es doch die Exquisit-Läden. Helmut: Die gibt es, aber da gibt's doch keine Gebrauchswaren. Kleiner: Mensch! Das ist doch mal eine Idee! Einen ExquisitLaden für Gebrauchswaren. Egon: Das ist gar nicht schlecht. Weißt du, was du da zum Beispiel anbieten könntest? Helmut: Fliesen! Kleiner: Fliesen. Was ist denn das schon wieder? Meister: Fliesen sind Kacheln, das schreibt sich bloß anders. Kleiner: Und warum ist denn das Mangelware? Helmut: Das will ich dir genau erklären. Wir haben da in Boi-
Auf Marx und Pfennig
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zenburg an der Elbe, da haben wir ein Fliesenwerk stehen. Das steht direkt an der Staatsgrenze West. Und da die Ökonomen bei Marx gelernt haben, daß man zum Verbraucher immer den kürzesten Weg wählen soll, deswegen gibt es bei uns keine Fliesen. Meister: Aber für deinen Exquisit-Laden, Kleiner, da gibt's welche. Die sind natürlich wesentlich teurer. Egon: Moment mal, da stimmt aber der Satz nicht mehr von Marx. • Helmut: Doch, der stimmt , .~-r.;:.. t :f-, . ...... . „.,~ .,: p~,-.::: _!: .~lllt\= ·11,s .:,~-, wieder. Denn dieser . "'• Weg ist doch mit Hun. • ' dertmarkscheinen gepflastert. Und wer ist auf Hundertmarkschei. nen drauf? Kleiner: Marx. Helmut: Und wo viel Marx ist, ist auch der einzig richtige Weg. Egon: Also Helmut, manchmal spinnst du ganz schön. Am 6. Juli 1978 besucht Meister: Das ist doch kein Wunder, Egon. Seit der Fußballder Genosse Generalweltmeisterschaft macht's bei dem da oben bloß noch balla- sekretär Erich Honecker balla. die Familie Grosskopf in Kleiner: Wißt ihr, was man noch in so einem Laden verkaufen Marzahn, die neuen müßte? Handwerker! Mieter der 1millionsten Wohnung, die seit dem Egon: Ja. Ein paar ungehobelte Tischler. VIII Parteitag fertiggeHelmut: Maurer, mit Weinbrand gefüllt, hundertsieben, ohne stellt wurde. Kruste hundertachtzehn Mark. Kleiner: Elektriker, schwer geladen, in der bequemen Familienpackung. Meister: Das ist Humbug. Handwerker! Die kannst du doch nicht kaufen. Kleiner: Und warum nicht? Meister: Weil der Mensch im Sozialismus nicht käuflich ist. Helmut: Der Mensch nicht, aber der Handwerker. Meister: Aber Helmut, was sich daraus entwickeln kann ... Paß mal auf: Ich würde es nie machen, aber nehmen wir mal an, ich würde mir in seinem Exquisit-Laden so einen Klempner kau•
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fen. Für meinen Wasserhahn, der immer tropft. Den kauf ich nun, leg das Geld hin - da gehört der ja mir. Was mach ich denn nun mit dem Klempner, wenn der fertig ist mit der Reparatur? .--- -,,---.--.,,.,----- - - - - - - - , - ,,- ----. Helmut: Da stell ihn auf den Balkon. Egon: Da hält er sich frisch. Meister: Wir haben doch gar keinen Balkon. Die haben sie doch weggelassen an unserer Fassade. Egon: Nun sag mal, wo hängen denn da die Leute bei Regenwetter ihre Wäsche auf? Meister: Na in der Wohnung. Helmut: Da verderben sie sich doch die Wohnung, das wird doch feucht! Meister: Na und? Das wird dann wieder renoviert. Kleiner: Aber das Renovieren kostet doch mit der Zeit viel mehr, als so ein Balkon gekostet hätte. Helmut: Na das ist den Projektanten doch u völlig Wurst, Hauptsache, sie können nach w oben melden: Pro nichtgebautem Balkon tausend Mark eingespart. Egon: Das ist wie bei unseren Fahrstühlen, das ist ein analoger Fall. Da haben sie an den Fahrstühlen, an der Motorkühlung, da haben sie ein Teil eingespart, das kostet 750 Eier. Meister: Die Hupe. Egon: Ach was. An der Motorkühlung haben sie eingespart. Und dadurch wird der Motor heiß, und die Dinger bleiben dauernd stecken. Die Reparaturen, die nun jeden Tag anfallen, die kosten schon in einem Monat mindestens das Doppelte von dem eingesparten Geld! Da greifst du dir an den Kopf, da, da, da ... Meister: Egon! Verausgabe dich nicht! Du mußt noch zur Schulung. Aber jetzt wissen wir wenigstens, was wir in seinem Laden noch alles kaufen könnten: Balkons zum Selberaufkleben, funktionsfähige Fahrstühle. Und Hüte. Helmut: Hüte? Wozu denn Hüte? Meister: Die brauch ich. Für die Projektanten, die dauernd gegen die Interessen der Bevölkerung projektieren. Egon: Karl, die brauchen doch keinen Hut. Die haben doch gar keinen Kopf. .:!!'<
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Auf Marx und Pfennig
Hansgeorg Stengel
arx~H Ich kenn mich aus in dietzverlegten Bänden. Für mich ist »Kapital« kein Schall und Rauch. Bei mir liegt Marxens Werk in guten Händen und auf dem Konto selbstverständlich auch. Karl Marx ist meines Wohlstands Zins und Quelle und Leitbild, dem ich treu ergeben bin. Besonders der Akzent aufs Materielle gibt meinem Leben kapitalen Sinn.
Nur Geld kann Geist und Energie entzünden. Ich sehe Marx, modern beleuchtet, so: Bevor wir in den Kommunismus münden, ist viel Materie des Fortschritts A und 0. Ich bin bedient, wenn ich nicht viel verdiene. Ein Schein zuwenig defarmiert mein Sein. Erst hinterm Lenkrad einer Limousine stellt sich das höhere Bewußtsein ein. Was Sozialismus sonst noch an konkreten Errungenschaften zur Entfaltung bringt, berührt mich nur im Hinblick auf Moneten, weil Bargeld weder ärmer macht noch stinkt. Für mich sind Marx und Marxens Werk ein Fetisch, der mein Profil in harter Münze prägt und welcher zuverlässig arithmetisch zu Buche, besser noch: zu Scheckbuch schlägt.
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Ulrich Speitel
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Die Namen der wichtigsten Staaten beginnen immer mit dem Buchstaben U. Zum Beispiel die USA, die UdSSR und Unsere Deutsche Demokratische Republik.
»Junge«, sagte die Mutter und hatte ihre Schmeichelstimme in Betrieb, »wolln wir uns nicht ein Pferdchen anschaffen? Ein Meter zehn Stockmaß, höchstens einszwanzig?« Die Kinder jubelten. Über den Kauf war damit entschieden. »Und womit wollt ihr es füttern?« fragte ich. Es hagelte bedenkenlos Futtervorschläge, mit denen man, wären sie noch am Leben, ganze Rudel von Dinosauriern hätte ausrotten können. Ich besuchte den LPG-Vorsitzenden. »Friedrich«, sagte ich, »ihr tragt doch den Titel BETRIEB DER AUSGEZEICHNETEN AKKERKULTUR?« »Und ob!« Der Vorsitzende nickte stolz. »Dann hast du gewiß nichts dagegen«, sagte ich, »wenn ich dieser Titelkommission ein paar Winkel zeige, zu denen deine Traktoristen die Beziehungen abgebrochen haben.« »Untersteh dich!« »Oder was ihr da und dort unter verlustloser Ernte versteht.« »Ich vermute beinahe, du willst was«, sagte Friedrich daraufhin.
»Nichts sehnlicher, als daß du allen Kommissionen alle Winkel deiner neuntausend Hektar reinen Gewissens vorzeigen kannst.« Friedrich kratzte sich den Nacken. »Ganz schafft man das nie!« Ich erklärte ihm, wie leicht er das schaffen könnte: indem er mir erlaubte, alle abgeernteten Acker und Wiesen noch mal gründlich nachzuräumen. Für diesen Vorschlag fiel mir Friedrich um den Hals, und Futter und Einstreu für das Pferdchen waren gesichert. Wir kauften eine lammfromme, flinkfüßige Rappstute mit feurigen Augen. Wrr beschafften ein Wägelchen, das zu der lammfrommen, flinkfüßigen Rappstute mit den feurigen Augen paßte. Wir gingen auf die erste Futterbesorgungstour. Es war Juni. Der erste Schnitt Gras lag in den Silos, und wir hatten einen halben Tag eingeplant, um ein Fuderchen Restheu zusammenzusuchen. Es zeigte sich, daß wir die Häcksler- und Lkw-Fahrer weit unterschätzt hatten. Das erste Fuderchen Restheu fuhren wir binnen einer Stunde heimwärts, und es vergingen keine zwei Tage, da sagte ich: »Für dieses Jahr langt's. « »Und die anderen Reste, soll'n die etwa verkommen?« prote••
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stierte die Mutter. Ihre Stimme klang besorgt, aber in ihren Augen stand die nackte Gier. Die hat die Mutter aus den dürren Nachkriegsjahren zurückbehalten, und die zwingt sie, alles, was herrenlos rumliegt und verderben will, schamlos an sich zu reißen. Ich fühlte mich machtlos, spannte das Pferdchen wieder ein, und wir suchten weitere Fuderchen Restheu zusammen. Wir stopften den Heuboden voll, daß die Dachziegel in die Luft gingen. Wir setzten das Heu in Mieten, und wir hatten noch längst nicht alle Winkel nachgegrast, da fuhren die Mähdrescher ins Getreide und die Schwadmäher zum zweiten Schnitt in die Wiesen. »Ja, was denn nu?« rief die Mutter aufgeregt. »Nu kommen wir ja nicht mehr nach!« Die Mutter sah so hilflos aus, daß ich den LPG-Vorsitzenden erneut besuchte. Ich wußte, er hatte Schwierigkeiten, genügend Heu an seine Vertragspartner zu liefern. »Wenn du willst, Friedrich«, sagte ich, »mit Heu könnt ich dir helfen ... « Friedrich stutzte. Das wunderte mich nicht; immerhin wollte ich ihm Heu verkaufen, das auf seinen Wiesen gewachsen war. »Den Häckslerfahrem zieh ich die Ohren lang!« knurrte er. Aber dann handelten wir mit etwas Korn einen sauberen Heupreis aus. Von dem Erlös verdoppelten wir unsre Schlagkraft: Wir kauften ein zweites lammfrommes, flinkfüßiges Pferdchen mit feurigen Augen, ein zweites passendes Wägelchen, und die Mutter strahlte vor Glück. Im Herbst, wir waren mit beiden Pferdchen und allen Händen beim Kartoffelstoppeln, da fragte die Mutter beiläufig: »Deine Fahrerlaubnis, gilt die eigentlich auch für Traktorchen? Mit den Pferdchen und Fuderchen kriegen wir die Kartoffeln nämlich nicht alle weg.« »Kartoffeln ... ? Wer soll denn die alle essen?« »Die Schweine!« sagte die Mutter. »Die Republik braucht Fleisch!«
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))Saumäßiges Pflaster!(( ))Mann, das sind die Kartoffeln!((
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Später traf leider Frostluft ein. Wir mußten den Trecker abstellen. Die Pferdchen juckelten mit den Kinderschlitten durch den weißen Wald. Hier kam die Mutter endlich dahinter, daß mit försterlicher Genehmigung rundum in den tiefen Wäldern ganze Schätze verschiedener Hölzer ebenfalls vor dem Verderb gerettet werden mußten. Im Vorfrühling besuchte der Vorsitzende unsere Klitsche. Als er unsere Heu-, Rüben-, Möhren- und Kartoffelmieten sah, den Trecker, die Schweinebestände, da mußte er plötzlich ungeheuer achtgeben, daß ihm seine sonst so ruhigen blauen Augen nicht stracks aus dem Kopf fielen. »Falls du mit irgendwelchen Produkten mal in Verlegenheit kommst«, sagte ich, »wir würden dir natürlich helfen ... « Die Mutter hatte an den langen Winterabenden herausgefunden, daß wir bislang höchstens 28 Prozent der möglichen Flächen nachgeerntet hatten. Natürlich ließen ihr die restlichen 72 Prozent keine Ruhe. Sie grübelte, rechnete und ließ sich beraten, bis wir drei weitere Traktoren, acht Hänger, mindestens 14 Arbeitskräfte und noch einige Kleinigkeiten brauchten, um die Ernteverluste dicht an den Nullpunkt zu drücken; von den Erfordernissen zur Verwertung des geretteten Futters zu schweigen. Mir wurde schwindlig. Womöglich hatte sich die Mutter vorgenommen, Millionärin zu werden. »Na und? Ist das etwa verboten?« »Aber als Genossin, Genossin! « »Auch als Genossin nicht! «behauptete die Mutter. »Aber tatenlos zuzusehn, wie Werte kaputtgehn, das ist verboten!« Ich arbeitete zwei Jahre lang ideologisch an ihr herum, dann war die Mutter wieder gerade und sagte: »Gut, gut. « Und sie sagte: »Sehr schön, Junge, das gefällt mir. « Ich ging zum Nachbarn. »Na, Vater Sloppak, immer noch doll rüstig?« Vater Sloppak war nicht nur doll rüstig, sondern auch gleich bereit, seine nimmermüden Glieder bei der kollektiven Senkung der Ernteverluste einzusetzen. Er überzeugte auch seine Frau von der Nützlichkeit eines gemeinsamen Vorgehens, und ich konnte rasch einen weiteren Nachbarn aufsuchen, der ebenfalls ein noch doll rüstiger Rentner war. Drei Tage später bildeten wir eine lose Vereinigung, die wir spaßeshalber LSG nannten, Landwirtschaftliche Stoppelgenossenschaft »Tabula rasa«. Mit dem Vorsitz wurde die Mutter betraut. Ich konnte mich nun zurückziehen und beobachtete das Unternehmen aus
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der Distanz. Es florierte. Zu jeder Zeit sahen die Felder und Wiesen und Ecken und Winkel wie abgeleckt aus. Der Umstand, daß nichts mehr herumlag und verderben konnte, muß es gewesen sein, der die Mutter schließlich besänftigte und verwandelte. Ihre Gier schwand, mild und zufrieden glänzten ihre Augen, und endlich überließ sie die Leitung der Stoppelgenossenschaft allein den noch doll rüstigen Rentnern. Auch die Pferdchen schienen ihr dort in guten Händen, nachdem die Kinder inzwischen auf Mopeds umgestiegen waren. Wir verlebten ein ruhiges Jahr. Die Mutter beschränkte sich auf den Garten und beschäftigte ihren Geist in höheren Sphären. Dann aber - war's ein Zufall, war's eine Notwendigkeit ihres Wesens -, dann ging sie auf eine ausgiebige Radtour durch Felder und Auen. »Junge«, sagte sie, als sie heimkam, »wollen wir uns nicht ein Pferdchen anschaffen?« Aber ich sah nun wirklich keine Möglichkeit mehr, ein Pferdchen zu ernähren. »Nein?« Die Mutter blinzelte mich an, und für Sekunden sah ich in ihren Augen wieder die nackte Gier. »Du ahnst ja nicht, was da alles zum Stoppeln rumliegt! « »Aber wo? In den Bäumen?« »Bei der Stoppelgenossenschaft >Tabula rasa<«, sagte die Mutter halb traurig, halb begierig, seufzte und rieb sich die Hände.
Es war einmal ein Fahrgast namens Karl Kleinhauser. Der kaufte sich von den Zwanzigpfennigstücken, um welche er die Berliner Verkehrsbetriebe 12 Monate lang betrogen hatte, ein feines Fahrrad mit Gangschaltung, das ihm schon nach 12 Tagen und 12 Nächten gestohlen wurde. Dies erschütterte den Fahrgast Karl Kleinhauser bis ins innerste Mark, so daß er am ganzen Körper Handzittern bekam und fast verzweifelte an der Menschheit und deren Unehrlichkeit. Glücklicherweise fiel ihm im letzten Augenblick noch ein, daß er, Karl Kleinhauser, ja noch nie etwas gestohlen hatte! Das war ein großer, stiller Trost für ihn, weshalb er dann auch nicht an der Menschheit verzweifelte, sondern sich wieder aufrichtete zu seiner eigenen, schönen menschlichen Größe.
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Ernst Röhl
HaeA 0 OH vom Tellerwäscher zum Millionär Ein Einzelschicksal
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Ostseeküste, Wind und Wellen, Jede Menge freie Stellen. Auf der Suche: Fritze Dübel. Tellerwäscher? Gar nicht übel! So begann einst die Karriere weltbekannter Millionäre!
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Fritze, rank und schlank und zart, geht entschlossen an den Start, und im Schweiß des Angesichts schrubbt er Teller. Weiter nichts. Wenig Zaster! Arbeit schwer! So wird keiner Millionär.
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Drum haut Fritze in den Sack. Her den schwarzen Kellnerfrack! Gleich das erste Bier serviert er - als Ober nicht versiert! seinem Kunden ins Genick. Oh, Pardon! Ein Mißgeschick.
Was geschieht? Sie sehen recht: Fritzens Gast genießt und blecht. Acht Mark zwanzig - Rest für Sie! Danke sehr, der Herr, Merci! Da durchzuckt den guten Fritz jäh ein greller Geistesblitz ...
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Auf Marx und Pfennig
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Willig schluckt ein jeder Gast, was ihm Fritze kühn verpasst. Prost! VERSCHNITT wird konsumiert, EDEL wird hernach kassiert. Klar, daß schon nach kurzer Frist Fritzens Konto flüssig ist.
Fritze, an der Waterkant frißt der Gast dir aus der Hand. Sei nicht blöde, Mensch, sei smart! Clever! Sei im Nehmen hart! Eins steht fest: Von nischt kommt nischt. Motto: Jetzt wird abgefischt!
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Fritz, der Ordnung liebt, macht stur selber täglich Inventur, daß er sein und unser Geld sauber auseinanderhält. Bald ist Fritze dicke da; das Millionending ist nah!
Bald - so war es ja bezweckt leitet Fritze das Objekt. Auch die Küche legt'n Zahn zu in puncto Umsatzplan. Das Gericht BOULETTE SURPRISE gibt es nicht mal in Paris! .
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Hundert Eier fehlen noch zum ersehnten Ziel ... jedoch plötzlich kreischen Bremsen auf. Nimm denn, Schicksal, deinen Lauf! Ist's das Ende? Ist's der Schluß? Kommt's, wie alles kommen muß?
Ja! so kommt es! Umsatzplan stets erfüllt mit viel Elan. Kurze Rede - heiter, froh. Kleine Prämie. Weiter so! Hundert Möpse im Couvert: Fertig ist der Millionär!
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Au f M arx und Pfennig
Heinz Helm
OH Rackelmann, der BGL-Vorsitzende des Stammbetriebes leitete das Kollektiv der BGL-Vorsitzenden des gesamten Kombinats. Einer mußte schließlich den Hut aufhaben. Der gewerkschaftliche Erfahrungsaustausch fand ob seiner mal in diesem, mal in jenem Betriebsteil statt. Nur Piepenhagen war bisher aus noch ungeklärten Gründen immer vergessen worden. Doch das Problem war erkannt. Tag und Stunde des Piepenhagener Erfahrungsaustauschs waren fixiert. Am Vorabend des Ereignisses jedoch flatterte Rackelmann ein Fernschreiben auf den Tisch: »Beratung muß wegen Havarie leider ausfallen. Unterschrift: Schulze, BGL, Piepenhagen. « Nun war guter Rat teuer. Was verbarg sich hinter dem Wort Havarie? Rackel0 mann beschloß zu handeln. Er stürmte ins Zimmer des Kombinatsdirektors, der dummerweise den Planungsleiter der WB zu Gast hatte. So ließ es sich nicht vermeiden, daß wenig später der Generaldirektor der VVB von der Havarie informiert wurde, der zufällig mit einem Abteilungsleiter des Ministeriums konferierte. So erklärt es sich, daß sich der Minister operativ einschaltete. Vorgesetzte haben, wie man weiß, die Eigenschaft, immer dann zu erscheinen, wenn man sie am wenigsten gebrauchen kann. Der Minister rief den Generaldirektor an: »Weißt du, daß es in Piepenhagen eine Havarie gegeben hat?« Der Generaldirektor versicherte, daß alle erforderlichen Maßnahmen getroffen würden und rief den Kombinatsdirektor an. »Weißt du«, fragte er, »daß es in Piepenhagen eine Havarie gegeben hat?« Dem Kombinatsdirektor fiel die Antwort nicht ganz leicht, da er sie gleichzeitig an drei weiteren Telefonen noch der Kreisleitung, 00
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s ist Feierabend!«
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Auf Marx und Pfennig
dem Rat des Bezirkes und der Hauptsicherheitsinspektion erteilen mußte. Eigenartigerweise blieben die nach Piepenhagen abgesetzten Fernschreiben unbeantwortet, und am Telefon meldete sich nur ein offenbar schwerhöriger Pförtner. Dem Kombinatsdirektor wurde es von Minute zu Minute unbehaglicher. Auch der Generaldirektor war beunruhigt. Konnte er sich wirklich auf jeden, jeden einzelnen Mitarbeiter verlassen? Dem Minister, der ein Filmfreund war, fiel ein, daß schon der Untergang der »Titanic« mit einer simplen Havariemeldung begonnen hatte. So kam es, daß eine Stunde später vor dem Werktor etliche Autos der Marken Tatra, Wolga, Moskwitsch und Wartburg hielten. Sogar ein Trabant war dabei. Aber der hatte sich nur verfahren. Auf den ersten Blick bot der Betriebsteil Piepenhagen ein Bild des Friedens. Keinerlei Absperrmaßnahmen, keine Volkspolizeifahrzeuge, keine Feu-erwehr. -Der vom Pförtner eiligst herbeigerufene Betriebsleiter führte seine späteren Gäste zunächst ins Büro und dann ins Heizhaus, wo sich drei Betriebshandwerker an einem mittelgroßen Absperrventil zu schaffen machten. Die Heizung war außer Betrieb. Ein simpler Absperrschieber war defekt. Das war alles. Ein technischer Mangel, keine Schuldigen. Der Minister schwankte zwischen einem amtlichen Zornesausbruch und dem Ausdruck jovialer Erhabenheit. Aber schließlich war nirgendwo festgelegt, welches Mindestmaß einer Havarie die Anwesenheit eines Ministers erforderte. Er legte deshalb sein Gesicht in bedeutsame Falten und sprach das erlösende Wort: »Es liegt am Ventil.« Diese ministerielle Feststellung ging von Mund zu Mund - auf dem Dienstweg sozusagen. Und da sich ein Minister, wenn er sich schon einschaltet, gründlich einschaltet, erteilte er die Weisung, aus Reservebeständen unver-
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))Herrlich, ihr wollt uns wohl helfen, weil wir mit dem Plan hängen!« ))Aber nein, wir wollen nur wissen, warum!«
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Auf Marx und Pfennig
Frage: Gibt es im Kommunismus Geld? . Alltwort: Nein. · . Frage: Wovon ,sollen wir dann unse.,.....
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ren Parteibeitrag ·· · bezahlen? . · · ,, ,
züglich drei Spezialventile herbeizuschaffen. Zwar hätte auch ein Ventil genügt, aber hier handelte es sich schließlich um das Wort des Ministers. Der Generaldirektor gab es weiter an den Kombinatsdirektor, der an den Betriebsleiter und der an den zuständigen Meister. Und da ein Havariefall mit soviel anwesender Prominenz keine Bagatelle sein konnte, bildete man auf der Stelle eine Havariekommission und auf ausdrücklichen Wunsch des zentralen Kombinatsgewerkschaftsleitungsvorsitzenden außerdem noch ein Gewerkschaftsaktiv, die bis Ende der Woche ihre Berichte abzugeben hatten. Bei einer kleinen Tasse Tee kamen nicht ganz zufällig auch die im Betriebsteil Piepenhagen dringend notwendigen Erweiterungsmaßnahmen zur Sprache, die der an Ort und Stelle weilende Minister persönlich bestätigte . Alle konnten zufrieden sein. Der Minister, weil er den Beweis angetreten hatte, daß unter seiner Leitung auch die kleinste Sache ihre Bedeutung hat; der Generaldirektor, weil er Gelegenheit hatte, dem Minister erneut seine Tatkraft zu demonstrieren; der Kombinatsdirektor, weil seine erstmalige Anwesenheit in Piepenhagen nicht unnötig hochgespielt wurde; der BGL-Vorsitzende, weil der Erfahrungsaustausch nun doch noch stattfinden konnte. Und der Betriebsleiter konnte aufatmen, weil er die seit Jahren immer wieder abgelehnten Investitionen endlich bewilligt in der Tasche hatte. Nur der Meister der Handwerkerbrigade begreift heute noch nicht, warum er um keinen Preis sagen durfte, daß das Ventil bloß zugedreht war!
Auf die Frage, warum er denn, um Himmels willen, nun aber auch dauernd Doppelte trinke, antwortete uns kürzlich der Bürger Georg Kinne, daß er bei einem Doppelten in seiner Kneipe nur einmal übers Ohr gehauen werde, aber bei zwei Einfachen zweimal. So aber hatten wir unsere Frage nicht gemeint. Das passiert manchmal im Leben und sollte uns lehren, daß doppelt zwar besser hält, aber einfach ist es nicht!
Alles zum Wohle des Volkes
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John Stave
Ich werde im allgemeinen als unwahrscheinlich glaubwürdig geschätzt, deshalb bitte ich auch alle Leser, mir die folgende Geschichte getrost abzunehmen, weil sie direkt aus dem Leben gegriffen ist. Die Rede ist von Zoologen und von normalen Menschen, die leider nur nebenberuflich Umgang mit Tieren pflegen. Eines Tages nämlich flattert auf den Tisch eines bekannten Zoologen ein Brief aus Hessenwinkel, als dessen Absenderin sich ein Fräulein Alice Troschke zu erkennen gibt. »Lieber Herr Professor«, schreibt Fräulein Troschke, »in Ihrer letzten Sendung >Im T. belauscht<, der wir, mein Zwillingsbruder und ich, regelmäßig lauschen, ist Ihnen ein bedauerlicher Fehler unterlaufen. Sie sprachen über das Alter der Tiere. Ich bekomme jetzt nicht mehr alles so zusammen, aber ich glaube, die Papageien werden wohl steinalt und Kar·pfen ebenfalls, während der Eintagsfliege nur eine kurzlebige Dauer beschieden ist. Sie müssen wissen«, fährt Fräulein Troschke fort, »daß wir, mein Bruder und ich, hier in Hessenwinkel sehr zurückgezogen leben. Auch haben wir keinen Fernsehapparat. Wir sind jetzt beide sechsundsechzig Jahre alt, und unsere einzige Freude ist unser kleiner Fiffi, unser Hündchen. Und dies ist auch der springende Punkt meines Briefes. In Ihrer Sendung sagten Sie, Herr Professor, daß Hunde im Schnitt dreizehn bis fünfzehn Jahre alt würden und daß es schon eine Ausnahme sei, wenn einzelne Exemplare es auf achtzehn oder gar zwanzig Jahre brächten. Meinem Bruder und mir ist auch bekannt, daß sieben Hundejahre wie ein Menschenjahr zählen. Kurz und gut: Unser Fiffi ist vorige Woche einundsechzig Jahre alt geworden. Mein seliger Großvater brachte ihn am 18. Juli 1910 von einer Indienreise mit. Das heißt, da lebte Fiffi bereit, er kann also durchaus noch etwas älter sein. Unser Opa war aber sehr krank
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und schloß am 21. Juli 1910 für immer die Augen, ohne uns nähere Angaben über das Hündchen zu machen. Auch unser Vater«, endet Fräulein Troschke, »ist ein recht wortkarger Mann gewesen. Er lebt jetzt in Australien. Unsere Mutter haben wir ebenfalls sehr früh verloren. Nur Fiffi ist uns geblieben. Hochachtungsvoll! Alice Troschke & Bruder« Natürlich schlug dieser Brief wie eine Bombe ein. Der Professor trommelte seine engsten Mitarbeiter zusammen und kabelte die Sensation auch seinen ausländischen Kollegen. Aber der Presse machte er vorsichtshalber keine Mitteilung. Zuerst sollte das Wundertier einmal in Augenschein genommen werden. Lediglich einem besonders flinken Reporter einer Morgenzeitung war die Sache zu Ohren gekommen, und er hatte daraus einen Dreispalter gemacht: »Wunder der Tierwelt«. Darin war von einem Storch zu lesen, der mit einem afrikanischen Speer im Hals von Afrika bis nach Bernau geflogen war, von einem Kalb mit drei Köpfen, von einem Zirkuspferd, das einen Tiger gebissen hatte, und von Fiffi, dem 61jährigen Hund. Als endlich ein Dienstwagen nach Hessenwinkel bereitstand, war der Professor stark erkältet und entsandte seinen Vertreter, einen gewissen Dr. Hinz. Dr. Hinz fand im letzten Winkel von Hessenwinkel das Grundstück der Troschkes. Es machte einen ungepflegten Eindruck. Die Scheiben des Holzhauses waren blind, es hatte auch sicherlich seit dem Tod des Großvaters keine Farbe mehr gesehen. An der Gartenpforte prangte ein Schild: »Vorsicht, bissiger Hund! « Die beiden Leutchen, die mit dem Öffnen auf sich warten ließen, sahen wirklich zum Schreien aus. Beide gleichermaßen gebückt, beide das gleiche silbergraue Haar und beide in ausgebeulten Trainingsanzügen. Der bissige Hund jedoch hatte noch nicht ein einziges Mal angeschlagen. Alice Troschke bat den Doktor ins Haus, während Berthold Troschke das Hündchen suchen ging. Als er mit dem Tier auf dem Arm die Stube betrat, traute Dr. Hinz seinen Augen kaum. »Das ist ja ein - das ist ja ein Platystemon megacephalum! « rief er aus. »Ein was ist das bitte schön?« fragten die zwei Troschkes wie aus einem Mund.
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Erich Honecker fliegt in einem :sowj etisc,hen Raumschiff, aber das droht abzustürzen, · Da sieftt er duPcns Fenster einen . Engel,; der zu ihm . •· sagt:·»Ich kami dich retten. Aber ;'. du mußt laut i:ufen: .: .Es leE~~ ·der Ka:1pita. lismus! « Erich· ~'. lehnt :A b. »Lie~ßr · · sterbe:ich! « - ~>Na gut, w.Ie du willst.« · -Etwa$~:·später, ·:,~öas . . · Raumschiff ist außer.Kontrolle, ·', wiedet:li0lt .deii·1t" , . Engel ·sein Ange• bot. Erich will ·.sei' ~: nen· Id~hlen t~etl bleiben und schickt ·. den Engel fort. In:. ·Zwisclienbeg!fint das Raumschiff ;i schOJ.:! ·~u glüht n, . da kommt der .;.~ · Engel ein drittes ~:.- Mal,,.~~icih häl,, es . , ·. nicht iiiehr aus~ . »Was lielfen mir ":·; meine.~Ideale?. ~Also ~· · gut, ibh tu's. « End. laut schreit er: »Es /, lebe der Kapitffi.is·_mus! « Da stößt ihn . jemanQ.. unsanft in '~.~die RiRpen: »Genosse, wenn du schon . schläfst auf der :· Partei~ersam·m~ ·. lung, dann sprich ,: wenig~t~ns nicht '- im Scfilhl! « ' .· .
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»Eine sehr seltene Großkopfschildkröte, die in Bunna zu Hause ist! « »Deshalb hat er also nie gebellt«, sagte Berthold Troschke verlegen. »Aber er hat doch immer so schön mit dem Schwanz gewedelt«, sagte Alice Troschke traurig. »Nie hat er das Bein gehoben, wenn er an einen Baum machte«, sagte Berthold Troschke enttäuscht. Er setzt die etwa fünfundzwanzig Zentimeter lange Kröte behutsam auf den Boden. »Aber >schönschönMännchen
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Angela, Gentzmer
Helga Hahnemann als beschwipster Herr »Strangers in the night - die sind sooo einsam ... « Eu, dit is' aber 'n schöner, großer Schuppen hier! Is' wohl heute Damenwahl, wat? Oder - is' Euer Fernseher etwa ooch im Eimer? Unser hat heute - nee jestern - is' ja ooch ejal - plötzlich seinen Jeist uffjejeben! Mitten in eine Bettszene! Als wenn er sagen wollte: Amüsiert Euch jefälligst alleene weiter, Ihr SexMuffel! Ph! Mitten inne Woche! Da wir nu aber schon ausjeschlafen war'n, ha' ick erst mal Licht anjeknipst und festjestellt, det der Maler de Tapeten an unsre vier Wände janz schön beschissen jeklebt hat! Bloß über seine leeren Pullen hätt ick ma beinah dit Jenickjebrochen! Jedenfalls war et so duster, det ick ja Und denn jing die Türe uff und 'n junger Mann nich mehr unterscheiden konnte, ob kommt plötzlich rinjetanzt! Ick sage: Nanu, dit 'n Kognak oder 'n Klarer war. Mutta, wat will denn der fremde Halbstarke hier bei uns mitten inne Fernsehtime? Da war dit unsa Sohn! Mang die zwee Fernsehprogrammeis' mir dit nochjar nich' so uffjefallen, det der schon so'n Riese is'! Nu standen wa alle dreie um die dämliche Kiste rum, die uns unsa'n schönen Feierabend vasaut hat! Wenn die Krücke eene Woche früher expalladiert wär, wär allet dufte paletti jewesen, wa? Da war nämlich der Fernseh-Heini da! Den hatten noch unse Vorjänger inne Wohnung bestellt! Allerdings wohnen die nu schon 'n halbet Jahr inne Volksrepublik Sachsen! Denn hab ick jesagt: Weeßte wat, Mutta? Meent se janz uffjekratzt: Jaaa? So'ne Oogen, eh! Die dachte, ick vaanstalte jetzt mit ihr mein eig'net Projramm! Aber dit Thema ha' ick gleich abjewürgt undjesagt: Du weeßt, det ick immer bereit bin - sojar bis zu zweimal in't Jahr - aber heute muß ick mal'n bißken um de Häuser ziehn und mir um den Lokalteil in unse Jegend kümmern! Hat se glei losjeblökt: »Dit könnte dir so passen! Dit teure Jeld, watte vasaufen willst, bring lieber uff de Bank, da kriegste obendrein noch 3 % Zinsen!« »Na und?« ha ick jesagt, »inne Kneipe krieg ick sojar 42 %.« Den Frack hier wollte se ooch nich' rausrückn! Hat sich mit ihre dicken vier Buchstaben uff meine Hose druffjesetzt undjekreischt: »Keene zehn Pferde kriejen mir hier wieder runter!« Ick hab's mit eine einzije Stecknadel jeschafft! Uffe Straße ha'
Alles zum Wohle des Volkes
ick mir denn erst mal 'ne Schwarztaxe uffjerissen und jesagt: So, Kumpel, wo kann man denn in Berlin wat erleben? Meinta: »Bei mir, Meista! Touristen bezahlen die Fuhre nämlich mit Bunte!« Hahaha, der hat mir für'n West-Opajehalten! Ick sage: »Nischt is', Herr Doktor, de Preise bestimm' ick, vastanden?« Wat soll ick Ihnen sagen? Der hat ma keene Puseratze abjenommen, dafür aber noch'n Rezept ausjeschreiben! Dit war nämlich wirklich eener! 'n Doktor! Dabei sag ick zu alle, die 'ne Brille uffhaben, Herr Doktor. Vor dit Ballhaus, wo der mir abjesetzt hat, war ick der 99. in den Raufen, der da rinwollte! Am Einjang war nämlich Jesichtskontrolle ! Alle halbe Stunde jing die Düre 'n Spalt weit uff - und so'n Hirte, mit 'ne blonde Rotzbremse, zeigte mit'n Finger inne Zehnerreihen undjab den Befehl: »Sie - und Sie - und Sie! Der dicke Pinguin dahinten - los rin! « Ick war nach'n dritten Rejenjuß schon dranne! Und natürlich glei'n Zehner ärmer! Die Bardame, so'ne Rothaarije mit freie Sicht auf ihren Busen, hat mir gleich empfangen: »Na? Wat nehm' wir denn? Wolln wir unsre traurije Ehe verjessen - oder uns bloß so beballem?« Ick sage: »Liebe Dame, wat können Se mir denn so in der Preislage von 5 Mark empfehlen?« Hat se historisch jelacht: »Am besten 'n andret Lokal, Opa!« Dit andre Lokal war so stinkfein, ·det der Barkeeper die Preise alle mit so'n spitzet Maul janz vornehm in sich rinbrabbelte! Bloß - als ick ihm füm Glas Sekt 2,50 Mark hinblätterte, isser eenmal kurz aus de Rolle jefallen und hat ma zurechtejewiesen: »lck sagte 12,50 Mark, du Armleuchter! Wohl noch nie inner Bar jewesen, wat?« Na ja - so'n Keeper hat aber ooch 'n verflucht schweren Beruf, wa? Sie, da kommen so'ne Provinzler rinjetrampelt und sagen zu dem einfach »Kellner«! Tsss! Dit is' ditselbe, als wenn se eenen Jeneral uff de Schulter dreschen und zu dem sagen: Na, Kolleje Soldat? Oder - manche, die schnippen einfach mit ihre Finger nach ihm! Die jehn natürlich vollkommen trocken wieder raus, is'
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))Wat ick da vakasematuckelt hab!(( Helga Hahnemann beim Monolog eines echten Berliner Kneipengängers.
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klar, wa? Een so'n Hinterweltler hat sojar bloß SO Mark Trinkjeld abjedrückt, dafür aber verjessen, seinen Drink zu bezahlen! Logo, det so'ne unjebildeten Hockerhocker eenem preisjekrönten Barpersonal amtlich uff'n Keks jehn, nich? Dit nächste Etablissement hieß Lo - Lo - ach, wat weeß ick, jedenfalls war et da so duster, det ick ja nich mehr unterscheiden konnte, ob dit 'n Kognak oder bloß 'n Klarer war, den ick vakasematuckelt hab! Aber sonst - 'ne erstklassije Bediene: Die Kellnerinnen alle mit schöne Oberweite und Miniröcke - und obendrin noch nett zu die }äste! Allet so'ne Dinger, die man nur spiel'n tut, wenn Hoher Besuch anj esagt is'. Aber mit die Tour wollten se bloß ihr zähet Steak an'n Mann bringen! Na ja- mir konnten se damit nich' mehr vagraulen, ick hatte mir den janzen Laden schon schönjesoffen - einschließlich die laute Kapelle, die normalerweise mit ihre Vastärker 'n ausjewachsenen Ochsen erschlagen! Au backe, jetzt muß ick aber zusehn, det ick noch den Lumpensammler krije! Hoffentlich bin ick nich' wieder der einzije Nüchterne in den Bus! Mann, jetzt möcht ick 'ne Maus sein! Warum? Mensch, weil meine Olle vor die Biester unheimliche Angst hat.
))Können Sie nicht lesen? Pinguin-Bar!«
Vor ein paar Tagen hab ick in meiner Stammkneipe Heilsarmee jespielt. Ick konnte dit nich mehr mit ansehn: Da stand 'n Mann am Tresen und hat die Biere hektoliterweise wegjegluckert, obwohl er schon voll wie 'ne Haubitze war. Ick also hin zu ihm und janz behutsam anjefangen: »Mann, dit is doch total verkehrt, wat Sie hier machen. Wissen Se nich, wie viele DDR-Bürger jährlich an Alkohol sterben? Wollen Sie der nächste sein?« Glotzt er mich mit glasigen Augen an und lallt: »Bestimmt nicht! Is bin nämlich ein Swede! Skol!«
Helga Hahnemann
Alles zum Wohle des Volkes
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Ottokar Domma
HSOl'O llio In der Familie spielt die Oma eine wichtige Bedeutung. Meine Mutter sagt öfter, es ist ein großes Glück, daß wir unsre liebe Oma zu Hause haben, mein Vater spricht manchmal dagegen und meint, es ist kein Glück. Es kommt aber auch vor, daß mein Vater in unserer Oma sein ganzes Glück sieht, und meine Mutter wird dann kränklich im Gesicht und denkt, der Vater liebt sie nicht mehr. In diesen Zeiten hat meine Mutter auch allerhand an unserer Oma auszusetzen, je nachdem, was passiert. Und es passiert eine Menge. Jetzt will ich erst den Wert meiner lieben Oma beschreiben und warum sie meiner Mutter Freude und meines Vater ganzes Glück ist. Wenn zum Beispiel meine Mutter an einem kalten Tage von der Arbeit kommt und bibbernd in die Stube tritt, dann schreit sie meistens: Ach, wie ist es hier schön warm! Oma hat schon geheizt, was für ein Glück, daß wir die Oma haben! Und weil ich nichts dazu sage und mich lieber draußen herumtreibe, befiehlt mir meine Mutter, ich soll die Oma nicht ärgern und das Alter achten. Meine Mutter wundert sich am Tage öfter, was für eine gute Oma sie entdeckt hat. Ist zum Beispiel schon das Essen gekocht oder die Wäsche gewaschen oder sonst was Dreckiges erledigt, dann schimpft meine Mutter auf die Oma hinein, weil sie sich nicht schont, und sie soll sich nicht so anstrengen und lieber im Sessel sitzen und fernsehen oder ein .••• . Buch lesen. Doch zeigte meine Mutter • beim Schimpfen ein lachendes Gesicht. Wenn dagegen ich im Sessel sitze und fernsehe, dann schimpft sie auch, aber diesmal mit Falten. Mein Vater zeigt seine Freuden über unsere Oma nicht so wie meine Mutter; denn ein Mann darf nicht gerührt sein. Wenn er in die Stube trampelt, dann sagt er bloß: Schön warm hier. Und meine Mutter fügt hinzu, es war die Oma. Wenn mein Vater am ~
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))je oller; je doller ... «
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Abendtisch sitzt und knurrt, daß es ihm schmeckt, dann ist der Knurrer für meine Oma wie ein zartes Liebeswort, und sie rennt gleich mit der Schüssel herbei und füllt dem Vater nach. Wenn meine Oma Vaters Hemden gebügelt hat, dann sagt der Vater gar nichts, und er macht ein Zufriedenheitsgesicht. Wenn dagegen meine Mutter die Hemden bügelt, dann tadelt sie der Vater und spricht, du wirst das nie lernen, und sie soll lieber die Oma ranlassen. Meine Mutter sagt danach immer ganz spitzig, dann hätte der Vater eben unsere Oma heiraten sollen, und sie ist nicht seine Minna. Man nennt dies auch den Kampf der Frau für ihre Gleichberechtigung gegen die Herrschaft des Mannes. Aber ich glaube, mein Vater hätte unsere Oma trotzdem nicht geheiratet; denn der Vater wäre für meine Oma zu jung und unerfahren. Wenn mein Vater mit der Mutter und uns Kindern in die Ferien fährt, dann ist auch mein Vater meistens gerührt, und er spricht: Oma, du bist unser Goldstück, und räum nicht meinen Schreibtisch auf, da liegen meine Briefmarken. Von meiner Mutter tropft es in diesem Augenblick meistens, weil sie die Tränen schlecht aufhalten kann. Und dann zählt sie noch einmal 123 Besorgungen auf, die Oma nicht vergessen soll. Und dann drücken sie sich und sagen sich gegenseitig, wie gut sie sind, und es ist wie ein Abschied bei einer Reise in den wilden Dschungel, aus dem man entweder gar nicht mehr herauskommt oder nur noch mit einigen Bissen von Kobras und anderem Schlangengezücht. Jetzt will ich kurz beschreiben, warum unsere Oma manchmal ein Unglück ist. Dabei sind meistens ich und meine Schwester die Hauptpersonen. Wenn zum Beispiel die Oma einmal zur Kur fährt oder zu ihrer lieben Schwester nach Dortmund auf Besuch, dann bricht in unserem Hause öfter ein sogenannter Familienkrach aus. Das geht so vor sich. Meine Mutter sagt zu mir, ich bin ein liederliches Bürschchen, welches schlecht erzogen ist und alles liegenläßt. Mein Vater erwidert jetzt, ich bin das Produkt unserer lieben Oma, weil die Oma mir alles wegräumt. Die Gefährlichkeit nimmt zu, wenn jetzt meine Schwester am Tisch sitzt und plärrt, sie will keine Gemüsesuppe essen, und mein Vater nennt sie ein ganz verzogenes Gör. Er gibt in diesem Falle ein Rezept auf und sagt, man muß die Schwester einen halben Tag hungern lassen und dann wieder die Gemüsesuppe vorsetzen. Und wenn sie dann immer noch nicht ißt,
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muß man sie noch einen halben Tag hungern lassen, bis sie sich alle Finger nach der Gemüsesuppe ableckt. Aber wenn die liebe Oma zu Hause ist, wird dem Kind ja alles von hinten reingestopft, Leckerbissen, Torten und Bonbons. Meine Mutter sagt jetzt zum Vater, es ist eine Roheit, und wir müssen dann auf einen Wink hinausgehen, damit wir nicht hören, wie sich unser Rohling verteidigt. Einmal sagte meine Schwester, sie geht nicht in den Keller, Kartoffeln holen, denn dort sitzt das Kellennännchen. Ein andermal sagt sie ein Gebet auf, und alle meine Eltern nebst ich fragten, wo meine Schwester das bloß herhat. Da rief mein Vater wie ein Hellseher: Von der Oma! Meine Mutter sagte, es ist doch nicht so schlimm, und wenn sie größer ist, wird sie schon merken, was wahr ist. Und man muß mit der alten Oma ein Mitleid haben, denn sie hat keine polytechnische Oberschule besucht. Mein Vater dagegen hob den schweren Zeigefinger und sprach: Es ist unwissenschaftlich. Und das kommt davon, wenn man die Erziehung nur der Oma allein überläßt. Nach diesem Wort mußten wir wieder hinausgehen, weil jetzt meine Mutter verkündete, sie wird jetzt deutlich. Nach solch einer Deutlichkeit ist mein Vater meistens ganz zahm, und er fragt uns Kinder, ob wir schon die Schularbeiten gemacht haben. Mein Freund Harald erzählte mir, daß es in seiner Sippe auch einmal Streit über die Erziehung der Oma gab. Aber nicht lange, weil die Oma den Koffer packte und sprach, sie wird zu ihren anderen Kindern gehen oder ins Altersheim. Danach bekam Haralds Oma gleich eine neue Schürze oder Wolle zum Bestricken und von Haralds Vater das Buch August Bebel »Die Frau und der Sozialismus«. Und alle sind wieder miteinander zufrieden.
»Daraus hat sie uns schon vorgelesen, als wir Kinder waren.<<»Naja, sie hat wegen der vielen Lesungen nie ein anderes Buch geschrieben. < <
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Hansjoachim Riegenring
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»Pardon, Fräulein, laut Speisekarte gehören zu dieser Abendbrotplatte Butter, Brot, · Wurst, Käse, Schinken und ein Ei. Auf meinem Teller habe ich aber nur ein halbes Ei entdeckt! « »Ich bitte Sie, junger Mann, wollen ·Sie sich mit mir um ein halbes Ei streiten?« ·
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»Charly«, sagte ich zu dem Mixer in der Milchbar, denn alle Mixer der Welt heißen Charly, sofern sie nicht Jonny oder Anita heißen, »da am Nebentisch sitzt ein Mann, der guckt wie ein trauriger Bernhardiner; und das will etwas heißen, denn schon ein lustiger Bernhardiner guckt sehr traurig.« »Als er reinkam«, flüsterte Charly, »war er völlig durcheinander. Er raufte sich die Zähne, knirschte mit den Augen, verdrehte die Haare ... « »Verwechseln Sie da nicht irgendwas?« unterbrach ich ihn. »Aber nein. Ich sagte ja, er war völlig durcheinander.« »Mein armer kleiner Liebling«, schluchzte der Mann am Nebentisch, »einfach erschlagen! Und den ganzen Vorgarten hat er verwüstet, der Wüstling.« Eduard nahm aufgeregt einen großen Schluck Blaue Kuh Super, Charlys Spezialmilchmischgetränk mit der erhöhten Oktanzahl. »Hast du das gehört? Erschlagen! Das ist Mord! Im Vorgarten! Mord in Tateinheit mit Gefährdung der öffentliehen Sicherheit! Ob das etwas mit dem Porzellangeschäft zu tun hat?« »Ich habe noch nie, hupp«, protestierte der Mann mit dem verwüsteten Vorgarten, »Geschäfte in Porzellan gemacht.« »Der Herr meint das Porzellangeschäft an der Ecke«, beruhigte ihn Charly, »da hat heute nacht jemand die Schaufensterscheibe eingeschlagen.« »Und dabei wertvolles Kulturgut zerstört!« rief der Geschäftsführer des Porzellanladens. »Zwei Gartenzwerge! Exportmodelle!« »Na, und die Sache mit Basalt Granitinger, unserem Bildhauer!?« sagte Eduard. »Der kommt heute früh in sein Atelier und findet nur noch einen Trümmerhaufen vor.« »Also, ich wars nicht«, lächelte ich freundlich. Charly sah mich an. »Aber Sie könnten es gewesen sein. Jeder von uns könnte es gewesen sein. Ich habe ein Buch gelesen.« »Gratuliere«, sagte mein Freund Eduard. »... ein Buch gelesen, in dem genau erklärt wird, wie jeder, der irgendwo ist, mit allem, was irgendwo geschieht, irgendwie zusammenhängt. Die Welt ist ein großer Zusammenhang. Wir sind alle kausal!« »Daher also mein kausaler Durst!« spottete ich. Er zuckte, ins Kausalnervensystem getroffen, zusammen. Der Porzellangeschäftsführer bestellte ein Glas Buttermilch.
A 11 e s z u m Wo h 1e d e s Vo 1k es_
»Pur oder on the rocks? « fragte Charly geistesabwesend. »Nicht stören! «tadelte Eduard den Porzellanmann. »Er hat jetzt was anderes im Kopf als Buttermilch. Er denkt nach! « »Und wie eindrucksvoll er das macht! « sagte ich. »So ungefähr muß Galilei ausgesehen haben, als er entdeckte, daß alles nach unten fällt. « »Bestimmt wird er uns gleich den Kausalnexus zwischen einem verwüsteten Vorgarten, einer eingeschlagenen Scheibe und einem zertöpperten Atelier erklären«, flüsterte Eduard. Charly lächelte freundlich und erklärte, ihm wäre eine Möglichkeit eingefallen, die drei Fälle miteinander in Verbindung zu bringen. »Nehmen wir an, der Bildhauer hatte eine Freundin ... « »Darauf wäre ich in der halben Zeit gekommen«, grinste Eduard. Kunstbücher »Aber sie war ihm nicht treu«, spann Charly seinen kausalen Faden weiter, »sie betrog ihn mit einem anderen.« Dabei sah er mich an, als wäre ich der andere. »Ein billiger Taschenspielertrick«, rief ich verächtlich, »das haben Sie nicht kombiniert. Sie haben mich mit ihr gesehen! « Eduard ließ vor Schreck seinen Unterkiefer fallen, soweit es die anatomischen Verhältnisse gestatteten. »Wie kannst du denn so was zugeben?! Soll ich deinen Rechtsanwalt anrufen?« Der Mann, dem man seinen armen kleinen Liebling erschlagen hatte, betrachtete mich interessiert. »Als der Bildhauer das merkte, hat er Sie bestimmt verhauen, und nicht nur bildlich!?« »Im Gegenteil«, behauptete Charly. »Meiner Theorie nach war der Bildhauer sehr nett zu seinem Nebenbuhler, ja, er modellierte sogar seine Büste.« »Üh«, sagte der Porzellanmann zu mir, »Sie haben eine Büste?« »Sie haben gewonnen, Charly«, nickte ich und klammerte mich an einen Strohhalm, der auf dem Tisch lag. »Das mit dem Modellieren stimmt tatsächlich. Wahrscheinlich sollte es ein Denkmal werden, >Sitzender Intelligenzler< oder so.« »Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen.« Charly sah mich so mitleidig an, wie eine Katze eine Maus ansieht. »Meiner Theorie nach benutzte er Sie als Modell für Gartenzwerge.« »Mein Freund, der Gartenzwerg! « stöhnte Eduard erschüttert. Die Gäste kamen näher, um mich anzusehen, und einer sagte, jetzt wüßte er, warum ich ihm so bekannt vorgekommen sei.
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))Kunst ist nicht am Lager, aber Gewerbliches haben wir noch. ((
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Ein junger Mann des Staatssicherheitsdienstes erhält seinen ersten Probeauftrag. Bei der Parteiversammlung soll sich ein westlicher Spion eingeschlichen haben. Das Referat Honekkers dauert zwei, drei, vier Stunden. Plötzlich springt der junge Geheimdienstler auf und stürzt sich auf einen Mann - der dann auch zugibt, der gesuchte Spion zu sein. Staatssicherheitsminister Mielke ist begeistert und fragt ihn nach der Methode. »Ich dachte an das bekannte LeninWort: Der Klassenfeind schläft nie!«
Alle s zum Wohle des Volkes
»Erzählen Sie weiter!« forderte der Mann mit dem Vorgarten Charly auf. »Entlarven Sie diesen Verbrecher!« »Richtig«, stimmte ich, noch heiter, zu. »Sie müssen mir ja meine Missetaten nachweisen. Dürfte nicht so einfach sein.« »Sogar sehr einfach«, versicherte mir Charly, »wenn man die Zusammenhänge erkennt. Ich stelle mir das so vor: Meister Basalt Granitinger fertigte nach Ihrem Vorbild drei Gartenzwerge an, die er dem Porzellangeschäft zum Verkauf übergab.« »Einen davon kaufte ich«, zischte der Mann, der um seinen kleinen Liebling trauerte, »und den haben Sie heute nacht erschlagen! « »Völlig klar!« stimmte der Porzellanmann zu. »Die Schaufensterscheibe mußten Sie zerschlagen, um an die beiden anderen zu kommen. Sie Gartenzwergschänder!« »Und das Atelier«, sagte ich, »schlug ich vermutlich zusammen, um das dort befindliche Original zu zerstören.« Charly nickte. »Freue mich, daß Sie es zugeben. Ein Geständnis erleichtert einen doch sehr, nicht?« »Ich schätze, ich tat das alles aus Rache. « »Aus Rache. So ist es.« »Weil die Bildhauerfreundin zu ihrem Bildhauer zurückgekehrt ist.« »Genau«, sagte Charly. »Und weil es mich rasend machte, wenn ich mein Gesicht bei den Gartenzwergen wiedererkannte. Ich fühlte mich verhöhnt!« »Wunderbar, wie Sie jetzt selbst die Zusammenhänge erkennen«, strahlte Charly. »Ihr seid alle ganz schön bekloppt«, sagte ich herzlich. »Ich gehe jetzt.« »Sie bleiben hier, bis die Polizei kommt«, schrie der verwüstete Vorgartenmann, »der Kollege Barmixer hat einwandfrei Ihre Schuld nachgewiesen!« Unser Abschnittsbevollmächtigter schob sich an die Bar. »Alles geklärt«, verkündete er heiter. »Die Schaufensterscheibe hat ein Betrunkener mit einem Stein eingeworfen, im Vorgarten hat ein wildernder Hund gehaust und im Atelier unseres Bildhauers ist eine Gasflasche explodiert. Bitte, melden Sie Ihre Ansprüche bei der Versicherung an. Guten Tag!« »Schade«, sagte mein Freund Eduard, »du warst ein wunderbarer überführter Verbrecher.« Als wir an einem Vorgarten vorbeikamen, in dem drei wunderschöne Gartenzwerge standen, hob ich einen großen Stein auf und holte zum Wurf aus.
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Lernen, lernen, nochmals lernen
Ottokar Domma
Zeugnisse hab ich für mein Leben gern, besonders Halbjahreszeugnisse, weil man da im Mittelpunkt steht und die Eltern sich Zeit nehmen, mit einem zu diskutieren. Sonst reden sie ja auch mit mir, aber nicht so gründlich. Sie können den Zeugnistag kaum erwarten und sind im Gegensatz zu mir furchtbar aufgeregt. Ich bin nur neugierig darauf, ob sich meine Lehrer nicht wieder geirrt haben. Mir gefällt an den Lehrern, daß sie auch nicht alles richtig machen, und wenn sie das einsehen, gefallen sie mir noch besser. Die Zeugnisbetrachtung geht in fünf Verarbeitungsstufen vor sich. Zuerst vergleichen die Eltern die neuen Zensuren mit den alten vom vorigen Jahr und früher. Dabei nicken sie oder wakkeln mit dem Kopf hin und her, je nachdem. Dann folgt die erste Einschätzung mit den Wörtern »naja« oder »nanu! « Beim »Nanu!« schließen sich solche Sätze an wie: »Schämst du dich nicht, eine Drei in Rechtschreibung?« oder »Wieso hast du dich in Biologie verschlechtert?« Diese Fragen kann ich ganz leicht beantworten, indem ich darauf hinweise, daß einige Schüler noch schlechter sind als ich. Statt daß mich die Eltern für diesen richtigen Hinweis loben, schauen sie mich erzieherisch an und sagen: »Du sollst dich an den besseren Schülern orientieren, nicht an den schlechteren!« Die Mutter seufzt dazu und schämt sich für mich, der Vater nicht so sehr. Er ruft mir bloß zu: »Die Drei muß weg!« Das ist die erste Verarbeitungsstufe. Nachdem die Eltern mein Zeugnis mit dem meiner Schwester verglichen haben und Unterschiede feststellten, gehen sie zur zweiten Verarbeitungsstufe über. Meine Mutter macht dann meistens den Anfang, indem sie zum Beispiel sagt: »Du wirst jetzt jeden Tag ein Diktat üben, hörst du?!« Der Vater gibt noch eins drauf, damit ich merke, daß auch er erzieht: »Und mit der Gammelei hört das jetzt auf, sonst .. . « Er wußte nicht gleich, was sonst passiert, aber es wird ihm schon noch was einfallen. In Biologie wußten die Eltern nicht so gut, was mir hilft. Ich sagte, sie müssen sich deswegen keine grauen Haare wachsen lassen. Wenn's wärmer wird, zieh ich wieder an. Die dritte Zeugnisverarbeitungsstufe ist schon schwerer zu verkraften. Da geht es um die Kopfnoten. Daraus entstehen die
Lernen, 1er n e n, noch m a 1s 1er n_e n
Wenn-dann-Sätze. Zum Beispiel: »Wenn deine Zensur in Betragen nicht besser wird, dann fährst du mit uns nicht in Urlaub!« Es half auch nichts, daß ich den Eltern erklärte, die Drei hab ich bloß wegen Herrn Kurz bekommen, weil der mich nicht ausstehen kann. Meine Mutter antwortete, darum muß ich mich erst recht zusammenreißen. Ich riß mich in den ersten Ferientagen zusammen. Meine Eltern bekamen ein Mitleid und nahmen mich ins Erzgebirge mit. Wahrscheinlich haben sie sich gedacht: Lassen wir Ottokar zu Hause, wissen wir nicht, was er anstellt. Bleibt er bei uns, dann wissen wir es. Die vierte Verarbeitungsstufe vollzieht sich in der Schule. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, zum Beispiel das Patenschaftswesen. So bekam die brave Bärbel den Auftrag, mir in Biologie zu helfen. Die Bärbel war sehr stolz darauf und fragte mich: »Wo bist du am schwächsten?« Ich sagte, eigentlich fühl ich mich körperlich gar nicht schwach, wir können ja einmal ringen. Aber wenn du Biologie meinst, dann an mehreren Stellen, zum Beispiel in der Wurmkunde. Bärbel guckte wie eine Lehrerin: »Blattwürmer oder Rundwürmer?« »Naja«, sagte ich, »eigentlich überhaupt, ich ekle mich nämlich vor Würmern.« Die Bärbel fing gleich an zu lehren: »Du mußt das wissenschaftlich sehen.« - »Weißt du, Bärbel«, sagte ich, »am besten ist, wenn ich nachmittags zu dir nach Hause komme.« Ich habe mich gut darauf vorbereitet, und der Schweine-Sigi half mir bei der Beschaffung von Anschauungsmitteln. Bärbel hatte mich schon erwartet. Wir setzten uns in eine Laube mit Eckbank und Kissen. Auf dem Tisch lag ein Tischtuch und eine Schale mit Waffeln. Die Bärbel hatte einige Bücher bei sich und ein Diarium. Ich sagte, ich hab auch was mitgebracht, und legte verschiedene Schachteln um die Waffeln. Dann öffnete ich die erste Schachtel und zog einen langen Regenwurm heraus. Er kringelte sich, wahrscheinlich wegen der Sauberkeit. »Ist das der Eiseniella tetraedra oder der Lumbricus terrestris? « fragte ich die Bärbel. Sie sah verekelt auf meinen schönen Wurm und sagte streng: »Bitte nimm den vom Tisch!(< ))Na, dann nicht .{
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»Als wir noch nicht Forschungsschüler waren, nannte man das ganz einfach Rechnen. <<
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ein Geschenk vom Schweine-Sigi. Meine Frage: Kommt der auch im Menschendarm vor?« Da kriegte die Bärbel eine weiße Nase und rannte weg. Was lehrt uns das? Das lehrt uns: Ein Lernpate ist ja nicht schlecht, aber selbst lernen ist besser, schon um den Paten zu ärgern. Schade, ich hätte der Bärbel gern noch ein paar Blutegel gezeigt, ein Bandwurm war leider nicht mehr auf Lager. Also mit dem Patenschaftswesen klappte es bei mir nicht ganz so, seitdem bekomme ich auch keine Paten mehr. In der fünften Verarbeitungsstufe wird bei schlecht lernenden Schülern das Elternaktiv eingesetzt. Bisher gab es nur eine körperliche Verletzung, nämlich als beim Anmarschieren des Aktivs die giftige Frau Speckmann den Hund losließ. Das schlimmste ist aber, wenn der Mensch nach seinem Zensurendurchschnitt eingeschätzt wird, zum Beispiel bei Bewerbungen um eine Lehrstelle. Ich weiß das von der Zensuren müssen sein, damit der Saxafonia Brunsig. Sie wollte Frisör werden, und Lehrer richtig abrechnen kann. auf ihrem Zeugnis stand auch, daß sie sehr geschickt ist. Weil aber so viele Mädchen Frisöse werden wollen, schaute der Lehrlingsauswähler Saxafonias Zeugnis der 9. Klasse besonders streng an und sprach: »Mit dem Durchschnitt und der Drei in Deutsch spielt sich nischt ab.« Ich sagte zur Saxafonia, sie solls doch mal in einem Hundesalon probieren. Da braucht sie nicht zu reden, sondern nur zu bellen. Aber das wollte sie nicht, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als ein Lehrling für Schreibtechnik zu werden. Da kann sie später ihre geschickten Finger auch anwenden. Deshalb muß ich mich langsam auf einen sehr guten Durchschnitt einrichten. Jetzt steh ich auf 2,4, nur wegen der guten Vier im Singen und der schlechten Drei in Biologie. Wenn es in Mathematik und Geschichte eine Null als beste Zensur gäbe, wär ich aus dem Schneider. Aber so kann ich rechnen, wie ich will, mehr als 2,1 kommt nicht heraus, und davon kann vielleicht abhängen, ob ich im Sommer ins Betriebsferienlager mitfahren darf oder nicht. Denn wer weiß, ob man nicht plötzlich auf die Idee kommt, nur die besten Durchschnitte für die Ferienlager zuzulassen. Dann seh ich alt aus. Was lehrt uns das? Das lehrt uns: Zensuren müssen sein, damit man weiß, woran man ist, und die Lehrer richtig abrechnen können. Je mehr Einsen, desto weniger Sitzenbleiber. Das zählt. Unser Klassenlehrer, der Herr Burschelmann, meint zwar, der Mensch ist das wichtigste. Aber was nutzt das, wenn es Menschen gibt, die uns nur als eine Rechenaufgabe ansehen?
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Drei Jungs unterhalten sich über ihre Vater. »Mein Vater ist Pfarrer. Wenn er durchs Dorf geht, reden ihn die Leute mit Euer Hochwürden an. « Der zweite: »Mein Vater ist Landesbischof. Wenn er durch die Stadt geht, sagen die Leute Seine Heiligkeit.« Der dritte: »Das ist gar nichts. Mein Vater ist Parteisekretär. Wenn er durch den Betrieb geht, sagen die Arbeiter: Gott o Gott. «
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Peter Ensikat
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Meine Kinder sollten es einmal besser haben, dachte ich, nachdem alle Versuche gescheitert waren, sie auf die EOS zu bringen. Also sollten sie Handwerker werden. Da haben sie goldenen Feierabendboden unter den Füßen und können so klug werden, wie sie wollen. Wenn sie es nur einigermaßen intelligent anstellen, werden sie nie zur Intelligenz gezählt werden. Ich ging also zu einem mir verbundenen Elektromeister, dem ich einmal zu »Distel«-Karten verholfen hatte, und bat ihn, meinen ältesten Sohn in die Lehre zu nehmen. Der Meister war im Prinzip einverstanden und wollte nur noch mal rasch »Distels« neues Nachtprogramm erleben. Danach könnte man von ihm aus den Lehrvertrag sofort abschließen. Um ganz sicher zu gehen, unterrichtete ich jetzt auch meinen Sohn von seinem Berufswunsch. Er maulte zuerst, sagte was von Strippenzieher und Wechselströmling und verfluchte seine kleinbürgerliche Herkunft. Aber er war immerhin schon fünfzehn, und alles, was er von sich aus werden wollte, war sechzehn. Schließlich willigte er wenigstens ein, sich mal mit dem Meister privat und natürlich ganz unverbindlich zu unterhalten. Die niedliche Villa des Elektromeisters war überzeugender als alle meine schönen Argumente. Elektriker sei schon immer sein Traumberuf gewesen, behauptete mein Sohn. Um dies zu beweisen, wollte er sofort das defekte Bügeleisen, die Stehlampe mit dem Wackelkontakt und die lockeren Steckdosen in der Küche reparieren. Er wühlte im Handwerkskasten, suchte Schraubenzieher, Kombizange und was man eben so im Haushalt braucht, wenn man keinen Handwerker in der Verwandtschaft hat. Leider hatte ich selbst schon mit den genannten Werkzeugen hantiert. Außer Bügeleisen, Stehlampe und Steckdosen war infolgedessen auch das Werkzeug unbrauchbar geworden. Mein sachverständiger Sohn erkannte das sofort. Aber ganz gegen seine Gewohnheit maulte er nicht, sondern sagte nur, das tue überhaupt nichts. Der Meister habe ihm sowieso eine ganze Liste mit Werkzeugen mitgegeben, die er sich beschaffen müsse. Ob wir genug Bargeld im Hause hätten? Meinen Einwand, daß der Lehrvertrag ja noch gar nicht abgeschlossen sei, ließ der Sohn nicht gelten. Das sei nur noch Formsache. Ich solle mich doch bitteschön lieber um die »Distel«-Karten kümmern. Ich bestand aber darauf, ihn in den
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Werkzeugladen zu begleiten, damit er nicht irgendwelchen Unsinn kaufte. »Wenn de denkst, det de wat davon vastehst, kannste ja mitkomm. Aba red nich dazwischen. Denn merken die gleich, det de keene Ahnung hast.« Eine längere Auseinandersetzung über seine Ausdrucksweise bog er ab mit dem Hinweis, daß er Handwerker werden wolle und nicht Intellektueller, der schöntun müsse. Der Mann im Werkzeugladen war auch kein Intellektueller. Als er die Liste sah, die ihm mein Sohn siegessicher über den Ladentisch reichte, grinste er nur und fragte, ob wir ihm die aufgeführten Werkzeuge beschaffen ~WJ3!2@(!!)@~ könnten. Ich erwiderte völlig unsinnig, daß wir die genannten Werkzeuge hier zu kaufen gedächten. »Wollnse sich 'n Haus baun?« - »Nein, mein ~ Sohn ... « »Na, denn is ja noch ein bißchen Zeit.« »Mein Sohn will Elektriker werden. « »Hömse ma, hier is Bevölkerungsbedarf. Also, wennse sich keene Datsche baun wolln oda so, kriegense sowieso nischt. « »Aber der zukünftige Lehrmeister meines Sohnes hat uns diese Liste hier aufgestellt.« ~,.. ~""~~~ ~~::=:.--1mrrITTI »Wattn, 'n Meesta? Und der hat Sie zu mir jeschickt?« »Nich direkt«, murmelte mein Sohn, »der hat bloß wat von Besorjen jesacht.« »Na, sehnse«, erwiderte der Verkäufer, »besorjen is nich koofen. « Ich wollte den Unterschied wissen. »Koofen kann man, wattet jibt. Det andre muß man sich besor• Jen. « Etwas niedergedrückt kamen wir nach Hause. ))Bitte kommen Sie morMein Sohn nahm sich sofort das Branchenfemsprechbuch vor gen wieder. Unser umund schrieb alle Adressen der darin aufgeführten Werkzeuglä- fangreiches Sortiment den heraus. Lötkolben ist in der »Morjen jeh ick alleene«, sagte er noch und verlangte, in Ruhe Werkstatt - zum Nachbessern der eben geliegelassen zu werden. Wochenlang sah ich meinen Sohn nur noch zum Abendbrot. ferten Lötkolben. << Meine Frau war begeistert von der Ausdauer, mit der er zum erstenmal ein Ziel verfolgte. Die Hälfte des erhaltenen Geldes hatte er bereits ausgegeben. Zum größten Teil für Straßenbahn-, U- und S-Bahnfahrten. Sein Meister, der inzwischen schon fünfmal in der »Distel« war,
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tröstete ihn nach einem Jahr. Er habe Gesellen, die bis heute noch nicht alles Werkzeug beisammen hätten und trotzdem ausgezeichnete Elektriker geworden seien. Eines Tages aber kam mein Sohn schon am frühen Nachmittag nach Hause. Er schien wie veiwandelt. »Los, Vadder, Lehrvatrach untaschreim! « rief er fröhlich. »Wieso? Hast du alles zusammen?« fragte ich erstaunt. »Quatsch. Ick wer nich Elektrika. Ick wer Vakäufa in Werkzeuchladen.. Hab schon mit 'n Chef von den Laden in unsre Straße jeredt!« - »Wieso denn das?« - »Der nimmt mir. Ick kenn nun schon det janze Sortiment, wattet nich jibt. Det bißchen, wattet jibt, lernt sich schnell.« »Ja, aber ich dachte, du würdest mal ein richtiger Handwerker?« »Mach dir keene Sorjen, Vadda«, tröstete er mich. »Wer Werkzeuch hat, der kricht ooch Handwerka! « Ja, inzwischen hat mein Sohn nun seine Lehre wirklich angetreten. Und er versteht was von seinem Metier. Wir haben überhaupt keine Handwerkersorgen mehr. Im Gegenteil, sie rennen uns die Tür ein. Unser jüngster Sohn kann sich nun wirklich aussuchen, welchen Handwerksberuf er lernen möchte. Am Werkzeug jedenfalls wird es nicht liegen.
Was Aoi/Jt U7P'I Unterrichtstag in der Produktion. In der Regel. Aber es gibt Ausnahmen. Die bestätigen nicht die Regel, sondern verschiedene Unregelmäßigkeiten. In diesen Fällen ist UTP sowohl anders zu definieren als auch einzuschätzen. Zum Beispiel so: UTP = Uninteressante Tätigkeit in Produktionsnähe. = Unterschiedlichste Transport- und Putzarbeiten = Unterschied zwischen Theorie und Praxis = Ungesunde Teilnahmslosigkeit von Pädagogen =Unkenntnis von Technologie und Produktionsprozeß = Und trotzdem persönlichkeitsbildend Letzteres ist keineswegs ironisch gemeint. Denn eine unqualifizierte Gestaltung des Unterrichtstages in der Produktion formt den Charakter des Schülers und läßt in ihm den Entschluß reifen, später auf keinen Fall in dem Betrieb anzufangen. Und das ist doch für den Betrieb ein schöner Erfolg. Denn wer nicht erst anfängt, kann auch nicht fluktuieren!
Jochen Petersdorf •
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Ernst Röhl
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Wenn man sich Schreibtisch an Schreibtisch gegenübersitzt, Aug in Auge sozusagen, wie Böthel und meine Wenigkeit, dann drehn sich die Gespräche natürlich nicht egalweg um die Intensivierungskonzeption oder um die verflixte Rationalisierungsproblematik oder was sonst so über unsern Tisch geht. Wer früh pünktlich kommt und genau viertel fünfe geht, ist in puncto Auslastung der Arbeitszeit optimal abgesichert, klar. Gegen neune rum packt Karl sein gehaltvolles Stullenpaket aus, leiert die Thermosflasche auf, und schon geht's volle Kraft voraus in die häusliche Thematik. Also, der Udo. Sein Junge! Das ist der wunde Punkt, wo bei ihm zu Hause tüchtig die Säge klemmt. »Stell dir bloß mal vor«, so Karl, »heute morgen wieder das Theater! Papa, ich hab furchtbare Halsschmerzen, oooh, uuuh. Schreib mirn Entschuldigungszettel, Papa! - Moment mal, kombinier ich, schreibt ihr nicht zufällig heute das Diktat? Er guckt so von unten rauf, das schlechte Gewissen in Person. Anziehn, sag ich, und ab in die Schule!« - »Vielleicht ist er tatsächlich krank, Karl! Kann doch sein. Und dann das Wetter heute. Da mag man ja keinen Hund vor die Tür jagen.« - »Den Hund grade nich. Aber hatn Hund 'n Anorak, 'n Pullover, ne Pelzmütze? Na bitte! Weißte, was ich auf den Tod nich ausstehn kann?« - »Nee?« - »Dann will ichs dir sagen: Simulanten! Schulschwänzer, Muttersöhnchen! Aber ich guck mir das nicht mehr länger mit an. Abhärten heißt der Tagesbefehl! Abhärten und nochmals abhärten. Von morgen an schläft er auf dem Balkon.« Für gewöhnlich misch ich mich in Familienangelegenheiten nicht ein, so was muß schon jeder mit sich selber abmachen. Aber was zu weit geht, geht zu weit. »Karl«, sag ich, »weißte, was du bist? Du bist kalt wie Hundeschnauze! Das sag ich dir mitten ins verdutzte Gesicht. Mach bloß dein Kind nich unglücklich und dich mit. Bleib doch mal Mensch, Mensch!« So red ich auf ihn ein. Obs was nützt - keine Ahnung. Aber schaden kann es gewiß nicht. Heute früh kommt er reingeschlichen, ein gebrochener Mann, das Gesicht bleich wie die Bockwurst in der Kantine, legt gar nicht erst Hut und Mantel ab, langt gleich nach dem Telefon und wählt mit zittrigem Finger. Totenstille. Bei mir kein Gedan-
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ke mehr an Arbeit. Der einzige, der noch arbeitet, ist unser nim mennüder Verwaltungsneubau, der in allen Fugen kracht. Nach ein paar bangen Minuten des Wartens streift ein Hoffnungsstrahl Karls leidvolle Züge. »Hallo, Vermittlung? Station drei, bitte. Es ist dringend!« In das erneute Schweigen hinein nickt er mir vielsagend zu. Seine Augen stehen unter Tränen, wie ich es nur von Langhaardackeln kenne, die bekanntlich auch dicht am Wasser gebaut haben. Ich will eine teilnahmsvolle Frage anbringen, ein Wort des Trostes vielleicht, um die Pause zu überbrücken. Dazu kommt es nicht. »Hallo, Schwester! Wie bitte? Schwester Wally? Hier Böthel, ja, Bö-thel. Wie hat er es überstanden? Lokale! Nein? Also Vollnarkose, sehr gut. Dann hat er ja Gott sei Dank nichts davon gespürt. Wissen Sie, er ist sehr sensibel. Bei uns zu Hause hört er nie ein böses Wort. Ach, kein Ather? Spritzen? Wie ungenehm! Sagen Sie, ist das nicht außerordentlich schmerzhaft? Brav eingeschlummert, ja? Mir fällt ein Stein vom Herzen. Und die Operation selbst? Reibungslos, keine Komplikationen? Nein, nein, was denken Sie von mir! - Keine Zweifel meinerseits. Ich weiß, er ist in den besten Händen. Aber man macht sich eben doch so seine Gedanken. Nicht wahr, Sie verstehen das, Schwester. Und wie ist er aufgewacht? Kein Gejammer, nichts, das freut mich. So kenn ich ihn. Tapfer ist er. Und, sagen Sie, was bekommt er zu essen? Noch nichts? Aber wenn es dann soweit sein sollte, zu Ihrer Infonnatian: Schnitzel ist sein Leibgericht. Paniert oder naturell ist egal, Hauptsache Schnitzel! Und wann war doch gleich Besuchstag? Donnerstag. Jawohl. Wie kommod. Alle Mann hoch. Die ganze Familie. Um ihn ein bißchen aufzumuntern. Jaaa, natürlich - er ist ein ganz munteres Kerlchen. Wie? Was Sie nicht sagen! Nach Ihren Fingern? Donnerwetter, so ein Schlingel! Das sicherste Zeichen, daß er übern Berg ist. Nein, nein, um Himmels willen! Ich will doch den Betrieb in der Klinik nicht aufhalten. Nochmals herzlichen Dank, Schwester. Es soll Ihr Schade nicht sein. Auf Wiederhören.« Karl legt den Hörer auf, froh beschwingt, den Freuden des Lebens zurückgewonnen. »Alles in Butter«, ruft er, nimmt den Hut ab und wischt sich den voreilig vergossenen Angstschweiß von der Stirn. »Unserm Axel«, fügt er erläuternd hinzu, »hamse nämlich die Mandeln rausgenommen.« Dies ist die Stunde meines Triumphes. »Siehste, mein Lieber, die Halsschmerzen neulich waren also doch nich simuliert!« »Quatsch! « sagt er. »Du verwechselst da was. Axel ist unser Dackel.« ••
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Rudi Strahl
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Hau dich mit keinem Jungen, der stärker ist als du; er hat dich rasch bezwungen und lacht dich aus dazu. Verdresche aber keinen, der schwächer ist als du; hab Nachsicht mit dem Kleinen und lasse ihn in Ruh. Hält einer dir die Waage, wär' jeder Schlag zu dumm: Ihr prügelt euch drei Tage und fallt dann beide um. Mußt du dich doch mal streiten, eh' daß es dich zerreißt, gebrauche nur beizeiten den Kopf anstatt der Fäust!
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))Bei ner Schägerei erwischt worden! Na, warte, Freundchen, jetzt kannste was erleben!«
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Tom Renner
Wenn es nach Adelaide gegangen wäre, säße sie jetzt als geachtete Sekretärin in irgendeinem Büro oder im Kaufhaus an der Kasse. Vielleicht wäre sie auch ein guter Dispatcher bei der Straßenbahn geworden. Oder Schneiderin. Aber es war nicht nach ihr gegangen. »Wir haben dich mit Ach und Krach auf die Oberschule gekriegt, und du hast dein Abitur gemacht: nun wird auch studiert!« entschied der Vater. »Am besten, du lernst Arzt; aber studiert wird, und damit basta! « Adelaide fügte sich. Bei den Medizinern hatte sie allerdings kein Glück; wo glatte Einsen Schlange standen, blieb ihr Durchschnitt von einskommafünf ohne Chance. Nach einem halben Jahr war die Den Physikern paßte Adelaides Drei auf dem Zeugnis nicht; es war zwar die einzige, aber ausEliteklasse nur noch Durchschnitt. gerechnet in Physik. Bei den Chemikern klopfte sie gar nicht erst an. Chemie hatte ihr schon immer zu sehr gestunken. Und da sie sich auch für technische Berufe nicht begeistern konnte, landete sie schließlich bei den Pädagogen! Die nahmens nicht so genau. Die Eignungsprüfung bestand Adelaide mit Bravour. Ihre Stimmbänder waren aus biegsamstem, nichtrostendem Edelstahl, und der Phonetiker meinte, daß sie mit ihrer Stimme jeden preußischen Korporal zum heiseren Krächzer degradiert hätte. Nach ihrem Verhältnis zu Kindern fragte niemand. Zum Glück für Adelaide, denn sie konnte - um mit ihren eigenen Worten zu sprechen - Kinder nicht ausstehen; kleine nicht und große nicht, keine fremden und nicht mal die eigene fünfjährige Schwester. Aber wie gesagt: Danach hatte niemand gefragt. Daß sie niemals wegen Stimmschadens vorzeitig in Rente gehen würde, war so gut wie sicher, und das schien, wenn auch nicht die einzige, so doch eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Lehrerberuf zu sein. Adelaide studierte sich so recht und schlecht durch die vier Studienjahre, war weder Leuchte noch Schlußlicht und lernte, was sie nicht begriff, auswendig. Vollgepfropft mit allen pädagogischen Daten und Taten von Sokrates bis Makarenko und ausgerüstet mit den brav auswendig gelernten didaktischen Prinzipien segelte sie mit viel Angst und wenig Liebe ins große Praktikum. Und sie segelte durch! Was immer ein Lehrer falsch machen konnte, Adelaide ließ es nicht aus. Sie erzählte nicht,
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sie kommandierte; sie unterrichtete nicht, sie dozierte; ihr Repertoire an Tadeln war unerschöpflich, und ihre Tadel waren Bisse; Lob war ihr fremd. Sie schockierte Schüler und Mentoren in gleichem Maße, und nach zwei Monaten stand fest, daß niemand es verantworten konnte, Adelaide auf unschuldige Kinder loszulassen. Die Mentoren wandten sich mit dieser dringenden Empfehlung an das ausbildende Institut. »Keine Sorge, liebe Kollegen«, meinte der Institutsdirektor, »in der Praxis sieht alles ganz anders aus. Und außerdem hat die Gesellschaft bereits zu viel in Adelaide investiert, als daß es zu verantworten wäre, sie jetzt, so kurz vor dem Examen noch zu exmatrikulieren.« In einem Punkte hatte der Direktor recht: Die Praxis sah tatsächlich anders aus. Adelaide gab ihr Debüt an der Heineschule. Ob man ihr die vierte Klasse aus Schikane oder aus Gedankenlosigkeit übergeben hatte, blieb ungeklärt; fest stand jedoch, daß diese Vierte infolge häufigen Lehrerwechsels arg außer Rand und Band geraten war. Denen werde ich es schon zeigen! schwor sich Adelaide, meinte jedoch weder Schulleitung noch Kollegen, sondern ihre künftigen Schüler. Eine Woche lang drohte sie, was alles ihnen blühe, falls sie nicht spurten, und diese Woche genügte der Klasse für das Urteil: Die Neue ist eine alte Ziege! Um der wachsenden Unruhe Herr zu werden, verteilte Adelaide fleißig Pünktchen: rote für gute Noten, schwarze für schlechte. Zum Unterrichten kam sie kaum, weil die meiste Zeit für diese Buchführung draufging. Und als sie nach einem Monat erste Bilanz zog und ihrem Liebling Ines eine Eins in Betragen gab, obwohl das Kind nur acht statt der erforderlichen zehn Pünktchen gesammelt hatte, Oskar aber eine Fünf, obwohl er mit seinen schwarzen noch im Bereich der Drei lag, und das nur, weil er im Ubereifer ein paarmal unaufgefordert und ohne ••
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))Bravo, ich sehe, ihr habt gelernt zu verallgemeinern!<<
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Ein Mann sieht im Winter zwei Jungen mit einem Rodelschlitten: »Was macht ihr?« - »Wir spielen deutsch-sowjetische Freundschaft.« - »Wie geht das·denn?« .. »Ganz einfach: Er schiebt mich den Berg hoch, und ich fahre hinunter.« .
brav erhobenen Finger geantwortet hatte, bestieg die Klasse Bankbarrikade. Prompt verpaßte Adelaide sämtlichen Schülern zwei Schwarze, was die Sache nicht besser machte. Kinder haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Wütend diktierte Adelaide Oskar - obwohl er sich am Tumult nicht beteiligt hatte - und einigen anderen Termine für Hausbesuche ins Tagebuch. Die Eltern warteten, doch Adelaide hielt ihre Freizeit für zu schade, um sie mit Hausbesuchen zu verplempern. Sollten die Eltern in die Schule kommen, wenn ihnen das Wohl ihrer Kinder am Herzen läge! Und sie kamen! Zwar hatte Adelaide es bisher versäumt, ein Elternaktiv wählen zu lassen, aber die Mitglieder des Eltemaktivs ihrer Vorgänger hielten es für ihre Pflicht, eine Elternversammlung einzuberufen. Die Eltern erschienen ausnahmslos; Adelaide schickte den Krankenschein. »Die Klasse ist um Wochen im Stoff zurück!« wehklagten die Kollegen, die die Unterrichtsvertretungen übernommen hatten, »und wenn man den Kindern glauben darf - und das muß man wohl - so hat unsere junge Kollegin nichts anderes zu tun, als Punkte zu verteilen.« Nach vier Wochen war Adelaide wieder da. Das Kollegium aber war sich einig: Sie mußte wieder fort! Und zwar für immer! »Geben wir ihr noch eine Chance«, beschwichtigte der Direktor, »geben wir ihr unsere Eliteklasse.« Die Kollegen murrten, vor allem die bisherige Klassenleiterin. Mit Recht, wie sich bald herausstellte, denn nach einem halben Jahr war die Eliteklasse nur noch Durchschnitt. Der Direktor berief den Pädagogischen Rat ein. Wenn hier überhaupt etwas zu tun war, dann nur durch die Hilfe des gesamten Kollektivs. Adelaide einige Fragen zu stellen, war doch unvermeidbar. »Stimmt es, verehrte junge Kollegin, daß Sie der Klasse einen Theaterbesuch ankündigten, diesen dann aber doch nicht durchführten?« fragte der Direktor. »Und stimmt es, daß Sie während der Winterferien mit der Klasse für drei Tage in eine Jugendherberge im Harz wollten, dieses Unternehmen dann aber doch kurzfristig abbliesen, obwohl einige Eltern ihren Kindern bereits Schlitten und sogar Ski gekauft hatten? Und stimmt es ... « »Das alles habe ich aus erzieherischen Gründen getan«, fiel Adelaide dem Direktor ins Wort. »Ich hatte den Kindern diese Dinge versprochen, falls sie sich anständig verhalten würden; und das haben sie nicht getan.« »Und weshalb haben Sie während eines halben Jahres in Ihren
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Fächern nicht eine einzige Kontrollarbeit geschrieben? Und weshalb verleiteten Sie die Kinder zur Lüge, indem Sie ihnen zu sagen rieten, der Pionier-Gruppenrat sei gewählt, obwohl das in Ihrer Klasse bis heute nicht geschehen ist? Geschah das und anderes mehr auch aus erzieherischen Gründen?« Adelaide wußte gegen diese Fragen nichts anderes ins Feld zu führen, als den bitteren Vorwurf, die Kinder könnten sie nicht leiden, und sie verlegte sich aufs Schluchzen. Störrisch versprach sie, in Zukunft bei erfahreneren Kollegen zu hospitieren, was sie jedoch, von einigen Stunden abgesehen, nicht hielt. Zum neuen Schuljahr wurde Adelaide an die Lessingschule versetzt. Geliebt hatte sie ihre Schüler nie, jetzt begann sie, sie zu hassen. Was sie bisher mit Strenge und Pünktchen nicht erreicht hatte, versuchte sie nun auf die weiche Tour. Während des Unterrichts erzählte sie langweilende Privatgeschichten, oder sie unterhielt sich mit den Schülern über den letzten Krimi, wobei sie gelegentlich auf den falschen Kanal geriet. Was sie im Unter.. .. . richt an Stoff nicht schaffte, gab . sie den Kindern als Hausaufgaben auf, die sie jedoch nie kontrollierte, geschweige denn korrigierte. Zu dem wenigen, was die Schüler bei ihr lernten, gehörte die Erkenntnis, daß Hausaufgaben nichts anderes seien als der bösartige Versuch der Lehrer, ihnen ihre Freizeit zu vermasseln, und daß Westkrimis gar nicht so schlimm seien, wie die Eltern oft behaupteten. Den Eltern blieb die Anderung im Verhalten ihrer Kinder verständlicherweise nicht verborgen, und sie beschwerten sich beim Direktor. Einige drohten, ihre Kinder nicht mehr zur Schule zu schicken, falls sie nicht einen anderen Klassenleiter bekämen. Der Direktor versprach Abhilfe. Er hielt sein Wort. Adelaide übersiedelte an die Brechtschule. Sie umgab sich mit einer undurchdringlichen Schutzglocke gegen Lärm und Disziplinlosigkeit, verlor kein Wort, wenn Schüler zu spät zum Unterricht erschienen, und kam nicht selten selbst zu spät. Wurde ihr die Sache zu bunt, zog sie die Notbremse und ließ sich für zwei, drei Wochen krankschreiben. Manchmal sogar •
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mit triftigem Grund, denn sie war, wie man so sagt, allmählich mit ihren Nerven am Ende. Schon der Gedanke an ihre Klasse machte sie krank. Mißgelaunt betrat sie die Schule eine Minute vor Unterrichtsbeginn, und eine Minute nach dem letzten Klingelzeichen verließ sie sie. In ihrer Klasse gab es weder außerschulische Veranstaltungen noch irgendwelche Zirkel, und bei der Auswertung des Wettbewerbs bildete sie stets das Schlußlicht, weil die Schüler beim Altstoffsammeln oder bei Solidaritätsaktionen auf sich allein gestellt waren. Das wunnte die Kinder, und sie ließen es ihre Lehrerin spüren. Vielleicht hätte Adelaide sich halbwegs mit ihrer Klasse während des Wandertags aussöhnen können. Aber was machte sie? Fuhr mit der Klasse per Straßenbahn in die nahegelegene Heide und ließ sie zwei Stunden lang die Stille der Natur genießen! Noch dazu in Zweierreihen! Gegen zehn schickte sie die arg Enttäuschten nach Hause und fragte noch, ob sie sich darüber freuten! Die Parallelklasse hatte Ritter KuSollte man Adelaide irgendeinem Institut nibert von der Teufelsburg verjagt, und eine als Forschungskader unterjubeln? andere Klasse hatte sogar zusehen dürfen, wie die Wartburgs gebaut werden, und war auf Eseln geritten! Nein, ihre komische Adele oder wie sie hieß sollte dahin gehen, wo der Pfeffer wächst! Ganz so weit ging Adelaide jedoch nicht; sie kam nur bis zur Schillerschule. Doch bevor sie dort eintraf, lagen bereits die ersten Beschwerden der Eltern auf dem Tisch des Direktors. Darunter einige, die sogar dem Schulrat mit dem Staatsrat drohten; falls er nicht dafür sorge, Adelaide aus dem Schulverkehr zu ziehen. Die Sache wurde ernst. Der Schulrat konsultierte die Direktoren der Schulen, an denen Adelaide bisher Proben ihres Unvennögens und ihrer mangelnden beruflichen Eignung gegeben hatte, und das waren fast sämtliche Schulen der Stadt. Was war zu tun? Sollte man, wie Direktor Vierblatt vorschlug, Adelaide irgendeinem Institut als Forschungskader unterjubeln? Sie besaß ihr Examen. Praxis hatte sie schließlich auch, und an unerforsch·ten pädagogischen Problemen fehlte es nicht. Oder sollte man sie, wie der Schulrat meinte, zum Zusatzstudium für Sonderschulen delegieren? Die Entscheidung fiel schneller als gedacht, und sie fiel durch Adelaide. Sie hatte den Mann ihres Herzens gefunden, und dieser Mann lebte in Klein Hinterwalden .. . zweihundert Kilometer entfernt. Sie wollten heiraten. Bald. Adelaide beantragte ihre Versetzung. Trotz des hiesigen Lehrennangels wurde ihrem Antrag stattgegeben. Schließlich darf bei uns niemandem die Zukunft vermasselt werden.
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Alfred Schiffers
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»Der Kollege Schnowanzke«, meldete die Sekretärin über Draht. »Soll reinkommen«, entgegnete der Betriebsdirektor und eilte auf die Tür zu. »Mein Gott, Schnowanzke«, rief der Direktor, »ich freue mich, daß Sie gekommen sind! Ich hoffe, es hat Ihnen nichts ausgemacht, bei diesem Sauwetter! Darf ich Ihnen Ihren Mantel abnehmen?« Als Direktor Walk den Mantel in der Hand hielt, betrachtete er interessiert den Pelzkragen. )) In unserer Partei - -; »Das ist Kanin«, erklärte Schnowanzke. gibt es zwei Strö- -~:'__ mungen. Die erste·(,= - »Züchter?« forschte Walk und bot seinem Gast eine mächtige handelt aus Angsf;-~< Zigarre an. »Seit zwanzig Jahren«, antwortete Schnowanzke. »Knautschdie zweite aus -_ ~;:--~-Überzeugung«, ; ~~:!~:°'~,, berger Riesen!« meint ein Funktfo~l~ »Knautschberger Riesen«, wiederholte Walk gedehnt, »aha! Wie när zu Honecker. ~ ."-;t groß ist denn Ihr Bestand?« »Welche sollen wir;%' . »Sechzehn Zuchtpaare«, entgegnete Schnowanzke und blies bevorzugen?« - - eine gewaltige Rauchwolke von sich. »Die aus Angst. Die:»Was ich noch sagen wollte«, sagte Walk und blickte SchnoÜberzeugung kann?~--, wanzke ernst in die Augen, »da ist - da war ... « wechseln.« ---~Doch in diesem Moment trat die charmante Sekretärin ein. »Es ist nämlich ein gern geübter Brauch, unseren Besuchern ein Täßchen Kaffee anzubieten«, sprach der Direktor, hob die Tassen vom Tablett und bat Schnowanzke, ihm zu gestatten einzugießen. Schnowanzke gestattete, schlürfte einen Schluck, ließ sich einen Keks schmecken und lehnte sich behaglich zurück. »Kaffee«, meinte der Direktor, »gehört nun mal dazu. Natürlich soll man es nicht übertreiben. Unser Betriebsarzt Dr. Meyer ich weiß nicht, ob Sie ihn überhaupt kennen -, Dr. Meyer also warnte mich erst kürzlich vor einem zu intensiven Kaffeegenuß. Die Galle! Hatten Sie es auch schon mal mit der Galle?« Schnowanzke verneinte: »Aber Isolde, die Schwägerin meiner Frau, war erst vor acht Tagen zum Röntgen. Mit der Galle soll man nicht spaßen, das ist wahr.« »Es ist ja so«, fuhr Direktor Walk fort, »zuerst beachtet man den leichten Druck fast gar nicht. Dann kommt ein Eisbein auf den Tisch, es schmeckt und schmeckt, der Mensch wird leichtsin-
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nig, und was passiert? Die erste Kolik! Kennen Sie das von Ihrer Verwandten Isolde ebenfalls?« Schnowanzke nickte ernst: »Karnickel können es ebenfalls mit der Galle zu tun kriegen. Einer meiner fleißigsten Rammler, der Hubert senior, hat das auch alles durchgemacht. Zuerst denkt man, der Kerl ist liebestoll, wenn er im Stall rumtobt. Aber der Kenner merkt schnell, was die Glocke geschlagen hat. Da hilft nur eins: Messer schleifen und ... « »Schon gut«, warf Direktor Walk ein, »ich verstehe, daß Ihr Hobby auch von einer tiefen Tragik umschattet sein kann. Lassen wir das Thema.« Schnowanzke sah auf die Uhr. »Es ist gleich fünf.« Direktor Walk war baff: »Mein Gott, wie ist bloß die Zeit dahingeeilt, mein Lieber. Kommen wir also zur Sache! « »Ich weiß«, gestand Schnowanzke, »ersparen Sie sich Ihre Worte! Ab morgen ... « »Ich nehme Sie beim Wort, Schnowanzke«, frohlockte Direktor Walk gerührt, »ich hoffe, wir dürfen Sie jetzt regelmäßig im Betrieb begrüßen! « Schnowanzke versprach's feierlich. Nachdem er gegangen war, bat Direktor Walk seine Sekretärin zu sich: »Aktennotiz«, diktierte er. »Am heutigen Mittwoch, dem soundsovielten, um . . . Uhrzeit und so fand - und so weiter und so weiter. Sie kennen das Ja. « »Gewiß«, nickte Fräulein Kneisel. »Und noch etwas«, fügte Direktor Walk hinzu, »in einer halben Stunde tanzt der Kollege Emme an; mit diesem Menschen, der im Vergleich zu Schnowanzke im letzten Monat viermal mehr unentschuldigt fehlte, muß ich allerdings etwas andere Saiten aufziehen. Mit anderen Worten: keinen Kaffee! « •
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»Heut is Freitach, wa? « »Nee, Donnerstach.« »Sehei ... !« »Wir können ihn aber zum Freitach machen! « »Wieso?« »Wieso nich? Auch der Freitach is nur von Menschen gemacht.«
>>Immer ran, Herr Doktor! Helfende Kritik ist uns jederzeit willkommen!<<
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Hel i Busse
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Wenn ich heute höre, wie viele verächtlich von der Brigade Klotzer reden oder sich über sie lustig machen, dann habe ich ein schlechtes Gewissen, denn ich habe mich in einem entscheidenden Augenblick nicht als gleichberechtigtes Mitglied dieser Brigade bewährt, sondern mich sozusagen auf eine privilegierte Stellung als Frau zurückgezogen. Ich habe versagt, als es darum ging, Ziegenbach zu retten. Ziegenbach war, wenn ich das mal ein wenig wissenschaftlich sagen darf, eine in sich gespaltene Persönlichkeit. Sobald Ziegenbach eine Flasche sah, in der sich in irgendeiner Form Alkohol befand, befahl ihm der eine Teil seiner Persönlichkeit, die Flasche an sich zu nehmen und auszutrinken, während ihn zur gleichen Zeit der andere Teil dringend mahnte, dies auf jeden Fall zu unterlassen. Mit solchen inneren Widersprüchen kann ein Mensch nicht lange herumlaufen, ohne an sich selbst irre zu werden, weshalb in Ziegenbach irgendeine dritte Persönlichkeit jedes Mal auf eine Entscheidung hindrängte, so daß er Grubental saß die längsten Opern für uns schließlich die Flasche nahm und austrank. ab, pflanzte Bäume und grüßte am Kinder- Aber dieser Sieg über sich selbst versetzte tag die Klasse 4 b von uns. ihn stets nur in einen kurzen Rausch des Glücks, denn schon am anderen Morgen, wenn er zur Arbeit kam - falls er kam-, war er wieder der alte und schlurfte mit gesenktem, flackerndem, unsagbar traurigem Blick an uns vorbei in den Umkleideraum. Erschien er nach einer halben Stunde nicht wieder, wußten wir, daß er vom Schlaf übermannt worden war, um den ihn sein Kampf mit sich selbst in der Nacht gebracht hatte. Brigadier Klotzer sagte dann gewöhnlich: »Laßt ihn, damit er wieder zu sich kommt!« Denn Klotzer war ein herzensguter Mensch, wenn er nicht gerade was getrunken hatte, und die Kollegen respektierten, was er sagte, weil er sie auch in Ruhe ließ und die Arbeit umorganisierte, wenn sie irgendwann durchhingen. Eines Montagmorgens aber, nachdem die Fußballergebnisse vom Sonntag ausgewertet waren und Ziegenbach im Umkleideraum schnarchte, sagte Klotzer nicht wie sonst, daß wir Ziegenbach zu sich kommen lassen sollten, sondern unvermittelt plötzlich - und wer ihn kannte, ahnte, daß er das bestimmt
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nicht von sich aus tat, sondern von der Leitung eins draufgekriegt hatte - sagte Klotzer also: »Ich kann das einfach nicht mehr mit ansehen, in welch erbarmungswürdigem Zustand Ziegenbach herumläuft. Es ist unsere Pflicht als Kollegen und Menschen, etwas zu unternehmen!« »Schick ihn zum Arzt oder zum Psychiater«, sagte Mommser. »Wozu haben wir diese ganzen Experten? Die werden ihn schon wieder auf die Beine stellen.« Aber davon wollte Klotzer nichts wissen. »Nein«, sagte er, »das ist eine Sache, um die sich das Kollektiv kümmern muß!« Als er Kollektiv sagte, erbleichte unser Kollege Grubental. Grubental war, wenn er nicht gerade getrunken hatte, ein ruhiger, zuverlässiger, leidenschaftsloser Kollege, der sich darum vielleicht am besten von uns allen als Kollektiv eignete, wenn es mal in Erscheinung treten mußte. Ob es um die Erfüllung des Kulturplanes oder um volkswirtschaftliche Masseninitiative oder um die Patenarbeit ging - Grubental saß die längsten Opern für uns ab, pflanzte Bäume an den Wochenenden und grüßte am Kindertag die Klasse 4 b von uns. Nur glaubte er nie so recht an seine Kraft, und darum fragte er jedesmal, wenn Klotzer ihn als Kollektiv einsetzen wollte: »Wieso gerade ich?« Kurz: Grubental wollte immer erst überzeugt werden, und so war es auch im Fall Ziegenbach. »Wieso gerade ich?« fragte Grubental, und Klotzer antwortete: »Weil wir dir vertrauen! Also sprich mal mit Ziegenbach ein Wort von Mann zu Mann. Am besten, du gehst mit ihm ein Bier trinken.« - »Warum?« fragte Grubental weiter. »Er säuft doch sowieso schon wie ein Loch!« - »Eben!« sagte Klotzer, »sonst brauchten wir uns ja nicht mit ihm zu beschäftigen, oder? Aber du kannst ihn nicht einfach aus seinen Gewohnheiten herausreißen und auf dem Trocknen mit ihm reden, denn dann kriegst du kein Wort aus ihm raus. Man muß mit Fingerspitzengefühl auf ihn eingehen, und das kannst nur du! Außerdem verträgst dune Menge.« Nun war Grubental überzeugt, und nach Feierabend ging er mit Ziegenbach in den »Kabelschuh«, was eine Kneipe gleich neben dem Betrieb ist, wo an der Theke schon oft Betriebspro.
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bleme gelöst wurden. Es leuchtet ein, daß es Grubental nicht gleich gelang, Ziegenbach aufzureißen und umzukrempeln, denn dieser Mensch war ja unerhört kompliziert. Und als Ziegenbach dann allmählich aufzutauen anfing und von sich redete und die Sache interessant zu werden versprach, war Grubental schon hinüber, obwohl er eine Menge vertrug, aber eben nicht so viel, um sich mit Ziegenbach messen zu können. Deshalb wußte Grubental am anderen Tag überhaupt nicht, was Ziegenbach ihm anvertraut hatte, und folglich konnte er auch nicht sagen, wo man ansetzen mußte, um Ziegenbach zu retten, so daß Klotzer genauso schlau wie vorher war. Da meinte Klotzer, es hätte wahrscheinlich nicht viel Sinn, wenn Grubental noch einmal mit Ziegenbach in den »Kabelschuh« ginge, weil das nicht dessen Stammkneipe sei und es da zu lange dauerte, bis er warm würde und aus sich herausginge. Besser wäre sicher, mit ihm in den »Zuber« zu gehen, wo sich Ziegenbach heimisch fühlte und zu reden anfinge, bevor Grubental wieder hinüber wäre. Grubental fragte Ziegenbach also, ob er ihn mit in den »Zuber« nähme, und Ziegenbach nahm ihn mit und stellte ihn dem Wirt dort als seinen besten Freund vor, so daß gleich alle du zu Grubental sagten und ihn in ihrer Mitte aufnahmen. Aber das war nun auch wieder nicht gut für die Sache, indem Grubental im »Zuber« eine Menge neue Leute mit furchtbar ernsten Problemen kennenlernte und dadurch von Ziegenbach stark abgelenkt wurde. Ich weiß nun nicht im einzelnen, wie es mit Grubental weiterging, denn ich wurde ziemlich schlimm krank und mußte ins Krankenhaus, wo ich natürlich nicht erfuhr, was passierte, denn die Brigade hatte ja ein paar andere Sorgen, als mich zu besuchen, aber eines Montagmorgens war ich wieder im Betrieb und platzte genau in die Auswertung der Fußballergebnisse vom Sonntag hinein. Und danach sagte Klotzer plötzlich zusammenhanglos - und da sprach wieder die Leitung aus ihm: »Ich kann das nicht mehr mit ansehen, in welch erbarmungswürdigem Zustand Grubental und Ziegenbach rumlaufen! Es ist unsere Pflicht als Kollegen und Menschen, etwas zu unternehmen!« Und um das Verfahren abzukürzen, fügte er diesmal gleich hinzu: »Das ist eine Sache, um die sich das Kollektiv kümmern muß!« »Konkret: Meinst du mich?« fragte unser Kollege Mommser, der nach Grubental unser bester Mann mit einem ganz klaren Verstand war, wenn er nicht gerade was getrunken hatte, aber
Wa s de s Vo 1k e s Hä nd e s c ha ff e _n
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er hatte nicht, und so dachte er sich sofort, daß Klotzer keinen anderen als ihn gemeint hatte, als er vom Kollektiv sprach, denn Grubental schnarchte mit Ziegenbach im Umkleideraum und konnte diesmal also nicht derjenige sein, welcher. Bei •• Mommser brauchte Klotzer keine langen Uberzeugungsreden zu halten, denn Mommser fragte nie »Warum gerade ich?, sein klarer Verstand sagte ihm, daß es auf solche Fragen immer eine Antwort gibt, gegen die man nichts machen kann. Kurz vor Feierabend fragte Mommser Grubental, ob er ihn mit in den »Zuber« nähme, und Grubental fragte Ziegenbach, ob er Mommser mitbringen dürfte, aber Ziegenbach wollte erst nicht, weil er schlechte Erfahrungen mit Mommser gemacht hatte, der immer von seiner Frau gesucht wurde, wenn er nicht pünktlich im Bett lag. Diese Frau hatte einen unheimlichen Riecher, wo ihr Gatte zu finden war, und die erschien wie der Erzengel Gabriel mit dem Schwert plötzlich in der Tür, so daß Ziegenbach einmal mächtig eine mit übergezogen bekommen hatte, bloß weil er mit Mommser am selben Tisch saß. So was merkte sich Ziegenbach, obwohl er sonst ziemlich vergeßlich war, doch als Mommser sagte, im »Zuber« würde ihn seine Frau bestimmt nicht finden, weil das überhaupt nicht seine Gegend wäre, wollte Ziegenbach nicht unkollegial sein, und er ließ Mommser mitgehen. So erschien Mommser im »Zuber«, und weil Grubental ihn dem Wirt dort als seinen besten Freund vorstellte, sagten gleich alle du zu Mommser und nahmen ihn in ihrer Mitte auf. Ich denke, daß Mommser erst einmal versucht haben wird, an Grubental heranzukommen, denn Grubental war kein so komplizierter Mensch wie Ziegenbach und brauchte nicht erst große innere Kämpfe mit sich selbst auszutragen, wenn er eine Flasche sah. Grubental nahm sie und trank sie leer, und damit war •• der Fall für ihn ausgestanden. Uber Grubental hätte Mommser dann irgendwann leicht an Ziegenbach herankommen können, aber aus irgendeinem Grunde lief die Sache nicht so, wie Mommser sich das ausgedacht hatte, vielleicht, weil sein klarer Verstand bloß funktionierte, wenn er nüchtern war, und das war er ja nicht, wenn er eine Weile im »Zuber« saß, und außerdem wurde Mommser gegen Mitternacht jedesmal richtig gelähmt von der Angst, weil er dachte, seine Frau findet ihn vielleicht doch. So blieb er bloß sitzen, weil ihm seine vielen neuen Freunde Mut zusprachen, aber an eine Uberzeugungsarbeit an Grubental und Ziegenbach war unter solchen Umständen natürlich nicht zu denken. ••
>>Wenn der Zulieferer nicht spurt, müssen wir eben auf eigene Reserven zurückgreifen.<<
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Nun kann ich nicht genau sagen, wie es im einzelnen weiterging, denn ich mußte die Arbeit für eine Weile unterbrechen, weil ich ein Kind bekam, und in der Zeit hörte ich natürlich nichts von der Brigade, die ja andere Sorgen hatte, als sich um eine Frau zu kümmern, die niederkam, weil das ein ganz alter natürlicher Vorgang ist, bei dem keine besonderen seelischen Konflikte oder Probleme auftreten wie zum Beispiel bei Ziegenbach. Aber eines Montagmorgens war ich wieder im Betrieb, und nachdem ich eine halbe Stunde auf Klotzer gewartet und schon angefangen hatte, mich zu wundem, warum keine Fußballauswertung stattfand, kam er mit gesenktem, unsicherem Blick und hängenden Schultern hereingeschlurft. Ich bekam einen Schreck, als ich ihn sah. »Gut, daß du wieder da bist«, sagte er mit krächzender Stimme und hustete lange. »Mal 'ne Frage: Traust du dir zu, inne Kneipe zu gehen?« - »Ich? Als Frau? Allein? Niemals!« sagte ich entsetzt. - »Du wirst nicht allein sein«, krächzte er weiter, »sondern nur die letzte von uns, die noch fehlt im >ZuberZuber< gelandet?« welch erbarmungswürdigen Zustand hier - »Wenn es um den Menschen geht, bin alle Menschen und Kollegen rumlaufen. ich dabei«, sagte er düster. - »Und was soll ich da?« erkundigte ich mich. - »Ich kann nicht mehr mit ansehen«, erläuterte er mir, »in welch erbarmungswürdigem Zustand wir alle als Menschen und Kollegen rumlaufen. Das ist eine Sache, um die sich das Kollektiv kümmern muß. Also - kommst du?« Und da habe ich versagt. »Nein«, wand ich mich, »nein, Klotzer, sei mir nicht böse, aber du mußt verstehen ... und mein Baby« - und was man so stottert, wenn man sich drücken will. »Gut, vergiß es!« winkte er in tiefer Verzweiflung ab und ging mit schweren, unsicheren Schritten auf den Umkleideraum zu. Ich wußte, was er jetzt dachte: Da haben wir sie nun gleichberechtigt in die Brigade aufgenommen, und sie durfte alles mit uns teilen, und jetzt läßt sie uns im Stich! Er schickte mir einen langen Blick aus seinen tiefen, dunklen Augenhöhlen zu, bevor er die Tür zum Umkleideraum hinter sich schloß. Ich stand wie versteinert und schämte mich, und ich weiß nicht, wie lange ich so stand, aber dann drang lauter und immer lauter sein Schnarchen wie ein letzter Gruß zu mir heraus. Ich ging, mit Tränen in den Augen. Oh, nein - wir sind noch lange nicht gleichberechtigt! Wir haben noch viel an uns zu arbeiten
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Kürzlich trafen sich in der Klause zu N. Autoren der Spannungsliteratur (Abt. K) mit berufstätigen Lesern (Lektoren usw.) bei freundschaftlichen Getränken, herzlicher Mahlzeit und allseitiger Atmosphäre. Die Tagung trug den Arbeitstitel: »Die Tat, die Täterpersönlichkeit - und was sollen unsere Täter für Täter sein?« Unter den zwölf Anwesenden befanden sich rund elf Pseudonyme; es wurden allgemein interessierende erste Fragen diskutiert. Nachdem der junge Autor Sherlock H. Watson (Künstlername) »Hochverehrter Verlag, geschätzte erfolgreiche Kollegen, Genosse Ministerium!« gesagt hatte, ergriff er das Wort und bemerkte, daß nicht nur Kapitalverbrecher, sondern auch der volltrunkene Mopedfahrer, welcher den Rentner Meier gewaltsam angefahren habe, unser Menschenantlitz verzerre und demzufolge hier und heute nicht in die Drucklandschaft passe. Nicht mal geheftet! Sodann las Sherlock H. Watson aus dem Expose »Freitagnacht«, dem, wie er launig ausführte, bald die Idee folgen solle. Die Exposition war denkbar einfach: Im Werk X werden während der Nachtschicht die Lohngelder der Brigade Y gestohlen. Das Geld steckt in einem Behelfstresor, einer besseren Blechkiste, jedoch verschlossen. An dieser frühen Stelle machte sich eine bekannte Autorin, die unter Tim Tanker zu veröffentlichen pflegt, bemerkbar: Nächtlicher Einbruch und räuberischer Diebstahl von volkseigenem Bargeld- es sei ja noch nicht ausgezahlt und also nicht in Privathand! -, das wäre doch wohl recht gewagt, nicht wahr! Meinte die Tankerin. »Nee, Einbruch ist nicht drin«, entgegnete der Jungautor. »Denn die Tresorkiste befindet sich nicht - wie man denken könnte im Lohnbüro, sondern, mal was andres, im kombinierten Umkleide- und Frühstücksraum der Brigade. Also bloß Diebstahl!« »Brigademitglied Emil! Eine fast ideale Täterpersönlichkeit. Geizig (Emil trinkt bei Brigadefeiern ab der sechsten Lage nicht mehr mit), kontaktarm, Klein-Emil war im Alter von vier Jahren mal achtzehn Monate Heimkind und später dann Briefmarkensammler - aber unorganisiert! -, Emil ist viennal geschieden ... « »Also, viermal geschieden ist zu negativ. Wie steht die Brigade mit so einem Kollegen da?« warf Lektor Maler ins Expose (Maler schreibt seine Krimis beim Fremdverlag unter Leonardo da Rubensky).
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»Also gut, dann werde ich mehr die positive Seite rausstellen: Emil ist nicht nur viermal geschieden, er hat auch viermal geheiratet. Momentan steht er vor der fünften Eheschließung! « »Und wie geht er zu Werke?« erkundigte sich Tim Tanker. »Mit Brechstange und Meißel. « - »Eigenes Werkzeug, oder?« »Ich dachte an Betriebswerkzeug, das Emil klammheimlich ... « »Das wird ja immer schöner!« versetzte Leonardo da Rubensky nicht ohne Schärfe. »Erst wird Werkzeug geklaut, und mit dem geklauten Werkzeug wird dann auch noch das Geld ... Also, Werkzeug wird mir nicht geklaut! « »Schon geändert«, parierte Sherlock H. Watson beflissen. »Der Schlüssel steckt im Blechtresor! « »Steckender Schlüssel - ist das typisch?« »Das nicht, aber ich dachte, wegen des Werkzeugs ... « »Und wer hat den Schlüssel fahrlässig steckenlassen?« fragte Fred Feuertag (Autorenname echt, allerdings noch unveröffentlieht). »Hab's schon: die Lohnbuchhalterin Elise! Persönlich gesehn ist sie eine gute Fachkraft, drei Kinder, DFD, FDGB, DTSB, steckt mitten in der Qualifizierung, ist etwas schußlig ... « »Frauenqualifizierung führt also zu vorschubleistender Unaufmerksamkeit?« ließ spitz die Tankerin fallen. »Gut, dann ist sie eben unqualifiziert. « »Unsere Lohnbuchhalterinnen sind nicht unqualifiziert!« empörte sich Fred Feuertag für alle. »Und überhaupt: immer die Frauen!« »Dann ein Buchhalter.« An dieser Steile wurde Meier-Münzmann, Vielfachautor einer bekannten Heftreihe mit dem Doppelpseudonym Raskol-Nikow, munter. »Unsere mittleren kaufmännischen Kader, die kriegen immer was ab. Traun sich wohl nicht höher ran, was, junger Freund?« »Soll ich etwa den Direktor - oder gar die Intelligenz?« »Nee, bloß nicht. Aber wieso eigentlich immer Angestellte?« »Na, Arbeiter ist doch schon der Emil. Einer reicht, finde ich.« »Einer - also, da ist schon einer zuviel!« tönte es aus RaskolNikow. »Ja, wenn er wenigstens noch reihenweise Westkrimis sähe, notfalls im DDR-Fernsehen! Schlage vor: Schuld ist die EDV Bei der EDV klappt's doch öfter mal nicht.« »Also gut«, räumte S. H. Watson ein. »EDV läßt den Schlüssel stecken. « Doch auch nach diesem beinahe genialen dramatur0
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)) Was brauche ich Theorien? Ich trage die künstlerischen Maßstäbe in mir. <<
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gischen Hieb fanden Tim Tanker, Leonardo da Rubensky, Fred Feuertag und Raskol-Nikow noch immer kleine Macken im Expose. »Weshalb sollen überhaupt Lohngelder im Blechtresor sein?« Der Autor machte flugs Prämien draus. »Prämien sind ja noch schlimmer!« - »Dann eben Lose der Tierparklotterie.« »Mensch, Nieten klaut doch keiner!« - »Gut, nehme ich den BKV Es heißt doch immer: Der Betriebskolletivvertrag ist abgeschlossen - und bei mir steckt der Schlüsse!!« »Und, was soll Emil mit dem BKV? Den hat er doch längst!« »Na prima, dann schließt er auf und legt ihn rein!« »Reinlegen, was soll denn daran kriminell sein und ermittelt werden?« Der Autor bat um Gehör und faßte das Erarbeitete zusammen: »Emil macht sich klammheimlich, ohne Brechstange, Meißel und anderes Werkzeug, an die Tresorschachtel, deren Schlüssel weder Buchhalterin Elise noch ein Buchhalter Also, so geht es nicht. Haue ist noch die EDV fahrlässig hat stecken lassen. Emil keine Erziehungsmaßnahme. entwendet keine Lohngelder, keine Prämien oder Lose, legt auch den BK.V nicht rein; ganz einfach deswegen, weil Emil nicht weiß, daß überhaupt und wenn ja, was drin ist im Tresor, und plötzlich, plötzlich .. . « »Stop mal!« ruft Raskol-Nikow. »Unsere Werktätigen sind doof, was?« - »Na ja, der Emil vielleicht. Darf ich weiter?« »Weiter!« »Plötzlich fühlt Emil sich beobachtet, erschrickt und türmt. Aus dem Frühstücksraum übern nächtlichen Werkshof aufs nahe Bahngelände, der D 119 donnert heran - eine bildschöne Szene! Emil auf dem Schienenstrang, ihm nach die Brigade, packt Emil, ringt um Emil, reißt den Kumpel im letzten Augenblick vom Schotter! Darauf bekommt Emil die Kraft des Kollektivs zu spüren, kriegt Prügel, weil er Freitagnacht den Arbeitsplatz verlassen hat!« - »Also, so geht's nicht! Haue ist keine Erziehungsmaßnahme. Wenn Emil nun kündigt ... « »Gut, Emil, der Freitagnacht nicht geklaut hat, weil es nichts zu klauen gegeben hat, wird Freitagnacht vom Kollektiv zu einer Aussprache gebeten. Sein Verhalten wird ihm vorgehalten.« - »Sehr gut!« ruft Leonardo da Rubensky. »Prima!« jauchzt Fred Feuertag. »Hier steckt ein gutes Stück Prophylaxe drin«, meint Tim Tanker. Und Raskol-Nikow fragt ergriffen: »Aber was wollte Emil Freitagnacht überhaupt klammheimlich an dem leeren Kasten?« - »Nachsehen, ob der Schlüssel steckt«, sagt Sherlock H. Watson.
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Heinz Winkler
Der »Tag der Mitarbeiter des Zerstäubungs- und Verfeinerungswesens« stand wieder bevor und damit die Verleihung der »Johann-Gottfried-Hämmerlin-Medaille«, erinnernd an den historischen Wegbereiter der sepsoimmanenten Gleichzeitigkeit multikorporaler Vibrationsprozesse. Die Verleihung der Medaille war verbunden mit einer größeren, nicht genannt sein wollenden Geldsumme, und sie erfreute sich deshalb großer Beliebtheit, aber wem sage ich das, nicht wahr? Was Wunder, daß in den Busen tüchtiger Mitarbeiter obengenannten Wesens heimliche Hoffnungen keimten. Die zuständigen Leiter waren wie immer in der unbehaglichen Lage, sich selbst nicht vorschlaG gen zu können. Genosse Oster0 meier, Leiter eines einschlägigen Zweigbetriebes, fluchte. Zum Glück kam ihm das Schicksal zu Hilfe. Natürlich nicht das Schicksal persönlich, sondern seine Exekutive, die Bezirksdirektion für Zerstäubungs- und Verfeinerungswesen ZuVW, und zwar in Gestalt des operativen Mitarbeiters Bleischmied. Seine umfassende Kenntnis der Verleihtheorie prädestinierte ihn, dem Genossen Ostermeier sozusagen vorzuführen, wie man qualifiziert einreicht. »Leg mir mal deine Vorstellungen dar«, forderte er Ostermeier auf, durch übereinandergeschlagene Beine und gekreuzte Arme seine überlegene Position andeutend. »Ich hatte an den Kollegen Huber gedacht, Meister an der Kaltzerstäubungslinie. Er ist seit Jahren ... «- »Gestorben, der Vorschlag!« unterbrach ihn Bleischmied. »Wir können doch nicht immerzu Meister auszeichnen. Einfache Leute brauchen wir, verstehst du, schlichte Werktätige!« - »Auch gut. Dann bringe ich den Grobverfeinerer Sauberlot in Vorschlag. Er ist dreifacher Aktivist, arbeitet seit zweiundzwanzig Jahren bei uns. Mindestens acht Jahre ist er schon aktiv in der BGL. In der Par-
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»Findest du nicht auch, daß er als Gütekontrolleur zu hart rangeht?<<
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Was des Volkes Hände schaffen
teigruppe Grobverfeinerung macht er den stellvertretenden Gruppenorganisator.« »Sag mal«, fragte Bleischmied mit operativ-mürrisch gerunzelter Stirn, »willst du dir vorwerfen lassen, Genossen und BGLMitglieder schanzten sich die Auszeichnungen gegenseitig zu?« Ostermeier bekämpfte eine aufkommende Verdatterung, wobei ihm die Überlegung dienlich war, daß ihm dieser Heini von der Bezirksdirektion im Grunde genommen gar nichts zu sagen habe. Raten konnte er ihm im besten Falle, raten! Deshalb entgegnete er furchtlos: »Du mußt doch wissen, was du willst! Einfache Werktätige verlangst du. Sauberlot ist ein einfacher Werktätiger und aktiv wie eine Ameise. Und wer bei uns aktiv ist, den wählen seine Genossen und Kollegen in Funktionen, verstehst du? Damit soll er aus dem Kreis der Auszeichnungsverdächtigen ausscheiden? Bist du noch zu retten?« Er bedauerte, in Gegenwart Bleischmieds nicht einen Beruhigungsschluck aus der Kornflasche nehmen zu können, die unter günstigen Zugriffbedingungen im linken Schreibtischfach ruhte. Bleischmied, der Clevere, ignorierte OsterDer Schlüssel besagt, daß eine Person meiers Kampfstimmung und fragte munter: weiblichen Geschlechts, jugendlich, par»Frauen habt ihr wohl nicht? Und Jugendteilos, zu berücksichtigen ist. liche auch nicht? Wer ist denn die freundliche Kleine in deinem Vorzimmer? Ist doch eine Klischeevorstellung, es müßten immer langjährige Mitarbeiter sein. Hast du keinen Mut?« »Meinst du das ernst?« staunte Ostermeier. »Die Kleine da draußen? Die hat doch erst vor vier Monaten bei uns angefangen. Freilich ist sie freundlich, aber auch tranig. Da müssen wir noch viel entwickeln.« - »Siehst du«, Bleischmied nickte sich selbst Bestätigung zu, »dir fehlt der Mut. Willst du einen Vorschlag machen, der alle Aussichten hat, durchzukommen? Na also. Gewisse Vorentscheidungen sind nämlich schon gefallen. Leute in leitenden Funktionen, die die Medaille verdient haben, gibt es in der Bezirksdirektion zur Genüge, die brauchst du uns nicht zu bringen. Natürlich gibt es einen Auszeichnungsschlüssel, der die Gewähr für eine gerechte Streuung unter allen Schichten und Gruppen unserer Werktätigen bietet. Und dieser Schlüssel besagt, daß noch eine Person weiblichen Geschlechts, jugendlich und parteilos, zu berücksichtigen ist. Schlag die Kleine vor, Mann, dann ist eurem Betrieb sein Anteil sicher. Und dem Genossen Sauberlot ist mit einem Anerkennungsschreiben von dir sicherlich mehr gedient als mit einer Ablehnung durch die Bezirksdirektion!«
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Johannes Conrad
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Jahrelang ging das so: »Warum haben wir kein Auto, Karl? Warum haben wir kein Grundstück? Man muß sich ja schämen!« Aber Karl Schwertfeger schämte sich nicht. »Wir haben was auf dem Konto für Notfälle und für unsere alten Tage, Klara! « rief er. »Hauptsache, daß wir gesund sind!« »Die anderen sind auch gesund und haben dazu ein göttliches Wochenende!« sprach Klara Schwertfeger dann, und Karl antwortete mit stolzem Blick: »Ich bin für eine saubere Welt. Ich liebe die Bäume. Nun guck dir doch mal unsere braven Großstadtstrünke an. Die kriegen ja schon im August gelbe Blätter von den Auspuffgasen. Ich bin ein moralischer Mensch und puste keine blöden Gase in die Welt. Ich beteilige mich nicht an solchen verbrecherischen Aktionen als Naturist das der Preis der Zivilisation? freund!« Ein Gartenzwergeldorado ! »Aber ich will nicht immer in den Friedrichshain und zum Pergamonaltar und auf den Müggelturm und an die Woltersdorfer Schleuse. Ich will auch mal im Wagen raus und Selbstgegrilltes auf eigenem Grund und Boden schlekkern! « rief sie. Und er sagte: »Die Dame möchte also einen Sommersitz, ohe! Bin ich Ludwig XN.? Und an unsere Hängegeranien denkst du wohl überhaupt nicht? Sind Balkonblumen ein Dreck?« »Ich möchte aber Schoten haben«, entgegnete sie, »junge Schötchen und Wicken und einen Stachelbeerstrauch, den ich eigenhändig abernten kann, und Kirschbäume auch und Eierpflaumen, wie sie Tante Else im Garten hat, gelbe Eierpflaumen, damit man etwas vom Leben hat wie Ellerdanks und Hübners, nicht immer bloß die olle Stadt, wo einem sonntags der Himmel auf den Kopf fällt. Man muß sich ja schämen als Naturfreundin!« Dann bekam Karl Schwertfeger einen bitteren Zug um den Mund und sprach: »Ich brauche keine blöde Datsche! Ich brauche auch kein blödes Auto. Ich mache diese Umweltverschandelung nicht mit. Soll unsere schöne Natur immer mehr vollgepumpt werden mit Autos und Datschen? Nein, ich will eine luftige Welt. Guck dir doch die Umgebung Berlins an. Das ist oft keine Landschaft mehr, sondern eine rechteckige Natur! Reihe die Zementfundamente, auf denen die verdammten Datschen stehen, aneinander, Klara, und du hast eine Autobahn bis
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nach Australien. Die schöne Erde, alles zugekleistert. Wie verstopfte Poren! « »Du mit deinen Poren! « rief sie dann böse, und er fragte anklagend: »Sollen unsere Kinder mal gar keinen echten Wald mehr kennenlernen, wo der Pfifferling fröhlich schießt und die Wildschweine grunzen? Soll da immer und überall das Dach einer Datsche oder eines Automobils aus dem Grün grinsen und unserem Naturempfinden Ohrfeigen versetzen? Soll es das?« »Du mit deinem Naturempfinden!« rief Klara Schwertfeger. »Bei den anderen plumpsen die reifen Butterbirnen ins eigene Gras, andere waten sonntagmorgens durch den Tau und saugen den Duft selbstgepflanzter Heckenrosen ein, wir aber versauern zwischen den blattlosen Steinen. Naturempfinder, du! « »Andere«, rief er, »immer andere! Ich bin aber ich und du bist du, wir sind keine anderen! « »Doch«, sagte sie, »doch, ich möchte auch eine andere sein. Es ist doch noch so viel G.egend frei! « Dann lachte er höhnisch auf und rief: »Ich sehe unsere DDR schon als Datschensiedlung vor mir. Auf dem Müggelsee schwimmende Datschen. In den Müggelbergen Datschen wie Hexenhäuser. Von Kap Arkana bis Meiningen ein Meer von kleinen, eckigen Seelentröstern auf Eigentumsbasis! Ein Gartenzwergeldorado! Und wo noch Wald steht, da glotzen parkende Autos, da winden sich Lehrpfade und Holzzäune, da lauern Bänke und Abfallbehälter und Verbotstafeln und erinnern einen dauernd daran, daß die eigentliche Natur nur noch aus Vorstadt besteht, o verflucht! Ist das der Preis der Zivilisation? Oben brummen die Düsenflugzeuge, kein Kornfeld ohne Parkplatz, aus dem Grünen hohnlachen die Datschen, und unsere Seelen magern furchtbar ab dabei. Aber schon das Bewußtsein, daß es noch tiefe Blaubeerwälder voller Pilze und Stille gibt, wo jeden Augenblick das Einhorn auf die Lichtung treten kann, und daß einsame, saftige Wiesen existieren, wo Klapperstörche rumstolzieren und
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»Den Garten haben wir; damit sich die Kinder hier mal so richtig austoben können. <<
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fette Frösche fangen, wo wilde Orchideen blühen und der Kukkuck ruft, läßt mich aufatmen. Das macht mein Herz rund und dick und voll, jawohl, Klara! Und du willst eine Datsche draufstellen! « - »Jawohl, das will ich!« sagte sie. Und so stritten sie sich. Und am Wochenende fuhren sie ins Grüne hinaus, in übervollen Bussen bis in übervolle Strandbäder. Oder sie wanderten nach langer S-Bahnfahrt schwitzend durch bunte Datschensiedlungen, wo rotgebrannte, dickbäuchige Männer in Turnhosen zufrieden schmiedeeiserne Gartentore anpinselten oder ihren Wagen wuschen, wo der Herren Ehefrauen im Bikini stolz den Rasen mähten, wo ein Häuschen das andere übertrumpfen wollte und die Garagen manchmal größer als die Häuschen waren. Da standen blaue Sonnenschirme und gelbe Liegestühle, und alles war gefegt und poliert und verschnitten und zementiert. Und Klara Schwertfeger putzte sich verbittert den Schweiß von •• der Stirn, indes die goldenen Apfel aus dem Laub leuchteten . »Wohl dem, der solche Apfel hat!« sagte sie dann manchmal, •• und Karl antwortete kleinlaut: »Apfel können wir auch im Konsum kaufen!« Und dann dachte er noch kleinlauter: »Warum die Weiber immer so bohren müssen? Wenn's keine Frauen gäbe, würde es vielleicht auch keine Datschen geben. Dann wäre hier noch glücklicher Urwald oder ein mannshoher Weizenschlag!« Doch oft betrachtete er voller Neid jene dickbäuchigen Männer, wenn sie die Bierflasche ansetzten und als freie Männer auf freiem Grund voller Behagen das Bier in sich hineingluckern ließen. Und manche hielten gerade mit ihrem eigenen Wagen vor ihrem eigenen Grundstück, stiegen gutgelaut aus und trugen volle Netze und Taschen ins eigene Häuschen. »Na, diese Rüben werden bald ein herrliches Mittagessen mit selbstgeernteter Petersilie im Freien in sich hineinschlingen! « sagte seine Frau neidisch, und er rief in gemachter Fröhlichkeit: »Olle Egozentriker, die! Wir machen dafür schön Rast in der >Mönchsklause< und brauchen uns das Mittagessen nicht selber zu basteln, was?« Und dann machten sie schön Rast in der »Mönchsklause«, einer düsteren, grauenvoll tapezierten HO-Kneipe, wo das Bier warm war und die Kellnerin müde und die Kartoffeln wäßrig. »Na, siehst du!« sagte er, und sie murmelte: »}a, ich sehe!« Da rief er manchmal aufgebracht: »Aber wenn's keine Datschen und keine Autos gäbe, dann würdest du schon sehen, meine Liebe, daß die Leute dann dafür kämpfen würden, daß es schönere Ausflugslokale gibt und mehr Busse rausfahren. « ••
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»Es gibt aber nun mal Datschen und Autos, mein Lieber!« sagte sie patzig. Und so kämpften sie jahrelang miteinander, der Naturfreund Schwertfeger und die Naturfreundin Schwertfeger, wobei er, wenn der Sommer anbrach, immer kleinlauter wurde und sie immer angriffslustiger. Und eines schönen Augustsonntags im vergangenen Jahr, als sie wieder mal so im Bus stöhnten, schweiß überströmt, stehend, matt und der Natur entgegendürstend, sagte Karl Schwertfeger laut in den übervollen, dampfenden Bus hinein: »Scheiße!« Und da nickten alle mitschwitzenden Bürgerinnen und Bürger verständnisvoll, und Klara Schwertfeger wußte plötzlich, daß sie gesiegt hatte. Und nun besucht Karl Schwertfeger schon seit drei Monaten die Fahrschule, zu der ihn seine Frau schon vor Jahren heimlich angemeldet hat. Und einen Gebrauchtwagen haben sie in Aussicht. Und ein Grundstück haben sie auch. In der Gegend von Hoppegarten, 1000 Quadratmeter groß. Da war noch eine Lücke frei zwischen den vielen putzigen Häuschen, und die Kusine einer Tante der Schwester des Freundes von Bekannten eines Bruders der Frau seines Arbeitskollegen Hahnemann hatte den Kauf in die Wege geleitet Nun füllen Schwertfegers diese Lücke aus. Das Häuschen ist bestellt. Am Fundament arbeitet Schwertfeger schon in Turnhosen wie ein rotgebrannter Berserker. Seine Frau gräbt inzwischen im Bikini die Blumenwiese um, denn da soll Zierrasen hin. Außerdem will Schwertfeger drei Edeltannen setzen und eine riesige Betonterrasse anlegen. Zwei Wagenräder hat er auch schon als künftigen künstlerisch rustikalen Wandschmuck liegen. Und die Hauptsache trifft bald ein: ein großer, hoher, stabiler Stahlzaun! Nun sind die Naturfreunde Schwertfeger glücklich und streiten sich nur noch um Propangas und Wasserleitungen und Rasenmäher und Sickergruben und die künftige Garage und ähnliche seligmachende Naturgewächse. Wie sagte doch Frau Klara Schwertfeger neulich: »Man muß sich ja schämen, Karl, wenn die Zufahrt nicht auch zementiert ist!« Und da entfloh ein kleines, stilles Einhorn aus der Brust des Naturfreundes Karl Schwertfeger, weil dieser sofort wieder auf Zementjagd gehen mußte, denn was bei so einem eigenen Grundstück an Zement draufgeht, das geht auf keine Kuhhaut. Aber dafür sieht's nachher auch wie geleckt aus!
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Jochen Petersdorf
PatorHostor iH Das ist 'ne echte Doppelfetze, Fäns. Ich meine, Paternoster schockte ja schon immer. Selbst in der Fernsehsendung »Rums«, wo die Gruppe einen etwas weicheren Draht zuppelte, war sie der große Hammer. Aber in freier Wildbahn, in unseren schönen Städten und Gemeinden - also, wenn da die Jungs um Ringo Rutsche, dem Mann mit dem Nasenglöckchen, ihrem Affen Zucker geben, da gehts runder als rund, und da ist nichts mit Ei känn Bucki. No Söhr, da ist Hartrock die Stufe eins der Rakete, und danach wirds dann ganz langsam heiß. Die Jungs können aber auch soft - ganz soft. Wie's gewünscht wird. Soviel zu Paternoster. Ach, halt. Das vielleicht noch: Anfangs hatten sowohl weltliche als auch kirchliche Kreise leichte Bedenken hinsichtlich des Namens der Band. Da wechselte Ringo Rutsche, der Chef, berufsmäßig vom Fleischkombinat zum VEB Aufzugbau - und nun ist Disko ist gut, aber ab und zu mal 'ne der Name abgesichert. Also, soviel zu Paterechte, lebendige Truppe auf der Bühne, noster. Nun zu Bottelkow. das ist besser. Wird nicht jeder kennen. Mit Ausnahme des Ministerrats. Der schickte nämlich auch dorthin einen Durchschlag seines Beschlusses zum Thema Jugendtanz. Der Bürgermeister von Bottelkow las den Beschluß und schloß daraus, daß der jährliche Feuerwehrball im »Bottelkower Krug« beim Ministerrat entweder nicht registriert oder als schlappe Leistung verbucht wird. Seit dem Tage gabs im »Bottelkower Krug« Disko. Jeden ersten Mittwoch im Monat. Das war immer ein günstiger Tag. Da waren die Tischdecken schon abgenommen, weil Donnerstag immer das Wäschereiauto aus der Kreisstadt kam, und frische Decken waren noch nicht da, weil sie das Wäschereiauto ja erst Donnerstag brachte. Da waren die Tische und Stühle schon übereinandergestellt, weil donnerstags der Saal gefegt wurde, und somit hatte das junge Volk eine schöne große Fläche zum Schubbern, und da sägte Rumpels Anton immer Holz, was allerhand Kraftstrom fraß, so daß die Verstärkerboxen der Disko-Anlage nicht den vollen Saft bekamen und die Jugend zwar ihren Schwof, aber die Gemeinde ihre Ruhe hatte. Außerdem gabs keine Cola und somit keine klebrigen Flecke, und weil für vier Fäns jeweils nur
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ein Bierglas rausgerückt wurde, achtete jeder drauf, daß keiner einen Tropfen verschüttete, der den anderen vielleicht an der Stimmung fehlen könnte. Natürlich brachten einige Fäns auch immer ein paar Granaten mit. Und weil es ja im Falle einer zufällig des Weges kommenden Kontrolle ganz schön blöd aussieht, wenn Atze Boofke mit ner Pulle Korn in der Faust angetroffen wird, bekam er mit seinen Kumpels einen Tisch, unter dem man notfalls alles verschwinden lassen konnte. Auch der Wirt macht sich strafbar, und ein popliger Jugendtanz lohnt dieses Risiko ja nun wahrlich nicht. So lief alles bestens. Die Diskotheker kamen und gingen. Sie spielten, was sie auf Platte und Band oder in der Hinterhand hatten, und der Bürgermeister war stolz, sowohl beim Ministerrat als auch bei der Jugend einen Stein im Brett zu haben. Aber die Jugend ist ja nie zufrieden. Auch in Bottelkow. Plötzlich sagten die Fäns: Disko ist gut, aber ab und zu mal 'ne echte, lebendige Truppe auf der Bühne, das ist besser. Paternoster muß her! Auch wir wolln Ringo Rutsche mal am Glöckchen kitzeln! Und der Bürgermeister dachte: Auch mich könnt ihr mal. Aber sonstwo. Doch da kam ein Brief vom Fernsehen. Ausgerechnet in Bottelkow wollten sie mal was drehen. Ubern Jugendtanz auf dem flachen Lande, und die Gruppe Paternoster sei an diesem Wochenende sowieso zum großen Binnenfischerfest im Bezirk, und da ließe sich doch ... Kurz und gut: Paternoster kam nach Bottelkow. Und die Jugend kam. Es kam mehr Jugend, als laut Statistik eigentlich vorhanden ist. Und das Fernsehen kam, und aus diesen Gründen kamen Freunde der Jugend vom Bezirk und vom Kreis, von der FDJ, von der GST, vom agrochemischen Zentrum, vom Mischfutterwerk, vom Volkseigenen Gut und von der Kooperativen Abteilung Pflanzenproduktion. Der Pfarrer kam nicht. Er hatte zwar Lust, aber Grippe. ••
In Bottelkow gings vermutlich heißer zu als hier, in der Disko beim Jugendtreff im Palast der Republik.
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Der Bürgermeister hatte nicht mit soviel Jugend, aber genau mit soviel Offiziellen gerechnet und im Vereinszimmer ein kleines Büffet arrangiert. Der Fernsehregisseur tat ihm den Gefallen und zog eine Kamera und ein Mikrofon aus dem Saal ab. Da lasen die Offiziellen nacheinander eine kleine Stegreifrede über die Entwicklung des Jugendtanzes in Bottelkow, dankten der Regierung und sich selbst für diese und jene Initiative und erhoben das Glas auf dieses und jenes und auch auf die Jugend. Diese stand im Saal und lauschte mit glühenden Augen und Ohren dem kehligen Gesang von Ringo Rutsche, der einen uralten, aber frisch aufgerauhten schottischen Choral zum morschen Dachgebälk des Bottelkower Kruges hinaufstöhnte. Am Ende schüttelte er leise den Kopf, und das Glöckchen an seiner Nase machte plim, plim, und der letzte Gitarren;~ akkord verhallte wie der Klagelaut eines sterbenden Elches im schottischen Hochmoor. Ein etwas dummes Mädchen quietschte hysterisch, die anderen - -~~~- schluchzten erschüttert, und Atze Boofke trocknete sich die Tränen mit einem Tischtuch. Es war das erste Mal, daß er beim Jugendtanz weinte, und es war das erste Mal, daß ein Tischtuch da war. In dieser Art ging das Konzert der Gruppe Paternoster dann weiter. Leider gab es Störungen. Aus dem benachbarten Vereinszimmer drangen Ziehharmonika-Klänge, und gutgeölte Kehlen forderten mehrstimmig »Laß doch der Jugend ihren Lauf«, versicherten, »Wir machen durch bis morgen früh und singen bumsvallera« und behaupteten, daß sie General und Ataman bis zum Stillen Ozean gejagt hätten, humba-tätärä. Paternoster hatte aber dann doch ein paar Watt mehr auf den Boxen und legte einige heiße Kohlen auf. So gingen das Konzert und der anschließende Tanz aus dem Stand gut über die Bühne. Das Fernsehen machte schöne Bilder und ein paar muntere Interviews, die später auch alle gesendet wurden. Mit Ausnahme eines Satzes. Da hatte nämlich ein junger Bottelkower gesagt: »Der Abend hat schwer eingefetzt. Aber sag mal: Was war'n das eigentlich für 'ne kaputte Truppe da im Nebenzimmer?« /'/~
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))Komisch, Opa findet hier immer was!((
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Ein Mann schreibt einen Brief: >>Liebe West-Oma, hab Dank für Dein Paket. Die Pistole ist gut angekommen, ich habe sie sofort im Garten vergraben, auch die Munition ... << Zwei Wochen später. >>Liebe West-Oma, so, jetzt kannst du die Tulpenzwiebeln schicken, die Stasi hat mir zweimal den ganzen Garten umgegraben ... <<
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Lothar Kusche
' ~SI Bis zum Erscheinen von Herrn Schrentz hatte Ruhe im Erholungsheim geherrscht, doch mit seiner Ankunft war die schöne Zeit vorbei. Gewiß: Wir aßen weiterhin regelmäßig, gingen spazieren, hielten Mittagsruhe und versuchten, nachts zu schlafen; aber allenthalben lauerte etwas Bedrohliches, eben in der Person von Herrn Schrentz - wie soll man das erklären? Das Merkwürde an der Sache ist, daß Herr Schrentz ein durchaus sympathischer und freundlicher Mann war, ungefähr vierzig Jahre alt. (»Hätten Sie mir das angesehen? Das sieht mir im allgemeinen keiner an.«) und von Beruf elektronischer Datenverarbeiter. Das heißt, Herr Schrentz selbst war nicht elektronisch, aber er verarbeitete Daten auf elektronische Weise. Was kümmerten uns Schrentzens Daten! Doch im Erholungsheim, kaum daß er noch die erste Suppe ausgelöffelt hatte, begann Herr Schrentz uns alle zu verarbeiten, nämlich mit seinen beiden außerberuflichen Leidenschaften. Und dieser Vorgang hatte in der Tat etwas Elektronisches an sich: Er war leise, von sicherer Wirksamkeit und unaufhaltsam. Um es kurz zu machen: Herr Schrentz litt erstens an Schlaflosigkeit und zweitens an dem übermächtigen Verlangen, ein kleines Lied zu komponieren. Natürlich ist Schlaflosigkeit eine schreckliche Plage, und man sollte darüber nicht scherzen. Das tat Herr Schrentz auch nicht; er redete bloß darüber. Es fing schon beim Frühstück an. »Sie essen Ihr Ei?« sagte Herr Schrentz, »nun, wie Sie meinen! Sie müssen ja wissen. Ich würde nie ein Ei essen. Das putscht auf. Man findet keine Ruhe. Vor vielen Jahren habe ich ein Ei gegessen, danach konnte ich drei Nächte lang nicht schlafen.« »Und wie ist es jetzt? Wie wirkt die Eierabstinenz?« »Das ist schwer zu sagen. Es sind nicht die Eier allein. Ich kann an sich nicht schlafen. Kompliziert!« Herr Schrentz gähnte herzhaft. »Immerhin«, bemerkte er mit feiner Ironie, »kann ich schon gähnen. Gähnen - das ist ein Fortschritt.« Marmelade aß er auch nicht. Wahrscheinlich fürchtete er ihre aufputschende Wirkung. Nachdem wir den Kaffee ausgetrunken hatten, schlug jemand einen Morgenspaziergang vor, aber Herr Schrentz verweigerte die Beteiligung. »Im Lesezimmer steht doch ein Klavier«, sagte er, »das trifft sich gut. Ich möchte ein kleines Lied komponieren.«- »Komponist sind Sie auch?«
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fragte ich. »Im Gegenteil. Aber was nicht ist, kannja noch werden!« Und es wurde. Herr Schrentz hatte sich aus geheimnisvollen Gründen in ein spaßiges Gedicht vernarrt, das ungefähr folgenden Wortlaut besaß: »Seht den alten Gangster! / Laufend klaut er Hengster /Von der Pferdefarm. / 's ist zum Gotterbarm' ! / Würd'n wir 'n Revolver trag'n, / Tät'n wir ihn zum Teufel jag'n! / Doch Revolver ham wir nich. /Ach - Revolverdammichmich!« Und so weiter. Ich nahm an, er hätte es persönlich gedichtet, aber es stammte aus einem gedruckten Humorbuch. Herr Schrentz führte, um seine künstlerischen Absichten verwirklichen zu können, ein Lehrbuch von gewaltigem Umfang aus dem Musikverlag B. Schotts Söhne mit sich. »Darin sind die Grundformen der Tanzmusik enthalten«, erklärte er, »ich denke an einen Charleston. Etwas Klavier spielen kann ich ja. Würden Sie auch an einen Charleston denken?« Indes dachte niemand -·---an einen Charleston, wenn Herr Schrentz Klavier spielte, denn er konnte nichts weniger als Klavier spielen, obwohl er es den ganzen Tag versuchte. Wir mieden den Raum, die Bibliothek blieb fortan ungenutzt, doch die Flucht rettete uns nicht, denn es war ein recht lautes Klavier, und Schrentzens Beharrlichkeit konnte keiner entrinnen. Eines Morgens sagte der Amateurkomponist: »Heute nacht konnte ich wieder nicht schlafen. Wie üblich! Ich kann seit fünfunddreißig Jahren nicht schlafen. Da habe ich das Lied zu Ende komponiert. Vielleicht wollen Sie sich die Sache mal anhören?« Frau Rollwitz machte eine nicht unkritische Bemerkung über gewisse kausale Zusammenhänge zwischen Schrentzens kompositorischen Ambitionen und seiner Schlaflosigkeit, die der Liederschöpfer jedoch glücklicherweise überhörte, da seine Ohren von der Nacht her noch mit Ohropax versiegelt waren. So gingen wir denn alle miteinander in den Leseraum. »Sie müssen mir einräumen, daß Gesang nun nicht gerade meine besondere Stärke ist«, bemerkte Herr Schrentz einlei-
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»Schön und gut, die Landschaft. Aber du solltest sie erst mal als Dias sehen!<<
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tend. Niemand war anwesend, der ihm das nicht gern eingeräumt hätte, spätestens nach der Zeile: »Laufend klaut er Hengster.« Ich hätte, anstatt Herrn Schrentz zu lauschen, lieber Hengster geklaut, aber unsereiner ist nun mal kein Gangster und zudem mit den Uberbleibseln sogenannter guter Manieren belastet, die er wie historisch bedeutende Ruinen pflegen zu müssen glaubt. Herr Schrentz entlockte dem Piano Klangballungen und atonale Blockakkorde im Stil eines Tonschöpfers, der sich mangels anderer Einfälle zwischendurch mit dem Hintern auf die Tasten setzt; Herr Schrentz erledigte es aber manuell. Er fabrizierte einen Charleston, wie er im Lehrbuch steht, ohne aus diesem herauszukommen; niemand konnte auch nur einen Fetzen Melodie, sofern überhaupt eine vorhanden war, oder dergleichen erhaschen, und als der schlaflose Meister endlich zu Ende war, da waren auch wir am Ende. »Nun?« fragte Herr Schrentz drohend; es war, als hätte er, »Revolverdammichmich «, einen Revolver auf uns angelegt. Wir retteten uns mühsam mit allerlei Nicht-uninteressant-aber-vielleicht-könnte-man-noch-und-danngewiß-Redensarten, die Herr Schrentz mit dem Satz vom Tisch fegte: »Sie müssen sich das natürlich arrangiert vorstellen! Mit einem guten Arrangement läßt sich noch aus Heringsrogen Kaviar machen!« Das mag im allgemeinen zutreffen, zweifellos aber nicht auf jenen Gangster-Charleston. »Die Arrangeure, diese geldgierigen Hunde, hören wahrscheinlich schon das Honorar für mein kleines Lied im Kasten klappern. Aber sie sollen sich verrechnet haben. Ich werde das selber arrangieren.« Mit diesen Worten öffnete er einen Koffer, um - wie ich irrtümlicherweise annahm - ein zwölfbändiges Studierwerk über die Grundlagen des Arrangierens zutage zu fördern, doch kam nur Notenpapier zum Vorschein - ungefähr so viel, wie einer benötigt, um ein halbes Dutzend Sinfonien durchschnittlicher Länge mit sämtlichen Orchesterstimmen aufzuschreiben. »Ich arrangiere es«, gab Herr Schrentz bekannt, »für Gesangsstimme, Klavier und kleine Trommel.« - »Nehmen Sie doch eine große Trommel«, empfahl Frau Hollwitz, aber der Tonsetzer akzeptierte diesen interessanten Vorschlag nicht, weil er ganz feste Vorstellungen von seinem Werk und dessen Gestalt hatte. Darüber hielt er noch einen mittellangen Vortrag mit einem etwas kürzeren Anhang über Schlaflosigkeit, Halluzinosen und Verdauungsstörungen. ••
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Dann begab er sich in sein Zimmer, um sich nicht schlafen zu legen. »Ich konnte kein Auge schließen«, teilte er am nächsten Tage mit, »meine Musik verfolgt mich.« Und so erging es auch uns, obwohl es sich, genaugenommen, nicht direkt um Musik handelte. Aber Schrentzens Darlegungen über das 'Irommelarrangement seines einmaligen Charleston (»rammtah-rammtahrammtattatah rammtah«) stören noch heute meine Nachtruhe. Ich weiß nicht, ob Herr Schrentzens kleines Lied ein Welterfolg geworden ist und wie viele Zähne sich die um ihr lohnendes Geschäft betrogenen Arrangeure zerknirscht haben, aber der schlaflose Musikfreund existiert noch: neulich traf ich ihn auf dem Bahnhof, den er gerade durch gewaltige Gähnübungen zu inhalieren drohte. »Was macht der Schlaf?« - »Gar nicht dran zu denken. Mein Zimmerfenster geht zur Straße raus, also auch zum Bahnhof. Dieser Lärm! Ich habe nun das Fenster zumauern lassen.« - »Na und?« - »Unmöglich, zu schlafen. Zuwenig frische Luft.« Da hatte er wohl recht. »Komponieren Sie doch wieder ein kleines Lied«, sagte ich, zog meine Hutkrempe in die Stirn und sprang in den Zug.
Früher hat Bärbel immer alles verwürzt. Die eingelegten Gurken waren zu sauer, die Bohnensuppe war versalzen, das Kompott zu süß, und das Schnitzel war so gepfeffert, daß einem der Atem stockte. Die Gäste maulten. Dann hat Bärbel viele Reisen gemacht. Wenn Bärbel heute ihre versäuerten Gurken anbietet, sagt sie »Serbische Säuerlinge«, die versalzene Bohnensuppe nennt sie »Bohnen a la Romania«, das übersüßte Kompott »Moskauer Pfläumchen«, und das atemstockende Schnitzel heißt »Balkanbrätel«. Alles original natürlich. Sogar die angebrannten Salzkartoffeln serviert Bärbel mit einem sinnlichen »Original Wüste Gobi«! Wie man sieht: Reisen bildet! Und die Gäste schnalzen genüßlich mit der Zunge.
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Hans Seifert
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Offen gesagt: Wann und von wem die Strandkörbe erfunden wurden, entzieht sich leider meiner bescheidenen Kenntnis. Ich weiß nur soviel, daß sie im Jahre 1878 zum ersten Mal an der Ostseeküste auftauchten und daß sie sich seitdem unheimlich vermehrt haben. Strandkörbe gibt es heute wie Sand am Meer! Nun sind sie also hundert Jahre alt, und das ist kaum zu fassen. Das ist sogar ganz erstaunlich, denn ich kenne eine Menge Strandkörbe, die sehen bedeutend älter aus. Sie sind sozusagen die Brutkästen der Küsten. Man setzt sich rein und der Sonne aus und tut das, was man normalerweise unter gar keinen Umständen zu tun bereit wäre: Man wartet, bis man schwarz wird. Aber nicht nur das! Auch ungeahnte Aktivitäten drängen plötzlich spontan zum Durchbruch, sobald sich der Mensch in einen Strandkorb eingenistet hat. _ . " Die Psychologen stehen vor einem · ~~~ ·:.:!„ Rätsel! Denn selbst ausgesprochene Respektspersonen, ansonsten - .. immer darauf bedacht, Würde und Gelassenheit auszustrahlen, schaufeln mit einem Mal wie besessen darauflos, um ihren Strandkorb mit einem Sandwall zu umrahmen, der alle anderen Sandwälle möglichst in den Schatten stellt. Ist dies vollbracht, finden sie gewöhnlich nicht eher Ruhe, bis - aus zierlichen Muscheln geformt - der Name ihrer verehrten Heimatstadt bzw. -gemeinde weithin sichtbar am Sandwall prangt. Ein Freund von mir, ein gewitzter Knabe, hatte mal mit seinem Strandkorbnachbarn um die Wette gebaut. Beide fingen gleichzeitig an, und derjenige, der als erster einen kompletten Sandwall inklusive Heimatortbeschriftung vorzeigen konnte, war der Sieger, dem der Unterlegene mit einem Kasten Bier zu huldigen hatte. Mein Freund gewann die Wette. Er war aus Aue, sein Kontrahent hingegen aus Hammerunterwiesenthal über Annaberg-Buchholz! ~;,..,,; ~
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Höher, schneller, weiter
Jochen Petersdorf
»Halloo, halloo - meine Damen und Herren, verehrte Hörerinnen und Hörer! Hier meldet sich der Streckenreporter HansBaldrian Mörtel! Ich stehe mit meinem Mikrophon direkt an der Haarnadelkurve in unmittelbarer Nähe der alten Bäckerei. Ein zauberhaftes Bild bietet sich dem Reporterauge: Schneeverhangen die Tannen, brechend unter der Wucht. Nebel spinnen und spannen sich um Pfade und Schlucht!
Was ist die Lieblingssportart der DDR-Bürger? Bobfahren - links ne Mauer, rechts ne Mauer, und es geht immer bergab.
So oder auch ähnlich möchte man mit Dichterworten sprechen. Aber es bleibt keine Zeit zur Romantik, denn soeben vernehme ich aus dem Kopfhörer, daß das Rennen gestartet wurde, daß die harten Jungs auf ihren schweren Maschinen auf die Reise gegangen sind, und es kann sich nur um Sekunden handeln, dann werden sie hier in der Haarnadelkurve auftauchen, mit Heldenmut die schräge Wand angehen und mit atemberaubenden Furioso an der alten Bäckerei vorbei hinunterschießen, hinein in die Beethovenstraße und der Endstation der Sehnsucht, dem Ziel, entgegendonnern. Und da taucht bereits der Spitzenreiter auf! Es ist, fast hätte ich es geahnt, Atze Schrapper, ein alter Haudegen und Routinier auf dieser Strecke. Phantastisch, wie er den schweren, schalldämpferlosen Koffer im Griff hat, dem Motor aus der großzügig eingestellten Einspritzpumpe vollen Saft gibt und selbst in der halsbrecherischen Kurve voll auf die Klötzer tritt. Schon ist er vorbei! Dahin, dahin - und schon schießt in geschlossener Front das Hauptfeld heran, die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten. Es ist fast unmöglich, einzelne Fahrer auszumachen! Doch ich entdecke Manne Rumpel, den Stier von Lichtenberg! Und dort Kutte Wumbach, den Mann mit dem eisernen Bein - und da kommt auch der kleine Puppi Rückstoß, der drahtigste und dennoch brutalste Fahrer im ganzen Pulk. Hehehe! Er winkt sogar zu uns herüber. Mit einem eleganten Damenhut in der Hand. Offenbar hat sich eine penetrante Fuß-
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gängerin zu dicht an die Rennstrecke gewagt, und Puppi Rückstoß hat ihr kurzerhand den Filz vom Kopf gefetzt. Ein Tausendsassa, dieser Bursche! Doch was sehe ich denn da? Madonna mia - Manne Rumpel, der Stier von Lichtenberg, hat offensichtlich die Kurve nicht genau gekriegt und ist mitten durch die alte Bäckerei hindurchgeschossen. Hunderte frischer Schrippen, Brote und Pfannkuchen kullern auf die Straße. Doch der Verkauf geht im Freien weiter! Und damit gebe ich ab zum Ziel und rufe Waldifritz Feldafink! « »Ja, hier ist das Ziel an der Schuttkippe !« Leider, leider, meine Damen und Herren, hat unser Hans-Baldrian Mörtel das Mikrophon mal wieder zu spät aus der Hand gelegt, so daß ich nur noch sagen kann: Die Fahrer, die diesmal annähernd Schallgeschwindigkeit fuhren, sind lange hier. Das Rennen ist gelaufen. Erwartungsgemäß siegte Atze Schrupper, der alte Haudegen, und auf die Plätze kamen Puppi Rückstoß und Kutte Wumbach. Manne Rumpel, der Stier von Lichtenberg, kam leider als letzter 2 an. Sein Fahrzeug war stark beschädigt. Er hatte versucht, den Weg abzukürzen, war durch einen Brückenbogen gefahren und dabei dem fahrplanmäßigen D-Zug Rostock-Berlin begegnet. Und hier haben wir unseren Sieger, Atze Schrupper, zu einem kleinen Kurzinterview am Mikrophon. »Atze Schrupper, wie fühlen Sie sich?« »Jut, wie immer, wa!« »Gab es einen besonderen Höhepunkt während der Fahrt?« »Wie mans nimmt, wa. Mir hamse 'n Strafzettel verpaßt.« »Wieso das?« »lck hab aus Versehn 'ne Straßenbahn mitjenommen und an die Haltestelle nich anjehalten. Aber die Strafe juckt mir nich. Die zahl ick spielend von die Spurtprämie.« »Vielen Dank, Atze Schrupper. Und damit, verehrte Hörerinnen und Hörer, beenden wir unsere Reportage von einem ganz gewöhnlichen Arbeitstag der Kipperfahrer des Tiefbaukombinats!«
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))Die Firma hat die Medaillen nicht rechtzeitig geliefert!((
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Ernst Röhl
llorwtirts, wir zioA1t 1t1ts zt-tr~t Mein lieber Klub, ich wünsch Dir alles Gute! Nun ist es aus, der Riemen runter; denn ich komm nicht mehr! Ich schick Dir meine Tute als Souvenir. Ich war einmal dein Fän. Ich saß mit Schafsgeduld auf der Empore und hab gebrüllt, gebimmelt - ja, gebellt! Ich schwenkte Fahnen, wartete auf Tore und ahnte stets, daß wieder keines fällt. Und darum, Jungs, versucht mich zu verstehn: Null-null, das stinkt mir. Logisch. Also dann! Beim Damenfußball gibt es mehr zu sehn, das Ewigweibliche; es zieht mich an. Es zieht mich an durch seine Ra:finesse. Das Flügelspiel ist nahezu perfekt. Die Libera schlägt liebenswerte Pässe, die Mittelstürmerin wird manngedeckt. In jedem Spiel sieht man auf alle Fälle in superheißen Höschen manchen positiven Schuß. Hier sieht man scharfe Bälle charmant plaziert, im Tor und im Trikot. Ich bin aktiv geworden. Ja, ich greife ins Spielgeschehen mannhaft ein, und wie! Ich stecke mittendrin - ich Pfeife pfeife. Ich spiel den schwarzen Mann, den Referee. Ich bin verliebt in Nummer 6 und warte auf ein willkommnes Foul im Spielverlauf. Dann zeigt ich ihr verschämt die rote Karte mit einem pfeildurchbohrten Herzchen drauf.
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Ein Angler angelt an einem See, wo Angeln 'verboten is . Ein Volkspolizist stellt ihn zur Rede. >>Ich bade ja bl·oß meinen Regenwurm<(, erwidert der Angler und hebt die Rute~ Der Polizist triumphiert: >>Aber zahlen müssen ·sie trotzdem. Der Wurm hat nichts an!<< cy
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John Stave
»Wenn du unbedingt eine Radtour mit mir machen willst«, sagte Ziegler, mein ehemaliger Schulfreund, »mußt du aber mein Rad runtertragen. Du weißt, ich habs mit der Schulter, da geht so was nicht.« Zunächst möchte ich einmal bemerken und vorausschicken, daß ich niemals eine Radtour machen wollte, schon gar nicht mit Ziegler. Aber Ziegler hatte mich gelöchert: »Mach doch, mach, tu mir den Gefallen«, bekniete er mich. »Ich bin ein bißchen unsicher im Straßenverkehr, da ist es mir lieber, wenn wenigstens noch ein Trottel mit dabei ist.« Wenn jemand so herzlich bitten kann, dann kann ich nicht nein sagen. Ziegler wohnt im vierten Stock eines Berliner Altbaus. Ich fragte: »Wie hast du das Rad nach oben bekommen?« »Der olle Opa Liebing aus meinem Haus hat Ziegler veranstaltete seine doppelten das gemacht. Ich hab ihm zwei Mark und Rittberger und eingesprungenen Sitzeine Zigarre zu achtzig geben müssen.« pirouetten auf dem Fahrdamm. Das nagelneue Rad stand auf dem Korridor. Es war ungeheuer eingestaubt, und die Luft war den Schläuchen entwichen. Ich sagte: »Es ist keine Luft drauf!« »Die Pumpe liegt auf dem Kohlenkasten. Ich mit meiner Schulter bringe das nicht. Für dich ist es ein Klacks. Du bist vierschrötig!« Ich bin einen ganzen Kopf kleiner als Ziegler. Gemessen an Ziegler, würde man mich einen Hänfling nennen. In der Schule hatte er mir des öfteren Prügel angedroht, weil ich ihm die Rechenaufgaben nicht lösen wollte. Aber das sagte ich ja wohl schon, daß wir Schulfreunde waren. Ich schob das Rad ins Treppenhaus hinaus. Eine kleine Weile überlegte ich, wie man so ein Rad trägt. Ich hatte eine Ewigkeit kein Rad mehr getragen. Ich schlüpfte mit der rechten Schulter durch den Rahmen - es ging. Ich hob an, das Vorderrad schlug zur Seite, das Schutzblech pengte an die Wand. »Du hast keine Ahnung«, kommentierte Ziegler den Vorgang. Während ich sein Rad die nicht enden wollenden Treppen hinunterastete, begleiteten mich Zieglers muntere Reden. »Einmal sind wir auf einen Ritt bis in die Sächsische Schweiz
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geradelt. Bis zum Kuhstall hoch! Allerdings von Dresden aus. Ein anderes Mal gings zum Königsstuhl ... Da sind wir bis Rostock mit dem Zug, und dann sind wir gleich in Rostock geblieben, und dann auch zurück wieder mit dem Zug.« Ich sagte schwitzend unter meiner Last: »Jaja, bei Altona auf der Chaussee .. . « »Kannst du überhaupt radfahren?« fragte Ziegler lauernd. »Natürlich kann ich radfahren!« schleuderte ich empört aus mir heraus. Ich setzte Zieglers Karre ab und deutete auf mein Leihgefährt, das bereits an der Hauswand lehnte. »Meinst du, ich hätte es hergetragen?« »Am besten ist, du fährst voraus. Aber eile nicht so, wir haben Zeit. Wir fahren über Hohen schön hausen -Dorf nach Marzahn und essen im dortigen Krug Mittagbrot. Ich erlaube dir, mich dazu einzuladen. Ich habe auch eine Landkarte mitgebracht, damit wir uns nicht verfahren können.« »Nach Marzahn fahre ich im Schlaf«, sagte ich ungehalten. »Ich kann es nicht ausstehen, wenn man mich für dümmer hält, als ich sowie schon bin.« »Das hat Nobile damals auch gesagt, das mit dem Schlaf!« Wir fuhren die Leninallee entlang. Ich fuhr auf dem Radweg, Ziegler veranstaltete seine doppelten Rittberger und eingesprungenen Sitzpirouetten auf dem Fahrdamm. Der Radfahrweg war dafür ohnehin zu schmal. Ziegler saß mit der Grazie eines vollständig ausstaffierten Tauchers im Sattel. In die Pedale stemmten sich zwei überdimensionale Plattfüße. Am Steuerhaus geriet der Meister der Landstraße in eine Straßenbahnschiene und hätte um ein Haar mit dem Pflaster Bekanntschaft geschlossen. Er kämmte sich mitten auf der Kreuzung sein etwas in Unordnung geratenes blauschwarzes Haar und steckte einem tutenden Trabantfahrer geistesgegenwärtig die Zunge heraus ... Ziegler wies mich an, die Oderbruchstraße hinauf zu fahren. .....
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Bei den Hohenschönhausener Friedhöfen war ein Gartenlokal geöffnet. Ich hatte es schon passiert, aber hinter mir schrie Ziegler: »Halt! Stop! Pause! Rast!« Wir waren bereits dreieinhalb Kilometer gefahren. Ziegler schloß umständlich sein Rad am Zaun der Kneipe an. Der Ober sah interessiert zu. »Bring mir ein Bier, Gevatter!« sagte Ziegler. »Ein großes!« »An Fahrzeuglenker dürf Alkoholika nicht ausgeschenkt werden«, erklärte der Kellner vornehm. Ich sagte diplomatisch: »Ein Most dürfte es zur Not auch tun, was Ziegler? « »Wir fahren mannhaft weiter! Soll er an seinem eigenen Piß•• bier ersticken«, entschied Ziegler. »Uber den Wiesenburger Weg ist es am kürzesten. Da bin ich mal mit meinem Opa spazierengegangen. Sehr schön, immer durch die Rieselfelder.« In mir keimten Zweifel. »Dein Opa ist doch schon 39 gestorben?« »Jaja, wie die Zeit vergeht. Und wir sausen immer mit. Apropos: sausen! Da haben wir mal eine RadZiegler aß zu Mittag Bier, und zwar halb- tour durch Thüringen gemacht, und dort literweise. Ich trank tapfer ein Eisbein. gibt es ja derart steile Straßen, daß wir so ein Tempo drauf bekamen, also abwärts natürlich, verstehst du, daß die vom Fahrtwind abgewehten Tannennadeln millimetertief in unseren Gesichtern, Händen und Beinen steckten. Bei mir mußte sogar operativ alles entfernt werden. « Der Wiesenburger Weg erwies sich als eine Fata Morgana reinsten Wassers. Gewaltige Gruben und Gräben waren quer durch den Weg gezogen worden. Eine Großbaustelle hatte sich aufgetan: Lichtenberg-Nordost. Da hatten wir auch schon mal etwas von gehört. »So werden die schönsten Rieselfelder so richtig verschandelt«, sagte Ziegler. »Aber ich hab extra noch auf der Karte nachgesehen. Es war nichts Derartiges eingetragen.« »Von wann ist denn die Karte?« »Das ist ein wertvolles Erbstück. Die hat der Große Kurfürst selber entworfen!« verkündete Ziegler nicht ohne Stolz. Dieser ehemalige Wiesenburger Weg zwang uns also, Radwanderer im echten Wortsinne zu sein. Es ging durch knöcheltiefen Modder, durch übelriechende Pfützen und durch einen Wald von Distelgestrüpp. Daß wir Lehm an den Hosen hatten, wäre zu gelinde ausgedrückt gewesen. Wir hatten die Hosen am
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Lehm! Erst kurz vor dem Marzahner Krug konnten wir uns wieder in die Sättel schwingen. Wir stellten die Räder jedoch ein kleines Ende neben der Gaststätte ab, damit der Ober keinen Grund zum Mosern hatte. Ziegler aß zu Mittag Bier, und zwar halbliterweise. Ich trank tapfer ein Eisbein. Als ich mal kurz draußen war und wieder hereinkam - ich hatte nach den Rädern gesehen -, erzählte Ziegler dem Mann hinter dem Tresen, daß er, also Ziegler, 1946 die Friedensfahrt gewonnen habe. Gegen 15 Uhr händigte mir Ziegler seinen Fahrradschlüssel mit folgenden Worten aus: »Immer schön vorsichtig und rücksichtsvoll im Verkehr - ich bin nicht mit dabei! Schieb ab, mein Junge! Du kannst mein Rad auch käuflich erwerben. Es hat erst acht Kilometer runter. « Was sollte ich machen? Der Gedanke, Zieglers Rad beim Wirt des Kruges unterzustellen, kam mir erst, als ich mit beiden Rädern zu Hause war. Ich fuhr auf meinem und schob das andere Rad am Lenker neben mir her. Es wackelte etwas. Ziegler, der in der Tür des Lokals lehnte, rief: »Er hat keine Ahnung ... « Abends um elf klingelte das Telefon. »Hier ist der Buchbinder Wanninger aus Marzahn«, sagte eine schwere, mir um so bekanntere Stimme. »Ich hab die Räder jetzt fertiggemacht. Und ob ich Ihnen die Rechnung aus dem Marzahner Krug gleich mit hinofferieren soll ... Bitte schön ... danke ... « Ich knallte den Hörer auf. Manchmal habe ich wenig Nerven für Humor. Am besten ist, ich gehe mal zum Arzt. Vielleicht verschreibt er mir eine Radtour ...
Es war einmal ein Mittelstürmer, der suchte heimlich Regenwürmer, und das bei einem Länderspiel! Wenn's auch dem Trainer nicht gefiel, so konnte es dafür beim Angeln ihm nie an guten Ködern mangeln. Mit Lust und Liebe bringt man gut zwei Hobbys unter einen Hut.
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Klaus Lettke
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Ernst Röhl
eftop „„ So ist es nun mal im Sport. Je nach Sportart bevorzugt der Aktive ein bestimmtes Organ: der Fußballer den Fuß, der Handballer die Hand. Schachspieler und Friseure brauchen vor allem Köpfchen. Die ersteren müssen was drin haben; die letzteren müssen unbedingt was drauf haben, wenn schon nicht auf dem eigenen, dann doch wenigstens auf dem Kopf des Modells, mit dem sie sich ins Wettkampfgetümmel stürzen. Nun ahnen die meisten Leute überhaupt nichts von den erregenden Vergleichskämpfen der Friseure. Das Sport-Echo hüllt sich darüber in vornehmes Schweigen, und so ist es immer noch nahezu unbekannt, daß alljährlich ein Frisurenwettbewerb der sozialistischen Länder stattfindet, bei dem sich die stärkste Nationalmannschaft den Pokal der Freundschaft erkämmt. Mich jedenfalls interessiert so was. Auch ich war ein Jüngling mit lockigem Haar. Heutzutage allerdings habe ich mehr Schulden als Haare auf dem Kopf, und ich habe - offen gestanden - nicht allzu viele Schulden. Als Modell bin ich deshalb leider überhaupt nicht gefragt. Aber als Zuschauer war ich neulich dabei. Und zwar in Spray-Athen beim Turnier der Berliner Wenn man von eventuell vorhandenen Meisterklasse. Ich muß der Gerechtigkeit Haaren auf den Zähnen absieht, blieb halber bekennen, daß es dort wesentlich kein Haar ungekrümmt. haariger zuging als bei der jüngst verflossenen Eishockey-Meisterschaft der DDR. Stellen Sie sich den großen Saal der Kongreßhalle am Alexanderplatz vor. Auf der Bühne ist ein Kampf bis aufs Messer entbrannt; denn hier wetteifern die Herrenfriseure in der Kategorie Messernormhaarschnitt. Auf einem reich mit Spiegeln bestückten Laufsteg, der tief in den spannungsgeladenen Zuschauerraum hineinragt, sind die Akteure des Damenfachs dabei, eine modische Tagesfrisur in eine sogenannte Gesellschaftsfrisur umzuwandeln. Schicksalsergeben halten die schwergeprüften Modelle ihren Kopf hin. Ihnen stehen zunächst einmal die Haare zu Berge. Das ist durchaus verständlich, denn sie haben sich mit Haut und Haar den Wettkämpfern ausgeliefert, die ihnen mit Schere, Kamm und sonstigen Haarpunen allerhand Scherereien bereiten. Wenn man von eventuell vorhandenen Haaren auf den Zähnen einmal absieht, bleibt kein Haar ungekrümmt. Die Dauerwellen gehen hoch. Hier formt sich eine Riesen-Welle, dort entsteht eine Art Kopfsalat.
H ö h e r, s c h n e 11 e r, w e i t e r
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Jäh wird einem bewußt, wen der Dichter gemeint haben könnte, als er mahnend ausrief: »Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben! « Wenn die Haupt-Sache vollbracht ist, stellt man jedoch beruhigt fest, daß all die quälende Sorge um den Menschen nicht nötig gewesen wäre. Der Spiegel widerspiegelt in den meisten Fällen eine beachtliche Pro-KopfLeistung, die von den Kampfrichtern sachverständig nach Wellenlänge und Haaresbreite klassifiziert wird. Wer bei diesem Turnier nun eigentlich Sieger nach Punkten war, kann ich gar nicht mehr genau sagen. Wenn mich nicht alles täuscht, war es das menschliche Antlitz im allgemeinen. Nur das eine weiß ich gewiß: Ich selbst habe keine Haare gelassen. Im Gegenteil! Ich erbeutete eine wunderschöne rotblonde Locke des weiblichen Siegermodells, die im Eifer des Gefechts unter den Tisch gefallen war. Und so schritt ich nach beendetem Wettkampf frohgemut von dannen. Mit einer Strähne im Knopfloch.
Wenn eine Fußballmanschaft der DDR gegen einen internationalen Gegner 0 : 1 verliert, gibt es für die Begründung drei Möglichkeiten: 1. Der international beängstigend renommierte Gegner war von vornherein überlegen. Also ist das 0 : 1 ein bemerkenswerter Achtungserfolg. 2. Der Gegner war von vornherein als gleichwertig anzusehen. Also haben unseren sensiblen Spielern wieder einmal die Nerven einen Streich gespielt. 3. Der international fast unbekannte Gegner war von vornherein als unterlegen einzustufen. Also ist unseren Jungs die Bürde des Favoriten nicht bekommen. Wenn eine Fußballmannschaft der DDR gegen einen Gegner 1 : 0 gewinnt, dann kann man fast sicher sein, daß es kein internationaler war.
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>>Wenn du dich in die Starterliste eingetragen hast, kann es losgehen. <<
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Jochen Petersdorf
rätsefca Beim gestrigen Geräteturn-Vergleichskampf zwischen dem SC Barrenbusch und dem TSC-Ringewald kam es zu schweren Ausschreitungen von Seiten der Zuschauer. Bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Wettkämpfe glich die riesige Turnhalle einem dampfenden Hexenkessel. Das vieltausendstimmige Konzert der Autohupen, Signalhörner, Trompeten, Rasseln, Glockenspiele, Trommeln und Pauken ließ die Wände erzittern und versetzte sogar die Ringe und Barrenholme in leichte Schwingungen. Als die beiden Mannschaften die Halle betraten, schwoll der Lärm zum Orkan an. Immer wieder dröhnte aus tausend urigen Kehlen der von rhythmischem Klatschen begleitete Schlachtruf: Dara-dara-dara-ra, he he he - hau ruck! Vor dieser Stimmungskulisse liefen die Übungen an den einzelnen Geräten dann recht zügig und reibungslos ab. Vereinzelte Würfe mit Bierflaschen nach dem Punktrichterkollektiv wurden von diesen ehrenhaften Damen und Herren mit Gleichmut getragen, zumal die Würfe schlecht gezielt waren. Als jedoch der krummbeinige, aber relativ elegant turnende Atze Schwünge! nach zwölffacher Riesenwelle und einem kombinierten Auerbach-Grätschabgang vom Hochreck nur lumpige 9,2 Punkte erhielt, ging der Tumult los. Die Zuschauer brachen lawinenartig von den Sitzbänken herunter aufs Parkett der Halle, benutzten die Vereinsfahnen als Hieb- und Stichwaffen, rissen die Holme von den Barren, bogen die Reckstange zum Korkenzieher und zerschnitzten die Sprungmatten in kartoffelchipgroße Stücke. Der in Sportkreisen nicht unbekannte BrauereiautoBeifahrer Kalle Wummisch benutzte sogar einen Saalordner als Rammbock, um sich eine Gasse freizuschlagen. Erst einem zufällig des Wegs kommenden Panzerregiment gelang es, mit einigen Warnschüssen Ruhe und Ordnung herzustellen. Mußte es so weit kommen? Wann endlich wird mit dem rowdyhaften Krawallieren bei Turn-, Leichtathletik- und Tenniswettkämpfen sowie bei Schachturnieren Schluß gemacht? Es ist höchste Zeit, daß auch bei diesen ruppigen Sportarten endlich jenes kulturvolle Niveau einzieht, wie es auf unseren Fußballplätzen in so beglückender Art zu verzeichnen ist. Sport frei . •
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C. U. Wiesner
' 1Joi1to orto ~H 10 toH 1atsaeAoH Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Dis schöne alte Lied werdense doch noch kennen: In der Nacht, in der Nacht, wenn die Liebe erwacht ... Ich sage Ihnen, dadrin liegt ne tiefe Lebensweisheit begraben, und dadran kann auch der Sozalismus nischt ändern. Bei die heiligsten Jefühle der Menschheit muß es duster sein, sonst fungsjoniert der janze Zauber nich. Jedenfalls nich bei mir. Wenn mir so alle Vierteljahr mal wieder zumute is wie einst im Mai, denn klapp ick mein Magazin zu und sage zu Muttern, sie soll jefälligst dis Licht vorher ausknipsen. Moment, Willem, meintse denn, ick muß bloß noch schnell dis Kochrezept inne FÜR DICH zu Ende lesen, oder willste mir bloß wieder verklapsen wie neulich? Nehmse mal den Kopp 'n bißken runter! Sehnse, darin besteht ebent die schöne neue Kehrseite von unsern Staat: deß man über sone Sachen wie Intimfähre und Sexuellität völlig offen reden kann. Wie unse Jungs noch klein waren, hab ick ihnen mal mächtig den Arsch versohlt. Da hamse nämlich in mein Bücherschrankjewühlt und die schweinischen Fotos jefunden, wo ick sorgfältig auf Schillers Werke verteilt hatte. Wütend war ick vor allem, weil Muttern die Bilder stantepede inne Kochmaschine verbrannt hat. Also, ehrlich jesagt, janz so frei wie früher is man in diese Beziehung bei uns ebent doch nich. Na jut, inne Zeitungen steht allerhand darüber, aber dis erinnert mir mehr so an den Feldzug für jesunde Ernährung. Auch im Fülm und Fernsehn zeigense ab und zu ihre Nackedeis, aber da isses denn meistens höhere Kunst. Der kleine Fiff wie inne zwanziger Jahre, der fehlt ebent, weil se bei uns immer unsicher sind: Isses nu jrade noch sozialistische Lebensfreude, oder stinkt es schon noch verfaulte bürgerliche Moral? Und im Zweifelsfalle denkt der Staatjenau wie Muttern: Wenn dis Fleisch von vorjestern auch nur 'n bißken riecht, wanderts gleich in Mülleimer. Jetz isse jrade nachm Konsum rüber, da kann ich Sie endlich von unser jroßes Abenteuer erzählen. Letztes Wochenende war in Krampenow der FDGB-Pokal ins Schaufrisieren, und da hattense mir ne Einladung jeschickt, als Ehrenmitglied - mit Begleitperson. Weil sich Muttern nich janz extra fühlte, hab ick
Unter vier Augen
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meinen J ehülfen mitj enommen. Dafür spar ick seine Jahresendprämie ein. Aufe Hinfahrt ham wir schon 'n Kleinen jeschnasselt, aber dis war Notwehr, weil se verjessen hatten, den Zug zu heizen. Herr Kafforke kam mächtig in Fahrt und erzählte mir andauernd, deß wir abends den Deibel danzen lassen wollten, und was er so schon alles von den berühmten Intersexjehört hätte. Herr Kafforke, sage ick auf meine juvenale Art, erstens is dis eine Dienstreise, zweitens stellnse sich in Krampenow lieber auf Sächsisch anstatt auf Sexy ein. Mit Porno und sone Sauereien müssense sich noch 'n paar Jährchen jedulden, bis Se Rentner sind. Mit dis Schaufrisieren kann ick Ihnen verschonen. Irgendwie bringt man als Dienstreisender seine Pflicht hinter sich, und denn erhebt sich die Frage: Wie schlagense den Abend dot und sich die •• Nacht umme Ohren? Uber die Ohren werd ick mal 'n bißken wechnehmen, oder? Kommt doch mein Jehülfe nachs Abendbrot janz aufjeregt von die Hotelrezeptur anjesaust: Scheff, heute abend gibs ne Modenschau in Nacht- und Unterwäsche, ick hab zwei Karten erwischt! Zuerst war ickjar nich begeistert. Ick mußte an den Handlungsreisenden denken, wo sich mir mal im Zug vorjestellt hatte: Jestatten, Hummel, reise in Damenunterwäsche. Darauf icke: Dis würd ich an Ihre Stelle lieber für mich behalten. Also jut, ick werd mir in Unkosten stürzen und mir mit Herrn Kafforke in dem Salong Arschrabatt bejeben, was mir schon ziemlich anrüchig klang. Der nebenan hieß Duschraum B, war aber jrade für die Delektierten zum Frisörkongreß reserviert. Frisörmeister Tümpelmüller aus Nordhausen erklärte uns denn, deß die Salongs alle nach mittelasiatische Hauptstädte benannt sind. Auch jut, sag ick, stell ick mir janz ulkig vor, wenn die Häschen hier alle aufs Kamel überm Laufsteg reiten. Und denn war ick erst mal sauer, weil uns der Ober kein Bier bringen wollte, sondern bloß Herrenjedeck. Und von Sekt krieg ich gleich Sodbrennen. Aber denn wurde es jemischt. Da machten-
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))Scheff, heut abend gibs ne Modenschau in Nacht- und Unterwäsche!<<
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Unter vier Augen •
se ne kleine Beleuchtung an, und ein Fatzke in son Flimmerschakett trat aufs Podium. Erst erzählte er ein schweinischen Witz, aber den hab ick verjessen, und denn sprach er über die Planerfüllung von den VEB Nachtfalter. Und denn jings los. Herrn Kafforke hab ick dauernd mußten inne Rippen knuffen. Den stand förmlich dis Maul offen, wie die kleinen Meechen mit knallroten Kopp ihre Flatterhemden aufn Laufsteg repräsentierten. Scheff, die hamjar nischt drunter, flüsterte er janz aufjeregt, ob die sich noch weiter ausstrippen? Dazu quasselte der Fatzke: Und nun dis Modell Jungaktivistin, beachten Sie die Rüschen am Höschen. Sie wurden entwickelt von ein Neuereraktiv der Brigade Theodor Hosemann. Ick wußte jar nich mehr, wo ick hin.kicken sollBei die heiligsten Jefühle der Menschheit te. Aber denn kams noch döller. Die Kapelle muß es duster sein, sonst fungsjoniert spielte: Aber bitte mit Sahne. Und nu danzten der janze Zauber nich. die kleinen Engelchen bloß noch mit Büstenhalter und klitzekleine Schlüpper überm Laufsteg, und der Fatzke erzählte was von körperjerechter Wäsche unserer werktätigen Frauen. Über die Bemerkungen von die anjesoffenen Kollegen Frisöre will ick lieber schweigen. Dis dickste Ding hab ick leider verpaßt, weil ick nach dis viele Herrenjedeck mal wohin mußte. Da zeigten se ne Spezialschau und Suspensoriums für sone sojenannten Herren, die beim Schneider nie jenau wissen, ob se Linksträger oder Rechtsträger oder womöglich beides sind. Ick hab mir jedenfalls in mein Bette verzappt und lieber an Muttern jedacht, wiese nochjungund knusprig war. Denn hab ick die Selter jetrunken, wos im Interhotel sogar umsonst eine gibt, und ne Ansichtskarte nach Hause jeschrieben: Weißte noch, Muttern, wie wir uns als junge Leute in ein Kornfeld janz derb verjessen hatten? Wie ick grade noch davon träume, kommt Herr Kafforke ins Zimmer jepoltert, dis muß gejen fümwe jewesen sind. Jeht ans Waschbecken und kühlt sein blaues Auge. Was denn, sag ick, sind Sie überfallen worden? Nee, kann er jrade noch lallen, wie ich mit dis Starmannequäng für schwarze Reißwäsche zur Sache kommen will, hat se mir 'n paar jescheuert und mir belehrt, desse Mutter von vier Kinder is und die janze Schau nur als Selbstverpflichtung mitjemacht hat. Jottseidank hatt ick noch ne Taschenflasche im Koffer. Auf die Art konnt ick Herrn Kafforkes verrutschtes Bewußtsein wieder jradebiegen. Kennense den Unterschied zwischen ein Kosmonauten und ein Dienstreisenden? Siechmund Jähn, wenn er nach de Sterne jreift, steigt auf, und wenn Sie werktätige Frauen irjendwohin jreifen, fallense auf de Fresse, macht zweifuffzig.
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Unter vier Augen
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Renate Holland-Moritz
' 11orstä1t ' Willibald Bolle war ein nicht eben schön zu nennender Enddreißiger, Junggeselle und dieses Zustandes überdrüssig, seit Yvonne in die Abteilung gekommen war. Die neue Sekretärin hieß nicht nur perfekt französisch, sie sah auch so aus. Balles beschwingter Gang verriet, daß sich der Gute auf unternehmungslustigen Freiersfüßen befand. In derselben Abteilung versah Eduard Wagner seinen Dienst. Finanziell gesehen befand er sich zwar drei Gehaltsstufen unter Bolle, was er jedoch durch strahlende Jugend und ein lässiges Gebaren ausglich, dessen Reiz die weiblichen Mitglieder aller demokratischen Massenorganisationen erlagen. So auch Yvonne. Mit nahezu astronautischer Sicherheit wäre aus den beiden ein glückliches Paar geworden, Yvonne malte sich aus, wie sie ihm den wenn nicht Eduard gar bald die edlen, zweiRing mit spitzen Fingern und vernichtenfellos lebenslänglichen Absichten Balles erden Worten zurückgeben würde. kannt hätte. Und Eduard hätte nur ungern auf das Wohlwollen seines Chefs verzichtet. Lieber verzichtete er auf Yvonne. Auch Yvonne bemerkte bald, wie die Dinge lagen. Eduard, dem ihre ganze schwärmerische Neigung gehörte, behandelte sie beinahe beleidigend korrekt. Wohingegen Bolle, in ihren Augen ein reizloser alter Knacker, sie mit Aufmerksamkeiten und peinlichen Komplimenten überhäufte. Als sie eines Morgens gerade wieder eine sündhaft teure Konfektschachtel aus dem Seidenpapier geschält hatte, betraten Bolle und Eduard das Zimmer. Yvonne errötete und bot ihrem Angebeteten verwirrt die Schachtel dar. Eduard bediente sich höflich dankend und machte sich demonstrativ an einem Aktenschrank zu schaffen. Ärgerlich über diese deutliche Abfuhr schob Yvonne eine Praline nach der anderen in den Mund. Da hörte sie Bolle heiser vor Erregung flüstern: »Ich freue mich, Kollegin Yvonne, daß ich Ihren Geschmack so gut zu treffen vermochte!« Halb wütend, halb verlegen auf Eduard deutend, gebot Yvonne ihrem Chef zu schweigen. »Wie herrlich«, dachte er, »sie will nicht, daß andere Kollegen von unserem Geheimnis erfahren. Hurra, sie liebt mich!« Yvonne fühlte, daß etwas geschehen mußte, wenn sie ihre Erdentage nicht als Yvonne Bolle beschließen wollte. Und bei Gott, das wollte sie nicht! Genausowenig wollte sie al-
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Doch ihre Sorge war überflüssig. Unter der Uhr harrte Bolle wie eine Gipsstatue, bewaffnet mit dem Rosenbestand eines mittleren Treibhauses. Abgehetzt blieb Yvonne vor dem Uberglücklichen stehen. »Zunächst einmal, Kollege Bolle«, sagte sie atemlos, während sie in ihrer Handtasche nach dem Kästchen mit dem Ring kramte, »möchte ich Ihnen ... « Bei diesen Worten entfiel der vollgestopften Tasche die soeben erstandene Zahnbürste. Fassungslos starrte Bolle auf den indiskreten Toilettengegenstand, der verheißungsvoll vor ihm niedergefallen war wie ein Stern vom Himmel. »Üh«, hauchte er, erbleichte und schloß Yvonne überwältigt in die Arme. ••
Als mir meine bildhübsche Verlobte Susi Schnucke vor 25 Jahren den Laufpaß gab, wäre ich fast ins Wasser gegangen. 25 Jahre lang hat das furchtbar an mir genagt, denn ich bin ein sehr sensibler Mensch, trotz meiner großen Nase. Gestern nun begegnete ich meiner ehemaligen Verlobten Susi Schnucke, jetzt Frau Susanne Stubenhauer, und plötzlich war ich sehr, sehr glücklich, daß mir Susi vor 25 Jahren den Laufpaß gegeben hatte, denn sie war noch bildhübscher als vor 25 Jahren, und ich vermutete sofort, als sie so entsetzt auf meinen Bauch und die Glatze sah, daß sie mir ganz sicher, wenn sie mir nicht schon vor 25 Jahren den Laufpaß gegeben hätte, gleich gestern den Laufpaß gegeben hätte. So aber hab ich's schon hinter mir. Welch ein Trost!
Johannes Conrad >>Er wagt es nicht, mir ins Auge zu blicken!< <
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Achim Fröhlich
Heinz-Willy war gerade damit beschäftigt, die Spätausgabe der »Aktuellen Kamera« zu beobachten, als es draußen an der Wohnungstür klapperte. »Ingelein wird vom Betriebsvergnügen kommen«, dachte er und ließ sich nicht stören. Nach drei Minuten schließlich öffnete sich quietschend die Zimmertür, und Inge stand hinter ihrem lieben Gatten. »Da ... da ... da bin ich, hupp ... «, gurrte sie mit schwerer Zunge. »Ich höre es, Schätzchen«, en:viderte Heinz-Willy, ohne sich umzusehen, »du bist es höchstpersönlich! « Inge stützte sich schwer auf einen Stuhl. »Und du sagst gar nichts ... ?« »Was soll ich denn sagen?« »Na ... da ... da ... daß ich erst jetzt von unserem Betriebsfest heimkomme!« Heinz-Willys Miene blieb völlig gleichgültig. »Was, bitte, soll ich denn deiner Meinung nach dazu sagen?« »Na ja, es ist immerhin schon zwanzig Minuten nach elf ... « »Nein, es ist genau 23 Uhr 30«, unterbrach Heinz-Willy, »du weißt, unsere Stubenuhr geht zehn Minuten nach! « Inges Gesicht hellte sich auf. Schnell fragte sie: »Das ist ja, hupp ... noch schlimmer, und du schimpfst immer noch nicht, daß ich so spät komme?« »Ich sehe keinen zwingenden Grund dafür«, antwortete HeinzWilly gelangweilt. Inge bohrte unbeirrt weiter: »Ich habe auch Wein getrunken! « »Ich merkte es schon, als du eben die Wohnung erstürmtest!« »Du schimpfst mich also nicht aus?« fragte sie schroff. »Nein.« Heinz-Willy streckte müde die Arme zur Decke. »Es ist doch schließlich menschlich, daß man bei einer stimmungsvollen Feier ausgelassen ist und etwas Alkohol zu sich nimmt!« »Ich war aber sehr ausgelassen und habe eine ganze Menge Alkohol zu mir genommen! « »Aber Kindchen«, sagte Heinz-Willy ein wenig besorgt, »du weißt doch, daß du nicht soviel vertragen kannst! « »Du bist mir also böse, ja?« Inge fragte es fast aufatmend. »Mitnichten.« »Ich hab auch mit andern Männern getanzt. Was sagst du nun?« »Hoffentlich haben sie dir nicht so oft auf die Füße getreten! « Heinz-Willy sagte es laut gähnend. '
In Leipzig wurde eine Frau verhaftet. Sie hatte ihre Wäsche im Westwind
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»Oh, das Abreißen hatte ich heut ganz vergessen. <<
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Unter -vier Augen -
»Du ... du bist mir also überhaupt nicht böse ... in keiner Hinsicht?« Ihre Stimme zitterte. »Nein, mein Herzblatt, ich sagte es doch schon laut und deutlich. Warum sollte ich auch ... ?« Das Fernsehprogramm strebte seinem Ende entgegen. Jetzt aber brach es mit einem Mal aus Inge hervor. Sie begann laut zu schluchzen, und dicke Tränen kullerten über ihre Wangen. »Huhuhu ... du sagst nichts ... du bist nicht böse ... du schimpfst nicht ... huhuhu, du bist nicht einmal eifersüchtig!« Inges Weinkrampf verstärkte sich. »Huhuhu ... , weil du mich nicht mehr liebst, das ist es, du Herzloser! Huhuhu ... ich arme, verlassene Frau ... huhuhu ... « Da hielt es Heinz-Willy nicht länger auf seinem Sessel. Wütend sprang er auf und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Jetzt ist es aber genug«, schrie er, »Himmeldonnerwetter noch mal, du fällst mir aber auf den Wecker, verstehst du ... das ist ja zum Wahnsinnigwerden!« Heinz-Willy ahmte die Stimme seiner Frau nach: »Bist du böse? Warum schimpfst du nicht? Warum sagst du nichts? Du bist nicht einmal eifersüchtig ... du liebst mich nicht mehr! Jetzt reichts mir aber!« Er ergriff die Türklinke. »Ich will dich heute nicht mehr sehen, verstanden! Ich gehe ins Bett! Nacht! « Mit lautem Knall fiel die Tür ins Schloß. Indes ... Inges Tränen waren mit einem Schlag verschwunden. Und während die Fernsehsprecherin allen Zuschauern eine gute Nacht wünschte, sprach sie, ihrem wütenden Gatten nachschauend, fast triumphierend: »Das habe ich mir doch gleich gedacht. Heinz-Willy wird böse sein, daß ich so spät nach Hause komme!«
Erst sprachen sie über den Menschen im allgemeinen und er faßte sie an Busen und Beinen, dann sprachen sie über die marxistische Philosophie und er faßte schön höher als bis zum Knie, was das, was folgt, zwangsläufig weckt als praktischen Rückkopplungseffekt. Der Beischlaf ist, erkennt man schon, ein Merkmal geistiger Qualifikation.
Wolfgang Tilgner
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Johannes Conrad
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seftÖHOI Bericht einer Ehefrau Jeden Samstag, den uns der Kalender beschert, verläßt Kuno, mein lieber Mann, gegen elf Uhr verquollen und grunzend sein Bett. Hustend schleicht er sich ins Bad. Dort bellt er emsig weiter, wäscht sich, poliert sich die Beißer, rasiert sich mit einem Hubschrauber, frottiert sich, kämmt sich, salbt sich ein wie ein ägyptischer Prinz unter Ramses II. und putzt sich überhaupt wie ein Jüngling, der auf Brautschau will. Er schneidet sich fluchend sämtliche Nägel und Nasenhärchen, beendet abrupt das Husten und taucht gegen zwölf mürrisch in der Küche auf, wo er eine halbe Stunde lang stumm wie ein Trappist und zu Tode erschöpft Kaffee trinkt, hin und wieder bösartig knurrt und wie ein Schlot raucht, um bis halb zwei wie ein Scheunendrescher Mittag essen. Hierauf streicht er, obwohl sonst ein seelenguter Mensch, bis zwei Uhr böse durch die Wohnung und schnüffelt voller Gier alles aus, was nicht in Ordnung ist. Darüber meckert er dann bis drei Uhr mit mir und den Kindern und verflucht sein schweres Leben und sein nutzloses Mühen. Kurz nach drei schaltet er den Fernsehapparat ein, holt sich einige Flaschen Bier und den größten Aschenbecher und setzt sich spätestens bei Professor Flimm rich vor die Bildröhre. Er nimmt einen mächtigen Schluck aus der Flasche, stöhnt wollüstig auf, verdreht die Augen, und sofort bessert sich seine Laune. Den Kindern, wenn sie zufällig in Sesselnähe geraten, streicht er übers Haar. Auch das Taschengeld wird zu dieser Zeit am Sessel ausgegeben. Das Abendessen nimmt Kuno vor der Bildröhre ein. Er ißt, bis er schnauft. Kurz vor zwanzig Uhr sucht er noch einmal ner-
»Was uns fehlt, ist ein bißchen Nestwärme. Unsere Eltern jagen immer nur den Mäusen nach. ((
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vös die Toilette auf, leert den Ascher, holt sich frisches Bier und glotzt bis Programmschluß mit offenen Augen in die Röhre. Wenn auf dem Bildschirm nur noch weiße Nebel wallen, schaltet er entsetzt aufs zweite Programm um und von da auf den Westen. Wenn dort auch nur noch weiße Nebel wallen, zetert er eine Weile mit dem Westen und der Welt herum und schaltet äußerst widerwillig ab. Hierauf rast er entschlossen zur Toilette. Man hört die Spülung rauschen und später das Zähneputzen. Dann zieht sich Kuno knurrend aus und geht traurig zu Bett. Vorm Einschlafen brummt er noch, die ganze Arbeitswoche mache ihn nicht so fertig wie der freie Samstag. Worauf er hustend einschläft und die ganze Nacht entsetzlich schnarcht und stöhnt.
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Peter Ensikat
Die 10 großen A der sozialistischen Leitungstätigkeit: Alle Anfallenden Arbeiten Auf Andere Abschieben . Anschließend Anscheißen Aber .. d' l s t an 1g. An
Das stört mich schon lange: immer wird bei uns - im Guten wie im Bösen - von DEN Handwerkern, DEN Verkäuferinnen, DEN Kellnern, DEM Fernsehen gesprochen. Dabei ist zum Beispiel das Fernsehen ... Also neulich habe ich sogar eine Unterhaltungssendung gesehen, die mich belustigte. Außerdem habe ich einen zuverlässig fahrenden Trabant und eine Reparaturwerkstatt, in der die Hand nur zum Gruß hingehalten wird. Ob ich Trinkgeld gebe oder nicht, bleibt mir überlassen. Auf jeden Fall wird mein Auto repariert ... Das geschieht auch, wenn meine · Frau es hinbringt oder abholt, die immer noch in dem frommen Glauben lebt, unsere Menschen könnten beleidigt sein, wenn man ihnen einfach zwanzig Mark in die Tasche steckt. Die regelwidrigste Geschichte aber ist mir vor einiger Zeit auf der Autobahn passiert. Mein -wie gesagt- zuverlässig fahrender Trabant wich von der Regel ab und blieb ausnahmsweise stehen. Da ich von stehengebliebenen Motorfahrzeugen überhaupt nichts verstehe, sah ich ein Weilchen ratlos auf den streikenden Verbrennungsmotor, versuchte dann mehrmals wieder zu starten und kam schließlich wirklich ruckelnd und zuckelnd bis zu einer Autobahnwerkstatt. Dort standen bereits fünf oder sechs weitere Ausnahmen, und ein - zunächst genau der Regel entsprechender - Autoschlosser fluchte, er habe schon seit einer Stunde Feierabend und könne auch nichts dafür, daß seine Ablösung nicht gekommen ist. Das war aber auch alles, was hier der Regel entsprach. Nach zwei Stunden hatte er die vor mir wartenden Autos repariert, als wäre das ganz normal für einen Autoschlosser, der hier und heute Feierabend hat. Danach kam also ich an die Reihe. Ich wies den Mann vorsichtig darauf hin, daß ich mit meinen zwei minderjährigen Kindern unterwegs wäre, daß es schon dunkel wäre, und was man eben so sagt, wenn man Mitleid zur Produktivkraft machen will. Der Mensch, der hier als Autoschlosser verkleidet seinen Menschendienst tut, meinte nur: Daß Sie mit Ihren Kindern unterwegs sind und daß es schon spät ist, sehe ich selber. Sagen Sie mir lieber, was mit Ihrem Auto los ist. Ich sagte, was ich wußte, und das war nicht viel. Aber es reichte, um den Fachmann davon zu überzeugen, daß etwas nicht in Ordnung wäre. Er repariert ein bißchen vor sich hin, entdeckte den Fehler im Unterbrecher (nomen est omen) und hatte
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eine ganze Stunde zu tun, den gefundenen Fehler zu beheben und ein Rad zu wechseln, weil er so nebenbei einen Nagel im rechten Vorderrad entdeckt hatte. Dann machte er eine Probefahrt, danach die Rechnung. Wenn ich mich recht erinnere, sollte die Sache etwas über vierzig Mark kosten. Ich weiß nicht, ob mich jemand versteht - ich gab etwa das Dappelte, also achtzig Mark, und sagte überglücklich: »Danke, stimmt so.« Gewiß, wer Trabant fährt - nicht aus Überzeugung. sondern aus materiellen Gründen -, der kann sich so hohe Trinkgelder in der Regel nicht leisten. Aber die Vorstellung, ich hätte mit meinen Kindern die Nacht auf kalter Landstraße oder irgendwo im Wald verbringen müssen, am nächsten Tag irgendwo eine normale Autowerkstatt suchen müssen ... Naja, ich war ein bißchen euphorisch. Der Autoschlosser aber war nur müde und völlig nüchtern. Er sah die achtzig Mark und fragte mich, wofür ich ihn denn hielte. Weil ich darauf keine Antwort wußte, gab er mir dreißig Mark zurück und sagte: »So einer bin ich nicht. Zehn Mark sind mehr als genug Trinkgeld.« Dann schloß er seine Werkstatt. Ich war beschämt wie ein kleiner Junge, der versucht hatte, mit Spielgeld einzukaufen. So wahr ich mir keinen Volvo kaufen kann und will - die Geschichte ist wahr. Ich sage nie wieder DIE Autoschlosser. Genausowenig werde ich von DIE Kellnern sprechen, denn mich haben schon mehrere in ihr Restaurant gelassen und freundlich bedient. Auch eine Minderheit hat das Recht, zur Kenntnis genommen zu werden. Mir haben Tankwarte zwar noch nie die Scheiben geputzt, aber sie haben manchmal eigenhändig den Tankverschluß geöffnet und danke gesagt. Wenn ich ihnen Trinkgeld gab. Ich habe auch bei Taxifahrten schon mehrmals denselben Preis für dieselbe Strecke bezahlt, wurde sogar mitgenommen, wenn es sich um Strecken unter fünf Kilometer handelte. Von Freunden weiß ich, daß es inzwischen Restaurants der Sonderklasse geben soll, an deren Türen nicht nur das Schild, sondern auch der Oberkellner stehe, der die Gäste plaziere. Ja, ich habe sogar schon mal einen Eilbrief extra zugestellt bekommen, obwohl die Post nicht wissen konnte, daß ich ihrem Boten dafür fünfzig Pfennig geben würde. Kurz, ich weiß schon von so vielen Ausnahmen, daß mir die Regel manchmal ganz und gar anomal erscheinen will.
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»Bericht und Analyse fertig. Wenn wir die Reparaturkonzeption ausgearbeitet haben, kannste ja so langsam den Wagenheber rausholen. ((
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Rudi Strahl
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Selbst nach dreimaliger Beschwerde erhielt ich in der Milchbar keine saure Sahne. Also machte ich mich auf den Weg zum Minister. Zwar meinte der Pförtner, er sei gerade am Regieren und wohl nicht zu sprechen, doch ich sagte mahnend: »Vor Ihnen steht ein entrüsteter Werktätiger, Kollege. Wollen Sie sein Vertrauen zum Staat erschüttern?« Na, und da ließ er mich natürlich hinein ins Ministerium. Der Minister war dabei, sich durch einen Waschkorb voller Briefe zu wühlen (bildlich gesprochen). Trotz der zeitigen Morgenstunde sah er schon ziemlich erschöpft aus. Auf meinen diesbezüglichen Scherz lächelte er melancholisch und wies auf den Postberg, den er schon bewältigt hatte. »Ich dachte immer, nur Schauspieler und Tenöre hätten solche gewaltige Korrespondenz!« rief ich staunend. »Früher dachte ich das auch«, seufzte der Minister. »Allein ... Was wünschen Sie, Kollege?« Ich erzählte ihm von der Sauerei in der Milchbar. Daß man dort trotz meiner dreimaligen Beschwerde nicht daran dächte, saure Sahne ins Sortiment aufzunehmen. Ich hätte zunächst nur eine schriftliche Eingabe machen wollen, Nicht wahr, Kollege Minister, Sie kümmern sagte ich, aber die Wichtigkeit der Sache sich um die saure Sahne. Andernfalls müßte dulde meines Erachtens keinen Aufich beim Staatsrat vorstellig werden. schub. Sein persönliches Eingreifen erschiene mir so notwendig wie dringend. »Denn«, rief ich erbittert, »kann man sich mit diesem provinziellen Zustand zufriedengeben, Kollege Minister?« Er schüttelte den Kopf, vermutlich, weil ihm meine Argumente einleuchteten. So fragte ich, wann er sich der Sache annehmen und sie in Ordnung bringen wolle. Es brauche ja nicht heute und morgen zu sein, aber vielleicht übermorgen ... Der Minister betrachtete den Stapel bereits geöffneter Briefe und all die andern, die noch im Waschkorb lagen. Und dann sagte er: »Ich fürchte, daß ich auch übermorgen noch nicht dazu komme.« »Nanu«, sagte ich beleidigt. Und wohl deshalb gab er mir einen Einblick in das, was ihm allein an diesem Tag von anderen Bürgern angezeigt und aufgetragen worden war. Und ich muß ehrlich zugeben, daß mich sowohl die Summe der Eingaben wie die Vielfalt ihrer Probleme beeindruckten.
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Da schrieben zum Beispiel siebzehn Zimmervermieterinnen, daß sie mit dem Lebenswandel ihres jeweiligen Untermieters nicht einverstanden wären. Der eine singe immer im Schlaf. Der zweite rasiere sich elektrisch. Der dritte sei Atheist, während sie - die betreffende Wirtin - zum Protestantismus neige. Eine andere schlug vor, das An-die-Wand-Kleben von Plakaten gesetzlich zu verbieten. Eine weitere: weiblichen möblierten Studenten das Kaffeekochen zu untersagen. Und so weiter bis zur siebzehnten. Elf Erfinder neuartiger Brotschneidemaschinen, Rasensprenger und anderer nützlicher Geräte beklagten sich über den Unverstand zuständiger Stellen. Der Minister solle dafür sorgen, daß ihre Konstruktionen in den Siebenjahrplan aufgenommen würden. Dreiundzwanzig Einwohner verschiedener Gemeinden forderten Anschluß ans Reichsbahnnetz. Sieben Einwohner verschiedener anderer beantragten die Abschaffung der Eisenbahn und den Bau moderner Flughäfen. Zwei Oberschüler aus Mühlhausen in Thüringen wiesen nach, daß ihr Mathematiklehrer mit einem Rechenschieber die Hausaufgaben überprüfe. Sie verlangten einen ohne Rechenschieber, der aber rudern können müsse. Ein Bassist aus Grimma (Sachsen) bat um Verleihung des Titels Generalmusikdirektor, weil ihn seine Milchfrau immer so scheel ansähe. Daneben gab es noch einige kleinere Probleme, die man dem Minister zur Lösung unterbreitete: kaputte Dachrinnen, vernachlässigte Dachrinnen, vernachlässigte Parkbänke und unhöfliche Oberkellner. »Daß die Leute auch mit jedem Dreck zu Ihnen kommen .. . «, sagte ich mitfühlend. Der Minister winkte resignierend ab. »Was hatten Sie doch gleich auf dem Herzen, Kollege?« fragte er. »Die saure Sahne«, erinnerte ich ihn. »Nicht wahr, Kollege Minister, Sie kümmern sich darum? Andernfalls müßte ich selbstverständlich beim Staatsrat vorstellig werden! « »Ja, ja«, sagte der Minister. Und mit müdem Blick fragte er, ob ich nicht zunächst mal den zuständigen Stadtverordneten aufsuchen könne. Ich war einigermaßen verblüfft. Denn an diese Möglichkeit hatte ich noch nicht gedacht. Ich muß es mir auch noch gründlich überlegen. Wahrscheinlich versuche ich es vorher aber beim Oberkommando der Warschauer Vertragsstaaten ...
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Statt Eiskaffee aus Kaffee-Mix dann lieber einen Rotplombe-Pudding.
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Heinz Winkler
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Pünktlich um 6 Uhr 45, wie immer, betrat Professor Salzbruch das Krankenhaus. Er, wohlbeleumdeter Chef der chirurgischen Klinik, Dr. sc. med., gut genug für ein bis zwei Ehrendoktorwürden, hatte ein ausgeklügeltes Tagesprogramm im Kopf. Er freute sich darauf, denn er war, was er war, gern. Medizinmann vom Scheitel bis zur Sohle. Die in seinem Arbeitszimmer zum Morgenrapport versammelten Mitarbeiter begrüßten ihn aufgekratzt, denn er war ein beliebter Chef. Sie kannten den Tagesplan wie er: Jetzt gleich würde er sich über die letzte Nacht informieren lassen, dann einige komplizierte Fälle aufsuchen . Um 7 Uhr 30 Sitzung mit allen Arzten, eine Stunde später die große Chefvisite. Und um 10 Uhr wird operiert, so bis gegen 13 Uhr. Danach braucht Salzbruch eine gute Stunde Ruhe, anschließend einen dicken, schwarzen Kaffee. Kurz nach 14 Uhr begann seine Sprechstunde, natürlich nur für Problemfälle, die seine weniger berühmten Kollegen nicht klären konnten, und um 16 Uhr war eine Vorlesung angesetzt: Facharztausbildung für angehende Chirurgen. Danach pflegte der Professor noch einmal in der Klinik aufzutauchen, um sich über das Befinden der am Vormittag zurechtgeflickten Patienten zu erkundigen. Erst wenn er relativ sicher war, daß alle die nächste Nacht überleben würden, fuhr er in die Vorstadt hinaus in sein Haus, in ein sehr schönes Haus übrigens. Na klar. Es irrt der Mensch, solang er strebt! In der Siebenuhrdreißigsitzung der Arzte war Dr. Stichling gerade dabei, anhand von Röntgenbefunden die Operabilität eines Ulcus pepticum zu bezweifeln, als die Chefsekretärin störte: Der Professor möge bitte dringend herauskommen, ein 84 Zentimeter langes, soeben eingetroffenes Fernschreiben erfordere sofartiges Handeln. Das Fernschreiben kam, wie man so sagt, von höchster Ebene und ersuchte den Professor, ohne Aufschub die Bettenentwicklung bis 1990 prognostisch zu erfassen, den Bedarf an grauer Salbe und an Gips überschlägig für ein Planjahrfünft zu errechnen, den voraussichtlichen Bedarf an Krankenschwestern ab 1981 abzuschätzen und dergleichen mehr. 27 Positionen. Termin: in zwei Stunden. Diese Ermittlungsarbeit hatte unter der persönlichen Leitung des Professors stattzufinden, der mit seinem Namen für die Prognosesicherheit bürgen müsse. Salz••
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bruch schickte die Ärzte fort und ließ den Verwaltungsleiter und die Oberschwester kommen. Er telefonierte mit Verkehrsexperten über die zu erwartende Zunahme an Verkehrsunfällen, um daraus den steigenden Gipsbedarf zu errechnen. Er ließ ermitteln, ob aus der durchschnittlichen Tolpatschigkeit von Jungschwestern ein wachsender Bedarf an Urinflaschen abzuleiten sei. Er veranlaßte ein Probeliegen in freien Betten, um deren mittlere Lebenserwartung einzuschätzen. Er machte noch allerhand, und um 8 Uhr 5 7 rasselte der Fernschreiber eine Zusammenstellung hinaus, die um 38 Zentimeter länger war als die Anforderung. Die verspätete Chefvisite verlief ohne größere Störungen. Als Salzbruch um 10 Uhr 15 am Operationstisch stand und nach dem Skalpell verlangte, rief seine Sekretärin durch die Tür: »Herr Professor, sofort zum Arztlichen Direktor!« Draußen versuchte zwar das leuchtende »Nicht stören! Operation!« zu schokken, aber der Arztliche Direktor verstand keinen Spaß. Salzbruch drückte das Skalpell seinem Assistenten in die Hand . •• Der Arztliche Direktor hatte eine Eingabe auf dem Tisch liegen, als Salzbruch ungehalten, aber mit der in der medizinischen Hierarchie gebotenen Ehrerbietung eintrat. Die Behandlung der Sache dulde keinen Aufschub, verordnete der oberste Chef, und Salzbruch möge ihm doch bitte kurz begründen, wieso er zwei Blinddarmnarben in so unterschiedlicher Qualität angefertigt habe. Eine berühmte Opernsängerin habe die ihre mit der ihrer Garderobiere verglichen und festgestellt, daß sie arg im Nachteil sei. Ihr Ruf könne leiden und so weiter. Salzbruch erläuterte, daß der Bauch der Sängerin von seinem Assistenten vernäht worden sei, weil er selbst zu einer dringenden Besprechung abgerufen wurde. Der Ärztliche Direktor ermahnte ihn streng, sich nicht von seiner verantwortungsvollen Arbeit im Dienste der Volksgesundheit durch administrative Bagatellen abhalten zu lassen, und beauftragte ihn, die Antwort an die Frau Opernsängerin gleich draußen im Vorzimmer zu diktieren. Mittlerweile war es fast halb zwölf geworden, und Salzbruch faßte den Entschluß, sich nicht erst noch einmal steril machen zu lassen. Von 12 bis 1 Uhr lagen nur kleine, leichte Fälle auf dem Tisch, das konnte der Assistent allein. Er führte auf Anraten der Oberschwester außerplanmäßig zwei Kadergespräche und konnte dank seiner Beredsamkeit und sei-
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>>Die Satire müßte noch schärfer werden.<< »Das können Sie laut sagen.«
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ner aseptischen Autorität erreichen, daß zwei Krankenschwestern nicht fluktuierten. Seine Ruhestunde hatte er daraufhin so nötig wie nach einer Dünndarmtransplantation. In der Sprechstunde tauchten heute durchaus interessante Fälle auf. Zum Beispiel eine attraktive Brünette, die sich gerade frei gemacht hatte, als ihm die aufmerksame Sprechstundenschwester einen Zettel hinhielt. Das Kreiskomitee für Gesundheitserziehung hatte kurzfristig eine Sitzung auf 15 Uhr vorverlegen müssen, und der verehrte Professor wurde gebeten, seinen Vortrag zu diesem Zeitpunkt zu ermöglichen. Salzbruch überantwortete die Brünette nicht ohne Neid dem Oberarzt. Gegen 15 Uhr 30 stellte sich heraus, daß die Sitzung mangels Masse ausfallen mußte, und so konnten die Jungärzte den Professor Punkt sechzehn Uhr mit begeistertem Trampeln zur Vorlesung begrüßen, die er allerdings eine Stunde früher abbrechen mußte, weil ihm ein abermaAus Originalitätssucht wollte er nicht den liges Fernschreiben auf das Pult geText wiederholen, den er schon mindestens schoben wurde: Das Ministerium für zwölfmal geschrieben hatte. Gesundheitswesen verlangte umgehend und ausführlich die Bestätigung, daß für den in zwei Monaten vorgesehenen Besuch eines ausländischen Gastes in der Klinik alles abgesichert sei. Man forderte die persönliche Stellungnahme des Professors, und zwar gleich. Dieses Fernschreiben machte dem Professor einiges Kopfzerbrechen, denn aus Originalitätssucht wollte er nicht den gleichen Text wiederholen, den er in dieser Sache schon mindestens zwölfmal an die verschiedensten Stellen geschrieben hatte. Er tauchte deshalb erst gegen 19 Uhr an den Betten der am selben Tag Operierten auf und stellte erleichtert fest: alles gelaufen. Eine Naht saß schief, und er erkundigte sich vorsorglich nach dem Beruf der Trägerin: Postzustellerin, wahrscheinlich nichts zu befürchten. Das Abendprogramm im Fernsehen lief längst, als er sich bei seiner Frau für die späte Heimkehr entschuldigte. Sie schnitt ihm das Wort ab: Sie sei stolz auf ihn, wenn sein Tag lang war, das wisse sie, dann habe er auch vielen Menschen geholfen. *
Da habe ich Sie aber auf den Besen geladen, Kollegen Leser! Der Arbeitstag des Professors Salzbruch ist genauso verlaufen, wie er ihn morgens im Kopf hatte. Fortwährende Störungen in der Arbeit kann man sich nämlich nur in Fachrichtungen erlauben, wo nicht gleich Lebensgefahr entsteht, wenn die Produktivkraft Wissenschaftler abverfügt wird.
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Ein US-Bankier ist beim DDR-Finanzministerium eingeladen und sieht große Mengen an Gold herumliegen. Erstaunt sagt de1· Amerikaner zum Gastgeber: »In meiner Heimat ist Gold ein sehr kostbares Gut. Es befindet sich in Fort Knox, ist umgeben von einer fast unüberwindlichen Betonmauer, von Wachtürmen, Stacheldraht und wird von Hunden u.nd Soldaten bewacht.« - »Sehen Sie«, antwortet der Minister, »das ist der Unterschied zwischen Ihrem und unserem System. Bei uns ist der Mensch das höchste Gut.«
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Edgar Külow
io 11orr~e to Erich Honecker besucht einen Holzschnitzer im Erzgebirge. Der Schnitzer schnitzt einen Bergmann, haucht ihn an, und der Bergmann erwacht zum Leben! Erich fragt: »Kann ich das auch?« Der Schnitzer bejaht, gibt Erich ein Stück Lindenholz und ein Schnitzmesser. Erich legt los. Schließlich haucht er sein Werk an-und haucht sich fast die Lunge aus dem Hals. Der Schnitzer besieht sich die Figur. »Aber Erich, das ist doch kein Bergmann?« Erich: »Nein, das ist ein Genosse!« Da sagt der Schnitzer: »Das hättest du gleich sagen müssen! Einen Genossen mußt du treten, bevor er sich bewegt.«
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Genossin (Win) und Genosse Wolkenberg (ivJ sitzen an einem Tisch im Restaurant. Genosse Gehroff (G) tritt ein. W: Genosse Gehroff! G: Genosse Wolkenberg! Beide: So eine Uberraschung. Schön, dich mal zu sehen! Umannen sich und große Wiedersehensfreude. G: Darf ich? Zeigt zum Tisch hin. W: Du darfst. Darf ich dir meine neue Gattin vorstellen!? ••
G: Ah! W: Naja! Also Gerda hat sich zuletzt fast nur noch um die Kinder gekümmert. Ist in ihrer Entwicklung einfach stehengeblieben. Ich mußte mich einfach von ihr trennen. Gehroff gibt Petra die Hand. Ja. Während Petra hier - kommt direkt von der Parteischule. vertraulich Hat eine wichtige Funktion im Kreiskulturhaus Köpenick. Was macht denn meine Freundin, die Sonja? G: Meine Tochter? - Die ist verheiratet. W: Na, gucke! Wen hat sie denn? G: Einen Russen! W: Einen ... was? G: Einen Russen! Physiker aus Nowo-Woronesh. W stottert: Nowo-Nech? Und die leben hier? G: Nein! Sonja ist rübergezogen. W: In die Sowjetunion? G: Natürlich! Oder denkste, die braucht da 'ne Anerkennung als politischer Flüchtling? W: Nicht doch! G: Oder denkst du vielleicht, die liefem aus? W: Du weißt ganz genau, wie ich zur Sowjetunion stehe. Sie ist für mich die Wiege der proletarischen Revolution. Die Freundschaft zur Sowjetunion - also daran beweist sich, ob einer, also, kann man erkennen, wie weit - ich meine, ich war ja selbst schon mal ... G: Was? W: In der SU. Aufblühend, aufblühend - wo du hinguckst- aufblühend! G: Eben drum! W: Aber für immer dahin? Nee! Es sind ja ganz andere Menschen!
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G: Ja, vor allem die Udmurten und Karamtschesen. W: Ich meine die Lebensgewohnheiten. G: Was denn für Lebensgewohnheiten? W: Du bist doch selber Marxist. Da weißt du doch auch, daß Menschen, die in Sibirien leben, wo es immer so kalt ist, daß die zum Beispiel mehr saufen als woanders. G: Du, ich war früher mal auf Sizilien, da ist es nur warm. Aber was da gesoffen wird! W: Ja, das ist richtig! Aber die Freunde trinken viel schärferes Zeug als die Sizilianer. G: Natürlich! Die Russen saufen Salzsäure, und anschließend pinkeln sie Löcher in' Beton! W: Laß doch mal den Quatsch! Ich meine - also, Petra, du weißt doch, was ich • meine. Win: Haben die denn in Woronesh überhaupt eine Wohnung? G: Noch nicht! Aber sie sollen 1980 eine kleine Erdhöhle kriegen. Win: Aber Sie werden mir doch zugeben, in der Sowjetunion muß Ihre Tochter auf einigen Komfort verzichten! G: Auf welchen? W: Na, der den Sozialismus attraktiv macht. Wir sind doch unter uns, wir können doch offen darüber reden!? Zum Beispiel: Westpakete! G: Für Sonja ist das unwichtig. Sie hat hier auch nie Westpakete bekommen. Win: Auch nicht mal ... ? G: Auch nicht »mal«. Win: Na, dann vermißt sie ja nichts in der Sowjetunion. G: Doch! Sicher wird ihr einiges von der DDR fehlen. Es ist ja ihre Heimat! W: Na, siehste ! G: Aber bestimmt nicht diese DDR-Sozialisten mit den langen Ohren, die immer in die Sowjetunion horchen - und den großen Augen, die immer in die Bundesrepublik sehen - und den Riesenhänden, die erraffen, was sie von Ost und West kriegen können. W: Was willste denn damit sagen? G: Na, diese Sorte ist in der Sowjetunion etwas seltener!
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118 Ernst Röhl
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Wenn man, wie ich, in einer leitenden Position tätig ist, hängt für die optimale Lösung der Aufgaben viel davon ab, mit welchen Mitarbeitern man sich umgibt. Nichts ist einfacher, als den bequemen Weg zu gehen und Leute heranzuziehen, die alles gutheißen, was der Chef für richtig hält. Die dem Chef am liebsten gleich hinten reinkriechen würden, wenn es bloß ginge. Doch was sind das für Leute? Na, was schon! Speichellecker . sind es, wenn nicht noch Schlimmeres. Auf jeden Fall Leute, die ganz und gar nicht mehr in unsere Landschaft passen. Ich bin, offen gestanden, für den unbequemeren Weg. Ich brauche für die qualifizierte Lösung der komplizierten Aufgaben unbestechliche Kader mit einem Blick für die reale Situation. Die eine eigene Meinung haben und diese bis zum letzten Atemzug vertreten. Ohne Rücksicht auf Prämien und Karriere. Verständlicherweise erfreuen sich diese aufrechten Dickschädel mitunter keiner allzu großen Beliebtheit im Kollegenkreis. Aber zum Glück machen sie sich nichts daraus. Ich persönlich freue mich immer wieder, wie sich unser Kollege Kasperski herausgemacht hat! Wie er mit den gewachsenen Aufgaben gewachsen ist. Das ist einer, der nicht im Traum daran denkt, aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen. Der schleudert mir Dinger ins Gesicht, daß ich im stillen erst bis zehn zählen muß, um nicht spontan ungemütlich zu reagieren. Unangenehme Wahrheiten! »Schlechtes Wetter heute!« sagt er beispielsweise, wenn es draußen in Strömen regnet. Oder er überbringt mir eine Hiobsbotschaft der Fahrdienstleitung: »Kollege Direktor« , sagt er ohne lange herumzustammeln, »der WOLGA ist defekt. Sie werden die Dienstfahrt mit dem WARTBURG machen müssen.« Kritik von unten ist bekanntlich nichtjedermanns Sache. Kasperski allerdings kennt diesbezüglich keine Hemmungen. Der kritisiert ohne Ansehen der Person. Neulich sage ich in aller Unschuld: »Suchen Sie mir doch bitte das Protokoll der letzten Produktionsberatung raus; ich will es nach Feierabend noch mal gründlich durchgehen.« »Kommt gar nicht in Frage«, knirscht Kasperski mit schlecht unterdrückter Wut. »Sie ruinieren Ihre Gesundheit, Kollege Direktor. So! Das wollte ich Ihnen schon lange sagen.«
Wo wir sind, ist vorn
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Kasperski hat nun mal seinen Kopf für sich. Der schreckt selbst vor offenem Widerspruch nicht zurück. In der Qualilätsanalyse für das dritte Quartal hatte ich als Fazit formuliert: »Wir schätzen ein, daß SO Prozent der in unserem Betrieb produzierten volltransistorisierten Rasenmäher den Qualitätsanforderungen nicht genügen.« Ich frage Kasperski: »Sind Sie der gleichen Meinung?« - »Tut mir leid«, sagt er. »Ich finde, genau das Gegenteil ist richtig.« Wenig später kriege ich von der VVB eins aufs Dach. Wegen schlechter Leitungstätigkeit und angeblich mangelhafter Arbeit mit den Menschen. Natürlich bin ich mir keiner Schuld bewußt, aber wenn der Generaldirektor es so einschätzt, macht man sich eben doch seine Gedanken. Ich wende mich vertrauensvoll an Kasperski: »Sagen Sie mir frei und offen, ohne Schmus was halten Sie von meinem Leitungsstil?« Kasperski mustert mich kritisch und sagt: »Ich weiß, was Sie gern hören möchten. Sie wollen, daß ich Ihnen schmeichle, daß ich Ihnen nach dem Munde rede. Aber den Gefallen werde ich Ihnen nicht tun. Ich sage Ihnen die Wahrheit: Kollege Direktor, Ihr Leitungsstil ist ausgezeichnet.« Mit einem Wort - ein Charakter!
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Ab 1978 kann Weihnachten in der DDR nicht mehr gefeiert werden: Josef ist zur Volksarmee erngezogen, Maria muß arbeiten, die Hirten stehen auf Friedens. wacht und die drei Weisen sind kürzlich in den Westen getürmt ...
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1977
1977 Verhör bei der Stasi: »Genosse, Sie waren jetzt drei Wochen nicht mehr zu Parteiversammlung.« Genosse: »Ja ... ich hatte viel zu tun.« Stasi: }} Aber Sie sind letzten Sonntag in der Kirche gesehen worden.« Genosse: »Hmm, ja, da mußte ich ... « Stasi: »Und Sie wurden auch gesehen, als sie Geld in den Klingelbeutel getan haben. Aber Ihren letzten Parteibeitrag haben Sie noch nicht bezahlt.« Genosse: »Naja, den bezahle ich natürlich noch.« Stasi: »Und was noch schlimmer ist: Sie wurden auch gesehen, als Sie vor Jesus knieten und ihm die Füße küßten. Sagen Sie, würden Sie das mit unserem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker auch machen?« Genosse: »Naja .. . also wenn er da so hängen würde ... «
1. Januar
Die Visapflicht für Ausländer und Staatenlose bei Tagesreisen von West- nach Ost-Berlin tritt in Kraft.
1. Januar
Ein neues Arzneibuch löst das erste von 1964 ab. Die siebenbändige Ausgabe regelt u. a. die Qualitätsvorschriften für die Fertigung aller Arzneimittel.
16. Januar
Nach Rekonstruktion wird das Große Haus des Volkstheaters Rostock wiedereröffnet.
20. Januar
Erster Spatenstich für den Neubau des Gewandhauses in Leipzig.
25.-29. Ja.nuar Anett Pötzsch und Jan Hoffmann gewinnen die Europameisterschaft im Eiskunstlauf in Helsinki. 4. Februar
DEFA-Kinderfilmpremiere >>Der kleine Zauberer und die große Fünf<< nach dem Buch von Uwe Kant.
4. Februar
Beginn der Fernsehserie >>Zur See<<.
5. -6. Februar
Der Bob DDR 1 (Meinhard Nehmer, Hans-Jürgen Gerhardt, Bernhard Germeshausen, Raimund Bethge) wird Weltmeister im Bobsport bei der WM in St. Moritz (Schweiz).
17. Februar
Erich Honecker bestätigt in einem Interview mit der >>Saarbrücker Zeitung<<, daß rund 10 000 DDR-Bürger Ausreiseanträge gestellt haben. Eine großzügigere Reiseregelung in das westliche Ausland könne es aber nur bei Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft durch die Bundesregierung geben.
24. Februar
DEFA-Filmpremiere >>Mama, ich lebe<<, Konrad Wolfs Film nach einem Buch von Wolfgang Kohlhaase.
27. Februar
Uraufführung der Oper >> R. Hot<< von Friedrich Goldmann/Theodor Körner, Regie: Peter Konwitschny.
6. März
In Dresden findet erstmals eine erfolgreiche Lebertransplantation statt.
17. März
Das neue Theater in Karl-Marx-Stadt eröffnet.
20.-27. März
Mit einer Festwoche wird der 150. Todestag Ludwig van Beethovens begangen.
2. April
Fidel Castro trifft zu einem Staatsbesuch in der DDR ein; Gespräche über die wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Zeittafel 1977
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9./10. April
Erste Jazzbühne an der Berliner Volksbühne, initiiert von Klaus Lenz.
17. April
DEFA-Kinderfilmpremiere >> Trini << nach dem Buch von Ludwig Renn.
7. Mai
Uraufführung von Franz Xaver Kroetz' >>Agnes Bernauer<< in Leipzig.
26. Mai
Der Ministerrat verabschiedet eine neue Straßenverkehrsordnung.
26. Mai
Ludwig Renn
Grundsteinlegung für das Centrum-Warenhaus am Berliner Ostbahnhof.
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1. Juni
Das >>Brecht-Weigel-Haus<< in Buckow wird als Gedenkstätte übergeben.
3. Juni
Gründung der Gesellschaft zur Denkmalpflege.
16. Juni
Leonid Breshnew wird als Nachfolger von Nikolai Podgorny zum Vorsitzenden des Obersten Sowjets gewählt.
20. Juni
Manfred Krug, einer der beliebtesten Schauspieler und Sänger der DDR, reist mit seiner Familie in die Bundesrepublik Deutschland aus.
23./24. Juni
Das ZK faßt Beschlüsse zur Entwicklung von Elektronik und Elektrotechnik. Ab 1.1.1978 sollen neue Kombinate gebildet werden.
24. Juni
Erstmals beteiligen sich DDR-Künstler an der Documenta in Kassel, u. a. Willi Sitte, Werner Tübke, Bernhard Heisig.
25. Juni
Mit einer feierlichen Grundsteinlegung beginnt in Dresden der Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstörten weltberühmten Semper-Oper.
1. Juli
Eine neue Kaffeesorte kommt in den Handel: >>KaffeeMix<<. Der Volksmund nennt das Gebräu >>Erichs Krönung<<.
Was ist der Unterschied zwischen Jacobs-Kaffe und Kaffee-Mix? Jacobs ist die Krönung, Kaffee-Mix ist der Gipfel. 1.-3. Juli
Tanzfest in Rudolstadt.
7. Juli
DEFA-Filmpremiere >>Ottokar, der Weltverbesserer<< nach dem Buch von Ottokar Domma mit Kurt Böwe.
Werner Tübke
Ein Ausländer ist Gast einer Parteikonferenz. »Warum stehen hier alle auf und skandieren: >Erich, Erich« »Damit sie nicht sit•• zen mussen.«
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Zeittafel 1977 -
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14.-16. Juli
Erstes internationales Liederfestival >>Menschen und Meer<< in Rostock.
17. Juli
DEFA-Filmpremiere >>Der Katzensprung<<.
25.-31. Juli
VI. Turn- und Sportfest in Leipzig.
27.Juli
Zugunglück nahe der Ortschaft Lebus, ein Personenzug stößt frontal mit einem Güterzug zusammen. 29 Tote. Ursache: eine falsch gestellt Weiche.
4. August
Der Philosoph Ernst Bloch stirbt.
23. August
Verhaftung des Regimekritikers Rudolf Bahro wegen Veröffentlichung seines Buches >>Die Alternative<< in der Bundesrepublik sowie unter dem Vorwurf nachrichtendienstlicher Tätigkeit. Am 30.6.1978 wird er zu acht Jahren Haft verurteilt, 1979 ausgebürgert.
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26. August
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Als erste Frau der Welt überspringt Rosemarie Ackermann 2,00 m beim ISTAF in Westberlin.
21 . September Die DDR hebt die Beschränkungen für die Mitführung von Genußmitteln wie Kaffee, Kakao, Schokolade und Spirituosen bei der Einreise auf. Auch Beschränkungen für Genußmittel im Geschenkverkehr werden aufgehoben. 23. September Die >>Kaffee-Frage<< spitzt sich zu. Der Weltmarktpreis hat sich innerhalb von 2 Jahren verdreifacht. 300 Millionen Dollar zahlt die DDR für Kaffee-1 mporte. >>Sie auszugeben, fällt uns nicht leicht<<, sagt Erich Honecker. '
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23. September DEFA-Filmpremiere >>Ein irrer Duft von frischem Heu<< nach dem Lustspiel von Rudi Strahl, mit Peter Reusse.
Peter Reusse
26. September Erich Honecker eröffnet in Dresden das Parteilehrjahr. Er sagt: >>Die Intershops sind kein ständiger Begleiter des Sozialismus<<, aber die Möglichkeit, die Devisen im Land zu behalten. Der Ausbau der Exquisitläden wird angekündigt, so daß jeder Bürger >>Waren der höheren Preisklassen erwerben kann<< . 1. Oktober
Eröffnung der VIII. Kunstausstellung der DDR in Dresden.
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Zeittafel 1977 7. Oktober
10. Oktober
Nach offiziellen Feiern zum Nationalfeiertag der DDR kommt es zu Prügeleien zwischen Jugendlichen und der Volkspolizei auf dem Alexanderplatz.
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Die Malerin Lea Grundig stirbt.
14. -17. Oktober Erster WM-Titel für den Deutschen Ringer-Verband durch Heinz-Helmut Wehling im Ringen (Leichtgewicht). 3. November
Schlüsselübergabe im Neubaugebiet Leipzig-Grünau, für das am 1. Juni 1976 der Grundstein gelegt wurde.
8. November
Der Historiker und Jugendbuchautor Ferdinand May stirbt.
26. November
In Hamburg wird eine mehrwöchige Wolfgang-Mattheuer-Ausstellung eröffnet.
30. November
Bestätigung des Wolfsburger VW-Werkes über die Bestellung von 10 000 VW-Golf durch die DDR, die bis 1978 geliefert werden. .
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Ferdinand May
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Warum wird es in der DDR nicht mehr richtig Winter? Der Golfstrom kommt. 11. Dezember
Uraufführung des Victor-Jara-Films >>EI Cantor<<, Regie und Hauptdarsteller Dean Reed.
22. Dezember
Unterzeichnung des Abkommens über den gegenseitigen Warenaustausch für 1978 zwischen der DDR und der UdSSR. Er soll auf 7,3 Milliarden Rubel steigen.
1977 verlassen 12 078 DDR-Bürger das Land.
Sportler des Jahres:
neue Bücher:
große Hits:
Rosemarie Ackermann (Leichtathletik)
Paul Gratzik >> Transportpaule<<
>>Am Fenster<< City
Rolf Beilschmidt (Leichtathletik)
Werner Heiduczek >>Tod am Meer<<
>>Alt wie ein Baum<< Puhdys
Lei chtath leti k-Nationa 1- Hermann Kant man nschaft der Männer >>Der Aufenthalt<< Torschützenkönig der Oberliga: Joachim Streich vom 1. FC Magdeburg mit 17 Treffern
>>Märchenzeit<< Karat
Wolfgang Kohlhaase >>Silvester mit Balzac<<
>>He Mann<< Modern Soul Band
Klaus Schlesinger >>Berliner Traum<<
>>Nein Doktor, nein<< Veronika Fischer
Maxie Wander >>Guten Morgen, du Schöne<<
>>Wasser und Wein<< Lift
Oberliga-Plazierung 1977 1. SG Dynamo Dresden 2. 1. FC Magdeburg 3. FC Carl Zeiss Jena 4. BFC Dynamo 5. 1 . FC Lok Leipzig 6. FC Rot-Weiß Erfurt 7. Hallescher FC Che• m1e 8. Sachsenring Zwikkau 9. FC Karl-Marx-Stadt 10. BSG Wismut Aue 11. 1. FC Union Berlin 12. FC Vorwärts Frankfurt/O. 13. BSG Stahl Riesa 14. FC Hansa Rostock
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Zeittafel 1978
1978 Stricknadel zur Nähnadel: »Du, soll ich dir mal 'n politischen Witz erzählen?« »Pssst! Da kommt 'ne Sicherheitsnadel!«
1. Januar
Ein neues Arbeitsgesetzbuch tritt in Kraft.
1. Januar
Das Kombinat Mikroelektronik Erfurt wird gebildet, dem Kombinat Robotron Dresden wird das Kombinat Zentronik eingliedert, das nun mit 70 000 Beschäftigten das größte der DDR ist.
1. Januar
Neue Musterstatuten und Betriebsordnungen für die LPG treten in Kraft.
10. Januar
Büro des Nachrichtenmagazins >>Der Spiegel<< in OstBerlin wird durch die DDR-Behörden geschlossen. Damit reagiert die SED-Führung auf die Veröffentlichung eines Manifests einer angeblichen SED-Oppositionsgruppe.
15./16. Januar
Mehreren Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird die Einreise nach Ost-Berlin verweigert.
1. Februar
Das Ministerium für Volksbildung erläßt eine Direktive zur Einführung und Gestaltung des Wehrunterrichts in den Klassen 9 und 10 der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen ab dem 1.9.1978.
4. Februar
>>Neumann - 2x klingeln<< heißt es nun bereits seit 10 Jahren bei Radio DDR. Die Rundfunkfamilie (gesprochen von bekannten Schauspielern wie Helga Göring, Herbert Käfer und Helga Piur) erlebt Freud und Leid eines DDRAlltags - und Millionen Hörer fiebern bei den über 600 Folgen mit .
10. Februar
Eröffnung des ehemaligen Wohnhauses von Bertolt Brecht in der Berliner Chausseestraße als Gedenkstätte und Archiv.
18. Februar
Das DDR-Kulturministerium legt einen >>Plan zur langfristigen Entwicklung der sozialistischen Kultur und ihrer materiell technischen Basis<< vor. Darin wird unter anderem eine Steigerung der jährlichen Buchneuerscheinungen von 5900 auf 7200 genannt.
6. März
Erich Honecker trifft sich zu Gesprächen mit dem Vorstand der Evangelischen Kirche in der DDR. >>Den Kirchen als Kirchen im Sozialismus eröffnen sich viele Möglichkeiten des Mitwirkens an zutiefst humanistischen Zielen.<<
6. März
Bei einem Hubschrauberabsturz in Libyen kommt Politbüromitglied Werner Lamberz, der als Nachfolger Honeckers gehandelt wird, ums Leben. Spekulationen um ein Attentat setzen ein, sind jedoch nicht haltbar.
7. -11. März
In Ottawa (Kanada) wird Anett Pötzsch Weltmeisterin im Eiskunstlauf.
10. März
DEFA-Filmpremiere >>Brandstellen<< nach Franz-Josef Degenhardt mit Karin Gregorek, Annekathrin Bürger und Dieter Mann.
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Herbert Köfer
Helga Göring
Zeittafel 1978 24. März
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Zwischen Kirchen und SED-Führung wird vereinbart, daß zusätzlich zur traditionellen sonntäglichen Rundfunk-Gottesdienstübertragung die Kirche monatlich 15 Minuten Sendezeit im Radio und sechs Sendetermine im II. DDRTV erhält.
30. März - 1. April Als erster westlicher Regierungschef seit der internationalen Anerkennung der DDR trifft Österreichs Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) in Ost-Berlin zu einem Staatsbesuch in der DDR ein. 20. April
Uraufführung des Theaterstückes >>Germania Tod in Berlin<< von Heiner Müller in München.
1. Mai
Das Thüringer Röhrenwerk Mühlhausen stellt erstmals 100000 Taschenrechner vom Typ MR 201 her.
8. Mai
Waldemar Cierpinski siegt beim ersten Marathonlauf Prag-Lidice-Prag.
21. Mai
Erstaufführung von Peter Weiss' >>Der Prozeß<< nach Kafka, Regie: Hanns Anselm Perten.
25. Mai 26.-28. Mai
DEFA-Filmpremiere >>Jörg Ratgeb, Maler<<. Das größte Kirchentreffen seit dem Kirchentag von 1954 findet statt.
29.-31. Mai
Auf dem 8. Schriftstellerkongreß der DDR wird Hermann Kant als Nachfolger von Anna Seghers zum neuen Präsidenten der Vereinigung gewählt. Der Kongreß tagt unter dem Motto: >>Der Schriftsteller in den Kämpfen unserer Zeit.<<
30./31. Mai
Auf der NATO-Ratstagung in Washington wird der sogenannte Doppelbeschluß gefaßt, der vorsieht, atomare Mittelstreckenraketen in Westeuropa zu stationieren, sofern die UdSSR ihre entsprechenden Waffen nicht aus Osteuropa abzieht.
3.-4. Juni
DDR-Mannschaft gewinnt den ersten internationalen Vergleichskampf querschnittsgelähmter Sportlerinnen und Sportler der sozialistischen Länder in der Leichtathletik in Berlin.
5.-8. Juni
Günter Mittag reist nach Frankreich und vereinbart unter anderem eine Zusammenarbeit mit Citroen.
12. Juni
Erich Honecker und der Ständige Vertreter der Bundesrepublik Deutschland, Günter Gaus, treffen sich in Ost-Berlin zu einem Meinungsaustausch. Honecker sichert dabei Gaus den sofortigen Beginn von Gesprächen über den Bau einer Autobahn von West-Berlin nach Hamburg zu.
30. Juni
Ein weiterer lndianerfilm mit Gojko Mitic kommt in die Kinos: >>Severino<<.
6. Juli
DEFA-Kinderfilmpremiere >>Rotschlipse<<.
6. Juli
Udo Beyer stellt in Göteborg einen neuen Weltrekord im Kugelstoßen auf.
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Zeittafel 1978 6. Juli
Die einmillionste Neubauwohnung seit dem VIII. Parteitag wird in Berlin-Marzahn übergeben.
2. August
Evelin Jahl gelingt in Dresden in neuer Weltrekord im Diskuswerfen.
3. August
Die Republik Surinam nimmt diplomatische Beziehungen zur DDR auf.
24./25. August Das ZK beschließt weitere Kombinatsbildungen, von bisher 54 zentralgeleiteten Kombinaten erhöht sich die Zahl bis 1982 auf 133. 26. August-3. September Als erster Deutscher nimmt der DDR-Kosmonaut Sigmund Jähn an einem Weltraumflug an Bord von >>Sojus 31 << teil. „~
Sigmund ]ähn
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»Unser Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn ist zum Direktor aller Kaufhäuser der DDR ernannt worden.« »Wieso denn das?« »Er kennt sich aus im leeren Raum.« 29. August- 3. September Bei den Europameisterschaften in Prag siegt Marlies Göhr über 100 m, Marita Koch läuft über 400 m Weltrekordzeit.
Anfrage an den Sender Jerewan: »Stimmt es, daß beim Besuch der DDR-Delegation in Rom ein Konkordat mit dem Papst ausgehandelt wurde?« Antwort: »Im Prinzip ja, es wird aber noch über den ersten Satz dieser Übereinkunft verhandelt. Der Papst besteht darauf, daß er lautet: >Gott hat den Menschen erschaffen.< Die Delegation wünscht die Hinzufügung: >Unter Anleitung der Partei.<«
1. September
In den 9 und 10 Klassen wird der Wehrunterricht eingeführt. In acht Doppelstunden pro Schuljahr werden die Schüler über Waffengattungen, Verteidigung und die militärische Situation in Mitteleuropa informiert.
1. September
Das Internationale Handelszentrum in der Berliner Friedrichstraße wird übergeben.
2./3. September Eine offizielle DDR-Delegation unter Leitung von Gerald Götting nimmt an der Amtseinführung von Papst Johannes Paul 1. teil. 19. September Günter Reischs Film >>Anton der Zauberer<< mit Ulrich Thein wird ein Publikumserfolg. Vom Schrottvertreter zum Millionär, vom Strafgefangenen zum Ersatzteilbeschaffer. 28. September Der Ministerrat erläßt eine neue Verordnung über den Erholungsurlaub von Werktätigen: der bezahlte Jahresurlaub wird vom 1.1.1979 von 15 auf 18 Tage erhöht. 4. Oktober
An der Autobahnanschlußstelle Röbel in Mecklenburg wird die letzte, etwa 40 km lange Strecke der Autobahn Berlin-Rostock freigegeben. Beim Bau der 228,5 km langen Autobahn mußten 122 Brückenbauwerke errichtet werden. Das erste Teilstück zwischen Birkenwerder und Linum wurde im Oktober 1972 eingeweiht.
4. -8. Oktober
Jürgen Heuser (Superschwergewicht) wird Weltmeister im Gewichtheben in Gettysburg (USA).
5. Oktober
DEFA-Filmpremiere >>Sieben Sommersprossen<< nach einem Szenarium von Christa Kozik.
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Ze it tafe l 1978
13. Oktober
Ein neues Verteidigungsgesetz wird beschlossen.
30. Oktober
Bei der WM in Hamilton (Neuseeland) gewinnen die Ruderinnen und Ruderer acht Gold-, und drei Silbermedaillen.
6. November
Unangekündigte Premiere des Films >>Das Versteck<< von Frank Beyer nach dem Buch von Jurek Becker in Berlin. Der Hauptdarsteller Manfred Krug lebt seit 1977 in der Bundesrepublik.
16. November
Im DDR-Außenministerium in Ost-Berlin unterzeichnen Vertreter der Bundesrepublik und der DDR das Verkehrsabkommen zwischen beiden Ländern. Darin werden der Bau einer neuen Transitautobahn zwischen Berlin und Hamburg, die Wiedereröffnung des Teltowkanals für die Binnenschiffahrt und die Neuregelung der Transitpauschale an die DDR vereinbart.
25. November
]urek Becker
Erstaufführung von Dario Fos >>Zufälliger Tod eines Anarchisten<<, Regie: Dieter Mann.
30. November - 10. Dezember Zum dritten Mal nach 1971 und 1975 werden die DDR-Handballerinnen in Bratislava Weltmeister. 1. Dezember Aufnahme diplomatischer Beziehungen von Papua-Neuguinea zur DDR. 31. Dezember In diesem Jahr hat die DDR 11 Milliarden (Devisen-)Mark für die Tilgung von Krediten und Zinsen aufzubringen. Rund 40 °/o ihrer Deviseneinnahmen müssen für den Schuldendienst aufgewendet werden. Dem stehen erwartete Einnahmen aus Exporten von 9,3 Mrd. Mark gegenüber. 1978 verlassen 12177 DDR-Bürger das Land.
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neue Bücher:
Marlies Koch (Lei chtath 1eti k)
Günter de Bruyn >>Über sieben Brücken >>Märkische Forschungen<< mußt du gehn<< Karat Günter Görlich
Udo Beyer (Kugelstoßen)
>> Eine Anzeige in der Ruderachter der Männer Zeitung<< Peter Hacks >>Die Maßgaben der Torschützenkönig der Kunst<< Oberliga: Harry Thürk Klaus Havenstein von >>Der Gaukler<< der BSG Chemie Böhlen Joachim Nowotny mit 15 Treffern >>Ein seltener Fall von Liebe<< Jurek Becker >>Schlaflose Tage <<
große Hits:
>>Wilde Jahre<< Puhdys >>King vom Prenzlauer Berg<< City >>Sagte mal ein Dichter<< Holger Biege >>Entweder oder<< Karussell >>Weißt du noch<< Rate Gitarren
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Sportler des Jahres:
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Rechtliches
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Roe/!atllie/!aos Nachweise Die Karikaturen stammen von Heinz Behling: 17, 20, 21, 63 o., 1151. Manfred Bofinger: 77 m., 87 o., 113 Heniy Büttner: 80, 102, 104 Peter Dittrich: 3 7, 5 7, 65 Barbara Henniger: 43, 49, 51, 99 u., 101, 106, 115 r Heinz Jankofsky: 29 u., 81, 85, 87 u., 93, 94 Harald Kretzschmar: 121, 122, 123, 124, 126, 127 Lothar Otto: 63 m., 79 Harri Parschau: 11, 14, 18, 23, 29 o., 32, 35, 53, 59, 67, 71, 82, 89, 91, 99 0., 109, 118 Louis Rauwolf: 45, 105 Horst Schrade: 76, 77 o., 119 Karl Schrader: 8, 22, 26, 28, 33, 40, 41, 47, 61, 63 u., 96 Nabil el-Solami: 72 Klaus Vonderwerth: 15 Fotos ullstein bild-Bildarchiv: 13 ullstein bild-Bildarchiv: 75 Karl-Heinz Golka: 31 Naumann: 97 Für die freundliche Genehmigung zum Abdruck danken wir den Autoren, Zeichnern und Erben. Nicht in allen Fällen ist es uns gelungen, Rechteinhaber und Rechtsnachfolger zu ermitteln. Berechtigte Honoraransprüche bleiben gewahrt.
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