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Die Jahre 1981-1982: Gut geklaut ist halb gebaut
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Weltbild
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Wolfgang Schaller, Uns vereint gleicher Sinn, gleiche Wut ...
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1. Kapitel: Gut geklaut ist halb gebaut
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Jochen Petersdorf Rotkäppchen im Wohlstand
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Anekdote aus dem Gerichtssaal
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Karl-Heinz Weißer Clemens hat keine Ahnung
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C. U. Wiesner Frisör Kleinekorte als Bauexperte
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Hans Krause Bekanntschaften Der Baulöwe
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Jochen Petersdorf Haus am See
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Ernst Röhl Selbst ist der Mann, von der Frau ganz zu schweigen 2. Kapitel: Alles zum Wohle des Volkes Humorvolles aus dem Alltag
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Ernst Röhl Unauffälliger Rückzug ins Privatleben
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Irmgard Abe Die Pflaume als solche ...
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Inge Ristock Wohnkultur oder trautes Heim
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Renate Holland-Moritz Magie des rechten Wortes
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Ernst Röhl Das Haus, in dem ich wohne
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Angela Gentzmer Helga Hahnemanns Adlershöfische Version von >>Dallas<<
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Inhalt
3. Kapitel: Lernen, lernen, nochmals lernen Als wir Schüler und Pioniere waren
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Ottokar Domma Unser Tag des Lehrers
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Johannes Conrad Oh, ein Raum, so hell, so rein!
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Peter Ensikat Disziplin!
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Jochen Petersdorf Immer sonntags
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4. Kapitel: Was des Volkes Hände schaffen Wir Werktätigen in Stadt und Land
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John Stave Rose sprach, ich steche dich
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Wolfgang Schaller Die Scha11mschläger des VEB Schlagfix ehren Lenin 58 Lothar Kusche Leben mit Gasmännern
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Matthias Biskupek Karger Bericht z11m Neuerfritz
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Wolfgang Schaller Alles stinkt
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5. Kapitel: Heißer Sommer Von Ostseestrand, Datsche und Jugendclubs ...
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Angela Gentzmer Der Bungalow
Sketch mit Helga Hahnemann
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Lothar Kusche Die große Nt1mmen1kontrolle
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Hansgeorg Stengel Lob der Natur
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Hans-Joachim Preil Die Weltreise Sketch mit Herricht & Preil
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Ernst Röhl Vertretung für Paul
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Renate Holland-Moritz Wanderers Klagelied
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6. Kapitel: Höher, schneller, weiter! Sportlich sportlich
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Edgar Külow Traktor, ole!
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Ottokar Domma Unser Herr Sportlehrer Stramm
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Hansgeorg Stengel Jungbrunnen Sport
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Hans Krause Sportn1onolog vor der Mattscheibe
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Ernst Röhl Die Fre11ndschaft, die Freundschaft ist eine Himmelsmacht 7. Kapitel: Unter vier Augen Über Verliebte und Verheiratete
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Heli Busse Nächte im Tunnel sind lang
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Rudi Strahl Ehelicher Zwist
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Johannes Conrad Der Geheimnisvolle in der >>Glücksquelle<< E11ensp1eae1e1e1
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8. Kapitel: Wo wir sind, ist vorn! Es geht seinen sozialistischen Gang
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Ernst Röhl In der K. liegt die W.
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Peter Ensikat Bürovolutionär unserer Tage
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Matthias Biskupek Bericht über Vorbereitung und Durchfühn1ng der Wallenstein-Feierlichkeiten in Groß-Grobzow 114
Jochen Petersdorf Problem gelöst
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Wolfgang Schaller Nachwuchssorgen
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Ernst Röhl Über unsere Erfolge Zeittafel Rechtliches
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Nicht nur lustige Szenchen
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war in Abwandlung des Weltjugendliedes unsere gemeinsame Losung, wenn ich mich Anfang der achtziger Jahre mit Peter Ensikat zum Schreiben traf. Unsere Wut war groß: unsere Wut, daß zwischen unserem einstigen Glauben an eine gerechtere Gesellschaft und dem »real existierenden Sozialismus« so ein großes Niemandsland lag. Die Wut gebar zor11ige KabarettTexte. Und wenn ich die heute lese, wundere ich mich, daß sie damals auf die Bühen kommen konnten: Texte, die (wie der »Eulenspiegel« schrieb) »den vormundschaftlichen Staat mitten ins Herz trafen«. Es gab Verbote, es gab zu jedem Text seitenlange Stasiprotokolle, es gab bei den »Abnahmen« Diskussionen um Pointen, die heute nur noch lächerlich scheinen. Aber - auch wenn es nicht in den Zeitgeist paßt, dies heute zu sagen - es gab auch Funktionäre, die die Hand schützend über uns hielten. So konnte es passieren, daß dem Auftrittsverbot ein Orden folgte, und man war ganz schnell »Widerstandskämpfer mit hohen staatlichen Auszeichnungen«. Was die Autoren des »Eulenspiegel«, die auch in diesem Band versammelt sind, damals veröffentlichten, ist heute in den Archiven noch nachzulesen. Aber von den damals gespielten Kabarett-Texten wurden im Osten höchstens mal ein paar lustige Szenchen veröffentlicht. Und für den Westen war Kabarett hinter der Mauer offensichtlich so uninteressant, daß sich in einem vom Mainzer Kabarettarchiv 1981 herausgegebenen Band »80 Jahre deutsches Kabarett« zwar ein Anhang über »Kabarett in der UdSSR und CSSR« befindet, aber im ganzen Band kein Wort über Kabarett in der DDR zu lesen ist. »Obwohl sie nicht ganz verbergen konnten, daß sie aus dem Osten kommen, erreichten sie doch westdeutsches Spitzenniveau.« Das klang so wie: Obwohl sie aus dem Osten kommen, sah man ihnen ihre Behinderung nicht an. Das Zitat stammt aus einer westdeutschen Zeitschrift über ein Gastspiel der Dresdner »Herkuleskeule«. Nicht in den 80er Jahren. Sondern 2003. Umso löblicher, daß in diesen »Sternstunden« auch Kabarett-Texte aus dem femen nahen Osten Aufnahme finden. Wolfgang Schaller
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>>Hübsches Häuschen!<< > >Kein Wunder, sie hat jahrelang in einer Keksfabrik gearbeitet.<<
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Jochen Petersdorf
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»Eh, Mutter!« sagte das Rotkäppchen zur Mutter, »weißte schon das Neueste? - Der Froschkönig hat sich 'n Wassergrundstück hingeklotzt, da faulste ab!« »Drück dich bitte nicht so ordinär aus!« sagte die Mutter. »Außerdem siehste nich durch! Warum hat der Frosch so ein herrliches Grundstück, hä? Weil er die olle Seekuh geheiratet hat. Und die ist die Tochter vom Wassermann. Der Wassermann aber ist der Schwager vom eisernen Holzfäller, und der eiserne Holzfäller ist befreundet mit dem großen, grünen Steinbeißer. - Nun weißt du alles!« »Leider nicht«, sagte Rotkäppchen. Möchtest du ein Autogramm »Armes, weltfremdes Kind«, meinte die Mutter. »Also haben, fragte der Wolf das paß auf. Die Sache ist doch ganz einfach: Der WasserRotkäppchen. mann besorgt ein schönes Stück Uferstreifen. Der eiserne Holzfäller besorgt Bohlen und Bretter. Der große, grüne Steinbeißer besorgt Platten und Kacheln - und fertig ist die Laube! Beziehungen sind alles, verstehste?« »Ja«, sagte Rotkäppchen, aber es verstand eigentlich nur Bahnhof. Deshalb fragte es auch: »Und warum hat unser liebes Großmütterchen immer noch Außentoilette?« »Weil sie im Wald wohnt, unter Denkmalschutz steht und nicht hexen kann.« Nach einem Gedankenstrich sagte die Mutter: »Übrigens, die liebe Omi hat für uns Kuchen gebacken und Hagebuttenwein gemacht. Du sollst vorbeikommen und das Zeug abholen. Vorhin hat sie angerufen.« »Wieso hat die Oma plötzlich Telefon?« »Weil sie früher mal ein Verhältnis mit dem Postillon von Longschjmoh hatte. Der Postillon ist zwar schon lange in Rente, aber er singt noch im Senioren-Chor der Rohrpost. Er ist da sogar in der Leitung. Und da hat die Omi eben die Leitung angezapft.« »Wie hat sie das gemacht?« »Sie hat den Hirsch Heinrich geschlachtet und den ganzen Chor zum Wildgulasch eingeladen. Das hat denen geschmeckt, und seitdem hat die Oma Telefon. So, nun geh endlich los und hüte dich vor dem bösen Wolf.« Der Wald begann gleich hinter der Stadt und sah auch so aus. Aber zwischen den Sofas, Autoreifen und Nachttöpfen wuch-
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sen auch Bäume. An einem Baum lehnte der Wolf. Er las die Tageszeitung und kicherte dabei vor sich hin. Damit wollte er die Vorbeikommenden täuschen. Über seinen Charakter und über den der Zeitung. Das Rotkäppchen sagte freundlich: »Guten Tag. Du bist der Wolf, gelle?« »Der bin ich. Möchtest du ein Autogramm?« Der Wolf hatte nämlich kürzlich in dem Fernsehkrimi »Hühnermord in Wolfen« mitgewirkt, und seitdem freute er sich immer, wenn er auf der Straße erkannt wurde. Er gab dem Rotkäppchen ein Starfoto. Auf dem Foto trug er ein prächtiges Showkostüm und einen hühnereigroßen Edelstein an der Pfote. »Ein schöner Stein!« rief die Kleine. »Der muß ja ein Vern1ögen wert sein.« »Stimmt«, sagte der Wolf, »ich hab ihn dem Rumpelstilzchen abgehandelt. Der wollte meine Höhle. Er will sich 'ne Kellerbar ein- „ richten, damit er auch mal ein paar wichtige Leute einladen kann.« »Was sind wichtige Leute?« »Das sind 'fypen, die nicht fragen >Haben Sie?<, sondern >Brauchen Sie?<« »Typen gibt's«, sagte Rotkäppchen erstaunt und fuhr fort: »So, nun muß ich aber zum lieben Großmütterchen.« »Oh, wie interessant«, rief der Wolf. »Hat die gute Dame eigentlich immer noch die alte, buntbemalte Bauerntruhe mit den Messingbeschlägen?« »Jaja, aber da ist der Wurm drin.« »Na prima«, sagte der Wolf, »der bringt ja die Kohlen. Kamm on, lets go tu Omi! « Die Großmutter saß vor der Tür in der Abendsonne und knübberte aus alten Schnürsenkeln und Tannenzapfen modische Halsketten. »Schau, schau«, sagte der Wolf. »Die Olle weiß, was Mäuse bringt.« Dann strich er mit der Pfote lässig über die Bauerntruhe und sagte so nebenbei: »Morsche Bretter, weiter nüscht. Aber ich kenne einen Doofen, der würde dafür 'ne Tiefkühltruhe locker machen.« •
Das Wohnungsbauprogramm 1981: >>Gebt mal das Teil riiber - vier von der Sorte, und meine Datsche steht.<<
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»Ich brauch keine«, sagte die Oma. »Ich hänge meine Weihnachtsgans zum Fenster raus.« »Das hat mir der Fuchs auch schon erzählt«, brüllte der Wolf und lachte sich scheckig. Der zufällig des Weges kommende alte Oberförster hielt den scheckigen Wolf für eine TüpfelHyäne und drückte ab. »Das war ein Meisterschuß!« rief er triumphierend. Der Wolf hatte keine Gegenargumente und verschied. Da fiel es dem Oberförster wie Schuppen von den Augen. »Ich blöder Hund!« schrie er. »Das war ja der Wolf. Was bin ich doch für ein Trottel!« Die Oma und Rotkäppchen schauten ihn fragend an. »Weil ich nun bei Frosteinbruch alt aussehe«, sagte der Grünrock. »Dieser nette Bursche hier wollte mir ganz billig einen herrlichen Schafspelz besorgen!«
))Und was machste, wennde mit deine Baugrube fertig bist?<< >>Dann fluktuier' ich zum Baustoffkombinat >Roter Lehm<, Ziegelsteine fahren.<<
Als neulich die Verhandlung gegen den stellvertretenden Lagerleiter des bezirksgeleiteten Baubetriebes »Hochhinaus«, Zweigwerk 7, Außenstelle 3, stattfand, den wir hier Paul nennen wollen, wurde auch der Bürger Friedrich Bollenknolle vernommen. Lagerleiter Paul, der, wenn er nicht gerade trank, gut arbeitete, war beschuldigt, für das Verschwinden von drei Tonnen Zement, 12 Fensterrahmen (eloxiert), 28 Quadratmetern Thermoglas, 72 gespundeten Brettern und zwei Betonmischern verantwortlich zu sein. Auf die Frage des Richters, ob er, der Zeuge und Bürger Bollenknolle, mit dem Angeklagten verwandt oder verschwägert sei, antwortete Bollenknolle ziemlich traurig: • »Leider nicht.« •
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Karl-Heinz Weißer
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Angesichts der unschönen Tatsache, daß sich der Materialverwalter unheimlich über die von der Drei aufgeregt hat, weil sie innerhalb eines Jahres nun schon die achte Werkzeugausrüstung bestellt haben, und daß Clemens, ebenfalls von der Drei, bei einer überraschenden Taschenkontrolle mit sechs Pfund werkseigenen Schrauben entdeckt worden ist, will ich nun einmal kurz aufzeigen, wie wir von der Vier es machen. Es ist natürlich Quatsch, ins Lager zu rennen und zu sagen: »Unser Werkzeug ist schon wieder weg, wir brauchen neues.« Wenn laufend das Werkzeug verschwindet, dann riecht doch jeder hundert Meter gegen den Wind, daß die Kollegen sich den Kram unter die Nägel reißen, nicht wahr. Also, sagen wir mal, ich brauche - selbstverständlich nur, um die Kommunale Wohnungsverwaltung zu entlasten - für meine heimischen Reparaturarbeiten eine Bohrmaschine. Dann werde ich mir doch nicht die erste schlechte, womöglich gebrauchte einstecken und wie ein Dieb aus dem Werk schleichen. Erstens benötigt man für zu Hause wirklich was Solides, zweitens, siehe Clemens, kann das schiefgehen. Nein, so was mache ich ganz anders. Ich suche mir von den neuen Bohrmaschinen die beste aus, klemme einen Kontakt ab, gehe zum Materialverwalter und sage ihm: »Mensch<<, sage ich, »guck dir das an: nagelneue Maschine und schon kaputt; aber eh du mir eine andere gibst, will ich erst beim Elektriker nachfragen, ob er das Ding vielleicht noch mal in Gang bringt.« Für so was hat der Verwalter natürlich feine Ohren. So was gefällt ihm. Er denkt sich: Der ist in Ordnung, der Junge. Der versucht wenigstens, den Verschleiß in Grenzen zu halten. Innerlich ist er schon bereit, mir eine neue Maschine zu geben, und er kommt sich fast wie ein Schwein vor, wenn er sich trotzdem durchringt, zu mir zu sagen: »Gut, versuch, ob da noch was zu machen ist.«
))Ach du bist s, Kollege! Ich dachte schon, ich hätt 'nen Dieb erwischt. ((
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Ich gehe zum Elektriker, zu Alfred, der neulich den guten Eisenkleber von mir gekriegt hat, zwinkere mit dem rechten Auge, sage: »Versuch mal, ob du die Kiste wieder hinkriegst. Aber es wird schwierig sein, verstehst du?« »Hm«, sagt dann Alfred, schraubt das Gehäuse ab, guckt rein, sieht den abgeklemmten Draht, blinzelt, daß er kapiert hat, hängt sich an die Strippe und verlangt das Materiallager. »Hört mal«, brummt er, »ihr schickt mir 'nen zwofünfunddreißig, da ist der Anker kaputt, die Lager auch, das Getriebe ist im Eimer. Was soll ich'n da reparieren? Ich meine, ich machs, aber das kommt uns ja wesentlich teurer als ... « »Dachte ich mir schon«, unterbricht ihn der Materialfritze, Ich nehme die Bohrmaschine >>dann isses wohl besser ... « gegen Quittung! »Tja, besser, das mußt du wissen«, sagt Alfred und blinkert, daß alles planmäßig läuft. »Ich sage nur, die Reparatur wird teurer als 'ne neue Maschine.« Na, und so weiter, bis ich schließlich wieder beim Materialverwalter lande, der mir eine neue Bohrmaschine gibt, die alte abschreibt, sich bei mir entschuldigt, weil er mich erst bis zur E-Werkstatt gehetzt hat, und fragt, ob ich auch noch so gut sein wollte, die Maschine gleich auf den Schrott zu werfen. Und nun setze ich ein. »Karl«, sage ich, »in der Beziehung habe ich mal 'ne riesengroße Bitte. Wärs möglich, daß ich dir die sieben Pfennje Schrottpreis für die Maschine, natürlich ordnungsgemäß gegen Quittung, damit du gesichert bist, gebe und das kaputte Ding für meine Kinder mitnehme? Du weißt doch, die Kleinen spielen gern mit so 'nem Elektrozeugs.« »Mensch«, sagt Karl, während er Quitt11ng und Passierschein ausschreibt, und ich sehe genau, daß er vor Rührung fast anfängt zu heulen. »Wenn alle so wären wie ihr von der Vier, weißt du, dann hätten wir keine Sorgen mehr.« Ich lasse noch irgendeinen Satz ab wie »Schon gut« oder »Keine Ursache« oder so was, und 11m vier marschiere ich ganz offiziell mit einer verschrotteten Maschine durchs Werktor. Meine Kinder freuen sich natürlich riesig. Und keiner wird es mir je übelnehmen, wenn ich mit ihrem Spielzeug ab und an ein Loch in die Wand bohre.
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C. U. Wiesner
risö1 aiHa 01t11 a s alf11xp111ta Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Wasjibts Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Ach so, immer noch mits Auswerten vonne Baukonferenz beschäftigt. Damm sehnse auch so übernächtigt aus. So ville Wissenschaft auf einmal kann ja 'neinzelner jar nich vertragen. Dis wird ja von Jahr zu Jahr schlümmer. Wenn Se nächstens Vater werden wollen, jeht dis nich mehr im Dustem wie bei uns früher, nein, da brauchense doch Licht, damit Se sich zwischendurch Ihre wissenschaftliche Jebrauchsanweisung vom Nachttisch langen könne. Sehnse, und jenauso isses heut aufm Bau. Und da brauchense sich nich wundem, wenn die jungen Menschen nich mehr Maurer lernen wollen. Wie jeme macht son Dreikäsehoch Eierpampe, und was bleibt nachher inne Lehre von die kindlichen Illuzionen übrig? Da dürfense Kalk nur noch wissenschaftlich einrühren. Früher, dis muß so - wattense mal - um neunzehnhundert rum jewesen sind, wie mein Bruder Maurer lernte, da war dis Mauem noch ein reelles Handwerk. Brauchense sich bloß mal die Häuser aus die Zeit ankucken. Da war noch so was wie deutsche Seele drin. Wenn Se vor sone Fassade stehn, denn denkense sofort an den jotischen Menschen, an Richard Wagnern und brausenden Orjeklang. Und wenn Se in Zukunft nich eher bei mir zum Verschönern kommen, wird man Ihnen noch als Jammler wechfangen, abr dis nur nebenbei. Sehnse, in unsre Jejend läßt die Partei nächstens die janzen schönen Fassaden runterkloppen und alles neumodisch verputzen, bloß weil es ihnen an Kaiser Wtllem erinnert und schon 'n bißken bröcklig war. Und dabei hat mein Bruder hier in diese Straße als Stift anjefangen, aber vor so was ham ja diese Leute nich ne Spur von Pinetät. Was mein Bruder war, der wurde bei sein Maurermeister wie sein eigen Fleisch und Blut jehalten und brauchte dis erste Jahr nich ein einzigen Ziegel anfassen, bloß den Ofen heizen, Karnickel ausmisten und Teppiche klopfen. Nur 'n kleiner Kratzer, weil unsere Messer nischt taugen. Ick jeh gleich mal mit mein West-Blutstiller rüber. Was die da drüben bauen, is ja einfach bombastisch. Denkense bloß an den jroßen westdeutschen Architekten Courvoisier! Wo war ick denn stehnjeblieben? Ach ja, inne Kaiserzeit. Können Sie sich vorstellen, deß sone prächtigen Bauwerke wie der
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Das Hotel Merkur ·i n Leipzig wird von den Japanern gebaut~ Gegenüber befindet sich eine Baustelle des volkseigenen · Baukombinats. Jooen Morgen bei Bauoo~ - ginn verbeugen·sieh die Japaner zu den deutschen Bauatöeitem. Dem Oberbau• · leiter wird das nach einigen Tagen llll"" heimlich, er schicqkt den Bauleiter zu den Japanern, um die · · Gründe zu erfragen. Der kommt zuriiG~ mit der Nachricht~-~ »Die Japaner möchten sich entschuldigen, daß sie den Bummelstreik nicht mitmachen.« .
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berühmte Berliner Dom zustande jekommen wären, wenn man damals auch schon so scheußlich unromantischjedacht hätte? Abr dis Schöne is ja, desses heute auch noch einzelne Baumeisters jibt, die mit schöne Ordnamente gejen den f11nktionären Baustil anstinken. Und sone Künstler muß man unter den Armen greifen, sag ick mir. Sehnse sich mal mein Kachelofen an. Den muß ickjetzt abreißen lassen, weil er nicht mehr zieht. Aber die schöne Majolikagruppe mit die müstologischen Darstellungen und die nackichten Weiber mang die Kacheln werd ick irgendeinem Architekten vermachen. Denn brauch er sich wenigstens keine eigenen Verzierungen abbrechen, wenn er ne Poliklinik oder ne Molkerei baut. Nehmse mal den Kopp 'n bißken runter! Nu bin ick ja in diese Fragen kein feuriger Hase, sondern seit dies Jahr selber son Stücke Bauunternehmer. Klapproth müssense doch kennen? Der arbeitet als Maurer bei die Bau-Union, und der hat mir eine neue Manchmal kam er ne janze massive Laube hochjezogen und schlüsselfertig ausjeWoche jar nich bei mir, weil se baut. Wenn ick heute inne Zeitung von Matrijalschwieihm sonst auf seine Baustelle rigkeiten lese - alles Quatsch. Müssense sich bloß richrausjeschmissen hätten. tig drum kümmern. Bei mir hat Klapproth alles von sein Betrieb mitjeliefert. Hat mir natürlich ne Kleinigkeit jekostet - ville mehr sojar, wie Klapproth bei seine erste Projektion ausballangsiert hatte. Aber er meint ja, bei die volkseigene Bauerei isses ähnlich. Nun brachte er abends immer 'n Sack Zement oder Kalk auf sein Motorrad mit, und 'n paar Mal ham wa zusammen 'n Handwagen voll anjestoßne Ziegeljeholt. Mit lange Finger hat dis nischt zu tun. Klapproth sagt nämlich, der Krempel verjammelt doch bloß auf die Baustellen. Und nu steh ick selber da mitn Berg nassen Zement und 'n Haufen Kalk mang meine Rosenbeete. Klapproth meint ja, man braucht beim Bauen immer mehr Matrijal, wie man zum Bauen wirklich brauchen tut. Mit dem Bier, was dem Kerrel auf meine Kosten jetrunken hat, wars jenauso: Dis war immer 'n bißken zu ville, und wenn ick nich aufjepaßt hätte, denn hätter beinah die Wasserwaage mit einjemauert. Und mit die Ter1nine hat er mir auch anjeschissen. Im Juni wollte er fertig sein, und im Aujust war erst Richtfest. Aber der Mann hat ebent keine Disseplin. Manchmal kam er ne janze Woche jar nich bei mir, weil se ihm sonst auf seine Baustelle rausjeschmissen hätten. Na schöm, meine neue Willa Sangzussi steht nu endlich. Bloß die Türen klemmen, und wenns mal doll regnet, kriegense ne feuchte Glatze. Soll ick Ihnen etwas Birkenhaarwasser draufmachen?
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Janz so, wie icks wollte, isses ja nich jeworden. Mir schwebte mehr son kleiner Bummerloh vor, mit 'n Schambre separee und 'n Schwimming-Paul hinterm Hühnerstall. Und nu sieht der Kasten auch nich ville anders aus wie Fleischer Meuseln seine Garage, die ihm Klapproth gebaut hat. Wenn ick als Bauherr meine indiwellen Wünsche äußerte, sagte er immer, er kann bloß die eine 'fype und damit basta. Und seitjestem is er nu bei mein Jartennachbarn und kleckst den haarjenau dieselbe Laube hin, und ick weiß jetz schon, an welche Stellen es da durchregnet. Stellense sich mal vor, wie dis in zwanzig Jahre auf unsere Kolonie aussehen täte, wenn der immer so weiterbaut! Zum Glück isser bloß einer und hat nich so ville freie Kaprizität. Nu hab ick mir neulich Farbe besorgt und zu Muttern jesagt: Bevor der Frost kommt und die Erdbeeren zujedeckt werden müssen, streich ick unsere neue Laube eigenhändig an, und zwar rot und blau kariert, damit se sich wenigstens 'n bißken von mein Nachbar seine unterscheidet. Wollense noch Pomade reinhaben? Hans Krause
80/ltt1t1ttseAalte1t Ich kannte 'nen Herrn aus Zossen, der wußte so herrliche Glossen. Und gab er vor Gästen die schärfsten zum besten, dann lachten sogar die Genossen. Ich kannte 'nen Herm aus Zeesen, der tat für sein Leben gern lesen. Doch eh ichs vergesse, er las auch die Presse. Jetzt redet er nur noch in Thesen. Ich kannte 'nen Herrn aus Grimma . •• Der Annste war leider kein Schwimmer. Da flog ihm zu Hause der Hahn von der Brause - der Installateur lebt noch immer. Ich kannte 'nen Herrn aus Bad Berka, dem fehlten zum Bauen paar Märker. Doch gleich um die Ecke entstanden drei Blöcke. Jetzt hat er ein ·Häuschen mit Erker.
>>Es stand im Betrieb so sinnlos mm.<<
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Rolf Herricht als Baulöwe wartet auf Baustofflieferung.
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Der DEFA-Film »Der Baulöwe«, der 1980 in die Kinos kommt, ist der letzte Film, den Rolf Herricht dreht. 1981 stirbt der Schauspieler. Hier brilliert er noch einmal in einer Rolle, die ihm auf den Leib geschrieben ist. Als Unterhaltungskünstler Ralf Keul muß er sein Pachtgrundstück an der Ostsee bebauen, weil es sonst anderweitig vergeben wird. Seine Frau (Annekathrin Bürger) und seine Töchter sind begeistert, obwohl die Warnungen nicht ausbleiben: »Wer baut, kann nicht mehr lachen - außer den Maurern.« Keul ahnt nicht, welche Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Material und Handwerkern auf ihn zukommen. »Ein hausbauender Laie ist höher belastet als ein Testpilot.« Noch reimt er fröhlich vor sich hin: »Bauen macht mehr Spaß als Frauen.« Daß es ein teurer Spaß wird, merkt er allerdings bald. Aber Spaß muß sein, lautet seine Devise. Also legt er »für jedes Steinchen ein Scheinehen<<, denn der »wichtigste Baustoff ist immer noch Geld«. Unermüdlich fährt er durchs Land, wird von der Berliner Baustoffversorgung an die Ostsee verwiesen, von der
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Ostsee zurück nach Berlin. Er läßt seinen Charme spielen: »Wie sieht es mit Wandfliesen aus?<< - »Nicht rosig.<< - »Blaue oder weiße würden auch gehen.« Er beschafft und transportiert, plant und legt selbst Hand am Bau an. Vor allem soll sein Wochenendhaus auf ehrliche Weise errichtet werden. Er weiß ja auch, wie's läuft: »Wenn man aus den Häusern alles rausbauen wollte, was nicht mit rechten Dingen zuging, das wäre ein Krach und Getöse.« Andere sehen das gelassener. »Gibt es Steine«, fragt Keul die Maurer der Feierabendbrigade. >>Hat nicht geklappt!« - >>Gab's keine Steine?« - »Doch, massenhaft, aber bei uns aufm Bau gibt es jetzt einen Nachtwächter.<< Einige Tage darauf: »Ich habe Steine.« Seine Maurer: »Wrr auch.« - »Woher denn?« - »Der Nachtwächter ist krank geworden.« Die Schwiegermutter (Agnes Kraus) kommentiert geringschätzig: »Mein Schwiegersohn ist zum Klauen zu doof.<< Doch Ende gut, alles gut - das Wochenendhaus der Famile Keul steht und wird - so will es der Erbauer - »ausschließlich Erholungszwecken dienen«. Schon fallen Verwandte, Freunde, Kollegen mit Kind und Kegel ein. Ein paar Tage ruhigen und erholsamen Urlaub an der Ostsee wird ihnen der freundliche Herr Keul doch nicht verwehren.
Auch seine Baustelle muß gesichert werden. Ob es hilft?
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Einen schönen See haben sie in Holpershagen. Und groß ist er auch. Er ist so groß, da könnte theoretisch der ganze Kreis und eventuell noch der Rat der Bezirkes drin baden gehen. Wie gesagt, theoretisch nur. Denn praktisch wäre das mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Man kommt schlecht ans Wasser. Denn der See ist fast rundherum zugebaut. Mit sogenannten Grundstücken. Nur ein 500 Meter langer Uferstreifen ist noch offen und somit der Allgemeinheit zugänglich. An feuchtkalten Dezembertagen reichen diese 500 Meter natürlich prima aus. Denn da tritt die Allgemeinheit nur in Gestalt einzelner grippefester und wasserdichter Typen auf. Aber wenn die liebe Sommersonne lacht und der See lächelt, dann nimmt die Allgemeinheit Massencharakter an, und da sind selbst Stehplätze an diesem letzten Ufer eine Art Großgrundbesitz. Die Besitzer von Datschen, Klitschen und ähnlicher eingezäunter Landschaft sind natürlich besser dran. Da ist Frau Lehmann höchstens der Bikini zu eng. Aber sonst hat sie schönen Der Bürgermeister gab einen Tip, Spielraum. Und warum soll sie auch nicht. Wir wolweil die Kollegen einen hübschen Standort für ein hübsches Gebäude len hier nicht Neid und Mißgunst aufkommen las.t z w ht sen. Oder gar das Gespenst der vielstrapazierten, m1 ugang zum asser suc en. . h Kl . . t tt· d. "t1r d re1c en empnerme1s ersga 1n an 1e vvan malen. Warum soll nicht einer etwas haben, wenn er das Zeug dazu hat oder wußte, wo er's kriegen kann. Darum geht es in unserm Fall auch gar nicht. Denn die erwähnte dralle Frau Lehmann hat keinen Gatten, der aus Blech einen goldenen Pavillon zusammengeklempnert hat, und der schmucke Bungalow, vor dem sie sitzt, ist ein volkseigenes Bauwerk. Und es nennt sich: »Schulungsheim des VEB Pfeifenschnitzmesserwerk Krummbergshübel am Rennweg.« Nun könnte jemand fragen, warum denn die Krummbergshübeler nicht in Krummbergshübel am Rennweg schulen, sondern im weitentfernten Holpershagen in der Mark? Die Frage ist berechtigt, aber wer beantwortet sie? Am besten wohl der Bürgermeister von Holpershagen. Doch wo finden wir ihn? Im Büro ist er nicht. Das muß kein schlechtes Zeichen sein. Vielleicht inspiziert er gerade den Straßenbau. Man muß nämlich wissen, daß die Krummbergshübeler Pfeifenschnitzmesserwerker in Holpershagen eine schöne breite Straße bauen. Denn die
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Bauleute kommen von der Bitumengroßkocherei Heringsdorf. Sie machen das gern für die Thüringer Kollegen, denn sie sind ihnen zu Dank verpflichtet. Die Krummbergshübeler haben den Heringsdorfem nämlich am Rennweg einen Steilhang mit Baude abgetreten. Dort schulen sich die Bitumenkocher zur Winterszeit in politischer Ökonomie und im Abfahrtslauf. Das ist allgemein nicht besonders bekannt. Der Bürgermeister von Holpershagen ist seinerzeit durch Zufall darauf gestoßen, als das Seilzugskombinat die inzwischen berühmt gewordene Holpershagener Bowlinghalle mit acht Bahnen baute und dafür am Holpershagener See einen Wanderlehrpfad mit Motel einrichten durfte. Der Verwaltungsdirektor des Motels hatte einen Schwiegersohn, der beim Segelschiffbau beschäftigt ist und immer mal Bretter für Finnhütten übrig hat. Die vier Schmuckkästchen an der Südseite des Sees stammen übrigens aus dieser Quelle. Doch das nur nebenbei. Dieser Schwiegersohn also konnte es nicht mehr mit ansehn, wie der Bürgenneister von Holpershagen unter dem miserablen Straßenzustand seiner Gemeinde litt. Er hatte wohl auch ein wenig Angst um die Stoßdämpfer seines neuen Volvo, der Schwiegersohn. Wie auch immer - jedenfalls gab er dem Bürgenneister den Tip, sich doch mal mit den Krummbergshübeler Pfeifenschnitzmesserwerkem in Verbindung zu setzen, weil die einen hübschen Standort für ein hübsches Gebäude mit Zugang zum Wasser suchten. Es wird gemunkelt, daß dieser Schwiegersohn auch die Idee hatte, das hübsche Gebäude Schulungsheim zu nennen. Das ist sicherlich eine übertreibende Darstellung, denn diese Idee liegt ja eigentlich auf der Hand. Kurz und gut. Der Bürgermeister von Holpershagen schloß sich mit den Krummbergshübelem kurz, wie er es selbst einmal formulierte, und nun wird die Straße gebaut. Wobei der Begriff Straße ein wenig ungenau ist. Es wird nämlich, einer Idee des Bürgermeisters zufolge, ein großzügiger Fußgängerboulevard, den ein gewaltiger Springbrunnen ziert. Das Becken der Anlage soll so groß sein, daß all diejenigen ihre Beine hineinhalten können, die kein Haus am See haben.Also die Allgemeinheit.
Bestarbeiter 1982: > >Und wat nu? Dein Zaun steht, aber die Balkongitter reichen nur fü.r die rechte Seite. <<
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Gut geklaut ist halb gebaut
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Ernst Röhl
Soll6st ist dot a1111, 11011 dot 1tal4 ftt1tz z14 seAwoifo1t Honecker fährt über Land uad sieht em schmuckes Häuschen, davor steht · . ein Auto, im Gartel.l sieht eE~in Holly- woodschaukel. Er will sich bei den .
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Bürgern erkundig~11, wie zriftieden sie . sind, und klingelt an
der Tür. Ein kleines Mädc~en
öffnet: · ·· ·
»Wer bist du denn, Onkel?<< - »Ich, meine Kleine, bin der Mann, der dafilli sorgt, daß es euch so gut geht und dem ihr das: alles hier zu verdaliien hab.« · Da ruft das Kind: »Mami, Mami, komm .mal ganz schnell, , ~~ . Onkel Peter aus München ist da!« •
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Wenn die Leute mein Häuschen sehn, sind sie immer ganz aus demselben. So ein Schmuckstück ist das. Und wenn sie hören, daß ich alles ganz allein gemacht habe, verneigen sie sich und rufen ganz laut: »Kompliment, Meister! Sie sind der Mann mit den goldenen Händen.« Und flüsternd fügen sie hinzu: »Wann kommse zu mir? Ich zahl fümmundzwanzich Mark die Stunde.<< Dann weiß ich gleich, daß die Leute sauber sind und währungsmäßig fest auf den Füßen unserer Republik stehn. Nun glauben Sie aber bloß nicht, ein gütiges Geschick hätte mir die goldenen Hände in die Wiege gelegt. Im Gegenteil! Ich hatte auch niemals polytechnischen Unterricht. Ich bin eins der letzten Opfer des gutbürgerlich-h11manistischen Gymnasiums. Schon als Kind wußte ich, daß Karl Moor ein Selbsthelfer war. Als Erwachsener allerdings wußte ich mir selber noch lange nicht zu helfen. Nach Abschluß der Schule hatte ich weiter nichts zu bieten als ein paar lateinische Redensarten und zwei linke Pfoten. Aber linksaußen! Das war natürlich kein Grund zum Verzweifeln. Es gibt schließlich eine ganze Menge Berufe, in denen zwei linke Pfoten geradezu die Voraussetzung sind für eine glanzvolle Laufbahn. Dann aber kam der Tag, an dem bei uns die Zwillinge kamen. Meine Familie wurde entschieden größer, meine Wohnung entschieden kleiner. Auf dem Wohnungsamt ven11ittelte mir eine nette ältere Dame ein schmuckloses Einfamilienhaus, das wenigstens dreimal so alt war wie sie selber. Und wenigstens viermal so baufällig. In diesem Haus sollte einst Johann Wolfgang von Goethe absteigen, der im Jahre 1783 die Absicht hegte, Pankow zu besuchen. Aus diesem möglicherweise welthistorischen Besuch ist leider nie was geworden, Goethe hat nie in Pankow geweilt. Trotzdem oder gerade deshalb will der Denkmalschutz demnächst eine kleine Gedenktafel anbringen lassen. Dieses um ein Haar von der deutschen Klassik angehauchte Gebäude also hatte jene nette Dame vom Wohnungsamt für mich vorgesehen. »Könnse mauem?<< fragte sie. »Beim Skat«, sagte ich. Ein Kalauer, gewiß, doch er schien zu •• genugen.
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»Wenn ich mich nicht täusche«, fuhr sie fort, »steckt in Ihnen außerdem noch ein Tischler.« »Genau«, sagte ich, »ein Stammtischler.« »Na, sehnse!« rief sie fröhlich und wünschte mir zum Abschied viel Spaß. Dieser Wunsch ging prompt in Erfiillung. Ich klingelte bei Malermeister Panehl, der vor Jahren meine Wohnung gemacht hatte. »Tut mir leid«, sagte die Meisterin, »praktisch ist er gar nicht mehr tätig. Er hält jetzt diese Vorträge bei der KWV. Für die Heimwerker, verstehn Sie ... « »Da sieht mans mal wieder«, rief ich, »Mundwerk hat goldenen Boden.« Die Meisterin lachte so laut, daß ich wußte, es kommt noch was. »Ich hätte eine kleine Bitte«, sagte sie mit einem reizenden Lächeln. »Könnten Sie mir nicht dieses Jahr die Küche malern?« Es gibt Dinge, die kann ich Frauen nicht abschlagen; Malern gehörte damals leider noch nicht dazu. Na schön, dachte ich, dies und das kannst du ohne fremde Hilfe machen, z11m Beispiel einziehen. Kleine, durchführbare Vorhaben sind ja bekanntlich wesentlich ratsamer als große, undurchführbare. Durch den gelungenen Umzug ermuntert, wagte ich mich vorsichtig an ein paar handwerkliche Experimente. Malern, dachte ich, kann so schwer nicht sein. Meine Frau beherrscht es ja auch. Die leistet vor dem Spiegel mehr als Wtlli Sitte an der Staffelei.
>>Ein bißchen kriminell ist es schon, denn eigentlich soll die ganze Ladung auf die Müllkippe.<<
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Also strich ich erst mal die Fenster. Mit einem überraschenden Ergebnis: Ich sah plötzlich nicht mehr durch. Heute weiß ich, was falsch war! Ich hätte die Rahmen streichen müssen. So bin ich nun mal. Durch und durch Praktiker! Einer, der lieber aus eigenen Fehlern lernt als aus den Fehlern anderer, seien es auch noch so hochgestellte Persönlichkeiten. Ich stieg auch aufs Dach, um den uralten, morschen Dachfirst unter die Lupe zu nehmen. Aber wie sagt doch schon der Volksmund so treffend: Gehe nie zu deinem First, wenn du nicht gerufen wirst! Ich kam sogleich auf die schiefe Bahn und konnte nichts mehr machen als eine kurze Mitteilung. Also teilte ich meiner Frau beim Passieren des Küchenfensters die Besuchszeiten der Heimwerkerklinik mit, wo ich alsbald die gesammelten Werke der Heimwerkerliteratur eingehend studierte: das Einmaleins des Mauerns, das Einmaleins des Malerns, das Einmaleins der Dachdeckerarbeiten. Ich hatte beschlossen, Heimwerker zu werden. Das erste, was ich mir nach meiEin Volk von Heimwerkern braucht ner Entlassung kaufte, war ein Verbandskasten. kaum noch Handwerker. Ich kann nur jedem empfehlen, sich einen Verbandskasten zuzulegen. Selbst wenn aus der Heimwerkerkarriere nichts wird, weiß man doch immer Rat, wenn man sich mal in den Finger geschnitten hat oder das Opfer verletzender Reden geworden ist. Hoffentlich habe ich mit dieser Bemerkung jetzt nicht einige Zeitgenossen der empfindlicheren Sorte in ihrer Heimwerkerehre gekränkt. Ich weiß, ich weiß - es gibt fast keine Nichtheimwerker mehr. Und das ist gut so. Uns kann keiner, Freunde! Jedenfalls kein Handwerker. Lange genug sind wir hinter ihnen hergelaufen, demnächst laufen sie hinter uns her. Erstens, weil ein Volk von Heimwerkern kaum noch Handwerker braucht, und zweitens, weil es sich auch in Handwerkerkreisen längst rumgesprochen hat, wie sauber wir arbeiten. Und ich weiß, sie werden uns noch die Bude einlaufen! Bei mir war vorgestern schon einer. Der Herr Malermeister Panehl. »Ich, äh, ich hätte da«, stammelte er, »ich hätte da zufällig noch ein paar Termine frei. Wie isses - soll ich Ihnen nächste Woche die Stube malern?« »Um Himmels willen!« sagte ich. »An meine Wohnung laß ich keinen ran. Einen Maler schon gar nicht.«
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Ernst Röhl
1tal4 ä i or R,i,;e 'IHS ri11at o OH Unsere einzige Tochter Evelin machte das, was man heutzutage getrost eine gute Partie nennen darf. Sie heiratete einen stämmigen jungen Mann, der außer einem heiteren Gemüt eine nagelneue AWG-Wohnung mit in die Ehe brachte. Ihr Auszug kam mir wie gerufen, und ich nutzte ihn mit eiskalter Berechnung für meinen Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben, und zwar schon auf der nächsten besten Sitzung meiner Hausgemeinschaftsleitung. »Eine große Drei-Ra11m-Wohnung für zwei kleine Leute«, erklärte ich, »so was ist doch direkt unanständig! Ich such mir eine andere Wohnung, Freunde, Den Wohnungstausch interund ihr sucht euch einen andern HGL-Vorsitzenden.« pretierte ich als meinen ganz Zunächst sahen mich alle an, überrascht der eine, gepersönlichen Beitrag zur noch kränkt der andere, zerschmettert der dritte, dann sanken hundertprozentigeren Erfülsie aber auch schon in sich zusammen, ihre Blicke irrten 1ung unseres Wohnungsbauziellos durch den Raum. Nationalpreisträger, Reisekader, programms. Fernsehliebling - das wäre jeder gern, Interessenten für das Amt des HGL-Vorsitzenden indes sind außerordendich rar. Die Leitungsmitglieder wußten sehr wohl, daß ich oftmals wie ein Hamster auf der Rolle gelaufen war. Das vergangene Jahr lang beispielsweise hatte ich erfolglos versucht, der Wohnungsverwaltung einen größeren Posten Farbe abzutrotzen, weil unsere Hausgemeinschaft die gammligen Korridore wenigstens halb so schön färben wollte wie die KWV ihre Mach-mit-Erfolgsberichte an die Presse. Mir selbst war darüber hinaus persönlich an der Renovierung gelegen, weil Narrenhände oder eine oppositionelle Einwohnerfraktion oder vielleicht auch nur Kinder mit Holzkohle Schmähparolen an die Wände geschmiert hatten: Alle, die in diesem Haus E. Röhl heißen, sind doof!! Was nun die sogenannte malermäßige Instandsetzung betraf, so waren die Mieter ganz entschieden zur Mitarbeit bereit und hatten sich zu regelrechten Streichquartetten zusammengerottet, doch unser Verwalter, der Kollege Jeneschigkeit, war angeblich außerstande, die nötige Farbe zur Verfügung zu stellen und warnte mich im selben Atemzug davor, sie einfach im Laden zu kaufen und so dem geheiligten Bevölkerungsbedarfskontingent zu entziehen, keine faulen Tricks, bitte sehr, wenn das jeder machen würde ...
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»Ja, aber was, zum Teufel, soll ich denn machen«, rief ich verzweifelt. »Man muß kämpfen«, sagte Jeneschigkeit, »dann bleiben die Erfolge nicht aus.« Kurz und gut, Väterchen Frust hatte mich gepackt, und ich wollte den HGL-Vorsitz so schnell und so elegant wie möglich loswerden. Das schaffte ich auch, weil ich starke Argumente ins Feld führte. Den bevorstehenden Wohnungstausch interpretierte ich als meinen ganz persönlichen Beitrag zur noch hundertprozentigeren Erfüllung unseres Wohnungsbauprogramms und zog ein paar Tage später aus meiner Drei-Raum-Neubauwohnung drei Straßen weiter in eine guterhaltene Vier-Raum-Altbauwohnung mit Gasheizung und Balkon. Das Treppenhaus war frisch gestrichen, dafür allerdings befand sich die Fassade in beklagenswertem Zustand, sie war quadratmeterweise vom Verputz entblößt. Die HGL, so hörte ich läuten, ringe seit langem um die Reparatur, der Verwalter
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Initiative der Partei · zur Werbung neyer ·Mitglieder anläßlich des bevorstehenden X. Parteitages: Wer einen . neuen Genossen · Wirbt, bekommt··.·"·'' eine Buchprämiet wer zwei wirbt, braucht ein Jahr lang keinen Parteib.eitrag zu bezahlen, :·wer ·fünf neue o~~·· . nassen wirbt, darf' aus der Partei austreten, und wer zehn wirbt, be·' kommt eine Bescheinigung, daß er nie in der Partei war. ·r;;
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jedoch, Kollege Jeneschigkeit, sehe sich außerstande, die nötige Rüstkapazität zur Verfügung zu stellen. Übrigens befand sich im Hause nebenan der KWV-Reparaturstützpunkt, und unsere Fassade harmonierte aufs eindrucksvollste mit dem total verstaubten Schaufenster. Wespenkadaver aus mehreren Sommern deckten den Boden, auf einer Büchse Alkydharz-Vorstreichfarbe weiß lagen zwei papierne Winkelemente in Blau mit aufgehender Sonne, neben der Büchse stand eine hübsche Kristallvase. Ehrlich gesagt, am liebsten hätte ich in unserer Straße sofort einen Schaufenster-Wettbewerb ins Leben gerufen, um den KolWenn man kämpft, dann blei- ~ege~ Jeneschigkeit zu d:mütigen, ?och dann beda~hte ben die Erfolge nicht aus. ich die Fol~en und zog mi~h auf meinen Balko~ zuruck. Herzlichen Glückwunsch dem Ich klebte eme fabelhafte Ziegeltapete, brachte em SchubSieger im Balkon-Wettbewerb! karrenrad an, hängte das Gemälde.. »Lieb:spaar am Strand« von W Womacka auf, kaufte sackewe1se Gartenerde, pflanzte Blumen in großer Zahl. Als der Frühling kam, ergrünte mein Balkon; über die Brüstung hinaus wallten feurig die Pelargonien, die wohlriechende Edelwicke rankte in üppigem Flor an Stäben empor, gelb und rot leuchteten die Blüten der Kapuzinerkresse in der grünen Pracht. Täglich blieben Passanten stehen und blickten herauf zum ersten Stockwerk, wo mein Balkon sich in unverschämter Weise von der Fassade abhob. Mehrfach, wenn ich meine Blumen goß oder mit Zoroflor düngte, gewahrte ich unten auf dem Kleinbürgersteig eine Inspektionsgruppe mit dem Kollegen Jeneschigkeit an der Spitze. Mit weitausladenden Gesten deutete er dem Vertreter des Volkskontrollausschusses und der Vertreterin des Wohnbezirksausschusses horizontale und vertikale Linien an, offenbar war die langersehnte Rüstung in Sicht, und wieder juckte es mir in den Fingern, mich in das sich abzeichnende, erfolgversprechende Baugeschehen einzumischen. Der Mensch, meine Herrschaften, ist ein gesellschaftliches Wesen; nicht jeder taugt zum Eremiten. Wenn man sich in der Gewalt hat, hält man es auf dem eigenen Balkon allerdings eine ganze Weile alleine aus, von der Frau mal abgesehen. Eines Abends klingelte es. Draußen stand Jeneschigkeit mit einem großen Blumenstrauß: »Was hab ich gesagt! Wenn man kämpft, dann bleiben die Erfolge nicht aus. Herzlichen Glückwunsch dem Sieger im Balkon-Wettbewerb!« »Blumen?« stammelte ich und fügte, als ich die Sprache wiedergefunden hatte, hinzu: »Blumen hab ich genug. Behalt sie, Jeneschigkeit, und stell sie in die Vase! Aber nicht zu Hause! Im Reparaturstützpunkt!«
. den Raststitten ist auf Das Angebot in rtordemlSse der die Wü~ und Eil Sie sind wohl· Kraftfahrer urwJ beioottn schmeckend, Otlg
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den Organismus nicht UM
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· Ein Reporter fragt im VER, wie man Clie Jahresendprämie verwendet hat. Der Betriebsdirektor antwortet: •Ich habe mir einen Wartburg gekauft, den Rest habe ich auf mein Konto eingezahlt.« Der Abteilungsleiter antwortet: •Ich habe mir einen 'Irabant gekauft, den J Rest habe ich auf mein Konto eingezahlt.• Die Arbeiterin sagt. •Ich habe mir einen schönen Pullover im Exquisit gekauft.« Der Reporter / fragt: •Und deiJ. Rest?« - •Den hat meine Omi dazugegeben.• f 0
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Neubauviertel Erich Honecker fragt emen Am~rik:er, W: ht perfekt Es fängt findet. Der meint: •A.~h, das is~. ~örup~e sind so hoch angechon bei den Fahrstühlen an. ie hnt s · Liliputaner in einem solchen Haus wo • bracht - w:en~e~Fahrstuhl benutzen.• - »Nicht doch•, sagt kann rue . haben die größten Liliputaner der Welt.« Honec..11.er, »wrr . ~~~,~~;"·· ~·-.. · .
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io P ttl4HtO tt s solle o ..• ist menschenfreundlich, wandlungsfähig und tief im Volk verwurzelt. Deshalb wird sie auch ständig im Mund getragen, im Gegensatz zu anderem Obst. Oder sagt jemand: »Grüß dich, du alter Apfel!«? Der soll vortreten! Bei uns kommt die Pflaume als magenverträgliches Frischobst vor, als Kompott, Marmelade und Kuchen. Als Mus kommt die Pflaume bei uns nicht mehr vor. Ich war selbst Zeuge der Erstürmung, Eroberung und Zerfetzung des letzten Kartons Pflaumenmus anläßlich der Eröffnung einer neuen Kaufhalle. Und ich erinnere mich, daß sogar einige Mitarbeiter des zuständigen Pflaumenministertums in den heißen Kampf verwickelt waren. Allerdings völlig arglos, denn sie lenkten und leiteten die Pflaume schon damals ausschließlich in ihren Erscheinungsfonnen Marmelade und Kompott. Deshalb hielten sie diesen Karton Mus auch für eine exotische, imporAntworten auf so diffizile Fragen reifen tierte Delikatesse. langsam, aber vielleicht reifen sie, Was hat die Pflaume verbrochen, daß sie als bevor die Pflaume reif wird. Mus ausgerechnet im entwickelten Sozialismus sterben mußte? Ideologisch sehe ich da keine Notwendigkeit. Und technisch ist sie leicht zu bearbeiten. Man muß sie nicht fräsen, schweißen oder vernieten, man muß sie nicht einmal verhütten, walzen oder feinschmieden. Auch die aufwendige Randnäherei entfällt bei der Pflaume völlig. Ich bin fast sicher, das Wissen unserer Ingenieure würde ausreichen, ihr beizukommen. Auch, wenn sich die Pflaume womöglich inzwischen ebenfalls weiterentwickelt hat und kompliziert geworden ist. Wie vieles. Wirklich, wir sollten beim Herangehen an die Pflaume und bei ihrer Bewältigung als Mus etwas draufgängerischer sein. Mehr Mut zum Mus, Leute! Denn seht doch mal: Meine Großmutter war immer eine ängstliche Person. Der Pflaume jedoch hat sie sich stets ohne Furcht genähert. Kenne ich gar nicht anders. Natürlich habe ich jetzt mit ihr über den Mord am Pflaumenmus gesprochen: »Wer ist der Täter, Oma? Wer hatte ein Motiv?« »Der Preis, Kind, der Preis ist der Mörder!« Das sei ihr völlig klar, denn wer würde schon so blöde sein, Mus zu kochen, das viel mehr Pflaumen braucht, viel mehr Arbeit
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macht, weil es stundenlang zusammenquackern und gerührt werden muß - wenn er Marmelade verkaufen kann, wo der Zucker den höheren Preis macht, aber weniger Arbeit. Ja, ja, •• mein Omchen, Leute! Und nicht mal Pol. Ok. studiert! Dennoch grüble ich: Konnte es stimmen? Hat Marmelade mit 0,97 tatsächlich vor Mus mit 0,95 gewonnen? Ist da bei der Pflaume der Wurm drin? Nun reifen ja Antworten auf so diffizile Fragen nur langsam, aber vielleicht reifen sie, bevor die Pflaume reif wird. Zeitlich sind wir jedenfalls ungeheuer im Vorteil, Leute: Noch blüht die Pflaume gar nicht, noch ist sie völlig ahnungslos - da haben wir die Frage schon erkannt! Besser kann man nicht mehr dastehen!
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Ein Mann ist in den ·Westen ausgereist. Er geht in einen Laden und verlangt eine Schachtel F 6. Uie VerkäUferin ·· sagt. »Harn wa nich. « Dara11fhin der Mann: »O Gott, geht das schon ' . der 1os.' « , .WJe
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lnge Ristock
Verkäuferin im Möbelgeschäft wischt Staub. Ein Kunde steht erst unschlüssig herum, fragt dann Kunde 1: Verzeihung, bedienen Sie hier? Verkäuferin: Bedienen ist gut, sagen wir lieber, ich erteile kostenlose Auskünfte. Was wollen Sie denn? Kunde 1: Stellen Sie sich vor, erst fünf Jahre verheiratet, nur zwei Kinder und schon mit einer Ausbauwohnung versorgt. Bin ich nicht ein Glückspilz? Und nun wollen wir uns einrichten. Verkäuferin: Viel Spaß. Kunde 1: Danke. -Als erstes hätte ich gern die Wand »Manuela« aus dem dritten Schaufenster rechts. Verkäuferin: Ich auch. Wenn der Exportauftrag nicht platzt Kunde 1: Ich zahle bar! Hab das Geld mit, 1987,83 und keiner unserer Transportarbeiter Mark. Stimmt genau. krank wird, sind wir in vier bis fünf Verkäuferin: Das kann doch nicht wahr sein! Monaten lieferbar. Kommt herein, will unsere schönste Wand, und was die größte Frechheit ist, das Geld stimmt! (Krach von nebenan) Kunde 1: Um Gottes willen, was war denn das? Verkäuferin: Wahrscheinlich hat in der Schlafzimmerabteilung ein Ehepaar die Betten ausprobiert. Kunde 1: So in aller Öffentlichkeit? (Ein zweiter Kunde kommt herein, schwenkt ein abgebrochenes Möbelteil) Kunde 2: Wissen Sie, was das ist? Verkäuferin: Früher wär's Brennholz gewesen, aber seit wir alles aus Plaste machen, ist es nur noch z11m Wegwerfen. Kunde 2: Wrr haben uns ganz vorsichtig aufs Bett gesetzt und rtsch ging das Bein links nach schief weg. Verkäuferin: Sind Sie Genosse? Kunde 2: Natürlich, aber mit Bewußtsein krieg ich das Bein auch nicht dran. Verkäuferin: Seit wann sind Sie in der Partei? Kunde 2: Seit 15 Jahren. Verkäuferin: Da haben Sie sicherlich noch sämtliche nicht mehr brauchbaren Klassiker im Bücherschrank, die können Sie als Basis benutzten, auf der sich's sicher und bequem ruht.
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Kunde 2: Wunderbare Idee. Zum Glück sind es so viele, daß ich damit alle acht Beine ersetzen kann. (ab} Kunde 1: Also, was ist nun mit der Wand? Verkäuferin: Junger Mann, wir leben in einer Planwirtschaft mit Exportverpflichtungen. Da kann man nicht so ohne weiteres in ein Geschäft gehen und anarchisch eine Wand kaufen wollen. Die Zeiten sind Gott sei Dank vorbei, in denen unsere Möbelindustrie das herstellte, was der Kunde so zufällig braucht. Heute warten wir erst mal wissenschaftlich ab, was sich planmäßig so fünf Jahre lang als kontinuierlicher Engpaß herausstellt, und das wird produziert. Kunde 1: Erich Honecker hat aber gesagt, der Binnenhandel soll kein Stiefkind mehr sein. Verkäuferin: Möglich. Aber bis sich das zu den Wäldern rumspricht und die schneller wachsen, das dauert eben seine Zeit. Kunde 1: Aber die Wand steht doch schon im Schaufenster. Verkäuferin: Wir sind ein komfortables Einrichtungshaus mit acht Großschaufenstem, in die wir keine Bratwürste hängen können. Wir haben dieses Jahr nicht einen einzigen Jahrestag. Also müssen wir sämtliche acht Schaufenster mit Möbeln vollpflastem. Das Gesicht unserer Hauptstadt muß ja auch in der Möbelbranche nach etwas aussehen. (Ein Ehepaar kommt herein} Frau: Wrr haben uns entschlossen, wir nehmen das »Blaue Küchenwunder« nun doch! Mann: Wenn ich das linke Tischbein kürze, unter das rechte einen Bierfilz zwicke, die Stuhllehnen anleime und in den Schrank vier bis acht Nägel wuchte, hält das noch drei bis fünf Jahre. Frau: Und bis dahin kriegen wir die AWG-Wohnung mit MiniKochnische, und wir müssen das Zeug wegen Platzmangel zerhacken. Verkäuferin: Bemühen Sie sich bitte zur Kasse. l
>>Wenn Sie mal anfassen und einige kleine Nacharbeiten nicht scheuen, können Sie dieses Modell gleich mitnehmen.«
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Frau: Und wann wird die Küche geliefert? Verkäuferin: Falls - wie geplant - der Exportauftrag nicht platzt und keiner unserer Transportarbeiter kündigt, in vier bis fünf Monaten. (Ehepaar ab) Kunde 1: Also gut, ich nehme die Wand »Sybille« aus dem Zimmer nebenan. Verkäuferin: Das ist ein Beratungsmodell. Kunde 1: Mir ist schon alles Wurscht, ich nehme auch ein Beratungsmodell. Verkäuferin: Beratungsmodelle sind unverkäuflich. Kunde 1: Und warum steht es dann hier herum? Verkäuferin: Betrachten Sie unser Einrichtungshaus als eine Art Ausstellung. Unsere Bürger haben ein Recht darauf zu wissen, was sie nicht kaufen können. (Ein Herr kommt herein) Herr: Wie ich soeben von der Arbeit nach Hause komme, was blockiert mir da den Eintritt in meine Mini-Junggesellenwohnung von zwölf Quadratmetern? Eine monströse Hausbar für 2400 Mark. Ich verlange, daß Sie das Ding sofort abholen. Verkäuferin: Möbel sind vom Umtausch ausgeschlossen. Herr: Ich habe aber keine Hausbar, sondern eine Liege bestellt. Verkäuferin: Aha, und nun kommen Sie, um den Rest zuzuzahlen. Herr: Ich will auf einer Liege und nicht auf vier Barhockern schlafen. Verkäuferin: Ansprüche stellen die Leute heutzutage. Wären Sie zu Hause geblieben, wäre das kleine Versehen nicht passiert. Herr: Ich war zu Hause und zwar genau die zehn Tage lang, in denen mir die Lieferung immer wieder versprochen wurde. Verkäuferin: Ihre Schuld. Ein normal denkender Mensch bleibt nicht an den Tagen zu Hause, an denen wir ihm etwas versprechen. Setzen Sie eine Annonce in die Wochenpost und fragen Sie, wer statt einer Hausbar eine Liege bekommen hat. So haben Sie die Sache schnell und unbürokratisch erledigt. (Herr ab) Kunde 1: Hören Sie. Zu Hause wartet eine leere Wohnung auf
Alles zum Wohle des Volkes -•1c::::.·;:11:,...-=-=::::lllillL.__::S.:::s..·s....os.
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eine einzugsbereite Familie. Was kann ich denn sonst noch einkaufen und geliefert bekommen? Verkäuferin: Oh, eine ganze Menge. Drei verschiedene Arten von Hausbars oder dieses entzückende Kinderkackstühlchen oder hier, diesen dekorativen Zimmerspringbrunnen mit Vierfarbenbeleuchtung, und seit sich unsere Tapetenindustrie in die Illegalität zurückgezogen hat, können wir als Ersatz garantiert industriegewebte Großraumflächenwandteppiche für nur 1999 Mark anbieten. Überdeckt jeden Wasserschaden. Sehr zu empfehlen sind auch diese leicht verspielten Servierwagen (fährt vor; quietscht gewaltig) ... Kunde 1: Wenn ich das Vier-Schicht-Steh-Eß-System einführe, würde es für meine Familie reichen. Hätten Sie jetzt noch irgendeinen Schrank dazu? Verkäuferin: Dank unseres wachsenden Wohlstandes Dank unseres wachsenden ist die Nachfrage nach Schränken so groß, daß sie Wohlstandes ist die Nachfrage angemeldet werden müssen wie Trabant oder Wart- nach Schränken so groß, daß burg. sie angemeldet werden müssen Kunde 1: Also gut, nehmen Sie mich in Ihre Warte- wie Trabant oder Wartburg. liste auf. Verkäuferin: Nicht vordrängeln. Bevor Sie die registrierte Wartezeit auf einen Schrank durchmachen, müssen sie erst mal die unregistrierte überstehen. Vorläufig nehmen wir keine Anmeldungen entgegen. Kunde 1: Und wann kann man damit rechnen? Verkäuferin: Rechnen sollte man bei unserer Planwirtschaft nie. Man kann sich höchstens überraschen lassen. Schauen Sie täglich vorbei. Spätestens in einem halben Jahr werde ich Ihnen zuflüstern: Morgen ist es soweit. Kunde 1: Mit einem Schrank? Verkäuferin: Mit einer Wartenummer. Wrr öffnen 10 Uhr. Wenn Sie sich morgens gegen 6 Uhr anstellen und etwas Glück haben, könnten wir Sie im nächsten Jahr bereits berücksichtigen. Kunde 1: Mit einem Schrank? Verkäuferin: Nein, mit einem Beratungstermin Kunde 1: Aha. Da berät mich dann eine Fachkraft, welchen Schrank ich kaufen soll. Verkäuferin: Was heißt »welchen« Schrank? Wir haben immer nur einen zur Auswahl. Kunde 1: Und warum dann die Beratung? Verkäuferin: Weil wir genügend Innenarchitekten haben. Außerdem vermitteln sie wertvolle Hinweise, zum Beispiel daß
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man einen Schrank nicht vor das Fenster und ein Sofa nicht vor die Tür stellt. Kunde 1: Und wenn ich den Beratungsdienst hinter mir habe ... Verkäuferin: Sie sind ein echter Heißsporn. Wenn Sie den Schrank haben, folgt erst mal der Briefverkehr mit dem Herstellerwerk. Kunde 1: Soll ich mich dort vielleicht für die Schnelligkeit bedanken? (Mann kommt herein, mit Kopfverband, Arm in Gips) Mann: Fräulein, Sie haben mir gestern den kombinierten Wäsche-Schuh-Kleider-Geschirr-Bücher-Anbau-Schrank in 87 Einzelteilen geliefert. Die linken Schranktüren sind auf Gut Schrank will Weile haben, Eiche gequält, die rechten auf Birke getrimmt. Die und so ein Briefverkehr geht Türen klemmen, ein Schloß ist bereits abgefallen, die hin und her. Bolzen passen nicht in die Löcher Verkäuferin: Die Bolzen können ja gar nicht passen. Mann: Warum nicht? Verkäuferin: Weil wir den Schrank sonst exportiert hätten. Mann: Genau nach Aufbauanweisungsanleitungsvordruck habe ich dreimal versucht, das Ding aufzustellen. Dreimal ist es wieder zusammengekracht. Aber ich weiß jetzt, woran es liegt. Es fehlen sechs Schrauben. Nun wollte ich mal fragen, ob die hier rumliegen. Verkäuferin: Bei uns liegt nie was rum. Wenden Sie sich an das Herstellerwerk. Schildern Sie die Mängel, und in zehn bis zwölf Wochen haben Sie dann ... Mann: ... die Schrauben? Verkäuferin: Nein, ein Dankschreiben für Ihren kritischen Hinweis aus der Bevölkerung mit der Zusicherung, die Mängel in Zukunft abzustellen. Unterschrift: Betrieb der ausgezeichneten Qualität. Mann: Ich will kein Schreiben, sondern Schrauben. Und zwar sofort. Verkäuferin: Was heißt sofort? Gut Schrank will Weile haben. Und so ein Briefverkehr geht hin und her und her und hin. Und Sie sind nicht mehr der Jüngste. Sicher wollen Sie doch das Richtfest noch erleben. Am besten, Sie klemmen sich Ihre Wand unter den Arm und fahren mal zum Herstellerwerk. Mann: 0 glückliche Höhlenbewohner der Urgemeinschaft! (ab) Kunde 1: Sagen Sie mal, gibt's denn keine Möglichkeit, schnell an Qualitätsmöbel heranzukommen? Verkäuferin: Versuchen Sie's doch mal bei Haushaltsauflösungen.
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Renate Holland-Moritz
' tlflO Alles war eitel Ordnung und Sauberkeit: der Garten, die Kieswege, das Haus, sogar die Fenster. Die Festtagspracht währte bis lange nach dem Fest, genauer gesagt, bis tief in einen späten Novemberabend hinein. Da krachte es plötzlich. Also, zunächst rauschte es. Es rauschte in den kahlen Apfelbäumen, dann pfiff es um die Hausecken, klapperte in den Dachziegeln, und endlich krachte es. Eine einzige Sturmböe hatte mit einem einzigen gewaltigen Ruck den gesamten Putz von der Giebelwand unseres Hauses abgetragen. Das Haus wirkte wie ein abgezogenes Karnickel. Auf den geharkten Beeten und dem kurzgeschnittenen englischen Rasen lag halbmeterhoch der Putz. Sauberkeit und Ordnung, die immerdar währen sollten, waren unterm Schutt begraben. Der Eigentümer des Hauses, eine Baugenossenschaft, nahm den Schaden mit stolzer, aber ergebener Trauer zur Kenntnis. »Das tut uns wirklich in der Seele leid«, sagte ein Herr vom Vorstand, »aber da können wir im Moment gar nichts machen.<< »Was heißt hier, ihr könnt nichts machen«, muckten wir auf, »ihr müßt etwas machen, und zwar sofort. Der Regen wird durch die kahlen Mauersteine ins Haus dringen und alles zerstören. Außerdem, wie sieht denn das aus? Schließlich haben wir doch eine Kampagne für Ordnung und Sauberkeit!« »Hatten wir, liebe Leute, hatten wir«, sagte der Herr vom Vorstand. »Ja, wenn ihr den Schaden vor dem zwanzigsten Jahrestag gemeldet hättet ... « »Aber der Sturm war doch erst gestern«, gaben wir zu bedenken. »Seht ihr, und das ist eben das Dumme, eine gewisse Spontanität, die sich organisatorisch nicht einordnen läßt. Aber wir werden den Fall natürlich auf der nächsten Vorstandssitzung zur Sprache bringen.« Die nächste Vorstandssitzung fand vierzehn Tage später statt. Unser Fall wurde betrübt zu den Akten gelegt, denn zur Behebung des Schadens mangelte es leider an Maurern. Ob wir nicht vielleicht aus eigener Initiative ... Wrr unternahmen einen ausgedehnten Kneipenbummel. Dank erheblicher Bierinvestitionen erfiillten wir schließlich drei skat-
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spielende Maurer mit so viel Eigeninitiative, daß sie für zehn Mark Stundenlohn zu allem bereit waren. Kellen, Mollen, Eimer und ihre goldenen Hände wollten sie selbst mitbringen. Gerüst und Mörtel gingen zu Lasten des Auftraggebers. »Das trifft sich aber nun wirklich wieder einmal ausgesprochen dumm«, sagte der Herr vom Vorstand, »indem wir nämlich selber kein Gerüst haben. Mörtel ist, Gerüst Fehlanzeige. Leider!« Der Novemberregen wurde nässer und der Sturm stürmischer. Wir konnten die Wohnzimmertapete schon mit der Pinzette abnehmen. Da stießen wir auf die Annonce eines Rentners, der ein Gerüst zum Kauf anbot. Wir rannten hin und akzeptierten einen Preis, der das Projekt Waschvollautomat vom Plan fegte. »Es is wegen den Erinnerungswert«, sagte der Rentner entschuldigend, »ich war nämlich früher Maurer jewesen.« Der Erinnerungswert mußte dem VEB Hochbau noch heute in der Bilanz fehlen, denn dieser Name war in jedes GerüstZu einem kulturvollen Leben in brett eingebrannt. Aber Skrupel konnten wir uns Ordnung und Sauberkeit können angesichts des dräuenden Winters nicht leisten. wir uns alle nur beglückwünschen. Als wir den Herm vom Vorstand mit unserem kostbaren Requisit überraschten, begann er fast zu weinen. »Das ist aber - nee, also dümmer geht's nicht. Eben ist der letzte Krümel Mörtel alle geworden!« Während das Regenwasser von der Wand in die Bücherregale rieselte, strapazierten wir das Telefon auf der Suche nach Mörtel. Da kam unser Opa. Unser Opa ist nicht ein Opa schlechthin, sondern ein Wundertier. Unser Opa schafft alles, organisiert alles, kriegt alles. Blumen im Wmter, Bananen im Frühjahr, Brause im Hochsommer. Opa muß dabei niemanden bestechen, niemandem mit der Presse drohen und niemals laut werden. »Es ist nur das rechte Wort am rechten Platz«, sagt er stets, und er lächelt wie ein Weihnachtsengel. Aber seine Tricks verrät er nicht. Also der Opa kam und drückte den Hörer auf die Gabel. »Schluß jetzt«, sagte er, »nun laßt mal einen erwachsenen Staatsbürger ran.« Und Opa ging zum Vorstand der Genossenschaft. Zwei Tage später rückte eine Maurerkolonne an. Unseren Skatspielem konnten wir absagen, und das teure Gerüst ging für einen Finderlohn an den rechtmäßigen Besitzer zurück. Die Genossenschaftsmaurer waren komplett ausgestattet. Sie räumten zuerst die Schuttberge beiseite und machten sich dann an den Verputz der Giebelwand. Einer der Maurer war in einem früheren Leben einmal Maler gewesen und bot im Auftrage der Genossenschaft die kostenlose Renovierung der Wohnzimmer-
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wand an. Kindliches Staunen und angenehmer Schauder vor dem Unerklärbaren erfüllten uns. »Wie hast du das gemacht, Opa?<< fragten wir voll dankbarer Ehrfurcht. . »Fragt nicht soviel, sondern freut euch. Das rechte Wort am rechten Platz versetzt Berge! Übrigens, wann lassen sich Werner und Edith mal wieder blicken? Ich habe sie ja schon ewig nicht gesehen.« »Am Einunddreißigsten, wie immer. Sie ~c~ ~:?-werden doch den Geburtstag ihres Pa. . . (} . .. tenkindes nicht vergessen!« ~~ . . : : : : „ ~ . . »Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte der ·. :_ , Opa. :. 0.. . . : ~'""1 ~ Am Einunddreißigsten kamen mein ·.. : . ~\ ~ _. ·~·~·v~F~~ . i - - ; t-:::::::-:l Schwager Werner und seine Frau Edith, .~ : . .. . ... 'ö: . --beladen mit Geschenken für unseren · ·. Jüngsten. »Donnerwetter«, sagten die .·..·. '--loo--;::s::;: beiden, »euer Haus sieht ja aus wie neu! ~~ . ·. ~ Und sogar die Stube frisch gemalert. Ihr macht ja viel Wind um sone popligen Gäste wie uns.« »Stimmt«, sagte der Opa schmunzelnd, »wir haben eben noch Familiensinn.« Da klingelte es. Vor unserem Haus stand der Herr vom Vorstand »Hoffentlich kommt die und brach fast unter einer gewaltigen Blumenschale zusam- KWV nicht auf die Idee, men. »Zu einem kulturvollen Leben in Ordnung und Sauberkeit das Dach reparieren zu können wir uns alle nur beglückwünschen«, flötete er, wäh- lassen.<< rend er mir den halben Zentner Blumen überreichte. »Ist der hohe Besuch schon da?« »Wrr trinken gerade Kaffee«, sagte ich verwirrt, »aber kommen Sie nur rein.« »Nein, nein«, wehrte der Herr vom Vorstand bescheiden ab, »da will ich auf keinen Fall stören. Hauptsache, die weitgereisten Gäste fühlen sich wohl in euerm gepflegten Heim und nehmen einen günstigen Eindruck auch namens der Genossenschaft mit nach Hause.« »Wieso weitgereist?« fragte mein Mann verdattert. Sein Bruder Werner wohnt in Blankenfelde. »Na ja, per Luftlinie gesehen«, kicherte der Herr vom Vorstand, »da ist es wohl nur ein Katzensprung. Nun will ich aber wirklich nicht länger stören! Überbringt euren verehrten Gästen diese Blumen und unsere brüderlichen Kampfesgrüße. Und auch einen schönen Gruß an euern Opa, daß er uns rechtzeitig informiert hat.« Und weg war er. „
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Opa war zu keiner Erklärung zu bewegen. Wir begriffen überhaupt nichts. Unsere Gäste waren förmlich chloroformiert. Edith starrte immerzu auf den Blumenberg und schüttelte den Kopf. Werner fand als erster die Sprache wieder. »Nee, Kinder, nee, also das darf nun wirklich nicht wahr sein. Und ich hab doch als Kellner weiß Gott schon allerhand Schoten erlebt!« >>Kellner hin, Kellner her«, sagte der Opa, »aber wie heißt deine Arbeitsstelle?« >>Na, das weißt du doch: >Moskau
Ernst Röhl
'Das Ha~s, ;„ """' ieA woA1to In unserm Hochhaus gibt es kein Getue und nicht den edlen Hausgemeinschaftstrend. In unserm Hochhaus hat man seine Ruhe, weil keiner keine und weil keine keinen kennt. Man kann sich also wie die Axt im Walde benehmen, schmeißt Gerümpel ungeniert durchs offne Fenster raus vors Haus auf Halde. So wird die Müllerfassung rationalisiert. •
Es wohnen, heißt es, sogar Dissidenten und Nationalpreisträger hier im Bau. Die kennt man zwar auf andern Kontinenten, in unserm Hause kennt sie keine Sau. Man kennt vom Sehn bestimmte Herrn und Damen, doch ihre Namen kennt man leider nicht. Man kennt vom Hörensagen ihre Namen, doch leider nicht dazu das passende Gesicht. Mal so gesehn, kenn ich im Haus nur einen, doch den seit Jahren unterdes. Wie Ironie des Schicksals will's mir scheinen. Er ist, soviel ich weiß, beim MfS.
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Angela Gentzmer
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rotSIOH llOH >> Ick frage mich die janze Zeit: Sind unsere Kunst-Erzeuger nun so bekloppt oder tun se bloß so? Wo jedet Kind heute schon weiß, daß die janze Welt sich nur noch von Fernseh-Serien ernährt. Wenn die Macher nich' immer bloß bis drei zählen würden, könnten wir mit unsern Produkten längst in die UberseeMattscheiben einjebrochen sein. Leute, die zu allem fähig sind, ham wa doch. Hatten wir jedenfalls. Obwohl se einem durchs Fernsehn nich' verloren jehn, wa? Aber ooch schon der kleinste Werktätige is ja bei uns 'n großer Schauspieler. Was für 'ne Vorstellung muß der jedesmal jeben, um an die lumpige Prämie ranzukommen, stimmt's?? Na - und Jeschichten für die schönsten Familientragödien liegen doch überall inne Kühltruhen von jedem Konsum rum. Z.B. könnte Herbert Käfer 'n unjelemten Werkleiter spielen. Aber nun nich' an so 'nem kahlen Schreibtisch, mit hinter seinem Rücken dit Brett mit dem fingierten Plan - nee, anne Bar lümmelt der sich rum und telefoniert mit seine Mutter: »Mum? What's about the Plan?« Ach Quatsch - englisch! Dit soll doch 'n Zonen-Knaller werden. Entschuldigung! Also: >>Mamma? Sag mal, liegen wir mit 80 % Ausschuß eigentlich noch gut im Rennen? Jaa -wir produzieren im Moment nur Kacke. Dafür kann ich aber nichts, Mamma, wenn mein >Großer Bruder< mir nur Müll zuliefert. Was sagste? Warum wir die Piepeliene nich' anzapfen? Mensch Mamma, weißte denn überhaupt, wo die liegt? ••
Der Quotenrenner Anfang der BOer]ahre ist die Serie »Dallas<<. Helga Hahnemann: >>Ach Quatsch - englisch! Dit soll doch 'n Zonen-Knaller werden.«
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Nein - nich' deine versoffene Schwiegertochter - die Trasse, wo unsere Künstler-Agentur sämtliche Singezähne bis zum Erbrechen >Kalinka< jodeln läßt.« Nun kommt seine Sekretärin - sowat wie Jutta Hoffmann - und sagt in schönstem Hochdeutsch: »Harsche mal, Atsch-Kä, draußen steht e Sohn von dir. Darf er rein?« »Hm - kenn ick den?« »Geene Ahnung. Ich gann mich schließlich nich' um jeden Dreck gümmern. « »Hat er seinen Ausweis bei sich?« »Nee, nur e Grabstein mit seinem Namen, aber ooch noch falsch geschrieben - >Ewing< mit >U< vorne.« Jeschichten für die schönsten Familien- »O.k., sollen die Staatlichen Organe den erstmal tragödien liegen doch überall inne in die M~gel nehmen. Is jut, Erna, kannst wieKühltruhe von jedem Konsum rum. der an deine.n Kaffet~pp gehn.« »Soll er nu nn oder nich? In Folge 399 haben se ihm doch schon eens vor de Rübe gegäben und sterben lassen.« »Mein Gott, denn kriegt er eben eene neue Visage -wo is denn da das Problem?« Jetzt ruft er seinen Kumpel,an: »Grüß Gott, Genosse, ÄtschKä hier, hör mal, Igon, wir beede haben doch damals zusammen die Talsperre gebaut in - richtig - sag mal, hab ick da etwa noch wat anderes jebaut? Hier taucht so'n Bengel auf wie bitte? Ja - jenau - rote Haare wie so'n Feuermelder. Hm? Ach - du Scheiße! Hör uff - >Wanderpokal< haben wir die jenannt. Alles klar, Igon! ! Ciao! « Grade will er seine »Blauen Jungs« aus de Kantine in die Werkstatt scheuchen, wo se mit'n Kännchen Öl die Bremsen vonne Trabanten schmieren sollen, da klotzt so'n Lulatsch mit'n Cowboyhut auf'm Dez int Zimmer, schmeißt die Beene auf'n Tisch und grunzt: »Hi, Pappa! « Ätsch-Kä erkennt natürlich gleich an dem seinen großen Zinken, daß ihm dit Malheur ähnlich sieht, macht aber auf Monogramm und tut so, als wenn Fremdgehn 'n Fremdwort für ihn is', worauf sein Filius ihm freundlich seine Faust in die Magengrube packt und nett erinnern tut: »So, Alter, ick gratuliere dir zu deinem neuen, verantwortungsvollen Posten. Ab morgen bist du Soli-Marken-Verkäufer! Ick bin nämlich der neue Parteisekretär und hab dich einstimmig gewählt.« ••
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Ottokar Domma
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Der allerwichtigste Tag für die Lehrer ist der Tag des Lehrers. Er ist ein Tag der Liebe und der Versöhnung, und er steht im Kalender. Auf diesen Tag freuen wir Kinder uns mehr als unsere Lehrer, weil wir uns an diesem Tag nicht so anstrengen müssen, wogegen unsere Lehrer am Abend oder am nächsten Morgen meist ganz fertig sind von der vielen Ehre und Liebe. Denn an diesem Tag sagt niemand ein schlechtes Wort zu unseren Lehrern. Jetzt will ich schreiben, warum dieses ein Tag der Liebe und der Versöhnung ist. An diesem Tag entdecken die meisten Menschen wieder einmal, wie lieb sie alle Lehrer haben. Zum Beispiel Frau Kasubke bei uns nebenan. Frau Kasubke ist eine Blumen- und Klatschfrau, und man nennt sie auch unsere Dorfzeitung. Sie hat einen Blumenladen nebst einem mißratenen Sohn, der zweimal sitzengeblieben ist und schon einen Bart bekommt. Wenn die Leute zu Frau Kasubke in den Laden kommen, dann schimpft sie meistens auf die Lehrer; sie verkennen alle ihren Sohn. Kommt ihr Sohn mit einer Fünf oder einem Tadel nach Hause, dann sagt Frau Kasubke zu allen Leuten im Laden, wie dumm die Lehrer sind; und sie wird ihnen schon zeigen, was eine Harke ist. Einmal im Jahr schimpft Frau Kasubke nicht auf die Lehrer, und zwar am Tag des Lehrers. Sie sagt zu allen Leuten im Laden, man muß die Lehrer ehren; und dieser Blumentopf kostet nur fünf Mark, und es ist viel zuwenig für einen Lehrer. So macht der Tag des Lehrers Frau Kasubke von einer Schimpferin zu einer Liebenden. Noch ein Beispiel. In unserer Kreiszeitung stehen öfter Artikel über unsere Lehrer, und darin ist vieles schlecht. Und dann müssen unsere Lehrer oder der Herr Direktor auch antworten und sagen, wie schlecht sie sind. Zum Beispiel, warum sie am Nachmittag nicht auf dem Acker waren oder warum sie am 1. Mai feiern wollen, statt am Nachmittag die Kinder zu betreuen, damit die Eltern feiern können, oder warum sie nicht jeden Tag zu einer Versammlung gehen und ob ein Lehrer etwas Besonderes ist. Wenn sich unsere Lehrer einige Wochen mächtig angestrengt haben, dann müssen sie antworten, warum sie schon wieder
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nicht auf dem Acker waren und ob Arbeit eine Schande ist. Wenn die Lehrer die Schande überwunden haben, dann müssen sie antworten, wer sich um die Pioniere und um den Hort am Nachmittag kümmert; und man muß das einmal ganz deutlich sagen. Auch können die Lehrer ruhig am Sonntag auf den Acker gehen. Wenn aber der Tag des Lehrers kommt, dann sieht man in der Zeitung schöne Bilder, wo die Lehrer lachen; und es steht geschrieben, wie gut sie sind, und man muß ihnen dankbar sein. So macht der Tag des Lehrers manche Leute zu dankbaren Anhängern. Und es sind meist solche Meckerer, welche 364 Tage lang nicht wissen, wie schwer es ein Lehrer mit uns hat, zum Beispiel mit mir. Jetzt will ich schreiben, warum der Tag des Lehrers auch ein Tag der Versöhnung ist. Zum Beispiel für uns Kinder. An diesem Tag haben unsere Lehrer ihre schönsten Kleider und Anzüge an und sind guter Laune. Auch Herr Luschmil und Fräulein Bella Kohl. Herr Luschmil macht sogar Witzchen und streichelt manchem Schüler über die Backen, die er sonst nicht leiden kann. Und die Stimme von Fräulein Bella Kohl ist an diesem Tag wie Honig. Auch gibt es keine schlechten Zensuren und Eintragungen, aber viele Blumen für unsere Lehrer. Sie sind entweder gekauft oder aus dem eigenen Garten oder aus anderen. Auch sagen unsere Lehrer dann meist, wie sie duften und leuchten, und ob wir sie riechen; und man muß sie gut pflegen, daß sie nicht so schnell verblühen. So sind unsere Lehrer am Tag des Lehrers mächtig aufgekratzt wie Vater und Mutter zu Silvester. Auch bringen wir Kinder andere Geschenke dar, zum Beispiel selbstgelegte Eier von Wallys Mutter, was aber unser Herr Klassenlehrer nicht weiß, denn der soll denken, die Eier sind von allen Kindern. Oder wir schenken eine Schachtel Seife mit einer selbstgemalten Karte, auf der wir viel Erfolg wünschen. Auch bekommt Herr Burschelmann einige Zigarren, die wir uns vom Vater abgespart haben. Man muß auch an die Kultur denken, und so schenken wir unserem Herrn Klassenlehrer jedes Jahr ein Buch. Wegen dieses Buches gibt es meistens mit den Mädchen Krach. Die Mädchen wollen immer einen Liebesroman schenken, weil unser Herr Klassenlehrer noch ein Junggeselle ist. Wir Knaben wollen unserem Herm Klassenlehrer lieber einen Kriminalroman sch~nken, weil er dann besser lernt, wie man Übel-
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))itenn die dem jungen weiterhin Vzeren und Fünfen geben, machste einfach nicht mehr mit im Eltemaktiv. <<
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täter findet. Zum Beispiel meinen Freund Harald und mich. Als wir nämlich eines schönen Nachmittags wieder einmal ganz alleine nachsitzen mußten und unser Herr Lehrer im Schulgarten mit einer anderen Klasse buddelte, da fragte mein Freund Harald, was wir jetzt machen. Ich sagte, man muß einmal die Türschilder auswechseln. Das von der Lehrertoilette an das Lehrerzimmer und umgekehrt. Wir machten uns gleich an die Arbeit, und es hat lange niemand etwas gemerkt, weil jeder die Türen in der Schule genau kennt. Deshalb muß man Kriminalromane lesen, um die Übeltäter leichter zu entdecken. Wir haben uns aber mit den Mädchen geeinigt und ein Buch über Jiu-Jitsu gekauft, das man immer brauchen kann, als Junggeselle und auch, wenn man verheiratet ist. So hat uns der Tag des Lehrers sogar mit den Mädchen versöhnt. Die schönste Überraschung zum Tag des Lehrers ist unsere Selbstverpflichtung, daß wir immer gut lernen und Disziplin halten wollen. Unsere Lehrer freuen sich darüber sehr und sagen, daß sie es kaum glauben können.
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Der Lehrer fordert: »Bildet einen Satz mit den beiden Substantiven partei und Friedent« Fritzcb.en meldet sieb.: »Mein Vater sagt immer: >Laß mich mit der Partei in Frieden.<« .
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Johannes Conrad
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Kürzlich fragte mich Fritzchen, wie ich seine Mutter kennengelernt hätte. »Sind wir dabeigewesen?« rief Karlchen, der überall dabeigewesen sein will. Meine Frau verzog sich sofort in die Küche. »Da wart ihr noch nicht da!« antwortete ich, um jede Diskussion im Keime zu ersticken. »Wo waren wir da, als wir noch nicht da waren?« fragte Fritzchen. Und da mußte ich auch mal schnell hinaus. Fritzchen und Karlchen blickten mir gedankenvoll nach. Es sind eben zwei faustisch suchende Burschen, seit sie nun schon zwölf Wochen lang zur Schule gehen, philosophische Geister, welche tiefschürfende, das Sein betreffende Fragen stellen. Zahnlückig staunend stehen sie dem Anprall von Wissen gegenüber und Meine Söhne werden ganz t~umel~ an m~chen Tagen wie Brechts Baal durch..das bestimmt mal so was wie Ein- Kinderzimmer, Im Kopfe des Lebens Rausch und Fülle, stein oder Picasso hin und wieder einen Milchzahn fahren lassend. Es ist · noch gar nicht lange her, da stammelten sie kindliche Fragen in mein Ohr: »Papa, ist morgen gestern oder heute?« oder: »Wenn man sich mit dem Messer schneidet, hat man dann einen abben Finger?« Manchmal verzweifelte ich bei solchen Fragen. Wie schwer war es doch für mich, eine Antwort zu finden, wenn Fritzchen mit aufgerissenen Augen brüllte: »Wieviel Mäuse gibt es?«, oder wenn Karlchen unschuldig rief: »Hat ein Elefantenrüssel zwei Löcher oder eins, Papa?« Nein, es war selbst mit acht Bänden »Meyers Neues Lexikon« nicht immer leicht, zwei Knaben im Vorschulalter den rechten Weg zu weisen. Manchmal warf ich die acht Bände »Meyers Neues Lexikon« an die Wand und wußte nicht weiter. Aber es fand sich immer ein Ausweg. Selbst, wenn Karlchen fragte: »Haben wir da mit euch gespielt, Papa, als ihr noch klein wart?« Dann dachte ich: Wird die Schule die babylonischen Knoten in jenen Knabenköpfen entfitzen? »Na«, rief ich wohl in solchen Momenten, »wartet nur, meine Söhne, wenn ihr erst zur Schule geht, dann lernt ihr alles schön der Reihe nach, systematisch, biologisch, wissenschaftlich!« Dann blickten sie mich tiefsinnig an und verschwanden. Und fünf Minuten später erschienen sie wieder, und Fritzchen sprach ernst: »Wenn ein Schüler der Lehrerin
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einen Vogel zeigt, und er sagt, es soll nur eine Maus sein, kriegt er dann entweder trotzdem eine schlechte Zensur oder entweder nicht?« In solchen Situationen dachte ich zuweilen, wie leicht ich es doch mit den nun schon größeren Geschwistern der Zwillinge gehabt hatte. Annegret beispielsweise war schon mit sechs Jahren die beste im Schwimmen bei den Nichtschwimmern. Und Paul hat schon mit acht Jahren wie ein Besessener Flaschen gesammelt, am liebsten Brause- und Bierflaschen. Und Susi nahm bis zu ihrem neunten Lebensjahr geduldig an, die Griechen würden dauernd durch die Landschaft kriechen. Kluge, stille Kinder. Und dann bescherte uns das Leben diese beiden rasenden Reporter. . Sonntagmorgens beispielsweise wache ich nicht wie andere, normale Väter auf, sondern mich . f weckt ein intensiver Schmalzstullenduft. Ich ~: l schlage die Nase und die verquollenen Augen auf ~ und blicke meinen beiden Söhnen ins putzmun- r~l> S tere, rosige Angesicht. Die Knaben glänzen wie :-~ ~iJ•i ; Weihnachtsbäume bei der Bescherung. Ruhig t:..~„~ ··"·· · „. ;' „ ~ , , ~~ „,:,, -~., „-. , ·; atmen sie mich an. Sie müssen mich schon minutenlang schwei- Pioniertreffen 1982: gend betrachtet haben: zwei Kunstbesessene vor einem echten Wzr Jungpioniere halten Picasso! Schlafend scheine ich eine faszinierende Wirkung auf Freundschaft mit den Kinder auszuüben. Dann überläuft mich ein Schauer, und ich Kindern der Sowjetunibegrüße meine Söhne mit einem angerauhten: »Nanu?« on und aller Länder. Jetzt, seit sie Schüler der Klasse 1 b sind, stehen ihre Fragen (aus den >>Geboten der Jungpioniere<<) plötzlich auf qualifizierten Beinen. Am Samstag kamen sie mit hellgelben Nasen aus der Schule. Ich erschrak bis in die tiefste Seele, befürchtete schon, bei diesen vielen unfreundlichen Bazillen heutzutage wäre irgendeine ostasiatische Epidemie ausgebrochen. Da rief Fritzchen sehr empört und mit zitternden Lippen: »Wir haben einen Schüler in der Klasse, der hat Angst vor Schweinen, und Karlchen hat zu Frau Lehmichel gesagt, es gibt das Dreieck, aber auch das Rundeck! « »Um Himmels willen«, rief ich, »was habt ihr denn für gelbe Nasen?« »Wrr haben einen gelben Kosmonauten auf blaues Papier gemalt!« antwortete Karlchen. »Und das Schreiben sollen wir auch noch üben.« Also haben wir etwas Schreiben geübt. Es ist schon eine Lust, wenn sich die Knaben im Schulfüller verkrampfen, als wollten sie ihr »Ei Susi«in Holz schneiden für unsere Nach(
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kommen in tausend Jahren. Oft haben die armen Buchstaben Schüttelfrost und stehen da wie frierende Menschen bei Naßkälte an der Haltestelle. Und wieder ist mindestens ein Qualitätsschulfüller im Eimer. Dann fällt es auch einem vernünftigen Vater schwer, nicht a.m Leben und an den Schulfüllern zu verzweifeln. Später trösten mich die Jungen beim Lautlesen. Karlchen beispielsweise buchstabiert die Wörter erst ganz leise, den zitternden Zeigefinger immer unter dem jeweiligen Buchstaben: »M-I-M-I.« Dann versucht er, die Buchstaben miteinander in einen logischen Zusammenhang zu bringen. MehrUnd der Pionierleiter rief durch mals flüstert er kaum hörbar und etwas zweifelnd: ein Mikrophon >>Pioniere, Ach»Mihimihi? Miehmih? Mihmieh?« Und plötzlich ruft er tung!<< mit krähender, leicht überschnappender Stimme: »Mmmiiimm-miii!« Eine Posaune des Triumphs. Mein Gott, er hat es! Eigentlich müßten in solchen Augenblicken die Autos auf den Straßen stehenbleiben, die stillen Rehe auf den Waldlichtungen ihre Lauscher spitzen und die Menschen »Hurra!« schreien. Fritzchen hat die andere Methode. Er behauptet, Lesen sei »piepleicht«, und liest statt »Mimi an Leni« quäkend und selbstbewußt: »Mahmah ahn Lehnieh.« Schließlich aber klappt es doch, und siehe da: Meine Söhne lesen. Welche ein Meter dreißig großen Wunder! Nach zwölf Wochen Schule können sie nun schon lesen wie Wolfgang Heinz. Sie lesen: »Unsere Sau soll allein sein« und »Alle lesen Ulme« und »Oh, ein Raum, so hell, so rein!« Es ist zwar nervenaufreibend, ehe solche bildschönen Sätze ans Licht der Welt gelangen, aber sie gelangen! Und daß 8 kleiner als 9 und 6 größer als 5 ist, wissen die Teufelskerle auch schon! Sie wissen sogar schon, daß 3 auch a sein kann oder b! So gelangt immer mehr Klarheit in diese komplizierten Knabengehirne. Zu Hause schießen sie zwar noch oft wahnsinnige Purzelbä11me und katapultieren Kaugummis an die Wohnzimmerdecke, aber sonst machen sie doch schon einen recht würdigen Eindruck. Mit großer Rührung denke ich beispielsweise anjenen Tag, als sie in die Pionierorganisation aufgenommen wurden. Ich hatte zufällig frei und durfte mit. Da standen sie nun alle in einer Reihe, die neu eingeschulten blanknasigen Knaben und Mädchen, die Pioniere werden sollten, Zwerge und Riesinnen, Fritzchen und Karlchen blaß unter ihnen. Zuerst kam der Fahnen-
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appell. Der Träger der ersten Fahne wälzte heimlich einen Kaugummi in die Backentasche. Und der Pionierleiter rief den in der zweiten Reihe aufgestellten größeren Knaben und Mädchen, welche die Dokumente und Halstücher überreichen sollten, durch ein Mikrophon »Pioniere, Achtung!« zu. Plötzlich standen in der ersten Reihe Karlchen und Fritzchen mutterseelenallein, etwas schief vielleicht, eher Fragezeichen ähnlich in ihrer bleichen Entschlossenheit, aber sie standen, Hände an der Hosennaht, stramm, obwohl sie das noch nie geübt hatten. So entwickelt sich der Mensch. Nun, heutzutage sollen ja manche Eltern schon kurz nach der Einschulung den Klassenlehrer besuchen, um mit diesem über den Beruf ihres geliebten Kindes zu diskutieren. Und wenn die Rede auf die langen Jahre und auch auf Möglichkeiten wie Lokomotivführer oder Grünanlagenfacharbeiter kommt, dann lachen solche Eltern leicht pikiert und stellen sich ihren eben eingeschulten Sohn als großen Gynäkologen oder künftigen Physikprofessor vor. Und das Fräulein Tochter, welches eben mühsam »Ach, hier sehe ich noch Loni« buchstabiert, wird Mitglied der Akademie der Künste, nicht wahr, und dreifacher Nationalpreisträger. Doch meine Söhne mit den hellgelben Kosmonautennasen, welche eben, die Hosen in den Kniekehlen, mit lispelnden Stimmen und feuerroten Köpfen diskutieren, ob Goldfische trotz des Wassers lachen können, meine Söhne werden ganz bestimmt mal so was wie Einstein oder Picasso! Wenn nicht noch mehr! Gleich morgen werde ich in ihrem Namen Bewerbungen an die hiesigen Hochschulen und Universitäten schicken. Und sollte es nicht hinhauen, dann werden sie eben Schornsteinfeger. Das ist vielleicht noch schöner.
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>>Und was ist das, Jungpionier?<<
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Peter Ensikat
In Dankbarkeit gewidmet der vermutlich unbekannt bleiben wollenden Verkäuferin im einzigen Spielwarenladen auf der Berliner Straße in Berlin Hohenschönhausen. Neulich hat mein Sohn eine Eintragung in sein Hausaufgabenheft bekommen. So was bekommt er öfter, er ist gesund und munter. Aber die Eintragung, von der ich hier spreche, bekam er nicht in der Schule und nicht von einem seiner armen Lehrer. Er bekam sie im Spielzeugladen von einer dort amtierenden Verkäuferin. Er hatte nämlich an einem eben gekauften Spielzeug bemängelt, daß es nicht funktionierte. So ungehöriges Betragen muß natürlich bestraft werden. Wo kämen wir hin, wenn schon unsere Kinder Qualität verlangen dürften? Die Verkäuferin verlangte also folgerichtig das HausUngehöriges Betragen muß be- aufgabenheft des. Quer:11ru:iten un~ schri~b mit _am~li straft werden Wo kämen wir hin ehern Kugelschreiber hinem: »David bemmmt sich 1m wenn schon ~nsere Kinder Quali: Spielzeu~lade~ unmöglich.« Untersc~, k~in Stemtät verlangen dürften? pe~, nur die d~gende Aufforderung, diese Eintragu~g seinem Schuldirektor vorzulegen. Dann durfte mein Sohn den Ort seines Vergehens ungehindert verlassen. Leider ist ihm wohl der Ernst unseres Lebens trotz seiner zwölf Jahre noch nicht ganz klar. Denn er lachte, als er mir die Eintragung zeigte, und meinte sogar, die Verkäuferin müßte ja wohl einen ... Soweit der konkrete Fall. Lasset uns nun zur totalen Verallgemeinerung schreiten. Hat nicht die Verkäuferin eine herrliche Möglichkeit der Disziplinierung unseres Handelslebens entdeckt? Man brauchte doch nur jedem unserer Bürger so ein Hausaufgabenheft oder sagen wir besser: Führungsheft in die Hand zu geben, das der Verkäuferin auf Verlangen vorzulegen ist, auf daß sie Lob oder Tadel an ihre Kunden verteile. Endlich entschiede die Verkäuferin dann nicht mehr nur darüber, was sie wem verkauft, endlich hätte sie ein Mittel in der Hand, für Ruhe und Disziplin in ihrem überfüllten Laden zu sorgen. Dem Kunden stünde dann wirklich nur noch das Wort zu, wenn die Verkäuferin es an ihn richtet. Ja, man könnte die Sache erweitern auf jede Pförtnerloge, jedes Restaurant, jede Amtsstube, überall da wären die Führungshefte vorzulegen, wo unsere Bürger zu unmöglichem Verhalten neigen.
Le r n e n, 1e r n e n, n o c h m a 1s 1e r n_e n
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Wie freundlich würde dann endlich der Umgangston vor dem einzigen besetzten Schalter in unseren tausend Postämtern. Wer meckert, hat einfach sein Führungsheft vorzulegen. Für leises Murren einfache Eintragung, lautes Meckern - Tadel, Versuch der Beschwerde oder gar Aufwiegelung der noch ruhig Abwartenden - Verweis, und das nicht etwa nur aus dem Postamt, nein, der Verweis könnte gleichbedeutend sein mit einem Verweis aus unserem öffentlichen Handels-, Gaststätten- und Ämterleben. Unsere Bürger würden überall da, wo sie heute noch meckernd anstehen, nicht nur freundlicher stehen, sie würden vermutlich auch kürzer stehen, da schon bald nicht mehr jeder die Ansteherlaubnis hätte. Nur die Besten dürften auf Dauer noch anstehen. Um die Sache zu vereinfachen, könnte man die Tadel auch in Form von Stempeln verteilen, wie es unsere Verkehrspolizei ja mit einigem Erfolg praktiziert. Fünf Stempel- Entzug der Einkaufserlaubnis! Ausländische Besucher, die aus ihren Heimatländern so eine feine Ordnung und Disziplin nicht kennen, bekämen mit dem Vis11m einen Berechtigungsschein. Fünf Stempel würden die sofortige Ausweisung nach sich ziehen. Wer unseren Kellnern nicht freundlich entgegenkommt, unsere Verkäuferinnen nicht dankbar anlächelt, unseren Pförtnern nicht die gebührende Achtung für ihr schweres Einlaßamt entgegenbringt, hat einfach keinen Anspruch darauf, mit ihnen überhaupt in Kontakt zu kommen.
»Wenn du nicht artig bist, stecken wir dich in den Keller!<<
>>Um Himmels willen, das sind ja völlig veraltete Erziehungsmethoden!<<
>>Wenn du nicht artig bist, stecken wir dich in den Hort!<<
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Lernen, lernen, nochmals lernen
Jochen Petersdorf
Viele sind mit dem Ball unten. Kleine Bälle, große Bälle, echte Fußbälle - schöne Bälle. Viele haben Roller. Große Roller. Luftbereift, Chrom, gepolsterter Sitz - schöne Roller. Andere haben Fahrräder, Kinderräder, Jugendräder - schöne Räder, teure Räder. Andere spielen einfach so. Klettergerüst, Rutsche, Wippe, Sand. Oder alte Kisten, Kabelreste, Baubudenruine. Und rundherum viele Häuser. Große Häuser, neue Häuser. Dazwischen eine Schule, ein Kindergarten, eine Krippe. Alles neu. Dort sind sie in der Woche. Von morgens bis abends. Gut aufgehoben. Bei fremden Leuten. Die sie unterrichten, mit ihnen spielen, sie loben oder tadeln. Erziehen. Heute ist Sonntag. Da sind sie unten. Bis gegen zwölf, halb eins, oder eins. Dann gibt's Mittagessen. Da sind sie oben. Nach dem Essen sind sie wieder unten. Bis zum Abend. Viele bis zum späten Abend. Aber manche waren auch zwischendurch mal spazieren. So: »Mußt du denn mitten durch die Pfütze latschen?!« »Schakkeline, dein neues Kleid! Altes Ferkel!« »Meihhk! Wennste nich sofort von den Ast runterkommst, kriste eene jelatscht! « Klatsch. »Hier kannste jetzt nich pullern! Kannste det nich zu Hause machen, verflucht noch mahh! « Aber das sind nur einige. Die anderen haben's besser. Die gehn nicht spazieren. Die sind unten. Und spielen. Mit dem Ball, mit Sand, mit der hölzernen Maschinenpistole, mit dem Freund und mit sich selbst. Die Eltern sind oben. Sehn fern, rauchen, lesen die Zeitung oder studieren sie, kleben Kacheltapete in die Küche oder ins Bad, trinken ein bißchen, halten Mittagsschlaf, haben Besuch - haben Sonntag. Machen Sonntag. »Thomas, jehn wa zu dir oben mit die Indianers spielen?« »Jeht nich. Meene Alten schlafen.« Die Alten. Wie alt sind die eigentlich schon? Oder - noch?
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Was des Volkes Hände schaffen
John Stave
Roso sprae Eine unproduktive Geschichte
>>Na denn eben nicht. Feiern wir eben ohne ihn seinen Einstand . weiter!<<
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Als sich die Tür unseres Stammrestaurants zu dieser frühen Morgenstunde öffnete, blickten wir mürrisch von unserem gemütlichen Macketrudeln auf. Eine Gruppe von vier Männern in Maurerkleidung war mit Getöse eingetreten. Sie drapierten sich um einen Tisch, der in der nächsten Nähe unserer Trudelecke stand. Die Serviererin entfernte fürsorglich die Tischdecke und fragte die Herren nach ihren Wünschen. Wrr trudelten weiter. Es war elf Uhr vonnittags. Sie stritten über die Arbeitsorganisation auf ihrer Baustelle. Der Brigadier, den sie abwechselnd Pfeife, Hornochse, Nalle, Scheißkopp, Blödmann, Arsch und Idiot nannten, bekam die Schuld. Er saß mit am Tisch und sagte immer nur »Ja, ja« und »Nee, nee«. Sie forderten ihn des öfteren kameradschaftlich auf, seine Meinung zu äußern. Etwa so: »Du alter Hornochse, nu sage du ooch mal wat!« Daraufhin sagte der alte Hornochse gemütlich: »Vier Norm, vier Pils!« Hinterher wurde ihm von seinen Brigademitgliedern und Freunden geboten, nun wieder die Schnauze zu halten. Wrr müssen zugeben, daß der geordnete Ablauf unseres Makkespiels unter diesem unsalonfähigen Benehmen der vier bezeichneten Gäste empfindlich litt. Auch als um die Mittagszeit Verstärkung anrückte und wir zu viert und streckenweise auch zu fünft stukten, wollte keine richtige Spielfreude aufkommen. Nur einmal, es muß gegen viertel drei gewesen sein, konnten wir - inzwischen wieder auf zwei Mann zusammengeschrumpft - ein ruhiges Spielchen absolvieren: Die Brigade war geschlossen zur Toilette gezogen, wo sie ihren erregten Disput weiterführte. Wieder am Tisch angelangt, begab sich ein Brigademitglied namens Willi sofort zur Ruhe. Nun war die große Stunde des Brigadiers gekommen, der heitere Teil gewissermaßen. Und so vermittelte der Brigadier seinem jüngsten Brigademitglied einige wertvolle Lebenserfahrungen. Um drei zerschellte das erste Bierglas auf dem Boden der Lokalität, eine Tatsache, die den Gastwirt aus seiner Schl11mmerecke hervorschnellen ließ. »Meine Herren«, rief er streng, »ich kann mir doch neue Gläser nicht ständig aus dem Ärmel schütteln!« Die Erbauer unserer Stadt indessen nahmen die Angelegenheit von der humoristischen Seite. Der Scheißer von Wrrt
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sollte sich man nicht so haben! Sie luden ihn ein. Er dankte. Obwohl sie alles bezahlen wollten! Wrr hatten unseren 'frudelbecher an den Nagel gehängt. Es ging auf dreiviertel vier zu, da schritt die Brigade z11m Chorgesang. Selbst der um halb drei sanft Entschlafene stellte seine rauhe Kehle zur Verfügung. Man sang: »Entchen von Tharau« und »Weißt du, Mutterl, was i träumt hab?« Das jüngste Brigademitglied fing vor Rührung an zu heulen, was die anderen drei zu neuen Gesängen anspornte. »Nu mal wat Modemet!« krähte der Jüngling, der sich inzwischen gefaßt und mit einem doppelten Boone gestärkt hatte: »Hee, hee, Bossanowwa? Baby, hee, hee!« Dann ward ihm schlecht, und er verließ fluchtartig das Lokal. Punkt vier zahlten der mit dem Hut ohne Krempe, dessen Repertoire sich in den Aussprüchen »Alles Penner!«, »Alles Beschiß!« und »Alles Mist!« erschöpft hatte, und der Brigadier und wankten von dannen. Aber Willi nicht. Willi blieb. Willi war ja ausgeruht! Er hatte ja ein reichliches Stündchen gekokst. Willi gab noch ein Liedchen zum besten, trank noch ein, zwei, drei doppelte Gläschen, und dann erst fiel er mit dem Tischehen um. Unten angekommen, sang er noch eine Zeile des schönen Liedes »Rose sprach, ich breche dich!« Anschließend war er still. Wrr wollten schon wieder mit dem 'frudeln beginnen, aber nun zerrten der Wrrt und die Kellnerin Wtlli unter gewaltiger Kraftanstrengung unter dem Tisch hervor. »Jetz zahln Sie mal«, sagte die Kellnerin, »und dann rasch zu Hause bei Muttern!« Willi öffnete die Augen. »Vornehme Leute«, sagte er mit Abscheu in der Stimme. »Feines Pack! Naja, is ja immer desselbe. Wrr sind hier in den feudalen Stall nich jerne jesehn!« Er holte einen Zwanzigmarkschein aus der Arbeitsjacke und reichte ihn der Serviererin. Dann zog er sich langsam am Schlips des Wirtes in die Höhe und stand ihm plötzlich Angesicht zu Angesicht gegenüber. »Weil wir bloß Arbeiter sind!« schleuderte er ihm zum Abschied entgegen. Als Willi endlich gegangen war, mußten wir doch sehr lachen. »Sitzen den ganzen Tag in der Kneipe herum«, sagte ich, »und nennen sich Arbeiter!« Wrr trudelten weiter, und ich möchte geübten Leserbriefschreibern gleich das Heft aus der Hand schlagen, falls sie die Frage aufwerfen sollten, was wir denn den ganzen Tag anderes getan hätten als Saufen und 'frudeln? Erstens haben wir uns an diesem Tag nicht als Arbeiter bezeichnet! Zweite;ns hatte die Sache mit uns ihre Ordnung: Wrr haben keinen illegalen Produktionsausfall verursacht. Wrr waren nämlich krank geschrieben.
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Wolfgang Schalter
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(Nach dem Gedicht von Bertolt Brecht »Die Teppichweber von Kujan-Bulak ehren Lenin«) In ein paar Jahren wird gefeiert werden wieder ein Geburtstag des Genossen Lenin. Auf riefen die Schaumschläger des VEB Schlagfix, damit man nicht den Anlaß vergesse, gewarnt durch manch andere Schlamperei, heut schon zu decken den Gabentisch. Und es beschließen die Leute an den Maschinen, fleißige Leute, fixer zu schlagen das Schlagfix, Lenin zu Ehren. Und der Oberschläger liest die Verpflichtung, die kurze, prägnante, und freut sich. Aber er sieht auch: Da fehlt die Präambel! Und er erklärt den fleißigen Leuten, daß Schlagschaum allein nicht genüge, man müsse auch Schaum schlagen. Und also schreiben sie die Präambel ab von älterer Vorlage, austauschend den Namen Pieck gegen Lenin. Und sie mußten sich auch noch verpflichten, die Pflanzen zu gießen am Arbeitsplatz, obwohl sie gar keine hatten, und pünktlich zu betreten die Sahnefabrik, obwohl sie's bisher immer taten. Auch neuerte mit Erfolg eine Frauenbrigade. Doch da am wichtigsten ist nicht die Neuerung, sondern die Beteiligung aufgeschlüsselt prozentual nach Alter und Geschlecht, und da sich bei den Frauen das andere Geschlecht nicht finden ließ trotz gründlicher Untersuchung fingen sie sich einen Mann von der Straße, Lenin zu Ehren. Nun war nur noch zu schreiben ein persönlichschöpferischer Plan und ein kollektivschöpferischer Plan und ein Kultur und Bildungsplan und ein
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Patenschaftsvertrag und ein Haushaltsbuchwettbewerb, und es galt nur noch zu kämpfen um den Staatstitel und um den Betrieb der ausgezeichneten Qualitätsarbeit und um den Betrieb der ausgezeichneten Ordnung und Sicherheit. Und um auch zu kämpfen ums Kollektiv der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, fehlte ihnen ein Mitglied zu hundert Prozent. Und sie agitierten so lange Irina Galowna, sowjetische Staatsbürgerin, eingeheiratet und nun Mitglied der Brigade, bis diese beitrat der DSF und fortan war ihr eigener Freund. Nun mußten die fleißigen Leute nur noch einen werben für die freiwillige Zusatzrente. Und sie taten auch dies, stopften dem Zögernden Schlagfix ins Maul, daß er nicht laut protestieren konnte, Lenin zu Ehren.
Das neue Parteistafüt hat nur noch .·· zwei Paragraphen. ·§ 1: Die Partei hat immer recht. § 2: In allen anderen Fällen
mtt § 1 in Kratt.
Zwar nun Sieger im Wettbewerb, waren sie doch vor lauter Berichten, Papiere schreiben, Ausgewerte und Punktegesammle zum Arbeiten nicht mehr gekommen. So schlugen sie Scha11m, indem sie den Schaum zu schlagen vergaßen, und ehrten Lenin, indem sie keinem nützten. Und hatten ihn also nicht verstanden. >>Muß noch liegen, dieser Jahrgang ist noch zu • 1ung.<<
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Erich Honecker erkundigt sich bei Günter Mittag nach der Höhe der Ausschuß-Produktion. »Nur acht Prozent«, sagt Mittag stolz. »Aber reicht denn das zur Versorgung unserer Bevölkerung? «
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Bresbnew und Honecker unterhalten sich über die Probleme aer Warenverteilung.
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Lothar Kusche
Seit unserem ersten schriftlichen Antrag beim Wohnungsamt waren nur wenige Jahre vergangen, wir hatten höchstens dreibis vierhundert weitere Gesuche (unterstützt durch Empfehlungsschreiben verschiedener Verbände, Betriebe, Massenorganisationen und Nobelpreisträger) an Bezirksämter, Stadträte, Ministerien, Komitees, Intendanzen, Würdenträger aller Art (kirchliche ausgenommen), Einrichtungen des Rates der gegenseitigen Wirtschaftshilfe (RGW) und so weiter gerichtet, und schon wurde uns die neue Wohnung zugewiesen. Wunderbarer Grund zur Freude indes war uns nicht nur die neue Wohnung schlechthin, sondern auch der für uns ungewohnte, abenteuerliche Umstand, daß darin ein Gasanschluß existierte, uns somit die Möglichkeit eröffnet war, künftig in der Backröhre des bereits aufgestellten Herdes Es gehört zu den schönsten Erlebgroße Braten zu schmoren, Kuchen herzustellen nissen meines Lebens daß es uns od~r kleine, magere Hühnchen bis zur Unkenntlich- gelang, die Klempner 'bereits ke1t verbrennen zu lassen. Noch war der Gasan- nach einer Woche in unsere Wohschluß freilich plombiert, die Energiequelle spende- nung zu locken te noch keine Energie, das Gas ruhte noch gebän· digt ihm Rohr, und sehnsüchtig erwarteten wir die Ankunft der Gasmänner, die uns die wunderbare neue Kraft erschließen sollten. Diese freilich ließen auf sich warten. Da wir in der Produktion von Eingaben durchaus geübt waren, fiel es uns nicht sonderlich schwer, alle möglichen zuständigen und nichtzuständigen Stellen mit dringlichen Redensarten auf erlesenem Schreibpapier zu bombardieren. Ein besonders fein formulierter Antrag, den ich an den Stellvertreter des Staatssekretärs für Ballonwesen, Gase und Abgase richtete, brachte den gewünschten Erfolg. Ein kleines grünes Auto fuhr vor, zwei freundliche Männer mittleren Alters in blauen Arbeitsanzügen kletterten heraus und begannen die Rohrleitungen diesseits des plombierten Gasanschlusses darauflrin zu überprüfen, ob sie dicht hielten; aber leider hielten sie nicht dicht. »Da müssen noch mal die Klempner her«, sagte der eine der beiden Gasmänner, der etwas größer und viel dicker war als der andere, »rufen Sie mal die Klempner an. Sobald die alles dicht gemacht haben, kommen wir mit dem Zähler, und dann kann das Kaffeekochen lpsgehen. « Nichtsdestoweniger tranken wir
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sogleich etwas Kaffee, den meine Frau mit Hilfe von Elektroenergie zubereitete. Dann fuhren die Gasmänner mit ihrem kleinen grünen Auto wieder fort. Es gehört zu den schönsten Erlebnissen meines Lebens, daß es uns gelang, die Klempner bereits nach einer Woche in unsere Wohnung zu locken, was allerdings nur möglich war, weil meine Frau einen Vetter hat, dessen Schwiegervater vor Jahren die Absicht hatte, sich im Thüringer Wald ein Ferienhäuschen zu bauen, bei welcher Gelegenheit er einen Bienenzüchter kennenlernte, dessen Tochter mit der Sekretärin eines gewissen Hollack befreundet ist; dieser Hollack aber, Diplomingenieur und Chefkonstrukteur eines Betriebes, über dessen Produktion ich hier aus bestimmten Gründen nichts Näheres sagen möchte, hatte gelegentlich eines Bierabends mit dem Chef der für uns zuständigen Handwerkskammer eine Wette darüber abgeschlossen, wer von beiden mehr Salzbrezeln hintereinander essen Beim nächsten Besuch der könne. Hollack hatte die Wette gewonnen (sechsundGasmänner trank ich mit ihnen zwanzig Beutel Salzbrezeln) und daher einen Wunsch Brüderschaft bei dem Herm von der Handwerkskammer frei, den er · mir freundlicherweise übereignete. Der Verlierer der Brezelwette war ein Ehrenmann; er arrangierte es sofort, daß die Klempner kamen und die Gasrohre vorschriftsmäßig abdichteten. Als dies erledigt war, verständigte ich die Gasmänner. Sie kamen mit ihrem kleinen grünen Auto, walteten ihres Amtes und dann kochten wir unseren ersten Kaffee auf dem Gasherd. »Schmeckt doch ganz anders«, sagte der große, dicke Gasmann mit Namen Peltzmark. Sein Kollege hieß Wibursch. Herr Peltzmark und Herr Wibursch waren sehr nette Leute, die sich mit uns gemeinsam über die Inbetriebnahme des Gasanschlusses richtig freuten. Aber natürlich konnten sie nicht den ganzen Tag bei uns herumsitzen und Kaffee trinken, und so nahmen wir bald Abschied voneinander. Durch die Existenz des Gasherdes wurde unser Haushalt ungemein belebt: Wir buken und brieten, kochten und schmorten, grillten und dunsteten in jeder freien Minute. Ich erlernte die Anfangsgründe der Kochkunst und nahm innerhalb von drei Wochen acht Pfund zu, was insofern unerheblich war, als ich ohnehin seit Jahren an Übergewicht leide. An unsere vor Wochen ausgesandten Antragsschreiben und Bittbriefe dachten wir in jener kochlustigen Periode der Gasomanie schon längst nicht mehr. Doch eines Tages fuhr das kleine grüne Auto vor, die Herren Peltzmark und Wibursch klet•
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terten mit ihrem Werkzeugkasten heraus, und Herr Peltzmark sagte: »Sind Sie Herr Knoscheck? Wir sollen hier das Gas anschließen!« »Aber Herr Peltzmark! «rief ich, »das haben Sie doch schon vor vierzehn Tagen besorgt!« »Siehst du, Egon«, bemerkte Herr Wibursch, »ich habe das Haus doch gleich wiedererkannt!« »Na so was!« sagte Egon Peltzmark, »aber wir haben einen Auftragsschein! Das Amt für gesunde Ernährung hat nämlich in unserem Büro angerufen und Beschwerde eingelegt, weil Herr Knoscheck ohne Gas nicht leben könne und so weiter.« Ich tröstete die pflichtbewußten Gasmänner und bot ihnen eine Erfrischung an, dann fuhren sie mit ihrem kleinen grünen Auto wieder fort. Sechs Tage später waren sie aufs neue .. . bei uns. »Guten Morgen, Herr Knoscheck«, sagte Herr Peltzmark, »wir haben den Auftrag, bei Ihnen das Gas, mit dem Sie schon seit einigen Wochen kochen, anzuschließen. Das Komitee für Säuglingshygiene hat sich nämlich diesmal Ihrer Angelegenheit angenommen.« - . - ---·-= ---.;.;-::.. »Wie schön«, sagte ich, »obwohl wir ja --... -·- --:;;,..,._„__ ----_„ ___ ----- - . - - noch keinen Säugling haben. Wie wäre es mit einem Gläschen Apfelsaft? Selbstgekocht. Auf Gas!« Da sagten sie nicht nein. Und als ich mich mit einem herzlichen »Auf Wie- »Heute ist Sprechtag, dersehen« verabschiedete, orakelte Herr Wibursch: »Wer weiß!« na schön, aber ich erinnere mich nicht, daß ich In der folgenden Woche kamen die Gasmänner mit ihrem kleiSie sprechen wollte.<< nen grünen Auto zweimal zu uns, immer mit einem ordnungsgemäßen Auftragsschein in den Händen. Das Büro der Gaswerke hatte erstens einen Hinweis vom Sekretariat der Nationalen Front und zweitens einen Brief vom Künstlerischen Betriebsbüro des Volkstheaters bekommen, dessen Intendant bekanntlich ein sehr einflußreicher Mann ist; er wollte mich wohl dafür entschädigen, daß er meine Dramen immer ablehnt, weil bei ihm ein Dramaturg tätig ist, der das Repertoire selber schreibt. Beim nächsten Besuch der Gasmänner trank ich mit ihnen Brüderschaft; Herr Wibursch hieß mit Vornamen Josef. »Paßt auf, Freunde«, sagte ich, »wenn Ihr wieder mal kommt, rich„ "' „ •
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tet es so ein, daß Ihr kurz vor Feierabend hier seid. Dann können wir zusammen ein bißchen Skat spielen.« Und das taten wir auch, nachdem der Sonderbeauftragte des Forschungsinstituts für moderne Einbauküchen persönlich den Direktor der Gaswerke wegen llnserer Sache gerügt hatte. Auch der Artikel »Sozialismus ohne Gasherd?« in der Rubrik »Otto gibt seinen Senf dazu« unseres Abendblattes blieb nicht ohne Wirkung: Egon und Josef kamen mit ihrem kleinen grünen Auto. Wir wurden gute Freunde. Im Lauf des Jahres kam das kleine grüne Auto immer häufiger, und zwar auf unmittelbare oder mittelbare Veranlassung des Rostocker Fischkochs, des Zentralbüros für Energieeinsparung, der Reichsbahndirektion Dresden, des Berliner Kabaretts »Die Distel« (das unserem Problem einen amüsanten Sketch unter dem Titel »Glück und Gas -wie leicht bricht das« gewidmet hatte), der Staatlichen Bauaufsicht, des bekannten Der Artikel: Sozialismus ohne italienischen Schauspielers Vittorio Gassman, der FreiGasherd? in unserem Abendwilligen Feuerwehr, der Gesellschaft zur Verbreitung blatt blieb nicht ohne energiewissenschaftlicher Kenntnisse und des Tierparks Wirkung. Berlin. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, welche sonstigen Ämter und Personen unseren Gasanschluß protegierten, und ich habe auch die Durchschläge unserer Gesuche verbummelt; aber es waren sehr viele Leute und Institutionen, die das kleine grüne Auto in Fahrt brachten, und als Egon und Josef zum hundertsten Male mit ihrem Auftragsschein zu uns kamen, gaben wir ein kleines Fest. »Siehst du, Knoscheck«, sagte Josef, als ich sie gegen Mitternacht zum Bahnhof brachte, »da sagt man immer: nichts klappt. Dabei klappt doch allerhand!« »Eben, eben«, fügte Egon hinzu, »auch wenn es manchmal ein bißchen lange dauert.« Von da an kamen unsere Freunde immer seltener, und eines Tages blieben sie ganz aus, denn inzwischen waren andere wichtige Angelegenheiten in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Auch konnten wir uns nicht beklagen, da wir unseren Gasanschluß ja seit langem hatten. Aber die Zeit mit den Gasmännern war eine schöne Zeit, und die Erinnerung daran wird uns in unserem Leben niemals verlassen.
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Matthias Biskupek
t Zl4Ht Wenn im Betrieb des Neuerfritz die Vierklangfanfare, das melodiöse Pausensignal, ertönt, stellt Neuerfritz seine Maschine mit leicht bedauerndem Knopfdruck ab. Er liest aufmerksam die grafisch gestalteten Pausenzeiten durch, die in geschmackvollem Volkskunstrahmen einen belebenden Fleck in der getünchten Wand darstellen. Sodann tritt er zum Waschbecken und reinigt sich die Hände, die keinerlei Schmutzspuren aufweisen. In der Kantine tritt er in die freudig bewegte Reihe der Wartenden und erklärt dem vor ihm Stehenden, daß er stets gern aufrecht hier stehe, da das Gefühl der unauslöschlichen Verbundenheit mit seinem Werkkollektiv dadurch tief geprägt werde. Als er vor dem hübschen Verkaufsausschnitt der hübschen Kantinenkraft steht, lächelt er hübsch und fragt, ob Käsebrötchen vorrätig seien. Freundlich wird ihm das zeitweilige Abhandensein von Käsebrötchen erläutert, worauf Neuerfritz verständnisinnig mit dem Kopf nickt und standhaft seine Zustimmung dazu erklärt - ungeachtet der Beifallskundgebungen ringsum-, daß unser Staat bei der gegenwärtig komplizierten Weltmarktlage die Käsebrötchen exportiere. Zudem komme dies einer Verbesserung unserer ungesunden Eßgewohnheiten zugute. So läßt er sich Vollkornbrot mit Kräuterquark-Aufstrich geben und ein Schüsselehen mit zart gewürztem Weißkohlsalat. Dazu packt er eine Flasche mit etwas sauer gewordener Milch - was er als wirtschaftlich notwendig und gesundheitsfördernd empfindet-, packt also die Milch frohgemut beim Kragen und schreitet unter aufrichtigen Grüßen nach allen Seiten durch den anheimelnd gestalteten Pausenraum, der ihm während dieser kurzen Sekunden bereits und erneut zum Erlebnisbereich wird. Am Tisch seiner Brigade sich niederlassend, empfängt er herzliche Wünsche aller Brigademitglieder, seinen Appetit betreffend, wofür er mit einem kurzen, aber inhaltsreichen Wort dankt. Sodann achtet er gemeinsam mit allen darauf, daß kein Zigarettenrest sich in Tischnähe befindet, denn alle ohne Ausnahme führen einen zähen Kampf gegen die Raucher der Brigade. Soeben wird am Tisch über die letzte Tagung des Landwirtschaftsrates diskutiert. Einmütig ist man der Meinung, daß die in der Presse abgedruckte Mitteilung eine klare Diskussionsgrundlage abgebe, und in diesem wie in jedem anderen Punkte stimmen die Brigademitglieder einander vollinhaltlich zu.
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Neuerfritz macht sich einige Notizen zum Gehörten und bringt sodann spontan das Aufgeschriebene zu Gehör. Er befürwortet eine spontane Initiative, die genau abgestimmt wurde und nicht von einem einzelnen oder einer Brigade ausgehen soll, sondern spontan vom gesamten Werkskollektiv oder, noch besser, vom gesamten Industriezweig. In dieser wie in jeder anderen Streitfrage sind sich die Mitglieder des Tischkollektivs erneut aufrichtig einig. Vollkommen einverstanden sind auch die anderen Werksangehörigen, die jedoch den Inhalt der soeben verlesenen Mitteilung des Neuerfritz zur Mitteilung des Landwirtschaftsrates noch nicht kennen können, da sie sich eben erst spontan verbreitet. Wenige Minuten vor Ablauf der Pausenzeit erheben sich die Brigademitglieder, wünschen sich einen weiteren erfolgreichen Verlauf des bis dahin schon recht erfolgreichen Vormittags und Neuerfritz ist sich der Verantworbringen achtsam das Geschirr zur Ausgabe, dabei tung des Umgangs mit volkseigen- sich der Verantwortung ihres Umganges mit Volksvertum bewußt. mögen bewußt werdend. Wie alle anderen, so eilt auch Neuerfritz nun wieder voll Tatendrang an seinen Arbeitsplatz. Dort liest er sich eingehend die Arbeitsschutzbelehrungen durch, ebenso die Bedienungsvorschriften und die technologischen Hinweise, die in einer umfangstarken Mappe gebündelt sind. Während des Lesens unterstreicht Neuerfritz das Wichtige, ohne dabei das weniger Wichtige mit Unterstreichungen zu vernachlässigen. Sodann, mit dem Ertönen der Vierklangfanfare, stellt Neuerfritz seine Drehmaschine an. Immelodischen Maschinenton hört Neuerfritz das gesamte musikalisch-kulturelle Erbe, und er spürt im sanften Vibrieren des Bodens auch bereits die Klänge der Zukunft. Die grüne Farbigkeit seiner Maschine verschmilzt für Neuerfritz mit dem farbigen Grün vieler noch vor ihm liegender Arbeitstage. Da kein Material geliefert wurde, was Neuerfritz blitzschnell im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang sieht und als unerhebliche Einzelerscheinung einordnet, spannt Neuerfritz seinen Daumen in die Maschine und dreht sodann an ihm. Während der Drehstahl sanft an Neuerfritz ritzt, während sich zart Span um Span vom Daumen abhebt, krümmt und im leuchtenden Neonröhrenglanz aufblinkt, ehe er zu wertvollem Sekundärrohstoff wird, während der Daumen eine vollkommen zylindrische Form annimmt, während Neuerfritz mit Fleisch und Blut in seiner Arbeit aufgeht, während all dessen zerbricht sich Neuerfritz bereits den Kopf darüber, wie sein Kopfzerbrechen zu einem Kopfzerbrechen in Werk und Welt werden kann. Denn allen verdrehten Meckerern zeigt Neuerfritz nur den Daumen.
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Wolfgang Schaller
IJos stiH t Meine Damen und Herren! Unter dem Motto >>Bürger; schützt eure Anlagen<< singen und schunkeln jetzt mit uns gemeinsam die Trachtengruppe der Abwassernixen und der Vereinigte chemische Chor Buna nobis pacem. Aus dem Ostarzgebirg kommen die entlaubten Hamitsänger und aus Thüringen die zwei immer noch grünen Optimisten. Besonders herzlich begrüßen wir die Singegruppe der roten Heizer aus unserem Kraftwerk. Sie alle haben wir eingeladen zu unserer beliebten Veranstaltung >>Alles stinkt<<. Wo im Tal die Elbe fließt, wo hoch ob'n der Schornstein grüßt, wo das Bächlein aus dem Kombinat schöne weiße Flöckchen hat. Rosmarie aus Heidenau, nur mit dir allein möcht ich fröhlich sein, weil ich schwarze Mädchen liebe. Rosmarie aus Heidenau, reich mir deine Hand. Daß du schwarz bist, dank es deinem Heimatland. Und im Chemiebetriebe, da fließt ein Brünnlein kalt. Doch wer das Brünnlein trinket, merkt, wie das Brünnlein stinket, wers trinkt, wird nimmer alt. Denn für die Kläranlage ist 's Material sehr rar. Der Leiter kann ruhig schlafen er zahlt ja pünktlich Strafen, denn Geld ist allzeit da.
Alle: Wir Leineweber haben eine neue Maschin, Ridelderadelderumsrumsrums. Die müssen wir nun in drei Schichten bedien', ridelderadelderums.
Das von Peter Ensikat (links) und Wolfgang Schaf!er für die Dresdner Herkuleskeule geschriebene Programm >>Bürger, schützt eure Anlagen<<, aus dem nebenstehender Text stammt, wurde Anfang der 80er fahre zu einem der größten Kabaretterfolge in der DDR.
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Was des Volkes Hände schaffen
Wo kommt Maschin bloß her? Maschin ist viel zu schwer. Alle: Aber Krach macht sie sehr, na, was wolln wir noch mehr! Alle: Im schönsten Wiesengrunde, wo meiner Kneipe Haus, geht alles vor die Hunde, seit der Wrrt zog aus. Zog der Konsum ein siehts aus wie bei Schwein'. Was des Volkes Hände schaffen, reißen sie auch wieder ein.
Es waren zwei Karpfenkinder, die hatten einander so lieb, Sie haben sich noch niemals gesehen. das Wasser war viel zu trüb. Der Mond ist aufgegangen. Es ist schon eingegangen die ganze Vogelschar. Der Wald steht kahl und schweiget, und aus dem Schornstein steiget der gelbe Nebel wunderbar. Freundschaftsband, reich die Hand, holdrihohihe und mit freundschaftlichem Gruß fliegt von Land zu Bruderland, holdrihohihe unser sozialist'scher Ruß. Drum reih dich ein, daß von Bäumen wir den Wald befrein. ] odler-Refrain 's Feieromd, 's Feieromd 's Rachermannel ruht. Vergast mer unsre Hamit ni, sunst nabeln wir uns tut.
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Heißer Sommer
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Sketch mit Helga Hahnemann als Traudl Ort: Vor einem (angedeuteten) Bungalow haben Traudl und Hugo es sich in Liegestühlen bequem gemacht. Auf einem Campingtisch steht eine Kanne Kaffee, daneben ein Berg >>Bienenstich<<.
Traudl räkelt sich und sagt stolz: War dit nich'ne jute Idee von mir, Hugo, hierher zu fahren uff diese vereinsamte Seezunge? Hugo träge: Ja - manchmal haste eben ooch lichte Momente! Traudl: Vor uns plätschern de Wellen, über uns de Vögel, und inwendig sind wa voll möbliert mit Angelkahn und Innentoilette! Hugo: Bloß anne Bierkästen läßt de Jewerkschaft einen reene dot puckeln! Deswegen ha ick letzten Monat ooch keen FDGB Uffstöbern von feindliche bezahlt! Reserven, det lernen se ja Traudl: So'ne unverwüstliche Natur muß den Joethe damals heute schon bei die Pioniere. ooch uff'n Jeist jeschlagen sein, wat ihm zu den SchlagerText »Über alle Witwen is Ruh« inj eziert hat! Hugo: Is dit eijentlich uff de Landkarte druff? Traudl: Wer? Dit Jedicht? Hugo: Dit Kaff hier! Traudl: Biste verrückt? Mann, du liegst mit dein' Hintern mitten inne Diplomaten-Jagd! Hugo: Hoffentlich ist Schonzeit! Sonst ballern die dir nachher noch eens zwischen de Hörner! Traudl: Du erzählst v'lei een Käse! Uff die kleenen Waldweje bleiben die doch mit ihre großen Autos stecken, Mensch! Man hört eine Frau >>Huhu<< rufen! Hugo sitzt jetzt kerzengrade und sagt ärgerlich: Da! Da jeht se schon los, die Tijerjagd! Traudl: Dit wär ja harmlos! Aber ick fürchte viel wat schlimmeret: Grete mit die Kinder! In diesem Moment taucht Grete mit Mann und mindestens fanf Kindern auf! Grete ruft schon von weitem: Hier habta euch also beede verkrochen! Wir loofen schon stundenlang durch de Botanik! Is dit hier überhaupt noch DDR? Kinder - kommt, sagt Tante Traudl »Juten Tag«! Und schlingt den Bienenstich nicht so runter, sonst bleibta euch vor'm Magen stehn! Nee - nee, mach dir bloß keene Umstände, Traudl, ick trink gleich aus deine Tasse! Und die Kinder kriegen Brause! Haste doch, wa? Karl, ihr Mann, stöhnt: Ick muß ma erstmal setzen!
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Hugo steht auf und Karl streckt sich aufseinem Liegestuhl aus: Nett von dir, Hugo! Weeßt ja, mein Kreislauf! Zu Hause bringt ma ja 'n Schnaps immer wieder uff de Beene! Grete mit vollem Mund: Na hör mal, hier biste doch zu Hause, wat, 'fraudlkin? Wo hat'n dein Oller seine Medizin? Ick kann die Pulle ja holen! Traudl: Nee - also - Saufen wird hier heute nicht jespielt, Kinder! Denn hättet ihr euch wat von zu Hause mitbringen müssen! Grete beleidigt: Da kannste mal sehn: Die eigene Schwester kiekt kaltblütig zu, wie der Schwager an Herzintakt einjeht! Sie steht ruckartig auf: Aber - wir können ja ooch wieder jehn!
Sie sucht ein Taschentuch und schluchzt vor sich hin. Traudl: So war't doch nich' jemeint, Grete! Hugo holt'n ja schon! Sie schubst Hugo, der sich störrisch weigert! Dabeiflüstert sie ihm zu: Du jibst dem Idioten jetzt'n Schnaps! Um so schneller isser blau und haut wieder ab! Grete ruft ihm nach: Wenn de schon eenmal uff'm Weg bist, denn bring glei noch 'n paar Bier mit! Traudl: Seit wann trinkst du denn Bier? Grete: Ick doch nich! Aber Uwe mit seine Freunde! Die müssen gleich hier uffkreuzen! Drei Motorräder kommen auf die Bühne geknattert (Uwe, zwei Freunde und drei Mädchen)! Die jungen Leute kommen mit großem >>Hallo<< an, nehmen sich Kuchen, machen Musik und reden alle durcheinander: Eh, wo hat der uns denn hier hinjebrettert? Mann, is dit ne trockene Luft hier! Traudl entrüstet: Die kriejen von mir keen Bier, Grete! Sollen die sich etwa voll wie die Amtsmänner am Steuer setzen, hä? Karl verschmitzt: Die paßt uff, Eure Tante, wat? An die is'n Wachtmeister verloren jejangen! Aber mach dir mal keen' Kopp, 'fraudelchen, der Bengel hat nämlich 'ne komplette Zeltausrüstung mit! Da können 24 Fijuren drinne pennen! Traudl: So? Denn könnta ja quer drinne liegen! Karl: Denkste! Dit wird ja noch knüppeldicke voll! Grete: Ja - dit wollt ick euch ja noch sagen: Karl seine Brigade kommt noch! Hast doch hoffentlich nischt dajegen, Traudl? Ick sage immer: Wo. eener satt wird, reicht et ooch für 20! Stimmt's?
War dit nich 'ne jute Idee von mir, Hugo, hierher zufahren uff diese vereinsamte Seezunge?
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Hugo: Bloß - wißt ihr eijentlich, daß et in die Jegend hier von Wildschweine nur so wimmelt? Sooo'ne Keiler - mit soo'ne Elefantenzähne, sag ick euch! Wenn die einen uffspießen - na, Hallelujah! Grete: Ach, Schweine in freie Wildbahn benehmen sich ville manierlicher als so 'ne, die nachts uff alle Viere aus de Kneipe kommen! Karl sauer zu Hugo: Mann, ob ick dit mit die olle Xantippe hier 14 Tage lang aushalte, is noch sehr die Frage! Er zwinkert ihm zu: Aber Jottseidank kriegen wa nachher ja noch 'n paar knackije Weiber! Na? Wat sag ick? Wenn man vom Deubel spricht ... Die Brigade - (ca. 10 Männer und 6 Frauen) - kommt anmarschiert! Alle singen: »Wir haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Durscht!« Karl schreit: Uwe! Los, laß die Bierkästen anrollen! Siehst doch, det die Kumpels schon die Zunge aus'n Hals hängt! Hugo aufgebracht: Wie issen der verdammte Bengel an mein Versteck ranjekommen, hä? Karl lacht sich tot: Na, du bist ja jut! »Uffstöbern von feindliche Reserven«, det lernen se ja heute schon bei de Pioniere! Er verteilt Bierflaschen und stimmt dabei an: »Ein Glück, daß wir nich' saufen!« Die Kinder kommen angerannt und betteln: Pappa, dürfen wa'n Lagerfeuer machen? Können wa Kahn fahren? Grete: Nein! Heute nich' mehr! Dazu habtaja noch vier Wochen Zeit! Karl ruft: Uwe! Haste denn bloß so'ne Mist-Musike druff? Uwe: Ick mach doch keene Disco für Scheintote, eh! Er dreht die Musik noch lauter! Grete kreischt: Denn vapfeift euch mit euer Jejaule woanders hin! Wrr brauchen unsre Erholung, stimmt's, Traudl? Traudl? Wo biste denn? Traudl und Hugo stehen mit gepackten Koffern da. Grete: Wat issen nu los? Wollt ihr jetzt etwa noch inne Pilze? Traudl: Ne, wir müssen dringend nach Hause - hier ham wa keenen Fernseher und ohne dülüdüdüt (Aktuelle Kamera) könn' wa abends nich' einschlafen! Grete: Ach so, dit versteh ick! Aber, wenn euch mal wieder so is', könnt ihr uns ruhig auf 'n Stündchen besuchen komm'n!
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Heißer Sommer
Lothar Kusche
Es war ein schöner Nachmittag, wir fühlten uns alle ziemlich wohl in diesem Ferienheim, mittags hatte es gebratene Leber mit Zwiebeln und Kartoffelbrei und Rote Bete und Pudding und vorher Gemüsesuppe gegeben. Zwölf Ansichtskarten hatte ich schon beschriftet. Auf das Bild des Hauses malte ich ein kleines Kreuz an ein gewisses Fenster: Hier wohne ich. Das war wichtig, damit sie sich zu Hause alles richtig vorstellen konnten. Ich wohnte allerdings gar nicht da, wohin ich die kleinen Kreuze malte, denn mein Zimmer war auf der anderen Seite des Hauses, die konnte man auf dem Bild nicht sehen. Und dann klopfte es, ein ganz langer und dünner Mann trat ein. Ich fragte: »Was kann ich für Sie tun?«, obwohl ich, um ehrlich zu sein, gar keine Lust hatte, irgend etwas für ihn oder überhaupt irgend etwas zu tun, denn ich hatte ja Urlaub, die Postkarten waren fertig, und Abendbrot gab's noch nicht. Er sagte: »Es ist nur wegen der Nummern. Ich muß das sozusagen überprüfen. Vielleicht erlauben Sie, daß ... ? Es dauert nicht lange, nicht wahr, was sein muß, muß sein, und so weiter. Also dann, nicht wahr!« Was wollte dieser Mann? »Sicher ist Ihnen der Begriff >Intourist< ein Begriff«, sagte er, »und was nun mich betrifft, so bin ich ein Inventurist, haha. Also ich muß hier nachsehen, ob noch alles da ist, nicht wahr, und ob die Nummern stimmen. Wo befindet sich das Inventarverzeichnis für diesen Raum?« Ich hatte keine Ahnung, aber nachdem wir eine Viertelstunde lang alle Möbel hin und her geschoben hatten, entdeckten wir das Inventarverzeichnis an der Rückseite des Kleiderschranks, es war dort angenagelt. >>Gut«, sagte er, »also dann, nicht wahr! Haben Sie ein Bett hier?« Ich erklärte ihm, daß ich auf einem bestimmten Möbel geschlafen hätte und daß es sich da wahrscheinlich um ein Bett handle, und er fand es einfach großartig, daß mit seiner Inventur .alles so wunderbar klappte. Nur die Nummer
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>>Da liegt ein Schild drin: lVegen Inventur geschlossen!<<
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Heißer Sommer
des Betts fand er nicht, und die war nun gerade das Allerwichtigste, denn Gegenstände ohne Inventamummern durfte er in seinen Akten nicht abhaken. »Ein Bett ohne Nummer ist wie ein Kind ohne Vornamen«, scherzte er. Wrr schraubten das Bett auseinander und fanden die N11mmer hinten rechts unter der Matratze; das Bett hieß »10106«. Die Nummer des Tisches war an der Unterseite der Schublade befestigt, die deshalb etwas klemmte. Wrr fanden auch allerhand Nummern an Stuhlbeinen, Kopfkissenbezügen, Wandlampen und Scheibengardinen. »Was ist denn das da?« fragte er und wies mit seinem dünnen Finger bedeutungsvoll in die Ecke. »Ein Korb«, sagte ich, »und im Innern desselben befindet sich geknülltes Papier. Vielleicht handelt es sich um einen sogenannten Papierkorb - oder?« Er war entzückt über meine ebenso knappe wie treffende Definition des fraglichen Objekts und sprang vor lauter Freude ausgelassen an die Decke, wobei er sich am Kopf weh tat, weil er doch so sehr groß war, was auch einen Grund hatte. »Nämlich«, so erläuterte er, »die N11mmem sind also manchmal oben auf den Spinden befestigt, und da kann ich infolge meiner Statur hinaufschauen, während ein kleinerer Kollege eine Leiter oder ( einen Hocker benötigen würde - vom Zeitverbrauch gar nicht zu reden. Ein Hocker soll hier auch sein. Wo ist er?« Ich wußte es nicht, und ich hatte in diesem Zimmer noch nie einen Hocker gesehen. Er wollte in meinem Koffer nachsehen, ich hatte nichts dagegen, aber natürlich war der ominöse Hocker nicht in dem Koffer. Der enthielt lediglich Rasierwasser, Socken, Schlipse (ich nehme immer Schlipse mit in den Urlaub -wozu?) und das Buch »Dreihundert und achtzehn Briefe berühmter und geistreicher Männer und Frauen zur vielseitigen Bildung des Stils, des Tones und des Geschmacks im brieflichen Umgange, herausgegeben von J. D. F. Rumpf, Königlich Preußischem Hofrathe« (Berlin 1835), welches ich ganz bestimmt in den Ferien lesen will, und das seit nunmehr zwölf Jahren. Das Buch interessierte den Inventuristen nicht, da es nicht in seiner Liste verzeichnet war und auch keine Nummer hatte. Er nahm ein Protokoll über den Hokker auf, den es nicht mehr gab oder noch nie gegeben hatte, und •
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beschäftigte sich wieder mit dem bereits erwähnten Papierkorb. »Der Papierkorb an sich ist in Ordnung«, fand er, was nicht stimmte, denn er hatte unten ein Loch, durch welches das Papier, gewissermaßen ehe man es oben noch hineingeworfen hatte, unten herausfiel - aber was interessierten ihn Löcher? »Nur leider fehlt da die Nummer«, seufzte er, »also muß ich eintragen: Papierkorb fehlt.« Ich sagte: »Da steht doch der Papierkorb! Sie können ihn sehen und anfassen, oder Sie können hineinbeißen. Das Ding existiert doch. Sie praktizieren ja den reinsten numerischen Alleinvertretungsanspruch! Notieren Sie lieber, daß der Papierkorb unten ein Loch hat.« Aber das war eben nicht seine Aufgabe, und er hielt sich genau an seine Aufgabe. »Gewiß ist da ein Papierkorb«, sagte er, »aber für mich ist er völlig belanglos. Es ist so etwas wie ein privater Papierkorb. Ohne staatliche Beteiligung gewissermaßen, einsam; nummemlos. Vielleicht ist es Ihr persönlicher Papierkorb! Haben Sie ihn ins Heim mitgebracht?« »Nein, ich glaube nicht, daß ich ihn mitgebracht habe. Ich könnte mich sicher daran erinnern.« Damit war die Angelegenheit beziehungsweise dieser defekte Papierkorb ein- für allemal erledigt. Dann suchten wir weiter. Ich hatte ein schönes Erlebnis: Ich kam einem Tintenfaß aus imitiertem Marmor auf die Schliche, das zwar keine Tinte enthielt, aber den Namen »T - 3434« führte. Der lange Mann murkste eine Weile an der Deckenlampe herum, wahrscheinlich um die Glühbirnen zu n11merieren, und so gab es einen Kurzschluß. Er war jedoch nicht aus der Ruhe zu bringen, sondern zog unverzüglich eine Kerze aus der Tasche, und ich kann, ob Sie mir nun glauben wollen oder nicht, an Eides Statt versichern, daß diese Kerze numeriert war. Der Sinn einer Inventur dieser Art war durchaus einleuchtend. »Aber was soll diese Nummernbeschwörung?« fragte ich. »Es genügt doch, wenn Sie nachsehen, ob noch soundso viele Stühle, Tische, Zahnputzgläser und an der Tapete totgequetschte Mücken vorhanden sind. Weshalb muß denn jeder Bleistiftanspitzer ein da11menlanges Metallschild tragen, in das eine Nummer eingestanzt ist?« »Um ihn als gesellschaftliches Eigentum zu kennzeichnen«, sagte er, »sonst könnte sich ja jeder ein Bett oder ein paar Kleiderschränke unter den Nagel reißen und damit verduften.« »Wenn das einer vorhätte, so würde er doch zunächst mal die Nummernschilder abschrauben!« •
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»Hoho«, sagte er und drohte mir mit schelmischer Ironie sowie mit dem Zeigefinger, »das wäre aber ganz und gar heimtükkisch, nicht wahr! Also man soll von den Leuten nicht gleich das Schlimmste denken.« Ich wies ihn noch darauf hin, daß das Inventarverzeichnis an der Rückseite des Kleiderschrankes keine Nummer hatte und auch auf sich selber nicht angeführt war. Er sagte eine gründliche Überprüfung der Angelegenheit zu. Als er fertig war, gingen wir in den Speisesaal hinunter und tranken einige Flaschen Radeberger Pilsner, er trank Nr. 1, 3 und 5, ich Nr. 2, 4 und 6. Abschließend spendierte er noch zwei doppelte Kognaks (KO [D] - 24 000 1/000 2), und dabei fragte ich ihn, ob er eigentlich mit seiner sonderbaren Arbeit zufrieden sei. Er war zufrieden, und das wunderte mich eigentlich am allermeisten.
Hansgeorg Stengel
loO dar N "'~' Herrlich ordnet sich die Landschaft durch des Schöpfers Hand zum Bild. Nirgends Spruchband und Verwandtschaft, und die Sonne lächelt mild. Ein Gebirgsbach klaren Wassers wälzt sich lieblich und beschwingt, daß der Versfuß des Verfassers im Vergleich ganz trocken klingt. Blaue Berge, Koniferen, himmlisch flimmernder Azur, süßer Duft von Preiselbeeren, o mein Sommer, o Natur. Gerne säß ich still am Weiher, eh der Herbst mit Brausen naht, als vom Lärm der Großstadt freier vierter Mann beim Dauerskat.
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Ein Afrikaner passiert den Checkpoint Charlie in Berlin von West ~- ·~ ~I· nach Ost, begegnet einer Polizeistreife und fragt nach dem Weg ·. ·::·· ·.,_ti : ~· zum Alexanderplatz- zuerst auf Englisch, dann auf Französisch, ' · ~ -~ ~.: dann auf Spanisch, dann auf Russisch. Keiner der beiden Polizisten .. : :~. ~. ~„ „~. ~;· versteht. Als der Afrikaner kopfschüttelnd weitergeht, sagt der eine ·~; ~~ ~, ,~·. - .- ; .~~, . ~i '. Polizist zum ar1deren: »Hast du gemerkt? Vier Sprachen kann der!« -x°';;t 6chfÜ- lßl . _ t :ii "t »Na und{<, sagt der anderet »hat's ihm was ger1ützt?<< ' · "~··. ~:.., . :'..„ ~.„ -.„ •• _„ :-!. „ „.„........J. ,~
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~· Beginn der Sommerferien. Partei- un~ Staatsfülu:~ng , ,. . ,., ." ~~~~?-~~~~?+~...."!ii~~~~;;.1"'~2:-~"1~ eben bekannt, daß an diesem Tag die Mauer ge.offnet ~erden soll. Der Erste Sekretär des Zentralkomitees der SED und Staatsratsvorsitzende hat den W~sch g~......,...
. äußert, in den Ferien mit seiner Frau mal allein zu sem.
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Hans-Joachim Preil
' 10 Sketch mit Herricht & Preil Herricht kommt, die Baskenmütze keß wie eine Matrosenmütze
aufgesetzt und einen Rucksack auf dem Rücken auf die Bühne: Hallo und ahoi, Herr Preil! Preil erstaunt: Da sind Sie ja endlich. Ich warte schon eine ganze Weile. Wo stecken Sie denn ... ? Herricht nimmt den Rucksack ab: Mein Kommen verzögert sich ein bißchen. Ich mußte erst noch den Seesack füllen. Prell völlig verwundert: Was ist das? Herricht etwas verlegen: Na ja, eigentlich ein Rucksack ... aber da ich jetzt eine Seereise antrete, bezeichne ich ihn seemännisch als Seesack. Prell verwundert: Was ist denn das nun wieder für eine Schnapsidee? Seereise ... Seesack? Machen Sie es gut, Herr Preil. Ich muß Herricht großspurig: Tja, ja, ja ... Da staunen Sie. Sie unterschätzen immer meine Quantitäten! los, wir stechen pünktlich ins Wasser. Preil verbessert freundlich: Qualitäten. Sozusagen ein Lapsus linguae ... Herricht redet sich heraus: Nein, das Schiff kenne ich nicht. Preil komgert abermals: Das ist kein Schiff. Ein Lapsus linguae ist Lateinisch und heißt soviel wie ein Ausdrucksfehler. Herricht unbekümmert: Was Sie alles wissen. Werde ich mir merken, diesen ... Preilfragt neugierig: Na, wie hieß der Ausdruck? Herricht bekommt die Kurve: So, wie Sie gesagt haben. Und jetzt muß ich leider schon gehen, sonst verpasse ich noch mein Schiff. Preil höchst erstaunt: Was denn, Sie wollen wirklich auf ein Schiff? Herricht bestätigt stolz: Herr Preil, ich mache doch jedes Jahr eine Schiffsreise, sozusagen ein Weltreise. Preil ungläubig: Warum müssen Sie nur immer so schamlos übertreiben? Urlaubsreise genügt doch auch. Herricht gibt nicht nach: Ihnen vielleicht. Meine Ansprüche sind gehobener Natur. Ich fahre jedes Jahr in die weite Welt hin• ein ... Prell verbessert höflich: Hinaus ...
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Ein DDR-Bürger auf Weltreisen? Herricht & Preil treiben es auf die komische Spitze. 1981 absolviert das Komikerduo seine letzten Auf trifte. Es ist das Todesjahr von Rolf Herricht.
Herricht korrigiert: Ja, erst hinaus und dann hinein. Entschuldigung, war das wieder eine Blattschuß pingualae? Prell holt etwas bedeutend Luft: Ich sagte Lapsus linguae! Das ist ein Fehler der Sprache. Herricht verblüfft: Ich habe doch keinen Sprachfehler! Prell belehrt etwas ungeduldig: Das ist Lateinisch. Und heißt genau übersetzt: Ein Fehler an der Zunge. Herricht bedauernd: Was, an der Zunge? Prell bricht ab: Also lassen wir das jetzt. Herricht abwehrend: Da muß ich wohl schnellstens einen Arzt kondolieren? Prell verbessert: Konsultieren. Kondolieren ist jemandem sein Beileid aussprechen. Also ist konsultieren ... ? Herricht fährt fort: .... wenn ein Konsul gestorben ist. Machen Sie es gut, Herr Preil. Ich muß los, denn wir stechen pünktlich ins Wasser. Prell korrigiert wieder: Sie stechen in See. Was ist denn heute bloß los mit Ihnen? Das ist ja ein Fehler am anderen. Herricht enthusiastisch: Das ist Reisefieber. Das ist jedes Jahr so. Voriges Jahr war es ganz schlimm! Da war ich mit der Kegelbahn ... Kegelboot ... Segelboot unterwegs. Da war ich vielleicht aufgeregt ... Prell unterbricht resolut: Was denn, Sie waren mit einem Segelboot auf Weltreise?
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Heißer Sommer
>>Erst sind wir die Mulde runtergemuldert, dann die Elbe raufgealbert ... <<
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Herrichtfiihlt sich plötzlich ernstgenommen: So ist es! Erst sind wir die Mulde runtergemuldert, dann die Elbe raufgealbert ... geelbert und plötzlich, nichts Gutes ahnend, waren wir in einem Hafen ... Preil ungeduldig: Also, wenn ich Ihnen weiter zuhören soll, spinnen Sie kein Seemannsgarn! Herricht ganz ernst: Wo werd ich denn. In diesem Hafen stieg ich dann um - auf ein großes Schiff mit ungeheuer viel Segeln. Preil zweifelnd: Meinen Sie eine alte Fregatte? Herricht amüsiert sich: Nein! Meine Frau war nicht mit. Preil winkt ab: Nicht zu fassen. Wie kamen Sie denn überhaupt an Bord? Herricht berichtet: Ich stand da so auf der Bole ... Preil verbessert sofort: Mole! Herricht verbessert: Das verwechseln Sie mit einem Bier, Herr Preil. Preil energisch: Ein Bier ist eine Molle! Sie standen also auf einer Mole und ... Herricht treuherzig: Und sang leise vor mich hin ... Preil erstaunt: Sie sangen? Was sangen Sie? Herricht singt: Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise! Und das muß der Kapitän gehört haben, denn er sagte in einer unbekannten Sprache »Komm röwer, min Jung.« Preil erheitert: Und das haben Sie verstanden ... ? Herricht großartig: Wenn ich mal übersetzen darf: Kümm heißt: Trinkt mit mir einen Kümmel. Röwer heißt: wenn du kein Römer bist! ... Min ... ist ein Minenräumboot ... Und Jung ... ich sei ja noch so jung. Preilfassungslos: So ein horrende Blödsinn. Herricht: Das habe ich ja auch gesagt, aber da im Augenblick kein anderes Schiff hinter dem Anker lag ... Preil verbessert ungehalten: Vor Anker lag ... Herricht überlegt und beschreibt dann mit großen Gesten, wie das Schiff im Hafen lag: Nein, es war hinter dem Anker Preil gibt auf Gut, und was dann? Herricht spinnt weiter~ Dann begrüßte mich der Kapitän .
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Heißer Sommer
Preil erstaunt: Wie begrüßte er Sie? Herricht macht vor: Indem er Hand an sich legte. Preil verblüfft: Wie bitte? Herricht: An seine Mütze, meine ich. Prell.fragt weiter: Wer war der Kapitän? Herricht grübelt kurz: Heidewitzka ... Paul Heidewitzka. Und ich fuhr mit als Augenarzt. Preil verblüfft: Aber Sie sind doch kein Arzt! Herricht erklärt: Nein, ich mußte mich beim Schmutzichen melden, und der ließ mich dann Kartoffeln schälen ... Wissen Sie, so ... immer mit dem Messer die Augen herausschälen. Preil belehrt ihn: Das war der Smutje, der Koch! Preil merkt nicht, daß Herricht hinter seinem Rücken grinst: Und dann sind Sie in See gestochen? Herricht ernsthaft: Genau. Einfach reingestochen. Es war natürlich ganz schön naß. Aber dann ging es geradeaus ... dann links ... quer rüber ... wieder rechts und vorbei ... Preil erstaunt: Was war denn das für ein Kurs? Herricht mokiert sich auch: Ganz miserabler. Ich konnte nichts umtauschen ... Preil berichtigt: Ich meine, wo ging Ihre Fahrt entlang? Herricht erklärt: Entlang? Ja, sie ging immer entlang an lauter Kisten ... und dann rum, immerzu rum. Preil verbessert ungehalten: Was denn für Kisten? Sie meinen Küsten! Herricht sehr bedeutend: Ja, an der Küste von Ballaleika. Preil verdeutlicht: Jamaika! Herricht beharrlich: Jaaa! Hat der Kapitän auch gesagt. Preil neugierig: Was hat der Kapitän auch gesagt? Herricht bockbeinig: Wir brauchen noch'n paar Küsten mit Rum von Jamaika. Preil stöhnt gequält auf: Erzählen Sie doch mal weiter. Herricht eifrig fortfahrend: Weiter! Dann ging es vorbei an U - S •• - A - Dom!
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>>Ich glaube Ihnen nichts mehr ... <<
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Wie bittet ein Volkspolizist um politisches Asyl? Er geht in den Intershop und setzt sich ins Regal.
Heißer Sommer
Preil völlig konsterniert: Dom? Was für'n Dom? Herricht völlig überzeugend: U - S - Ä - Dom! Kennen Sie wieder nicht. Weil Sie nie weltweit gereist sind. •• Prell wütend: Das müssen Sie mir gerade sagen. U - S - A - Dom ... gibt es gar nicht ... Herricht wütend: Keine Ahnung, aber streiten. Hier habe ich es mir ja aufgeschrieben. U - S - Ä - Dom! •• Preil liest und schnauzt Herricht an: Doch nicht U - S - A - Dom! Das heißt Usedom. Hören Sie bloß auf. Herricht erzählt unbeirrt weiter: Fängt ja erst an, Herr Prell. Prell winkt ab: Ich glaube Ihnen nichts mehr ... Herricht beschwörend: Das können Sie mir ruhig glauben. Da kam nämlich ein ungeheurer Sturm. Prell neugierig: Wann? Herricht sofort: Am Mittwoch. Preil will es genau wissen: Was für'n Sturm? Herricht prompt: Ein Torrero .. . Preil belehrt ihn: Ein Tornado .. . Herricht winkt ab: Den meine ich ganz bestimmt nicht. Das sind Flugzeuge der Nato. Tor-natos! Prell ist schon erschöpft: Was war mit diesem Orkan? Herricht unbesorgt: Unser Kahn war sicher! Es war ja nur Wmdstärke 28. Prell widerspricht: Die gibt es nicht. Herricht weiß es wieder besser: Doch, im Schatten. Aber dann ... dann ging es durch die Meerenge von Garibaldi. Preil rastet aus: Gibraltar ... Herricht macht die Stellung vor: Jawohl ... das war vielleicht eng. Wrr mußten uns alle soooo hinstellen. Aber dann kam eine Flöte. Preil wird munter: Was kam? Herricht: Eine Flöte! Prell besser wissend: Sie meinen eine Flaute! Herricht rechthaberisch: Nein, ich meine eine Flöte. Der Kapitän hat es doch gesagt. Prell lauernd: Zu wem hat er es gesagt? Herricht bewußt: Zu mir! Preilzahlt zurück: Ja! Damit hat er gemeint: Sie Flöte! Denn es heißt nicht Flöte, sondern Flaute! Und eine Flaute ist ähn. em . Monsun ....r lich wie Herricht mault: Was Sie nun wieder haben! Da gibt es doch keinen Konsum!
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Heißer Sommer
Prell kurz angebunden: Weiter. Herricht ebenso: Weiter ... Dann schifften wir in den Mistip• • p1pp1 ... Prell laut werdend: Durch den Mississippi. Sie müssen doch geschlafen haben auf Ihrer Weltreise! Herricht stolz: Und immer in meiner eigenen Boje! Preil grantig: Koje ... Herricht verbessert: Nein, das sind ja Netze .. . Prell unterbricht: Hängematten! Und dann ... ? Herrichtfährt unbeirrt fort: Dann kamen wir nicht weiter. Da war plötzlich ein Geschunkel! Prell: Dschungel. Kennen Sie denn keinen Dschungel? Einen Urwald, wo Lianen von den Bäumen hängen. Herricht unbesorgt: Ich kenn das ein bißchen anders. Was Sie meinen, sind Schneemassen im Gebirge. Das sind Lajnen. Preil schnauzt ihn an: Das sind Lawinen! Herricht verträglich: Ich dachte, das wäre dieses herrliche Konfekt ... Preil voller Zorn: Das sind Pralinen ... Herricht besser wissend: Ja ... die Eingewickelten. Prell wendet sich wütend ab: Und ich falle immer wieder auf Ihr Geschwätz herein. Herricht traurig: Aber es ging doch noch weiter ... Prell nun tut es ihm leid: So? Weiter? Und wohin? Herricht ganz brav: Dann gang es durch den Ginges. Prell zuckt zusammen: Wie bitte? Herricht wiederholt ohne Erregung: Dann gang es durch den Ginges ... Prell nimmt sich zusammen: Dann ging es durch den Ganges ... Herricht nun auch erregt: Nein, Herr Prell! Dann gang es durch den Ginges! Preil explodiert und schreit Henicht an: Nein, das ist auch wieder falsch ... falsch ... falsch! Dann ging es durch den Ganges. Herricht mit größter Freundlichkeit: Tja, Herr Prell ... Sie kommen von der anderen Seite!
Was ist ein ostdeutsches Streichquartett? Ein Sinfonieorchester nach der Rückkehr von der Westtournee.
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Ernst Röhl
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»Erwin«, sagt Paul, »ich geh für drei Wochen in Urlaub, sei ein Kumpel und mach meinen Vertreter in der BGL.« »Mach ich, Paul, weil du' s bist.« »Na denn«, sagt Paul, »mach's gut!« »Moment mal«, sag ich, »was machst du eigentlich in der BGL?« »Den Vorsitzenden der Kulturkommission.« »Ich meine, was du machst.« »Nischt. « »Und was muß ich machen?« »Nischt. « »Und was machste, wenn du aus dem Urlaub zurück bist?« »Dann«, sagt Paul, »mach ich weiter.« Wzr haben hier alle mal klein angefangen. (( >>
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Heißer Sommer
Renate Holland-Moritz
' 10 Meine Thüringer Verwandten sind tatkräftige, freundliche Leute mit einem unausrottbaren Hang zu Eigenheimbau und ausgedehnten Wanderungen. Zu beidem sind sie durch die sozialen und landschaftlichen Gegebenheiten animiert, und nun halten sie ihre Lebensweise für die einzig akzeptable. Körperliche Strapazen, die das Bauen und Wandern so mit sich bringen, sind in ihren Augen unerläßlich für die Gesunderhaltung des Menschen. Diesen verzärtelten und lasterhaften Großstadttypen, die ihre Freizeit in Theatern, Kinos, Kneipen und KWV-Wohnungen vertrödeln, dabei rauchen, trinken und über Kulturpolitik streiten, prophezeien sie ein frühzeitiges Ende. Deshalb sind meine Thüringer Verwandten sehr besorgt um mich. »Uns«, schrieb Vetter Friedhelm, »soll man keinen Körperliche Strapazen, die das Vorwurf machen, wenn du jedes Jahr zur Kur mußt. Bauen und Wandern mit sich Komm also im Urlaub in unser gesundes Walddörf- bringen, sind unerläßlich für die chen, wo man noch weiß, was dem Herzen und der Gesunderhaltung des Menschen. Lunge guttut.<< Irgendwie rührte mich dieses familiäre Interesse, und außerdem hatte ich die Nase wirklich voll von der einst berühmten, längst verpesteten Berliner Luft, vom Streß im allgemeinen und den lieben Kollegen im besonderen. Also machte ich mich frohen Sinns auf die Fahrt zu dem Weg, den wir oft gegangen. Vöglein sangen ja wohl immer noch Lieder. »Spazierengehen«, sagte Vetter Friedhelm am Tage meiner Ankunft, »nützt dir überhaupt nichts. Morgen früh machen wir eine Wanderung zum Falkenstein. Das ist ein ziemlich gewaltiger Felsen, an dem die Bergsteiger wie die Kletten hängen. Der Weg führt durch schattige Wälder und hat nur milde Steigungen. Danach fühlst du dich wie neugeboren.« Friedhelms Gattin, Cousine Christa, begann sofort, einen riesigen Picknickkorb zu füllen. Dann begab sie sich aus dem Haus, um die restliche Verwandtschaft für den Ausflug zu gewinnen. Leider waren die meisten durch das lebhafte Baugeschehen an ihren Eigenheimen verhindert, so daß sich am nächsten Morgen nur Vetter Fred und Cousine Reni, Vetter Ernst und Cousine Helga sowie die Kinder Stefan, Christian, Britta, Daniel und .Josefine einfanden.
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Der Anfang des Unternehmens gefiel mir recht gut, denn wir fuhren in Autos bis zum Grenzadler in Oberhof. Wie herrlich leuchtete uns die Natur! Auch der Aufstieg bereitete zunächst keine Schwierigkeiten, denn wir benutzten die asphaltierten Wege, die eigens für Skilangläufer angelegt waren. Nach einer guten Stunde verspürte ich leichte Ermattung sowie ein gewisses Hungergefühl. Ich empfahl eine idyllische Lichtung als Rast- und Picknickplatz. Aber meine Thüringer Verwandten lehnten das Ansinnen ab. Rast und Picknick gäbe es am Falkenstein, nicht vorher, und überhaupt solle ich mich meiner Schwäche schämen, die einmalige Umgebung genießen und die majestätischen Bäume zur Kenntnis nehmen. Worauf sie »Mein Thüringen, mein Heimatland« zu singen begannen. Ich genierte mich sogleich und versuchte, all die herumliegende Schönheit in mich aufzunehmen. Mir entgingen die mächtigen Berge mit den darauf befindlichen majestätischen Bäumen durchaus nicht, aber es waren halt immer die gleichen griinen Erhebungen, und der nächsten folgte jeweils eine weitere. Ich merkte, daß ich vor lauter Wald keine Bäume mehr sah. Plötzlich wurde mir schwarz vor Augen, denn mein Kopf war wie jedes der mir verwandten Häupter in dicke Fliegenwolken gehüllt. Die widerlich summenden Biester hatten sich offenbar auch zu einer Wanderung auf den Falkenstein entschlossen, und das ausgerechnet in unserer Begleitung. Als wir endlich auf den von meinen Thüringer Verwandten besungenen Rennsteig kamen, gerieten Vetter Friedhelm und Vetter Fred in Streit über den rechten Weg, der einzuschlagen sei. Ich gab noch einmal schüchtern zu bedenken, daß man dieses Problem am besten sitzend und anhand einer Karte lösen könne. Aber wieder wurde ich belehrt, daß erst am Falkenstein Rastpunkt sei, und eine Karte habe man weder bei sich noch nötig, denn ein Thüringer kenne seine Berge wie seine Westentasche. Ich hatte zwar noch keine Weste an meinen Thüringer Verwandten bemerkt, wagte aber trotzdem keinen Einwand.
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Auf Befehl von Vetter Fred steuerten wir eine Waldschneise an, die nach einer dreiviertel Stunde im Unterholz endete. Ehe wir zwangsweise den Rückzug antraten, mußten wir doch eine kurze Pause einlegen. Neffe Christian war von einer Wespe gestochen worden, Britta und Josefine hatten Durchfall, Cousine Helga war eine Fliege ins Auge geflogen, und Neffe Stefan präsentierte seine ersten Blasen. Ich schlug vor, im Interesse der Blessierten an den Heimweg zu denken, zumal nicht feststünde, ob wir den Falkenstein überhaupt finden würden. Doch da erhob sich ein allgemeiner Proteststurm, der die majestätischen Fichten rauschen ließ. Hier fühle sich niemand schwach oder krank, denn man sei das gesunde Im Strandbad Grünau sollen sie Leben gewöhnt, und das andere sei die miese Unter- das Leben der Ölsardinen studiestellung einer Stadtpflanze, die der Berührung mit ren und sich anschließend in unverfälschter Natur offenbar nicht mehr gewachsen der Straßenbahn zerquetschen sei. Richtige Menschen hingegen, also Thüringer, lassen. würden eine angefangene Sache auch zu Ende führen. Und außerdem sei man nicht zum Vergnügen unterwegs, sondern ausschließlich im Interesse meiner Gesundheit. Ich beschloß schweren Herzens, endgültig die Klappe zu halten und das Unabwendbare zu erdulden. Nach insgesamt vier Stunden qualvollen Marschierens über Stock und sohlendurchpiekende Steine sowie nach Absingen des gesamten Herbert-Roth-Repertoires kamen wir am Falkenstein an. Es handelte sich wirklich um einen gewaltigen Felsen, an dem die Bergsteiger wie die Kletten hingen. Mich faszinierte jedoch weitaus mehr ein kleines Gasthaus, das aus dem Schatten der Berge herübergrüßte. Mit neuerwachtem Lebensmut schleppte ich mich zu seinem Eingang, der von mannshohem Farn zugewachsen war. Ein verwittertes Schild verkündete, daß dieses Wanderer-Dorado seit langen Jahren geschlossen sei. »Saftladen« stand in krakeliger Schrift darunter. Heißes Mitgefühl für jenen Verzweifelten, vielleicht von Hunger und Durst auf die Knie Geworfenen durchpulste mich. Gleichzeitig spürte ich Sympathie zumindest für meine Cousine Christa, die als einzige an den Picknickkorb gedacht hatte. Wir rasteten und schmausten eine Stunde lang. Da die gute Christa sogar ein Fläschchen Rhöndiesel, einen ziemlich süßen Magenbitter, mitgebracht hatte, entspannte sich meine malträtierte Seele dergestalt, daß ich der reichlich vorhandenen Landschaft ein paar Komplimente angedeihen ließ. Das war leider das Signal zum Aufbruch, und Vetter Friedhelm ent-
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schied, einen ganz anderen, dafür aber kürzeren Rückweg einzuschlagen. Dankbare Blicke auch seiner Landsleute trafen ihn. Zu früh jedoch. Für diesen angeblich kürzeren Weg hätten wir eine Bergsteigerausrüstung gebraucht. Zerschunden an Ellbogen, Füßen und Knien langten wir nach vielen Stunden auf dem Rennsteig an, der nun allerdings unbesungen bewältigt wurde. Mechanisch funktionierten meine fühllosen Beine, die Lunge pfiff, und das Herz raste. So krank, elend und ausgeliefert hatte ich mich im Sumpf der Großstadt nie gefühlt. Doch plötzlich, den leeren Blick auf meinen wacker fürbaß schreitenden Vetter Friedhelm gerichtet, erfüllte mich ein großer, schöner, herzerwärmender Gedanke: Rache! Eiskalte, zuckersüße Rache! Diesem thüringischen Gesundbeter, der mich fürs Siechenlager reif gemacht hatte, wollte ich's heimzahlen. Und deshalb habe ich Vetter Friedhelm und alle Thüringer Verwandten für den nächsten Urlaub nach Berlin eingeladen. Sollen sie sich an der Kasse des Fernsehturms die Füße krummstehen und im Centrum-Warenhaus den Erstickungstod fürchten lernen! Ich werde ihnen Restaurants empfehlen, in denen sie zu keiner Tages- und Nachtzeit Plätze finden! Im Strandbad Grünau sollen sie das Leben der Ölsardinen studieren und sich anschließend in der Straßenbahn 86 zerquetschen lassen! Ich werde ihnen Karten für Ruth-Berghaus-Inszenierungen besorgen und sie danach zur Disko auf das Jugendschiff Plänterwald einladen! Und wenn sie schließlich in tödlicher Erschöpfung um Gnade flehen, gebe ich ihnen den Rest. Dann müssen sie sich nämlich ein Hotelzimmer besorgen!
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Die Mannschaft hatte das große Ziel erreicht, den dritten Platz und damit die bronzenen Medaillen in der 1. Kreisklasse. Im Sportlerheim hatte Ernst zwei Girlanden gezogen und für die Frauen der Spieler sogar Wein besorgt. Die Tische waren in Hufeisenform aufgestellt. Der Übungsleiter klopfte ans Glas. »Freunde! Wrr haben unser Ziel erreicht! Das letzte Spiel gegen Tabak mit dem 11 :3 Kantersieg wird uns unvergeßlich bleiben. Aber es fällt auch ein Wermutstropfen in unseren Erfolgsbecher. Wir sind bei der WM in Spanien nicht dabei. Bernhard hat jeden Tag zwei Einheiten trainiert, Willy hat sich technisch so vervollkommnet, daß du Maradona glatt vergessen kannst, und Peter ist so schnell geworden - da hältst du Blochin für'n Ackergaul! Alles umsonst! Der DDR-Fußball wandelt weiter in ausgefahrenen Gleisen, stagniert, entwickelt sich rückläufig, wenn in diesem Zusammenhang das Wort >entwickelt< überhaupt gebraucht werden
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Daß ihr mir auch für die nächste Saison euer Vertrauen geschenkt habt, ehrt mich, ist es doch immerhin vier meiner Oberligakollegen entzogen worden. Auch die Frage, ob ich die Nationalelf trainieren würde, hat sich, nachdem alle Übungsleiter angesprochen wurden, durch Rudis überraschendes Jawort von selbst erledigt. Für uns ist wichtig, daß wir unserem Erfolgsstil treu bleiben. Das bedeutet: Nicht so spielen wie die Oberliga! Also keine Manndeckung! Kein Pärchenbetrieb! Keine Holzerei! Keine Provokationen! Kein Anti-Stürmer-Fußball! Mit diesem Oberligagehacke kann man vielleicht in den Großstädten die Bürger noch anlocken, hier bei uns aber, wo es etwas ländlicher ist, muß ein freudbetonter interessanter Fußball geboten werden. Bitte, liebe Freunde, erhebt euch von den Plätzen! Und stimmt mit ein: »Traktor nullsieben, Traktor nullsieben - das ist die Mannschaft, die wir lieben!« •
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Ottokar Domma
ser Herr Sportleftrer StraHtHt Damit wir Kinder nicht unter der Fettsucht leiden müssen, hat zum Beispiel ein Herr Friedrich Jahn, zusammen mit unserem Herm Sportlehrer Stramm, das Turnen erfunden. Die tollsten Turner und Sportskinder unter uns nennt man auch Sportskanonen, wozu mein Freund Harald und ich zählen. Mächtig in Form sind auch die Zwillingsbrüder Ralf und Benno Raschke. Es sind eineiige Zwillingsbrüder. Warum weiß ich nicht, und unser Herr Biologielehrer hütet sich vor solchen Gesprächen. Im Gegensatz zu den Zwillingskanonen stehen der Pillenheini und die dicke Mia. Der Pillenheini ist ein Schlacks und die dicke Mia wie ein Qualle ohne Muskeln und Kraft, nur Saft. Sie ernährt sich hauptsächlich von Brausen, Torten und Süßigkeiten. Die meisten Knaben und Mädchen treiben aber gern Sport und beschreiten den steilen Pfad zur Sportnation, wie es in der Zeitung heißt. Jetzt will ich ein bißchen eine Turnstunde schildern. Nachdem wir uns alle ausgezogen und wieder halb angezogen haben, schreitet unser Herr Sportlehrer Stramm stolz und Die meisten Mädchen und Jungen mit gehobenem Kopf in die Mitte des Turnsaales. betreiben gern Sport und beDer Herr Stramm muß so gehen, damit er etwas schreiten den steilen Pfad zur größer aussieht. Dann läßt Herr Stramm einen Tril- Sportnation, wie. es in der Zeitung ler aus seiner silbernen Pfeife, und wir müssen uns heißt. aufstellen, entweder so oder so. Meistens in Ausgangsstellung. Jetzt kommen gymnastische Übungen dran, bis es überall in unseren Muskeln zieht. Herr Stramm geht auch manchmal zu diesem oder einem anderen gymnastischen Knaben und tadelt entweder sein Gesäß oder seinen Buckel oder seine Knickbeine. Zwischendurch müssen wir uns ausschütteln. Hinterher turnen wir meistens an den Geräten oder treiben Leichtathletik, oder wir spielen mit Bällen, zum Beispiel mit dem Arzneiball. Bei den Mädchen gibt unser Fräulein Heidenröslein Sport, und wir schauen sie gern an. Sie ist viel zahmer als der Herr Stramm. Während wir Knaben nach seiner Pfeife flitzen müssen, tanzen die Mädchen meistens nach einer abgesägten 'fromme!. Fräulein Heidenröslein ruft dann immer in die Mädchen hinein, sie sollen sich schön strecken und ihre Brust hervorheben und die Arme und Beine elastisch schmeißen. Während
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unser Herr Stramm jeden Patzer bestraft, spricht Fräulein Heidenröslein wie eine sanfte Prinzessin zur schweren Wally, sie muß sich nicht fürchten, und sie wird den Bocksprung schon noch lernen. Der beste Bock im Springen ist der Schlicht. Er sprang sogar über unseren Herrn Stramm und hat sich nur den Fuß verstaucht. Der liebste Sport im Sommer ist das Schwimmen und das Tauchen. Als unser Herr Stramm einmal zur Toilette mußte, tauchten wir Knaben um die Wette. Ich konnte am zweitlängsten tauchen, weil ich es öfter in der Badewanne übte. Am längsten tauchte Schweine-Sigi. Als unser Herr Stramm wieder zurückkam, fragte er, warum wir so ins Wasser starren. Wrr sagten, der Schweine-Sigi ist unten, und er wird Taucherpräsident. Da sprang der Herr Stramm wie ein Blitz hinein und holte den Sigi rauf. Der spuckte wie ein Walfisch und wie ein glücklicher Sieger, wogegen unser Herr Stramm ganz blaß und Ottokar ist beim Sportfest meizitterig war und sprach, daß er uns nicht mehr den stens ein Favorit im Radrennen. Buckel zeigen kann, weil sonst ein Unglück passiert. Seitdem kämpfen wir nicht mehr um den Titel Taucherpräsident, sondern nur um den Kreispokal. Dieser sieht aus wie eine alte Vase aus der Rumpelkammer und steht in einem Glaskasten auf dem Flur. Und er wird immer wieder zum Schulsportfest gespendet. Das Schulsportfest ist ein Höhepunkt, an dem sich alle Lehrerinnen und Lehrer beteiligen müssen, entweder als Sandharker oder als Stoppuhrdrükker oder als Meßlattenaufueber oder als Temporufer oder als Schreiber. Unsere Frau Seidenschnur zieht sich zum Fest immer eine mächtig flatternde Trainingshose an und verteilt wichtige Ratschläge, zum Beispiel, der Sport macht jung und gesund, und wir sollen sie ansehen; oder sie spricht, in einem gesunden Körper lebt ein Geist. Auch Fräulein Bella Kohl verkleidet sich sehr schön mit weißen Bäckerhosen, welche bald platzen. Auch trägt sie eine Sonnenbrille und die Verantwortung für die Listen. Unser Herr Direktor Keiler läuft dann immer von einem Lehrer zum anderen und fragt, ob sie klar sind. Er verkündet danach in einer Ansprache, welche hohen Gäste uns zuschauen. Auch geht er an diesem Tage nicht so gebeugt wie sonst. Unser Herr Sportlehrer Stramm blickt uns Knaben vor dem Wettkampf tief in die Augen und murmelt, wir sollen alles aus unserem Körper herausholen, und unser Herr Kurz organisiert einen sprechenden Chor, der uns Kämpfern Gedichte zubrüllt,
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zum Beispiel »Rangeklotzt und noch ein Tor, kämpft llm den Sieg wie nie zuvor!« oder >>Alle Pioniere singen, Ottokar muß weiterspringen!« und viele andere selbstgedichtete Werke. Unser Herr Burschelmann spendete beim letzten Sportfest sogar eine Startpistole, und er durfte sie zum Dank abballern. Deswegen war mein Freund Harald diesmal nicht der schnellste Läufer. Das kam so: Herr Burschelmann schoß, unsere Frau Seidenschnur schrie vor Schrecken um Hilfe, und mein Freund Harald kam vor lauter Lachen nicht richtig zum Spurt. Ich bin beim Sportfest meistens ein Favorit im Radrennen. Das kommt vielleicht daher, weil ich eine sportbegeisterte Mutter habe. Vor jedem Matsch spricht sie zu ihrem Sohn: Hoffentlich gewinnst du, Ottokar, aber fahr bloß nicht so schnell, mein Junge, hör auf deine ODD Mutter! Unser Herr Sportlehrer Stramm ist auch der spar- . , samste Lehrer, und man muß sich daraus ein Vorbild machen. Er schont am meisten seine Anzüge, Westen, Hemden, Socken, Schlipse und Hosen, weil er mei.. stens im Trainingsanzug rumläuft. Man nennt das auch Berufskleidung, und sie ist praktisch. Man kann damit turnen, schlafen, demonstrieren, ein Bierchen trinken, die Eltern besuchen, auf dem Bauch kriechen, radfahren, Aufbaustunden machen und schnell hinein- und wieder hinausschlüpfen. Auch trägt er als Schmuckstück um den Hals eine silberne Trillerpfeife. Einmal sind mein Freund Harald und ich an Herrn Stramm vorbeigerannt, ohne ihn zu grüßen. Er rief, ob wir ihn vielleicht nicht mehr kennen. Wrr sagten nein. Es war am Hochzeitstag von Herrn Stramm nebst Braut. Diese muß eine verschwenderische Person sein, weil sie unseren Herm Stramm gezwungen hat, einen richtigen Anzug anzuziehen, so daß ihn keiner mehr erkennen konnte. I
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Der sowjetische Partei- und Staatsführer Leonid Breshnew und USA-Präsident Ronald Reagan können sich auf einem Gipfeltreffen nicht einigen, wer von ihnen der Bedeutendere sei und das bessere Gesellschaftssystem vertrete. Sie beschließen, die richtige Antwort durch ein Autorennen mit ihren Staatskarossen zu ermitteln. Reagan gewinnt mit einer Rad.länge Vorsprung. Am nächsten Tag meldet das Neue Deutschland: >>Bei einem Internationalen Autorennen am Rande des Gipfeltreffens belegte unser verehrter Genosse Breshnew einen hervorragenden zweiten Platz, während USA-Präsident Reagan nur Vorletzter wurde.«
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Hansgeorg Stengel
Falls du keinen Sport treibst, laß dir raten: Greif zum Ball, Expander oder Speer. Fröne Liegestützen und Spagaten und mach täglich einen Klimmzug mehr. Beug den Rumpf, versuch dich mal als Sprinter, geh ins Wasser oder geh aufs Eis, mach dich fit im Sommer wie im Wmter, solo oder im Familienkreis. Oder, meinetwegen, werde Kegler (selbstverständlich einer ohne Bier), Bogenschütze oder Drachensegler, oder geh zum Federballturnier. Boxen sei zu rauh und zu verwegen? Bitte schön. Versuchs mit Stabhochsprung. Eins ist nämlich nicht zu widerlegen: Nur aktive Jünger Jahns sind jung. An mir selber hab ich das erfahren, als ich Frühsport trieb und immerhin seinerzeit (vor fünfunddreißig Jahren) jünger war, als ich geworden bin.
Surfen? - Nein, danke. In der DDR heißt es Brettsegeln, und der Heimwerker bekommt 1981 durch das Magazin >>Practic(( auch g!eich eine Anleitung, wie er sich ein Surf brett, pardon, Brettsegel bauen kann.
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Hans Krause
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attse oi o »Hertha, bring Kaffee! Der 10000-Meter-Lauf jeht los. Wird er's schaffen? Klar wird er's schaffen. Der Jungeis prächtig, läuft wie'n junger Jott. Und wenn wir alle die Daumen drücken ... Wat heißt denn det, die andern drücken auch! Du kannst einem wirklich jeden Jenuß vermiesen! Haste denn gar keinen Nationalstolz? Also, ick sare dir, der Junge is Jold wert. Der wird's machen! Da, jetzt kommen sie. Hertha, jieß ein! Willste 'ne ZiWenn du dauernd mit deine garette? Lauf doch nicht immer über die Bahn, geh hinalbernen Salzstangen raschelst, tenrum und mach'n Kronleuchter aus! -Achtung! Peng! kann ick nich hören, wat der Ab die Post! Mach's jut, Junge, wir sind ja bei dir! Setz Oertel sacht. dich hin, Hertha! Du sollst dich hinsetzen! - Der da mit dem dunklen Trikot, det isser. Hat er nicht einen idealen Stil? Bitte? Stabhochsprung? Quatsch! Stil wie Stil und nich wie Schtiehl! Das ist die Art, wie er läuft. - Jawohl, du hast auch Stil. Jetzt schiebt er sich nach vom. Ob er das darf? Warum soll er das nicht dürfen? Quatsch, der drängelt nich! Det heißt eben so. - Kuck mal, jetzt liegt er schon auf dem sechsten Platz. Ich sag's ja, der Junge ist klasse. Der macht das Rennen. Die erste Goldne is uns sicher. Nun setz dich doch endlich hin, Hertha! Was suchste denn schon wieder? Dein Strickzeug? Du willst doch nicht etwa dabei stricken? So etwas tut man nicht! Das ist Mißachtung unserer Sportler. Unsre Jungen haben es verdient, daß wir in diesen entscheidenden Tagen ganz - ich betone: ganz bei ihnen sind. Und wie willst du Daumen drücken, wenn du dauernd das Strickzeug in den Fingern hast? - Nanu, wo ist denn unser Mann? Was denn? Nein! Doch! Zurückjefallen is er, zurückjefallen! Daran ist bloß deine ewige Strickerei schuld! Nun los doch, Junge; aufschließen, aufschließen! Er macht nicht gerade den frischesten Eindruck. Wir hätten vielleicht doch lieber den Dings nach Moskau schicken sollen. Der hier ist doch dem Klassefeld nicht gewachsen! Das sieht man doch. So eine Null! Jetzt läßt er den Australier noch vorbei! Haben eben keine Ahnung, die Leute.
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Was ist denn nu schon wieder? Nein, ick will keine Salzstangen! Setz dich hin! Nanu? Ja!!! Jetzt kommt er wieder! Feste, Junge, feste! Mach dich nach vom! Sieh mal, wat der noch drinne hat! Hatte sicher bloß 'ne kleine Schwächeperiode. Wär ja auch 'n Ding! Hält den Europarekord, steht mit in der Weltbestenliste und läßt sich hier so einfach abservieren? Ich hab's ja immer gesagt, der Mann is klasse! Klasse! Klassee!! - Haste keine Salzstangen? Warum bringst du denn keine auf 'n Tisch? Aber komm gleich wieder! Toll, wie der losgeht! Ein Taktiker, wie er im Buche steht! Hätte ick bloß mit Kohlmeise gewettet! Wollte mir doch einreden, det wir nich die Goldene ... Wat'n nu ... ? Nein!! Det kann doch nich wahr sein! Paß uff, Junge, der Tunesier zieht det Tempo an! Aufpassen, aufpassen! - Geh weg, mit deine Salzstangen! - Wat sacht der Oertel?? Wenn du dauernd mit deine albernen Salzstangen raschelst, kann ick nich hören, wat der Oertel sacht! - Fuffzig Meter! ... Fuffzig Meter hat er verloren! Lauf, Mensch, lauf! Warum läuft er denn nich? ''Wir können den Euro- Aber jetzt läuft det Bild! Mach mal richtig, Hertha! - Nein, parekord nicht anerkennich den Knopp! Den andern! Jetzt isset janz weg! Wenn man nen. Sie hätten mit dem dich schon mal an'n Apparat läßt! Geh mal weg! - So, da ham Stab springen müssen.<< wir's wieder! - Wo ist er denn jetzt? Abgeschlagen! Ick hab's ja geahnt! Flasche!!! Wo willste denn hin? Nein, ick will kein Bier! Er ist 'ne Flasche! Warum? Da fragst du noch? Er hat mich enttäuscht, mein Vertrauen mißbraucht! Man schlägt sich in gutem Glauben die halbe Nacht um die Ohren, drückt sich die Da11men wund, 11nd wat macht er? Er läßt sich einfach abhängen. Mach den Kasten aus! Ick bin bedient! Wat denn, du willst den Lauf bis zu Ende sehn? Ja, worauf wart'st du denn noch? Du willst wissen, wer gewinnt? Sie will wissen, wer gewinnt!!! - Du kannst also seelenn1hig sitzen bleiben und zukieken wie andre die Medaillen kassieren? Wat heißt denn det: Die an„ CF dern haben auch gute Läufer?! Mach den Kasten aus und deck die Betten -- -..... , --·.. . ab. Wat versteJ;ist du schon von Sport!« •
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se a t ist oi1to Fußball, Fußball nichts als Klagen! Soweit richtig, unbedingt. Doch erlaubt mir, vorzuschlagen, was uns endlich vorwärtsbringt. In den Freundschaftsspielen immer sieht man, daß die Mannschaft steht, dafür wird es schlimm und schlimmer, wenn es um die Punkte geht. Ergo: Weg mit dem perfiden, hinderlichen Leistungsdruck! Freundschaftsspiele, Ruhe, Frieden, Brüderschaft beim Freundschaftsschluck!
))Immerhin, ein Hauch von Spanien!<<
Einer schenkt dem andern Rosen, ohne Domen klarer Fall. Welch ein Küssen und Liebkosen, erst den Mann und dann den Ball! Händchenhalten, Tätscheln, Schmeicheln, auch einmal ein Kompliment; nach und nach erwacht beim Streicheln manches schlummernde Talent. Wer besonders nett und lieb ist, reiht sich bald schon still und fein, weil er so ein sanfter fyp ist, in die Nationalelf ein.
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' SIH Über die Auswirkungen des Fernsehens auf das Eheleben gibt es eine Vielzahl recht unterschiedlicher Mein11ngen. Ernst zu nehmende wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse darüber sind jedoch, falls sie überhaupt vorliegen, bislang kaum an die brennend interessierte Öffentlichkeit gelang. Die Frage >>Ist das Fernsehen ehefeindlich oder nicht?« wird in unserem sonst nahezu lückenlos von der Wissenschaft durchdrungenen Leben praktisch noch immer injeder Ehe individuell entschieden. Immerhin scheint jetzt aber doch eines festzustehen: Fernsehen muß die Kommunikation zwischen Ehepartnern nicht notwendig und völlig unterbinden. Ehen - so meinen Soziologen herausgefunden zu haben - Ehen, deren Partner bei der gemeinsamen Betrachtung des Fernsehprogramms nicht stumm Sag nicht bei jedem Film: Wir blieben, sondern öfter mal miteinander reden, sind noch haben ihn gesehen. Ich habe in Ordnung und von Bestand. Hierzu im folgenden ein ihn nicht gesehen! willkürlich herausgegriffenes Beispiel. »Irene!<< rief der Mann aus dem Sessel heraus. »Wo bleibst du denn? Der Krimi hat angefangen!« - >>Bin sofort da!« antwortete die Frau aus der Küche, und der Mann hörte sie durch den Korridor heranstampfen, sich in den Sessel neben ihn werfen und fragen: »Wie heißt er denn?« >>Nächte im Tunnel sind lang«, sagte der Mann, »und wir haben ihn noch nicht gesehen.<< - »Vielleicht doch<<, widersprach die Frau. »Die Sache mit dem Bankraub. Also ich finde das schon langweilig- immer Bankraub.« >>Es geht nicht t1m Bankraub«, sagte der Mann, »sondern llm eine Erbschaft.« - >>Ja, dann haben wir ihn gesehen!« behauptete die Frau. »Ein englischer Krimi. Spielt in einem mittelalterlichen Schloß. Es ist immer dasselbe.« Serien von Schüssen in einer matt erleuchteten Tiefgarage zerrissen das Gespräch der Ehepartner. Ein Toter war das magere Ergebnis des massiven Einsatzes von Maschinenwaffen. >>Sieht mir nicht nach einem mittelalterlichen Schloß aus«, sagte der Mann. >>Außerdem ist es ein französischer Film« »Aha, dann haben wir ihn gesehen<<, behauptete die Frau wieder. »Wo in der Metro immer diese Morde passieren.<< »Sag nicht beijedem Film: Wir haben ihn gesehen. Ich habe diesen Film nicht gesehen<<, sagte der Mann. >>Ich weiß doch, was
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ich gesehen habe!« - >> Haha! «lachte die Frau. »Du hast gestern auch Willmanns in der Straßenbahn gesehen. Dabei sind sie seit einer Woche in Thüringen auf Urlaub. Morgens hattest du noch die Karte gelesen, die sie uns geschickt haben. Aber das hast du restlos vergessen. Also tu nicht immer so, als wäre Verlaß auf dein Gedächtnis. Sieht Willmanns in der Straßenbahn!« »Von weitem«, sagte der Mann. »Irren ist menschlich. Und nun versuch mal, dich auf den Film zu konzentrieren, sonst muß ich dir nachher wieder stundenlang erklären, was passiert ist.« - »Nicht nötig«, sagte die Frau, »ich weiß, was passiert, weil wir den Film schon gesehen haben. Paß auf, gleich wird aus dem Hausflur geschossen, und auf dem Boulevard bricht ein Mann zusammen.« Auf dem Bildschirm jagen zwei schwere Wagen auf einer kurvenreichen Gebirgsstraße mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu. »Weit und breit kein Hausflur!« sagte der Mann. »Läuft nicht so, wie du dachtest, was? Nun stürzt eine Welt zusammen! Meine Frau hat sich geirrt! Wenn du doch wenigstens einmal in deinem Leben zugeben würdest, daß du dich geirrt hast!« - >>Was soll ich zugeben?« fragte die Frau. »Daß du den Film vielleicht wirklich nicht gesehen hast? Du gehst abends ja öfter mit ~ ~. . . Arno in den Hirtenkrug.« »Ich wußte, daß das jetzt kommt!« stöhnte der Mann. »Und ich weiß sogar, was als nächstes kommt! Vergiß also nicht zu sagen, daß Biertrinken fett und dumm macht!« - »Ich sag ja gar nicht, daß du fett bist«, sagte die Frau, >>aber du vergißt alles. Oder hast du Willmanns angerufen, wie ich dir das gesagt habe?« Nur noch ein Tunnel trennte die beiden auf der Gebirgsstraße mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zurasenden schweren Wagen. »Wie«, fragte der Mann, »wie hätte ich Willmanns anrufen können, wenn sie überhaupt nicht hier sind, sondern seit einer Woche in Thüringen auf Urlaub?« - »Ja, aber das hattest du auch vergessen, weil du wußtest, daß sie nicht hier sind, sondern du hast sie nicht angerufen, weil du vergessen hattest, daß du sie anrufen sollst! Mach dir doch nichts vor!<< Nach einem grauenhaften, alles Leben vernichtenden Zusammenstoß der beiden schweren Wagen im Tunnel kroch aus
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Unter vier Au.~.t;,n
einem der Autos ein blutüberströmter Mann und schoß auf den blutüberströmten Mann, der aus dem anderen Auto kroch. »Ich kann diese Schießereien schon nicht mehr sehen!« sagte die Frau. »Es ist immer dasselbe!« - »Banküberfälle sind immer dasselbe, Schießereien sind immer dasselbe - wenn du so willst, ist jeder Mord irgendwie dasselbe - geh ins Bett, wenn dich alles so entsetzlich langweilt!« »Tu doch nicht so«, sagte die Frau, »als ob dir das nicht völlig egal wäre, ob ich mich hier oder im Bett langweile! Da ist es ja auch immer dasselbe: Du kommst, fällst wie tot um und schnarchst. Rch-rch. Direkt ekelhaft.« Auf dem Bildschirm explodierte eines der Autos. »Hast du wenigstens nicht vergessen, dir in der Autowerkstatt einen Termin zu holen?« fragte die Frau. - »Nein, natürlich nicht!« antwortete der Mann. - »Natürlich nicht!« fuhr die Frau fort. »Das möchte ich mal erleben. Ist nun das Auto von dem Mörder oder von dem Erben explodiert?« . p t b · d B t h »Der Mörder und der Erbe sind eine Person!« be. . Wenn d1e ar ner e1 er e rac „ hauptete der Mann. - »Woher willst du das wissen? tung des Fernsehprogramms ofter f gt di F N ahr h inli' h d h il · h . . . . ra e e rau. - » a, w sc e c oc , we 1c mal m1te1nander reden, sind die ·t . St d hi ·t d · d F'l guk Eh · d sei emer un e er s1 ze un mrr en 1 m an en in 0 r nung. ke!« sagte der Mann. Aus dem Tunnelmundloch schoß eine gewaltige Stichflamme, die einen der blutüberströmten Männer über einen Abgrund hinunter ins Meer schleuderte, das wild zu kochen begann. »Ja, du guckst dir den Film an!« sagte die Frau. »Ich versuche, mal mit dir über ein paar Probleme zu reden, weil man sonst nicht reden kann mit dir, aber du guckst dir diesen Quatsch an, den du schon dreimal gesehen hast. Ich glaube, mich hast du in der ganzen Zeit nicht halb so oft angeguckt!« »Wieviel ist die Hälfte von dreimal Angucken!<< wollte der Mann wissen. »Aber gut! Ich guck dich jetzt an, guck her, ich guck dich an! Und dabei fällt mir auf, daß ich dich schon öfter als dreimal gesehen haben muß. Und morgen werde ich dich bestimmt auch wieder sehen. Morgen und übermorgen ...« »Ja, so ist das«, sagte die Frau. »Reg dich doch nicht immer wieder so auf darüber, sondern gewöhn dich endlich dran. Ich muß dich ja morgen auch wieder sehen, aber hörst du mich jammern? Was ist morgen überhaupt?« »Morgen kommt der dritte Teil der Familienserie, die wir schon zweimal gesehen haben«, sagte der Mann. - »Aber die war nett, nicht wahr?« meinte die Frau. - »Ja, die war ganz nett«, gab der
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Mann zu. - »Gucken wir uns ruhig noch mal an?« fragte die Frau. - »Ja, warum nicht?« meinte der Mann. »Manchmal mußte man richtig lachen ... « Der blutüberströmte Überlebende kroch aus dem Tunnel und blickte nachdenklich ins kochende Meer. Ende. Der Mann und die Frau erhoben sich und strebten ihrem Schlafgemach zu. In der Tat scheint der Bestand dieser Ehe gesichert, und so haben augenscheinlich jene recht, die behaupten, daß die Ehen noch in Ordnung sind, deren Partner bei der gemeinsamen Betrachtung des Fernsehprogramms öfter mal miteinander reden. Voraussetzung dafür scheint allerdings zu sein, daß häufig Wiederholungen gesendet werden und nicht allzuoft Neues. Aber diese Gefahr besteht ja wohl nicht.
Rudi Strahl
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Wie ich das hasse: gleich beim Frühstück Streit ... ! Mir ist schon längst der Appetit vergangen! Dann sei doch still und sag: »Es tut mir leid!« Wieso denn ich? Hab ich denn angefangen? Natürlich hast du ... Ich? 0 ja! Nein, du! Du spinnst. Ich warne dich! Laß mich zufrieden! Aha, du kneifst! Jetzt höre mir mal zu ... ! Ich wünschte nur, wir wären schon geschieden! Vielleicht wär's wirklich besser für uns zwei, uns ein für allemal adieu zu sagen ... Sie Adieu! Er Leb wohl! Sie Mach's gut! Er Jetzt ist's vorbei! Beide Natürlich könnten wir uns auch vertragen ... !
Jom11alisten aus der Bundesrepublik haben auf Einlad11ng des „ Anßenministeri11n1s der DDR den Osten bereist 1md werden arif einer Pressekonferenz befra~ ob ihnen an diesem anderen deutschen Staatsvolk besondere Eigenschaften aufgefallen seien. · Antwort Ja. Es sind das Ehrlichkeit, Intelligenz 11nd Liebe - zu . , Erich Honecker. Mit einer kleinen Einschränkung: Jeweils eine dieser drei Eigenschaften trifft nicht zu. E11tweder sie sind ehrlich und lieben Erich Honecker, dann sind sie nicht intelligent. Oder sie sind intelligent und lieben Erich Honecker, dann sind ·sie nieht ehrlich. Oder sie sind ehrlich und intelligent, dann lieben sie nicht · Erich Honecker. ~ ~~ :
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Am Stammtisch der Eckkneipe >>Glücksquelle<< saßen die unverheiratete Aushilfskellnerin Erni Knabe, eine stattliche, brünette Vierzigerin mit etwas Damenbart, und ihr Fre11nd, der Invalidenrentner Karl Gutebrecht, einer der wahrscheinlich magersten Menschen, die je auf unserem Planeten wandelten, beide leicht angeduselt, vor sich die Molle und den Klaren. Gerade hatte Karl Gutebrecht der interessiert lauschenden En1i Knabe das komplizierte Muster seines selbstgestrickten Pullovers erklärt, und jetzt sprachen sie über den im Augenblick •• wegen Ubelkeit spinatgrün zur Toilette wankenden und seit zwei Wochen geschiedenen Kleindarsteller Egon Krampe. Es war Donnerstagabend. Die Kneipe war ziemlich Da betrat dieser braungebrannte voll. Einige Gäste auch. Berge von Buletten nach Art Hüne die Kneipe, ein Kerl wie des Hauses gingen den Weg allen Fleisches, und über aus Jack Londons gesammelten dem gedämpften Stimmengemurmel hing ein blauWerken. grauer Himmel aus Mostrichgeruch, Bierdunst und Zigarettenqualm, eine angenehm gesunde Atmosphäre eben, denn wie sagt doch der Kenner: Der Tod des Oberkellners sind frische Luft lind Brause! Melancholisch nickend, kippte der Invalidenrentner Karl Gutebrecht seinen Korn in den spitzen Mund, und die romantisch veranlagte Erni Knabe rief gerade: »Egon ist ein leichter Hund, eine Künstlernatur eben, ein Bohämienk oder wie man das nennt, aber er wird es schon meistem, er darf eben nur nicht dauernd den ollen Magenfusel saufen, die Klapsrübe!«, da betrat dieser braungebrannte Hiine die Kneipe. Es war ein Kerl wie aus Jack Londons gesammelten Werken: das khakifarbene Hemd über der behaarten Brust geöffnet, unter den Ärmeln der Wtldlederjacke wölbten sich die zweiköpfigen Oberarmmuskeln wie riesenhafte Eierpflaumen, er trug nagelneue Schuhe mit Porokreppsohle und hatte die modische Schiffermütze in den Nacken geschoben. Federnd durchquerte er die Kneipe, stützte sich auf den 'lresen, ließ sich von Otto ein Bier herüberschieben und trank - trank wie ein Mann aus der Putzerbrigade oder aus dem Kleinen Mahagonny von Brecht: nachd.enklich, genießerisch, vielleicht sogar etwas
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schwermütig, wobei er die kantige Nase wölfisch witternd nach vorn schob und die Augen abwesend ins Weite richtete - hellblaue, durchdringende Augen, Augen von der Farbe des Aquamarin, wie man ihn in Transbaikalien findet, Augen wie Grönlandeis, die wohl schon so manche Frau blödsinnig vor Liebe gemacht hatten. Der Kerl stank förmlich nach der fernsten Feme: nach den Kapverdischen Inseln, nach Alaskas Wäldern und der Tundra, nach Sumatra-Nashörnern und einem herben Rasierwasser FORMEN aus Importrohstoffen. Der war keine Zimmerpflanze! Erni Knabe nickte ihrem Freund Gutebrecht bedeutungsvoll zu und lachte mit einem glitzernden Blick auf den Fremden papageienhaft auf. Der Invalidenrentner Karl Gutebrecht schüttelte den Kopf und musterte den weitgereisten Kerl verächtlich. Der Weitgereiste bemerkte nichts davon. Er trank sein Bier, weiter nichts. Vielleicht war er Korrespondent der NBI in Sibirien oben, am wildschäumenden Jenissei, oder in Südamerikas orchideenreichen Dschungeln? Niemand konnte das sagen, denn in der EckkneiEin geheimnisvoller Mensch, eine pe »Glücksqu~lle« ver~ehrte sonst nur die nächst~ vagantische Natur. flüsterte sie Umgebung, nicht so einer vom Amazonas. Schwe1, · gend trank der Fremde seinen halben Liter. Schweigend warf er sich eine Importzigarette der Marke Pall Mall zwischen die blendendweißen Zähne, schweigend und nachlässig, wobei sich die harten Lippen zu einem spöttischen Lächeln kräuselten. Erni Knabe nickte nachdenklich. Ein Schweiger! Vielleicht hatte er gestern noch in einem der atlantiküberquerenden Riesenbrummer der Aeroflot gesessen und den von einer katzenäugigen Stewardeß kredenzten Wodka oder einen sogenannten Whisky on the Rocks mit Eiswürfeln in sich hineingeschlürft, der keifenden Bambusbären in irgendwelchen grauenhaften Gebirgswäldern gedenkend? Emi Knabe warf den Kopf in den Nacken und produzierte erneut ihr Papageienlachen, von dem sie annahm, es hätte eine ungemein erotische Wirkung auf Männer aller Altersgruppen. Erstaunt blickte der Invalidenrentner Karl Gutebrecht sie an, schüttelte den Kopf über die Treulosigkeit der Weiber und überhaupt und bestellte zwei neue Mollen und zwei Klare bei der Kellnerin. »Zwee Mollen mit Kompott, Herta!« brummte er und nickte bitter, weil er zu gutmütig war. Er war eine Seele von Mensch, verflucht noch mal! Warum setzte er nicht auch mal
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ein diabolisches Grinsen auf und pfiff eiskalt auf seine spendablen Gesten? »Ich bin ein schwacher, guter Mensch, ich Rindvieh!« dachte der Invalidenrentner Karl Gutebrecht traurig. Der fremde Kerl hatte sich inzwischen auch ein neues Bier herüberschieben lassen. Dabei lächelte er wie ein Kind vor sich hin. »Vielleicht denkt er jetzt an seine braunhäutige, süßbrüstige Geliebte von den Kleinen Antillen«, dachte Erni Knabe und stellte sich vor, die Süßbrüstige wäre sie. Erneut lachte sie papageienhaft auf. Der Fremde beachtete weder Erni Knabes Lachen noch die bewundernden Blicke der anderen Frauen. Selbst das gehässige Grinsen einiger Schmerbäuche ignorierte er. Er stand an der Theke und trank sein Bier, ein geheimnisumwitterter Leuchtturm aus Yokohama. »So«, dachte der Leuchtturm, »so, denn hätt ick also bis jetzt zweehundat plus dreihundat plus zweehundatfuffzig plus einhundertdreißig Piepen extrajemacht, det macht außa det Krankenjeld -warte mal! -, det macht achthundatachtzig blanke Eia off de Hand; und jetzt werd ick zahln! - Und denn«, dachte er, wobei erneut ein kindliches Lächeln sein scharfgeschnittenes Gesicht überzog, »und denn vakrümle ick mir in meine Bude und reiß mir die vadammten neuen Salamandakähne von die heißen Knochen, det drückt ja wie die Pest! Und denn steigste in deine Filzpantoffeln, Wtlliken, mein Kleena, wa? Denn ziehste dir det Nachthemde von Papan üba die Ohren und brätst dir een anständijen Otto Hausmachablutwurst! Dazu wärm ick mir den Sauakohl von jestan uff. Det wird ein Jöttafraß, Mann! Und denn hau ick mir in meine Koje offs Ohr und penn scheen, wa, damit ick die nächsten Tage richtig fit bin, wenn ick die vadammte Fundamentjrube für den vadammten Mehnert ausschachte und det vadammte Fundament für die vadammten Schüppers jieße, denn ab Montag bin ick wieda jesund jeschrieben, denn kann ick wieda Fliesen lejen, lauta vadammte kleene Fliesen, lauta dämliche Fliesen, oh, Mann!« Hierbei verfinsterte sich sein hartes, schönes Menschenantlitz. Es war wie ein Wolkenschatten über dem Erzgebirge. »Jetzt denkt er sicher an eines seiner erbarmungslosen Erlebnisse in der sibirischen Taiga, vielleicht an einen Kampf mit einer menschenfressenden Tigerin, mit so einer Bestie, wie sie kürzlich von der BZA in Indien erlegt wurde, wer weiß? Oder errichtet er gar als leitender Diplomingenieur irgendwelche Chemiegiganten in exotischen Ländern und hat was ver-
Was macht den DDRMann aus dem Jahre 1981 unwiderstehlich? Mode aus dem VEB Einheits-Chic.
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murkst?« dachte Erni Knabe, welche sich gar nicht satt sehen konnte an seiner Männlichkeit. >>Mit dem möcht, ich schon mal Buschwindröschen pflücken gehen!« dachte sie und fraß den Kerl mit Blicken auf. Der Kerl ignorierte das. Schweigend zahlte er und tippte mit dem Zeigefinger an die modische Schiffermütze. »Zwei Mark achtzig · ·eld für zwee halbe Litaa! Ein Varrückta! Ein Krösus!« stöhnte Otto hinter dem Tresen, obwohl er auch nicht schlecht verdiente, sondern im Gegenteil - und besonders an den harten Getränken. Schweigend verließ der Fremde die Eckkneipe »Glücksquelle«. Quietschend pendelte die Schwingtür ins Schloß. >>Ein geheimnisvoller Mensch!<< flüsterte Erni Knabe mit geweiteten Nasenlöchern und schwimmenden Augen. »Eine vagantische Natur!<< flüsterte sie. »Der kann mir mal!« sagte der Invalidenrentner Karl Gutebrecht und kippte erregt seinen Korn hinunter, der Zeiten gedenkend, wo er noch den Doppelsalto drehte, wo er Jonny Calvados hieß und Flieger bei den »Vier Fandangos« war und Speck auf den Rippen nebst einer muskulösen Ausstrahlung hatte. Da konnte er noch auf treulose Aushilfskellnerinnen pfeifen, aber kräftig! Jetzt war er ein spindeldürrer Hänfling mit einem Rückenschaden und hockte jeden zweiten Abend in der »Glücksquelle« schönes Glück! >>Der kann mir mal!« sagte er noch einmal eifersüchtig, worauf Erni Knabe gutmütig »Oller Sufflkopp« brummte und sich vorstellte, wie sie dieser geheimnisvolle Athlet aus Klondike brutal in seine sehnigen Arme riß. Da breitete sich eine unheimlich süße Gänsehaut auf Erni Knabes gesamtem stattlichem Körper aus, und der Invalidenrentner Karl Gutebrecht machte ein beleidigtes Mäusegesicht, und von der Toilette her grölte der magenbitterberauschte Kleindarsteller Egon Krampe: »Wie ein Stern in einer Sommernacht ... «
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Vielseitig verwendbar ist sie, unsere Muttersprache. Sie dient den wenigen Leuten, die immer noch so reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Sie dient ebenso den zeitgemäß Weitschweifigen, den Red-Seligen, den Redundanz-Maximalisten. Sie verweigert sich auch den Vertretern der hochmodischen Kurz-Welle nicht, für die der Hausbriefkasten längst zum HBK geworden ist, eine Weltmeisterschaft zur WM, der MarxismusLeninismus zu ML, die Arbeits- und Lebensbedingungen zu ALB. Zur Gruppe der Sprachökonomisten zählt offenbar auch der Leiter des Halleschen Bahnhofs, der kürzlich auf eine >>Eulenspiegel« -Veröffentlichung unter anderem mit den folgenden Sätzen antwortete: »Nach der Fplo 7042 der Rbd Wenn ein Betriebsdirektor eine SteiHalle (Restarbeiten der UR gern. Betra 75 Rba gerung in der ANG meldet, klingt das Halle) fiel der P 8329 Halle (S) Hbf ab 13.00 haus. angenehm nach Produktionserfolg, Dafür verkehrte KOM 8329 Halle (S) ab 13.05 h. a11erdings nur, wenn man nicht weiß, SEV KOM wurde von der Kollg. Stahl überwacht.<< daß es um Ausschuß, Nacharbeit und Eine Menge Information in wenigen Zeilen. Und Garantieleistungen geht. man versteht sogar das Wichtigste, nämlich Bahnhof. Wohl dem, der, wie ich, inzwischen einen Sinn für diese Art Alltagspoesie entwickelt hat. In Brandenburg bemerkte ich vor einiger Zeit ein Transparent mit dem Text RUHM UND EHRE DER AK DER DDR! Meine Tochter erhielt neulich eine Eins im Fach ESP/TZ. Mein Nachbar ist angestellt bei der ZWV OGS . Zeitungsannonce: Okonom des soz. BH sucht neuen Wirkungskreis. In der Handball-Bezirksliga Berlin spielten in der vergangenen Saison: EBT 11, KWO, BVB, Rotation PB, AdW. In der Zeitschrift »Der Hund« ein Artikel, unterzeichnet vom Obmann der ZK RHZ/RKZ des ZV des VKSK. In Finkenheerd, Bezirk Frankfurt, präsentiert ein Betrieb auf einem Firmenschild seinen denkwürdigen Namen: VEB EKM EV Ffo. In einem Wettbewerbsmaterial entdeckte ich das seltene Kürzel BdaQ, was angeblich Betrieb der ausgezeichneten Qualitätsarbeit bedeuten soll. Höchste Zeit, das Kollektiv der sozialistischen Arbeit in KdsA umzubenennen. Ein Eva-Betrieb ist nicht das, was Männer in den besten Jahren hoffen, sondern leider nur oder doch immerhin ein »Energiewirtschaftlich vorbildlich arbeitender Betrieb«. Seit der Schienenersatzverkehr aus unserem Leben nicht mehr wegzu••
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denken ist, tauchen die schicksalsschwangeren drei Buchstaben SEV immer häufiger auf. Es lohnt sich sowohl in Wort als auch in Schrift: drei Silben statt sechs, drei Schriftzeichen statt einundzwanzig. Und wenn ein Betriebsdirektor eine erhebliche Steigerung in der Position ANG meldet, klingt das höchst angenehm nach Produktionserfolg, allerdings nur, wenn man nicht weiß, daß es um Ausschuß, Nacharbeit und Garantieleistungen geht. Hier, meine ich, dehnt sich ein wF, ein weites Feld, für die noNuMs, die noch optimalere Nutzung unserer Muttersprache: SWG Sozialistische Wartegemeinschaft. HWN - Hamwanich. KGW - Komme gleich wieder. NMSG - Nur mit Sondergenehmigung. KAUDN - Kein Anschluß unter dieser Nummer. WIG - Wegen Inventur geschlossen. Usw. usf.
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Motto: Ich versprach, Ihnen einmal dienstlich zu kommen. Da, wo ich sitze, wächst kein Gras. Ein Gummibaum steht manchmal in der Ecke. Ich sitze hier wie unter Glas in einer Vorschriftsdomenhecke. Vor meinem Tisch sind alle gleich. Ich bin ganz unbestechlich. Ob Mann, ob Frau, ob Kind, ob Greis für mich sind alle sächlich. Im Dienst kenne ich keine Menschen, da kenne ich nur die Sache. Auch die neue Zeit hat ihre Dienstzeiten. Wer nicht stören will, muß warten. Mein Gewissen ist ein blaues Stempelkissen, mein Herz ein vorgedrucktes Formular. Ich lege meine Vorschriften nicht aus. Ich wende nur an.
Rein menschlich bin ich ganz privat. Das sagen alle, die mich näher kennen. Ich bin nur dienstlich Bürokrat. Man muß den Dienst vom Menschen trennen. Ich kann auf Weisung freundlich sein, auch hart und unerbittlich. Ich misch mich selber gar nicht ein, nur Vorschriften vermittel ich. Der Sozialismus ist für mich eine Vorschrift wie jede andere. Ich habe ihn nicht gemacht. Ich kenne nur die Durchführungsbestimmungen.
Ich führe nicht, ich führ nur durch: als Pförtner, Polizist und Hausverwalter. Wo ich auch sitz, ist meine Burg denn ich sitz immer hintenn Schalter. Ich bin laut Vorschrift stets im Recht, denn ich bin unentbehrlich. Ich meine es auch niemals schlecht das meine ich ganz ehrlich. Meine Vorgesetzten haben nichts von mir zu befürchten. Ich bin pünktlich, sauber und korrekt und habe nichts von einer Karikatur. Aber wenn ich nicht bald gestorben bin, dann diene ich mit allen meinen Vorschrif ten eine große Sache zugrunde.
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End.lieh hat die Stasi den Mann gefunden, der die politischen Witze über die DDR gemacht hat. Sie bringen ihn z~ Honecker„ Der fragt entrüstet: >>Wieso erzähl~t du solche diffamierenden Witze, gerade Jetzt, wo wir im wirtschaftlichen Aufschwung sind?<< Darauf der Mann: >>Der Witz war aber nicht •
von mir.<<
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Auf dem Parteitag erblickt Honecker im Präsidium ein unbekanntes Gesicht. Aufgeregt winkt er Mielke ran. »Du, da sitzt einer, den kenne ich nicl1t!« »Ich auch nicht«, sagt Mielke, »aber Moment, ich kläre das. « Nach einer Weile kommt Mielke zurück: »Ist alles in Ordnung, wir haben es überprüft. Der Mann hat seinen Platz über Genex bezahlt.« •
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Matthias Biskupek
Voriges Jahr wurde uns bekannt, daß der vierhundertfünfzigste Jahrestag des Eintreffens von Feldherr Fürst Wallenstein in Groß-Grobzow in dieses Jahr fällt. Von der Historiker-Kommission des Kreises, bestehend aus Kollegen Studienrat i. R. Wümow erfuhren wir, daß die damaligen Friedensverhandlungen mit dem Abgesandten der schwedischen Krone, ein herausragendes Ereignis mitten im Dreißigjährigen Krieg, in Groß-Grobzow stattgefunden haben. Die anhaltenden und neuen Ereignisse in der Welt, die auch in Groß-Grobzow begrüßt werden, ließen uns seit langem diesem Jahrestag voller Erwartung entgegensehen. . Im Oktober vorigen Jahres erhielten wir einen ~nser Hot~l .Schwed~nk~one befindet Maßnahmeplan, worin verankert war, daß das sos1ch d~rzeit in der ~ichtigste~ Rekon- genannte Wallenstein-Haus instandzusetzen sei, strukt1onsphase seiner Geschichte. in welchem die nunmehr als historisch erkannten Verhandlungen zwischen Wallenstein und dem schwedischen Gesandten abliefen. Bereits im Dezember beauftragten wir die hier ansässige Produktionsgenossenschaft Tomatenfreilandkultur damit, die überkommene Ziegelbausubstanz auf ihre Qualität hin zu untersuchen. Leider war dies bis März diesen Jahres nicht geschehen. Der Vorsitzende von Tomatenfreilandkultur konnte zweifelsfrei nachweisen, daß in seinem Verantwortungsbereich keine Ziegelbauspezialisten tätig sind. Im Mai wurde uns mitgeteilt, daß ein Angestellter der schwedischen Botschaft zu den Feierlichkeiten am 12. Juni in Groß-Grobzow eintreffen würde. Ein Mitarbeiter des hauptstädtischen Bereiches wurde uns sogleich zur Verstärkung zugesagt. Leider traf dieser Mitarbeiter erst am 29. Mai ein. Da wir jedoch objektiv nicht in der Lage waren, ihm eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen, mußte er wieder abreisen. Unser Hotel •
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»Schwedenkrone« befindet sich derzeit in der wichtigsten Rekonstruktionsphase seiner Geschichte. Durch tatkräftigen persönlichen Einsatz zahlreicher Leitungsorgane Groß-Grobzows gelang es uns, am 3. Juni eine Übernachtungskapazität bis einschl. 12. Juni freizulenken. Durch ständige Nutzung des Telefonnetzes war es uns am 7. Juni möglich, der Hauptstadt die günstige Lage mitzuteilen, worauf der zugesagte Mitarbeiter am 9. Juni, Reichsbahnverbesserungsarbeiten berücksichtigend, eintreffen wollte. Am 10. Juni wurde seine Ankunft realisiert. Noch am selben Tage ermöglichten wir dem Mitarbeiter, nachdem er uns die Grüße der Zentrale entboten hatte, wofür wir dankten, eine erste Standortbegehung, in deren Verlauf er eine Neufarbgebung des Wallenstein-Hauses empfahl. Wir wandelten unverzüglich die Empfehlung in einen selbständigen Beschluß des Vorbereitungskomitees um und machten uns an die Arbeit, geeignete Bürger zur Mitarbeit heranzuziehen. Im Verlauf des Vormittags des 11. Juni gelang es uns, den Bürger Wümow junior von der Tätigkeit in der Produktionsgenossenschaft Tomatenfreilandkultur zeitweilig zu entbinden. Wümow junior überzeugte seinen Kollegen Warzow, der voriges Jahr unter das Amnestiegesetz gefallen war, zum kollektiven Mittun. Schließlich wurde auch Kollege Querichow unter Bereitstellung einer zweckgebundenen Getränkemenge Wermut in die allumfassenden Erneuerungsarbeiten am Wallenstein-Haus einbezogen. Wümow junior, Warzow und Querichow konnten leider die vorgegebene Neufarbgebung nicht vollinhaltlich realisieren, da unsere Farbkapazität derzeit bis ins vierte Quartal ausgelastet ist. Mit Hilfe von ortseigenem, unbürokratisch bereitgestelltem Wasser und mehreren individuell realisierten Feudeln gelang es jedoch, das Wallenstein-Haus in einen zeittypischen und feuchtfrischen Zustand zu versetzen. Die im Verlauf der demokratischen Bodenreform sowie der begeistert begrüßten sozialistischen Land-Umgestaltung dem
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Wallenstein-Haus entnommenen Fensterverkleidungen, Türfüllungen, Querstreben und Deckenbalken bewirkten allerdings als eine Spätfolge überkommener, noch nicht voll überwundener feudaler Verhältnisse, daß das Wallenstein-Haus in seinem nunmehrigen feuchtfrischen Zustande die gegenwärtige Bauform geringfügig änderte. Statt bislang in dreidimensionalen, erhebt es sich jetzt in einem eher zweidimensionalen, dafür sehr bodennahen Zustand. Erfreut nahmen wir diese Anpassung ans norddeutsche Flachland zur Kenntnis. Das landschaftstypische Bauen wurde sogleich in die realisierten Erfolge eingearbeitet. Der hauptstädtische Mitarbeiter, ohne dessen Mitwirkung wir das Wallenstein-Haus-Problem nicht so umfassend gelöst hätten, benachrichtigte alsbald seinen hauptstädtischen Bereich von den wirklich umwälzenden Veränderungen in Groß-Grobzow. Wir bekamen dokumentiert, wie Flexibel wurde daraufhin das Euphorosinen-Palais mit großzügig geförderter Leitungs- in der Hauptstadt feierlich zum Wallenstein-Haus tätigkeit unserem historisch geerklärt. In Anwesenheit des schwedisehen Botschafwachsenen Wallenstein-Verständnis ters wurde dort eine kunstmarmorgeschmiedete immer besser gerecht geworden Tafel enthüllt, die Groß-Grobzows Rolle im Dreißigwird. jährigen Krieg würdigt. Bei der feierlichen Fernsehausstrahlung am Abend des 12. Juni direkt aus dem hauptstädtischen Euphorosinen-Palais konnten auch wir Groß-Grobzower uns davon überzeugen, wie unsere Mitarbeit und unsere Bedürfnisse immer besser verwirklicht werden. Deutlich bekamen wir dokumentiert, wie mit großzügig geförderter Leitungstätigkeit unserem historisch gewachsenen Wallenstein-Verständnis immer besser gerecht geworden wird. Wrr Groß-Grobzower sind stolz auf das Erreichte. Die diesjährigen Wallenstein-Feierlichkeiten haben daher bei uns den Wunsch aufleben lassen, alljährlich diese schöne Tradition wiederaufleben zu lassen. Somit bekennen wir uns dazu, daß unter der Führung unserer gegenwärtigen Erfolge Feldherr Fürst Wallenstein bereits vor vierhundertfünfzig Jahren seine umfassenden und anhaltenden Ergebnisse auch in Groß-Grobzow zugrunde legen konnte.
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Jochen Petersdorf
PtoOIJtJHt fJOIJöst »Du, Hannes?« - »Ja, Heinrich?<< - »Hast du das gestern in der Zeitung gelesen?« - »Nein.« - »Du weißt doch gar nicht, was ich meine.« - »Ach so. Ja, was meinste denn?« - »Na, den Artikel.« - »Ach so, ja, den habe ich gelesen.« - »Mensch, du weißt doch gar nicht, welchen Artikel ich meine.« - »Haste auch wieder recht. Also, welchen Artikel meinste denn?« - »Na den, wo sie schreiben, daß immer noch zuviel Wohnraum zweckentfremdet wird für Büros oder Lagerräume oder ähnliche Scherze.« »Auch in unserer Stadt?« - »Aber genau!« - »Dagegen müßte man was unternehmen!« - »Jawoll! Wrr gründen eine Kommission, die sich mit der Zweckentfremdung befaßt.« - »Da mach ich mit.« - »Ich auch.« - »Brauchen wir aber ein Büro.« - »Der alte Lehmann ist doch gestorben.« - »Stimmt! - Da sind wir ja arbeitsfähig. Auf ins Büro!!« '
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Wolfgang Schaller
Täglich hineingeboren in aufgestoßne Türen, laß wie bei einer Führung ich mich getreulich führen. Gefeuert sind die Öfen, verstopft ist jeder Spalt an den undichten Fenstern. Und trotzdem ist mir kalt. Gemacht sind schon die Betten für meinen Zukunftstraum. Ich stoß mich, statt zu schlafen, im abgeschrittnen Raum. Mir kommen nachts die Fragen und Ängste in den Sinn. Dann möcht ich vor mir fliehen und weiß doch nicht wohin. Verstrickt längst in den Netzen aus Regen und aus Normen, laß ich nach andrem Bilde mein eignes Bild verformen. Die Lenker stehn Parade an meinem Weg und lenken wie Unteroffiziere kommandotreu mein Denken. Ich sing im Gleichschritt Lieder, singt sie ein andrer vor. Bei mir klingt jedes Solo, als sänge ich im Chor. Als Mündiger ein Mündel und ohne Vormund nie, will ich erwachsen werden. Und Vater Staat weiß wie.
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Ernst Röhl
So wie unsere Züge immer zugiger werden, werden unsere Wagen immer gewagter. Hatten wir vor Jahren noch einen Trabant, so verbesserten wir unseren Lebensstandard immer mehr - über Wartburg, Lada, Golf bis hin zum Wolga - pardon, Volvo! - und zum Citroen. Allerdings benötigen wir auch von Jahr zu Jahr größere Wagen; denn unsere Pfunde werden immer pfundiger. Da leider die Parkplätze immer seltener und die seltenen Parkplätze immer voller werden, wird für meine Gattin und für mich das Aussteigen ein immer größeres, immer weniger lösbares Problem. Dieses kleine Beispiel beweist, daß unser Leben immer optimaler verläuft. Unsere Mark wird immer markiger. Aber auch unsere Lausitz kann sich sehen lassen. Unsere Natur wird immer natürlicher. Unsere Kunst wird immer künstlicher. Unsere Sportler werden immer sportlicher. Die Spitze in unserem Sport wird immer breiter, die Breite in unserem Sport wird immer spitzer. Unsere Goldmedaillen werden immer goldener. Unsere Theorie wird immer theoretischer. Unsere Praxis wird immer praktischer. Unsere offenen Worte immer offener. Wrr sind nicht nur selbst zufrieden, nein, wir selbst werden immer zufriedener. Denn wenn wir nicht immer mehr selbst zufrieden sind -wer dann? Wir werden immer kritischer. Und: Wir werden immer selbstkritischer. Wrr können immer stolz auf uns sein. Was wären wir ohne uns .
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1981
1981 15. Januar
DEFA-Filmpremiere >>Unser kurzes Leben<< nach dem Roman >>Franziska Linkerhand<< von Brigitte Reimann.
30. Januar-1. Februar Bernhard Germeshausen/ Hans-Jürgen Gerhardt werden Weltmeister im Zweierbob in Cortina d' Ampezzo (Italien). 7.-8. Februar
Brigitte Reimann
Impressionismus · ist, wenn ein Maler malt, was er sieht. Expressionismus ist, wenn ein Maler malt, was er empfindet~
Sozialistischer Realismus .ist, wenn ein Maler malt, was er hört.
Am gleichen Ort erringt der Viererbob DDR 1 (Germeshausen, Gerlach, Trübner, Gerhardt) den Weltmeister-Titel.
21.-22. Februar In Grenoble (Frankreich) wird Karin Enke Sprint-Weltmeisterin im Eisschnellauf. 23. Februar-2. März Auf dem 26. Parteitag der KPdSU wird wiederum Leonid Breshnew gewählt. Im Anschluß findet ein sowjetischpolnisches Gipfeltreffen statt. .
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Ein Delegierter von der Tschuktschenhalbinsel kommt zur Parteihochschule in Moskau und wird auf seine Vorkenntnisse geprüft. »Bitte Genosse, -sage uns, wer war ~l Marx, wer Friedrich Engels? « Achselzucken. >>Karinst du uns sagen, wer Lenin war? Oder Stalin?« Schweigen. Der Vorsitzende der·Prüfungskommission ruft den Parteisekretär äes Autonomen Gebietes der Tschuktschen an: »Sag mal, wen habt ihr uns da geschickt? Der kennt ja · nicht mal Lenin und Stalin!« - >)Na, warum regst du dich auf! Ihr in Moskau habt eure Bekannten, wir haben unsere. (( .
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11. März
Im Pariser Museum für moderne Kunst wird die Ausstellung >>Malerei und Grafik in der DDR<< eröffnet.
13. März
Eröffnung des Interhotels >>Merkur<< in Leipzig.
14. März
Eröffnung des Albert-Einstein-Museums in Caputh bei Potsdam.
15. März
In Berlin wird das Sport- und Erholungszentrum (SEZ) eröffnet.
19. März
In Moskau wird das Handelsabkommen über 5 Jahre unterzeichnet, das die Erdöllieferungen in die DDR regelt. Im selben Jahr kommt es zu Kürzungen der Lieferungen, so daß die DDR das Erdöl teuer auf dem Weltmarkt einkaufen muß, um ihren Exportverpflichtungen in den Westen nachzukommen.
26. März
Der >>Canto General<< von Mikis Theodorakis nach Pablo Neruda wird in der DDR uraufgeführt.
3. April
DEFA-Kinderfilmpremiere >>Als Unku Edes Freundin war<< nach dem Kinderbuch von Alex Wedding.
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Mikis Theodorakis
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Zeittafel 1981 11.-16. April
Der X. Parteitag der SED findet im Palast der Republik statt. Günter Schabowski wird Kandidat des Politbüros.
Das Beste zum X. Parteitag - der Rest zum Wohle des Volkes. 29. April
Anläßlich des 200. Geburtstages von Karl Friedrich Schinkel werden die zur Schloßbrücke (Marx-Engels-Brücke) gehörenden Skulpturen aus Westberlin nach Ostberlin überführt und wieder aufgestellt.
2.-3. Mai
Maxi Gnauck wird vierfache Europameisterin im Turnen (Vierkampf, Stufenbarren, Schwebebalken, Boden) in Madrid.
21. Mai
Gründung des Ernst-Busch-Archives der Akademie der Künste der DDR als Gedenk- und Lehrstätte im ehemaligen Wohnhaus des Arbeitersängers und Schauspielers.
8.-21. Mai
Olaf Ludwig gewinnt bei der Friedensfahrt fünf Etappen und das violette, weiße und rosa Trikot.
26.-31. Mai
Erich Honecker auf Staatsbesuch in Japan. Die Lieferung von 10000 PKW Typ Mazda wird beschlossen.
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Ernst Busch
Das Feinmechanik-Kombinat hat einen Draht entwickelt, der so dünn ist, daß er mit den DDR-eigenen Meßgeräten nicht gemessen werden kann. Darauflrin sendet der Kombinatsleiter den Draht zum Nachmessen nach Japan~ ~ach einiger Zeit kommt das Päckchen zurück. Stolz öffnet der Kombinatsleiter das· Päckchen . vor den Augen des Zentralkomitees. In dem Päckchen liegen die Tüte mit dem Draht und ein Brief aus Japan: »Liebe Kollegen, leider ist uns der Brief zu Ihrem Päckchen abhanden gekommen. Somit wußten wir nicht mehr, was wir mit der Lieferung anfangen sollten. Wrr haben Ihnen deshalb als Service ein Außen- und Innen.gewinde am Dräht angebracht!(< .
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29. Mai
Anordnung des Ministeriums für Volksbildung über den Wehrkundeunterricht an den Erweiterten Oberschulen in den Klassen 11 und 12.
2.-5. Juni
Beim XI. Parlament der FDJ wird Egon Krenz zum 1. Sekretär des Zentralrates gewählt.
11 . Juni
Festlegung über Ausbildungshilfen für Schüler der Erweiterten Oberschule, ab der 11. Klasse 110 Mark, ab der 12. Klasse 150 Mark. Lehrlinge erhalten zwischen 105 und 220 Mark. Das Grundstipendium für Direktstudenten wird auf einheitlich 200 Mark monatlich erhöht.
12. Juni
DEFA-Filmpremiere >>Sing, Cowboy, sing<<. Buch, Regie und Hauptdarsteller: Dean Reed.
14. Juni
Bei den Wahlen zur DDR-Volkskammer stimmen 99,86 °/o der Wähler für die Kandidaten der >>Nationalen Front<<. Erst•
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»Was ist vollendeter Sozialismus?« »Wenn der Paiteise~; · kretär den Pfarrer fragt, ob er ihn am Sonntag trauen kann, der jedoch antwortet: >Am Sonntag ·.· · hab ich keine Zeit, da muß ich zur Kampfgruppenübung.<« -
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malig werden die Berliner Volkskammerabgeordneten direkt gewählt, wogegen die Westmächte Protest erheben. 20. Juni
Das ehemalige Salzbergwerk Morsleben wird zur zentralen Endlagerstätte für radioaktive Abfälle bestimmt.
20.-21. Juni
In Weitra (Österreich) wird Jens Scheffler Europameister im Motorradgeländesport.
26. Juni
Das letzte Todesurteil der DDR wird vollstreckt: MfS-Hauptmann Werner Teske wird wegen Verrats hingerichtet.
8. Juli
Käthe-Kollwitz-Preis für die Kinderbuchautorin und lllustratorin Elizabeth Shaw.
13. August
Anläßlich des 20. Jahrestages des Mauerbaus kritisiert DDRStaats- und Parteichef Erich Honecker Reagans Entscheidung für den Bau der Neutronenbombe.
Elizabeth Shaw
Bei Müllers klingelt es an der Wohnungstür. Herr Müller öffnet. Ein Dame von der Wohnparteigruppe steht vor der Tür. »Herr Müller, wie stehen Sie zur Neutronenbombe?« - »Üh«, sagt Herr Müller, »da muß ich erst meine Frau fragen.« Er kommt zurück: »Ist gut, wir nehmen eine.« 15.-16. August In Zagreb gewinnen die DDR-Leichtathleten beide Europapokale. 20. August
In einem gemeinsamen Appell von 150 europäischen Autoren, unter anderem Heinrich Böll, Lew Kopelew und Anna Seghers, werden ein Ende des Wettrüstens und der Baustop für die Neutronenbombe gefordert.
23. August
Der Schauspieler und Komiker Rolf Herricht stirbt im Alter von 53 Jahren während einer Aufführung von >>Kiss Me, Kate<< auf der Bühne des Berliner Metropoltheaters.
26.-29. August Falk Boden, Bernd Drogan, Mario Kummer und Olaf Ludwig erkämpfen in Prag den Weltmeister-Titel im 100-km-Straßenfahren.
Anna Seghers
17. September DEFA-Filmpremiere >>Bürgschaft für ein Jahr<< mit Katrin Saß. 15.-20. September Internationales Schlagerfestival in Dresden. 24.-25. September Kulturkonferenz der Nationalen Volksarmee in Berlin unter dem Motto: >>Mit sozialistischer Kultur und Kunst für hohe Gefechtsbereitschaft. << 1. Oktober
Der frühere Referent des Bundeskanzlers Willy Brandt, Günter Guillaume, der 1975 wegen DDR-Spionage zu dreizehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war, wird im Zuge eines Agentenaustausches in die DDR entlassen.
6. Oktober
Eröffnung der Probebühne der ersten freien Theatergruppe (>>Zinnober<<) in einem Laden in Berlin-Prenzlauer Berg.
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Zeittafel 1981 8. Oktober
DEFA-Filmpremiere >>Darf ich Petruschka zu dir sagen?<<
8. Oktober
Feierliche Einweihung des neuen Gewandhauses in Leipzig. Unter Leitung von Dirigent Kurt Masur spielt das Gewandhausorchester. '
29. Oktober
Erhöhung des Kindergeldes für das dritte und jedes weitere Kind auf 100 Mark monatlich.
20. November Im Süden Berlins wird der Teltowkanal nach 36 Jahren für den zivilen Güterschiffverkehr von und nach West-Berlin wiedereröffnet.
11.-13. Dezember Innerdeutsches Gipfeltreffen zwischen Honecker und Bundeskanzler Schmidt am Werbellin- und am Döllnsee. 13. Dezember Auf Einladung von Stephan Hermlin kommen rund 100 namhafte Künstler und Wissenschaftler aus ganz Europa nach Berlin, um gegen die geplante Aufstellung amerikanischer Pershing-Raketen zu protestieren. 13. Dezember In Polen wird das Kriegsrecht verhängt. 18. Dezember In Moskau verleiht Erich Honecker Breshnew zu dessen 75. Geburtstag den Ehrentitel >>Held der Deutschen Demokratischen Republik<<. 21. Dezember Wirtschaftsgespräche zwischen Berthold Beitz (Krupp) und Erich Honecker und Günter Mittag.
Ein klapperdürrer polnischer Schäferhund und ein vollgefressener DDR-Mops treffen sich auf der Brücke der Freundschaft in Frankfurt/Oder. »Wo willst du hin?« fragt der Dicke. Der andere antwortet: »In die DDR. Mal wieder richtig was fressen! Und was willst du in Polen?« - »Mal wieder richtig bellen.«
Oflerliga-Plazierung 1981 .
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FC Dynamo Berlin FC Carl Zeiss Jena 1. F.C Magdeburg SG Dynamo . Dresden ,FC Vorwärts Frank.
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1981 verlassen 15433 DDR-Bürger das Land. Sportler des Jahres:
Fernsehlieblinge:
neue Bücher:
große Hits:
Ute Geweniger (Schwimmen)
Helga Hahnemann Helga Göring Herbert Köfer Dieter Mann Klaus Feldmann Heinz Florian Oertel 0. F. Weidling Frank Schöbel Petra Kusch-Lück
Franz Fühmann >>Sa iäns-Fiktschen <<
>>He John<< Puhdys
Hermann Kant >>Der dritte Nagel<<
>>Der blaue Planet<< Karat
Rosemarie Zeplin >>Schattenriß eines Liebhabers<<
>>Der Eine und der Andere<< Stern Combo Meißen
Erik Neutsch >> Forster in Paris<<
>>Das einzige Leben<< Karussell
Erwin Strittmatter >>Selbstermunterungen<<
>>Hallo Mary Lou<< Prinzip
Lothar Thoms (Bahnradsport) Männermannschaft Handball des SC Magdeburg
Torschützenkönig der Oberliga: Joachim Streich vom 1. FC Magdeburg mit 20 Treffern
>>Frau am Fenster<< Gaby Rückert
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Zeittafel 1982
1982 6. Januar
Manfred Decker wird Sieger der 30. Internationalen Vierschanzentournee (BRD/Österreich).
8.-10. Januar
Fünfzehn führende Rock-Gruppen der DDR spielen >>Rock für den Frieden<< im Palast der Republik.
Was ist der Unterschied zwischen der Sonne und einem DDR-Rockmusiker? - Es gibt keinen. Im Osten gehn sie auf, und im Westen gehn sie unter. '
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21. Januar
DEFA-Filmpremiere >>Romanze mit Amelie<< nach Benito Wogatzki.
25. Januar
Auf Initiative des Pfarrers Rainer Eppelmann wird der >>Berliner Appell - Frieden schaffen ohne Waffen<< verfaßt.
30. Januar
Erstaufführung von Brechts >>Trommeln in der Nacht<< in Schwerin, Regie: Christoph Schroth.
2. -7. Februar
Sabine Baeß und Tassilo Thierbach werden Europameister im Paarlauf bei den EM im Eiskunstlauf in Lyon .
11. Februar
Das Innenministerium teilt mit, daß der Katalog >>Dringende Familienangelegenheiten<<, der auch DDR-Bürgern außerhalb des Rentenalters Reisen in den Westen erlaubt, erweitert wird.
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13.-14. Februar Karin Enke gewinnt in Inzell den Weltmeister-Titel im Eisschnellauf (Großer Vierkampf) mit Weltrekord.
Konrad Wolf
14. Februar
In der Kreuzkirche in Dresden findet mit etwa 5000 meist jugendlichen Teilnehmern aus den Reihen der christlichen Friedensbewegung ein Friedensforum statt.
27. Februar
DDR-Erstaufführung von Brechts >>Baal<< in Erfurt, Regie: Friedo Solter.
7. März
Der Regisseur Konrad Wolf stirbt.
9./10. März
Der Vorsitzende des Exekutivkomitees der PLO, Yassir Arafat, wird in Ost-Berlin mit den protokollarischen Ehren
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Zeittafel 1982
eines Staatsoberhauptes empfangen. Die Vertretung der PLO in der DDR wird zur Botschaft aufgewertet. 17 ./18. März
Anläßlich der Leipziger Messe finden Gespräche zwischen Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff und dem Leiter der DDR-Wirtschaftskommission Günter Mittag statt.
Der Saporoshez hat auf der Messe gleich zwei Preise bekommen. - Oh, wie denn das? - Als for1nschönster Traktor und leisester Panzer. 18. März
DEFA-Filmpremiere >>Die Gerechten von Kummerow<<.
18. März
In Ost-Berlin treffen erstmals Abgeordnete der Volkskammer und des Bundestages zusammen.
18.-27. März
Bei der Weltmeisterschaft in Klagenfurt (Österreich) gewinnt die Eishockey-Nationalmannschaft das B-GruppenTurnier.
22. März
Offizieller Festakt zu Goethes 150. Todestag in Weimar.
25. März
Neues Wehrdienstgesetz, das das Wehrpflichtgesetz von 1962 ablöst, außerdem gibt es ein neues Grenzgesetz.
29. März
Der polnische Partei- und Regierungschef Jaruzelski trifft zu einem Besuch in der DDR ein.
9. April
Der DDR-Dissident Robert Havemann stirbt im Alter von 72 Jahren.
11. April
Die evangelische Kirche kritisiert das staatliche Vorgehen gegen das Friedenssymbol >>Schwerter zu Pflugscharen<<.
21. April
DEFA-Filmpremiere >>Märkische Forschungen<< nach Günter de Bruyn, mit Hermann Beyer, Kurt Böwe, Jutta Wachowiak.
29. April
Weltpremiere der 3. Sinfonie von Mikis Theodorakis in der Komischen Oper in Berlin.
Günter Mittag
Die Stadt Weimar plant ein GoetheDenkmal. Es wird ein Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich alle Künstler des Landes beteiligen. Gewonnen hat der Entwurf »Honecker liest Goethe«.
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. 1..Mai. Tausende Menschen ziehen mit Fa:hnen und 'ffansparenten an der Tribüne (jes Pohtbüros vorüber. Günter.Mittag weist Honec,ker auf eine besonders origii!elle Losung hin. Da neißt es: ~>Unsere Fisehprodilkte sind ein _Beitrag zur Bekämpfifug des Imperialis- -• --~ . mus!~< Honecker nickt Mittag zustimmend zu und fljistef:t; »Aber _ . wie, Günter, bringen wir die Imperialisten dazu, diese~ Zeug zti !ressen?«
Jutta Wachowiak
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Zeittafel 1982 19.-21. Mai
Freundschaftsbesuch einer Partei- und Staatsdelegation der Demokratischen Republik Afghanistan unter Leitung von Babrak Karmal.
24. Mai
Hans-Otto Bräutigam wird neuer Ständiger Vertreter Bonns in der DDR und löst Klaus Sölling ab.
27. Mai
Großkundgebung zum >>Pfingsttreffen der Jugend<< unter dem Motto: >>Frieden schaffen gegen NATO-Waffen!<<
14. Juni
Das 23stöckige Hochhaus der Charite wird eingeweiht und an die Humboldt-Universität übergeben. Die alten Gebäude des Krankenhauses werden renoviert.
18. Juni
Zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland wird vereinbart, den zinslosen Überziehungskredit (Swing) der DDR bis 1985 schrittweise von 850 Millionen auf 600 Millionen Verrechnungseinheiten zu reduzieren.
13. Juli
DEFA-Kinderfilmpremiere >>Der lange Ritt zur Schule<<.
15. Juli
Die sowjetischen Streitkräfte in der DDR stationieren erste Kurzstreckenraketen >>SS 21 <<.
4. September
Weltmeister-Titel für Bernd Drogan im Straßenradsport der Amateure in Goodwood (England).
13. September Erster Spatenstich am DDR-Bauabschnitt der im Februar als Zentrales FDJ-Jugendobjekt übergebenen Erdgastrasse in der Ukraine. .
26. September DEFA-Filmpremiere >>Sonjas Rapport<< nach dem Erfolgsbuch von Ruth Werner. 1. Oktober
Nach dem Mißtrauensvotum gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt wird Helmut Kohl Kanzler der Bundesrepublik.
2. Oktober
Eröffnung der IX. Kunstausstellung in Dresden.
6. Oktober
Nationalpreis für die Puhdys.
6. Oktober
Das Pergamon-Museum bekommt einen neuen, repräsentativen Eingang.
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Ruth Werner
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Japanische Geschäftsleute auf DDR~Besuch. Auf die Frage, was . Sie am meisten beeindruckt habe, antW"orten sie: »Uns haben am besten ihre drei schönen Museen gefallen ~ Pergamon, Pentacon · und Robotron. « · .· .
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Zeittafel 1982 27. Oktober
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Der Schauspieler Herwart Grosse stirbt mit 74 Jahren.
10. November Der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid 1. Breshnew stirbt in Moskau. Nachfolger wird Juri Andropow. Am Rande der Trauerfeierlichkeiten in Moskau treffen sich Bundespräsident Karl Carstens und Erich Honecker.
20. November Freigabe der 265 km langen neuen Autobahn zwischen Berlin und Hamburg. ..
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Was bedeuten die Verkehrsschilder 8:&, 60, 30? · Auf einen Kilometer 80 Schlaglöcher, 60 cm breit, 30 cm tief. 3. Dezember
Gesetz über den Volkswirtschaftsplan 1983: der Ausbau der Braunkohlenutzung wird beschlossen.
Oberliga-Plazierung 1982
14. Dezember
Weltrekord über 5 000 m im Eisschnellauf durch Karin Kania in Karl-Marx-Stadt.
1. FC Dynamo Berlin 2. SG Dynamo Dresden 3. 1. FC Lokomotive Leipzig 4. FC Vorwärts Frankfurt .· 5. FC Carl Zeiss Jena 6. 1. FC Magdeburg 7. FC Rot-Weiß Erfurt 8. FC Hansa Rostock 9. FC Karl-Marx-Stadt 10. BSG Wismut Aue ·11. FC Chemie Halle 12. BSG Sachsenring Zwickau 13. FC Energie Cottbus 14. BSG Chemie Buna Schkopau .
15. Dezember Der neue Fernbahnhof Berlin-Lichtenberg wird eröffnet. 20.-22. Dezember Teilnahme einer DDR-Delegation unter Leitung von Erich Honecker an den Feierlichkeiten zum 60. Gründungstag der Sowjetunion in Moskau.
Honecker fährt nach seinem Staatsbesuch bei Breshnew zum Flugplatz. Plötzlich läßt er den Konvoi anhalten, steigt aus, geht auf den Acker, sammelt ein paar Steine auf, steigt wieder ein und läßt weiterfahren. Nach wenigen hundert Metern dasselbe Spiel anhalten, aussteigen, Steine einsammeln, einsteigen, weiterfahren. Dem Eskortenführer wird die Sache langsam unheimlich. Als Honecker erneut halten läßt, wird es ihm zu bunt. Er meldet die Sache über Funk seiner Zentrale. Zwei Minuten später bekommt er von dort den Befehl, den Konvoi sofort umkehren zu lassen. »Warum?« fragt er verblüfft. Antwort der Zentrale: »Honecker wurde versehentlich das Programmfpr LUNOCHOD eingelegt.« 1982 verlassen 13203 DDR-Bürger das Land. Sportler des Jahres: Marita Koch Leichtathletik
Fernsehlieblinge:
Horst Drinda Helga Göring Heinz Rennhack Bernd Drogan Agnes Kraus Radsport Klaus Feldmann Friedensfahrtmannschaft Petra Kusch-Lück Herbert Köfer Torschützenkönig der Frank Schöbel Heinz Florian Oertel Oberliga: Helga Hahnemann Rüdiger Schnuphase vom FC Carl Zeiss Jena mit 19 Treffern
neue Bücher:
große Hits:
Jurij Brezan >>Bild des Vaters<<
>>Außenseiter<< Puhdys
Christoph Hein >>Der fremde Freund<<
>>Jede Stunde<< Karat
Christine Wolter >>Die Alleinseglerin<<
>>Glaube an dich<< Berluc
Claus Hammel >>Die Preußen kommen<<
>>Leben möcht ich<< Stern Combo Meißen
Erwin Strittmatter >>Wahre Geschichten aller Ard(t)<<
>>Keiner will sterben<< Karussell >>Werkstattsong<< Pankow
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Rae Nachweise Die Karikaturen stammen von: Heinz Behling: 23, 60, 68, 84, 1041. Manfred Bofinger: 29, 31, 46, 65, 95, 108, 115, 119 Henry Büttner: 45 Peter Dittrich: 12, 33, 51, 104 1. Barbara Henniger: 13, 34, 37, 39, 47, 53, 63, 74, 117 Heinz Jankofsky: 90, 94 r., 97, 98 Harald Kretzschmar: 120, 121, 122, 124, 125, 126, Harri Parschau: 8, 17, 77, 88, 93, 111 Louis Rauwolf: 54, 56, 76, 113 Horst Schrade: 86, 57, 58, 73, 101 Karl Schrader: 15, 44, 94 r.
Fotos: DEFA-Siftung: 18, 19 junge Welt, Horn: 11, 20 Klaus Winkler: 41, 71 Manfred Uhlenhut: 79 Archiv Preil: 80, 81 Für die freundliche Genehmigung zum Abdruck der Texte danken wir den Autoren, Zeichnern und Erben. Nicht in allen Fällen ist es uns gelungen, Rechteinhaber und Rechtsnachfolger zu ermitteln. Berechtigte Honoraransprüche bleiben gewahrt.
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