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Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung
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Militärgeschichte im Bild: Kanonenboot-Politik
Preußen Die Schlacht bei Höchstädt Die Wannsee-Konferenz
Militärgeschichtliches Forschungsamt
MGFA
IMPRESSUM
Editorial
Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Herausgegeben
vom Militärgeschichtlichen Forschungsam Forschungsamtt durch Jörg Duppler und Hans-Joachim Harder Redaktion:
Andreas Groh (ag), Clemens Heitmann (ch), Herbert Kraus (hk), Andreas Kunz (ak) Anschrift der Redaktion:
Militärgeschichtliches Forschungsamt Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam Telefon: (0331) 9714-531 Telefax: (0331) 9714-507 www.mgfa.de Manuskripte für die Militärgeschichte werden an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt der Herausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung, Übersetzung u.s.w. Honorarabrechnung erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. Die Redaktion behält sich Kürzungen eingereichter Beiträge vor vor.. Nachdrucke, auch auszugsweise, fotomechanische Wiedergabe und Übersetzung sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung durch die Redaktion und mit Quellenangaben erlaubt. Dies gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken und Vervielfältigungen auf CD-ROM. Die Redaktion hat keinerlei Einuss auf die Gestaltung und die Inhalte derjenigen Seiten, auf die in dieser Zeitschrift durch Angabe eines Link verwiesen wird. Deshalb übernimmt die Redaktion keine Verantwortung für die Inhalte aller durch Angabe einer Linkadresse in dieser Zeitschrift genannten Seiten und deren Unterseiten. Dieses gilt für alle ausgewählten und angebotenen Links und für alle Seiteninhalte, zu denen Links oder Banner führen. © 2002 für alle Beiträge B eiträge beim Militärgeschichtlichen Forschungsam Forschungsamtt Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber ermittelt worden sein, bitten wir ggfs. um Mitteilung.
Die Nutzung des Namens »Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung « erfolgt mit freundlicher Unterstützung des Verlages Verlages E.S. Mittler & Sohn. Herstellung:
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Militärgeschichtliches Forschungsamt, Maurice Woyno Woynoski ski
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m vergangenen Jahr 2001 wurde in sich daher auch häug an Daten. Immer Deutschland eines umstrittenen histori- wieder begegnen uns historische Jahreszahschen Datums gedacht: Am 18. Januar len; Jubiläen werden gefeiert und an ver1701 krönte der brandenburgische Kurfürst gangene Ereignisse wird erinnert. Vor vierFriedrich III. sich selbst zum König in zig Jahren erfuhr die Welt von einem EreigPreußen – das Königreich Preußen war gebog ebo- nis aus dem Jahr 1942. Im Januar dieses ren. Brandenburg-Preußen Brandenburg-Preußen war zu Beginn des vierten Kriegsjahres wurde in Berlin durch 18. Jahrhunderts noch ein eher die Nationalsozialisten etwas unbedeutender Territorialstaat Ungeheuerliches beschlossen: – zumal im Vergleich mit den die Organisation der als »Endeuropäischen Mächten Franklösung« bezeichneten Ermorreich oder England, den deutdung der europäischen Juden! schen Staaten Sachsen oder Für eine breite Öffentlichkeit Bayern oder dem übergeordin Deutschland wurde die soneten Kaiser. genannte Wannseekonferenz erstmals 1962 ein Begriff. ZuDer weitere Aufstieg dieses vor war Adolf Eichmann, einer neuen Staates erscheint als eider maßgeblichen Organisatone politische Erfolgsgeschichte ren des Holocausts, von einem ohnegleichen: Keine zweihunKommando des israelischen dert Jahre später, nach drei für Geheimdienstes Mossad aus Preußen siegreichen Kriegen, wurde im Jahr seinem Fluchtversteck in Argentinien nach 1871 im französischen Versailles der preu- Israel entführt, dort öffentlich angeklagt und ßische König zum Kaiser des neugegrün- schließlich im Juni des Jahres hingerichtet deten Deutschen Reiches ausgerufen – in worden. Anlehnung an das erstgenannte erstgenannte Datum wie- W Wer er war der Mann, der die Ergebnisse der derum am 18. Januar. Jedoch keine fünfzig heimlichen Wannseekonferenz zusammen Jahre später – nach der Niederlage Preu- fasste, zu Papier brachte und später behaupßen-Deutschlands im Ersten Weltkrieg – tete, er sei nur ein kleiner Beamter gewesen, verloren die Hohenzollern ihre Herrscher- der stets seine Picht getan habe? War er würde, wurde Preußen Gliedstaat der Wei- wirklich nur ein kleines Rad im Getriebe marer Republik, 1933 von den Nationalso- der gigantischen Mordmaschinerie, ein – wie zialisten gleichgeschaltet und 1947 von den Eichmann seinen Richtern einzureden ver Alliierten aufgelöst. Geblieben sind viele suchte – Mann wie viele andere auch, quasi und widersprüchliche Erinnerungen an Preu- ein »Bruder Eichmann«, wie das gleichnaßen. Große Namen, Symbole, vermeintliche mige Theaterstück von Heinar Kipphardt Werte W erte und auch allerlei Missverständnisse glauben machen will, oder spielte er diese und Streit um Preußen. Matthias Rogg geht Rolle bloß und war in Wirklichkeit ein »aalauf die Suche nach unserem preußischen glatter Lügner«, wie sein VernehmungsbeamVernehmungsbeamErbe und fragt, was Preußen heute für uns ter, der in Berlin gebürtige israelische Polibedeutet. zeihauptmann Avner Less, später berichtete? Dietmar Schulze und Eike Stegen berichten Preußens Erhebung zum Königreich im uns über die Wannseekonferenz, Adolf Eich Jahr 1701 war nur möglich, da europäische mann und die Hintergründe. Mächte im Streit untereinander um Bundesgenossen buhlten. Der brandenburgische Außerdem nden Sie in diesem Heft einen Kurfürst verstand es, diese Situation auszu- Beitrag über die Kuba-Krise des Jahres 1962, nutzen und so seine eigene hierarchische Auf- maritime militärische Interventionen im wertung zu erreichen. Hierfür benötigte er 19. Jahrhundert und natürlich wieder vieldas Einverständnis der übrigen Mächte, die fältige Angebote zum Nachlesen, Anschauen eifersüchtig darauf bedacht waren, die eigene oder – falls Sie es denn möchten – AnkliRangstellung zu verteidigen. Aus dieser uns cken. heute fremden und vielleicht auch etwas bunten Welt der Frühen Neuzeit berichtet Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre uns Eberhard Birk und beschreibt die Aus- und würde mich freuen, wenn Ihnen das einandersetzungen im Spanischen Erbfolge- Heft geele. krieg zu Beginn des 18. Jahrhunderts.
Druck:
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden ISSN 0940-4163
Geschichte, liebe Leser, wird in der Regel chronologisch beschrieben und orientiert
Clemens Heitmann, Redaktion
D i e
A u t o r e n
Inhalt Preußen – Ein Rückblick auf Anfang und Ende eines Mythos
Dr. Matthias Rogg, geboren 1963 in Wittmund, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Militärgeschichtlich Militärgeschichtlichen en Forschungsamt, Potsdam; Lehrbeauftragter an der Universität Potsdam für Neuere/Neueste Geschichte
Die Schlacht bei Höchstädt am 13. August 1704
Die Wannsee-Kon Wannsee-Konferenz ferenz am 20. Januar 1942
Portrait eines Schreibt Schreibtischtäters ischtäters Adolf Eichmann Dr. Eberhard Birk , geboren 1967 in Heilbronn, Dozent für Militärgeschichte an der Ofzierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck
Dr. Dietmar Schulze, geboren 1966 in Leipzig, Historiker
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Service
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Das historische Stichwort: Kuba-Krise
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Medien online/digital
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Ausstellungen
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Lesetipp
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Geschichte kompakt
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Militärgeschichte Militärgesch ichte im Bild
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Kanonenbootpolitik
Eike Stegen,
geboren 1973 in Bremerhaven, Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, freier Mitarbeiter in der Gedenkstätte »Haus der Wannsee-Konferenz Wannsee-Konferenz««
Feldpostkarte eines Matrosen der Kaiserlichen Marine aus Shanghai an seine Mutter in Altenburg vom 18. Oktober 1900. Er hatte als Besatzungsmitglied von S.M.S. »Iltis« am Gefecht um die Taku-Forts Taku-Forts an der chinesischen Küste nahe Peking am Morgen des 17. Juni 1900 teilgenommen, bei dem sieben Mann der Besatzung elen und 11 verwundet wurden. Auf der Bildpostkarte seines Schiffes hat der Matrose die Treffer und auch seine eigene Position während des Gefechts (Pfeil) gekennzeichnet. Handschriftlicher Text: Text: »Liebe Mutter! Da es mir imimmer an Zeit zum Briefschreiben fehlt, so will ich Dir wenigstens auf meiner Iltiskarte meine herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstag senden. Gruß Hugo. Die schwarzen Punkte sind die Treffer, die wir im Gefecht bei Taku erhalten haben, wo der Pfeil ist, war mein Geschütz beim Gefecht«. Sammlung Eberspächer, Oldenburg
Preußen
Preußen –
Ein Rückblick auf Anfang und
Die meisten Menschen tun sich heute schwer mit der Bewertung Preußens - und das ist gut so. Wer es sich nicht schwer macht mit der Geschichte Geschi chte dieses Staates, an dessen 300. Geburtstag im vergangenen Jahr allenthalben erinnert wurde, der nimmt es wohl zu leicht mit differenzierter historischer Bewertung. Ganz gleich wie man zu Preußen steht, mit welchem Bildungs- und Erfahrungshintergrund man sich dem Thema nähert – Preußen fasziniert und Preußen polarisiert.
Der preußische Januskopf
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ie Kritiker sehen in Preußen schaft beschirmenden Musen regierten, den Hort eines unseligen Mi- ist das eine, gern gezeichnete Bild. Das litarismus und Motor einer andere, farbenfrohere, farbenfrohere, betont die pragnationalistischen Übersteigerung, die matische Toleranz. Toleranz. Ein zeitgenössisches zeitgenössisch es Deutschland und die Welt im 20. Jahr- Sprichwort bringt es auf den Punkt: hundert in zwei furchtbare Kriege ge- »Niemand wird Preuße denn aus Not, stürzt haben. Tatsächlich haben die ist er es so dankt er Gott.« Im Gegensatz Nationalsozialisten eine ahistorische zu den meisten europäischen europäischen Nachbarn Kette von Friedrich dem Großen über Bismarck zu Hitler aufzubauen versucht; eine heimtückische Argumentation, die historische Bezüge und Abhängigkeiten instrumentalisiert und verdreht. Unstrittig ist die besondere Bedeutung nicht allein des Militärs, Friedrich der Große, sondern des Militärischen an sich in Bismarck, der Geschichte Preußens. Der Vorwurf Hitler. des Militarismus, also der ÜberforNS-Propagandapostkarte mung aller gesellschaftlichen, wirtvon 1933 schaftlichen und politischen Bereiche durch den »Letztwert« Militär, wurde Preußen immer wieder gemacht. Unzweifelhaft spielte das Militär für den gab es in Preußen kaum Glaubensverpolitischen Aufstieg und das innere folgungen und keine ZwangsbekehGefüge Preußens eine zentrale Rolle. rungen – im Gegenteil: Allenthalben Man wird sich schwer tun, Vergleichkann man Zeugnissen religiöser und in bares in der europäischen Geschichte gewisser Hinsicht sogar ethnischer ToToder Neuzeit zu finden. Die soziale Mileranz nachspüren. Berühmt sind die litarisierung der Gesellschaft im 18. Randglossen, mit denen Friedrich der und die politische Militarisierung im Große schriftliche Eingaben zu kom19. Jahrhundert lassen sich genauso mentieren pflegte. So wehrte er im wenig leugnen wie das gesellschaftli Jahre 1740 einen Vorstoß Vorstoß der evangeliche Leitbild vom »Militär als Schule schen Gemeinde in Glogau gegen die der Nation«. katholische Nachbarkirche mit der BeDas nüchterne, von pflichtbewussten, merkung ab: »Die Religionen müssen aber unkritischen Staatsdienern ver- alle tolerieret werden, und muß der waltete Preußen, in dem der Kriegsgott Fiskal [= das Finanzamt] nur das Mars und nicht die Kunst und Wissen- Auge darauf haben, daß keine der an4
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deren Abbruch Abbruch tue, denn hier muß ein jeder nach seiner Fasson selig werden.« Diese Toleranz hatte ohne Zweifel einen praktischen Hintergrund, denn das bevölkerungsarme Preußen war im besonderen Maße auf Zuwanderung angewiesen. Ganz gleich ob gebildete französische Hugenotten, handwerk-
lich begabte Holländer, Bauernfamilien aus dem Salzburger Land, Weber aus Böhmen oder jüdische Kaufleute – wer dem Staatsaufbau nützte, wurde mit offenen Armen aufgenommen ... und konnte in Brandenburg-Preußen glücklich werden. Frühformen rechtsstaatlicher Strukturen lassen sich in Preußen viel stärker und eher nachweisen als bei den europäischen Nachbarn. So galt das »Allgemeine preußische Landrecht« von 1794 nicht nur als das Fortschrittlichste seiner Zeit; Teile dieses Landrechts galten sogar mehr als 150 Jahre später im Bürgerlichen Gesetz buch der Bundesrepublik Deutschland.
Ende eines Mythos bei der Bewertung Preußens das Ne beneinander von Licht und Schatten akzeptieren. Die französische Schriftstellerin Germaine Baronne de Staël umschrieb diesen Zwiespalt in ihrem 1810 erschienenen Hauptwerk »Über Deutschland« mit den griffigen griff igen Worten: Worten: »Preußen zeigt ein Doppelgesicht wie der Januskopf: ein militärisches und ein philosophisches.« Preußen, so stellte die DDR-Historikerin Ingrid Mittenzwei in einem auch im Westen Westen viel be-
Januskopf: Janus war der altrömische Gott der öffentlichen fentlich en Tore Tore und jeden Anfangs. In der Kunst wurde er mit zwei Gesichtern dargestellt. Sein Doppelantlitz steht bis heute für Gegensätzlichkeiten und Widersprüche in einer Sache – die sprichwörtlichen »zwei Seiten der selben Medaille«.
Borussia, Gemälde von Adolph Menzel, 1868. Sie war das Sinnbild Preußens akg-images
Schließlich kann man auf die sinnbildlich gewordenen »preußischen Reformen«, die besondere Förderung der Wissenschaften sowie das kulturelle Engagement der Hohenzollern verweisen. Potsdams einzigartige Schlösserund Gartenlandschaft steht bis heute stellvertretend für dieses »preußische Arkadien«. Preußens Farben sind Schwarz und Weiß – vielleicht kein Zufall, denn die Wahrheit dessen, was Preußen in seinem Innersten ausmacht, lässt sich weniger in abgestuften Grautönen sondern besser in scharfen Gegensätzen festmachen. Wie die Farbfelder der Hohenzollernfahne, so müssen wir auch
Militarismus:
Hohenzollernfahne
achteten Aufsatz Ende der 70er Jahre fest, hat »zwei Gesichter [...] und es gilt zu zeigen, daß es nicht nur Reaktion und Militarismus gab«. Noch provozierender könnte man sagen, Preußen, das ist die »Summe seiner Widersprüche«. In dieser Mehrwertigkeit liegt der Reiz, aber auch die Schwierigkeit im Umgang mit der preußischen Geschichte.
Preußens Pr eußens Aufstieg zur Großmacht
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ie Entstehungsgeschichte Preu- der Pruzzen rasch von der weltgeßens ist Kolonialgeschichte. schichtlichen Bühne. Nur sein Name Der Name Preußen leitet sich blieb bestehen und wurde allmählich von einem kleinen Ostseevolk zwi- von den deutschen und slawischen Koschen Weichsel Weichsel und Memel, den »Pruz- lonisten, schließlich auch vom Ordenszen« ab. Mit ihrer Unterwerfung im staat selbst angenommen. Die für das 13. Jahrhundert und der zwangswei- spätere Preußen so charakteristische sen Christianisierung durch den Deut- Bevölkerungs- und Gesellschaftsstrukschen Orden verschwand der Stamm tur nahm hier ihren Anfang und blieb
Seit dem 19. Jahrhundert verwendetes Schlagwort für Denkweisen, die militärische Prinzipien zur Grundlage staatlichen und gesellschaftlichen Handelns machen. Das Ausgreifen militärischer Ordnungsformen in den zivilen Bereich, die Verherrlichung des Krieges und nicht zuletzt die Sonderstellung von Soldaten im öffentlichen und privaten Leben sind bestimmende Elemente des Militarismus.
Preußische Preuß ische Reformen: Versuch, nach der vernichtenden Niederlage gegen Napoleon 1806 den zerrütteten preußischen Staat durch tiefgreifende politische, soziale, wirtschaftliche und militärische Reformen von innen zu erneuern. Nach dem Wiener Kongress (1815) und dem Zurückgewinnen der Großmachtstellung wurde das Reformwerk in Preußen allerdings nicht weiter fortgeführt.
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Preußen
Kurwürde: Seit 1356 (schriftlich festgelegt in der »Goldene Bulle«) war die Wahl des deutschen Königs verbindlich geregelt. Das alleinige Stimmrecht lag bei einem ei nem Wahlkolleg von sieben sogenannten Kurfürsten: den Erzbischöfen von Mainz, Köln und Trier, Trier, dem Pfalzgrafen bei Rhein, dem Herzog von Sachsen, dem Markgrafen von Brandenburg und dem König von Böhmen. Abgesehen von geringen Änderungen (im Dreißigjährigen Krieg el die Pfälzer Kurwürde an Bayern) bestand dieses Wahlgremium bis zur Auösung des »Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation« durch Napoleon 1806.
Territoriale Gewinne Brandenburg-Preußens zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert
bis ins 20. Jahrhundert vorherrschend. vorherrschend. Wohlgemerkt, Preußen meinte damals ausschließlich das östliche Hinterland vom Frischen und Kurischen Haff. Der Weg vom armen, dünn besiedelten besi edelten Territorium hin zu einem dynamischen Staatskörper begann mit einer eher beiläugen Entscheidung, als das relativ unbedeutende Geschlecht der Hohenzollern vom deutschen Kaiser 1417 mit der Markgrafschaft Brandenburg belehnt wurde. Durch die Übertragung der Kurwürde und nicht zuletzt durch geschickte Erb- und Heiratsverträge wuchs die Herrschaft der Mark Brandenburg in den kommenden 250 Jahren langsam, aber stetig an. Brandenburg-Preußen war eigentlich ein Doppelstaat. Während die kurfürstlichen Lande mit den Kerngebieten zwischen Elbe und Oder zum »Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation« gehörten, hatte der Kaiser im Herzogtum Preußen, das außerhalb der Reichsgrenze lag, nichts zu sagen. Diese Konstellation sollte ein entscheidender Faktor für die spätere Erhebung des preußischen Herrschers in den Königsstand sein. Den Gebietsgewinnen des 16. und 17. Jahrhunderts standen allerdings die kriegsbedingten Bevölkerungsverluste 6
des Dreißigjährigen Krieges, eine territoriale Zerrissenheit und die wirtschaftliche Unterentwicklung auf kargem Boden entgegen. Unter Friedrich-Wilhelm I., dem sogenannten Großen Kurfürst (1640–1688), begann eine tiefgreifende Neuordnung des Staatswesens. Mit einem dreistugen Reformprogramm förderte er den Landesausbau durch eine geschickte Zuwanderungspolitik, er führte ein effektiveres Steuersystem ein und setzte so die Mittel für eine beachtliche Heeresvergrößerung frei. Am Ende der Regierungszeit Friedrich-Wilhelms I. war Brandenburg im Reichsgefüge etabliert. Aber zur Großmacht fehlten noch der entsprechende Titel und die Verknüpfung des territorialen Flickenteppichs. Sein Sohn, Kurfürst Friedrich III., war von einem anderen Schlag. Mehr noch als die Zeitgenossen haben ihn die Historiker schlecht behandelt. Im Rückgriff auf die »Denkwürdige Geschichte des Hauses Brandenburg« nannte man ihn wegen einer unfallbedingten Verwachsung »den schiefen Fritz«. Der Verfasser dieser zynischen Bewertung war übrigens kein geringerer als sein Enkel Friedrich, den man später »den Großen« nennen sollte. In der Tat, Friedrich III. war unheroisch. Er hielt sich im Kriegführen eher zurück und
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scheint, wenn man einen Blick in die Nationalgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts wirft, nur zwei Ziele Ziele ververfolgt zu haben: erstens Geld zu verschwenden und zweitens König zu werden. Tatsächlich Tatsächlich war Friedrich III. ein gebildeter Mann, der Kunst und Wissenschaft förderte und das Provinznest Berlin in das viel besungene »Spree-Athen« verwandelte. Der Kurfürst und spätere König Friedrich verkörperte den Herrschaftsstil des Hochbarock wie kein anderer Hohenzoller, und er tat es nicht allein aus Eitelkeit. Ihn trieb, um einen zeitgenössischen Begriff zu verwenden, die »Necessität« – die Notwendigkeit des repräsentativen Herrschaftsstils. Ein angemessener höscher Rahmen war zwingend geboten, um im Konzert der europäischen Königshäuser mitspielen zu dürfen – Preußen bildete dabei im 17. und 18. Jahrhundert wahrlich keine Ausnahme. Der Weg zum Königstitel schließlich war eine diplomatische Meisterleistung. Um die fein tarierte Balance im Reichsverbund nicht aus dem Gleichgewicht und den Kaiser nicht in Bedrängnis zu bringen, fanden einige europäische Fürstenhäuser einen Ausweg: Da sie im Reich nicht König werden konnten, erwarben sie ausländische Königskronen. So wurden z.B. die sächsischen Wettiner 1697 Könige von Polen und die hannoverschen Welfen 1715 Könige von England. In Preußen fand man eine ähnlich elegante Lösung, indem die besondere geographische Lage des Herzogtums Preußen ausgenutzt wurde. Als sich Friedrich am 18. Januar 1701 in Kö-
Kurfürst Friedrich III, seit 1701 Friedrich I. König in Preußen (1688–1713). Gemälde von Antoine Pesne, um 1712 Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG), Neues Palais, Foto: Jörg P. P. Anders
nigsberg selbst die Krone aufs Haupt setzte, durfte er deshalb und mit Rücksicht auf den polnischen Nachbarn, dem ja Westpolen gehörte, nur den Titel »König in Preußen« führen – ein kleiner Schönheitsfehler, der 1772 unter seinem Enkel, Friedrich II., verschwinden sollte. Der frisch gekürte König »zahlte« dem Habsburger Kaiser Leopold I. für die Rangerhöhung mit einem Kontingent von 8000 Soldaten – dringend benötigtes Menschenmate Menschenmaterial rial für die Schlachten im Spanischen Erbfolgekrieg. Bedenkt man, dass Preußen um 1700 nur 1,7 Millionen Einwohner zählte, kann man die Auswirkungen dieses Handels erahnen. Die Wirkungsmächtigkeit der Königsberger Krö-
Friedrich Wilhelm I. (1688–1740), (1688–1740), König in Preußen, der »Soldatenkönig« (1713–1740). Gemälde von Antoine Pesne, 1729 bpk, Original: SPSG Berlin-Brandenburg, Schloss Charlottenburg
nung vom 18. Januar 1701 darf bei all dem nicht unterschätzt werden. Preußen meinte ja eigentlich um 1700 nur den kleineren, territorial randständigen Teil. Gleichwohl setzte sich sehr schnell der eine Namen für die Summe aller Teile durch. Der Königstitel spielte als einigendes Element dabei eine entscheidende Rolle – eine wesentliche Klammer für die regional, historisch und damit kulturell extrem heterogene »Streusandbüchse«. Die Leistungen der Nachfolger König Friedrichs I. sind beinahe Allgemeingut geworden. Sowohl den Sohn Friedrich Wilhelm I. als auch den Enkel Friedrich II. hat die Nachwelt mit ziel-
setzenden Beinamen bedacht. Der erstere gilt als Konsolidierer der zerrütteten Staatsnanzen, als Vater der »Riesengrenadiere« und Schöpfer der preußischen Armee. Armee. Ein Mann, der Soldaten liebte wie ein Kind sein Spielzeug und vielleicht deshalb weitgehend darauf verzichtete, sein Militär als kriegerisches Machtinstrument einzusetzen. Nicht zu Unrecht wird er bis heute der »Soldatenkönig« genannt. Das ist die eine Seite der eigenwilligen Persönlichkeit Friedrich Wilhelms I. Die andere zeigt einen Monarchen, der die inneren Strukturen Brandenburg-Pre Brandenburg-Preuußens radikal veränderte. Als »sparsamer Wirt« und »Plusmacher« durchforstete er unbarmherzig den Staats-
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Preußen
haushalt nach überüssigen Ausgaben, er verbesserte die Verwaltungsstrukturen, baute das Medizinal- und Schulwesen systematisch aus und beschnitt vor allem die adligen Rechts- und Steuerprivilegien. Dem völlig unaristokratischen Friedrich Wilhelm I. ging es letztlich um eine »Domestizierung« des Adels, der mit Aufstiegschancen im Ofzierkorps und in der staatlichen Verwaltung entschädigt wurde. 1740, im Jahr des Thronwechsels, war Preußen deutlich ärmer an Kunst und Kultur, aber ungleich reicher an Staatseinkünften und modern ausgebildeten Soldaten. Sein Sohn Friedrich II. (1740–1786), den man bis heute »den Großen« nennt, nutzte das vom Vater aufgebaute militärische und wirtschaftliche Potential kaltblütig aus und machte Preußen in drei blutigen Kriegen (1740–42, 1744, 1756–1763) und mit der beginnenden Annexion von Teilen Polens (1772) zur etablierten Großmacht. Jenseits der moralischen Bewertung dieser aggressiven Expansionspolitik, über die man trefich streiten könnte, ist die Erfolgs bilanz wirklich beeindruckend. Friedrich dem Großen gelang es nicht nur, Preußen um mehr als ein Drittel zu vergrößern und den ostelbischen Kern bestand zusammenzufügen, vielmehr behauptete er sich gegen eine übermächtige Koalition von drei europäischen Großmächten, nämlich Österreich, Frankreich und Rußland. Diese Leistung ging eigentlich weit über die Kräfte des ärmlichen, kleinen und bevölkerungsarmen Landes hinaus. Fest steht jedoch: Ein Staat, der über 7 Jahre gegen drei europäische Großmächte unbesiegt Krieg führte, war am Ende selbst als Großmacht anerkannt. Dieses »Wunder des Hauses Brandenburg« ist sicher auf eine Reihe glücklicher Umstände zurückzuführen. Es ist aber auch der Nährboden, auf dem Mythen gedeihen: Der Mythos vom militärisch überragenden, unbesiegbaren Preußen, mit dem es die Vorsehung gut meinte, und nicht zuletzt derjenige vom »Großen König«. Im Glanz seiner militärischen und politischen Erfolge und geblendet von seinem strahlenden Intellekt verblassen die Leistungen aller Vorgänger und Nachfolger auf dem 8
Das »lange Sterben«
die Suche
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Friedrich II., der »Große« (1740–1786) Johannes Eckstein, Büste Friedrichs des Großen, Potsdam 1786; Wachs und Gips. Vitrine: Holz und Glas, 300 x 86 x 86 cm. Braunschweigisches Landesmuseum für Geschichte und Volkstum. Das Bildnis wurde nach der Totenmaske des Königs geschaffen und zum Vorbild für zahlreiche spätere Darstellungen Friedrichs II. Büste und Vitrine kamen 1787 als Geschenk Herzog Ferdinands von Braunschweig an das damalige Herzogliche Museum, heute Herzog Anton Ulrich-Museum, von dort 1904 an das damalige Vaterländische Museum, heute Landesmuseum. Quelle: Gottfried Korff (Hg.) Preussen – Versuch einer B ilanz. ilanz. Ausstellungs Ausstellungsführer, führer, Berlin 1981
Hohenzollernthron. Besonders gilt das für seinen Großvater, über den Friedrich II. spottete: »Groß im Kleinen, Klein im Großen«.
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m Vergleich zu den meisten europäischen Mächten leuchtete der preußische Stern nur relativ kurz am politischen Ereignishimmel. Gerade deshalb lohnt es sich, einmal genauer auf Anfang und Ende dieses ungewöhnlichen Staates zu schauen. Während die historischen Fakten, die zum Aufstieg Preußens führten, relativ unstrittig sind, tun wir uns mit dem Niedergang, der eigentlich ein »langes Ster ben« war (Sebastian Haffner) bedeutend schwerer schwerer.. Das Jahr 1871 wird als »T »Todesdatum« odesdatum« gerne genannt, als Preußen mit der Reichsgründung zu einem Gliedstaat des Deutschen Reiches wurde und damit seine autonome Außenpolitik aufgeben musste. Am Abend des 17. Januar 1871, dem Vorabend Vorabend der der KaiserKaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles, soll der preußische König Wilhelm I. Bismarck unter Tränen anvertraut haben: »Morgen ist der unglücklichste Tag meines Lebens. Da tragen wir das preußische Königtum zu Grabe.« Andere markieren das Ende 1894, als mit Chlodwig von HohenloheSchillingsfürst der erste Nichtpreuße Reichskanzler wurde und in Personalunion das Amt des preußischen Ministerpräsidenten übernahm. Dabei handelte es sich um eine ausgesprochen pikante und nicht unumstrittene personalpolitische Entscheidung des Kaisers, denn Hohenlohe-Schillingsfürst entstammte einer bedeutenden bayerischen Adelsfamilie. Mehr noch drängt sich das Kriegsende 1918 als faktisches Todesdatum auf. Damals verzichtete Wilhelm II. – und mit ihm das Haus Hohenzollern – nicht nur auf die Kaiserkrone, sondern entsagte auch allen Ansprüchen auf den preußischen Königsthron. Militärgeschichtlich könnte man alternativ das Jahr 1920 nennen, als die letzten preußischen Einheiten und Verbände in die Reichswehr überführt wurden. Die preußische Armee existierte danach de facto nur noch in den Traditionszimmern der Regimenter oder spukte in
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nach dem Ende Preußens den Köpfen treu gebliebener Monarchisten. Auch 1932 bildet einen markanten Endpunkt. Im krisengeschüttelten Staatsgefüge der Weimarer Republik bildete Preußen bis dahin eine Art Musterland mit einer stabilen Regierung und einer reformorientierten Gesetzge bung. Am 20. Juli löste Reichskanzler Franz von Papen in einem Staatsstreich das letzte demokratisch legitimierte Parlament in Preußen auf, enthob den sozialdemokra sozialdemokratischen tischen Ministerpräsidenten Otto Braun seines Postens und schickte alle Minister nach Hause. Zu allem Überuss installierte sich von Papen selbst als »Reichskommissar für Preußen« und setzte so jeder verfassungsmäßigen Ordnung ein jähes Ende. Mit dem sogenannten Preußenschlag hörte das Land auf, ein Rechtskörper zu sein. Nur ein Jahr nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, 1934, verfügte Hitler mit der »Verreichlichung »V erreichlichung der Länder« die faktische Beendigung aller föderalen Strukturen. In der gleichgeschalteten »Volksgemeinschaft« gemeinscha ft« des Nationalsozialis Nationalsozialismus mus hatte der Staat Preußen nichts mehr zu suchen. Für manche Kultur- und Kunsthistoriker hingegen starb Preußen in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1945, als durch einen Großangriff britischer Bomber weite Teile der Potsdamer Altstadt in eine Trümmerwüste verwandelt wurden. Militärisch war das Bombardement völlig unsinnig, richtete es sich doch in erster Linie auf die Bauzeugnisse der untergegangenen preußischen Monarchie, sinn bildlich auf die Garnisonkirche und das Stadtschloss, in denen man Sym bole des preußischen Militarismus Mili tarismus zu erkennen glaubte. Vielleicht war es eher Programm als Zufall, dass der Bombenangriff am 14. April erfolgte – dem 200. Jahrestag der Grundsteinlegung von Schloss Sanssouci. Den endgültigen Schlussakkord bildet schließlich ein in der europäischen Geschichte oben: Der sogenannte Tag Tag von Potsdam am 21. März 1933 unten: Territoriale Aufteilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg – Karte von 1945
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Preußen
der Neuzeit einmaliger Akt. Mit dem »Gesetz Nr. 46« verfügten die Alliierten per Kontrollratsbeschluss am 25. Februar 1947 die »Auösung des Staates Preußen«. Obgleich die Unterzeichner in der Präambel des Gesetzes feststellten, der Staat Preußen habe in Wirklichkeit aufgehört zu bestehen, wurde die Maßnahme damit begründet, dass »Preußen [...], seit jeher Träger des Mili-
tarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist«. Natürlich war das pauschale Urteil undifferenziert und staatsrechtlich nicht haltbar. Der Historiker Golo Mann brachte die Entscheidung der Siegermächte auf den Punkt, in dem er den Kontrollratsbeschluss mit einem »Fußtritt« verglich, »den siegreiche Esel einem längst toten Löwen gaben«. Denn in den alliierten
Besatzungszonen waren bereits neue Länder entstanden – natürlich auch auf ehemals preußischem Territorium. Die alten preußischen Kernprovinzen, Ostund Westpreußen, Hinterpommern, Schlesien und die Neumark, waren von Polen und der Sowjetunion annektiert worden. Massenucht und Vertreibung hatten das Ihrige getan, Preußen für immer von der Landkarte zu tilgen.
Preußen – der schwierige Umgang mit einem Mythos m Ende bleibt die Frage, was von Preußen übrig geblieben ist und ob es sich lohnt, die Vergangenheit in das Licht der Gegenwart zu holen. Der sogenannte Tag von Potsdam unterstreicht, wie leicht man sich der Geschichte Preußens bedienen konnte: Am 21. März 1933 musste die Garnisonkirche in Potsdam als Bühne einer schäbigen Staatsinszenierung herhalten. Die geistigen Vertreter des »Alten Preußen«, repräsentiert durch den greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, zelebrierten über der Gruft Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Großen den Schulterschluss mit den neuen braunen Machthabern. Der »Tag von Potsdam« wurde und wird immer wieder angeführt, wenn es darum geht, eine nationalistisch-militaristische Empfänglichkeit Preußens zu begründen. Die Brisanz dieser Frage zeigt sich nicht zuletzt in der aktuellen Diskussion um den Wiederauf bau der Potsdamer Garnisonkirche. Garnisonkirche. So wenig, wie wir verallgemeinernd von »dem Preußen« oder »den Preußen« sprechen dürfen, so wenig dürfen wir der primitiven Propaganda eines totalitären Systems folgen. Das Dritte Reich war Hitlers Reich und der Zweite WeltWeltkrieg war Hitlers Krieg. Schließlich war Hitler kein Preuße, weder staatsrechtlich noch dem Geiste nach. Im Gegenteil: In konservativen Kreisen kursierte gar der Witz, »Hitler, das ist Österreichs Rache für Königgrätz«, der Entscheidungsschlacht 1866 zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland. Der pragmatische Toleranzgedanke in Preußen, ein unbestrit-
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l e d i e S n i t r a M / g a l r e V p p a t S
r u a B x a M : o t o F
Pot otsd sdam amer er Ga Garn rnis ison onki kirc rche he um 19 1925 25
Diee Res Di Reste te de derr Gar Garni niso sonk nkir irch chee nac nach h der der ersten (unvollständigen) Sprengung 1968
tenes Kontinuum seiner Geschichte, gründete auf dem Ideal des Vernunftstaates. Hitlers Staat war nicht nur verbrecherisch, er war auch in jeder Hinsicht bar jeder Vernunft. Vernunft. Allein die schwülstige Form staatlicher Selbstdarstellung widersprach völlig der preußischen Nüchternheit. Die eingangs gezeigte historische Kette von Friedrich II. über Bismarck zu Hitler ist eine haltlose historische Konstruktion.
Ähnlich leicht lässt sich der Versuch der untergegangenen DDR entlarven, Preußen einseitig zu instrumentalisieren. Bis in die 60er Jahre reichte der Preußenhass des SED-Regimes von der Auswechslung zahlreicher Orts-, Schul- und Straßennamen über das Verschweigen historischer Fakten bis zur Beseitigung unliebsamer Architekturzeugnisse. Erst im Zuge der Diskussion um die »Erbe-Aneignung« besann
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Garnisonkirche: In kaum einem zweiten Bauwerk verschmelzen die Widersprüche preußischer Geschichte so stark wie in der Potsdamer Garnisonkirche. Auf Befehl des »Soldatenkönigs« erbaut (1731–1735), diente der mächtige Bau nicht nur der Hof- und Garnisonsgemeinde als Gotteshaus, sondern er geriet zur symbolträchtigen Ruhmeshalle der preußischen Militärmonarchie. Sie beherbergte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs neben den Sarkophagen Friedrich-Wilhelms I. und Friedrichs II. auch eine Vielzahl von Feldzeichen und Fahnen. Das nachwirkendste Ereignis im 20. Jahrhundert war zweifellos der theatralisch inszenierte Schulterschluss zwischen den Nationalsozialisten und Vertretern des »alten Preußen« am 21. März 1933, dem »Tag von Potsdam«. Kurz vor Kriegsende wurde die Garnisonkirche bei einem britischen Bombenangriff schwer beschädigt, die Grundmauern blieben jedoch weitgehend erhalten. Im Zuge der Stadterweiterung Potsdams und nicht zuletzt vor dem Hintergrund der historischen Bürde entschieden sich die Verantwortlichen in der DDR 1968 zur Sprengung der Ruine. Seitdem erinnern nur eine Bodenplatte und das 1991 in Potsdam wieder aufgestellte weltberühmte Glockenspiel an eines der markantesten Wahrzeichen der Stadt. Heute bemühen sich ein Verein, die Stadt Potsdam und die evangelische Kirche um den Wiederaufbau des Garnisonkirchturms und um seine Nutzung als internationales Versöhnungszentrum.
man sich in der DDR ab den 70er Jahren darauf, die eigenen historischen historischen Wurzeln freizulegen. Staatlicherseits stand allerdings nicht der kritische Diskurs, sondern das Legitimatio Legitimationsbedürfnsbedürfnis im Vordergrund: Die DDR suchte nach ihren historischen Vorläufern, den »fortschrittlichen gesellschaftlichen und politischen Kräften« auf deutschem Boden – und bei Preußen wurde man fündig. Die regionale Überlagerung des Kerngebiets der Mark Brandenburg mit großen Teilen der DDR war dabei natürlich kein Zufall. Die
Kitschpostkarte mit Portraits der Hohenzollern, 1992
Benennung höchster militärischer Orden und Auszeichnungen nach Persönlichkeiten aus den Befreiungskriegen (Scharnhorst- und Blücherorden) oder die Rückkehr des Reiterdenkmals von Friedrich dem Großen an seinen ursprünglichen Ort »Unter den Linden« in Berlin stehen sinnbildlich für diesen Prozess. In der Bundesrepublik haben die 80er Jahre zu einer erfreulichen, kritischen und in weiten Teilen fairen Diskussion über Preußen geführt. Die Ausstellung »Preußen – Versuch einer Bilanz« (1981), der 200. Todestag Todestag Friedrichs des Großen (1986) und die Überführung seiner Gebeine von Hechingen nach Sanssouci (1991) dokumentieren eindrucksvoll das gestiegene Interesse an Preußen. Die lebhafte Diskussion über den Aufbau der Stadtschlösser in Berlin und Potsdam und nicht zuletzt die zahlreichen Aktivitäten und Ausstellungen im zurückliegenden Preußenjahr 2001 haben zu einem wahren »Preußen-Boom« geführt. Das breite Interesse Interes se birgt allerdings die Gefahr der folklorehaften Idealisierung. Idealisieru ng. Hier reicht reicht der Bogen vom Aufzug rot berockter »Langer Kerls« über Kitschpostkarten mit den Konterfeis der Hohenzollernherrscher bis zur Verklärung der Königin Luise als »Preußen-Marilyn«. Vor kurzem konnte man im Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« unter dem Titel »Porzellanpreußen« lesen: »Der Stechschritt hat sich zum Spaziergang gelockert. Schon ist an
die Stelle des Januskopfes [...] ein geschmackvolles Arrangement aus Vorder- und Hintergrund getreten [...].« Gleichwohl, viele tun sich immer noch schwer mit Preußen – und das ist gut gu t so. n Matthias Rogg
Scharnhorst- und Blücherorden der NVA Der Scharnhorstorden war der höchste militärische Orden, den die NVA im Frieden verlieh. Der dreistuge Blücherorden war für herausragende Leistungen im Krieg vorgesehen. Seine Existenz wurde der Öffentlichkeit erst im Zuge der Auösung der NVA bekannt.
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MHM Dresden
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Schlacht bei Höchstädt
Die Schlacht bei Die Schlacht bei Höchstädt am 13. August 1704. Rechts auf dem Schimmel der Herzog von Marlborough. Kopie von Dismar Daegen nach einem Gemälde von Jan van Huchtenburgh
I
n einer Sommernacht im Juli des Jahres 1704 fand in Versailles, am Hof des französischen Königs Ludwig XIV., ein rauschendes Fest statt. Den Höhepunkt bildete der Vor beizug eines Siegeszuges des Kriegsgottes Mars, gefolgt von einer allegorischen Darstellung der Staaten Europas, die ihre symbolische Abbildung in ihren Flüssen – Themse, Schelde, Maas, Neckar und Donau – fanden, die alle dem Monarchen unterwürg ihre Referenz erwiesen. Zum Abschluss der Festlichkeiten dokumentierte ein Feuerwerk die neuartige Dimension der Kriegskunst sowie die daraus folgende Überlegenheit des französischen Kriegswesens. Ludwig XIV. feierte sich und sein Königtum. Dazu schien das vierte Jahr des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1713/14) alle Berechtigung zu bieten: Nun schien es nur noch eine Frage der Zeit, bis der letzte große kontinentale Gegner des ›Sonnenkönigs‹ – das habsburgische Österreich – seine Waffen strecken müsste. Die politisch-militärstrategische Lage Österreichs war in der Tat fatal: Die französischen Truppen des Generals Villeroi standen in den spanischen Niederlanden und banden die englisch-niederländische lisch-ni ederländische Armee unter dem Kommando Marlboroughs. Im Norden Italiens bedrohte die Armee des franzö12
sischen Marschalls Vendôme das habs- sertitel scheiterten, Bayern blieb für burgische Territorium. Territorium. Vom Vom Oberrhein die nächsten einhundert Jahre Kuraus sollte Marschall Tallard seine Trup- fürstentum. Spanien konnte sich als pen nach dem verbündeten Bayern eigenständiger Akteur auf der europäführen, dessen Kurfürst Max Emanuel ischen Bühne behaupten, und die im seine Truppen mit jenen der französi- Frieden von Utrecht 1713 festgeschrieschen Armeé d’Allemagne unter Gene- bene ›balance of power‹ power‹ ließ erkennen, erkennen, ral Marsin bereits vereinigt hatte; hinzu dass der eigentliche Sieger des jahrekam ein Aufstand in Ungarn und Sie- langen Ringens Großbritannien war. benbürgen. Ein konzentrisch angeleg- Die beinahe zeitgleiche Einnahme des ter Marsch aller französischen Ver- Felsens von Gibraltar (4. August 1704) bände wäre der der militärische Todesstoß Todesstoß und der Sieg bei Höchstädt verdichten für die politische Existenz Österreichs sich in der Rückschau gleichsam zum gewesen. mythischen Grundstein für den Aufstieg Großbritanniens zum Weltreich: Der sich abzeichnende vollständige Höchstädt als Wiege britischer WeltErfolg wurde jedoch innerhalb weni- macht? Dies zumindest deuten nicht ger Wochen zu einem Debakel. Der zuletzt die Eintragungen englischer Befranzösische Feldzug von 1704 und sucher im Heimatmuseum von Höchdie Schlacht von Höchstädt – sie ist städt an. im englischsprachigen Raum als »The Battle of Blenheim« (nach Blindheim, Worum es in dieser in Spanien, Oberdem Ort der französischen Kapitula- italien, den »spanischen Niederlanden« tion) bekannt – veränderten das politi- und Süddeutschland ausgetragenen sche Gesicht Europas von Grund auf. Auseinandersetzung (dem »Spanischen Die hegemonialen Bestrebungen Lud- Erbfolgekrieg«) ging, war nichts Gerinwigs XIV., Europa zu beherrschen, geres als das – auch überseeische – scheiterten endgültig, erst einhundert Erbe des iberischen Königreichs, nach Jahre später unternahm Napoleon ei- dem der letzte spanische Habsburger nen zweiten französischen Anlauf. Die Karl II. am 1. November 1700 kinderlos Dynastie der Habsburger ging gefestigt verstorben war. war. Die »spanische Frage« aus diesem Krieg hervor, die konkur- beschäftigte die europäischen Kabirierenden Ambitionen der bayerischen nette jahrelang, was aufgrund des zu Herrscher (Wittelsbacher) (Wittelsbacher) auf den Kai- erwartenden Machtzuwachses – Spa-
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Höchstädt
1704 am 13. August
bpk/Liepe
nien umfasste noch die spanischen Niederlande, Neapel, Sizilien, Mailand sowie die gewaltigen Besitzungen in Amerika und Asien – kaum überrascht. In einer Hand würde dieses Erbe die europäische Vormachtstellung Österreichs oder Frankreichs sichern. Der Franzose Ludwig XIV. und der Habs burger Kaiser Leopold I. waren mit Schwestern von Karl II. verheiratet und beanspruchten das spanische Erbe taktischer Verschleierung Verschleierung wegen nicht für sich selbst, sondern für die ihren politischen Ambitionen zugänglichen VerVerwandten: Ludwig Lud wig XIV. XIV. für seinen Enkel Philipp von Anjou, den späteren König Philipp V. von Spanien; Leopold I. für seinen zweiten Sohn Karl, den späteren Kaiser Karl VI. französischer Diplomatie zugänglich, war es der letzte Wille Karls II., sein Reich Philipp von Anjou zu übereignen, mit der Auage, Spanien nicht mit Frankreich zu vereinen. Dagegen verstieß jedoch Ludwig XIV. kurz nach dem Tode Karls II. und gab damit seine universalen Ambitionen zu erkennen. Sofort bildete sich unter der Führung Englands eine Koalition mit den Niederlanden, dem habsburgischen Österreich und dem Reich – für die Gestellung von Truppen für den heraufziehenden Krieg erhielt der Markgraf von Brandenburg das Recht, sich »König in Preußen« titulieren zu
dürfen –, die Spanien, Frankreich, Bayern und dem Erzbistum Köln gegenüberstand. Die Blockbildung war nun abgeschlossen; das Schwert würde die Entscheidung bringen müssen.
»Die Annalen der britischen Armee kennen keine heldenhaftere Episode als Marlboroughs Marsch von der Nordsee zur Donau.« So urteilte der spätere britische Premierminister Winston Churchill über die Leistung seines Vorfahren. Um jedoch zur Donau zu gelangen, waren politische und militärstrategische Entscheidungen notwendig. Österreich, dem wichtigsten Verbündeten des Inselreichs, drohte die Zerschlagung, die kontinentale Hegemonie Frankreichs dämmerte am Horizont herauf! Die Wende des Krieges musste in dieser militärischen Konstellation nun in Süddeutschland erzwungen werden. Diese Beurteilung der Lage Marlboroughs deckte sich vollkommen mit jener des Prinzen Eugen, der als Präsident des Hofkriegsrats Österreichs außen- und militärpolitische Geschicke leitete. Die strategische Initiative war nur durch einen schnellen Marsch zur Donau zurückzugewinnen. Hierfür musste Marlborough diplomatisch und militärstrategisch geschickt vorgehen: Er suggerierte sowohl den verbündeten Hol-
Prinz Eugen von Savoyen Heeresgeschichtliches Museum, Wien
ländern, von denen er seine Truppen abzog, wie auch seinen Gegnern, den französischen Truppenführern, durch die Konzeption seines Marsches offensive Optionen seiner Truppen am Rhein und an der Mosel. Diese strategische Ablenkung verfolgte das Ziel, seine durch dänische, hannoversche und hessische Soldaten aufgewachsene holländisch-englische Armee mit den Kräften des Reiches unter der Führung des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden (»Türkenlouis« genannt) und des Prinzen Eugen zu vereinigen, um
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Schlacht bei Höchstädt
Habsburg, Österreich, Kaiser Die Habsburger oder auch »das Haus Habsburg« stellten seit dem späten Mittelalter durchgängig den Kaiser des »Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation«, was aber im Laufe der Zeit mehr und mehr nur noch ein Amt ohne Einuss war. Die eigentlichen Machthaber im Reich waren die vielen Fürsten, am mächtigsten zum Zeitpunkt der Schlacht von Höchstädt wohl der Kurfürst von Bayern, der sogar gegen den Kaiser Krieg führte. Dagegen konnte der Kaiser sich militärisch im Reich nur auf kleinere Kontingente einzelner ihm ergebener Fürsten stützen, die sogenannte Reichsarmee, die nur im Kriegsfall aufgestellt wurde. Die Hausmacht der Habsburger war dafür umso größer: Neben ihren österreichischen Kernlanden hatten sie zahlreiche Besitzungen an sich gebracht und ein gewaltiges Reich geschaffen. Sie verfügten neben der Reichsarmee auch über eine eigene, weit größere Armee. Seit dem 16. Jahrhundert wurde auch Spanien mit seinen zahlreichen Besitzungen (die »spanischen Niederlande« = das heutige Belgien und Besitzungen in Italien sowie in Süd- und Mittelamerika) von einer Linie des Hauses Habsburg regiert.
in Bayern, dem Stützpfeiler französischer Außenpolitik, die Entscheidung zu suchen. Das Einfallstor nach Bayern war Donauwörth. In den Abendstunden des 2. Juli 1704 erzwangen die Truppen Marlboroughs und des Markgrafen Ludwig in einer verlustreichen Schlacht die Erstürmung des Schellen berges oberhalb Donauwörths durch einen Angriff aus der Bewegung – jede j ede weitere Stunde des Wartens, so ihre Überlegung, würde 1000 Mann kosten. Der Weg nach Höchstädt – verstanden als Ziel militärischen Schlagens – war frei. Im Anschluss an die Erstürmung des Schellenberges, womit er Donauwörth als Operationsbasis gewonnen hatte, ließ Marlborough das Kurfürstentum Bayern (mit Ausnahme der kurfürstlichen Besitztümer!) systematisch verwüsten. Dies war ein Rückfall in die Zeiten des Dreißigjährigen Krieges. Der Zweck dieser Vorgehensweise war ein 14
(militär-)politischer: Die Verschonung der persönlichen Besitztümer des Kurfürsten sollte die Bevölkerung gegen den eigenen Monarchen aufbringen und den Kurfürsten, wollte er nicht die Seiten wechseln, zur Schlacht zwingen, ehe französische Verstärkung vom Oberrhein herankam.
Ludwig XIV XIV.,., König von Frankreich (*1638, †1715) Unter Ludwig XIV. stieg Frankreich zur europäischen Hegemonialmacht auf. Zum Zeitpunkt der Schlacht von Höchstädt war der »Sonnenkönig« auf dem Gipfel seines Erfolgs: In zahlreichen Kriegen hatte er Länder an sich gebracht und seine Macht immer weiter gesteigert. Nach 1704 wendete sich sein Glück: auch wenn er am Ende des Spanischen Erbfolgekrieges seinen Enkel Philipp von Anjou als spanischen König durchsetzen konnte, misslang ihm doch die Vereinigung Frankreichs und Spaniens in einer Hand. Auf dem Kontinent gab es nach wie vor mit Österreich eine ähnlich starke starke Macht, die Ludwigs Alleinherrschaft verhinderte. Die gewaltigen Schulden, zu denen seine Kriege geführt hatten, bildeten eine schwere Belastung für das Land.
Kurfürst Max Emanuel jedoch wartete, bis er am 4. August seine Truppen mit jenen Tallards vor Augsburg vereinigen konnte. Von nun an drängte er den französischen Marschall zu offensiven Operationen, die dieser jedoch ablehnte, da er das für diesen Feldzug übergeordnete übergeordn ete strategische Prinzip des Abwartens, das Aufrechterhalten der strategischen Bedrohung Wiens an der Donaulinie, besser begriff als der zur Entscheidung drängende Kurfürst. Trotz der Nähe der Alliierten, trotz der Kenntnis von deren Überraschungsangriff auf den Schellenberg waltete jedoch eine gewisse Sorglosigkeit – wer würde eine derartig große Streitmacht angreifen? – im bei Höchstädt bezo- In einem leichten Bogen hinter dem genen Lager der französisch-bayeri- damals versumpften Nebelbach zwischen Armee: Fouragiertrupps zogen schen Lutzingen im Nordwesten und am Morgen des 13. August 1704 durch Blindheim im Südosten erstreckte sich die Dörfer, es gab keinerlei Vorberei- die Aufstellung, verstärkt durch die tungen für eine eventuelle bewaffnete befestigten Ortschaften Lutzingen Auseinandersetzung. Sollte es jedoch (links), Oberglauheim (Zentrum) und zur Schlacht kommen, war die Aufstel- Blindheim (rechts) als Pfeiler der Verlung der französisch-bayerischen Ar- teidigung mit an den bewaldeten mee zur Schlacht wenn nicht brillant, Höhenzügen bei Lutzingen und einer so doch den Regeln der Kriegskunst Donauschleife bei Blindheim angelehnim komplexen System der Lineartaktik ten Flügeln auf einer Länge von sechs folgend, in hohem Maße befriedigend. bis sieben Kilometern: Die Lagerauf v i h c r a r ä t i l i M s e h c s t u e D
Überfall aus dem Hinterhalt auf eine Transportkolonne.Wirkteppich, Transportkolonne.Wirkteppich, Neues Schloß Schleißheim
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Eugen Franz, Prinz von Savoyen-Carignan Prinz Eugen von Savoyen-Carignan, 1663–1736, oh 1683 aus Frankreich, wo sein Eintrittsgesuch ins Heer abgelehnt worden war und trat in die kaiserli kaiserliche che Armee ein. Er wurde im Zuge der Türken Türken-kriege zum berühmten Feldherr. Neben Höchstädt hat vor allem die Eroberung des von den Türken besetzten Belgrad im Jahre 1718 zu zu seinem seinem Ruhm Ruhm beigetragen. beigetragen.
John Churchill, Herzog Her zog von Marlborough Marlborou gh John Churchill Herzog von Marlborough, 1650–1722, britischer Heerführer und Politiker, erreichte während des Spanischen Erbfolgekrieges als Oberbefehlsh Oberbefehlshaaber der britisch-niederländischen Armee den Höhepunkt seiner Macht und seines Einusses. Nachdem sich 1710 im englischen Parlament die Kriegsgegner durchgesetzt hatten, wurde er 1711 entlassen.
Gegenseite Vorbereitungen für einen Ruhetag. Dass den mehr als 100000 Soldaten beider Seiten aus zahlreichen Ländern des Kontinents eine europäische Völkerschlacht bevorstand, ahnten nur wenige. Umso größer war die Überraschung, als am Morgen des 13. August die neun Kolonnen Marlboroughs und Eugens aus dem Nebel heraus vor Tallards Armee auftauchten: Marlboroughs Truppen, Truppen, die den linken Flügel der alliierten Formation bildeten, standen angriffsbereit vor Tallard und Blindheim. Dieses Überraschungsmoment ging jedoch dadurch verloren, dass die Truppen des Prinzen Eugen für die Einnahme der Ausgangsstellung am rechten Flügel gegenüber den ganzen Vormittag benötigten. Erst gegen 12 Uhr war die Aufstellung der Alliierten beendet: Beinahe zwei Drittel des Heeres bildeten unter dem Ober befehl von Marlborough den linken Flügel, dessen Infanterie und Kavallerie vier bis teilweise sechs Treffen stark gestaffelt stand, wohingegen Eugen bei genauso breiter Front deutlich geringere Truppenkontingente zur Verfügung hatte. Seine Front war also weniger tief gestaffelt und daher auch zahlenmäßig schwächer.
Soldaten um 1700. Ausschnitt aus einem Gemälde von H. Knötel
Lineartaktik Zur Zeit der Schlacht von Höchstädt marschierte die Infanterie wegen der geringen Zielgenauigkeit und Feuergeschwindigkeit ihrer Waffen in langen Linien auf, um möglichst viel Feuer an den Feind zu bringen. Diese Linien waren mehrere »T »Treffen« reffen« stark, es standen also mehrere Linien hintereinander, die – liegend, kniend, stehend – abwechselnd feuern konnten. Erst wenn man sehr dicht an den Feind herangerückt war, kam es zu Kämpfen in aufgelöster Ordnung, beispielsweise in Ortschaften.
stellung wurde später der Not gehorchend zur Schlachtaufstellung – eine Umgruppierung der Kräfte im Angesicht des überraschenden Angriffsbeginns war unmöglich. Es gab jedoch keinen einheitlichen Oberbefehl zur Koordination der Gesamtschlacht – Marsin und der Kurfürst würden ihre Schlacht am linken Flügel führen, Während das Schlachtgeschehen zwiTallard seine Schlacht am rechten schen den französisch-bayerischen Flügel. Die lang ausgestre ausgestreckte ckte Front der Truppen und denen Eugens in der heim entwickelte sich zu einer Schlacht Kavallerie Tallards zwischen Oberglau- Schwebe blieb, wurde der Erfolg letzt- in der Schlacht. Am Ende des Tages heim und Blindheim besaß nur eine lich im alliierten Schwerpunkt durch stand, nachdem vor der Kapitulation schwache Reserve. Die Schwäche dieser die Truppen Marlboroughs erzielt. Den die Fahnen der traditionsreichen RegiAufstellung war dem Prinzen Eugen ersten Stoß führte die Brigade Cutts, menter verbrannt worden waren, die und Marlborough dadurch bekannt, der die Feuereröffnung aber erst mit Gefangenschaft der dort eingeschlosdass sie am Vortag der Schlacht vom dem Erreichen der befestigten Ort- senen französischen Truppen. Kirchturm des benachbarten Tapfheim Tapfheim schaft Blindheim erlaubt wurde. Die aus die Dislozierung der gegnerischen daraus resultierenden Verluste waren Gegen 15 Uhr trat auf dem gesamten Formationen beobachten konnten. Ihr immens, dennoch folgte Angriff auf Schlachtfeld eine Art Gefechtspause ein Entschluss konnte nur lauten: Unter Angriff. Der örtliche französische Kom- – zu groß war die Erschöpfung der Solfrontaler Bindung der Truppen des mandeur, Marquis de Clérambault, daten an diesem heißen Sommertag. bayerischen Kurfürsten und Marsins war von den vorgetragenen Angriffen Marlborough nutzte die Zeit zur Voram rechten Flügel der eigenen Aufstel- so beeindruckt, dass er ohne Wissen bereitung einer der der größten Kavallerielung durch Prinz Eugen sowie jener Tallards die vorgesehene Reserve attacken des Jahrhunderts. Zwischen Tallards durch den eigenen linken bereits zu diesem frühen Zeitpunkt in i n 16.30 und 17 Uhr traten achtzig bis Flügel vor der Ortschaft Blindheim das Kampfgeschehen um Blindheim neunzig Schwadronen, dahinter die sollten die Voraussetzungen für den einband – ein schwerer Führungsfeh- Infanteriebataillone, zur Entscheidung Durchbruch starker Kavalleriever- ler mit fatalen Folgen. Es war die an. Der massierte Durchbruch durch bände im Zentrum – mit der Option Reserve, die später beim Kavallerie- die feindlichen Linien in den Rücken zur Einkesselung beider feindlicher durchbruch Marlboroughs fehlte und der französischen Truppen gelang, Flügel in den befestigten Ortschaften in der bedrängten Ortschaft ihre Feu- Tallards Zentrum war zerschlagen, Lutzingen und Blindheim – geschaf- erkraft nicht zur Wirkung kommen die französische Kavallerie ritt die fen werden. Währenddessen traf die lassen konnte. Der Kampf um Blind- eigene Infanterie nieder. Die links
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Schlacht bei Höchstädt
Quelle: England under Queen Anne Blenheim by George Macanlay Trevelyan, O.M., London, New York, York, Toronto Toronto 1931
und rechts einschwenkenden Reiterverbände Marlboroughs bedrohten die Gesamtaufstellung des Gegners. Marsin und der bayerische Kurfürst mussten ihre Truppen zurücknehmen, Blindheim wurde von der nachrückenden Infanterie Marlboroughs eingekesselt. Der verwundete Tallard wurde von einem hessischen Ofzier gefangengenommen und Marlborough zugeführt. Eine weiträumige, groß angelegte Verfolgung seitens der Alliierten unterblieb: Der Zusammenhang der Schlachtordnung war aufgelöst, man musste die eigenen Truppen konsolidieren, und starke feindliche Kräfte in Blindheim führten den Kampf noch fort. Die am späten Abend erfolgte Kapitulation der französischen Truppen in Blindheim bescherte den Alliierten fast 14 000 Gefangene. Unter Unter diesen Umständen Umstände n – Bewachun Bewachung, g, Verpegun Verpegungg – war an eine Verfolgung nicht zu denken, zumal die Verluste der Alliierten (ca. 12 000) denen der franzö16
sisch-bayerischen Armee (ca. 14 000) Gerichtsvogtes Sebastian Bürger an kaum nachstanden. Eine Franziskane- den bayerischen Kurfürsten aus dem rin der nahen Donaustadt Günzburg, Jahre 1719, in der er eine Entschädidurch welche die zurückweichenden gung für die Beerdigung Beerdigung von 15 000 Truppen am Abend der Schlacht zogen, zo gen, Gefallenen forderte, die er mit seinen beschrieb das äußere äußere Erscheinungsbild Erscheinungsbild Helfern innerhalb von 27 Tagen nach der geschlagenen Armee in der Klos- der Schlacht bestattet hatte, verdeutterchronik: »Es ist erbärmlich anzuse- licht die Gleichgültigkeit, mit der die hen gewesen, wie die Trümmer der lokalen Obrigkeiten diesen Schicksalen bayerisch-französischen Armee durch gegenüberstanden. Günzburg üchteten, denn viele Vornehme sind dahergelaufen nur in den Nachleben einer Schlacht Hosen ohne Rock und ohne Schuhe, viele sind geritten ohne Hand oder Der Feldzug von 1704 und insbeArm oder Fuß [...] es war ein erbärmli- sondere die entscheidende Schlacht ches Jammergeschr Jammergeschrei.« ei.« von Höchstädt wurden in der britischen (Militär-)Geschichtsschr (Militär-)Geschichtsschreibung eibung Das Schlachtfeld blieb mit 26 000 Toten Toten zu einem Mythos. Churchill gar konnte und Verwundeten bedeckt. Mit ca. sich zeitlebens nicht davon befreien: 25 Prozent Verlusten war Höchstädt geboren in Blenheim-Palace, der Marleine der blutigsten Schlachten des 18. borough für seine Verdienste von der Jahrhunderts. Staunend und ungläu- britischen Regierung erbaut worden big nahm Europa die Geschehnisse war war,, angesichts einer diesen Palast umzur Kenntnis: Der Nimbus der Unbe- gebenden Parkanlage, deren Bewuchs siegbarkeit der französischen Waffen den Schlachtlinien der Schlacht bei war zerstört. Höchstädt wurde zum Höchstädt nachempfunden wurde, eiGrab der militärischen Reputation der ner ›Tradition‹, die am Jahrestag der französischen Armee. Die Hoffnungen Schlacht vorsah, dass ein Bote des Frankreichs, europäische Hegemonie- Herzogs von Marlborough symbolisch macht zu werden, waren erschüttert, dem Monarchen bei der Schlacht der Aufstieg Großbritanniens begrün- erbeutete französische Fahnen überdet, Österreich blieb erhalten, Bayern brachte, und einer Kapelle mit dem schied aus dem Konzert der großen Grab des Herzogs, in dem ein Relief die Mächte aus. Die Leidtragenden waren Gefangennahme des Marschall Tallard neben den Verwundeten und den Angehörigen der Gefallenen die BewohSchwadron ner des Umlandes, die durch Truppen bewegungen, bewegun gen, Kontribution Kontributionen, en, BrandEinheit der Kavallerie, entspricht der schatzungen und weitere Übergriffe Kompanie bei der Infanterie und der Batihrer Lebensgrundlagen beraubt wurterie bei der Artillerie. den. Eine Eingabe des Höchstädter
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Bw-Kartenblatt L7328, Höchstädt an der Donau, Maßstab 1 : 50 000
darstellte, kaum verwunderlich. Für Churchill war der 13. August, wie er in seiner Geschichte des Zweiten WeltWeltkrieges bekannte, der Tag von Höchstädt; und als der britische Feldmarschall Montgomery am 13. August 1942 in Ägypten das Kommando über die 8. Armee übernahm, wies er später in dessen Gästebuch ausdrücklich darauf hin. So überrascht es auch nicht, wenn er sich bereits seit 1909 mehrmals persönlich Eindrücke vom Schlachtfeld in der Donaulandschaft verschaffte, die dann im Zweiten Weltkrieg von britischen Bristol-Blenheim-Bombern überogen wurde, und dass der Bürgermeister von Höchstädt im Jahre 1949 von einer britischen Stadt die Bitte übersandt bekam, er möge ihr zum Zwecke der Fertigung eines Marschallstabes für Churchill ein Stück Nussholz vom Schlachtfeld zukommen lassen. Aber auch die Leistungen des Prinzen Eugen fanden ihre Anerkennung. Ins besondere zeitgenössische Soldatenlieder geben darüber beredten Ausdruck. So war es also den Zeitgenossen bewusst, dass das großartige Einvernehmen der beiden alliierten Heerführer den Grundstein des Erfolges bildete. Dies dokumentiert eine holländische Denkmünze, deren Vorderseite die Brustbilder Marlboroughs und Eugens von Lorbeer umrankt darstellt, die Rückseite das Schlachtfeld von Höchstädt abbildet, überschrieben mit »Herorum concordia victrix!« – Der Helden Eintracht war die Siegerin.
Praktische Gestaltungstipps für eine Praktische militärhistorische militärhistor ische Exkursion
Geländeorientierung, Beurteilung der Lage aus Sicht der Verteidiger und Angreifer, Vergleich Verlauf der Schlacht/Grundsätze der Truppenführung u.a. mehr vertiefen.
Militärgeschichte, gruppiert und zentriert um eine Schlacht, eine bedeutende noch dazu, kann bei einem Vortrag eines enga- Als Abrundung des Programms bietet sich gierten Lehrers im Unterrichtsraum Inte- ein Besuch im Heimatmuseum in Höchstädt resse wecken. Noch ungleich interessanter an. Dort wurde zwischen 1982 und 1986 15 000 Arbeitsstunden ein Zinnguist aber das Erlaufen des Schlachtfeldes, in rund 15000 8 000 historisch getreu das Einnehmen von Beobachtungsperspek- ren-Diorama mit fast 8000 tiven der damals Handelnden – des mili- bemalten Figuren erstellt, das die entscheitärischen Führers, wie auch des militärisch dende Phase der Schlacht – den KavallerieGeführten – möglichst am Jahrestag der durchbruch Marlboroughs zwischen BlindSchlacht bei vergleichbaren Erfahrungsmög- heim und Oberglauheim – nachbildet. Für lichkeiten. Höchstädt eignet sich für eine eine Führung durch das Museum empehlt militärhistorische Exkursion wie kaum eine sich eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit andere Schlacht, denn das Schlachtfeld ist dem Heimatpeger. Ein Ausugslokal bei Feld geblieben – die kleinen Ortschaften Lutzingen bietet einen Überblick über das haben fast noch immer die gleichen Ausdeh- Schlachtfeld. Eberhard Birk nungen wie vor beinahe 300 Jahren. Allein die Wasserläufe – Nebelbach und Donau – wurden reguliert. Exkursionstipp: Wie bei jeder militärhistorischen Exkursion sollten im Verband zunächst Vorbereitungen im eigenen Unterrichtsraum durchgeführt werden; zwei Doppelstunden mit folgenden Themen sollten genügen: Europa
um 1700. Politische Hintergründe struktureller Friedlosigkeit
Spanischer cher Spanis Stehendee Stehend
Erbfolgekrieg
Heere/Die Lineartaktik
Feldzug und Schlacht bei
Höchstädt
Erst darauf aufbauend sollte die Exkursion zum Schlachtfeld erfolgen. Nach der Wahl eines Beobachtungspunktes (wahlweise mehrere Punkte für den Verlauf der Schlacht) im Gelände können auch Arbeitsgruppen gebildet werden, die Ausbildungsinhalte wie
Heimatmuseum Höchstädt Marktplatz 7 89420 Höchstädt a.d.Donau Tel.: (09074) 4956 / Fax: (09074) 4455 www.hoechstaedt.de/museum
Literatur: Winston S. Churchill, Marlborough. Der
Weg zum Feldherrn 1650-1705, Zürich 1990 (= Manesse Bibliothek der Weltgeschichte) Walter Hummelberger, Die Schlacht bei Höchstädt am 13. August 1704, in: Österreichische Militärzeitschrift (ÖMZ) 2/1964, S. 374-379 Helmut Schnitter und Thomas Schmidt,
Absolutismus und Heer, Berlin (Ost) 1987. Ernst Trost, Prinz Eugen, Wien und München 1985
n Eberhard Birk
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Wannsee-Konferenz
DIE WA WANNSEE –
Haus der Wannsee-Konferenz, Ansicht der Villa Minoux um 1930
A
m 20. Januar 1942 hatte Rein- sige, die Tatsachen verfälschende Verhard Heydrich zwei wichtige einfachung. Die Wannsee-Konferenz Termine. Als Chef des Reichs- diente der Organisation eines Völkersicherheitshauptamtes (RSHA) lud er mordes europäischer Dimension. Sie am Vormittag zu einer Konferenz in war aber keinesfalls der Auftakt der eine Villa am Berliner Wannsee. Am Endlösung. Massaker an der jüdischen Abend begleitete Heydrich in seiner Bevölkerung Deutschlands, Polens, der Funktion als stellvertretender Reichs- besetzten Gebiete Südosteuropas und protektor für Böhmen und Mähren die der Sowjetunion waren längst grauEinführung der neuen Protektoratsre- same Realität. gierung auf der Prager Burg. Über seine Anwesenheit in Prag informierte Die ursprünglichen Planungen hatten die NSDAP-Zeitung »Völkischer Beo- vorgesehen, bereits bereits im Dezember 1941 bachter« ihre Leser am nächsten Tag am Wannsee zu tagen. Wohl wegen des in einem zweispaltigen Artikel – die japanischen Überfalls Überfalls auf Pearl Pearl Harbor Besprechung in der Villa Minoux, die und der folgenden deutschen Kriegsals Wannsee-Konferenz in die Ge- erklärung an die Vereinigten Staaten schichte eingehen sollte, fand hingegen wurde das Treffen um einige Wochen keine Erwähnung. verschoben. Aus dem erhaltenen Text der Einladung geht hervor hervor,, dass HeydOft vermitteln Publizistik und Ge- rich die Teilnehmer über einen Befehl schichtsschreibung den Eindruck, auf Hermann Görings vom 31. Juli 1941 der Wannsee-Konferenz sei unter Fe- informieren wollte. Göring hatte den derführung von Reinhard Heydrich Chef des Reichssicherheitsh Reichssicherheitshauptamtes auptamtes der endgültige Beschluss zur Ausrot- zum »Beauftragten für die Vorbereitung der europäischen Juden gefasst tung der Endlösung der europäischen worden. Das ist jedoch eine unzuläs- Judenfrage« ernannt und ihm den Auf18
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GHWK, Berlin
trag erteilt, einen Plan für die angestrebte »Endlösung« zu erarbeiten. In der Besprechung sollten alle notwendigen »organisatorischen, sachlichen und materiellen Belange« geklärt werden, um Europa während des Krieges und im Rücken der Front »judenfrei« zu machen. Heydrich hatte mehrere Gründe, die Spitzen von Ministerial- und Parteibürokratie zusammenzurufen. Zum einen wollte er diese Männer in seine Aufgabe einbinden, denn trotz seiner Machtfülle war er auf ihre Mitarbeit angewiesen. Zum anderen war er bestrebt, die Federführung des RSHA bei der Verwirklichung seiner Vernichtungspläne fest zuschreiben, um nach dem »Endsieg« über die Sowjetunion und der »Endlösung der Judenfrage« den Ruhm einzustreichen. Daneben gab es weitere Gründe für die Zusammenkunft. Heydrich verfolgte schon seit einiger Zeit einen Deportations- und Ausrottungsplan. Nachdem die Mordaktionen in großem Stil angelaufen
ONFERENZ d l i b n i e t s l l u
SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich ,
Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS (SD) und des RSHA
waren, kam es jedoch zu Problemen vor Ort. Die Leiter der mit den Exekutionen beauftragten Einsatzgruppen berichteten nach den ersten Massakern Massakern von psychischer Anspannung ihrer Männer. Es zeigte sich, dass ein Massenmord dieses Ausmaßes durch Erschießungsaktionen nicht zu bewerkstelligen war. Außerdem war das Gemetzel auf Dauer nicht vor der einheimischen Bevölkerung zu verbergen. Hinzu kamen Abstimmungsprobleme. Unklar war, ob bestimmte Personengruppen unter den Juden von der Tötung ausgenommen werden sollten. Im besetzten Baltikum und in Weißrussland herrschte Uneinigkeit in der Frage, ob auch arbeitsfähige Juden getötet werden sollten. Der »Generalkommissar für Weißruthenien« beschwerte sich, dass unter den Deportierten aus dem »Altreich« Teilnehmer des Ersten Weltkrieges und Angehörige von aktiven Wehrmachtssoldaten wären. Außerdem Außerdem gab es zwischen der deutschen Zivilverwaltung der besetzten Gebiete und den Einsatzgruppen Streit über das Eigentum der Mordopfer. Vor Problemen standen Heydrichs Männer aber nicht nur im Osten, sondern auch in der Heimat. Nicht wenige Betriebe, Arbeitsämter und Rüstungsinspektionen versuchten, Juden von den Deportationslisten streichen zu lassen, um die ohnehin angespannte Arbeitskräftesituation nicht noch weiter zu verschärfen.
hinterlassene Protokoll ist eine mehrmals überarbeitete Fassung stenograscher Notizen. Es wurde von SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann verfasst. Fest steht: Die Konferenz fand in in ruhiger und entspannter Atmosphäre in einem repräsentativen Ambiente statt. Sie endete nach etwa 1 Stunden zwanglos mit Cognac und einem späten Frühstück. Ebenso ist der Teilnehmerkreis bekannt, 15 Männer und eine Frau. Die Männer waren Beamte im Range von Staatssekretären, Parteifunktionäre und SS-Ofziere. Eine Sekretärin stenographierte das Gesprochene. Es mag verwundern, dass keine Vertreter von Wehrmacht und Deutscher Reichsbahn in die Planungen einge bunden wurden. Ihre Anwesenheit war jedoch gar nicht nicht mehr zwingend zwingend nötig, weil die Zusammenarbeit bereits rei bungslos vonstatten ging. Seit Okto ber 1941 rollten Züge mit deportierten Juden Richtung Osten und Einheiten der Wehrmacht waren längst schon an Massenerschießungen in Serbien und der Sowjetunion beteiligt.
Dem Protokoll zufolge referierte Heydrich die meiste Zeit. Er begann seine Ausführungen mit dem ausdrücklichen Hinweis auf seine Autorisierung durch Göring: »Die Federführung bei der Bearbeitung der Endlösung der Judenfrage«, so Heydrich, »liege ohne Rücksicht auf geographische Grenzen zentral beim Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei«. Für die »unmittelbar beteiligten Zentralinstanzen« gelte es, sich »im Hinblick auf die Parallelisierung der Linienführung« abzustimmen und »Klarheit in grundsätzlichen Fragen« zu schaffen. Dann gab Heydrich einen kurzen Rückblick auf die bisherigen Formen der Verfolgung und Diskriminierung der Juden. Er begann mit dem »Gesetz zur Es ist schwierig, den Ablauf der Tagung Wiederherstellung des Berufsbeamim Januar 1942 zu rekonstruieren. Das tentums« vom 7. April 1933, das auf
Staatssekretär Dr. Alfred Meyer , Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete
Staatssekretär Dr. Wilhelm Stuckart, Reichsministerium des Inneren
Staatssekretär
Staatssekretär
Erich Neuman, Beauftragter Dr. Roland Freisler,
für den Vierjahresplan
Reichsjustizministerium
Staatssekretär Dr. Josef Bühler, Regierung des Generalgouvernements
Unterstaatssekretär Martin Luther, Auswärtiges Amt
Ministerialdirektor Dr. Gerhard Klopfer , Parteikanzlei
Ministerialdirektor
SS-Gruppenführer Otto Hofmann, Rasse- und Siedlungshauptamt
SS-Gruppenführer Heinrich Müller, RSHA (Gestapo)
Dr. Eberhard Schöngarth, Befehlshaber der Sicherheitspolizei im Generalgouvernement
Wilhelm Kritzinger ,
Reichskanzlei
v i h c r a s e d n u B : s o t o F
Dr. Rudolph Lange, Kommandeur der Sicherheitspolizei in Lettland
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Wannsee-Konferenz
Der Konferenzraum, Ansicht aus dem Jahr 1922. GHWK, Berlin
Grund eines »Arierparagraphen« die Entfernung jüdischer Beamter, Angestellter und Arbeiter aus dem Staatsdienst ermöglichte. Er sprach über die »Nürnberger Gesetze«, das »Blutschutzgesetz« und das »Reichsbürgergesetz«, aus dem Jahr 1935, die die jüdische Bevölkerung quasi legal politisch und gesellschaftlich isolierten. Und er erwähnte die »Kristallnacht« vom 9./10. November 1938, ein Pogrom, bei dem im gesamten gesamten Deutschen Reich ungefähr 100 Juden ermordet und mehrere Tausend in Konzentrationslager verschleppt worden waren. Ziel aller Repressionen sei gewesen, auf »legale Weise den deutschen Lebensraum von Juden zu säubern«, das heißt, die jüdische Bevölkerung zu zwingen, unter Zurücklassung ihres Vermögens auszuwandern. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bot nun die Möglichkeit zu einer noch radikaleren, mithin unvorstellbaren Maßnahme – der systematisch geplanten und industriell durchgeführten Ermordung von Millionen Menschen.
in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist.«
Heydrich entwarf in seinen Ausführungen ein gigantisches Umsiedlungsund Ausrottungsprogramm mit dem Ziel der völligen Vernichtung. In der folgenden Diskussion konnte er zufrieden registrieren, dass kein Anwesender prinzipielle Einwände hatte. Unterstaatssekretär Martin Luther vom Auswärtigen Amt riet lediglich, die »Behandlung dieses Problems« in den nordeuropäischen Staaten noch zurückzustellen, erwartete aber wegen der »geringen Judenzahlen [...] keine wesentliche Einschränkung«.
Als wichtigste Voraussetzung für die »Evakuierung« erörterte Heydrich als nächsten Tagesordnungspunkt die Auswahlkriterien, die den Deportationen zugrunde liegen sollten. MaßgeAnschließend kam der Chef des RSHA bend sei die Denition des betroffeauf die Dimension der angestrebten nen Personenkreises durch die NürnEndlösung zu sprechen. Ungefähr elf berger Rassengesetze, allerdings sei Millionen Juden aus allen europäi- für die »restlose Bereinigung des Proschen Staaten sollten deportiert werden blems« die »Lösung der Mischehen– auch aus Ländern außerhalb des und Mischlingsfragen« unumgänglich. deutschen Machtbereiches. Im Proto- Deshalb führte er präzise aus, wie koll wird das diesen Menschen zuge- mit »Mischlingen 1. und 2. Grades« dachte Schicksal mit folgenden Worten Worten (das heißt mit Menschen teilweise umschrieben: jüdischer Herkunft), mit in »Mischehen« lebenden Juden und den Kindern von »Mischlingen« und aus »Bastar»Unter entsprechender dehen« verfahren werden sollte. An Leitung sollen im Zuge dieser Stelle warf SS-Gruppenführer der Endlösung die Juden 20
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Otto Hofmann vom Rasse- und Siedlungshauptamt der SS ein, dass möglichst viele dieser Menschen, sofern sie nicht ermordet werden könnten, zwangsweise sterilisiert werden sollten, um die Geburt »rassisch« unerwünschter Kinder zu verhindern. Diese Meinung vertrat auch Wilhelm Stuckart vom Innenministerium. Stuckart war maßgeblich am Entwurf der Nürn berger Gesetze beteiligt gewesen und forderte nun eine Art staatlich verordneter Zwangsscheidungen zur Vereinfachung des »Mischehenproblems«. Mit »Ariern« verheiratete Juden waren nämlich bisher von den Deportationen ausgenommen. Einen Beschluss fassten die Konferenzteilnehmer zu diesen Punkten jedoch nicht.
Nürnberger Gesetze: Bezeichnung für die am 15. September 1935 vom NS-Regime in Nürnberg beschlossenen »Rassengesetze«. Diese dienten der Diskriminierung der jüdischen Deutschen durch formale Legalisierung des rassistischen NS-Unrechts. Im »Reichsbürgergesetz« wurde für »Arier« der Status des »Reichsbürgers« geschaffen, an den alle politischen Rechte geknüpft waren. Juden wurden zu Staatsangehörigen mit minderem Rechtsstatus herabgewürdigt. Noch schwerwiegender war das Verbot von Eheschließungen zwischen Menschen, die aufgrund des »Blutschutzgesetzes« »Blutschutzges etzes« von den Nationalsozialisten zu Juden bzw bzw.. Nichtjuden (oder »Angehörigen artverwandten Blutes«, wie es in der nationalsozialistischen Sprache hieß) erklärt worden waren. Solche außerehelichen Beziehungen galten künftig als »Rassenschande«. ag
Zum Schluss der Sitzung befasste sich Heydrich noch mit einer Bitte des Vertreters der Zivilverwaltung im Generalgouvernement, Josef Bühler. Bühler erklärte, dass er es begrüßen würde, »wenn mit der Endlösung [...] im Generalgouvernement begonnen würde«. Zur Begründung seines Wunsches griff er auf medizinisches Vokabula Vokabularr zurück, in dem er die Juden als »Seuchenträ-
Konferenzprotokoll
links:
Begleitschreiben Heydrichs bei der Versendung des Konferenzprotokolls am 26. Februar 1942. Handschriftlicher Vermerk auf dem Dokument: Pg. [Parteigenosse] Rademacher, bitte schriftlich mitzuteil en, daß Sie Sachbearbeiter sind und teilnehmen werden [Luther]
rechts:
Auf Seite 6 des Protokolls wurden die zur Ermordung bestimmten Menschen nach Ländern und Regionen aufgelistet GHWK, Berlin
ger« bezeichnete. Die Bekämpfung der »Seuche« überließ Bühler bereitwillig dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD. Das Protokoll berichtet, ohne Genaueres auszuführen, dass abschließend die »verschiedenen Arten der Lösungsmöglichkeiten« zur Sprache kamen. Anzunehmen ist, dass über die entwickelte und bereits angewendete neue Massenmordmethode, die Tötung durch Motorabgase, gesprochen wurde. Hierzu wurden in der Ukraine und in Weißrussland bereits sogenannte Gaswagen eingesetzt. Im besetzten Polen stand die Fertigstellung des Vernichtungslagers Bełżec bevor. Adolf Eichmann sagte in den Verhören 1960 in Israel, dass während der Konferenz in einer drastischen Sprache und vollkommen ungezwungen von Töten und Vernichten gesprochen worden sei. Im Tagungsprotokoll hingegen hingege n ist die mörderische Absicht des nationalsozialistischen Regimes sprachlich dürftig getarnt. Zwar vermieden die Teilnehmer Wörter wie »erschießen«, »vergasen« und »ermorden«, aber sie wussten genau, dass »aussiedeln« und »behandeln« im NS-Deutsch genau diese Bedeutung hatten. Die Anwesenden
diskutierten kaum über die vorgetragenen Ziele, sondern waren sich bis auf Kleinigkeiten einig. Nicht einmal leiser Zweifel wurde geäußert. Noch 20 Jahre später erinnerte sich Eichmann vor seinen Richtern an eine »freudige Zustimmung« unter den Teilnehmern, die sich in ihrer Initiative und ihren Vorschlägen gegenseitig gegense itig zu übertrumpfen suchten. Eichmann bestätigte in Jerusalem sowohl in der Untersuchungshaft als auch in der Hauptverhandlung, dass er das Protokoll auf Grundlage stenograscher Notizen ausformuliert habe. Mehrmals überarbeitet entstanden 30 Ausfertigungen des Protokolls. Bis heute wurde jedoch nur ein einziges Exemplar,, das 16. für Unterstaatssekr Exemplar Unterstaatssekreetär Luther vom Auswärtigen Amt, aufgefunden. Amerikanische Dokumentenfahnder entdeckten es im Zuge von Recherchen für die Kriegsverbrecherprozesse. Es wurde der Anklagevertretung übergeben und im Prozess gegen leitende Beamte des Auswärtigen Amtes, im sogenannten Wilhelmstraßen-Prozeß, dem Gericht vorgelegt. Das Exemplar, das in der WannseeVilla gezeigt wird, ist eine Kopie. Die 16. Ausfertigung bendet sich heute
im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes. Die Zahl der jüdischen Opfer lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Aus erhaltenen Berichten über Tötungsaktionen, aus Transportlisten und verschiedenen anderen Dokumenten geht hervor, dass mindestens fünf Millionen Million en Juden ermordet wurden bzw. bzw. in Folge der Lebensver Lebensverhältnisse hältnisse in Konzentrationslagern gestorben sind. n Dietmar Schulze
Literatur: Peter Klein, Die Wannsee-Konferenz vom
20. Januar 1942, Berlin 1996 Jochen von Lang, Das Eichmann-Proto-
koll. Tonbandaufzeichnungen Tonbandaufzeichnungen der israelischen Verhöre, Verhöre, München 2001 Peter Longerich, Die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942. Planung und Beginn des Genozids an den europäischen Juden, Berlin 1998 Yaakov Lozowick, Hitlers Bürokraten. Eichmann, seine willigen Vollstrecker und die Banalität des Bösen, München 2000 Johannes Tuchel, Am Großen Wannsee 56–58. Von der Villa Minoux zum Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin 1992
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Adolf Eichmann
Portrait eines Schreibtischtäters Adolflf Eic Ado Eichma hmann nn
A
dolf Eichmann wurde am 19. musste, Tür an Tür zusammengefasst: März 1906 in Solingen gebo- Passangelegenheiten und weitgehenren. Er hatte vier jüngere der Einzug des Vermögens wurden Geschwister und wuchs in gutbürgerli- so in kürzester Zeit erledigt, Zielorte chen Verhältnissen Verhältnissen auf. 1914 führte der bestimmt und Ausbürgerungen vorgeBeruf des Vaters die Familie ins öster- nommen. In den anderthalb Jahren bis reichische Linz. Adolf Eichmann been- zum Beginn des Zweiten Weltkrieges dete dort die Realschule, brach aber verließen auf diese Weise 150 000 jüdidas Gymnasium ebenso wie eine Aus- sche Österreicher ihre Heimat. Nach bildung zum Maschinenbauingenieur der Besetzung Prags wurde Eichmann ohne Abschluss ab. Über Beziehungen auch dort mit entsprechenden Aufgader Familie kam er als Arbeiter, Ver- ben betraut, im Oktober 1939 unterkäufer und Vertreter in verschiedenen stand ihm die in Berlin gegründete Unternehmen unter, wurde jedoch 1932 Reichszentrale für Jüdische Auswanarbeitslos. Im April desselben Jahres derung. trat er zugleich der NSDAP und der SS bei. Als Als ein Jahr später beide Organisa- Nach der Annexion der westlichen westl ichen Teile tionen in Österreich verboten wurden, Polens leitete Eichmann im »Umsiedging Eichmann zurück nach Deutsch- lungsreferat« der Gestapo die Vertreiland. Sein Engagement für den Natio- bung von jüdischen und nicht-jüdinalsozialismus wurde nun zum Beruf. schen Polen. Zusammen mit GestapoNach einer militärischen Ausbildung Chef Heinrich Müller erarbeitete er durch die SS trat er dem SS-Sicherheits- Pläne für ein »Judenreservat« in Zendienst bei. tral-Polen, die aber nicht umgesetzt wurden, ebenso wenig wie seine BeiDer Sicherheitsdienst (SD) war 1931 träge zu dem Plan, die Juden Europas vom Reichsführer der SS, Heinrich nach Madagaskar zu verschleppen. Die Himmler, als Nachrichten- und Ge- Gewaltphantasie einer massenhaften heimdienst der SS gegründet worden Menschenverschleppung wurde denund unterstand, zusammen mit der noch Realität: Bald rollten die Deporpolitischen Polizei, der Gestapo, ab tationszüge aus allen von Deutsch1934 Reinhard Heydrich. Im SD fanden land beherrschten und beeinussten ehrgeizige Männer zueinander, die sich Ländern Europas in die Gettos und intensiv mit politischen und ideologi- Vernichtungslager Ostmitteleuropas, schen Zielen der SS auseinander setz- zentral organisiert von Adolf Eichten. Adolf Eichmann trug seinen Teil mann, nun Leiter des Gestapo-Referadazu bei: In der »Abteilung Juden« tes »Judenangelegenheiten und Räudes SD erarbeitete er ab Anfang 1935 mung«. Man bestimmte Abfahrts-, wichtige Positionen der antijüdischen Zielorte und die Zahl der DeporPolitik der SS. Die Auswanderung der tierten; über Strecken, Zeiten und Juden aus Deutschland stand dabei dabei im Transportraum verhandelte Eichmann Vordergrund. Eifrig bildete Eichmann mit der Reichsbahn. Als Protokollant sich fort. Er lernte hebräische Schrift, der Wannsee-Konferenz hielt er am beschäftigte sich mit dem Zionismus 20.1.1942 als Aufgabe seines Referates und bereiste Palästina und Ägypten. fest: »Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa Nach dem Anschluss Österreichs im vom Westen Westen nach Osten durchkämmt.« durchkä mmt.« März 1938 organisierte Eichmann in In Polen besprach er mit den SS-FühWien die Zwangsauswanderung der Ju- rern vor Ort Planung und Bau der den, indem er eine Zentralstelle schuf. Vernichtungslager; später besuchte er In dieser Zentralstelle waren verschie- sie und ließ sich das Morden vorfühdene Behörden, die man bei einer Aus- ren, aber direkt am Mord beteiligte er wanderung bisher getrennt besuchen sich nicht. Als gegen Ende des Krieges 22
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Adolf Eichmann, RSHA, zuständig für »Judenangelegenheiten« und »Räumungsangelegenheiten« Bundesarchiv/BDC, Berlin
die Rote Armee schon an der Grenze Ungarns stand, reiste der diensteifrige Eichmann im März 1944 mit eigenem Stab nach Budapest, um vor Ort die Deportation von über 437 000 ungarischen Juden zu organisieren. Eichmann war zwar in Budapest öffentlich in Erscheinung getreten, seine todbringende organisatorische Tätigkeit vollzog sich jedoch eher im Hintergrund. Auch seine vergleichsweise niedrige Dienststellung als GestapoReferatsleiter und der eher bescheidene Rang als SS-Obersturmbannführer (Oberstleutnant) trugen dazu bei, dass Eichmann kaum bei den Alliierten bekannt war. Er konnte 1946 aus einem amerikanischen Internierungslager iehen und gelangte unter falschem Namen nach Südamerika. Er ließ sogar seine Familie nach Argentinien nachkommen, mit der er bis zum Mai 1960 in einem Vorort von Buenos Aires lebte. Der israelische Geheimdienst spürte ihn dort auf und entführte ihn nach Jerusalem. Als im Februar 1961 Generalstaatsanwalt Gideon Hausner die Anklageschrift einreichte
und der Prozess unter Vorsitz des Richters Moshe Landau begann, war die internationale Aufmerksamkeit auf Jerusalem gerichtet. Die Bilder von Eichmann im kugelsicheren Glaskasten bei der Verhandlung gingen um die Welt. Verbrechen gegen das jüdische Volk, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Mitgliedschaft in einer verbrecherische verbrecherischen n Organisation werden ihm, gegliedert in 15 Anklagepunkte, vorgeworfen. Eichmanns deutscher Verteidiger Robert Servatius, der bereits bei den Nürnberger Prozessen als Verteidiger von NS-Größen aufgetreten war, bestritt zunächst überhaupt Zuständigkeit und Legitimation des Gerichtes. Tatsächlich war viel über die Zulässigkeit der Verbringung Verbringung Eichmanns aus Argentinien nach Jerusalem diskutiert worden, sowie über die Frage, ob nicht vor einem internationalen oder einem deutschen Gericht gegen Eichmann verhandelt werden sollte. Doch diese Diskussionspunkte verblassten bald vor dem Hintergrund der ungeheuerlichen Verbrechen, die im Zuge des Prozesses berichtet wurden. Zum ersten Mal diskutierte eine breite Öffentlichkeit die Planung und Durchführung des Mordes an den europäischen Juden in der Gesamtheit und erfuhr viele grausame Details aus dem Getto- und Lagerleben. Das Gericht hörte über 100 Zeugen, viele davon Holocaust-Überlebende, die zum ersten Mal Auskunft über ihr Schicksal gaben. Der Eichmann-Prozess wurde für viele Länder zu einem Stein des Anstoßes, sich an eine juristische und moralische Aufarbeitung des Geschehenen zu machen. Zwar hatte es in Deutschland auch in den fünfziger Jahren Kriegsverbrecherprozesse verbrecherpr ozesse gegeben, doch die Zahl dieser Prozesse stand in einem grotesken Missverhältnis zur Zahl der Täter.. Das hatte im wesentlichen damit Täter zu tun, dass die deutsche Gesellschaft sich ihrer Schuld nicht stellen wollte und den Blick auf die große Beteiligung von Öffentlichkeit, Verwaltung, Polizei oder Militär scheute. Daneben trat durch die neue Blockkonfrontation eine politische Situation ein, die Integration und Ruhe, die ein Schlussstrich-Ziehen als opportun erscheinen ließ.
Eichmann bekannte sich im Sinne der Anklage als nicht schuldig. Er leugnete weder die Echtheit der vorgelegten Schriftstücke, die seine Unterschrift trugen, noch das Mordgeschehen an sich. Mehrfach betonte er, dass es sich dabei um ein Verbrechen gehandelt habe – aber dies sei nicht ihm anzulasten, er sei nur ein Befehlsempfänger gewesen und habe die Vorgaben von Heydrich oder Müller eben ausgeführt.
zise Antworten geben wollte, dem die Sätze dann zu lang gerieten, sodass er sich verhaspelte. Da stand kein bulliger Radaubruder, Radaubruder, wie man es für einen fanatischen Antisemiten erwartet hätte, der sich der restlosen Vernichtung der Juden verschrieben hatte. Statt Statt dessen: ein grauer Verwaltu Verwaltungsbeamte ngsbeamter. r. Inwieweit war dieses Auftreten vor allem Teil seiner Verteidigungsstrategie? Es spricht einiges dafür, dass Adolf Eich-
Prozess gegen Eichmann in Jerusalem 1961/62, Filmaufnahmen
Über eigene Kompetenzen habe er gar nicht verfügt. Das Gericht urteilte anders: Eichmann hatte alles in seiner Macht stehende unternommen, um die Vernichtung der europäischen Juden voranzutreiben. Dabei hatte er nicht nur Befehle konsequent und weitgehend ausgeführt, sondern war sogar selbständig aktiv geworden. Besonders die Deportation der ungarischen Juden zeigte dies. Eichmann wurde am 15. Dezember 1961 zum Tode verurteilt. Eine Berufung wurde nicht zugelassen. Auch das Gnadengesuch wies der Staatspräsidenten ab. In der Nacht vom 31. Mai zum 1. Juni 1962 wurde Adolf Eichmann erhängt. Es war das einzige Mal, dass im Staat Israel ein Todesurteil vollstreckt wurde. Die Person Adolf Eichmanns sorgte beim Prozess Prozess – und bis heute – für kontroverse Beurteilungen. Da stand ein akkurater, eher unscheinbarer Mann im Anklagestand, der immer sehr prä-
mann ohne die Zeit des Nationalsozialismus ein völlig unauffälliges Leben als Verkäufer oder Vertreter ver bracht hätte. Die Philosophin Phil osophin Hannah Arendt nannte ihre Prozessbeobachtungen einen »Bericht von der Banalität des Bösen«, wobei sie nicht das Morden banal fand, sondern einen Täter wie Eichmann:
»Das Beunruhigende an der Person Eichmanns war doch gerade, dass er war wie viele und dass diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren und sind.« n Eike Stegen
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Service
Das historische Stichwort
Ein Aufklärungsugzeug der US-Marine iegt vor der Küste Costa Ricas über das US-Kr iegsschiff USS-Barry (vorne) und den sowjetische Frachter Anosow , von dem vermutet wird, dass er sowjetische Raketen tranportiert 6
Die Kuba-Krise
»Dreizehn Tage. Wie die Welt beinahe unterging«, so betitelte ein amerikanischer Autor sein Buch über die Kuba-Krise. Tatsächlich darf die Kuba-Krise (oder Raketenkrise) als der Höhepunkt in der Auseinandersetzung zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion im »Kalten Krieg« angesehen werden. Im Oktober 1962 hi hielt Tage den Atem an. Was war elt die Welt für dreizehn Tage geschehen?
dpa
Der Hintergrund
S
chon gegen Ende des Zweiten den »Sputnik-Schock« mit einer massiWeltkrieges taten sich zwischen ven Aufstockung ihres NuklearwaffenNukl earwaffenden Alliierten der Anti-Hitler- potentials. Folglich suchte die SowjetKoalition Spannungen auf. Nach union nach einer Möglichkeit, die ameKriegsende eskalierten die Gegensätze rikanische Stärke wettzumachen und zwischen der Sowjetunion und den zu überbieten. Diese Chance bot sich USA, den beiden neuen »Supermäch- schließlich 1962 auf der Karibikinsel ten«, die sich seit den 50er Jahren an der Kuba vor der Südküste der USA, denn Spitze ihres jeweiligen Militärbünd- durch die dortige Stationierung von nisses (NATO bzw. Warschauer Pakt) nuklearen Mittelstreckenwaffen, d.h. im »Kalten Krieg« gegenüberstanden. von Atomraketen mittlerer Reichweite, Die Vereinigten Staaten waren die Vor- konnte die Sowjetunion die Lage der macht des Westens und die Sowjet- Insel für ihre strategischen Interessen union führte die sozialistische, östli- nutzen. che Welt. Seit Beginn der 50er Jahre kam es zwischen den beiden Super- Auf der Karibikinsel Kuba hatte Anfang mächten zu einem Rüstungswettlauf. 1959 eine Gruppe von Aufständischen Die Sowjets versuchten, den US-ameri- unter Führung von Fidel Castro den kanischen Vorsprung auf dem Gebiet Diktator Fulgencio Batista gestürzt, der Nuklearwaffen und ihrer Träger, der bis dahin mit Hilfe eines von mit denen vom eigenen Staatsgebiet den USA nanzierten Militärapparaaus das Territorium Territorium der jeweils anderen tes die Insel regiert hatte. Zunächst Supermacht getroffen werden konnte, begrüßte die amerikanische amerikanische Regierung einzuholen. Dabei zeigten sie mit dem den Umsturz, da sie sich eine DemoStart des ersten künstlichen Erdsatel- kratisierung Kubas erhoffte (obwohl liten (des berühmten »Sputnik«) im sie vorher das Batista-Regime unter Jahre 1957, dass sie ebenfalls über das stützt hatte). Dies änderte sich jedoch Potential weitreichender Waffensys- schnell, als Castro amerikanisches teme verfügten. Die Anzahl der sow- Eigentum ohne Entschädigung ver jetischen Interkontinentalraketen blieb staatlichen ließ. Auf die folgenden US jedoch zunächst gering, wenn auch die Sanktionen reagierte Castro mit einer Propaganda ihre Zahlen maßlos in die Hinwendung zur UdSSR. Die USA Höhe trieb. Die USA reagierten auf versuchten nun ihrerseits, die kubani24
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Der Führer der kubanischen Revolution Fidel Castro ndet im sowjetischen Partei- und Staatschef Nikita Chruschtschow einen Verbündeten
sche Regierung durch geheimdienstliche Operationen zu stürzen – am bekanntesten ist die gescheiterte Invasion von Exilkubanern in der Schweinebucht im April 1961. Nun wünschte sich Castro von der Sowjetunion militärische Unterstützung zum Schutz vor einer amerikanischen Invasion, die Sowjets verfolgten ihrerseits globalstrategische Interessen. Die Krise
Die eigentliche Krise begann am 15. Oktober 1962, als US-Aufklärungsugzeuge im Aufbau bendliche Raketenstellungen auf Kuba fotograerten. Es handelte sich um Mittelstreckenraketen vom sowjetischen Typ SS-4 und SS-5. Für die Sowjetunion hatten die Mittelstreckenraketen auf der Karibikinsel faktisch die Funktion von Inter-
Reichweite sowjetischer Mittelstreckenraketen vom Typ SS-4 und SS-5
John F. Kennedy, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika
kontinentalraketen, denn sie bedrohten direkt amerikanisches Gebiet. Außerdem besaßen sie den Vorteil, dass ihre Stationierung weitaus billiger war als die Produktion und Aufstellung weiterer Interkontinentalraketen, vom außenpolitischen Prestigegewinn ganz abgesehen. Und schließlich war bei einem eventuellen Angriff von Kuba aus die Vorwarnzeit für die amerikanische Abwehr deutlich geringer. Der amerikanische Präsident John F. Kennedy handelte schnell und initiierte einen Ausschuss zur Krisenbewältigung, das sogenannte Ex-Comm (»Executive-Commitee«), mit dem Ziel des zentralen Krisenmanagements. Im ExComm wurden systematisch alle möglichen Gegenmaßnahmen erwogen, inklusive eines Einsatzes von Atomwaffen! Am 22. Oktober 1962 gab die amerikanische Regierung die Entdeckung der sowjetischen Raketen auf Kuba öffentlich bekannt. Als Reaktion blockierten die USA die Insel und forderten den sofortigen Abzug der Trägersysteme. Damit hatte Kennedy eine verhaltene Antwort auf die sowjetische Provokation gewählt, bedenkt man, dass die Vereinigten Staaten die Kari bik strategisch als ihren »Hinterhof« betrachteten. Obwohl sich sowohl sow jetische Kriegssch Kriegsschiffe iffe als auch Transpor ranspor-ter auf dem Weg nach Kuba befanden, wagte keines der von der Blockade betroffenen Schiffe einen Durchbruchsversuch. Es kam allerdings teilweise zu höchst brenzligen Situationen. Die Sowjets waren nicht bereit, ihre Raketen ohne Gegenleistung abzuziehen, die US-Streitkräfte befanden sich in höchster Alarmbereitschaft. Am 26.
Oktober teilte der sowjetische Staatsund Parteichef Nikita Chruschtschow den Vereinigten Staaten mit, dass er im Gegenzug zu einem Verzicht der USA auf eine Invasion Kubas bereit wäre, die Raketen abzuziehen. Einen Tag später verschärfte sich die Krise nochmals, als über Kuba ein amerikanisches U-2-Spionageugzeug abgeschossen wurde. Die Sowjets machten nun in einer zweiten Forderung zusätzlich den Abzug amerikanischer Mittelstreckenraketen streckenraket en aus Europa zur Bedingung. Das Ex-Comm ignorierte aber diese zweite Botschaft und bedeutete den sowjetischen Gesandten, dass man mit dem ersten Angebot einverstanden sei. Die Sowjets akzeptierten diesen amerikanischen Vorschlag unter dem
Weltöffentlichkeit zu wahren (die USMittelstreckenraketen aus dem NATOStaat Türkei wurden von der Öffentlichkeit unbemerkt absprachegemäß abgezogen). Somit konnte eine Eskalation der Lage verhindert werden. Das Nachspiel
Die Kuba-Krise stellte einen Wendepunkt im Handeln der Supermächte dar. Durch die Kriegsgefahr entwickelte sich eine neue Qualität in den Beziehungen. Die Einrichtung des »Heißen Drahtes«, einer direkten Verbindung zwischen Weißem Haus und Kreml, ist ein Beispiel für die beginnende Entspannung. Wenngleich Wenngleich in den Ländern der Dritten Welt auch künftig »Stellvertreterkriege« tobten und in Europa der a p d
Auf dem sowjetischen Frachter Anosov werden am 10. November 1962 durch Planen verdeckte Raketenteile zurück in die UdSSR transportiert
Vorbehal orbehaltt weiterer Verhandlun Verhandlungen gen und zogen ihre nach Kuba entsandten Schiffe mit den Raketen zurück. Damit war die kritische Situation entschärft.
Kalte Krieg bis in die achtziger Jahre dauerte, gab es doch nach der KubaKrise keine direkte militärische Konfrontation zwischen den beiden Weltmächten mehr.
Das Fazit
Die Sowjetunion beendete somit die Krise, indem sie dem amerikanischen Druck nachgab. Letztlich zeigte sich, dass die UdSSR keineswegs gewillt war, wegen der Raketenfrage einen Atomkrieg zu entfachen. Chruschtschow hatte mit der Stationierung die USA überrumpeln und so vollendete Tatsachen schaffen wollen. Präsident Kennedy war jedoch nicht bereit, eine solche Aktion zu tolerieren. Er wählte aber mit Hilfe des Ex-Comm eine Lösung, die beiden Seiten die Möglichkeit gab, ihr Gesicht vor der
Der Film
Den Film zur Krise gibt es mittlerweile auch. Der Politthriller »Thirteen Days« aus dem Jahr 2000 beschreibt die Ereignisse aus der Sicht von Kennedys politischem Berater O´Donnell (Kevin Costner) und zeigt, wie Präsident Kennedy (Bruce Granwood) mit der Situation umging. Der Film geht nicht nur auf die äußeren Aspekte der Krise ein, sondern beschreibt auch spannend die internen Konikte im ExComm. Markus Wackerbeck
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Service
Medien online/digital
Unsere Themen@ im Internet
V
n
iele Angebote zur historischen Bildung sind mittlerweile auch im Internet zu nden. Die meisten Museen und Ausstellungen werden mit allen Texten, Exponaten und Bildern vorgestellt, häug ist sogar ein virtueller Besuch der Veranstaltungen möglich. Und um die entsprechende Ausstellung zu entdecken, Öffnungszeiten, Verkehrsverbindungen oder Preise zu erfahren, kann man ch ebenfalls das Netz nutzen.
6 www.
ghwk.de
Hier erhält der Betrachter u.a. einen Einblick in das Originalprotokoll der Wannsee-Konferenz
line
3 www.preussen-chronik.de
6 www.preussenmuseum.de
A
ber auch für »kleinere« Angebote rund um die Geschichte können Sie im www. fündig werden:
Fernsehdokumentationen, Radiosendungen oder kleine Sonderausstellungen zur Militärgeschichte können Sie ganz gezielt suchen. ch
4
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www.ZDF www .ZDF.de .de
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2002
Ausstellungen •
Berlin
e-mail: sekretariat@
•
Laboe
bayerisches-armeemuseum.de Haus der WannseeKonferenz
Dienstag bis Sonntag 8.45 bis 16.30 Uhr Bis 31. Dezember 2002 Verkehrsanbindungen: Ab Hauptbahnhof bis Bushaltestelle »Roßmühlstraße/ Paradeplatz«
Gedenk- und Bildungsstätte Am Grossen Wannsee 56–58 14109 Berlin Telefon: (0 30) 80 50 01 0 Telefax: (0 30) 80 50 01 27 www.ghwk.de e-mail:
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10.00 bis 18.00 Uhr
Täglich Verkehrsanbindungen: Fernzüge, Regionalexpress oder S-Bahn: S1 und S7 bis S-Bahnhof »Wannsee«, dann Bus 114 bis Haltestelle »Haus der WannseeKonferenz« Mascha, Nina und Katjuscha. Frauen in der Roten Armee 1941–1945
Preußen und Bayern. Zeugnisse preußischer Militärgeschichte aus dem Bayerischen Armeemuseum
Bayerisches Armeemuseum Paradeplatz 4 85049 Ingolstadt Telefon: (08 41) 93 77 0 Telefax: (08 41) 93 77 200 www.bayerischesarmeemuseum.de
Dienstag bis Sonntag 8.00 bis 16.00 Uhr bis 6. Januar 2003 Verkehrsanbindungen: Ab Hauptbahnhof bis Bushaltestelle »Roßmühlstraße/ Paradeplatz« •
Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst Zwieseler Str. 4 10318 Berlin Telefon: (0 30) 50 15 08 10
Kassel
Erinnern & Gedenken. Kunst auf Kriegsgräberstätten
15. November 2002 bis 23. Februar 2003 Verkehrsanbindungen: S-Bahn: S 3 bis S-Bahnhof »Karlshorst«; U-Bahnlinie 5: Station »Tierpark«; Bus 396 •
www.museen.nuernberg.de
Strandstraße 92 24235 Laboe Telefon: (0 43 43) 4 27 00 Telefax: (0 43 43) 42 70 70
Von der Steinschloßinte zum Repetiergewehr. Württembergische Waf Waffenfenkonstruktionen im 19. Jahrhundert.
www.museen. schleswig-holstein.de
9.30 bis 16.00 Uhr 16. Oktober 2002 bis 15. April 2003 •
München
Reduit Tilly Bayerisches Armeemuseum Paradeplatz 4 85049 Ingolstadt Telefon: (08 41) 93 77 0 Telefax: (08 41) 93 77 200 ð
Verkehrsanbindungen: Straßenbahnlinien 4 und 9 und S-Bahnlinie 2 •
Rastatt
Wehrgeschichtliches Museum, Schloss Rastatt (Barockresidenz) Herrenstraße 76437 Rastatt Telefon: (0 72 22) 3 42 44, Telefax: (0 72 22) 3 07 12 www.wgm-rastatt.de
(Wehrmachtausstellung) Münchner Stadtmuseum St.-Jakobs-Platz 1 80331 München Telefon: (0 89) 23 32 23 70 Telefax: (0 89) 23 32 50 33
bis 8. Dezember 2002
Dienstag bis Sonntag 9.30 bis 17.00 Uhr
•
Suhl
Kalaschnikow. Mythos Kalaschnikow. und Fluch einer Waf Waffe. fe.
www.stadtmuseum-online.de www.verbrechender-wehrmacht.de
•
Nürnberg
Waffenmuseum Suhl. Spezialmuseum zur Geschichte der Handfeuerwaffen Friedrich-König-Straße 19 98527 Suhl Telefon: (0 36 81) 72 06 98 Telefax: (0 36 81) 72 13 08 www.waffenmuseumsuhl.de
[email protected] bis 28. Februar 2003
Ingolstadt
Die Festungsstadt Ingolstadt im 15.–19. Jahrhundert
Montag bis Freitag 9.00 bis 18.00 Uhr Samstag und Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr
Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944
8. Oktober bis 24. November 2002 Verkehrsanbindungen: U-Bahnhöfe »Marienplatz« und »Sendlinger Tor«
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr
Reichsparteitagsgelände Telefon: (0911) 2 31 54 20
Marine-Ehrenmal und U-Boot-Museum Vor 75 Jahren (1927) wurde das Marine-Ehrenmal in Laboe errichtet. Es ist gleichzeitig Gedenkstätte für die auf See Umgekommenen Umgekommen en aller Nationen und Mahnmal für eine friedliche Seefahrt. Ausstellung zur Geschichte der Marine und dem begehbaren U-Boot U 995.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr Montag geschlossen
www.museum-karlshorst.de
Service
Dienstag bis Samstag 9.00 bis 16.00 Uhr, Sonn- und Feiertags 10.00 bis 16.00 Uhr
Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Bundesgeschäftsstelle Werner-Hilpert-Straße 2 34112 Kassel Telefon: (05 61) 70 09 0 Telefax: (05 61) 70 09 270 www.volksbund.de
Montag bis Samstag 10.00 bis 16.00 Uhr bis 29. November 2002
Faszination und Gewalt
Dokumentationszentrum ð
Verkehrsanbindungen: Sie nden das Waffenmuseum direkt im Stadtzentrum, gegenüber des Herrenteich Herrenteiches, es, zwischen dem Congress Centrum Suhl und dem Lauterbogencenter.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2002
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Service
Lesetipp
Deutsche Kriegsgefangene
Rüdiger Overmans,
Soldaten hinter Stacheldraht. Deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges, München 2002. ISBN 3-548-36328-8; 336 S., 10,95 €
über die Anzahl und Verteilung der Gefangenen weltweit. Zusammen mit den spannenden, mitunter unvorstell baren Zeitzeugenberichten gibt das Buch Auskunft über das Problem der Gefangenschaft, wenngleich es auch keine Gesamtdarstellung der Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen ist. ch
Der Holocaust
empfohlen, der sich für Zeitgeschichte und insbesondere den Zweiten Weltkrieg interessiert, denn der Krieg und der nationalsozialistische Völkermord sind nicht voneinander zu trennen, vielmehr war der Holocaust integraler Bestandteil dieses Krieges. ch
Die Wannsee-Konferenz
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or sechzig Jahren, am 20. Januar 1942, versammelten sich fünfzehn führende Vertreter Vertreter der obersten Reichsund Parteibehörden des NS-Regimes in einer Villa am Berliner Wannsee. Ihr Gastgeber war Reinhard Heydrich, der Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD). Zweck der Zusammenkunft der Männer war die »Besprechung über die Endlösung der Judenfrage«. Die Ergebnisse ihrer Beratungen hielt Adolf Eichmann in einem als »Geheime Reichssache« deklarierten Protokoll fest. Dieses Dokument
D
er Begriff »Holocaust« (oder auch »Shoa«) steht für fü r die Verfolgung, Gettoisierung und schließlich Ermordung der europäischen Juden während ehr als elf Millionen deutsche der NS-Herrschaft in Deutschland und Soldaten gerieten während des Europa. Dieses in der MenschheitsgeZweiten Weltkrieges in Gefangenschichte einmalige Verbrechen ist wohl schaft, etwa zehn Millionen kehrten das furchtbarste Ereignis des zurückspäter in die Heimat zurück. Die ersten liegenden 20. Jahrhunderts. Mehr als von ihnen wurden schon zu Kriegsfünf Millionen Menschen wurden zu beginn im Jahr 1939 gefangen genomOpfern des nationalsozialistischen Rasmen, und die letzten kehrten erst 1956, senwahns und der »Endlösung der elf Jahre nach Kriegsende, nach Hause Judenfrage«. Der Berliner Professor zurück. Nicht selten erwarteten sie dort Wolfgang Benz beschreibt in diesem private Enttäuschungen, verschlossene Mark Roseman, kleinen Taschenbuch die Geschichte Die Wannsee-Konferenz Wannsee-Konferenz.. Türen und Probleme, beruich wieder des Völkermordes von der AusgrenWie die NS-Bürokratie Anschluss zu nden. Bis zu ihrer zung und Entrechtung bis zum indusden Holocaust Heimkehr mussten sie Zwangsarbeit organisierte, leisten und lebten zum Teil unter erbarBerlin 2002. mungswürdigen Umständen, erlitten ISBN 3-549-07150-7; oft schlimmste Entbehrungen und 221 S., Krankheiten. Und obwohl sie der Front, Wolfgang Benz, 19,00 € also dem eigentlichen KriegsgescheDer Holocaust , hen häug unbeschadet entkommen 4. Au., München 1999. waren, fanden viele von ihnen noch in ISBN 3-406-39822-7; der Gefangenschaft den Tod.
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Der Band entstand auf Grundlage der gleichnamigen ARD-Fernsehreihe und erzählt exemplarisch von fünf deutschen kriegsgefangenen Soldaten des Zweiten Weltkrieges. Weltkrieges. Sie berichten von ihren uns heute abenteuerlich anmutenden Schicksalen; vom Krieg in fernen Länden weitab von zu Hause, von Afrika und Russland, von der Gefangennahme und dem Weg in die Gefangenschaft – zu Fuß nach Sibirien oder mit dem Passagierschiff »Queen Elizabeth« nach Amerika. Sie schildern ihr unterschiedliches Los in sow jetischem, britischem, amerikanischem und französischem Gewahrsam und geben Einblick in die Folgen der Gefangenschaft für ihr weiteres Leben. Am Ende des Bandes nden sich Karten und Tabellen, die eine Übersicht bieten 28
126 S., 7,50 €
ist der wohl deutlichste und detaillierteste schriftliche Beweis für die Pläne des NS-Regimes zur Ermordung der europäischen Juden. Dennoch lässt trialisierten Massenmord der jüdischen die sogenannte Wannseekonferenz bis Bevölkerung in den Vernichtungsla- heute Fragen offen: Weshalb war das gern. Er nennt Zahlenangaben über Treffen Anfang des Jahres 1942 überdie Opfer, die Namen der maßgebli- haupt noch notwendig? Schließlich chen Täter und Belege für deren Taten. waren zu diesem Zeitpunkt bereits HunEin eigenes Kapitel ist dem Mord an derttausende Menschen durch Masden »Zigeunern«, den Sinti und Roma senerschießungen ermordet worden gewidmet, der lange vergessen schien. und erste Vergasungen hatten auch Man schätzt, dass etwa 200 000 bis bereits stattgefunden. Sollte durch die zu einer halben Million Menschen Konferenzteilnehme Konferenzteilnehmerr die konkrete Order nationalsozialistischen »Zigeuner- ganisation künftiger weiterer Massenpolitik« zum Opfer elen. Das Buch morde geplant werden oder ging es gibt einen knappen, aber kompetenten vielmehr darum, die nachgeordneten Überblick über die erschreckende Ge- Apparate in die Planungen einzuweischichte des Holocaust. Es sei jedem hen, sie somit zu Mittätern zu machen?
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2002
Das Buch beschreibt die Vorgeschichte, den Ablauf und die Folgen einer Konferenz, die eine Verabredung zu dem wohl gigantischsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte Menschheitsgeschi chte war. Dabei wird klar, welche Aufgabe und Bedeutung sie im Rahmen des nationalsozialistischen Völkermords hatte. ch
Begegnungen mit »Faulen Säcken« und »Potent »Potentiellen iellen Mördern«
chen wollen. Bergners Begegnungen mit noch weltkriegsgedienten Bundeswehrofzieren, seine Rückblicke auf die nur allzu vertrauten Mühen des Soldatenalltags und die Beobachtungen einer Armee, die sich im Zeichen von Wiedervereinigung und neuen Aufgaben in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess bendet, lassen den Leser schmunzeln, regen ihn aber auch zum Nachdenken an. Bergner beschreibt menschliche Begegnungen, erinnert sich an positive Erlebnisse, macht aber auch kein Hehl aus menschlichen Enttäuschungen. Das Persönliche macht den Reiz des Buches aus. Das Spektrum der vom Autor beobachteten gegenseitigen Vorurteile zwischen den »Systemen« Schule und Militär führt uns vor Augen, wie mühsam die gesellschaftliche Integration von Streitkräften sein kann. ak
Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg
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ilitärhistoriker benutzen den Begegnungen mit »Faulen Säcken« und Begriff »totaler Krieg«, um die »Potentiellen Mördern« – Rückschau eines dramatisch gewachsene Reichweite Engagierten auf Schule und Militär, und Intensität von Kriegen in den letzBerlin 2002. ten beiden Jahrhunderten zu beschreiISBN 3-89626-365-X; 376 S., 19,80 € ben. Seit Seit der Französischen Revolution Revolution sind die Kriege ausgedehnter, länger ehr als 50 Wehrübungen mit und kostspieliger geworden; die wachinsgesamt über 1000 Tagen leis- senden Bedürfnisse moderner Armeen tete der Autor ab, der sich nach dem stellen immer höhere Anforderungen Abitur 1959 vorzeitig zur Ableistung an die Heimatfront. Und so gewann des Wehrdienstes meldete und 1960 die vorher eigentlich unbeteiligte Zivilals Fahnenjunker der Reserve entlas- bevölkerung für die Kriegführung eine eine sen wurde. Seine kritische Rückschau ebenso zentrale Rolle wie die Soldaten bietet ein buntes Bild vom Innenleben und wurde zur Zielscheibe systematider Bundeswehr, die mit ihrer inzwi- scher feindlicher Angriffe – z.B. in Hanschen fast fünfzig Jahre währenden delskriegen gegen die zivile Schifffahrt Existenz längst Teil der deutschen Mili- oder im strategischen Luftkrieg gegen tärgeschichte geworden ist. Wohn- und Industriesiedlungen. Klaus Bergner,
M
Mit viel Liebe zum Detail, einem beeindruckenden Erinnerungsvermögen und nicht selten auch einem beißend-zynischem Unterton werden Erlebnisse und Eindrücke aus der Welt Welt des Militärischen und der Schule, der Autor war stellvertretender Schulleiter, beschrieben. Viele Leser mögen dabei wohl Parallelen zu den Erfahrungen ihrer eigenen Dienstzeit entdecken, manchmal aber auch widerspre-
der Staat in die Kriegführung einbezogen und somit dem militärischen Ziel untergeordnet.
Roger Chickering, Das Deutsche Reich und der
Erste Weltkrieg, München 2002. ISBN 3-406-47592-2; 292 S., 14,90 €
Das Deutsche Reich sah sich im Ersten Weltkrieg einer Koalition gegenüber, die über mehr Soldaten sowie Menschenreserven schenreser ven verfügte und auch mehr Munition, Geschütze und Lebensmittel produzierte, das heißt auf allen kriegswichtigen Gebieten die Möglichkeiten Deutschlands übertraf. Um die völlig illusorischen Kriegsziele der Militärs wie auch der Politiker trotzdem erreichen zu können, wurden umfangreiche Anstrengungen unternommen und sukzessive der »totale Krieg« organisiert.
Der bekannte Historiker Roger Chickering bietet einen Überblick über die Geschichte Deutschlands während des Ersten Weltkrieges in den Jahren 1914–1918. Er beschreibt Kriegsverlauf, Politik und Wirtschaft sowie das Alltagsleben in Deutschland. Und der Leser erfährt viel über die weitreichenden und einschneidenden Folgen des Doch schon bevor NS-Propagandami- Krieges für die Deutschen. Chickerings nister Joseph Goebbels in seiner berüch- Buch zeichnet sich durch eine gute tigten Sportpalastrede am 18.2.1943 Gliederung, einige sinnvoll in den Text den »totalen Krieg« verkündete, war integrierte Karten und Tabellen sowie der Begriff längst geboren und eine durch einen ebenso leicht verständlisolche Kriegführung Realität gewe- chen wie spannenden Stil aus. au s. Trotz Trotz des sen. Französische Politiker sprachen handlichen Formates ist das Taschenwährend des Ersten Weltkrieges erst- buch eine umfassende und exzellente mals von einem »guerre integrale«, Darstellung des Ersten Weltkrieges aus d.h. neben dem Militär wurden auch deutscher Sicht. ch die Wirtschaft, die Gesellschaft und
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Geschichte kompakt
Heeresreform m löst in Preußen Verfassungskrise Verfassungskrise aus 1862 Heeresrefor Die Berufung Otto von Bismarcks zum preußischen Ministerpräsidenten am 23. September 1862 stellte die entscheidende Wende im Konikt zwischen dem preußischen König Wilhelm I. (dem späteren Deutschen Kaiser) und dem preußischen Abgeordnetenhaus dar. Bismarck, der auf Betreiben des Kriegsministers Albrecht von Roon berufen worden war war,, setzte die sogenannte Roon’sche Heeresre Heeresreform form gegen das Parlament durch. Diese wandelte die durch die Reformen von Scharnhorst und Gneisenau Otto von Bismarck, Albrecht Graf von 1807/10 geformte Armee vom VolksRoon und Helmuth Graf von Moltke zum Königsheer. Insbesondere sollten ullstein bild (undatierte Aufnahme) die Wehrpichtigen im neu eingeführten dritten Dienstjahr nun zu königstreuen Untertanen erzogen werden, weswegen die militärische Notwendigkeit der Dienstzeitverlängerung von der liberalen Mehrheit des Parlaments bestritten wurde. Daher verweigerten die Abgeordneten die Zustimmung zum Haushalt, was Bismarck dadurch überwand, daß er ohne deren Beschluss regierte. Er argumentierte, die Regierung des Königs nutze nur eine rechtliche Lücke. Beendet wurde die Verfassungskrise Verfassungskrise erst durch die militärischen Erfolge gegen Dänemark (1864) und Österreich (1866), als die Abgeordneten ag/ch nachträglich das Handeln der Regierung billigten.
Verteidigungsminister erteidigungsminister stürzt über die »Spiegel-Affäre« 1962 V
l e g e i p S ©
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Die »Spiegel-Affäre« vom Oktober/November 1962 war einer der am meisten beachteten innenpolitischen Skandale seit Bestehen der Bundesrepublik und löste eine schwerwiegen schwerwiegende de Regierungskrise aus, in deren Verlauf Verteidigungsminister Franz Josef Strauß am 30. November 1962 zurücktreten musste. Ausgelöst wurde der Skandal durch den Artikel »Bedingt abwehrbereit« im Spiegel am 10. Oktober 1962, der über die NATO-Herbstübung »Fallex 62« berichtete. Wegen des Vorwurfs des Geheimnisverrats wurden die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins von der Polizei durchsucht und mehrere Redakteure festgenommen. Im Zuge der Ermittlungen mussten dann aber sämtliche Beschuldigungen wie Landesverrat und Bestechung fallengelassen und die verhafteten Journalisten freigelassen werden. Verteidigungsminister Strauß, der sich anmaßend in die Arbeit der Justiz eingemischt und auf eine Verfolgung der Journalisten gedrängt hatte, musste von seinem Amt zurücktreten. Bedeutung hat diese Affäre daher weniger auf militärischem als auf innenpolitischem Gebiet erlangt. Sie ist Sinnbild für den schwierigen und umstrittenen Aufbau der Bundeswehr und die Emanzipation der Presse als vierte Gewalt in den 50er und 60er ag/ch Jahren.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2002
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Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung
Vorschau orschau Ü V Vor sechzig Jahren, im September 1942, begann die Deutsche Deutsche Wehrmacht Wehrmacht unter Führung des Generalobersten Friedrich Paulus den Angriff auf die russische Stadt Stalingrad. Doch war dies erst der Auftakt zu einer Tragödie, Tragödie, die den Deutschen wie kaum ein anderes Ereignis des Zweiten Weltkrieges in Erinnerung geblieben ist. Andreas Kunz beschreibt in der nächsten Ausgabe die Schlacht von Stalingrad. Anlässlich des Jahrestages sendet der Deutschlandfunk eine Serie, die vom 18. bis zum 30. November 2002 immer morgens um 8.20 Uhr ausgestrahlt wird. In diesem Zusammenhang werden noch Feldpostbriefe und Erinnerungen von Soldaten oder deren Angehörigen gesucht. Der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher bittet alle Leser, die noch über solche Zeugnisse der Schlacht um Stalingrad verfügen, um Mithilfe: »Stalingrad, der frühere Name der Stadt an der Wolga, ist zu einem Synonym geworden für den verbrecherischen Hitler-Krieg, für unendliches Leid für deutsche und sowjetische Soldaten und ihre Familien, Familien, für die die Menschen, die in Stalingrad lebten, Kinder, Frauen und Männer. Mä nner. Von Von den rund 250 000 00 0 in Stalingrad eingeschlossenen Soldaten, überlebten nur etwa 6000. Der bevorstehende 60. Jahrestag der Schlacht um Stalingrad gibt Anlass, an die Tragödie zu erinnern. Der Deutschlandfunk will jene noch einmal zu Wort kommen lassen, die in Stalingrad kämpften, hungerten, elen, die auf dem Marsch in die Gefangenschaft erfroren; die von einer verantwortungslosen Führung sinnlos geopfert wurden. Ich bitte alle diejenigen unter Ihnen, die noch Feldpostbriefe aus Stalingrad haben, diese dem Deutschlandfunk zugänglich zu machen. Die eindrucksvollsten Briefe werden ausgewählt und zu einer Sendereihe zusammengestellt. Die Briefe senden Sie bitte an folgende Adresse: Deutschlandfunk, Programmdirekt Programmdirektion, ion, Feldpostbriefe, Raderberggürtel 40, 50968 Köln.«
A P B
Militärgeschichte im Bild
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Kanonenboot S.M.S. Panther und Großer Kreuzer S.M.S. Vineta vor Venezuela 1903, Gemälde von Alexander Kircher
Grenze zwischen Kanonenbootpolitik und kriegerischer Intervention überschritten.
Kanonenbootpolitik »Kanonenbootpolitik« (angloamerikanisches Original: gunboat diplomacy) bezeichnet eine verbreitete Methode politischer Pression, die europäische Mächte und die USA gegenüber Staaten und vor allem nichtstaatlichen Gebilden wie z.B. Stammesgesellschaften in Lateinamerika, Afrika, Asien und der Südsee mit maritimen Mitteln seit ca. 1850 anwandten. Wichtigstes Merkmal der Kanonenbootpolitik ist es, dass sich das militärische Einschreiten – im Gegensatz zu einem Krieg – in der Regel unterhalb der Grenze einer Kriegserklärung bewegt, d.h. durch die Ausübung oder Androhung begrenzter maritimer Gewalt.
Der Begriff Kanonenbootpolitik leitet sich vom (Dampf-)Kanonenboot (Dampf-)Kanonenboo t ab, das um 1850 entstand. Erst das kleine, achgehende, dampfgetriebene und modern bewaffnete Kanonenboot konnte unabhängig von Wind und Wetter in den Küstengewässern und auf den Strömen Afrikas (Nil, Niger, Kongo), Lateinamerikas (La Plata, Paraná, Rio Uruguay) und Chinas (Jangtsekiang, Perluß) operieren. Kanonenbootpolitik diente diversen politischen Zwecken: der Etablierung direkter Kolonialherrschaft, der Erzwingung von Handelsverträgen und Öffnung von Märkten (bekanntestes Beispiel ist Japan 1853 durch die U.S. Navy), der Durchsetzung solcher Verträge, Eintreibung daraus resultierender Schulden, dem Schutz eigener Staatsbürger in Übersee oder Strafexpeditionen, z.B. gegenüber aufständischen Stämmen. Ein anderer Aspekt war die Bekämpfung von Aufständischen, die gegen »befreundete« Regierungen opponierten.
Durch die technologisch bedingte Ablösung des Kanonenboots durch modernere Seekriegsmittel ab dem Ende des Ersten Weltkrieges Weltkrieges änderte sich grundsätzlich nichts an den Prämissen der Kanonenbootpolitik. Allerdings ist der koloniale Aspekt zunehmend in den Hintergrund getreten, was sich auch in den seit den 60er Jahren gebräuchlichen alternativen Bezeichnungen ausdrückt: »Koerzive Diplomatie« (Coercive Diplomacy), »Humanitäre Intervention« (Humanitarian Intervention) oder »OOTW« (Operations Other Than
Infolge der Niederlage im Ersten WeltWeltkrieg und des Verlustes der Kolonien konnte Deutschland nur bis 1914 Kanonenbootpolitik betreiben. Beispiele sind der Nicaraguakonikt 1878, der »Pfannenkrieg von Amoy« in China 1882, die Etablierung der Kolonialherrschaft in Kamerun im Dezember 1885 durch die Beschießung Dualas, der »Boxeraufstand« in China 1900, die Versenkung des haitianischen Rebellenkreuzers »Crête à Pierrot« durch S.M.S. »Panther« 1902 und die Venezuelablockade 1902/03. Hinzu kamen Dutzende von Polizei- und Strafaktionen in den deutschen Kolonialgebieten in Westund Ostafrika und der Südsee sowie von 1901 bis 1914 eine Patrouille auf dem Jangtsekiang 5 Kanonenboot II. Klasse S.M.S. Otter wurde als Piratenjäger für chinesische Gewässer konzipiert durch die eigens konZeichnung, um 1878 von H. Penner struierten Flusskanonen boote »Otter« und »V »Vaterland«. aterland«. Der War). Wirklich neu ist lediglich die bekannte »Panthersprung nach Aga- immer weiter gehende Einbeziehung dir« während der 2. Marokkokrise von Luftstreitkräften und Spezialkomim Jahre 1911 dagegen richtete sich mandos in solche Operationen und nicht gegen Marokko selbst, sondern die Tatsache, Tatsache, dass auch ein ehemaliges gegen Frankreich und damit gegen eine Opfer der Kanonenbootpolitik wie z.B. konkurrierende Großmacht. Die Nie- China inzwischen in der Lage ist, sie derschlagung des sogenannten Boxer- selbst anzuwenden, wie der Konikt aufstands 1900 in China wurde zur um die Spratly-Inseln im Südchinesigrößten westlichen Intervention (ein- schen Meer gezeigt hat. schließlich Russlands Russla nds und Japans) überhaupt in der nichteuropäischen Welt; Eng mit der Kanonenbootpolitik verallein das Deutsche Reich stellte ein wandt ist der »Kleine Krieg« (small Linienschiffsgeschwader (Linienschiff war), ein Begriff, der um 1900 anlässlich = Vorläufer des Schlachtschiffs) und des Burenkriegs geprägt wurde und Dutzende Kreuzer, Kanonen- und Tor- nach dem Ende des »Kalten Kriegs« pedoboote. Damit wurde allerdings in um 1990 erneut aktuell wurde. Gerhard Wiechmann der zweiten Phase des Koniktes die
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P U B L I K A T I O N E N des Militärges Militärgeschichtlichen chichtlichen Forschungsamtes
Reihe
Militärgeschichte der DDR
B a nd 3
Band 1:
B a nd 1
Band 2
B a nd 4
Band 5
Torsten Diedrich, Rüdiger Wenzke, Wenzke, Die getarnte Armee. Geschichte der Kasernierten Volkspolizei der
DDR 1952 bis 1956. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Berlin: Ch. Links Links Verlag 2001, 34,80 €, ISBN: 3-86153-242-5
Band 2:
Stephan Fingerle, Waffen in Arbeiterhand? Die Rekrutierung des Ofzierkorps der Nationalen Volksarmee und
ihrer Vorläufer Vorläufer.. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Berlin: Ch. Links Links Verlag 2001, 20,50 €, ISBN: 3-86153-243-3
Band 3:
Armee ohne Zukunft. Das Ende der NVA NVA und die deutsche Einheit. Zeitzeugenberichte und Dokumente.
Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Hans Ehlert unter Mitarbeit von Hans-Joachim Beth, Berlin: Ch. Links Verlag 2002, 2002, 24,90 €, ISBN: 3-86153-265-4
Band 4:
Armin Wagner, Wagner, Walter Ulbricht und die geheime Sicherheitspolitik der SED. Der Nationale Verteidigungsrat
der DDR und seine Vorgeschichte (1953–1971). Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Berlin: Ch. Links Verlag 2002, 34,80 €, ISBN: 3-86153-280-8
Band 5:
Volksarmee. Zur Rolle der SED bei der inneren Frank Hagemann, Parteiherrschaft in der Nationalen Volksarmee.
Entwicklung der DDR-Streitkräfte (1956–1971). Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Berlin: Ch. Links Verlag 2002, 24,90 €, ISBN: 3-86153-279-4