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Die Jahre 1965-1966: überholen ohne einzuholen
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Weltbild
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Günter Herlt: Noch eins drauf!
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1. Kapitel: überholen ohne einzuholen
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Jochen Petersdorf Das Vorbild ist Piepe Lutz Stückrath Ein Haus, ein Häuschen und wir Hans Krause Zum Beispiel: Jahrestag Hans J. Stein Das Fatzkenhafte am Weltniveau Ernst Röhl Vorwärts Jochen Petersdorf Fortschritt Peter Ensikat Deutsch für Zeitungsleser Lothar Kusche Künstler, packt das Heute am Kragen 2. Kapitel: Alles zum Wohle des Volkes Humorvolles aus dem Alltag
John Stave Striche am Trabant Peter Ensikat Einzeliahrscheine Ottokar Domma •• Uber die Schönheit unserer Namen Renate Holland-Moritz Omas kulturelle Kontakte Eberhard Cohrs Der Gaststättenkontrolleur Lothar Kusche Wo das Wirtschaftsgeld bleibt
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Inhalt 3. Kapitel: Lernen, lernen, nochmals lernen Als wir Schüler und Pioniere waren
Kurt David Wie ich eine Lüge gegen eine andere Lüge eintauschte Johannes Conrad Die systematische Entwicklung der kindlichen Phantasie durch ein Elternpaar Ottokar Domma Als ich in der Pionierrepublik war Jochen Petersdorf Benno und Lenin im Oktober 4. Kapitel: Was des Volkes Hände schaffen Wir Werktätigen in Stadt und Land
Heli Busse Die Woche geht's nich! Rudolf Thomas In vino veritas Heinz Stockhaus Am Bitterfelderwegrand Horst von Tümpling Frontbericht vom Feldzug der Sparsamkeit 5. Kapitel: Heißer Sommer Von Ostseestrand, Datsche und Jugendclubs ...
Erwin F. B. Albrecht Rache für einen Sommer Jochen Petersdorf Keine Gefahr Hansgeorg Stengel Elegie eines Mückenbüßers C. U. Wiesner Frisör Kleinekorte auf der Wartburg Ernst Röhl Ich ging im Walde so für mich hin ... John Stave Die optimale Biindigkeit
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Inhalt
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6. Kapitel: Höher, schneller, weiter Sportlich sportlich
John Stave Schüsse Ernst Röhl Über das Schieben einer ruhigen Kugel
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Jochen Petersdorf Oh, wie einsam schlägt die Brust!
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Rudi Strahl Die Fernsehaufzeichnung
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Hansgeorg Stengel Schwarzes Schaf
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7. Kapitel: Unter vier Augen Über Verliebte und Verheiratete
Lothar Kusche Jemand begeht Ehebruch Günter Krone Ein Sonntagsausflug Rudi Strahl Die Faschingsfee mit dem rätselhaften Lächeln 8. Kapitel: Wo wir sind, ist vorn Es geht seinen sozialistischen Gang
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Renate Holland-Moritz Ungestörter Kreislauf
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Hansgeorg Stengel Lyrik, du Himmel auf Erden!
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Peter Lux Schöne Scheine
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John Stave Wenn einer nicht da ist
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Zeittafel
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Rechtlich es
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Lachen lockt die Glückshormone
' OIHS Es wird mehr gedruckt, als man lesen kann. Es wird mehr gelesen, als man behalten kann. Es wird mehr behalten, als für die geistige Taille gut ist. Aber genau da setzt nun diese lobenswerte Bücherreihe an: Satire ist Verdauungshilfe! Humor wirkt wie »Rohr frei! «in den Kanälen unserer Befindlichkeit. Lachen lockt die Glückshormone und stärkt damit das Immunsystem! Ihnen, liebe Leser, wird hier - ohne Praxisgebühr, ohne Rezeptzuzahlung, ohne kleinliche Dosierung - ein Lebenselixier in die Hand gegeben, von dem man unbedenklich dreimal täglich Gebrauch machen kann, da es aus dem ganz natürlichen Rohstoff unseres Lebens geschöpft wurde. In diesem Fall nun allerdings aus dem Leben unserer ostelbischen Landsleute während der Jahre 1965 und 1966 und daher nicht ganz frei von Nebenwirkungen. Wer mit den Gepflogenheiten und Mentalitäten der DDR nicht so vertraut ist, der sei erinnert an die ostdeutsche Staatslosung »Überholen ohne einzuholen«. Ist doch ganz einfach zu verstehen: Von der Bundesrepublik hieß es im Osten stets, daß sie ganz nahe am Abgrund steht. Und von der DDR wußte man, daß sie immer einen Schritt weiter war. Der Nährboden des Humors sind die Anomalien. Ironie ist Distanzgefühl. Satire erniedrigt das Große und erhöht das Kleine. Warum also sollten Humor und Satire nicht blühen in der DDR, die mit manchen Geburtsfehlern zur Welt kam? Im Gegenteil: Die Satire war ein Ventil, um den Überdruck im Kessel zu mindern. Sie war nicht sonderlich geschätzt, aber doch weithin geduldet. Und diesen Umständen verdanken wir auch die folgenden Texte von Rudi Strahl und Ottokar Domma, von Peter Ensikat und C. U. Wiesner und all den anderen »Lästermäulern«. Ich muß Ihnen den Spaß nicht wünschen, ich kann ihn versprechen! Günter Herlt
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überholen ohne einzuholen
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Jochen Petersdorf
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>>Hurra! Ersatzteile!<< •
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Hubert Pieperella, von seinen Kollegen einfach Piepe genannt, fährt einen Barkas. Falls es jemand nicht wissen sollte: Das ist ein Auto. Größer als ein Trabant. Und das ist gut für Piepe. Denn Piepe, der privat auch einen Trabant fährt, hat einen sehr großen Garten. In Hangelsberg. Das ist außerhalb Berlins, Richtung Fürstenwalde. Der Garten bescherte dem Kollegen Piepe in diesem Jahr eine gewaltige Apfelschwemme. Im Geräteschuppen türmten sich unlängst Säcke und Kisten voller köstlicher Äpfel aller Farben und Geschmacksvarianten. Piepes Frau will einen beträchtlichen Teil davon zu Mus zerkochen und die restlichen Zentner unter den Betten der Pankower Wohnung für den Weihnachtsteller frischhalten. Piepe sagte sich: Mit dem Trabant muß ich mindestens dreimal hin- und herjuckeln. Das haut spritmäßig ganz schön in die Äppel. Der Barkas bewältigt das Transportproblem auf einen Ritt - und tankt aus der allgemeinen Kasse. Piepe hatte am vergangenen Dienstag eine Betriebsfahrt nach Königs Wusterhausen. Von dort aus kann man - wenn man will - über Neu-Zittau und Erkner quer rüberstoßen und kommt auf die Fürstenwalder Strecke, also auch nach Hangelsberg in Piepes Garten. Gleich hinter Erkner bot sich dem Kollegen Piepe ein Bild des Jammers. Der Jammer bestand aus einem ziemlich neuen Wartburg und einem etwas älteren Herrn. Der ältere Herr war Piepes ökonomischer Direktor, Kollege Strickmüller. Auf seiner Stirn wölbten sich einige prächtige Beulen. Die Stirn des Wartburgs war von großen Sorgenfalten zerklüftet. »Plötzlich schlug es mjr das Lenkrad aus der Hand«, sagte Strickmüller, »und dieser blöde Chausseeappelbaum gab nicht nach.« »Hauptsache, Sie selbst sind okay«, sagte Piepe. »Und die Karre wollte der Direktor ja sowieso umspritzen lassen, weil er einen einheitlichen Fuhrpark haben möchte. - Na schön, da werde ich Sie mal abschleppen.« »Nicht nötig«, sagte Strickmüller. »Habe schon angerufen. Alwin und Herbert müssen jeden Moment hier sein. - Wo fahren Sie denn überhaupt hin?« »Nach- nach- nach Fürstenwalde«, antwortete Piepe, »wegen Reifen!« »Menschenskinder!« rief Strickmüller. »Das trifft sich ja wun-
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derbar. Tun Sie mir bitte einen Gefallen und nehmen Sie hier den Kühlschrank mit. Der ist nämlich für M meine Schwiegermutter in Fürstenwalde. Betty Nackelmann, Dr. -Puhlmann-Straße 5. Sie wissen ja, wie 's ist. Verkaufen kann man so 'ne historische Sehmette nicht mehr, aber 'ne olle Dame freut sich. Und Alwin muß ja auch nicht unbedingt mitkriegen, warum ich hier in dieser Gegend rumgekutscht bin. Obwohl ich natürlich auch dienstliche Gründe hatte. Logisch.« »Logisch«, meinte Piepe. Er hievte den Kühlschrank in den Barkas, sagte dem Kollegen Strickmüller noch ein paar tröstende Worte und brauste los. »Blöder Mist«, knurrte er hinter der nächsten Kurve. »Extra noch nach Fürstenwalde.« Diese Flitzpiepe Strickmüller! Warum schleppt'n der den Kühlschrank nicht am Wochenende mit seinem eigenen Lada nach Fürstenwalde? Da steh ich stundenlang rum, und meine Äppel muß ich nach Feierabend im Dunkeln verladen! Die alte Dame war zu Hause, und Piepe war dann bald in seinem Garten in Hangelsberg und hatte auch bald den Apfelberg hinter sich - im Barkas. Kurz vor Erkner bot sich dem Kollegen Piepe ein Bild des Jammers. Der Jammer bestand aus einem verbeulten Herrn und einem zerknautschten Auto. »Alwin und Herbert sind immer noch nicht hier«, rief Strickmüller. »Ich fahre mit Ihnen mit. Wir müssen denen ja unterwegs begegnen. Dann kriegen sie die Schlüssel und können den Dampfer zum Betrieb schleppen. Ich kann ja hier nicht stundenlang meine Arbeitszeit im Straßengraben absitzen!« »Logisch«, meinte Piepe. Strickmüller kletterte in den Barkas. Er schnupperte, kuckte, runzelte die Stirn samt Beulen und sagte streng: »Nanu? Keine Reifen, sondern Äppel? Wie darf ich das verstehen?« Apfelpiepes Kopf bekam Tomatenfarbe. »Tja«, sagte er nach einer Weile. »Mit den Reifen, das war 'ne Fehlinformation. Falscher Tennin. Aber wie 's der Teufel so will, heute ist wirklich die Hölle los. Mitten in Fürstenwalde ein
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»Herr Pieperella, auf die richtigen Reifen kommt es an!<
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Hätte das Herr Pieperella gewußt: Auch auf dem Wasser, hier im Spreewald, macht der Trabi eine tolle Figur.
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Fahrzeug von der GHG mit Federbruch. Und die Jungs betteln mich, daß ich die Äppel mitnehme nach Köpenick zur Kaufhalle in der Lindenstraße. Sie kämpfen um den Titel, und da wolln sie Termintreue halten und so. Konnte ich natürlich nicht abschlagen. Logisch.« »Logisch«, meinte Strickmüller. Er half sogar beim Abladen vor der Kaufhalle. »Komisch, daß keiner rauskommt und mit anpackt«, sagte er. »Wahrscheinlich kämpfen die nicht um den Titel«, sagte Piepe. Als Strickmüller wieder im Barkas saß, winkte Piepe einen halbwüchsigen Jungen heran. »Iß soviel Äpfel wie du willst«, sagte er, »aber paß auf, daß kein anderer rangeht. « »Geht klar«, sagte der Junge. »Aber ich rauche seit kurzem auch wieder. Neue Juwel.« »Schäm dich«, sagte Piepe und gab ihm vier Mark für Club. Dann fuhr er Strickmüller zum Betrieb, weil der noch nach Alwin und Herbert forschen wollte, um den zerknautschten Wartburg von der Landstraße zu bergen. Beim Abschied sagte Strickmüller: »Etwas Gutes hatte die ganze Sache. Durch den Kühlschrank und die Äpfel hatten Sie keine Leerfahrt. Weder hin noch zurück. Und so soll es ja wohl auch sein, nicht wahr?« »Logisch«, antwortete Piepe. Dann fuhr er wieder zur Kaufhalle. Der Junge spendierte ihm eine Club, und als sie aufgeraucht hatten, machten sie sich daran, die Apfelkisten wieder in den Barkas zu laden. »Bleiben Sie mal stehen, Herr Pieperella! « rief plötzlich eine fistelige Männerstimme. Die Stimme gehörte dem Abendblatt-Fotoreporter Birnstiehl, einem Haus- und Flurnachbarn von Piepe. »Das ist ja 'ne Wucht«, rief Birnstiehl, »wie Sie, Herr Pieperella, als Kleingärtner den Bevölkerungsbedarf mit absichern helfen. Das bringe ich groß raus! Locker stehn! Danke!« Der Reporter half dann noch beim Ausladen der Kisten. »Ich nehme Sie mit nach Hause«, sagte Piepe, »dann ist es keine Leerfahrt.« »Wirklich vorbildlich«, krähte Bimstiehl. »So soll es ja auch sein!«
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Lutz Stückrath
Nun hatten wir schon seit einigen Jahren unsere AWG-Wohnung bezogen. Nach und nach fielen aber der Hausgemeinschaft die eisernen T-Träger, die Holzbalken, der Zement und die Steine unangenehm ins Auge, die der volkseigene Baubetrieb nach der Fertigstellung wohl nicht mehr mitnehmen wollte. Wir buddelten an Sonn- und Feiertagen alles schön unter und faßten den Entschluß, Gras über die Dinge wachsen zu lassen. Schon deshalb, weil jeder Mieter von seiner eingezahlten Summe sogar vierundvierzig Mark mit dem Bemerken zurückerhielt, daß die Kollegen vom Bau sehr rentabel gearbeitet hätten. Als nun unser Rasen erstmals schön grünte, kamen zwei junge, kräftige Männer, betraten mit grobem Schuhwerk vorsichtig unsere Grünfläche und gaben ihr mit Hilfe von Spaten und Schaufel ein anderes Ansehen. Nach einigen Stunden hatten sie einen Graben quer durch die ganze Anlage gezogen, und wir freuten uns alle; denn wir dachten, das Gartenbauamt würde - nach dem Graben zur urteilen - mindestens ausgewachsene Bäume pflanzen. Aber da die beiden Männer außer dem schönen breiten Graben nichts weiter hinterlassen hatten, spielten bald die Kinder der ganzen Gegend dort und verteilten den mühsam ausgehobenen Sand gleichmäßig auf dem uns verbliebenen Rasenrest. Nach einigen Monaten - es fing eben an, herbstlich zu regnen - fuhr ein Auto durch unsere Straße, über den Rasen, und starke Hände luden ein aus Glas und Metall gefertigtes Häuschen ab. Die Kollegen zeichneten sich durch besondere Schnelligkeit aus, denn sie hielten beim Abladen erst gar nicht an, und einige Glasscheiben sprangen vor Freude in die Luft. Den Rest der Scheiben besorgten dann wieder die Kinder, was man ihnen nicht übelnehmen sollte, weil sich ja selbst Kinder nicht gerne ins eigene Fleisch schneiden. Dann begann kurz vor Einbruch des Winters ein emsiges Treiben. Zuerst kam der Glaser, der seine Arbeit ordentlich machte. Dann kam der Maler, der ein richtiger alter Handwerker war und der sich was beim Arbeiten dachte. Vorsichtshalber bemalte er nur drei Seiten. Nun kam noch einer mit einem dicken Kabel, welches er in den Graben warf, der inzwischen ausgehoben worden war, und verschwand. Die Tür setzte später ein
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))Ein Einschreiben von der PGH Fahrstuhlreparatur ... <<
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gewissenhafter Schlosser ein, der Glaser und der Maler kamen noch mal, und dann wurde auch ein richtiger Telefonapparat eingebaut. Später kamen die beiden Männer mit den Spaten wieder. Sie besahen sich sehr ärgerlich das Wasser in dem Graben; doch weil wohl das Kabel nicht frei liegen darf, schaufelten sie ihn zu. Wenn es demnächst etwas wärmer ist, will die Hausgemeinschaft alles wieder schön planieren und Rasen säen. Die Telefonzelle ist das Schmuckstück der ganzen Umgebung! Und wenn wir dann im nächsten Jahr erst richtig telefonieren können, wollen wir uns bei der Deutschen Post für alles bedanken. >>Ich würde sagen: Die Rüstung steht schon zu lange, die wird zuerst rekonstruiert.<<
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Hans Krause
rosta Beispiel Nr. 1: Ein Referat zum Jahrestag im Anglerverband Sportfreunde! Petrjünger! Kampfjenossen mit Rute und Rolle. Mit Rute und Rolle ... Aber wat, Sportfreunde, is die schönste Rute ohne die führende Rolle ... der Arbeiterklasse. Marx hat jesacht ... Herr Ober, bring'se doch mal fünf Pils fürs Präsidium! - Det hat Marx natürlich nich jesacht. Marx hat jesacht ... äh ... Moment. Wat hatta denn jesacht? (schaut ins Manuskript) Ach ja, Marx hat jesacht: Sein oder Nichtsein ... Nee. Nee, det hatta nichjesacht. Det war ein anderer Kolleje. Aber dem sind wir auch verbunden. Sportfreunde. Det war nämlich 'n Angelsachse. Ach hier ... jetzt hab ick's ... Marx hatjesacht, das Sein bestimmt das Bewußtsein. Und wat hat Marx damit sagen wolln? Wenn das Jewässer 'ne tote Hose is, kann auch der beste Angler nischt an Land ziehn. Da könnta ma wieder sehn, Sportfreunde, auch der Marx war einer von uns. Natürlich war er nich so erfolgreich wie unser Kollege Glühgurke, dem es vergangenen Samstag jelungen is, einen zehnpfündigen Karpfen zu landen. Aber immerhin, Marx hat uns jelemt, wie man die kapitalen Fische inne Pfanne haut. Wir haben Marxens Technik uffjegriffen und beweisen nunmehr seit viele Jahre, det man och ohne Raubfische selig werden kann. Zwar komm wa noch nichjanz ohne Posen aus, aber unsre DDR is schön maßig und jeder kriegt bei uns sein Eimerchen voll. Und wenn manche och noch der Meinung sind, bei uns sei der Wunn drin, weil man bei jedem Handwerker gleich 'n Bückling machen muß, wir Angler sind ja weiter und wissen: Wenn eener anbeißen soll, mußte anfüttem! Und damit komm wa nu zum fröhlichen Teil unserer Versammlung - jetreu unsenn Motto: Wir Angler stippen dort und hier, am liebsten aber stippen wir die Nase in ein Pilsner Bier! Prost!
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> >Habe nun, ach! femstudiert, gezirkelt, parteigelehrjahrt mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Torf Und bin so klug als wie zuvor. Uns fehlt ein Betriebsschlosser!<<
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Beispiel Nr. 2: Ein Referat zum Jahrestag in der Kulturbundsparte Philatelie
))Exportproblem gelöst. fetzt kann ich in zwanzig Sprachen Entschuldigung sagen.«
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Liebe Phi ... liebe Phi ... liebe Briefmarkensammler! Bevor wir zum Sammeln blasen und uns unseren bunten Schnipseln zuwenden, muß ich ein paar ernste ungummierte Sätze an Sie richten. Besonders an die BRD- und Westberlin-Sammler. Freunde, der Klassenfeind schläft nicht. Er ist auch im Steckalbum noch äußerst gefährlich! »Das Leben ist klebenswert! «, sagte einer unserer ganz Großen. Aber welches Leben hat er gemeint? Natürlich unser neues Leben. Aber wenn nun einer dauernd die Zunge hinten am Bundespräsidenten hat, wie kann ihm da unser neues Leben noch schmecken?! Wir haben auch in der DDR noch ein paar ganz dolle Marken, gut gezähnt und postfrisch. Und wir haben Werte geschaffen, die sich sehen lassen können. Natürlich auch Sperrwerte! Ja, der Katalogpreis des Sozialismus ist eben hoch. Wer ihn komplett haben möchte, muß Jeduld und Spukke haben und nich bloß auf die Marken, sondern auch immer hübsch in die Hände spucken! Und damit komme ich zum Thema und zum Ende meiner feuchten Ausführungen. - „ Schluß mit der indifferenten Leckerei! Jede Marke ein Markstein in eine sauber gestempelte Zukunft! Es klebe der Jahrestag! -~
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Beispiel Nr. 3: Ein Referat zum Jahrestag in der Kulturbundsparte Ornithologie Liebe Vögelfreunde! Hiermit eröffne ich die Jahreshauptversammlung der Kulturbundsparte Ornithologie und grüße alle Verbandsmitglieder mit einem fröhlichen Schnirps! Schnirps! Bevor wir uns dem Hauptthema des heutigen Tages zuwenden - dem Sexualleben der Waldschnepfe (Scolopax rusticola) ein paar Worte aus aktuellem Anlaß. Wir feiern den Jahrestag unserer Republik und die deutschen Vögel ... der DDR haben guten Grund zu jubilieren, zu tirilieren und einen zu zwitschern. Denn wir haben uns gemausert, Kollegen. Und um dieses Ereignis gebührend mit uns zu feiern, treffen täglich neue Wandervögel bei • uns ein. Liebe Vögelfreunde! Stellt euch einmal vor: - Wir befinden uns auf dem Flugplatz Schönefeld und erwarten inmitten eines schwarmbereiten gefiederten Völkchens die Niederkunft eines neuen Wandervogels. Nach den sechs Wandervögeln der letzten Woche ein neuer schöner Triumph unserer beharrlichen Paarungspolitik. Aber jetzt, liebe Vögelfreunde, kommt Bewegung in die Volieren. Die Wehen setzen ein, das heißt, wir sehen Fähnchen über Fähnchen wehen. Der große Vogel der Interflug fährt seine Krallen aus und unser gefiederter Freund schlüpft ... schlüpft ... jawohl, er schlüpft lächelnd aus der Brutmaschine! Was für ein Tag! Seine Exzellenz hüpft die Gangway herunter, .breitet die noch etwas feuchten Flügel aus und eilt mit einem fröhlichen »tschilp, tschilp« auf die zum Empfang erschienenen Vertreter unserer Regierung zu, freundschaftliche Umarmung - man schnäbelt sich. Ein erhebender Anblick, ein beflügelndes Erlebnis. Die Zuschauer durchbrechen das Gezweig, schwärmen über das Rollfeld und schwenken jubelnd ihre Transparente: »Zum Kuckuck mit den Raubvögeln!«, »Wir haben keine Meise mehr!« - Dank, Dank, Dank! Und während sich der Vogelzug durch die buntbeflaggten Niststätten und Horste der Karl-Marx-Allee zur ersten Fütterung nach Niederschönhausen begibt, rufe ich euch abschließend zu: Schöner die Nester und Brutstätten! Nieder mit der Katze! Wie wir heute piepen, so werden wir morgen picken! Schnirps! •
J>Pech, endlich haben wir ein Krajtfetter entwickelt, und nun sind sie ausgestorben.<<
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Hans J. Stein
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)>Mann, schämen Sie sich nicht, mit soner vergammelten Kiste zu fahren. <<
Fatzkenhaftes am Weltniveau äußert sich auf so diffizile Weise, daß ich lange gezögert habe, es in Worte zu fassen. Nehmen wir nur die Berliner Taxifahrer. Seit der VEB Taxi seinen Wagenpark mit schmucken »Wolgas« runderneuert hat, ist eine merkwürdige Wandlung mit einigen Fahrern vorgegangen: Das Gesicht ein gefrorener Pudding eisiger Höflichkeit, nehmen sie mit einem stummen Kopfnicken die devotest geäußerten Fahrwünsche entgegen. Kein lautes Wort des Tadels entschlüpft mehr ihren Lippen, auch wenn die Fahrt nur vom Alexanderplatz nach Werneuchen gehen soll. Ein letztes Ordnen der Papierorchideen in der Bordvase, und schon wird der Popel von Fahrgast ans Ziel gekarrt. Ich will nicht sagen, daß mir der Lederjoppengustav vergangener Tage mit seiner dreimal geleimten Klapperkiste sympathischer gewesen ist, der jeden Fahrgast grundsätzlich mit »Meister«anredete. Wollte man beispielsweise vom Bahnhof Friedrichstraße zum Deutschen Theater, so erfüllte lautes Wehgeschrei den Wagen. Bitter beklagte der Brave am Lenkrad das Los seiner acht unmündigen Kinder, die auf Grund mangelnder väterlicher Einkünfte nun bald das abgenagte Hungertuch in Stücke reißen würden. Und am Ziel war man direkt froh, den Schmollenden mit einem Hundertmarkschein über das Gröbste hinwegtrösten zu dürfen. Wie anders heute! Der perfekte volkseigene Luxuschauffeur hat Rudimente mißverstandener Volkstümlichkeit überwunden. Heute sagt so ein sozialistischer Graf hinterm Wolgalenkrad zwar nicht »Meister«, er sagt aber auch nicht »Guten Tag«. Er öffnet weder den Wagenschlag noch den Mund. Gewissermaßen als Ausgleich. Und dabei sind es nicht nur einige Taxichauffeure. Überall, wo sich das vielbesungene »Neue« manifestiert, ist dieser öligschnippische Stil anzutreffen. Gehe ich in eines unserer neuen Kinos, so wird mir nicht nur einfach die Eintrittskarte abgeris-
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sen, sondern ein huldvolles Neigen des dienenden Trotzköpfchens ('IYP: verkannte Prinzessin aus der Ackerstraße) läßt mich erschauernd ahnen, wie glücklich ich elender Wurm mich preisen darf, in diesem Tempel der Kinolust zu weilen. Nicht anders in unseren modernen Restaurants! Schon das Nahen des Obers! Man hat den Eindruck, ein Regierender Landesfürst gibt sich die Ehre. Langsam, aus geheiligten Femen heranrollend, verharrt er auch an meinem Tisch, um mit unendlicher Nonchalance meine mühsam gestammelte Bestellung entgegenzunehmen. Abschätzend sieht er auf mich herab, und ängstlich und schnell bestelle ich - um wenigstens auf diese Weise eine Art Gleichgewicht herzustellen - das Teuerste, was die Karte zu bieten hat. Selbst dicke Trinkgelder vermögen diesem modernen Ganymed nicht zu imponieren. Sie werden zwar mit gnädiger Selbstverständlichkeit entgegengenommen, aber das mitleidige Lächeln des so Bedachten drückt nur aus: »Armer Schlucker, du mußt es ja dringend nötig haben, mir ein Trinkgeld zu geben!« Ich fasse zusammen: Unter dem dienenden und bedienenden Personal unserer hauptstädtischen Taxis, Kinos und Restaurants gibt es gewisse Edelpiefkes, die so tun, als sei das Hotel »Kaiserhof«, nicht aber der Sozialismus ihre Heimstatt. Ferner: Weltniveau hat nicht unbedingt etwas mit Hochmut, Arroganz und Fatzkenhaftigkeit zu tun, es ist erlaubt, auch auf einfache Art nett, freundlich und zuvorkommend zu sein. Und es ist dabei, drittens, nicht notwendig, immer von einem Extrem ins andere zu fallen, etwa von den Barrikaden der Revolution in das Gehabe allerdurchlauchtigster Pomadenköppe. Maxim Gorki hat einmal gesagt: »Den Bourgeois haben wir abgeschafft - die Lakaien sind uns geblieben.« Na ja, Gorki traute sich. Aber sagen Sie das mal laut, beispielsweise im Exquisitladen. Viel Vergnügen!
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>>Lesense hier nicht Zeitung, sondern die Schilder. Dann haben Sie alle Jnformationen, die Sie als Gast brauchen. ((
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tlorwärts Vorwärts nach vorne, und vorwärts zur Seite! Vorwärts im Freien, und vorwärts im Saal!! Vorwärts nach hinten, und vorwärts ins Weite!!! Die Richtung, Genossen, ist völlig egal.
Ernst Röhl
Jochen Petersdorf
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Von unserm Haus die Giebelwand war schäbig, groß und grau. Doch weil davor 'ne Linde stand, sah's keiner so genau. Man hat die Giebelwand verputzt, da war sie nicht mehr nackt, doch jeder guckte ganz verdutzt: die Linde abgehackt! Die Leute ließen Klagen los. Sie wurden anerkannt. Ein Künstler malte riesengroß zwei Palmen an die Wand. Wenn man auch bitter drüber lacht, zur Klage reicht es kaum. Denn schließlich hat man über Nacht jetzt plötzlich viel mehr Baum.
> >Zum ewigen Ruhme der Landschaftsumgestalter sowie als Orientierungshilfe für Karawanen. <<
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Peter Ensikat
~r Zoit1t1t Die BZ am Abend - das Abendblatt des Berliners mit Sport vom Wochenende und Leserbriefen vom Chefredakteur ... Und auf der Titelseite eine Meldung von der BVG: »Wir machen uns störfrei - vom Fahrplan!« Der erscheint demnächst im »Bummi« als Märchen in mehreren Fortsetzungen, illustriert von unserem Großflächenbemaler Walter Womacka, der sich hier nun endlich auch als Meister der kleinen Form seinem begeisterten Publikum stellen wird. Denn schließlich kann man den Geschmack unserer Kinder nicht früh genug verbilden ... bilden. Diese dummen Vorsilben! Sie glauben ja gar nicht, wie schwierig unsere deutsche Sprache ist! Und gegen diese Schwierigkeit kämpft unsere Presse nun schon seit vielen, vielen Jahren einen erbarmungslosen Kampf. Bitte, in den siebzehn Jahren DDR wurden bei uns viele neue Häuser gebaut, neue Werke, neue Straßen, neue Schlaglöcher ... Aber es wurden auch neue Wörter gebaut. Kennen Sie den Begriff »Neues Denken«? Das ist so eine Art geistigen Neubaus, wenn Sie sich darunter bitte nichts Bösartiges vorstellen wollen. Sie wissen ja sicher schon, bei uns kann man wissenschaftlich, praktisch, ökonomisch, produktiv und hauptsächlich konkret denken. Aber haben Sie schon mal neu gedacht? Was meinen Sie, woran man alles denken muß, wenn man neu denkt! An die Zukunft! Wer ist früher schon darauf gekommen, daß er an die Zukunft denken muß? Erst seitdem wir das schöne Wort Prognostik haben, denken wir auch so. Früher dachte man zum Beispiel: Gestern ist das Kind in den Brunnen gefallen, legen wir heute den Deckel rauf. Heut denkt man ganz anders darüber: Morgen wird das Kind in den Brunnen fallen, legen wir den Deckel erst gar nicht rauf. Eingespart. Wenn sich solche Einsparungen häufen, spricht man von Optimierung. Wissen Sie, was das ist? Optimierung ist das Zusammentreffen zweier oder mehrerer Optimisten zwecks Zeugung - eines Optimums. Ein Optimum ist das Höchste. Als zum Beispiel in Berlin mehrere Architekten miteinander gezeugt hatten, war das Höchste, was rauskam, der Fernsehturm. Sehen Sie sich das Ding an, dann wissen Sie, wohin Optimierung führen kann. •
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ü b erholen ohne einzuholen
Sie glauben ja gar nicht, was wir bei der BZ am Abend für Schwierigkeiten mit den neuen Wörtern haben. Erklären Sie unserem Leserpublikum, das in der S-Bahn sitzt und an nichts Böses denkt, mal, was Materialintensität bedeutet. Material ist ja noch einfach. Das ist das, was immer fehlt - bei den Schlagersängern die Stimme, bei unseren Jugendfunktionären die Jugend und beim Bau, ja also, da fehlt so manches machmal. Aber nehmen wir ruhig an, für eine Großbaustelle werden Ziegelsteine geliefert, und der Bauarbeiter baut sich gleichzeitig daraus eine Gartenlaube, dann hat er doch das Material besonders intensiv ausgenutzt. Und darum kämpfen wir also in der Zeitung. Hier noch die BZA, Ihre kleine Feierabendfreude für zehn Pfennige! Ist Ihnen schon aufgefallen, worum in unseren Zeitungen so alles gekämpft wird? Um den Welthöchststand im Petersilie-Anbau, gegen die Schneemassen, gegen die Hitzewellen, für die Gleichberechtigung der Frau, für höhere Kapazitäten der städtischen Bedürfnisanstalten - unsere Zeitungen kämpfen von der ersten bis zur letzten Zeile. Wenn ein Ausländer sie liest, muß er einfach glauben, bei uns wäre Tag und Nacht was los. Aber das können die von der Zeitung nicht wissen, die f.l"V'o"""<"YV.fJVvvV\;<......,.,.._,.' 1 müssen ja nachts arbeiten. Kein Wunder also, daß unseren $ 25 DDR „ Redakteuren immer neue Wortschöpfungen entschlüpfen. ~ ·. · ~ »Es gilt, die komplexe Optimierung der detailliert aufge~ ~ schlüsselten ...« Aufgeschlüsselt - schönes Wort! Ich ~ ; schlüssele die Tür auf. Womit? Mit einem Schließer. Man < · ;> kann aus J. edem Verb ein Substantiv machen und umges . ~ ) ~ Im Zweifelsfall nie überholen ~ kehrt. Draußen hundet der Beller. Das ist ganz neues '--...r...r„~-v..._•.r„...~,....,....,,.•.i.,.,w...r..,._~ Sprachgefühl. Diese Sprache ist überhaupt mehr zum Erfühlen als zum Verstehen geeignet. Deshalb sollte man sie ... sondern doch lieber mehr in den Liebesbriefen anwenden: »Zwecks optimal-effekeinholen - so lautete die tiver Ausnützung von Freizeit schlage ich vor, komplexe ZärtDevise der 60er]ahre. lichkeiten in Anwendung zu bringen.« So etwa dürfte ein neuhochdeutscher Redakteur an seine Freundin schreiben. Da wird sie viel Gefühl brauchen, um zu merken, daß er bloß mit ihr schlafen will. Wenn unser Entwicklungstempo weiterhin ein so stürmisch konkretes bleibt, wird sowohl unsere Vaterstadt als auch unsere Muttersprache in optimal fünf Jahren nicht mehr wiederzuerkennen sein. In diesem Sinne: Vorwärts zur komplexen Infemales Grammatikales durch optimale Konkretheit subtil-differenzierter Kinkerlitzchen.
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Lothar Kusche
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Der Redner war ein älterer Mann mit einer fleischigen Nase und feinen Falten um die Augen; sein Tonfall war in gewissem Sinne beschwörend, zum mindesten aber seine Gesten: Er ruderte uns in seinen Bann. Verehrte Kollegen, ich darf Ihnen zum Thema: Kunst und Gegenwart ganz offen nur einige Worte sagen ... Unsere Menschen meistem - das steht außer Frage - die Gegenwart. Unsere Menschen in der Produktion packen - wenn ich das sagen darf - das Heute am Kragen, nicht wahr. Unsere Menschen ... « Meine Kollege Heinz Knobloch hat sich einmal über die Phrase »Unsere Menschen« gewundert, und zwar deshalb, weil er keine eigenen Menschen besitzt. Mir geht's genauso. Aber der Redner besitzt offenbar eigene Menschen, und zwar in der Produktion; dort packen sie - wenn er so sagen darf - das Heute am Kragen. Natürlich darf er so sagen, denn er ist ja von Berufs wegen (unter anderem auch) Redner; und wer kann gegen einen Redner was ausrichten! »Was tun nun aber die Künstler?« fragte er. »Gewiß viel! Aber ist das schon genug? Ich muß von unseren Künstlern ehrlich sagen: Sie sind unserer Gegenwart auf den Fersen, und zwar dicht. Ich möchte Sie nicht weiter mit Beispielen langweilen, aber ... « Und dann langweilte er uns mit einer Reihe von Beispielen. »Aber es wäre nötig, daß sich die Künstler noch enger an die Gegenwart anschließen, daß sie die entscheidende Hinwendung zur Gegenwart sozusagen vollziehen, ja, daß sie sich die Perspektive aneignen und schließlich der Gegenwart vorauseilen. Darauf kommt es doch letzten Endes an! Die Wirklichkeit nicht nur meistern, sondern übertrumpfen! Und so weiter ... Den Weg ... Sie verstehen ... gewissermaßen aufreißen! Und dazu wünsche ich Ihnen aus ganzem Herzen schöne Erfolge. Sie werden hoffentlich nicht böse sein, wenn ich Sie jetzt wieder verlasse ... verlassen muß! Meine eigne literarische Arbeit ruft, und gewiß sind Sie die ersten, die dafür Verständnis aufbringen.«
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Sagt ein Genosse: »Wrr reden im Parteilehrjahr ständig vom Kapitalismus, ohrie eigentlich zu wissen, was das ist.« Sagt der Partei„ sekretär: »Paß auf, ich will es dir an einem Beispiel erklären. Stell dir den Kapitalismus als eine chromblitzende Limousine vor, die in rasendem Tempo auf der Abgrund zufährt.« »Dann verstehe ich nicht«, sagt der Genosse, »warum wir den Kapitalismus andauernd überholen wollen. «
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überholen ohne einzuholen
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Wir waren ihm gar nicht böse, als er uns verließ ... verlassen mußte, da doch seine eigne literarische Arbeit ihn rief, vielmehr waren wir gewiß die ersten, die dafür Verständnis aufbrachten. Noch an der Garderobe fragte ich ihn, woran er denn augenblicklich arbeite. »Ich schreibe«, sagte er, »das Libretto für einen Tanzfilm nach Motiven des Märchens vom Wolf und den sieben Geißlein.« Ich habe erst später begriffen, daß er seiner Forderung, der Künstler müsse der Gegenwart vorauseilen, längst nachgekommen war; um dies begreifen zu können, muß man sich allerdings den Lauf der Zeiten als einen Kreislauf vorstellen. Während wir noch der Gegenwart auf den Fersen zu bleiben suchen, hat er sie bereits überrundet und ist auf der anderen Seite des Kreises schon wieder im Mittelalter angekommen.
Alles zum Wohle des Volkes
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John Stave
Als ich uns für den Wagen anmeldete, fielen wir noch unter das Jugendschutzgesetz. Wir waren verlobt und heirateten einige Jahre darauf. Nach den Hochzeitsfeierlichkeiten - es waren insgesamt dreizehn Personen gekommen - führten wir das Prinzip der strengsten Sparsamkeit ein. Zuerst verzichteten wir auf die Anschaffung eines Fernsehgerätes, dann verkauften wir unseren Radioapparat günstig, und ich bestellte die BZ am Abend ab. Die Fußballwoche las ich jetzt immer bei einem Bekannten mit. Meine Frau löschte unsere Mitgliedschaft im Theateranrecht, und durch einen betrieblichen Wechsel zahlte ich keinen Beitrag mehr für die Deutsch-Sowjetische FreundIch ließ mir die Haare lang schaft. Ab~r auch ~~e Dinge des täglic~en Lebens wurwachsen, geriet aber anläßlich den stark emgeschränkt. Wrr tranke~ kei:ien Bo~enkaf des 11 Plenums in eine Anti- fee mehr, nur noch Tee. Ich verkniff mir das Bier und Gammier-Kampagne. Es wurde schraubte überall 25er ~in:en e~~' w.~durch ~uc~ das Zeit daß wir den Wagen beLesen flachfiel, so daß wir die zwolf Bucher, die wir zur ka~en Hochzeit geschenkt bekommen hatten, zu einem guten · Preis losschlagen konnten. Meine Frau entwickelte ein Verfahren zur Streckung von Pflaumenmus. Wochentags trugen wir beide Trainingsanzüge. Um später besser zu fahren, liefen wir nun zu unseren Arbeitsstätten, ich zwölf 0-Bus-Stationen, meine Frau neunzehn Straßenbahnhaltestellen. Ich hatte früher mal in einem Buch gelesen, daß, wer größere Schritte macht, Schuhsohlen einspart. Wrr probierten die Sache aus, es ging. Wir wurden auch beide Nichtraucher. Sogar am Essen kann man bei etwas gutem Willen eine Menge einsparen. Zum Frühstück leckten wir Brausepulver. Abends teilten wir uns eine Dampfwurst. Beim Betriebsessen ließen wir uns von anderen Kollegen noch etwas zugeben und konnten es bewerkstelligen, daß wir ab und zu schon mal ein paar gekochte Kartoffeln mit Soßenresten nach Hause bringen konnten. Die Kartoffeln kann man prima mit etwas Malzkaffee aufbraten. Das müssen Sie sich mal merken, wenn Sie in die Verlegenheit kommen! Beim Fußball sah ich mir stets nur noch die zweite Halbzeit an, weil man da umsonst reinkommt. Wir trafen zu Hause auch alle Vorsichtsmaßregeln, daß uns nicht etwa ein Kind unterlief. Die Sache selbst brauchten wir zunächst nicht einzuschränken, weil sie ja nichts kostete.
Alles zum Wohle des Volkes
Ich ließ mir die Haare lang wachsen, geriet aber anläßlich des 11. Plenums in eine Anti-Gammler-Kampagne, obwohl ich es nur aus Sparsamkeit getan hatte und gegen überhaupt nichts protestieren wollte. Auch besaß ich nicht einmal eine Gitarre. Meine Frau wurde immer weniger. Als wir uns kennenlernten, war sie eine richtige Bombe, gut besattelt sozusagen, aber nun war fast gar nichts mehr dran. Ihre alten Blue Jeans, die immer beinahe platzten, schlackerten schon um ihre dünnen Schenkel. Es wurde Zeit, daß wir den Wagen bekamen. Und dann war es endlich soweit! Der Trabant rollte an. Es war ein erhebendes Gefühl. Eigener Lenker ist Goldes wert. Wrr fuhren jeden Tag ein paar kurze Strecken, denn Kraftstoffgemisch wird einem ja auch nicht gerade geschenkt. Sonnabends und sonntags putzte ich den Wagen. Ich machte es auf der Straße vor unserem Haus. Die Leute sollten es alle sehen, daß man mit etwas gutem Willen ganz schön was ran schaffen kann. Zweimal fiel ich während der Waschvorgänge in Ohnmacht. Anstelle des Brausepulvers zum Frühstück hatte ich jetzt schon Margarinestullen, dünn geschmiert, zugelassen, also die strengste Sparsamkeit etwas gelockert. Auch zum Braten. Meine Frau, die die ersten paar Male beim Waschen geholfen hatte, ließ im Interesse plötzlich nach. Sie blieb lieber oben und fuhr auf den kurzen Strecken nicht mehr so oft mit. Einmal überrasQhte ich sie in der Speisekammer, wie sie heim-
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Al les zum Wohle des Volkes
lieh von einem illegal angeschafften Stück Butter einen Löffel in den Mund nahm. Das ergab den ersten Streit in unserer Ehe. Alles kann man mit mir machen, aber nicht von hinten durch die kalte Küche! An einem arbeitsfreien Sonnabend - ich war gerade dabei, mit einem Rest Autolack, den mir ein Bekannter geschenkt hatte, einen roten Strich an den Wagenseiten anzubringen - trat meine Frau aus dem Haus. Sie hatte sich ganz nett zurechtgemacht und war auch wieder etwas dikker geworden, wie ich mit Erstaunen bemerkte. Ich rief ihr zu: »Ich bin noch nicht soweit. Ein halbes Stündchen wird es wohl noch dauern! An der linken Seite habe ich den Strich schon fertig. Schau ihn dir einmal an!« Sie aber sprach: »Ich muß einen wichtigen Gang erledigen. Fahr du nur allein mit den Strichen.« Sie eilte - mit kurzen Große Dl1rchsicht Schritten! - weiter, und ich rief ihr noch hinterher: »Wann kommst du zurück, Ruth-Madeleine?« Aber sie hörte es nicht, war schon um eine Ecke verschwunden. Ich habe Ruth-Madeleine nie wiedergesehen. Böse Nachbarn erzählen, daß sie jetzt sehr glücklich wäre und mit einem Mann zusammenlebe. Dieser Mann, hörte ich, soll kein Auto besitzen. Da kann man wieder mal sehen, daß Frauen nicht sehr weit denken können. Die roten Striche am Trabant verleihen dem Wagen übrigens ein schnittiges Aussehen.
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Peter Ensi kat
'IHZO Einzelfahrschein-Verkäufer mit Schaffnertasche Groschen, hier noch Groschen ... Wer hat kein Kleingeld mehr? Hier gibts Groschen - zehn Stück 'ne Mark! Tja, Einzelfahrscheine gibts nicht mehr. Die Rationalisierung geht auch an den Dresdner Verkehrsbetrieben nicht spurlos vorbei. Um Arbeitskräfte einzusparen, soll zunächst mal der Einzelfahrscheinverkauf automatisiert werden. Diese Automaten sollen nach demselben Prinzip arbeiten wie die meisten Telefonzellen: Was man da reinstecken kann, ohne je etwas wiederzukriegen wahre Spielhöllen sind das! Aber zurück zu den Fahrscheinautomaten. Bisher sind sie ja nur geplant. Aber was bei uns einmal geplant ist ... Also, Sie sehen das ja am neuen Warenhaus CENTRUM - gut Ding will Weile haben. Jedenfalls wir Fahrscheinverkäufer sind bereits umgeschult zu hochqualifizierten Groschenverkäufem. In Zukunft werden Die Neubaubewohner sollen ihre wir nämlich mit Kleingeld vor den Fahrscheinautoma- Zimmerehen mal erst richtig trokten stehen. So bleibt auch im Zeitalter der Automa- kenwohnen, bevor sie einkaufen tisierung der Mensch stets im Vordergrund. Denn bei gehen oder sich in Kneipen rumuns darf nicht einfach an Arbeitskräften vorbeiauto- drücken. matisiert werden. - Groschen! Wem fehlt noch ein Groschen an der Mark? Losungen, die wir über den Automaten anbringen wollen, haben wir auch schon erdichtet. Zum Beispiel: Für dein Glück der beste Garant: Einzelfahrscheine in Volkes Hand! Was meinen Sie, wie das Volk sich bei so herziger Aufforderung um die Einzelfahrscheine reißen wird! - In dringenden Fällen können Sie größere Posten von Einzelfahrscheinen auch über Genex beziehen. Geben Sie Ihren Westverwandten die Chance, auch mal einen Fahrschein für zwanzig Pfennige zu erwerben. - Groschen ... Aber wer guckt denn bei uns noch auf den Groschen? Die Wohnhochhäuser in der Ackermannstraße haben in den fünf Jahren, in denen sie stehen, bereits 150 000 Mark Reparaturkosten verschlungen. Nun stellen Sie sich das mal Groschen an Groschen vor. Daran verkauft unsereins sein Leben lang. Da muß man doch Minderwertigkeitsgefühle kriegen! Oder das Verkehrschaos am Pimaischen Platz. Wissen Sie übrigens, daß der dortige Fußgängertunnel wieder zugeschüttet wird? W~il die Verkehrspolizei immer keine Zeugen
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hat, wenns oben knallt! Oder Robotron: Denen fällt es besonders schwer, so plötzlich von heut auf morgen auf den Groschen gucken zu müssen. Aber das macht nichts - die haben ja Rechner. Und dann noch unsere Neubauten - aber das Gerede darüber hört in zehn Jahren sowieso auf dann sind das nämlich reine Handwerkersiedlungen. Denn wer zehn Jahre im Neubau gewohnt hat, der muß eben 'ne Schwäche für klinkenlose Türen haben und kaputte Wasserhähne. Aber ich meine: Das Wohnen im Neubau ist ja harmlos gegen das Einkaufen. Die Leute aus den Neubauvierteln gehören zu den besten Kunden der Verkehrsbetriebe. Denn wenn die 'n paar Brötchen kaufen wollen, müssen sie immer erst mit der Straßenbahn fahren. Nachfolgeeinrichtungen heißen nämlich deshalb Nachfolgeeinrichtungen, weil sie immer erst nach einer Folge von Jahren eingerichtet werden. Die Neubaubewohner sollen ihre Zimmerehen mal erst richtig trockenwohnen, bevor sie einkaufen gehen oder sich in Kneipen rumdrücken. So lernen sie das Familienleben nämlich erst richtig schätzen. In den Wohnungen, also innendrin, da fühlt man sich schon ganz wohl. Bloß ausm Fenster dürfen Sie in so einem Neubaugebiet nicht gucken. Also - wenn ich vor den Blöcken stehe, ich komm mir • • immer vor wie eingezogen. •
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Ein Gast aus der Bundesrepublik fragt den Kellner im Interhotel, was er bestellen könne . Der Kellner sagt: >>Alles, mein Herr.<< Der Gast erwidert: »Das glaube ich nicht.<< Der Kellner: »Nennen sie mir ein Gericht, und ich serviere es Ihnen. Wenn nicht, zahle ich Ihnen 500 Mark. « Der Mann bestellt gepökelten Elefantenpopo mit Zwiebelringen und Kroketten. Eine Stunde vergeht. Nichts. Kein Kellner lä.fbt sich blicken. Da sieht der Gast, wie ein Elefant durch den Hoteleingang in Richtung Küche geführt wird. Nach einer weiteren Stunde erscheint der Kellner mit trauriger Miene. »Hier haben sie die 500 Mark. Mit Ihrem Menü klappt es nicht.« - >>Wieso?<< wundert sich der Gast. >>Ich habe genau gesehen, wie ein Elefant in die Küche gebracht wurde!« >>Das schon<<, sagt der Kellner, »aber treiben Sie mal in so kurzer Zeit Zwiebeln auf!«
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Alles zum Wohle des Volkes
Ottokar Domma
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UOor dio SeAö11Aoit ~11soror N ttHtOlt In der Frühzeit meines Lebens habe ich mich öfter wegen meines Vornamens geärgert. Meistens waren es Mädchen, welche mir aus weiter Entfernung zuriefen: »Ottokar hat Läuse im Haar!« Mein Freund Harald sagte, man muß sich wegen den blöden Gänsen nicht in Wut bringen lassen, und wenn wir sie erwischen, werden sie gerupft. Auch fragte ich meine Mutter, wieso ich ausgerechnet Ottokar heiße. Sie antwortete, weil alle meine Urahnen und Väter Ottokar geheißen haben. Deshalb bekam der erste Sohn immer diesen schönen Vornamen. Man nennt dies auch Tradition oder Treue zur alten Sippschaft. Mein Vater hat sich darüber auch nicht aufgeregt und nur gesagt, der Vorname muß auch gut zum Nachnamen passen. Deshalb denken sich die meisten Leute schon für ihre ungeborenen Kinder einen schönen Namen aus, den sie nach der Geburt immer noch verändern können. Mit dieser Rede war ich zufrieden, und es kann nicht jeder ein neumodischer Vater sein. Jetzt weiß ich auch, warum es in vielen Familien wegen des Vornamens Zank und Streit gibt. Es werden so allerlei Namen ausgedacht, und die werdende Mutter fragt den werdenden Vater, wie der Knabe oder das Mädchen heißen soll. Der Vater kann jetzt tausend Vorschläge machen, aber sie Es gibt auch Spitznamen für ein zählen nicht, sondern meistens nur der Vorschlag der hervorstechendes 1ndividuum. Denn sie hat das Vorrecht und die Schmerzen. Mutter. Deshalb ruft man mich Ottokar. Wenn zum Beispiel der Vater mit dem Vornamen nicht gleich einverstanden ist, dann hilft ihm die Mutter über diesen Ärger hinweg, indem sie das neugeborene Kind in der ersten Zeit ganz anders nennt, zum Beispiel Süßer oder Schnuckiputz oder Hascherle oder Ärschlein und anders. Diese Vornamen sterben mit der Zeit aus, weil es komisch wäre, wenn zum Beispiel unsere Lehrer den Schweinesigi Pullerchen rufen würden. Wenn die Familien einen Vornamen aussuchen, dann müssen sie auch daran denken, daß es ein moderner ist. Bei uns in der Straße wohnt zum Beispiel die Familie Wurzel. Sie hat fünf Kinder. Die ersten vier Geburten heißen Karin, Monika, Wolfgang und Manfred, welche heute schon nicht mehr die allermodernsten sind. Auch gibt es diese Namen schon zu oft. Deshalb bekam das letzte Mädchen einen besonders schönen
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Alles zum Wohle des Volkes
Namen, nämlich Marie-Antonette Wurzel. Und alle müssen den Namen einüben, indem sie jeden Tag in den Kinderwagen hineinschreien: »Na, was macht denn unsere Marie-Antonette?« Meistens macht sie sich naß. Für Knaben ist es schon schwerer, solch einen klingenden Namen zu finden, worunter es sehr seltene gibt. Zum Beispiel bekam der Sohn einer Mutter, welche manchmal in unserer Heimatzeitung dichtet, den seltenen Namen Rainer-Maria Senf. Warum er einen Mädchennamen angehängt kriegte, weiß ich nicht. Vielleicht ist bei der Geburt etwas verpatzt worden. Es wird sich später in der Schule herausstellen, auf welche Toilette er geht, und man muß das prüfen. Die neuen Vornamen entstehen meistens so: Wenn zum Beispiel ein Film gezeigt wird mit einer sehr schönen Geliebten oder einem tapferen Helden, dann heißen plötzlich einige Monate später viele Neugeborene Juanitta Meier oder Robin Schulze oder Scheraa Paschke oder Fernandel Müller oder Hiob Lehmann. Auch ist mir aufgefallen, daß es sehr modern ist, wenn man den neugeborenen Säuglingen einen Namen aus einem anderen Lande gibt, damit die Leute denken, der Säugling hat in einem f emen Land das Licht der Poliklinik erblickt, oder er hat einen seltenen nichteinheimischen Vater. Deshalb muß man sich nicht wundem, wenn plötzlich eine Natascha Grün oder eine Beß Knautschke oder ein Guiseppe Lemke des Wegs kommt. Dagegen hört man seltener, daß jemand bei den anderen Völkern Fritz Gagarin oder Frieda Robespierre oder Hans-Dieter Beatle heißt. Ich denke mir, daß wir auch ganz schöne Vornamen haben, und man muß nicht gleich welche in Brasilien oder auf dem Nordpol suchen. Wenn ein Berliner Sohn jetzt Jean Meixner heißt, so bleibt er trotzdem ein Berliner und kein Pariser oder Verduner. Da ist es schon besser, wenn man sich lieber ein paar neue Namen ausdenkt, welche auch zu unserer Zeit passen, sagen wir zum wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Auch wäre es gerecht, wenn man bei der Namensgebung mehr auf den Beruf des Vaters oder der Mutter achtet. So könnte zum Beispiel die Tochter eines Forschers im Atomkraftwerk Isotopia heißen oder das Neugeborene eines Petroleumfacharbeiters Pipeline. Der Herr Kraftfahrer Weichbrodt müßte seinen künftigen Sohn Motorus nennen oder, wenn er Pech hat und eine . Tochter bekommt, diese mit dem Vornamen Limusina betiteln.
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Auch stand schon in der Zeitung, daß man Traktoristentöchter Traktorina benamsen muß. Auch Raketa klingt sehr schön, wogegen mein Freund Harald seine Tochter später Goldina heißen läßt, weil er für sein Leben gern diese Margarine ißt. Wenn aber jemandem gar kein neuer Name mehr einfällt, dann könnte man einfach alle bekannten Vornamen von hinten nach vorne schreiben, und schon hat man wieder ein paar seltene Stücke. Zum Beispiel wird dann aus der Karin eine Nirak, aus der Emma eine Amme, aus dem Max ein Xam, aus der Eva eine Ave oder aus dem Hajo ein Ojah. Und es sind deutsche Namen. Die besten Erfinder von Namen sind Dichter. Während die lustigen Schreiber meistens ulkige Namen erfinden, wie zum Beispiel Amanda Käsebier, denken sich die vornehmen Dichter meistens vornehme Namen aus. Auch richten sich bei den vornehmen Dichtern die Namen nach dem Beruf. Ein Professor heißt zum Beispiel im Roman Alexander Wieck, wogegen sein Kraftfahrer nur Kowalski heißt. So kommt es, daß unsere Frau Apotheker Eva-Maria Bergander ihre Tochter Felizitas nannte, wogegen der Kunstmaler Johann Wattenbrück seinen Sohn Ramon benamste. Auch klingen diese Namen vornehmer bei Hochzeits- oder Todesanzeigen. Neben diesen Namen gibt es noch Spitznamen, aber diese bekommen nur solche Knaben, Mädchen und Erwachsene, welche man ein hervorstechendes Individuum nennt. Dazu gehöre ich nicht, deshalb ruft man mich nur Ottokar.
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Renate Holland-Moritz
»Hör zu, Oma«, sagten wir zu der Oma unserer Kinder, »du bist doch ein geistig interessierter Mensch; wie kannst du dich da zu Hause abkapseln, während draußen das kulturelle Leben an dir vorüberbraust? Wann warst du das letztemal im Theater, im Kino oder im Konzert? Sei ehrlich, seit Jahren nicht mehr!« »Stimmt«, bestätigte die Oma, »weil ich die Gören behüten muß, damit ihr dauernd ins Theater, ins Kino oder ins Konzertrennen könnt. Ich mach dann immer den Fernseher an. Da gibt's meistens ein Theaterstück, einen Spielfilm oder ein Konzert.« Wir gaben keineswegs auf, denn in unserem Dorf haben wir ein feines Kulturhaus mit einem rührigen Kulturhausleiter, dem ein ebenso rühriger Klubrat zur Seite steht. Alle vier Wochen jagt eine Veranstaltung die andere, und das Kulturhaus ist nur hundert Meter von unserer Wohnung entfernt. »Also geh doch mal hin, Oma«, verlangten wir, »der direkte Kontakt zwischen dir und den Künstlern wird dir einen ganz anderen Genuß bereiten.« »Danke«, wehrte Oma entsetzt ab. Sie hatte vor vierzig Jahren mal in direktem Kontakt zu einem Varietekünstler gestanden, und nicht einmal die Erinnerung daran konnte ihr irgendeinen Genuß bereiten. »Hört mir bloß auf mit diesen Künstlermenschen! Spießer sind das, Schrebergärtner der Kunst! Die denken wohl, wenn's fürs Fernsehen nicht reicht, sind wir Dorfmenschen allemal dankbar. Nee, bei mir nicht! « »Oma<<, schrien wir auf, »wie sprichst du denn, wo lebst du denn? Die Zeit schreitet mit Riesenschritten voran, eine kulturelle Revolution ist in Gang gekommen, und du erhebst den Kiki vergangener Jahrzehnte zum Maßstab unseres Kulturlebens! Auch die Künstler müssen ständig lernen, Prüfungen ablegen, sich dem Weltniveau nähern. Ob Stadt, ob Dorf - das Mittelmaß hat keinen Boden mehr. « .
>>Was denn, keine Ladentische? Wo werden denn da die Mangelwaren verkauft?<<
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Alles zum Wohle des Volkes
Die Oma sah ein, daß sie unserer Zeit unrecht getan hatte. Schon am nächsten Tag eilte sie zu einer großen Veranstaltung in unserem Kulturhaus, welche unter dem Motto stand »Frohsinn, Heiterkeit und gute Laune«. Als sie zurückkam, spiegelten sich auf ihrem Gesicht Verwirrung und energische Entschlossenheit. »Nun?« fragten wir gespannt. »Gott«, sagte die Oma, »ihr habt schon recht, der direkte Kontakt zur Kunst ist wirklich etwas anderes.« Sie rieb sich das linke Ohr. »Entschuldigt, ich bin noch ein bißchen taub von diesem Kontakt. Die Kapelle saß nämlich im Saal und ich direkt neben dem Schlagzeug.« »Und sonst?« wollten wir wissen. »War es interessant?« »Die Schlager weniger«, sagte die Oma, »die kannte ich schon, vor fünf Jahren wurden die manchmal in der Schlagerrevue gespielt. Das Ballett war sehr interessant. Der eine Tänzer sah aus wie ein großer, kräftiger Mann. Der Ansager war nett, so in der Art wie unser Nachbar Kutzmann. Er hat erzählt, daß die Miniröcke sehr kurz sind und manche Frauen keine passen· h · kl' h . ht b den Beine haben. Und er hat auch immerzu gesagt, Man darf sie wir 1c nie a - · daß d. S hl ·· · · M. · k anh t äh. "h d · k lt 1e c agersangenn emen mrroc a , w kapse 1n, wa ren eine LI Lire 11 e d di Ball tt ··d h d. d B · h··1t . · G k t t ren e e ma c en 1e passen en eine a en, Revo 1LI t 1on 1n ang omm , sag e d d halb k'' t ih M. · ·· k h' k un es onn en re 1n1roc e ru 1g so urz 0 ma. wie ein Gürtel sein. Dann hat er noch eine Menge Kindermund aus seiner Familie zum besten gegeben. Und daß seine Schwägerin seiner Nichte ein Minikleid gekauft hat, aber sein Schwager mußte es bezahlen. Vielleicht läßt der die arme Frau nicht arbeiten gehen. Und dann hat noch ein Sänger solche Chansons gesungen über Mädchen mit ganz kurzen Rökken, und wenn der Text brenzlig wurde, hat er nicht weitergesungen, sondern sich am Kopf gekratzt.« Wir waren sehr betreten. Was sollten wir der Oma jetzt noch sagen? »Im übrigen«, sagte die Oma, »bin ich euch sehr dankbar, daß ihr mir ins Gewissen geredet habt. Man darf sich wirklich nicht abkapseln, während eine kulturelle Revolution in Gang gekommen ist und auch die Künstler ständig lernen und sich entwickeln müssen. Deshalb bin ich vorhin in den Klubrat eingetreten. Ich glaube nämlich, denen muß das auch mal einer sagen.«
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Eberhard Cohrs
llt Das Innere einer kleinen Gaststätte: Tf.sch, Stühle, eine Tür zur Straße, eine Tür zu den hinteren Räumen, an der Wand eine kleine Theke. Hintereinander betreten eine Dame und ein Herr die Gaststätte - die Dame setzt sich an einen der Tische - der Herr setzt sich an die Theke. Der Wirt (Eberhard Cohrs) hinter der Theke spült gerade Biergläser. Herr: Guten Tag! Ein freundliches Bier. Wirt: Guten Tag! Helles oder Export? Dame (ruft dazwischen): Herr Wirt! Vielleicht kommen Sie auch mal zu mir? Wrrt (eilt zur Dame): Bitte, please, meine Dame. Was darf es sein? Dame (im Befehlston): Die Speisekarte und die Getränkekarte . . . aber etwas flott! Wirt (nimmt vom Nebentisch 2 Karten}: Bitte. Möchten Sie etwas trinken? Dame: Ein kleines Bier. Ich nehme an, daß Sie wissen, wo der Eichstrich ist. (winkt mit der Hand, daß der Wirt sich entfernen soll) Wirt (geht zur Theke zurück - nickt seinem Gast zu zeigt mit dem Kopf auf die Dame und flüstert): Ein zänkisches Aas! Die spricht wie mein alter Feldwebel- beim Kommiß. Herr: Ja - Ja! Unsere lieben Gäste. Wie geht das Geschäft? Wirt: Wir Sachsen sagen: Es läppert sich so hin. Die Unkosten sind zu hoch. Sie sagten »unsere« Gäste? Herr: Stimmt! Habe selbst eine Speisegaststätte mit Ausschank. Nur Ärger mit den Gästen und mit der Steuer. Wirt: Das stimmt! Meine Reinemachefrau verlangt ... Herr (unterbricht}: Sie sagen Reinemachefrau?! Ich muß meine mit »Lady Müllfort« anreden. •• Wirt (lacht): ... vornehm geht die Welt zugrunde! Ubrigens, haben Sie auch einen so hohen Wasserverbrauch? Herr (lacht mit): Nur wenn bei mir viel Wein verlangt wird. (kneift dabei ein Auge zu) Der Wirt hat 2 Gläser Bier eingeschenkt - ein Bier stellt er vor seinen Gast hin, das andere bringt er der Dame an den Tf.sch.
Der Kl.eene mit der großen Gusche - Sachsens beliebtester Komiker Eberhard Cohrs.
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Alles zum Wohle des Volkes
Dame (nimmt das Bierglas, hält es gegen das Licht und sagt zum Wirt): Ich könnte Ihnen einen Tip geben, wie Sie die doppelte Menge Bier umsetzen. Wirt (erfreut}: Neeee! Wie denn? Dame: Sie brauchen die Gläser nur bis zum Eichstrich vollzumachen. Wirt (lacht verlegen): Ich mache die Biergläser mit Absicht nicht ganz voll - ich bin nämlich Vorsitzender im Verein der Alkoholgegner. Dame (aufgebracht): Ihre blöden Witze werden Ihnen bald ver- · gehn. Ich studiere jetzt die Speisekarte, und wenn ich Sie brauche, rufe ich Sie. Wirt (geht zu dem Gast an der Theke zurück}: Haben Sie das gehört? Diese ... diese ... Salatschnecke! Seitdem die hier ist, hat die nur zu meckern. Herr: Meckern - ist doch ihr Beruf. Kennen Sie »die« denn nicht? Wirt (schaut zum Tisch - schüttelt seinen Kopf): Neeee! Herr (dreht sich nach allen Seiten vorsichtig um - flüstert geheimnisvoll}: Die ist doch aus der Verwaltung - Oberprüferin für Speise- und Getränkegaststätten - für zulässige Speise- und Getränkepreise. Das ist eine ganz Scharfe! Wirt: Neeee! So ein Ferkel! Herr: Quatsch! Ich meine eine Scharfe bei der Preiskalkulation. Die hätte mich doch bald runiert. Wirt: Neeee! Was Sie nicht sagen. Die da?! (zeigt dabei mit dem Kopf auf die Dame) Herr: Jaaa! Die beanstandet alles. Die ist so genau, die zählt sogar im Bierschaum die Blasen nach. Wirt: Neeee! Ich werde verrückt! Herr: Jaaaa! Die hat bie mir sogar den Stickstoffgehalt der Kartoffeln nachgemessen. Wirt: Neeee! Ist denn so was möglich?! Herr: Jaaaaa! Beim Spinat prüft sie, ob er farbecht ist, und in der Suppe zählt sie die Gräupchen nach. Wirt: Neeeeee! Und sie will bei mir etwas bestellen. Herr: Da werden Sie etwas erleben! Die hat meine Schnitzel gegen das Licht gehalten, ob man durchsehen kann. Sie legt dann auch das Strafmaß fest, von einer halben Stunde bis lebenslänglich. Wirt (faßt sich an den Kopf): Großer Gott! Was mache ich bloß? Herr: Haben Sie denn kein einwandfreies Essen? Wrrt (winkt ab}: Moment! Ich müßte schnell über die Straße lau-
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fen und etwas aus der Betriebsküche von Kleckermann & Sohn holen. Herr: Und Ihre Küche? Ist das Essen nicht besonders? Wirt (faßt sich wieder an den Kopf): Besonders schon! Besonders ungenießbar! Meine Frau kocht selbst, und die kann kochen, was sie will, es wird immer Gulasch. [sieht seinen Gast verzweifelt an) Ob ich der Geld anbiete? Herr: Das würde ich versuchen. Dame [ruft): Herr Wirt! Herr: Die Schlacht beginnt! Wirt [schaut nach oben - faltet die Hände und ruft mit pastoraler Stimme): Josef, gib mir ein Zeichen, daß ich die Schlacht gewinne! Dame (ruft lauter}: Herr Wirt! Wo bleiben Sie denn? Herr (schlägt dem Wirt aufmunternd auf die Schulter, daß er nach vom fällt und ruft): Auf in den Kampf, Tornado! Wirt [ist durch den Schlag bis vor den Tisch der Dame gelandet - rappelt sich hoch und fragt eingeschüchtert): Was möchten Sie bitte? Dame: Was können Sie mir empfehlen? Wirt [weinerlich): Eine andere Gaststätte. Im Gasthaus zum »Goldenen Anker« ißt man sehr gut. Dame: Ich esse bei Ihnen. (zeigt auf die Karte) Was!! Sie verlangen für einen Rollmops .. . 6 Mark? Wirt (stottert): Na ja, a-a-aber das Ho-Ho-Holz was da durchgeht, i-i-ist aus Mahagoni. Dame: Hier steht: Zunge ... ist die frisch? Wirt: Ja! Mit der können Sie sich noch unterhalten ... aber unser Gulasch ... Dame (unterbricht}: ... ich möchte keinen Gulasch! Ihren Gulasch können Sie sich an den Hut stecken. Wirt: Das geht nicht, da habe ich schon 4 Rouladen oben. Dame: Haben Sie nicht etwas Pikantes? Wirt: Etwas Bekanntes? Dame: Nicht Bekanntes - etwas Pikantes, Sie Blödmann! Etwas Aufregendes? Wirt: Etwas Aufregendes - Selleriesalat! Dame: Quatsch! ~twas Besonderes. Und nun ziehn Sie ab und bringen Sie etwas.
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»Neeee! Was Sie nicht sagen. Neeee! Ist denn so was möglich?!<<
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»Herr Ober, in meiner Suppe schwimmt eine Fliege.« - »Tut mir leid, mein Herr, daß es nur eine ist. Früher waren es mehr, jetzt werden selbst die Fliegen knapp.«
Alles zum Wohle des Volkes
Wirt (macht großen Kratzfuß): Bitte, please - meine verehrte Dame. (Der Wirt verschwindet durch eine Tür- kommt TNi.eder - geht zur Theke - TNi.scht sich den imaginären Angstschweiß ab) Herr Oacht): Na, Sie leben ja noch! Wirt (flüstert vertraulich): Ich habe meine Frau in ein Delikatessengeschäft geschickt, die holt etwas - die haben nur erstklassige Sachen. (greift zur Flasche) Diese Aufregung! Jetzt muß ich erst einmal einen zur Brust nehmen. (zu seinem Gast) ... trinken Sie einen mit? Wirt schenkt ein - beide trinken aus - Wnt verschwindet hinter der tür- kommt mit dem Essen TNi.eder- serviert der Dame - kommt TNi.eder zur Theke. Beide beobachten die Dame beim Essen. Herr: Dabei - im Profil sieht sie ganz nett aus. Wirt: Da sieht man ja auch nur die Hälfte (schenkt noch zwei Wodka ein) Prost! Herr: Die Letzten bezahle ich. Wirt: Nein! Kommt gar nicht in Frage. Sie haben mich vielleicht vor »lebenslänglich« bewahrt! Sie haben mr doch den Tip mit der Kontrolleuse gegeben. (schaut TNi.eder zum Tisch) Jetzt ist die fertig mit essen, mal seh"n was sie sagt. (Er eilt zum Tisch - macht einen devoten Kratzfuß) Waren gnädige Dame zufrieden? (schiebt dabei einen Hundertmarkschein über den Tisch) Dame (nimmt den Schein): Was soll denn das? Wirt: Ich bin abergläubisch! Sie waren heut" mein erster Gast - mein erster Gast bekommt immer einen Geldschein - wir sagen: Wenn der erste Gast zufrieden weggeht wird es ein guter Tag. Es ist wie beim Glücksschwein ... und Sie waren , unser . . . unser erstes . . . Dame: Wie bitte?!? Wirt (stottert): Ich mei-mei-meine, unser erstes Glück. Das muß ich meiner Frau sagen. (verschwindet mit großer Verbeugung durch die Tür) Von der Theke kommt der Herr- gibt der Dame einen vertraulichen Klaps drauf und flüstert Herr: Na, Liebling ... wie war es? Dame: Na, phantastisch! (hält den Geldschein hoch) Wir haben einhundert Mark, und ich habe vorzüglich gegessen. (reibt sich genüßlich den Bauch) Herr (nimmt ihr den Geldschein weg und steckt ihn ein): ... und ich habe einen Hunger! In der nächsten Gaststätte tauschen wir die Rollen, da spiele ich den Kontrolleur.
Alles zum Wohle des Volkes
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Lothar Kusche
Die Frage nach dem Verbleib des Wirtschaftsgeldes wird immer wieder gestellt, obgleich sie doch verhältnismäßig leicht zu beantworten ist. An dem Tage, an dem das Wirtschaftsgeld restlos ausgegeben worden ist, ist es alle - das ist das ganze Geheimnis. Wofür im einzelnen es ausgegeben worden ist, weiß jeder vernünftige Mensch, nämlich für Lebensmittel, Miete, Strom, Gas, Kohlen, Holz, Zündhölzer, Reißnägel, Zwirn, Heftpflaster, Rätselzeitungen (viele Hausfrauen kaufen sich heimlich Rätselzeitungen) sowie für verschiedene gemeinnützige Zwecke, zu deren Gunsten öfter Leute an der Tür klingeln und Geld sammeln. Aber viele Leute geben sich mit dem M . M . t k · G ld 11er ein e , . B ßt . daß ihr Wiirt haft ld f.. ein ann ver allgememen ewu sem, sc sge ur d t· d t h h 1c es ... t 11 r: d f . t er 1 n e e er we . b d1e o en genann en vvaren usw. rau gegangen 1s , nicht zufrieden; das sind die, die immer alles ganz genau wissen wollen. Manche leiden an dem Aberglauben, wenn sie nur haarklein anzugeben wüßten, wieviel Pfennige sie für dieses und wieviel für jenes bezahlt haben, käme das Geld wieder zum Vorschein. Das ist natürlich Unfug. Andere Leute finden es trostreich, exakt und in allen Einzelheiten darüber Bescheid zu wissen, wo sie ihr Wirtschaftsgeld gelassen haben. Ich kann eigentlich nicht verstehen, wieso es trostreich sein soll, wenn man den Umstand, daß man soundso viel Geld für eine Sache weggegeben hat, dem Gedächtnis einprägt und ihn lange Zeit nicht vergißt. Allerdings gibt es Menschen, die über den Verbrauch ihres Wirtschaftsgeldes deshalb Genaues wissen wollen, weil sie es planmäßig auszugeben wünschen. Das ist natürlich eine gute Sache, vor der man Respekt haben muß. Mir jedenfalls imponieren Haushalte, in denen sogenannte Haushaltsbücher geführt werden. In diese trägt man nach dem Einkauf bis auf ein Zehntelpfennig die Höhe der Ausgaben ein. Das erleichtert, wie ich hörte, ganz außerordentlich die Arbeit, abgesehen davon, daß man etwas mehr Schreibarbeit hat. »Sehen Sie mal«, sagte eine von mir sehr geschätzte Hausfrau, »wir kaufen abwechselnd ein, da wir beide arbeiten. Mein Mann wußte oft nicht, wo er das Wirtschaftsgeld gelassen hatte. Er dachte, er hätte den Geldschein verloren, und rechnete stundenlang im Kop{, aber immer erst ein paar Tage später, und
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dann fiel es ihm natürlich nicht mehr ein, wo das Wirtschaftsgeld geblieben war.« - »Vielleicht hatte er wirklich mal einen Zehnmarkschein verloren«, sagte ich, »das kann doch passieren.« »Meinem Mann nicht«, sagte die Frau, »der verliert kein Geld, der findet eher welches.« Ein beneidenswerter Mensch. »Und außerdem waren das immer so sonderbare Fehlbeträge, nie glatte Summen. Seitdem wir nun ein Haushaltsbuch führen, wird alles aufgeschrieben, und es gibt keine Zweifel mehr.« »Rechnen Sie nach?« fragte ich. »Gelegentlich«, meinte sie, »nur so zum Spaß. Mein Mann kann sehr gut rechnen.« Davon konnte ich mich mit einem flüchtigen Blick in das Haushaltsbuch, das vor uns auf dem Tisch lag, übrigens vollkommen überzeugen. Mein Blick fiel nämlich auf die folgende interessante Eintragung: »Salz u. a. Gewürze ... 5,16 M«. Falls jemand von Ihnen schon mal in der Kneipe an der Ecke war, so weiß er vielleicht, daß man dort für 5, 16 M genau zwölf Helle kriegt. Das Trinkgeld hatte der korrekte Haushalts-Buchführer anstandshalber aus seiner Tasche bezahlt. , . . •
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Lernen, lernen, nochmals lernen
Kurt David
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Wenn Vater in die Wanne steigt, tut er so feierlich, als stiege er in die Ostsee. Zunächst riskiert er nur die Füße, dann geht er mißtrauischen Blickes in die Hocke und schreit: »Kaltes! Kaltes!« Mama hält den Eimer wie einen Feuerlöscher bereit. Sie gießt nach. Und Vater rutscht gemächlich Zentimeter um Zentimeter horizontal unter die Wasserfläche. Bis zum Eichstrich. Er pustet und schnauft, liegt wie gelähmt und sagt friedlich: »So, Liesel, nun kannst du wieder heißes zutun.« Bald wird er ganz still, atmet tief drei Morgen Fichtennadelwald, den wir in Tabletten eingekauft haben. Und plötzlich geschieht etwas: Papa lächelt, mein Papa lächelt! Dazu hat er selten Zeit. Sein Gesicht ist immer im Dienst. Er stand da wie ein Geist in Stiefeln Das alles läuft jeden Freitag so ab. Auch anjenem und lächelte optimistisch wie auf Freitag, von dem ich erzählen will, war es nicht einem Erster-Mai-Plakat. anders. Aber nun haben wir glücklicherweise ein Telefon. Kein Mensch denkt an das Telefon, plötzlich denkt das Telefon an uns. Es klingelt vorlaut. Mein Papa schrie: »Ich bin nicht da, Heinz! Hörst du, ich bin nicht da.« Ich vergewisserte mich. Vater stand im roten Bademantel auf dem Flur und war nicht da. »Hab verstanden, du bist gleich da.« Das sagte ich natürlich nur so aus Jux. »Ich habe gesagt, daß ich nicht da bin!« Und nun kam noch Mama aus der Küche und meinte sanft: »Heinz, Papa ist nicht da.« »ls ja schon gut«, antwortete ich gelassen und guckte meinen nicht daseienden Vater an. Schließlich ist mir bekannt, daß Papa ganz allein über seine Anwesenheit bestimmt. Bei mir hingegen ist das viel unkomplizierter: Ich muß immer dasein, wenn ich da bin. Am Telefon war Herr Knopke. »Richard?« »Nein, hier ist d'r Heinz, Herr Knopke.«
Lernen, lernen, nochmals lernen
»Hol maln Vater an die Strippe!« »Der ist gar nicht da«, sagte ich scheinheilig in die Muschel und wurde trotzdem rot. Immer wenn ich schwindeln muß, werde ich rot. Am Telefon ist das bequem und egal. Am Telefon kann man rot werden, ohne daß es der andere überhaupt merkt. »Wo ist er denn, Heinz?« Und da hatte ich große Lust zu sagen: Ich werde ihn gleich mal fragen, er steht hinter mir. - Das ging aber nicht; denn Papa stand jetzt dicht neben mir, schubste mich, fuchtelte mit den Armen, zog Grimassen und zeigte in Richtung Niederdorf. »Er ist im Niederdorf«, sagte ich zu Herrn Knopke. Papa nickte anerkennend, so lobend, wie wenn ich eine Eins in Betragen erhalten hätte. »Beim Lätsch-Emil?« »Genau dort«, antwortete ich erleichtert und war froh, daß mir Herr Knopke sagte, wo mein Vater war. Papa dagegen tippte sich mehrmals an die Stirn und meinte meine. »Da kann er aber nicht sein; denn vom Lätsch-Emil aus rufe ich an. « Bums - hingehängt. »Jetzt ist der eingeschnappt«, bemerkte mein Vater sehr treffend. »Und du Dussel läßt dich von dem glatt aufs Kreuz legen.« Mit dem meinte er Herrn Knopke, und Herr Knopke arbeitet wie er auf unsrer Genossenschaft. »Für ein bißchen pfiffiger hätte ich dich wirklich gehalten«, fügte Papa hinzu. Und da saß ich mit meinen vier Einsen. Ich war schuld, und ich hätte ein paar Nachhilfestunden im Telefonieren nötig gehabt. Mein Vater machte ein Gesicht, daß es aussah, als schaffe er es mit einem Gesicht gar nicht. Bloß meine Mama schätzte die Situation real ein und sprach mit mir, wenn auch leise und nur über den Geschmack der Wurst. Bei uns ist es manchmal so: Vater hat die Argumente, Mutter die Gefühle. Beides in einer Person stelle ich mir prima vor. Und gehen bei Papa die Argumente mal aus, setzt er sich durch. Sozusagen aus Zeitmangel. Ich bin eben in unserer Familie die kleinste Person mit dem schwersten Posten: Ich muß mich erziehen lassen. Solange ich das nicht merke, mache ich mit. Als ich nun mit Mama die Wurstgespräche ausgiebig durchgekaut hatte - sehr leise, versteht sich - und nur noch Pelle und Heringsgräten die. Teller verunstalteten, fragte meine Mutter,
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))Was isses denn heute?<< )) We{ß nicht, sieht aus wie Dienstag, riecht aber wie Donnerstag. <<
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wie es in der Schule gewesen wäre. Ich kriegte plötzlich den Husten und bellte mir die Verlegenheit aus dem Halse; denn die Frage war viel zu früh gestellt. Aber Mama konnte nicht wissen, daß es an diesem Tage nicht so wie an anderen war, und deshalb würde es eine Diskussion geben. Für eine Diskussion standen meinem Vater runde fünfzehn Minuten zur Verfügung; es war Viertel vor acht, und Punkt acht saß er freitags vor dem Bildschirm, um sich den Film anzusehen. Und diese fünfzehn Minuten hätten gereicht, um mich restlos auszudiskutieren. Also mußte ich husten. Man kann zwei bis drei Minuten qualifiziert husten und nachher noch eine Minute lang nach Luft schnappen. Was macht man jedoch zehn Minuten lang? Schließlich konnte ich Papa höchstens fünf Minuten für die Aussprache bewilligen - in seinem Zustand. Irgendwer klopfte an die Tür. Sofort ließ ich meinen Husten aussetzen. Herr Knopke trat in die Stube. Er stand da wie ein Geist in Stiefeln und Mama ist nämlich im Elternbeirat lächelte optimistisch wie auf einem Erster-Mai-Plaund hat mich in persönliche Pflege kat. Mein Glück war Papas Unglück. Papa wollte genommen. auch lächeln, aber es blieb bei wollte; denn Herr Knopke ging an ihm vorbei, als wäre er nicht anwesend, sicherlich nur, um Papas Wunsch auch zu entsprechen. »Liesel«, sagte Herr Knopke, »wenn dein Mann zurückkommt, sag ihm, er soll den Brief morgen früh mit in die Stadt nehmen. Da ist der Kostenanschlag für den Rinderstall drin und ein Schreiben an den Vorsitzenden.« »Mach ich, Karl«, flötete mein Vater fröhlich und stolperte fast vor Eifer Herrn Knopke entgegen. Mama nickte verlegen. Herr Knopke wollte von Papa überhaupt nichts wissen und sagte: »Und dann, Liesel, hätt ich noch etwas gehabt, aber das muß ich mit ihm selber ausmachen.« »Aber Karl«, lenkte Mama ein und blickte von Karl zu Richard. »Nu laß doch mal den Quatsch, Karl! Komm, setz dich schön, ich bitt dich«, flehte mein Vater und schob dem Mann großzügig einen Stuhl zurecht. Das alles war recht spaßig. Vater wollte Herrn Knopke jetzt einreden, daß er da sei. »Nimm Platz«, bettelte auch Mama, »komm, sei nicht nachtragend, Karl. « Herr Knopke setzte und setzte sich nicht. Ja, er tat sogar so, als gäbe es in unserer Stube gar keinen Stuhl, keinen Tisch, keinen Vater. Ganz unverdrossen sagte er zu meiner Mutter:
Lernen, lernen, nochmals lernen
»Grüße deinen Herm Gatterich, Liesel, wenn er zurückkommt, ja?« »Nu sei doch nicht so albern, Karl«, bemühte sich abermals Papa. »Das war doch nur ein großes Mißverständnis. Mein Junge, weißt du, mein Junge, der hat das vermasselt, und da ... « Herr Knopke ging, und ich war zum zweitenmal schuldig. Inzwischen war es auch fünf vor acht Uhr und für mich der richtige Augenblick, mein Mißgeschick aus der Schultasche zu packen. Im Schülertagebuch hatte mein Vater den Satz zu unterschreiben: »Heinz hat mich heute belogen!« Das war eine Tatsache. Wie in Blei gegossen stand sie da. Dieser Satz ließ sich weder biegen noch umgießen. Mein Lehrer hatte nämlich gefragt, ob alle ihre Hausaufgaben gemacht hätten. Wer nicht, solle aufstehen. Ich hatte nicht und stand nicht auf, weil ich annahm, er kontrolliere das nicht, schließlich macht er es manchmal so. >Na, da werden wir mal sehen, ob das stimmt<, hatte Herr Haußmann gesagt. Und da war ich fällig. Ich gebe zu, daß es nicht jedem täglich schriftlich bescheinigt wird, wenn er einmal geschwindelt hat. Aber in der Schule ist das anders: Wir werden erzogen. Vater starrte auf den Satz, als wäre er mein Nachruf. Zunächst sagte er nur: »Ach ... « >Ach< ist immer gut. Zudem hatte er einen neutralen Ton gewählt, der zu nichts verpflichtete. Das erschien mir sehr ungewöhnlich, aber ebenso geschickt und gekonnt, wenn ich an die Situation dachte, in der er sich befand. Papa machte ein bißchen Platz auf dem Tisch. Er stieß dabei eine Tasse fort, die über eine Gabel purzelte und in die Fischgräten fiel. Doch sofort stellte er sie wieder auf, ja, es sah sogar aus, als wäre er über diesen Unfall selber entsetzt. Und das war ein gutes Zeichen . •
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An einer Schule in
Leipzig behandelt der Lehrer die Nutzpflanze Tee. Die Kinder zählen Teesorten auf. Da meldet sich Fritzchen. »Ich kenne noch eine weiter Sorte, SED(ee).« - »Ja«, sagt der Lehrer, »und was weißt du über die Wirkung?« - »Zum Einschlafen.«
Lernen, lernen, nochmals lernen
Ruhig sagte er: »Heinz, das hätte ich nicht erwartet.« Er stand auf, holte seinen Füllfederhalter und runzelte die Stirn. »Ich auch nicht«, meinte Mama. Sie tat mir etwas leid. Mama ist nämlich im Elternbeirat und hat mich in persönliche Pflege genommen. Und dort kann sie dann schlecht über andere Schüler sprechen, wenn es beim eigenen nicht in Ordnung geht. »Papa hätte auch unterschreiben müssen - bei vergessenen Hausaufgaben. Und da ich nie etwas vergessen darf, habe ich es mal so versucht. Bei manch anderen klappt es, bei mir gehts schon beim erstenmal schief.« »Gelogen ist gelogen«, sagte Papa. »Und wer lügt, betrügt auch!« Das sagte er allerdings viel zu laut. Mutter guckte ihn an. Sie wollte mit dem Blick Papa bremsen. Aber der war nicht mehr zu halten. Sicherlich sah er den Satz: HEINZ HAT MICH HEUTE BELOGEN von Haus zu Haus wandern, von Konsum zu Konsum, im Dorfmaßstab. Oder war der Grund seines plötzlichen Aufbrausens darin zu suchen, daß er bei mir nicht den Widerstand vorgefunden, den er erwartet hatte - auf Grund der heiklen Telefongeschichte? Dabei hatte ich mich so fair benommen, und er wurde plötzlich unfair. Also unterschätzte er mich. Und das kann ich schon gar nicht leiden. Wir werden sowieso immer unterschätzt. »Gelogen«, wehrte ich mich, »das klingt viel zu dick. Das war doch bloß eine kleine Schwindelei, und ... « »... mit Schwindeln fängt es an, mit ... « Nein, er sagte nicht, womit es aufhörte, nein, nichts, rein gar nichts kam mehr heraus. Wir sahen uns fest in die Augen. Ich guckte, Papa guckte, ich guckte geradezu klassisch, wie im Fernsehen, da gucken sich auch manchmal zwei an, ohne was zu sagen, und doch weiß man, was jeder meint. Und Mama guckte auch mit, mal zu mir, mal zu Papa. Wie ein Ringrichter. Und da waren wir uns plötzlich alle drei einig. Vater unterschrieb und sagte: »Das kommt mir aber nicht mehr vor, Heinz!« »Nein«, schwor ich und wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Doch das schickte sich in meinem Alter nicht. Plötzlich krachte ein Schuß. Eine Glasscheibe splitterte. Eine Frau schrie. Ein Stuhl fiel um. Im Fernsehen hatte der Kriminalfilm begonnen.
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Johannes Conrad
lJio systo11tatiseAo B11twie ll~HIJ do1 i11dllieA011 PAa11tasio d~teA OiH 81Jto11tpttttl Sohn: Papa, ist das richtig, wenn ich schreibe: Der Vogel pfiff ein Liedchen? Vater: Ja, eigentlich ... Pfiff eine Melodie, das wäre wohl richtiger. Aber warum ... Also, ich finde das ganz hübsch. Es ist nur etwas wenig. Sei nicht so faul, Horst! Laß doch den Vogel irgendwo sein beim Pfeifen. Im Grase oder wo weiß ich. Sohn (überlegt längere Zeit und ißt dabei einen halben Bleistift auf Dann freudig): Papa, der Vogel lag im Grase und pfiffelte ein Liedchen? Vater: Hm! Bloß »pfiffelte« ist jetzt falsch. Du mußt schreiben: pfiff pfiff ein Liedchen. Mutter: Aber Vögel liegen doch nicht, Arthur. Vögel können doch nicht im Grase liegen. Vater: Warum sollen Vögel denn nicht im Grase liegen können? Wie oft habe ich schon Hühner im Sand liegen sehen. Mutter: Aber Vögel doch nicht, Mann! Kein Mensch hat je lebendige Vögel im Gras liegen sehen. Da lachen ja die Hühner! Sohn: Was soll ich nun schreiben? Vater: Hühner sind zwar auch Vögel, aber wenn deine Mutter findet, daß Vögel nicht im Grase liegen können, bitte! Dann schreib doch: Der Vogel flog dahin oder so ähnlich ... Mutter: Wenn du dem Jungen die Sätze vorsagst, dann wird sich seine Phantasie nie entwickeln. Das ist unpädagogisch. Sohn (weinerlich}: Was soll ich nun schreiben, Papa? Vater: Frag doch die Mama. Die weiß das ja doch viel besser! Mutter: Was kann denn so ein Vöglein noch? Sohn: Ein Vöglein kann noch... picken kann es noch! Mutter: Was macht also der Vogel? Sohn: Der Vogel pickt ein Liedchen. Vater: Aber Horst!
))Gut so, sachlich alles richtig. <<
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Mutter: Der Vogel kann doch kein Liedchen picken, Horst! Was pickt er nun wirklich? Denk mal an unser Brot. Woraus wird es gemacht? Sohn: Aus Teig. Mutter: Und woraus wird der Teig gemacht? Sohn: Gestern war ein Stück Bindfaden im Brot. Mutter: Unsinn! Vater: Der Junge hat recht. Gestern war ein Stück Bindfaden im Brot. Mutter: Bitte, Arthur! Du weißt doch genau, was ich erreichen will. Sohn: Was soll ich nun schreiben? Mutter: Horst, stell dich mal nicht so an. Bist du denn nicht mehr unser schlauer Junge? Uta Möller hätte jetzt schon zehn Sätze gebildet! Vater: Weißt du übrigens, Lotte, daß der Möller jetzt einen Trabant hat? Mutter: Wie die Leute das nur machen? Aber sie hat ja beim Fleischer nur ... Vater (mit warnendem Blick}: Ja, ja, die Uta. Die Uta hätte aber wirklich schon zehn Sätze ... Mutter: Horst wird das auch bald bringen. Er ist doch ein echter Wünsch und kommt auf Opa raus. Gell, Horst? Also, was picken die Vögel? Was zum Beispiel wird in der Mühle gemahlen? Sohn: Kaffee. Mutter: Ja! Aber ich meine die Mühle am rauschenden Bach. (Mutter singt erregt) Bei Tag und bei Nacht ist der Müller stets wach ... Sohn (singt}: Klipp, klapp ... Mutter: Na siehst du! Und dann kommt: Er mahlet! Was aber mahlet der Müller? Sohn: Der Müller mahlet ... in der Mühle mahlet der Müller. Mutter: Ja, was aber? Der Müller mahlet das ... ? Sohn: Er mahlet das ... ? Das Korn mahlet er für das tägliche Brot. Und ... Vater: Richtig, mein Junge! Mutter: Siehst du, Arthur, so kann sich seine Phantasie entwickeln. Und er lernt logisch denken. Was also picken die Vögelchen, Horstelmann? Sohn: Was denn? Mutter: Na, was der Müller mahlet!
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Sohn: Korn mahlet der Müller. Mutter: Wie heißt also dein Satz? Sohn: Was für ein Satz? Mutter: Den du bilden sollst, Junge! Sohn: Ach so! Der heißt: Die Vögel picken ein Liedchen. Mutter: Das Korn picken die Vögel, Junge, das Korn! Sohn (weinerlich): Der Satz soll doch mit Vogel und Liedchen • sein. Mutter: Ach so! Was kann denn ein Vogel noch? Du siehst aber, Arthur, daß man Sohn: In der Zeitung stehen kann ein Vogel noch. mit einigen pädagogischen KnifMutter (klagend): Und was noch? fen immer ans Ziel kommt. Sohn: Sitzen kann er. Mutter: Ja, sitzen kann er. Also: Der Vogel saß ... ? Sohn: Der Vogel saß im Grase und pfiff ein Liedchen. Mutter: Ein Vogel saß im Grase? Ich weiß nicht ... Im Grase sitzen? Klingt das nicht falsch, Arthur? Vater: Ja, wenn ich mir das so vorstelle, dann kommt mir das auch merkwürdig vor. Ein Vogel saß im Grase - ? »saß« ist wohl hier nicht richtig. Muß er denn durchaus im Grase sitzen, Horst? Sohn: Nein, er kann auch auf einem Baum sein. Mutter: Fein, Horst. Jetzt haben wirs. Also, wie lautet jetzt der Satz? Sohn: Der Vogel stand auf einem Baum und pfiff ein Liedchen. Mutter: Vögel stehen nicht pfeifend auf Bäumen! Das ist ja zum Verzweifeln! Jetzt schreib, was du willst. Sohn (mit zweifelnder Stimme): Der Vogel stand am Postschalter und pfiff kein Liedchen? Mutter (nickt gleichmütig): Bitte, dann schreibe das. Vater: Aber, Lotte, das kann er doch nun wirklich nicht ... Also, Horst, paß mal auf: Hier haben wir den Vogel, und dort haben wir das Liedchen. Nun mach mal einen ganz einfachen Satz draus! Sohn (heulend): Der Vogel pfiff ein Liedchen. Vater: Na endlich! Mutter (streicht dem Sohn übers Haar): Nun heule mal nicht mehr, mein Horst, das kannst du jetzt schreiben. Was würdest du nur für Sätze ohne uns bilden? (dann zum Vater) Du siehst aber, Arthur, daß man mit einigen pädagogischen Kniffen immer ans Ziel kommt. Man muß nur systematisch vorgehn! Sohn (besänftigt schnuffelnd): So, und jetzt brauche ich nur noch neun Sätze zu bilden! •
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Ottokar Domma
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Liebe Mutti, lieber Vati! Heute will ich mal was von meinen Ferien schreiben, weil es sein muß. Jeden Tag fragt unser Gruppenpionierleiter, ob wir auch die Eltern nicht vergessen haben. Als er von mir wissen wollte, ob ich schon geschrieben habe, antwortete ich: Eigentlich nicht, und ich möchte auch meinen Eltern den Schreck ersparen. Denn wenn sie plötzlich Post von mir bekommen, denken sie, mir fehlt was oder es ist was passiert. Aber hier nimmt man auf solche Lebenserfahrungen leider keine Rücksicht. Trotzdem bin ich gesund und immer satt, und ich will Euch jetzt das Leben und den Ablauf schildern. Hier ist es landschaftlich und pioniermäßig gesehen sehr schön. Es gibt Wald und Hügel und einen tollen See. Man kann auch baden. Die Bäume sind noch grün, weil es keinen sauren Regen, keine Fabriken, keine Müllhalden und andere Umweltverschmutzer gibt. Dazwischen stehen Unterkünfte und Häuser. Nicht solche, wie Vater sie baut, mit Fertigteilen und so, sondern mehr im jugendlichen Stil, damit wir uns wohlfühlen. Das Haus, in welchem wir untergebracht sind, hat 20 Zimmer und die Nummer 5. Und man hört verschiedene Sprachen. In meinem Zimmer spricht man berlinisch, mecklenburgisch und altmärkisch, also fast richtig deutsch. Die anderen Sprachen stammen von den Bergvölkern unserer Republik, nämlich sächsisch-schweizerisch und oberhöflich. Aber sonst sind sie prima Kumpel. Auch gibt es hier Kinder aus verschiedenen Erdteilen, besonders aus der Sowjetunion, Polen, CSSR, Ungarn, Bulgarien und noch mehr, ich habe sie nicht alle gezählt. Mit ihnen verstehen wir uns sehr gut, zum Beispiel beim Spaßmachen, Sport und Baden. Es gibt keine Lachschwierigkeiten. Bloß beim Sprechen haut das noch nicht so hin. Die Leninpioniere zum Beispiel verstehen mein Russisch nicht, obwohl ich schon fast zwei Jahre lerne. Aber beim Raschkeni, so heißt ein lustiges Spiel, klappt auch die Mundverständigung. Das geht so vor sich: Wir stellen uns im Kreis auf. Ein Junge erwählt sich ein Mädchen oder umgekehrt. Sie stellen sich in die Mitte Rücken an Rücken, und wenn wir anderen raß, dva, dry zählen, müssen die beiden ihren Kopf links oder rechts drehen, und wenn v
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sie beide auf dieselbe Seite drehen, müssen sie sich küssen. Einer aus Berlin, der versteht das. Er wird bald das Abzeichen für gutes Küssen bekommen. Ich war auch mal dran, und die Natalia gefiel mir nicht schlecht. Bei der fünften Mundverständigung sagte sie schon danke, und weil mir kein anderes Wort einfiel, • sagte ich: »Nu bagadie!« Da lief sie von mir weg. Schade! Jetzt will ich euch den Tagesablauf beschreiben. Um 6 Uhr ist Wecken, da kräht ein Hahn. Kein richtiger, sondern Ulllllllllllll aus dem Lautsprecher, sonst hätte ich dem ekelhaften Vieh schon den Kragen )'). -------~ - - umgedreht. Dann folgt Frühsport, ent• weder Gymnastik oder Waldlauf, und danach treffen wir uns im Waschraum. Das Wasser ist zwar kalt, aber trotzdem gesund. Für Dich wär das nichts, Vati, beim Rasieren würdest Du ganz schön fluchen. Jetzt heißt es, die Zimmer aufräumen, denn es ist mit einer Kontrolle zu rechnen. Diese besteht aus Ordnungskommissionspionieren. Als sie zu mir sagten: Zeig dein Fach!, antwortete ich: Ihr könnt es ja suchen. Ich sage kalt oder warm oder heiß - je nachdem. Dafür bekam ich einen Minuspunkt. Wenn die Mädchen erst eine OJ Funktion haben, und die Ordnungsschnüffler sind Mädchen, dann bringen sie sich fast um vor Wichtigkeit. Nach dem Frühstück wird gespielt oder ein Spaziergang unternommen, • zum Beispiel zum Garten der Freundschaft. Dort sind viele Gewächse von ausländischen Delegationen zu sehen. Nach dem guten Mittagessen, von dem ich mir oft noch was nachhole, gibt es Mittagsruhe, die man auch wachsam verbringen darf, aber im Zimmer. Nachmittags ist meistens Baden oder wir exkursieren ins Touristenlager. Und so vergeht der Tag bis zur Nachtruhe. Sie wird bloß unterbrochen, wenn der Pilei vom Dienst unsere Füße kontrolliert. Das ist wahrscheinlich nicht immer ein schöner Anblick. In diesem Falle kann man auch von einer Nachtvölkerwanderung sprechen, und zwar zum Waschraum. Das Wort Kontrolle verstehen alle ausländischen Freunde . . •
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Aber sonst ist unsere Pilei Katharina einsame Spitze. Es gibt sicherlich noch mehr solche Spitzen, aber man kann ja nicht alle Namen behalten. Die Katharina ist deshalb prima, weil sie mit uns wie mit vernünftigen Menschen spricht. Es gibt auch eine MIG und einen Da kann sich mancher Pilei und auch Lehrer eine T 34, aber das sind schon alte VeteScheibe abschneiden. Auch gibt es viele Attrakranen zum Spielen, und sie sind als . h ht h f" h tionen, zum Beispiel eine Jurte aus der Mongo· . so 1che nie me r ge a r11c . h "{7: lk blik d. ·t s k 11sc en vo srepu , 1e man nur mi oc en und Ehrfucht betreten darf, also nur zum Angucken. Katharina hat mir hinterher gezeigt, wie man Socken stopft. Es gibt auch eine MIG und einen T 34, aber das sind schon alte Veteranen zum Spielen, und sie sind als solche nicht mehr gefährlich. So, das wärs, das andere erzähl ich zu Hause. Ich hoffe, daß Ihr gesund seid. Liebe Mutti, wegen der Sauberkeit brauchst Du dir keine Sorgen zu machen. Ich geh fast jeden Tag baden und wasch mir sogar den Hals und die Ohren. Damit Du nicht so viel Klamotten von mir waschen mußt, zieh ich mich nicht so oft um und bringe die meiste Wäsche und Hemden sauber nach Hause. Der Jana könnt Ihr auch einen Gruß bestellen. Es grüßt Euch Euer Sohn und Pionier Ottokar
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. S .hül vor » und Gott E. Lehrer liest semen c ern . . ... . Eif . in . . d Menschen drei Fische.« ng verteilte .unter. ·en . »Herr Lehrer, es o1bt keinen o...
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Gott.<< _ »Nun, das mu
. gibtja bei uns auch keinen Fisch.« Einern Studenten der Tiermedizin werden zur Abschlußprüfung drei Knochen vorgelegt. Der Professor fragt den Studenten: >>Können Sie diese Knochen bitte zuordnen!« Der Student kommt ins Schwitzen und kann die Frage nicht beantworten. Der Professor will dem Studenten helfen: »Na, worüber haben wir denn das ganze letzte Semester gesprochen?« Darauf der Student: >>Sagen Sie bloß, das sind die Knochen von Marx, Engels und Lenin?<<
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Jochen Petersdorf
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»Guten Tag«, sagte Benno Blaschke und sah den Mitgliedern des Prüfungskollegiums nacheinander fest in die Augen. Ziemlich blaß, die 'fypen, dachte er. Möchte bloß wissen, warum? • Der ganze Film ist doch so gut wie gelaufen, und außer Ronny Müller und Tina Muffland ist doch kein Schwanz eingebrochen. Aber vielleicht ist das schon zuviel? Man weiß ja nicht, was sie sich füm Kampfziel gesteckt haben. Mein Gott, jetzt haut sich Fräulein Mirschel noch 'ne Dröhnung rein. Die hat doch vorhin in der Pause schon ein Pfund Tabletten geschluckt. Ob die überhaupt noch durchsieht? Außerdem könnte sie sich ein bißchen straffer hinsetzen. Hat doch was zu zeigen, die Mutter. zusammenfassend kann man Jetzt grinst se krampfhaft. Armes Huhn. Schade, daß sagen, daß Lenin als kollektiver man nicht so kann, wie man möchte. Na schön, ich Organisator, Agitator und glaube, der dicke Bombach willn Satz ablassen. Was Propagandist mächtig einfetzte. sagt er? Ob ich präpariert bin? Ein Komiker vor dem Herrn! Hat mich doch selber präpariert. Gespickt sagt man ja wohl nicht. Immer sauber bleiben. Also, dann wolln wir mal. Ich werds kurz machen. Die Fans haben sicherlich schon ganz schönen Knast in den Röhren. Benno Blaschke räusperte sich kurz und trocken, schlug die Beine übereinander und begann: »Lenin im Oktober. Als Lenin auf dem Bjelorussischen Bahnhof ankam, hatten sich die Dekabristen und die anderen Mitglieder der Duma vollzählig zu seiner Begrüßung eingefunden. Immer wieder erscholl der von rhythmischem Klatschen begleitete Kampfruf >Aus dem Funken wird die Flamme schlagen!<. Lenin wehrte bescheiden ab, bestieg das sprichwörtliche Panzerauto und appellierte an die Putilowarbeiter, unverzüglich die Elektrifizierung des ganzen Landes in Angriff zu nehmen, denn das zaristische Rußland war ein Völkergefängnis. Darauf fuhr Lenin zum Wmterpalais und leitete von dort den Sturm auf den Smolny, nachdem die Schüsse auf der Newa das Eis des Schweigens gebrochen hatten. Die Revolution ergriff dann auch die Massen, weil sie das schwächste Kettenglied gefunden hatten und mit Disziplin und den vier Faktoren der Überlegenheit ausgerüstet waren. Hinzu kam, daß sich an den Fronten eine Kriegsmüdigkeit zeigte. Mit dem Appell an alle, an alle, an alle wurde dann der Boden denen zugeführt, die ihn bearbeiten, und die Partisanen vom Amur jagten die Kulaken bis zum Stil-
Lernen, lernen, nochmals lernen
len Ozean. Zusammenfassend kann man sagen, daß Lenin als kollektiver Organisator, Agitator und Propagandist speziell in diesen Oktobertagen mächtig einfetzte, so daß wir heute in einer Epoche leben, die gekennzeichnet ist vom weltweiten Übergang des Kapitalismus in den Sozialismus. Ich danke für die Aufmerksamkeit.« Benno Blaschke erhob sich und verließ mit nettem Gruß den Prüfungsraum. Bei der Beratung wollen sie sicherlich unter sich sein, dachte er. An der Tür schaute er sich noch einmal -um und war leicht erschrocken über das Bild des Jammers, das sich ihm bot. Fräulein Mirschel lag mit dem Oberkörper auf dem Tisch und stopfte sich eine Tablette ins Ohr. Der dicke Lehrer Bombach versuchte seinen Schlips zu zerbeißen, Studienrat Knippling warf sich pausenlos Zigaretten über die Schulter und sang dazu das Sandmännchenlied. Und Direktor Timmermann hielt seine Taschenuhr in die Blumenvase und murmelte: »Wir verlesen jetzt die Wasserstandsmeldungen und Tauchtiefen.« Benno Blaschke schloß leise die Tür von außen, setzte sich ins Flurfenster und steckte sich erst mal eine an. Die Mitschüler umringten ihn. Die üblichen Fragen. »Alles okay«, sagte Benno. »Ich hatte nicht einen Hänger. Aber die fypen sind von der ganzen Prüferei schon so mürbe, ich glaube, die haben bloß die Hälfte kapiert.« Dann wurde Benno wieder hineingerufen. Fräulein Mirschel saß straff und gut geforn1t und lächelte. Der dicke Bombach hatte seinen Schlips korrekt gebunden und lächelte. Studienrat Knippling steckte die letzte Zigarette in die gut gefüllte Schachtel und lächelte. Direktor Timmermann trug seine Uhr wieder in der Westentasche, lächelte und sprach: »Lieber Benno Blaschke. Du hast einen entscheidenden Fehler gemacht: Die von dir gebrauchte Formulierung >Lenin fetzte mächtig ein< zeigte uns, daß du uns ein bißchen auf den Arm nehmen wolltest ui;id deinen ganzen Vortrag gewissermaßen als heitere Conference, als Jux abgezogen hast. Du glaubst, da du
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>>Noch ein- oder zweimal, mein Lieber, dann nehme ich nicht mal mehr Rücksicht auf mich selber und schreibe in dein Zeugnis, wie du in Wirklichkeit bist. <<
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ja deinen Lehrvertrag bereits in der Tasche hast, können wir dir auch mit der schlechtesten Note nicht mehr die Suppe versalzen. Das ist vom moralischen Standpunkt so schäbig, daß wir fast geneigt waren, dich entsprechend zu benoten. Die Fülle der schelmisch durcheinandergewirbelten konkreten Fakten, Begriffe und im weitesten Sinne sogar Zitate, mit denen dein Vortrag durchsetzt war, zeigte uns jedoch, wie gut du eigentlich im Stoff stehst, und wir kommen trotz deines ungehörigen Schülerstreichs nicht umhin, deine Leistung mit gut zu bewerten und dir zur bestandenen Prüfung zu gratulieren. Herzlichen Glückwunsch, lieber Benno.« Auf dem Heimweg traf Benno einen von der 26. Oberschule. Er erfuhr, daß dort drei Schüler durchgefallen waren. »Bei uns bloß zweie«, sagte Benno. »Da stehn unsere Lehrer statistisch besser da. Fetzt ein!«
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Was des Volkes Händ e schaffen
Heli Busse
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>>Tut mir leid, mein Mann kann nicht schon wieder zu einer Sitzung kommen. <<
»Also, liebe Kollegen«, sagte der Vorsitzende der AbteilungsGewerkschaftsleitung in der Mittagspause. »Wir müssen in dieser Woche unbedingt noch eine Gewerkschaftsversammlung durchführen, denn ... « In diesem Augenblick setzte das Klappern der Löffel, das mit Beginn der Rede des Vorsitzenden für einen Augenblick ausgesetzt hatte, mit voller Wucht wieder ein, und die Kollegin Trübsam sprach trotz der Erbsensuppe im Mund: »In dieser Woche jeht det nich. « »Es muß«, sagte der Vorsitzende energisch, »denn ... « »Es jeht wirklich nich«, bestritt die Kollegin Trübsam die Ansicht des Vorsitzenden, »denn sieh mal: Heute is Theateranrecht, morgen is Film im Fernsehn, übamorchen is Probe vom Chor, übaübamorchen is ein Kulturabend, und denn is der Tag, wo mein Mann keine Versammlung hat, da kann ick doch nich in 'ne Versammlung gehen, nich? Und denn is Sonntag ... « »Dann is noch lange nich Sonntag«, behauptete der Vorsitzende und stellte hart und konkret die Frage: »Wer kann am Mittwoch?« Er zählte sieben erhobene Löffel, für Donnerstag stiegen nur sechs Löffel in die Höhe und für Freitag nur einer. Es war nicht möglich, alle erforderlichen vierzehn Löffel für einen Tag hochzubekommen. »Det is ja janz klar«, stellte die Kollegin Trübsam sachlich fest. »Jeder hat eben was vor an den Abenden. Wen wundert det? Harn wir ja alles selber orjanisiert, nich? Wer is denn jekommen und hat uns für den Chor jewonnen? Wer hat denn det Theateranrecht an uns heranjetragen? Wer macht denn die Kulturabende? Na, die Gewerkschaft, wenn ich mich nich irre. Und nu solln wa plötzlich eine Vasammlung machen! Kinda, denn müßte ick mich ja in Stücke reißen, nich?« Und
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sie löffelte mit verbissener Wut die Erbsen weiter. Während der Vorsitzende erschrak, weil es gegen die Arbeitsschutzbestimmungen verstoßen würde, wenn sich die Kollegin Trübsam in Stücke risse. »Dann werden wir eben die Chorprobe verlegen«, sagte der Vorsitzende und freute sich über den guten Einfall. »Die Chorprobe verlegen?« schrie die Kollegin Trübsam da und starrte den Vorsitzenden so fassungslos an, als hätte der vorgeschlagen, den gesamten Chor mit Dynamit in die Luft zu sprengen. »Die Chorprobe verlegen? Ja, wo bleibt denn da die kulturelle Massenarbeit? Wo bleibt denn da die gewerkschaftliche Initiative, wenn die Gewerkschaft die Initiative lähmt? Der Chor probt! Der Chor ist unser Sorgenkind!« »Det is schön«, sagte der Vorsitzende, »det ihr weiter keine Sorgenkinder habt. Es jibt Leute, . . ----..----n----,..,...,---,..,die ham andere Sorgen. Aber die Versammlung muß trotzdem durchgeführt werden. Das verlangt die Werkleitung von uns. « »Die Werkleitung?« wunderte sich die Kollegin Trübsam abermals. »Die Werkleitung also, ick will ja nich sagen kann uns mal, aber sie könnte uns! In verschiedenen Richtungen. Denn teil also der Werkleitung bitte mit, daß sie zunächst mal die Kollegen zu befragen hat, ob die Kollegen damit einverstanden sind, was die Werkleitung möglicherweise jeme möchte machen. Junge, Junge, wir sind doch hier nich in Westdeutschland!« »Jetzt reicht mir's aber!« brüllte der Vorsitzende, ganz entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten in der methodischen Erziehung der Kollegen. »Wir müssen die Versammlung machen, um die Prämien für das Quartalsende festzulegen!« In diesem erhebenden Augenblick blieben alle Löffel in der Erbsensuppe stecken, und die Kollegin Trübsam sagte weich: »Aber Erich, warum haste mir denn das nich jleich jesagt. Du weißt doch janz jenau: wenn's notwendig is, bin ick da!« Und der Vorsitzende zählte 24 erhobene Löffel für heute abend. 1
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> >Alles Reklamationen. Langsam kriegen wir •• einen Uberblick, wo wir qualitätsmäßig stehen. «
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Rudolf Thomas
H 11i1to 1111ritas Felix - Rangiermeister, Schulze - Hygieneinspektion, Lehmann Bahnhofsaufsicht, Meier - Transportpolizei, Müller - Leiter des Staatlichen Getränkekontors Dresden, Otte - Außenstelle Görlitz. Von draußen hört man es krachen, scherbeln und klirren; aufgeregt kommt der Rangiermeister zur Bahnhofsaufsicht.
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Felix: Kollege, Kollege, es ist was passiert! Lehmann: Kollege, nach den Gesetzen der Dialektik passiert immer etwas, es gibt keinen Stillstand. Bei der Eisenbahn schon gar nicht. Kommen wir zur Konkretisierung und damit zur Frage: Was ist passiert? Felix: Ein Wagen ist beim Verschieben auf den anderen aufgefahren, ziemlich derb sogar. Lehmann: Kollege, was sagt uns das? Nun also, es sagt uns, daß jede Unachtsamkeit, sie sei, wie sie sei, uns an der Planerfüllung und somit am Wohlstand hindert. Ich meine, so ... Felix: Abgesehen von Ihrer Meinung - es handelt sich um einen Kesselwagen. Lehmann: Kesselwagen? Gut. Wrrwerden nach Abschluß unseres Disputs die Feuerwehr alamieren. Felix: Es ist Wein drin, dreißigtausend Liter französischer Import-Dessertwein ... Lehmann: Wein? Das ist gut. Wissen Sie übrigens, daß der häufige Genuß schwerer Dessertweine ärztlicherweise gar nicht empfohlen werden kann? Felix: Zum Donnerwetter, empfohlen hin, empfohlen her! Beim Kesselwagen ist eine Schweißnaht geplatzt, der Wein läuft aus, zwar langsam, aber er läuft! Lehmann: Wie konnte denn das passieren? Felix: Die Kollegin Rangiererin hat den Hemmschuh zu spät gelegt ... Lehmann: Aha! (springt auf) Rufen Sie die Kollegin Hemmschuh! Felix: Himmelkreuzbombenelement! Reden Sie nicht so lange herum! Sorgen Sie lieber dafür, daß der Kessel schnellstens abgepumpt wird.
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Lehmann: Natürlich, das hätte ich doch sowieso getan. Gehen Sie inzwischen auf den Wein aufpassen, halten Sie den Daumen drauf oder besorgen Sie sich aus der Sanitätsstube 30 m Leukoplast. (wählt dreimal) Müller: Hier Staatliches Getränkekontor Dresden. Lehmann: Ja, hier ist der Güterbahnhof Dresden-Friedrichstadt. Sagen Sie mal, Kollege, haben Sie einen Kesselwagen mit französischem Wein, Import-Dessertwein, bei uns herumstehen? Müller (lachend}: Was, französischer Import-Dessertwein? Lehmann: Die Lage ist sehr ernst. Müller: Ja, was ist los? Lehmann: Beim Rangieren wurde ein Kesselwagen mit dreißigtausend Litern französischem Import-Dessertwein irgendwie so 'n bissel beschädigt. Der Wein läuft aus. Kommen Sie doch mal rüber und pumpen Sie den Kessel aus! Müller: Moment mal! Wohin ist denn die Fracht deklariert? Lehmann: Ja, das weiß ich doch nicht. (ruft nach draußen) Guck doch mal nach, wer die Brühe kriegen sollte! Felix (von draußen): Staatliches Getränkekontor, Außenstelle Görlitz. Lehmann (im gleichen Tonfall): Staatliches Getränkekontor, Außenstelle Görlitz. Müller (ebenfalls im gleichen Tonfall): Staatliches Getränkekontor, Außen.. „ „ stelle Görlitz. Na also, dann ruft doch Görlitz an! Die sollen kommen und die Ware retten! Exakte Arbeit ist alles. (ab} Lehmann: Verdammtes Bürokratenvolk! Also, dann Görlitz. Das ist die 12. (besieht sich die Telefonscheibe) Die ist gar nicht drauf! - Ach, hier, 1, 2! Otte: Hier ist das Staatliche Getränkekontor, Außenstelle Görlitz. Lehmann: Und hier ist der Güterbahnhof Dresden-Friedrichstadt. Otte: Kollege, brülln Se doch nicht so! Lehmann: Das ist doch ein Ferngespräch! Kollegen, hört zu! Für euch steht hier bei uns ein Kesselwagen mit dreißigtausend Litern französischen Import-Dessertweins ... Otte: Hurra! Es lebe die Eisenbahn! Lehmann: Warts. ab! Mensch! Der Wagen ist beim Rangieren
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»Ist es denn gut und richtig, daß es bei . uns nur eine führende Partei gibt?« »Aber selbstverständlich. Stell dir mal vor, wie du aufpassen müßtest, wenn es mehrere führende Parteien gäbe! «
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beschädigt worden. Der Wein läuft aus. Was sollen wir denn nun machen? Otte: Das Zeug retten, natürlich. Oder sollen wir vielleicht 'ne Schlauchleitung nach Dresden legen? Dresden soll auspumpen und uns die Ware zustellen! (hängt ab) Tranlampen! Lehmann: Holzköppe! (hängt ab) cypische Flucht vor der Verantwortung. Also schön, nochmals Dresden. Na der wird dumm gucken! (wählt) Müller: Hier Staatliches Getränkekontor Dresden. Lehmann: Hier ist noch einmal der Güterbahnhof DresdenFriedrichstadt. Ich habe eben mit Görlitz gesprochen. Die sagen mir wieder, ihr sollt auspumpen. Müller: Die haben gut reden. Das muß schon schriftlich gemacht werden. Lehmann: Elendes Bürokratenvolk! Nun kümmert euch gefälligst selber drum! (hängt ab, öjfn.et die Frühstücksbüchse) Die Bemmen vergessen! (das Telefon klingelt) Mensch, ich habe doch jetzt Frühstück. (es klingelt zum zweiten Mal) Güterbahnhof Dresden-Friedrichstadt. Müller: Hier noch einmal das Staatliche Getränkekontor Dresden. Also, wir werden die Sache machen. Fragen Sie inzwischen bei der Transportpolizei an, ob wir das Bahngelände überhaupt betreten dürfen. Ich rufe die Hygieneinspektion an, ob der Wein noch verkauft werden darf. Ende! Lehmann: Jetzt gehts vorwärts! (wählt) Also, Transportpolizei. Meier: Hier ist der Güterbahnhof Dresden-Friedrichstadt. Kollegen, bei uns ist ein Kesselwagen mit dreißigtausend Litern französischem Import-Dessertwein beschädigt worden und läuft aus ... Meier: Wer hat das getan? Agenten? Lehmann: Nee, nee! Nur 'ne kleine Rangiererin. Meier: Sind Sie sicher? Lehmann: Ganz sicher! Es dreht sich auch nur um die Erlaubnis zum Betreten des Bahnhofsgeländes. Meier: Sehr einfach; üblicher Antrag in dreifacher Ausfertigung mit ausführlicher Begründung: a) Warum Wein aus Frankreich? b) Warum nicht andere Strecke? c) Wieso Rangierfehler? d) Wie heißt der Schweißer, der den Kessel schweißte? f) Wie hätte vorliegende Sache verhindert werden können? Lehmann: Wie war gleich c?
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Meier: c) Wieso Rangierfehler! Lehmann: Kollege, bloß der Wein läuft inzwischen aus! Meier: Richtig, fügen Sie unter f) hinzu, wieviel Liter Verlust pro Minute (ab) Lehmann (ruft nach draußen): Die Tröppel zählen! Müller (wählt): Hier ist das Staatliche Getränkekontor Dresden. Schulze: Ja, hier ist die Hygieneinspektion! Müller: Hören Sie zu! Auf dem Bahnhof ist ein Kesselwagen mit dreißigtausend Litern französischem Import-Dessertwein beschädigt worden. Wenn der Kessel ausgepumpt wird, darf der Wein dann noch verkauft werden? Schulze: Der Kessel ist beschädigt? Müller: Ja, ·die Schweißnaht ist geplatzt. Schulze: Aha, also hat die Außenluft Zutritt. Und damit Bakterien, Vrren, Ungeziefer, Würmer, Schnecken und Staub. Ich bin nicht sicher. Schicken Sie uns eine Probe mit Darstellung des Vorganges. Guten Tag. (ab) Lehmann: Ach, Sie sinds! Wie stehts denn draußen? Felix: Wir haben es geschafft! Lehmann: Geschafft? Also doch! Ich wußte es. Wenn wir alle die Initiative ergreifen und richtig zupacken, werden auch die schwierigsten Sachen spielend gemeistert. Wer hats denn nun gemacht? Felix: Die Kollegen von der Frühschicht. Keiner ist nach Hause gegangen. Alle haben sie mit angepackt. Lehmann: Alle??! Rufen Sie mir die Kollegen, damit ich ihnen meinen Dank sagen kann. Felix: Das geht leider nicht, die sind alle besoffen! >>Wegräumen lohnt gar nicht. Die Zwischensaison ist ja so kurz. <<
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~uf e~em Gerüst stehe~.:.cs~.e~m.-~.~~~ . ~~~.~~~~.
, lieh em~ Flasche leer. Da st~::r .Maurer und machen heim, ~as Gemck. •Scheißtrinkerei einer runte~ ~d bricht sich . .. I~ ~as?_Wir stecken ihm ili~·mac~en ~Jetzt?« - •Wißt ·: sieht s wie'n Arbeitsunf;„11 ande m die Taschen. Dann . c:ui
aus.«
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~~~,"'~~ · ~ -· ...... . . Z'!.I..:~ Ulbricht hat Geburtstag. Ein Arbeiter, der gratulieren will, lehnt ; sein Fahrrad an das Staatsratsgebäude. Ein Sicherheitsbeamter sagt: ·Das geht nicht: In wenigen Minuten kommen die sowjetische und dann die polnische Delegation. •Das macht nichts. •.Ich hab das Rad angeschlossen.• ..,,..~,,.,.-7,~·~'!"<"''fr~H"'"'"'"°' •
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Frage: Was ist der Unterschied zwischen :Kapitalismus und Sozialismus?
Antwort: Der :Kapitalismus macht soziale Fehler, der Sozialismus macht kapitale Fehler.
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Was des Volkes Hände schaffen
Heinz Stockhaus
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Der Kreisratsvorsitzende hatte mir geschrieben. Kurz und wissenschaftlich exakt. Er wünsche mich zu sprechen. Morgen. Dienstag. Punkt zehn. Zimmer 57. Dienstag. Punkt zehn. Zimmer 57. Sitzungsaal des Rates. Ich wurde erwartet. Vom Vorsitzenden und seinen zahlreichen Stellvertretern. Nicht nervös werden! sagte ich mir. Du mußt selbstbewußt, wie ein wahrer Bitterfelderwegwanderer auftreten. Nicht erröten, nicht zittern, nicht stottern. Du hast ein gutes Gewissen. »Wrr haben dich hergebeten, Genosse Schriftsteller«, so begann der Vorsitzende, wobei er sich vorbeugte und mich Genosse Schriftsteller. wir machen fixierte, »hergebeten, um zu erfahren, wie es mit uns Sorgen um deine.Arbeit. deiner Arbeit steht. Du bist unser einziger - einziger Schriftsteller im Kreis, aber wir merken nichts davon. Wir sind der Meinung, du müßtest gesellschaftlich wirksamer werden. Uns scheint, du sitzt nur zu Hause herum und grübelst zuviel. Möchtest du dazu Stellung nehmen?« Also kein Kreisauftrag oder ähnliches. Sozusagen nur pure menschliche Neugier. Oder sollte man sich auf einige schon vor langer Zeit gefaßte Beschlüsse besonnen haben? Ich sagte knapp: »Was ich mache? Nun, ich schreibe, Genosse Vorsitzender. Für die Bezirkspresse, für die Kreispresse, für -« »Wissen wir«, unterbrach er mich, schlug einen Aktendeckel auf und hielt mit spitzen Fingern zwei Zeitungsausschnitte hoch. Er meinte: »Nicht viel, Genosse Schriftsteller.« »Nicht viel für die vergangenen sechs Monate, und über den Inhalt könnte man auch noch diskutieren.« Der Stellvertreter Handel räusperte sich. »Wenn ich einmal etwas dazu sagen darf?« »Bitte!« Der Vorsitzende ließ die Zeitungsausschnitte achtlos auf den Tisch flattern, lehnte sich in den Sessel zurück. »Bitte sehr, stellt Fragen, damit wir die bestehenden Unklarheiten beseitigen helfen können.« »Hm - ja - also, ich vermisse etwas über die Probleme unseres Handels und der Versorgungswirtschaft. Etwas, das uns auf diesem Gebiet weiterhilft, Genosse.« Die anderen folgten auf dem Fuße. »Und nichts habe ich von dir gelesen über Planungs- und •
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Bilanzierungsfragen, über das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung - « »Und auf dem Gebiet der Ordnung und Sicherheit, wo doch die Problematik -« »Also, wenn wir die Höhen der Kultur erstürmen wollen, dann mußt du unbedingt -« Nur der Stellvertreter Finanzen schwieg sich aus. Er befürchtete wohl, es könnten Honorarkosten entstehen. »Nun, Genosse Schriftsteller, da hörst du's. Wir machen uns Sorgen um deine Arbeit«, faßte der Vorsitzende zusammen. »Wir machen uns ernsthafte Sorgen, verstehst du, aber du schweigst dich aus und schreibst sage und schreibe zwei Zeitungsartikel, über die man - über die man noch diskutieren könnte.« Ich wurde weder nervös, noch gedachte ich zu stottern. Ich sah seelenruhig einem dicken Brummer zu, der sich vergeblich abmühte, durch die geschlossenen Fenster ins Freie zu gelangen. Dann sagte ich ganz einfach: »Ich schreibe fürs Theater, Genossen. Vielleicht, wenn ihr am • Sonnabend ins Theater -« »Leider!« sagten der Vorsitzende und sein erster Stellvertreter. »Du verstehst, Genosse, unsere cc.:v;; vielfältigen Aufgaben: Versammlungen, Beratungen Aussprachen. Abend für Abend. Leider, leider!« ))Bitte, bitte für mich »Schade«, sagte ich und erhob mich. »Wirklich schade, denn geauch einen Durchschlag. rade meine Arbeit mit dem Theater -« Es soll die Weihnachts»Wir werden den Abteilungsleiter Kultur beauftragen!« beüberraschung für schloß der Vorsitzende und erhob sich ebenfalls. »Er wird uns meinen Buchhändler im Rat Bericht erstatten. Ausführlich Bericht erstatten. Gewiß werden. << gibt es darüber einiges zu diskutieren, Genossen.« »So wird es wohl sein«, sagte ich und ging.
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Horst von Tümpling
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01 pa1saHt oit Gerade hatte Bauleiter Emil P. begonnen, seinen verdienten Feierabend so richtig gemütlich zu beginnen, als es ans Fenster seiner Wohnbaracke pochte. Draußen stand Erna, die Küchenfrau vom Spätdienst. »Ein Anruf vom Bahnhof für dich, Emil«, sagte sie, »und es ist gerade ein Waggon gekommen, der muß heute nacht noch entladen werden. Es ist wegen der Transportkapazität.« Emil fluchte zwar ausgemacht untypisch, er zog aber Wo der Kampf um die größte den linken Gummistiebel, den er eben abgestreift hatte, Sparsamkeit so heiß geführt wieder an und zog sich auch die Wattejopppe noch mal wird, muß es auch Verlierer über. geben. »Otto«, sprach er wenig später zum Fahrdienstleiter, »ich brauch mal einen Fünftonner. Auf dem Bahnhof ist etwas für mich angekommen - es ist wegen der Transportkapazität.« (Und der Prämie für eingespartes Standgeld, dachte Emil außerdem.) Otto, der Fahrdienstleiter, fluchte zwar ausgemacht untypisch, drückte aber dennoch den Knopf am Rundsprechgerät und hatte auch schon die Garage an der Strippe. »Alfons«, sagte der Fahrdienstleiter, »nimm deinen Fünftonner und hau mit Emil kurz zum Bahnhof. Greif dir unterwegs vorm Kino ein paar Kumpels, da muß ein Waggon entladen werden. Es ist wegen dem Standgeld. Bei deinem Schlitten hat die Durchsicht noch bis morgen Zeit.« (Über die zwei Flaschen Adlershofer kann ich mich mit Emil auch noch morgen einigen.) Bis zum Bahnhof richteten Alfons und Emil ganz ähnliche Appelle an ein paar Kumpels, die sich gern mal was dazuverdienen, und hast du nicht gesehen, da war nach zwei Stunden der Waggon auch schon entladen. Der Wagenmeister quittierte den Empfang von sechs Stunden Standgeld (die zwei Schachteln Orient nahm er ohne Quittung), und kurz darauf donnerte ein Fünftonner, beladen mit Isolierglaswolle, auf die nächtliche Baustelle. Am anderen Tag bemerkte der Planierraupenfahrer Richard K., daß dort, wo er gestern eine schöne ebene Fläche geschoben hatte, irgel).dein Idiot irgend etwas abgeladen hatte. Aber der Termin für die Baufreimachung mußte eingehalten
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Baustoffgewinnung
Was des Volkes Hände schaffen
werden. Und so schob denn Richard K. die Glaswolle - nein, nicht in die Baugrube - einfach ein paar Meter weiter auf das Gelände der Nachtbrigade. Der Brigadier dieser Brigade, Seharsch M., fluchte recht untypisch, als er einen Dumper voll Betonbruch auf den zukünftigen Parkplatz entleeren wollte. Doch er wollte keine Zeit verschwenden und kippte seinen Bruch einfach auf die Glaswolle. Nach drei Wochen entfuhr dem Baggerfahrer Ludwig L. ein ziemlich untypischer Fluch: Da hatte doch irgend so ein Idiot Glaswolleisolierung unter den Betonbruch gemengt, den Ludwig L. mit seinem Bagger auf dem Platz ausbreiten sollte. Sein Greifer packte also die paar Ballen energisch mit den Zähnen und schmiß das ganze Zeug etwa zwanzig Meter weiter auf einen anderen Fleck. Just auf diesen Fleck ratterten anderen Tags zwei Dutzend Traktoren, die dort abgestellt werden sollten. Die Traktoristen erlaubten sich allerdings einige untypische Flüche, weil ihre schweren Fahrzeuge über irgend etwas stolperten und rumpelten, was sich bei näherem Hinsehen als ehemalige Ballen ehemaliger Glaswolleisolierung erwies. Kurzentschlossen packten sie das Zeug und schleppten es auf einen größeren freien Platz am Rande einer Baugrube. Der Bauleiter stieß wenig später einen untypischen Fluch aus, als er den als baufrei gemeldeten Platz mit einem Berg total verrotteter Glawolleisolierung verschandelt sah. Er winkte den Planierraupenfahrer K. heran und gebot ihm, das Zeug auf kürzestem Wege ... »Von mir aus in die Baugrube«, sagte der Bauleiter Emil, »die wird sowieso wieder zugeschmissen!« So kam es, daß das Monatsende über fast allen Beteiligten sein Prämienfüllhom für eingesparte Minuten, Gramm und Pfennig ausleerte: Der Bauleiter Emil P. hatte Standgeld eingespart, der Wagenmeister hatte Transportkapazitäten eingespart, der Planierraupenfahrer hatte Zeit bei der Baufreimachung eingespart, der Brigadier hatte Arbeit eingespart, •• und der Baggerfahrer hatte Uberlegung eingespart. Nur der Fahrdienstleiter, der hatte das Nachsehen. Auf jenem Platz sollte für die Traktoren eine Winterunterkunft gebaut werden. Aus Schalholzwänden, isoliert mit Glaswolle. »So was kann schon mal vorkommen«, tröstete der Hauptbuchhalter. »Wo der Kampf um die größte Sparsamkeit so heiß geführt wird wie bei uns auf der Baustelle, muß es auch Verlierer geben ... «
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Heißer Sommer
Erwin F. B. Albrecht
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Unsere Altbauwohnung hat doch auch ihr Gutes, äußerte ich beim Frühstück zu meiner gleichberechtigten Hälfte. »Was willst du damit sagen?« sagte Rosamunde wie immer, wenn sie fürs erste nichts zu sagen wünscht. Anders unsere mit Recht nach der goldenen Ingrid und unserem Täve benannten Kinder. Reaktionsschnell wie Spitzensportler waren sie meinen Blicken gefolgt, und schon schrie Ingrid: »Pappi taxiert, ob er mir zu Weihnachten endlich een Riesenrad schenken kann. « »Oder mir eenen kleenen Elefanten, womit ick zu Hause Zirkus spielen kann«, meinte Tävchen und schloß ein wenig überraschend: »Neckermann machts möglich!« Was war das? Sofort sah meine Rosamunde aus ihrer Frauenzeitschrift auf und rügte: »Erstens heißt es bei uns nicht Neckermann, und zweitens -« Sie erblickte in meiner Hand den Katalog des VE Großversandhauses EMPOR in Zerpenschleuse und •• ,• wurde nun doch aufmerksam . »Was hast du vor, Beowulf? « »Ich werde mich für den vermanschten Sommer rächen«, erklärte ich schlicht, aber ergreifend, »ich bestelle bei EMPOR einen der neu entwickelten Haussommer mit dreijähriger Garantie und frei Haus.« Während die Kinder vor Freude eine kleine Bodenakrobatik mit Umfaller veranstalteten, schüttelte meine Frau den Kopf. »Was soll das Ding denn kosten?« »Nicht halb soviel wie eine Sommerreise, Schatz.« »Und willst du dafür etwa ein Zimmer ausräumen?« »Das ist nicht nötig, Kind. Vielleicht werden wir ein paar Möbel umsetzen, aber das Wohnzimmer genügt völlig für den Sommer.« Da Rosamunde ihren Widerstand nicht aufgab, wurde sie in demokratischer Abstimmung von der übrigen Familie im Verhältnis 3: 1 geschlagen. Zu groß noch war die Erbitterung über den • •
Heißer Sommer
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verlängerten Monat April, der sich in diesem Jahr als Sommer hatte ausgeben lassen. Nach drei Tagen erfolgte die Lieferung unseres Haussommers, nicht ohne daß die freundliche Dame am Telefon des Zerpenschleuser Versandhauses vorher angefragt hätte, ob ich vielleicht einen gebrauchten Sommer in Zahlung geben wolle. Die Transportarbeiter waren die reinsten Prachtkerle. Dankend lehnten sie meine Zigaretten Marke »Warnow« ab, tranken nur Selters mit Geschmack und behandelten die Bestandteile der Lieferung mit einer Vorsicht, daß beispielsweise von den Kletterrosen nicht eine einzige Hummel verscheucht wurde. Mit besonderem Interesse verfolgten die Kinder und ich die Installation des Zimmerhimmels, dessen italienische Bläue, angestrahlt von einem verschwenderischen Sonnenscheinwerfer, wohltuend den Uraltstuck der Decke verhüllte. Natürlich wurde durch den neuen Lichtspender unser von der Uroma ererbter Kronleuchter aus verflochtenen Geweihen überflüssig. Schon bald drehte ich ihn vermittels einer kleinen Anzeige in der Berliner Zeitung als einmaliges Liebhaberstück für nur 1500 MDN einem Lüstersammler an. Die Kinder und ich lebten förmlich auf. In unserer Freizeit lagerten wir meist auf dem neuen Badestrand vor meinem Schreibtisch, ließen uns gut geölt von der Sonne bräunen, freuten uns, daß es hier keine DllFlll Mücken gab, und genossen den Seewind, den ein unsichtbarer Föhn verströmte. Nur meine Frau war sauer, und da sie sich mehr und mehr in Schweigen hüllte, sah ich mich auf Vermutungen angewiesen. Vielleicht paßte es ihr nicht, daß unsere Sessel dem Strandkorb und ihre Vitrine meinem Angelsteg hatten weichen müssen, vielleicht waren ihr meine Fangergebnisse zu ungenügend, denn sie bestanden natürlich nicht aus lebenden Fischen, sondern zumeist aus Zitronen-Herings-Flip in Büchsen. Möglicherweise auch nahm Rosamunde es krumm, daß die Kletterrosen unsere Gardinen zerpiekten, oder aber der Schreck lag µir noch in den Gliedern, den der Krach in der
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zweiten Nacht unseres Heimsommers verursacht hatte. Auch die Kinder waren wach geworden. »Im Wohnzimmer gewittert es«, schrie Ingrid, und Tävchen blökte hinterdrein: »Donnerwetter, is det een Donner! Haste ooch den Rejen abjestellt, Vata?« Natürlich hatte ich es vergessen, so daß an den noch im Raum verbliebenen Möbeln mittlerer Sachschaden entstand. Um so mehr erstaunte mich, meine Frau eines Morgens in der Küche beim Studium des Versandkataloges anzutreffen. »Ich habe allen Grund dazu«, erklärte sie auf meine erstaunte Frage, »stell dir vor, Mann, Liesegangs haben sich ebenfalls einen Wohnzimmersommer angeschafft. Es ist nicht zu glauben. So eine Herausforderung!« »Aber ich denke, Evchen Liesegang ist deine beste Freundin?« wagte ich einzuwenden. »Das hat doch mit den Anschaffungen nichts zu tun. Liesegang verdient zweihundert Mark weniger als du. Also bitte, rufe sofort in Zerpenschleuse an und frage, Beowulf, ob sie uns zusätzlich noch einen Kinderzimmersommer und eventuell auch noch einen für unser Schlafzimmer liefern können. « Zum Glück stellte sich heraus, daß der VEB EMPOR seine große Neuheit ausschließlich als Anbausommer lieferte, so daß einer Ausdehnung der warmen Jahreszeit in unserer Wohnung nichts im Wege stand. Seitdem zählen unsere Kinder zu den Frühaufstehern. Schon morgens um fünf wecken sie uns durch ihr munteres 'freiben im Heim-Swimming-Pool, der in unserer geräumigen Badestube Platz gefunden hat. Anschließend begeben sich Ingrid und Tävchen zum Morgentraining auf ihre immergriine DederonSpielwiese. Rosamunde und ich aber schlafen nicht mehr in den überkommenen Ehebetten - wir zelten unterm Versandhausmond, und wenn wir wollen, genügt ein Druck aufs Knöpfchen, um im Busch zwischen Balkon und Ankleideschrank eine Nachtigall flöten zu lassen. Und sollte der kommende Winter etwa so vermanscht ausfallen wie der vergangene Sommer - uns kann nichts mehr passieren. Vorsorglich hat meine Frau für unsern ziemlich langen Korridor bereits eine entzückende Heimsprungschanze bestellt, und auch Schnee wird es in rauhen Mengen geben. VEB EMPOR machts möglich. ·
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Die Parteigruppe macht einen Ausflug. Fragt ein Genosse den anderen: »Was meinst du, wieviel Kilometer es noch bis zur Grotte sind.« »Zweieinhalb.« »Das hast du vor einer Stunde auch schon gesagt.« »Meinst du, ich ändere so schnell meine Meinung?«
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Jochen Petersdorf
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An der Saale hellem Strande: >>Halt, ihr sollt hier nicht baden, wir bekommen euch nachher gar nicht mehr sauber!<<
»Alsojungssojung kommwa nichmehrzusamm. Nehmwa nochein. Frollein! Dreidoppelte! « »Na, meine Herrn, wirds denn noch reingehn? Schon etwas reichlich heute abend. « »Aberfrollein, isdochnureinmalimjahr Urlaub. Sehnsema, wir arbeitnnudasganzejahr ineinunddemselbm Betrieb, aber denkensiewirhammazeit, zusammn ein zunehm? Nurimurlaubklapps. Disisübrigens mein technischer Leiter, disismein Absatzleiter, und ichbin der Betriebsleiter. Angeneehm. « »Was denn, und alle zur gleichen Zeit hier im Urlaub?« »Nassselbverständlich! Warummnich? Wir hamjahier ein Betriebsferjenheim. « »So meine ichs ja nicht. Ich meine, wer leitet denn in dieser Zeit den Betrieb?« »Der Chefinschenjör. Der machtnämlich zuhauseurlaub, und dakanner immamalvorbeijehn undnachmrechtensehen. Prosd!«
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Konsum-llauthaus stadtmltte &ERLtN W 8,ECK E M/l.UERSlR. LE IPZIGER
Eine Dresdner Straßenbahnschaffnerin ruft die nächste Haltestelle aus: »Dresdner Hauptbahnhof. Wer von den Fahrgästen in den Urlaub fährt - gute Fahrt. Wer auf Arbeit fährt - gute Erholung!<< "'~~.';,"" ~~.:;~~·-· .···7·~~"'.;;;..;':c.o~~-"6:..~~;: ~""··"""i';.;,.~.;..;.-.;;,,,;;,;;,"'f„~·~ . ,, c"" ':' 3~;~;: ;,,,~; ~~~ ~~~~7:::! '
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Hansgeorg Stengel
Von Europas Schädlingstieren, die den Menschen schikanieren, weigern sich primär die Mücken, ihre Umwelt zu beglücken. Ob wir sie mit Pech begießen, ob wir sie mit Schrot beschießen, ob wir ihren Ruf beschmutzen, ob wir ihre Flügel stutzen, ob wir sie in Fallen locken, ob wir sie mit Hitchcock schocken, ob wir sie in Kisten sperren . ··• ,, ' oder vor den Kadi zerren, . . . „• • . ' . . • . •• ' • ob wir sie mit Streuselkuchen .. . .. • • schlau zu korrumpieren suchen, . -„ .. • ob wir sie in Fesseln legen, ob wir ihren Zorn erregen, • sie beschimpfen und verachten, Mücken sind nicht zu entmachten . .:„·. ·~ . , Ob wir sie verhaften lassen, ' . :.„ .. : ob wir sie am Kragen fassen, ll.'fl . ... .. " . . •.-„• ~W\I :~, ob wir ihnen, statt zu streiten, • Kompromisse unterbreiten, ob wir sie ins Sitzfleisch zwacken oder an der Gurgel packen, ob wir ihren Rumpf durchbohren, ob wir sie wie Grünkohl schmoren, ob wir sie im Meer ertränken, durch Verbalinjurien kränken, ob wir sie wie Hemden bügeln, ~ie. verleumden und verprügeln uhd verhöhnen und verspotten Mücken sind nicht auszurotten. Ihren Widerstand zu brechen, hilft nur eins: Man muß sie stechen. Betet, daß zwecks Prophylaxe . .„.. dir und mir ein Stachel wachse! 1.
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C. U. Wiesner
Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Ach so, Sie waren ja auf Urlaub. Ick nämlich auch. Kleine Spritztour jemacht. In einen nagelneuen Wartburch wie Jraf Rotz persönlich, mit Fleischermeister Menseln. Der Junior wollte seine alten Eltern aus die Sommerfrische abholen und sagte, komm man ruhig mit, Onkel Wtllem! Dir tut es auch jut, wenn du mal dein }eist auslüftest. Und bevor wir Meusels aus Handwerkerheim wechkutschiert ham, ham wa erst maln paar Tage den Thüringer Wald unsicher jemacht. Jott, wann war ick dis letzte Mal in der Gejend? Dis muß ... wartense mal Oktober neunundvierzig muß dis jewesen sind. Da war jrade irgend sone staatliche Fete. Erster Mai kann es nich gewesen sind, aber jeflaggt war überall, und Reden hamse jehalten, na, is ejal. Zuerst sind wir in Erfurtjewesen. Der Dom und Sankt Severing mögen ja imposante Bauwerke sein, aber Meusels Kernspruch auf Reisen lautet: Die Berge von unten, die Kirchen von draußen und die Kneipen von drinne. Jut, wat? Aber dafür sind wir auf die Gartenausstellung raufjemacht, weil ick doch selber einen Schreberjarten habe. Also, ick sage Ihnen, dis Jelände hab ick nich wiedererkannt. Dazumal jabs da auch irgend ne Blumenschau und Bockwurscht auf Marken anne Bretterbude. Und heute? Alles Beton und ville Licht und richtige Jaststätten, wo Se von Fußboden essen können. Und die Blumen! Wie im Westen, besonders die Bejonien! Meusel klärte mir denn allerdings auf, deß dis auch so eine großanjelegte Propagandaauktion vonne SED is. Wat zuckense denn so? Die Schere ziept wohl? Is eben kein Solinger Stahl, die kommt, glaub ick, aus Schmalkalden. Sind wir übrigens auch jewesen. Moment, da wollt ick Ihnen doch was ganz Wichtiges erzählen. Ach so, Leber ham wir jejessen im Ratskeller. Sone Portion! Aber jeder! Meusel hat nur immer mitn Kopp geschüttelt, wie der Wirt da noch mit's Jewicht klarkommt. Und Meusel is 'n Fuchs in solche Dinge. Nu is der. Wirt ja bloß HO, und wer bezahlt die Por-
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>>Das hab ich doch schon voriges Jahr geknipst!<< >>Aber Männe, da hatten wir doch noch unsern Trabant!«
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Chinesische Kosmo-· . nauten sind auf dem Mond gelandet. Sowjetische und atnerikanische .Geheim- · dienste sind überrascht. »Wrr wußten .·. . ,gar nicht, daß ihr so . starke Raketen habt!« - »Wieso Ra- · keten?« - »Na, wie seid ihr denn sonst auf den.Mond ge- .· kommen?« - »Mann auf Mann.« .
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tion, wennse zu jroß is? Der Staat, und zwar von unsere Steuern. Bei diese Überlegung hats mir jar nich mehr jeschmeckt. Und was Eisenach betrifft - hamse hier in Berlin schon mal sone Burch jesehn wie die Wartburch? Statt dessen nur die herzlosen Neubauten am Alex, wo so jar nischt mehr von die jotische deutsche Seele außen anne Fassade dranklebt. Wenn man mal absieht von dis Haus der Lehrer. Da bleib ick immer wieder vor stehen und fühle mir in meine Kindheit zurückerinnert, wo ick janz verrückt nach die schönen bunten Abziehbilder war. Buchmachers Jemälde sind wenigstens so jroß, deß ick nich immer meine Brille aufsetzen muß. Die auf die Wartburch sind man ville kleiner, aber auch janz nett. Und schließlich konnten die ollen Ritter für die Kunst doch nich sone Summen an ihr eisernes Schienbein ranbinden und mußten sich mehr um ihren Sängerkriech kümmern. Ick persönlich meine ja, dis jing damals nur um den Zaster fürs Auftreten. Oder glaubense, deß sich sone Leute um was anderes streiten können? Und als Kongfranzjee hamse sich damals sojar einen jewissen Klingsporn aus Ungamjeholt, weilse endlich maln anderes Jesichte sehn wollten. Der olle Luther muß da ooch ne ruhige Kugel jeschoben ham. Wenn ick mir so dagejen unsere heutigen Schriftsteller betrachte, was die dauernd rumjachtern und Vorträge halten müssen! Ick würde sagen, die Brüder einfach mal'n Jahr auf die Wartburch einjespunnt, und die janzen versprochenen Bücher samt den zweiten Teil sindjeritzt. Der Luther war ja ein janz Schlauer. Wenn den sein Verlagsfritze zu ville rinjequasselt hat, denn hat er ihm einfach dis Tintenfaß an Kopp jeschmissen und hinterher behauptet, dis war der Deibel. Nee, keine Angst, dis is keine Tinte, sondern Birkenhaarwasser. Ach Jott, und in Friedrichroda ham wir uns durch Zufall son FDGB-Heim anjesehn. Und da kam es mir jleich wieder hoch. Also nich, deß ick den Arbeiter nischt jönne. Aber als Staatsbürger mit Jrips sage ick mir, son Komfort können wir uns einfach noch nich leisten, solange ick nich mal'n anständiges Rasiermesser kriege, was so schneidt wie früher. Auweia, tschuldigense, ickjeh mitn Blutstiller rüber. Bloß'n kleiner Kratzer, weil dis Ding schon so schartig ist. In den Reiseperspektiv von Friedrichroda und Umgebung stand, man soll sich den Schloßpark von Reinhardsbrunn besichtigen, denn da sind so schöne olle Bäume drin. Nu schwärm ick für olle Bäume und wünsch mir für mein Leben, deß mir auch mal son Birnbaum ausm Sarg wächst wie den Ribbeck ins Havelland. Ick
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und Meusel also rin durchs Tor, weil der Pförtner jrade mal wohin mußte. Also allens, was recht ist: ein Park, gejen den is der Friedrichshain man bloßn mickriger Schreberjarten. Auf einmal kommt aus den Empfangsraum von dis Schloßhotel ein feiner Mann und frägt, was wir hier suchen. Pilze, sag ick in meine schlagfertige Art. Sagt der, hier is verboten, nur die Hoteljäste vons Deutsche Reisebüro dürfen. Ich frage, warum. Sagt er, weil hier Spitzenintiljenz ihren Urlaub macht und die einfachen Touristen manchmal Zweige abruppen und nach die Forellen tauchen. Manche sind besoffen, und manche haben auch ein kleines Hämmerchen mit und hacken dis schöne Schloß an, weil se Souvenirs brauchen, sagt er. Na, sag ick, könnse mal sehn, wie ville Jeologen es schon jibt. Meusel wollte stänkern von wejen Spitzenintiljenz und deß er selber auch 'n Wartburch Luxus fährt. Aber ick hab ihn schnell wechjeschoben, denn sone richtige Spitzenintiljenz, da wird mir immer janz jerührt zumute. Sone Leute wolln sich ja auch mal'n Witz erzählen, wo nich jeder zuhört. Mir jehts genauso. Wenn wir Handwerker an unserem Stammtisch sitzen, denn möcht ick mal den sehn, der uns mitn Hämmerchen beis Filosofieren stört! Ach, und auf die Rückfahrt ham wir in einem Dorf so um Jena rum noch 'n Bier jetrunken, und stellnse sich vor, da hat doch die DEFA damals den Fülm »Mir nach, Karnalljen« jedreht. Seit kurzem jeh ick sojar wieder ins Kino und aufn Fußballplatz. Die Fülme sind jetz janz tacko, und der ASK schießt wieder Tore. Bloß, nu hat mir Meusel unterwegens richtig mißtrauisch jemacht. Der vermutet nämlich, deß dis bloß ein Blöff von die Natzjonale Front is, weil se doch am fuffzehnten Feiertag mal wieder zeigen müssen, was se alles können. Da is natürlich was Wahres dran, Kammgarn und zahl es, wie der Lateiner sagt. Und je mehr ick darüber stimuliere, desto mehr werde ick stutzig, ob es dies Jahr bei den vielen Sonnenschein in die Urlaubssaison mit rechten Dingen zujejangen is oder ob da nich auch die Natzjonale Front mit ihre neue Technik dran jedreht hat. •
> >Alle bedeutenden Menschen sind einsam. Auf Hiddensee werden Bedeutung und Einsamkeit zum Massenerlebnis!«
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Ernst Röhl
e so Da - an der nächsten besten Schneise - kam ein Wanderer des Wegs!
Und in welcher Gestalt erschien er? Etwa auf Schusters Rappen, mit Rucksack, Hut und Wanderstab? Na, das wäre denn doch wohl das Letzte gewesen! Er saß natürlich am Lenkrad eines Wartburg-Camping. Und selbstredend fuhr er nicht wortlos vorüber. Ein Wanderer schweigt nicht, wie der Kenner der einschlägigen Anekdoten weiß, ein Wanderer hat immer ein munteres Wortspiel auf der Pfanne. In diesem konkreten Fall pries er überschwenglich die süßen Freuden der CampingBewegung, verwies dezent auf den namhaften Ahnherrn der Bewegung, den Freund J. W. Goethes, märkischen Baumeister und Tonkünstler Carl Friedrich Zelter, und riet Von den Tonsäulen des nahe gelegenen mir angelegentlich, das zu werden, was er seiGST-Zeltlagers >>Junge Patrioten<< nem Fahrzeug rückwärtig angekoppelt hatte: schwangen Amiga-Rhythmen durch die Camping-Anhänger. Stille des kabelverzierten Hochwalds. Das war im vergangenen Jahr. In diesem Sommer folgte ich seinem Rat, nahm eine vierstellige Hypothek auf, kaufte mir das 2-Personen-Steilwandzelt »TraumweltDuett« (man kannja nie wisssen!), zwei Campingbetten (die billigen zu 85,- MDN das Stück), einen Campingtisch (81,- MDN), zwei Campingsessel (a 48, - MDN), einen Propangaskocher (120,- MDN), zwei Schlafsäcke (a 133,- MDN), einen Nahrungsbehälter (37,25 MDN), eine Kühltasche (13,10 MDN) sowie etliche andere Kleinigkeiten, lud alles auf meinen neuerworbenen, gleichfalls kostbaren Camping-Anhänger Klappfix (4450,10 MDN) und begab mich frohen Muts zum Zeltplatz »Kiefemeck«. Leider fiel ich dort sofort nach meiner Ankunft unangenehm auf, als sich herausstellte, daß ich keine Campinghausbar für kleine Feten, keinen aufblasbaren Campingkatamaran für so manche überschäumend lustige Segelpartie, keinen Campingtresor für den Siegelring (835er), ja nicht einmal eine Campinghundehütte für meinen Rauhhaardackel Edelfried mitführte. Allein die belebende Aussicht auf wissenschaftlich durchgebildete Erholung hielt mich aufrecht. Hatte nicht kürzZeitung unter der lich ein namhafter Reporter der Berliner •• Uberschrift »Verliebt in die Natur« das folgende veröffentlicht?
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»Die Reize der ungewohnten Umgebung, die Stille des Hochwalds, die Stunden gedankenverlorenen Träumens am Wasser erquicken Auge und Ohr; der Duft einer taufeuchten Wiese am Morgen ist wie ein Geschenk. All das ... « Na bitte, hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein! Die Reize der ungewohnten Umgebung sind mir unvergeßlich. Von den Tonsäulen des nahe gelegenen GST-Zeltlagers »Junge Patrioten« schwangen tagsüber Durchsagen und Amiga-Rhythmen durch die Stille des kabelverzierten Hochwalds. Die trauten Klänge und die süßen wohlbekannten Düfte von Zwei- und Viertaktern - oder waren es die Düfte einer taufeuchten Wiese? - streiften ahnungsvoll das Land. Von der jüngst durchlittenen Fußballweltmeisterschaft noch immer entfesselte jugendliche Kicker setzten fast pausenlos dem schwergeprüften braunen Leder nach, und das ohne Rücksicht aufs Unterholz. Sie sorgten mit einmaligem Eifer dafür, daß die Bäume des Zeltplatzes »Kiefemeck« nicht in den Himmel wuchsen. An Blumen fehlte es nicht im Revier. Zwar waren die naturgegebenen Blüten früh geknickt worden, doch ihre Stelle nahmen die kunstvollen farbenZeltplatzkomfort und Bademoden in den Sechzigern.
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prächtigen Gewächse der Schießbude ein, in der die Büchsen knallten, solange das Büchsenlicht nur reichte. Neben der Wasserentnahmestelle prangte ein Schild mit der hygieneschwangeren Aufforderung: Halte Dich und den Zeltplatz sauber! Irgend jemand hatte den Wasserhahn geöffnet, und seitdem war die halbe Zeltstadt überflutet. Offenbar zu Reinigungszwecken. Das Leben unter CampingBedingungen erzog alle Betroffenen in hervorragender Weise zur Standhaftig· 1, keit. Ich stand zwar Schlange, vor dem "--'-- - - '-K.! . Lebensmittelkiosk, wo ich Goldina bzw. dolce Vita kaufen wollte, vor dem »Tan, \ ' nenkrug«, wo ich Mittag essen wollte, "'"" vor dem Zeltkino, wo ich das DEFALustical »Nichts als Sünde« sehen wollte, vor dem Klo, vor dem Zeitungskiosk, vor dem Postschalter, vor der Milchbar, vor dem Kosmetikstand. Kurz und gut, ich fühlte mich wie zu Hause. Den Camping-Tag beschloß mit schöner Beharrlichkeit und beachtlicher Lautstärke der benachbarte GST-Lagerfunk: »Kameradinnen und Kameraden! Es ist 22 Uhr. Die Lagerleitung und der Lagerfunk wünschen eine gute Nachtruhe! Ich wiederhole: Es ist 22 Uhr. Die Lagerleitung und der Lagerfunk wünschen eine gute Nachtruhe! Ende der Durchsage.« Das Amigaprogramm war damit zu Ende, nun begann das zweistündige Programm junger Talente des Zeltplatzes. Singe, wem Gesang gegeben! Alle 3000 campenden Einwohner von »Kiefemeck« waren stimmbegabt. Allerdings schien ihre Begabung auf die innere Stimme beschränkt zu sein. Sie sangen dennoch. Und zwar nicht »Wanderers Nachtlied« von Goethe gedichtet, von Zelter (!) vertont, sondern einen zotigen Förster-Shanty: »Mein Sohn heißt Waldemar, weil es im Walde war ... << \
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* Mein Urlaub ist vorbei, und es geht mir gut. Aber in Stunden »gedankenverlorenen Träumens« erinnere ich mich hin und wieder an meinen Camping-Urlaub. »Ich bin nur ein armer Wandergesell ... «, sage ich mir beispielsweise in diesen Augenblicken der Selbsterkenntnis. Und falls ich nicht allein im Schlafzimmer bin, füge ich in Gedanken hinzu: »Gute Nacht, liebes Mädel, gut Nacht!«
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Unlängst erreichte die Redaktion ein Leserbrief, in dem eine interessante Frage aufgeworfen wurde: »Man redet allenthalben von optimaler Ausnutzung der Arbeitszeit. Gut. Aber sollte man nicht auch von optimaler Ausnutzung der Freizeit sprechen? Ich meine jetzt nicht, daß zum Beispiel durch Anstehen in Verkaufsstellen viel freie Zeit verlorengeht. Ich meine, daß durch kürzere Zeitungsartikel, Reportagen und so weiter viel verlorene Freizeit wiedergewonnen werden könnte. Machen Sie doch einmal die Probe aufs Exempel! Mit soz. Gruß Hildegund Krämer, Oberlangensalza-Mitte. « Eine sofort einberufene Redaktionssitzung beschloß, den Reporter Thomas Z. zu beauftragen, einen Ganz-kurz-Bericht über das Thema »Urlaub - ein wichtiger Faktor zur Erhaltung und Reaktivierung der Arbeitskraft« zu verfassen. Der Reporter fuhr mit seinem Zelt an den Strand eines nördlich der DDR Durch kürzere Zeitungsartikel gelegenen Meeres und kabelte 14 Tage später seinen könnte verlorene Freizeit wiederBericht nach Berlin. Er lautete: »Urlaub ist schön.« gewonnen werden, krächzte der Der Ganz-kurz-Bericht erschien und zog eine Reihe Leserbrief. zustimmender Leseräußerungen nach sich. Aber es gab auch kritische Stimmen. Eine kritische Stimme sagte: »Urlaub ist schön, wenn die Zuganschlüsse alle klappen!« Reporter Z. erhielt den Auftrag, einen Ganz-kurz-Bericht über Zuganschlüsse zu schreiben. Der Reporter fuhr mit seinem Zelt zu einigen Reichsbahn-Umsteigeschwerpunkten. Nach einigen Tagen telefonierte er seinen Bericht durch: »Zuganschlüsse klappen manchmal, manchmal aber auch nicht.« Wieder gab es positive Leserbriefe, doch es gab auch negative Bemerkungen. Eine besagte: »Die Hauptsache beim Urlaub ist das Wetter. Alles andere ist Quatsch!« Reporter Z. erhielt die Order, einen Ganz-kurz-Bericht über »Die Lage des Wetters in den Urlaubsmonaten im allgemeinen« zu verfassen. Der Reporter nahm sein Zelt und fuhr mit seinem Trabant kreuz und quer durch das Land. Drei Wochen später legte er einen Zettel auf den Redaktionstisch. Auf dem Zettel stand: »Das Wetter ist durchwachsen.« Nun trat der kulturell engagierte Teil der Leserschaft auf den Plan: »Urlaub ohi:ie Kunsterlebnis, Theater, Lichtbildvortrag oder Kabarett ist großer Mist!«
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»Bevor wir sone scharfe Glosse übers Wetter loslassen, müssen wir uns doch die Frage stellen: Können wir 's verändern?<<
Unser Reporter wurde in einige Urlaubszentren entsandt und sollte herausfinden, »ob die kulturelle Betreuung der Urlauber vollauf gewährleistet ist«. 14 Tage später lag des Reporters Ganz-kurz-Bericht vor: »Kultur ausreichend im Angebot.« Durstige Leser forderten daraufhin: »Die Frage der Wichtigkeit der Lösung der Frage der Getränkeversorgung sollte einmal scharf gestellt werden!« Der Reporter nahm sein Zelt, sah sich um und berichtete ganz kurz: »Getränkeversorgung mangelhaft.« Die ganze Sache lief also fabelhaft, bis ein Leserbrief aus Dresden-Pieschen die Redaktion aus allen Blütenträumen riß: »Wieso wird eigentlich immer nur vom Urlaub gesprochen? Müssen wir nicht schaffen, wenn wirweitervorankommen wollen? Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!« Reporter Z. eilte an die Urlaubsplätze an der See und im Gebirge. Sein Zelt hatte er stets bei sich. Er war vier Wochen unterwegs, dann jedoch hatte er seine Repräsentativ-Umfrage im Kasten. Das Ergebnis formulierte er in seinem Ganz-kurz-Bericht: »Die Urlauber freuen sich auf das Urlaubsende.<< Es war der letzte Ganz-kurz-Bericht, den Reporter Thomas Z. erstattete. Nicht, daß er auf Grund wütender Urlauberproteste zurücktreten mußte, nein, der Reporter war unter die Schriftsteller gegangen! Er hatte ein gesammeltes Werk seiner Ganz-kurz-Berichte herausgegeben. Das Werk hieß: »Das nicht völlige Abschalten in den Ferien.« Und so ging es: »Urlaub ist ein wichtiger Faktor zur Erhaltung und Reaktivierung der Arbeitskraft, Urlaub ist schön. Urlaub ist schöner, wenn die Zuganschlüsse alle ~ klappen, manchmal klappen sie jedoch nicht. Selbstverständlich spielt auch die Lage des Wetters in den Urlaubsmonaten eine entscheidende Rolle, aber im allgemeinen ist es durchwachsen. Allerdings ist ein Urlaub _. ._ ohne Kunsterlebnis, Theater, Lichtbildvortrag oder Ka~~~ barett - um es einmal volkstümlich auszudrücken ....J\{ großer Mist. Deshalb ist es wichtig, daß die kulturelle Betreuung der Urlauber vollauf gewährleistet wird. Untersuchungen haben ergeben, daß Kultur ausreichend im Angebot ist, was man von Getränken leider nicht sagen kann, und so freuen sich die Urlauber schon immer auf das Ende ihres Urlaubes. Denn erst kommt die Arbeit, dann das Vergnügen.« Die Redaktion wartet händeringend auf einen Leserbrief, der eine weitere interessante Frage aufwirft. Die Red.
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John Stave
Zu Weihnachten hatte Benno Falke, der Buchhalter mit der pädagogischen Ader, seinem achteinhalbjährigen Sproß Etzel einen Fußball geschenkt. Infolge der ungünstigen Wetterlage war aber an eine praktische sportliche Betätigung mit dem Gerät vorerst nicht zu denken gewesen. So verweilte man im Theoretischen. »Einmal«, erzählte Benno am Kaffeetisch, »hatte unsere Mannschaft - ich spielte damals Halbrechts bei Einheit Südwest einen Freistoß zugesprochen bekommen. Torentfemung etwa vierzig bis fünfundvierzig Meter. Unser Mittelstürmer, ein gewisser Jakobi, legte sich das Leder zurecht. Aber von den Rän. K d gen riefen die Zuschauer: »Benno, schieß du! Benno Benno kl otzte gegen d1e uge 1 un , hi ß , B t t u d ·t 11 sc e en. enno re en 1assen. n so we1 er.« · t d ·t d. b t z . so er1nner e am1 an 1e es en e1ten von Bimbo Binder, oder wie die »Die Zuschauer, die auf den Rängen riefen«, schalKanonen alle hießen. tete sich Anita Falke ein, »das war ich!« »Und ich finde es höchst unpassend«, empörte Benno sich, »daß du meine Methode, den Jungen für eine sportliche Betätigung zu erwärmen, durch äußerst unqualifizierte Zwischenbemerkungen - ä - quasi mit Füßen trittst.« »Ich habe nur Angst, du erzählst wieder deine komplette Fußballerlaufbahn und vergißt dabei, daß du es im Zenit deines Könnens bis zum Stammspieler in der Stadtliga gebracht hast; aber leider nur im dritten Hieb.« Benno fing an zu kochen. Gefährliche Röte stieg in sein Gesicht. »Am besten ist«, zischte Benno, »der Junge verschwindet jetzt.« Etzel - nach dem Wunsch des Vaters kommender Mitte·lstürmer der deutschen Nationalmannschaft - saß mit gefalteten Händen am Tisch und sah abwechselnd den Vater und dann wieder die Mutter an. Es war schon ein Kreuz mit dem Knaben! Er hatte zu nichts richtig Lust, keine Ausdauer. Die elektrische Eisenbahn konnte ihn im Höchstfall fünf Minuten fesseln. Der Plastikrevolver, der Tischtennisbälle herausschoß, drei. »Der kleine Elektriker« vom Opa wurde gar nicht erst ausprobiert. Zu einem Erfinder schien Etzel überhaupt nicht das Zeug zu haben. Auch dem jüngsten Versuch seines Vaters, ihn zum Fußballhelden zu entwickeln, brachte der zartbesaitete Bengel kaum Interesse entgegen.
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»Laß den Jungen ruhig hier.« Anita Falke blieb hartnäckig. »Aber erzähle ihm auch, wie ich dich nach manchem Spiel fast nach Hause tragen mußte und daß es nie was mit Tanzen wurde. Die schönsten Jahre meines Lebens, Etzelchen, hat deine arme Mutter hinter morschen Fußballplatzbarrieren und in verräucherten Vereinslokalen verbracht.« Anita strich ihrem blassen Sohn sachte übers Haar. Der Vater schnaufte. (,„ »Hör zu«, sagte er barsch. »Ich habe nie behauptet, daß ' ich eine große Kanone war. Es lag an meinem Vater, deinem Großvater, mein lieber Junge, der dem Kegelsport r verfallen war und für Bewegung in frischer Luft, Körper? ertüchtigung und so weiter nichts übrig hatte. Diesen I schweren Fehler, mein Sohn, werde ich an dir nicht bege- , hen. Und du, Anita«, setzte Benno mit ungewöhnlicher Schärfe bjnzu, »wirst mich nicht daran hindern. Basta! « · Benno begab sich auf den Korridor. Es rumorte eine Weile. Schließlich steckte er den Kopf zur Tür herein. ( »Wo sind meine alten Aufbauschuhe?« »Du hast vor hundert Jahren das letzte Mal aufgebaut. Die Schuhe hab ich bereits vor Jahrzehnten verbrannt.« »Dann spiel ich eben in den guten. Und du«, herrschte er seinen Sohn an, »sitz nicht rum und halte Maulaffen feil, sondern zieh dich an. Der Worte sind nämlich genug gewechselt!« Stolz stieg Benno Falke, den Ball unter dem Arm und gefolgt von seinem Sohn Etzel, dem künftigen Idol der deutschen Sportjugend, die Treppe hinunter. »Leb wohl, mein armes unglückliches Kind«, rief die Mutter ihnen besorgt hinterdrein. »Pädagogische Niete«, sagte Benno leise zwischen den Zähnen; doch Etzel hatte es mitbekommen. Die Falkes wohnten in einer komischen Straße. Es war eine Sackgasse, und am Schluß des Sackes hatte die Fahrbahn so eine Art Beule oder Ausbuchtung, damit die Autos umdrehen konnten. Aber Autos fuhren hier selten und schon gar nicht am Sonntag. Benno hatte diese Ausbuchtung als günstiges Trainingsgelände auserwählt. Hier schoben sich Vater und Sohn die Bälle zu. »Schieß nicht immer Pieke«, meckerte der Ex-Halbrechte von Einheit. »Hier, mit dem Innenrist wird geschossen. Und bewege dich. Schlaf nicht ein. Herrgott! Mit dem Innenrist, habe ich gesagt!«
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>>Heb die Quanten hoch!<< Benno Falkes Trainingskünste reichten nicht, aus dem Sohn einen Spartakiadesieger zu machen.
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Benno hatte schon wieder einen ganz roten Kopf. »Wenn man so was sieht. Lahmarsch!« 0 weh, das war dem Trainer nur so herausgerutscht. Benno bog seinem Sohn das Bein zurecht. »Hier, das Knie etwas einknicken, und dann aus dem Kniegelenk heraus wird das Leder getreten. Aber mit dem Innenrist, verstanden? Los!<< Etzel haute an einen Stein. Der Vater tobte. Der Junge heulte. Es war ein richtiges Sonntagsvergnügen. »Himmel noch mal! Heb deine Quanten hoch. Los, noch mal!« Etzel nahm drei Schritte Anlauf, trat an den Ball, der eine ganz schöne Fahrt bekam und - halbhoch - genau in Bennos Gesicht landete. »Das hast du mit Absicht gemacht«, heulte Benno auf. »Mit Innenrist!« verteidigte sich der schußgewaltige Knabe und besah sich interessiert die blutende Nase seines Trainers. Aber der wollte sich keine Blöße geben. Mit der einen Hand hielt er sich das Taschentuch an die Nase, und mit der anderen legte er sich den Ball zurecht. Innerlich war Benno Falke nämlich ganz froh über den gelungenen Schuß. Er wertete ihn als Anfang. »Paß auf. Ich werde dir jetzt vormachen, wie ich seinerzeit den Ball aus vierzig bis fünfundvierzig Meter Entfemung unhaltbar eindonnerte. Du stehst im Tor!« Da war plötzlich wieder der pfeilschnelle Halbrechte Falke von Einheit Südwest in seinem roten Jersey und der blitzweißen Hose. Da tobten wieder die Zuschauer auf den vollbesetzten Rängen. »Benno«, schrien sie. »Hau ihn ein, Benno !« Und Benno Falke klotzte gegen die Kugel. Es wurde ein klassischer Vollspannstoß, der an die besten Zeiten eines Bimbo Binder, eines Janes, eines Satrapa, eines Russow und wie die Kanonen alle heißen erinnerte. Und der Ball landete genau im Gehäuse. Wie damals. Nur daß es sich hier um keinen regulären Fußballplatz handelte. Das Gehäuse war vielmehr ein Reklame-Leuchtkasten mit der Aufschrift ZUR GUTEN LAUNE. Das heißt, so lautete die Beschriftung, bevor Bennos Granate einschlug. Und somit kommen wir auch zum erzieherischen Teil der vorliegenden Geschichte. »Wenn der Wrrt rauskommt«, instruierte der Scharfschütze geistesgegenwärtig seinen Schützling, »sagst du, du warst es. Und ich tu so, als wäre ich sehr böse mit dir, verstanden? Brauchst auch nicht mehr mit Fußballspielen. Zur Belohnung.«
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Ernst Röhl
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Diese unmaßgeblichen Bemerkungen sollen weitgehend ausschließen, daß es in nächster Zeit hin und wieder zu peinlichen Mißverständnissen kommt. er eic a e sc en 1sz1p en em nam mecklenburgischer Landesrekord im Kugelstoßen; 15, 78 Meter), verbringt seinen Sommerurlaub sowohl in Binz als auch in aller Seelenruhe, bis er eines schönen Tages am Strand auf eine Gruppe junger Männer mit fast vollkommenem Muskelrelief trifft, deren Tun, nein, deren Lassen ihn stutzig macht. Ihr Treiben ähnelt frappierend sportlicher Tätigkeit: Der eine - leicht, doch gespannt vorgebeugt, der Blick voraus auf das mit bloßem Auge nicht wahrnehmbare Ziel gerichtet. Ein Langstreckler am 5000Meter-Start? Der zweite - Musterbild eines Schwimmers; die Extremitäten des Unterkörpers sacht zu X-Beinen verstellt, der Rumpf energisch vorgereckt, die Arme nach hinten gerissen. Noch eine Zehntelsekunde bis zum Startschuß? Der dritte - geballte Kraft, breitbeinig. Erfolgslächeln, die gewaltigen Arme sieghaft emporgestreckt. Soeben 151 Kilo zur Hochstrecke gebracht? Der vierte - fast in der Hocke, Schwungbein, Standbein, Stoßarm angewinkelt, Stoßhand in der Nähe der Halsschlagader, Finger umklammern 100 Kubikzentimeter gesunde Meeresluft. Kugelstoßen? Kugelstoßen ohne Kugel? Gewichtheben ohne Hantel? Schwimmen auf dem Sand? 5000-Meter-Lauf ohne einen einzigen Schritt? Ex-Kugelstoßer Stemme wirft abwechselnd einen Blick auf den Rettungsturm mit der Rot-Kreuz-Flagge und einen auf die gutgewachsenen, braungebrannten Athleten. Immerhin, sie scheinen mit einem gesunden Körper ausgestattet zu sein. Und in einem solchen wohnt gewöhnlich ein gesunder Geist. Also blinder Alarm?
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Jawohl. Das, was auf den ersten Blick nach Leichtathletik aussieht und auf den zweiten Blick nach einer weniger harmlosen Angelegenheit, erweist sich auf den dritten Blick überraschend als Schwerathletik. Das Tun-als-ob bedeutet keineswegs sportliche Possen, sondern vielmehr sportliche Posen, und diese Art körperkultureller Betätigung ist völlig programmgemäß, d. h. dem Kraftsportprogramm des Deutschen Gewichtheber-Verbandes gemäß. Bislang kamen wir im Sport mit einer Pose aus, und zwar mit der Federpose im Angelsport. Das verdienstvolle, hektographiert vorliegende Programm für die Sportart Kraftsport in Klammem Kulturistik vervielfacht erfreulicherweise die Anzahl der gültigen Posen: »5. Bewertung der Posen In der Ausschreibung werden 6 Posen vorgeschrieben ... Um hier eine sportliche Note und den ästhetischen Ansprüchen gerechte Form zu finden, sollen sich die Posen in der Haupt„ h t . sache aus der Darstellung sportlicher BewegungsDaß der DFD demnac s einen . t' h W ttb b phasen zusammensetzen. . . kultur1s 1sc en e ewer um .t M'ß DDR h 'b a) Sportliche Posen: DiskuswurfSpeerwurfKugelden T1e1 1 aussc re1 en . . . stoß - Start beim Schwimmen - Start beim Lauf wird, ist nur ein Gerücht. Tauziehen ... Phasen vom klassischen Reißen und Stoßen ... « Wenn nicht alles täuscht, hat bei der Herstellung dieses Programms ein beliebter Schlager aus den SOer Jahren Pate gestanden: »Ich nehm die Gitarre und tu so, als wär ich Enrico Caruso ... « Doch jetzt Spaß beiseite! Die neue Sportart wünscht ernst genommen zu werden. Uberall im Lande stemmen junge Männer im Schweiße ihres ..f\ngesichts Abend für Abend Rundgewichte, Ubungshanteln, Kurzhanteln, Stützhanteln und umspannen von Zeit zu Zeit mit der linken Hand prüfend den Bizeps des rechten Armes, um sich zu vergewissern, daß er wie geplant wächst und gedeiht. »Das Bestreben, eine schöne Figur zu erhalten, ist gerade bei jüngeren Menschen ausgeprägt.« Und darum ist es das erklärte Ziel des Kraftsportprogramms, »ein möglichst vollkommenes Muskelrelief zu entwickeln«. Die »schöne Figur« ist dem Programm zufolge endlich nicht mehr erfreuliches Nebenergebnis bei der Sportausübung, sondern der Ziele höchstes. Entsprechend sind für den Wettkampf die Übungen Bankdrücken Kniebeugen, klassisch Reißen (dem Gewichtheben entlehnt), Bodenturnen sowie als Abschluß und Krönung die Übungen ••
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»Bewertung der Figur« und »Bewertung der Posen« vorgesehen, der absolute Clou der Meisterschaft mit der prickelnden Sammelbezeichnung Körperschau. »Die Wettkämpfer stellen sich einzeln vor und führen %-Drehungen aus.« - In Badehose und gut geölt, wie wir von der Meisterschaft 1965 wissen. Unbestechlichen Auges benoten die drei Kampfrichter den Gesamteindruck und »die Proportionen der Hauptmuskelgruppen«. Und wehe, es spannt einer seinen Bizeps, um einen besonderen Effekt zu erzielen (wie er das als kleiner Junge immer getan hat)! - »Jede Muskelanspannung führt zum Punktabzug.« Nachdem solcherart die Kämpfer eine mehr oder minder gute Figur gemacht haben, gehts an die bereits oben eingehend beschriebenen Posen. »Diese müssen innerhalb einer Minute gezeigt werden. Eine Pose muß mindestens 5 sec betragen und darf 10 sec nicht überschreiten.« - Das heißt also 10 Sekunden Speerwurf, 10 Sekunden Kugelstoßen, 10 Sekunden Trockenschwimmen und so weiter. Heiliger Poseidon! »Bewertung: Es werden für die einzelnen Posen bestimmte Höchstpunkte festgelegt ... Es werden die Schönheit•• der Posen, die Exaktheit der Posen ... und die Ubergänge von einer Pose zur anderen bewertet.« Und wer sich am positivsten in Positur zu stel- --··; len vermag, wird Deutscher Mister. Verzeihung, Deutscher Meister. Was nun die Gleichberechtigung der Geschlechter angeht, so ist uns der Kraftsport in Klammem Kulturistik noch allerhand schuldig; denn daß der DFD demnächst einen kulturistischen Wettbewerb um den Titel Miß DDR ausschreiben wird, ist nur ein Gerücht. Aber der Kraftsport wirds schon machen. Schließlich »ist es auch ein gesellschaftliches Anliegen, im Sozialismus Menschen zu haben, die auch durch ihre Figur einen gesunden, leistungsfähigen Menschen darstellen<<. Schön, daß wir außer Väterdarstellem und Darstellern jugendlicher Liebhaber nun endlich auch Darsteller gesunder leistungsfähiger Menschen haben. Schlag nach bei Shakespeare: »Welch ein Meisterwerk ist der Mensch! wie edel durch Vernunft! wie unbegrenzt an Fähigkeiten!«
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Jochen Petersdorf
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Der bekannte Preisträger Meier-Motzen widmet sich in letzter Zeit vorwiegend der Pflege seiner Gesundheit. Er treibt viel Sport und bevorzugt dabei die nervenschonenden Disziplinen ohne großen Trubel. Er hat sich ein schmuckes Segelboot zugelegt, ist dem Anglerverband beigetreten und geht wandern. Kürzlich war Ansegeln. Hunderte Segelboote mit fröhlichen Sportmenschen tummelten sich auf dem Brömmeritz-See. Zünftige Scherzworte, kameradschaftliche Anpflaumereien, flotte Recorderklänge und RadioWetterberichte schwebten von Boot zu Boot und ließen die Wellen der Stimmung hochschlagen. Abends war Disko im Seglerheim. Hei, wie da die Ohren glühten. Noch lange saß Meier-Motzen nachts im Bett und sang laut und krächzend: »Yeah, yeah, yeah! « Neulich war Anangeln. Hunderte fröhliche Angler tummelten sich ~am Brömmeritz-Kanal. Zünftige Scherz-----worte, kameradschaftliche Anpflaumereien, flotte Recorderklänge und Radio-Wetterberichte schwebten von Rute zu Rute, und Stimmungskanone Eddi Poser ließ seinen Baß dröhnend über die Wellen streichen. Abends war Disko im Anglerheim. Hei, wie da die Ohren schmorten. Noch lang saß Meier-Motzen nachts im Bett und sang, an allen Gliedern zuckend: »Uooh, uooh, uooh!« Vorgestern war Anwandem. Hunderte fröhliche Wanderer tummelten sich im Unterholz des Brömmeritzer Forstes. Scherzworte, Anpflaumereien, Recorderklänge, Radio-Wetterberichte und rauhkehlige Wanderliedgesänge schwebten von Ast zu Ast, und die Kampfrichter und Schrittmaßkontrolleure umkreisten auf nervigen Motorrädern das waldluftschnuppernde Wandervolk. Abends war Disko im Wanderer-Heim. Hei, wie da Ohren qualmten! Noch lange saß Meier-Motzen nachts im Bett und sang strampelnd das alte Wanderlied: »Uffta-uffta-wuff-puff!« Wie gesagt, Meier-Motzen widmet sich in letzter Zeit vorwiegend der Pflege seiner Gesundheit. Bravo, Motzi, bravo!
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. Der nanunerwerfer aus der DDR wirft Weltrekord. Auf die Frage des Reporters, was denn seine näch· Sichel dran ...
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Rudi Strahl
Es gibt kaum etwas Aufregenderes als ein großes Sportereignis, das, sagen wir, am frühen Nachmittag stattgefunden hat und am späten Abend vom Fernsehfunk übertragen werden soll. Zunächst scheint das freilich noch ungewiß, denn die Programmvorschauen der Zeitungen kündigen teils eine griechische Tragödie, teils einen Tanzkurs an, und nur auf den Sportseiten heißt es optimistisch, daß »natürlich« der Länderkampf im Eishockey (Fußball, Handball etc.) auf dem Bildschirm zu sehen sein wird. Na Gott sei Dank! . Man freut sich schon die ganze Woche darauf und geht ab vierzehn Uhr des betreffenden Tages allen Leuten aus dem Wege, die das Ergebnis bereits aus dem Radio kennen. Denn sie sind meist boshaft oder einfältig genug, es einem unverzüglich mitteilen zu wollen. »Nein!« schreit man entsetzt. »Sei still! Ich will es heute abend am Bildschirm erleben!« Wie durch ein Wunder bewahrt man die spannende Ungewißheit sogar über die »Aktuelle Kamera« hinweg, in der ein gleichgültiger Sprecher sagt: »Das heutige Länderspiel im Eishockey gewann ... « Ein verzweifelter Brüller übertönt ihn. Genau wie den Conferencier der nachfolgenden Unterhaltungssendung, der aus dem Resultat des Länderkampfes einen spärlichen Witz zurechtgeschustert hat. Aber endlich ist es soweit. Die Ansagerin lächelt ihr süßestes Lächeln und flötet: »Und nun, liebe Sportfreunde, sehen Sie die Aufzeichnung des Länderkampfes vom heutigen Nachmittag, den unsere braven Jungs ... « · Man hält sich erschrocken die Ohren zu und schließt die Augen, um das »gewonnen« oder »verloren haben« nicht im letzten Augenblick von ihren Lippen abzulesen. Auch das gelingt - welch ein Glück! Ihr Bild verschwindet, die brodelnde Arena erscheint, und unser Lieblingsreporter ergreift das Wort. Wie schön! '
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))Den großen Wagen kriegt er immer prächtig hin!<<
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Wie schön - falls er die Reportage an Ort und Stelle des Geschehens gesprochen hat. Was gelegentlich vorkommt. Es kommt aber auch vor, daß er die Aufzeichnung im nachhinein kommentiert, Verlauf und Resultat des Länderkampfes also ebensogut - nein, besser kennt als die Leute, denen man so geflissentlich aus dem Wege gegangen ist. Und dann wehe uns armen Zuschauern! Denn ein Sportreporter ist ja auch nur ein Mensch. Den die göttliche Allwissenheit drückt wie ein zu enger Schuh. Natürlich platzt er nicht direkt mit dem Ergebnis heraus, doch versäumt er keine Gelegenheit, uns spüren zu lassen, daß die Geschichte für ihn schon ein alter Hut ist. Er steht über den Dingen. Und über uns. Wrr fiebern bei einem Angriff unserer Jungs aufs gegnerische Tor. Er wird so explosiv vorgetragen, daß uns die Spannung den Atem verschlägt. Aber noch vor der Mittellinie sagt der Reporter geringschätzig: »Da wird nichts draus. Nein, da wird nichts draus. Gleich verzieht Meier den Querpaß ... da ... da ... na bitte!« Vor Enttäuschung hat man gar nicht mehr hingeguckt nach dem Querpaß. Doch nun aufgepaßt: Zwar vollzieht sich auf dem Spielfeld ein ganz simples Geplänkel, aber der Reporter hebt seine Stimme und schnattert: »Aus dieser simplen Situation entwickelt sich gleich der Führungstreffer ... achten Sie auf Müller, meine sehr verehrten Zuschauer ... er wird sofort ... !« Peng. Tor, natürlich. Was sonst? Theoretisch sind wir ja auch schon WfR GRÖssTEN DlE viel, viel weiter, denn noch vor dem FRIEDEN5FAf1RER Abpfiff des Schiedsrichters verrät uns der Reporter: »Gleich wird noch ein Tor fallen, aber es wird nicht anerkannt werden, da es aus dem Abseits erzielt wird. Sehen Sie selbst ... « Wozu eigentlich? Man greift mißgestimmt nach einer Zigarette und achtet nicht einmal mehr auf das Gekabbel der Spieler . •
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mit dem Schiedsrichter. Umsonst, Jungs. Dieses Tor wird nicht anerkannt werden. Weil es aus dem Abseits erzielt worden ist. Die nächsten Minuten vergehen bei unproduktivem Mittelfeldgefummel - das heißt, es sieht eigentlich gar nicht so aus, doch unser Reporter behauptet es und benutzt die Gelegenheit, einen Blick aufs große Ganze zu werfen. »Ja«, sagt er, »bis jetzt hat es tatsächlich noch den Anschein, als hätten unsere Jungs das Spiel in der Tasche. Was für ein tragischer Irrtum.« Wenn er wenigstens nur »Irrtum« gesagt hätte. Aber »tragischer Irrtum«? Das kann doch nur bedeuten ... Natürlich. Und bald weiß man alles, denn noch vor dem Führungstreffer des Gegners sagt der Reporter mit gramerfüllter Stimme: »... zeichnet sich das Endergebnis deutlich ab. Geben Sie sich keinen Illusionen über diesen Angriff unserer Jungs hin, verehrte Zuschauer, es ist sowieso das letzte Aufbäumen.« Das ist es tatsächlich, denn spätestens jetzt wälzt man sich aus dem Sessel und geht zum Guckkasten, um ihn abzudrehen. Wie hoch wir verloren haben, kann man ja auch morgen früh in der Zeitung lesen. Braucht man aber nicht, denn in diesem Augenblick fällt das Führungstor des Gegners, und unser Reporter sagt zuvorkommenderweise: »Dieser Spieler, liebe Zuschauer, wird übrigens auch das nächste und letzte Tor des Spieles schießen.« Auf die Böcke, die der Reporter noch schießen wird, ist man gar nicht mehr neugierig. Also eins zu drei. Aber das hätte man auch schon am frühen Nachmittag erfahren können!
SeAwttrzos SeAttl Kein Staatsmann reichte ihm die Hand, kein Trainer und kein Leiter. Es rügte ihn der Sportverband. Warum? Er wurde Zweiter. Hansgeorg Stengel
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Lothar Kusche
Auf der Treppe rempelte mich jemand an und sagte: »Hoppla.« Ich mag es nicht, wenn mich jemand anrempelt und dann »Hoppla« sagt, weil das genauso albern ist, als würde man jemand ins Gesicht niesen und hinterher »Kuckuck« rufen. »Sehen Sie sich doch vor«, sagte ich; aber dann erkannte ich den Anrempler, und alles war verziehen. Es war Erwin, ein Eine Ehefrau erwartet von ihrem geplagter Mann, der Leiter der Kulturgruppe, der Gatten nicht nur, daß er BuddelVorsitzende der BGL, der Beauftragte für Verbeskästen baut, die Maschinenölung serungsvorschläge, der Redakteur der Wandzeitung verbessert und die Bevölkerung über und Leiter des Seminars »Für die Verbesserung der Goethes Arbeitsmethoden aufklärt. sparsamen Maschinenölung«; ein gehetztes, nervöses Geschöpf, dem man wahrlich nicht böse sein konnte, wenn er einem, von Amt zu Amt eilend, auf der Treppe in die Seite stieß. Denn Erwin war außerdem ehrenamtlicher Kassierer der Sektion Philatelie in der Ortsgruppe des Kulturbundes, Hausvertrauensmann, Stadtteilbeauftragter für die Verschönerung der Parkanlagen durch freiwilligen Pflanzdienst, Mitglied des Elternbeirats der hiesigen Schule, Volkskorrespondent der »Tribüne«, Literaturdozent der Volkshochschule und Gatte einer dreiundzwanzigjährigen Frau Johanna, die unter ihrem rotblonden Hruirschopf eine Figur machte, nach der man sich auch auf größeren Straßen umzudrehen pflegt. Außer, wenn man sehr gut erzogen ist, aber dann ärgert man sich, daß man so gut erzogen ist und sich deshalb nicht umdrehen darf. »Erwin, altes Haus«, sagte ich, »was macht die Kunst?« »Danke, mein Junge«, entgegnete er freundlich, »bin in großer Eile. Stadtteilkonferenz für neue Buddelkästen. Eben in der BGL Ferienplätze verteilen müssen, saure Sache. Heute abend ... « »Was macht deine Frau?« fragte ich höflich. »Heute abend Referat: Bildeten Goethe und Eckermann ein echtes Kollektiv? - Was meine Frau macht? Hm. Ich sehe sie nicht so oft. Gestern abend habe ich die Wandzeitung redigiert, vorgestern tagte der Elternbeirat ... « »Dann werde ich dir mal erzählen, was deine Frau macht.« »Du? Da bin ich aber gespannt.« »Das glaube ich«, bemerkte ich kühl, »deine Frau betrügt dich.« Erwin machte »Papp« und schwieg. Er sah mich aus seinen großen Augen an; aus den ruhelosen Augen des rasenden Vor-
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sitzenden, Beiratsmitgliedes, Kommissionsleiters und Stadtteilbeauftragten. »Das ist nicht wahr«, ächzte er, »das ist nicht wahr, weil es nicht wahr sein kann.« »Formale Logik«, bemerkte ich. »Nein, nein«, versetzte er atemlos, »ich rackere mich ab, ich baue Tag und Nacht auf, ich schaffe Werte, und Johanna ... « »Eine Ehefrau«, erläuterte ich, »erwartet von ihrem Gatten nicht nur, daß er Buddelkästen baut, die Maschinenölung verbessert und die Bevölkerung über Goethes Arbeitsmethoden aufklärt. Dies wird ihr im allgemeinen nicht genügen; es ist sozusagen eine Temperamentsfrage. « »Sehr bürgerlich gedacht!« rief Erwin. »Quatsch«, sagte ich, »das ist realistisch gedacht.« »Üh«, stöhnte Erwin, »meine Johanna! Das ist ja grausam!« »Das ist nicht grausam, das ist natürlich«, sagte ich, »du kümmerst dich doch überhaupt nicht um deine Johanna, du Heini.« »Ich weiß ja kaum, wo mir der Kopf steht ... « »Oben«, sagte ich. »Wenn das stimmt«, fuhr Erwin fort, »aber ... ach! Ich glaube das nicht! Woher willst du das überhaupt wissen!?!« »Ganz einfach«, sprach ich mit Würde, »weil sie dich nämlich mit mir betrügt.« Ich hatte das unbestimmte Gefühl, ihn getroffen zu haben, und trat vorsichtshalber einen Schritt zur Seite. »Ich schlage dir die Fresse kaputt«, bot er mir freundlich an. »Kümmere dich lieber um Johanna«, sagte ich. »Worauf du dich verlassen kannst! « brüllte er. »Heute abend lasse ich das Referat sausen, heute abend bin ich zu Hause!« Da gingen wir auseinander. Natürlich hatte ich ihn aus erzieherischen Gründen angelogen. Denn selbstverständlich habe ich ihn nicht mit Johanna betrogen. Es wäre gar nicht möglich, selbst wenn ich es gewollt hätte und wenn sie es gewollt hätte. Woher sollte ich die Zeit dazu nehmen! Ich bin Repetitor unseres Werkchors, erster Väterspieler der Laienspielgruppe, Protokollführer der Kontrollkommission, Leiter der Sichtwerbung in unserer Straße, Vorsitzender des Technischen Kabinetts, Gerätewart in der BSG, Sektion Hallenturnen, Mitarbeiter des Ausschusses zur Überprüfung der Kantine; und dann bin ich noch etwas - und.gerade das stimmt mich plötzlich nachdenklich. Ich bin nämlich auch verheiratet.
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Im Filmhit aus dem fahr 1966 steuern die Verliebten den sicheren Hafen der Ehe an.
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Günter Krone
' IH Robert Koller liebte zu dieser Zeit ein Fräulein Anita Käseberg derart heftig, daß er ernstliche Absichten hegte. Als nun Fräulein Käseberg vorschlug: »Wir könnten doch am nächsten Sonntag ein Stück in die Natur fahren und unsere lieben Mütter mitnehmen, damit sie sich einmal kennenlernen und auch ein wenig Freude haben«, hielt er das für eine gute Idee. So gewaltig war seine Liebe. Am Sonntag früh fuhr Robert in seinem Trabanten zur verabredeten Stunde vor. Bei Käsebergs war die HausOffenbar ist ein Trabant für längere tür geschlossen. Die Klingel war kaputt. Robert hupte. Aber nichts tat sich. »Mein armer Junge, nun Fahrten nicht geeignet. Das traf lassen sie dich auch noch warten«, sagte Frau KolRobert mitten ins Herz. ler bedauernd. Das Zittern ihrer Stimme ließ Robert auf eine Seelenverfassung schließen, die dem Gelingen des Ausflugs nicht günstig war. Er wurde nervös. Nach zwanzig schlimmen Warteminuten kamen endlich Anita und Mama aus dem Hause. Sofort tat Frau Käseberg mit sicherem Instinkt das einzig Falsche. Sie fragte: »Warten Sie schon lange?« Frau Koller, nicht gesonnen, das ihrem armen Jungen angetane Unrecht ohne weiteres hinzunehmen, erwiderte strenge: »Ja, eine halbe Stunde.« Diesen Ton empfand Anitas Mutter als unpassend. Und als Robert losfuhr, saßen auf den Hintersitzen zwei verstimmte Frauen, die sich auf Anhieb unsympathisch waren. Robert, beim Stichwort Schwiegermutter sowieso gehemmt, fühlte sich unbehaglich und war auffällig schweigsam. Anita, dickfelliger als er, fragte ihn, was er habe. Robert, der in Gegenwart der Mütter keine Erklärung geben konnte, log: »Nichts.« Trotz eingehender Vernehmung ging er von dieser Antwort nicht ab. Da wurde auch Anita sauer, weil ihr Robert verschwieg, was mit ihm los war. Jetzt ärgerte sich Robert, daß Anita so schwer von Begriff war. In solcher Lage muß der Raucher zur Zigarette greifen. Frau Käseberg brannte sich eine an. Als sie genießerisch die erste Rauchwolke ausstieß, hustete Roberts Mutter, daß die Lungenflügel krachten. Wohl oder übel mußte sich Frau Käseberg erkundigen, ob sie weiterrauchen dürfe, selbstverständlich in der Erwartung, es werde ihr gestattet. Doch Frau Koller bat,
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das Rauchen einzustellen, da sie den Qualm nicht vertrage. Mit finsterem Gesicht warf Anitas Mutter ihre F 6 aus dem Fenster. Um frische Luft zu bekommen, drehte Roberts Mutter eine Scheibe herunter. Sogleich klagte ihre Gegenspielerin, sie werde von Zugluft krank. Im Auto herrschte eine Stimmung wie unter Erben, die viel am Testament auszusetzen haben. In der Hoffnung, eine Abwechslung werde die Atmosphäre bessern, schlug Robert eine Fahrtunterbrechung vor. »Von mir aus«, sagte Frau Käseberg gnädig, »ich habe sowieso Appetit auf eine Tasse Kaffee.« »Anhalten: ja«, erklärte Frau Koller, »aber wollen wir nicht lieber ein Stückchen laufen?« Robert suchte zu vermitteln: »Gehen wir doch erst spazieren und dann eine Tasse Kaffee trinken.« Frau Käseberg seufzte. Zugunsten ihrer Mutter mischte sich Anita ein: »Wollen wir nicht wenigstens erst Kaffee trinken und danach wandern?« - »Meinetwegen«, sagte Robert erschöpft. Jeder war unzufrieden, Frau Koller mit dem Kaffeetrinken, Anitas Mutter wegen des Wanderns, Anita, weil Robert keinen Weg wußte, der alle zufriedenstellte, und Robert, weil jeder unzufrieden war. Der Kaffee in der Raststätte war eine schreckliche Flüssigkeit. Frau Käseberg verzog das Gesicht, und ihre Stimmung fiel von minus zehn auf minus zwanzig Grad. Das hob vorübergehend die Laune von Roberts Mutter, die sich ganz dem Genuß der Schadenfreude hingab. Aufgeräumt sagte sie: »Nachdem wir nun gemütlich Kaffee getrunken haben, wollen wir wirklich etwas laufen.« Frau Käseberg lief rot an. Frau Koller schritt rüstig aus, um möglichst viel vom Wald zu sehen. Anitas Mutter dagegen verhielt den Schritt, weil sie nicht so weit laufen wollte. Und sie war ungehalten, weil Frau Koller so rannte. Roberts Mutter wiederum nahm es übel, da~ Frau Käseberg derartig schlich. Anita, die nicht wußte, was sie tun sollte, machte Robert zum Vorwurf, daß er nicht wußte, was er tun sollte. Seine Versuche, den Sturmschritt seiner Mutter zu bremsen, ärgerten seine Mutter, weil sie überhaupt unternommen wurden, und Anitas Mutter, weil sie erfolglos blieben. Als sie dann endlich umkehrten, hatte es Frau Käseberg eilig, denn sie wollte sich schleunigst ins Auto setzen. Frau Koller hingegen schlenderte gemächlich, weil sie sich so schwer vom Walde trennen konnte. Beim Auto angelangt, waren die Mütter in einer V~rfassung, in der gewisse Staatsmänner das
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Völkerrecht mit Füßen treten. Auf der Rückfahrt leierte Frau Koller rücksichtslos das Fenster herunter. Frau Käseberg rauchte Ketten. Anita, die nun endgültig im Fahrwasser ihrer Mama segelte, erzählte, ihr schliefen die Füße ein, offenbar sei ein Trabant für längere Fahrten gar nicht recht geeignet. Das traf Robert mitten ins Herz und ließ seine Liebe verenden. Als er am Abend den Wagen in der Garage abstellte, tat er das mit dieser Überzeugung: hätte Julia eine solche frevelhafte Bemerkung gemacht, Romeo hätte sie alleine sterben lassen. Aber Romeo hatte kein Auto. Man sieht, wie sehr die moderne Technik die menschlichen Beziehungen beeinflußt.
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Jenes Faschingsvergnügen besuchte ich als Mönch, das heißt - um Mißverständnissen vorzubeugen - in der Verkleidung eines Mönches, als Faschingsmönch also. Dieses nur Scheinheilige gestattete mir natürlich, dem schöneren Geschlecht alle meine Aufmerksamkeit zu widmen, das mir in Hülle und Fülle, in Rokoko- und Biedermeierkostümen, meist jedoch in jenen großzügig-modernen, aus spärlichsten Tuchresten verfertigten hauchzarten Bikinigewändern seine Reize offenbarte. Als wirklichem frommem Bruder hätte mir solches Tun sicherlich übel angestanden, ja, es hätte sich wohl gar von selbst verboten, wenn ich über . den Lebenswandel dieser ehrwürdigen Leute recht informiert bin. Doch ich will nicht abschweifen. Das Erlebnis, das Ein- oder zweimal irritierte mich mir bevorstand, sollte so einmalig werden, daß es ihr Lachen, mir war, als hätte ich ganz für sich mitgeteilt zu werden verdient. es schon irgendwo gehört. Gleich zu Anfang des Abends sah ich ein Mädchen was sage ich -, einen Engel, eine Fee, ein Märchenwesen, wie es lieblicher und graziler nicht vorzustellen ist. Sie trug eines von den Gewändern, die ich wenige Zeilen weiter oben mit augenzwinkernder Erinnerungsfreude beschrieben habe. Vorwegnehmen muß ich jedoch ein Bekenntnis, das mich gleichermaßen belastet wie entschuldigt: Meine eigene Frau war für ein paar Tage zu ihrer Mutter ins Sächsische gefahren, und ich erwartete sie erst am folgenden Tag zurück. Sie hatte mir zwar für diesen Abend einige Freiheiten eingeräumt, aber das waren nur eben soviel, wie sie günstigenfalls einem Primaner als befriedigend erschienen wären, dem die Mutter ein Fünfmarkstück mit dem Bemerken zusteckt, er solle keine Dummheiten machen und spätestens um Mitternacht zu Hause sein. Ich schwöre, ich hatte keine Dummheiten vor. Aber wie schnell erstickt der gute Vorsatz eines Mannes, wenn sein natürlicher Schönheitssinn von ihm Besitz ergreift und seine Gedanken vollauf damit beschäftigt sind, sich etwas zwar Verbotenes, vielleicht aber gerade aus diesem Grunde ungeheuer Reizvolles vorzustellen! Diese Empfänglichkeit für das Schöne, meine ich, ist allen Männern eigen, soweit sie keine vollendeten Trot-
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tel sind und ihren hundertsten Geburtstag noch vor sich haben. Die Fee, wie ich sie nennen möchte, war zweifellos eine Krone der Schöpfung. Ihre schlanken Arme und Beine, die wohlgeformt und rosig den Beweis antraten, daß auch alles übrige an ihr, was nicht sichtbar oder doch nicht hüllenlos sichtbar war, von ähnlichem Ebenmaß sein müsse, bewegte sie in einer Art, die jeder indischen Tempeltänzerin Ehre gemacht hätte. Ihre Augen, die ich durch die engen Maskenschlitze glänzen und irrlichtern sah, verhießen mir soviel, daß ich, wie man so sagt, das Gebälk im Saal knistern zu hören wähnte. Ein- oder zweimal irritierte mich ihr Lachen, mir war, als hätte ich es schon irgendwo gehört; aber ich sagte mir bald, daß diese Annahme nur meiner überhitzten Phantasie zuzuschreiben sein konnte. Man rechne es mir nicht als Eitelkeit an, wenn ich behaupte, daß sie an mir offenbar nicht weniger Gefallen fand als ich an ihr. Sie gab allen Männern, die sich ihr nahten und sie zum Tanz auffordern wollten, einen Korb, nur mir nicht. Im Gegenteil: Von mir ließ sie sich sogar an die Bar führen und nach einer Flasche Sekt zum ersten Kuß verleiten. »Prösterchen, Mönchlein«, sagte sie hin und wieder mit einem rätselhaften Lächeln, und jedesmal überlegte ich, wo ich ihre Stimme schon gehört haben könnte. Nach und nach verblaßten jedoch diese Erwägungen, zumal sie mir mehr an Freiheiten gestattete, als selbst beim Fasching allgemein üblich ist. Mein Herz sprang himmelhoch, und meine Bemühungen wurden von Stunde zu Stunde, von Flasche zu Flasche im gleichen Maße feuriger, wie sie duldsamer und nachgiebiger wurde. »Prösterchen, Mönchlein«, hauchte sie, als die großen Lampen im Saal erloschen und nur noch winzige bunte Lampions ein wohltuendes, vielverdeckendes Dämmerlicht verbreiteten. Sie hatte vor Stunden die nämlichen Worte gebraucht, aber der Ton macht die Musik, und ihre Stimme war gegen Mitternacht vielversprechender denn je.
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))Statt des Autogramms hättest du dir lieber die Adresse geben lassen sollen.<<
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Mit einem kleinen Beben in der Stimme sagte ich, daß ich in meiner Wohnung noch eine Flasche herrlichsten Burgunders stehen hätte, und verband damit das Angebot, diese Flasche in traulicher Zweisamkeit zu trinken und anschließend sofort in den Trubel des Abends oder Morgens zurückzukehren. Sie lächelte mich rätselhaft an und nickte. Ich weiß heute kaum noch zu sagen, wie ich so schnell unsere Garderobe und eine Taxe beschafft habe. Ich weiß nur, daß ich im Auto zum Generalangriff überging, und daß ihre Großzügigkeit beinahe ohne Grenzen war. Beinahe. Als ich jedoch ihre Maske entfernen wollte - ich muß zugeben, sie störte mich, und meine hatte ich gar nicht erst aufgesetzt -, wehrte sie es ab. Ich hatte indes keine Zeit, länger über ihr seltsames Gebaren nachzudenken, denn die Taxe hielt vor meinem Haus. Gott sei Dank - die Nachbarn schliefen, die Treppen knarrten nicht, und die Tür ging so leicht auf, als hätte ich sie in leichtsinniger Absicht geölt, bevor ich weggegangen war. Und dann saßen wir nebeneinander auf der Couch. Die kleine Beklemmung, die ein flüchtiger Gedanke an meine Frau in mir wachrief, überwand ich mit tausend Entschuldigungen, die ein Mann für solche Fälle parat hat. Das Radio schickte eine leise Musik ins Zimmer, der Wein - es war simpler Riesling, den Burgunder hatte ich selbstverständlich erlogen-, der Wein also funkelte in den Gläsern, und ich sah mich dem Ziel meiner leichtfertigen Wünsche sehr, sehr nahe. Ich bestürmte sie, doch endlich die Maske zu entfernen. Sie wehrte sich lange, aber schließlich ließ sie sich erweichen. Mit zögernden Fingern nestelte sie die Bänder los. Die Maske fiel. Es war nicht meine Frau.
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Renate Holland-Moritz
Otto und Luise saßen beim Frühstück. Otto hatte schlecht geschlafen, denn seine Galle piesackte ihn. Als er an seinem Kaffee genippt hatte, sagte er: »Na, da hast du ja weder Mühe noch Wasser gespart.« Luise hatte gut geschlafen. »Reg dich nicht auf«, sagte sie freundlich, »so ist er viel gesünder. Außerdem solltest du mit deiner Galle überhaupt keinen Kaffee trinken ... « Otto spürte einen stechenden Schmerz und wurde böse. »Vielen Dank für die rührende Fürsorge. Nicht einmal der Schluck Kaffee am Morgen wird einem gegönnt. Wer verdient hier eigentlich das Geld?« »Unter anderem ich«, sagte Luise. »Daß ich nicht lache«, sagte Otto giftig. Nun war Luise auch böse. Sie sprach kein Wort mehr, räumte den Frühstückstisch ab und ging grußlos aus dem Haus. Der Gemüsekonsum, in dem Luise Verkäuferin war, hatte Champignons bekommen. Luise war brummig, aber die Kundschaft freute sich, denn es gab selten Champignons. Gegen zehn fragte ein Herr: »Wieso kostet der Beutel bei Ihnen fünf Mark?« Lulse sagte wütend: »Weil ein Pfund drin ist. Und das Kilo Champignons kostet zehn Mark. Vielleicht können Sie sich den Rest allein ausrechnen.« Der Herr ••fing an zu zittern. »Ich verbitte mir Ihren unverschämten Ton! Uberall woanders kostet so ein Beutel vier Mark.« »Dann kaufen Sie doch woanders«, keifte Luise und riß dem Herrn den Beutel Champignons wieder aus der Tasche. Der Herr arbeitete als Materialverwalter in der PGH »Fröhliche Baugesellen«. Er hatte seit Jahren eine Gastritis und konnte nach dem Ärger mit der Verkäuferin vor Magenschmerzen kaum noch stehen. Er wollte sein Beruhigungspulver nehmen und sich ein wenig auf die Couch in seinem Büro legen. Da meldete ihm die Sekretärin, eben würden hundert Sack Zement geliefert, und er möge sich um die Lieferscheine kümmern. Seine Magenschmer-
Wo wir sind, ist vorn
zen verstärkten sich. Als er vergnatzt auf den Hof ging, sprach ihn eine ältere Dame an, die vor einem halben Jahr einen Sack Zement bestellt hatte. »Harn wir nich, kriejen wir auch vorläufich nich rin«, sagte er und ließ die ältere Dame neben den hundert Zementsäcken stehen. Die Dame brauchte den Zement dringend und war deshalb äußerst ungehalten über die offensichtliche Lüge des Materialverwalters. Der Fahrer des Ein-Mann-Autobusses, in den sie einstieg, verlangte passendes Fahrgeld. Sie hatte keins. Aus Nervosität fing sie Streit an. Der Fahrer regte sich furchtbar auf und warf die ältere Dame hinaus. Wegen des akuten Personalmangels hatte der Fahrer noch eine zweite Schicht fahren müssen, und demzufolge war er jetzt todmüde. Der Streit mit der älteren Dame hatte den ohnehin überreizten Mann dermaßen wütend gemacht, daß er die Nerven verlor und an der nächsten Haltestelle eine junge Mutti mit Kinderwagen nicht mitnahm, obwohl im Bus noch genügend Platz war. Die junge Mutti war Lehrerin. Weil sie ihr Kind nicht pünktlich zur Krippe bringen konnte, kam sie zu spät zum Unterricht. Gerade an diesem Tage wollte der Schuldirektor hospitieren. Aus lauter Verlegenheit und Ärger leitete sie den Unterricht schlecht. Das wiederum machte sie so kribbelig, daß sie in der großen Pause eine Kollegin grundlos beleidigte. Die Kollegin bekam daraufhjn Herzschmerzen. Während ihres Unterrichts fiel dem Schüler Jürgen Z. versehentlich ein Lineal von der Bank, wofür sie ihm eine Vier in Betragen eintrug. Jürgen fühlte sich ungerecht behandelt und platzte fast vor Wut. Nach der Schule ging er nicht (wie üblich) gleich nach Hause, sondern trieb sich noch herum. Er nahm spielenden Kindern die Bälle weg und schmiß sie auf die Straße. An einer Baustelle kippte er einen Eimer mit Mörtel um. Als ihn ein Maurer zurechtwies, zeigte er dem einen Vogel und rannte davon. Der Maurer schimpfte laut über die verkommene Jugend von heute und bekam Gallenschmerzen. Die Tafel Schokolade, die er seiner Frau Luise zur·Versöhnung mitbringen wollte, aß er vor Wut selber auf.
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Hansgeorg Stengel
y11' Er wußte natürlich, daß Gedichte, besonders ernste, schwer abzusetzen sind, aber immer nur Romane und Dramen wollte der junge Autor Johann Wolfgang Goethe partout nicht schreiben. Und so dichtete er: Wanderers Nachtlied Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln spürest du kaum einen Hauch. Die Vöglein schweigen im Walde. Warte nur, balde ruhest du auch. Johann Wolfgang Goethe
Auf Anraten des Weimarer Kulturbund-Kreissekretärs schickte Goethe das Gedicht zuerst an den »Sonntag«. Der schrieb zurück: Sehr geehrter Herr Goethe! Wir haben uns über Ihre talentierten Verse sehr gefreut. Obwohl wir einen entsprechenden Hinweis Ihrerseits vermissen, sind wir fest davon überzeugt, daß Sie das Gedicht als Beitrag zum »Sonntag«-Preisausschreiben um die Goldene Note 1965 aufgefaßt wissen wollen. Unter diesem Aspekt und nach Aussprache mit dem vermutlichen Komponisten Ihres Textes schlagen wir Ihnen eine etwas schlagergetreuere Formulierung Ihres Tanzlieds vor. Etwa so: •
Notturne Über allen Gipfeln, du, ist, mein Liebling, Ruh, ja Ruh. Und in allen Wipfeln, Schatz, spürst du nicht den kleinsten Fatz usw.
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Indem wir Sie, sehr geehrter Herr Goethe, in diesem Sinne um Neufassung (am besten mit Orientierung auf spätere gesangliche Interpretation durch Lutz Jahoda) ersuchen, verbleiben wir mit Sonntagsgruß Ihr »Sonntag«.
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Goethe, nicht gewillt, auf Anhieb nachzugeben, schickte sein Poem an die »BZ am Abend«. Dieselbe war ebenfalls nicht abgeneigt, das Gedicht zu veröffentliehen. Sie antwortete Goethe: Lieber Herr Goethe! Wir sind sehr für Lyrik, haben als Berliner Abendblatt aber besonderes Augenmerk auf Lokalkolorit zu legen. Wir bitten Sie deshalb höflichst um Ihr Einverständnis, das in Frage stehende Gedicht folgendermaßen abdrucken zu dürfen: Nantes Nachtjesang Üba allen Jipfeln is Ruh, in allen Wipfeln spürest du kaum eenen Hauch. Die Vöjel schweijen im Walde. Wartema, balde ruhest du ooch. J. W. Jöthe
PS: Und bitten wir, den Reim am Schluß noch irgendwie hinzubiegen. Mit Abendgruß Ihre »BZ am Abend« Jetzt wandte sich Goethe an die »Tribüne«. Die Antwort ließ nicht länger als fünf Wochen auf sich warten: Lieber Kollege! Ihrem Schreiben ist leider nicht zu entnehmen, ob Sie schreibender Arbeiter sind. Falls nicht, steht die Frage des Abdrucks Ihres Gedichts im Moment nicht so sehr. Wrr würden es trotzdem ermöglichen, doch wollen unsere Werktätigen keine Gedichte mit Wipfeln, Hauch und so. Mit Ttibünengruß Ihre »Tribüne«. Die nächste Redaktion, der Goethe seine Verse sandte, war die »Weltbühne«. Ihr Chefredakteur urteilte so: Sehr geschätzter Herr Goethe! Eigentlich sind wir mehr eine Streitschrift - jedenfalls dem Hörensagen nach -, aber da Ihr Gedicht immerhin so eine Art Drohung enthält (»Warte nur!«), kann man es fast als Polemik auffassen, und wir sind einem Abdruck in unserem roten Heftehen durchaus zugeneigt. Allerdings verabscheuen wir lyrische Arbeiten generell und erwägen die Publikation Ihres Manuskripts in folgender Weise:
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114 Aufgewacht!
Über allen Gipfeln ist Ruh. Höchste Zeit für eine neue Gipfelkonferenz. In allen Wipfeln spürt man kaum einen Hauch. Politische Windstille bringt uns aber keinen Schritt weiter. Die Vöglein schweigen im Walde. Mögen sie. Wir Deutschen indessen sollen miteinander sprechen, und zwar bald. Das gilt für die Ruhrkumpel auch. Jowogo ...
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Die »Berliner Zeitung«, an die Goethe seine Verse sodann schickte, hatte, wie üblich, Platzmangel, wollte den jungen Dichter jedoch nicht vor den Kopf stoßen und veröffentlichte eine Kurzfassung des Gedichts:
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Wandrers Über allen in allen Die Vögelein auch.
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Ihrer Entscheidung mit Interesse entgegensehend, verbleiben wir mit Weltbühnengruß Ihre »Weltbühne«.
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Sofort nach dieser Veröffentlichung meldete sich der Dichter Karl Stitzer in einer bedeutenden Wochenzeitung zu Wort und verdammte den jungen Goethe unter der Überschrift »Zerhackte Rhythmen«. Der VEB Friedrich-Hoffmeister-Verlag zu Leipzig, der das Gedicht dann erhielt, ließ es durch Werner Lindemann für die Volkskunst bearbeiten. Nämlich so: Vorwärtsschreiters Tageslied Über allen Gipfeln geht man ran. In allen Wipfeln spürt jedermann Kraft und Elan. Die Vögelein zwitschern im Walde. Warte nur, balde singst auch du im Laienzirkel 1. Sopran. Goethe (VK)
Wo wir sind, ist vorn
115
Aber dagegen hatte Goethe gewisse Einwände. Die »Wochenpost«, der er sein Gedicht schließlich übermittelte, reagierte hinhaltend: Lieber Leser Goethe! Ihre Verse sind ordentlich, aber es gibt im Augenblick keinen Gedenktag, auf den sie sich aktuell beziehen lassen. Leider ist auch Ostern vorüber, sonst hätten wir aus »Vögelein« »Osterhäslein« gemacht und das so redigierte Gedicht zum Abdruck gebracht. Aber so. Na ja, vielleicht ein andermal. Mit Wochengruß Ihre »Wochenpost«. Nach fruchtloser Korrespondenz mit weiteren vierundsechzig Zeitungen, Zeitschriften und Almanachen (siebenunddreißig antworteten überhaupt nicht) weinte Johann Wolfgang bitterlich und beschloß, einer Arbeitsgemeinschaft Junger Lyriker beizutreten, um solidarisch mit anderen Lyriker-Leidensgenossen für Recht und Ehre der Lyrik zu kämpfen. Aber die Lyriker-Arbeitsgemeinschaft hatte sich längst aufgelöst, denn alle zeitgenössischen Lyriker, von Wiens bis Gerlach und von Kunert bis Kahlau, waren längst zur DEFA abgewandert. Da begab sich auch Goethe nach Babelsberg und schrieb sein erstes Film-Drehbuch. Er nannte es sarkastisch »Götz von Berlichingen«.
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Wo wir sind, ist vorn
116
Peter Lux
' OIHO Mitropa-Kellner Anselm Plinsenfuß hatte sich den freien Nachmittag genau eingeteilt, denn er wollte sich heute mit erspartem Geld endlich einige langgehegte Wünsche erfüllen. Die schönen Scheine in der Tasche, betrat er ein Autohaus. »Das ist doch kein Motorrad, sondern ein Moped«, sagte Plinsenfuß angesichts des ihm vorgeführten Vehikels. »Sie irren«, antwortete der Verkäufer. »Mopeds haben keine Nummernschilder, dies jedoch hat eines - ergo ist es ein Motorrad!« Völlig perplex verließ Plinsenfuß mit der gestammelten Bemerkung, er müsse sichs noch überlegen, den Laden. Er betrat eine Tierhandlung. »Ein Bernhardiner? Bitte sehr, mein Herr!« Fassungslos starrte Anselm auf den Hund, der zutraulich zu ihm emporblickte. »Das ist doch ein Dackel«, stieß er hervor. »Nicht doch«, belehrte ihn der Tierhändler. »Beachten Sie bitte das Kognakfäßchen am Hals des Tieres - ein typisches Merkmal für Bernhardiner!« Erschüttert wankte Plinsenfuß aus dem Geschäft. Der Gedanke an die neue Wohnung, die er sogleich besichtigen wollte, gab ihm ein wenig Seelenstärke zurück. Das Haus sollte - ein alter Traum! - inmitten eines Gartens stehen. Als er sich in seinem zukünftigen Heim umgesehen hatte, wandte er sich fragend an den Vermieter: »Ganz nett, aber wo ist der Garten?« Der Wohnungsinhaber staunte: »Haben Sie denn den Baum vor dem Haus nicht bemerkt?« Plinsenfuß wußte nicht, wie er auf die Straße gekommen war, er wußte nicht, ob er träumte oder wachte. Die Welt war schlecht. Der einzige Ausweg erschien ihm darin zu bestehen, vorzeitig den Dienst anzutreten. Er fuhr zum Bahnhof, zog sich um und verschloß traurig seine schönen Scheine. Dann kletterte er in den Speisewagen seines Zuges und begann, in gewohnter Weise das gemischte Kompott für das Gedeck vorzubereiten: achtundzwanzig Schüsselehen füllte er zunächst mit Kirschen, und dann tat er je eine kleine Pflaume hinzu. Darauf hatten die Leute Anspruch, wenn sie gemischtes Kompott bezahlten - schließlich kostete es mehr als Kirschkornpott.
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Hannibal, Lord Nelson und Napoleon besuchen die NVA. Nach der Besichtigung mehrerer Armeeverbände fragt sie der begleitende General, was sie sich von den Dingen, die sie gesehen haben, am meisten wünschen würden. Hannibal: »Die Panzer - die wären viel besser gewesen als meine Elefanten.« Lord Nelson: »Die U-Boote, da hätte ich noch mehr Schlachten gewonnen! <( Napoleon: »Ich hätte gerne das Neue Deutschland - wenn ich das damals gehabt hätte, wüßte die Welt heute noch nicht daß ich bei Waterloo verloren habe!«
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Wo wir sind, ist vorn
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John Stave
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(Aus einem Sitzungsprotokoll)
»Da wäre ja noch viel mehr zu sagen«, sagte Förster, »Kollegen; aber ich bin der Meinung, wenn einer nicht da ist, soll man auch nicht über ihn richten. Zum Beispiel: Hübner. Ist er da? Nun, er ist nicht da. Gut. Was hat Hübner gemacht? Nun, er hat gegen die zehn Gebote verstoßen. Was? Also die zehn Gebote der sozialistischen Moral, alter Quatschkopp, wie sie der Genosse Walter Ulbricht aufgestellt hat. Ist Hübner ein Trinker, Kollegen? Nun, man soll nicht alle Stäbe auf einmal über einen Kollegen brechen, solange er noch zu retten ist. Ist der Kollege Hübner noch zu retten? Er ist es. Kollege Hübner also - ist er inzwischen gekommen? Nein? Nun gut. h H„ . . Schade. Hübner geht also in die Kantine, trinkt Aue wenn ubner nicht da ist: ~r .h~t vier Flaschen Bier in einer halben Stunde und haut gegen das zehnte Gebot der soz1al1st1- der Kollegin Kalte Mamsell Trude Schultze auf sehen Moral verstoßen. den A-Allerwertesten. - Ich weiß wirklich nicht, Kollegen, was man daran komisch finden kann! Damit nicht genug: Hübner - ist er schon da? Nein? Nun, wenn einer nicht da ist ... Also zur Sache. Kollege Hübner würzt seinen antimoralischen Schlag mit einem deftigen und äußerst zweideutigen Ausspruch folgenden Inhaltes. Hübner, ja, schlägt also, nicht wahr, und sagt dabei: >Verbunden mit einem schönen Gruß von der Brigade Völkerfreundschaft!< - Kollegen, Kollegen! - Kollegen, ihr lacht! Ruhe bitte, Kollegen! Wie alt ist der Kollege Hübner? Nun, er ist ein noch junger Kollege. Er ist geboren - ist er inzwischen eingetroffen, der Kollege? Nein. Also Hübner ist geboren neunzehnhundertsechsunddreißig. Einverstanden, Kollegen. Aber wie sagt ein etwas abgewandeltes Sprichwort? Nun, es sagt, daß man den Kollegen schmieden muß, solange er noch warm ist. - Ruhe bitte, Kollegen. An dieser Stelle möchte ich den Hebel beim Kollegen Hübner ansetzen, jawohl. Kollege Hübner ist unverheiratet. Gut und schön. - Kollegen, hört doch endlich einmal auf zu lachen! Es ist schade, daß er nicht hier ist, oder ist er schon gekommen? Nein? Wenn einer nicht da ist . . . Na schön. Was aber hat die Hand des Kollegen Hübner auf der verheirateten Rückseite - Kollegen, ihr macht es einem aber wirklich schwer. Wir sind doch hier nicht im Kabareh! Nein, verdammt noch mal! Der Kollege Hübner, der nicht hier ist, und es ist
Wo wir sind, ist vorn
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schwer, Kollegen, einem Kollegen zu helfen, wenn er nicht da ist. Und wir sollten die ganze Schose lieber aufheben, bis er kommt. Ja, gut. Aber ich will ja auch nur kurz bis zum Kern vorstoßen. Der Kollege Hübner kennt ja die Schose soweit bereits. Kollegen, jetzt ist mir auch noch meine Seite verlorengegangen. Auch der Schmerz noch! Einer von euch hier vorne muß sie ja haben. Macht keine Witze, Kollegen. So eine Seite kann sich ja schließlich nicht verkrümeln! Aber vielleicht kriege ich es auch im Stegreif zusammen. Ihr habt euch zu früh gefreut, Kollegen. Der Kollege Hübner also hat - was? Ach, Kollege Hübner, guten Tag. Fein, daß du noch gekommen bist. Ich bin nämlich kein Mensch, der es hinter fremden Rücken sagt. Meine Devise lautet: Immer feste ins Gesicht! Ruhe bitte, Kollegen! Also, Kollege Hübner, paß auf. Die Kollegin Kalte Mamsell Schultze läßt dir ausrichten, daß du gestern vergessen hast, die vier Flaschen Bier zu bezahlen, alter Schlingel! Also: nicht wieder vergessen, ja. - Und nun wollen wir dieses unrentable Thema verlassen, Kollegen, einverstanden, ja? Und wenden wir uns nun den Brigadeplänen zu«, sagte Förster und trank einen kleinen kühlen Schluck Wasser. „
))Uber die Arbeitsweise des Kollegen Schulze können wir heute in Ruhe diskutieren. Er ist auf Dienstreise. <<
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1965
1965
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1.Januar
Das Institut für Meinungsforschung beim ZK der SED nimmt seine Arbeit auf.
4. Februar
DEFA-Filmpremiere >>Die Abenteuer des Werner Holt<< nach Dieter Nolls Roman mit Manfred Karge und Klaus-Peter Thiele in den Hauptrollen.
5. Februar
Grundsteinlegung für den Bau der Prager Straße in Dresden.
6. Februar
Bei den WM im Rennschlittensport in Davos erkämpfen Ortrun Enderlein bei den Frauen und Wolfgang Scheidel/M ichael Köhler im Doppelsitzer der Männer den Weltmeistertitel.
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Dieter No!!
24. Februar - 2. März Auf Einladung von Präsident Nasser wird Ulbricht in Ägypten erstmals in einem nichtsozialistischen Land mit allen Ehren eines Staatsoberhauptes empfangen.
Rolf Herricht
Die·politische Schu- · lung der Bevölke- . rung ist in der DDR kostenlos. ·· Sie ist aber für gewöhnlich auch um sonst .•.
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25. Februar
Nach Motiven von Leonhard Frank und in der Regie von Jo Hasler dreht die DEFA >>Chronik eines Mordes<< mit Angelica Domröse und Ulrich Thein.
25. Februar
Die Volkskammer beschließt das >>Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem<<, das die Organisation der Vorschulerziehung, der zehnklassigen polytechnischen Oberschulen, der Berufsschulen sowie der Universitäten und Hochschulen regelt.
27. Februar
DEFA-Filmpremiere >>Der Reserveheld<< mit Rolf Herricht, der Filmhit des Jahres.
5. März
Premiere von Rolf Hochhuths >>Der Stellvertreter<< am Deutschen Theater.
14. März
Der erste Teil der vierteiligen Fallada-Verfilmung >>Wolf unter Wölfen<< wird gesendet. Die Besetzung ist hochkarätig: Wolfgang Langhoff, lnge Keller, Ekkehard Schall, Armin Mueller-Stahl, Jürgen Frohriep.
20. März
Louis Armstrong mit seiner All-Star-Band gibt im Friedrichstadtpalast sein erstes von insgesamt 16 Konzerten seiner Tournee. Er ist der erste große US-Showstar, der in der DDR auftritt. ·
21. März
Premiere der legendären Inszenierung des Stückes >>Der Drache<< von Jewgeni Schwarz mit Eberhard Esche und Rolf Ludwig am Deutschen Theater.
27. März
Erstaufführung von Peter Weiss' >>Marat/Sade<< am Volkstheater Rostock.
7. April
Der Dietz Verlag veröffentlicht den ersten Band einer vierzigbändigen Lenin-Ausgabe.
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Zeittafel 1965
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Sowjetischen Wissenschaftlern ist es gelungen, Tote zum Leben zu erwecken. Sofort wird Lenin aus dem Mausoleum geholt und zum Leben erweckt. Kaum erwacht, verfügt Lenin, ihm alle Akten und Dokumente in sein Arbeitszimmer im Kreml zu bringen und nicht zu stören. Zwei Wochen vergehen, Lenin ist immer noch in seinem Arbeitszimmer. Schließlich sieht man nach. Lenin ist verschwunden. Ein Zettel liegt auf seinem Platz: »Genossen, bin in der Schweiz, wir müssen noch einmal von vorn anfangen!« 8. April
Erste Beatles-Langspielplatte bei AMIGA.
16. Mai
Zwei Weltrekorde für Christoph Höhne im Gehen - über die Distanz von 30 Meilen und über 50 km.
28. Mai
Der FDGB-Feriendienst meldet den 15millionsten Urlauber.
8.-13. Juni
Staatsbesuch des jugoslawischen Staatspräsidenten Josip Broz Tito.
18. Juni
DEFA-Filmpremiere >>Entlassen auf Bewährung<<, Regie Richard Groschopp.
18. -20. Juni
Im Bezirk Frankfurt/Oder finden die 7. Arbeiterfestspiele statt.
Frage an den Sender Jerewan: »Darf man über Genossen Kossygin Witze erzählen?« Antwort: »Im Prinzip ja. Sicherheitshalber sagen Sie aber statt Kossygin besser Johnson, Mao oder Tito.«
19. Juni - 4. Juli Erste Kreis-Kinder- und Jugendspartakiaden in den Sommersportarten in allen Kreisen der DDR. 24. Juni
Aus Gesundheitsgründen tritt Außenminister Lothar Bolz (NPD) zurück; sein Nachfolger wird Otto Winzer.
14. Juli
Abkommen mit Moskau über den Bau von Atomkraftwerken in der DDR.
16. Juli
DEFA-Märchenfilmpremiere >>König Drosselbart<< mit Manfred Krug.
17. Juli
In Neubrandenburg wird das >>Haus der Kultur und Bildung<< eröffnet.
20. Juli
Jürgen May läuft in Erfurt über 1000 m Weltrekord.
4. August
Baubeginn des Fernsehturms in Berlin.
5. August
Weltrekord von Siegfried Herrmann über 3000 m in Erfurt.
11. August
Carl Zeiss Jena stellt für Sternwarten in der CSSR und der UdSSR neue Spiegelteleskope her.
27. August
DEFA-Filmpremiere >>Lots Weib<< von Egon Günther.
4. September
Elisabeth Eichholz gewinnt im Straßenradsport bei San Sebastian (Spanien) den Weltmeistertitel im Straßenfahren.
10. September >>Solange Leben in mir ist<< - ein Film von Günter Reisch über Karl Liebknecht - kommt in die Kinos. 25. September Die Messestadt Leipzig begeht ihr 800jähriges Jubiläum. Der gebürtige Leipziger Walter Ulbricht nimmt an den Feierlichkeiten teil. 25. September In Berlin wird das >>Haus des Lehrers<< am Alexanderplatz übergeben.
Manfred Krug Was ist, wenn der Fernsehturm ltmfällt? Dann kann man mit dem Fahrstuhl in den Westen fahren.
Warum ist Leipzig die frömmste Stadt? Zweimal im Jahr ist Messe, ansonsten Fasten.
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Zeittafel 1965 5. Oktober
Premiere von Hacks' >>Moritz Tassow<<, im Dezember beim SED-Plenum, als >>Pornographie von europäischem Rang<< bezeichnet.
8. Oktober
Das IOC beschließt auf Antrag des NOK der DDR, künftig eine eigene Olympiamannschaft der DDR unter gemeinsamer Fahne zuzulassen und erkennt das Nationale Olympische Komitee (NOK) der DDR an.
11. Oktober
ZK-Beschluß >>Zu einigen Fragen der Jugendarbeit und dem Auftreten von Rowdygruppen<<. Die offizielle Förderung des Beat wird zurückgenommen.
Peter Hacks
16.-22. Oktober Manöver >>Oktobersturm<< der Warschauer Vertragsstaaten in Thüringen.
Der eine Genosse zum andern: }>Zum Jahrestag der Oktoberrevolution wird eine neue Illustrierte Geschichte der~, KPdSU erschein:e'n. ~< - »Illustriert sogar?« - »Ja, mit Radierungen von Breshnew.« „, .
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20. Oktober
Galerie Neue Meister in Dresden eröffnet.
25. Oktober
Die Sendereihe >>Der Staatsanwalt hat das Wort<< startet sie wird bis zum 23. Juli 1991 ausgestrahlt.
31. Oktober
>>Beatdemonstration<< in Leipzig: Hunderte Jugendliche protestieren gegen das Verbot von nahezu sämtlichen Beatgruppen in der Region, es kommt zu Festnahmen .
12. November
DEFA-Filmpremiere >>Ohne Paß in fremden Betten<<, Drehbuch Jurek Becker.
15. November
Das Zentrale Institut für Arzneimittelwesen läßt die AntiBaby-Pille >>Ovosiston<< von Jenapharm zu.
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27.-29. November Erster Besuch Breshnews nach Chruschtschows Absetzung in der DDR. 30. November
Chef zur Sekretärin: »Tut mir leid, im Bericht muß überall ich durch wir er: setzt werden.« Die Sekretärin zuck:t ·zu„ -~' sammen: »Wieso . > denn das?« - »Weil der Betrieb den Plan nun doch nicht erfüllt.« ~
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Die Diana Show Band (Mitbegründer Achim Mentzel) erhält Auftrittsverbot.
Breshnew ist in China auf Staatsbesuch. Nach erfolgreichem Abschluß der Verhandlungen bittet der chinesische Außenminister um Wirtschaftshilfe. Breshnew stimmt zu und fragt, was gebraucht wird. - »Als erstes«, meint der Chinese, »brauchen wir 10 Traktoren.« - Breshnew überlegt kurz und stimmt zu. - »Als zweites benötigen wir 500 Fahrräder.« - Breshnew überlegt wieder und stimmt schließlich zu. - »Als drittes«, sagt der Chinese, »benötigen wir 1000 Tonnen Reis.« - Breshnew überlegt: »Reis? Tut mir leid, Reis geht nicht. Soweit ich weiß, wird in der DDR kein Reis angebaut.« 3. Dezember
Der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission der DDR Erich Apel erschießt sich in seinem Dienstzimmer. Er sieht die Politik des >>Neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung<< (NÖSPL) durch ein langfristiges Handelsabkommen mit Moskau gefährdet. Nachfolger wird Gerhard Schürer.
4. Dezember
Fernsehpremiere des Fünfteilers >>Dr. Schlüter<< mit Otto Mellies und Larissa Lushina.
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Zeittafel 1965
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4. Dezember
Die Rekonstruktion des kriegsbeschädigten Leipziger Hauptbahnhofs ist abgeschlossen.
9. Dezember
Ministerratsbeschluß über die Schul- und Kinderspeisung.
13.-18. Dezember Auf dem 11. Plenum des ZK sagt Walter Ulbricht: >>Ich bin der Meinung, Genossen, mit der Monotonie des Yeah-yeahyeah sollte man Schluß machen.<< Erich Honecker propagiert eine >>Saubere Leinwand<< -Verbot von 12 Filmen. Die zweite Etappe des Neuen ökonomischen Systems wird beschlossen.
Walter Ulbricht hält in einem Kindergarten die Eröffnungsrede. »Liebe Kinder, Euer Kindergarten wird heute eröffnet. Ihr habt so schöne Spielsachen, Teddys, Autos, Puppen und ... und ... « »Bälle, Bälle«, flüstert sein persönlicher Referent. »... wau, wau, wau. «
18. Dezember
Bildung des Staatssekretariats für gesamtdeutsche Fragen unter Leitung von Joachim Herrmann.
21. Dezember
Die Volkskammer verabschiedet das >>Familiengesetzbuch der DDR<<, das unter anderem eheliche und uneheliche Kinder rechtlich gleichstellt und bei Scheidungen das Schuldprinzip abschafft.
21. Dezember 22. Dezember
Gründung des FC Magdeburg als erster selbständiger Fußballclub der DDR. Beschluß des Ministerrates der DDR über die Auflösung des Volkswirtschaftsrates und die Einrichtung von neun neuen Industrieministerien. Einführung der Fünf-Tage-Woche in jeder zweiten Woche und Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 45 Stunden wird beschlossen.
Oberliga-Plazierung 1973
1. ASK Vorwärts Berlin 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
11. 12. 13. 14.
1965 verlassen 29552 DDR-Bürger das Land.
SC Motor Jena BSG Chemie Leipzig SC Leipzig SC Empor Rostock BSG Lokomotive Stendal SC Aufbau Magdeburg BSG Motor Zwickau BSG Wismut Aue SG Dynamo Dresden SC Karl-Marx-Stadt SC Dynamo Berlin SC Neubrandenburg BSG Motor Steinach
Sportler des Jahres:
Fernsehlieblinge:
neue Bücher:
große Hits:
Hannelore Suppe (Leichtathletik)
Annemarie Brodhagen, Otto Mellies, KarlEduard von Schnitzler, Gerhard Scheumann, Kollektiv Meister Nadelöhr, Prof. Dr. Wolfgang Ullrich, Heinz Florian Oertel
Werner Bräunig >>Rum me1p1 atz<<
>>Party-Twist<< Frank Schöbe!
Hermann Kant >>Die Aula<<
>>Bis zur Hochzeit ist alles wieder gut<< Karin Prohaska
Jürgen May (Leichtathletik) Fußball-Nationalelf Torschützenkönig der Oberliga:
Bernd Bauchspieß von der BSG Chemie Leipzi.g mit 14 Treffern
Joachim Knappe >>Mein namenloses Land<< Anna Seghers >>Die Kraft der Schwachen<< Horst Beseler >> Käuzchenkuhle<< C. U. Wiesner >>Frisör Kleinekorte<<
>>Das ist der BikiniShake<< Andreas Holm >>Morgenstunde hat Gold im Munde<< Ruth Brandin >>Pech für mich<< Ingo Graf >> Hully Gully am Strand<< Rosemarie Ambe
Zeittafel 1966
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1966 12. Januar
Kulturminister Hans Bentzien wird wegen >>schwerer Fehler<
13. Januar
Bildung eines Rates für gesamtdeutsche Fragen, Staatssekretär Joachim Herrmann erklärt die Bereitschaft zu Verhandlungen mit der Bundesrepublik auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung.
25. Januar
Die >>Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse<< - gegründet 1954 - gibt sich den Namen URANIA.
Kt.aus Gysi
Von der UNO wird der Weltuntergang für den 30.5. verkündet. Was veranlassen die einzelnen Staaten? - In den USA ·, werden die Banken· beauftragt, sämtliche Dollareinlagen an die Bürger zu verteilen. - In Frankreich wird Rotwein kostenlos ausgeschenkt. -Die DDR organisiert 3000 Maler für die Anfertigung überdimensionaler Lesun„ gen: Mit erfüllten . Plänen dem Welt- . untergang entgegen„ .
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Ist der Sozialismus von Wissenschaftlern oder von Politikern erfunden worden? Natürlich von Politikern. Die Wissenschaftler hätten erst einen Tierversuch gemacht! 3. Feburar
Mit >>Luna 9<< gelingt der UdSSR die erste weiche Landung einer Sonde auf dem Mond.
9. Februar
Der erste große Dokumentarfilm von Heynowski/Scheumann hat Fernsehpremiere: >>Der lachende Mann Bekenntnisse eines Mörders<<, des >>Kongo-Müllers<<.
15. Februar
Mit der Gründung des >>Oktoberklubs<< - zunächst Hootenanny-Klub - wird die FDJ-Singebewegung ins Leben gerufen.
17. Februar
Der erste DEFA-lndianerfilm, >>Die Söhne der großen Bärin<<, hat Premiere.
22.-27. Februar In Oberhof findet die erste Zentrale Kinder- und Jugendspartakiade in den Wintersportarten statt. 25. Februar
DEFA-Kinderfilmpremiere >>Alfons Zitterbacke<< nach dem beliebten Buch von Gerhard Holtz-Baumert.
28. Februar
Die DDR beantragt die Aufnahme in die UNO, die Westmächte im Sicherheitsrat legen ihr Veto ein.
29. März - 8. April Eine Delegation unter Leitung von Walter Ulbricht nimmt am XXIII. Parteitag der KPdSU in Moskau teil.
Anfrage an den Sender Jerewan: »Kann ein sozialistischer Leiter leiten?« Antwort: »Im Prinzip ja, aber haben Sie schon mal einen 'Zitronenfalter Zitronen falten sehllr<< . ., '
Anfrage an den Sender Jerewan: »Kann ein Analphabet Mitglied der Akademie der Künste werden?« Antwort: »Im Prinzip ja, aber kein korrespondierendes.«
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1. April
Das Familiengesetzbuch tritt in Kraft und für alle Werktätigen gilt die 45-Stunden-Woche.
1. April
Robert Havemann wird aus der Akademie der Wissenschaften ausgeschlossen.
7. April
Der Ministerrat beschließt für 1967 die Zahlung von Jahresendprämien.
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Zeittafel 1966 8. April
DEFA-Filmpremiere >>Reise ins Ehebett<< mit Frank Schöbe!.
9. April
Der erste arbeitsfreie Sonnabend.
16. April
Die Frauen des SC Leipzig gewinnen den Handball-Europapokal der Landesmeister im Spiel gegen HG Kopenhagen.
29. April
Der erste Wohnblock des Neubaugebiets Rostock-Lüttenklein wird übergeben.
3. Mai
Im Stendaler Milchwerk beginnt die Produktion von >> Mi 1asa n<<-Sä ug1in gsferti gnah ru ng.
8. Mai
Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages zwischen Sportleitungen der UdSSR und DDR durch Manfred Ewald und Juri Maschin.
9. Mai
Das erste mit sowjetischer Hilfe errichtete Atomkraftwerk geht in Rheinsberg ans Netz.
20. Mai
Heiner Carow dreht nach einem Buch von Benno Pludra den Kinderfilm >>Die Reise nach Sundevit<<.
26. Mai
SPD und die SED vereinbaren ein Kommunique über den sogenannten Redneraustausch zwischen beiden Parteien, der nicht zustandekommt.
28. Mai
Neu im Fernsehen: Ratgeberreihe >> Das Verkehrsmagazin<<.
Familie Birnbach bestaunt die Neubauwohnung. Frau Bimbach jubelt entzückt. »Sieh mal, Manne, welch schöne Einbauschränke.« Der Mann von der KWV schüttelt tadelnd den Kopf. »Keine Einbauschränke. Das sind die Kinderzimmer.«
Womit kann man die Beschleunigung eines Trabants messen? Mit einem Kalender. 15. Juni
DEFA-Filmpremiere >>Spur der Steine<< mit Manfred Krug und Eberhard Esche. Nach einigen Vorführungen wird der Film wegen >>Herabwürdigung der Partei<< verboten.
17.-19. Juni
An den 8. Arbeiterfestspielen im Bezirk Postdam nehmen 4900 Volks- und 1100 Berufskünstler teil.
19.-25. Juni
Astrid Schmidt und Horst Bräutigam gewinnen den Weltmeistertitel im Asphaltkegeln in Bukarest. Konferenz über Rationalisierung und Standardisierung in Leipzig.
23.-24. Juni
Bei einer internationalen Konferenz unterhalten sich drei Ingenieure über den Tunnelbau in ihren Ländern. ",, Ein amerikanischer Tunnelbauer berichtet: »Es wird von beiden Seiten des Berges gebohrt. Wrr treffen uns in der Mitte mit einer Abweichung von einem Meter. Diese Ecke sprengen wir weg und basta. « - Ein,russischer Tunnelbauer berichtet: »Wrr machen das genauso, aber die Abweichung beträgt nur zehn Zentimeter. Diese Ecke hacken wir ab und basta. « - Da meldet sich der Tunnelbauer aus der DDR zu Wort: »Wrr machen es auch so, und wenn Gott will, ist die .Abweichung gleich nu11.« -- »Und wenn Gott nicht will?« fragt ein Zuhörer. - »Nun, dann haben wir zwei Tuftnel.« '
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Eberhard Esche
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Zeittafel 1966
·Die DDR ist tler. ein-,·
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24. -26. Juni
In Bautzen findet das erste Festival der sorbischen Kultur statt.
6. Juli
Bukarester Deklaration - Forderung der Warschauer Vertragsstaaten nach der Schaffung eines Klimas der Entspannung und der Beseitigung der Überreste des Kalten Krieges.
24.-31. Juli
Die erste Zentrale Kinder- und Jugendspartakiade findet in Ost-Berlin statt.
26. Juli
In Weimar wird das erste Restaurant der Kette >>Gastmahl des Meeres<< eröffnet. Es folgen Berlin, 1967 dann Leipzig, Rostock, Magdeburg, Jena, Erfurt.
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. »Für äie Straßen-'. · . · beleuclitang~ «. . .
24. Juli - 6. August Als erster Fallschirmspringer der Welt landet Günter Gerhardt drei >>Null<<-Sprünge und siegt im kombinierten Einzelspringen bei der Weltmeisterschaft in Leipzig.
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1. August
Das ZK der KP Chinas ruft die >>Große Proletarische Kulturrevolution << aus.
llibricht und Mao Tse-tung unterhalten sich. »Wie viele Feinde haben Sie in der Volksrepublik China?« fragt Ulbricht..- »Es werden so etwa siebzehn Millionen sein.« - »Ja, das ist ungefähr so wie bei uns.« ~
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10. August
Die Montage des ersten Wohnblocks in Jena-Lobeda beginnt.
14. August
Europarekord im Stabhochsprung durch Wolfgang Nord• w1g.
25. August
In Beeskow wird ein modernes Spanplattenwerk in Betrieb genommen.
27.-28. August Bei der Ruder-EM der Frauen in Amsterdam gewinnt die DDR-Auswahl im Doppelvierer, Doppelzweier und Achter.
1. Oktober
Volker Brauns umstrittenes Stück >>Kipper Paul Bauch<< wird in der Zeitschrift FORUM veröffentlicht.
15. Oktober
Die Mannschaft der DDR verläßt vorzeitig die vorolympischen Spiele in Mexico, da ihr vom Internationalen Olympischen Komitee untersagt wurde, unter der Bezeichnung >>DDR<< anzutreten und stattdessen die Bezeichnung >>Ostdeutschland<< empfohlen wurde.
19. Oktober
Peter Weiss' >>Die Ermittlung<< erlebt eine Ring-Uraufführung an 16 ost- sowie 5 westdeutschen Bühnen.
Volker Braun
12. November Erste Sendung von >>Klack 8 achtern Strom<<. 14. November Der VEB Strickmaschinenbau Karl-Marx-Stadt ruft zum Wettbewerb unter der Losung: >>Rationeller produzieren für dich, für deinen Betrieb, für unseren sozialistischen Friedensstaat - dem VII. Parteitag entgegen!<<
Zeittafel 1966
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15. November
In Eisenach beginnt die Produktion des Wartburgs Typ 353 (bis 1989 verlassen 1225 429 Autos das Werk).
4. Dezember
Mit Mozarts >>Don Giovanni << wird die Komische Oper Berlin wiedereröffnet. Regie: Walter Felsenstein.
Maria Callas tritt in der Staatsoper auf. Walter Ulbricht ist begeistert, schüttelt ihr die Hand und sagt: »Sie haben sich um unser Land verdient gemacht. Gibt es einen Wunsch, den ich Ihnen erfüllen kann, Madame?« - »Ja, Herr Ulbricht«, antwortet die Callas. »Reißen Sie die Mauer nieder!« - Da droht Ulbricht schelmisch mit dem Zeigefinger und sagt: »Na, na, na, Madame ... Sie wollen wohl mit mir allein sein.« 10./11. Dezember Der >>Verband der Theaterschaffenden der DDR<< wird gegründet. Präsident ist der Intendant des Deutschen Theaters, Wolfgang Heinz. 14. Dezember
Der neue Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Herbert Wehner, erklärt, daß eine diplomatische Anerkennung der DDR erst nach deren >>demokratischer Legitimation<< möglich sei.
15.-17. Dezember Auf der 14. Tagung des Zentralkomitees der SED wird über den Vorschlag eines Minimalprogramms >>zur Normalisierung der Beziehungen DDR-BRD << beraten.
Ochse, Pferd und Huhn stehen an der Mauer und überlegen ob sie abhauen. »Ich bleibe«, sagt das Huhn, »hier sind die Eier billiger.« - Das Pferd meint: »Ich bleibe. Hier geht es dauernd bergab und das ist für mich leichter.« - »Ja, meint ihr denn, ich gehe?« sagt der Ochse. »Hau ich ab, bleibe ich ein Ochse, hier kann ich Diplomingenieur werden.« 1
Oberliga-Plazierung 1966 1. FC Vorwärts Berlin 2. FC Carl Zeiss Jena 3. 1. FC Lokomotive Leipzig 4. FC Hansa Rostock 5. SG Dynamo Dresden 6. BSG Wismut Aue 7. FC Karl-Marx-Stadt 8. BSG Chemie Leipzig 9. FC Dynamo Berlin 10. BSG Motor Zwickau 11. FC Chemie Halle 12. BSG Lokomotive Stendal 13. FC Rot-Weiß Erfurt 14. 1. FC Magdeburg
1966 verlassen 24131 DDR-Bürger das Land.
Sportler des Jahres:
Fernsehlieblinge:
neue Bücher:
große Hits:
Gabriele Seyfert (Eiskunstlauf)
Otto Mellies, Hans-Peter Minetti, Hans Jacobus, das Sandmännchen, Heinz Florian Oertel, Hans-Georg Ponesky, Karl-Eduard von Schnitzler, Annemarie Brodhagen, Klaus Feldmann, Prof. Dr. Heinrich Dathe
Johannes Bobrowski >>Litauische Claviere<<
>>Bin schon vergeben << Andreas Holm
Franz Fühmann >> König Ödipus<<
>>Sag ihm, du bist mein Mädchen << Christian Schafrik
Frank Wiegand (Schwimmen) Fußball-Nationalmannschaft
Torschützenkönig der Oberliga: Henning Frenzel vom 1. FC Lokomotive Leipzig mit 22 Treffern
Günter Kunert >>Unschuld der Natur<< Uwe Greßmann >>Der Vogel Frühling<< Erich Loest (unter dem Pseudonym Waldemar Naß) >>Ich war Dr. Ley<<
>>Baby, du bist ok.<< Frank Schöbe! >>Das schönste Mädchen der Welt<< Günter Geißler >>Es gibt keine andere, my Darling<< Roland Neudert >>Kleine Stadt<< Rica Deus
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Rechtliches
Nachweise
Die Karikaturen stammen von Heinz Behling: 14, 19, 20, 30 unten, 47, 65, 66 Mitte, 79, 81, 86 Manfred Bofinger: 8 Gerhard Bläser: 45 Peter Dittrich: 66 oben, 70, 105 unten Barbara Henniger: 113 Harald Kretzschmar: 15, 35, 120, 121, 122, 124, 125, 126 Lothar Otto: 58, 62 Harri Parschau: 10, 16, 24, 30, 42, 55 oben, 63, 68, 72, 77 unten; 93, 98, 104, 105 oben, 110, 111, 115, 116, 117 Louis Rauwolf: 6, 21, 31, 49, 55 unten, 91, 119 Rudi Riebe: 97 Thomas Schleusing: 28, 107 Horst Schrade: 17, 18, 60, 61, 66 unten, 90, 94, 95, 96, 103 KarlSchrader: 13, 32, 33, 34, SO, 57, 74, 78, 108 Carl Sturtzkopf: 76 Georg Wilke: 84 Fotos: Klaus Winkler: 5, 37, 39, 95 ullstein bild: 11; ullstein bild-Herbig: 12 Für die freundliche Genehmigung zum Abdruck danken wir den Autoren, Zeichnern und Erben. Nicht in allen Fällen ist es uns gelungen, Rechteinhaber und Rechtsnachfolger zu ermitteln. Berechtigte Honoraransprüche bleiben gewahrt. •
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