Die Jahre 1955-1956: Aus unseren Betrieben ist noch mehr rauszuholen
stetHsti.HdOH des DDR·Hi.11tors 1955-1956
Aus unseren Betrieben ist noch mehr rauszuholen
Weltbild
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Lothar Kusche, Giganten des Humors und der Satire .„
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1. Kapitel: Aus unseren Betrieben ist noch mehr rauszuholen Erich Hanko
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Wärmekontrolle
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John Stave
Puffer-Otto
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Jochen Petersdorf
Erziehungsarbeit Heinz Fischer Der Sieger Ulrich Speitel Nur eine Kleinigkeit Eberhard Cohrs Berufsfragen Sketch mit Bobby Boelke John Stave Ein Rad greift im anderen Heinz Fischer Qualitätsverbesserung Nils Werner Lob des Mauems 2. Kapitel: Alles zum Wohle des Volkes Humorvolles aus dem Alltag Erich Hanko
Entwendung einer Dogge Fritz Bernhard Gehobene Unterhaltung Hansjoachim Riegenring Drama in Sekt Paul Schwarz Das Milchkännchen Lothar Kusche Der Drang zum Rang E. R. Greulich Das unnütze Gerät
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Inhalt
3. Kapitel: Lernen, lernen, nochmals lernen Als wir Schüler und Pioniere waren
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Rudi Strahl
Otto gibt Autogramme
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Eva Salzer
All die lieben Kleinen
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Ralph Wiener
Wachsmann als Erzieher Heinz Kahlow
Schlußwort
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so
Jochen Petersdorf
Zwischen Himmel und Erde
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Hansgeorg Stengel
Die nächsten bitte! 4. Kapitel: Was des Volkes Hände schaffen Wir Werktätigen in Stadt und Land
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Peter Gauglitz
Kollege Mumm
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Horst J. Nachtweih
Gustav telefoniert
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Hansgeorg Stengel
Die Musterbrigade
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Lothar Kusche
Nun versteh ich aber die Welt nicht mehr
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Jo Schulz
Von der Tragik des Zufalls
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Hansjoachim Riegenring
Zwei Männer, eine Jalousie
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Erich Hanko
Mondscheinsonate 5. Kapitel: Heißer Sommer Von Ostseestrand, Datsche und Jugendclubs ...
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Hansjoachim Riegenring
Das Mädchen mit den weißen Höschen
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Erich Hanko
Feriengrüße
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Paul Schmidt-Elgers
Das Wandern war des Müllers Lust
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W K. Schweickert
Der Hochstapler
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Jo Schulz
Die Hammelfahrt zu Himmelfahrt
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Hans Seifert
Spreewald-Rundfahrt-Notizen
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Fritz Bernhard
Vier Ansichtskarten
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Inhalt
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6. Kapitel: Höher, schneller, weiter! Sportlich sportlich Erich Hanlrn
Stabhochsprung
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Erwin Albrecht
Mein Ausgleichssport
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Nils Werner
Fußballelegie
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Hans-Joachim Preil
Die Schachpartie Sketch mit Rolf Herricht 7. Kapitel: Unter vier Augen Über Verliebte und Verheiratete Lothar Kusche
Nöte eines neuen Menschen
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101
102
Jo Schulz
Der Spaziergang
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Rudi Strahl
Die Kurschattin
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Renate Holland-Moritz
Ich habe ein Dutzendgesicht
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John Stave
Rhythmus 8. Kapitel: Wo wir sind, ist vorn! Es geht seinen sozialistischen Gang Willy Frank
Der kleine Imbiß
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John Stave
Niveau
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Fritz Bernhard
Zwischen Friedrichstraße und Charite
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Paul W. Wicher
Der erste Auftritt
··------_,..,.._„ ___ _ -„·----„__ ... „ ____ _ •l-
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Zeittafel Rechtliches
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Unser Humor hält uns frisch
{ii1JttHlaH das H~11tors 14Hd dar Satira """ kurz zu beschreiben, ist mir eine Ehre, denn schon als Hilfsdramaturg des ehemaligen Tournee-Kollektivs »Giganten des Gelächters« ließ mich ein Satz des Sigismund von Radecki nachsinnen: »Deutscher Humor ist, wenn man trotzdem lacht.« Unser verläßliches Ensemble bot solide, niemals zweifelhafte Späße. Stamm-Komiker hielten immer dieselbe sichere Bank. Emil Erbse, genannt Tempo-Erbse, bewarf das begeisterte Publikum mit den bekannten Witzböllern aus dem traditionellen Schwiegermutter- und Besoffenen-Arsenal. Auch in unserer Bombenerfolgs-Revue »Fahren und fahren lassen« hatte TempoErbse mit prickelnden Humor-Salven sämtliche Zwerchfelle auf seiner Seite: Ein Höhepunkt war sein Kartoffelbrei, der einem Mann fast zum Hals rauskommt, weil er, also der Kartoffelbrei, nicht der Mann, schon zum zwölften Mal auf dem Tisch steht. Nun spricht die Ehefrau: »Wenn dir der Brei nicht schmeckt, mach ich eben noch'n Stück Butter und 'ne Bockwurst ran und geb ihn der Katze." Darüber platzten Generationen vor Lachen. Wrr Giganten boten jedem was. In der Schau »Wenn der krumme Kaktus knurrt« glänzte Locken-Willi als Stimmen-Imitator. Man versteht kein Wort, merkt aber bald, daß es sich um verschiedene Stimmen handelt: laut, leise, englisch und Theo Lingen. Mit Mund und Nase zaubert er Geräusche herbei: vom tropfenden Wasserhahn bis zum bremsenden Bus oder gar Doppelstockbus. Agathe aber hat wohl die meisten Fans, weil keine andere Berlinerin das Sächsisch, Thüringisch oder Böhmisch und diese Dialekte im slowakischen Erzgebirge so beherrscht. Unser Humor hält uns frisch: Wrr überleben alle Leute, auch unsere Zuhörer! Ihnen aber, den Lesern dieser Sternstunden-Sammlung, verspreche ich handfeste Geschichten und haltbaren Humor.
Lothar Kusche
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Erich Hanko
Hermann Kühl, der Wärmekontrolleur des VEB MENS-SANA, hatte sich in Ausübung seines Dienstes erkältet und lag mit Obertemperatur im Bett. Betriebsleiter Schneider schlug sich selbstkritisch an die Brust. Aus unbegreiflichen Gründen hatte man vergessen, einen geeigneten Ersatzmann für diesen immerhin wichtigen Posten zu qualifizieren, obwohl einige gut verschleierte Arbeitskraftreserven im Betrieb vorhanden waren, von denen der Stellenplan nichts wußte. In jedem der 487 Büroräume des Verwaltungsgebäudes wurde während der kalten Jahreszeit täglich zweimal die Temperatur durch den Betriebswärmekontrolleur gemessen, und zwar in der Zeit von 8-11 und 14-17 Uhr. Insgesamt fanden also an jedem Tage 97 4 Messungen statt. Es war der stille Ehrgeiz der Betriebsleitung, durch den Anbau weiterer Büroräume die Tausendergrenze zu erreichen und, wenn möglich, zu überschreiten. Nach Abzug der Zeit für die reinen Meßarbeiten blieDie Aufstellung des Plans für ben dem Wärmekontrolleur ganze zwei ArbeitsstunPersonaleinsparungen hatte die den, die natürlich nicht ausreichten, um die festgeEinstellung von zwei neuen Bürostellten Werte in die Karteikarten einzutragen, die kräften notwendig gemacht. Tages-, Wochen-, Monats- und Jahresdurchschnitte zu errechnen und die Temperaturkurven auf den in jedem Stockwerk angebrachten Schautafeln laufend zu ergänzen und zu überwachen. Obwohl sich Wärmekontrolleur Kühl kaum Zeit gönnte, sein Mittagessen in aller Hast herunterzuschlingen, mußte er täglich zwei Überstunden machen, um seine Arbeit zu schaffen. Das hatte seine Gesundheit allmählich untergraben und ihn für Erkältungen anfällig gemacht. Jetzt war sein Posten verwaist und niemand vorhanden, der imstande gewesen wäre, die Lücke auszufüllen. Nachdem Direktor Schneider in einer hastig einberufenen Sitzung der Betriebsleitung das Problem kurz umrissen hatte, trat ein betretenes Schweigen ein. Schließlich grollte es aus einer · Ecke: »Warum ist kein Ersatzmann vorhanden? Eine weitsichtige Betriebsleitung hätte eben mit einer Erkältung des Wärmekontrolleurs rechnen und vorsorglich eine jüngere Kraft als Ersatz für derartige Notstände qualifizieren müssen!« Direktor Schneider zuckte die Achseln. Es war nun mal passiert. Ein Betriebsleiter kann nicht ausschließlich an die Her-
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anbildung von Wärmekontrolleuren denken. Die Aufstellung des neuen Planes für Personaleinsparungen hatte sowieso schon die Einstellung von zwei neuen Bürokräften notwendig gemacht, und ... »Was macht eigentlich Krause?« fragte jemand. »Welcher Krause?« »Der Fliegenbekämpfungs-Inspekteur! Der hat doch jetzt im Wmter nichts zu tun!« Direktor Schneider lächelte nachsichtig. »Krause ist jetzt natürlich im Urlaub, weil er im Sommer wieder tüchtig ran muß, der arme Kerl! Fliegenbekämpfung in 487 Büroräumen ist eine Aufgabe, die einen Mann im Vollbesitz seiner Kräfte erfordert.« »Er kann doch aber nicht den ganzen Wmter hindurch Urlaub haben! Was macht er, wenn er zurückkommt?« »Er unterstützt den Obmann für Klinkenpflege in seiner Arbeit, die ebenfalls nicht unterschätzt werden darf. Bedenkt, Kollegen, wir haben in unserem Betrieb 487 Bürotürklinken, die Klinken der Toilettenräume gar nicht mitgerechnet. Alle müssen täglich geputzt, geölt und gezählt werden. Ich darf mit Genugtuung feststellen, daß während der Amtszeit des mit dieser Funktion betrauten Kollegen Lehmann noch keine Klinke verschwunden ist oder auch nur gequietscht hat. Übrigens möchte ich bei dieser Gelegenheit bemerken, daß im Zuge der Vereinfachung im Verwaltungswesen der Kollege Lehmann listenmäßig nicht mehr als •Obmann für Klinkenpflege•, sondern kurz und prägnant als •Klinkenwart• geführt wird.« Hier erhob sich der Kollege Wmkler von der Abteilung Personallenkung und sagte mit beherrschter Stimme, in der gleichwohl eine gewisse Erregung mitschwang: »Kollegen! Ich möchte hier und jetzt einem Gedanken Ausdruck verleihen, der mich in letzter Zeit wiederholt beschäftigte, den ich aber aus Gründen der Ausreifung bisher für mich behalten habe. Könnte man nicht den Posten des Wärmekontrolleurs mit dem des Fliegenbekämpfungs-Inspekteurs kombinieren? Die Fliegenbekämpfung findet bekanntlich in der wärmeren Jahreszeit statt, Wärmekontrollen dagegen im Wmter. Beide Funktionen ließen sich also mit Fug und Recht in einer Person vereinigen, was die Rentabilität des Betriebes günstig beeinflussen müßte.«
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Plakate rufen zur Planerfüllung auf 1955 soll zum erfolgreichsten Jahr des ersten Fünfjahrplanes werden! Höchste Zeit, schließlich galt er von 1951 bis 1955.
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Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl gehen am Sonntag zusammen in die Kirche. »Was können wir denn für ein Lied singen?« fragt Pieck. »Vielleicht •Ein feste Burg ist unser Gott „.•?« schlägt Grotewohl vor. »Nein, das können wir doch nich singen, wir glauben doch nicht an Gott!« erwidert Pieck. »Na dann laß uns doch mit der zweiten Strophe beginnen: •Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren „.«<
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Das nachdenkliche Schweigen, das diesen Worten folgte, wurde durch den Kollegen Gründer von der Materialbeschaffungsstelle unterbrochen, der in seiner ruhigen, aber tiefgründigen Art bemerkte: »Zu dem an sich bestechenden Vorschlag des Kollegen Wmkler möchte ich darauf hinweisen, daß dabei im Herbst und Friihling Schwierigkeiten auftreten können, nämlich Spitzenzeiten, in denen die Heizperiode noch nicht beendet ist, die Fliegenbekämpfung aber bereits begonnen hat. Im Herbst entsprechend umgekehrt. Wäre das nicht für eine Person zuviel?« Ein zustimmendes Gemurmel erhob sich. Direktor Schneider fand einen Ausweg aus dem Dilemma. »Man müßte für alle Fälle eine Reservekraft bereithalten, die bei Bedarf einspringt, in der übrigen Zeit aber dem Türklinkenwart zur Hand gehen kann. Es müßte sich allerdings um eine besonders wendige Persönlichkeit handeln, die in der Lage ist, drei verschiedene Fachgebiete zu meistern. Vielleicht ist der Kollege Krause dafür geeignet. Sein jetziger Posten als hauptamtlicher Fliegenbekämpfungs-Inspekteur würde dadurch vom Stellenplan verschwinden, was unzweifelhaft ein Fortschritt wäre. Ich werde den Kollegen Krause nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub sofort einer Eignungsprüfung unterziehen lassen.« Nach einem Blick auf die Uhr schloß Direktor Schneider vom VEB MENS-SANA die Sitzung mit den Worten: »Liebe Kollegen, ich danke euch für eure tatkräftige Mitarbeit, durch die es uns wieder einmal gelungen ist, dem personellen Leerlauf in unserem Betriebe eine siegreiche Schlacht zu liefern."
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John Stave
Pi.llor-Otto »Du läßt dir aber janz schön Zeit mit das Bier, Arthur! Also paß uff, Luisekin: Et muß alles durchdacht sind. Du kommst sonst nich auf deinem Geld. Rechts steht die Kiste mits Matrial, links der Ablegekorb. Du greifst mit die rechte Hand die Platte, schrummbang, rin in die Stanze, zack - zong, runter mit die Hebel, plang - plitsch, rin in den Korb. Das Matrial muß natürlich flutschen. Frühen Nachmittag stimm' de Kohlen, Hände waschen, rin in die Kantine, Feiaahmt! Bei hundertsechzig bis hundertsiebzig Prozent mußte Sense machen, sonst wemse stutzig und kucken dir auf die Fingern_ Apropos Kantine: Arthur, wenn ich hier den Nachwuchseinarbeiten tu, denn mußte schon 'n bißken für feuchte Luft sorgen. Schließlich sind wa hier in den Kantine und nich ins HO. Für Luise noch een Küriatzo. Na ja, kurz undjut. Jetzt wollnse dir natürlich an den Norm pinkeln. Mein Wahlspruch: Kommen lassen, jehn lassen! Et jibt ja janz penüble Heinis dadrunter. Am besten packsten erst ma an die idealogische Seite. •Kollege<, sagste, •ehrlich währt am längsten! Wie ich heute arbeite, werde ich morgen leben! Und: Wer sich ans Volkseigentum vergreift, fäßt sich in der eigenen Tasche!< Wennat sich bequem gemacht hat, legste los. Jetzt mußte mir jeografisch folgen, Luisekin. Erst ma vorher die Arbeitsschutzvorrichtung wieder ranjeschraubt. Denn mit die rechte Hand links in die Matrialkiste jegriffen, langsam die Platte in die Schablone, rüberpusten wegen die Späne, Hände an den Hebeln jelegt und schrumm - schrapp - Arbeitsjang ausgeführt. Jetz die rechte Hand, schwupp, links in Ablejekorb. Allet sauber und exakt. Apropos ex: Ein Pils und zwei Küriatzo, Arthur, aber in bißken plötzlich. Die Luise sieht schon aus wie ne vatrocknete Jumpfa. Wennde det ne Weile so jeschubbert hast, Mädel, sagste zu
»Im Konsum gibt's wohl Obst?"
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den Kollegen: >Guck ma, Kollege. Dieser dauernde Metallstaub und so legt sich nachteilig auf den inneren Organen, an die man sich auf höherer Ebene immer vertrauensvoll wenden soll, ha, ha!• Humor mußte flegen. Und weiter: >Nu werd ich mir mal erst rasch inne Kantine begeben und mein Innenleben befeuchten wegen die Gesunderhaltung.• Nach'n paar Minuten kommste wieder mit folgende Worte: >So - der Staub ist aus de Lunge, jetzt raschelts im Karton, mein Junge!• Pösie wird immer gern jehört. Und ab jeht die Post; denn bei die Post jeht's nich so schnell! Nach ne Weile fühlste dir bedrückt. Du wendest dich am Kollegen Normabnehmer. >Die Ausspülung des staubigen Halses verlangt ihr Recht•, und gehst auf dem Örtchen. In den Turnus machste weiter. Und am Ende wird selbst der Kollege Normabnehmer bewundernd feststellen: >Zeiten sind det!• Arthur, noch zwee kleene Küriatzos und 'n Halben Liter. Und denn zur Kasse! Is nämlich gleich Feiaahmt, Luisekin. Natürlich sind se langsam ooch uff den Dreh gekommen. Jetzt wollnse, daß sich jeder selbst seine Norm machen tut. •Vertrauen gegen VerHi trauen•, sagense und •Schaffung von reale Arbeitsnormen<. Nu muß ick ma allet erst noch mal durchdenken. Die Methode kann ick doch bei mich nich anwenden. Det gloob ick ma doch selber nich, Mensch, Luise, det kann ick mir doch nich erzähln ... "
Ubaltaizan i1
zWlf BI leiZH So war's im Kalten Krieg.
Jochen Petersdorf
»Also, Junge, ab heute gehörste zu unsre Brigade. Ick he~e Ewald, bin der Brigadier. Das is Otto, das is Karl, das ist Ede, das is Paule und dahinten, der mit der Glatze, das is Heinrich. Nimm dir an allen ein Beispiel, dann haut's hin. Also dann!" Der Junge nahm sich an allen ein Beispiel. Nach einem halben Jahr rauchte er soviel wie Otto, trank soviel wie Karl, feierte montags krank wie Ede, ließ ab und zu etwas verschwinden so wie Paule, schwieg bei Versammlungen wie Heinrich und erfüllte so wie alle den Plan mit 135 Prozent. Er hatte ausgelernt.
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Heinz Fischer
Dor SiotJor Die Begrüßung und das Festessen hatten im Kulturhaus stattgefunden; dann schritten die Herren zur Besichtigung des Werkes, das den Wettbewerb des vergangenen Quartals überraschend gewonnen und die Palme des Sieges errungen hatte. Doch seltsam: je mehr Abteilungen die Delegation besuchte, desto schneller und gründlicher schlug ihre anfangs hochgemute Stimmung um. Immer düsterer und verschlossener wurde trotz aller diplomatischer Beherrschung das Gesicht des Regierungsvertreters. Die Kollegen aus den Schwesterwerken, welche gleichzeitig die im Wettbewerb Unterlegenen darstellten, blickten einander fragend in die Augen und zuckten schließlich die Achseln - und die Pressevertreter starrten verlegen auf ihre Notizblöcke, ohne eine Zeile zu schreiben. Lediglich die Angehörigen des Siegerbetriebs trugen unbekümmerte Mienen zur Schau. Der Werkleiter lächelte gewinnend nach allen Seiten, doch konnte auf die Dauer auch ihm die immer frostiger werdende Atmosphäre nicht entgehen. Aber schon war man wieder im Kulturraum angelangt. Der Kaffee wurde gereicht, und die Aussprache begann. »Ich kann Ihnen mein Erstaunen nicht verhehlen«, sagte der Vertreter der Regierung und blickte dabei den Werkleiter durchdringend an. »Ihr Werk hat zwar den Wettbewerb gewonnen, aber ich frage mich, wie Sie das gemacht haben. Ich konnte während der Besichtigung nichts entdecken, was diesen Sieg rechtfertigt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Sie werden bemerkt haben, daß ich in der Versandabteilung länger stehenblieb, um das Zunageln der Kisten zu beobachten. Einige der dort beschäftigten Kollegen interessieren mich in höchsten Maße, das heißt, ich fürchtete, daß sie jeden Augenblick
"Zum Feierabend wird mir immer ganz schwer ums Herz.«
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einschlafen oder sich die Finger zerklopfen würden. Ähnliche Beobachtungen hinsichtlich der Arbeitsweise konnte man wie die anderen Herren sicher bestätigen werden - in jeder Abteilung machen, und ich frage sie hiermit allen Ernstes: Wie haben Sie den Wettbewerb gewonnen? Antworten Sie frei und ohne alle Umschweife!" Totenstille griff im Raum um sich, fast lautlos setzten die Pressevertreter einen Doppelpunkt aufs Papier. Doch der Werkleiter lächelte. »Ich möchte Ihre Befürchtungen hinsichtlich der Kistenzunagler zerstreuen«, sagte er leichthin. »Das sind unsere besten Leute, und sie erfüllten im Wettbewerb ihre Norm mit durchschnittlich 128 Prozent. Auch die Kollegen der anderen Abteilungen haben das gesteckte Ziel erreicht. Was nun Ihre Zweifel und die von Ihnen beobachtete allgemeine Lustlosigkeit betrifft, so ging trotzdem alles mit rechten Dingen zu: Wrr haben den Wettbewerb gewonnen ... aber jetzt ist er ja zu Ende, und das Werk arbeitet wieder normal.«
"So, das hätten wir geschafft!«
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Ulrich Speitel
Anton ist Traktorist auf unserer Station. Am Mittwoch sah ich, wie Anton zaghaft auf den Hof kam. »Zerrammelt, was?« »Was du gleich immer hast! 'ne Kleinigkeit···" »Hm. Reparierst du alleine?« »Klar! ... Bloß ... Franz ... ?« »Doch zerrammelt?« »Wieso denn? Er klappert ein bißchen, das ist alles.« »Und deswegen bist du zu Fuß?« »Na ja ... weißt du ... Könnte nicht mal jemand mitkommen? Er zischt so. Spuckt so. Hopst so ruckweise.« »Hat aber eben bloß geklappert ... " »Na, klappern tut er doch außerdem.« »Hm. Kleinigkeit an der Kupplung, Anton.« »Natürlich 'ne Kleinigkeit. Was denn sonst? Kommt doch bei jedem mal vor, daß er nicht läuft.« »Eben ist er noch gehopst···" »Freilich ist er noch gehopst. Aber dann ist er nicht mehr gehopst. Dann hat er keinen Mucks mehr gemacht.« »Hm. Tank leer.« »Tatsache, der Tank kann auch noch leer sein ... Aber könntest du nicht doch mal ... ? Nämlich es hat gezischt, da war die Luft raus.« »Auch noch.« »Ist das etwa schlimm? Eine Reifenpanne wird man ja wohl noch haben dürfen!" Nun gingen wir beide. Strammen Schrittes gingen wir bis zum Tor. Dort wurden Antons Schritte langsamer. Er blieb stehen. »Sag mal, könnten wir nicht eine Maschine mitnehmen?« »Nee.« »Er läuft aber nicht, Franz. Es ist ja bloß eine Kleinigkeit, aber vielleicht müßen wir ihn abschleppen. Vielleicht funktioniert er auch. Sicher funktioniert er. Bestimmt. Aber trotzdem - man kann nie wissen ... " »Wird alles repariert." Wir schritten nun durchs Hoftor. Als wir die Straße erreichten, zupfte mich Anton am Ärmel. »Wollen wir nicht lieber doch eine Maschine mitnehmen, Franz? Es kann sein . . . ich meine bloß, wir brauchen nämlich 'ne Wmde.«
Ein Omnibus fährt über Land. Plötzlich steht quer über der Landstraße ein Ochse, der nicht weicht, so sehr der Fahrer auch hupt. Bis ein älterer Bauer aus dem Bus steigt, zum Ochsen geht und ihm was ins Ohr flüstert. Der Ochse nimmtreißaus.Als der Bauer wieder einsteigt, fragt ihn der Fahrer neugierig, was er gemacht habe, dass der Ochse prompt auf hörte. •Ach, es war ganz einfach«, sagt der Bauer. •Ich habe gesagt, wenn du jetzt nicht abhaust, mußt du in die LPG.•
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»Der Lack wird auch jedes Jahr schlechter!"
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»So? Die Karre ist also hin?« »Hin! Was du sagst! Warum soll sie denn hin sein? Ein kleines Malheur ist passiert. Hab ein Rad verloren, weiter nichts." Wrr gingen wortlos zurück, suchten eine Wmde und bestiegen meinen IFA, da sagte Anton: »Haben wir nicht ein paar Seile? Wrr möchten vielleicht noch ein paar Seile brauchen ... " »Wozu noch Seile?« »Du kannst aber dumm fragen, Franz. Er hat sich ein bißchen auf die Seite gelegt, das ist doch klar.« »Sonst noch was?« »Wenn vielleicht noch ein Anhänger da wäre ... ?« »Anton, gib endlich zu ... « »Was ist da zuzugeben? Hab ein paar Kleinigkeiten verloren. Lauter Kleinigkeiten ... " Drei Stunden nach Antons Ankunft auf der Station erreichten wir den Ort des kleinen Malheurs. Hier mußte sich inzwischen manches ereignet haben. Man sah zwar noch einige Schrammen an einer standfesten Eiche, aber von Antons Traktor fehlte jede Spur. »Gemaust!« brummte Anton, mir schien, sehr erleichtert. Ich sagte: »Quatsch! War doch kaputt.« »Bitte, jetzt siehst du's ja, daß es bloß eine Kleinigkeit war. Kaum geht man weg, da kommt so ein Strolch daher, dreht hier ein bißchen, schraubt dort ein bißchen, setzt sich drauf fort ist er." Alles schien Anton Recht zu geben. Was blieb uns übrig - wir meldeten der Polizei den Diebstahl eines Traktors. Wenige Tage später mußten wir die Meldung zurückziehen. Die VHZ Schrott teilte uns mit, daß sie am Mittwoch während einer Rumpelmännchen-Großaktion an der Straße zur MTS zwei Tonnen Schrott erfaßt habe.
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Eberhard Cohrs
8ori.lslrtt1JOH Sketch mit Bobby Boelke
Boelke: Was hast du denn eigentlich so früher gemacht? Cohrs: Nach'm Kriege? Boelke: Ja. Cohrs: Na, bin isch bei de Bauern rumgeäckert ... Hühnerfutter verschoben und ... eenma hab ich 'n Aushilfshahn gemacht, hab ich so ... den ... Boelke: Was, bitte? Cohrs: Ich hab immer gekräht, daß die Hühner uffstehn. Boelke: Ach so. Cohrs: Wrr ham ooch Kühe verkooft. Boelke: Kühe? Cohrs: Eene ham waja noch zu Hause. Boelke: Was, du hast noch 'ne Kuh zu Hause? Cohrs: Eene hab'sch behalten, man weeß ja nie, wie's kommt, ne? Boelke: Aha. Aha. Cohrs: Jetz soll wiedor de Butter deurer werdn. Ach, hör mir uff ... Boelke: Die Butter? Warum denn das? Cohrs: Ja, die Kühe wolln ja ooch 'n freien Sonnabend habn ... Boelke: Aber da wir grade bei dem Thema sind: Sag mal, was gibt denn eigentlich eure Kuh so Milch am Tag? Cohrs: Oh, unsre Kuh? Was die for Milch gibt? Boelke: Ja. Cohrs: Na, dös mußte dir so vorstelln, also wenn eena dadadada, nuja, ich will a mal sagn, unsre Kuh ... naja, die gibt eben so viel Milch, daß ma sagn gönnte, nuja, ich will a mal sagn: dös gibt se. Im Ganzen isses eben so viel, daß ma sagt, viel is' es ne. Boelke: Was ist es denn? Cohrs: Es is eben so viel, daß man sagn könnte, nuja, was se gibt, das gibt se gerne. Boelke: Ich glaube es ja. Was rückt sie denn so freiwillig raus?
In Halle hat eener 'n Ochsen een GummiEuder angenäht, der gibt fümunzwanzi[:h Liter Milch am Tach.
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Eberhard Cohrs: Der Kleene mit der großen Gusche.
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Cohrs: Freiwillig gibt se gar nix. Boelke: Ach, du weißt doch, was ich meine! Cohrs: Aber sie habn se mal beobachtet, wenn se so die Beene zusammendonnert, da haut se noch n Viertel mehr raus ... Boelke: Also ich will ja jetzt nicht wissen, was die für Verrenkungen macht. Wenn sie ganz normal dasteht ... Cohrs: Ach wenn se noch a mal dasteht? Boelke: Ja, bitte. Cohrs: Ja, wenn man richtich dran rumrammelt ... will ich ma sagn, schon acht Liter, die mehrt se zusamm'. Boelke: Acht Liter? Das is aber 'ne ganze Menge, das könnt ihr doch gar nicht gebrauchn. Cohrs: Nee, von die acht Liter tun wer zweie für uns behaltn. Und die andern zwölf Liter gebn wir der Molkerei. Und die gebn dann die fümunzwanzich Liter an den Verbraucher weiter. Boelke: Das is aber 'ne ausgesprochene Milchmädchenrechnung, die du da machst. Du darfst den Leuten keinen Bären aufbinden, du mußt ihnen Tatsachen erzähln. Wie wär's denn damit, die Sache von dem Dresdner Arzt ... Cohrs: Dresdner Arzt? Boelke: Ja, nicht gehört? Ach, is doch ganz doll. Der hat doch folgendes gemacht: Der hat jemand, der schlecht sehen konnte, künstliche Augen eingesetzt, der sieht jetzt besser als vorher. Cohrs: Der Dresdner mit den Glasoogn? Boelke: Und nun guckt der besser wie er hört. Der sieht wie neu. Cohrs: So? Weeßte des ganz genau? Boelke: Ganz genau. Cohrs: Des' ja eene Lapaille, des is ja gar nichts. Boelke: Warum ist denn das nun wieder nichts? Cohrs: In Halle hat eener 'n Ochsen een Gummi-Euder angenäht, der gibt fümunzwanzich Liter Milch am Tach. Boelke: Ach ja Cohrs: Dös is eene Sensa-ze, eene Senza ... des intressiert de Leude. Boelke: Jaja, das glauben wir dir auch alle aufs Wort. Hat das schon mal einer gesehn? Cohrs: Wer das schon ma gesehn hat? Boelke: Ja? Cohrs: Dein Dresdner mit de Glasoogn.
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John Stave
Indem daß es eine prekuniäre Geschichte ist, muß es an die Öffentlichkeit dringen! So wahr mir die Kollegen »BrijadenPaul« nennen tun, liegt mir unsere ganze Arbeitsmoral und enthusijasmin ans Herz. Dabei waren wir schon aus das Gröbste heraus. Mit ein Wort: Es flutschte. Und zwar dadrum, weil wir den schädlichen Indiwidialismus eine breite kollektive Schulter gezeigt hatten: unsre Brijade. Und nich mal im Vordergrund drängte ich mir. Ins Gegenteil. »Paul«, sagte ich mir selbstkritisch, »durch dein dämliches Gequatsche störst du deine Kollegen bloß in ihm Eifer, geh ma 'ne Weile auf dem Klosett. Rauchste schön 'ne Zigrette und machst dir Gedanken über die Arbeit. Neue Methoden und so.« Zugegeben: Kleine 1\vistigkeiten gab's hin und wieder. Diese konnte ich aber immer schnell auf der kollegialen Tour ausbügeln. »Kollegen«, hab ich gesagt, »klaren Kopp und warme Füße! Wrr ziehn alle an einen Strang und wirtschaften alle in einem Topp. Überhaupt«, hab ich gesagt, »Ärger und Kummernüsse legen sich aufm Gemüt und tun bloß die Arbeitsintensiwität beeinträchtigen.« In so ein Fall hab ich mir immer bereit erklärt, geistige Getränke aus der Kantine raufzuholen. Und ins Vertrauen mal gesagt: Zu kurz bin ich niemals nich gekommen. Die andern haben sich ja kaum Zeit zus Trinken genommen. Immer bloß Rabotta, Rabotta im Kopp. »Der Kies muß stimmen, Paule«, haben sie gesagt. Na, ich hab nich widersprochen. Ich wer mir hüten. Und der Kies stimmte immer. War ja alles aus ein Topp. Aber jetzt hänge ich mal alles an der großen Glokke! Mein janzer Enthusijasmin is im Eimer. Und dadrum muß ich mal an Herrn Ulbricht bezwecks Grotewohl herantreten. Unse Brijade soll aufgelöst werden! Jetzt soll der Meister die Verantwortung bekommen und kuckt ein' auf die Fingern. »Meisterbereiche« nenn sie das. Und aus is die Bequemlichkeit. Wer holt jetzt meine Kollegen das Bier und den Korn? Das verrechnen sie nich mehr. Nur tatsächlich geleistete Arbeit güldet. Das is eine ungerechte Verschlechterung meiner Person. Wenn ich allein so denke, war es lapalisch. Aber es gibt mehr von meiner Sorte, die es betreffen tut. Dadrum geb ich die Regierung ein Singnal. Jedenfalls soll alles besser werden, was hier nich hinhaut. Laßt mir unse Brijade. Ich hatte so ein schönes Rittmus! Im Namen von viele, die auch so denken.
•Warum repariert ihr nicht den Kran?" •Wo sollen wir die Zeit dafür hernehmen?"
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Aus unseren Betrieben ist noch mehr rauszuholen
Heinz Fischer
Die Lage war ernst. Das Gefährliche der Situation konnte der Eingeweihte schon daran erkennen, daß zum erstenmal seit Jahren alle führenden Männer des Betriebes gleichzeitig versammelt waren, um des Rates zu pflegen. Punkt 17 Uhr eröffnete der Werkleiter die Sitzung, sagend, daß man sich in Teufels Küche befände. Erschüttert wurde davon niemand; denn alle wußten es schon. »Es handelt sich um die Qualität«, fuhr der Werkleiter fort und wühlte in einem Stoß von Kundenreklamationen. »Das Publikum schreibt unverblümt, daß unser Bartwuchsmittel •Eterna• ein alter Käse sei - und die Leute fragen auch, wo denn der einstmals so gute Ruf unseres Hauses bliebe. Weiß das zufällig einer von euch, Kollegen?« Die Kollegen schüttelten die Köpfe. »Nun, Kollegen«, schlug der Werkleiter wieder auf Es wurde beschlossen, das Bartden Busch, »was ist's also mit unserem •Eterna« wuchsmittel »Eterna« künftig »Es ist meine feste Überzeugung, daß wir die Quaunter dem Namen »Avanti« auf lität verbessern sollten«, begann der Produktionsden Markt zu werfen. leiter. »Unser •Eterna< besteht aus Schmierseife, Honig, Taubenmist und einem Absud aus gestoßenen Wollhandkrabben. Wahrscheinlich liegt es am Taubenmist ... der zieht nicht mehr so wie früher.« »Das kann mit effektiver Sicherheit so genau kein Mensch behaupten«, schaltete sich der Werbeleiter ein. »Was nottut, sind ein paar kräftige Losungen! Reklame ... das ist es! Im übrigen bin natürlich auch ich dafür, die Qualität zu verbessern." »Schön«, sagte der Werkleiter, und man sah ihm an, daß erbereit war, mit jedem Strohhalm einen Bündnisvertrag abzuschließen, »dann schaut euch mal nach Hauswänden oder Bretterzäunen um, die noch frei sind, und beklebt sie mir s_auber. Was aber tun wir hinsichtlich unserer Qualität?« »Man muß sie verbessern!« riefen die Anwesenden im Chor. Gleich darauf bat einer aus dem Labor ums Wort und sprach zunächst ganz allgemein über die Bedeutung des Bartwuchses an sich. Als er dann seine Ausführungen untermauern wollte, verlor er sich unversehens in ein Gestrüpp chemischer Formeln. Trotzdem war es sehr interessant, und nicht alle Zuhörer schliefen.
Aus unseren Betrieben ist noch mehr rauszuholen
Mittlerweile war es 20 Uhr geworden. Die Kollegen aßen ein wenig und rauchten dann. Nach Wiederaufnahme der Diskussion machte der Werkleiter den Vorschlag, die Qualität des »Eterna« zu verbessern. Darauf senkte sich Schweigen auf die Versammlung herab. Gegen 21 :30 Uhr erfolgte der spontane Wutausbruch eines Abteilungsleiters. Der Mann stieß heftige Anklagen aus, zieh alle Kollegen der Gleichgültigkeit und geistigen Trägheit und sagte, er schäme sich, öffentlich zu bekennnen, daß er im VEB »Eterna« arbeite und an der Herstellung des »Eterna« beteiligt sei. Mit diesem Namen könne man keinen Hund mehr hinterm Ofen hervorlocken, man solle das endlich einsehen ... Da horchte man auf, und so unangenehm das alles war, eröffnete die Rede des biederen Mannes dem Werke doch eine Perspektive und zeigte einen Weg in die Zukunft. Es wurde beschlossen, das Bartwuchsmittel »Eterna« künftig unter dem Namen »Avanti« auf den Markt zu werfen - und das Werk in VEB »Lobesam« umzutaufen.
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»Wenn wir hier abkömmlich wären, Kollege, wir würden den Kumpeln aber zeigen, wie gearbeitet wird - was?"
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Gut geklaut ist halb gebaut
Nils Werner
loO dos Mttl401HS Ein Lob, und wenn es noch so plump und grob ist, wird immer gern gehört, weil es ein Lob ist. Ein Tadel, wenn man ihn auch zart umschriebe, der findet nie die rechte Gegenliebe. Drum laßt mich nach dem Grundsatz, siehe oben, mit glatter Zunge einen Maurer loben. Ich spreche hier von Maurer Hannes Hamann, und daß er mehr als fleißig war, das sah man. Zum Beispiel daran: Wenn andre freitags in die Kneipe gingen, da sah man ihn die Maurerkelle schwingen. Nichts lockte ihn zu einer Halsbefeuchtung. Er baute noch bei künstlicher Beleuchtung! Am Samstag schon im ersten Dämmerlicht tat Hannes Hamann seine schwere Pflicht. Sein Frühstücksbrot, belegt mit Wurst und Ei, aß Hannes Hamann nur ganz nebenbei und ging um zwölf, nach kurzer Mittagspause, nicht etwa, wie es üblich ist, nach Hause. Sogar am Sonntag strömte er herbei und mischte Kalk beim ersten Hahnenschrei und mauerte ein Stein, ein Kalk, ein Stein bis in die tiefe Nacht hinein. •Meine Methode? Ein Stein, ein Schluck ... "
Und während mancher, krumm und katerlahm, am Montag nicht aus seinen Federn kam, sprang Hannes Hamann hurtig aus dem Bette und baute mit sich selber um die Wette. Erst spät betrat er seines Hauses Schwelle, im Rucksack seine blanke Maurerkelle. Nur dienstags, ach, kaum wag ich's auszusprechen, da mußte er die Arbeit unterbrechen, und schweren Herzens - gegen sein Prinzip ließ er sich sehn in seinem Baubetrieb. Es blieb ihm wirklich keine andre Wahl: Er brauchte wieder neues Material ... !
2. Ka
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AIJIJos z~Ht WoAIJo das lloßlios Humorvolles aus dem Alltag Die Staatliche Handelsorganistion, kurz HO, bringt in den fünfziger Jahren begehrte Waren unter die Leute. Noch gibt es Bezugsscheine, hier aber hat der Käufer die freie Auswahl, muß allerdings auch stolze Preise berappen. Neue Fernsehsendungen kommen ins Programm. Der DDRGroßmeister der Unterhaltung, Heinz Quermann, ist mit seiner Rundfunksendung Da lacht der Bär nun auch auf der Mattscheibe zu sehen. Auch die langlebigste DDRFernsehsendung wird 1955 aus der Taufe gehoben: die Rumpelkammer. Der Schauspieler Willi Schwabe erzählt Filmgeschichten und zeigt Ausschnitte aus UFA-Filmen. Für die Kleinen erzählt Meister Nadelöhr ab nun einmal wöchentlich Geschichten aus dem Märchenwald. Aber noch ist das Fernsehen keine Konkurrenz für das Kino. Die DEFA sorgt gleichermaßen für leichte Kost und anspruchsvolle Filme. Aber die beliebten Kino-Besuche in Westberlin, bei Vorlage des DDR-Ausweises auch noch verbilligt, bleiben selbstverständlich an der Tagesordnung. Dass der 1955 in die Kinos kommende Spielfim Ernst Thälmann, Führer seiner Klasse nach Besucherzahlen weit vorne liegt, hat den schlichten Grund, daß sein Besuch angeordnet wird und sogar während der Arbeitszeit erfolgen darf.
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Alles zum Woh le des Volkes Erich Hanko
Als Otto aus dem HO-Geschäft trat, hatte er ein Viertelpfund Leberwurst in der Tasche, das er zum Abendessen essen wollte. Otto pfiff fröhlich vor sich hin, hörte aber mitten in einem Triller auf, weil er plötzlich einem Hund gegenüberstand, der neu zugezogen sein mußte, denn Otto kannte ihn nicht. Alle Hunde, die schon länger ansässig waren, kannte er. Aber diesen nicht. Es war eine Dogge, schwarzweiß gefleckt wie ein Karussellpferd, und ebenso groß. Sie gehörte dem Bäckermeister Petrick, der sie erst gestern auf der Hundeausstellung gekauft hatte, und hörte auf den Namen Dooe. Aber das wußte Otto natürlich nicht. Dooe beschnüffelte nachdenklich Ottos unteren Westenknopf, ließ dann seinen Blick nach oben schweifen und sah Otto in die Augen. Otto hatte den Eindruck, daß Dooes Blick Jetzt wedelte der Hund freudig mit sehr ausdrucksvoll war, und trat einen Schritt zur dem Schwanz und zerschlug dabei Seite. Auch Dooe trat einen Schritt zur Seite, und drei HO-Eier. zwar nach derselben Seite. Offenbar war er mit der Überprüfung Ottos noch nicht fertig. Otto machte einen Bogen nach der anderen Seite, weil er nach Hause wollte, ohne Dooe auf die Zehen zu treten. Dadurch kam die Leberwurst in eine für Dooes Nase günstige Wmdrichtung. Er lächelte erfreut, richtete sich auf, legte seine Vorderpfoten wohlwollend auf Ottos Schultern und roch an seinem Schlips. »Aber ... , aber ... «, sagte Otto verlegen. »Wollen Sie Ihren Hund nicht an die Leine nehmen?« fragten mehrere ältere Damen, die sich inzwischen angesammelt hatten. »Man kann sich ja vor dem Tier fürchten! « »Fürchten?« lächelte Otto tapfer und bemühte sich, nicht zusammenzubrechen. »Wer wird sich denn gleich fürchten! Im übrigen ist es gar nicht mein Hund.« Niemand glaubte es. Dazu waren Dooes Zärtlichkeitsbeweise zu eindrucksvoll. Jetzt wedelte er auch noch freudig mit dem Schwanz und zerschlug dabei drei HO-Eier, die eine der Zuschauerinnen in einem Marktnetz nach Hause tragen wollte. Sie beklagte ihren Verlust mit lauter Stimme. Die allgemeine Empörung wuchs. »Man müßte die Polizei holen!« rief jemand. »Wie kann man solch ein Tier frei herumlaufen lassen! «
Alles zum Wohle des Volkes
Otto griff in die Tasche, brach ein Stück von der Leberwurst ab und warf es in hohem Bogen über die Köpfe der Umstehenden. Dille sah es, sprang nach und durchbrach die Menschenmauer, die inzwischen entstanden war. Die Dame, die nach der Polizei verlangt hatte, setzte sich dabei auf eine Tube Zahnpasta, die ein Herr fallen ließ, weil ihm von einem Unbekannten ein Weißbrot auf die Brille geworfen wurde, das dieser nicht mehr halten konnte, da er seine Hände dazu benötigte, einen Schirm aus seinem linken Ohr zu nehmen, den eine wildfremde Frau beim Umfallen hineingetan hatte. Es ging ziemlich laut zu, aber Dille erwischte die Leberwurst, und Otto gelang es, in der allgemeinen Aufregung zu entkommen. Er hörte aber noch, wie man hinter ihm herrief: »Ich werde Sie anzeigen! - Ich kenn' Sie! - Ich weiß genau, wo Sie wohnen!« Nach kurzem Dauerlauf bog Otto um die Ecke und blieb vor einem Zeitungsstand stehen, hauptsächlich aus drei Gründen. Einmal wollte er nicht durch weitere Fluchtbewegungen auffallen. Zweitens war ihm die Luft ausgegangen, und er mußte nach neuer schnappen. Und drittens wollte er lesen, ob es etwas Neues gab. Es gab Neues. In Irland waren wieder Fünflinge geboren worden, und auch der Vesuv war beinahe wieder ausgebrochen. Und in Ägypten ... »Haben Sie noch mehr Leberwurst?« fragte jemand neben Otto und stieß ihn mit der Schnauze in die Rippen. Es war Dixie, der seinen Freund wiedergefunden hatte. Er sagte es natürlich nicht so menschlich, wie es hier steht. Aber Otto verstand genau, was man von ihm wollte. Mit einer müden Handbewegung griff er in die Tasche, nahm die gesamte Leberwurst, die sich noch in seinem Besitz befand - es waren noch genau 92 Gramm - und warf sie über die Straße weg in die Anlagen, so weit wie er konnte, um endlich Ruhe zu kriegen. Die Wurst fiel auf eine Bank, auf der außerdem noch ein Lie-
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Feigenblatt auf kargem Grund? Die Stalinallee leuchtete im Herbstlaub.
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Drei Gefangene in Bautzen unterhalten sich. »Warum sitzt ihr?« »Ich kam immer fünf Minuten zu früh. Da hat man mich wegen Spionage verurteilt. Und warum sitzt du?« »Ich kam immer fünf Minuten zu spät. Da hat man mich wegen Sabotage verurteilt.« Die beiden fragen den dritten Häftling: »Und nun must du uns sagen, warum bist du hier?« »Ich kam immer pünktlich. Da hat man mich ertappt, dass ich eine WestUhr habe.«
Alles zum Wohle des Volkes
bespaar saß und von Liebe sprach. Als Dooe durch die Büsche brach, um sein Eigentum abzuholen, brach das Liebespaar sein Gespräch ab und begab sich eilig in eine nahe gelegene Telefonzelle, um dort weiter von Liebe zu sprechen. Auch Otto hatte sich inzwischen weiterbegeben und rechnete gerade noch, wie hoch seine bisherigen Unkosten waren, als Dooe wieder neben ihm auftauchte und nach neuer Leberwurst forschte. Aus taktischen Gründen versprach Otto, ihm ein Stück Napfkuchen aus dem Fenster zu werfen, falls er das Glück haben sollte, seine Wohnung, die nicht mehr weit entfernt war, lebend zu erreichen. Kurz vor der Haustür wurden die beiden aber von drei Radfahrern eingeholt und umzingelt. Es waren der Bäckermeister Petrick und seine beiden kräfti gen Söhne, die sich aufgemacht hatten, um ihren neuerworbenen Hund zu suchen. Dooe erkannte sie wieder und begrüßte sie herzlich. »Wo wollen Sie mit meinem Hund hin?« fragte der Bäckermeister gemessen. »Vielleicht fragen Sie Ihren Hund, wo er mit mir hin will«, sagte Otto wütend. »Wie können Sie dieses Ungeheuer überhaupt frei herumlaufen lassen?« »Ich habe Zeugen dafür, daß Sie das Tier mit Wurst an sich geblockt haben wie ein ganz gewöhnlicher Hundefänger«, erwiderte der Bäcker. »Wieviel Hunde Sie sonst noch gefangen und gegessen haben, wird die Polizei feststellen!" Jetzt merkte endlich auch Dooe, welch einem fruchtbaren Schicksal er entgangen war. Er knurrte Otto böse an und warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Auch Bäckermeister Petrick warf Otto einen verächtlichen Blick zu, und jeder seiner beiden Söhne warf Otto je einen verächtlichen Blick zu. Dann fuhren sie mit Dooe wieder nach Hause. Das Verfahren gegen Otto betr. »Entwendung eines, wahrscheinlich aber mehrerer Hunde«ist noch nicht eröffnet. Es wird erst noch weiteres Beweismaterial gesammelt. Die Zahl der während der letzten zehn Jahre in der näheren Umgebung verschwundenen Hunde beläuft sich auf 32, von denen man mindestens 31 Otto in die Schuhe schieben zu können hofft.
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Beschwert sich ein Löwe im Berliner Tierpark . können sich . ; beim Wärter, warum er immer nur Äpfel und Sie schließlich doJ!o~ nicht vorstellen, wie froh . . . och den Schornstein f ich bin, daß j ab und zu mal eine Banane zu fressen '"' ge unden hoben!" bekommt. Der Löwe im Nebenkäfig erhält jeden Tag Fleisch. Der Wärter verspricht, sich 1 beim Tierparkdirektor zu erkundigen. Als er zurückkommt, sagt er zum Löwen: »Das hat - schon seine Richtigkeit. Du sitzt auf der 1 Planstelle eines Affen."
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1Wo ist die Katze?« 1Die ltaben dU Mäuse gefrusen!«
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Fritz Bernhard
Erich Mielke als Gastredner auf dem Schriftstellerkongreß: »Liebe Genossen, liebe Kollegen, wir im Ministerium für Staatssicherheit verfolgen aufmerksam die Literatur unserer Republik ... "
»Sie wünschen, mein Herr?« Die blonde Verkäuferin der »DLZ für Unterhaltung«, Abteilung Rundfunk, sah mich mit einem schlichtweg bezaubernden Blick an. »Ich möchte mir gerne mal was Gehobenes ansehen, mein Fräulein«, sagte ich mitjener ernsten Zurückhaltung, die mich blonden Verkäuferinnen gegenüber von jeher ausgezeichnet hat. »Etwas Gehobenes, bitte sehr«, sagte das Fräulein zuvorkommend und baute sich dicht vor mir auf, »wenn Sie mich vielleicht selbst einmal anheben wollen - bitte sehr.« »Sie verstehen mich falsch, Fräulein«, meinte ich, irritiert von soviel Kundendienst, »ich suche gehobene Unterhaltung, verstehen sie?" »Aha«, nickte sie, »das hätten Sie auch gleich sagen können. Sie wünschen eine Ansage von Heinz Quermann.« »Nicht unbedingt eine Ansage von Heinz Quermann, Fräulein···" »Dann vermutlich eine hübsche Schlagerlotterie von Heinz Quermann?« »Auch keine hübsche Schlagerlotterie ···" »Aber •Da lacht der Bär<, mit Heinz Quermann, was?« »Auch das nicht, Fräulein, auch das nicht···" »Ach so!« Verstehend leuchteten ihre Augen mich an. »Sie meinten einen Großen Bunten Abend mit Heinz Quermann.« »Ich meinte eigentlich auch keinen Großen Bunten Abend mit Heinz Quermann«, erwiderte ich milde, »sondern etwas Ge-hobe-nes, Fräulein. Verstehen Sie nicht? Etwas Ge-ho-be-nes.« »Daß ich Sie so mißverstehen konnte!« rief die Blonde und küßte mich, Vergebung heischend, flüchtig auf den Mund. »Natürlich wollten Sie meinen Abteilungsleiter sprechen. Aber da kommt er schon!« Der Abteilungsleiter trug auf einem Tablett eine Flasche ungarischen Kognak und zwei Gläser, dazu ein Päckchen Derby. »Und was führt Sie zu uns, verehrter Freund?« fragte er, nachdem wir uns gestärkt und ein wenig über das Wetter geplaudert hatten. »Ich bin auf der Suche nach etwas gehobener Unterhaltung«, erklärte ich geduldig aufs neue. »Das habe ich mir doch gedacht«, nickte er anerkennend, »ein Mann wie Sie! Fräulein Pieper, Sie haben keine Ahnung, daß
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Sie den Herrn so falsch bedienen konnten! Holen Sie mal sofort unsere letzte Neuschöpfung, blauer Katalog Nr. 1388.« Und während meine blonde Verkäuferin entschwebte, hieb mir der Abteilungsleiter vertraulich auf die Schulter und rief: »Passen Sie auf, das ist die richtige Nummer für Sie. Erst gestern in unserer eigenen Produktion aufgenommen. Der neue Weltschunkelwalzer •Gestern ham wir einen gehoben, ja gehoben, ja gehoben•, und gesungen von Heinz Quermann!«
"Tschüß und winkewinke, Ihr Heinz der Quermann.« Ab 1955 läuft im Fernsehen regelmäßig die Sendereihe "Da lacht der Bär«.
Als ich mit meiner Tochter einmal beim Arzt war, sah sie erschreckt das Knochengerippe in der Ecke. »Was ist das?« erkundigte sie sich neugierig. »Das sind die Knochen eines verstorbenen Mannes«, erklärte ich ihr. Erstaunt reagierte sie: »Ach so, dann kommt also nur der Speck in den Himmel?«
Die Familie im Urlaub auf der Insel Rügen. Man steht an der Steilküste und schaut beglückt aufs Meer. Die Mutter warnt besorgt den Vater, der zu dicht an der Klippe steht: »Tritt zwei Schritte zurück - oder gib wenigstens die Stullenpakete her.«
Heinz Quermann
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Alles zum Wohle des Volkes
Hansjoachim Riegenring
»Meine Zunge«, sagte mein Freund Eduard, »ist so trocken, daß es staubt, wenn ich schnell spreche.« So heiß war es. Die Meteorologen behaupteten, seit gestern wäre heute der heißeste Tag. Speiseeis gab es nur noch in flüssiger Form. Die Kühe lieferten saure Milch. Die Fußgänger tanzten im Black-Bottom-Schritt die Straße entlang. So heiß war das Pflaster. Die Sonne knallte auf die Gehirne. Die Menschen träumten perverse Träume. Von alkoholfreien Getränken in ausreichender Menge und so. So heiß war es. Und wir mitten drin. Bei 38 Grad nördlicher Breite - nicht doch - bei 38 Grad Celsius brütender Hitze, also bei 38 Grad Brutus im Schatten in der Sonne. Wir. Eduard besah mit kohlensaurer Eduard peilte sorgenvoll die Wetter- und sonstige Lage. »Ich sehe eine lange Dürre kommen.« Miene seine Flasche. Der Sekt »Die geht vorüber«, beruhigte ich ihn, »die wohnt gluckerte boshaft. gleich hier um die Ecke.« Wir wollten Bekannte besuchen, aus denen wir uns nicht viel machten; aber jetzt hatten sie sich einen Kühlschrank gekauft. Eduard trug die Flasche. Ich die Nelken. Schöne Nelken. Weiß. Für die Dame des Hauses. Langstielig waren sie. Die Nelken. Fünf Stück. »Leichtsinn«, stöhnte Eduard. »Verschwendung. Sinnlose Verprassung. Wieviel Bier hätten wir dafür gekriegt! Vier kurzstielige hätten's auch getan.« »Hast recht«, gab ich zu. »Die Hitze!« Er trug die Flasche. Sekt, das Getränk der Freude und Verführung. Wir schweißten zum Bahnhof. Mensch, war die Bahn warm! Den Fahrgästen dampfte das Wasser aus den Ohren. Eine Frau erzählte, auf der Glatze ihres · Mannes könne man Weißbrot rösten. Eduard hielt die Flasche im Arm. Er hielt sie sicher, er hielt sie warm. Der Wagen war eine fahrende Sauna, ein Schweißapparat. Die Menschen wurden gedünstet. Ich glaube, ein paar waren schon gar. Uns gegenüber saß eine Zeitung mit jemand dahinter. Er überschlief gerade den Leitartikel. Ich las die Rückseite. »Explodierende Seltersflaschen als Folge der Hitze. Ein Haus stürzte zusammen."
Alles zum Wohle des Volkes
Selterswasser. Donnerwetter. Ich dachte mir erst nichts dabei. Die Hitze - Selterswasser - Selterswasser - Kohlensäure »Eduard!« Ich zeigte auf die Überschrift. »Ob eine Flasche Sekt auch - ich meine, wegen der Kohlensäure?« Eduard besah mit kohlensaurer Miene seine Flasche. Bahnschaukeln. Hitze. Der Sekt gluckerte boshaft. »Quatsch«, erklärte Eduard. »Habe noch nie gehört, daß eine Sektflasche - oder? Oder?« »Ich auch nicht. Aber wenn Seltersflaschen - stell dir vor, du machst eine Seltersflasche auf, und plötzlich fällt das Haus ein!« Eduard entrollte mißtrauisch das Einwickelpapier. Er polkte die Stanniolkappe ab. »Die Flasche ist dicht«, stellte Eduard erleichtert fest. Die Mitreisenden sahen mit durstigen Augen und sehnsüchtigen Kehlen zu. »Aber der Draht!« überlegte ich. »Der <:; Draht kann rostig sein.« Ich prüfte ihn. Ich zog nach links und drehte nach rechts. Der Draht riß. Eduard wurde blaß, als hätte er Bleichsoda gefrühstückt. Mein Freund drückte seine Hand auf den Korken. Es zischte. Der Alkohol war stärker wie meistens. Der Korken kroch tükkisch in die Höhe. Ich klemmte die Nelken unter den Arm. »Ich verknote die Drahtenden. Dann hält der Draht wieder." Eduard stemmte sich gegen das Schicksal in Form eines aufsteigenden Korkens. »Die Fahrkarten bitte«, sagte der Kontrolleur. »Moment. Sofort.« Ich knotete weiter. »Sie haben wohl keine Fahrkarten?« Seine Stimme wurde dienstlich. Eduard hielt die Flasche. Ich suchte mit meiner Linken unsere Taschen ab. Stimmen aus dem Publikum: »Das sind die Richtigen. Sekt saufen, aber kein Geld für die Fahrkarten. Sicherlich Künstler.« »Fünf Mark«, forderte der Kontrolleur mit müder Stimme.
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»Ist das 'ne Enttäuschung, Fräulein Gerda. Das wird gar keine Mondscheinfahrt. Heute haben wir ja Neumond!«
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Eine Frau in der HOAbteilung wühlt sich durch die Stoffe. Das dauert inzwischen vom Morgen bis kurz vor Ladenschluß. Schließlich wählt sie einen Stoff aus und fragt die Verkäuferin: „sie sagten doch, daß dieses das modernste Muster sei. " „Nicht doch«, sagt die Verkäuferin, „das galt, als Sie zu suchen anfingen.«
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„Wir müssen die Hände wechseln«, flüsterte ich Eduard zu. „Wie soll ich denn mit meiner linken Hand in die rechte Gesäßtasche kommen!« Wir wechselten die Hände, der Kontrolleur die Farbe. Der Korken schoß an seiner Nase vorbei und riß ihm die Dienstmütze vom Kopf. „Den Korken können Sie behalten, guter Mann«, sagte Eduard großzügig, „Sektkorken bringen Glück." Im Gang stand ein süßes Mädchen mit einer Bluse voller Süßigkeit. Schulterfrei. Architektonisches Wunderwerk der freitragenden Bauweise. Der entfesselte Sekt hüllte die schönsten Teile der Bluse in ein Schaumbad. Eduard steckte erschrocken den Finger in den Hals, in den Flaschenhals. Das Mädchen kreischte einmal kräftig, schielte auf seinen schäumenden Busen und fragte: „was ist denn das?« „Kullerpfirsich«, klärte ich sie auf. Nicht nur Menschen sind leicht zu durchschauen, wenn man sie unter Alkohol setzt. Auch Blusen. Sie wurde durchsichtig. Es ist kaum zu glauben, wie wenig ein Mädchen anziehen kann. Der Mann mit der Zeitung wachte interessiert auf. Einige Frauen unterhielten sich sehr laut über sektspritzende Lüstlinge in der S-Bahn. „Die Fahrkarten, bitte<<, drohte der Kontrolleur. Aber da er keine Mütze mehr trug, imponierte er uns kaum noch. Eduard stellte die Flasche neben sich und ersetzte den Korken durch seinen Mittelfinger. Er hielt dicht, bis der Herr im grauen Anzug einstieg. Ohne sich umzusehen, setzte er sich auf den Platz neben Eduard. Mein Freund konnte gerade noch seine Hand wegziehen. Die Flasche blieb stehen. So hätte der Graue ja nun auch nicht zu schreien brauchen. Andere wären froh über eine Abkühlung gewesen. „wer kann sich schon ein Schaumweinsitzbad leisten!«Eduard sah ihn vorwurfsvoll an. Wir bezahlten dem Mann die Reinigungskosten für die Hose. Das Mädchen verlangte, wir sollten die Bluse reinigen lassen. „Na klar«, stimmte ich zu. „ziehn Sie sie gleich aus, sonst holen Sie sich noch einen Blusenkatarrh." Der Kontrolleur verlangte Geld für eine neue Mütze. Und die Fahrkarten. Inzwischen soff ein Dackel die am Boden stehende Flasche aus. Nach dem fünften Schluck bellte er frivole Lieder und biß einer unverheirateten Dame ins Bein.
Alles zum Woh le des Volkes
Sie gab ein empörtes »Ruch« von sich. »Nu hamse sich mal nich so«, sagte der Mann mit der Zeitung. »Seinse froh, daß es nicht der Storch war." Er lachte laut über seinen Witz, den er gut fand. Vielleicht war er Conferencier von Beruf. Dann lehnte er sich zurück und blätterte seine Zeitung auseinander. Eduard starrte auf die Rückseite, holte tief Luft und »Mensch«, stöhnte er, »du blöder Heini.« »Nimm sofort den Heini zurück«, verlangte ich. »Was ist los?« Er zeigte auf die Zeitung. Da standen zwei Überschriften: »Explodierende Seltersflaschen als Folge der Hitze kommen zum Glück äußerst selten vor« und »Ein Haus stürzte zusammen. Schwere Folgen eines Erdrutsches." Eduard warf mir einen Blick zu, daß der Hund jammerte. Dann nahm er die Sektflasche und goß den Rest über die schwitzenden Nelken.
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»So, jetzt nur noch etwas Porträtähnlichkeit, und in einer Stunde sind wir fertig.«
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Alles zum Wohle des Volkes
Paul Schwarz
»Ich habe neulich hier ein Kaffeeservice gekauft«, sagte Max. "Leider ist uns das Milchkännchen zerbrochen. Kann ich dafür Ersatz haben?« »Aber natürlich, mein Herr«, sagte der Verkäufer. »Wünschen Sie ein sechsteiliges oder ein zwölfteiliges Service?« Max sah ihn erstaunt an. »Ich sagte schon, daß nur das Milchkännchen zerbrochen ist. Das übrige ist vorläufig noch ganz. Ich möchte also nur ein Milchkännchen haben.« Der Verkäufer zuckte bedauernd die Achseln. »Einzelstücke führen wir nicht. Wrr verkaufen nur komplett. Sie müssen sich also entscheiden, mein Herr, ob Sie ein sechsteili ...« Hier fiel Max in einen der bequemen Sessel, die von dem vorzüglichen Kundendienst der Verkaufsstelle für derartige Fälle Wir kaufen diese Artikel, schlach- bereit gehalten werden. »Ich kann doch nicht eines Milchkännchens wegen ein neues Service kaufen!« ten sie aus und gewinnen so Er»Sie scheinen in Porzellangeschirr wenig Erfahrung satzteile, die uns die Leute aus zu besitzen, mein Herr«, sagte der Verkäufer verständden Händen reißen. nisvoll, aber etwas gelangweilt. »Die Fabrik kann ihre Serienproduktion nicht unterbrechen, um ein einzelnes Milchkännchen für Sie herzustellen. Das müssen Sie doch einsehen. Aber ich kann Ihnen einen Tip geben. Wenden Sie sich an die Polize.« »Ich bitte Sie! Was hat die Polizei mit meinem Milchkännchen zu tun!« »Polize ist die Abkürzung für •Porzellan-Liebhaber-Zentrale•. Dort werden Sie sicher ein Milchkännchen bekommen. Hier ist die Adresse.« In den umfangreichen Geschäftsräumen der Porzellan-Liebhaber-Zentrale wurde Max, nachdem er seinen Wunsch geäußert hatte, sofort vor einen Schrank geführt, in dem es von Milchkännchen wimmelte. »Wie ist das möglich?« fragte er verblüfft. »Wo kriegen Sie die eigentlich her?« »Unser System ist einfach, aber genial«, sagte der Geschäftsführer nicht ohne Stolz. »Wrr kaufen komplette Service und verkaufen sie als Einzelstücke. Natürlich zu Liebhaberpreisen, denn wir müssen ja unsere Unkosten rauskriegen.« »Und das Geschäft geht gut?« »Ausgezeichnet! Es gibt einige Schwierigkeiten, zum Beispiel die, daß bestimmte Teile häufiger verlangt werden als andere.«
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Er wies auf ein großes Plakat an der Wand, auf dem Max las: »Porzellanliebhaber! Zerschlagt mehr Kaffeekannen! Spart mit Untertassen!« »Dadurch«, fuhr der Geschäftsführer fort »haben wir an bestimmten Geschirrteilen Überbestände. Wrr hoffen aber, daß uns die von den normalen Verkaufsstellen abgenommen werden, damit die auch mal einige Kundenwünsche befriedigen können." »Wenn nun aber«, wandte Max ein, »die Porzellanfabriken eines Tages auf den Gedanken kommen sollten, Ersatzteile herzustellen, dann fliegt doch Ihr gewaltiger Apparat hier auf! Ist Ihnen da nicht ein bißchen bange?" »Keineswegs«, sagte der Geschäftsführer seelenruhig. »Wenn die Fabriken auf diese Idee hätten kommen wollen, wären sie schon längst darauf gekommen. So schwer ist das nämlich gar nicht. Nein, wir planen, unsere Geschäftstätigkeit zu erweitern und neue Abteilungen anzugliedern. Wrr wollen eine Aulize, eine Kolize, eine Staulize, eine Ralize einrichten. Außerdem ... « »Was sollen diese Wortungeheuer bedeuten?« »Zentrale für Liebhaber von Autos, Kaffeemühlen, Staubsaugern, Radioapparaten usw. Wrr kaufen diese Artikel, schlachten sie aus und gewinnen so Ersatzteile, die uns die Leute aus den Händen reißen. Was meinen Sie, was wir für Geschäfte machen werden!" Sein Blick war visionär in die Feme gerichtet, und um seinen Mund spielte ein Lächeln. Ein irres Lächeln, wie es Max schien. Er ging auf den Zehenspitzen rückwärts zur Tür, um den Verzückten nicht zu wecken . Als Max die Treppe hinuntereilte, hörte er, wie jemand ihm von oben nachrief: »Wollten Sie nicht ein Milchkännchen kaufen?« Aber Max war etwas Besseres eingefallen, nämlich die dreizehn entzückenden kleinen Sahneflöckchen im Küchenschrank seiner Frau, deren Rücknahme von der HO hartnäckig abgelehnt wurde. Das war die Lösung! Wenn man eins davon als Milchkännchen auf den Kaffeetisch stellte, wurde die Eintönigkeit des Porzellans wohltuend unterbrochen. Und wenn es wirklich mal zerbrach, war immer noch genügend Ersatz vorhanden. Daß er auf diesen Gedanken nicht gleich gekommen war! Aber das Nächstliegende fällt einem eben immer zuletzt ein.
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11.Ja, wenn der Kaffee so stark wäre wie die Tasse ... f,,
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Lothar Kusche
Klawitter war fest entschlossen, sich den neuen Problemfilm »Der Dritte, der nach dem Zweiten und vor dem Vierten kam« nicht entgehen zu lassen. Er eilte zum »Astral-Palast« (zweihundert Sitzplätze) und forderte an der Kasse: »Einmal Rang!« Die Dame hinter dem Schalter rührte gedankenverloren ihren Kaffee um und sagte. »Der Rang wird nicht verkauft.« »Das glaube ich«, sagte Klawitter, »aber Sie haben mich offenbar mißverstanden. Ich möchte nicht Ihren Rang kaufen. Was zum Teufel sollte ich denn mit Ihrem Rang anfangen? Sollte »Ich geb dir fünfzig Pfennig, dann kannst du ins Kino gehen.« •Ich geb dir ne Mark, wenn ich hier zugucken darf!«
ich ihn vielleicht zu einem Gemeinschaftsbalkon für unser kommunal verwaltetes Wohngebäude umbauen? Ich möchte vielmehr für die Dauer der nächsten Vorstellung einen Sitzplatz auf Ihrem Rang mieten." Die Dame hinter dem Schalter überlegte, ob sie ihre fällige Wohnungsmiete schon bezahlt habe. Dann trank sie d~n Kaffee aus, setzte die Tasse ab und sprach energisch: »Wie ich Ihnen schon sagte, gibt es heute keine Karten für den Rang.« »Warum nicht?« »Warum nicht, warum nicht! Darum nicht! Es sind zuwenig Leute da. Unten sitzen Sie genauso schön.« »Das können Sie gar nicht beurteilen«, sagte Klawitter, »WO ich schön sitze oder nicht, ist meine Privatsache. Ich möchte einen Platz auf dem Rang haben, weil ich gern über den Dingen stehe, das heißt sitze. Verstehen Sie das nicht?« »Nein«, sagte die Dame hinter dem Schalter. »Ich verstehe bloß, daß Sie sehr anspruchsvoll sind."
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»Natürlich«, erläuterte Klawitter, »es handelt sich ja auch laut Plakat - um einen Film für den anspruchsvollen Zuschauer. Und dieser anspruchsvolle Zuschauer - der bin ich.« »Anspruchsvoll kann man auch im Parterre sein. Wir können doch nicht wegen eines einzigen Rang-Besuchers nachher den ganzen Rang saubermachen und all diese leeren Flaschen, Bonbonpapiere und Kekskrümel zusammenfegen.« »Erlauben Sie mal!« rief Klawitter. »Ich pflege keine Bonbons und Kekse zu essen, und leere Flaschen bringe ich zum Kollegen Rumpelmännchen!" »Also einmal Parkett«, verkündete die Dame hinter dem Schalter unbeirrt. »Sie können sich hinsetzen, wo Sie wollen.« »Könnt ihr nicht lachen?«
»Von wegen«, brummte Klawitter, »bloß nicht auf den Rang, was?« Aber er fügte sich in sein Schicksal und bezahlte. Er fügte sich in sein Schicksal - aber nur drei Minuten lang. Die Vorführung der Werbe-Diapositive war noch nicht beendet, als er sich von seinem Platz erhob und mit fast unhörbarem Einbrecherschritt durch das Halbdunkel des Saales der Treppe zum Rang zustrebte. Behutsam schlich er nach oben, wählte sich den allerfeinsten Platz aus und streckte genüßlich die Beine von sich. Hier oben war er ganz allein, während unten mindestens noch fünfundzwanzig andere anspruchsvolle Zuschauer auf den Dritten warteten, der nach dem Zweiten und vor dem Vierten kommen sollte. Klawitter genoß sein verbotenes Glück dermaßen ausgiebig, daß er sogar den kulturellen Vorfilm »Die Hochzeitsbräuche der Borkenkäfer im Thüringer Wald« geradezu spannend fand.
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E. R. Greulich
Es klingelte. Draußen stand ein Mann und sagte: »Sind Sie zu Hause?« »Ich finde ja«, sagte ich. »Darf ich eintreten?« »Wer sind Sie denn?« „Ein Reisender.« »Glaube ich nicht. Reisende gibt es bei uns nicht mehr.« »Das sagen Sie nicht. Es ist die letzte Möglichkeit, wenn der Großhandel einen Artikel partout nicht abnehmen will.« »Dann taugt er auch nichts.« »Oho, entsinnen Sie sich der Potentbesenstielhalter?« »Und so etwas haben Sie anzubieten?« »Ja, mindestens ebenso spaßig. Wrr haben aber bloß Güteklasse drei dafür bekommen." Mit diesem Gerät hören Sie, was Ihre .. Gesprachspartner am Telefon denken.
»Trotzdem wagen Sie damit zu reisen?« »Sie sind meine letzte Hoffnung. Ich hoffe, Sie . d Mal er, Kompoms · t , vie · 11eic · ht sogar schriftsm steller. Die haben meist etwas übrig für kleine unnütze Geräte.« Der Mann war ein guter Psychologe, darum ließ ich ihn eintreten. Drinnen wickelte er ein Dingelchen aus Bakelit und Blech aus dem Seidenpapier. »Mit diesem Gerät am Telefon hören Sie nicht nur, was Ihre Gesprächspartner sagen, sondern auch, was sie denken.« »Hm«, sagte ich gedehnt, »was soll denn das kosten?« »Neunundneunzig Pfennige." »Da hätten Sie auch eine Mark draus machen können.« »Dürfen wir nicht«, erläuterte er, »die Preisüberwachung hat genau nachkalkuliert. «Er sah mein Schwanken und fragte rasch: »Sind Sie Schriftsteller? Vielleicht können wir über das Kulturministerium eine Senkung auf neunzig Pfennige erwirken, falls Sie Nationalpreisträger sind.« »Ich habe keinerlei Preise.« »Tscha, dann - - -«,er zuckte bedauernd die Schultern. »Aber es ist ganz unverbindlich, Sie können es doch wenigstens mal versuchen.« Dabei hatte er das Dingelchen schon an meinem Fernsprechapparat angebracht, entdeckte eine Notiz auf dem Schreibtisch
Alles zum Wohle des Volkes
und sagte: »Hier, Ihren Verlag wollten Sie sowieso anrufen. Ich verbinde Sie." Am andern Ende meldete sich schon die Vermittlung, und ich war gezwungen, den Hörer in die Hand zu nehmen. Der Verlagsleiter war nicht da, und man verband mit dem Cheflektor. »Guten Tag!« hörte ich es in freundlichster Klangfarbe. Und dann eine Oktave tiefer, gewissermaßen in Monologfarbe: »Der eingebildete Pinsel stänkert jetzt bestimmt wegen seines zu lange schmorenden Manuskripts.« »Ganz recht«, hätte ich mich beinah verraten und stotterte: »Ähh - guten Tag, Kollege Vissender, was ist mit meinem Manuskript? Im Vormonat sollte ich Bescheid ... " »Gut, gut, daß Sie mich daran erinnern. Ich habe es angelesen. Da waren einige Szenen, wissen Sie, also prächtig - Werde mich hüten, mich in die Nesseln zu setzen. Soll ihm der Neumeyer sagen, daß die Arbeit ein Schmarren ist." »So, so«, tat ich unwissend, »dann könnte es also bald in Satz gehen?« »Du hast 'ne Ahnung! Wenn der Käse gedruckt wird, schmeiße ich hier und werde Schriftsteller. Die Burschen scheffeln das Geld für ihren Spinn, und wir müssen ihnen die Kommata setzen, ihre Elaborate überhaupt genießbar machen. - Soviel ich weiß, liebend gern. Nur - äh - die redaktionelle Bearbeitung hat natürlich Kollege Neumeyer, verstehen Sie, es ist ja alles planmäßig aufgeteilt. Aber ich denke, in den nächsten Tagen ... « »Meinen Sie, ich bekomme bald Bescheid?« »Selbstverständlich. - Von mir aus kannst du warten, bis du schwarz wirst.« »Würden Sie Kollegen Neumeyer noch einmal daran erinnern?« »Aber selbstverständlich. - Ich werde dir was husten.« »Auf Wiedersehen, Kollege Vissender, und herzlichen Dank!« »Oh, keine Ursache, gern geschehen. - Mich bekommst du in diesem Leben nicht mehr an den Apparat." Ich legte den Hörer auf. »Interessant, was?« triumphierte der Reisende. »Nee«, sagte ich, »olle Kamellen, mir längst bekannt.« »Ach«, bedauerte der Mann, »und ich dachte wunder ... Nun werden Sie nicht kaufen?« Ich überlegte. Vielleicht erlebte man doch mal eine Überraschung mit dem Apparätchen. »Gut«, sagte der tüchtige Reisende, »behalten Sie das Gerät
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Walter Ulbricht besucht mit seinem Gefolge das Goethehaus in Weimar. Er wird feierlich begrüßt und durch die Gedenkstätte geführt. Ulbricht ist schnell gelangweilt, schleicht unbemerkt in ein Nebenzimmer und setzt sich in einen bequemen Sessel. Als ein Museumswärter das bemerkt, versucht er Ulbricht stotternd beizubringen, dass sich niemand in Goethes Sesselsetzen darf: »Verehrter Herr Staatsratsvorsitzender ... in diesem Sessel hier ... da hat vorher immer nur ... das ist nämlich Goethes Sessel ... da darf niemand ... " Darauf Ulbricht unwirsch: »Nu, ist .doch kein Problem, wenn der Genosse wiederkommt, steh ich eben auf!«
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»Glauben Sie nun, daß es echt Chippendale ist?«
Alles zum Wohle des Volkes
auf Probe. Wenn ich wieder vorbeikomme, werden Sie es bestimmt kaufen.« Kaum war er weg, da begann ich zu telefonieren, als koste mich nicht jeder Anruf zwanzig Pfennige, sondern bringe mir zwei Mark ein. Ich wollte die Überraschung erleben. So rief ich bei dem Kritiker an, der mein letztes Buch zerzaust hatte, bei der Berliner Volkseigenen Wohnungsverwaltung, bei der Sozialversicherung wegen der seit sechs Jahren ausstehenden Regelung zufriedenstellender Bedingungen aller zwangsversicherten Kulturschaffenden, horchte hinein in die zweiten Gewissen mancher Redakteure, Film- und Theaterdramaturgen, ja selbst die wahre Meinung des Kassenarztes über meine ausgeprägt hypochonderische Veranlagung ließ ich mir bestätigen. Genug, die Überraschung erlebte ich nicht. Als der Reisende wieder auftauchte, ward ich sehr strenge. »Verduften Sie mit dem Ladenhüter«, sagte ich, »dessen Kalauer konnte man schon lange vordem in mittelmäßigen Glossen lesen.« Der Reisende erschrak. »Oh, Sie sind Satiriker?" »Ich versuche manchmal einer zu sein. Unter einer Bedingung würde ich das Ding abnehmen. Liefern Sie das notwendige Zusatzgerät!« »Wie müßte das beschaffen sein?« »Daß alle, die am Telefon schön sprechen und schlecht denken, sofort durch Hochfrequenz-, Ultrakurz-, Infrarot-, Radar- oder Was-weiß-ich-Wellen fürchterlich gezwickt werden.« »Großartige Idee!« Der Reisende war rein aus dem Häuschen. »Das würde vor allem auch die Satiriker überflüssig machen. Dafür erlangen wir die Unterstützung höchster Organe.« Mit dem Siegesschrei: »Machen wir!« stob er von dannen und vergaß ganz, mich für den Verbesserungsvorschlag zu prämiieren. So hat er wohl leider auch nicht mehr gehört, daß ich ihm nachrief: »Bringen Sie es aber möglichst noch vor dem Schriftstellerkongreß in den Handel!«
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Rudi Strahl
Der Lehrer hält einen Vortrag über das Gravitationsgesetz, das allein uns mit den Füßen auf der Erde hält, sonst flögen wir in den Weltraum. Da fragt Fritzchen: »Und wie war es, bevor das Gesetz erlassen wurde?«
Neulich traf ich nach langem meinen Freund Otto Müller wieder. »Na, Otto, altes Haus«, sagte ich, »das Wandern ist des Müllers Lust - was treibst du denn jetzt, Menschenskind?« Otto lächelte verständnisinnig. »Gott, man hat es nicht eben leicht. Ich bin Sänger geworden, weißt du. Nächste Woche trete ich das erstemal öffentlich auf.« - Ich war wieder einmal zutiefst erstaunt über Ottos Talente. Als wir uns das letzte Mal gesehen hatten, war Otto grade dabei, Kunstmaler zu werden. Immerhin beglückwünschte ich ihn. »Und wo, wenn die Frage gestattet ist, verehrter Meister?« fragte ich, »bei der Oper? Im Betriebsensemble? Oder nur im Rundfunk?« Otto winkte ab. Mit Würde. »Aber nein. Ich habe mich, weißt du, der leichten Muse verschrieben. Ich singe in Tante Huldas Tanzpalast.« Als wir uns trennten, hielt ich selbstverständlich eine Freikarte für besagte Stätte der Kunst in der Hand. Natürlich ging ich zur Premiere. Es war ein mittelfeines Lokal von der Art, wo man auch Bier bekommt und etwas später seinen Schlips abmachen darf. Als Otto die Bühne betrat, klatschte ich, und niemand hinderte mich daran. Dann sang er. Danach pfiffen einige Leute, doch das kann man ja bei einigem guten Willen heute auch als Beifall werten. Otto jedenfalls schien sehr mit sich zufrieden. Nach vierzehn Tagen traf ich ihn abermals. »Na, wie hat es dir gefallen, Bruderherz?« fragte er mich. »Es war großartig, verehrter Meister«, stammelte ich. Otto strahlte. »Ja, weißt du, es ist etwas Schönes um den künstlerischen Erfolg«, sagte er, »du glaubst gar nicht, wie man mir das Haus nach Autogrammen einläuft „.« Wie um seine Worte zu bestätigen, stürzte ein kleiner Steppke auf uns zu. Er schwenkte einen großen, weißen Bogen Papier in der Hand. »Darf ich um ein Autogramm bitten, verehrter Meister?« Ich war erstarrt.
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Jovial erfüllte Otto die Bitte des Jungen, nickte mir gnädig zu und entschwand hochgemuten Schrittes. Ehrlich gesagt, ich hatte Otto Müller in Verdacht, daß er den Jungen bestochen haben mochte. Niemand wird es mir also verübeln, daß ich mir diesen dann kaufte. Mit einem Fünfziger versuchte ich seine Zunge zu lösen. Der Junge schwieg. Ich gab eine Mark dazu. Seine Augen wurden begehrlich, sein Schweigen jedoch dauerte an. Erst als ich beiläufig erwähnte, daß ich eine Fahrradlampe irgendwo zu liegen hätte, geriet seine Standhaftigkeit ins Schwanken. »Wenn de mia noch 'n Feuazeuch koofst, Onkel, und mia dein großet Ehrenwort jibst, det de nich petzt, denn sach ick et dia." Ich kaufte das eine und gab das andere. »Siehste, Onkel, det is so«, sagte der Steppke und griente, »wir sind dreizehn Jungs hier in der Straße, die Müller heißen. Un wenn wia ma keene Lust haben, zur Schule zu jehn, holn wa uns bei Onkel Otto 'n Autojramm, schreiben det andere mit Pappis Schreibmaschine dazu und jebn det dem Lehra.« Triumphierend sah er mich an. Dann, als er sah, daß ich begriffen hatte, setzte er noch hinzu: »Un seit Onkel Otto so eenen scheenen Künstlerkrakel macht, den keener lesen kann, kommen die, die Meier heißen, ooch noch ... !« •Und da war mir auf einmal so komisch! Ist es möglich, daß das Frühlingsgefühle waren?«
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Eva Salzer
Allll dio llioOoH KlloiHoH Ein junger Mann und zwölf erlebnishungrige kleine Kinder marschierten ins Grüne. Es war ein friedvoller Sommermorgen - so recht geschaffen, um die Harmonie der Natur auf sich wirken zu lassen. »Kalle, wirst du wohl aufhören, mit grünen Äpfeln zu schmeißen!« - »Rechts gehn, Gerda, ein Auto „. Heiniiii! - Bleib jetzt drüben!!« - »Uschi, tu mir den einzigen Gefallen und steige vom Brückengeländer runter „." Gott sei Dank, die Landstraße war zu Ende. »Herr Petermann, kann man die roten Beeren essen?« - »Untersteh dich, Bärbel, das ist Gift!« - »Jochen, spuck sofort den Fliegenpilz aus!" - »Geh vom Baum, Martin, der Bauer kommt!" An einem Flüßchen machten sie halt. »Alles ins Gras legen!« kommandierte der junge Mann. »Und daß mir keiner baden geht, verstanden?« Nachdem er sich vergewissert hatte, daß weder Pilze noch Beeren, noch Bäume in der Nähe waren, schloß er beruhigt die Augen. Die Sonne schien so wundervoll warm, und die Grillen zirpten ein Wiegenlied „. »Saubande, verflixte! Gleich gibt's 'n paar hinter die Löffel!« Erschreckt fuhr er hoch. Vor ihm stand eine Frau und fuchtelte mit den Armen. Zwei Jungens flüchteten, eine Ziege sprang fröhlich über die Wiese und schleifte einen Strick hinter sich her. »Losgebunden haben sie die Ziege, und den Pfahl versteckt!« zeterte die Frau. »Klaus, Harry! Gebt sofort den Pfahl her!« . Eine wortreiche Entgegnung folgte, aus der kein Mensch schlau werden konnte. »Sie haben den Stock ins Wasser geschmissen«, erklärten die anderen. »Die Ziege tat uns leid.« Der junge Mann half das Tier einfangen und entschuldigte sich. Dann gingen sie weiter. Die Kleinen, lauter liebe und unschuldige Geschöpfe, die noch nichts von den Tücken der Welt ahnten, genossen ihre Freiheit in vollen Zügen. Er aber träumte von einer Wüste - einer Wüste ohne Baum und Strauch, ohne Wasser und ohne Ziegen, nur Sand, Sand, Sand so weit der Himmel reicht „. Welche Wohltat mußte das für den Gruppenleiter eines Kinderferienlagers sein!
Eulenspiegeleien .. - _ Der Lehrer erklärt im Unterricht, daß Gänse unter anderem auch Bettfedern liefern. Und fragt: nUnd was noch?« - ·Gänsebrust und Gänsekeule\• antwortete Heinz. •Nicht immer ans Essen denken, Kinder!• mahnt der Lehrer. nWas hat die Gans sonst noch?• - »Gänseklein!« sagt Paul. »Ich hab schon mal gesagt, ihr sollt nicht dauernd ans Essen denken! Was hat die Gans außerdem?« •Ein Preisschild!« meldete sich Willy. »Falsch«, sagt der Lehrer ungeduldig. nlch meine, was hat denn die Gans, bevor sie geschlachtet wird?• Da meldet sich Fritzchen und sagt: • ... Angst!"
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„ Ich weiß nicht genau, ob es stimmt! Aber ich . glaube schon 1"
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Ralph Wiener
»Und das ist mein Sohn Klaus-Dieter«, sagte Leopold Wachsmann, als ich ihn vor vier Jahren besuchte. Ein zehnjähriger blondgelockter Junge hüpfte herbei. Mit einem zartbetonten »Guten Tag!« begrüßte er mich und machte dabei eine unerhört tiefe Verbeugung. »Alte Schule«, konstatierte ich im geheimen. Wachsmann schien meinen Gedanken erraten zu haben. »Erziehung ist alles«, meinte er und wandte sich an seinen Sohn. »Wie heißt der größte deutsche Philosoph?« »Nietzsche«, hauchte Klaus-Dieter. »Was ist im Leben das Wichtigste?« »Gutes Latein.« »Was verdirbt den Charakter?« »Politik.« »Wer ist dein Vorbild?« „Bismarck:" »Recht so«, lobte Wachsmann, »nun geh auf dein Zimmer.« Der blondgelockte Knabe machte wieder eine Verbeugung und schwebte hinaus. ·t· Lb d · ht. t 7 »Also Wachsmann«, sagte ich, nachdem sich KlausWas 1s 1m e en as wie 1gs e. ff t tf t h tt · bl ·bt di s k 1 Wachsmanns Sohnemann antworie er .en e~ a e, »mir ei e . puc e w~g. .. d F . d Du erziehst Ja den armen Jungen zu emem reakt10tet : der Kampf f ur en ne en.1 .. E. ·· naren mze1ganger." »Jetzt fang auch du damit an«, fuhr er auf. »Mir genügt es, wenn mich dauernd der Elternbeirat anpöbelt. Hat denn der Vater überhaupt nichts mehr zu bestimmen?« »Ich glaube gar nicht, daß es noch solche Väter wie ~eh gibt«, erwiderte ich. »Bitte, werde nicht beleidigend!« entgegnete Wachsmann. »Ich erziehe meinen Sohn nach meiner Überzeugung. Und da hat sich der Staat nicht einzumischen! Das wäre ja noch schöner, wenn Klaus-Dieter vielleicht sogar den Jungen Pionieren ···" Wie gesagt, das war vor vier Jaliren. Gestern kam ich wieder mal zu Wachsmann. Kaum hatte ich geläutet, kam ein munterer vierzehnjähriger Junge mit blauem Halstuch die Treppe heruntergesprungen. »Freundschaft«, rief er mir zu und drückte mit männlicher Festigkeit meine Hand.
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»Nanu, Klaus-Dieter?« fragte ich verwundert. »Du hast dich aber verändert. Wie geht es dir denn?« »Immer bereit!« erwiderte er. Da erschien Wachsmann. »Na, was sagst du zu meinem Sohn?« fragte er stolz und wandte sich an diesen: Wie heißt der größte deutsche Philosoph?« »Karl Marx«, antwortete Klaus-Dieter. »Was ist im Leben das Wichtigste?« »Der Kampf für den Frieden.« »Was verdirbt den Charakter?« »Unpolitischer Individualismus.« »Wer ist dein Vorbild?« "Ernst Thälmann." Ich verging vor Bewunderung. Was für ein Wandel! Wer hätte das gedacht ... »Menschenskind«, sagte ich zu Wachsmann, als sich KlausDieter entfernt hatte, um an der Vorbereitung zur Jugendweihe teilzunehmen, »du hast ja deine Erziehungsgrundsätze vollkommen über den Haufen geworfen." »Was heißt hier Grundsätze?« entgegnete er. »Der Junge soll im Herbst auf die Oberschule.«
"Wenn ich dir einen guten Rat geben darf Schlaf!"
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Heinz Kahlow
Se/!alJ„IJwort eines Jugendsekretärs auf einer Konferenz zur Entfaltung eines frohen Jugendlebens
Fritzchen kommt heulend aus der Schule. »Der Lehrer hat mir im Deutschaufsatz eine Fünf verpaßt!« - »Und warum, mein Sohn?« - »Wrr sollten schreiben: Die DDR ist ein rechtmäßiger Staat.« - »Und was hast du falsch gemacht?« - »Ich habe recht mäßig auseinander geschrieben.«
Das ist die ernsteste von allen ernsten Fragen, die in der letzten Zeit als Schwerpunkt vor uns steht, wir sollen uns ans frohe Jugendleben wagen. Doch wie entfalten wir die Fröhlichkeit konkret? Ein guter Hinweis, unseren Klubraum zu beleben, ist, daß man in die Vasen Blumen stellen muß. Reicht das auch nicht allein, die Fröhlichkeit zu heben, erheben wir jedoch die Blumen zum Beschluß. Doch nun ein Wort zu den geplanten Gartenfesten, denn manche falsche Meinung wurde dazu laut. Ihr kommt alleine, Freunde, nicht mit fremden Gästen! Zum frohen Jugendleben braucht man keine Braut. Zum gleichen Thema wäre auch noch zu ergänzen: Ihr sollt zwar froh, doch niemals ausgelassen sein. Wir wollen Fröhlichkeit in festumrißnen Grenzen. Im Blauhemd tanzen wir am besten Ringelreihn. Man muß die Fröhlichkeit jetzt straff organisieren. Bei der Entfaltung seid stets unerbittlich, kühn! Mit jedem Ernsten muß man ernsthaft diskutiere~ und ihn zu beispielloser Fröhlichkeit erziehn. Wir wolln ein Kampfprogramm der Fröhlichkeit entfalten, für jedes Mitglied und für jeden Funktionär! Doch Falten auf den Stirnen wollen wir behalten. Denn, schaut mal, Freunde, wir sind jung - und das ist schwer.
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»Kinder; was waren wir früher lustig!«
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Jochen Petersdorf
Nach einer wahren Begebenheit
Fritzchen im Biologieunterricht. Der Lehrer stellt den Kindern die Frage: »Es ist klein, rot, hat einen buschigen Schwanz und hüpft von Baum zu Baum. Was ist das?« Antwortet Fritzchen: »Ich würde meinen, ein Eichhörnchen. Aber wie ich den Laden hier kenne, ist es bestimmt wieder der weise Führer aller Werktätigen Jossif Wissarionowitsch Stalin."
Da lebte in einer mittelgroßen Stadt unserer Republik ein blonder Jüngling, der vor einem Jahr unvermittelt sein Abitur bestanden hatte. Deshalb sah er sich unerwartet veranlaßt, über sein weiteres Leben nachzudenken. Als er erkannte, daß auch die meisten Intelligenzberufe sehr eng mit der Produktion verbunden sind, fiel ihm einen Entscheidung besonders schwer. Eines Tages jedoch hatte er sich durchgerungen und verfaßte ein Bewerbungsschreiben:
An den Dekan der philosophischen Fakultät Karl-Marx-Universität Leipzig Hochverehrter Herr Professor! Ich bitte hiermit, als Student der Philosophischen Fakultät immatrikuliert zu werden. Mein sehnlichster Berufswunsch ist es, einmal als Lehrer an einer Oberschule unseres geliebten Arbeiter-und-Bauern-Staates den jungen Menschen die gewaltige Lehre des Marxismus zu vermitteln, »der allmächtig ist, weil er wahr ist«. Ich bin ein Mensch, dessen junges Herz heiß für unsere gemeinsame sozialistische Sache schlägt. Mein Großvater, ein 6Sjähriger Arbeiterveteran, hat mich bereits in frühester Kindheit im Sinne des Proletarischen Internationalismus beeinflußt. Oft sang er mit mir in schwerer Zeit das alte Lied von der Arbeitereinheitsfront. Obwohl ich noch der evangelischen Kirche angehöre, habe ich doch keinerlei religiöse Bindungen. Ich besuchte nur einige Male die Abende der Jungen Gemeinde, um dort als positives Element aufzutreten. Mein Leitspruch ist das herrliche Dichterwort: »Wir wollen hier auf Erden schon das Himmelreich errichten." In einem beiliegenden Lebenslauf gehe ich noch ausführlich auf meine gesamte politische Entwicklung ein. Indem ich nochmals höflich um Immatrikulation bitte, verbleibe ich mit sozialistischem Gruß Unterschrift
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Nach einer kurzen Ruhepause nahm der junge Mann einen weiteren Bogen Papier zur Hand und beschrieb ihn in folgender Weise:
An den Dekan der Theologischen Fakultät Humboldt-Universität Berlin Hochverehrter Herr Professor! Ich bitte hiermit, als Student der Theologischen Fakultät immatrikuliert zu werden. Mein sehnlichster Berufswunsch ist es, einmal als Pfarrer meinen Brüdern und Schwestern ein Evangelium zu verkünden, wie es unser Bischof Dibelius predigt: »Wie man stirbt, ist gleichgültig. Wichtig ist, daß man in den Himmel kommt." Ich bin ein Mensch, dessen junges Herz heiß für die Kirche schlägt. Mein Großvater, dem der Herr in seiner Güte 65 gesegnete Jahre schenkte, hat mich bereits in frühester Kindheit mit der Botschaft des Erlösers vertraut gemacht. Oft sang er mit mir in schwerer Zeit das alte Lied »Befiehl du meine Wege.« Obwohl Mitglied der FDJ, habe ich doch keinerlei politische Bindungen. Ich bin ein treues Mitglied der Jungen Gemeinde und besuchte einige FDJ-Versammlungen nur, um dort mit Bekennermut für die unterdrückte Kirche zu zeugen. Mein Leitspruch ist das herrliche Bibelwort: »Trachtet nicht nach dem, was auf Erden ist, sondern nach dem, was im Hirn mel ist.« In einem beiliegenden Lebenslauf versuche ich noch ausführlicher darzustellen, wie ich Stück für Stück im Glauben gewachsen bin. Indem ich nochmals um Immatrikulation bitte, verbleibe ich in Glaubensverbundenheit Unterschrift Der junge Mann schrieb noch zwei Lebensläufe und scheute danach auch die kleine Mühe nicht, beide Briefe eigenhändig zum Postkasten zu bringen. Nach einiger Zeit erhielt er von beiden Fakultäten ablehnende Antworten. Er hatte in der Eile die Briefumschläge vertauscht.
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Hansgeorg Stengel
'Dia 1tiieAsta1t Oitta! Da sind sie schon. Auf kurzen Beinen marschiert im Wichtelmännergang ein Kontingent von lieben Kleinen mit Fräulein Schmidt die Straße lang. Ein bunter Klecks aus Röckchen, Jacken, Pullover, Zöpfen, Mützenschild und frischkandierten Pfirsichbacken bewegt sich durch das Straßenbild. Der Dicke wird mal Werkdirektor, der Dünne wird Gemeinderat, der Blasse Kriminalinspektor beziehungsweise Diplomat. Das Mädel rechts wird Balletteuse. Sie kokettiert schon ziemlich toll. Der Junge links guckt etwas böse. Er möchte gern zum Amt für Zoll. •Wenn sie solche Fragen stellt, mußt du nicht immer rot werden. Das macht sie mißtrauisch.«
Sie sind die Dichter, Schlosser, Bäcker, die Fräulein Schmidt zusammenhält, die Ingenieure und Entdecker der projektierten Zukunftswelt. Sie alle haben Kopf und Nase für eine Zeit mit Flugverkehr in Richtung Mond. Um diese Phase beneiden wir sie alle sehr.
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Was des Volkes Hände schaffen
Peter Gauglitz
Otto Grotewohl gibt einem westdeutschen Reporter ein Interview. Er widerholt alle Statements der letzten Zeit und schließt mit der Bemerkung, in der DDR gehe es weiter voran. Der Reporter sagt: »Entschuldigen Sie, gerade hat Ihr Ministerium für Handel und Versorgung eine neue Lebensmittelverknappung für den Sommer angekündigt.• »Na und•, sagt Grotewohl, »vor einem Jahr hätten wir sie nicht mal angekündigt.•
Heutzutage, liebe Kollegen, sagt der Pförtner zu seinem Direktor »Kollege« oder »Kollege Fritze«. Es kann auch sein, daß er nur »Fritze« sagt. Das kommt ganz auf die Beschaffenheit des Kollegen Pförtner an. Und was, geschätzte Kollegen, kann man schon gegen diese Gepflogenheiten sagen? Hauptsache, der Pförtner hütet sein Tor, und Direktor Fritz ist mit den Gewerkschaftsbeiträgen nicht im Rückstand. Kollege - das ist so eine Art allgemeinverständlicher Vorname, der immer paßt. Es soll aber auch Kollegen geben, die ihren Vorgesetzten mit schönen und bunten Reden ins Ohr kriechen. Ewald Mumm, der zweite Mahnbuchhalter des VEB Pustekuchen, machte es besser. Er kroch mit seiner ganzen Person. Eddi Mumm war ein Mann, der seinem Namen widersprach. Er hatte kein bißchen. Er hatte ein breites Kreuz und verfügte über eine Schreibhand, in der sich jeder Kopierstift verlor. Im Gesicht trug Mumm stets ein breites Lächeln. Ja, man sah es dem guten Mumm nicht an, daß ihm das Rückgrat fehlte. Bloß nicht anecken, lautete sein Wahlspruch, und immer freundlich. Nur so wirst du was, zum Beispiel erster Mahnbuchhalter! Eddi Mumm stieß nie an; er mahnte postwendend und scharf, und seine Kollegen Mitmahner mochten ihn nicht sehr. Hauptbuchhalter Grimm war sein vorgesetzter Kollege. Mumm hatte ihn sich nicht selbst vorgesetzt, Grimm saß schon da, als Eddi lächelnd in die Buchhaltung eintrat. Der erste Mahnbuchhalter - eine erfahrene Kraft, die stark rauchte - hieß Köppen. Mumm rauchte verhalten und auch nur Pfeife. Letzten Donnerstag kam Hauptbuchhalter Grimm verärgert zur Arbeit. Er brachte eine Stinkwut mit, die außerbetriebliche Wurzeln hatte. Man wird verstehen, daß er sich Luft machen mußte. Köppen paffte, und Mumm hielt seine Pfeife im Mund. Grimm geriet an Mumm, und Mumm lächelte. »Sie sollten langsamer qualmen und schneller mahnen, Kollege!« sagte Grimm. Eddi Mumm schäumte unter der glatten Oberfläche. »Die Mahnungen«, erwiderte er leise, »sind alle raus, Kollege Hauptbuchhalter.« Wenn Mumm »Kollege Hauptbuchhalter« sagte, so hörte sich das wie »Euer Gnaden« an. Mumm hatte eine tiefe Verbeugung in der Stimme. Lächelnd klopfte Ewald Mumm seinen Knösel aus. Seine Zähne blitzten, und durch die Zähne quetschte er das Wort »Hundesohn!« Mumm quetschte es in Ge-
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Was des Volkes Hände schaffen
danken. Worauf Grimm beruhigt abging und Eddi seinen Kollegen fragte: »Na, wie habe ichs dem Grimm wieder gegeben?« »Gar nicht«, sagte Köppen. »Du Pfeife!« meinte Registrator Hinz. »Der Grimm zieht dir einen über, und du küßt ihm noch den Stock!" Und Fräulein Ulrike, der Lehrling, rief aus: »In meinen Augen sind Sie kein Mann, Kollege Mumm!« Ewald Mumm lächelte. Bis zwei böse Silben fielen. Köppen sagte: »Kriecher!«, was Mumm mit unbewegtem Gesicht verdaute. Doch dann mußten Überstunden gemacht werden. Wer sollte sie machen? »Wenn keiner kann ... «, überlegte Ewald Mumm. Und Hauptbuchhalter Grimm freute sich: »Ja, auf unseren guten Mumm ist immer Verlaß. Er ist - ein Vorbild!« Ewald strahlte, und beinahe hätte er vor Freude laut gebellt. Doch dann fiel ihm ein, daß er mit seiner großen Liebe Trudchen verabredet war. Und Mumm lächelte seiner großen Liebe eine kleine Träne nach. Zwei Tage später stürmte Abteilungsleiter Matt die Mahnbuchhaltung. Der Mahnbetrag für einen Doppelzentner Wmdbeutel war zu hoch veranschlagt. Um 17 Mark 90! _ »Wer hat sich hier vermahnt, Kollegen?« Hauptbuchhalter Grimm hatte nur gegengezeichnet. Köppen wars! Und Mumm verteidigte seinen vorgesetzten Kollegen: »Kollege Köppen hat doch nur im Interesse unseres Betriebes gehandelt - nein, verrechnet hat er sich bestimmt nicht!« Mumm legte sein freundlichstes Lächeln hin. Doch Köppen legte er nicht hinein. »Wird sofort geändert«, sprach der erste Mahner. Und der Abteilungsleiter mahnte: »So was darf nicht wieder vorkommen!« Eddi Mumm ergriff die passende Gelegenheit, sich bei seinem Abteilungsleiter ins rechte Licht zu setzen. »Gewiß, Herr Chef ... «, setzte er an. »Wir sind Kollegen!« »Sehr richtig, Kollege Chef!" »Ich bin kein Chef!" »Wie Sie wünschen, Herr Genosse!« Dem Abteilungsleiter verschlugs die Sprache. Er holte tief Luft. »Kollege Mumm«, sagte er, »mit Ihnen kann man nicht reden.« Mumm lächelte zustimmend und hielt seinen Mund. Abteilungsleiter Matt erkundigte sich, was Mumm für ein Kollege sei.
"Mir ist so komisch, Paule, ich glaube, ich werde wieder krank!"
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Der Referent spricht über Automatisierung und Arbeitszeitverkürzung: »Vielleicht, Kollegen, kommt einmal die Zeit, wo ihr dann bloß noch eine halbe Stunde täglich zu arbeiten braucht!« Da kam ein Wanderer des Wegs und sagt: »Paßt auf, Kollegen! Der will euch um die Frühstücksund Mittagspause bringen!«
Was des Volkes Hände schaffen
»Er ist willig«, berichtete Grimm, »und durchaus flexibel in der Zusammenarbeit.« »Er kriecht, Kollege Grimm, und warum kriecht er? Weil Sie's ihm leicht machen. Daraus muß ich einige Rückschlüsse auf Ihre Tätigkeit als Leiter ziehen!« Eine Stunde darauf stellte der Hauptbuchhalter seinen zweiten Mahner. »Weshalb biedern Sie sich an, Kollege Mumm? Sie haben mir damit bereits Sorgen gemacht, Mann!« »Aber Kollege Hauptbuchhalter ... « In Mumms Ton schwang das Schwanzwedeln des angepfiffenen Hundes mit. »Himmelkreuz, Mumm - wo leben Sie denn?« Eddi war fix und fertig. Er zog ein verzeihendes Lächeln auf. »Grienen Sie nicht so infam!« Mumms Züge erstarrten. Er hatte die Nase voll und ging nach Hause. Unterwegs traf er einen kleinen Hund. Mumm sah sich um: die Straße war leer und die Gelegenheit günstig. Da trat Ewald Mumm dem Hund ins Hinterteil. Und als der Hund den Schwanz einkniff, trat Kollege Mumm nach.
Horst J. Nachtweih
»Ich komme gleich wieder«, sagte Gustav Meier während der Frühstückspause zu seinen Kollegen. »Guten Morgen«, sagte er in der Eckkneipe, die er dann betrat. »Darf ich mal telefonieren?« Der Wirt zeigte mit dem Kopf nach hinten. »Da hängt der Apparat.« Gustav wählte, und kurz darauf hörte man ihn sagen: »Hallo! Ist dort der VEB Kisten und Kästen? Ich möchte gern den Kaderleiter sprechen.« Pause. »Spreche ich mit dem Kaderleiter vom VEB Kisten und Kästen? Ja? sagen Sie, brauchen Sie einen Expedienten? Ach, Sie haben schon einen, der in Ordnung ist und mit dem Sie zufrieden sind. Dann brauche ich mich bei Ihnen nicht vorzustellen? Vielen Dank. Auf Wiedersehen!« Gustav legte den Hörer auf. Der Wirt, Zeuge diese Gespräches, fragte Gustav mitleidig: »Es hat wohl nicht geklappt? Das tut mir leid. Na, Arbeit gibt es ja auch woanders genug ... « »Was heißt hier, tut mir leid ... «, sagte Gustav. »Wenn man seit vierzehn Tagen im VEB Kisten und Kästen als Expedient beschäftigt ist und ab und zu einen heben geht, will man ja mal hören, ob die mit einem noch zufrieden sind!« Und Gustav bestellte sich ein Bier.
Was des Volkes Hände schaffen Hansgeorg Stengel
Sechs Männer - ein Gedanke, ein Herzschlag und ein Sinn vom Brigadier Paul Klanke bis zum Gehilfen hin. Sie haben nie gebummelt. Sie lagen niemals schief. Sie haben nie geschummelt. War das ein Kollektiv! Sie schwitzten in der Frühe und spät am Nachmittag. Sie teilten sich die Mühe und teilten den Ertrag. Da gab es keine Fehden und keine Zänkerein. Ein jeder stand für jeden wie für sich selber ein. Sie zwang die steilsten Pfade empor zum Weltniveau: die Lotto-Tip-Brigade vom Reichsbahnstellwerk zwo.
Still ruhen Ziegelstein und Sand. Drei Männer murmeln: - contra - re! Die Zeit vergeht. Das Förderband bringt Stullen, Bier und Malzkaffee.
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Eulenspiegeleien VEB Pförtner sucht
Pförtner Meldungen täglich von 8 - 14 Uhr beim Pförtner
FREITAGABENDs IM SCHI CHTZUG "'TIGERod be
Ein ausländischer Besucher fragt. »Wie ist denn das Verhältnis zwischen Arbeitern und Betriebsleitung bei euch?«- »Gut, die oben tun so, als ob sie uns bezahlen, und wir tun so, als ob wir arbeiten.«
"Ist das noda ein WERKT:"
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Was des Volkes Hände schaffen
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Lothar Kusche
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llorstoft ieft ttOor die Woßt Hieftt 11toftr! Mir kann keiner mehr was erzählen. Ich höre immer: »Das Jahr der großen Initiative«. Besten Dank, meine Herrschaften! Wozu, möchte ich fragen, wozu? Denn wenn man wirklich Initiative entwickelt, dann wird man gemaßregelt. Jawohl. So ist das. Ich könnte Ihnen ein Liedchen davon singen, mein lieber Schwan, da legst du dich aber lang hin. Wrr von der HO haben uns, weiß der Teufel, die Racken abgerannt. Und gerade ich, als Einkäufer, habe meine Pflicht bis zum i-Tüpfelchen erfüllt. Mehr noch: bis zum tz. Ich habe mit Liebe gearbeitet. Wir brauchen nicht nur Waren, habe ich mir gesagt. Wir müssen die Bedürfnisse unserer Menschen befriedigen. Die individuellen, persönlichen Bedürfnisse! Was braucht der Mensch?, habe ich mich gefragt. Denn was der Mensch braucht, muß er haben. Aber denken Sie vielleicht, man hätte mir meine Mühe gedankt? Pah! Beispielsweise die Sache mit den Teekesseln. Man kann nicht schematisch hingehen und Teekessel einkaufen. Irgendwelche Teekessel. Also habe ich mich umgesehen. Habe meine Tante Anna besucht. »Tante Anna, was hast Q du für einen Herd?« »Na«, sagt sie, »ich habe so einen alten, großen Küchenherd.« - »Gut«, sage ich. »Tante Hier kauft der C Anna«, sage ich, »da brauchst du also so einen alten, dikDAUDlHRNST •lffllMUM-SIRASSE ,. . . . 7-f ken Emaille-Teekessel mit dem schweren Einsatz.« Und dann habe ich für unser Kaufhaus zweitausend solche Kessel "Was braucht der gekauft. Was meinen Sie, wo der Dank der Nation für meine Mensch, was muß er Initiative geblieben ist? Eintausendneunhundertneunundneun- haben? Wir brauchen nicht nur.Waren, wir zig Kessel stehen heute noch im Lager. Den einen hat Tante müssen die Bedürfnisse Anna gekauft. Dann kamen irgendwelche Kunden und fragten, unserer Menschen be· weshalb wir keine Hausschuhe hätten. Die Kunden hatten friedigen." Die HO in recht! Nichts ist so behaglich wie gute Hausschuhe. Ich also Dresden hält sich da aufgestanden, die Initiative hervorgesucht und rasch entfaltet! 1955 an den OsterZehntausend Paar Hausschuhe habe ich gekauft: diese halb- hasen. hohen, gelbbraun karierten, die unten eine Plüschbommel und oben einen Metallschnalle haben. Denn das sind die besten Hausschuhe der Welt; ich weiß es zufällig genau, weil ich das gleiche Modell seit über zwanzig Jalrren selbst trage. Das war eine Tat von mir, aber sie wurde ignoriert.
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»Wer trägt denn heute noch solche Plüschbommeln?« fragten sie mich. »Moment mal«, habe ich gesagt, »hier geht es nicht um die Bommeln, sondern um die Initiative. Um die Befriedigung der individuellen Bedürfnisse." Schließlich werde ich ja am besten wissen, welche Art von Hausschuhen ich am liebsten trage. Man kann doch nicht ohne Sinn und Verstand einkaufen, man muß doch Kontakt mit den Menschen haben!«
Jo Schulz
Einern Bürger wird das Telefon entzogen. Er beschwert sich und fragt nach den Gründen. »Sie haben den Staatssicherheitsdienst verleumdet.« - »Ich? Inwiefern?« will der Bürger wissen. »Sie haben wiederholt am Telefon behauptet, der Staatssicherheitsdienst würde Ihr Telefon abhören!«
Zufällig komme ich durch die Straße mit dem Süßwarenkonsum und kaufe eine Schachtel Weinbrandbohnen ohne Zuckerkruste, wie ich sie so gern esse. Zufällig erinnere ich mich, daß ein alter Freund von mir in derselben Straße wohnt. Ich gehe ein paar Häuser weiter, steige drei Treppen hoch und klingle an der Wohnungstür meines Freundes. Seine Frau öffnet. Da ich zufällig keine Aktentasche bei mir habe, versuche ich, die krustenlosen Kognakbohnen im Anzug zu verbergen. Zufällig bemerkt es die Dame des Hauses und bezieht die Bonbonniere sogleich auf sich. »Ü meine Lieblingssorte!« flötet sie. »Wie reizend! Und so zufällig. Vielen Dank, aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen!" Ehrlichen Herzens pflichte ich ihr bei. Zufällig ist auch der Kaffee gerade fertig. Wrr sitzen gemütlich auf der Eckcouch und plaudern. Plötzlich Schritte. »Mein Mann!« Zufällig ist die Versammlung nach Betriebsschluß ausgefallen, so daß mein Freund früher als erwartet nach Hause kommt. »Sieh doch«, empfängt ihn die Gattin, ihm meine schönen krustenlosen Schokobohnen entgegenstreckend, »sieh do<;:h, was mir dein lieber Freund mitgebracht hat - Weinbrandbohnen, du bringst mir nie so etwas mit!« Zufällig ist der gute Gatte sehr übler Laune. »Kunststück!« knurrt er, »sich bei den Frauen seiner Freunde mit Kognakbohnen einzukratzen!" Drohend kommt er auf mich zu. »Verräter!« zischt er. Ich weiche zurück, stolpere, falle durch ein Fenster. Zufällig stand es offen. Etwa in Höhe des ersten Stockwerks fühle ich mich gelandet. Etwas Weiches, Kitzelndes ist unter mir. Ich liege auf einem Heuwagen. Zufällig ist er in diese Geschäftsstraße geraten. Alles durchaus erklärbare Zufälle. Bis auf einen: Wie konnte es Kognakbohnen ohne Kruste geben?
Was des Volkes Hände schaffen Hansjoachim Riegenring
Zwoi Mti1t1toc oi1to JalJoi.sio (Vom Schnaps ganz zu schweigen)
Unsere Blicke ruhten ineinander, ernst, fragend, forschend. »Wollen wir es wagen?« flüsterte Eduard. Schweigen. Dann ein kräftiger Händedruck, wie ihn Männer wechseln, die sich aufeinander verlassen können in Not und Gefahr. »Gut. Wrr reparieren die Jalousie allein.« Mein Freund führte mich ins Wohnzimmer. »Kleinigkeit«, sagte ich, »das werden wir gleich haben.« Ich warf einen Blick auf die Schadenstelle, wie ihn fachmännischer kein Fachmann hätte werfen können. »Da ist der Gurt gerissen«, stellte ich mit wichtiger Miene das fest, was jeder ohne Anstrengung sehen konnte. Eduards Frau schenkte mir einen bewundernden Augenaufschlag. »Fabelhaft, wie du das so schnell gefunden hast. Ich liebe kluge Männer.« Das rutschte in mich rein wie Milchgetränk mit Banane, denn Eduards Frau ist eine sehr schöne Frau. Für Laien muß gesagt werden, daß die Jalousie keine Jalousie, sondern ein sogenannter Rolladen war, und um nun - na, das werden Sie schon mitkriegen. »Verdammte Kiste«, sprach Eduard (d. h„ er sagte nicht Kiste, sondern ein weit ausdrucksvolleres Wort, das von der Redaktion ja doch gestrichen werden würde), »nun müssen wir den Kasten da oben aufmachen!" Helga schenkte uns einen Korn ein. Ich finde, ihr Name paßt zu ihr wie nach Maß, sie ist die ideale Helga, aber Eduard ist mein Freund, und ich würde ihm so etwas nie antun. Nach dem Korn nahmen wir den Jalousiekasten über dem Fenster aufs Korn. (Man beachte die geistvolle Wortspielerei!) Auf zwei Stehleitern stiegen wir beschwipst - nein, Druckfehler-, beschwingt empor. Trotz des Alkohols war ich nun ganz
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auf der Höhe. Wie oft wird der Wanderer, der mühsam den Gipfel bezwang, enttäuscht, weil Nebel den Blick auf die anmutigen Hügel und lockenden Täler unter ihm verwehrt. So gings auch mir. Helga trug ein Kleid ohne Ausschnitt. Ich bat um einen Schraubenzieher. Helga lief in die Küche, wo sie ihn in der Büchse mit der Aufschrift »Muskatnuß« fand. Er war zu klein, und sie mußte den großen aus dem Keller holen. Das dauerte eine Weile, weil er hinter dem Eingemachten lag. Die Gardinenstange brauchten wir nur abzuschrauben, die Arbeit, sie herunterzukriegen, blieb uns erspart. Unsere Leitern kamen aus bisher ungeklärten Gründen ins Schwanken, und ganz unverhofft lag ich in Eduards Armen. Die Stange sauste zielbewußt auf die große chinesische Vase herab. Nur ein kräftiger alter Klarer konnte Freundschaftlich hielten wir uns umschlungen, unsere Arbeitsmoral wieder heben. denn keiner konnte den andern loslassen, ohne selbst abzustürzen. Die liebe Helga wand sich in Lachkrämpfen auf der Couch. Erst auf eine ernste Mahnung ihres schwankenden Gatten hin reichte sie uns zwei Gläser Kognak. Mit der Linken unsere Stellung haltend, schwenkten wir in der Rechten das liebliche Gesöff, dieweil unsere Leitern mit einer Beschleunigung von 4,5 hochtief m/l/s 2 sich der Waagerechten näherten. Danach sah die Stube aus wie bei Müllers nach dem letzten Krach wegen Lieschens neuem Freund. Ein Mampe Halb und Halb richtete uns und wir die Leitern wieder auf. Eduard holte die Zange aus dem Badezimmer, den Hammer aus dem Taubenschlag und eine Flasche Gin aus der Werkzeugkiste. Oh, heilige Ordnung, segensreiche! In dem Jalousiekasten war die Walze, auf die sich der Rolladen aufwickelte, wenn man am Gurt zog. Das machte uns großen Spaß, und Eduard schlug vor, ich sollte mich draußen an die Jalousie hängen, er wollte mich hochziehen. Er zog, zuerst gings ganz gut, ich schwebte langsam hoch. Aber ich war schwerer als Eduard, und es dauerte eine ganze Weile, bis wir ihn aus dem Kasten herausgepolkt hatten. Zur Erholung tranken wir einen Wodka, wobei Helga mich schelmisch fragte, ob wir eigentlich schon Brüderschaft getrunken hätten. Ich sagte ja, das hätten wir, es wäre aber gut, wenn wir außerdem noch Schwesternschaft trinken. Wrr tranken, ich küßte Helga und dann Eduard, und dann küßte Helga
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mich, und dann küßten wir alle den Gasmann, der den Zähler ablesen wollte und ganz eilig wieder verschwand, »ich komme noch mal wieder« murmelnd. Nachdem Helga den Gurt mit Kreuz- und Querstichen zusammengenäht hatte, mußten wir noch den Apparat in Ordnung bringen, der in der Wand sitzt und den Gurt aufwickelt, wenn man die Jalousie hochzieht „. Eduard wollte das unbedingt selbst machen. Sollte er, er ist viel höher versichert als ich. Vorsichtig wie ein Dompteur beim Abrichten von frischgefangenen Tigern drehte er die Rolle, wodurch sich die Feder spannte. Das war ein spannender Moment! »Fertig!« sagte Eduard. »Rrmebsebst«, sagte die Rolle, raste an der Krawatte hoch, sprang auf den Tisch, vom Tisch in die Standuhr, ohne Rück»Erklären Sie uns nicht soviel, wir haben selbst Augen im Kopf Ich werde veranlassen, daß Ihnen die Tiirreparatur sofort genehmigt wird!«
sieht auf die teure Glasscheibe. Die Uhr machte »Gonng«, das bedeutete: Ende der ersten Runde, Niederschlag durch technischen K.o. und blieb auf 11.23 stehen. Nur ein kräftiger alter Klarer konnte unsere Arbeitsmoral wieder heben. Der Zusammenbau klappte daraufhin schlagartig, da sich unsere schöpferische Intelligenz im Quadrat zur Alkoholprozentzahl steigerte. Am nächsten Morgen klingelte das Telefon. »Alles in Ordnung, mein Lieber, was wir gebaut haben«, sagte Eduard, »nur an einer Stelle muß ein kleiner Fehler stecken. Jedesmal, wenn ich die Jalousie hochziehe, läuft die Wasserspülung.«
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Erich Hanko
MoHdseAoiHSOHttto »Wer war eigentlich Rembrandt?« rief Paula aus dem Wohnzimmer. »Ein berühmter Indianerhäuptling!« schrie Willi aus dem Badezimmer, wo er sich rasierte. »Warum?« Paula schien seine Antwort kritisch zu erwägen, denn es dauerte einige Zeit, ehe sie zurückschrie: »Du lügst! Tante Minna hat geschrieben, und Rembrandt ist auf der Briefmarke oben, mit einer gewissen Saskia. Sie trinken beide Bier. Er sieht aber nicht aus wie ein Indianer.« »Ich werde es dir beweisen, wenn ich fertig bin«, tönte es aus dem Badezimmer. »Verflucht noch mal ···" Es folgten noch eilch möchte mein Mißfallen, Marke >Götz von Berlichingen< zum Ausdruck bringen.
~ge andere Vokabeln, die dasselbe ausdrück-
Zen .. M. t ··t Wiilli f rti d hi lt wei rnu en spa er war e g un e Paula ein kleines Stück Seidenpapier unter die Nase. »Bitte sehr, was siehst du hier?« »Vier Indianerköpfe«, sagte sie. »Und was soll das bedeuten?« »Das ist die Schutzhülle für die Rasierklinge •Rembrandt<, die ich augenblicklich benutze.« Paula sah erstaunt zu ihm auf und stieß einen Schrei aus. »Willi! Du blutest ja! Ist etwas passiert?« »Nichts Besonderes«, knurrte er. »Ich habe mich mit der Rasierklinge •Rembrandt< rasiert und ... «, er stockte, und sein Gesicht verklärte sich. »Paula! Jetzt weiß ich, warum die Klingen diesen Namen führen. Rembrandt hat doch die •Anatomie< gemalt ... und der Indianerkopf, das ist natürlich eine witzige Anspielung auf den Begriff •Skalpiermesser<. Ich habe nie geahnt, wieviel geistige Arbeit in den Bezeichnungen für unsere Massenbedarfsartikel steckt." »Du übertreibst, wie gewöhnlich«, sagte Paula kühl. »Kannst du mir erklären, warum es einen Fernsehapparat •Rembrandt< gibt und einen anderen namens >Rubens Kann man diese armen Menschen nicht in Ruhe lassen? Was haben sie mit Briefmarken, Rasierklingen und Indianern zu tun?« Willi wußte es auch nicht, und Paula fuhr fort: »Nächstens werden wir uns noch mit •Leoncavallo< die Zähne putzen. Ich brauche dringend eine Bratpfanne und du eine Baskenmütze. WIT müssen uns, glaube ich, mit dem Einkauf beeilen, ehe diese Seuche um sich greift.«
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Als Paula und Willi im Warenhaus ankamen, war die Entwicklung schon weiter fortgeschritten, als sie geahnt hatten. »Bratpfannen?« sagte der Verkäufer, »da kann ich Ihnen diese hier empfehlen, Marke •Sokrates<.« »Ich glaube, man muß jetzt in der griechischen Geschichte Bescheid wissen, wenn man eine Bratpfanne erwerben will«, meinte Willi gereizt. »Warum •Sokrates« Der Verkäufer lächelte schalkhaft und etwas herablassend. »Mit solch einer Bratpfanne in der Hand wartete Xantippe immer hinter der Haustür, wenn Sokrates spät nach Hause kam. In der Qualität unverwüstlich, meine Dame!« Paula sah Willi fragend an. Er schüttelte ablehnend den Kopf, die Bratpfanne »Sokrates« gefiel ihm nicht. Aber Paula kaufte sie. Dann machten sie sich auf den Weg zur Abteilung Baskenmützen. Unterwegs kamen sie an der Küchenwaage »Einstein« (Relativitätstheorie!) vorbei, an dem Eierbecher »Kolumbus«, an dem - Verzeihung- Büstenhalter »Stachelbeere«, (unter einer rauhen Schale steckt oft ein süßer Kern!), an der Herrenwinterunterhose »Casanova« (an stark beanspruchten Stellen doppelt verstärkt), bis sie endlich etwas benommen bei den Baskenmützen ankamen. Nachdem der Verkäufer ihren Wunsch vernommen hatte, studierte er lange und sorgfältig Willis Kopf und holte dann eine Mütze aus dem Regal. »Für Sie wie geschaffen, mein Herr. Marke •Beethoven<.« »Wieso •Beethoven« fragte Willi mißtrauisch. Der Verkäufer lächelte überlegen. »Mondscheinsonate, mein Herr!« Paula warf einen Blick auf Willis sparsamen Haarwuchs und brach in ein fröhliches Gelächter aus. Willi lachte nicht, sondern kaufte, wenn auch zähneknirschend, die Baskenmütze »Beethoven«. »So, und jetzt zur Buchabteilung«, zischte er mit einem bösen Zug um den Mund. »Ich möchte gern ein Nachschlagewerk, in dem alles über berühmte Männer drinsteht. Dichter, Erfinder, Maler, Komponisten, und was es sonst noch gibt, wissen Sie? Man braucht das heute, wenn man einkaufen geht.«
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>Hol mal den Eimer mit Rhabarbermarmelade. fetzt machen wir Erdbeertorten."
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»Ja«, sagte der Verkäufer, »da haben wir hier das Lexikon von Meyer, zwölf Bände „." »Wer ist Meyer?« fragte Willi verächtlich. »Haben Sie nicht die neuesten Nachschlagewerke am Lager? Zum Beispiel Marke •Hamlet< (Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt!) oder Marke •Faust• (Zwar weiß ich viel, doch möcht ich alles wissen!).« Der Verkäufer zuckte verlegen mit den Achseln. »Die haben wir noch nicht reinbekommen. Entschuldigen Sie, ich weiß mit diesen Dingen noch nicht so Bescheid, ich bin erst gestern aus der Schuhwarenabteilung hierher versetzt worden." »Darf ich mal um das Kundenbuch bitten?« sagte Wtlli eisig. Der Verkäufer brachte es mit schlotternden Knien, und Willi setzte sich und schrieb wutschnaubend hinein: »Leider muß ich das Fehlen der neuesten Typen von Nachschlagewerken beanstanden. Ich möchte mein Mißfallen, Marke •Götz von Berlichingen< hiermit zum Ausdruck brin ... " In diesem Augenblick schlug Paula, die ihm über die Schulter gesehen hatte, mit der Bratpfanne »Sokrates« dreimal auf die »Baskenmütze Beethoven«, die Wtlli bereits aufgesetzt hatte. Paula tat das, um Willi wieder zum anständigen Menschen zu machen. Als sie es geschafft hatte, gingen beide in ein benachbartes Lokal und tranken zwei große Bittere mit Namen »Richard Wagner«. "Wo willst du mit dem Hufeisen hin, Egon?« "Es soll mir auf der Suche nach einem Fahrradersatzteil Glück bringen.«
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Hansjoachim Riegenring
Das MädeA011 11tit do11 woi/Jo11 HöseA011 Wir waren klüger als andere. Wir gingen eine Stunde vor Abfalirt des Zuges zum Bahnhof. Auf dem Bahnhof standen 2467 Urlauber, die auch klüger waren. Schirme, Kinder, Hunde, Gepäck, kleine Schachteln, große Schachteln, neue Schachteln, alte Schachteln. Sie zogen von einem Ende des Bahnsteigs zum anderen, um eine günstige Startposition zu finden. »Das ist ja das reinste Hin- und Heerlager«, sagte Eduard. Er stellte seinen Koffer einem ihm zuverlässig erscheinenden Herrn auf den Fuß, und dann warteten wir der Züge, die da kommen sollten. Bevor der Herr sagen konnte, was ihm in der Hand zuckte, fuhr der Zug ein. Da jammerten die Hunde, da bellten die Männer, da wurden Weiber zu Sirenen. Reisefieber. Reisedelirium. Die Frau schlief und drehte der Sonne den Rücken zu. Sie trug einen einteiligen Badeanzug. Der andere Teil lag neben ihr im Sand.
Der Zugfunk wünschte uns eine gute Reise und spielte »Das alte Försterhaus«. Wir saßen. Ich bat meinen Nachbarn, seine Angelrute aus meiner Nase zu nehmen. Auch entfernte ich die Dame von meinem Schoß, die sich beim Anfaliren des Zuges dorthin gesetzt hatte. Sie war nicht mein Typ. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was verzehren. Nach drei Stunden war der Raum unter den Bänken restlos mit Resten und Papier ausgefüllt. Manche Urlauber bewiesen ihre Liebe zur Sauberkeit und warfen die Abfälle aus dem Fenster. Der Zugfunk spielte zum drittenmal »Das alte Försterhaus«. Er wurde aber von der goldzahnbewehrten Dame ül;>ertönt, die pausenlos Bonbons und Nüsse zerknirschte. Eine Mutter tränkte ihre lieben Kleinen mit Kakao, den die reizenden Kinder statt in den Mund auf Eduards hellgraue Hose kippten. Die Beleidigungsklage läuft demnächst beim Kreisgericht. Endstation. Die Frauen suchten ihre Schuhe unter den Sitzen hervor, die Männer zogen die Jacken an und schlossen den obersten Hosenknopf. Allgemeines Durcheinander. Meine Koffer, deine Koffer. »Schöne Reise«, murrte ich, »nicht mal 'ne nette Bekanntschaft.« Auch Eduard war enttäuscht. »Wir hätten mit einem Anschlußzug faliren sollen!«
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Der Strandfunk weckte uns mit dem beliebten Schlager »Das alte Försterhaus«. Über dem Strande lag ein sommerliches Hoch. Es war so heiß, daß die Bäume den Hunden nachliefen. Ihre Blätter hingen gelb und traurig. Man sollte sie öfter mal umblättern. Eduard zog aus, einen Strandkorb zu erobern. Ich wanderte barfuß fürbaß. Ich wollte gern die See rauschen hören. Die See ist groß. Aber der Strandfunk ist lauter. Eine einsame Düne. Dahinter ein Mädchen ... Beine wie ein Gedicht. Sonett. Kleine weiße Höschen umspannten plastisch, was sich nur schwer mit druckfähigen Worten bezeichnen läßt. Diese Frau war schön bis in die letzten Poportionen. Sie schlief und drehte der Sonne den Rücken zu. Sie trug einen einteiligen Badeanzug. Der andere Teil lag neben ihr im Sand. Ich hätte sie gern geweckt, wenigstens teilweise. Mein ausgeprägtes Anstandsgefühl hielt mich davon ab und einige Wanderer, die des Weges kamen. Ich verankerte das Kontraantlitz der Schönen in meinem Gedächtnis und setzte meinen Seegang fort. Eduard beobachtete aus unserem Strandkorb heraus eine kugelrunde Badenixe. »Die als Freundin«, seufzte er, »das wäre was! Die wirft einen schönen Schatten." »Wie steht's denn mit der Fischerei?« fragte ich. »Üch, nette Krabben gibt's genug. Fische mußt du dir aus Berlin schicken lassen. Die Urlauber aalen sich, und die Aale sind auf Urlaub.« Ich erinnerte mich, auf meiner Strandwanderung einen Steindamm gesehen zu haben, der weit ins Meer reichte. Eduard war sofort zu einem Spaziergang bereit. Ich guckte links, ich guckte rechts. Der Damm war weg. Eduard schüttelte den Kopf. »Daß der Himmel vormittags blau ist, lasse ich mir gefallen, aber daß du ... " Da sahen wir sie. Kräftige Männer schleppten schwere Steine den Strand hinauf, kamen zurück, nahmen eine neue Last auf sich und wanderten hin und zurück, hin und zurück. »Üb das Wanderhünen sind?« überlegte Eduard. Die Hünen bauten weiter den Damm ab und wanderten zu den orkanlauten Wellen des Strandfunks, der die Erholungssuchenden mit
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der schönen Melodie »Das alte Försterhaus« erfreute. »Entschuldigen Sie, eine dumme Frage«, tippte Eduard einem Steinträger auf die Schulter, »warum bauen Sie den Damm ab? Wird die Ostsee verlagert, oder ist das eine neue Sportart der Transport?« Der Steinträger drehte sich um. Erstarrte zu Stein. Es war Herr Nieselbaum, Eduards Nachbar. »Sie hier?« lächelte er verlegen. »Ja«, sagte Eduard. »Sie auch? Die Steine nehmen Sie wohl als Andenken mit?« »Nein, nein, die brauchen wir zum Burgenbau.« »Mögen sie Ihnen schwer im Magen liegen!« wünschte Eduard herzlich. Am nächsten Morgen ging sie dicht an mir vorbei. Wie verhält man sich laut Knigge Die weißen Höschen leuchteten in der Sonne. Sie in Gegenwart einer unbekleideten schenkte mir keinen Blick. Wahrscheinlich hätte Dame? Wie macht man ihre Bekanntschaft? Zieht man sich eben- sie mir nicht mal einen verkauft. Na, ich dachte nicht daran, ihr nachzulaufen. Ich wollte nur mal falls aus oder ···? sehen, ob sie wieder ... Ja. Sie lag und schlief. Diesmal hatte sie auch das Oberteil des Bandeanzuges umgebunden. Um den Kopf. Mein verflixter Anstand siegte wieder. Ich kehrte um. Nicht gern. Die Menschen schmorten in Fett und ÖL Die Frauen zeigten, was sie hatten. Manche hatten nichts. Das zeigten sie auch. Sportliche Athletengestalten ließen ihre Muskeln spielen, bevor sie ins Wasser sprangen. Sie salbten sich und warfen die leeren Ölflaschen ins Wasser. Gedenkt der hungernden Ölsardinen! Ich trat in eine leere Konservendose. Mir entfuhr ein Wehschrei in Form eines Fluches. »Macht nichts«, sagte freundlich der Mann, der die Büchse weggeworfen hatte, »die Büchse war ja leer.« Er ließ sich von seiner Frau eine Handvoll Kirschen geben. Die Kerne schleuderte er mittels des seiner Lunge innewohnenden Luftdrucks von sich. »Ich glaube nicht«, bemerkte ich, »daß das Zweck hat. In diesem Sand wachsen bestimmt keine Kirschbäume.« Der Mensch muß nicht nur essen, im Gegenteil, und die kleinen Kinder schafften den weiten Weg nicht immer. Was sollten die Eltern machen? Sand drüber! Die Burgenbauer hatten einige Dutzend lange Pfähle entdeckt. Ganze Arbeiterkolonnen mit Wmden und Rammen hatten sie mühsam in den Grund getrieben. Die Urlauber zogen sie mit bloßen Händen heraus. So gut war die Verpflequng.
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»Wir haben«, erklärte Herr Nieselbaum stolz, »einen Zahnarzt unter uns. Der versteht das.« Eduard drückte ihm eine Zeitung in die Hand. Den Artikel über den Schutz und die Sauberkeit des Strandes hatte er rot angestrichen. Herr Nieselbaum las aufmerksam, nickte, meinte, das sei ganz seine Meinung, und schmiß die zusammengeknüllte Zeitung in den Sand. Der Strandfunk spielte »Das alte Försterhaus« dazu. Ich hatte Sehnsucht nach einsamen Dünen. Wir gingen in eine Bar, wo ich mich der Getränkekarte ergab, bis ich lauter weiße Höschen sah. Obwohl der Rundfunk es vorausgesagt hatte, war auch am dritten Tag schönes Wetter. Der Strandfunk spielte einen bekannten Schlager. Ich beschloß, nachzuforschen, ob der Mann, der den Plattenspieler bediente, die Musik selbst hörte, und falls ja, wie lange er das aushielt, ohne einen Sanatoriumsaufenthalt einzuschieben. Vorher führte ich den Zufall hinter eine einsame Düne. Was ich da sah, kann ich nur mit zarten Umschreibungen andeuten. Sie trug heute gewissermaßen einen keinteiligen Badeanzug. Mir wurde trotz der Hitze warm. Ich beneidete den Sand und den Wind und die Sonne. Wie verhält man sich laut Knigge in Gegenwart einer unbekleideten Dame? Wie macht man ihre Bekanntschaft? Zieht man sich ebenfalls aus oder „.? Sie seufzte leise und bewegte sich. Die Situation war mir peinlich, wenn auch nicht unangenehm. Ich zog mich nicht aus, sondern zurück. »Wunderbar, diese Stille«, flüsterte Eduard entzückt. »Ja«, sagte ich, »So habe ich mir meine Erholung immer vorgestellt.« In unserer nächsten Umgebung spielten neun Kofferradios vier verschiedene Programme. Elf Plattenspieler spuckten Rock'n'Roll, Walzer und zackige Märsche auf den Strand. Über allem schwebte »Das alte Försterhaus". »Ich glaube, wir müssen bald abreisen«, meinte Eduard. »Nieselbaum und ?sträucher haben fast den ganzen Ostseestrand demontiert. Heute sind sie mit Drahtscheren an die Arbeit ge-
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gangen. Ich habe ihm empfohlen, hinter Strandkorb 414 nachzugraben. Da liegt ein altes Kabel.« Der Strandfunk verkündete für den Abend ein Strandfest. Mitten im Satz knackte es entsetzlich. Aus. Stille. »Jetzt hat er das Kabel gefunden«, grinste Eduard. Herr Nieselbaum mußte die Kabelreparatur bezahlen und war von da an unser Todfeind. Leider hielt die Störung nur drei Stunden vor. Dann gossen die Lautsprecher lauwarme Musikwellen über das Meer. Der Abend sang hernieder. Zum Tanz kamen die Frauen im Strandanzug oder in durchsichtigen Kleidchen. Reichlich Ausschnitt. Manchmal auch für'n Groschen mehr. Nur eine trug kurze weiße Höschen. Aufforderung zum Tanz. Nächtliche Dünen, Mondschein. »Sag mir deinen Namen«, bat ich. »Anne«, flüsterte sie, »Anne Nieselbaum. « Oje. Dann war das Mädchen mit den weißen HösWir fahren nach Hause und erholen chen ... naja, keine Hose ohne Dornen. Was konnuns mal richtig: Hier in Heringsdorf te sie für ihren Vater! gibt's ja nicht mal Fische. »Dreimal hast du neben mir gestanden«, sagte sie. Ich nickte erstaunt. »Hast du mich denn gesehen?« »Natürlich. Hättest du mich nicht gern - hm - geweckt?« Klar hätte ich das. »Und doch bist du weitergegangen und hast die Situation nicht ausgenützt. Du bist sehr anständig.« Sie ergriff meine Hand. »Ja«, sagte ich ergriffen. »Schade«, sagte sie. Sie lehnte sich weit zurück. Ihr Mund war weich und ... »Herr Müller«, donnerte der Strandfunk, »Herr Müller! Ihre Frau und Ihre drei Kinder sind soeben angekommen und erwarten Sie im Hotel! « »So ist das«, lachte Anne verächtlich. »So einer bist du also! Pfui!« Sie sprang auf und rannte weg, bevor ich ihr erklären konnte, daß ich gar nicht Müller heiße. »Mach dir nichts daraus«, tröstete mich Eduard. »Wenn du sie nicht kriegst, kriegt sie ein anderer. Wir faliren nach Hause und erholen uns mal richtig. Hier in Heringsdorf gibt's ja nicht mal Fische. Stell dir vor, meine Frau hat mir ein Telegramm geschickt: In Berlin gibt es Flundern! Wir kehren zurück zur heimatlichen Scholle! «
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.... Ein Mann am Fahrkartenschalter: •Bitte, ich hätte gern eine Fahrkarte nach Kürze!. - •Wohin?. •Nach Kürze.cc - •Diesen Ort gibt es nicht in der DDR.. - •Muß es aber geben! Unser Parteisekretär hat uns in seiner letzten Rede gesagt, in Kürze sei alles besser. Und da Will ich hin .•
„Herr Ober - ein Schnitzel
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Erich Hanko
An der einsamsten Stelle des Schrammsteingebietes in der Sächsischen Schweiz entdeckte ein Wanderer einen vorschriftsmäßig angeseilten Bergsteiger, der ungefähr 20 Meter über dem Erdboden an einer Felswand hing und eine Postkarte schrieb. »Hallo«, rief der Wanderer, »was machen Sie denn da oben?« »Ich hänge«, rief der Bergsteiger herunter. »Haben Sie vielleicht zufällig einen Rasierapparat bei sich?« »Leider nein«, rief der Wanderer hinauf. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« »Ja«, rief der Bergsteiger runter, »stecken Sie doch bitte diese Postkarte in den nächsten Briefkasten!« Die Postkarte lautete: »An das HO-Sportartikelgeschäft, Löbau (Sachsen) . Herzliche Grüße aus der Sächsischen Schweiz. Das Kletterseil, das ich neulich bei Ihnen gekauft habe, ist vorzüglich. Ich hänge hier in landschaftlich schöner Umgebung schon seit vier Wochen an einem Felsvorsprung, ohne daß es gerissen ist. Leider ist es etwas kurz - nur 30 Meter und nicht, wie vorgeschrieben, 40 -, so daß ich beim Abseilen auf halbem Wege stehen - Verzeihung - hängenbleiben mußte. Aber, wie gesagt, der Blick von hier oben ist wunderbar. Nur mit dem Zähneputzen ist es etwas umständlich. Es hat schon seit acht Tagen nicht geregnet. Sollte der •Führer für Bergsteiger im deutschen Mittelgebirge<, den die Sektion Touristik, Dresden, im Januar angekündigt hatte, noch in diesem Sommer erscheinen, so bitte ic;:h um Übersendung eines Exemplares, damit ich nachschlagen kann, wie ich mich in meiner augenblicklichen Schwebelage verhalten soll. Zusendung bitte unter •Einschreiben, dringend!< an folgende Adresse: Wolf Eberhard Meyer, Standesbeamter, z. Z. Sächsische Schweiz, Schrammstein Nr. 113 III. Etage."
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Paul Schmidt-Elgers
'Das WaHdorH war dos M~Oßors li.st Eines Morgens beschloß der Forstaufseher Mooskopp, einen konkreten Rundgang durch den volkseigenen Wald zu machen. »Leg mir den Knotenstock und die Gummischleuder zurecht«, sagte er zu seiner Frau Emma. »Das Jagdkommando hat die Wildschweine verärgert···" Emma fragte: »Soll ich dir auch den Notproviant mitgeben? Das letztemal haste fünf Stunden auf dem Baum gehockt.« »Wohl, wohl, tue das, man kann nie wissen«, brummte Mooskopp und zog nach einer Weile mit Knotenstock und schwerhängendem Rucksack auf Tour. Mooskopp war ein wachsamer Forstaufseher, und so währte es nicht lange, und er stellte im Jungwald hinter der Schonung verdächtige Bewegungen und Geräusche fest. Er packte seinen Stock fester, sah sich vorsorglich nach einigen griffesten Kiefern um, falls doch Wildschweine ihn zu deren Besteigung nötigen sollten, und schrie wacker fürbaß ... Gegen Mittag wurde der Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei, Wachmeister Lobesam, durch wildes Pochen an der Haustur aus dem Schlaf gerissen. Als er öffnete, erblickte er den Forstaufseher Mooskopp, der sich grauen Gesichts und mit schlotternden Knien das typische Bild eines fünf Stunden schlangestehenden, obsteinkaufenden Urlaubers bot. Lobesam wollte schon eine diesbezügliche Bemerkung machen, aber da schulterte Mooskopp seinen Knotenstock und meldete stotternd: »Kamerad Wachtmeister, ich melde hiermit, daß ich in meinem Revier eine Räuberbande entdeckt habe!« Dann brach er nervenzukkend in einem Stuhl zusammen. Der Wachtmeister verlor weder die Nerven noch die Dienstauffassung und machte sich sofort an die Abfassung eines Proto-
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Bei einer Rundfahrt erklärte der Fremdenführer: »Das Wahrzeichen des friihen Mittelalters ist der Rundbogen, das Wahrzeichen des späten Mittelalters der Spitzbogen.« Da kam ein Wanderer des Wegs und sagte: »Und das Wahrzeichen unserer Zeit ist der Fragebogen.«
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kolls. Die effektive Tatsache war die: Im Jungwald hinter der Schonung hauste in Zweig- und Laubhütten eine ungefähr fünfzehnköpfige Bande verwilderter Gesellen, nach deren Entdekkung der Forstaufseher Mooskopp die Flucht ergriffen hatte, denn die Räuber schmissen mit Knüppelholz und Tannenzapfen. »Zuerst dachte ich, es seien Freikörperkulturelle«, berichtete der Forstaufseher. »Aber dann sah ich, daß sie mit zerfetzten Hosen und Hemden bedeckt waren. Und alle haben einen Vollbart!« »Typisch für Berufsräuber«, stellte Lobesam fest. »Vielleicht wollten sie die Fernsprechleitung von Oberwaldbach nach Unterwaldbach anzapfen, das ist ihre neueste Methode.« Der Wachtmeister mobilisierte den Bürgermeister, die freiwillige Feuerwehr und die GST. Die Bande war in knapp einer Stunde umstellt und ließ sich willenlos verhaften. Lobesam ließ aus dem Saal des Klubhauses der Jugend die dort lagernden Restbestände an Broschüren herausschaffen und stellte die Räuberbande sicher. Das erste Verhör einiger Inhaftierter verlief dramatisch. Auf seine Fragen erhielt Lobesam nur unverständliches Lallen zur Antwort. Die verwildert aussehenden Menschen weinten und schlugen sich vor die Brust. Der Bürgermeister vertrat die Ansicht, man habe es hier sicherlich mit einer von der Zivilisation vergessenen Horde der Urgemeinschaft zu tun. Das war ein neuer Gesichtspunkt. Ein Professor der Völkerkunde wurde im Auto aus der Kreisstadt geholt. Er stellte unschwer fest, daß es sich bei diesen unrasierten, verschmutzten und verkommenen Zweibeinern aus dem Jungwald um Bürger der DDR handelte. Sie lallten sächsisch-berlinischen Dialekt. Das war wieder ein neuer: Gesichtspunkt. Lobesam fragte daraufhin sofort nach den Personalausweisen. Jawohl, jeder der Verhafteten besaß einen ordnungsgemäßen Ausweis. Das war wieder ein neuer Gesichtspunkt. Jetzt gab man ihnen zu essen und zu trinken, und sie machten anschließend einen derart friedlich-kämpferischen Eindruck, daß der Wachtmeister nicht mehr daran zweifelte, es mit Bürgern der DDR zu tun zu haben. Sie wurden unter reger Anteilnahme der Bevölkerung in ein Auto geladen und zum Kreispolizeiamt gefahren. Die abschließende Untersuchung unter Berücksichtigung aller Gesichts-
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punkte ergab folgendes: Bei der Horde im Jungwald handelte es sich um Wanderer. Um völlig private Einzel-Wanderer, die die Schönheit des Rennsteiges erwandern wollten. Sie waren bereits vierzehn Tage unterwegs. Nicht ein einziges Mal war es ihnen gelungen, ein Nachtquartier zu erhalten, denn alle Unterkünfte waren durch den FDGB oder das Reisebüro belegt. Abschließend ist noch zu bemerken, daß die Wanderer inzwischen alle je einen kostenlosen Ferienplatz zugewiesen bekamen. Der Forstaufseher Mooskopp ist zu ihrer ideologischen Betreuung abgestellt worden und gibt über seine verantwortungsvolle Arbeit wöchentlich Bericht. Die Wanderer nehmen an einem Schulungskursus teil: »Die schädlichen Auswirkungen des Individualismus bei der Urlaubsgestaltung hinsichtlich des volkseigenen Wanderns.« Zum Mittagessen sind sie alle pünktlich im Heim. Sie wandern nicht mehr. Das ist wieder ein neuer Gesichtspunkt.
Natürlich nicht nach Mallorca, aber auch nicht auf die Krim! Urlaub 1955 hieß: Bleibe im Lande und nähre dich redlich - das beherzigt auch der ranghöchste Urlauber. Der erste und einzige Staatspräsident der DDR, Wilhelm Pieck, auf Erholungsurlaub in Oberhof
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W. K. Schweickert
Dar Hoel!tstaplJar Ostern mache ich in der Regel einen längeren Spaziergang. Dieses Mal führte er mich in eine bekannte Ausflugsgaststätte. Natürlich war alles überfüllt, und ich wollte schon umkehren, als mir ein Geschäftsführer winkte. Ich folgte ihm in gebührendem Abstand an einen Tisch. Dort sprach er mit einer Dame. Sie nahm ihr schmückendes Beiwerk, einen Strauß Wiesenblumen, eine sogenannte Bemmendose, einen Fotoapparat und einen reichlich benagelten Spazierstock nur unwillig und langsam von dem freien Stuhl, übersah meine Verbeugung, und auch ihr Gatte ließ mein Kopfnicken unerwidert. Beider Kind, ein munterer Knabe von vier, fünf Jahren, gaffte mich dagegen mit einer erstaunlichen Beflissenheit an. Mann und Frau schwiegen beharrlich, als ob sie sich gestritten hätten, und schauten satt und gelangweilt und vielleicht auch etwas durch mein Erscheinen gereizt nach den anderen Tischen. Von dort klangen gelegentlich fremde Laute auf, und ich erinnerte mich, daß in der Stadt ein internationaler medizinischer Kongreß tagte. Das Lokal war österlich dekoriert. Auf den Tischen standen kleine Vasen mit Birkenzweigen. Dann schwiegen sie bedeutungsvoll, während mich die Dame mit zusam- Einige Gäste in der Nähe verfügten über bemerkenswerte Eierköpfe, und so überkam auch mich mengekniffenen Augen heimlich von der Seite musterte. das, was man gemeinhin frohe Osterstimmung nennt. Ich blätterte in der Speisekarte, ließ das an der Spitze stehende Osterlamm unbeachtet und entschied mich für ein ukrainisches Gericht, das ich noch nicht kannte und dessen Namen richtig auszusprechen mir recht schwierig erschi~n. Er lautete in allen fünf Sprachen, in denen die Speisekarte auslag, gleich, und ich hatte gerade die französische Karte in der Hand, als sich ein vorüberhastender, leicht transpirierender Ober bereitwillig zu mir herabneigte. Ich deutete schnell auf das unaussprechliche Wort, der Ober nickte, wiederholte den Namen, ohne zu stottern, warf elegant ein paar französische Brocken, die ich nicht verstand, hinterher und war verschwunden, ehe ich »piep« sagen konnte. Die Dame nippte an ihrem Bierrest. Ich spürte ihre Blicke. Als ich hochsah, wich sie meinen Augen aus und wandte sich an ihren Mann. »Was is'n das for eener?«
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Er neigte sich ihrem Ohr zu. »Franzose«, murmelte er zwischen den Zähnen. »Äh?« sagte sie. Dann schwiegen sie bedeutungsvoll, während mich die Dame mit zusammengekniffenen Augen heimlich von der Seite musterte. Ich verspürte große Lust, ihren Irrtum zu korrigieren. Aber erstens liebe ich keine Tischgespräche, und zweitens konnte die Bemerkung ja auch jemandem hinter mir gelten. »Was ißd'n där?« Der Mann hob träge die Schultern. »Doch sicher ä Deleschierdr! Aber geen Arzt! Där siehd mir eher wie ä Heilgehilfe aus, weeßde. « Sie wurde leicht ärgerlich. »Ich meene doch, was där ißd, was'r beschdelld had?« »Da frachsde mich zuviel. Mußde warden, bis es gommd.« »Das mechd'ch drwächn noch sehn!« »Gann lange dauern - bei dän Bedriebe.« »Ausgerächned Ostlern missen die hier ihm Gongräß machn, die Nieslbrieme !« Voriibergehend erlosch das Interesse an meiner Person. Eine voriibergehende junge Dame war daran schuld. »Hosen«, sagte meine Tischnachbarin, riimpfte die Nase und
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wabbelte unwillig mit dem Doppelkinn. »Weeßde, da gann ich einfach nich mähr mid!" Er schwieg. Der Junge stieß mit den Füßen gegen eines der Tischbeine. Das trug ihm einen Tadel und mir einen wütenden Seitenblick ein. »Muß där sich ausgerechned an unsern Disch sedzen! Dort driem wär ooch noch frei gewäsn, wenn'r ä bißchn gewarded hädde -« Der Mann nickte und zog gelassen an seiner Zigarre. Der Junge nagte an seinen Lippen und ließ mich nicht aus den Augen. »Schunge! Du sollsd doch nich eechal an Munde gnabbem! Machsd noch so lange, bis de Gusche nich mehr zugehd un de Zähne rausfalln «, meinte die Dame. »Gib'm doch sein Osdrhasn«, sagte der Mann. »Da gann'r ludschn.« Die Dame brachte einen himbeerroten Osterhasen aus Bonbonzukker zum Vorschein, und der Knabe ging mit Eifer und schlekkender Zungenspitze ans Werk. Es war ein ruhiges, artiges und geduldiges Kind, das der Frau Mama erstaunlich ähnlich sah. »Was där so denkd?« fragte sie. Ihr Gatte sah sie mit halboffenem Mund an. »Ich meene - als Franzose -« »Was soll'r denkn«, antwortete er. »Nischd -« »Denksde?« Die Sache fing an, mir Spaß zu machen. Eine Bekannte schritt vorüber. Wir nickten uns zu. Der Dame am Tisch entging nichts. »Hast du dän sein Blick gesähn? Wie där der nachguggde! Du! Das is ä Sießhahn!« Und nach einer kleinen Weile: »Die Franzosen, das sin doch ieberhaubd« - und mit einem deutlichen Seitenblick auf das Kind - »na, du weeßd schon, was ich meene.« Er hatte bis jetzt durch mich hindurchgesehen. Jetzt muster-
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te er mich kurz und winkte ab. »Alles dummes Geräde! Die gochen ooch bloß mid Wasser!« Ihr Blick überflog jetzt die Nachbartische. Sie drehte sich um und beäugte Neuankommende. Sie hatte sich offenbar an mir satt gesehen. Aber ich täuschte mich. Sie stieß ihren Mann an. »Gefälld där dir? Ich weeß nich- der had so was Ausländsches an sich, findsde nich? Richdche Sägge hat där under'n Oochen.« »Dränensägge«, erläuterte er. »Där had's mid'n Nieren.« »Gann ooch de Galle sein«, sagte sie laut und machte ein bedenkliches Gesicht. »Vielleicht had'r sich geärcherd.« Die Dame deutete zum Schein nach einem der Wandgemälde in den Nischen, die von grünen Zweigen umrahmt waren. »Was sachsd'n zu dän sein Schlibs?« Er nickte. Vermutlich hatte er nichts dazu zu sagen. »Viel zu gnallich!« meinte sie. »Där müßde was Dezenderes drachn - so wie du.« Er lächelte geschmeichelt, während sie zärtlich an seinem Selbstbinder zupfte. Dann zwinkerte er ihr lustig zu. »Bei dän sein Gobb - da hilft ooch nischt Dezendes! « Sie lachten. Dafür fing jetzt der Kleine zu weinen an. »Was had denn dr gleene Hase?« fragte die Dame besorgt. Der Junge hatte dem roten Osterhasen ein Loch in den Bauch geleckt, und jetzt bekam er Angst vor der Höhlung, die ihm rötlich entgegenschimmerte. Angewidert legte er den klebrigen Hasen auf den Tisch. »Schämsd du dich gar nich, Schunge?« sprach der Vater mit Strenge. »Ä richdchr Schunge darf doch geene Angst hamm, wächn so ä Loche!« Die Dame führte den Osterhasen an den Mund. Sie leckte munter darauf los. »Hier, gugge!« Es half alles nichts. Der Knabe wollte nichts mehr von der Zuckerleckerei wissen, und die Dame verstaute das Tier in ein
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Ein SR 2 war in den SOer Jahren schick. Auch wenn der Volksmund sagte: Simson Suhl dieser Stuhl hundert Meter geht er und dann steht er. SR hieß übrigens »Sömmerda-Rheinmetall« ...
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Klein Egon besucht zum ersten Mal den Tierpark. Interessiert beobachtet er die Elefanten und fragte: •Papi, warum haben die Elefanten so eine dicke Haut?« Da kam ein Wanderer des Wegs und sagt: •Die braucht die HO für Bockwürste!«
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Taschentuch, das sie in ihre riesige Handtasche schob. »Das is nich wächn dän Loche«, sagte sie zu ihrem Mann, ein vernichtender Blick streifte mich. »Das is wächn dän Gerl an Dische. Der Schunge hat eenfach Angsd! Sidzd hier herum un sachd nischd! Und wenn du's richdch besiehsd - alles uff unsre Gosden!« Er legte seine Hand auf ihren dicken, mit einem schweren goldenen Reif geschmückten Arm. »Aber - was du noch nich weeßd - där gann als Franzose geen H schbrächn." »Äh?« sagte sie wieder und glotzte mich unverhohlen an. »Wie denne? Geen H?« »Das gennen die Franzosen nich!« sagte er und freute sich, als ob er mir unter dem Tisch einen Tiefschlag versetzt hätte. »Da hamm die wohl'n andrn Gehlgopf als mir?« fragte sie, und es gab einen kleinen Streit, bis sie alles begriff. Seine Heiterkeit schien sie anzustecken. »Dann gann där wohl gar nich HO sachen - bloß O?« Er schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel, und der Knabe brach zum ersten Mal in ein helles Lachen aus. Jetzt ähnelte er seiner Mutter noch mehr. Es war wirklich verblüffend. »Der sachd AO«, meinte der Mann. Aber ich sagte, denn es schien mir an der Zeit, etwas ganz anderes. Ich wandte mich nämlich in gepflegtem Sächsisch an den Kellner: »Härr Obr! Bringen Se mir doch ä Bilsner! Nich zu gald, wenn's gehd, bidde!« Die Wirkung war bemerkenswert. Die Mienen des Ehepaars erstarrten. Sie sahen auf einmal wie Fotografien aus. Er schwieg betreten, und die Dame bekam rote Ohren. Immerhin faßte sie sich als erste wieder. Es stieß ihr auf. Sie benutzte diesen kleinen Rülpser zur Formulierung des bekannten Satzes »Üb se Gurgn ham« und sah dann nach ihrer Armbanduhr. »Ich denke, 's wärd Zeid! Unser Zuch wardet nich länger.« Damit gab sie das Signal zum Aufbruch. »Där gam mir gleich verdächdch vor«, meinte sie, während sie zum Nagelstock und zur Bemmendose griff. »Ich hab da de richdche Nase -« »Hochschdabler«, murmelte der Mann im Gehen.
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Durch kulturelle Erholung in einem Heim der Gewerkschaften - neue Kraft für die Erfüllung des Fünfjahrplanes
In den Urlaub ging es planmäßig - natürlich nach erfülltem Plan. 1955 war der erste Fün.fjahrplan abgeschlossen.
FDGB
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Die Männer blau, die Wiesen grün die Blumen in den Kneipen blühn! Wie wird uns da die Kehle weit: Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit! Wer hat denn dir, du schöner Wald, ein Bierglas an den Kopp geknallt? 0 kühles Naß, du tust mir leid: Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit! 0 Maienfreud, du meine Lust! mir fliegt ein Stuhlbein vor die Brust! Der Gustav an der Theke schreit: »Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit!•
»Seltsam, sie riechen wie unsere Jäger; sind es aber nicht!•
Wie freut den Menschen der Humor! Wer weiß, wo ich mein Ohr verlor? Es hing noch dran vor kurzer Zeit: Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit! Das Abendrot die Welt versüßt mein Fahrrad hab ich eingebüßt. Nun tramp ich heim in Omas Kleid: Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit! Wenn alles bricht, wir brechen auch; doch niemals nicht den alten Brauch! Und wer da kneift, kriegt mit uns Streit: Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit!
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Hans Seifert
Wann und von wem der Spreewald gegründet wurde, entzieht sich leider meiner bescheidenen Kenntnis. Ich weiß nur so viel, daß der schöne Spreewald um ein Haar ins Wasser gefallen wäre, wenn nicht die Spree im letzten Moment kurz hinter Cottbus eingelenkt hätte. Der Spreewald hat seine Eigenheiten; er hat seine eigene Landschaft, seine eigenen Reize und seine eigene Flotte. Jeder Spreewaldreisende, der Lust verspürt, sich mal von der Spree gehörig auf den Arm nehmen zu lassen, der braucht nur im Hafen von Lübbenau oder Burg an Bord eines der dort massenhaft parkenden Passagierkähne zu gehen. Mit den Passagierkähnen nehmen nämlich alltäglich die berühmten Spreewald-Rundfahrten ihren werten Anfang. Dabei kann man nur staunen, wie es die Spree überhaupt noch fertigbringt, sich in ihren dreihundertundsechzig Betten zurechtzufinden. Manches Bett ist so schmal, daß man bloß vom und hinten Wasser sieht, wenn man im Kahn sitzt. Das sind die sogenannten Einbahnwasserstraßen. Spreekrank kann bei diesen Rundfahrten so leicht keiner werden, weil die Spree immer gleich wieder drüben am anderen Ufer ist, wenn sie mal eine Wasserwelle machen will. Vor vielen, vielen Jahren soll solch ein Spreewaldkahn mal versehentlich mit einer Wasserratte zusammengeprallt und auf der Stelle gesunken sein. Währenddem sich indessen die Wasserratte mit eingeklemmtem Schwanz durch Fahrerflucht rettete, blieb der Kapitän nach altem Schifferbrauch an Bord und ging mit seinem Kahn so lange unter, bis ihm das Wasser ans Knie reichte, so daß er um ein Haar die Hosen wechseln mußte. Im allgemeinen kann gesagt werden, daß die Spreewaldrundfahrten eine beliebte Erholung sind ... besonders für die Mücken, die hier im durchgehenden Saisonbetrieb arbeiten und zusammen mit Andenkenhändlern und Uferphotographen darin wetteifern, daß ihnen ja kein Ausflügler ohne Aderlaß durch die Lappen geht. Die meisten Spreewaldgäste kommen nachweisbar aus dem benachbarten Berlin. Schadet nichts. Sollen sie sich ruhig mal ansehen, wie ungetrübt das Wässerchen ist, bevor es zu ihnen kommt. Die Menschen im Spreewald sind nett und auf die Fröhlichkeit ihrer Gäste bedacht. Dauernd bieten sie saure Gurken an, weil sie wissen, daß sauer lustig macht.
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Fritz Bernhard
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Urlaubsgrüße von der Ostsee
Werter Kollege Betriebsleiter! Vorgestern hier eingetroffen, sende ich Ihnen beste Grüße vom herrlichen Ostseestrand. Bereits jetzt macht sich das ruhige, der Herstellung der Arbeitskraft gewidmete Leben und das zeitige Schlafengehen wohltuend bemerkbar, so daß ich mich schon wieder sehr auf die Arbeit freue! Ihr ergebener Kurt Müller.
Meine liebe, kleine Helgamaus! Auch heute innige Grüße und Küsse vom Ostseestrand! Bin in den paar Tagen schon ganz braun gebrannt, weil ich meist einsam und allein in den Dünen liege und lese. In den Strandburgen nennen sie mich schon »Müller, den Soliden«, aber ich muß doch sparen, für unsere Einrichtung. Nun bleibe hübsch brav und schreibe viel Deinem treuen Kurti.
Umseitig unser Ferienheim. Wo das Kreuz ist, wohne ich!
Umseitig unser Ferienheim. Wo das Kreuz ist, wohne ich!
Lieber Freund und Kumpel Schorsch! Bin wohlbehalten an der Ostsee gelandet und grüße dich herzlich. Hier ist allerhand los, jeden Abend woanders großer Ringelpietz. Wenn man bloß nicht sobald wieder zurück müßte! Habe mir schon einen netten, blonden Kurschatten angelacht. Er heißt Irene und ist gespannt, dich in Berlin kennenzulernen. Dein Kurt, der Müller.
Liebe Tante Anna! Herzliche Grüße vom Ostseestrand! Obwohl ich erst ein paar Tage hier bin und wir Müllers doch sparsame Leute sind, merke ich, daß ich etwas knapp werde, weil ich nach Deinem lieben Rat zusätzlich in der HO-Konditorei viel Kuchen und Sahne esse. Kannst Du mir per Draht mit 100 Piepen aushelfen? Herzlichen Dank im voraus und ein Küßchen von Deinem Neffen Kurt.
Umseitig unser Ferienheim. Wo das Kreuz ist, wohne ich!
Umseitig unser Ferienheim. Wo das Kreuz ist, wohne ich!
6. Ka
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Hölaor, selaHolJIJor,
woitor Sportlich sportlich 1955 beschließen die Nationalen Olympischen Komitees beider deutscher Staaten die Aufstellung einer gemeinsamen Olympia-Mannschaft, und erstmals treten DDR-Athleten bei Olympischen Spielen an. Die Medaillen, die die DDRSportler holen, schmücken den jungen Staat, der seine internationale Anerkennung erkämpfen will. Doch war es keine DDR-Erfindung, sportliche Erfolge zur Selbstdarstellung zu nutzen. Planwirtschaft auch im Sport - ein Regierungsbeschluß zur Förderung des Sports legt fest, wie es laufen soll. Und es läuft gut. Radsportler Täve Schur, Boxer Wolfgang Behrendt, Skispringer Harry Glaß sind die Sportleridole dieser Jahre. Weltmeistertitel werden erkämpft und Rekorde aufgestellt, DDR-Sportverbände in internationale Verbände aufgenommen; die Deutsche Hochschule für Körperkultur wird gegründet und das Stadion der Hunderttausend in Leipzig gebaut. Wer in keiner Betriebssportgemeinschaft aktiv ist, kann ja trotzdem seinem ganz speziellen Ausgleichssport nachgehen, so jedenfalls erzählt es Erwin Albrecht auf den nachfolgenden Seiten. Und der Gesellschaft für Sport und Technik wird nachgesagt, sie werbe mit dem Slogan: Kommt zur GST. lernt Schießen und trefft Freunde! Als Freunde des Schachsports treten Herricht und Preil auf, gewissermaßen ein Sportlerduo der Extra-Klasse.
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Erich Hanko
Mein Freund Karl ist Stabhochspringer. Das ist ein schöner, aber kostspieliger Sport. Man braucht dazu eine Stange, die 4, 75 m lang ist. Und dadurch wird die Sache teuer. Die Stange selbst- Verzeihung, es heißt natürlich »Stab«, Stange sagen nur die Anfänger. Die ganz Dusseligen sagen Rute. Ich sagte es zuerst auch, bis Karl mich aufklärte - also, den Stab kann man schon bezahlen. Das ist nicht so schlimm. Teuer wird der Sport erst, wenn man den Stab in Betrieb nimmt. Dann merkt man, was eine 4, 75 m lange Stange anrichten kann. Nicht etwa auf dem Sportplatz. Da ist sie friedlich und fällt höchstens mal einem Kampfrichter auf den Kopf, wenn man gut zielt. Aber halt! Es muß ja erst erklärt werden, wie sich dieser Sport »Stabhochspringen« abspielt. Das wissen nämlich nicht alle. Frau Manicke zum Beispiel, Karls Nachbarin, versteht davon fast gar nichts, obwohl sie im Jahre 1890 einen Preis im Tambourin-Spielen errungen hat. Karl mußte sie erst informieren. »Also, man nimmt den Stab und rennt ein bißchen.« »Warum?" »Um Anlauf und Schwung zu kriegen. Dann stößt man den Stab in die Erde und schwingt sich mit dem freien Ende in die Höhe.« . b h . »Wie hoch?« E.in Sta bh oc hspnnger raue . ll e1c . ht ... vier . Met er.« . . . t eine »Na, so vie Wohnung mit Zimmern, die so groß U d h s· d b ? . . " n was mac en ie a o en. " G . ht h di Stan 1 d fall uf sind, daß man den Stab wenigstens · d · · k " ar mc s. 1c 1asse e ge os un ea in er D1agona 1en rein 1egen ann. der an deren se1·te der 1 atte m · die sprunggrube.« »Sie kommen also gleich wieder runter?« »Ja.« »Warum springen Sie dann erst rauf?« Es ist schwer, auf diese Frage eine treffende Antwort zu finden. Karl fiel keine ein. Vielleicht gibt es auch gar keine. »Sehen Sie, junger Mann«, fuhr Frau Manicke kopfschüttelnd fort, »ich habe hier einen Krückstock, der ist nur neunzig Zentimeter lang. Den brauche ich zum Gehen, er hat einen vernünftigen Zweck. Aber mit einer vier Meter langen Stange ... « »Vierfünfundsiebzig Meter«, berichtigte Karl. »Noch schlimmer! Also, mit solch einer Stange in die Luft zu springen, ohne zu wissen, warum? Nein, junger Mann, dazu werden Sie mich nie überreden können. Nie!« Die Frau ist zu bedauern. Nie wird sie den Nervenkitzel eines
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Stabhochsprunges erleben oder auch nur ermessen können. Andererseits spart sie Geld. Und von den Unkosten sollte ja eigentlich die Rede sein. Sie entstehen beim Transport des Stabes zum Stadion, Sportplatz oder wo man sonst mit ihm hochspringen will. Man trägt ihn am besten waagerecht auf der Schulter und beherrscht damit einen beträchtlichen Teil des Bürgersteiges, besonders, wenn man sich gelegentlich dreht. Passanten, die sportlich geschult sind, gehen dann schnell in die Kniebeuge und lassen den Stab über sich wegpendeln. Andere, und das ist leider die Mehrzahl, tun es nicht und verlieren dadurch ihre Brillen, Krawatten, Hüte oder was sich sonst gerade in der fraglichen Höhe befindet. Oft tragen sie auch Schäden an Ohren, Zähnen und Nasen davon. Und das verursacht eben Ersatz- und Reparaturkosten, die der Stabhochspringer tragen muß. Dazu kommen dann noch zerstoßene Straßenlampen, Kämpfe mit Schaffnerinnen, die nicht einsehen wollen, daß Stabhochsprungstäbe zum Handgepäck rechnen, durchgehende Pferdegespanne und Bisse von Hunden, die sich durch den Stab bedroht fühlen. Dann braucht man als Stabhochspringer eine Wohnung mit Zimmern, die so groß sind, daß man den Stab wenigstens in der Diagonalen reinlegen kann. Es sieht nicht gut aus, wenn das Sportgerät ständig mit dem einen Ende zum Fenster hinausgucken muß. Das kostet alles viel Geld, und deshalb sollten nur Leute stabhochspringen, die über größere Mittel verfügen. Mein Freund Karl hat es jetzt aufgeben müssen, weil sein Geld alle war. Er ist zum Boxsport übergegangen, eigentlich rein zufällig. Die erste Unterrichtsstunde erhielt er nämlich gratis von einem Herrn, dem er in einer Bahnhofshalle den Sprungstab in die Magengrube rammte.
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Erwin Albrecht
Moi11 Al.s111Joiel!tssport »Sie sitzen zuviel«, hatte der Betriebsarzt gesagt, nachdem ich mir die Hosen wieder anziehen durfte, »Sie müssen einen Ausgleichssport betreiben, Herr Mollenstett." »Hm«, nickte ich nachdenklich, »ein netter Sportzweisitzer ist schon lange mein Traum. Aber ob ihn mir die Sozialversicherung bewilligen wird?« »Kaum«, meinte der Doktor, »und da wiirden Sie ja noch fetter werden. Sie wohnen doch, wenn ich recht im Bilde bin, am Stadtrand, in der Nähe des Waldes, nicht wahr?« Ich bestätigte es. »Na also. Hacken Sie Holz, Herr Mollenstett, und Sie sollen mal sehen, wie sich Ihr Wohlbefinden steigern wird.« »Schön, Herr Doktor«, erwiderte ich kleinlaut, »und wie oft soll ich···" »Dreimal täglich einen Eßlöffel voll«, sagte der DokInzwischen hatte sich unsere ganze tor, der in Gedanken anscheinend schon beim nächHausgemeinschaft um mich gesten Patienten war. schart und begleitete meine Arbeit Am nächsten Tag schon ging ich zu unserem Reviermit fröhlichen Zwischenrufen. förster und bat ihn um einen Baum. »Was denn für 'n Baum?« fragte der Mann ganz entgeistert. »Wollen Sie vielleicht mitten im Frühling Weihnachten feiern?« »Nicht zum Feiern, zum Hacken«, erklärte ich ernst. Nachdem der Waldmensch mich belehrt hatte, daß Bäume nicht zum Hacken da sind, zog er eine Liste hervor und fragte: »Haben Sie denn schon mal Zacken gehabt?« »Oh, öfters«, sagte ich, über die Wendung des Gespräches nicht wenig überrascht, »der Frühlingsbau in der Sängerklause ist ja erst zwei Tage her.« »Ich spreche von Baumzacken, Herr Mollenstett«, erwiderte der Förster dienstlich. »Wie ich sehe, haben Sie noch keine gehabt. Sie können sich also bei den Waldarbeitern im Jagen 99 einen Kinderwagen voll holen.« Hurtig lieh ich mir von Teuerkaufs den Kinderwagen und begab mich nach dem Jagen 99. Als ich gegen Mitternacht schweißtriefend wieder zu Hause angelangt war, lag auf meiner Seite für diesen Tag kein Bedarf für irgendwelchen Sport weiter vor. Dafür stürzte ich mich am nächsten Tag mit um so größerem
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Elan auf meine Zacken. Bereits nach einer knappen Stunde hatte ich den ersten, etwa dreißig Zentimeter langen Kloben von dem armdicken Ast abgesägt und konnte nun mit dem eigentlichen Holzhacken beginnen. Schon allerdings ergab sich eine neue Schwierigkeit. Mein Kloben wollte nicht stehen. Wie ich das Biest auch auf dem Hauklotz drehte, es fiel um. »Der is besoffen«, sagte Kurti, Teuerkaufs Ältester. »Wen meinste denn?« fragte Evchen, die Jüngste, zur allgemeinen Erheiterung meiner Zuschauer. Inzwischen hatte sich nämlich fast unsere ganze Hausgemeinschaft um mich geschart und begleitete meine Arbeit mit fröhlichen Zwischenrufen. Unbeirrt brachte ich meinen Kloben mit Hilfe einiger untergelegter Zweige ins Gleichgewicht ... zielte ... wollte zuhauen ... da fiel das Teufelsholz abermals um. »Vielleicht hat der Kloben Angst vor Ihrem Tomahawk?« mutmaßte Nachbar Kagelmann zur allgemeinen Freude. Ich aber drehte das Holz um und schlug diesmal so schnell zu, daß es gar nicht erst umfallen konnte. Und es klappte! Allerdings war das abgespaltene Holzstück etwas schmal geraten und an seiner dicksten Stelle vielleicht nur einen halben Zentimeter breit. »Ach«, rief Oma Riethmüller, die über uns wohnt, »Sie machen wohl erst Späne, wat? Zum Feueranmachen!" Auch diesmal ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen, sondern hackte weiter, wenn auch das dritte- bis elftemal daneben. »Lufthauer sind ooch Leute«, sagte Kurti und begann mir nun doch allmählich auf die Nerven zu fallen. Meine Hiebe wurden wuchtiger, wütender. Und da ... beim zwölften Hieb landete ich einen Volltreffer! Freilich war er von solcher Vehemenz, daß mir das abgespaltete, an sich sehr gut geratene Stück Holz mit voller Wucht in die Fr... , ich meine in die Frisur flog. Gleichzeitig fiel, vermutlich infolge falscher Peilung, der Hauklotz um und gegen mein Schienbein.
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"Na meinetwejen - aba mach et nfch kaputt!«
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»Himmel, Ast und Wolkenbruch!« fluchte ich kernig auf holzhackerisch und schmetterte mein Beil derartig wütend in den widerspenstigen Kloben hinein, daß es in einem Ast steckenblieb, in dem es sich z. Z. noch befindet, da ich es nicht mehr herausbekomme. Aber morgen hacke ich weiter, jawoll. Immer mit dem Ast am Beil, das ist mir ganz egal, denn ich bin mit der bisher erzielten Gewichtsabnahme vollkommen zufrieden. Nur meine Frau zieht ein Gesicht. Sie hat unserm Altersheim nämlich etwas voreilig eine Spende von vorläufig einem Raummeter selbstgehacktem Kleinholz versprochen und sieht nun schwarz. Aber als alleweil lust'ger Holzhackerbua werde ich auch dieser Sorge Herr werden. Seit gestern hängt im Konsum ein Zettel von mir aus: »Brennholz, ofenfertig, zu kaufen gesucht.«
Nils Werner
114/JIJttlJIJel!etJie Hurra! Wrr haben wieder mal gesiegt. das heißt, wir haben diesmal nicht verloren. Man denke nur, Rumänien unterliegt! Schon gellt ein Lobgesang in allen Ohren. Zwar nicht mehr ganz so lautstark wie bisher, denn auch die Presse lernt aus Niederlagen. Beim nächsten Sieg, und wenns nur einer wär, wird sie sich freilich überschlagen. Den Lorbeerkranz der eitlen Schreiberei wird schon die nächste Schlappe still entfernen. Ihr fragt, was da zu machen sei? Zunächst mal: besser Fußball spielen lernen.
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Warum ist die DDR · Die Leute lernen b/~e Spo~ation? strecken. izeiten, sich nach der Decke zu
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Franz kommt atemlos auf dem Bahnhof an und rennt zum Schaffner. •Glauben Sie, daß ich den D-Zug nach Berlin noch erwische?• Sagt der Schaffner: •Wenn Sie ganz schnell hinterherrennen, erwischen Sie ihn sogar noch vor Berlin.«
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Hans-Joachim Preil
'Dia SeAaeApartio Sketch mit Rolf Herricht
»Wollen wir eine kleine Partie Schach wagen?« Stets und ständig geraten sie in Streit, zur Freude des Publikums: das Komikerduo Herricht & Preil.
Preil (kommt gefolgt von Herricht auf die Bühne): Sagen Sie mal, Herr Herricht, was bringen Sie denn da nun schon wieder an? Herricht (stellt ein Schachtischehen vor Preil hin): Einen Tisch ... ein Tischehen ... ein »Spieltischehen«! Preil (schmunzelnd): Und Sie wissen, was das ist? Herricht (großartig): Das ist ein Bettspiel, Herr Preil, welches ich soeben käuflich erworben habe. Preil (erstaunt): Moment, was ist das? Herricht (erklärt wichtigtuerisch weiter): Ein Bettspiel, das schon die Alten ohne ihre Pfarrer gespielt haben ... Preil: Moment mal, langsam, langsam. Das ist kein Bettspiel, sondern ein Brettspiel! Und das haben auch nicht die Alten ohne die Pfarrer, sondern die alten Pharaonen gespielt! Herricht: Ich weiß ... ich weiß, Herr Preil. ich kenn mich doch aus in der Mysto lolololo gie! Und eben die saßen nämlich immer zu Füßen einer Pyramidon ... Preil (unterbricht abrupt): Nein ... die saßen nicht zu Füßen einer Pyramidon, sondern am Fuß einer Pyramide. Herricht (naseweiß): Ja, ich weiß, ich weiß ... und das war für sie dann ein Mirakel. Preil (ungehalten): Ein Orakel! . Herricht (mißbilligend): Aber Herr Preil ... Wenn Sie alles besser wissen, dann brauche ich Ihnen das ja nicht mehr zu erklären. Preil (lenkt ein): Also guuuut! Schwamm drüber ... Herricht (erstaunt): Wieso, ist doch sauber ... ! Preil: Ich meine, erledigt, Papierkorb! Herricht (verständnislos): Warum denn immer gleich alles in den Papierkorb werfen? Und außerdem paßt es da auch gar nicht rein ... Preil (unterbricht kurzerhand): Sie spielen also Schach? Herricht (brav): Ja, ich spiele ... Wie bitte? Was spiele ich?
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Preil (streng): Ich habe gesagt: Sie spielen also Schach? Herricht (erstaunt, gleichzeitig aber auch erheitert): Wie kommen Sie denn darauf? Preil (ungeduldig): Weil das hier ein Schachspiel ist! Herricht (prompt): Ach, das ist ein Schachspiel? Jaaaa, dann ist das natürlich etwas anderes. Dann spiele ich selbstverständlich Schach. Preil (erklärt nochmals): Dann wissen Sie also auch, daß das ein sogenanntes Brettspiel ist, mit dem schon die alten Pharaonen, die alten Syrer und die alten Inder spielten ... Herricht (treu und brav): Ja, ja, die Alten! Mit was die so alles spielten! Und die spielten gern damit ... Preil (nervös): Und zwar schon vor 2000 Jahren ... Herricht (gibt sich klug): Und wie gern ... wie bitte ... ? Preil (wiederholt): Vor rund 2000 Jahren wurde schon auf diesem Schachbrett gespielt! Herricht (ist sehr beeindruckt): Donnerwetter ... sieht man dem Ding gar nicht an. 'n Material ... was? Preil (streng, belehrend): Das ist ein ernsthaftes Spiel, Herr Herricht, bitte! Herricht: Danke, jawohl! Man spielte sehr ernsthaft damit ... Preil: Und Sie spielen also auch Schach? Herricht: Jawohl! Auch sehr ernsthaft ... ! Preil: Gut, freut mich. Wollen wir 'ne kleine Partie wagen? Herricht (eifrig): Warum nicht, Herr Preil! Wer wagt- gewinnt! Ich bin ja kein Schachverderber ... kein Spielverderber. Preil (beginnt die Figuren fachgerecht aufzustellen): Na dann mal los! Bitte aufstellen! Herricht (zögert und beobachtet Preil krampfhaft aus den Augenwinkeln, um ihm dann alles nachzumachen. Er stellt nach Preils Vorbild seine Figuren auf) Preil (beginnt): Ich nehme Schwarz! Und Sie nehmen Weiß! Herricht: Ist ja klar! Jeder, was er wert ist. Preil (wird böse): Also, bitte ... Ich sagte ernsthaft! Herricht (stutzt): Herr Preil .. . Preil: Was ist? Herricht (beeindruckt): Herr Preil ...
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Ein Genosse fällt in den Fluß und ist dem Ertrinken nah. Auf seinen Hilferuf eilt ein Mann herbei. Er fragt: »Welche Note hattest du in Russisch?« - »Sehr gut!« - »Welche Note hattest du in Manrismus-Leninismus?« »Herrgott, auch sehr gut, aber nun holen Sie mich doch bitte hier raus!« - »Siehst du, hättest du lieber Schwimmen gelernt.«
Höher, schneller, weiter
Prell (unwillig): Ja doch ... was haben Sie denn ... ? Herricht (etwas verzweifelt): Wir können nicht anfangen ... Prell (verblüfft): Wieso können wir nicht anfangen ... ? Herricht (nervös): Ich habe etwas vergessen. Prell (erstaunt): Was haben Sie vergessen? Herricht (kleinlaut): Die Würfel! Prell (böse): Na na na na ... Ich sagte, es ist ein ernsthaftes Spiel!!!! Herricht (zerknirscht): Wirklich, Herr Preil! Ernsthaft! Ich habe die Würfel vergessen. Prell (aufgebracht): Menschenskind, zum Schach braucht man doch keine Würfel. Herricht (maßlos erstaunt): Sooo? Dann spielen Sie das hier anders. Prell (wütend): Los jetzt ... aufstellen! Herricht (wiederholt und unterbricht dann erstaunt): Los jetzt ... jawohl. Aufstellen. Sagen Sie mal ... Herr Prell ... wie stellen Sie denn Ihre Figuren auf? Preil (erstaunt) : Wieso denn? Wie meinen Sie das? Herricht: Na ja, alles so an den Rand? Prell (unwirsch): Das muß man doch! Herricht (erstaunt): Das muß man? Dann bleibt ja für die Mitte gar nichts übrig? Prell (ungehalten auf Herrichts Figuren deutend): Stop mal, was machen Sie denn da? Das ist ja alles bunt durcheinander. Herricht (naiv): Dann sieht's nicht so eintönig aus. Prell (erregt sich): Was ist denn mit Ihren Bauern los? die stehen ja alle auf einem Haufen! Herricht (um keine Ausrede verlegen): Na ja! Produktionsbesprechung. . Prell (faucht Herricht böse an): So ein Unsinn! Und Ihre Türme? Herricht (erschrocken): Meine Türme? Ich habe Türme? Prell: Ich sehe bei Ihnen keinen einzigen Turm! Herricht (spitzbübisch, versteckte Anspielung auf die Wachtürme an der Grenze): Getarnt ... Herr Prell ... getarnt! Daraus lasse ich Sie beobachten ... ! Preil (erregt sich immer mehr): ... und die Läufer? Wo sind die Läufer? Herricht (pfiffig, blickt suchend unter die Tischplatte): Wo sind die Läufer? Ja wo sind sie denn? Wo laufen sie denn ... Herr Prell braucht einen Läufer? Wollen Sie'n Bier holen lassen?
Höher, schneller, weite r
Prell (zornig): Ich meine die Läufer-Figuren. Wo haben Sie die, Donnerwetter ...! Herricht: Ach, die Läufer-Figuren? Ja, die habe ich in der Tasche. Donnerwetter. Preil (verblüfft): Wieso in der Tasche? Herricht (überlegen tuend) : Tja ... die spiel ich immer als letzten Stich aus! Prell (knurrig): Was ist denn das bloß wieder für eine Regel? Und was ist mit Ihrer Dame? Herricht (höflich): Ach, danke der Nachfrage! Die hatte jetzt gerade ... ich meine, die Grippe hatte sie jetzt gerade ... Aber es geht schon wieder besser ... Prell (giftig) : Sagen Sie mal, wollen Sie mich nicht verstehen. Ich meine doch die Figur! Herricht (begeistert) : Ach, die Figur? Ohhh! Ausgezeichnet! Taille 60, obenrum 110 und .. . Preil (initiativ) : Schluß jetzt mit dem Blödsinn. Wir fangen an! Herricht (fixiert Prell, um nichts falsch zu machen) Prell (merkt es): Was starren Sie mich denn so an? Machen Sie lieber einen Zug! Herricht (verblüfft): Wie bitte? Prell (schnauzt): Sie sollen einen Zug machen! Herricht (schüttelt den Kopf): Ich soll jetzt einen Zug machen? Ich denke, wir spielen Schach? Prell (ungeheuer nervös): Ja doch! Das gehört doch dazu. Herricht (gibt kopfschüttelnd nach): Ach, das gehört dazu ... der Zug? Aha!? Prell (schnauzt): Wrrd es nun bald? Machen Sie jetzt einen Zug ... oder nicht? Herricht (resigniert): Gut! Mache ich jetzt einen Zug oder nicht! Auf Ihre Verantwortung ... Herricht (traut sich noch nicht. Dann überwindet er sich und macht plötzlich eine Lokomotive nach): Tsch ... pff... tsch ... pff.. . Uuuhhhuuuuu. Prell (zuckt zusammen und brüllt ihn an): Hören Sie auf. Was soll denn der Schwachsinn? Sie sollen mit dem Spiel beginnen ... also den ersten Zug machen ... Verstanden? Ist denn das so schwer? Herricht (eifrig dabei und brüllt auch los): Überhaupt nicht. Sie werden staunen, wie ich jetzt schachern werde! Kontra!! Prell (hitzig): Wieso denn ... was denn für 'n Kontra?
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Bei einem Sportfest fragt ein altes Muttchen: »Ach bitte warum rennen die Männer denn immer im Kreis rum?« »Na, der erste bekommt einen Preis«, antwortet der Experte. Da kam ein Wanderer des Wegs und fragte: »Und warum rennen die anderen?«
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»Wenn du Idiot keine Ahnung vom Schachspiel hast, laß die Finger davon!«
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Herricht (zeigt selbstbewußt auf Preils König): Na dem Dingsda! Preil (verbessert wütend): Der Dingsda ist der König. Herricht (ebenso hitzig): Gut! Dann dem König aus Dingsda! Preil (hetzt weiter): Nein, das ist auch falsch. Das ist der »Vetter aus Dingsda«! Herricht: Gut, dann dem fetten König aus Dingsda ... ! Preil (winkt resignierend ab und beginnt sozusagen das Spiel): Hören Sie auf mit den Albernheiten. Setzen Sie gefälligst erst mal Ihre Bauern ins Feld. Herricht (rückt und schiebt an seinen Bauern herum): Natürlich! Gern! Meine Bauern müssen auf's Feld! An die Arbeit! An die Arbeit! Die Ernte ruft! Preil (wütend): So ein Unsinn! Sehen Sie her ... Ich mache jetzt einen sehr gewagten Zug. Ich setze meinen Bauern, hier, vor Ihr Pferd! Herricht (verbessert freundlich lächelnd): Auf mein Pferd, Herr Preil. Auf ... mein Pferd. Preil (schnauzend): Nein! Vor Ihr Pferd! Was machen Sie jetzt? Herricht (unentschlossen): Ich? Was ich jetzt mache? Tja ... was macht man denn da so? Preil (ungeduldig): Ja, was machen Sie jetzt? Herricht: Ich würde erst mal sagen: Nichts! Preil: Sie müssen doch etwas unternehmen! Bleibt das Pferd da stehen? Herricht (verwirrt): Natürlich! Das steht doch da so friedlich. Preil (rigoros): Es ist nicht zu fassen! Also schön! Dann schlage ich es!!! Herricht (fährt zusammen): Wwwas ... machen Sie? Preil (aggressiv und beharrlich): Ich schlage jetzt Ihr Pferd! Herricht (böse): Herr Preil! Sie Tierquäler! Wenn Sie mein Pferd schlagen ... Dann nehme ich hier meinen dicken fetten König aus »Dingsda« und dann schlage ich ... schlage ich . .. schlage ich ... alles um ... ! (Er schlägt alle Figuren um.) Preil (rauft sich die Haare und verläßt eilig die Bühne): Ich gebe es auf ... Herricht (beglückt): Sie geben auf? Dann habe ich ja gewonnen! Gewonnen ... Gewonnen!!!!! (Klemmt das Brett unter den Arm und eilt freudestrahlend hinterher.)
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Unter vier Augen
Lothar Kusche
Ich heiße Paul, aber das ist es nicht, was mir Schwierigkeiten macht. Ich bin nicht so'n Mensch, dem alles in den Schoß fällt. Das Neue ist kein Geschenk des Himmels, das einem gebraten in den Mund fliegt. Versteht sich. Ich bin glücklich, wie ich zugeben muß, und gerade deswegen bin ich nicht richtig glücklich. Das hört sich nur so paradox an. Es ist gar nicht so kompliziert; gestern habe ich mit Biene darüber geredet, aber sie weiß auch nicht richtig Bescheid. Also Biene ... Es ist eine Abkürzung für Sabine. Biene und ich gingen spazieren. Es war schon dunkel und Glatteis, wir hielten uns an der Hand, und der Himmel war klar. »Vollmond«, sagte Biene, »wie schön.« Ich sah zum Mond hinauf und dachte an so manchen Sputnik, der als ein Planet von Menschenhand die Sonne umEs ist schwer, mit Frauen zu kreiste. »Jetzt wird es jeden Tag etwas später dunkel, diskutieren, obwohl ich für die Paul«, sagte Biene. Gleichberechtigung eintrete. »Na klar«, erklärte ich ihr, »die Erde beschreibt doch eine ellipsenförmige Bahn um die Sonne, und ... " Aber Biene hielt mir mit ihrer Hand den Mund zu. Mädchen sind so albern, selbst heutzutage noch. »Das weiß ich alles« meinte sie. »Ist auch gut so«, wies ich sie zurecht. »Wissen ist Macht. Deswegen ärgere ich mich, daß ich nicht genug weiß ... " »Was weißt du denn nicht, Paule?« »Also, einmal muß es ja raus. Wenn ich so mit dir zusammen bin, dann hab ich immer so'n komisches Gefühl, Biene.« »Du magst mich wohl nicht?« Ich merkte schon, daß sie mich überhaupt nicht verstand. »Doch!« sagte ich. »Das ist es ja gerade. Aber warum mag ich dich, warum? Warum mag ich überhaupt, und warum gerade dich?« Sie schien mich nicht ernst zu nehmen, sie fragte: »Vielleicht bist du verliebt?« Und dabei kam sie mir irgendwie näher. »Nu laß mal, Biene«, sage ich, »entweder wir diskutieren, oder wir schmusen hier rum. Bleib sachlich. Was heißt denn schon: vielleicht verliebt? Das ist doch nichts Genaues. Das muß erst einmal geklärt sein. Entweder - oder. Und wenn ja - was ist das, und woher kommt das?« .
Unter vier Augen
Biene tippte sich mit dem Finger an die Stirn. »Es ist doch 'n wundervolles Gefühl«, meinte sie, »wenn der Mond···" »Ach, Gefühle hin Gefühle her. Der Mond macht Ebbe und Flut, aber keine Gefühle, das läßt sich nachweisen. Mit dem Mond ist ja auch alles in Ordnung, über den wissen wir Bescheid. Aber ich als neuer Mensch kann's mir nicht leisten, mit irgendwelchen Gefühlen rumzulaufen, die sich nicht einordnen lassen.« »Du spinnst ja«, sagte Biene. »Nein, ich spinne eben nicht! Das heißt, ich spinne doch! Ja! Leider! Aber ich will eben nicht spinnen, verstehste. Ich bin doch kein Spinner, ich bin Materialist.« Biene schwieg. »Sag doch was!« rief ich ärgerlich. »Ich bin doch ein Vemunftmensch. Und was bist du?« »Bloß weil du 'n Vemunftmensch bist, brauchste doch nicht so zu brüllen, Paule. Und wenn du dreist 'n Vemunftmensch sein solltest, deshalb kannste doch glücklich sein. Biste denn nicht so 'n klein bißchen glücklich?« »Bestimmt, Bienchen«, sagte ich, »glücklich bin ich bestimmt. Es ist eben das sogenannte kleine Glück.« »Och«, seufzte Biene und ließ meine Hand los, »ich dachte, es wär 'n großes Glück.« »Ja doch, Biene, das ist es ja auch. Aber eigentlich dürfte es bloß 'n kleines Glück sein, weil das große Glück doch gewissermaßen reserviert ist, nicht wahr, für die Nation und für den Fortschritt und so weiter. Wrr sind alle bloß kleine Räder in dem großen Uhrwerk des Neuen, und da ... « »Krieg ich nun mal 'n Kuß, oder was ist los?« warf Biene ein. Es ist schwer, mit Frauen zu diskutieren, das muß ich zugeben, obwohl ich für die Gleichberechtigung eintrete und anerkenne, daß unsere Frauen viel leisten, auch Biene, aber immerhin. Also, ich küßte sie. Um die Diskussion voranzutreiben, gestattete ich mir aber die Bemerkung: »Damit sind die Fragen auch nicht gelöst. Ich will die Ursachen wissen.« »Ach was«, konstatierte Biene, »Liebe ist eben Liebe, und damit basta!« »Aber Mädchen, das ist doch unwissenschaftlich! Das ist doch keine Erklärung. Gehört Liebe nun zur Basis oder zum Über-
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"Über Küssen und ähnlich primitive Gefühlsäußerungen bin ich hinweg, mein Herr!"
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Im Zuge der Gleichberechtigung wurde ein Gerät entwikkelt, das die Schmerzen der Entbindung von der Frau auf den Mann überträgt. Kollege Glanz, dessen Frau entbunden hatte, erzählte seinen Kollegen, daß es überhaupt nicht schlimm gewesen wäre. Er hätte nichts gespürt. Da kam ein Wanderer des Wegs und sagte: »Da hätten Sie mal den Gasmann hören sollen, wie der gejammert hat!«
Unter vier Augen
bau, oder ist die Liebe bloß 'ne Schlacke? Nicht mal Hager hat sich bis jetzt über die Rolle der Liebe geäußert. Was soll man denn da machen?« »Du hast 'nen Stich«, sagte Biene, »nächstens gehste noch ins Kloster.« »Unsinn. Das ist keine Lösung. Ich als Genosse kann doch nicht ins Kloster gehen, wie würde denn das aussehen! Ich weiß auch gar nicht, wo hier 'n Kloster ist und ob die noch aufnehmen.« »Dann heirate mich doch«, schlug Biene vor. »Wenn ich genau wüßte, daß diese komischen Gefühle dann aufhören, würde ich's sofort tun, Biene.« »Du bist ja verrückt!« sagte sie ärgerlich. »Du bist wirklich verrückt. Wenn die Gefühle aufhören, was soll denn das für eine Ehe werden?« »Mit deiner Gefühlsduselei machst du mich ganz konfus, Sabine. Für die Ehe braucht man keine Gefühle, jedenfalls nicht als neuer Mensch. Ehe ist nicht so problematisch. Die ist fest verankert, auch bei uns. Aber über die eigentliche Liebe, da weiß man so gar nichts Verbindliches. Ich meine nicht das Kinderkriegen und diese Sachen, die sind ja längst erforscht. Aber daß man sich als fortschrittlicher, aufgeklärter Mensch ... gewissermaßen ohne Grund . . . nach einem bestimmten Mädchen sehnt ... « Es ergab sich zufällig, daß wir uns umarmten. »Daß mir, als Marxist, so was passieren kann«, bemerkte ich selbstkritisch. Der Mond war so helle wie selten, und der Frost biß uns in die Ohren. Ich sah auf die hellerleuchtete Rathausuhr: elf Uhr abends; höchste Zeit, sich zu verabschieden. Elf Uhr abends ist eine späte Stunde für einen jungen Mann, der nebenberuflich noch Vorträge zu halten hat, welche der Gesellschaft nützlich sind. Die Manuskripte zu verfassen, fällt mir nicht leicht, denn ich bin nicht so 'n Mensch, dem alles in den Schoß fällt. Nächste Woche muß ich über das Thema sprechen: »Durch genaue Kenntnis der Wirklichkeit das Leben noch besser meistern!« Das Thema ist sehr allgemein formuliert. Schwierig!
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Jo Schulz
Der SpazietfJttHfl Ich gehe spazieren. Im Dahinschlendern spüre ich, wie mich die Blicke der Vorübergehenden streifen, wie sie an meinem Körper herabgleiten. Stolz ist in mir. Ich gehe spazieren. Zwei Teenager bleiben hinter mir stehen, tuscheln: »Ist er nicht herrlich gewachsen!« Meine Wangen brennen. Sicher sind sie putertot. Ich gehe spazieren. Ein Paar kommt vorüber. ER etwa 38, SIE höchstens 23. Sehnsüchtig schaut sie sich um: »Den oder keinen!« Mit brutalem Griff zieht sie der Mann fort. Ich gehe spazieren. Es ist schön, so spazierenzugehen. Stimmen und immer wieder Stimmen, bewundernde Stimmen, zärtliche Stimmen, mütterliche Stimmen, Frauenstimmen jeglichen Alters, versonnen flüsternd und im verhaltenen Aufschrei: »Der Süße!« Ich gehe spazieren. Mit meinem Hund.
»Ob sie wiederkommt?"
Eulenspiegeleien ===========================:;i S.dte elaen Man• für meln Pferd
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LandwJMsd:latt ~t •uch ftlr dl .Otto Heei'Clcgen eresse h• Berg~n, Ruf 107 • Gartenbau
· Parteisekretär Kramer und BGLVorsitzenden Schulze sitzen beim Bier. Da beschwert sich Kramer: »Wenn ich jetzt mit einem Schwips heimkomme, kocht meine Frau gleich vor Wut.« Darauf Schulze: »Da hast du aber Glück! Meine läßt mich hungern.« ff
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„SQ, das nennst du Liebhaberfotografie!"
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Rudi Strahl
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Da es ein glücklicher Zufall gefügt hatte, daß Adrian Fliedermüllers Geburtstag unmittelbar mit seiner Verlobung zusammenfiel, reiste er am nächsten Morgen mit seinem jungen Glück an die Ostsee, um nach diesen idyllischen Tagen sonnengebräunt und moralisch gestärkt seiner zukünftigen Schwiegermama vorgeführt werden zu können. Im Zugabteil saß lediglich eine junge Mutter, die Liebesromane las und ihren vermutlichen Sohn nicht hinderte, anderthalb Stunden auf einer Trompete zu blasen, sämtliche Polster anzupopeln und die Mitreisenden durch wohlgezielte Katapultschüsse zu belästigen, sowie eine ältere, beleidigt aussehende Dame. Trotz dieser immerhin störenden Begleitumstände kam Adrian seinen Pflichten als Jungverlobter mit Eifer nach. »Sitzt du gut so?« fragte er. Sie saß gut. »Möchtest du Konfekt, liebe Sybille?« fragte er. Sybille mochte. »Sieh mal, die schönen Kühe dort, liebe Sybille«, sagte er, und Sybille sah und freute sich. Die alte Dame beobachtete mißbilligend sein Tun und fragte mit beträchtlicher Baßstimme: »Fahren sie auch nach Unterseedorf, junger Mann?« »Jawohl«, sagte Adrian gehorsam. »Da werde ich mich ihnen anschließen, wenn sie nichts dagegen haben«, verkündete sie mit einer Stimmlage, die jeden Widerspruch ausschloß und Adrians Schreckensschrei im Halse ersticken ließ. Es blieb dabei. Adrians Hoffnung, der Dame am Hauptbahnhof von Unterseedorf zu entrinnen, erwies sich als ebenso unzutreffend wie der fromme Wunsch, daß die Dame irgendwo anders Quartier genommen haben würde. Selbstverständlich hatte ihnen ein unfreundliches Schicksal auch noch den gleichen Tisch beschert, nachdem Adrian schweißtriefend das Gepäck der Dame vom Bahnhof herangeschleppt hatte. »Essen Sie nicht so viel, junger Mann«, sagte sie schon beim ersten gemeinsamen Frühstück, »und vor allem keinen Senf zum Frühstück. Außerdem rauchen Sie auch zu viel···" Errötend versteckte Adrian seine bräunlichen Fingerspitzen unter der Tischdecke. Sybille dagegen nickte beifällig und schien sich der Meinung der Dame vollauf anzuschließen.
Ulbricht steht eines Abends im Schlafzimmer vor seiner Frau Lotte. Er kratzt sich verlegen am Kopf. »Irgend etwas wollte ich dir sagen ... « Er zieht einen Zettel aus der Tasche. •Nu, da ist es ja: Gute Nacht, Lotte.«
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»Übrigens kümmern Sie sich doch mal um einen Strandkorb für mich. Ich wäre Ihnen sehr verbunden. Derweilen werde ich mich badefertig machen.« Mit einem hilfeflehenden Blick auf Sybille erhob sich Adrian und begab sich an den Strand, mietete zwei Strandkörbe, einen für sich und einen für die Dame, die er in ungefähr drei Kilometer Entfernung voneinander aufstellen ließ. Aufatmend ließ er sich neben Sybille nieder. »Diese Frau ist ein Alpdruck, Liebling«, sagte er und strich ihr über das Haar. »Gott sei Dank, jetzt sind wir ... « Mit dem Urlaubsende war Adrian »Rücken Sie doch mal ein Stückchen zur Seite«, sagte da eine beträchtliche Baßstimme. Zwei muskulöse nur noch ein Schatten seiner Hausdiener setzten den Korb der Dame neben den selbst, ein an Leib und Seele Adrians, und die Dame ließ sich hineinfallen. gebrochener Mann. In den nächsten Tagen trug sich Adrian mit Selbstmordgedanken, soweit die Dame ihm Zeit dazu ließ. Es war unmöglich, der Dame auch nur für eine halbe Stunde zu entrinnen: Adrian mußte ihr den Rücken einkremen und die Natur erklären, Ansichtskarten einkaufen und Limonade besorgen, Kreuzworträtsel für sie raten und Mühle spielen, aus den »Erinnerungen des Klosterfräuleins« vorlesen und in qualvoller Arbeit eine riesige Burg um die beiden Strandkörbe errichten. Es ist überflüssig, zu bemerken, daß die Dame auch auf dem Flur stand, als Adrian eines Abends in leichtsinniger Anwandlung beabsichtigte, seiner Verlobten den Gutenachtkuß zu geben und durchaus nicht abgeneigt war, für eine Weile die Einsamkeit ihres Zimmers zu teilen. »Das gehört sich nicht, junger Mann«, sagte die Dame und schloß Adrian in sein Zimmer ein, ungeachtet seines schüchternen Einwandes, daß er eine schwache Blase habe und somit einer offenen Tür bedürfe. Mit dem Urlaubsende war Adrian nur noch ein Schatten seiner selbst, ein an Leib und Seele gebrochener Mann. »Und jetzt wollen Sie sich also Ihrer Frau Schwiegermama vorstellen?« fragte die Dame, als der Zug heimwärts ratterte. »Jawohl«, hauchte Adrian und fürchtete insgeheim, daß sie ihre Begleitung anbieten würde. »Das ist unnötig, junger Mann«, sagte die Dame und sah wieder sehr mißbilligend aus, »ich bin Ihre Frau Schwiegermutter. Sie haben zwar noch einige Fehler, doch die werde ich Ihnen noch abgewöhnen. Du kannst in Zukunft •dU< zu mir sagen, mein Sohn···"
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Renate Holland-Moritz
Es ist ja wohl gar nicht so übel, im Gegensatz zu anderen Serienprodukten, aber lieber wären mir, offengestanden, eine schwungvolle Adlernase oder ein energisches Kinn. So aber sehe ich aus, wie Lieschen Bratfisch aussieht oder wie Fräulein Tillermayer in ihrer Jugend ausgesehen haben muß. Ein solches Gesicht ist schicksalhaft. Mit der nötigen ruhevollen Sicherheit kann man auf diese Weise Einblick in zahllose Leben nehmen. Hätte ich jenen Herrn aufzuklären brauchen, der mir an der Weidendammer Brücke weinend vor die Füße fiel? »Tu's nicht«, hatte er geschrien, »ich weiß, es ist von mir, und ich bin ein Lump, und ich will ja auch zahlen, aber sag's nicht meiner Frau!« Er war so unglücklich, daß er das Ganze nun noch einmal wiederholen muß. Schwieriger wurde es schon, als ich einmal als Zuhörerin an einem Prozeß teilnahm. Der Angeklagte hatte mich die ganze Zeit über fixiert. Ich konnte ihn beim besten Willen nicht in meinem Bekanntenkreis unterbringen. Als mich auch noch die Blicke seiner Entlastungszeugen durchbohrten, schwante mir Böses. In einer Prozeßpause wollte ich mich verdrücken. »Hierjebliem wird«, raunte mir jemand ins Ohr, »wir wolln bei deine Himmelfahrt ooch bei sein, du dreckje Anjeberin!« Es gelang mir, mich im weitverzweigten Gerichtsgebäude bis zum nächsten Morgen versteckt zu halten. An. den herzhaften Schlag auf die Schulter, mitten auf der Straße von völlig Unbekannten verabreicht, habe ich mich inzwischen gewohnt. Meine höfliche Entschuldigung, daß ich leider nicht die bin, für die man mich hält, wird in den meisten Fällen freundlich begrinst.
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»Sicher haben Sie auch schon davon gehört, daß Gegensätze sich anziehen. «
Neulich sprach mich ein Herr in der Straßenbahn an. Er sagte, es sei nicht recht von mir, wegen der kleinen Prügelei eine beleidigte Leberwurst zu spielen. Ob ich nicht doch mitkommen wollte, zu Hause warte man schon. Ehe ich noch meine höfliche Entschuldigung stammeln konnte, saßen wir bereits im Taxi. Als wir ankamen, waren viele Gäste versammelt. Teilnahmsvolle Liebe wehte mir entgegen, ein jeder trank Versöhnung mit mir. Es mußte eine schreckliche Prügelei gewesen sein. Ich entkam der Veranstaltung durch ein Toilettenfenster. Gestern sprach mich ein Herr in der UBahn an. »Was gibt's heute abend zu essen?« fragte er mürrisch. »Verzeihung«, murmelte ich, im ersten Schreck, »ich bin nicht die, für die Sie mich halten.« »Das hättest du mir vor der Hochzeit sagen sollen«, seufzte mein Mann und entfaltete die Zeitung.
John Stave
»Na Karl, wie wart jestern uffs Vagnijen?« »Ach, soweit janz jut. « . »Haste dir denn endlich ma ne kleene Puppe anjelacht?« »Nee, is ma nich jelungen.« »Na, Mensch, beit Tanzen issit doch ja keen Problem.« »Doch, Mann. Ick hab doch ja nichjetanzt.« »War denn sone blöde Kapelle da?« »Nee, det nich. Aba wennick nüchtan bin, wa, denn trauick ma doch nich. « »Na, Mensch, Karl, denn hättsta doch een anjelutscht.« »Hab ick ja, Paul. Aba det is ja det Drama: Als ick denn endlich jekonnt hätte, da konnt ick uff eenmal nich mehr.«
8. Ka
itel
Wo wir si11d,
ist llOtH Es geht seinen sozialistischen Gang Die kleine Geschichte am Ende dieser Sammlung ist gar nicht so harmlos, wie sie auf den ersten Blick wirken mag. Kritik und Selbstkritik zu üben, das war gewünscht, gefordert, war Inhalt zahlloser Zusammenkünfte in den Betrieben und Leitungen. Aber wie weit durfte man gehen, wenn nicht mit unliebsamen Konsequenzen zu rechnen sein sollte? Wann wurde aus der gewünschten eine unerwünschte Kritik, was sowieso ein Paradoxon ist. Das sogenannte politische Tauwetter, das nach dem XX. Parteitag der KPdSU einsetzte, war trügerisch und nicht von Dauer. Walter Ulbricht, 1955 zum Vorsitzenden des Ministerrats ernannt, interpretierte den Rahmen der Kritik nach seinen Vorstellungen und sorgte dafür, daß mancher kritische Genosse hinter Gitter kam. Unsere kleine Geschichte erzählt, wie man lobend tadelte und Kritik aus dem Weg räumte. Auch John Staves Geschichte über den Kinobesuch in Westberlin zeigt, daß eine gute Argumentation in jeder Lebenslage hilft. So geht es immer vorwärts, im Gleichschritt, Marsch! Apropos Gleichschritt: Am 1. März 1956 wird die Nationale Volksarmee gegründet.
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Wo wir sind, ist vorn
Willy Frank
»Morgen kommt eine Delegation«, sagte Kollege Möller von der BGL zur Küchenverwalterin. »Erstens: Begrüßung. Zweitens: Betriebsbesichtigung. Drittens: Kleiner Imbiß ... Drei Brötchen pro Kopf. Aufgeschnitten, beiderseits mit Butter beschmiert, mit Schinken, Wurst und Schnittkäse belegt. Dazu saure Gurken, fächerförmig geschnitten.« Man merkte es, daß Kollege Möller sich in diesen Dingen gut auskannte, zumal er bei solchen Anlässen mit kleinem oder großem Imbiß stets dabei war. »Es handelt sich um zwölf Mann«, fuhr er fort. »Dazu kommen einige Kollegen aus dem Betrieb. Summa summarum zwanzig Personen.« Die Küchenverwalterin machte ein höchst bedenkliches Gesicht. Sie hatte schon sehr, sehr böse Erfahrungen mit der Verpflequng von Delegationen und ihrem KometenHinter der Delegation folgte auf schweif gemacht. »Man muß immer genügend Spielbreitester Basis und in Sechserrei- raum haben«, sagte sie. »Ich würde vorschlagen, daß hen das gewaltige Massenaufgebot wir die Rationen verdoppeln. Sagen wir - für rund all der Funktionäre und Kollegen. vierzig Personen.« »Vierzig Personen - gut und einverstanden!« entschied Kollege Möller. »Aber keinen Fips dariiber.« In der Küche allerdings ging der Kampf um die Höhe des Kontingentes noch weiter. »Was denn?! Für vierzig Personen?! -Nee, nee, nee, ich kenne das Theater!« schrie die Köchin. »Und dann träume ich wochenlang von den langen Gesichtern, die sooo große Augen machen, als hätten sie noch nie ein belegtes Brötc,h en gesehen. Nee, nee, nee, da mache ich nicht mit. Man muß immer genügend Reserve haben. Ich würde vorschlagen, daß wir die Ration verdoppeln. Sagen wir - für rund achtzig Personen!« »Achtzig? - Na, dann sagen wir doch gleich hundert!" entschied die Küchenverwalterin. Als die Delegation am nächsten Morgen kam, war sie nicht zwölf, sondern nur sechs Personen stark. (Kollege Möller hatte sie sicherheitshalber schon verdoppelt.) Die Gäste sagten, sie kämen eben vom Friihstück und könnten unmöglich schon wieder etwas essen. Aber diese unerwünschte Erklärung ging in
Wo wir sind, ist vorn
der allgemeinen Aufwallung der Herzlichkeitsbeteuerungen völlig unter. Der Rundgang begann. Hinter der bescheidenen Delegation folgte auf breitester Basis und in Sechserreihen das gewaltige Massenaufgebot all der Funktionäre und Kollegen, die zur Begrüßung und Begleitung gehörten. Man konnte sie gar nicht alle zählen, denn die Prozession war dauernd in Bewegung, und es kamen immer mehr dazu ... Am Ende waren es weit über hundert Personen. Aber das ergab sich erst bei der Verteilung der Brötchen. Die meisten erhielten drei Brötchen, manche nur zweieinhalb und einige sogar nur zwei Brötchen. »Verdammt schlecht organisiert!« schimpften sie und machten den Kollegen Möller verantwortlich. Der hatte natürlich nur versehentlich vier Brötchen empfangen. Mit vollem Munde kauend, sagte er verächtlich: »Na ja, die von der Küchenverwaltung! Noch nicht einmal bis drei zählen können sie!« Die Delegation selbst beteiligte sich nicht an dem für sie bereiteten kleinen Imbiß. Die Gäste hatten einesteils keinen Hunger, andernteils keine Zeit. Und während die Kollegen über die unzureichende Verpflegung im allgemeinen und die ungerechte Verteilung im besonderen noch aufgeregt diskutierten, war die Delegation schon unterwegs zum nächsten Betrieb. Dort wurde sie bereits voller Ungeduld erwartet - mit einem kleinen Imbiß.
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Das Kollektiv
Wo wir sind, ist vorn
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John Stave
Nivoal4
"Und wenn sie dich bei der Kontrolle nach dem Namenfragen, sagst 1Fifu."
Er war vor mir aus der Straßenbahn gestiegen, ein Mittvierziger, ziemlich gut gekleidet und lässig eine Zigarette im Mundwinkel haltend. Wir überquerten den Falrrdamm. Und weil die Ampeln rot anzeigten, standen wir plötzlich nebeneinander. Ich merkte, wie er mich musterte. Dann räusperte er sich und sprach mich unvermittelt an. »Jetz jehts gleich wieda los mit det Kontrollian. Imma derselbe Käse.« Wir befanden uns nur fünfzig Schritt von der Sektorengrenze entfernt. Auf der Oberbaumbrücke kontrollierten Volkspolizisten die Personalausweise. »Neulich hamse eene Frau drei Gläser mit fuffzehn Bockwürschte abgenomm. Aba die ham ja ooch bloß ilrre Befehle.« Ein Volkspolizist grüßte. »Darf ich bitte Ihren Ausweis sehen?« Mein Begleiter griff in die Brusttasche. »Aba jewiß doch, Herr Wachmeesta! Na klar! Muß doch allet sin. Hat man doch vollstet Vaständnis für. So. Nischt für unjut! Wiedasehn, Herr Wachmeesta! « Wir gingen weiter. »Am besten is«, sagte mein Begleiter, »man macht jute Miene zut böse Spiel. Da fährt man am besten." Er zündete sich eine Zigarette an. »lck jeh nämlich drühm int Kintopp. Drei D! Mit Jämes Masong. Tolle Schote, schon zweemaljesehn! Bei uns wird einemja sowat nichjeboten.« Eine Weile war er still und schien nach Gesprächsstoff zu suchen. >»Rifüfü< hab ick neulichjesehn. Großartig! Wie die da die Jeldschränke uffknacken, daß a.Uet nur so kracht, is ne walrre Freude. Und nachher, wennse hoppjenomm wem! Sowat Spannedet!" Wir hatten die Schlesische Straße erreicht. »Ach«, sagte er, »Sie jehn woll jetz anders lang. Beruflich, wa? Na, ick bin nochn paar Tage krankjeschriem. 'n bißken Abwechslung muß ja ooch mal sin.« Ich wiinschte ihm viel Spaß. »Ach, danke, Herr! Im übrijen: Dit mit die Kontrolln muß man nich so tragisch nehm. Mit Bockwiirste und so weiter is ja ooch Quatsch, verstehnse. Oda mit Seüe und so. Nachher nehmset ein' ab und denn is der Ärja um so größer. Da muß manjeschickta vorjehn: Kintopp! Dit is jeistije Nalrrung!«
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.Genossen, der Klassenfeind behauptet, es gibt keine Butter bei uns, nu, das ist eine Lüge. Und das Papier zum Einwickeln, nu, das werden wir auch bald haben." \ ------
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Wo wir sind, ist vorn
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Fritz Bernhard
ZwiseAaH 1riadrieAstra/Ja l41td OAarita Wirklich, ich konnte nichts dafür, daß ich mir den Fuß verletzte. Und es war doch nun einmal geschehen, und mangels einer anderen Verbindung war ich leider gezwungen, einige Wochen hindurch jeden zweiten bis dritten Tag vom Bahnhof Friedrichstraße aus mit einem Taxi in die Charite zu falrren. Was ich dabei durchgemacht habe - aber nein, ich will mich jeden Vorwurfs enthalten. Urteilen Sie selbst! Arglos wie ein in Berlin zu Besuch weilender Feuerländer und auf meinen Stock gestützt stieg ich von der S-Bahn zum Ausgang des Bahnhofs Friedrichstraße empor, winkte der nächststehenden der dort parkenden Autodroschken. Der Wagen rollte heran. Er schien nicht viel größer als Herr Verächtlich nahm meine ein doppelter Kinderwagen. Aber dafür ragte hinter der drei Mark, wie ein fürstlicher Steuersäule ein Herkules empor, der das Autoehen glatt zu erdrücken schien und für dessen Kopf normalerweise Kammerdiener zur Zeit Ludein Loch in der Decke nötig gewesen wäre, eine Gestalt wigs XIV. einen Sechser entalso, die keinerlei Widerspruch ratsam erscheinen ließ, gegengenommen hätte. wenn Herr Massiv - ich nenne ihn aus taktischen Gründen so - einmal das Wort ergriff. Das geschah bereits, während ich noch beschäftigt war, meine etwas lang geratenen Beine, nach mehrfachen Knickungen, über die Breite des Rücksitzes zu verteilen. »Also, nach de Charite wollen Se«, begann Herr Massiv mit der Verhaltenheit eines Generalstaatsanwalts, der erst allmählich die Gewalt seines Plädoyers zu voller Wucht entfesselt, »kommen nach Berlin jefalrren und wollen vom Bahnhof Friedrichstraße nach de Charite. Jroßartig. Wat Se mir als eenen selbständijen Jewerbetreibenden und mehrfachen Familienvater dabei for Ärjer und Valusze zufüjen, det is Ihnen vollkommen schnurzpiepejal, nich? Sie kommen mit de S-Bahn noch Berlin jerauscht und wollen nach de Charite.« »Aber entschuldigen Sie«, wagte ich trotz allem zu widersprechen, »wieso füge ich Ihnen denn Verluste zu?« Jetzt wurde Herr Massiv erst richtig massiv. »Wieso? Det fragen Se ooch noch, Sie? Herr, wenn ick mir nich bedächte, denn könntn Se jetzt vielleicht mal Ihr eijenet Jeschrei hören, Sie! Wieso Se mir Valuste zufüjen, wenn Se den Katrensprung von
Wo wir sind, ist vorn
de Friedrichstraße nach de Charite mit 'n Auto fahren müssen? Herr, halten Se mir zurück, oder mir platzt der Kragen! Is denn sowat möglich! Sie scheinen ja tatsächlich aus Schnulzendorf an de Schnulze zu kommen - wo se de nächste Hebamme noch nachts mit de Kutsche holen, wa? Haben Se sich denn noch niemals Jedanken jemacht, Mann, wie lange ick als selbständijer Jewerbetreibender und mehrfacher Familienvater hier an'n Bahnhof Friedrichstraße schon uff'n Fahrjast lauern tu, vielleicht fünf Minuten, vielleicht sechs Minuten, vielleicht sojar sieben Minuten?« »Ach so«, sagte ich kleinlaut. »Und da steh ick nu seit vielleichtjeschlagene acht Minuten, und der nächste Fahrjast, der will vielleicht nach Karlshorst oder nach Schildow oder noch weiter. Aber nee, da kommen Sie mit Ihre Scheißfuhre von de Friedrichstraße nach de Charite und verderben mir det Jeschäft. Ausjerechnet Sie! Ausjerechnet Sie aus Schnulzendorf." Wir waren angelangt. Ich stieg aus und zahlte. Aber nicht einmal die gutgemeinte Aufrundung des Fahrpreises auf 3 Mark versöhnte Herrn Massiv. Noch während er Gas gab, knurrte er: »Und wer ersetzt mir nu die Fahrt nach Schildow oder nach Karlshorst? Keener.« Das nächstemal hieß der Fahrer nicht Massiv, sondern Wütig. Er sah aus wie ein Droschkenkutscher aus dem ersten Weltkrieg und fuhr ein Automobil, von dessen Oberdeck man erst kürzlich das Gepäckgeländer abmontiert haben mochte, abgesehen davon, daß man die Hupe mit Gummiball vermißte. Wenn Herr Wütig schaltete - nein, wenn er einen anderen Gang hineinstieß, schien sich das Getriebe zu rächen, indem es mit Krachen und Fauchen nach Wütigs Beinen schnappte. Er hatte daher wenig Zeit mir eine längere Standpauke zu halten, sondern gab seiner Empörung über meinen Auftrag mehr im Telegrammstil Ausdruck. Das Ganze hörte sich etwa so an: »Hab ick mir jleich jedacht, det da nich ville mit los ist... Wenn schon eener mit'n Stock winkt···" Schaltung, krrenx, krräx, krräx. "···winkt! Mit 'n Stock, wie so 'n Jraf!« Krrenx. »Mir! Ausjerechent mir!« Krrex. »Mit 'n
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LERNT AUCH VON EUREN AUSTRALISCHEN KOUE6EN!
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Wllhelm Pieck und Otto Grotewohl fahren im Taxi durch Berlin. »Wenn ich jetzt Zigaretten zum Fenster rauswerfe, laufen mir alle Männer hinterher«, sagt Pieck. »Wenn ich jetzt Damenstrümpfe aus dem Fenster werfe, laufen mir alle Frauen hinterher«, sagt Grotewohl. Sagt der Taxifahrer: »Und wenn ich euch jetzt beide zum Fenster rauswerfe, läuft mir das ganze Volk hinterher!«
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Stock!« Krrix. Straßenkreuzung. Halt. »Nischt wie Anjabe. Mit 'n Stock winken ... mir, mit 'n Stock···" Weiterfahren. Krrenx, krrex, krrix ... »Zu Hause fressen se 'n Kitt von de Fensterscheiben, und hier müssen se Auto fahren ... " Herunterschalten. Krrix. Krräx. »Und denn winken! Mir mit 'n Stock winken···" Nachdem sich dieser Monolog einschließlich der Geräusche noch einmal wiederholt hatte, hielten wir vor der Charite. Herr Wütig nahm seine drei Mark, fauchte noch einmal meinen Stock an und knatterte davon. Das drittemal hieß der Fahrer nicht Massiv und nicht Wütig, sondern Verächtlich. Herr Verächtlich sah aus wie ein Herrenrennfahrer in St. Moritz, fuhr einen eleganten, geräumigen, fast neuen EMW und nahm meine Bitte, mich vom Bahnhof Friedrichstraße nach der Charite zu fahren, mit einer einzigen, ironischen Frage entgegen: »Wollen Sie, det wir die Langstrekke mit eene Tour bewältijen, oder soll ick vielleicht unterwejens nochmal halten, zwecks Picknick in de Anlagen vor't Deutsche Theater?« Dann fuhr Herr Verächtlich an, und schon schwebten wir vor das Chariteportal. Herr Verächtlich nahm meine drei Mark, wie ein fürstlicher Kammerdiener zur Zeit Ludwigs xrv. einen Sechser entgegengenommen hätte. Wortlos, gestenlos, ausdruckslos. Und dann geschah es, daß Herr Verächtlich alle vier Türen seines Wagens öffnete, weit öffnete, um ihn zu lüften, daß er mit einer Flitspritze die Ecken ausspritzte und mit einer Klopfpeitsche die feinen, neuen Polster ausklopfte, weil sie soeben einen Fahrgast hatten befördern müssen, der nur von der Friedrichstraße zur Charite wollte. Seit jenem Tag bin ich auf einen großartigen Trick verfallen, der mir und dem Taxifahrer jeglichen Ärger erspart. Wenn ich auf dem Bahnhof Friedrichstraße angekommen bin, winke ich mir die nächste Taxe heran. Mit dem Stock. Dann gebe ich dem Fahrer drei Mark und entschuldige mich, daß ich es nicht weiter habe als bis zur Charite. Und dann nehme ich meinen inzwischen angeschafften zweiten Stock in die andere Hand und humpele zu Fuß. Und manchmal habe ich sogar schon feststellen können, daß mir ein anerkennendes Lächeln folgt.
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Paul W. Wicher
Dor orsto Altltritt Nach dem Auftritt des Betriebskabaretts klatschten die Kumpel lange Beifall. Der Parteisekretär brachte Blumen. Der Werkdirektor brachte Blumen, schüttelte den Darstellern die Hände. Der BGL-Vorsitzende kam mit dem Gast vom Zentralvorstand, brachte Blumen, schüttelte den Darstellern die Hände und klopfte ihnen ermunternd auf die Schulter. Es war der erste Auftritt. Nachher saßen alle gemütlich beisammen. Der Parteisekretär sagte: »Großartig! Nur noch etwas konkreter in der Kritik - aber die Stelle, wo von schlechter Parteiarbeit die Rede ist, laßt das nächste Mal raus. Das könnte zu Mißverständnissen führen.« »Ein guter Start«, sagte der Werkdirektor, »nur die Sache, wo von zuwenig Unterstützung durch die Direktion gesprochen wird, laßt raus. Das untergräbt die Autorität.« »Jawohl«, fiel der BGL-Vorsitzende ein, der neben dem Gast vom Zentralvorstand saß, »eine gute Leistung, nur ... wie war das doch? >BGL - Bürokrat geht langsam Das ist doch albern, dariiber lacht ja kein Mensch.« »Richtig«, sagte der Gast vom Zentralvorstand mit erhobenem Zeigefinger. »Kolleginnen und Kollegen! Beachtet die guten Hinweise, dann werdet ihr auch nicht mehr über mangelnde Anleitung vom Zentralvorstand zu klagen brauchen!« Wrr klagten nicht mehr. Es war der letzte Auftritt.
Es geht ein Lobgesang um unsern Tisch hemm.
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1955
1955 3. Januar
Die volkseigene Brauerei »Bärenquell« wird in Berlin in Be· trieb genommen.
7. Januar
Westberliner müssen in der DDR im Verhältnis 1 : 1 mit DM bezahlen.
12. Januar
»Winterschlacht« von Johannes R. Becher in der Regie von Bertolt Brecht hat am Berliner Ensemble Premiere.
15. Januar
Erklärung zur deutschen Frage, in der die Sowjetunion im Falle einer Nichtratifizierung der Pariser Verträge durch die BRD die Wiedervereinigung auf der Basis freier gesamtdeutscher Wahlen zusichert.
22. Januar
Erstmalige Verleihung des Lessing-Preises, der an den Theaterkritiker Herbert lhering vergeben wird.
23. Januar
Start der Kinder-Sendereihe »Flax und Krümel« mit Heinz und lngeburg Fülfe. Auch »Struppi« ist von Anfang an dabei.
25. Januar
Die Sowjetunion erklärt den Kriegszustand mit Deutschland offiziell für beendet.
Johannes R. Becher
29.-30. Januar Bei den gesamtdeutschen Meisterschaften auf der Wadeberg-Bobbahn gehen alle Titel an die Rennrodler aus der DDR.
Tag des Aktivisten: Wilhelm Pieck zeichnet einen Ar· beiter aus und überreicht ihm die goldene Aktivistenmedaille. Der sagt: •Du, Genosse Pieck, das mit dem Gold, das ist aber großer Schwindel!• Entgegnet Pieck: •Deine 300 Prozent Übersoll aber auch.•
1. März
Neue Stipendienordnung: Studenten erhalten 130 Mark monatlich, Arbeiter- und Bauernkinder 50 Mark extra. Verdienen Eltern über 1200 Mark, wird kein staatliches Stipendium gezahlt.
5.-6. Februar
Konferenz des Ministeriums für Kultur zur »Volkskunstarbeit auf dem lande«.
13. Februar
Bertolt Brecht übergibt dem Deutschen Friedensrat 176203 Unterschriften gegen die Pariser Verträge.
2. März
»Proklamation an das deutsche Volk« der DDR-Volkskammer gegen die Ratifizierung der »Pariser Verträge« durch den Bundestag.
5. März
Aufnahme der Zentralen Sektion Radsport der DDR als Mit· gliedsverband in die Internationale Radsport-Union in Saarbrücken.
13. März
Der FDGB stiftet ein Literaturpreis.
17. März
Der erste duroplastbeschichtete PKW der Welt, P 70, verläßt das Zwickauer Werk.
27. März
Im Berliner Stadtbezirk Köpenick finden die ersten Jugendweihen statt.
Zeittafel 1955
30. März
Ex-Politbüromitglied Paul Merker wird wegen Spionage zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.
1. April
750 andere Gemälde aus der Dresdner Nationalgalerie werden von der Sowjetunion zurückgegeben.
6. April
Auf der 1. Baukonferenz wird die Devise ausgegeben: »Besser, schneller, billiger bauen!« Hauptreferent: Architekt Hermann Henselmann.
Wohnungsneubau. Ein Brigadier steht draußen auf dem Gerüst, ein Maurer drinnen. Der Brigadier ruft. »Maxe, hörste mir?« »Ja!« - »Maxe, siehste mir?« - »Nee!« - »Das sind Mauem, Kollegen, was!« 16. April
Die letzten der über 3000 Wissenschaftler, die im Rahmen von Reparationsleistungen in der Sowjetunion arbeiten mußten, kehren zurück.
30.April
Erstmalige Verleihung des Ordens »Banner der Arbeit«.
2.-17. Mai
Gustav-Adolf Schur gewinnt die VII. Internationale Friedensfahrt, Platz 2 für die DDR-Mannschaft.
1. Mai
Unter der Losung »Bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der Heimat« nehmen erstmals »Kampfgruppen der Arbeiterklasse« an der Mai-Demonstration teil
5. Mai
Im Simson-Werk beginnt die Serienfertigung des ersten DDR-Mopeds »SR 1«. Preis: 990 Mark.
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Hermann Henselmann
1.-Mai-Losung: Fortschrittliche Werktätige! Vorwärts zum zweiten Fünfjahrplan zur Erfüllung des ersten Fünfjahrplans! 9. Mai
Beitritt der BRD zur NATO.
11. Mai
Die Umbildung der achtklassigen Grundschule in eine zehnklassige allgemeinbildende Oberschule wird angeordnet.
14. Mai
Der »Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand« wird in Warschau geschlossen. Mitglieder: UdSSR, Bulgarien, DDR, Albanien, Polen, CSSR, Rumänien, Ungarn.
25.-27. Mai
Auf dem 5. Parlament der FDJ wird Karl Namokel zum Nachfolger von FDJ-Chef Erich Honecker gewählt. Walter Ulbricht kritisiert die Universitäten: »Arbeitersöhne schicken wir hin, Bürgersöhnchen kommen heraus.«
30. Mai
Die Festung Königstein öffnet ihre Tore für Touristen.
1./2. Juni
Das Zentralkomitee der SED verabschiedet ein »Zehn-Punkte-Programm« zur Wiedervereinigung.
18. Juni
Die 50. IOC-Sitzung erkennt das NOK der DDR an.
25. Juni
Eröffnung des neuerbauten Kleist-Theaters in Frankfurt/Oder.
"Worin zeigt sich, daß der Kommunismus dem Kapitalismus überlegen ist?• »Ginge es im Kapitalismus so drunter und drüber, wäre er schon längst zugrunde gegangen.«
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Chruschtschow besucht Indien. Während eines Banketts will er den indischen Ministerpräsidenten zu einen Glas Wodka überreden. Der lehnt aus religiösen Gründen ab. Chruschtschow bietet eine Zuckerfabrik an. Der Inder bleibt konsequent. Nikita bietet zwei, schließlich drei Zuckerfabriken an. Der Inder trinkt ein Glas. Da lacht Nikita schallend. »Warum lachen Sie, wenn ich mich im Interesse meines Volkes über unsere religiösen Anschauungen hinwegsetze?• fragt der Inder. »Ich lache nicht über Sie, ich stelle mir vor, was Ulbricht für ein Gesicht macht, wenn er erfährt, daß er jetzt drei Zuckerfabriken nach Indien liefern muß!«
Zeittafel 1955
2. Juli
Der Tierpark in Berlin-Friedrichsfelde wird durch Oberbürgermeister Friedrich Ebert in Anwesenheit von Wilhelm Pieck eröffnet.
26. Juli
Der Generalsekretär der KPdSU, Nikita Chruschtschow, verkündet auf einer Kundgebung in Ost-Berlin die sowjetische Zweistaatentheorie, die von einer Teilung Deutschlands ausgeht. Wiedervereinigung sei eine Sache der Deutschen, und eine Beseitigung der sozialen Errungenschaften der DDR komme nicht in Frage.
29. Juli
In Co-Produktion mit Schweden bringt die DEFA die Literaturverfilmung »Das Fräulein von Scuderi« heraus.
29.-31. Juli
Weltmeistertitel für die DDR im Kanu-Slalom bei der WM in Ljubljana.
18. August
Der Ministerrat der DDR ordnet die Bildung von »Produktionsgenossenschaften des Handwerks« (PGH) an.
27. August
Das NOK der DDR und das der Bundesrepublik beschließen die Entsendung einer gesamtdeutschen Olympiamannschaft zu den Olympischen Spielen nach Melbourne.
31. August
Erster Spatenstich zum Aufbau des Kombinats Schwarze Pumpe und der Wohnsiedlung Hoyerswerda.
Der Lehrling. »Entschuldige, Meister, ich habe meine Schaufel vergessen.« - »Macht nichts, stütz dich auf meine!« 4. September
Nach dreijähriger Bauzeit Wiedereröffnung der im Krieg zerstörten Deutschen Staatsoper Unter den Linden mit Wagners »Meistersingern«.
11. -17. September Erste »Kultur- und Dokumentarfilmwoche« in Leipzig. Sie wird zum wichtigsten internationalen Filmfestival der DDR.
16. September Die Internationale Gewichtheber-Föderation nimmt in Stockholm die Zentrale Sektion Gewichtheben der DDR als Mitgliedsverband auf. 20. September Nach Regierungsverhandlungen zwischen Otto Grotewohl und der sowjetischen Regierung in Moskau wird die volle Souveränität der DDR bestätigt, das Amt des sowjetischen Hohen Kommissars aufgehoben und ein Beistandspakt geschlossen. 22. September Mit der »Hallstein-Doktrin« erklärt die BRD ihren Alleinvertretungsanspruch. 30. September In Leipzig wird das Literaturinstitut zur Förderung junger Dichter gegründet.
Erwin Strittmatter
6. Oktober
Erwin Strittmatter erhält den Nationalpreis.
7. Oktober
Premiere des zweiten Thälmannfilms der DEFA. »Ernst Thälmann - Führer seiner Klasse« mit Günther Simon als Teddy Thälmann.
Zeittafe l 1955
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8.-9. Oktober
1. Deutsche Volksmusiktage in Meißen.
23. Oktober
Erste Direktübertragung eines Fußballspiels im DDR-Fernsehen.
1. November
Das »Gesetz über Staatswappen und die Staatsflagge der DDR« tritt in Kraft.
Bedeutung von Flagge und Staatswappen der DDR: Ich sehe schwarz für die Roten und ihre goldene Zukunft. Wenn sie so weiter zirkeln, bekommen sie den Hammer auf den Kopf und können sich die Ähren von unten ansehen. 2. November
Das Fernsehen übernimmt von nun an regelmäßig die öffentliche Rundfunkreihe »Da lacht der Bär«, präsentiert von Heinz Quermann.
13. November
Uraufführung des Melodrams »Lila Herrmann« nach Friedrich Wolf in der Vertonung von Paul Dessau.
23. November
Erste Sendung »Bei Meister Nadelöhr« mit Eckart Friedrichson und Heino Winkler als Meister Briefmarke.
24. November
Umstrukturierung im Regierungsapparat; Walter Ulbricht wird 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats.
27. November
Ausstellung mit rund 500 von der UdSSR zurückgegebenen Gemälden in der Nationalgalerie in Berlin.
2.-4. Dezember Erste Motorsport-Rallye zurWartburg, Sieg für das Rennkollektiv des AWE Eisenach. 2.-3. Dezember Die II. Hochschulkonferenz berät Fragen der politischen Erziehung und der Hebung des ideologischen Niveaus. 12. Dezember
Eröffnung des »Hauses der tschechoslowakischen Kultur« in Berlin.
13. Dezember
Eine der erfolgreichsten Fernsehreihen startet: Willi Schwabe eröffnet seine »Rumpelkammer«.
23. Dezember
Das erste Mosaik-Heft mit den Digedags erscheint. Dig, Dag und Digedag werden zu den beliebtesten Comic-Figuren.
1955 verlassen 252870 DDR-Bürger das Land.
Sportler des Jahres:
neue Bücher:
Sportler des Jahres wird Franz Fühmann zum dritten Mal Gustav- »Kameraden« Adolf Schur. Otto Gotsche »Zwischen Nacht und Morgen« Torschützenkönig der
Oberliga:
Ludwig Renn »Der Neger Nobi«
Willy Tröger vom SC Wismut Karl-Marx-Stadt Hans Marchwitza »Roheisen«
große Hits: »Mein Herz ist total verwirrt« Brigitte Rabald »Einsam liegt mein Schiff im Hafen« Fred Frohberg »Zwei Herzen im Mai« Sonja Siewert und Herbert Klein
Günther Simon
Oberliga-Plazierung 1955 1. SC Wismut KarlMarx-Stadt 2. SC Empor Rostock 3. SC Dynamo Berlin 4. Motor Zwickau 5. Rotation Babelsberg 6. SC Lok Leipzig 7. SC Fortschritt Weißenfels 8. SC Turbine Erfurt 9. Lok Stendal 10. ASK Vorwärts Berlin 11. SC Rotation Leipzig 12. SC Einheit Dresden 13. SC Aktivist BrieskeSenftenberg 14. BSG Chemie Karl Marx-Stadt
Zeittafel 1956
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1956 1. Januar
Erstaufführung von Brechts »Der gute Mensch von Sezuan« am Volkstheater Rostock.
3. Januar
Das Fernseh-Versuchsprogramm ist beendet. Der Deutsche Fernsehfunk nimmt offiziell sein Programm auf.
10.-14. Januar Auf dem IV. Schriftstellerkongreß wird die Forderung nach der Durchsetzung des Sozialistischen Realismus gestellt.
Fred Delmare
Nach seiner großen Rede auf dem XX. Parteitag erhält Chruschtschow einen anonymen Zettel aus dem Saal: »Warum habt ihr das alles nicht schon früher gesagt?« Chruschtschow liest ihn vor und fragt: »Wer hat das geschrieben?« Schweigen. »Ich frage zum zweiten Mal: Wer hat das geschrieben?« - Als auch die dritte Frage ohne Antwort bleibt, sagt er: »Seht ihr, Genossen: deshalb!«
Fragt ein Reporter: »Wie ist Ihre Meinung zum neuen Parteitagskurs?« - »Find ich richtig.« - »Was sagen Sie zum Schriftstellerkongreß?« - »Richtig, alles richtig.« - »Haben Sie denn keine eigene Meinung?« - »Gegen die kämpfe ich gerade an.« 11. Januar
Hilmar Thate feiert seinen Durchbruch zum Charakterdarsteller bei der Premiere von lbsens »Gespenster« am Maxim-Gorki-Theater Berlin.
13. Januar
DEFA-Filmpremiere »Der Teufelskreis« nach Hedda Zinner mit Fred Delmare.
14. Januar
Stapellauf des 10 000-Tonnenfrachters »Frieden« auf der Warnowwerft.
18. Januar
Volkskammerbeschluss zur Schaffung der Nationalen Volksarmee und des »Ministeriums für Nationale Verteidigung«. Willi Stoph wird erster Verteidigungsminister der DDR.
26. Januar - 5. Februar An den VII. Olympischen Winterspielen in Cortina d'Ampezzo nimmt erstmals eine DDR-Vertretung im Rahmen einer Mannschaft beider deutscher NOK teil. Harry Glaß belegt im Spezialsprunglauf den dritten Platz und holt somit die erste olympische Medaille für die DDR. 27. Januar
DEFA-Filmpremiere »Heimliche Ehen« in der Regie von Gustav von Wangenheim mit Armin Mueller-Stahl.
28. Januar
Die DDR unterstellt die NVA dem Oberkommando des Warschauer Vertrags.
4. Februar
Die staatliche Fluggesellschaft der DDR nimmt ihren Betrieb auf, zunächst als »Deutsche Lufthansa«, später »lnterflug«. Die Strecke Berlin-Warschau ist die erste internationale Fluglinie. Im selben Monat wird die erste lnlandfluglinie Berlin-Leipzig eröffnet.
9. Februar
Die Regierung der DDR beschließt den umfassenden Ausbau der Sportförderung.
14.-25. Februar Auf dem XX. Parteitag der KPdSU rechnet Nikita Chruschtschow in einer Geheimrede mit dem stalinistischen Personenkult ab. Eine DDR-Delegation mit Walter Ulbricht und Otto Grotewohl ist zum Parteitag gereist.
Zeittafel 1956 15. Februar
FDGB-Beschluß zur vollständigen Übernahme der Sozialversicherung durch die Gewerkschaft.
17. Februar
Heinrich-Heine-Feiern zum 100. Todestag in Berlin. Das von Waldemar Grzimek für diesen Anlaß geschaffene HeineDenkmal wird als »ZU wenig heroisch« kritisiert und kommt erst 1958 im Park am Weinbergsweg zur Aufstellung.
1. März
Das Ministerium für Nationale Verteidigung und die Verwaltung der Militärbezirke der Land-, Luft- und Seestreitkräfte beginnen ihre Tätigkeit. Offizieller Gründungstag der NVA.
4. März
Walter Ulbricht erklärt im SED-Parteiorgan »Neues Deutschland«: »Stalin ist kein Klassiker des Marxismus«. Damit distanziert er sich vom Personenkult um Stalin.
7. März
Eröffnung der Clara-Zetkin-Gedenkstätte in ihrem Geburtsort Wiederau.
9.-11. März
Beim Internationalen Skifliegen am Kulm in Österreich gewinnt Werner Lesser.
24.-30. März
Auf der III. Parteikonferenz der SED wird die Direktive für den nächsten Fünfjahrplan festgelegt. Nur einige Aspekte von Chruschtschows Stalin-Kritik kommen zur Sprache.
Die Produktion von Betten wird wegen nicht vorhandenen Bedarfs eingestellt: Die Intelligenz ruht auf Lorbeeren, die Werktätigen sind wachsam, und der Rest sitzt. 20. April
DEFA-Filmpremiere »Der Richter von Zalamea« nach Calderon, Regie Martin Heilberg.
26. April
Abkommen zwischen der UdSSR und der DDR über kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit.
27. April
Eröffnung des »Hauses der polnischen Kultur« in Berlin.
1. Mai
Auf dem Marx-Engels-Platz findet die erste Militärparade der NVA statt.
2. Mai
Erste Fernsehsendung mit Karl-Eduard von Schnitzler. »Treffpunkt Berlin«.
5. Mai
Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe tagt erstmals in Ost-Berlin. Anstelle der bisher bilateralen Zusammenarbeit tritt zunehmend die »internationale Arbeitsteilung«.
5. Mai
In Leipzig eröffnet die nlskra-Gedenkstätte«.
12. Mai
Die Zentrale Sektion Fechten der DDR wird in Mailand in die Internationale Fecht-Föderation aufgenommen.
17. Mai
DEFA-Filmpremiere »Eine Berliner Romanze« nach einem Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase.
31. Mai
Baustart für das Schwefelsäurekombinat in Coswig.
1.-3. Juni
Der Kongreß der Natur- und Heimatfreunde in Berlin formuliert 14 Leitsätze für die Arbeit im Kulturbund.
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Die Parteileitung fordert einen Genossen auf, Selbstkritik zu üben. •Genosse•, sagt der Kreissekretär, •du wirst einen Artikel verfassen, in dem du bekennst, Fehler begangen zu haben „ .• - •Was denn für Fehler?• •Du wirst schreiben, dir sind schwerwiegende Irrtümer unterlaufen ... « - •Was denn für Irrtümer?• - • „. daß du ideologische Verfehlungen begangen hast ... « •Was denn für Verfehlungen?« - •„. daß du das Ansehen der SED geschädigt hast „.« - •Was denn für ein Ansehen???«
Frage: Was gab es früher: die Henne oder das Ei? Antwort: Früher gab es beides.
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Eine Frau kommt in den Laden. »Haben Sie Waschmaschinen?• - »Nein, keine Waschmaschinen gibt es nebenan, hier gibt es nur keine Fahrräder."
Zeittafel 1956
3. Juni
In Dresden werden die Gemäldegalerie im Zwinger und das Staatstheater wiedereröffnet.
4. Juni
Umfassende Preissenkung für Industriewaren.
5. Juni
Der erste Selbstbedienungsladen eröffnet in Halle.
6. Juni
Anläßlich des 10. Todestages von Gerhart Hauptmann wird in seinem Wohnhaus auf Hiddensee eine Gedenkstätte eröffnet.
29. Juni
Die Sowjetunion übergibt die kriegsausgelagerten 300000 Bände der Gothaer Bibliothek.
27.-29. Juli
Die SED verabschiedet Resolution über die »nächsten ideologischen Aufgaben«. Eine erste Liberalisierung, nach llja Ehrenburgs Roman als »Tauwetter« bezeichnet, beginnt.
3. Juli
Gesamtdeutsche Grafikausstellung »Ein Bekenntnis zum Leben«.
22.-29. Juli
Robert-Schumann-Ehrung in Zwickau anläßlich seines 100. Todestages und Eröffnung des Schumann-Hauses als Gedenkstätte.
29. Juli
Die DDR-Frauen-Laufstaffel stellt während des Internationalen Sportfests in Rostock zwei neue Weltrekorde auf.
2.-5. August
II. Deutsches Turn- und Sportfest in Leipzig mit 100 000 Festteilnehmern.
4. August
Einweihung des »Stadions der Hunderttausend« im Sportforum Leipzig nach 300 Tagen Bauzeit.
14. August
Bertolt Brecht stirbt in Berlin.
17. August
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erklärt auf Antrag der Bundesregierung die KPD für verfassungswidrig.
Bertolt Brecht
18.-19. August Neuer Leichtathletik-Rekord im Zehnkampf durch Walter Meier (SC Wissenschaft Halle). 31. August
Premiere des Dokumentarfilms »Du und mancher Kamerad« von Annelie und Andrew Thorndike.
1. September
Staatliche Fachschule für Artistik in Berlin eröffnet:
9. September
Europa-Rekord in Riesa im 200-m-Lauf der Frauen für Christa Stubnick.
14.-16. September Erster Kongreß der »Gesellschaft für Sport und Technik«. 28. September Ein neuer DEFA-Kinderfilm kommt in die Kinos: »Das tapfere Schneiderlein« mit Kurt Schmidtchen und Christei Bodenstein. 1. Oktober
In HO-Läden und Konsum-Großverkaufsstellen ist ab sofort Teilzahlung möglich, allerdings nur für ausreichend vorhandene Waren.
Christei Bodenstein »Diese Lederschuhe kann ich Ihnen sehr empfehlen, da gibt es sogar Garantie drauf«, sagt die HO-Verkäuferin. - »Was, garantiert Leder?« - »Nein, garantiert Schuhe!«
Ze i ttafel 1956
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23. Oktober
Gründung des Büros für Urheberrechte in Berlin.
30. Oktober
Der von den ungarischen Aufständischen als Ministerpräsident eingesetzte Reformkommunist lmre Nagy verkündet die Abschaffung des Einparteien-Systems und am 1.11 . den Austritt Ungarns aus dem Warschauer Vertrag.
4. November
Sowjetische Panzereinheiten marschieren in Budapest ein.
4. November
Fernsehpremiere von »Damals in Paris«, der ersten Koproduktion von DFF und DEFA, mit Gisela Trowe und Wolfgang Kieling.
9. November
Konstituierung des »Hilfskomitees für das sozialistische Ungarn« und des Ausschusses »Freundschaftshilfe Ägypten«.
14. November
Die DDR stellt Ungarn eine Warenhilfe von 22 Millionen zur Verfügung, um die Folgen des Aufstands zu überwinden.
16. November
Gesetz zur Rentenerhöhung, die Bezüge steigen um ca . 30 Prozent.
22. November - 8. Dezember Teilnahme einer DDR-Vertretung mit 37 Sportlern (gemeinsame Mannschaft beider deutscher NOK) an den XVI. Olympischen Sommerspielen in Melbourne, Heimkehr mit einer Gold-, vier Silber- und zwei Bronzemedaillen. Die erste Goldmedaille bei Olympischen Spielen für die DDR holt Wolfgang Behrendt im Boxen (Bantamgewicht). 29. November
Der Philosoph Wolfgang Harich, eine Gruppe von Redakteuren der Zeitschrift »Sonntag« und am 6.12. der Leiter des Aufbau Verlages, Walter Janka, werden wegen »Bildung einer konspirativen, staatsfeindlichen Gruppe« verhaftet.
7. Dezember
DEFA-Filmpremiere »Der Hauptmann von Köln« in der Regie von Slatan Dudow nach Carl Zuckmayer.
18. Dezember
Staatliche Anerkennung des Sportarztes als Facharzt.
1956 verlassen 279 189 DDR-Bürger das Land . Sportler des Jahres:
neue Bücher:
große Hits:
Sportler des Jahres wird zum vierten Mal Gustav-Adolf Schur.
Ludwig Renn »Der spanische Krieg«
»Die Sterne der Heimat« Fred Frohberg
Herbert Nachbar »Der Mond hat einen Hof«
»Die Nacht ist viel zu schön« Bärbel Wachholz
Torschützenkönig der Oberliga:
Wolfgang Schreyer »Der Traum des Ernst Lindner von der Hauptmann Loy « BSG Lokomotive Stendal mit 18 Treffern Brigitte Reimann »Die Frau am Pranger« Harry Thürk »Herren des Salzes« Erwin Strittmatter »Paul und die Dame Daniel«
»Alle Straßen führen heim zu dir« Margot Friedländer »Der Mond hält seine Wacht« Margot Friedländer »Die Bimbam-BimbamBina« Brigitte Rabald
Oberliga-Plazierung 1956 1. SC Wismut KarlMarx-Stadt 2. SC Aktivist BrieskeSenftenberg 3. SC Lok Leipzig 4. Lok Stendal 5. SC Einheit Dresden 6. ASK Vorwärts Berlin 7. Rotation Babelsberg 8. SC Rotation Leipzig 9. SC Motor KarlMarx-Stadt 10. SC Fortschritt Weißenfels 11 . Motor Zwickau 12. SC Turbine Erfurt 13. SC Dynamo Berlin 14. SC Empor Rostock
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Nachweise Die Karikaturen stammen von Heinz Behling: 60 oben, 114 Karlheinz Birkner: 13, 21, 23, 81 Peter Dittrich: 51, 59, 60 unten Leo Raas: 16 Karl Holtz: 113 Harald Kretzschmar: 120, 121, 122, 123, 124, 126 Harri Parschau: 8, 18, 24, 29 oben, 75 links, 76, 82, 86 Kurt Poltiniak: 115 rechts Louis Rauwolf: 33, 67, 77, 95, 117 Paul Rosie: 57 Horst Schrade: 15, 63, 65, 91, 94, 97 Karl Schrader: 35, 37, 45, 46, 49, 54, 73, 75 rechts, 93, 100, 103, 105, 106 oben, 109, 110, 115 links, 117, 119 Georg Wtlke: 38, 39, 42, 68, 106 unten Fotos: ullstein bild - Willy Saeger: 19 Klaus Wmkler: 96 Bundesarchiv Koblenz: 79 Ignaciak: 88 CAF: 74 Für die freundliche Genehmigung zum Abdruck der Texte danken wir den Autoren, Zeichnern und Erben. Nicht in allen Fällen ist es uns gelungen, Rechteinhaber und Rechtsnachfolger zu ermitteln. Berechtigte Honoraransprüche bleiben gewahrt.
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