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Die Jahre 1983-1984: Mein Dörfchen, das heißt DDR •
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Weltbild •
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Mathias Wedel: Die DDR war ... 1. Kapitel: Mein Dörfchen, das heißt DDR
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Hell Busse Herein, herein, du lieber Gast
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Peter Hacks Mein Dörfchen
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Achim Fröhlich DieJabaner
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Renate Holland-Moritz Kultureller Gipfelst11nn
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Angela Gentzmer Hallo, Taxi! 2. Kapitel: Alles zum Wohle des Volkes Humorvolles aus dem Alltag
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Irmgard Abe Olsenbande mit Grünkohl, Pute t1nd Gans
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Mathias Wedel Warum lacht der Mensch?
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Johannes Conrad Ich schreib das sowieso nicht, schreib ich das!
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Jochen Petersdorf Hauptsache, es schmeckt
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Angela Gentzmer Eine Führung durch den Friedrichstadtpalast mit Helga Hahnemann
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John Stave Gesundheit 3. Kapitel: Lernen, lernen, nochmals lernen Als wir Schüler und Pioniere waren
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Peter Ensikat Ba11mschulung
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Hansgeorg Stengel Versetzungsgefährdet
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Ottokar Domma Karl Marx, Mai tin Luther und Herr Burschehnann
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Inhalt
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Ernst Röhl
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Elternbesuch
Heli Busse
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Der dritte Bildungsweg
41 Kapitel: Was des Volkes Hände schaffen
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Wir Werktätigen in Stadt und Land
Wolfgang Schaller Praktikt1m
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Manfred Strahl
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Bügelknaben
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Klaus Lettke
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Ganz einfach
Matthias Biskupek Wie meißelt man ein Süßstoffkombinat
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Ernst Röhl Der Oho-Effekt
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Hanskarl Hoeming In der Brigade
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Jochen Petersdorf
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Der Feiertag 51 Kapitel: Heißer Sommer Von Ostseestrand, Datsche und Jugendclubs
III
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John Stave Lob der Naherholung
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Hansgeorg Stengel Beschwerdebrief
Heli Busse Im Streß für den Nachwuchs Achim Fröhlich Grill-Party Peter Ensikat Nur der Gast macht sich strafbar
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Achim Fröhlich Hauptsache
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Inhalt
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6. Kapitel: Höher, schneller, weiter! Sportlich sportlich
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Achim Fröhlich
1:
Sport-Infonnation
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Lothar Kusche Ein König, zäh wie Leder
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C. U. Wiesner Frisör Kleinekorte als Fußballfan
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Edgar Külow Schicksalsspiel
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Johannes Conrad Laufzettel 7. Kapitel: Unter vier Augen Über Verliebte und Verheiratete „' ' '<'
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Hell Busse
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Die Rassefrau
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John Stave H11rra, wir wurden Vater! Hansjoachim Riegenring
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Das Mädchen aus der Dose
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Achim Fröhlich Zeitzünder 8. Kapitel: Wo wir sind, ist vorn! Es geht seinen sozialistischen Gang
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Matthias Biskupek iit,hllDA $111«!C.t.t.'IQwdntla..'r •-t·l~t..'4tl ~ ._, 0 Obl<·
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Staatsbesuch
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Klaus Lettke Unredliche Anmerkungen
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Peter Ensikat Einer schminkt sich ab
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John Stave Das Schöne an der Umweltverschmutzung Zeittafel Rechtlich es
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VVas für ein VVitz
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R, war „„„ bekanntlich ein Furz, ein Fliegenschiß, eine alte Socke, eine Fußnote der Weltgeschichte. Ein Witz, ein einziger, umständlich erzählter und am Schluß traurig mißglückter Witz. Für das Jahr 1983 ist das leider wahr. Davor und danach ist die DDR alles Mögliche gewesen, gelegentlich sogar aufregend und stets über•• voll mit Witzen - neben Industrieeiern das einzige, was wir im Uberfluß produzierten. Dieses 1983 jedoch war das langweiligste, das laueste, das hoffnungsloseste Jahr der DDR-Geschichte. Das galt sogar fürs Wetter. Es ging alles so was von seinen Gang! Dazu paßte, daß Udo Lindenberg im Palast der Republik vor ausgewählten FDJlern sang und Franz Josef Strauß der DDR einen Milliardenkredit vermachte - vermutlich, damit sie sich noch ein Weilchen quält -, daß der Westberliner Senat mit der DDR über den Zustand der Berliner Forsten stritt, daß ich für eine Doktorarbeit über den politischen Witz politische Witze in Berliner Kneipen zu sammeln begann, aber von der Institutsleitung als Trinker entlarvt wurde, daß zwei westdeutsche Transitreisende unabhängig voneinander vor Aufregung, in den Kommunismus einzureisen, an der Grenze den Herztod erlitten, und daß Juri Andropow sowjetisches Staatsoberhaupt wurde. Kaum war dieses fadeste aller Jahre im Sozialismus verstrichen, begann das nächste. Und das war kein Fliegenschiß mehr. Andropow starb sogleich, und Bärbel Bohley streikte mit Hunger. In der US-Botschaft, in der Ständigen Vertretung der BRD in Berlin und in der Westdeutschen Botschaft in Prag stauten sich die Flüchtlinge. Es waren wenige. Aber es wehte schon ein anderer Wmd in den Witzen. Nicht der Furz vom Vorjahr. Udo Lindenbergs Tournee durch die DDR wurde von der FDJ abgesagt, Erich Honecker übergab die zweimillionste Platte, Volkswagen lieferte Motoren für die antike Wartburgkarosse, die Pläne wurden nur noch mit Beschiß erfüllt und der Westberliner Senat bezahlte die Hälfte der Kosten für die Instandsetzung der Glienicker Brücke, über die ein paar Jahre später die ersten paar Potsdamer ins schlafende Zehlendorf vorstießen. Praktisch war die DDR zu Silvester am Ende. Aber weil das damals noch keiner wußte, lebte sie noch ein paar Jahre. Als jemand, der sich aus ethnologischem Interesse für Witze interessiert, habe ich ein Handicap: Ich merke mir keinen einzigen. Ich vergesse sie in dem Augenblick, in dem ich gelacht habe, ja, das Lachen scheint den Witz aus meinem Gedächtnis zu löschen. Deshalb bin ich, nebenbei gesagt, auf Bücher wie dieses angewiesen. Mathias Wedel
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Heli Busse
)). .. und ganz weit da hinten am Werkzaun ist die lVelt zu Ende.<<
Die meisten Völker kennen wir nicht persönlich, aber aus den Beschreibungen der Schriftsteller und den Erzählungen Dienstreisender wissen wir alle zuverlässig: Wohin unsere Leute auch immer kommen - sie werden sehr gastfreundlich aufgenommen. Was wir nicht alle so zuverlässig wissen, ist, wie die Leute anderer Völker bei uns aufgenommen werden. Unsere uns so sympathisch machende Bescheidenheit verbietet uns, dies ständig breit zu popularisieren. Meiner Ansicht nach ist das übertriebene Zurückhaltung. Wir sollten ruhig darüber reden, denn wir sind wirklich gut, wenn auch etwas anders gut als andere. Wir haben unsere Besonderheiten. Kürzlich wartete ich auf dem Flughafen Schönefeld auf einen Gast aus einem sehr fernen Land. Die Digitaluhr zeigte 00.30. Zu so später oder, wenn man will, früher Stunde wird die Ehre, den Gast zu empfangen, in der Regel einem Dolmetscher übertragen. Der Gast ist erschöpft von der langen Reise, und es wäre unhöflich, ihn um 0.30 Uhr noch offiziell mit ausführliehen Begrüßungsreden, die zu halten unsere Tradition uns auferlegt, vollends zu erledigen. Ein einzelner Dolmetscher aber darf auf Tradition verzichten und dem Ruhebedürfnis des Gastes und damit erfreulicherweise zugleich auch dem der Gastgeber Rechnung tragen. Interessierten sei verraten, daß es sich bei dem 0.30-Uhr-Gast um den in Johann Wolfgang Müllers »Und einsam wedelt die Palme« beschriebenen und dadurch unsterblich gemachten Freund Johann Wolfgang Müllers handelte, um jenen großarti-
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gen Menschen also, der unserem Johann Wolfgang Müller das ferne Land mit viel Liebe und Geduld erschloß und darum für unseren Johann Wolfgang Müller zur Inkarnation aller möglichen Gastfreundschaft wurde. Kein Wunder also, daß die erste Frage des aus der Zollabfertigung Heraustretenden dem Wohlergehen seines Freundes Johann Wolfgang Müller galt. Dem Gast wurde frohe Kunde: Seinem und unserem Johann Wolfgang Müller geht es gut - er schläft! Diese Schilderung soll nicht den Eindruck erwecken als hielte ich J. W. Müller oder Schriftsteller überhaupt in Sachen Gastfreundschaft für besonders begabt. Mir sind alle gleich lieb, und ich will keinen herausstreichen. Einige Zeit davor hatte ich zum Beispiel den Gast eines belletristisch überhaupt nicht tätigen Professors zu empfangen. Auf der Fahrt in die Stadt erzählen die Gäste gewöhnlich mit letzter Kraft, wie aus ganzem Herzen froh sie wären, endlich ihrerseits den beruflichen und häuslichen Wirkungskreis jener hervorragenden Persönlichkeit kennenzulernen, der sie bei sich daheim sozusagen Tür und Tor zu einem angenehmen und zugleich bildenden Aufenthalt öffneten. Fast immer erfahren die Anreisenden dann beglückt, daß die hervorragende Persönlichkeit nach ihrer Rückkehr in unser Land noch lange von den erstklassigen Hotels und Badestränden, dem vorzüglichen Essen und Kulturerlebnis und der gastlichen Aufnahme bei Frau und Kinderschar sowie dem eigens zu ihrer persönlichen Verfügung stehenden Kraftwagen nebst Fahrer geschwärmt hätten. Allerdings muß man auch manchmal etwas davon weglassen. Von der Schwärmerei des belletristisch nicht tätigen Professors über den personengebundenen Gästewagen sagte ich dessen Gast zum Beispiel nichts. Denn wir fuhren mit der letzten S-Bahn ins Stadtzentrum, und der Gast - ein Prognostiker hätte bei Erwähnung eines Autos möglicherweise angefangen, Berechnungen darüber anzustellen, wie groß die Einsparungen für sein noch in der Entwicklung befindliches Land in der Perspektive durch eine S-Bahn wären. Ich denke, man darf nichts übertreiben und seine Gäste nicht gleich bei der Ankunft mit solchen Fachproblemen konfrontieren. Zuweilen muß man sogar versuchen, die Gäste von jeglichem Nachsinnen über die unterschiedlichen Arten der Gastfreundschaft abzubringen. In Halle zum Beispiel fiel in einer stürmischen, kalten Regennacht ein Wissenschaftler an, den sie in Berlin vom Flugzeug aus gleich
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auf die Bahn gesetzt hatten, weil in seinem Falle keine Berliner, sondern eine Hallenser Institution verantwortlich zeichnete. Manche Ausländer wundem sich über diese strenge Arbeitsteilung bei der Gastfreundschaft und besonders darüber, daß bei uns um 16, spätestens 17 Uhr überhaupt ganz Schluß und Feierabend damit ist. In manchen Ländern unterhalten sie sich die halbe Nacht lang mit ihren Gästen, und viele Fremde denken zunächst, bei uns wäre dies genauso. Indessen - andre Länder, andre Sitten, und wenn die Gäste erst eine Weile bei uns sind und merken, daß der neue Tag pünktlich um 7 Uhr morgens mit den ersten Referaten und Vorträgen beginnt, gewöhnen sie sich die nächtlichen Eskapaden rasch ab und beginnen, das Leben so ernst zu nehmen wie wir, und dazu gehört eben, daß um 17 Uhr Feierabend ist. Als die Berliner den Wissenschaftler auf Zu einem Arbeitsessen erscheinen immer die Bahn setzten, um ihn den Hallensern sehr viel mehr Leute, als sich sonst etwa zu überantworten, hatten sie nicht bebeim Besuch des Pergamonaltars oder einer dacht, daß der Mann in Halle erst anGedenkstätte um den Gast bemühen. kommt, wenn auch dort sozusagen Polizeistunde für Gastfreundschaft und also niemand mehr greifbar ist, der den Professor vom Bahnhof abholen könnte. So war lediglich ein umständliches Schicksal zugegen, das den Fremden lange Irrfahrten mit der Straßenbahn durchstehen ließ, bevor es ihn gegen Mitternacht in ein vollgestopftes Internat führte. Am folgenden Tag erfuhr der Professor übers Telefon von der Haushälterin seines Gastgebers, daß dieser ihn sowieso nicht empfangen könne, da im Hause renoviert würde. Renovierungen sind nichts Seltenes bei Gastgebern. Der eingangs erwähnte Johann Wolfgang Müller zum Beispiel, der in seinem Werk »Und einsam wedelt die Palme«nirgendwo andeutet, daß er im fremden Land Schwierigkeiten mit der Unterkunft wegen Renovierung gehabt hätte, konnte sich hier bei uns mit seinem von ihm unsterblich gemachten Freund nur ganz kurz und knapp im Weimarer Elephanten treffen - Müller renovierte daheim. Im statistischen Durchschnitt renovieren nach meiner Erfahrung fünf von zehn Familien, die sonst sicher gern der Bitte entsprächen, sich einen Abend lang um einen ausländischen Gast zu kümmern. Manche Ausländer fahren daher mit der Überzeugung nach Hause, das Renovieren sei eine unserer Hauptlebensentäußerungen, aus der sich zwangsweise auch der unerbittliche Feierabend um 17 Uhr ergäbe: Unsere Leute müs-
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sen heim, Tapeten an die Wand werfen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß bei uns nun gleich überhaupt kein geselliges Beisammensein mit den Gästen zustande käme. In der Regel gibt es ein Arbeitsessen, in dessen Verlauf dem Gast durch Kurzreferate noch einmal alles Wesentliche ins Gedächtnis gerückt wird. Damit dennoch alle zum Essen und Trinken kommen, muß natürlich stets eine ausreichend große Zahl von Essern und Trinkern bzw. Rednern vorhanden sein, die sich ablösen können. Zu einem Arbeitsessen erscheinen daher immer sehr viel mehr Leute aus dem Umfeld des Gastgebers, als sich sonst etwa beim Besuch des Pergamonaltars oder einer Gedenkstätte um den Gast bemühen. So gibt es bei uns also auch beim Kauen keine Unterbrechung des Informationsflusses, was generell unserem Bemühen entspricht, niemanden ohne enzyklopädisches Wissen über unser Land aus diesem zu entlassen. Für manche Gäste ist diese ungeheure Arbeitsintensität etwas Ungewohntes, dem sie nicht immer gewachsen sind. Oft hat der Gast gegen Mittag bereits vier oder fünf Referate hochqualifizierter Kader gehört, und während sich diese zum Mittagessen in die Kantine begeben, kehrt eine für den Nachmittag vorgesehene Mannschaft hochqualifizierter Kader aus der Kantine zurück und stellt den nahtlosen Anschluß zu den nächsten fünf oder sechs Referaten her. In Dresden habe ich erlebt, wie ein ansonsten recht kräftiger ausländischer Gelehrter bei diesem System gegen 14 Uhr schlapp machte und um ein Glas Wasser bat, das ihm unsere Leute ziemlich erstaunt reichten, denn sie selber trinken ja gewöhnlich kein Wasser bei der Arbeit. Andere Ausländer haben eine bessere Konstitution. Ein Experte beispielsweise, der vom Gastgeber nach einem Vormittag voller Referate anschließend von Berlin nach Rostock gejagt worden war, stand gegen 19 Uhr plötzlich wieder voll auf den Beinen und wünschte sich, die Hafenstadt anzusehen. Da man ihn in einem Raum eines leerstehenden Internats abgesetzt hatte, der außer Bett, Tisch und Stuhl nichts für Rostock Typisches und auch nichts Eßbares enthielt, lag der Versuch nahe, irgendeine Gaststätte ausfindig zu machen. Der Zufall, der nach Feierabend im Leben unserer ausländischen Gäste eine entscheidende Rolle spielt, war dem Experten gnädig: Er vermittelte ihm die Bekanntschaft eines echten
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Warnow-Werft-Arbeiters, der nicht nur Rostock vorzüglich kannte, sondern auch seine Wohnung gerade nicht renovierte. In die lud er den Gast ein, stellte ihn seiner Frau vor, und die beiden verabreichten dem Fremden ausreichend Speise und Trank. Es wurde ein langer Abend so recht nach dem Geschmack des Gastes, der zum Abschied versicherte, daß er nach allem nie gedacht hätte, in unserem Land auch dies noch zu erleben. Nun gut - ich habe darauf verzichtet, den ausländischen Experten darüber aufzuklären, daß sich der Arbeiter - so angenehm der Abend dank ihm und seiner Frau auch verlief - Kompetenzen angemaßt hatte, die ihm nicht zustanden. Ich weiß nicht, wie ich diese Einmischung eines Betriebsfremden in die Kompetenzen des eigentlichen Gastgebers hätte verantworten sollen, wäre der Wamow-Werft-Arbeiter nicht zum Glück auch noch Volkskammerabgeordneter gewesen. Solche Unregelmäßigkeiten können das ansonsten strahlende Bild von Gastfreundschaft nicht verdunkeln, das ich hier freilich nur in groben Umrissen zeichnen konnte. Sicherlich ließen sich auch viele Gastgeber nennen, die nicht nur referieren und renovieren, die den Gästen Kaffee oder Wein statt Wasser geben, und ich könnte sogar eine Frau Professor nennen, die statt ihres Gastes in einer Art Besenkammer übernachtete. Indessen - solche Fälle zu schildern hieße denn wohl doch, die Grenzen der uns so sympathisch machenden Bescheidenheit überschreiten.
Mein Dörfchen, das heißt DDR, Hier kennt jeder jeden. Wenn Sie in Rostock flüstern, Herr, Hört Leipzig, was Sie reden. Das Mädchen, das zu lieben lohnt, Kennt auch Ihr Freund genauer, Es gibt nichts Neues unterm Mond, Nichts dieserseits der Mauer.
Peter Hacks ,
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Achim Fröhlich
'10 Ein sächsisches Ehepaar plaudert Sie: Abrobo!! Da gannch nur sachen: Hut ab vom Jabanem! Er: Nu! Die gomm gleich nach uns! Sie: Sin bloß so 'ne kleen Querchels, awer se leisten was! Er: Nu! Arbeiten genn die, da genn die nischt! Trotzdäm ... Sie: Haste was gejen de Jabaner? Er: Nu nee! - Nur die hams ooch leichter als mir! Weil ... die gomm mit wenjer ze essen aus! Sie: Stimmt! 'ne Handvoll Reis, und schon würjen se los! Im Krieche ham se sich vom Himmel gestürzt ... Er: Ich weeß! Kommamieze - oder so?! Sie: ... un heute stürzen se sich ähm in de Arbeit! Er: Se brauchen ooch nich so viel ze essen, weil . . . se ham ja een viel gleenem Machen! Sie (sinnierend): Ja, ja, de Jabaner! Unhöflich sin se! Er: Bei uns täten se damit vielleicht Trinkgeld scheffeln, he ! Sie: Die sin ähm ganz andersch erzochen! . Er: Jabanisch muß ooch mächtch gombliziert sein? Sie: Ä- nee! In Jaban reden sogar schon de Ginder Jabanisch! Er: Un Reis essen se immer noch mit Stäbchen? Sie: Freilich: Dabei sitzen se uffn Teppch! Er: Da gönn se ihre Polstermöbel schon! Sie: Ja, ja, de Jabaner! Na, und erseht im Betriebe! Da herrschen bei•• denen patrachalische Verhältnisse! Er: A! Da klappts also ooch nie immer so? Sie: Nee ! Patrachalisch is, wenn der Chef is ... wie ä Vater! Und was der Babba sacht, wird gemacht! Er: Ach so! Ihm reden also nich dauernd fünfe rein?! Sie: Nur layol mußte ähm sein! Frieh singen se im Betriebe alle zusamm de Betriebshimne! Er: De Betriebshimne? Und der Chef? Sie: Singt nadierlich ooch mit! Er die erschte Stimme, na, und die andern de zweete! Und schon fleckt de Arbeit wieder! Er: Du, vielleicht singen mir in unserm Betriebe zu wenich, Ott1.lie?t.. Sie: Möchlich! De Jabaner sollnja ooch alles nachmachen, was Welt-ni-ve-au hat!
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Mein Dörfchen, das heißt DDR
Ein hoher SED-Genosse, der in angetrunkenem Zustand zwei DDR-Bürger angefahren hat, fragt den Richter nach seiner zu erwartenden Strafe. . »Du bekommst natürlich keine, Genosse! Der Mann, der durch die Scheibe deines . Autos flog, wird wegen Einbruchs verurteilt. Und der andere, der fünfzehn Meter durch die Luft flog, wird wegen Unfallflucht . .
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Er: Nachmachen?? Na, dadervor brauchen mir keene Angst ze ham! Sie: Und de Arbeitsproduktivetät soll ja bein Jabanern viel höher sein wie bei uns?! Er: Awer dafier warn se beim Leichtathletik-Weltgabb in Montreal ni so gut wie mir! Sie: Ja, ja, de Jabaner! Brauchst ähm immer nur layol ze sein zum Vater! Er: Und wenn de nu ämal uffmuckst? Sie: Sachter zu dir »Futschi-jama«, und deine Arbeitsstelle is flöten! Er: Was dud'n eijentlich der Jabaner, wenner arbeitslos is? Sie: Na, abwarten - un Dee trinken! Er: 's soll ja viel Dee getrunken wem bein Jabanem?! Ja, ja de Arbeit! Wemmer keene hat, möchte mer se ham, und hat mer se, möchte mer keene ham ! Am besten, mer hat se un schont sich! Sie: In Jaban solln ja de Renten und de Krankengelder noch mächtch in Kinderschuhen stecken! Er: Keen Wunder, wo de Jabaner doch so kleene Fieße ham! Sie: Du, de Jabaner sin zähe! Die machen ni viel krank! Er: Weil se so kleen sin! Da fliejen de Bazillen immer an se vorbei! Sie: Und wenn se mal krank sind, kriechen de meisten keen Pfennch! Er: Pfennch?? Nanu! Harn die 'n in Jaban ooch Pfennche? Sie: Ä - nee! Die ham doch 'ne stabile Währung! Er: Wie mir! Sie: 's hieß ja erseht, de Jabaner sollten de Autobahn von Berlin nach Roschstock baun! Awer se hätten abgelehnt! Er: So? Mit welcher Begrindung denne? Sie: Wejen den baar hundert Kilometer schickten se ni extra für drei Wochen fünf Leute in de DDR! Er: Ne, du, wenn das man keen Witz is!! Sie: Ja, ja, de Jabaner! Er: Was meenst'n du, wenn ä Jabaner miese Quelletät prodeziert, ob den sein Chef oder Babba rausschmeißt? Sie: Nu freilich! Er: Bei uns in' Betrieb gibts das awer ni! Sie: Da siehste mal, wie menschenunwürdsch in Jaban de Ausbeutung is! Een Glück, daß mir se abgeschafft ham! Er: Se dürfen sich ähm ooch keen Gabtalisten als Chef nähm de Jabaner!
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Mein Dörfchen, das heißt DDR
Sie: Du schließt ein Vertrach mitm Chef oder mitm Vater, und wenn de 55 bist, scheidste aus und kriechst 'ne Abfindung! Willste dann noch viel älter wem, brauchste gute Angehörche, diedch versorjen! Er: Na, bei meiner Sibbe möchtch da nich in Jaban wohn!! Sie: Jeder Jabaner, der was off sich hält, hält sich 'ne Gehscha! Er: So wie sich unserans ä Wellensittich hält ... oder ä Goldhamster? Sie: Nu! Oder wie Gagdeen! Er: Was machtn da de Frau vom Jabaner? Sie: Na, nischt! Ich gloobe, die hat gar nischt ze sachen! Er: Wennch an dich denke, da hats der Jabaner awer gut! Sie: So 'ne Gehscha macht mächtch viel Fikuckchen! Er (lacht): Ach? So heeßt das uff jabanisch? •• Sie: A - nee! Ni, was du denkst! Ne Gehscha is 'ne Unterhaltungskünstlerin! Er: So 'ne Art Regina Thoss? Sie: Genau! Damit se dem Jabaner seine Sorjen ä bissel lindert! Er: Hat der Jabaner also doch so seine Sorjen? Sie: Nadierlich! Er: Trotzdäm ... Sie: Du sachst es! Hut ab vor den Jabanem!!!
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Renate Holland-Moritz
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>>'Wenn es um Tatsachen geht, sage ich immer ...
... somm mam keim Bmatt vorm Mumd mehmem.<<
Verwandte kann man sich bekanntlich nicht aussuchen. Aber man muß sie ja nicht unbedingt kennen, besonders wenn man sie kennt. Bei meiner Tante Leni aus Luntzkau im Kreis Zwenkau geht das allerdings nicht. Sie ist eine militante Sächsin und würde hauptstädtische Ignoranz sofort als Politikum bewerten. Das können wir uns als Genossen nicht leisten. Außerdem hält . ihr einziger Sohn, also mein Vetter Fritz, ein individuelles Hausschwein und veranstaltet jeden Herbst ein Schlachtfest. Er gibt auch ab, ist folglich ein sympathischer Mensch, mit dem manch einer gern verwandt wäre. Die Einladung nach Luntzkau stieß unsererseits auf offene Ohren an erfreuten Gesichtern. Tante Leni, Vetter Fritz, seine dralle Gattin Reni sowie beider pickliger Sohn Maiki standen zu unserem Empfang Spalier. Nach den ersten Jubelrufen und im Dreierrhythmus verabfolgten Bruderküssen deuteten alle vier mit großer Gebärde auf ihr Anwesen. »Zuerscht mißt ihr 's Häusel von haußen beguggen«, befahl Vetter Fritz. In den drei Jahren, die wir seit Onkel Augusts Beerdigung nicht dagewesen waren, hatten sie aus der alten Kate ein stolzes Zweifamilienhaus gezaubert. Wrr staunten nicht schlecht und brachten dies auch zum Ausdruck. Vor allem bewunderten wir ihren gigantischen Fleiß und die Geschicklichkeit beim Herbeischaffen des Materials. »Was willsde machn offn Lande«, sagte Vetter Fritz, »der Daach is lang, Abwächselung hasde geene, awwer baun duhn alle. Also bausde ooch. Euereiner had so was ja ni needch, bei den Gomfohr un zurick in der Haubtschtadt der Dädäerr! « Wrr versicherten, daß solcher Wohnluxus, noch dazu im Grünen, für uns ebenso unvorstellbar wie unerreichbar sei, aber die Verwandten lächelten wissend. Zu Mittag gab es ein Festmahl. Die aus Oberhof angeheiratete Cousine Reni hatte Thüringer Klöße mit Sauerbraten bereitet, und zum Dessert gab es First-class-Mokka mit Rahmkuchen. Ehe wir unser Wohlbehagen · ·eren konnten, sagte Tante Leni: »Ihr seid nadirlich andere Lugullidäden gewehnt. Im Dädäerr-Schtimme-Radscha sachden se an, daß mr bei eich franzesisch un jabanisch ässen gann, für rischtsches normales Gäld! « Vetter Fritz fügte emphatisch hinzu: »Un erseht die Ober un die vielen andern Deather un das Gabaredd! Unsereener guggt echal bloß in die Rehre un verbleedet bei lebendchen Leibe.<< Der picklige Maiki schaltete das Fernsehgerät an. »Schetzt
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gommt Wmneduh«, erklärte er brummig. »Nähmtsen ni iebel«, entschuldigte ihn sein Vater, »es ist schließlich das eenzche Vergrriechen in seiner Bubberdäd. An große Ginas un Bolareisflächen is ja bei uns ni zu dengen.« Die thüringische Reni warf sehnsüchtig ein: »Mir dete schon der Deleschparchel genüchen. « Wrr saßen noch beim Mokka, als mehrere Nachbarsfrauen zu unserer Besichtigung hereinstürmten und sich neidvoll nach den Segnungen haupstädtischen Lebens erkundigten. Zu ausführlichen Antworten kam es allerdings nicht, weil nach dem Ende von »Wmnetou« auf einen alternativen Schwank mit Gerd E. Schäfer umgeschaltet werden mußte. Dazu gab es ein kräftiges hausschlachtenes Abendbrot und jede Menge teils exquisiter, teils selbstgebrauter Alkoholika. Beim Gutenachtsagen erklärte Vetter Fritz mit schwerer Zunge: »Mähr is äbn an Guldurläbn offn Lande ni drinne, ihr Gosmobolidden! « Es verstand sich von selbst, daß wir beim Abschied den dringenden Wunsch äußerten, Tante Leni, Vetter Fritz, Cousine Reni und Neffen Maiki als unsere Gäste in Berlin begrüßen zu dürfen. Wrr einigten uns auf die erste Woche der Februarferien und schieden in einer Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens und der Freundschaft. Natürlich hatten wir das 'freffen, soweit es möglich war, gründlich vorbereitet. Ein Tisch im südostasiatischen Jade-Restaurant war bestellt, Opernkarten waren erstanden und Distelkarten erflirtet. Die Verwandten konnten gar nicht genug staunen über die Höhe unseres Hochhauses. Mit uns stieg eine Frau etwa in Tante Lenis Alter in den Fahrstuhl und sagte höflich »Guden Daach«. Da wir vor ihr aussteigen mußten, entboten wir ein ebenso höfliches »Auf Wiedersehen«. Tante Leni fragte aufgeregt: »Wär wor denn die Tahme? Wo issn die här?«- »Keine Ahnung«, entgegnete ich, »vielleicht aus dem sechsten Stock.«Tante Leni war entsetzt darüber, daß wir die Bewohner unseres »Häusels« nicht kannten, zumal es hier sächsische Landsleute zu geben schien, und auch die anderen fanden es nicht in Ordnung. Nach dem Kaffeetrinken war es Zeit fürs Jade-Restaurant. Die Verwandten fanden alles ungeheuer »jabanisch«, nur mit den Stäbchen kamen sie nicht zurecht. Der von uns um Abhilfe gebetene Kellner erklärte hoheitsvoll, für gewöhnliches Gabelpublikum gebe es ja wohl genügend andere Lokalitäten. Eingeschüchtert schnippste sich Cousine Reni Sojabohnenkeime und Bambussprossen in den Ausschnitt, Tante Leni versuchte, kleine Fleischbrocken zu durchbohren, und nur Maiki griff unter den strafenden Blicken seines Vaters ungeniert zum Vorlegelöffel. Als Vetter Fritz kurz auf die Rechnung geschielt hatte, verfärb-
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»Ich traue mich, ·zum Beispiel den ~nndeskanzleJ; ~~·.
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te er sich. »Viel mähr had Maigi seine Juchendweihe ooch ni gegosded«, knurrte er aus seinem hungrigen Bauch. Tags darauf wollten wir Maiki ins Sport- und Erholungszentrum begleiten, doch als er die kilometerlange SchwimmhallenWarteschlange sah, erklärte er kategorisch: »Das is ja, wie wännse beim Landfilm >Flammendes Inferno< spielen.« Und überhaupt sei jetzt im Fernsehen »Old Shatterhand«. Zu Hause trafen wir Leni, Reni und Fritz, die einen Einkaufsbummel nach dem ersten Schock über das mehr großkotzige als großstädtische Benehmen einiger Verkäuferinnen vorfristig abgebrochen hatten. Zum Essengehen war die Sippe nicht mehr zu überreden, weder ins »Prag« noch ins »Sofia«. Das japanische Abenteuer hatte ihren Bedarf an Exotik gedeckt, jetzt wollten sie es deutsch und gemütlich. Ich erfüllte ihren Herzenswunsch und kochte eine kräftige Kartoffelsuppe mit ungezählten Würstchen, die Vetter Fritz mit ungezählten Berliner Spezial-Pils begoß. Als wir uns für die Oper umziehen wollten, lallte er bereits eigene Arien. Seine Angehörigen wollten ihn keinesfalls allein lassen und entschädigten sich kulturell mit dem MattscheibenBuffo Rennhack. Der für den nächsten Tag geplante Ausflug auf den Fernsehturm entfiel wegen Nebels. Cousine Reni sagte tröstend, sie sei ohnehin nicht schwindelfrei, und ob wir es nicht viel schöner fänden, wenn sie zum Mittagessen Thüringer Klöße mit Gänsebraten zubereite. Danach kriegte Tante Leni den Reißverschluß ihres guten Kleides nicht mehr zu, woraufhin auch die Distelkarten verfielen. Die Verwandten freuten sich, daß sie nun wenigstens nicht auf die Fernsehshow mit ihrer geliebten Helga Hahnemann verzichten mußten. Zwei weitere Tage vergingen im wesentlichen mit Essen, Trinken, der kollektiven Beteiligung an einer Rätselsendung von Stimme der DDR, Essen, Trinken, einem Schwank mit Herbert Köfer sowie Essen und Trinken. Schließlich waren Kühlschrank und Speisekammer wie leergefegt. Mein Mann und ich starteten einen Großeinkauf. Als wir erschöpft zurückkamen, saßen Tante Leni, Vetter Fritz, Cousine Reni, Neffe Maiki und die sächsische Landsmännin aus dem 6. Stock am Kaffeetisch. »Das is die Frau Lähmann«, sagte Tante Leni glücklich. »Ich habse eenfach angeschbrochen, un was sollch dr saachen, ihren Bruder sei Ongel had dazumal mid unsern Oba zusamm'n in Zwengau gediend. Nu gönnt ihrsch euch in Zugunft ooch zu Hause mittn Nachbom e bissl gemiedlich machn und mißt nich echal in dr Schtadt rumstromern!«
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Angela Gentzmer
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Helga Hahnemann mit Vaclav Neckar Auf der Bühne steht ein Taxi. Helga - als brummiger TaxiChauffeur - steht daneben und ißt eine Bockwurst. Vaclav- als Fahrgast- sportlich gekleidet und einen CampingSack auf dem Buckel - geht auf den Fahrer zu und fragt: Sind Sie frei? Chauffeur: Darf ick mal fragen, wat'n wildfremden Menschen meine Familienverhältnisse anjehn? Vaclav: Ich meine natürlich das Taxi? Chauffeur: Dit is' frei! Oder - sehn Se dadrinne eenen sitzen? Vaclav: Dann kann ich also einsteigen? Chauffeur: Se sehn doch, daß ick esse! In zehn Minuten! Sollten Se noch 'ne Frage ham, kommt die uff de Rechnung mit ruff, verstanden? Vaclav: Tja - was mach ich denn nun bloß solange? Chauffeur: Dadrüben stehn doch hundert Leute und warten uff 'ne Droschke! Fragen Se doch mal, v'leicht spielt eener mit Ihnen Schafskopp! Vaclav: Ick kannja im Wagen warten, bis Sie aufgegessen haben! Chauffeur: Wollen Se damit andeuten, daß Se für mein' Untersatz 'n Nachschlüssel besitzen? Vaclav: Aber nein! Chauffeur: Na also! Solange ick meine jewerkschaftliche Pause rumbringe, is' die Bude zu! Vaclav: Könnte ich dann wenigstens schon mein Gepäck reinlegen? Chauffeur: Sie meinen doch hoffentlich nich' den dreckijen Sack, den Se da uff'm Ast haben? Vaclav: Doch! Den meine ich! Warum machen Sie nicht die Kofferklappe auf? Chauffeur: Hören Se zu, Männeken! Wann bei mir die Klappe uffjerissen wird, bestimme ick! Klar? Wooo woll'n Se denn überhaupt hin? Fragen wa mal so! Vaclav: Zur Florastraße! Die ist - glaube ich - in Pankow!
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Chauffeur: Glooben Se't nu - oder wissen Se't? Vaclav: Ich - ich weiß es! Chauffeur: Aber - 'n ollen Mann erst verscheißern, wat? So nu können Se langsam einsteijen! Aber - mit Pankow, dit wird nischt! Vaclav: Was heißt - das wird nichts? Chauffeur: Dit heißt, daß ick inne halbe Stunde Feierabend habe und jetzt in Richtung Stall fahre, kapiert? Vaclav: Und - wo steht Ihr Stall? Chauffeur: Sein Se vorsichtig mit Ihre Ausdrücke, ja? Ick hab'n Eijenheim mit alle Schikane, verstehn Se? Vaclav: Pardon, ich werde doch wohl noch fragen dürfen, wo Sie mich jetzt hintransportieren wollen? Chauffeur: Ick -will - Ihnen - irjendwo hintransportieren? Nu passen Se mal uff! Ick hab wirklich 'n Jemüt wie'n Fleischerhund- und laß ma ooch vonne }äste dumm und dämlich kommen! Aber - wenn mir eener durch seine dußlije Vergnüjungsfahrt meinen Feierabend versaun will - da werd' ick zum Tier! Hier ham Se 20 Pfennich - fahren Se mitte S-Bahn! Vaclav: Nein danke! Mit einem Stier würde ich sowieso nicht fahren! Können Sie mir wenigstens noch sagen, wo hier eine Bank ist - wo man Geld wechseln kann? Chauffeur: Wat? Ne Wechselstube? Klar, Mann! Steigen Se ein! Di is' bei mir hier drinne! Taxistand am Bahnhof Berlin-Friedn·chstraße: Lange Wartezeiten waren einzuplanen!
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lrmgard Abe
Es war im Oktober - die Steinpilze standen stramm und üppig, der blaue Wein wurde pflückreif -, da weihte der Intendant des Fernsehens die interessierten Zuschauer in das Weihnachtspro• gra.mm em. Das wurde hohe Zeit, denn das Land war bereits vom Weihnachtsfieber gefaßt. In den Dresdener Betrieben wurde für das einzig echte Stollenrezept mehr geboten als für einen Pappsiebzig 56er Baujahr; der Leipziger Raum fieberte unter dem steinalten Geriicht, es •• ••
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käme endlich ein neuer Schokoladenweihnachtsmann auf den Markt; und in den waldreichen Gegenden waren die schönsten kleinen Fichten längs der Fernverkehrsstraßen schon mit besitzanzeigenden Bändchen markiert. Auch Walter hatte in den Monaten seiner Sommerspaziergänge unseren Weihnachtsbaum ausgesucht, er hatte den Ständer repariert und vorsorglich Kerzen besorgt. Alles war, wie es ein Vierteljahr vor dem großen Ereignis zu sein hatte. Beruhigt konnten wir in die Kartoffelferien fahren. Wrr fuhren zu unserem Freund Jaroslav ins Riesengebirge. Jaroslavs Haus hockte sonnenbeschienen und schneebedeckt auf dem Schoß eines großen Berges. »Da sehts ihr<<, sagte er verdrossen, »auf letzten Sonntag wir hatten schon Schnää! Viel zu frieh! Wrrd langer Wmter. Hovno! « (auf Französisch merde) Die Kinder starrten ungläubig - Schnee? Wie in »Leise rieselt«?
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Walter lachte kurz auf, seine ganze Verachtung für unser sogenanntes Winterwetter legte er in diesen Gefühlsausbruch. Und ich erinnerte mich eines Satzes unserer Freundin Estelle aus Dresden: »Heiligabend, wie wir zum Bahnhof traben, knallt uns doch regelrechte Backofenhitze entgegen - siebzehn Grad! Vogelgezwitscher wie im Frühling, also gloobste!« Nun, wir konnten weder letztes noch vorletztes noch vorvorletztes Weihnachten überhaupt aus dem Haus gehen - so viele Regenschirme und G11mmistiefel besaßen wir gar nicht. Und hier bei Jaroslav gab es jetzt schon Schnee. Wie erst Weihnachten! »Weihnachten? Konstant ieber ein Mätr. Kommts här, wärds ihr erläben.« Kling, Glöckchen, klingelingeling! Weiße Weihnachten in Jaroslavs altem Bauernhaus! Ganz für uns sollten wir es haben, er würde zu seinen Kindern gehen. Aber war das überhaupt noch zu organisieren? Standen wir nicht schon unter ungeheurem Zeitdruck? Zu Hause rief ich sofort Estelle an. Es war genau 0.55 Uhr. »Endlich!« rief sie ebenso erleichtert wie vorwurfsvoll. Sie hockte im Institut über ihren Versuchen, die für die Wissenschaft außerordentlich bedeutsam sind und sich mir so darstellen: In funkelnden wissenschaftlichen Behältern schwimmen wissenschaftliche Präparate, die sie immerfort umrühren und mit verschiedenen Strahlen traktieren muß. Ich hörte es auch gleich beeindruckend wissenschaftlich plätschern. »Weißt du überhaupt, welches Datum wir heute haben?« grollte Estelle. »Und nichts, nichts besprochen! Kommt ihr? Kommen wir? Machen wir Pute oder Gans? Alles total unklar, man kommt sich vor wie doof, also gloobste !« Hinterhältig fragte ich: »Pute oder Gans -was hatten wir denn voriges Jahr?« Das wissenschaftliche Plätschern nahm nachdenkliche Züge an: »Ülsenbande!« kam es schließlich tri11mphierend aus Dresden. »Olsenbande ist jedes Jahr. Olsenbande mal mit Pute, mal mit Gans.« »Griinkohl, Romme und Regen«, half Estelle nach. »Du hast recht - aber weißt du was Besseres?« Und ob! Je länger ich über ein gewisses Bauernhaus sprach, über nächtliche Schlittenfahrten an silberglänzenden Hängen, Glockengeläut aus dem Tal und heißen Punsch auf der Ofenbank, desto tiefer wurde das Wonneschnurren in Dresden, unterbrochen von kleinenJuchzern: »Kein Fernseher!« - >>Ziehhar-
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monika!« - »Kinder schlafen auf dem Ofen!« Der Weihnachtsmann aus tiefverschneitem Tann! Gemütlich, gemütlich! Im Hintergrund schwoll das Plätschern bedrohlich an. »Deine Versuche!<< rief ich warnend. »Rach, stell dir bloß die Kinder vor!« jubelte Estelle entrückt. »Ob ich die Spieluhr mit dem Engel mitnehme? Wie siehts mit Betten aus?« ln dieser Nacht, während wir hingebungsvoll die Bettenfrage klärten, färbten sich die vernachlässigten Präparate zartlila, ein Zufallsergebnis, das die Versuche in eine ganz andere, erfolgreiche Richtung lenken und in die Geschichte der großen Entdeckungen eingehen sollte. Das nebenbei. Bis Mitte November hatten wir jedenfalls die Bratenfrage, die Stollenfrage und die Kleidungsfrage geklärt; die Kartoffelfrage war auf Walters energisches Eingreifen zugunsten der Klöße Olsenbande ist jedes Jahr. entschieden. Wrr konnten langsam zur Waffeleisenfrage Olsenbande mal mit Pute, übergehen, als sich unvermittelt Maximilian, Estelles mal mit Gans. Bart, einschaltete. »Die Waffeleisenfrage«, sprach er bedächtig, »halte ich für relativ sekundär. Primär wäre doch wichtig zu wissen, wie wir überhaupt dort hinkommen sollen, in euer wunderbares Bauernhaus. Ich kann ja nicht die Frau und das Kind und die Skier und die Stolle und den Engel mit dem Silberhaar und das Waffeleisen und die Kerzenhalter auf meiner alten Mühle bei garantiert einem Meter Schnee durchs Riesengebirge schieben. Deshalb bitte ich zunächst um die Erörterung der Transportfrage.« Irgendwie hatte er recht. Nun, das war endlich eine Aufgabe für Walter, der sich in dieser ungewöhnlichen Vorweihnachtszeit, wo kein Puppenhaus zu tapezieren, kein Kaufladen zu reparieren war, ohnehin schon ganz leer fühlte. Da nur die Eisenbahn in Frage kam, erarbeitete er in einer knappen Woche eine zügige Verbindung. Das ist in der CSSR nicht so einfach wegen der Berge. Kommt so ein Zug vor einem Berg an, hat er immer die Chance, rechts drumrum oder links drumrum zu fahren. Man kann sich da also sehr leicht verfranzen und schnell nach Ungarn abdriften. Aber Walter tüftelte alles gewissenhaft aus: den Grenzübergang, die D-Züge, Personenzüge, Linienbusse. Für die letzten zehn Kilometer Waldweg hatte Jaroslav ja den Schlitten. Damit war alles getan. Uns blieben noch vier arbeitslose Wochen der Vorfreude auf unser besonderes Fest. V
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Gelassen schlenderten wir durch regennasse Geschäftsstraßen und amüsierten uns über das hitzige Gerangel bepackter Käufer. Wie sie wühlten in den Gefriertruhen! Wie sie zerrten an strunkigen Fichten! Welch grandioser Aufriß für paar Tage Fernseher, Romme und Regen! Wrr hatten Mühe, nicht lauthals zu lachen. »Aber dann können wir gar nicht Pittiplatsch sehen«, fiel den Kindern plötzlich auf. Kein Pittiplatsch, kein Sandmännchen, kein Märchen. Das würde kein Weihnachten, sondern ein total hohles Ei! »Und 'ne Badewanne gibts da auch nicht.« Was hatte die Badewanne mit Weihnachten zu tun? »Weils immer so war! Um sechs wird gebadet, halb sieben gibts heiße Wiener, und um sieben kommt der Weihnachtsmann!« Großer Gott! Ist es nicht viel schöner und aufregender, sich mit Schnee zu waschen und dann auf den warmen Ofen zu hopsen? »Das ham wir genau gewußt! Den ganzen Tag Holz und Kohle und Asche schleppen!« Jetzt reichte es Walter aber: »Ihr werdet knechten! Ausgerechnet ihr! An wem das hängenbleibt, ist jetzt schon klar. Auch das Wasser wird kein anderer schleppen als ich.« Und kein anderer als Estelle und ich würden es verarbeiten beim Essenkochen für acht Personen und beim Abwasch früh, mittags und abends. Aber gut, sollte Walter sein Martyrium haben, ich würde die Vorfreude auf unser einzigartiges Fest nicht trüben. Mich beunruhigte nur das lange Schweigen aus Dresden. Der Regen stand wie eine graue Wand, die Großwetterlage war bis in die höchsten Kammlagen ausgesprochen wäßrig, als unerwartet Maximilian mit seiner alten MZ auf den Hof knatterte. Er brachte die Skier, die wir auf dem Dach mitnehmen sollten. Er war steifbeinig, durchnäßt und tiefgefroren und nahm
Die dänischen Gaunerkomödien waren in der DDR ungeheuer beliebt. Olsenbandenchef Egon, der Schauspieler Ove Sprogoe, war Gast in der Silvestershow des DDR-Fernsehens (mit Kammersänger Reiner Süß).
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>>Vier Läden in siebzig Minuten und sechsunddreißig Sekunden. Du warst schon besser... <<
zuerst ein heißes Bad. Walter nahm die Kognakflasche und half ihm dabei. »Begreifst du«, hörte ich Maximilian murmeln, »weshalb ich mit zwei Koffern, einer Kraxe, einer großen Leinentasche und einem Rucksack bei strömendem Regen zehn Stunden auf der Bahn liegen, auf Umsteigebahnhöfen rumsprinten oder rumhocken soll, vom Zoll auseinandergenommen und von einer quengeligen Familie genervt, um in ein Haus zu fahren, wo man sich endlich in einer Emailleschüssel waschen und auf einem Außenbordklo anfrieren darf ... « »... wenn man zu Hause Zentralheizung und warmes Wasser aus der Wand hat«, vollendete Walter. »Die Wünsche der Weiber sind mir lebenslanges Rätsel, aber heilig. Besonders zum Fest des Friedens. Prost.« Das spitzte sich ja verdächtig zu und brauchte Klarheit. Wie dachte Estelle? Als die Männer schliefen, rief ich sie an. Kein Plätschern, überhaupt bedrückende Stille. Was war los? »Also gloobste, ich hocke hier wie doof und grüble nur noch: Bin ich spießig? Werde ich alt? Oder bin ich typischer Deutscher? Je näher die Reise rückt, desto klammer wird mir.« So sah es also aus. Schöne Bescherung. Was nun? »Hör zu, Estelle«, rief ich Hals über Kopf, »weshalb ich überhaupt telefoniere. Eben hat Jaroslav angerufen: Es wird nichts. Er hatte einen Schornsteinbrand und muß nun bauen. Natürlich ist es ihm furchtbar peinlich ... « Bis heute staune ich, woher mir die plötzliche Eingebung kam. »Aha?« machte Estelle, und kurz darauf hörte ich es wieder plätschern, sehr heiter und gelöst. »Eine völlig neue Situation! Was machen wir denn nun - kommt ihr oder kommen wir?« Unter ungeheurem Zeitdruck mußten wir schnellstens die Puppenhausfrage klären, die Kaufladenfrage und die Gemütlichkeitsfrage. Ein neues Rommespiel hatte Estelle schon gekauft. »Und was ist im Fernsehn?« >>Olsenbande. « »Sehr fein! Da packen wir uns wieder lang hin. Vielleicht kriegen wir sogar mal Schnee.« »Also jetzt freue ich mich wie ein Kind. Weihnachten muß man eben doch zu Hause feiern! Bloß wie bringen wir das den anderen bei?«
Die DDR-Regierung hat beschlossen, auf dem Brandenburger Tor statt der Quadriga einen Trabi aufzustellen. Sie möchte das Symbol des Krieges durch ein Symbol des technologischen Fortschritts ersetzen.
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Mathias Wedel
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Verstehst wohl keinen Spaß, eh?!
Alfi Zwinkerlein befand sich bereits geraume Zeit in einer Schaffenskrise. Für seinen Verlag hatte er ein Werk »Das Lachen an sich und als Freudsches Kipp-Phänomen« unter der Feder. »Du mußt einfach mal in die Praxis gehen, dorthin, wo gelacht wird«, riet er sich. Und so kam es - Zwinkerlein ging zum Karneval. Das Ereignis vollzog sich im Kultursaal eines Berliner Großbetriebes. Am Eingang zum Orte ungehemmter Freude stand ein Mönch, der den Herren mit kräftigem »Helau« die Wirbelsäule strapazierte, während er bei den Damen etwas weiter unten ansetzte. Zwinkerlein verbat sich die Wirbelsäulenmassage, worauf der- Mönch »Tschuldigung« sagte und ihm den Po-Streich nachreichte. Somit als komischer Vogel eingeführt, nahm für Zwinkerlein alles seinen zwanghaften Verlauf. Zwinkerlein wollte mal richtig fidel sein, und dazu fehlte es ihm vor allem an einer Dame. Ihm war - nach der Theorie der gespaltenen Identität - völlig klar, daß Damen, die sich mit aller Macht das Ansehen geben, keine zu sein, geheime Wünsche zum Ausdruck brächten. An so eine galt es sich zu halten. Er fand eine Blondine mit Maske, die anstelle des Rockes einen etwas breit geratenen Gürtel trug, äußerst frivol. Zwinkerlein durchlief ein Schauder. Da er eine Kochmütze aus Papier trug, ärgerte er sich, daß einige Jugendliche am Karneval ohne närrische Verkleidung teilnahmen. Zwinkerlein fragte sich, was daran denn komisch sein solle. Ein Wissenschaftler mit Kochmütze - das ist komisch. Den Einmarsch der Prinzengarde und des Elferrates konnte Zwinkerlein nicht miterleben, weil ihm der Minister für Frohsinn und Neckerei zwei Hände voll Konfetti ins Gesicht gestreut hatte, worüber insbesondere Anita, seine Partnerin, von Herzen lachte. Dann wurde dem Elferratspräsidenten durch eine Kollegin von der BGL, die sich durch ein besonders keckes Hütchen auszeichnete, ein großer goldener Schlüssel überreicht - Symbol des Hausrechts für die tollen Tage. Das war dem Präsidenten Anlaß, einen tollen Witz zu reißen: Mit dem Hausrecht übernehme er natürlich nicht auch zugleich die Verantwortung für die etwaigen roten Zahlen des Betriebes. Zwinkerlein lachte hell auf und verstummte jäh, als er den Ellenbogen Anitas in seiner Leber spürte. Es war bedrückend still im Saal, bis ein Tusch der Kapelle die Atmosphäre wieder lockerte.
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Das war der zweite Vorfall, der Zwinkerlein einen eigentümlichen Sonderstatus einbrachte. Auf Präsidentenbefehl gingen nun alle Pärchen auf der Tanzfläche in die Hocke und schunkelten weisungsgemäß zu »Heute blau und morgen blau und übermorgen wieder«. War das ein Gaudi! Dann mußten alle nach vorne und hinten schunkeln, was natürlich zur Folge hatte, daß die ganze Narretei umfiel und Männlein wie Weiblein quiekend durcheinanderpurzelten. Wer den Anweisungen von der Bühne her nicht rasch folgte, wurde von den knackigen Mädchen der Funkengarde erbarmungslos hochgezogen und in den Karzer gesteckt. Zwinkerlein war beglückt, endlich eine These für seine Humor-Theorie entdeckt zu haben: Lachen läßt sich auch nach dem Weisungs- und Unterstellungsprinzip erzielen. Überall um sich herum sah Zwinkerlein vor Frohsinn schwitzende Gespenster, Cowboys, Matrosen und so weiter. Er wollte endlich dazugehören, rappelte sich auf und rief heiter: »Und jetzt fassen wir uns alle unter den Rock!« Das trug ihm das Kreischen der Karnevalsgesellschaft und eine Ohrfeige von Anita ein. Zwinkerlein ärgerte sich: Es hätte nicht »uns«, sondern »einander« heißen müssen. Peinlich, wo er sonst im öffentliehen Auftreten so präzise war. Es folgte das Verlesen der Karnevals-Gesetze. Etwa so: »Paragraph 5: Das Trinken ist nur zum Zwecke des Luftholens einzustellen«, oder »Paragraph 11: Frauen sind notfalls in der Saalecke abzulegen.« Irgendwie war es Zwinkerlein ja bei diesen Witzen unbehaglich, er konnte aber nicht wissenschaftlich exakt sagen, warum. Deshalb lachte er vorsichtshalber mit. Der Präsident hatte den Narren mit der Kochmütze schon seit einiger Zeit im Auge. Als der oberste Karnevalist gewisse Flachstellen in seinem Manuskript bemerkte, kam es, wie es kommen mußte: Er bat Zwinkerlein in die Bütt. Zwinkerlein war das eine Ehre. Jetzt- dachte er- ist die Stunde da, wo ich öffentlich erklären kann, wie ein Witz gemacht wird. »Liebe Narren und Närrinnen«, begann er traditionsgemäß. »Warum lacht der Mensch? Nach Sigmund Freud ist das Lachen nichts anderes als die eruptive Entladung verdrängter Emotionen.« Ein ohrenbetäubendes Lachen und Trampeln antwortete ihm. Und pflichtschuldig lachte Zwinkerlein wiederum mit. Er wurde ehrenhalber in den Elferrat aufgenommen. Zwinkerleins Bild erschien in der Morgenzeitung. Das Buch über das Lachen hat der Humorwissenschaftler aufgegeben, aber er schreibt bereits wieder - an Texten für den nächsten Karneval.
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Johannes Conrad
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>>Als technisch hochstehendes Volk interessiert uns natürlich, wie Sie diesen wunderschönen blauen Qulam produzieren!<<
In diesem Jahr wird mein Auto - Schicksal, sei ihm gnädig! zehn Jahre. Ich liebe dieses brave, alte Luder von ganzem Herzen. Existierte es nicht, hätte ich zwar mehr Geld im Kasten, würde aber viele nervenberubigende, von krummen Apfelbäumen gesäumte Landstraßen nie kennengelernt haben und wäre ohne Ahnung vom Herzenstrost, den eine mit Maiengriin bestickte Autobahn dem Kraftfahrer bereiten kann, rast er nicht wie ein Affe dahin, der Affe. Wenn die Birken frisch geflaggt haben, beginnt das Leben auf der Posaune zu blasen, Zeitgenossen - und fröhlich schwenkt das Auto seine sämtlichen Zylinder. Leider sind solche Freuden undenkbar ohne Meister Wiesemann, von schmeichlerischen Säcken auch »lieber Meister« genannt. Dies ist ein Mensch im unscheinbaren Kittel, einer der vielen auf Erden wandelnden Götter (oder doch wenigstens ein Göttlein) mit mürrischem Gesicht, welches erst am Freitagnachmittag zu lächeln beginnt. Ich will gestehen, daß meine Seele manchmal auch durch Wiesemann zum blühenden Kirschbaum wird, denn ein intaktes Auto ist wie ein Feldweg ins Grüne. Es lebe Wiesemann! Er lebe hoch! Es lebe Meister Wiesemann, der Autos reparieren kann! Mögen die himmlischen Heerscharen auf all seine Wege Buschwindröschen und ewige Gesundheit und ein immerwährendes, mir geltendes Wohlwollen streuen! Mein Auto ist, wie gesagt, zehn Jahre alt! Es braucht zwar noch keinen Stock, aber es braucht viel Liebe. Allerdings bin ich betrübt, daß Wiesemannjeden Zwanzigmarkschein mit beinahe angewidertem Gesichtsausdruck entgegennimmt. Vielleicht zerkocht Frau Wiesemann die in den Kitteltaschen befindlichen Trinkgelder an den Wochenenden in ihrer vollautomatischen Waschmaschine zu kleinen brechtgrauen Krümeln? Jedenfalls scheint Wiesemann einen Dreck von Geld zu halten: »Was ist schon Geld!« Mürrisch blickt er meinem Auto in die Augen, brummelt etwas in seinen Bart, pocht an die Motorhaube, schüttelt den Kopf wegen der linken Vordertür, drückt mit
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seiner dicken, hornhäutigen Da11menmaus ein Loch in den Rost, sagt düster »Eijeijeijei!« - und gerade injenem Moment, in dem man sein prächtiges Auto für einen alten Misthaufen zu halten beginnt, knurrt er: »Dann lassen Sie den Wagen erst mal hier!« Letztens auch, da war etwas mit den Stoßdämpfern los -vielleicht auch nicht-, bei achtzig jedenfalls begann das Fahrzeug wie ein Fandangotänzer zu platteln, und der Fahrer klapperte mit den Zähnen dazu, da überprüfte das Wiesemann mit verächtlicher Ausdauer. Ich glaube, Wiesemann weiß heute noch nicht, daß ich ihm zwanzig Mark zusteckte! »Ihre letzte Geschichte war übrigens Käse!« knurrte er plötzlich. Ich lachte sofort begeistert los, denn solches habe ich mir bei den Handwerkern angewöhnt. »Mir ist neulich etwas viel Klapsigeres passiert.« - »Schicken Sie 's ein, Herr Wiesemann! « rief ich. »Die Redaktionen und Verlage freuen sich kaputt über so was, die sind ganz wild auf selbsterlebte Erlebnisse!« - »Nee, einschicken werd ich's nicht«, sagte Wiesemann, »für solche Kindereien fehlt mir die Zeit. Sie werden das schreiben! Ich repariere ja auch Ihre alte Krücke ohne Voranmeldung.« »Ich schreib das sowieso nicht, schreib ich das!<< dachte ich und nickte eifrig. (Auch das eifrige Nicken habe ich mir bei den Handwerkern angewöhnt!) Wiesemann erzählte mir eine wirklich lJnmögliche Geschichte, die ich natürlich keinem Menschen weitererzählen werde, nie und nimmer. Jedenfalls ist er neulich wie immer total erschöpft neben seine etwas enttäuschte Frau ins Ehebett gesunken. Die sturen Kunden und die kaputten Autos würden ihn eben so fertigmachen! »Einen Kopf wie ein Auspuff habe ich abends!« knurrte er. Manchmal sei dann in seiner Phantasie die Hölle los! Da hüpfe des Teufels Großmutter mit ihrem dicken Arsch kreischend auf geträumten Autodächern wie auf Kesselpauken herum, und er fühle sich morgens wie gerädert! Das sei auch neulich so gewesen. Mitten in der Nacht habe er sich selber als weinenden Werkstattkunden geträumt. Er sei verstört aufgewacht, denn ein fremdes Geräusch war im Zimmer, ein widerliches Schniefen, vermutlich von einem Menschen! »Wie versteinert lag ich sofort da!« gestand mir Wiesemann. Leider merkte seine Frau so was nie! Warum immer die Männer die Frauen beschützen müssen und nicht auch mal umgekehrt! Weil's doch auch unter den Frauen ganz schöne Sauerkrautfässer gebe! Seine Frau wiege beispielsweise 176 Pfund! Wie aus Marmor habe er dagelegen, sagt Wiesemann. Wie auf der Museumsinsel für Eintritt! Aber voller Trauer, denn ihm ist alles durch den Kopf gegangen, was sein Leben war. Viel, viel Ärger mit Ersatzteilen und noch mehr
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Man nimmt das Lutherjahr 1983 zum Anlaß, den Trabi in »Luther« unzubenennen. Schließlich sagte Luther: »Hier stehe ich - ich kann nicht anders.«
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Arger mit sturen Kunden! Hatte er das verdient, wo er allen gefällig war? Vielleicht räumten ihm die gewissenlosen Schweine nun die Wohnung aus? Seine Bierglassammlung! 232 Stück, vieles handgemalt! Und den wertvollen Farbfernseher! Hunde! Und seine Frau pennte! Die pennte, wo sie im Nebenzimmer ihr Zwiebelmuster klauten, das war typisch! Da habe er bereut, obwohl er gegen Gewalt sei, sagt Wiesemann, daß er nicht wenigstens Karate gelernt hatte! Dann hätte er diese Schweine wie im Fernsehen mit Handkantenschlägen lahmgelegt und der VP zugeführt. Er stellte sich vor, wie sie vom Präsidium, fünf Mann hoch, mit einem Riesenpräsentkorb im Betrieb anrückten und ihm vor versammelter Mannschaft die Lebensrettungsmedaille oder so an die Brust hefteten. Und die Kollegen glotzten: Wiesemann, die Kanone! -Aber Essigwar's damit! Dieser Hund schniefte noch immer! Schnief, schnief! Wie ein Tier! Und mitten in das Schniefen hinein habe seine Frau auf einmal mit ihrer klagenden Stimme gerufen: »Haainz? « - »Jetzt haut der Hund zu!« habe er gedacht und die Arme ängstlich vors Gesicht gehalten. Aber nichts sei erfolgt. Niemand habe zugehauen. Nur seine Frau habe geplärrt: »Schnaub dich doch endlich mal aus, Haainz, du schniefst ja furchtbar!« Da sei ihm natürlich sofort klargeworden, daß seine überreizten Sinne das eigne Atmen für das Schniefen eines Einbrechers gehalten hatten, weil er sich eben immer so fertig mache für die Kunden. Ob das nicht eine gewaltige Backnudel mit Pflaumenkompott sei, diese Geschichte - die gehe doch wohl mächtig nach vorne los, ja? Wiesemann warf einen fragenden Blick auf die vor der Werkstatt stehende kahle Linde, welche nachdenklich zu uns herübersah, und sagte: »Alles eigenhändig erlebt! Schreiben Sie's auf!« Ich nickte verstört. »Übennorgen können Sie Ihren Wagen abholen!« knurrte er. »Aber bestimmt schreiben!« rief er drohend über den Hof. »Du bist doch nicht wahnsinnig!« sagte ich zu mir. »Selbst, wenn du diesen Wiesemann noch so nötig hast, schreibst du doch seinen Mist nicht auf, sonst beschimpfen dich die gebildeten Leser wieder, wo du doch ein deutscher Dichter zum Weinen werden willst!« So habe ich aus literarischen Gründen darauf verzichtet, Wiesemanns blöde Erlebnisse aufzuschreiben, obwohl ich es wegen meines anfälligen Autos hätte tun müssen. Aber wenn mich die Natur nun schon mal mit Charakter ausgestattet hat, dann werde ich ihn in diesem Falle auch haben, verdammt noch mal, denn wozu habe ich ihn sonst, oder?
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Jochen Petersdorf
Ha~ptsaelao, os
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Hätte der Promi Theus damals nicht das Feuer vom Himmel geholt, gäbe es auch heute noch kein warmes Betriebsessen. Und alle Köche wären überflüssig und könnten beim Lückenbau oder bei der Autobahnreparatur beschäftigt werden. Aber wir haben das Feuer und haben die Kochkunst. Und wir haben oft großen Appetit und eigentlich nie großen Hunger. Wir haben zwar nicht das fruchtbarste Stück Erde, aber das richtige politische Klima. So kommt es, daß unser Land trotz zeitweiliger oder örtlicher Mangelerscheinungen immer mehr Gewicht erhält. Die Donnerstag-Schlangen in den Fleisch- und Wurstläden werden nicht länger, aber dicker. Und die Kapitalisten versuchen, uns immer kurzatmiger zu machen, denn sie verkaufen uns ihre fettesten Käsesorten. Zum Glück machen wir auch selbst genügend Käse und auch schönen fetten. Es gibt natürlich auch Magerquark, fettarme Jagdwurst und ganz dürren Joghurt - und es gibt Redukal, und es gab auch schon Nationalpreise für die Erfinder von butterähnlicher Butter. Und es gibt in Potsdam-Rehbrücke und andernorts sehr emsige Ernährungswissenschaftler, die weiter daran herumknobeln, wie man Leib und Seele auch ohne Essen und Trinken zusammenhalten kann. Wobei unter Essen und Trinken zu verstehen ist, was Tante Frieda und Onkel Otto darunter verstehn: ofenwarmen Speckkuchen und selbstgemachten Eierlikör mit viel Zucker. Onkel Otto ist fast 70 und war dreimal Kreismeister im Lochbillard. »Ohne meinen Eierlikör, nur mit Ballaststoffen im Gedärm, hätte ich das nie geschafft«, sagt er. Wissen das die Rehbrücker? Wahrscheinlich nicht. Aber sie wissen, daß Kalorien oder Joules verdammt gut schmecken können. Und auch, daß Redukal mit brauner Butter, Zucker und Zimt zwar nicht ganz so schlank, aber viel freundlicher macht. Und Freundlichkeit brauchen wir doch alle. Es gibt nichts Schlimmeres als eine Verkäuferin, die gerade eine SauerkrautDiät macht. Man erkennt also, es ist nicht so einfach mit der Esserei und der Wissenschaft und mit dem Spaß an beidem. Früher oder noch früher war's etwas anders. Die ersten Menschen jagten und sammelten. Bären und Blaubeeren. Die Blaubeeren aß man ungezuckert, und von den Bären bevorzugte
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>>Hamse auch freigenommen?<< - >>]a, warte auf den Kohlenhändler.<< >>Und ich auf den Elekmker.<<
man das Magere, das Fett schmierte man sich in die Haare. Später kamen dann Ackerbau und Viehzucht in Mode. Auf den Burgen und Schlössern gab es laufend Sauf- und Freßgelage. Das wissen wir aus dem Film, in dem Heinrich der Achte immer die abgeknabberten Knochen über die Schulter nach hinten schmiß und einen Humpen Wein nach dem anderen in seinen mächtigen Wanst kippte. Den Wanst spielte übrigens Charles Laughton, ein Künstler aus der kapitalistischen Szene. Der Kapitalismus ist lukullisch gesehen sehr angenehm. Aber wenn jeder Piepel (englisch: people) sehr angenehm essen und trinken will, können einige sehr unangenehm werden. Das haben auch Marx und Engels bemerkt, und deshalb waren sie schon damals mehr für Brot für alle als für Kaviar für we• nige. In unserer Gegend haben sich ihre Gedanken durchgesetzt. Brotmäßig. Bei Kaviar hapert's noch. Aber das erregt wahrscheinlich nur wenige. Fehlender Schnittlauch in der Schnittlauchzeit schmeckt aber sicherlich den allerwenigsten. Denn auch der landwirtschaftlich Ungebildete kann sich vorstellen, daß es in der DDR ungleich einfacher ist, Schnittlauch anzubauen als Kaviar. Sei's drum. Wir wollen nicht meckern und nölen. Schon mein Großvater, ein armer Hund, hat immer gesagt: »In der Not schmeckt die Wurst auch ohne Brot.« So gesehen, sind bei uns einige sehr notleidend.
· · Otto
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Alles zum Wohle des Volkes
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Angela Gentzmer
6i1to 1i41ctl4HIJ dl4relc do1t HiodrielcstadtpalJast 11tit Ho1J11a Halc1to11ta1t1t So - Herrschaften, werfen wir als erstes mal 'n Ooge auf die Bestuhlung, welche nach den Bedürfnissen eines DDR-Durchschnittshintern erstellt wurde. Rein stylingmäßig könnte hier 'ne TU 144 Pate jestanden haben. Beachten Sie die schöne schmale Form, wodurch nich' bloß die Tuchfühlung zum Nachbarn, sondern auch ein intimet Verhältnis zum Kunstjenuss Vorschub jeleistet wird. So - kommen wa zur Vergangenheit. Wie Sie vielleicht wissen, war der Friedrichstadtpalast früher mal sehr historisch. Erbestand aus einer Markthalle, in welcher sehr viel Zirkus jemacht wurde. Um dieses Erbe nich' aussterben zu lassen, wird es von seinem Intendanten hier fortjepflanzt.
Der neue Palast is innerlich und äußerlich aus Architektur erwachsen. Er ernährt sich von Revuen und Eintrittskarten. Jehn wa weiter, Herrschaften. Dit, uff wat se jetzt rumstehn, is die Bühne, wobei 'ne einmalige Jelegenheit auf dem Jebiet der Unterhaltungskunst is - weltlich jesehn - det man die Bühne in ein Becken mit Wasser füllen kann und mitsamt Künstler, die ihre N11mmer schon vorjeführt haben, einfach versenken kann. Unten anjelangt, kann man sie durch einige menschliche Eingriffe in Tier- oder andere Dressuren umwandeln und als Menagerie wieder zum Vorschein bringen.
Europas größtes Revuetheater stand in der größten DDR der "Welt: der neue Friedrichstadtpalast, 1984 eröffnet
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Weiter: Links - wo der Daumen rechts is - befinden sich weitere Effekten - nämlich zwei 1.-Mai-Tribünen, die allerdings nich' zum Zwecke des Winkens, sondern für musikalische und andere laute Jeräusche verbraucht werden. Der Mann, der uns jetzt mit seine Kehrseite anlächelt, is der Dirigent, für den die Zeit, wo er uff Abstecher jing, nu auch passe is, seitdem er mitsamt seinem Orchestrion - 'ne Einweisung in dieset feste Haus erhalten hat. Jetzt blicken wir nach oben - uff unsere Beleuchtungsanlage. Dieses Licht is nich' nur in der Lage, aus sämtliche Mitwirkende Farbige zu machen, sondern kann mittels Computer in Laser transplantiert werden. Was wiederum beweist, daß zumindest jeder Anjestellte in diesem öffentlichen Hause lesen kann. Kommen wir jetzt zu dem, wat se nich' sehn: Der Palast besitzt zwei Kantinen und weitere Arbeitsräume sowie SO Garderoben und andre Vergnügungsstätten. Alle Etablissements sind in bequemen Fußmärschen zu erreichen, so daß nur ein jeringet Kilometergeld auf die betroffenen Personen fällt. Hat noch jemand 'ne Frage? Nich? Denn möchte ick Ihnen mit diese Einblicke in unsre Inneren Angelegenheiten bitten, sich uffzulösen und auf die Ausjänge zuzuströmen.
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Manchmal werden dem Menschen unversehens Rätsel aufgegeben. Dazu ein Beispiel: Am Berliner Alexanderplatz gibt es das >>Haus der Gesundheit«. Es ----====~ ist ein alter, gelber Kasten, der sich ein bißchen schräg zwischen die Neubauten des Stadtzentrums quetscht. Nun war regelrechtes Grippewetter. Es nieselte, und der Himmel war endlos und sagenhaft grau. -Die Leute gingen gebückt und hatten die Mantelkrägen hochgeschlagen. Ein verschnupfter Mann kam auf mich zu und fragte: »Wie komme ich bitte zum Haus der - hattttschiiii!« >}Gesundheit!« sagte ich. Er sah erstaunt auf: »Woher wußten Sie, wohin ich wollte?« •
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John Stave
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Peter Ensikat
Personen: Alte Eiche, Birke, Erle, Pappel, Kiefer, Linde Alte Eiche: Meine lieben Baumschüler und Baumschülerinnen, ehe ihr nun unsere erweiterte Agrotechnische Baumschule für immer verlaßt, um den Weg in unseren real existierenden Mischwald anzutreten, laßt uns noch einmal rekapitulieren, was ihr bei uns gelernt habt. (Erle meldet sich.) Ja, meine liebe Erlen-Hanne, was war denn für dich das wichtigste? Erle: Wachsen, wachsen und nochmals wachsen. Alte Eiche: Richtig. Und weshalb sollt ihr wachsen? (Erle zuckt mit den Schultern.) Ebenfalls richtig - man kann nie wissen. Und du bist ja auch ganz besonders hübsch gewachsen. Im Gegensatz zu unserm Kiefern-Otto, der immer noch nicht gelernt hat, sich gerade zu halten. Was geschieht denn mit solchen Nadelbäumchen, die krumm und schief sind wie unser Kiefern-Otto? Birke (schadenfroh): Die kommen als WeihNur in einem sauber ausgerichteten nachtsbaum auf den Markt. Baumkollektiv könnt ihr durch zielAlte Eiche: Was mußt du also noch lernen, Kiegerichtetes Wachstum zu den Höhen fern-Otto? der Baumkultur vorstoßen. Kiefer: Bloß nicht auffallen. Alte Eiche: Nein! Was fehlt ihm, Birken-Eddi? Birke: Die Reife. Alte Eiche: Und wer gilt bei uns als reif? Birke: Wer immer schön brav ist. Alte Eiche: Jawohl. Aber nicht für die Schule, fürs Leben lernen wir Bravsein. Was haben wir denn noch gelernt, PappelHeinz? Pappel: Fest auf dem Boden unserer Republik zu wurzeln. Alte Eiche: Das ist kein Grund in Baumbürgerkunde zu schwanken. Was Päppelchen nicht lernt, lernt Pappel nimmermehr. Welche Überraschung kann euch denn draußen im Wald erwarten? Kiefer: Daß da alles ganz anders aussieht, als wirs gelernt haben. Alte Eiche: Und woher kommt das ? Kiefer: Das kommt daher, daß da einfach noch vieles so ist, wie
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es ist, und nicht, wie es sein müßte. Denn das Wald.leben ist noch weitgehend natürlich. Alte Eiche: Aber woran liegt das? Birke: Das liegt daran, daß nicht jeder Naturbaum das Glück hatte, wie wir eine höhere Baumschule durchstehen zu dürfen, um ein hochwertiges Nutzholz zu werden. Alte Eiche: Eben. Leider wächst in unsern Wäldern noch so manches Alte mit. Ja, auch Neues wächst zuweilen schon wild durcheinander. Was würdest du denn zu einem bösen, bösen Naturholz sagen, das da einfach aus der Reihe wächst, Erlen-Hanne? Erle: Du, du! Alte Eiche: Da gibt es gar nichts zu kichern, Kiefern-Otto! Die Antwort zeugt zumindest von einem sehr braven, also unversöhnlichen Standpunkt. Nur könnte man dasselbe vielleicht etwas wissenschaftlicher ausdrücken, Pappel-Heinz? Pappel: Und wie! Ich würde mich wald- und flurwissenschaftlich exakt auf unsere klassischen Erbeichen berufen, die schon im kapitalistischen Umfeld formuliert haben, was wir heute immer nur zu wiederholen brauchen, bis jeder Zweig verdorrt. Alte Eiche: Jawohl, wir müssen den Wurzeln des Übels das Wasser entziehen. Denn nur in einem sauber ausgerichteten Baumkollektiv könnt ihr durch zielgerichtetes Wachstum zu den Höhen der Baumkultur vorstoßen. Wie aber wächst man am schnellsten? Birke: Indem man sich dazu verpflichtet. Alte Eiche: Richtig. Linden-Kerstin, nicht träumen! Wie stellst du dir die Zukunft vor? Linde: Ich werde mal am Straßenrand stehen. Alte Eiche: Und was heißt das? Linde: Am Straßenrand stehen heißt Spalier stehen! Alte Eiche: Was wird also deine besondere Aufgabe sein? Linde: Schön dick werden, damit ich die Lücken schließe. Alte Eiche: Du wirst also dafür sorgen, daß auch das noch viel schöner und zahlreicher aussieht, als es ist. Aber nicht nur repräsentative Aufgaben erwarten euch, Birken-Eddi?
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Wissensfrage 19g~: · Was war im , , Jahre 9? Die Schlacht im _, ,.,_ · ·• Teutoburger Wal. ;_~ Und was war im „ · Jahr 44? -~ Der 35. Jahrestag-der Schlacht im Teutoburger WalCl. ~
Birke: Nein, mit unserem Holz dienen wir auch der Volkswirtschaft und mit unseren ganz kleinen Spänen sogar der Möbelindustrie. Kiefer: Mir haben sie auch schon ein Töpfchen umgehängt, direkt hier vom, wo es jeder sehen kann. Alte Eiche: Und wozu, meinst du, soll das Töpfchen wohl dienen? Kiefer: Zum Repräsentieren ist es zu klein, denn wir sind eine große Republik und haben viel größere Töpfe. Vielleicht ist es nur eins von den tausend kleinen Dingen, die überall produziert werden und nur so rumstehen, weil sie allein der Planerfüllung gedient haben. Alte Eiche: Nein! In dieses Töpfchen sollst du ... Was sollst du da wohl hineinmachen? Grinse nicht! Auch hier geht es um die Hauptaufgabe ... Worum mag es also gehen, liebe ErlenHanne? Erle: Um Pipi? Alte Eiche: Nein! Seit wann macht eine Kiefer ... Also, wer weiß, was in Kieferchens Töpfchen soll? Linde: Sein Harz. Alte Eiche: Na endlich! Eine Kiefer dient auch der Harzgewinnung. Hast du das begriffen, Kiefern-Otto? Kiefer: Aber wie soll ich das machen? Alte Eiche: Was? Kiefer: Na, mein Harz. Alte Eiche: Das ist eine rein praktische Frage, die nicht in eine Baumschule gehört. Wie ihr's dann macht, das müßt ihr euch draußen irgendwie abgucken. Kiefer: Aber Fräulein Eichen-Ilse, was geschieht denn mit einem hochqualifizierten Baumkader, der alles weiß, aber in der Waldpraxis versagt? Alte Eiche: Ganz einfach, der wird abgesägt.
Man kann sich schon denken, wieso und warum der stinkfaule Schüler Bernd Heigert vergnatzt und wie eine Makrele stumm die Zeugnisaussage verweigert.
Hansgeorg Stengel
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Drei Babuscbkas unterhalten sieh über ihre Enkel. J)ie erste sagt. •Mein Enkelso'l\11 Kolla spielt so schön Klavier, als wäre er eiri. kleiner TuchaikQWSki.• Die zweite- sagt: .Mein Enkelsohn Sascha i1chreibt: so schöne Gedichte, als wäre er ein kleiner PuSchkin. • Die dritte will nicht so recht heraus mit der Spra:- . . ehe, doch dann sagt sie: »Mein Enkelsohn Pjotr ist eigentlich dem Lenin recht ähßli.Ch.• - .wieso das?• - ·Mal im Gefängilis, -
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Ottokar Domma
arx, arti1t orr ~rse o 111a1t1t In diesem Jahr feiern wir drei große Jubiläums. Das von Karl Marx, das von Martin Luther und den 60. Geburtstag von unserem Herrn Burschelmann. Eigentlich wollte ich nur über Herm Burschelmann schreiben. Aber man muß auch an die Zensuren denken. Nach meiner letzten Vier in Aufsatz hab ich eine Aufbesserung nötig. Nachdem ich in diesem Jahr mehr als sonst die Zeitungengelesen habe, kann ich folgende Vergleiche ziehen. Körperlich gesehen gibt es schon Unterschiede. Im Gegensatz zu Karl Marx hat der Herr Burschelmann keinen so schönen Bart. Eigentlich überhaupt keinen, nur Stoppeln, meistens am Sonntag zu besichtigen. Da ist er wie mein Vater. Der behauptet auch: Einmal in der Woche muß sich das Gesicht erholen. So gesehen hat der Herr Burschelmann schon mehr Ähnlichkeit mit Martin Luther, wenn auch nicht ganz. Sein Bauch ist etwas straffer. Ich weiß nicht, welchen Sport Martin Luther betrieben hat und ob er bei seiner großen Familie überhaupt Zeit dazu hatte. Aber der Herr Burschelmann läßt es sich nicht nehmen, im Sommer zu schwimmen, jede Woche einmal nach Trabant-Ersatzteilen zu rennen, in den Ferien eine Autowanderung zu machen und einmal im Jahr mit uns eine Pionier-Meile zu laufen. Wir könnten ihn natürlich glatt abhängen, aber wir wollen ihn nicht verärgern, sonst könnte er nicht Martin Luther war nicht auf den mehr sagen: »Mit euch Spinnebeinchen nehme Mund gefallen und konnte ganz ich es alle Tage noch au.f! « schön donnern, von der Kanzel und Geistig gesehen gibt es schon mehr Ähnlichkeiüberhaupt. · ten. Zum Beispiel in der Mathematik. Ich weiß nicht, welche Zensur Karl Marx in diesem Fach hatte, aber als er rechnerisch herausbekam, wie die Kapitalisten die Arbeiter ausbeuten und bescheißen - das war schon eine tolle Leistung! Darüber wird heute noch gesprochen. Der Herr Burschelmann als Mathematiklehrer ist in dieser Hinsicht auch nicht schlecht. Er kommt schnell dahinter, wenn wir Fehler vertuschen wollen oder betrügen, und er schenkt uns nichts. Aber so ein bedeutendes Buch wie das »Kapital« hat er noch nicht geschrieben. Vielleicht weil er als Lehrer zu wenig
Le r n e n, 1e r n e n, n o c h m a 1s 1e r n_e n
Zeit hat. Aber dumm ist der Herr Burschelmann nicht. Einmal hörte ich zum Beispiel meinen Vater beim Studium vor sich hinbrabbeln: Der Doppelcharakter besteht aus Arbeit oder Geld oder so was. Jedenfalls hat er nichts kapiert und schlug sich dauernd gegen den Kopf. Da tat er mir leid. Um ihm zu helfen, fragte ich den Herrn Burschelmann, ob er vielleicht sagen kann, was das heißt: Doppelcharakter des Geldes oder so was. Der Herr Burschelmann antwortete, ohne lange zu überlegen: »Der Doppelcharakter besteht darin, daß man immer Geld bekommt und nie welches hat.« So einfach ist das. Sogar ich konnte mir das merken. Dieses Gesetz hätte vielleicht auch Karl Marx aufgegriffen, aber der kannte ja unseren Herrn Burschelmann noch nicht . •• Einige Ahnlichkeiten gibt es auch mit Martin Luther. Nehmen wir nur die Sprache. Es heißt, der Herr Luther hat die Bibel übersetzt und war auch sonst nicht auf den Mund gefallen. Er konnte ganz schön donnern, von der Kanzel und überhaupt. Der Herr Burschelmann kann das auch. Dem fallen jede Woche ein paar neue Schimpfwörter ein. Und was das tollste ist, er kann unsere Namen ganz verschieden aussprechen: hauchend, gutmütig brummelnd, knurrend, bellend, knallend und donnernd, dabei keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. So war der Martin Luther vielleicht auch. Aber er war ein gläubiger Mensch, der Herr Burschelmann dagegen nicht. Der sagt immer: »Wer's glaubt, wird selig. Ich aber will Beweise.« So kann man zusammenfassen: Im Denken hat der Herr Burschelmann mehr Ähnlichkeit mit Karl Marx, im mündlichen Ausdruck mehr mit Martin Luther. Und was den Glauben betrifft, da wird der Herr Burschelmann nie ein seliger Mensch. Eher besucht ein Heiliger das Parteilehrjahr. Im Leben dieser drei Persönlichkeiten, wovon zwei kommunistisch sind, zeigen sich vielleicht noch weitere Ähnlichkeiten.
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))Seien Sie unbesorgt. Die 5 ist meine Glückszahl. rr
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Ich habe einmal gelesen, daß der Karl Marx sehr menschlich war, und in dieser Eigenschaft war ihm nichts fremd. Dem Herrn Burschelmann auch nicht. Der kennt das Leben mit seinen Freuden und Lasten. Und er sagt wie Karl Marx in einem Schulaufsatz: »Wenn wir den Stand gewählt haben, in dem wir am meisten für die Menschheit wirken können, dann können uns Lasten nicht niederbeugen.« Deshalb ist der Gang vom Herm Burschelmann aufrecht und zielstrebig. Er weiß immer, wo er uns findet. Auch raucht er gern Zigarren wie Karl Marx, und er trinkt gern Bier, ißt gern und reißt auch gern ein Witzchen, worauf die Frauen ihre Hände vors Gesicht halten, damit man nicht sieht, wie sie sich darüber freuen. Der Herr Luther soll ja auch so gewesen sein. Nur eins kann der Herr Burschelmann nicht: singen. Er meint, dafür hat er kein richtiges Gehör, deshalb singt er besonders gern. Aber wie Karl Marx und Martin Luther kann er dumme Menschen nicht ausstehen. Er sagt: »Wer zu nichts fähig ist, ist zu allem fähig!« Deshalb verlangt der Herr Burschelmann von uns wie der Genosse Lenin: lernen, lernen und nochmals lernen, damit wir wenigstens zu etwas fähig werden. Erst vor ein paar Tagen rief er uns im Unterricht zu: »Wenn ihr zu dumm seid, euch das zu merken, dann schreibt wenigstens mit. Ich schreibe ja auch alles mit.« So gesehen ist der Herr Burschelmann fast ein allseitig gebildeter Mensch, auch wenn er mit zunehmendem Alter schon manches vergißt. Aber wir sind ja auch noch da, und mit unserer Hilfe kann er seine Lücken wieder auffüllen. Nur mit den Mädchen und Frauen hat der Herr Burschelmann vielleicht noch Schwierigkeiten. Tränen kann er überhaupt nicht sehen. Die schickt er dann zum Fräulein Heidenröslein oder zur mütterlichen Frau Seidenschnur, weil die besser trösten können. So hat es Karl Marx auch gemacht, wenn der große Dichter Heinrich Heine bei ihm zu Besuch war. Den schickte er in schwierigen Situationen zu seiner Frau Jenny, und alles wurde wieder gut. Also hat der Herr Burschelmann vielleicht doch mehr Ähnlichkeit mit Karl Marx. Und so möchte ich auch einmal werden.
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Ernst Röhl
Die kleine Frau Knoll drückte die Ruftaste dreimal, doch die charakteristischen Startgeräusche, das hallende Knacken im Schacht und das verheißungsvolle Gepolter eines sich nähernden Fahrstuhls blieben aus. Kaputt! Per pedes in den achten Stock, auch das noch. Fast nichts als Pech in letzter Zeit, ganz selten ein Lichtblick. Ihre 9 b war ihr mit den Jahren über den Kopf gewachsen, das Gros zwar nur in bezug auf die Körperlänge, ein paar Spezis aber in weit pikanterem Sinne. Kattrin Wusigehl- dieser klangvolle Name bereitete ihr schlaflose Nächte, und zwar vor allem, weil er den Burschen der zehnten Klassen schlaflose Nächte bereitete, wenngleich aus gänzlich anderen Gründen. Nur in engem Kontakt mit der Mutter, im Bunde, ja, im Bündnis mit ihr, schien das Problem, wenn überhaupt, lösbar zu sein. Ein Hausbesuch war überfällig, sie hätte sich schon vor Monaten auf die Socken machen sollen, und sie hätte es getan, wenn nicht persönliche, höchst private Dinge den pädagogischen Erfordernissen im Wege gewesen wären. Frau Knoll, außer Atem, verschnaufte im sechsten Stockwerk. Oder war es etwa erst das fünfte? Ich muß wirklich Tut mir leid, sagt Kattrin, ick abnehmen, dachte sie, unbedingt, drei Kilo mindehab keen festen Freund. Den stens. Alles nur Kummerspeck, dachte sie und stieg Mann, den kenn ick bloß so. schicksalergeben Stufe um Stufe empor in den achten Stock. An der Tür linker Hand prangte, eine Handbreit unter dem Spion, ein gediegenes Emailschildchen: CAROLA WUSIGEHL. Frau Knoll klingelte und trat einen Schritt zurück. Carola Wusigehl, in einem weiten purpurroten Hauskleid, öffnete die Tür und breitete lächelnd die Arme aus: »Herzlich willkommen, meine liebe Frau Knoll! Sehen Sie sich aber bitte nicht allzu genau um. Betrachten Sie meinen Haushalt als das, was er ist - ein Künstlerhaushalt, was immer das sein mag.« Die kleine Frau Knoll hängte ihren Mantel an die Flurgarderobe und ging unerschrocken durch in die gute Stube, deren Wände mit kleinformatigen Grafiken regelrecht tapeziert waren. Die Vitrine der Schrankwand war vollgestellt mit kostbaren, alten Gläsern, und auf dem weiß gedeckten Tisch standen Teetassen aus zartestem Porzellan. »Aber so nehmen Sie doch Platz!« girrte Frau Wusigehl. »Ich hol uns nur schnell den Tee.« Sie wirbelte aus dem Zimmer. Die kleine Frau Knoll blickte ihr prüfend nach: forciertes Temperament, am Make-up nicht
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gespart, das lang herabwallende Haar kompromißlos blondiert. Diese Sorte kannte sie: Baby-Doll-'fypen, deren scheinbares Alter der Wahrheit um zehn Jahre hinterherhinkt. Haargenau so sehen Damen aus, die immer mit einem Bein in der Ehe stehen, selten jedoch in ihrer eigenen. »Die Kattrin ist wohl noch nicht da?« erkundigte sich Frau Knall, während Frau Wusigehl graziös den Tee eingoß. »Um halb 7 wollte sie hier sein, hat sie mir fest versprochen.« Frau Knall warf einen Blick auf ihre Uhr: »Dann müßte sie jeden Augenblick kommen.« Frau Wusigehl setzte sich und sagte: »Sicherlich gibt es einiges, was sich in Kattrins Abwesenheit besser besprechen läßt ... « »Allerdings«, sagte Frau Knall. »Ich kenne Kattrin von der fünften Klasse an. Damals war sie eine gute, beinahe sehr gute Schülerin.« Frau Knall ging, wie es sich gehörte, vom Positiven aus. »Im vergangenen Schuljahr aber ließ sie stark nach, und jetzt in der neunten sind ihre Noten miserabel. Sie hat öfter keine Hausaufgaben, erscheint verspätet zum Unterricht ... « »Das, liebe Frau Knall, ist meine Schuld, ich bin, wie Sie wissen, künstlerisch tätig und überhaupt ein Nachtmensch, eine Nachtigall, wie man so sagt ... « - »Pardon!« Die Stimme der kleinen Frau Knall begann zu zittern. »Was hat das mit Kattrins Unpünktlichkeit zu tun?« - »Wir überhören beide den Wecker leider!« - >>Außerdem schwatzt sie im Unterricht«, fuhr Frau Knall mit wachsender Entrüstung fort, »schreibt Liebesbriefe und treibt sich nach Unterrichtsschluß im Park herum, mit Jungs, Sie verstehen! Ich glaube, sie hat schon einen festen Freund.« - »Nein, das trifft absolut nicht zu!« Frau Wusigehl widersprach mit größter Entschiedenheit. »Diese Befürchtung hatte ich selber, ich dachte, es ist ein Soldat.« - »Ein Soldat?!« »Ein Unteroffizier sogar, jedenfalls einer mit diesen breiten Lamettastreifen auf den Achselklappen ... « - >>Schulterstücken!« korrigierte Frau Knall. »Meinetwegen. Immerhin, es war gegen zehn, als ich nach Hause kam, aber die Schulterklappen habe ich deutlich gesehen. Die beiden standen vor unserer Haustür ... Wie soll ich sagen?! Geknutscht haben sie sich, und zwar mit allen Schikanen.« Frau Knall war sprachlos. »Als sie raufkam, hab ich sie mir vorgenommen, ganz klar. Kattrin, sag ich, wenn du einen festen Freund hast, bring ihn ruhig mal mit. - Tut mir leid, sagt sie, ick hab keen festen Freund. Und der, sag ich, mit dem du dich eben geküßt hast? - Ach der, sagt sie, tote Hose, der Mann, den kenn ick bloß so.« Frau Wusigehl lachte herzlich. Frau Kroll war bleich wie ein Laken, die Leichtfertigkeit die-
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ser Mutter erbitterte sie: »Sie sind zu großzügig, Frau Wusi, Fritichen Will :Von · · . gehl! Warten Sie nicht, bis es zu spät ist, seien Sie strenger!« ,. Opa wi~sen, worin »Die Schule ist streng genug«, erklärte Frau Wusigehl. der Unterschled •· · · · »Eine Frage: Machen Sie etwa unsere Schule für Kattrins Pro. zwi~~nen Partei, . , . bleme verantwortlich?« - »Eine Gegenfrage: Wo lernt sie denn .· Regierung, Ge.; · · all diese frühreifen Lustmolche kennen?!« wevltsclihlt .und .. ·. .·.·. Frau Knoll schob die Teetasse weit von sich, griff nach ihrer ·:EDJ besteht~ Opa , . erklärt: »Stell dir · · · Tasche und erhob sich mit einem zornigen Ruck. »Unter diesen das s0 vor=: .ßie , Umständen ... «, sagte sie, doch die fürsorgliche Frau Wusigehl faßte sie sanft bei den Schultern und blickte ihr tief in die · Eartei,i~t . die Mutti, -, · sie weiß alles und · · . · Augen: »Aber, aber, meine liebe Frau Knoll! Sie sind nicht .hat stets recht. Vati -. glücklich, das seh ich Ihnen an. Bitte setzen Sie sich.« ,· kannst6u .•mit,tler · •· Gehorsam setzte sich Frau Knoll. »Seien Sie ganz Frau Knoll! « . ·• Regien.Qlg verglei~ · »Wieso?« - »Seien Sie ganz Sie selbst, Frau Knoll! Verdrängen ·. chen. Ei: maclit, · · Sie die Komplexe! Sprechen Sie sich aus! Gleich jetzt! Haben was Mutti sagt. Die .. Sie berufliche Konflikte, vielleicht mit Ihrem Direktor?« Frau · RDJ bist ßu. Mu.tti und Vati ftagen ····. ·_ ·" Knoll schüttelte den Kopf. Es war ihr gar nicht einmal unan· dich m~chmal .- . -, .· ·: genehm, dieser aufgetakelten Dame zuzuhören. Sollte sie nach deiner Mei· · reden! Es war ohnehin ein wichtiger Grundsatz ihrer Gezum .Beis~iel, .. nung, sprächsführung, den Eltern Gelegenheit zu geben, sich auszu.oll üti dit ein.Ge- .· ·. ·• sprechen und Fragen zu stellen ... · ·. schwister~hen · · ···. . »Trinken Sie?« Frau Knoll schüttelte den Kopf: »Noch nicht.« ·.· .wütis.cl;lst, und: da -. ·. »Trinkt Ihr Mann?« Frau Knoll nickte. »Leiden Sie an Schlafij.ast du gesagt, au . störungen?« - »Sehr.« - »Hat Ihr Mann außereheliche ... « würdest es sehr In diesem Augenblick wurde die Wohnungstür krachend ins -liellhaben. Was sie ·· Clir niP.ht gesagt · .· . · Schloß geworfen. Kattrin tauchte auf: »'n Ahmd.« habep, daß es . ·.·· ·~. ·.. »Wrr sprechen uns morgen früh«, sagte Frau Wusigehl. Kattrin ' . · schon lällgst Un.ter-· verschwand ohne Gruß und ohne Gutenachtkuß. »Ihr Mann . · wegs war~ « - »Nun .······ hat also ... «,knüpfte Frau Wusigehl den Gesprächsfaden. .erklär·mir noch,· / »Ja, ja, ja«, sagte die unglückliche Frau Knoll. · was.der FDGB ist?« . »Und Sie haben bisher noch keinem Ihr Herz ausgeschüttet?« _... . . . .»Der ist mit Oma. ·. »Nein, nein, nein! Siebzehn Jahre sind wir verheiratet, und nun wergleiehen. Sie · diese Gemeinheit! Wissen Sie, was er mir vorgehalten hat? · hatikeiile Ahnurig1 . Unser Hochzeitsfoto! Darauf bin ich natürlich siebzehn Jahre ,. redet aber ständig · · jünger und schlank. Ich bin eine ganz andere Frau als die, die , dat.Wischen.« er geheiratet hat, ich esse zuviel, hat er gesagt, und darum ist es von meiner Seite ein Vertragsbruch.« - »Er hat natürlich eine andere.« - »Was denn sonst?« - »Eine Jüngere.« - »Nana! Sie heißt Nana, ausgerechnet! Und mir wirft er vor, daß ich ein Nachthemd trage. Alles, was Nana im Bett anhat, ist das Radio.« - »Halten Sie mich nicht für grausam, liebe Frau Knoll, aber wir wollen versuchen, uns in seine Lage zu versetzen. Mit einer betrogenen Frau verheiratet zu sein, ist für einen Mann nicht leicht. Immer diese Verdächtigungen, wenn er spät nach •
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Die Lehrerin er- - • klärt den Schülern~ das DDR-Emblem~ »Hier der Ähren~ :'~-~- · · kranz, der steht-fiir die werktätigen - · Bauern. Dann haben wir den Hammer, der symbolisiert die Arbeiterklasse, und hier der Zirkel, der · .. steht für die Intelligenz. Ihr merkt _ ._ also es ist-füi -·_._··. --- · jeden etwas dab~.~ Da meldet sich ·-~ Fritzchen: »Und was symbolisiert den Beruf meines Vaters? Er ist Patteisekretär. (( »Nun«, sagt die Lehrerin, »siehst ~ du, da oben im Zftrkel gibt es ja rio~ .die Niete.« .
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Hause kommt. Manchmal steckt vielleicht doch eine Versammlung dahinter.« »Wie können Sie nur so etwas sagen!« Tränen erstickten die Stimme der kleinen Frau Knoll. Frau Wusigehl streichelte ihre Hände: »Seien Sie ruhig, ganz ruhig.« - »Ich gehe zum Nervenarzt!« schluchzte Frau Knoll. »Die besten Ärzte sind Doktor Ruhe und Doktor Fröhlich ... Sagen Sie mir nur noch eins: Ist sie betucht, diese Nana? Hat sie unter Umständen einen reichen Vater?« - »Ach, woher denn!« Frau Knoll tupfte sich mit dem Taschentuch die Feuchtigkeit aus den Augenwinkeln. »Das ist günstig<<, sagte Frau Wusigehl. »Sie wissen ja, jeder Mann träumt davon, den Unterhalt seiner Frau mit ihrem eigenen Geld zu bestreiten.« - »Sie hat bloß eine lumpige Hinterhofwohnung«, fügte Frau Knoll schadenfroh hinzu. »Klo eine halbe Treppe tiefer.« Ein schüchternes Lächeln, wie erster Frühlingssonnenschein, verklärte ihre Züge. Da hatte sie endlich einmal im rechten Augenblick einen sympathischen Menschen kennengelernt! Carola Wusigehl! Bei allem Temperament war sie einfühlsam, hatte wunderschönes Haar, und ihr Make-up war ebenso dezent wie raffiniert, von einer Maskenbildnerin durfte man das aber wohl auch erwarten. »Und wie ist es bei Ihnen«, fragte Carola Wusigehl, »schlafen Sie getrennt?<< - »Wrr haben ein Doppelbett.« Frau Knoll errötete und blickte vor lauter Verlegenheit auf die Uhr: >>Ist denn das die Möglichkeit? Schon drei Viertel zehn! Ich muß los.« >>Das kann ich verstehen.<< Frau Wusigehl half Frau Knoll, die es plötzlich sehr eilig hatte, in den Mantel und öffnete die Wohnungstür. Frau Knoll verabschiedete sich mit einer angedeuteten Umarmung und stürmte die Treppe hinab davon. »Gute Nacht!« rief ihr Frau Wusigehl hinterher, schloß die Tür, legte die Kette vor, räumte das Teegeschirr ab, guckte noch ein bißchen ins Fernsehen und goß sich ein Gläschen Rotwein ein. Es klingelte. Um diese Zeit konnte es, seit Wolfgang sich zurückgezogen hatte, eigentlich nur Manfred sein. Sie lugte durch den Spion. Die kleine Frau Knoll! Vom Treppensteigen war sie sichtlich in Atemnot und sah überhaupt schon wieder sehr unglücklich aus. Schwungvoll riß Carola Wusigehl die Tür auf: »Um Gottes willen, was ist passiert?« - »Nichts.« Frau Knoll atmete tief durch. »Leider nichts. Wir wollten doch ... über Kattrin sprechen!« - »Machen wir«, sagte Frau Wusigehl erleichtert. »Beim nächsten Mal. Oder beim übernächsten.<<
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Heli Busse
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Also wirklich - der Mensch ist ein Gewohnheitstier! Hat er sich mal an etwas gewöhnt, und sei das noch so sinnlos, denkt er nicht mehr darüber nach. Zum Beispiel: Jeder muß dann und wann gewisse Behörden, Amter, Dienststellen, oder wie immer sich das nennt, aufsuchen, und das ist meist mit Warten verbunden. Aber man hat sich dran gewöhnt, man sitzt da und starrt vor sich hin und kommt nicht drauf, daß diese Angelegenheit auch irgendeine positive Seite haben könnte. Eine Weile hatte ich gedacht, diese positive Seite könnte das Lesen der für das Publikum ausgehängten Wandzeitungen sein. Aber das war es nicht, denn in meiner Zeitung zu Hause stand immer haargenau dasselbe drin wie in den Wandzeitungen, und ich wollte das ja nicht auswendig lernen. Eines Tages aber kam die Erleuchtung! Ich betrete eine mir seit langem vertraute Behörde, von der ich nie und nimmer irgendeine Überraschung erwartet hätte. Doch der Fortschritt macht vor nichts halt, und so wurde die Bevölkerung dort plötzlich nicht mehr an einem einzigen Schalter abgefertigt, sondern an einem für A bis K und einem weiteren für L bis Z. Dadurch ging es nicht mehr so schnell wie früher, weil jetzt zwei Kolleginnen tätig waren, und zwei haben sich immer eine Menge zu erzählen. Ich lehnte mich also an den Schalter für A bis K und fing gerade an, im alten Trott zu denken, nämlich daß ich hier den Vormittag verbringen würde, als die für Abis K qualifizierte Kraft über ihren Urlaub zu berichten begann. Nun hört man als gut erzogener Mensch normalerweise nicht zu, wenn zwei wildfremde Personen Privatgespräche führen, aber weil von Bad Müchelbach die Rede war, wo ich auch schon immer mal hin wollte, vergaß ich die Anstandsregel und lauschte. Und das war gut so, denn eine derart detaillierte Schilderung über Müchelbach habe ich noch in keinem Touristenführer gefunden, und ich weiß jetzt, daß es sich nicht lohnt, seinen Urlaub dort zu verbringen. Nach ihrem Reisebericht sagte die A-K-Kollegin: »Ich geh jetzt zum Bäcker!« - und machte ihren Schalter zu, wodurch ich Ge••
>>Sie sehen doch, daß ich für Sie keine Zeit habe. Am besten schreiben Sie eine Eingabe.<<
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legenheit bekam, gründlich darüber nachzudenken, welch wunderbare Erfahrung ich eben gemacht hatte, nämlich die, daß Warten nicht sinnlos sein muß, sondern daß man sich dabei auf allen möglichen Gebieten weiterbilden kann. Warum, sagte ich mir, sollen sich nur die Verwaltungen weiterentwickeln, warum nicht auch du? Und seit der Zeit höre ich zu, wenn irgendwo was erzählt wird, denn das ist von Gesetzes wegen nicht verboten, sondern nur die Verletzung einer Anstandsregel, die vielleicht vor tausend Jahren erfunden wurde, so daß heute keiner mehr weiß, wofür das damals gut war. Auf diese Weise erfuhr ich innerhalb von drei Monaten alles über Ischias und daß man ihn und Ohrenschmerzen bei kleinen Kindern mit heißem Kartoffelbrei in alten Socken wegkriegt. Ich lernte eine Menge über Stoffe, Friseusen sind die reinsten Psycho- Digitaluhren, Autoreifen und Möbel, und ich therapeuten, mit denen man über verstehe jetzt was von Hundezucht, Innenalles reden kann. architektur und Kraftfahrzeugen. Ich bilde und bilde und bilde mich. Auch in kultureller Hinsicht. Ich war zum Beispiel nicht dazu gekommen, mir das Theaterstück »Trauerweiden lachen nicht« anzusehen. Ich bekam schon Komplexe wegen meiner Bildungslücke. Da betrat ich eines Tages am Fußgängerboulevard den Salon für die elegante Dame. Eigentlich gehe ich nicht gern in solche Läden. Man wird„.da nie das Gefühl richtig los, daß man längst nicht so elegant ist, wie sie das in dem Salon gerne hätten, und daß man bloß das Verkaufspersonal stört, obwohl ich nie dahintergekommen bin, wobei. Nun gut, ich bin trotzdem in diesen Salon gegangen, und da unterhielten sich die Kolleginnen Verkäuferinnen gerade über das fragliche Theaterstück. Wir sind ja wirklich eine gebildete Nation - von mir in diesem Fall mal abgesehen. Früher hätte ich mich grün und blau geärgert, wenn sie einen so stehen lassen, als wäre man überhaupt nicht vorhanden, aber jetzt spitzte ich natürlich erfreut die Ohren. Und so lernte ich, daß es in dem Stück »Trauerweiden lachen nicht« gar nicht um Naturschutz geht, wie ich das aus der Theaterkritik in der Zeitung herausgelesen hatte, sondern um einen, den sie Trauerweide nennen, weil er beim Zylinderkopfschleifen nicht so fröhlich wie die anderen ist, sondern menschenmäßig eine Grüblernatur und so weiter. Wäre ich nicht in den Salon für die elegante Dame gegangen . und als unbeteiligter Kunde gesprächsweise aufgeklärt worden,
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hätte ich mich nie getraut, mitzureden über das Stück. Jetzt kann ich das, als wäre ich selber im Theater gewesen, und ich habe sogar eine eigne Meinung dazu. Und ich habe keine Hemmungen mehr, diese vornehmen Salons zu betreten, denn wenn sie der Weiterbildung dienen, erfüllen sie einen Zweck, und ich darf nicht erwarten, daß ich da auch noch wunder wie exquisit behandelt werde. Sogar auf der Post habe ich eine Menge gelernt, und zwar über Ehescheidung. Eine der beiden Sehalterangestellten war ein paar Monate lang damit beschäftigt. Ich will mich, weiß Gott, nicht scheiden lassen, aber manchmal denkt man insgeheim eben doch, es wäre eine gute Idee, und man sollte es unbedingt tun. Darum ist es gut, wenn man aus berufenem Mund einmal bis in die letzte klitzekleine Kleinigkeit erfährt, was das für ein grauenhaftes Theater mit dem Auseinanderreißen von Haushalt, Auto und Kindern ist, und wieviel Zeit, Geld und Nerven das kostet. Ehe ist dagegen das reinste Zukkerschlecken. Leider haben sie auf diesem Postamt dann rationalisiert. Jetzt kurbeln die Kunden an allen möglichen Automaten, ohne daß was dabei herauskäme, und von der restlichen einen Kraft am Schalter erfährt man natürlich auch nichts Wissenswertes mehr. Das sind so die Nachteile der Rationalisierung. Bei unserem Fleischerladen war das ähnlich. Da gab es drei Verkäuferinnen und den Meister am Hackklotz, so daß man stets eine Menge neues Wissen mit nach Hause brachte. Jetzt haben wir die Kaufhalle mit einer einzigen Kraft am Fleischund Wurststand, und man kann sich vorstellen, wie sauer die ist, wenn sie die Riesenschlange wütender Kunden vor sich sieht und mit einem Ohr mitkriegt, wie der Meister nunmehr hinten in der Fleischvorbereitung seine Geschichten erzählt und die anderen Kollegen vor Vergnügen jauchzen. Bloß man versteht nichts mehr, weil die Tür zu ist. Der Handel scheint zu denken, bei der modernen Selbstbedienung braucht er sich gleich gar nicht mehr um die Kunden zu •
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kümmern. Dabei würde man seine Zeit doch viel lieber mit Anstehen verbringen, liefe dabei ein bißchen Bildungsprogramm ab. Das sollte sich mal ein Frisiersalon trauen, die Bedürfnisse seiner Kunden so mit Füßen zu treten! Aber da gibt's das überhaupt nicht, daß sich das Personal irgendwohin verkriecht und einen allein läßt mit seinen Problemen. Friseusen sind die reinsten Psychotherapeuten, mit denen man über alles reden kann, so daß in meinem Salon sogar hin und wieder der Chef hereinkommt und seine Arbeitskräfte ermahnt: »Meine Damen, man kann reden und arbeiten!« Das ist viel zuwenig bekannt, · und darum habe ich das neulich mal zu dem Imbißmenschen gesagt, der bei uns am Bahnhof Fischbrote und Würstchen verkauft. Mich ärgerte schon lange, daß der mit dem vom Zeitungskiosk ewig nur über Fußball quasselt. »Können Sie nicht mal von was andrem reden?« habe ich ihn gefragt, als ich stand und stand und meine Wurst nicht kriegte. »Es gibt doch noch mehr im Leben als Fußball! Bei Ihnen wird man ja richtig doof beim Warten. Außerdem kann man reden und arbeiten!« Na, das hätte ich lieber für mich behalten sollen! So was habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört, was dieser Mensch daraufhin alles zu mir gesagt hat, und insofern habe ich, objektiv gesehen, sogar an dieser Würstchenbude wieder was dazugelernt, wenn ich persönlich in der Praxis auch nichts damit anfangen kann. Und das ist natürlich der Nachteil bei dieser Art von Weiterbildung: Man hat keinen Einfluß auf das, was sie einem bieten, man kann es sich nicht aussuchen wie bei der Volkshochschule, man muß aufschnappen, was gerade kommt. Trotzdem, denke ich, gewinnt man im Laufe der Zeit eine ziemlich umfassende Bildung. Kann ja gar nicht anders sein bei den vielen Wartezeiten. ••
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Wolfgang Schaller
ra ti „,,. Der Lärm einer Maschine. Ein Arbeiter schindet sich. Kämpfer tritt dazu und schreit gegen den Krach an.
Kommt ein jttnger Kandidat der SED .
zu seinem Partei- . sekretär und fragt; »Darf ich als zn~ künftiger Geno~se- . noch die Redew~ •
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Antwortet der teisekretär: »lJllf
Gottes willen!<< . -
Kämpfer: Tag. Kämpfer. Ich will hier in der Schuhcremefabrik mein Praktikum machen. Arbeiter: Schrei nicht so rum, Kumpel, hier ist es schon laut genug! Kämpfer: Ich soll dir an der Mischtrommel helfen. Arbeiter: Ich nehm nur Schauspieler. Kämpfer: Wegen der Sprachtechnik. Sonst bläkt man sich heiser. Arbeiter: Wegen der DEFA. Die drehn hier in der VEB-Bude immer, wenn sie Ausbeutermilieu im Frühkapitalismus einfangen wollen. Ich hab schon in acht Filmen mitgespielt. Kämpfer: Bei dir sparen sie die Maske. Arbeiter: Ich krieg noch mal den Oscar für die beste Dreckarbeit. Sozialistische Brigade bin ich schon. Kämpfer: Dreh mal kurz die Maschine ab. Arbeiter: Geht gleich aus. Aller zehn Minuten von alleine. Kämpfer: Automatisch? Arbeiter: Kaputt. Kämpfer: Das verändern wir. Neue NC-Maschinen mit bedienungsfreien Fertigungszellen mit Produktionssteigerungen bis 500 Prozent - das gibts alles schon. Hab ich gelesen. Und du sitzt gemütlich im Frühstücksraum und steuerst die Produktion mit einem Mikroprozessor! Arbeiter: Wir haben keinen Frühstücksraum. (Die Maschine steht plötzlich.) Arbeiter: Na endlich. Manchmal bockt das Luder und läuft von alleine weiter. Kämpfer: (lugt in den Trommelkessel) Grüne Schuhcreme? Arbeiter: Grüne. Kämpfer: Geht die ab? Arbeiter: Geht nicht ab. Im Lager stapelt sich schon so viel, daß wir den Palast der Republik grün einfärben könnten. Kämpfer: Stört dich aber nicht. Arbeiter: Stört mich nicht. Kämpfer: Der abbröckelnde Putz an der Decke auch nicht. •
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Arbeiter: Wenn der Putz nicht in den Rührkessel klatschen würde, wär unsre Schuhcreme nicht mehr weltmarktfähig. Das Rezept kennen nicht mal die Japaner. (Setzt sich und köpft eine Flasche Bier.) Kämpfer: He, he! Arbeiter: Unser Betrieb ist die einzige Kneipe im Ort, die früh um sechs schon geöffnet hat. Kämpfer: Bier trinken während der Arbeitszeit? Arbeiter: Ist erlaubt. Bei jeder Produktionsstockung einen Schluck. Kämpfer: Würde man das überall einführen! Arbeiter: Denkst du, mir macht das Spaß, als Antialkoholiker? Mir steht auch das Wasser bis zum Hals! Kämpfer: Da kannst du weiterarbeiten. Hab ich gelesen: Ein Dieselmotor für den Unterwassereinsatz in unbegrenzten Tiefen. Das gibts alles schon. Arbeiter: Diesel! Wrr erfinden gerade für unseren Betriebs-LKW einen Holzvergaser. Wir konnten einen Rentner als Jungen Neuerer gewinnen. Mit dem seiner Nachkriegserfahrung fährt unser Betrieb in die Zukunft. Kämpfer: Aber mit deiner scheiß Gleichgültigkeit wird sich hier nie was verändern. Weißt du, was dir fehlt?! Arbeiter: Zehn Gramm Dynamit. Kämpfer: Weißt du, was dem Betrieb gut tun würde? Arbeiter: Zehn Gramm Dynamit. Kämpfer: Ich geh zum Werkdirektor! Arbeiter: Der hat auch keins. Kämpfer: Da beschwer ich mich bei Honecker! Arbeiter: Zehn Gramm würden reichen!
Wolfgang Stumph und Günther Pölitz als Werktätige in der VEBBude; Sketch der Dresdner Herkuleskeule.
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Manfred Strahl
Ich habe mir einen neuen Hosenbügel zugelegt. Diese, zugegeben, rein persönliche Mitteilung allein wird Sie vermutlich wenig interessieren, geschweige denn vom Sitz reißen. Weil Sie den Produzenten nicht kennen! Wenn Sie aber wüßten, welcher Betrieb dieses Erzeugnis hergestellt hat, erwachte Ihr Interesse bestimmt. Wenigstens Ihr volkswirtschaftliches. Nun, mein neuer Hosenbügel stammt, um Sie nicht länger auf die Folter zu spannen, aus dem VEB Edelstahlwerk »8. Mai 1945«, Freital. Rutschen Sie bitte nicht unruhig auf Ihrem Stuhl herum! Ich weiß schon, was sie wissen wollen. Ihnen liegt die Frage auf der Zunge, was wohl einen der größten und wichtigsten Metallurgiebetriebe unseres Landes bewogen Das Neuererkollektiv schien tatsäch- haben könnte, Hosenbügel herzustellen. Diese lich den richtigen Riecher gehabt zu Frage ist, so leid es mir tut, nur mit einer Gehaben. Es war rein zufällig auf eine genfrage zu beantworten, die zunächst mit Hoempfindliche Marktlücke gestoßen. senbügeln nicht das geringste zu tun hat. Die Gegenfrage lautet: Woher weiß man in produktionsmittelherstellenden Betrieben vom Schlage des Freitaler Edelstahlwerkes, auf welche Erzeugnisse man sich im Rahmen der Konsumgüterproduktion stürzen kann? Vom übergeordneten Kombinat oder gar vom Ministerium, vermuten Sie? Auch das ist nicht ausgeschlossen. Das übergeordnete Kombinat beziehungsweise das Ministerium interessiert in erster Linie der festgelegte Wertumfang der Komsumgüterproduktion. Was die Betriebe sozusagen außerhalb ihres eigentlichen Produktionsprogramms an Konsumgütern herstellen, bleibt ihnen weitgehend selbst überlassen. Zumal auf verfügbare Informationen über vorhandenen Bedarf oft wenig Verlaß ist, sind dem Einfallsreichtum der Betriebe bei der Entwicklung und Produktion von Konsumgütern keine Grenzen gesetzt. Aber gerade das kann - und damit wäre ich wieder bei meinem neuerstandenen Hosenbügel - in die Hose gehen. Die Idee, ein solches Gerät aus gezogenem Draht herzustellen, hatte ein Neuererkollektiv, dem auch der Kons11mgüterbeauftragte des Edelstahlwerkes angehört. Da zuvor sämtliche Bemühungen gescheitert waren, die Palette der im Edelstahlwerk produzierten Konsumgüter um ein neues Erzeugnis zu erwei-
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tem, kam dieser Vorschlag der Betriebsleitung gerade recht. Das heißt, wäre man stur nach den damaligen Fehlbedarfslisten des Wirtschaftsrates des Bezirkes gegangen, hätte sich das Edelstahlwerk Freital ebenso gut um die Produktion von Zauberkästen für Amateurzauberer und solche, die es werden wollen, verdient machen können. Aber, die Freitaler entschieden sich logischerweise für Hosenbügel. Denn, wie mein ständig deftige Werbespots im Munde führender Nachbar Isenbügel zu sagen pflegt, jeder Arsch braucht eine Hose. Folgerichtig braucht jede Hose einen Hosenbügel. Das Neuererkollektiv schien tatsächlich den richtigen Riecher gehabt zu haben. Es war, wie das folgende Antwortschreiben des zuständigen Fachdirektors beim Zentralen Warenkontor Haushaltwaren Berlin vom 27.3.1981 vermuten läßt, rein zufällig auf eine empfindliche Marktlücke gestoßen. Ich zitiere: »Der von Ihnen vorgestellte Hosenbügel wurde unseren Handelspartnern vorgestellt und für gut befunden. Es wird eingeschätzt, daß der Hosenbügel einen Teil der herkömmlichen Spanner ersetzen wird. Eine bedarfsgerechte Versorgung ist in Hosenspannern z. Zt. nicht gewährleistet. Zur Versorgung werden in diesem Jahr noch 150000 Stück benötigt. Wrr bitten Sie, diese Menge in den von Ihnen entwickelten Hosenbügeln dem Handel 1981 anzubieten. Bei bedarfsgerechter Versorgung kann in den darauffolgenden Jahren eine konkrete Bedarfsermittlung erfolgen.« Ende des Zitats. Daß es 1981 dennoch nicht zu dem erhofften Vertragsabschluß kam, lag, wie Sie sich vielleicht denken können, natürlich nicht an dem Neuererkollektiv. Der Produktionsanlauf verzögerte sich, weil die Neuerer weder bei der Entwicklung noch bei der Überleitung des Hosenbügels in die Produktion auch nur annähernd die erforderliche Unterstützung durch die zuständigen Fachbereiche des Betriebes erhielten. Erst im rv. Quartal 1982 war der eigens dafür gebaute Automat einsatzbereit. SO 000 Hosenbügel sind damals auf Anhieb produziert worden. •
>>Früher saß ich am Schreibtisch, jetzt bin ich in der Produktion. << - >>Und was produzieren Sie?<< - >>Schreibtische.<<
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Die Hälfte davon wurde sofort an den Handel geliefert. Nicht auszudenken, wie hoch sich die Hosenbügel heute im Freitaler Lager türmten, wenn inzwischen nicht ein Produktionsstopp verfügt worden wäre, sondern - wie ursprünglich vom Handel gefordert - 150000 Stück hergestellt worden wären. Seit Anfang 1983 steht nämlich fest, daß die Freitaler Hosenbügel nicht die großen Renner der Saison sind. Bis jetzt ist es nicht gelungen, die Bestände von 1982 unter die Leute zu bringen. 1983 konnten lediglich 10000, für 1984 auch nur bescheidene 12000 Stück vertraglich gebunden werden. Mehr war nicht drin, obwohl Mitarbeiter des Edelstahlwerkes Freital in selbständigen Werbefeldzügen noch über 2200 Hosenbügel an private Händler abschieben konnten. Daran erkennen Sie, werte Lehrgangsteilnehmer, daß der seinerzeit vom Handel allein für ein einziges Jahr prognostizierte Bedarf von 150 000 Stück offenbar nach der Methode Pi mal Daumen mal Fensterkreuz ermittelt wurde. Denn kaum war der Bügel im Handel, wurde er von den Experten als zu teuer und schwer absetzbar eingeschätzt. Der Preis von 2,70 Mark indes war dem Handel von Anfang an bekannt. Einen Bügel aus Freital habe ich mit in die Redaktion genommen. Es handelt sich um einen Rohling, also um ein Exemplar, das noch nicht vernickelt und plastbeschichtet ist. Mein Kollege Christian Klötzer, der seit Jahr und Tag an seinem Häuschen baut, hörte mir gar nicht zu, als ich ihm erläuterte, was das Neuererkollektiv nicht alles unternommen hatte, um die Produktion des Hosenbügels anzukurbeln. Er starrte nur fasziniert auf den Rohling. »Wenn man das Ding anständig zurechtbiegt«, sagte er schließlich begeistert, »haste 'n kleines Moniereisen. Denkste, es gibt Moniereisen?« Tja, Ideen muß man haben! Merken Sie sich das!
Was Meier für erledigt hält, bleibt als Problem bestehn. Der Stein, der ihm vom Herzen fällt, fällt andern auf die Zehn.
Kl.aus Lettke
W~m ist in der DDR der Rosenkohl neuerdings so knapp? Er wrrd nach Polen exportiert. Dort verkauft man ihn als Kohlrouladen.
Kokdeue1un1 durch. Um ei Tonne Roheisen zu erieucen. wurden bisher sieben bis acht Tonnen Holzkohle benöu,t. jetzt war led1-Uch eine Tonne Kokos erforclerllcb. Der Vorteil der durch das Oefllle •
Datschen-Rallye: „Freitag ab halb eins I~~ nichts mehr, Meister, d sitzen wir in den Startlochern."
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Matthias Biskupek
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Teurer jugendlicher Freund, Sie haben neulich im Berufsberatungszentrum verlauten lassen, daß Sie Schriftsteller werden möchten. Ich darf Sie zu Ihrem Entschluß beglückwünschen. Sie haben einen schönen, schweren, volkswirtschaftlich wichtigen Beruf gewählt. Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen einige freundschaftliche Hinweise gebe, wie Sie Ihren schönen, schweren, volkswirtschaftlich wichtigen Beruf - Wiederholungen sind Schriftstellern gestattet, der epischen Breite wegen -wie Sie also, ich darf wiederholen, Ihren schönen, Ihr Manuskript muß mit einem Stempel versehen werden, der Genehmigung des schweren, volkswirtschaftlich wichtigen Beruf immer schöner, schwerer und volksPapierkontingents wegen. wirtschaftlich wichtiger gestalten können. Da wäre zunächst dieses: Schriftsteller wird man nicht; Schriftsteller ist man. Allerdings muß dieser Terminus mit dem Vorsatz »Nachwuchs« versehen werden. Sie sind also bis etwa zum 59. Lebensjahr Nachwuchsschriftsteller, hernach »Autor der mittleren Generation«, nach weiteren zirka siebenunddreißig Jahren »durchaus bereits gestandener Schriftsteller«. Im Anschluß daran müßten Sie als kulturelles Erbe umgehen. Vielleicht bewahre ich Sie zunächst vor einem folgenschweren Irrtum. Glauben Sie nicht, ein Schriftsteller müsse Bücher verfassen. Viele junge Kollegen sind da noch fehlinformiert. Sie müssen zwar im Prozeß der schöpferischen Arbeit an einem brandneuen Buch stehen, meinethalben auch sitzen, doch das Werk möchte, bitte, nicht so bald fertig werden. Was geschieht sonst mit Ihrem Manuskript? Es muß vom Lektor gelesen werden. Ahnen Sie etwas von der Arbeitsüberlastung, die heutzutage ein normaler Verlagsmitarbeiter erdulden muß? Damit nicht genug: In Ihrem Werk müssen die Kommafehler beseitigt werden. Schauen Sie ruhig mal in einen Duden, und Sie werden sehen, wie viele Möglichkeiten es gibt, Kommata falsch zusetzen. Und was das Schlimmste ist: Zuweilen sind die Regeln für den Beistricheinsatz verschieden auslegbar. Ahnen Sie, was Sie Ihrem Lektor für schlaflose Nächte bereiten? ,
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Nach den schlaflosen Nächten muß Ihr Manuskript dann mit einem Stempel versehen werden, der Genehmigung des Papierkontingents wegen. Wissen Sie, welche Probleme es heutzutage mit Stempelfarbe gibt? Diese enthält nämlich Importbestandteile - ich sprach doch deutlich genug von Ihrem volkswirtschaftlich wichtigen Beruf. Sehen Sie, und das Erscheinen des Buches: In Ihrem Verlagsvertrag werden Sie lesen können: »Wir sind bestrebt, das Buch innerhalb eines Jahres zu produzieren, zu verbreiten und seine Verbreitung zu fördern.« Sie wissen, daß jede dieser drei Tätigkeiten allein Jahre in Anspruch nimmt? Das Bestreben dafür benötigt weitere Zeit. Wenn Sie also Ihr Werk nach einem runden Dezennium einer geförderten Verbreitung unterliegen sehen, so wird Ihnen das schlechte Gewissen schlagen. Was für Schicksalsfragen haben Sie mit Ihrem Bändchen der Poly~ grafie und der Hektografie, der • Imprimatur und der Exprima„. •"\ tur gestellt? . I .-1 ~ Schauen Sie sich die Baulich''"''·. keiten unseres Leipziger Kom• missions- und Großbuchhandels an, und Sie wissen wirklich ganz genau, warum Sie einen volkswirtschaftlich so bedeutsamen Beruf gewählt haben. Doch auch zu Ihrem persönlichen Vorteil rate ich Ihnen: Schreiben Sie keine Bücher, sondern lassen Sie verlautbaren, daß Sie um ein Buch ringen. Solange Sie noch nicht fertig sind, haben Sie viele Freunde. Man ist nett zu Ihnen, denn man muß Ihren Wälzer ja nicht lesen. Haben Sie hingegen ein Buch auf den Markt geworfen - nicht wahr, uns Schriftstellern stehen schöne termini technici zur Verfügung -, haben Sie also Ihr Geistesprodukt materialisieren lassen, so brauchen Sie sich nicht zu wundem, wenn beste Freunde bei Ihrem Anblick schnell die Straßenseite wechseln. Und Sie wissen dann nicht mal, ob der beste Freund das macht, weil er Ihr Buch noch nicht oder eben schon gelesen hat. Natürlich dürfen Sie Stücke fürs Theater schreiben. Das ist verdienstvoll und beglückend. Sie gelten dann als Geheimtip, und Geheimtips werden bekanntlich nicht durch öffentliehe Schaustellung herabgewürdigt.
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>>Wie sollen wir unsere Arbeit schaffen, wenn du 'ne halbe Stunde zu spät kommst?«
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Vergessen Sie dennoch nicht, daß Ihr Beruf als solcher, also als Mythos, öffentlieh ist, daß Sie eine schöne und schwere Ausstrahlung zu verbreiten haben. Nutzen Sie dafür die Medien. Gewiß gibt es bitterböse Herabwürdiger, die von Pressefeindlichkeit unserer Schriftsteller oder Literaturabstinenz gewisser Medien sprechen. Machen Sie die Gegenprobe: Kaum ein flinker Redakteur wird es Ihnen abschlagen, eine Meldung zu verbreiten, daß Sie während Ihres Arbeitsurlaubs an der Seite 27 Ihres großen Romans über die Gegenwartsepoche des Süßstoffkombinats meißeln. Und Ihr Name wird auch immer gern im Zusammenhang mit einer interessanten Gewiß ist das Wichtigste am schönen und Wohnblockweihe genannt werden - oder was schweren Beruf des Schreibens das Lesen. für gesellschaftliche Großereignisse gerade allenthalben anstehen mögen. Seien Sie sich stolz bewußt, daß der Redakteur gern Ihre Meinung mit seinen Worten wiedergibt, wozu unterläge sonst die moderne Welt einer Arbeitsteilung? Gewiß ist das Wichtigste am schönen und schweren Beruf des Schreibens das Lesen. Sie müssen zu diesem Zweck zwölf Seiten Eigentext angefertigt haben - ungefähr dreißig Minuten lang reicht das, wenn Sie mit guter Betonung lesen. Anschließend sprechen Sie offene Worte über die fünf Schwierigkeiten beim Lesen der Wahrheit - legen Sie sich zu diesem Zweck ein paar Augenringe zu - und Sie werden den Ruf eines kritischen Geistes haben, der an der unteren Grenze des Obergrounds künstlerisch tätig ist. Wenn Sie, teurer junger Freund, diese meine Hinweise sich hinter Ihre Maschine schreiben, dann haben Sie alle Möglichkeiten vor sich. Nur vor einem möchte ich Sie noch warnen: Vermeiden Sie, was den Anschein von Humor, gar Satire zu wekken vennöchte. Schlafende Hunde sind besser als aufgeweckte. Ein tiefes Nichtverstehen ist besser als ein oberflächliches Lachen. Und kämen Sie erst mal in den berufsentehrenden Ruf eines spaßigen Pfuimenschen, dann würde sich alle Welt unsicher-verständnisvoll hinter Ihrem Rücken zuraunen: Der meint das zum Glück nicht ernst. •
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Mit allzeit verbindlicher Freundlichkeit Ihr Matthias Biskupek
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Ernst Röhl
»Stellt euch bloß mal vor«, sag ich, »gestern abend im NeunerBus! Einer von diesen unauffälligen fypen steigt ein, und schon ist es passiert: Fahrscheinkontrolle.« »Unangenehm«, sagt Ingo. »Überhaupt nicht«, sag ich, »ich hatte einen Fahrschein.« »Na, so ein Zufall!« sagt Günther und setzt überrascht sein Bierglas ab. »Zufälle«, doziert Ingo, »gibt es gar nicht.« Ingo ist unser kleiner Hausmacherphilosoph und gilt in seiner Familie als unheimlich schlau, als very impotent person, wie der Engländer sagt, er führt jedoch ein regelrechtes Schottendasein, weil er in der Kneipe nur ungern einen ausgibt. »Der Zufall«, erklärt er mit hoch erhobenem Zeigefinger, »ist nichts weiter als der Schnittpunkt zweier Notwendigkeiten.« »Ich hör wohl nicht richtig«, sagt Günther, den man mit Theorien absolut nicht verblüffen kann; er verdient sein Brot in der Gastronomie, im Literatur-Cafe »Bertholdt Brecht«, genauer gesagt, wo das Bücherlesen strengstens verboten ist. »Also«, erzählt Günther, »bei uns macht neulich die Hygiene eine Kaffeekontrolle, und wir sind leider mit einer furchtbar nachlässigen Kaffeeköchin geschlagen, die auch zu Hause auf Betriebskosten gerne mal 'ne gute Tasse Mokka trinkt, und unsere Waage, die kannste sowieso vergessen, aber was soll ich euch sagen! Kontrollergebnis: sechs Komma fünf Gramm, haargenau nach Vorschrift.« »Na«, sag ich, >>so ein Zufall!« »Komisch«, wundert sich Ingo, »solche Zufälle wie ihr erleb ich nie. Niemals! Aber ich bin ja nur beim Baukombinat ... Übrigens, heute gerade haben wir einen Fünfgeschosser komplett übergeben.« »Und wann«, fragt Günther, dieser verdammte Sadist, »war der Übergabetermin - voriges oder vorvoriges Jahr?« »Heute«, sagt Ingo. Wrr grinsen ihn gnadenlos an. »Ach so«, sagt Ingo, »jetzt dämmert mir was ... « »Mann«, schreien wir, »so ein Zufall!«
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Sketch in der Pfeffermühle
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1. Kennt ihr den? Warum gibt's in der DDR keine Erdbeben? Ganz einfach: Wenn Petrus uns eins schicken will und unsere Straßen sieht, sagt er: »Da nicht, da ist grad eins gewesen!« 2. Hahaha. Du willst uns bloß ablenken. 3. Indem du unsere Straßenbauer verleumdest. 2. Du mußt doch denken, wir schlafen immer. 1. Ihr tut grade so, als hätt ich einen umgebracht. 2. Haste auch. Du hast unsern Ruf getötet. 3. Wo warst'n gestern nachmittag? Du bist nämlich gesehen worden. 1. Na und? Die Polizei ist der Machtapparat der herrschenden Klasse. Ich werd doch mal zu meinen Machthabern gehen können. Ich habe mich umgemeldet. Ich habe meinen Hauptwohnsitz nach Bad Schandau verlegt. Da hab ich 'ne Großmutter. 3. Und da kriegste nun 'ne Arbeiterrückfahrkarte. 1. Nee, aber jeden Tag sieben Mark Auslösung. 2. Das ist Betrug. Wenns rauskommt, kannste lange auf die Auslösung warten. 3. Ich weiß schon: Du suchst was, wo du kriminell sein kannst und dabei noch vom Staat unterstützt wirst. Aber so was gibt's gar nicht. 1. Doch. Das Neuererwesen. Und Neuererwesen, das ist das, was Karl voriges Jahr gemacht hat. 3. Was haste denn gemacht? 2. Einen Neuerervorschlag. 3. Ach, dir ist wohl was eingefallen? 2. Nee, mir ist nischt eingefallen. Aber mein Vorschlag wurde trotzdem angenommen. 3. Wie kann man denn 'n Vorschlag annehmen, der gar keiner ist? 1. So kann bloß ein Neuer fragen, aber kein Neuerer. Paß auf, wir hatten zwar nischt neues, aber eine alte Idee. 2. Wrr hatten doch früher statt eines Krans eine Wmde. 1. Die wurde dann durch den Kran ersetzt. War mein Vorschlag.
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2. Dann dacht ich, wenn wir statt des Krans wieder 'ne Winde einsetzen, sparen wir 'ne Arbeitskraft, Strom und Kosten. 1. Dann hat er mich und Helmut an dem Vorschlag beteiligt. Schwupp waren wir ein Kollektiv, und der Betrieb konnte gleich drei Neuerer melden. 3. Das bringt doch dem Staat nischt ein. 1. Aber den Statistikern. Und die gehören zur größten Massenbewegung der DDR, dem Verwaltungsapparat. 2. Genau, und der ist das wichtigste Instrument der Gewerkschaft zur Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung. 3. Gucke, da kommt Helmut! Der bringt uns die Prämie! 1. Na endlich, ich dacht schon, ich müßte meine Drehbank ins Leihhaus bringen. 4. Da bring se nur hin. Erst mal würde ich gern von euch Geld einsammeln. 1. Von uns? Wofür? 4. Wofür? Für den demolierten Wohnwagen am Strand, den wir im Suff 2. Schade. Ich hätte ihn gerne noch mit Leuchtfarbe angestrichen. Da hätte ihm vielleicht die Marine 'n Gnadenschuß gegeben. 1. Da hätten die ihn bezahlen müssen. 4. Wie ich die kenne, hätten die gar nicht getroffen. Also müssen wir ihn selber bezahlen, und darum hab ich die Prämie abgelehnt. 1. Mutter, mach mich ganz schnell wach! Helmut hat die Prämie abgelehnt! 2. Mensch, ich hab das Geld schon verplant! Meine Tochter hat Jugendweihe, das kostet. 3. Läßt se eben konfirmieren. 2. Du bist wohl verrückt, die will mal was werden. Ein guter Sozialist. 4. Da mußt du sie konfirmieren lassen, da braucht sie 'n starken Glauben. 1. Nun sag mal ehrlich, Helmut, warum hast'n die Prämie abgelehnt? 4. Aus zwei Gründen. Erstens haben wir sie wirklich nicht verdient, und zweitens waren's bloß achtzig Mark.
))Heute gibt's keine Prämie. Es geht bloß um die Ehre.<<
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Was des Volkes Hände schaffen
Jochen Petersdorf
Als erste ka.m die Direktion. Sie kam um 8 Uhr zehn mit vier Mann hoch, die mußten schon um 11 Uhr wieder gehn. Auch BPO samt BGL erschien mit einem Strauß. Der Sekretär ging ziemlich schnell, die andern hielten aus. Um 9 Uhr kam die VVB, drei Männer, eine Frau mit einer weißen Orchidee, die war um 12 auch blau.
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Um 10 Uhr kam ein General, ein Freund der Heiterkeit. Der blieb, vergnügt wie jedesmal, als Gratulant auf Zeit.
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Der DFD kam auch vorbei. Drei Damen, etwas kühl. Sie blieben steif bis um halb zwei. Dann wurden sie mobil.
Um 12 Uhr war die Bude voll. Im Sekretariat, da tanzte Fräulein Marlies Knall Calypso mit Spagat. Man fand die Gratulantenschar bis Mitternacht noch wach. Die Hälfte sieht bis heut nicht klar, die andere liegt flach. Doch bald schon geht es wieder rund. Man weiß zwar noch nicht wo. Doch irgendwie gibts immer Grund für Feiern im Büro.
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Die meisten Berliner wollen heutzutage in ihrem Urlaub gleich immer ans Schwarze Meer fahren. Das ist das mindeste. Hier, die eigenen Gewässer, die lassen sie links liegen. »Ja«, sagen sie, »die Umgebung von Berlin ist einfach herrlich. Die Berge, die Seen, Schiffe und so weiter.« Aber sie empfehlen es nur Fremden, als Attraktion sozusagen, so daß ein aufmerksamer Zugereister schon stutzig werden müßte. Dabei hängen die Berliner insgeheim an ihren Gewässern. Manche gehen regelmäßig im Orankesee baden, erzählen aber vorsichts halber, daß sie am Sonntag beziehungsweise am arbeitsfreien Sonnabend nach außerhalb gefahren wären, nur damit ihre Bekannten oder Kollegen staunen sollen oder vor Neid erblassen. Ich selbst bin häufig am Weißen See anzutreffen. Ich bin ein Mensch, der auf Nummer Sicher geht. Deshalb halte ich auch von Gewässern, die bedeutend größer als das genannte sind, nicht allzuviel - besonders, wenn: zu allem Überfluß auch noch verschiedene Länder an dasselbe grenzen. Diese letzte Frage fällt beim Weißen See völlig ins Wasser, weil er sich in einem einzigen Stadtbezirk - nämlich Weißensee - befindet, so daß man nicht einmal mit dem Wohnungsamt in Konflikt kommt, falls man unvorhergesehenerweise an das andere Ufer gerät. Sehen Sie zum Beispiel nur einmal die Sprachschwierigkeiten am Schwarzen Meer. Russisch ist kein Problem ... »Na sdarowje« heißt soviel wie »Prost!«, und jeder, der es vernimmt, weiß, daß der Ankömmling nichts Böses im Schilde führt. Aber auf einmal sprechen sie in der Ukraine gar nicht russisch oder haben am Kaukasus ein ganz anderes Idiom? Von Türkisch kenne ich nur »Turetski met-met-met«, was Türkischer Honig heißen soll, aber jeder macht sich nichts draus. Aber mit Rumänisch ist es ganz aus bei mir. Vielleicht könnte man ein bißchen mit Französisch ankommen: Etwa »defense defumer« oder was man sonst noch an praktischen Sprichwörtern kennt. In Bulgarien hingegen könnte man mit »leckere noscht!« landen, was soviel wie »Schlafen Sie gut!« bedeutet. Das kann auch niemand verkehrt auffassen. Aber das sind natürlich auch nur Hinweise für einen, der ein wenig gebildet ist.
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Ansonsten empfehle ich tatsächlich lieber den Weißen See. Zum Beispiel bei stürmischem Wetter kann ein Motorschaden auf dem Schwarzen Meer ganz schon verhängnisvoll werden. Ganz im Gegenteil auf dem Weißen See. Erstens gibt es gar keine Motorboote, sondern höchstens Ruderboote, und zweitens ist der Wellengang nicht so gefährlich. Er erreicht bei Windstärke 12 auch höchstens dreiundzwanzig Zentimeter. Dialektisch betrachtet sprechen die Ober an allen Ufern des Weißen Sees die gleiche Sprache. Und wenn Sie mal Ihren Hut am Nordufer auf einer Bank haben liegenlassen und bemerken den Verlust am Südufer, dann gehen Sie einfach noch mal um den halben See herum, und schon haben Sie Ihren Hut wieder. Es muß sich natürlich um einen alten Hut handeln.
8oseAwordo6rio Ich bin kein Fachmann in Gewerkschaftsfragen, doch ich ergreife die Gelegenheit, mich öffentlieh und lauthals zu beklagen, weil das, was mir geschah, zum Himmel schreit. Mein Urlaub war - das sei hier zugegeben dank unserm Feriendienst recht angenehm. Ich wurde sehr verwöhnt und fand das Leben erlebenswert (und preiswert außerdem). Für alles war gesorgt: für Himmelsbläue, für Strandkorb, Luftmatratze, Dampferfahrt, für FKK sowie die täglich neue Kulturumrahmung mehr ziviler Art. Ich hätte keinen Grund gehabt zu murren, zumal ich mich mit ++++++ gut verstand und weder Heimweh, Durst noch Magenknurren (denn die Verpflegung war enorm!) empfand. Doch folgender Eklat ist eine glatte Intrige und, Kollegen, ein Skandal: Am Tag, nachdem ich Zingst verlassen hatte, gab's zur Verpflegung erstmals Räucheraal.
Hansgeorg Stengel
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»Jetzt können DDRBürger wieder nach Polen reisen.« »Ja wirklich?« »Ja, damit sie sehen können, wie es uns in der DDR im kommenden Jahr gehen wird.«
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Heißer Sommer
Heli Busse
-· 311t Stre/J ~, OH Damals, als das arbeitsfreie Wochenende und die Technik, die man für sich arbeiten lassen kann, eingeführt wurden, zweifelte niemand daran, daß sich dies gedeihlich auf das Familienleben auswirken würde. Inzwischen weiß man: Mehr Freizeit bedeutet nicht mehr freie Zeit, sondern mehr Streß und Probleme. Eines davon bedarf besonders dringend einer wissenschaftlichen Lösung. Ich möchte an einem einfachen Beispiel veranschaulichen, um was es geht: Wie war das früher bei uns - der heute erwachsenen, das komplizierte Leben meisternden Generation - in der Kindheit? An den Sonntagen versa.mmelte sich die Familie am Mittagstisch, lim in trauter Gemeinsamkeit das Mahl einzunehmen. Dabei offenbarte sich den Eltern gewöhnlich, was für Unarten sich die Kinder im Laufe der Woche zugelegt hatten. Zu diesen Unarten nahm der Vater während des Kauens kurz Nirgendwo sonst ist der moderne Stellung, daß die Mutter und die Tassen klirrten Erziehungsberechtigte derart lange und die Kinder die neuen Unarten für einen Auvon der Umwelt so isoliert und allein genblick vergaßen. mit seinen Kindern wie im Auto. Es war dies eine schöne, allerdings stark vereinfacht von unseren Vorfahren übernommene 'Iradition, und wenn auch nicht viel an Erziehung geboten wurde, so kam im Laufe der Jahre doch einiges zusammen. Jedenfalls reichte es, um aus uns jene liebenswerten, kulturvollen und arbeitsamen Werktätigen zu machen, auf die wir alle mit Recht stolz sind. Welche Familie aber vereint sich heute noch vollzählig daheim am Mittagstisch? Meine Nachbarn etwa begeben sich in die Klubgaststätte, womit ihnen jede Chance genommen wird, erzieherisch auf ihre Töchter einwirken zu können. Verbissen schweigend, würgen die Eltern seit Jahren ihr Menu ala carte hinunter, und nur ein gelegentliches Aufblitzen ihrer Augen verrät, daß sie insgeheim das Bedürfnis haben, einmal, wie früher der Vater, die Tassen tanzen zu lassen und ihren mißratenen Kindern einige Faustregeln des guten Benehmens in die dreisten Gesichter zu schleudern. Doch sind sie selber noch viel zu gut erzogen, um dies in aller Öffentlichkeit zu tun. Wo und wann aber sonst? Und genau das ist unser Problem! In der Woche hat man doch kaum Zeit für mehr als solche erzieherischen Lappalien wie »Mach das verdammte Radio leiser!« Aber selbst dies verhallt ungehört, weil das Radio zu laut ist. Ich kenne einen Vater, der dann jedesmal aus seinem Fern-
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sehsessel emporschnellte, in die Kemenate des gelangweilt von seiner Lagerstatt aufblickenden Sohnes stürzte und mit einer eindrucksvollen Gebärde den Lautstärkeregler des Radios auf Normallärm zurückschob. Kommentarlos - denn da er dies an jedem Abend ein paar Dutzend Mal tun mußte, wollte er nicht noch mehr unersetzliche Fernsehzeit durch sowieso sinnlose Diskussionen vergeuden. Also wird er einen Sohn ins Leben entlassen, dem die Nerven der Mitmenschen nichts bedeuten, weil ihm nie gesagt wurde, daß sie welche haben. Und wie viele solcher unwissenden Lärmer sind bereits tätig! Andrerseits gibt es das angestrengte Bemühen einzelner, jedes Beisammensein mit dem Nachwuchs für dessen Aufklärung zu nutzen. Ich hörte im Elternaktiv von einer Familie, die anläßlich einer Autobahnfahrt z11m Wörlitzer Park einer Bitte des Klassenleiters ent.. ~···" • •• 0 sprach und ihrem 7.-KlasseSohn das Kneifen von Mädchen an bestimmten Stellen mit ungewöhnlicher Strenge untersagte. --- .. . . '. · So weit, so gut; bedenkt man ... _ . - - '. jedoch, wie wenige sonntags nach Wörlitz fahren im Vergleich zu den vielen, vielen Mädchen, die in den Schulen zu kneifen sind, wird sofort klar, daß wir noch eine Weile mit diesem Problem werden leben •• mussen. Verkehrsexperten dürften ohnehin einwenden, daß ein Auto nicht der geeignete Ort für die Kindererziehung sei, obwohl es sich eigentlich dafür anbiete. Denn nirgendwo sonst ist der moderne Erziehungsberechtigte derart lange von der Umwelt so isoliert und allein mit seinen Kindern wie im Auto. Er könnte hier sehr viel lauter sprechen als in seiner Wohnung - niemand hört mit! Aber es hat sich gezeigt, daß der aktiv fahrende Elternteil vor allem das Straßengeschehen zu beobachten hat, während der passiv mitfahrende Teil darauf bedacht sein muß, den aktiv .,.~
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fahrenden durch aufmunternde Reden, Chansons, Scherze und dergleichen in gutem nervlichen Zustand zu erhalten. Also können beide Elternteile erzieherisch nicht recht aktiv werden. Die meisten Kinder gehen darum am Sonntagabend genauso schlimm aus dem Auto hervor, wie sie am Sonntagmorgen hineingestiegen sind. Oder schlimmer! So begann zum Beispiel eines der drei Kinder der Familie F. eines Sonntags während der Fahrt, die Hinterteile seiner beiden Geschwister mit einer Sicherheitsnadel zu bearbeiten. Schweigend und, wie es das Gesetz befiehlt, voll auf das Straßengeschehen konzentriert, ertrug der Vater 127 der 180 bis 200 Kilometer, die er als fleißiNicht wenige Eltern vertrauen auf den ger Mensch sonntags an Landstraße zu beurlaub. Hier, meinen sie, könnten sie wältigen pflegte, das Brüllen, Heulen und sich ganz ihren Kindern widmen. Toben hinter sich auf dem Rücksitz. Dann aber spürte er plötzlich, wie sich in ihm ein hochexplosives Gemisch ähnlich wie das im Motor bildete, und es hätte nur noch eines winzigen Funkens bedurft, um diesen Vater zur Explosion zu bringen. Geistesgegenwärtig bog er in letzter Sekunde von der Chaussee in einen stillen, menschenleeren und finsteren Wald ab. Hier sprang er aus dem Wagen wie Rumpelstilzchen und riß die drei fassungslosen Tunichtgute von den Rücksitzen herunter auf den harten Waldboden. Ein erzieherisch ungeheuer effektvoller Vorgang für die polstergewohnten Bengel, der sie vermutlich auf Dauer gebessert hätte. Doch just in diesem Augenblick fragte den Vater eine unangenehm scharfe Stimme, ob er nicht wisse, was das runde weiße Schild mit dem roten Rand und der Aufschrift »Außer Forstfahrzeuge« am Wegesanfang bedeutet. Der Vater wußte es zufällig, doch nicht immer ist Wissen Macht. In diesem Falle kostete es ihn zehn Mark, und genau diese Summe löste den Funken aus, den der Vater benötigte, um zu explodieren. Aber auch dies war im Walde nicht gestattet, was ihn zwar weiter kein Geld, doch seine Autorität als Erziehungsberechtigten kostete, weil er sich später beim Förster offiziell für die Explosion entschuldigen mußte. Die Kinder des leidgeprüften Mannes legten dies alles dahingehend aus, daß Erziehungsversuche behördlicherseits streng geahndet würden, und entwickelten sich fortan selbstverständlich nur noch negativ. Viele Eltern bauen darum mehr auf den wohltuenden Einfluß der Kultur denn auf den der Natur. Kürzlich traf ich auf einer unserer großen volksfestartigen Kulturveranstaltungen Herrn Prof. Dr. K., einen hochgeachteten, terminüberladenen Wissenschaftler, der nur sehr selten dazu
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kommt, von seiner Familie Gebrauch zu machen. An diesem Sonntag aber stand der sonst zeitlose Gelehrte mit seiner Tochter vor der Bühne der Cash-as-cash-can-Band, und als diese wie soll ich sagen? Sagen wir: - zu arbeiten begann, sah ich nicht nur viele Erwachsene grau im Gesicht werden, sondern vor allem zahlreiche Kinder angesichts soviel plötzlicher Erbarmungslosigkeit des Lebens in Tränen ausbrechen. Die Tochter des Professors schrie vor Entsetzen. Ja, gestand mir später der Wissenschaftler erschüttert, nie habe er die Zeit gefunden, seinen kleinen Liebling auf diese grausame, unversöhnliche Seite der Kultur aufmerksam zu machen, sondern die Tochter immer nur dem Sandmann überlassen. Auf diese Weise zog sich eine wohlbehütete, durch Zeitmangel der Eltern aber wirklichkeitsfremd gebliebene Siebzehnjährige bei der eines Tages eben doch unausbleiblich stattfindenden Konfrontation mit der real existierenden Kultur einen Schock fürs Leben zu. Nicht wenige Eltern vertrauen auf den Urlaub. Hier, meinen sie, könnten sie sich ganz ihren Kindern widmen. Eine Mutter sagte mir neulich, sie verspreche sich viel von gemeinsamen Wanderungen. Ein hübscher Einfall, doch ich habe das Beispiel der Familie S. vor Augen, die ich im vergangenen Jahr in Waldigelfeld auf dem Johann-Gottlieb-Ziegenber,,.' ger-Pfad traf. (Seinerzeit größter fortschritt- :: 1 licher Dichter und Sänger im dortigen Kreis- '?r;, •• ••• . „ . ..maßstab. Das Lied »Herz, o pochend Herz in leerer Brust« stammt von ihm.) Der Urlaub der Familie S. ging zu Ende, doch soll niemand glauben, daß es den Eltern gelungen wäre, aus ihren transistorbestückten Kindern Johann Gottlieb Ziegenberger liebende Kinder zu machen. Dazu benötigt man viel Überredungskunst und Zeit, und die war auch im Urlaub recht eigentlich nicht vorhanden. Denn der Johann-Gottlieb-Ziegenberger-Pfad verbindet das zentrale Bettenhaus mit der zentralen Speiseeinrichtung, und so eilten zwar alle viermal täglich den Poeten-Pfad hinan, doch stand ihnen der Sinn dabei nur nach Füllung des leeren Magens und nicht der leeren Brust, was jedoch stets das Hauptanliegen des großen Dichters und Sängers Ziegenberger bei der Begehung des Pfades war. Der durch die Essentennine bedingte Zeitdruck auf die rasche Befriedigung ausschließlich physi-
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scher Bedürfnisse hat sich höchst negativ auf das KulturerbeVerständnis der Kinder von Familie S. ausgewirkt. Sie als Angehörige der uns ablösenden Generation von Urlaubern sehen nichts Fortschrittliches mehr in Johann Gottlieb Ziegenberger. Im Gegenteil - seines Pfades wegen hassen sie ihn ganz einfach. So darf man also auch auf den Urlaub nicht allzu viel Hoffnungen setzen, sondern muß schon mit dem Erreichten zufrieden sein, wenn man mit seinen Kindern in den zentralen Bettenund Speiseeinrichtungen sowie auf den gepflegten zentralen Pfaden dazwischen nicht unangenehm auffällt. Ich konnte das große Problem hier nur anhand einiger weniger, ausgewählter Beispiele antippen. Jetzt mögen die Experten der pädagogischen Wissenschaften das Wort ergreifen, um uns zu lehren, wann und wo wir denn nun unsere Kinder zu ebensolch feinsinnigen Menschen erziehen können, wie wir selber es glücklicherweise gerade noch geworden sind.
Wer heute etwas auf sich hält, der lädt sich ganz im Stillen ein halbes Dutzend Gäste ein zur Party und zum Grillen.
>>Das Konsumgut par excellence: materialintensiv, teuer und gar nicht so störanfällig.<<
Das Grillen ist recht kompliziert und hat bestimmte Riten, so mit sehr vielem Drum und Dran. Man will ja doch was bieten. Es fummelt einer ewig rum im Dunkeln und mit Feuer, mit Würstchen, Holz und mit dem Rost. Das reinste Abenteuer! Doch endlich ist es dann so weit, , der Hausherr tat sich sputen. Drei Stunden währte glatt sein Tun, das Essen - fünf Minuten! Achim Fröhlich
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Die Angehörigen der Sowjetischen Streitkräfte in der DDR haben sich selten an Lotterien beteiligt. Warum? Sie befürchteten, eine Reise in die Sowjetunion zu gewinnen.
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Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu; und wem sie just passierte, dem bricht das Herz entzwei. Ja, es ist eine alte Geschichte, und sie ist mir selbst passiert. Ich war in, na sagen wir in 0., hatte Hunger und wurde übermütig. Hunger und Übermut führen bei uns manchmal ins Interhotel. Ich ging also ins Interho---/ tel W., obwohl ich dort schon I mehrmals und nicht nur dort ... IM Ich mache nämlich manchmal -..STSTÄTTENWE.1T.8EtVER~ ~ Dienstreisen, und wer bei uns dienstreist, der wohnt natürlich im Interhotel. Schließlich braucht er es ja nicht zu bezahlen, und erholen muß er sich dort auch nicht. An der Tür zum Hotelrestaurant grüßt sachlich das inzwischen allseits beliebte Schild: »Die Gäste werden vom Restaurantleiter plaziert.« Das ist korrekt, denn es klärt von vornherein die Machtverhältnisse in unserer Gastronomie. Man weiß sofort: wer - wen! Vorsichtshalber sehe ich mich von der Tür aus schon um, ob ich hier überhaupt noch plaziert werden kann. Ich kann. Das heißt, ich könnte, wenn der Restaurantleiter wollte. Er kann aber im Moment gar nicht wollen, weil er nicht da ist. Glücklicherweise bleibe ich trotzdem nicht allein. Nach fünf Minuten bilden wir an der Tür bereits ein kleines, aber standhaftes Wartekollektiv, ein bißchen verärgert, aber nicht ohne Hoffnung. Denn wir sehen ja mehrere freie, frisch eingedeckte Tische.
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Ein Kellner huscht vorbei. Ich versuche ihn anzusprechen, aber er ist nicht ansprechbar. Nach weiteren fünf Minuten, es können auch zehn gewesen sein, erscheint der Restaurantleiter. Er ist korrekt gekleidet und antwortet auf meine Frage nach einem einzelnen Platz ebenso korrekt »Guten Tag«. Dann sieht er etwas weniger korrekt, aber um so bestimmter über mich hinweg und fordert zwei bescheidenere, weil stumm abwartende und schlipstragende junge Männer auf, ihm zu folgen. Und den Gast möchte ich sehen, der bei uns nicht folgen würde. Ich warte weiter, zugegeben: etwas verärgert. Als der Restaurantleiter zurückkommt, wieder über mich hinwegsehen will, gehe ich nicht etwa in die Luft, die ich ohnehin für ihn zu sein scheine, sondern bitte nochmals um einen Platz und das Gästebuch. Es klingt vielleicht unwahrscheinlich, aber ich bekomme wirklich einen Platz zugewiesen. Über die Art, in der das geschieht, brauche ich mich nicht aufzuregen. Ich kann's ja ins Gästebuch schreiben. Denke ich. Zufällig wurde ich an den Tisch mit den J beiden vorgezogenen jungen Schlipsträgern geschickt. Die beiden schimpfen über die lange Wartezeit und über die Art, in der man hier behandelt wird. Sie erzählen, daß sie am Tag vorher in einer billigen Kneipe gegessen hätten, in der es ihnen aber immer noch besser gefallen habe als hier. Natürlich reden sie darüber nur, solange kein Kellner in Hörweite ist. Immerhin tröstet es ungemein, wenn man sich nicht allein zu ärgern braucht. Nach höchstens einer Viertelstunde nimmt eine Kellnerin bereits unsere Bestellung auf. Als sie dann die Getränke bringt - wir wollen jetzt mal nicht über die Zeit reden, das würde zu lange dauern -, bitte ich sie, den Restaurantleiter an das Gästebuch zu erinnern. Schließlich kommt sie mit dem Essen. Gerechterweise muß ich hinzufügen: Das Essen entsprach dem Preis - es war wirklich gut. Als ich nochmals um das Gästebuch bitte, antwortet die Kellnerin, der Restaurantleiter habe gesagt, ich sollte doch erst mal in Ruhe essen. Also esse ich wie angeordnet in Ruhe und bestelle danach noch einen Kaffee. Der kommt. Meine erneute Frage nach dem Gästebuch wird schon nicht mehr beantwortet.
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Statt des Gästebuchs erscheint schließlich ein Herr, der sich vorstellt: »Ich heiße Hase. Ich bin hier der gastronomische Leiter.« Nachdem ich mich nun auch vorgestellt habe, erklärt er mir, daß ich keinerlei Grund hätte, das Gästebuch zu verlangen, da es hier immer so sei. Das scheint zu stimmen - fast während der ganzen Zeit stehen verlegen wartende Gäste an der Tür und starren auf leere Tische. Die anderen Gäste - fährt Herr Hase fort - hätten noch nie Anstoß genommen an der Warterei und dem völlig korrekten Verhalten seines Restaurantleiters. Bevor ich das Gästebuch verlange, solle ich doch vielleicht erstmal eine Gästebefragung durchführen. Außerdem erwecke mein Äußeres nicht den Anschein, daß ich in »qualifizierter Art<< in dieses Buch schreiben könne. Uberhaupt könne man hier nicht jeden von der Straße hereinlassen. Er wisse ja nicht, in welchen Restaurants ich sonst verkehrte ... Nachdem ich eine längere Modediskussion abgelehnt und auf dem Gästebuch bestanden habe, läßt mich Herr Hase einfach sitzen. Meine Tischgenossen wetten, daß ich das Gästebuch nie und nimmer bekommen würde. Ich tue mir etwas darauf zugute, daß ich bei der ganzen Diskussion völlig ruhig geblieben bin und nicht nur höflicher war als meine gastronomischen Partner, sondern überhaupt höflich, und daß es mir trotzdem gelang, das Gästebuch zu bekommen. Das allerdings nur, weil ich sehr viel Zeit hatte und mit meiner fortdauernden Anwesenheit drohen konnte. Nach etwa zweistündigem Aufenthalt im besten Restaurant am Platze habe ich meine Eindrücke in das kostbare Buch eintragen dürfen. Wenn Sie's nicht glauben, gehen Sie mal hin und bitten einfach ums Gästebuch. Sie brauchen nur Zeit, Geduld und vielleicht einen Schlips. >
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Achim Fröhlich
Die bebrillte Sachbearbeiterin sitzt mürrisch hinter einem Schalter des Reisebüros. Ein Rentner nähert sich ihr zögernd. S blickt auf, unfreundlich: Bittä? R: Bin ich hier richtig im Reisebüro? S: Ja. R schüchtern: Ich bin Rentner ... S: Gratuliere! Ich muß noch 20 Jahre warten! West-Schalter 27! Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet! . R: Aber ich will gar nicht in ein ungewisses Wrrtschaftsgebiet, sondern nach Bulgarien! Im Juni! Ans Meer! S: Alles ausgebucht! Kurze Pause. Aber Moment mal? Haben Sie nicht eben gesagt, Sie wäm Rentner und wollen trotzdem nicht nach drühm?? Mann, dann sind Sie ja ein fortschrittlicher Bürger!? Dann stehen Sie doch fest auf dem Boden unserer Republik! Oder?? R verwint: Ja, ja! Bisher jedenfalls stand ich immer drauf! Denn ich war noch nie im Ausland! S: Sie sind also - erstens - positiv und - zweitens noch nie im Ausland gewesen? Das heißt, Sie haben die besten Voraussetzungen für einen Reiseleiter!! R: So? Für einen Reiseleiter? S: Ja! Ich schicke Sie als Reiseleiter nach Ungarn! An den Balletong-See? R: An den Balletong-See? S: So! Oder sind Se Genosse? R: Ja! S: Dann schicke ich Sie in die SV! Sie übernehmen die Reisegruppe 08/15 Strich 4711 und fahren nach Minx! R: Minx?? Wo soll denn das liegen? S: Was denn, Sie kennen Minx nicht? Das ist doch die Hauptstadt von der andalusischen SSR! R: Ich dachte, es liegt im Kaukasus. S: unsicher: Moment mal? Es kann auch von der bellorussichen SSR sein. R: nachdenklich: Reiseleiter ist sicher ganz schön! Aber ob die andern mit mir einverstanden sind? S: Na, aber! Die fragen wir doch gar nicht! Übrigens, die ande-
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ren sind sowieso nur aus Pritzwalk und Zossen! R: Wenn sie aber trotzdem meckern? S: Ach, Unsinn! Die sind zufrieden, wenn Se ihre Rubel in der Tasche haben! - Könn' Se etwas Russisch? R: verlegen: ... Soljanka ... Traktor ... Drushba! Mir! S: Na, ausgezeichnet! Sie sind ja ein Sprachgenie! R: Finden Sie? S: Aber immer! Außerdem haben Sie ja Ihre Quasseljuste bei! R: Nein, der Himmel hab sie selig, sie ist Gott sei Dank schon zwei Jahre tot. S: Ich meine Ihre Dolmetscherin! Sie müssen Sie fragen, wo's billig Bohnenkaffee gibt! Oder Kaviar! R: Bohnenkaffee - ja! Aber Kaviar trinke ich so gerne! nicht ·-....S: Was wissen Sie denn so über die SU? R: Moskau soll 'ne U-Bahn haben, die Metro heißt! S: Na bitte! Sie haben doch 'ne Vorbildung! Und da kommen hier dauernd so 'ne Intellellen und wollen Reiseleiter spielen! R: Haben Sie wenigstens einen Reiseprospekt mich, damit ich mich noch ein bißchen auf für - . . . die Fahrt vorbereiten kann? S: Einen Reiseprospekt vor der Reise? Das ist ein Überbleibsel der bürgerlich-kapitalistischen Werbepsychologie! R: Ich hätte trotzdem gern einen gehabt! S: Na ja, es muß doch nicht sein, daß man im voraus schon weiß, wie's nachher gar nicht ist! R: Wo kann ich mich aber über Minx infonnieren? S: Harn Se nicht 'ne Tante drüben oder so was? R: Wieso? S: Na, vielleicht schickt die Ihnen ein paar Prospekte über die SU! R immer noch unschlüssig: Also, ich weiß nicht ... Ich weiß nicht, ob ich mich wirklich als Reiseleiter eigne?! S: Na, aber sicher! Hauptsache, Sie vergessen die Hauptsache nicht! R: Und die wäre? S: Na, daß Sie injedem Falle nachher einen positiven Reisebericht schreiben!! '~ ~
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Achim Fröhlich
Der Superschwergewichtler Fredy Klopfer war gerade beim Schattenboxen, als der bekannte Sportreporter Hilmar Ertel auf ihn zu trat und ihn fragte: »Sportfreund Klopfer, Sie sind erst vor wenigen Stunden vom Länder-Treffen zurückgekehrt, wo Sie auf den Europameister in Ihrer Gewichtsklasse trafen, nicht wahr?« - »Das stimmt«, brummte der Boxer. »An dem Treffen nahmen neben dem Europameister, dem Ringrichter und mir vor allem die Präsidenten Iwanow und Krause, ferner die Ringärzte Popow und Schulze sowie die Punktrichter Rummski, Wumski, Bumski, Beier, Geier, Meier und andere teil.« - »Und mit welchem Ergebnis endete das Treffen?« - »Die Teilnehmer des Treffens brachten ihre Genugtuung über den Austausch von freundschaftlichen Schlägen, vor allem geraden Linken, zum Ausdruck.« - »Na, und weiter?« forschte der Reporter. »Sie tauschten auf der Grundlage umfassender Erkenntnisse tiefgriindige Erfahrungen aus.« - »Und wie«, drängte der Reporter, »verlief nun das Treffen im Ring?« - »Beide Seiten bekräftigten in jeder -· Runde ihre Absicht, das Treffen zu einem vollen • f Erfolg werden zu lassen.« Radio-Reporter Ertel ~---~~-----...:.........:~;.....;i aber blieb weiter ungeduldig: »Ich meine doch, wie verlief das Treffen ganz konkret?« - »Es verlief im Geiste »••• herrschte auf dem Spielfeld eine freundliche der internationalen Sportfreundschaft. In sachlicher und sportAtmosphäre. << licher Atmosphäre.« - »Aber wie war denn das nun mit dem Kampf?« fragte Ertel leicht ärgerlich. »Alle Teilnehmer des Treffens unterstrichen die Bedeutung der Rolle der Bedeutung im Ka.mpf um die Verwirklichung der Verwirklichung des Kampfes!« - »Sportfreund Klopfer«, dem Reporter kamen die Tränen, »ich möchte doch nur eins wissen: Wie war der Endstand? Nach Punkten?« Superschwergewichtler Klopfer ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Es herrschte in allen Punkten volle Einigkeit!« Reporter Ertel war restlos verzweifelt. Er flehte: »Oh, oh! Unsere Hörer, unsere lieben, lieben Hörer wollen doch nur noch das Schlußresultat wissen! Also, was war das Fazit dieses so hochwichtigen Box-Länder-Treffens??« - »Na, ganz einfach!« »Ja??« - »Das Treffen fand statt und ging zu Ende.« 11
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Die Kneipe war fast leer. Nur ein einziger Mann lehnte am Stehtisch neben der Theke und blickte melancholisch in sein halbleeres Bierglas. »Guten Abend«, sagte ich. »Setzen Sie sich zu mir«, antwortete er, obwohl er doch stand, »ist schon Halbzeit? Der König rief, und alle, alle kamen. Nun ist wieder eine Monarchie über uns hereingebrochen, und ich habe nicht mal ein Signalhorn oder einen Satz Leuchtraketen zur Hand. Verdammter Mist.« Er schien nicht mehr ganz nüchtern zu sein. Aus Erfahrung weiß ich, daß man - schon im Interesse der eigenen Vorderzähne - mit solchen Leuten sehr diplomatisch umgehen muß. »Wovon«, fragte ich sehr leise Der Bäcker hatte in seiner WM-Euphorie und höflich, »wovon sprechen Sie eigentlich?« nur Pfannkuchen gebacken, weil die so Da schenkte er mir zum ersten Mal einen un- rund sind wie das legendäre Leder. endlich traurigen Blick. »Vom König Fußball spreche ich. Wovon sollte ich denn sonst sprechen? Kennen Sie vielleicht jemanden, der in diesen Tagen der WM von irgend etwas anderem spricht? Alle sprechen nur vom Fußball. Alle!!« »Verzeihen Sie, mein Herr«, bemerkte ich, »aber meine Oma spricht nicht vom Fußball - es ist wirklich wahr!« Er trank einen kleinen Schluck Bier und seufzte: »Mag sein. Alte Leute sind oft ein bißchen wunderlich. Mann, habe ich heute abend einen Durst!« »Ich auch. Deshalb bin ich ja hier. Ist denn der Wirt nicht da?« »Natürlich ist er da. Er kommt aber erst zur Halbzeit wieder nach vom. Bis dahin sitzt er hinten in der Stube vor dem Fernseher und sieht sich die Weltmeisterschaften im Fußball an.« »Gab's hier nicht früher mal einen Kellner?« »Den gibt's immer noch. Der sitzt auch hinten vor dieser Fußballröhre.«Er trank sein Bier aus, und ich sah, wie seine Stirnadern etwas anschwollen. Plötzlich schlug er mit der Faust auf den Stehtisch und rief: »Wann ist denn nun endlich Halbzeit? Wir verdursten hier!« Aus dem Hintergrund brüllte jemand: »Halt gefälligst dein Maul, du Banause! Hier geht es um höhere Dinge, da hast du nicht dazwischenzugrölen! Sonst hole ich sofort die Polizei!!« Mein Nachbar lächelte stumpf und murmelte: »Die Polizei!
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Wenn ich das schon höre. Glaubt der Kerl vielleicht, die würden sich nicht für die WM interessieren? Es ist ja ein Wunder, daß derzeit noch Straßenbahnen fahren. Gestern wollte ich beim Bäcker Schrippen kaufen, aber der hatte in seiner WMEuphorie nur Pfannkuchen gebacken, weil die so rund sind wie das legendäre Leder. Sie waren auch genauso zäh. Im Haus nebenan hat vor ein paar Tagen während der Fußball-Übertragung einer heimlich Klavier gespielt; den wollten seine Nachbarn wegen ruhestörenden Lärms in die Klapsmühle bringen lassen.« · In diesem Moment kam der Wrrt zum Vorschein. Sein Gesicht war leicht gerötet, und es kam mir so vor, als habe er blutunterlaufene Augen; es konnte sich natür\ 1 ..........,_, ·~ lich um eine optische Täuschung handeln. I :::.J »Los, los!« rief er. »Was soll's sein? Zwei r Bierchen. Sofort. Gleich zahlen!« Und schenkte ein. »In der Pause werden doch Nachrichten gesendet. Wollen Sie die nicht auch hören?« »Quatsch«, sagte er und sah mich wie einen Idioten an. »Mich interessieren doch keine Nachrichten. Nur Fußball interessiert mich. Sie sind vielleicht 'n bißchen abartig. Na ja, das ist Ihre Sache; kann einem ja irgendwie leid tun. Aber fangen Sie gefälligst nicht wieder an, in meinem Lokal rumzurandalieren. Sonst knallt's!« Damit schob er uns die Gläser zu und sprang wieder vor seinen Femseh-EmpfängeL Mein Nachbar prostete mir zu, und dann sagte er geheimnisvoll: »Sind Sie in den letzten Tagen mal am Friedhof vorbeigekommen?« »Nein. Wieso?« ' »Am Portal hängt ein Schild: >Während der Dauer der FußballWeltmeisterschaften bleibt der Friedhof geschlossen!< Gut, was?« »Na, Herr Nachbar«, sagte ich, »Übertreiben Sie da nicht etwas?« »Wieso denn ich? Ich bin es doch nicht, der hier etwas übertreibt. Ich doch nicht! Aber denken Sie meinetwegen, was Sie wollen, Sportsfreund. Es wird Zeit, daß ich mich jetzt nach Hause kugle. Bis bald!« Als er zur Tür ging, konnte ich ganz deutlich sehen, daß er Fußballschuhe trug. !
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C. U. Wiesner
Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Sie müssen schon entschuldigen, wenn ick heute noch son bißken verknubbe bin, aber ick hab ne janz miserable Nacht hinter mir. Und nu steh ick auch noch seit heute früh mit meine Plattbeine alleine im Laden. Herm Kafforke, mein Jehülfen, bin ick wahrscheinlich los. Und Muttern sagt, dis hab ich mir selber zuzuschreiben, weil ich sone beschissene Katerpulletick betreibe. So was, sagtse, führt nämlich zu eine sojenannte Flugaktion der Arbeitskräfte, und am Ende, sagtse, fliegt Herr Kafforke doch noch auf die PGH Wellenreiter mit ihren stinkfeinen Neureichsalong. Na, jestern isser jedenfalls erst mal auf die Fresse jeflogen, hähä! Und dis kam alles von den verdammten Sport. Jetz werd ick Ihnen erst mal den Kittel umbinden ... Die lustigen Transpirente und aua! Tschuldigense, aber mit son halbausjekugelten Arm Schlachtjesänge stimmten mir is dis ja nich so einfach. Nu denkense womöglich noch, hoffnungsfroh. ick hab mir volkssportlich betätigt und mit Herrn Kafforke sone Art griechisch-böhmischen Ringkampf ausjetragen. Nee, nee, dis jeht alles auf dis Konto von den König Fußball. Aufm Fußballplatz selber jeht man ja normalerweise in mein jesegnetes Alter nich mehr. Ich beschränke mir mehr so auf Fernsehen, und dis auch bloß, weil man vor die Kundschaft nich wie Mulleken Doof dastehn will. Jaja, sag ick neulich zu Klempner Bumsmeier vonne PeGeHa Spiralnebel, der Schorsch Buschner muß sich endlich was einfallen lassen mit unsere Nationalmannschaft. Wenn er sich weiter auf sone lahmen Opas wie den Rüdiger und den kleinen Rudwaleit stützen tut, sind wir bei die nächste Weltmeisterschaft in Spanien ooch wieder Neese. Dajehört ebentjunges Blut rein, sone jugendlichen Flitzer wie Löwe oder Vogel oder der berühmte Kapitän Sigusch. Nehmse mal den Kopp 'n bißken runter! Da hat mir Bumsmeier auf meine Rheumaschulter jehauen und janz lautjelacht. Weißte, Opa Kleinekorte, sagt er, du bist nich mehr aufm laufenden. Du brauchst Nachhilfeunterricht. Mittwochnachmittag findste dir mit 'n frischjewaschenen Hals in Köpenick anne Alte Försterei ein. Da spielt Eisern Union gejen
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die Feifen von Dynamo Dresden, und wenn unsere Jungs die müden Sachsensäcke aufhauen wie ne Groschengeije, denn siehste mal unsern wahren Fußballjeist pulsieren. So janz jeheuer war mir bei meine Zusage nich. Ick hatte schon die merkwürdigsten Dinger von da draußen jehört, aber erzählen können die Leute ville. So was soll man lieber eigenhändig im Augenschein nehmen. Ich werd mir also meinen Jehülfen .·bev 1eufel besucht- ·.• Kaff orke, sag ick, seit Jahren bin ich wie ein Vater greifen. Herr ·Petrus uria fr.agt, · ·. zu Ihnen, da werden Sie mir morgen zum Fußballfeld begleiman :nicht· mal·. . ten. Wohin? frägt der. Zu Eisern Union, sag ick. Darauf faßt der . ;ein Fußballspiel ' .· _Himmel gegen . ·'. ..·. ·. sich bloß an Kopp und meint, ich hätte wohl 'n kleinen Mann · Hölle veranstalten ; ··• ins Ohr, und er laßt sich doch nich dis Jackstück vollhauen. Jut, · · · . könnte. Retnis .hat erwidere ich, denn muß ich als stattlicher Leiter dieses Sadafür.·nur ein ·Lä- .· . longs eine Weisung erlassen: Ich ernenne Ihnen hiermit zu meiclieln übrig_:· ··. _ nen Gorilla oder, wenn Ihnen dis anjenehmer klingt, zu mein . }>Glaubst au, daß .. . . persönlichen Geleitschutz . .· ilfr auch nur · die ~ge- : Wenn die Muttern war jrade zu ihr Kaffekränzchen jegangen. ·: ~gste €han«e · ~· · . habt? Sämtliche · ·~ ·, . unsere Vorbereitungen jesehn hätte, wären wir schon jar nich heil ausm Laden rausjekommen. Ich selber schmiß mir von . -gute·n ·Fußballspie~ . ·ler ·sind im·Himmel: · oben bis unten in Leder, also die Kluft aus meine frühere Mo·. .Pele, Maradona, ·. torradfahrerzeit: Staubkappe, lange Lederjacke und SchnürBecKen15~uer; Spat-'.~~ stiefel, dazu einen langen rotweißen Flatterschal. Wie ick mir ·Wasser ; ..'({ Der . ·. so im Spiegel bekiekte, wirkte ick mündestens fuffzig Jahre jün· Teufel·lächelt zu:- · die umjehangene Hupe von meinen Oldger, vor allem mit ~ riick.. >);Macht .·~ ···. · · Eimer. Herr Kafforke erschien dagegen in ein mehr so unauf: nicntst Wir haben · · .· · fälligen Detektiv-Habilitus mit Schiebermütze, Scheckfeife und - di~ .Schiedsrichter.« .·. einjroßkarierten schwarzjelben Sakko. Sicherheitshalber spendierte ick für jeden von uns ne Pulle Lichtenberger Doppelkorn. Na ja, im ersten Weltkriech ham wir vor son jroßen Sturmangriff auch immer ne Extraration jekriegt. Nee, Sie brauchen keine Angst ham, jetz zittert mir die Hand nich mehr. Hinzu sind wir mit ne Taxe jefahren. Der Schofför plierte uns 'n bißken komisch an, wie ich als Fahrziel janz lässig Wuhlheide hervorstoße. Nich doch lieber nach Wuhljarten, inne Klapsmühle, frägt er anzüglich, Sie, dis sieht im Moment janz schlecht mit Jehimersatzteile aus. Erstwolltick mir ja mit den Mann anlegen, aber denn hab ick ihm in meine stille, feine Artjanz von oben herab belehrt: Erstens heißt es jetz Wtlhelm-Griesinger-Krankenhaus, zweitens ham Sie nich über unsern Jehimzustand zu befinden und wenn wir zehnmal Regenwürmer im Blumentopp haben, und drittens fahrense nich wie ne jesengte Sau, ick will näm•.:
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lieh noch hundert werden! Tschuldigense, is bloß 'n kleiner Kratzer, ick sage ja, die Messer von drüben schneiden ebent besser. Vor dem Stadium anne Alte Försterei Hümmel und Menschen! Und eine Fröhlichkeit! Und die lustigen Transpirente und ' " .... _ Schlachtjesänge! Dis stimmte _„ ( - - - -- - - - „- - ' mir hoffnungsfroh. Es heißt ja, ,, , böse Menschen haben keine Lieder. Ich sage noch zu Herrn Kafforke, unsere Schutzhelme werden wir woll jar nich brauchen. Wrr hatten uns nämlich für alle Fälle jeder ne leichte Trockenhaube ausm Laden mitjenommen. Bumsmeier ham wir in dis Jedränge leider nich entdeckt. Der muß schon vorher in eine Kneipe hängenjeblieben sein. :r&a: . J O Auf einmal seh ick, wie se am ::: ·::n:::" 1 Einjang die Kunden absuchen 0 nach jeistliche Jetränke. Da zeige ich geistesgegenwärtig auf 0 Herrn Kafforke und sage zu den Ordner: Der Herr hier hat ne Pulle in seine Innentasche. Schönen Dank, sagt der Ordner, und Herr Kafforke war seinen Korn los. Wie er mir nu drinne Vorwürfe macht, hol ick meine Flasche raus und sage nur: Holzauge! Besser mit List und Tücke eine jerettet als wie jar keine. Und denn nahmen wir erst mal 'n Schluck auf den Schreck. Von dis Fußballspiel selber ham wir kaum was mitjekriegt. Wir standen ziemlich einjekeilt und vor uns son paar lange Lulatsche, deß wir jar nischt sehn konnten außer die ihre Hemden, wo Hertha BSC draufstand. Ja, ja, dacht ick mir janz stolz, sone Anziehungskraft übt unser Fußball auf die Touristen von drü-
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ben aus. Bis die sich mal umdrehten. Da erkannte ick in die jungen Menschen die Truppe aus unsere Straße, wo im Blauen Affen Lokalverbot ham. Und da bin ick janz still jeworden. Aber dis war ooch verkehrt. Jetzt knufften uns die Kerle hinter uns in Rücken und fragten, ob wir taubstumm sind oder verkleidete Bullen. Da ham wir vor lauter Angst janz laut mitjebrüllt: Haut die Sachsen mang die Haxen! Und dis war noch dis Harmloseste! Dazu hab ick wie 'n Irrer meine Hupe bedient, so deß mir heute noch die Hand wehtut. Zwischendurch ham wir von wildfremde Männer mußten Schnaps trinken. Haut die Sachsen mang die Haxen! Wi.e denn endlich die Halbzeit ausjefiffen wurde, Und dis war noch dis Harmloseste! ham wir uns aus die windige Gejend verzappt und sind nach die andere Seite rüber. Diesmal ham wir, um nich aufzufallen, gleich als erste losjebrüllt: Jeden doofen Sachsenarsch blasen wir jetz unsern Marsch! Hatten wir jrade erst jelernt. Zuerst wunderte ich mir, deß keiner in unsern machtvollen kleinen Sprechchor einstimmen wollte, denn war ick auch schon mein rotweißen Schal los. Aber Unmenschen waren die Dresdner bestimmt nich. Nachdem wir unsern Schnaps spendiert hatten, ham wir festjestellt, deß der Dömer ein Klasselibertiner is, und janz kräftig mitjerufen: Berliner Großfressen! Dynamo wird Siecher! Union in die Liecha! Und dis hat uns son Spaß zubereitet, deß wir beim Rausjehn jar nich merkten, wie wir schon wieder ins falsche Lager jerieten. Aber der Schnaps war einfach zu warmjewesen. Herr Kafforke in seine schwarzjelben Schreckfarben fing als erster 'n Ding ein, stand aber gleich wieder auf! Mann! So schnell hab ick den noch nie wetzen sehn. Von wegen Jeleitschutz! Ick selber kriegte von hinten meine eigene Trockenhaube aufjestülpt, denn wurde mir schwarz vor Augen. Ich kam erst wieder zu mir, wie zwei Pullezisten meine Personalien feststellten und meinten: Det olle Männeken is nischt wie besoffen! Ich konnte grade noch murmeln: So was sagt man nich. Für Ihnen bin ich allenfalls eine hülflose Person! Denn hamse mir mit 'n Funkwagen abjefahren, aber nich aufs Revier - nee, ville schlimmer: direkt nach Hause bei Muttern! Und was die gejen mir randaliert hat, dagejen sind die Krawallheinis von Union noch die reinsten Thomanerknaben. Macht zweifuffzig!
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Edgar Külow
Ein Tag vor dem Spiel Also, noch einmal, sagte der 11-ainer, und fuhr mit dem Lineal über die Tafel. Du nimmst Schmidt. Und du gehst mit ihm über das ganze Feld. Herbert nimmt Beier. Der ist schnell. Schon bei der Ballannahme unbarmherzig stören. Harald nimmt Richter. Du weißt, der hat nur'n linkes Bein. Druff! Und du, Volker, weißt Bescheid: Hertel, den mußte sofort treten. Keine Gnade. Und wenn du die gelbe Karte kriegst, nehm ich dich raus. Hauptsache, Hertel wird ausgewechselt. Dann sind sie im Mittelfeld tot. Im Strafraum, wenn du merkst, Halmar, du kommst nicht an den Ball, fallenlassen! Konsequent fallenlassen! Wie Rüdiger. Profuß pfeift, und der gibt uns einen Elfer. Wenn Empor angreift, will ich alle hinten sehen. Alle. Wenn wir angreifen, ganz vorsichtig nachrücken. Wir spielen mit nur einer Spitze, und die läßt sich ins Mittelfeld zurückfallen. Wir spielen auf 0:0. Da darf kein Fehler passieren. Proti, du stehst nur hinten drin. Du gehst nicht hinten raus. Du machst alles nur von hinten. Und hinter dir steht noch Friedbert. Als Ausputzer. Werni Vorstopper. Elle sichert links hinten ob. Zecher kann rennen, der muß vorm Sechzehnmeter gestellt werden. Knochenbart. Alles klar? - Gut! 5 Minuten vor dem Spiel Also, Jungs! Reingehen wie die Ochsen! Kein Bein zurückziehen! Das ist heute ein Schicksalsspiel. Ein Punkt, und wir sind gerettet. Ihr wißt ja, was das für Ärsche sind und was die für Beziehungen haben. Ernst, du wirst ja am Donnerstag sowieso eingezogen, also, steig ein! Und bei hohen Eingaben nicht auf der Linie kleben. Du bist so grausam lang, Udo, raus und ran an den Ball. Linke Faust im Gegner, rechte Faust am Ball. Unbedrängt mit beiden Fäusten, oder aber fangen. So! - Und dann machts gut! Halbzeit Bis jetzt ist es gelaufen. Bloß der Druck wird auf die Dauer zu groß. Die Hintermannschaft muß entlastet werden. Dirk, Mensch, du mußt den Ball besser und länger sichern. Lange steile Pässe auf die Außen. Und wenn da keiner ist, selbst hinterherrennen! Und rein in den Strafraum und fallenlauen! Das andere machen wir schon von draußen. Volker, das haste sehr schön gemacht! Ich nehme dich trotz der gelben Karte nicht
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>>junge, junge, haben wir ein hartes Spiel hinter uns!<<
raus. Ich hab so'n Gefühl, als wenn sich der Hertel revanchiert. Wenn er dich tritt, umfallen und schreien! Aufbau liegt zur Pause schon 3:0 hinten. Es läuft alles für uns. Los, Jungs, los! Noch mal alles!
5 Minuten nach dem Spiel Mann, oh, Mann! So ein Scheißtor! So ein Scheißtor! Drei Minuten vor Schluß. Da kann gar kein Tor mehr fallen. Ich hab euch gesagt, die letzten Minuten darf der Ball überhaupt nicht mehr im Spiel sein. Nur draußen. Nein, so ein abgewichstes Dingens! Mann, oh, Mann! Das ging schon los bei dir, Doktor. Weil du den Ball nicht unter Kontrolle bekamst. Das war der entscheidende Stockfehler. Und dann, Fleischi! Mann, oh, Mann! Wenn der Zwerg vorbei ist, am Tukot festhalten. Der darf doch nur noch nackt im Strafra11m ankommen, der Assi. Jetzt müssen wir auswärts ein' Punkt holen. Aber das kann ich euch sagen: Da stellen wir uns nur hinten rein!
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Johannes Conrad
Schiffe laufen aus, und Blusen laufen ein. Es läuft die Uhr. Gänsehaut läuft übern Busen Hildegards in der Natur.
Er läuft langsam, du läufst schneller, ich erst nach dem Abendbrot. Radios laufen, Briefzusteller. Mächtig läuft der Kreislauf rot.
Stühle laufen trotz der Beine nicht. Sie stehn nur lächelnd da. Nasen laufen von alleine. Selbst ganz kleine tun's - na ja.
Der Prozeß läuft - sogar Schweine laufen, und es läuft der Schweiß. Sendung läuft, und über deine Leber lief 'ne Laus, ich weiß.
Tränen laufen über Wangen. Hauptfilm läuft und Grammophon. Und zu laufen angefangen hat die Serie und dein Sohn.
Auch der Autofahrer Hempel läuft nunmehr mit Fleiß zur Schicht, denn der Hempel hat vier Stempel. Sonst lief' Hempel sicher nicht.
Schatten laufen über Stirnen. Der Patient läuft her und hin. Saft von blonden Butterbirnen läuft dem Fresser übers Kinn.
Selbst die miesen Stücke, wennse laufen, heißt's, daß sie noch gehn. Wer nicht läuft, mit dem ist's Sense. Wer nicht laufen will, bleibt stehn.
Maschen laufen und Motoren. Öl läuft auf den Meeren breit. Wasser läuft uns in die Ohren, und es läuft und läuft die Zeit.
Leben läuft ins Geld, und Inge läuft dir weg, und du läufst auf. Ach, es gleicht der Lauf der Dinge manchmal einem Büchsenlauf.
Dünne laufen-, doch auch Dicke! Laufen muß, wer Rotwein säuft. Alle laufen nach dem Glücke. Sieh nur, wie der Käse läuft!
Mancher läuft im Kreis zuweilen. Du läufst dir die Füße wund, läufst dir Blasen und läufst Meilen. Lauf, dann bleibste auch gesund!
Lauf, dann bleibste auch gesund: hier bei111 alljährlichen Rennsteig/auf, an de111 111ehrere Tausend Sportler teilnah111en.
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Heli Busse
>>Beruhige dich, Mutter, die schöne Kindheit ist nun mal vorbei. ((
Manne war immerhin schon 27 Jahre alt, als es ihn erwischte und in einen wild schäumenden Strudel warf, der ihn fast verschlungen hätte. Wie sich denken lässt, war die Ursache dafür eine Frau. Zufällig traf ich Manne, als er mit flatterndem Blick vor dem Kino auf sie wartete. »Mann, Manne<<, wunderte ich mich bei seinem Anblick, »ich dachte, du bist lange verheiratet und hockst zu Hause vor dem Fernseher!« Er lächelte gequält und antwortete: »Sie muß sich erst noch von ihrem Alten scheiden lassen, bevor wir heiraten können. Hau ab - sie kommt!« Aber es war schon zu spät. Ich sah sie und begriff, warum es Manne innerlich so zerfetzte. Mein Gott, war das ein Weib, das da heranschwang! Manne stellte mich hocherrötend und feige als seine Großmutter vor, und die rassige Erscheinung hauchte mit kindlich-betörender Stimme: »'n Abend!« sie hielt mir ein paar Finger mit langen lila Nägeln zur Begrüßung hin. Ihre glanzvollen Augen streiften aus ihrer grünlichen Umrandung heraus über mich hin und schienen zu fragen, was ich Oma hier mit Manne vor dem Kino herumzustehen hätte, statt daheim warme Socken zu stricken. »Also dann!« verabschiedete ich mich hastig und schlich davon. Begegnungen mit solchen Superwesen deprimieren einen Durchschnittsmenschen tief, weil sie ihm die eigene Unvollkommenheit schlagartig bewußt machen. »Mann, Manne!« sagte ich daher bloß ehrfürchtig, als er mir vierzehn Tage später wieder über den Weg lief. Etwas irre, wie mir schien, lächelte es aus irgendeiner höheren Welt auf mich herab. »Ist die Scheidung inzwischen perfekt?« erkundigte ich mich. »Ist sie ihren Alten los?« - >>Den hat's überhaupt nicht gegeben«, freute er sich. »War alles Spinne, hat sie mir nur erzählt, um Zeit zu gewinnen, mich richtig kennenzulernen. Aber im April heiraten wir, da wird sie einundzwanzig.« »Warum gerade mit einundzwanzig?« wollte ich wissen. - »Weil einundzwanzig dreimal sieben ist«, erklärte er und schwankte in einer Weise davon, die mir verriet, daß man von ihm zur Zeit keine klugen Antworten erwarten konnte. Er war geistig nicht
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anwesend. Drei Wochen später befand er sich womöglich in einer noch .ärgeren Verfassung. >>Es haut nicht hin mit der Heirat!« ahnte ich sofort. »Erraten!« knurrte er kurz. »Sie hatte inzwischen zu viel Zeit, dich kennenzulernen<<, vermutete ich. »Bah!« fauchte er. »Aber sie wird nicht einundzwanzig, sondern erst achtzehn.« - >>Was für eine beneidenswert junge Jungfrau!« rief ich aus. »Unsereiner wird täglich älter und sie immer jünger. Aber was macht das? Achtzehn ist doch auch ganz schön. Dreimal sechs! Und dir kann's egal sein, ob sie einundzwanzig oder achtzehn wird.« - »Ja, aber erst im Dezember!« murrte er weiter. »Ihr werdet euch dadurch noch viel besser kennenlernen und nachher vielleicht überhaupt nicht mehr zu heiraten brauchen«, versuchte ich ihn aufzuheitern. Aber er kreiP1EPS~s ste noch immer in seinem Strudel von Lei· VIV.P /JDAINE:Jer1'!16s denschaft, und da ist der Mensch bekanntlich ~N #11~2FHN' - ß1S Ä(.l{li.["HAJ Vfi~1 ~1r nicht ansprechbar. Jl'o~IJNtftcll>//N6 VNJ> Ein paar Tage später begegnete mir seine e/Nf"le WlllC7E21RT ""' SE"CH.r ß1S seelische Katastrophe in der U-Bahn. Sie ACHT 11/~E>I ·' stand da mit einem 'fyp, der gut und gerne seine dreißig Lenze auf dem Buckel hatte. Dem Kerl fielen die Augen fast aus dem Kopf, und seine Hände konnte er auch nicht beherrschen, denn er kramte damit bald oben und bald unten an der Jungfrau herum. Sie ließ es geschehen, und so nahm ich an, daß Manne seine Heiratspläne aufgeben könnte. Er tat mir leid, und als er mir Wochen später begegnete, erkannte ich an seinen glanzlosen Augen und herunterhängenden Schultern gleich, daß ich richtig vermutet hatte. Er war heraus aus der Sache. »Ja, so ist das Leben, wie die Franzosen sagen«, machte ich ihm Mut. »Vergiß sie! Mit einer so mondänen Frau wärst du als einzelner Mann sowieso nicht fertig geworden. Das bringst du auf die Dauer nicht, was solche Frauen verlangen. Streich sie aus deinem Gedächtnis!« »Willst du damit sagen«, stöhnte er, >>daß ich noch nicht mal mehr ihre Einladung annehmen sollte?<< - »Was denn!?« erregte ich mich. »Sie hat die Unverschämtheit besessen, dich armen Hund auch noch zu ihrer Hochzeit einzuladen?« - »Wieso denn Hochzeit?« heulte er auf. »Zu ihrer Jugendweihe hat sie mich eingeladen!«
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John Stave
14114 wi1 W141 OH tlato1 I Nun haben wir plötzlich doch noch ein Kind bekommen. Es heißt Helena und ist ein Mädchen. Wir sind ja schon ein älteres Semester, deshalb kam diese sogenannte Stammhalterin auch wie ein Blitz aus heiterem Himmel auf uns zu. Meine Frau sagt noch: Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist, ich kann essen, was ich will, aber ich werde immer dicker. Na, na! sage ich scherzhaft, paß nur auf, daß da der Klapperstorch nicht reingebissen hat - und tatsächlich! Ich hin zum Arzt. Herr Doktor, so und so, jetzt wäre es soweit, daß wir doch noch Vater werden! Sehn Sie, Herr Möbius, sagt er, nicht gleich immer die Flinte ins Korn reinwerfen, aber nun mal herein mit Ihrer werten Gattin! Ich sage: Nix is, Herr Doktor, weil meine Frau sich ja nicht immerzu frei machen kann, da würden die anderen Damen von der Sülzlinie schön rummosern und aufmuckschen. Bei mir ist das etwas anderes, weil ich eine leitende Tätigkeit ausübe. Wird Ihnen Ihre Frau ja sicherlich schon erzählt haben, daß ich jetzt die Flaschenrücknahme an der Kaufhalle Brüderlichkeit leite, und da haben wir heute Ruhetag. Montags können die Leute immer sehen, wo sie ihre leeren Flaschen hinschleppen! Na ja, der Verkaufsstellenleiter, Kollege Zander - ich weiß nicht genau, ob Sie den kennen?-, der sagte gleich zu mir, Wilhelm, da kannst du dann bitte montags immer herrlich die ganzen halben Erbsen eintüten. Ich sage, Kollege Zander, das kommt nicht in die Tüte, sage ich, das haben Sie sich mal so gedacht. Erst muß ich mal Ordnung in den eigenen Laden reinbringen. Flaschenkästen raus auf die Rampe, richtig ausgerichtet, weil ich keinen Spaß habe, dauernd Krach mit den Bierfahrern zu kriegen. Wenn bei denen nicht richtig aufgebaut ist - Cola rechts vorne, dann große Pilsner, dann erst kleine Pilsner-, da machen die einen Heidenspektakel und werden sofort beleidigend! Außerdem, mein lieber Zander, sage ich, die jungen Weiber stehn den ganzen Tag bloß rum und erzählen ihre Weibergeschichten. Dann dauernd angeben mit der Kundschaft männlichen Geschlechts, rumflirten und so weiter - so siehts doch
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aus! Dafür ist Zeit genug da. Aber Eintüten, da ziehn sie sofort ein Gesicht, so daß man sich als alter Knochen noch hinstellen kann und die ganze Weiberarbeit machen. Nun hat Zander sie wohl gleich ins Gerede gezogen und sie sich mal richtig vorgenommen, und natürlich sind sie jetzt richtig eingeschnappt, kaum, daß sie einmal am Tag guten Tag sagen. Jetzt dürfen sie auch vorne nicht mehr rumstehen, sondern tüten hinten wunderbar ein. Ich wäre bis zum Staatsrat gegangen! Nachwiegen möchte das allerdings am liebsten kein Mensch. Beschwerden sind noch keine eingelaufen. Aber von wegen: automatische Verpackung, höm Sie bloß auf damit. Gerade vorgestern, aufn Sonnabend, kommt der Güterverkehr angezuckelt. Hier, ihr alten Säcke, sagt der Beifahrer, zehn Sack Zucker! Das geht mich ja nun alles nichts an als Leiter der Flaschenannahme, ist ja Weiberarbeit. Aber trotzdem mit abgeladen! Erika und Manuela, das sind die beiden jungen Spritzer, die ich vorhin ins Gerede gezogen hatte, die staunten nicht schlecht, wie ich da die Säcke reinwuchtete. Von wegen: Opa! Ich habe dann hinterher noch einen kleinen Scherz gemacht: Na, ihr alten Tüten, hab ich gesagt - au! da gingen sie gleich ' / / ~S~ hoch, wurden gleich wieder tücksch. Jaj a ... Aber wie gesagt, sage ich, Herr Doktor, ich kann da schon mal >>Wzr sind kinde"eich!rr >>Und ich bin väte"eich!rr wegkommen als leitende Persönlichkeit, jedoch meine Frau, Annabel - die werden im Kombinat ganz schön rangenommen, machen sie den Weibern ganz schön Dampf!! Von wegen: hier mal eine stoßen gehn oder hundertmal am Tag aufm WC! Wie sie noch in der Bulettenbraterei war, da gings. Bloß der Geruch! Ich konnte schon Buletten nicht mehr riechen, geschweige denn sonstwas. Aber wie gesagt, da warn sie nicht so eingespannt. Nur an der Sülzlinie - kein einziger Stillstand! Jetzt haben sie den Prokopfverbrauch an Sülze schon um 120 Prozent hochgeschraubt, und weitere Steigerungen sollen sogar noch folgen. Sagen Sie Ihrer Frau schon immer mal Bescheid, Herr Doktor, sage ich, daß sie sich darauf einstellt, als Tip. Na gut, Herr Möbius, sagt der Doktor dankbar, aber Ihre Gattin, die möchte ich mir doch zu gerne mal ansehen. Wegen der Gewißheit. Ach, Herr Doktor, sage ich, da können Sie ganz gewiß sein, daß die Sache läuft. Ich hab gerade gestern Annabel noch mal ins Gerede gezogen, so und so, ob es auch wirklich stimmt oder ob sie mir nur einen gewaltigen Schrecken ver-
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passen wollte. Na ja, gut, sagt der Doktor, und gibt sich auch damit zufrieden, daß sie mal hinkommt, wenn die Sache kompliziert wird. Beim ersten Mal weiß man ja nie. Ich sage: Wrr werden Vater, Herr Doktor. Da können Sie jetzt schon immer langsam Gift drauf nehmen! Und richtig: 3. Januar vormittags halb elf gings ab in die Klinik, und zwei Tage später wurden wir bereits Vater. Erstdachte ich ja noch, daß es ein Junge werden würde, aber ein Mädel ist immer noch besser wie nix. Weniger schön ist, daß die Kleine nicht nach mir kommt, sondern nach der Kindesmutter gerät. Ich will damit sagen, daß man als Vater auch rein äußerlich die Genugtuung haben möchte, daß die Sache in Ordnung geht und nicht irgendein komischer Vogel seine Kuckuckseier auf meine alten Tage in mein eigenes warmes Nest reingelegt hat. Ich habe Annabel daraufhin in der Klinik gleich noch mal drauf angesprochen, also ins Gerede gezogen, aber sie hat Stein und Bein geschworen, daß es keiner von der Sülzlinie war, was ·· ht · h h · „ ß h auch schon alleine deswegen nicht ginge, . Al s Vat er moc e 1c auc rein au er11c il . d h.. · t ·· . . . we sie a ganz sc on emgespann waren, die Genugtuung haben, daß nicht irgendd daß · h · di s · · d . . . . son em 1c mrr e uppe emz1g un ein komischer Vogel seine Kuckuckseier all . . b kt h''tt d fälli'• t . . . . eme emge roc a e un nun ge gs auf meine alten .Tage 1n mein eigenes h .. ff ß I h · ·t · auc aus1o e1n mu . c meme, m1 zwe1warmes Nest reingelegt hat. d · · · t · d h · hin un vierzig 1s man Ja oc Immer ganz schön spät dran. Annabel ist achtunddreißig, sind wir zusammen ein achtzigjähriger Vater! Aber zum Beispiel die Sülzlinie, die läuft ununterbrochen weiter, keine Stillstandszeiten in Sicht. 'lrotzdem Annabel nun ihre Stillzeiten hat. Ich sage neulich erst gut gelaunt zu Annabel: Da machen sie immer großen Rummel wegen Bummelei und Unentbehrlichkeit, aber wenn du mal tot bist, werden sie auch weiterhin ihre Sülze anfertigen! Na, die eine Genugtuung habe ich jedenfalls: Erika und Manuela, die beiden jungen Mädels, die ich beim Doktor schon mal kurz gestriffen habe, die sehn mich jetzt mit ganz anderen Augen an, jawoll. Und mir vor sechs, sieben Monaten noch Opa sagen! Die beide habe ich ganz schön geschnallt . •• Ubrigens steht das Gesicht meiner Frau meiner Tochter doch recht gut. Mit meiner Knollennase ausstaffiert, na, das wäre eine schöne Helena geworden!
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Hansjoachim Riegenring
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»Charly«, sagte mein Freund Eduard zu dem Mixer in der Milchbar, denn alle Mixer der Welt heißen Charly, sofern sie nicht Jonny heißen oder Anita, »das eine geht ins Ohr, das andere in die Zähne - was ist das? Wenn Sie's haben, geben Sie es uns zweimal mit Schlagsahne.« Ich warf Eduard kopfschüttelnd einen Blick zu. »Das ist keine Scherzfrage, das ist eine Schnierzfrage, so weh tut das.« Und zu Charly: »Mein Freund meint a) den Komponisten Bizet und b) das Baiser. Weil er lispelt, klingt beides wie Bißeh. « »Mein bekanntes herzliches Lachen liegt noch in der Kühltruhe<<, entschuldigte sich Charly. »Also zweimal Sahnebaiser.« In diesem Augenblick kam zur Tür herein das Mädchen, das mir den Appetit auf Sahnebaiser verdarb. Obwohl es eigentlich ein appetitanregendes Mädchen war. »Einen Kaffee, bitte«, sagte das Mädchen und setzte sich. »Ich wollt', ich wär ein Stuhl«, sagte Eduard. „ . . Zwei Männer, die eigentlich gehen Augenbrauen f arben, Lidschatten, Wimperntusche, llt b t llt t wo en, es e en ex ra 1ange d . k D z ·t Ma ke an un d Ma ke up, Tagescreme, Nac htcreme, 1 1 . t.ft z h t II ong nn s. er e1 ungs eser am 1 L1ppens 1 , a npas a - a es 5pray . . t t T" h k b hrt · 1e z en 1sc 11n s o e ein Guckloch in die Weltpolitik. Jetzt sah er durch. Eine Ehefrau machte ihren Ehemann energisch auf den schönen Springbrunnen vor dem Fenster aufmerksam. So ein Mädchen war das. »Das ist so eine Frau«, erklärte der Mann, der neben uns saß, »wegen der ein Mann zum Säufer werden kann.« Er bestellte eine Buttermilch pur. Es war bereits die vierte. »Ziegenmilch«, sagte der Mann, der neben dem Mann saß, der neben uns saß. »Ziegenmilch macht einen Mann unwiderstehlich. Tamerlan trank nur Ziegenmilch.« Er selbst sah aus, als hätte man ihn mit Eselsmilch aufgezogen. »Und was mir am meisten an ihr gefällt«, stellte Eduard fest, »an ihrem Tisch ist noch ein Platz frei.« Er rückte sich die Krawatte und seinen Vorrat an einleitenden Redensarten zurecht. Das Mädchen nahm eine kleine Sprayflasche aus der der Handtasche und sprühte sich etwas in den Ausschnitt. »Mariechen«, seufzte der Mann, der Ziegenmilch trinken wollte.
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»Woher wissen Sie ihren Namen?« fragte ich. »Er meint, er möchte da mal riechen«, übersetzte Eduard. »Wrr losen aus, wer ihr den Kaffee bringt«, schlug ich vor. Das Mädchen öffnete die Handtasche, holte eine winzige Flasche heraus, öffnete den Mund und sprayte hinein. Darauf schloß sie Mund und Tasche. »Es gibt jetzt eine Ausführung mit höherem Druck«, sagte Eduard, »gegen Magenverstimmung.« »Wer bringt ihr nun den Kaffee?« »Ich kannte mal eine«, sagte Charly, »bei der fing es auch so an.« Der Mann neben uns bestellte Charlys Spezialmilchmixgetränk und fragte: »Bei wem fing wann was wo an?« Das Mädchen setzte eine Sprayflasche an die Nase. »Kenne ich«, sagte Eduard, »>Nasofon<, das Spezialspray gegen Nasensteine, auch >Der Zeigefinger in der Flasche< genannt.« \..\ »Nun erzählen Sie schon, Charly«, stieß ich den Mixer an, »wie war das mit der Frau, die Sie kannten? Lieb- , ten Sie sie, liebte sie Sie?« Charly nickte. Ganz langsam. So er----.,.._ innerungsschwer war sein Kopf. »Aber noch mehr liebte sie Spray. Sie schwärmte für Spray. Mit und für - = Spray tat sie alles. Sie lebte zwischen Hunderten von Sprayflaschen.« Eduard grinste. »In einem Spraywald. « »Sie war von Kopf bis Fuß auf Sprayse eingestellt oder wie die Mehrzahl heißt. Vom Haarfärbespray bis zum Fußfrisch. Egal, wann und wo wir zusammen waren - sie drückte auf die Gasventile und ließ es zischen.« »Wie peinlich«, sagte der Mann, der Ziegenmilch trinken wollte. »Augenbrauen färben«, erzählte Charly, »Lidschatten, Wnnpemtusche, Make an und Make up, Tagescreme, Nachtcreme, Lippenstift, Zahnpasta - alles Spray!« »Eben hat sie hergesehen«, flüsterte Eduard aufgeregt. »Das Mädchen hat ja Augen wie Halogenscheinwerfer.« »Augenglanz«, winkte Charly ab, »als Spray. Enthaarungsspray, Nagellackspray, Nagellackentfemerspray -« »Und die Haut«, schwärmte Eduard, »seht euch nur dieses gleichmäßige Braun an.<< •
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>>Nach den Ferien machen wir zum Vergleich eine Farbaufnahme.<<
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»Hatte meine Bekannte auch«, sagte Charly. »Das heißt, als wir uns kennenlernten, war sie ziemlich farblos. Eines Tages gab sie mir eine Flasche in die Hand und sagte: >Charly, bräune mich.<« »Wunderbar! Ich finde das wunderbar!« strahlte der Mann neben uns. »Und Sie bräunten sie?« »Natürlich«, nickte Charly. »Das heißt, natürlich künstlich.« »Am ganzen Körper?« fragte Tamerlan gespannt. »Es war eine anstrengende, aber nicht unangenehme Arbeit«, versicherte Charly. »Jetzt gibt es sogar Mostrich als Spray«, lachte Eduard. »Habe ich neulich mit meinem Rasierschaum verwechselt.« »Fensterputz und Fußbodenglanz«, zählte Charly weiter auf, »Möbelpolitur und TeppichreinigungsAus ihrer Spraydose konnte sie sich einen ja schon selbstverständlich. schaum sind Bikini direkt auf die Haut spritzen. GaranUnd dann fuhren wir zum Picknick.« tiert fünf Stunden wasserfest! Das Mädchen stand auf, kam an die Bar und fragte höflich, ob der Kaffee bald fertig wäre. >>Sofort«, sagte Charly. Das Mädchen ging zurück. »Was für eine schöne Bluse«, sagte Eduard andächtig. Charly ließ Kaffee in eine Tasse laufen. »Unsere Picknickausrüstung bestand aus ungefähr fünfzig Spraydosen, darunter Fliegen und Mückenschutz, Regenwurm und Ameisenvertilger, Fichtennadelduft ... « »Ich dachte, Sie wollten in den Wald fahren?« staunte ich. »Die Natur genügte ihr nicht«, meinte Charly, »sie mußte sogar die Natur versprayn. Dann natürlich Rührei als Spray, Schlagsahne, Marmelade, Butter, Curry, Picknicksoße und so weiter. Fast hätten wir das Antistrafmandatsspray vergessen.« ????? So guckten wir. »Das kannte ich auch nicht. Erst als uns die Verkehrspolizei anhielt -wir waren ein bißchen zu schnell gefahren, ja - und während ich mit den Polizisten sprach, nahm sie eine Spraydose in die Hand, und da wurden die Verkehrshüter ganz heiter und vergnügt, beinahe ausgelassen, und wünschten uns eine schöne, flotte Fahrt.<< Wir starrten ihn an. »Ich glaube, es war Lachgas«, sagte Charly verlegen. »Wollten Sie nicht der Dame den Kaffee bringen?« »Die Bekanntschaft würde mir zu teuer«, erklärte der Mann neben uns, »denken Sie mal an die Preise für Spraydosen!«
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»'n Blumenstrauß kommt da doch billiger«, stimmt der Mann, der Ziegenmilch trinken wollte, ein. Ich brachte ihr den Kaffee. »Danke«, sagte sie. »Ich kann mir nicht helfen, ich finde sie hinreißend«, gestand ich Charly ein. »Wie verlief denn nun Ihr Picknick?« Charly schmunzelte. »Wrr wollten baden. Und sie hatte ihren Bikini nicht mit.« »Verstehe«, zwinkerte ihm Eduard zu, »und da habt ihr ohne ... « »Nein, es waren ja eine Menge Urlauber da. Wrr hatten mit.« »Mit was?« »Mit Spray.« . . •
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So guckten wir abermals. • »Sie hatte eine , Spraydose mit, aus der konnte sie sich einen Bikini direkt auf die Haut spritzen. Garantiert fünf Stunden wasserfest!« »Und wie ging Ihre Sprayfahrt weiter?« fragte ich. »Der Mond schien, die Nachtigall sang, ich küßte sie ... « »Sie küßte Sie?« »Nein. Sie hatte die Dose mit den Küssen nicht mit.« »Üh<<, machten Eduard und ich. Das Mädchen setzte die Kaffeetasse an den Mund. »Und die Figur, Charly, ist die auch aus der Spraydose?« Er zuckte die Schultern, holte eine Spraydose unter der Bar hervor und zauberte uns zwei verlockende Halbkugeln auf die Teller. »Bitte, Ihre Sahnebaisers.« Als ich mit der Kuchengabel in die süße Halbkugel piekte, zuckte das Mädchen am Tisch zusammen und faßte sich an die Brust. Bestimmt war das reiner Zufall, aber ganz sicher. Dieser Charly mit seinen Geschichten. • c.
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Achim Fröhlich
»Angeklagter«, sagte der Richter. »Sie haben also dem Kläger eine so kräftige Ohrfeige verabfolgt, daß jener fast vierzehn Tage lang das Bett hüten mußte?« »Stimmt haargenau, Herr hohes Gericht«, gab der Angeklagte mürrisch zu. »Aha, das geben Sie also unumwunden zu. Und warum prügelten Sie den Kläger?« Der Angeklagte erregte sich. »Na, weil er doch mit meiner Frau ... weil er doch da so ein Dingsbums betreibt ... so ein Verhältnis!« »Ein Fall von ehelicher Untreue also«, stellte der Richter sachlich fest. »Jawohl, Herr Rat!« Der Richter blickte hinüber zur Zeugenbank. »Das möchte ich mir aber auch noch von der Gattin des Angeklagten bestätigen lassen. Stimmt das mit der ehelichen Untreue, Frau Sanftblick?« Die Angesprochene, eine unscheinbare, kleine Frau, errötete verschämt. »Es stimmt«, lispelte sie. Der Richter wandte sich wieder dem vierschrötigen Angeklagten zu. »Und wann haben Sie dieses Verhältnis zum ersten Mal entdeckt, Angeklagter?« »Na, vor zwanzig Jahren. Vor mir bleibt so leicht nichts verborgen!« »So, so, Sie entdeckten vor nunmehr zwanzig Jahren die Untreue Ihrer Frau?« wunderte sich der Richter. »Und was haben Sie sich damals so gedacht, als sie diese Entdeckung machten?« »Na, ja, ich war natürlich ungehalten.« Der Angeklagte streckte drohend seine gewaltige Faust nach oben. »Und da dachte ich: Eine Weile guckst du dir das noch mit an, aber dann kracht's! !!«
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Matthias Biskupek
Der Staatspräsident begann nunmehr mit der Durchführung des langfristig geplanten Besuches. Leider hatte sein Persönlicher überraschenderweise einen Urlaubsplatz für die ganze Familie erhalten, so daß der Staatspräsident die Dienstreise allein antreten mußte. Er hatte seinen schwarzen Diplomatenkaffer am Tage vorher sorgsam gepackt und sehr schlecht geschlafen. Einmal war er sogar aufgestanden, um nachzusehen, ob er sein Notizbuch mit den Stichpunkten zu beiderseitig interessierenden Fragen griffbereit liegen hatte. Er hatte und er hatte, wie bereits protokolliert, eine unruhige Nacht. Als er am Morgen den Zug bestieg, freute er sich sehr, daß sein Persönlicher ihm vor Urlaubsantritt noch die Der Staatspräsident putzte sich gründ- Fahrkarte besorgt hatte, denn am Schalter lich die Schuhe ab und tat hernach drei stand eine Menschenschlange und machte Protokollschritte a 65 Zentimeter. sich mit der Einführung neuer Technik beim Fahrscheinverkauf vertraut. Der Zug ruckelte über Weichen und erreichte den Grenzbahnhof. Ein Zollangestellter des befreundeten Nachbarlandes betrat den Wagen und sprach: Pass off pass port? Ich weiß nicht recht, versetzte der Staatspräsident, ich bin auf der Reise in die Hauptstadt zwecks Staatsbesuch. Der Zollangestellte bedeutete ihm, mit ins Amtszimmer des Bahnhofes zu kommen. Der Chef der Zollverwaltung bot dem Staatspräsidenten Platz an, ließ ihn aus seiner Wimpelsammlung den zutreffenden Stander auswählen, den er zwischen beiden plazierte, und sprach ihn in gutem Ausländisch an: Sie sind der Staatspräsident? Und reisen in welchen Angelegenheiten? In Fragen beiderseitigen Interesses, gab der Staatspräsident zu Protokoll. Wer, bitte, ist Ihr Gesprächspartner? Der befreundete Repräsentant dieses befreundeten Staates, sagte der Staatspräsident. Können Sie besagte Person beschreiben? So sieht er aus, meinte der Staatspräsident und zeigte auf das ' Bild des befreundeten Repräsentanten, das in der Zollamtsstube hing.
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Ich danke Ihnen für Ihre aufrichtigen und herzlichen Worte, die in einer freundschaftlichen Atmosphäre ausgesprochen wurden, sagte nun der Chef der Zollverwaltung. Der Zug nämlich steht hier immer sehr lange, wegen des geschlossenen Signals, und ich bitte die Fahrgäste dann, eine Partie Lochbillard mit mir zu spielen. Darf ich Sie dazu einladen? Gern, meinte der Staatspräsident, und im Verlauf einer Stunde hatte er neunmal verloren und bestieg erfreut wieder seinen Zug. Der hatte bald die Hauptstadt des befreundeten Staates erreicht. Der Staatspräsident ka.m die beiden Metallstufen am Waggon herab, betrat den Bahnsteig 10 A und blickte sich um, ob er den befreundeten Repräsentanten wohl in der Menge würde erkennen können. Leider hatte dieser jedoch das Telegramm, das des Staatspräsidenten Ankunft vermeldete, zu spät erhalten, und so war er während des freitäglichen Berufsverkehrs noch unterwegs. Unmittelbar vor dem Bahnhof am Zeitungskiosk trafen beide Männer jedoch aufeinander. Der befreundete Repräsentant erkannte den Staatspräsidenten an seinem schwarzen Diplomatenkoffer und daran, weil er ihn sehr häufig in den aktuell-politischen Sendungen bemerkt hatte. Der befreundete Repräsentant ging auf den Staatspräsidenten zu und sprach: Dangens Nüheeter? Der Staatspräsident erwiderte in herzlichem Tonfall: Njolzwann killenz! Entschuldigung, meinte etwas verlegen der befreundete Repräsentant, doch meine Dolmetscherin hatte schon Arbeitsschluß. Erleichtert und verständnisvoll erwiderte der Staatspräsident: Siehst du, und bei meiner ist das Kind krank, da kann sie keine Dienstreisen machen. Nun muß es eben so gehen. Beide wollten nunmehr losgehen, doch dem befreundeten Repräsentanten fiel zum Glück das Protokoll ein: Ich hab doch aus dem Kaufhaus einen Läufer mitgebracht. Fast so gut wie ein Teppich.
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Der befreundete Repräsentant entrollte den Läufer, und der Staatspräsident putzte sich gründlich die Schuhe ab und tat hernach drei Protokollschritte a 65 Zentimeter. Er ist zwar grün, meinte der befreundete Repräsentant, aber ich hab ihn doch für die Wohnung meiner Kinder gekauft. Er ist nämlich genau zwei Meter lang, wie deren Flur. Damit rollte er den Läufer sorgsam wieder zusammen. Ich glaube, wir müssen laufen. Um diese Zeit kriegen wir bestimmt kein Taxi. Weit ist es aber nicht, beschwichtigte der befreundete Repräsentant und klärte den Staatspräsidenten weiter über den vorgesehenen Verlauf des ersten Besuchstages auf. Zuerst sollte die Reise in den »Goldenen Anker« gehen, dort wollte der befreundete Repräsentant zu Ehren seines Gastes ein Essen geben. Im Anschluß daran sollte ein beiderseitiger Meinungsaust.ausch stattfinden, woran die Gäste des »Goldenen Ankers« nach Belieben teilnehmen konnten. Der »Goldene Anker« war voll. Doch man kannte den befreundeten Repräsentanten gut, und nachdem dieser als auch der Staatspräsident der Landessitte Genüge getan hatten, mit den Knöcheln auf die Tischplatten zu klopfen, fanden beide Platz und ließen sich an einem Ecktisch nieder. Der erste Gang bestand aus weißem, brennendem Schnaps, und man schüttelte sich in gegenseitigem Einvernehmen. Im Anschluß tischte man Gulaschsuppe mit Brötchen und Bockwurst mit Salat auf. Dazu wurde einheimisches Bier im Glas gereicht. Der Staatspräsident bestellte für seinen Toast Grünbitter, und tapfer trank auch der befreundete Repräsentant das, was hierzulande als Medizin galt. Während des anschließenden intensiven Meinungsaustausches, zu dem auch einige anwesende Gäste, so ein Mitarbeiter der Straßenreinigung und ein auf Urlaub weilender Militärangehöriger das Ihre beitrugen, zog der Staatspräsident sein Notizbuch aus dem Diplomatenkoffer und hakte folgende Punkte ab: Austausch beiderseitig interessierender Fragen. Das gutnachbarliche Verhältnis. Die bisherige Bewährung gegenseitiger Übereinkünfte. Zur Klärung gegensätzlicher Standpunkte kam es während der Erörterung von Finanzfragen, als im Beisein der Serviererin die
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Frage nach der Verrechnung des Arbeitsessens aufgeworfen wurde. Der befreundete Repräsentant setzte sich schließlich durch, als er auf das Protokoll verwies, das den Staatspräsidenten als Eingeladenen ausgezeichnet hatte. Übrigens, meinte der befreundete Repräsentant, es gab erst einige Probleme mit deiner Unterkunft. Unser Hotel ist nämlich ausgebucht. Wir haben im Moment gerade eine Touristendelegation aus deinem Land bei uns zu Gast, lange geplant, und da wird jedes Zimmer gebraucht. Im Interesse weiterer Kontakte zwischen unseren befreundeten Nationalitäten @©@ wollte ich niemanden heimschicken. Ich dachte mir, du könntest bei der Köchin vom »Goldenen Anker« schlafen. Sie vermietet nämlich. Ist das die Köchin ... ? fragte der Staatspräsident. Ja, meinte der befreundete Repräsentant. Sie sollte erst den Staat regieren. Doch dann haben wir festgestellt, daß sie ganz andere Fähigkeiten hat. Gewiß, gab der Staatspräsident zu Protokoll, der Kartoffelsalat war ausgezeichnet. Die Köchin nahm den Staatspräsidenten mit. Sie wohnte gleich um die Ecke. Zu Hause setzten sie und ihr Mann sich noch auf einen Schlummertrunk mit dem Staatspräsidenten zusammen und fragten nach seiner Regierungsverantwortung und ob es in seinem Land ausreichend Rosenkohl gäbe. Den hätten ihre Gäste immer sehr em, so wie sie ihn zubereite, mit Muskatnuß und zerlassener :&utter. Der Staatspräsident versprach, danach zu fragen, und er bat seinerseits um das Rezept für die Gulaschsuppe, das er seinem Ernährungsminister mitbringen wolle. Am nächsten Morgen trafen sich der Staatspräsident und der befreundete Repräsentant in der Straße der Freundschaft. Dort befand sich auch das Wohnhaus der Tochter des befreundeten Repräsentanten. Die beiden noch nicht schulpflichtigen Enkelkinder winkten ihnen begeistert von der Gartenpforte zu. Der befreundete Repräsentant bat den Staatspräsidenten um Verständnis, daß die älteste Enkeltochter dem Empfang nicht beiwohnen konnte.
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Frage. Was ist der Unterschied zwischen Polens Ministerpräsidenten Woj ciech Jaruselzki und Frankreichs Präsidenten Mitter„ rand? Antwort: Mitter- .·. . rand weiß wenig:· &. . · stens präzise, 'daß,: · er drei Komm11ni- sten in der Regierung hat.
Da es Sonnabend war, hatte sie noch Unterricht bis zur vierten Stunde. Der Staatspräsident überreichte als Gastgeschenk für die Enkel zwei Tafeln Schokolade. Die riefen begeistert aus: Oh, Freundschokolade. Der befreundete Repräsentant zeigte seinem Gast die Wohnung: vier Zimmer, Küche, Bad, Veranda und Vorgarten. Weißt du, in meiner Einraumwohnung wäre es für ein wirklich historisches Treffen etwas zu eng geworden. Und auf diese Weise lernst du gleich meine Tochter und deren Familie kennen. Sie wollte eigentlich eine Lehre als Staatssekretär anfangen, doch ich konnte ihr das ausreden. So wurde sie Facharbeiter für Gartenbau. Ihr Mann wirkt als ständiger Mitarbeiter eines Schuhmachermeisters. Deshalb können sie sich auch das Häuschen hier leisten. Der befreundete Repräsentant bat seinen Schwiegersohn, einige Fotos von der bedeutsamen Begegnung zu machen. Und der Nachmittag verflog bei intensiven Gesprächen. Dann brachte die ganze Familie den Staatspräsidenten zum Bahnhof. Vorher gingen sie aber noch in der Redaktion des »Staats-Anzeigers« vorbei, ~m das Bildmaterial abzugeben und dem Redakteur einige Fragen zu beantworten, Inhalt und Verlauf des Staatsbesuchs betreffend. Der Redakteur hatte Spätdienst, mußte noch Korrektur lesen und hatte leider überhaupt keine Zeit, mit auf den Bahnhof zu kommen. Der befreundete Repräsentant bot ihm an, für die Montagausgabe einen kurzen Bericht von der Verabschiedung zu liefern. Der Redakteur freute sich. Er könne allerdings kein Zeilenhonorar zahlen, da kürzlich laut eines Erlasses des Ministers Informationen unentgeltlich gegeben werden sollten. Der Staatspräsident hörte aufmerksam zu, machte sich Notizen und dankte für die Anregungen, die er seinem Volk weitergeben werde. Sodann fuhr er nur wenige Minuten verspätet aus der Hauptstadt des befreundeten Landes ab. Der Staatsbesuch wurde weltweit ausgewertet, und der Staatspräsident freute sich, daß er nun wieder daheim war. Er schrieb dem befreundeten Repräsentanten einen langen Brief, daß er nochmals Dankeschön sage und daß er wohlbehalten angekommen sei und daß er natürlich an den Rosenkohl für die Köchin denken werde.
• Honecker, passionierter Jäger, geht nach beendeter Pirsch . ins Wrrtshau8 und trifft dott den :Dorfdoktor. •Wissen Sie schon, was ich heute erlegt habe?• rillt er ihrli zu. »Ganz genau«, winkt der Arzt ab. »War schC?n bei mir mBehandlung.• Ga~ in1 Sinne der · 5. ZK-Ta gung
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Edgar Külow
>>Können wir das als Ihre Initiative abrechnen?<<
Also, Kollegen, das war unser Referat. Ich denke, der Referent hat uns genügend Material an die Hand gegeben, daß wir jetzt alle, also, ich meine, da können und müssen wir doch was zu sagen. Wer möchte den Anfang machen? Wer ist der erste? Keiner? Gut, fangen wir mit dem zweiten an. Kleiner Scherz. Oder wollen wir erst noch eine kurze Pause machen? Nicht? In Ordnung. Na, dann will ich mal den Anfang machen. Kollegen! Wie mein Vorredner richtig bemerkte, ist die Offenheit unter den Kollegen das A und 0 für eine Qualitätssteigerung. Und wir müssen uns täglich fragen, woran liegt es denn, wenn wir nicht offen unsere Meinung darlegen? Werden wir doch mal konkret! Geschwafel hilft uns doch hier überhaupt nicht weiter. Jeder nennt andere Gründe und Umstände. Das ist doch nicht gut. Manchmal hat man den Eindruck, es gebricht den Kollegen an Mut, offen und ehrlich über alle Probleme zu sprechen. Das ist doch in höchstem Maße unsozialistisch, ja, es ist sogar kleinbürgerlich. Packen wir doch die Dinge an - mutig und konkret. Wer hindert mich denn daran, hier offen meine Meinung zu sagen? In der Kantine, am Arbeitsplatz, auf dem Nachhauseweg - ja, da wird ausgepackt, immer feste druff! Aber hier, in der Versammlung, wo's auf den Tisch muß, da kommt nix. • Nehmen wir doch zum Beispiel diese blöde Sache - oder besser noch den andern Fall, hier, mit Dings hier. Ist doch noch gar nicht so lange her. Das muß doch ausdiskutiert werden. Da darf man doch keinen Bogen drum herum machen. Ja! Du lachst, Paul! Und grade du könntest doch was dazu sagen. Warum tu ich es denn?! Hätte ich nicht auch Gründe, wie ihr alle, hier und heute zu kneifen und den Mund zu halten? Aber ich mache es nicht. Ich stelle mich hierhin und sage, wie es ist. Das bringt uns weiter und nichts anderes.
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Wrr dürfen nicht dauernd auf derselben Stelle treten. Nach vom muß unser Blick - müssen wir ihn also richten! Nur so, nicht wahr! Nur so! Ich versuche ja auch nur mit meinem Beitrag, daß diese Diskussion ein neuer Anfang ist für eine noch bessere Atmosphäre in allen Bereichen. Was uns hemmt, was uns hindert, besser zu werden, jetzt muß es heraus. Aus uns allen. Ich hoffe, daß ich hier einen guten Anfang gemacht habe. Mögen ihm viele folgen! So, Kollegen, das mußte, so glaube ich, gesagt werden. Unmißverständlich gesagt werden. Jetzt liegt es an euch, ob die Diskussion so offen und ehrlich weitergeht. Gebt eurem Herzen einen Stoß, haltet mit eurer Meinung auch nicht hinterm Berg! Frisch gewagt, ist halb gewonnen. Wer möchte als erster sprechen? Kollegin Spieß! Wer hatte sich als erster gemeldet? Ach, du, Paul! Gut, Paul! Nur noch ein Wort, bevor du anfängst, Paul! Komm uns bloß nicht wieder mit deinem Brief an die Leitung, auf den du immer noch keine Antwort bekommen hast! Die Arie kennen wir ja nun alle!
Der Redner spricht. Wrr dürfen uns nicht wehren, denn still zu sein, gehört zur Höflichkeit. Wir geben uns den Anschein, zuzuhören. Dabei stiehlt dieser Schwätzer unsere Zeit. Der Redner spricht seit einer guten Strunde. Wovon er spricht, das ahne ich nur schwach. Doch bin ich noch der Beste in der Runde, denn außer mir ist nur der Redner wach. Der Redner spricht, ich zähle seine Blätter. Ein Glück! - Er hat das letzte in der Hand. Da legt er auf das Pult (zum Donnerwetter!) des Redemanuskriptes zweiten Band.
Klaus Lettke
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Frage: Was ist der Unterschied zwischen realem und entwickeltem Sozialismus? Antwort: Der reale Sozialismus ist nicht entwickelt, . und der entwickelte ist nicht real.
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Peter Ensikat
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Der Schauspieler, noch im Kostüm des Parteisekretärs, kommt in die Garderobe. Er sieht auf die Uhr und beginnt sich auszuziehen. Die Krähe sitzt auf dem Baum und hat einen Leckerbissen im Schnabel. Der Fuchs unten denkt sich, wenn die Krähe losschnattert, fällt der Lekkerbissen zu mir herunter. Er sagt zu ihr: >>Liebe Frau Krähe, weißt du denn schon, wer unser neuer Parteisekretär wird? Nein? Stell dir vor: Pittiplatsch. « Da muß die Krähe so lachen, daß ihr der Leckerbissen aus dem Schnabel fällt. Die Moral von der Geschichte: Lache nie über deinen Parteisekretär.
Schöner Schlußappalaus! Jetzt ist gleich Tatort vorbei. Scheißberuf. Immer, wenn drüben ein Krimi oder ein Porno läuft, spiele ich hier den guten Genossen. Zeigt auf sein Parteiabzeichen. Neen, nee, das Abzeichen ist bloß Kostüm. Aber bei meiner Ausstrahlung gebe ich hier immer den Positiven. Zum Kotzen. Dabei bin ich im Leben gar nicht ... Aber selbst da glaubt mir keiner. Wo Sie sich anstrengen müssen, so zu tun, da tue ich gar nichts, und trotzdem hält mich jeder für einen glühenden Sozialisten. Das stimmt mich ganz schön depressiv ich wirke immer positiv. Ich kam am Sonntag auf die Welt, was Eltern sowieso gefällt. Als Baby hab ich kaum geschrien, bekam die Zähnchen zum Termin, und alle Welt hielt mich für friedlich, denn ich war niedlich. Ich konnte anstellen, was ich wollte - die Prügel bekamen immer meine Geschwister. Mir war die Unschuld einfach ins Gesicht geschrieben. Damit brachte ich es in der Schule natürlich nicht nur in Betragen zur Eins, sondern auch in Staatsbürgerkunde und ... na eben überall da, wo's nicht so exakt zugeht. In Mathe allerdings machte ich außer dem guten Eindruck fast nur Fehler. Deshalb wurde ich Schauspieler. Das war damals, als man nur einen guten Genossen zu verkörpern brauchte, um den Nationalpreis angehängt zu bekommen. Leider aber war ich zu jener Zeit für Thälmann und Liebknecht noch zu jung. Und was jetzt so an Vorbildern auf Leinwand und Bühne kommt, das bringt ja kaum noch was ein. Ich les die Stücke gar nicht mehr ich spiel ja doch den Sekretär. Ich spiele Prinz und Partisan, im Lohengrin gab ich den Schwan. Nur einmal spielt ich Don Juan. Da war nicht er der Scharlatan.
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Selbst die Kritik schrieb voller Grauen: die bösen Frauen! Mir wird alles positiv ausgelegt. Selbst daß ich nicht in der Partei bin, wertet man inzwischen positiv. Denn wir sind viel im Ausland, auch im kapitalistischen. Und wenn die Leute da hören, daß ich nicht mal in der Partei bin, was müssen die sich da erst unter einem richtigen Genossen vorstellen? Mich kontrolliert auch nie der Zoll. Dabei sind meine Koffer voll, weil jeder sein Zeug zu mir packt. Ich hab die Unschuld im Kontrakt. Selbst Zöllnerinnen lächeln fromm, wenn ich so überladen komm. Sie stellen keine dummen Fragen, sie helfen tragen. Viele von Ihnen beneiden mich jetzt vielleicht. Das tun fast alle. Nur mein Sohn verachtet mich. Der ist nämlich so, wie ich aussehe. Aber er sieht aus, wie für unsere Kontrollorgane gemacht: erstens Nickelbrille, zweitens langhaarig, und drittens hat er so was Aufmüpfiges im Blick. Der braucht gar keine Grenze zu passieren, um kontrolliert zu werden. Den hält jede Streife an, wenn es dämmert und er trotzdem noch auf der Straße ist. Dabei ist er ein vorbildlicher Schüler und glühender Sozialist. Aber wenn sich nicht bald an seinem Äußeren was ändert, sehe ich schwarz für ihn. Nein, dann sehe ich schwarz für uns. Denn, hin und wieder - ab und zu - immer noch bestimmt bei uns das Aussehen unser Ansehen, und das muß er endlich einsehen, sonst hat er das Nachsehen . .:1:
Der n~ne ·sa;wjeti-<.. · . scfie· Parteichef· .. · . 5
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Wo wir sind, ist vorn
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John Stave
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Heutzutage hat der Mensch ganz schön an der Umweltverschmutzung zu knabbern. Wenn man nur mal allein an die chemischen Gerüche denkt, die in der Luft herumschwirren, möchte man am liebsten überhaupt nicht dran denken. Auch die Industrieabwässer sind nichtjedermanns Geschmack; und mancher tote Fisch könnte ein Lied davon singen. Genau wie die Ölpest auf den Ozeanen, wenn die Tanker auslaufen. Lauter tote Möwen sind das Ergebnis, und die Leute an den Badestränden haben mitunter ganz ölige Beine. Mit einem Wort: Die Umweltverschmutzung marschiert! Größte Aufmerksamkeit ist vonnöten, besonders beim Baden, aber auch beim Essen und Trinken! Erst vor einigen Tagen sagt mein Kollege Karl, als wir in einem preiswerEine automatische Station entnimmt klammten Restaurant im 3 7. Stock sitzen: heimlich und völlig unbemerkt in der Gegend »Du, das Bier ist aber gut, das geht von Merseburg Boden-, Wasser- und Luftproben. wie 01 runter!« Ich jedoch schüttele den Kopf: »Wer weiß«, sage ich, »aus welchem Weltmeer sie das gebraut haben ... «Wir haben es überstanden! Vielleicht ist die ganze Gefahr durch die UVS in Wirklichkeit auch nur halb so wild. Zumal die Leute früher früher starben als heute. Wenn damals einer sechzig Jahre alt wurde - das war schon sensationell! Da kam sofort die BZ am Abend angerauscht und fotografierte den Mann. Wenn Sie heute im Zeitalter der UVS zum Beispiel beim Rundfunk anrufen, ob er nicht durchsagen kann, daß ihre Tante fünfundsiebzig geworden ist, da ernten Sie nur ein mitleidiges akustisches Lächeln. »Wrr haben neulich erst zwei 8Sjährige ablehnen müssen. Aber wir können Ihre Tante natürlich auf die Warteliste setzen«, sagt die Diplom-Rundfunkjournalistin für Jubiläen. »Gut«, sagt man, »Fräulein, setzen Sie meine Tante drauf!« Erst vor kurzem ist wieder in Radebeul bei Dresden ein betagter Bürger 100 Jahre alt geworden. Und in Berlin, Hauptstadt der DDR, haben zwei rüstige alte Leute steinerne Hochzeit gefeiert. Aber alles mit den chemischen Gerüchen in den Lüften und der Ölpest in den Ozeanen! Ich möchte an dieser Stelle .:. . nur als Illustration - auf das sogenannte Altertum hinweisen, weil die Anfänge der Umweltverschmutzung schon seinerzeit ••
Wo wir sind, ist vorn
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grassierten. Da war einmal ein Mann, der hieß Jung-Siegfried. Das war ein tragischer Held aus dem Volksstück »Der Ring des Nibelungen«. Dieser Jung-Siegfried war gehörnt, und zwar hatte er am ganzen Körper Hornhaut von einem getöteten Drachen. Er wälzte sich einfach in dem Drachenblut, und schon war er unverwundbar. Kein Indianerpfeil konnte ihn auch nur im geringsten verletzten. Aber in der ganzen Eile beim Wälzen hatte Jung-Siegfried übersehen, daß infolge der UVS hinten ein Blatt kleben geblieben war, so daß der stolze Knabe eine Achillesferse am Rücken davontrug. Und als Jung-Siegfried einmal an einem glasklaren Quell Wasser trank, bohrte der adlige Nebenbuhler Hagen von lronje seinen vergifteten Indianerpfeil in die betreffende Stelle - Feierabend! Man sieht, daß die Angelegenheit nicht erst heute gefährlich ist. Im Gegenteil: Wie jede Medaille bekanntlich mindestens zwei Seiten hat, ist es auch bei der Umweltverschmutzung. Die eine habe ich bereits ausführlich geschildert, die mit den toten •• Fischen, mit der Olpest und dem herumliegenden Blatt. Aber die Kehrseite könnte eventuell in gar nicht so ferner Zeit einmal die Rettung für die Menschheit bedeuten! Nehmen wir nur einmal getrost an, daß es außer uns noch mehr vernunftbegabte Wesen gibt, die zum Beispiel in irgendeinem Sonnensystem hausen und die ganze übrige Welt blutig erobern wollen. Nun ist klar, daß sie zunächst überpriifen, wo unter Umständen hochbegabte Lebewesen leben könnten, damit die lange Reise sich auch lohnt. Ich möchte jede Garantie geben, daß die dortigen Professoren zuerst auf unsere Erde tippen. »Auf dieser Kugel«, sagen sie, »könnte eventuell was los sein!« Nun wird von der Milchstraße her eine automatische Station in Gang gesetzt, die klammheimlich und völlig unbemerkt in der Gegend von Merseburg Boden-, Wasser- und Luftproben entnimmt. Auf dem uns noch unbekannten Sonnensystem werten sie die Proben in ihren Laboratorien aus und schütteln einhellig die klugen Köpfe: »Unter den auf der Erde herrschenden Bedingungen«, steht in dem betreffenden Bulletin, »ist Leben weder zu Lande, zu Wasser noch in der Luft möglich!« Die wissen nämlich überhaupt nicht, daß wir Menschen Gewohnheitstiere sind. Sehen Sie, und das ist das Schöne an der ganzen Umweltverschmutzung, daß sie in Wahrheit unsere Rettung ist. Man darf eben nur nicht so oft an die frische Luft gehen.
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1983 '
1983 Arafat ist gestorben.
3. Januar
und steht, wie ·.· .,'.:' ~ immer schwer be- · · wä.ffnet, vor der · ~, Himmelstür. Arafat klopft, Petrus öff~ net. Arafat: »Hallo, ich möchte hier rein!« Petrus: »Nein, bewaffnet kommt hier keiner rein!« Arafat sieht im Hintergrund einen gro~ ßen; bärtigen Mann auf einem Stuhl sit~ zen, der ein Gewehr in der Hand hält. Arafat: »Aber Petrus, selbst Gott hat ein Gewehr?« Petrus: »Das ist eine Ausnahme. Außerdem ist das gar nicht Gott, sondern_ Karl Marx, und ·. ;r , :,. der wartet auf Erieh Honecker!«
Fidel Castro
4.- 5. Januar
5. Januar 7. Januar 17. Januar
Katholische Bischöfe lassen einen Hirtenbrief verlesen, in dem sie die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft kritisieren. Treffen der Parteichefs des Warschauer Vertrages. Angebot >>über den gegenseitigen Verzicht auf Anwendung militärischer Gewalt<< an die NATO. 1. Sendung des Kindermagazins >>Ellentie<<, moderiert von Ellen Tiedtke. Der 11. Film der Olsenbande hat DDR-Premiere: Die Olsenbande ergibt sich nicht. Die Statistische Zentralverwaltung teilt mit: Für 1982 beträgt das produzierte Nationaleinkommen etwa 200 Milliarden Mark. Davon werden 61,3 Milliarden Mark zur Stützung der Verbraucherpreise bei Waren des Grundbedarfs, Mieten und Tarifen eingesetzt. Trotz Wirtschaftswachstums von 3 °/o ist man hinter der Planerfüllung zurückgeblieben. Versorgungsprobleme bei Butter, Gemüse und Obst.
Warum werden ab sofort die Zugangswege zu den Kombinatsbe-
trieben der DDR mit einem weißen Mittelstreifen versehen? Damit diejenigen, die zu spät auf Arbeit kommen, nicht mit denen zusammenstoßen, die eher Feierabend machen. 20. Januar
DEFA-Filmpremiere >>Der Aufenthalt<< nach Hermann Kants Roman. 23. Januar Andrea Schöne wird Europameisterin im Eisschnellauf (Mehrkampf) in Heerenveen (Niederlande). 1. Februar In Potsdam im Marstall, nahe der Filmstadt Babelsberg, wird ein Filmmuseum eröffnet. 3. Februar Katarina Witt wird Europameisterin im Eiskunstlaufen, im Paarlauf geht der EM-Titel an Sabine Baeß/Tassilo Thierbach. 26.-27. Februar Karin Enke wird Sprintweltmeisterin im Eisschnellauf in Helsinki. 10./11. März Tagung des ZK mit den Generaldirektoren der 156 zentralund 66 bezirksgeleiteten Kombinate zur besseren Versorgung der Bevölkerung mit industriellen Konsumgütern. 12. März Fidel Castro zu Besuch in Berlin. 17. März DEFA-Filmpremiere >>Das Luftschiff<< nach einem Roman von Fritz Rudolf Fries mit Jörg Gudzuhn. 17.-20. März Weltmeister-Titel im Skifliegen für Klaus Ostwald in Harrachov. 25. März Christa Rothenburger unterbietet als erste Frau die 40-Sekunden-Grenze im Eisschnellauf über 500 m.
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Zeittafel 1983 •
30. März
10. April
11.-16. April
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Zwei Männern flüchten an einem über die Grenzsicherungsanlagen hinweggeschossenen Stahlseil nach WestBerlin. Der 43jährige Bremer Tourist Rudolf Burkert stirbt während eines Verhörs am DDR-Grenzübergang Drewitz an Herzversagen. Es hagelt Proteste aus dem Westen. Erich Honecker sagt daraufhin seinen geplanten Besuch in der BRD ab. Anläßlich des 100. Todestages von Karl Marx findet eine internationale wissenschaftliche Konferenz statt. Motto: >>Karl Marx und unsere Zeit - der Kampf für Frieden und sozialen Fortschritt<<.
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An der Mauer soll
jetzt die gesamte Minentechnik geräumt werden. ,,Sie wird ersetzt durch Pilze. Warum?
. Die schießen von alleine.
Es ist gelungen, Karl Marx wieder zum Leben zu erwecken. Man will ihm Gelegenheit zu einer halbstündigen Fernsehansprache geben. Er sitzt im Studio und bereitet seine Rede vor. Da kommt der Redakteur Außenpolitik zu ihm und sagt. »Tut mir leid, wir müssen die Sendezeit halbieren - eine Freundschaftsdelegation aus der Sowjetunion ist soeben zurückgekehrt.« - »Gut«, sagt Marx und kürzt seinen Text. »Es tut mir leid«, sagt der Redakteur Wirtschaft, »ein Erntebericht muß gesendet werden, wir müssen die Zeit noch einmal halbieren.« - »Gut«, sagt Marx und kürzt seinen Text. Da kommt der Sportredakteur und sagt: »Tut mir leid. Die Übertragung des Fußballspiels beginnt gleich. Sie können nur eine Minute Sendezeit kriegen.« - »Gut«, meint Marx, tritt vor die Kamera und sagt: »Proletarier aller Länder« - blickt auf die Armbanduhr - »entschuldigt mich.« 21. April 22. April
28. April 3.-7. Mai 12. Mai 20. Mai 22. Mai
27. Mai 7. Juni
1. Juni
Wiedereröffnung der restaurierten Wartburg bei Eisenach anläßlich des 500. Geburtstages von Martin Luther. Schriftsteller aus Ost und West treffen sich in Berlin zur >>2. Berliner Begegnung<< mit dem Thema Frieden und Abrüstung. DEFA-Filmpremiere >>Insel der Schwäne<< nach dem Buch von Benno Pludra, Regie: Herrmann Zschoche. Offizieller Freundschaftsbesuch der Partei- und Staatsdelegation der DDR in der Sowjetunion. Auf dem Alexanderplatz demonstrieren fünf Bundestagsabgeordnete der Grünen für Abrüstung in Ost und West. Die DDR-Behörden schieben acht in der DDR-Friedensbewegung engagierte Bürger aus Jena in den Westen ab. Rund 250 000 Teilnehmer des Friedenstreffens der Jugend demonstrieren in Potsdam gegen den NATO-Raketenbeschluß. DEFA-lndianerfilmpremiere >>Der Scout<<, Co-Produktion mit der Mongolei. Der ehemalige SS-Offizier Heinz Barth wird entdeckt und für die Beteiligung an Zivilistenerschießungen zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Schriftstellerin Anna Seghers stirbt in Berlin.
Benno Pludra
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Zeittafel 1983 15. Juni
Heiner Müller
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Marianne Wünscher
Das Haus der Sowjetischen Wissenschaft und Kultur in der Berliner Friedrichstraße wird eröffnet. 16. Juni Juri Andropow wird Generalsekretär der KPdSU. 28. Juni Angaben zur Religionszugehörigkeit der Bevölkerung werden veröffentlicht: 7, 7 Millionen Protestanten, 1,2 Millionen Katholiken, rund 200 000 Angehörige anderer Religionsgemeinschaften. 29. Juni Die Bundesregierung übernimmt die Bürgschaft für einen von Franz Josef Strauß vermittelten Bankenkredit in Höhe von einer Milliarde DM an die DDR. 2. Juli Frank Castorf inszeniert Heiner Müllers >>Der Auftrag<< am Theater Anklam. 10. Juli Der Kirchentag der sächsischen Landeskirche endet in Dresden. 100 000 Menschen haben an dem größten Kirchentreffen in der DDR teilgenommen. 24. -2 7. Juli Erich Honecker empfängt den CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß im Schloß Hubertusstock am Werbellinsee. 25. Juli Erich Honecker eröffnet das VII. Turn- und Sportfest in Leipzig. 5.-7. August 135000 Zuschauer besuchen die Jubiläumsfeier: 60 Jahre Schleizer Dreieck, 50. Rennen auf dem Schleizer Dreieck und 25 Jahre MC Schleizer Dreieck. 8.-9. August Die DDR gewinnt alle drei Medaillen im Siebenkampf bei der Leichtathletik-WM in Helsinki und steht mit insgesamt 22 Medaillen an der Spitze des Medaillenspiegels. 16. August Joachim Streich wird zum Fußballer des Jahres gekürt. 16.-18. August Erstmals seit den Umwälzungen in Polen 1980 besucht Erich Honecker das Land. Es kommt zu keiner Rücknahme der Reisebeschränkungen.
26. August-13. November >>Kunst der Reformationszeit<< heißt eine Ausstellung im Rahmen der Luther-Ehrung im Alten Museum mit 750 Werken von Dürer, Cranach, Holbein, Grünewald. 15. September Erstmals wird ein Regierender Bürgermeister von West-Berlin in Ost-Berlin empfangen; Richard von Weizsäcker besucht Erich Honecker. 16.-23. September Marlies Helbig gewinnt die Weltmeisterschaft im Sportschießen (Luftgewehr) in Innsbruck. 24. September Zum dreißigjährigen Bestehen der Kampfgruppen findet auf der Berliner Karl-Marx-Allee ein Appell von 10 000 Angehörigen der bewaffneten Arbeiterformation statt. 27. September DEFA-Filmpremiere >>Zille und ick<< mit Marianne Wünscher. 5. Oktober Österreichischen Journalisten gegenüber spricht Erich Honecker von der Existenz und kündigt gleichzeitig den Abbau von Selbstschußanlagen an der innerdeutschen Grenze an. Die Arbeiten werden am 30. November 1984 beendet.
Zeittafel 1983
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9. Oktober
Erich Honecker schreibt an Bundeskanzler Kohl und ruft zu einer >>Koalition der Vernunft<< auf. 17. Oktober Der Rennsteigsänger und >>Volksmusik-König<< Herbert Roth stirbt. 25. Oktober Udo Lindenberg und das Panikorchester treten bei >>Rock für den Frieden<< im Palast der Republik auf; Lindenberg sagt: >>Weg mit dem Raketenschrott- keine Pershings und keine SS 20! <>Udo<>Legende vom Glück ohne Ende<< am Theater Schwedt. 9. November Offizielle Festveranstaltung des staatlichen Lutherkomitees in der Deutschen Staatsoper. 10. November Anläßlich des 500. Geburtstags von Martin Luther wird in Eisleben ein Gedenkgottesdienst gehalten. 24./25. November Das ZK der SED wählt Egon Krenz als jüngstes Mitglied in den engsten Kreis der Parteiführung. 26. November In Torgau wird der Amerikaner Joseph Polowsky beigesetzt, ein Soldat der Patrouille, die 1945 als erste auf sowjetische Soldaten traf. 27. November DEFA-Kinderfilmpremiere >> Moritz in der Litfaßsäule<< nach dem Buch von Christa Kozik. 12. Dezember Außenminister Oskar Fischer eröffnet das Kulturzentrum der DDR in Paris. 22. Dezember Uraufführung von Christoph Heins >>Die wahre Geschichte des Ah Q<< am Berliner Deutschen Theater, Regie: Alexander Lang. 1983 verlassen 11343 DDR-Bürger das Land.
1. BFC Dynamo 2. FC Vorwärts Frankfurt/O. 3. FC Carl Zeiss Jena .· 4. 1. FC Lok Leipzig 5. FC Rot-Weiß Erfurt 6. 1. FC Magdeburg 7. SG Dynamo Dresden 8. FC Hansa Rostock 9. FC Karl-Marx-Stadt 10. WismutAue 11. Hallescher FC Che• m1e 12. 1. FC Union Berlin 13. Chemie Böhlen 14. Sachsenring Zwikkau
Sportler des Jahres:
Fernsehlieblinge:
große Hits:
Marita Koch (Leichtathletik)
Hartmut Schulze-Gerlach Volker Braun >>Berichte von Hinze und Klaus Feldmann Kunze<< Herbert Käfer lrmtraud Morgner Petra Kusch-Lück >>Amanda. Ein HexenroHeinz Florian Oertel man<< Helga Göring Erwin Strittmatter >>Der Laden 1<< Walter Plathe
Uwe Raab (Radsport) Volleyball-Nationalmannschaft der Frauen
Torschützenkönig der Oberliga: Joachim Streich vom 1. FC Magdeburg mit 19 Treffern
Lutz Jahoda Helga Hahnemann Heinz Rennhack
neue Bücher:
Christa Wolf >>Kassandra<< Christine Müller >>Männerprotokolle<< Gert Prokop >>Der Samenbankraub<<
Oberliga-Plazierung 1983
>>No Bomb<< Berluc >>Glastraum<< City >>Sehnsucht<< Puhdys >>Mont Klamott << Silly >>Die wundersame Geschichte von Gabi << Pankow >>Erna kommt<< Wolfgang Lippert
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Zeittafel 1984
1984 6. Januar
Jens Weißflog wird Sieger der 32. Internationalen Vierschanzentournee (BRD/Österreich).
9. Januar
Die Deutsche Reichsbahn übergibt vereinbarungsgemäß die S-Bahn West unentgeltlich an den Senat.
13. -16. Januar Das von den Besuchern von >>Rock für den Frieden<< mit Spannung erwartete Konzert der Kölner Gruppe BAP wird abgesagt. Die Musiker hatten sich nicht auf Programmänderungen eingelassen.
lnge Keller
Warum fuhr Egon Krenz nicht zu den Olympischen Spielen nach Sarajewo? Weil dort schon mal ein Kronprinz erschossen wurde.
Bei einem Empfang im Kreml kommt Helmut Kohl neben einem Sowjetgeneral zu stehen, dessen Uniform mit Reihen von Orden übersät ist. Plötzlich eilt ein Sicherheitsbeamter herbei: »Herr Bundeskanzler, Sie haben geläutet?« »Nein. Der General hat geniest ... «
17. Januar
Egon Krenz und Erich Honecker einigen sich auf die endgültige Absage der vereinbarten Tournee von Udo Lindenberg.
19. Januar
Premiere des Filmes >>Ärztinnen<< nach Rolf Hochhuths Stück. Die DEFA engagiert den bundesdeutschen Filmstar Judy Winter für die Hauptrolle. Mit lnge Keller und Rolf Hoppe.
20. Januar
In der US-Botschaft bitten sechs DDR-Bürger um politisches Asyl, zwei Tage später dürfen sie nach Westberlin ausreisen.
21. Januar
Erstaufführung von Volker Brauns >>Guevara oder der Sonnenstaat<
23. Januar
Klaus Ostwald springt mit 127 m neuen Schanzenrekord auf der Schanze im Kanzlersgrund bei Oberhof - der weiteste Sprung auf DDR-Territorium.
27. Januar
Eröffnung des >>Französischen Kulturzentrums Unter den Linden<< in Berlin.
8.-19. Februar
Die Olympischen Winterspiele finden in Sarajewo statt. Erfolgreichste Mannschaft ist die der DDR mit neun Gold-, neun Silber- und sechs Bronzemedaillen.
9. Februar
In Moskau stirbt Staats- und Parteichef Juri Andropow.
9. Februar
Erich Honecker übergibt die zweimillionste Wohnung seit Beschluß des Wohnungsbauprogramms 1971 in Berlin ihrer Bestimmung.
10. Februar
Im Museum der bildenden Künste, Leipzig, wird die erste umfassende Max-Beckmann-Ausstellung in der DDR aus Anlaß des 100. Geburtstages des Künstlers eröffnet.
13. Februar
Am Rande der Trauerfeierlichkeiten für Juri Andropow kommen Erich Honecker und Helmut Kohl zu einem Gespräch zusammen. Am gleichen Tag tritt Konstantin Tschernenko sein Amt an.
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Zeittafel 1984 19. Februar
Die Außenarbeiten am kriegsbeschädigten Berliner Dom sind abgeschlossen.
3.-4. März
Bei der Weltmeisterschaft in Trondheim gewinnt Karin Enke den WM-Titel im Eisschnellauf (Sprint-Mehrkampf).
8. März
DerWeltcup im Biathlon in Oslo geht an Frank-Peter Roetsch.
11. März
Erich Honecker erklärt sich auf der Leipziger Messe bereit, im Herbst die Bundesrepublik zu besuchen.
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Als Honecker Franz Josef Strauß bei der Messe trifft, fragt er: »Können Sie mir auch ein so schickes Auto besorgen, wie Sie selber fahren?« Jovial sagt Strauß: »Klar, das geht seinen sozialistischen Gang.« Darauf Honecker: »Ach nein, das dauert mir zu lange.« 19.-25. März
Katarina Witt wird Weltmeisterin im Eiskunstlauf in Ottawa (Kanada).
8. April
Das sowjetische NOK beschließt, die Olympischen Spiele in Los Angeles zu boykottieren.
27. April
Eröffnung des neuen Friedrichstadtpalastes. Der anwesenden Staatsführung mißfallen die Pointen des Conferenciers 0. F. Weidling, der danach faktisch Auftrittsverbot erhält.
8.-21. Mai
Bei der Friedensfahrt gewinnt Olaf Ludwig vier Etappen und ist mit insgesamt 21 Etappensiegen erfolgreichster Fahrer.
10. Mai
DEFA-Filmpremiere >>Romeo und Julia auf dem Dorfe<<.
10. Mai
Das NOK teilt mit, daß die DDR-Sportler an den Olympischen Spielen in Los Angeles nicht teilnehmen werden.
16. Mai
DEFA-Filmpremiere >>Erscheinen Pflicht<< nach einer Vorlage von Gerhard Holtz-Baumert.
17. Mai
FDGB-Vorstand und das ZK beschließen >>Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen für Familien mit drei und mehr Kindern<< ab 1. Juni.
23. Mai
Kristin Otto schwimmt Weltrekordzeit über 200 m Freistil in 1:57,75 min und somit einen neuen Weltrekord.
29. Mai - 4. Juni Nordkoreas Staatschef Kirn II Sung besucht die DDR. 15. Juni
Die Volkskammer wählt Egon Krenz und Günter Mittag zu stellvertretenden Staatsratsvorsitzenden.
22. -24. Juni
Der Bezirk Gera ist Gastgeber der 20. Arbeiterfestspiele der DDR.
27. Juni
Die Ständige Vertretung der BRD in Ostberlin, in der 55 DDR-Bürger ihre Ausreise erzwingen wollen, wird vorübergehend geschlossen.
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Weidling
Ein junger, noch unbekannter Autor legt dem Fernsehdirektor des DFF ein Stück vor. Der blättert im Manuskript und stutzt, als er das Personenverzeichnis liest. Da steht: Adam und Eva, Cleopatra, Julius Cäsar, Kolumbus, Maria Stuart, Karl Marx ... Er fragt entsetzt: »In welcher Zeit soll denn das Stück spielen?« Darauf der Autor: »In der Hauptsendezeit natürlich!«
Zeittafel 1984
126 29./30. Juni
Staatsbesuch des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme in der DDR. In einer gemeinsamen Erklärung mahnen Palme und Erich Honecker die notwendige Fortführung der Entspannungspolitik zwischen Ost und West an.
4.-6. Juli
Staatsbesuch des griechischen Ministerpräsidenten Andreas Papandreou in der DDR.
20. Juli
Uwe Hohn stellt mit 104,80 m neuen Weltrekord im Speerwerfen auf; damit wirft er als erster den Speer über 100 m.
25. Juli
BRD-Staatsminister Jenninger gibt die Gewährung eines Kredits von 950 Millionen DM an die DDR bekannt.
1. August
Reiseerleichterungen für den innerdeutschen Verkehr treten in Kraft.
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Im Jahr 2014 dürfen alle DDR-Bürger in den Westen reisen. Warum?
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Weil die DDR 65 wird. 2. August
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Die Prawda, das Zentralorgan der KPdSU, kritisiert die deutsch-deutschen Beziehungen.
19.-25. August Sylvia Gerasch schwimmt bei den Wettkämpfen der Freundschaft in Moskau Weltrekord über 100 m Brust. 4. September
Erich Honecker sagt seine für September geplante Reise in die Bundesrepublik ab. Begründung: Der Stil der Diskussion über den Besuch sei >>äußerst unwürdig<<.
8. September
DEFA-Filmpremiere >> lsabel auf der Treppe<< mit Steffie Spira.
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30. September Beginn des durchgehend elektrischen Zugverkehrs LeipzigBerlin. 1. Oktober
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einen Brief: »Sehr · , geehrte~ Herr Deli-·.· · mcmn, Sie ItÖnnen • Ihren.Trabant.am ·. .· •. 2~ . Jtili -2011 . aQh-O~ .· ;. len'.~< Darauf Herr. · ·• ; Tueli:inann ~UtÜ.cf·: :•:· -· »Vormitta:gs o.äet · , ·. ··'
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5. Oktober
In der Berliner Charite werden die ersten Retortenbabys des Ostblocks geboren. Es sind Zwillinge.
6. Oktober
Die Gruppe Karat erhält den Nationalpreis.
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16.-19. Oktober Staatsbesuch von Erich Honecker in Finnland. 6. November
Das Dresdner Kupferstichkabinett eröffnet die erste PaulKlee-Ausstellung der DDR.
12. November
Unterzeichnung eines Vertrages mit den Wolfsburger VWWerken über die Lieferung von Motoren für >> Wartburg<< und >>Trabant<< .
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2. Oktober - 20. Dezember Im Alten Museum findet die Ausstellung >>Alltag und Epoche - Werke Bildender Kunst der DDR aus 35 Jahren<< statt.
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Eröffnung des 1943 kriegszerstörten und völlig neu aufgebauten Schauspielhauses am Berliner Gendarmenmarkt als Konzerthaus.
Zeittafel 1984
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23.-29. November Auf der 27. lnterntaionalen Dokumentar- und Kurzfilmwoche in Leipzig werden unter anderem die Filme >> Marschall Shukow<< (UdSSR) und >>Ein guter Kampf- die Abraham-Lincoln-Brigade im Spanischen Bürgerkrieg<< (USA) mit der Goldenen Taube ausgezeichnet. 28. November
Unter Bürgerprotesten werden im Berliner Prenzlauer Berg die Gasometer gesprengt. A1 -
30. November
IV. Volkskunstkonferenz in Gera.
1. Dezember
Die Mindestrenten werden um 30 Mark auf 300 Mark erhöht. Frauen mit drei und mehr Kindern sowie Halb- und Vollwaisen bekommen mehr Rente.
1. Dezember
Aus Anlaß des 100. Geburtstages von Karl Schmidt-Rotluff wird die neugestaltete ständige Ausstellung in Karl-MarxStadt neueröffnet.
Erstaufführung der Händel-Oper >>Giustino<< an der Berliner Komischen Oper, in der Titelpartie Jochen Kowalski, Regie: Harry Kupfer.
6.-13. Dezember Kulturtage der DDR in Rumänien mit Lesungen, Ausstellungen, Filmen und einer Gala des Tanztheaters der Komischen Oper. 15. Dezember
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Jochen Kowalski
3.-7. Dezember 5. Internationales Kinder- und Jugendbuchkolloqium in Berlin. Uwe Kant referiert zum Konferenzthema: >>Das Leben lieben - den Frieden schützen.<< 4. Dezember
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Der neue Grenzübergang zwischen dem hessischen Herleshausen und dem thüringischen Wartha wird dem Verkehr übergeben.
Oberliga-Plazierung 1986 · 1. Berliner FC Dynamo 2. SG Dynamo Dresden 3. 1. FC Lokomotive Leipzig . 4. FC Vorwärts Frankfurt 5. 1. FC. Magdeburg 6. FC Karl-Marx-Stadt 7. FC Rot-Weiß Erfurt 8. BSG Wismut Aue 9. Hansa Rostock 10. FC Carl Zeiss Jena 11. BSG Stahl Riesa 12. BSG Chemie Leipzig 13. 1. FC Union Berlin 14. Hallescher FC Che• mte '
1984 verlassen 4097 4 DDR-Bürger das Land.
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Sportler des Jahres:
Fernsehlieblinge:
neue Bücher:
große Hits:
Katarina Witt (Eiskunstlauf)
Petra Kusch-Lück
Günter de Bruyn >>Neue Herrlichkeit<<
>>Mein Weg<< Stern Meißen
Uwe Hohn (Leichtatheltik)
Agnes Kraus
Stephan Hermlin >>Äußerungen<<
>>Schlaf mit mir<< Puhdys
Bernd Wagner >>Reise im Kopf<<
>>Ein Lied für die Menschen<< Silly
Viererbob-Mannschaft (Wolfgang Hoppe, Roland Wetzig, Dietmar Schauerhammer, Andreas Kirchner)
Klaus Feldmann Frank Schöbe! Heinz Rennhack Jürgen Karney Helga Hahnemann Helga Göring Heinz Florian Oertel
Torschützenkönig der Oberliga: Rainer Ernst vom BFC Dynamo mit 20 Treffern
Walter Plathe
Joachim Walther >>Bewerbung bei Hofe<< Waltraud Lewin >> Federico<< Günter Görlich >>Der unbekannte Großvater<<
>>Er will anders sein<< Pankow >>Vergiß mich<< Rockhaus >>Zeit, die nie vergeht<< Perl
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Nachweise
Die Karikaturen stammen von Heinz Behling: 10, 29 u., 36, 76, 113, 114, 117 Manfred Bofinger: 8, 35, 41, 43 r., 46, 48, 59, 65, 68, 97 Henry Büttner: 13, 61 u., 77 u., 79, 86, 109 Peter Dittrich: 29, 61 o. Barbara Henniger: 17, 45, 54, 73, 98, 111, 119 Heinz Jankofsky: 32, 63 Harald Kretzschmar: 120, 121, 122, 124, 125, 126, 127 Lothar Otto: 28, 30, 80, 99 Nabil el Solami: 78 Harri Parschau: 18, 38, 431., 53, 67, 70, 77 o., 91 u., 96, 101, 103, 105 Louis Rauwolf: 24 Horst Schrade: 51, 91 o. Karl Schrader: 44, 75, 93 Wolfgang Schubert: 89 Reiner Schwalme: 82 Carl Sturtzkopf: 84 Fotos: Hans-Ludwig Böhme: 57 Karl-Heinz Golka: 21 ullstein bild - AP: 22 ullstein bild - Köhn: 3 7 Klaus Wmkler: 27 Für die freundliche Genehmigung zum Abdruck danken wir den Autoren, Zeichnern und Erben. Nicht in allen Fällen ist es uns gelungen, Rechteinhaber und Rechtsnachfolger zu ermitteln. Berechtigte Honoraransprüche bleiben gewahrt. Impressum
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