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DIE ZEIT N o 4 1
WISSEN
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Besondere Zahlenreihen sind selbst für Zahlenfüchse eine Herausforderung Grafik, Seite 40
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Eine Institution gerät ins Wanken Die Cochrane-Vereinigung ist für die Medizin unverzichtbar Es könnte so schön sein. Man könnte sich feiern für eine 25-jährige Erfolgsgeschichte, stolz zurückblicken auf das, was man für eine bessere Medizin auf der ganzen Welt geleistet hat. Doch geredet wird gerade nur über eines: über die große Krise. Es geht um die Cochrane Collaboration, einen Zusammenschluss von Ärzten und Forschern aus mehr als 130 Ländern, d er 1993
gegründet wurde. Eines seiner ersten Mitglieder, der dänische Mediziner Peter Gøtz-
sche, wurde kürzlich nicht nur aus der Leitung ausgeschlossen, sondern gleich aus der Vereinigung. Wegen »schlechten Verhaltens«, hieß es.
Genaueres weiß man nicht. Vier Mitglieder
verließen daraufhin aus Protest das Gremium.
Schon jetzt schwächen die internen Ausein-
andersetzungen die Schlagkraft der Organisation. Hält der Streit an, dürfte das Auswirkun-
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G n i t r a M ; ) « s n i w T » e i r e S r e d s u a n a l i M d n u l e o N ( ó k n i V i d l á G i d n A : s o t o F
Eineiige Zwillinge sehen gleich aus, denn sie besitzen identische Erbanlagen
Sie werden, was sie sind Eltern können auf die Persönlichkeit ihrer Kinder kaum Einfluss nehmen. Jahrzehntelange Forschungen zeigen: Die wichtigsten Charaktermerkmale von Menschen sind von der Geburt an festgelegt – sagt der Verhaltensgenetiker ROBERT PLOMIN
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Jahrhunderts erts als Wissens Wissenschaft chaft mengen an Ergebnissen, die alle eine Botschaft er Kinder großzieht, hat Anfang des 20. Jahrhund heutzutage eine anstren- etablierte, stellte sie die Einwirkung der Umgebung, haben: Sie zeigen den massiven Einfluss der Gene gende Aufgabe vor sich. vor allem die der Eltern, als formende Kraft mensch- auf alle Merkmale, die uns Menschen unterscheiViele Eltern glauben, sie lichen Verhaltens ins Zentrum ihrer Theorien. Die den. Das heißt, die körperlichen und psychischen seien vollständig dafür Doktrin des »Environmentalismus« – wir sind, was Differenzen zwischen Individuen – in Bezug auf verantwortlich, wie sich wir gelernt haben – dominierte über Jahrzehnte das Größe, Intelligenz, geistige Gesundheit oder Perihr Nachwuchs entwi- psychologische Denken. Schon bei Freud galt das sönlichkeitsmerkmale wie Offenheit, Motivationsckele: wie gut ihre Kinder in der Schule sind; ob sie familiäre Umfeld als der Schlüsselfaktor unserer fähigkeit oder Selbstkontrolle werden zu einem glücklich und zufrieden aufwachsen; wie umgäng- psychischen Entwicklung. Schizophrenie etwa großen Teil durch erbliche Unterschiede in unserer lich und freundlich sie werden. Die gute Nachricht wurde als Folge mütterlichen Fehlverhaltens in den DNA hervorgerufen. Besonders deutlich zeigt sich das bei Krankfür alle, die unter dieser umfassenden Verantwort- ersten Lebensjahren von Kindern verstanden. Erst in den 1960er-Jahren begannen Genetiker, heiten: Ob Kinder eine Schizophrenie oder eine lichkeit leiden: Das ist nicht wahr. Wahr ist: Eltern sind zwar unerhört wichtig für das Leben ihrer diese Erklärung menschlicher Verhaltensunter- bipolare Störung entwickeln, hängt zu 80 ProKinder. Zugleich aber haben sie auf deren persön- schie schiede de zu revidieren. Tatsächlich häufen sich psy- zent davon ab, was sie von ihren Eltern erben. liche Entwicklung kaum einen Einfluss. chische Merkmale und Krankheiten in Familien. Bei Charaktermerkmalen ist der erbliche EinStattdessen ist das größte Geschenk der Eltern Aber liegt das an der familiären Umgebung, also fluss geringer, aber über alle psychischen Merkan ihre Kinder – ihr Erbgut. Für viele Menschen der Erziehung? Nach und nach stellten Forscher male hinweg bestimmt er über die Hälfte der ist das schwer zu glauben. Eltern haben die tiefe die Frage, ob nicht viel eher genetische Ursachen Unterschiede. Die Ergebnisse dieser Studien haben WissenÜberzeugung, dass ihre Erziehung einen entschei- für diese Ähnlichkeiten in Familien verantwortlich denden Faktor für das künftige Leben ihrer Kin- sind. Schließlich sind die Erbanlagen von Kindern schaftler um Peter Visscher und Danielle Postder darstellt. Sie ernähren sie, sie helfen ihnen, zu 50 Prozent identisch mit denen ihrer Eltern huma 2015 noch einmal in einer Meta-Analyse abschließend bestätigt, die mehr als 2700 Verlesen und schreiben zu lernen; sie ermutigen und ihrer Geschwister. In den vergangenen vier Jahrzehnten haben öffentlichungen mit über 14.000 Zwillingspaaren schüchterne Kinder oder bringen sie dazu, ein Instrument zu üben. Warum sonst sollten Eltern Wissen Wissenschaftler schaftler besonder besonderee Verwandtsc Verwandtschaftsverh haftsverhältält- einschloss. Darüber hinaus liefern sogenannte Erziehungsratgeber kaufen? Warum wird ihnen nisse untersucht, um die jeweiligen Effekte von genomweite Assoziationsstudien Assoziationsstudien bereits seit zehn Beweise für die Erblichkeit vieler menschmenschständig erklärt, wie sie es richtig machen, und Genen und Umwelt präzise zu messen – Familien Jahren Beweise zugleich die Angst geschürt, dass sie es falsch mit ein- oder zweieiigen Zwillingen und solche licher Eigenschaften. Sie identifizieren nämlich machen könnten? Nun ist der Einfluss der Eltern mit Adoptivkindern. Dabei verglichen sie zum präzise die vielen Stellen im Genom, die für die in manchen Bereichen nicht von der Hand zu Beispiel, inwiefern sich eineiige Zwillingspaare Erblichkeit einer bestimmten Eigenschaft verweisen – wer zu Hause keine Manieren lernt, (genetisch zu 100 Prozent identisch) von zwei- antwortlich sind: Zum Beispiel kennen wir seit wird zeitlebens damit Mühe haben. Doch in Bezug eiigen Paaren (genetisch zu 50 Prozent identisch) der Veröffentlichung der bislang größten Assoziaauf Persönlichkeitsmerkmale wie Intelligenz, unterscheiden. Ebenso aussagekräftig sind solche tionsstudie vor wenigen Wochen über 1200 Orte Schüchternheit oder Musikalität wird der Eltern- Erhebungen bei identischen Zwillingen, die nach im Erbgut, die mit Unterschieden bei Bildungsder Geburt in unterschiedlichen Familien auf- erfolg und IQ korrelieren. Das Resultat aus 40 einfluss enorm überschätzt. Zwillingsstudien lautet, vielfach repliziert Die Ursachen für diese Fehleinschätzung liegen wuchsen. Tausende dieser und ähnlicher Studien Jahren Zwillingsstudien über hundert Jahre zurück. Als sich die Psychologie mit vielen Tausend Zwillingspaaren lieferten Un- und abgesichert: Unsere genetische Ausstattung
Unser Gastautor Robert Plomin ist der führende
Robert Plomin
Experte für die Erforschung der erblichen Grundlagen menschlichen menschlichen Verhaltens. Der Psychologe und Genetiker stammt aus den USA und arbeitet seit 1994 am Londoner King’s College. Plomin ist weltweit bekannt für seine Zwillingsstudien. Aus diesen lassen sich weitreichende Schlüsse zum
Zusammenspiel von Genen und Umwelt ziehen. Mehr als 800 wissenschaftliche Arbeiten hat Plomin zu diesem Thema veröffentlicht veröffentlicht.. In diesen Tagen erscheint in Großbritannien und den USA sein neues Buch »Blueprint: How DNA Makes Us Who We Are« (Allan Lane/ Penguin). Darin zieht Plomin eine Bilanz seiner
bestimmt mindestens zur Hälfte, wie wir uns in unseren wichtigsten Charaktermerkmalen von anderen unterscheiden. Damit wäre die »Umwelt« für die andere Hälfte der psychologischen Unterschiede verantwortlich. Die Forschung hat allerdings gezeigt, dass die Umwelt nicht so funktioniert, wie man lange glaubte. Meist wurden Umwelteinflüsse als Hege und Pflege (englisch nurture) bezeichnet: Die Familie galt als entscheidender Faktor dafür, wer wir werden. Doch die Forschung hat gezeigt, dass wir im Wesentlichen Wese ntlichen die gleiche Person Person wären, wenn wir bei der Geburt adoptiert und in einer anderen Familie aufgewachsen wären. Das zeigen die erwähnten Studien mit eineiigen Zwillingen. Wachsen sie nach der Geburt getrennt auf, entwickeln sie sich sehr ähnlich wie solche, die zusammen in derselben Familie großgezogen werden. Auch Kinder, die gleich nach der Geburt adoptiert werden, ähneln ihren biologischen Eltern, nicht jedoch ihren Adoptiveltern. Wie ist das möglich? Zuerst Zuerst muss man verstehen, dass die Wissenschaft unter »Umwelt« alles zusammenfasst, was nicht erblich ist, also nicht nur die Eltern und Geschwister. Auch Krankheiten und unsere Ernährung gehören dazu sowie all die Menschen, die uns im Leben begegnen: Freunde und Partner, Lehrer oder Kollegen. Sie alle setzen uns sozialen Erfahrungen aus, sie berühren uns, sie freuen, ärgern oder ängstigen uns, wir lernen von ihnen – aber sie ändern nicht fundamental unsere Persönlichkeit. Denn diese »Umwelt«-Erfahrungen, das zeigen die Untersuchungen deutlich, sind meist unsystematisch, spezifisch und instabil – Fortsetzung auf S. 36
40-jährigen Forschung und postuliert eine »neue Genetik«, die nach seiner Ansicht umfassende soziale und gesellschaftliche Konsequenzen haben wird. Seine provokativen Befunde haben zum Teil heftige Kritik hervorgerufen und sorgen in englischsprachigen Medien Me dien und Fachjournalen für erregte Debatten.
gen auf die Medizin insgesamt haben. Und das wäre fatal. Cochrane hat in seinen 25 Jahren eine große Bedeutung für den ärztlichen Alltag erlangt. Die Vereinigung steht mit ihrer Arbeit für die sogenannte evidenzbasierte Medizin, in der Ärzte ihre Entscheidungen für oder gegen eine Therapie mit wissenschaftlichen Belegen begründen sollen. Dafür durchforsten die Mitglieder von Cochrane die Literatur nach Studien, die den Nutzen der medizinischen Verfahren für den Patienten untersuchen. Nur die methodisch besten Analysen Analysen fließen ins Urteil der Experten ein. An ihrer Bewertung sollen sich die Ärzte orientieren. Cochrane gilt als sehr kritisch gegenüber allen Akteuren Das Cochrane-Logo im Gesundhe Gesundheitswesen, itswesen, steht neuerdings dem Druck der Phar- für eine Krise mafirmen hat die Organisation meist standgehalten. So manche zuvor hochgelobte und scheinbar plausible Methode fiel bei den CochranePrüfern durch. Peter Gøtzsche war dabei besonders kompromisslos. Fand er in seinen Bewertungen keinen Beleg für einen Nutzen, formulierte er sein Urteil ohne Schnörkel – und ohne diplomatisches Geschick, oft auch gegenüber Cochrane-Kollegen, die zu einer weniger eindeutigen Bewertung kamen. Die Früherkennung von Brustkrebs per Mammografie etwa verdammte er als schädlich und plädierte dafür, sie aufzugeben. Man kann darüber streiten, ob man von diesem Vorkämpfer für eine evidenzbasierte Medizin mehr Kompromissbereitschaft verlangen muss oder ob es auf einem Multimilliarden-Markt wie der Medizin nicht genau das braucht: Ehrlichkeit und Unbeugsamkeit. Wichtig ist jetzt, dass die aktuelle Krise nicht dazu führen darf, die Arbeit von Cochrane generell in Zweifel zu ziehen. Denn bei aller berechtigten Kritik an der Vereinigung muss man sich über eines im Klaren sein: Die Arbeit von Cochrane ist unentbehrlich für eine Medizin, der es um das Wohl des Patienten geht statt um die Interessen einer Industrie. J A N S C H W E I T Z E R
HALBWISSEN
Großzügig? Ein Stuhl ist frei, zwei Leute möchten sitzen, was tun? Entweder A setzt sich schnell hin – und quält sich mit Gewissensbissen herum: Bin ich ein Egoist? Oder er wartet, bis B sich setzt, und fühlt sich schlecht behandelt. Doch es gibt den dritten Weg zu einer Win-win-Sit Win-w in-Situation uation:: A bittet B, sich zu setzen. setzen. Dann hat A das Gefühl, großzügig zu sein (und B freut sich sowieso). Psychologen der Universität Chicago haben jetzt eine Super-Win-win-Lösung für diesen Fall erforscht. A lädt B zum Sitzen ein, doch B will noch generöser erscheinen und überlässt A den Stuhl. Zwei tolle Menschen! 70 Prozent der Studienteilnehmer funktionierten so. Der Mensch ist gut, die Welt nicht verloren. Oder? Die Forsche Forscherr zweifeln und geben ihrer Studie ein vergiftetes Motto: »Wie man den Kuchen verschenkt und ihn trotzdem verputzt«. Denn die generöse Geste ist scheinheilig und zeigt, wie man auch noch Freundlichkeit und Empathie zum Gegenstand eiskalten Kalküls machen kann. Der Mensch ist ein mieses Monster. BUS
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Fortsetzung Sie werden, was sie sind Fortsetzung
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kurz gesagt, sie sind zufällig. Und deshalb bleiben sie in der Regel ohne nachhaltige Wirkung. Nun scheint das für den Einfluss der Eltern gerade nicht zu gelten. Ist dieser nicht stabil und systematisch, vor allem in den ersten Lebensjahren? Und kennt nicht jeder aus seinem Umfeld schwierige Kinder, die wenig Liebe von zu Hause erfahren und prompt zu antisozialem Verhalten neigen? Tatsächlich gibt es eine Korrelation zwischen der Einstellung der Eltern zu ihren Kindern und deren sozialem Verhalten. Es liegt nahe, dies so zu interpretieren, dass eine negative Erziehung ursächlich für das unsoziale Verhalten der Kinder verantwortlich ist. Die Zwillings- und Adoptionsstudien beweisen aber das Gegenteil: Die Ursache liegt in den geerbten Veranlagungen der Kinder. Der Einfluss der Eltern beschränkt sich darauf, auf die genetisch bedingte Neigung ihrer Kinder zu reagieren und so deren Tendenz zu unsozialem Verhalten noch zu verstärken – oder ihnen zu zeigen, wie man klug gegensteuern kann. An der Tendenz selbst können sie jedoch nichts verändern. Ähnlich sieht es mit dem Bildungse Bildungserfolg rfolg aus. Einer der stärksten Einflussfaktoren für den Bildungsabschluss von Kindern sind die AusbildungsANZEIGE
15. November 2018 • Frankfurt am Main
Mit: Věra Jourová, EU-Kommissarin für Recht, Verbraucherschutz und Gleichstellung
www.deutscheswirtschaftsforum.de
jahre der Eltern. Eltern. Deshalb haben Akademik Akademikerkinder erkinder oft Akademikereltern. Dieser Zusammenhang wird traditionell als umweltbedingt interpretiert. Es ist ja auch vernünftig, anzunehmen, dass gut ausgebildete Eltern ihren Kindern bessere ökonomische Voraussetzungen für gute Leistungen in der Schule bieten. Allerdings haben die vielen Familienstudien auch hier nachgewiesen, dass der Großteil dieses Zusammenhanges genetisch bedingt ist – sozioökonomisch gut gestellte Eltern sind meist überdurchschnittlich intelligent und haben aus genetischen Gründen auch eher intelligentere Kinder als der Durchschnitt. Das heißt nicht, dass man sich um Erziehung nicht zu kümmern brauchte und dass es einzig und allein auf die Genetik ankäme. Natürlich ist es sinnvoll, seine Kinder zu fördern, sie etwa bei den Schulaufgaben zu unterstützen und sie generell zum Lernen zu ermutigen. Doch ebenso wichtig ist, dass Eltern verstehen: Ihre Kinder sind keine Tonklumpen, die sie nach Belieben formen können. Eltern sind keine Zimmerleute, die ein Kind nach einem Plan b auen können. Sie sind nicht einmal Ziergärtner, die eine Pflanze so pflegen und beschneiden, dass am Ende ein bestimmtes Ergebnis steht; sie gleichen eher Blumenfreunden, Blumen freunden, die wissen, dass sie zwar gießen und düngen müssen – dass sie aber ihre Pflanzen nur zum Wachsen anregen, sie aber nicht dazu zwingen können.
In einem weiteren Punkt irrten diejenigen, die meinten, nur unsere soziale Umgebung bestimme uns Menschen. Die Umwelt ist nichts, das uns zufällig begegnet und dem wir passiv ausgesetzt sind. Wir gestalten sie vielmehr aktiv nach unseren erblich bedingten Neigungen. Genetiker kennen verschiedene Formen dieses Wechselspi We chselspiels. els. Die wirkmäch wirkmächtigste tigste Form nennen sie »aktive Gen-Umwelt-Korrelation«: Kinder suchen sich spezifische Erfahrungen, die mit ihren genetischen Veranlagungen korrelieren; ja sie modifizieren und erschaffen sie sogar. Zum Beispiel lesen intelligentere Kinder oft früher und mehr, sie suchen sich geistig anregendere Freunde, sie fordern mehr intellektuelle Herausforderungen von ihren Lehrern. Sportliche Kinder tollen und turnen früh herum, suchen sich andere sportliche Kinder, bekommen Lob, das sie weiter anspornt, gehen in einen Verein, was wiederum ihre sportlichen Fähigkeiten verbessert – ein sich selbst verstärkender Prozess. In der Gesamtschau kann man also sagen: Vererbte DNA-Differenzen sind die wichtigste Bedingung dafür, zu dem zu werden, was wir sind. Noch einmal: Wir wären im Großen und Ganzen dieselbe Person, wenn wir bei der Geburt adoptiert und bei anderen Eltern aufgewachsen wären, eine unterschiedliche Schule besucht und andere Freunde hätten. Es gibt allerdings einige wichtige Vorbehalte für diese Erklärung unserer Entwicklung. Die erste Einschränkung: Auch wenn Eltern im Durchschnitt wenig Einfluss auf die Psyche ihrer Kinder haben, kann eine einzelne Mutter, ein bestimmter Vater in einer besonderen Situation viel bewirken. Wenn ein intelligentes Kind aus irgendeinem Grund Probleme hat, dem Unterricht zu folgen, können einzelne Eltern eventuell mit Erfolg eingreifen. Der zweite Vorbehalt: Die Erblichkeitsforschung untersucht Unterschiede, wie sie im Durchschnitt in einer bestimmten Population zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehen. Sie lässt sich nicht für alle Gesellschaften Gesellschaften zu allen Zeiten verallgemeinern. Ein gutes Beispiel dafür liefert das Körpergewicht, genauer der BodyMass-Index (BMI). In unseren heutigen westlichen Gesellschaften erweisen sich die Unterschiede im BMI zu fast 70 Prozent als erblich. Denn die Umwelt wirkt kaum als Beschränkung. Essen ist im Überfluss verfügbar, verfügbar, fast alle Menschen haben eine ähnliche Kalorienbasis. Die Varianz des BMI ist also hauptsächlich genetisch zu erklären. Ganz anders hingegen wäre : das Ergebnis, hätte man die deutsche Bevölkerung 1947 untersucht, nach mehreren Hungerjahren. Da wäre der BMI vor allem durch das eingeschränkte Nahrungsangebot bestimmt, erbliche Einflüsse wären kaum messbar – auch wenn die Menschen über dieselben Gene verfügten. Meine Schlussfolgerungen beschränken sich also auf die vornehmlich untersuchten westlichen Kulturen der Jetztzeit. In anderen Kulturen mit einem anderen Zusammenspiel aus Genetik und Umwelt könnte der Einfluss der Eltern weit größer sein. Dasselbe kann in unserer Gesellschaft etwa für sozioökonomisch benachteiligte Familien gelten oder für Migrantenfamilien. Migranten familien. Der dritte Vorbehalt: Die Genforschung beschreibt das normale Spektrum der genetischen Variation und der Spielarten der Umwelt. Ihre Ergebnisse gelten nicht außerhalb dieses normalen Bereichs. Extreme Umwelteinflüsse – wie Gewalt oder Missbrauch – können ebenso verheerende Auswirkung auf die psychische Entwicklung haben wie schwerwiegende genetische Defekte. Das heißt: Wenn etwa die Eltern alkohol- oder drogenabhängig sind und das Familienleben durch Verwahrlosung gekennzeichnet ist, dann gelten die zitierten Befunde nur sehr eingeschränkt. Aber solche extremen Fälle sind glücklicher-
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24. Oktober 2018 � Köln
In Zu sa mm en ar be it mi t:
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weise relativ selten und spielen für die statistisch statistischee Gesamtschau Gesamtsch au keine Rolle. Unter diesen Einschränkungen kann man also sagen: Die genetischen Erkenntnisse legen ein neues Verständnis von Elternschaft nahe: Eltern sind wichtig, weil sie die wesentlichen physischen und psychischen Ressourcen für die Entwicklung der Kinder liefern – Nahrung, Kleidung, Zuwendung und Hilfe. Aber Eltern entscheiden nicht über die persönliche Entwicklung ihrer Kinder. Vielmehr ist die von unseren Eltern vererbte DNA die dauerhafte, lebenslange Quelle psychologischer Individualität, die Blaupause, auf der sich abzeichnet, wie wir werden. Eine Blaupause ist ein fertiger Plan. Die Umwelt kann diesen Plan vorübergehend umwerfen, etwa durch einen Todesfall, Todes fall, durch Scheidung oder Krankheit. Aber nach so einem Schicksalsschlag kehren wir meist in unsere genetische Flugbahn zurück. Viele Menschen haben diese Erfahrung bereits greifbar gemacht – der Kampf gegen die überschüssigen Pfunde mit einer Diät ist fast nie von dauerhaftem Erfolg gekrönt. Welche Lehren bergen diese Erkenntnisse für heutige Eltern? Ihre wichtigste Rolle bleibt, ihren Kindern Liebe, Zuwendung und Unterstützung zu geben. Doch zugleich sollten sie verstehen, dass Kinder sich nach ihrem eigenen genetischen Plan entwickeln. Diesen Prozess kann man im besten Fall gut begleiten: Wir lesen Kindern vor, die es mögen, dass wir ihnen vorlesen. Wenn sie lernen wollen, ein Musikinstrument zu spielen oder eine bestimmte Sportart zu betreiben, fördern wir ihre Neigungen und ihre Begabungen. Wir können ihnen allerdings nicht unsere unsere Träume Träume aufzwingen. Wenn wir zum Beispiel versuchen, aus ihnen große Musiker oder tolle Sportler zu machen, werden wir damit nicht erfolgreich sein, wenn wir nicht ihrem genetischen Flow folgen. Wenn wir versuchen, versuchen, flussaufw flussaufwärts ärts zuschwimmen, besteht die Gefahr, dass wir die Beziehung zu unseren Kindern schädigen. Anstatt zu versuchen, unsere Kinder nach unserem Bild zu formen, können wir ihnen helfen herauszufinden, was sie gern tun und was sie gut können. Mit anderen Worten: Wir können ihnen helfen, zu werden, wer sie sind. Immerhin sind unsere Kinder genetisch zu 50 Prozent so wie wir. Im Allgemeinen sorgt diese Ähnlichkeit dafür, dass die Eltern-Kind-Beziehung weitgehend reibungslos verläuft. Wenn ein Kind beispielsweise sehr aktiv ist, stehen die Chancen gut, dass auch Vater oder Mutter aktiv sind, was es ihnen leichter macht, die Unruhe ihres Kindes zu akzeptieren. Ebenso nützlich ist es aber, daran zu denken, dass sich unsere Kinder zu 50 Prozent von uns Eltern unterscheiden und Geschwister voneinander ebenfalls zu 50 Prozent. Jedes Kind ist genetisch gesehen eine eigene Person. Wir sollten diese genetischen Unterschiede erkennen und respektieren. Hochgebildete Eltern haben nicht immer intelligente Kinder. Sie könnten Mühe mit der Erkenntnis haben, dass ihr Kind in der Schule nicht ebenso überdurchschnittlich abschneidet wie sie selbst, und versucht sein, der Schule oder dem Kind die Schuld zu geben. Das Verständ Verständnis, nis, dass die DNA den wichtigsten Einfluss auf den Bildungserfolg hat, kann Eltern helfen, die Schwierigkeiten ihres Kindes zu akzeptieren. Erziehung ist eine Beziehung, eine der längsten in unserem Leben. Genau wie die Beziehung zu Partnern und Freunden sollte auch jene zu unseren Kindern darauf basieren, mit ihnen zusammen zu sein, und nicht auf dem Versuch, sie zu verändern. Ich hoffe, dies ist eine befreiende Botschaft. Eine, die Eltern Ängste und Schuldgefühle nimmt, die Erziehungstheorien auslösen können. Ich hoffe, dass ich Eltern von der Illusion befreien kann, dass der zukünftige Erfolg eines Kindes davon abhängt, wie sehr sie es antreiben. Stattdessen sollten sich die Eltern entspannen und das Leben mit ihren Kindern genießen. Ein Teil dieses Vergnügens ist es, zuzusehen, wie Kinder zu dem werden, was sie sind.
Weil ihre Gene sich nicht unterscheiden, entwickeln diese Zwillinge auch sehr ähnliche Persönlichkeiten
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DIE ZEIT
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