Gernot Böhme
Tomas Friedrich, Jörg H. Gleiter (Hg.)
Einühlung und phänomenologische Reduktion Grundlagentexte zu Architektur, Design und Kunst
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Atmosphäre als Grundbegriff einer neuen Ästhetik aus: Gernot Böhme, AtmoAtmo sphäre. Essays zur neuen Ästhetik, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995, S. 21-48.
1. Atmosphäre Der Ausdruck Atmos Ausdruck Atmosphäre phäre ist dem ästhetischen Diskurs keineswegs remd. Vielmehr taucht er sogar häu�g, ast zwangsläu�g in Eröffnungsreden zu Vernissagen, in Kunstkatalogen und L audationes au. Da mag von der mächtigen Atmosphäre eines Werkes die Rede sein, von atmosphärischer Wirkung oder einer mehr atmosphärischen Darstellungsweise. Man hat den Eindruck, daß mit Atmosp mit Atmosphäre häre etwas etwas Unbestimmtes, schwer Sagbares bezeichnet werden soll, und sei es auch nur, um die eigene Sprachlosigkeit zu verdecken. Es ist ast wie mit dem Mehr dem Mehr bei bei Adorno. Auch damit wird in andeutender Weise au ein Jenseits dessen, wovon man rational Rechenschaf geben kann, gewiesen, und zwar mit Emphase, als �nge erst dort das Eigentliche, das ästhetisch Relevante an. Diese Verwendung des Wortes Atmos Wortes Atmosphäre phäre in in ästhetischen exten, schwankend zwischen Verlegenheit und Emphase, entspricht der im politischen Diskurs. Auch hier kommt angeblich alles au die Atmosphäre an, in der etwas geschieht, und die Verbesserung der politischen Atmosphäre ist der allerwichtigste Schritt. Andererseits ist ein Bericht, nach dem man in guter Atmosphäre miteinander Atmosphäre miteinander verhandelt habe oder eine Verbesserung der Atmosphäre erreicht habe, doch nur die euphemistische Version der Feststellung, daß bei einem reffen nichts herausgekommen ist. Diese vage Verwendungsweise des Ausdrucks Atmosphäre im ästhetischen und im politischen Diskurs ruht au einer Verwendung in der Alltagssprache, die in vielem sehr viel bestimmter ist. Hier wird der Ausdruck Atmos Atmosphäre phäre au au Menschen, au Räume und au die Natur angewendet. So redet man etwa von der heiteren Atmosphäre eines Frühlingsmorgens oder der be drohlichen Atmosphäre eines Gewitterhimmels. Man redet von der lieblichen Atmosphäre eines ales oder der anheimelnden Atmosphäre eines Gartens. Beim Betreten eines Raumes kann man sich gleich von einer gemütlichen Atmosphäre umangen ühlen, aber man kann auch in eine gespannte Atmosphäre hineingeraten. Von Von einem Menschen kann man sagen, daß er eine achtunggebietende Atmosphäre 287
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au deren Hintergrund dann durch den analytischen Blick so etwas wie Gegenstände, Formen, Farben usw. unterschieden werden. Die neue Ästhetik ist eine Auseinandersetzung mit der ortschreitenden Ästhetisierung der Realität. Für diese Augabe ist eine Ästhetik als Teorie der Kunst oder des Kunstwerks völlig unzureichend. Mehr noch, da sie sich im handlungsentlasteten Raum und unter Bildungseliten abspielt, täuscht sie darüber hinweg, daß Ästhetik eine reale gesellschafliche Macht darstellt. Es gibt ästhetische Bedürnisse und es gibt eine ästhetische Versorgung. Es gibt allerdings die ästhetische Lust, aber es gibt auch die ästhetische Manipulation. Neben die Ästhetik des Kunstwerks treten gleichberechtigt die Ästhetik des Alltags, die Warenästhetik, die politische Ästhetik. Die allgemeine Ästhetik hat die Augabe, diesen breiten Bereich ästhetischer Wirklichkeit durchsichtig und sprachähig zu machen.
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