WIRTSCHAFT 25
DIE ZEIT No 6
Fotos: Sarah Skinner/Corbis via Getty Images; F. Mantovani (u.)
2. F E B RU A R 2017
Paris für die Schönen und die Wohlhabenden: Backstage auf einer Haute-Couture-Modenschau
»Neue Verteilungsdebatte« Warum wird das vorhandene Vermögen im Kapitalismus immer wertvoller? Ein Gespräch mit den Soziologen Luc Boltanski und Arnaud Esquerre Im Pariser Viertel Saint-Germain-des-Prés finden sich Schmuckläden, Modegeschäfte, Museen und Galerien. Aus dem legendären Revier der Intellektuellen ist ein Anziehungspunkt für Touristen geworden. Hier wohnt der 77-jährige Soziologe Luc Boltanski, und zusammen mit seinem jungen Kollegen Arnaud Esquerre hat er ein Buch geschrieben, das wohl nur in diesem Milieu entstehen konnte: Die beiden Franzosen meinen, einen neuartigen Kapitalismus vor Augen zu haben. Ihr Buch, in dem Theorie und Fallstudien einander abwechseln, erscheint an diesem Donnerstag im Verlag Gallimard und trägt den Titel »Enrichissement«. Das Wort hat eine doppelte Bedeutung: Anreicherung und Bereicherung. Gemeint ist eine Ökonomie, die bereits vorhandenes Vermögen wertvoller macht. Industriearbeit, schreiben die Autoren, werde in den Billiglohnländern nachgefragt; in den reichen Ländern hingegen entstehe Profit mehr und mehr dadurch, dass Objekte aus der Welt der Kunst und des Luxus, der Mode und des Reisens im Wert steigen. Diese Ökonomie gehe einher mit neuen sozialen Rollen, und da wird das Buch auch politisch. Gründe genug, die beiden Forscher in ihrem natürlichen Habitat aufzusuchen. DIE ZEIT: Herr Esquerre, der Untertitel Ihres Bu-
ches lautet Eine Kritik der Ware. Das klingt nach Karl Marx. Schreiben Sie in seiner Tradition? Arnaud Esquerre: Nein. Marx beginnt Das Kapital mit der Untersuchung jener Warenform, die wir die Standardform nennen. Das sind Objekte, die mit einem bestimmten Neupreis auf dem Markt erscheinen, der dann mit der Zeit sinkt. Das ist nicht unser Thema. Wir interessieren uns für Waren, deren Preise sich anders entwickeln. ZEIT: Ein normales Auto hat Neuwert, dann nur noch Zeitwert und schließlich keinen Wert mehr – es gehört für Sie zur Standardform. Daneben erwähnen Sie die Sammlerobjekte, deren Wert steigt, wenn sie in eine Sammlung eingefügt werden, bestimmte Uhren etwa. Sodann Sachen, mit denen auf Wertzuwachs spekuliert wird, Immobilien etwa. Schließlich Objekte, die zeitweilig in sind und deren Wert steigt, weil sie gerade ein Filmstar herzeigt oder die aus anderen Gründen im Trend liegen – Mützen, Taschen, Schreibgeräte und vieles
mehr. Das alles wird mit leiser Ironie beschrieben, aber ist das schon Kritik? Luc Boltanski: Jedenfalls nicht wie die Marxsche Warenkritik. Die hatte eine moralische Färbung und stand in der Tradition der Kritik des Geldwechselns und überhaupt der Abhängigkeit von dinglichem Reichtum. In dieser Tradition findet man oft auch eine antisemitische Note, die Fantasie vom Händlerjuden. Oder nehmen Sie die Kritik an der Konsumgesellschaft, wie sie einst Herbert Marcuse formulierte: Der Konsument ist passiv, manipuliert, ein Opfer. Wir lassen das alles fallen. Wir blicken stattdessen auf Akteure, die handeln und eine neue Ökonomie hervorbringen. ZEIT: Sie schreiben, der Kapitalismus stütze sich zunehmend auf die Verwertung vorgefundener, oft in der Geschichte verankerter Objekte – etwa, wenn das Prestige einer Luxusmarke darin besteht, dass sie schon seit Jahrhunderten existiert. Oder wenn heruntergekommene Fabrikhallen zu Museen aufgewertet werden. Esquerre: Man sieht auch Objekte, deren Preis steigt, obwohl sie funktionell betrachtet eigentlich Abfall sind. ZEIT: Wie die alten Ferraris, die hier in Paris für Millionen versteigert wurden, obwohl sie nur noch fahruntüchtige, verrostete Kisten waren. Boltanski: Die sind dann Spekulationsobjekte. ZEIT: In Ihrem Buch zählen Sie auf, wer alles Geschichten über solche Sachen verbreitet und ihnen damit eine Aura verleiht: Bordmagazine im Flugzeug, Hochglanzbeilagen von Zeitungen, Filme – und sogar der Staat. Esquerre: Der spielt eine zentrale Rolle. Er hält die nationale Erzählung lebendig, etwa mit seinen Museen. Die garantieren, dass bestimmte Objekte nicht verkauft werden können. Dass sie immer da sind und etwas erzählen. Boltanski: Der Staat bezahlt auch die Leute, die Erzählungen verfassen. Zum Beispiel die Historiker. Er restauriert historische Gebäude ... Esquerre: ... oder schützt das lokale, traditionelle Handwerk sowie die Landwirtschaft durch Herkunftsbezeichnungen ... ZEIT: ... für Wein, Käse, Würste ... Boltanski: ... und er tut viel für den Tourismus. ZEIT: Jährlich kommen mehr Touristen nach Frankreich, als das Land Einwohner hat.
Boltanski: Und wenn Sie wollen, dass die Touristen
kommen, dann brauchen Sie eine Bevölkerung, die das Land liebt, die sein Vermögen an Schlössern, Landgütern und anderen Immobilien pflegt, die freundlich zu Besuchern ist ... ZEIT: ... etwas Englisch spricht ... Boltanski: ... und den Leuten den Weg zeigt. Ich war kürzlich in Taiwan. Da gibt es das alles nicht. Warum? Man braucht es nicht. Dort finden Sie Industrie und billige Arbeitskraft vor, da ist eine Anreicherungsökonomie, wie wir sie beschreiben, nicht notwendig. ZEIT: In Frankreich dagegen schrumpft die Bedeutung der Industrie, das Land besinnt sich stattdessen auf seine kulturellen Ressourcen. Aber ist Frankreich nicht ein Ausnahmefall?
Das Duo: Esquerre (links) und Boltanski Esquerre: Wir haben unsere Thesen in mehreren Ländern zur Diskussion gestellt, und jedes Mal stellte man uns diese Frage. Etwa in New York, wo es hieß: Na ja, das ist das alte Europa, aber nicht Amerika. Am folgenden Tag gingen wir dort spazieren, entlang der Luxusboutiquen, Uhrengeschäfte, Ausstellungen, und wir sahen Plakatwände mit Anspielungen auf die Kultur des 19. Jahrhunderts. Gewiss, in Ländern wie in Frankreich, Italien oder Spanien ist diese Ökonomie besonders entwickelt, in anderen konzentriert sie sich dagegen auf ein paar Regionen oder Orte wie Kyoto oder Berlin-Mitte. ZEIT: Die Luxusindustrie im engeren Sinne erzielte im Jahr 2013 allein in Frankreich rund 15 Milliarden Euro Umsatz, wie Sie schreiben. Die Hauptaktionäre der beiden französischen Luxuskonzerne sind zugleich die größten Sammler zeitgenössischer Kunst. Die Welten der Mode, der
Luxusreisen und -autos, der Sternerestaurants und Spitzenweine, der Musik- und Theaterfestivals, der historischen Schlösser sowie ganz allgemein des Designs, sie alle bilden ein Ganzes. Trotzdem untersuchen Ökonomen stets nur einzelne Märkte, anstatt sich mit den Wechselwirkungen insgesamt auseinanderzusetzen. Woran liegt das? Esquerre: Erstens: Kunstmuseen und Galerien arbeiten mit Hotels zusammen, mit Mode- oder Parfum-Marken, doch die Kunst muss weiterhin so aussehen, als ginge es ihr nicht um den Profit. Dass es sich um ein Ganzes handelt, darf gerade im Interesse der erzählten Geschichten nicht zugegeben werden. Es kommt zweitens hinzu, dass es schwer ist, valide Daten zu erhalten. Viele Güter, Kunstwerke etwa oder Immobilien, erscheinen nicht auf dem Markt, sondern gehen von Hand zu Hand. Drittens: Es gilt als seriös, sich als Wissenschaftler mit der Industrie oder den Finanzmärkten zu beschäftigen. Aber mit dieser kulturellen Anreicherungswirtschaft? Klingt doch eher leichtgewichtig, trotz ihres Ausmaßes. Boltanski: Es ist ja auch schwer, so unterschiedliche Phänomene wie Traditionshandwerk, Flohmärkte, Versteigerungen, Modenschauen und Vernissagen zusammenzudenken. Den Ökonomen fehlen die Werkzeuge, diese Wirklichkeit zu beschreiben. Es ist kein herkömmliches Marktgeschehen. Esquerre: Die Einzigen, die durchblicken, sind die Marketingleute. ZEIT: Warum sagt Ihr Buch so wenig über die Digitalisierung? Esquerre: Es wird oft über die Entmaterialisierung der Ökonomie geredet. Aber wir waren noch nie von so vielen Sachen umgeben. Und haben noch nie so viel Abfall entstehen lassen. Man muss über die Sachen reden. Boltanski: Schauen Sie sich die Werbung an. Die Luxusindustrie finanziert über ihre Anzeigen die Zeitungen, und deren Hochglanzbeilagen erzählen Geschichten über: Sachen. Internetseiten wiederum finanzieren sich, indem sie Daten verkaufen: Daten von Leuten, die potenzielle Käufer von Sachen sind. Oder sie stellen Listen auf von Sachen, die man besitzen muss. Oder sie versteigern – Sachen. ZEIT: Sie schreiben, früher habe das Kapital die Industriearbeiter ausgebeutet. Heute verlagere es sich
dorthin, wo es Billiglöhne gibt – oder es verdiene daran, dass bestehender Reichtum höher bewertet wird. Das bringt in den postindustriellen Gesellschaften auch neue soziale Rollen mit sich. Boltanski: Wir unterscheiden zwischen vier Personentypen: dem Rentier, dem Bediener, dem Kreativen und dem Zukurzgekommenen. Esquerre: Der Rentier hat sein Vermögen, der Bediener hält es instand, der Kreative verleiht ihm zusätzlichen Wert – und der Zukurzgekommene muss ferngehalten werden, damit er es nicht kaputt macht oder den Konsum stört. ZEIT: Also beispielsweise der Schlossbesitzer, sein Gartenarbeiter, dazu der Journalist, der das Schloss verherrlicht, und schließlich die Jugendbande aus dem Nachbarort, in dem früher eine Reifenfabrik stand. Hat das auch politische Auswirkungen? Boltanski: Ja. Man kann zum Beispiel sagen, dass diese Art Ökonomie den Konservatismus fördert: Die Rentiers brauchen Sicherheit. Sie sind die Hüter von Sachen, die Bestand haben müssen, damit aus ihnen Profit gezogen werden kann. ZEIT: Sie schreiben auch über »Hipster« und »Bobos«, diese Karikaturen der jungen Kreativen. Was bedeutet deren Existenz für die Politik? Boltanski: Unsere Politiker blicken mit Neid auf das industriell erfolgreiche Deutschland. Nun wollen alle, von rechts bis links, Frankreich wieder reindustrialisieren. Der Metallarbeiter von einst dient als Symbolfigur des »wahren Volks«. Zurzeit hat ein Diskurs Erfolg, der den Hauptgegensatz zwischen den Reichen und Bobos in der Stadt einerseits sowie dem »wahren Volk« in den Randgebieten oder ländlichen Zonen andererseits sieht. Diese Sichtweise ist auch unter Linken verbreitet. Doch das ist in Wahrheit der Diskurs des Front National, und er verschleiert die Interessengegensätze. Arbeiten nicht auch die meisten Kreativen prekär? ZEIT: Welche politischen Folgerungen ziehen Sie? Esquerre: Es wird eine neue Verteilungsdebatte geben. Ohne die Bediensteten würde der Besitz der Reichen verfallen. Ohne die Kreativen würde es die Erzählungen gar nicht geben, die den Dingen höheren Wert verleihen. Wo also ist deren Anteil am Wertezuwachs? Das Gespräch führte Gero von Randow
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