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N D E S K U N D E
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I M P R E S S U M Fremdsprache
Deutsch
Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts herausgegeben vom herausgegeben Vorstand Vors tand des Goethe-In Goethe-In stituts un d Hans-Jürgen HansJürgen Krum m Gerhard Neuner Hans-Eberhard Piepho im Verlag Klett Edition Deu tsc tsch,h, Mü nchen Schriftleitung: Sigbert Latzel (Ref. 42, Informations- und Dokumentationsstelle des Goethe-Instituts) Redaktion sbeirat des Goethe-In stituts: Klaus Fischer Fischer,, Han s-J s-Jürgen ürgen Gierlich, Bernd Kast, Jörg Kuglin, Karl-Heinz Osterloh Korrespondierendes Korres pondierendes Mitglied: Mitglied: Diethelm Kamins Kaminskiki (Zentrals (Zentralstelle telle für das Auslandsschulwesen) Verantwortlicher Themenheftherausgeber: Andreas Pauldrach Verlagsredaktion: Eva-Maria Jenkins Satz und Gestaltung: Hans-Werner Klein Anzeigenleitung: Verlag Klett Edition Deutsch Druck: Ludwig Auer GmbH, Donauwörth Umschlag: Thomas Drechse Drechsell Theme hemenn de derr näc nächs hsten ten He Hefte: fte: Manusskript Manu kriptabg abgabe abe:: Ers rsccheint: n t: H ef t 7 : H ö r v e r st e h e n 1 .3 .1 9 9 2 Ok t o b e r 1 9 9 2 H ef t 8 : Ler n t e ch n i k e n 1 .9 .1 9 9 2 Ap r i l 1 9 9 3 H e f t 9 : Gr a m m a t i k 1 .3 .1 9 9 3 Ok t o b e r 1 9 9 3 Sondernumm er 199 2: Fachs achsprache prache Sondernumm ern 1 993 : – Deuts Deutschunterric chunterrichtht m it Erwachse Erwachsenen nen – Deu tsch alalss Frem Fr em dsp dsprr ach achee in de derr Bu Bund nd esr esrep epub ub lilikk Deutschland (Institutionen, Informationen, Adressen) Seit 1992 gibt es zwei Jahresabonnements: Abonnement 1 umfaßt zwei reguläre Hefte pro Jahr zum Preis von DM 23 ,80 zuzüglich Versandkosten. Abonnement 2 umfaßt die beiden regulären Hefte wie in Abonnement Abonnement 1. Dazu ein ebenfalls jährlich erscheinendes Sonderheft. Es kostet DM 37,80 zuzüglich Versandkosten. Die Hefte können auch einzeln bestellt werden. Einzelhefte kosten DM 14,80 zuzüglich Versandkosten. © Bei Beitrtr äg e si nd ur he hebe berr re cht chtlilich ch ge geschü schütztzt.t. All Allee Recht e vo rb eh ehalal teten.n. Au Auch ch unverlangt eingesandte Manuskripte Manuskripte werden so sorgfältig rgfältig geprü ft. Unverlangt eingesandte Bücher werden nicht zurückgeschickt. Die als Arbeitsblatt oder Material bezeichneten Unterrichtsmittel dürfen bis zur Klassen- bzw. Kursstärke vervielfältig werden. Adresse der Schriftleitung: Dr. Sigbert Latzel, Goethe-Institut, Referat 42, Gollie Go lliersrstraße traße 4, D-8000 Münc München hen 2 ( Tel. el.:: 0 89/ 418684 15) Verlagsadresse: Klett Edition Deutsch GmbH, Karlsplatz 5, D-8000 München 2, (Telel.:.: 0 89/ 59 62 74; Telelefa (T efaxx 089/ 59 45 24) ISBN 3-12-675511-9
An u n s e r e Les e r i n n e n u n d Les e r
A
Landes kunde im Deutschunterr icht – das ist LanLandeskunde der deutschsprachigen Länder, nicht nur R der Bundes repu bli blikk Deuts Deuts chland . Doch Öste rreich O und die deutschsprachige Schweiz haben in die T sem Heft keinen Platz mehr gefunden: Im Jahr 2 nach d er Vereini Vereinigung gung der beiden d eutsch en Staaten I sollten soll ten Autoren Autoren au s de n neuen Bundes ländern zu D Wort kommen und die Veränderungen in Deutsch E land einen deutlichen Schwerpunkt bilden. Den anderen deutschsprachigen Ländern wird einmal ein eigenes Heft Heft zu widmen s ein. Aufmerksam m ach en mö cht en wir Sie Sie auf den Beitrag von Vridh Vridh agiri Ganes han aus Indien, der in d er ne u erö ff ffneneten Rubr ik „M „Meinungen“ sehr engagi engagiert ert seinen Standp unkt zum Thema „Lande „Lande skunde im Deuts Deuts chu nterricht“ vertritt. Was meinen Sie dazu? – In dieser Rubrik wollen wir künftig auch extreme Ansichten Ansichten zu vers chiedenen Bereichen Bereichen und Themen des Deutschunterrichts veröffentlichen. Also: Nutzen Sie die Cha Cha nce, sa gen auch Sie uns einma l deutlich Ihre Meinung! Doch n icht nur Ihre Meinung ist ist gefragt, sond ern au ch Ihr Wissen und Ihre Erfahrun Erfahrun gen aus der Unterrichtsp raxis, in Form eines Beitrags in FREMDSP FREMDSPRA RACH CHE E DEUTSCH , z.B. in Heft 8: „Wie mache ich es, daß meine Schüler Deuts ch verst ehen , sp rechen , sch reiben lernen? Wie bringe ich ich s ie dazu, Gramm Gramm atikregel atikregelnn anzuwend en, neue Wörter und Wendu ngen nicht gl gleich eich wieder zu vergessen? Wie Wie mach e ich sie zu neugierigen, selbstän digen, aktiven aktiven LerLernern, die nicht nur wiederkäuen, was ihnen vorgesetzt wird? Welche Tips kann ich meinen Schülern für das selbständige Lernen zu Hause geben? Wie kann ich ihre Lern gewohnh eiten än der n? Welche Welche Rolle Rolle sp ielt die MotivaMotivation? Gibt es Lernhilfen, Lerntechniken, die ich meinen Schülern vermitteln kann?“ Solche un d äh nli nliche che Fragen bewegen Lehrerinnen un d Lehre r üb erall auf der Welt, Welt, und d iese Fragen ste ll llen en wir auch in Heft Heft 8 von Fremds Fremds prach e Deutsc Deutsc h, das d em Thema „Lern tech niken“ gewidmet ist. Wenn Sie zu diesem Thema etwas zu sagen haben, wenn Sie Sie mit bes timmten Lerntech Lerntech nik niken en b esond ers gute Erf rfahrungen ahrungen gemacht h aben, von denen auch andere profitieren könnte n, dan n sc hicken Sie Sie Ihren Beitra Beitra g bis zum 30.9.92 an den Themenheftherausgeber: Peter Bimmel, Stichts End 17, 124 12444 Ankeveen Ankeveen / Niederland e. Der Der Beitrag sollte soll te nicht zu lang sein, er darf theoretisch und p raktisch, aber auch nur praktisch sein. Auch kleine „Tips und Tricks“ Trick s“ sind willkomme willkomme n. (Hinweise (Hinweise für d as Schr eiben von Manu skripte n finden Sie auf Seite Seite 68. 68.)) Wenn Sie sich a ll llerdings erdings m ehr für die Rolle Rolle d er Grammatik in einem zukunftsweisenden Deutschunterricht interessieren, dann d enken Sie Sie jetzt sch on an Ihren Beitrag für Heft 9 zum Thema „Grammatik“. Ihre Schr if iftleitung tleitung I
Fremdsprache
Deutsch
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I N H A L T
H EFT 6
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Deutschland-Puzzle: Landeskunde zum Anfasse Anfasse n
Ju ni 1 9 9 2
Var iatione n zu einem Thema
Landeskunde 44 4
Schülertexte aus Ost un d West West
Eine unendliche Geschichte
16
Ver gleich 48
Eine Dokumentation
Interkulturelles Lern en und Landeskunde
56
INE ARBEITSG RBEITSGRUPPE RUPPE IN INDONESIEN EINE
58
LEI / EVA-MARIA J ENKINS DAGMAR BLEI
Momentaufnahme: Vere inigungsglossar von A–Z A–Z
ACHIM MAIBAUM Zeit| Worte
Deutschlandknigge für Indonesier
Ein Gesc Gesc hicht spro jekt jekt für für d en Sprachunterricht st ellt ellt sich vor
Anre gungen für die landes landes kundliche Projektarbeit 25
ULRICH ZEUNER Reis en – Wie Wie war das damals? Wie Wie ist es he ute? ute? Wie Wie könnte es we rden?
ANS-J ÜRGEN KRUMM HANS
Bilde r im Kopf Kopf
20
KATRIN DRECHSEL So se hen wir das!
ANDREAS PAULDRACH Anmer kungen zur Situation d er Land eskund e in in den 90er 90 er Jah ren
IRENE VRIGNAUD
ANS WEBER HANS
Erkundungsgänge durch drei Gedichte
Land eskund e mit Literat Literat ur 32
ANDREAS PAULDRACH Büche Bü che r und Aufsätze Aufsätze z um The The ma
34
36
EUTSCH H ALS ALS FREMDSPRA REMDSPRACHE CHE DES BEIRAT DEUTSC GOETHE-INSTITUTS
Rubriken 23
Meinungen
55
Materialien: Deutschland 1989–1992
64
25 Thesen zur Sprach- und Kulturvermittlung
Zeitschriften stellen sich vor
65
Aktuelle Aktuelle s Fachle Fachle xikon
AST BERND KAST
66
Gewußt wie … erklärt warum Unse re Sprache Sprache cke
67
Termine
68
Unse re Autorinne Autorinne n und Autoren
68
Hinweise zur Gestaltung von Manuskripten
Ein de utscher Herbst und was daraus wurde:
Schüler- und handlungsorientiert – geht das überhaupt? 39
AST BERND KAST
Das Wort des Jahres ’91
Fremdsprache
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Ein Gesc Gesc hicht spro jekt jekt für für d en Sprachunterricht st ellt ellt sich vor
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Eine un end liche G es eschich chich te A nm erkun gen zur Situation Situation der Land La nd es esku ku nd e in den 9 0er Jahren Jahren V o n A n d r e a s P au au l d r a c h
1 . Einleitung: Einleitung: Deut sche Einhe it und Landeskunde „Wie ist das de nn m it dem Schulsystem Schulsystem in den neue n Ländern, gibt’ gibt’s da nicht ein Faltblatt?“ „Haben Sie Material über diese Berliner Treuhandgesellschaft, das man im Unterricht in der Gymnasialschule (=Sek (=Sek undarstufe undarstufe II) II) e insetz en k ann?“ „,Ossi‘ – ,Wessi‘ – ,Besserwessi‘ – Könnten Sie uns bitte einen kleinen Vortrag halten über die Veränderungen im Wortschatz seit der deutschen Wiedervereinigung und wie sich das im Bewu Be wußß tsein tse in der d er Leute Leu te a usgewi usge wirkt rkt hat?“ h at?“
Seit dem Fall der Berliner Mauer können die im Ausland Ausland tätigen MittlerMittlerorgansisationen organsisationen d eutsch er Kultur sich kaum mehr vor Anf Anfragen ragen dieser Art retten. Gut zweieinhalb Jahre nach den Montagsdemonstrationen in Leipzig und den anderen Großstäd Großstäd ten der ehemaligen maligen DDR ist ist fest zuhalten , daß die deutsche Einheit und deren Folgen nicht nur die Menschen, sondern auch die „Landeskunde“ im Deutsch-alsFremdsprache-Unterricht überrascht hat und noch immer überrascht. Ein Zustan d, der sich woh l so schnell nicht nicht ändern wird. wird. Und Und d as hat – so vermuten wir – auch et was mit den Besonderheiten der „Landeskunde“ zu tun, die man an diesem einmaligen historischen Prozeß „deutsche Einheit“ besonders gut studieren studieren kann. Die meisten Materialien, die 1990 hier und dort oft oft als „Momentaufnah„Momentaufnahmen“ verfertigt wurden, sind von der weiteren politischen und ökonomischen Entwicklung schlicht überrollt
worde n (z.B. (z.B. „Opera „Opera tion Deutsch land“, Hueber 1990), es sei denn, sie haben sich auf die Darstellung der neuen Topograp hie Deutsch Deutsch lands besch ränkt (z.B. (z.B. „D „Deuts chland in den neue n Grenzen“, Klett 1991). Es kommt also, und das zeigen diese Beispiele, auch auf d ie Auswa Aus wa hl des d es Stoffe s an . Die „richtige“ Auswahl zu treffen aus dem unendlichen Meer von Fakten, ist das Geschäft der Didaktik. Nicht der für den Augenb lick lick vielleicht vielleicht besonders eindrucksvolle „Schnappsch uß “ ist gef geforder order t, sonder n MateriaMaterialien und Darstellungsweisen werden gebraucht, die über einen längeren Zeitraum hinweg „aktuell“ bleiben, weil an ihnen die gesellschaftlichen Entwicklungen und Verhältnisse „exemplarisch“ studiert werden können. Am Beispiel der deutschen Einheit wird insofern das da s Problem der „Didaktik der Landeskunde“ beispielhaft sichtba r. Nach dem Jahr 1990 z.B. haben oder h ätten gerad e die Texte Texte überlebt, in denen besonde rs von den p olitischolitischökonomischen und den mensc hlichen hlichen Schwierigkeiten chwierigkeiten d er d euts che n VereiniVereinigung die Rede war. Natürlich lassen sich solche Forderun gen immer leichleichter im nachhinein erheben und begründen. Und ebenso verständlich ist es, daß im Gefühlsüberschwang von Geda nken- und Reisefreiheit, eisefreiheit, von DM-Kaufkraft und deutscher Einheit die Kosten dieser Freiheit nicht oder zu wenig beachtet wurden und also auch die entsprechende n landeskundlandeskundliche liche n Texte und Mater ialien ialien zu wenig oder gar nicht davon handelten. Und auß erdem wollen wollen wir wir nicht vergessen, vergessen, daß gerade bei der Darstellung und Behandlung des landeskundlichen Phänomens „deutsche Einheit“ der politische Standort des Lehrers, des Lehrwerkautors und des Verlages, wel-
cher Materialien aterialien p rodu ziert, ziert, eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Das alles rechne ich zu dem wichtigen Kapitel „Ideo „Ideo logisch logisch e Komp Komp one nte vo n Landes kunde“ (siehe Abschnitt 6). 1992 sind die Auswirkungen der deutschen Einheit schon deutlich erkennbar. Es darf also vermutet werden, d aß landeskundliche landeskundliche Materialien, aterialien, die heute p roduziert werden, einen länlängeren Atem Atem ha ben werden, da s ie notgedrungenerweise von einer realistischeren und das heißt hier wörtlich ,wirklichkeitsnäheren‘ Einschätzung der deutsch-deutschen Entwicklung ausgehen. Daß die richtige Auswahl des Unterrichtsmaterials eine erhebliche Kompetenz dessen, der da auswählt, voraussetzt, weiß jede Lehrerin und jed er Leh re r. Bet r ac h t en wir n oc h m als die drei eingangs vorgestellten Bitten, so wird s ogleich ogleich klar, daß diese geforderte Kompetenz sich auf sehr unterschiedliche Wissens- bzw. Wissenschaftsbereiche bezieht (Volkswirtschaft, (Schul)Politik, Linguistik und (Sozial)Psychologie). Und auch darin liegt ein Hauptproblem von „Landeskunde “, wie noch zu zeigen se in wird. wird.
2. „Landeskunde“ – w as ist ist da s? Vielleicht stellen wir uns hier eine unnö tige Frage. Frage. Denn Denn wir ha ben uns ja gerade mit einem Gegenstand Gegenstand landeskundlicher Provenienz befaßt (deutsche Einheit), inheit), und jeder Lehrer hat t agtäglich, täglich, wenn er Unterr icht vorb ereitet oder d urchführt, mit landes landes kundlichen kundlichen Fragen zu tun. Trotzdem oder besser gerade wegen der Alltäglichkeit und Selbstverstä ndlichkeit ndlichkeit dieser Praxis Praxis ist
Fremdsprache
Deutsch
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ein genauerer Blick vielleicht nicht unangebracht. So heißt es in einem modernen, umfangreichen Kompendium zum Fremdsprachenunterricht: „Landeskunde meint a ll e Bez ü ge a u f d ie Ges el ls ch a ften , deren Sprache im Fremdsprachenunterricht gelernt wird. Solche soziokulturellen Bezüge treten im frem dsprachlichen Curriculum immer dann auf, wenn den Lernenden die fremde Sprache in ihrem ursprünglichen Verwendungszusam me nhang vorgestellt wird“ (Buttjes 1989, 112, Hervorhebung von AP). Diese Beschreibung scheint nicht allzu weit entfernt von einem 15 Jahre älteren Definitionsversuch, in dem „Landeskunde als Kontextwissen“ gefaß t wurde . Wobe i Kont ext zu verste hen ist als „Ge s a mt d er p oli tis chen ,
Lehrer und Lehrbuchautoren dafür halten und ob d as viel zitierte „Interes se“ häufig nicht ein durch die Erwac hsenen welt „fremdgest euer tes“ ist. Man denke nur an d en Einfluß von Werbun g und die Rolle, die heute die fast d urchweg von Erwachsenen geschriebene und vermarktete Popmusik im Leben der Jugendlichen sp ielt. Was also ist Land esku nd e? Ein „Unfach “ (Picht und S. J. Schm idt 1973 und 1980), ein „Buch mit sieben Siegeln“ (Delmas/Vorderwülbecke 1982), ein „unmögliches Fach aus Deutschland“ (Gür ttler/ Steinfeld 1990)?
3 . Probleme in der Lehr er ausbildung und Lehrerfortbildung
s oz io -ökon omis ch en u nd ku lt u rel - Immer wieder wird beklagt, daß die len Gegebenheiten, die für die Produk- fremdsprachliche Landeskunde, an-
tion und Rezeption sprachlicher Äuß erungen m aß geblich sin d / waren“ (Schm idt, 1973, zit. 1980, 290, Her vorh . von AP). Dieser moderne Landeskundebegriff umfaßt also alle Äußerungen einer Gesellscha ft und besch ränkt sich nicht auf solche einer wie auch immer definiert en „hoh en Kultur“ – das wird wichtig, wenn wir von „Alltagskultur“ und „Leutekunde“ reden werden. Was diese Begriffsbestimmung unt er d em Asp ekt von Lern- und Lehr bar keit so s chwierig macht , ist freilich ihre Grenzen losigkeit. Um diesem Dilemma auszuweichen, hat die Landeskundedidaktik in den letzten Jahren im Zusammen hang mit der „Lernerorientiertheit des Unterrichts “ einen and eren – offenb ar weniger beschwerlichen – Weg eingeschlagen: Was unsere Schülerinnen und Schüler wirklich interessiert, soll Gegenstand des Unterrichts s ein. Freilich kommt man um den Stein des Anstoß es, die Auswahl der Unterrichtsthemen, auch dabei nicht h erum: Zum e inen forder t d er Lehrplan in aller Regel zuminde st einen Extrakt aus d er Fülle landeskundlicher Gegenstände (etwa Geographie der deuts chspr achigen Länder, Informationen übe r Regierungssystem, Arbeitswelt, Sitten und Gebräuch e etc.), zum and eren müssen wir uns fragen, ob die Schülerinnnen und Schüler wirklich interessiert, was
ders als die gleichsam klassischen Schuldisziplinen, keine genau ausmachb are Bezugswissensch aft be sitze. Häufig hat man der Landeskund e des halb m angelnde wissen schaftliche Fundierung überhau pt vorgeworfen. Auch die Landes kunde d er eh emaligen DDR stand vor diesem Problem, auch wenn d ie Bezugswissens chaften dort „Grundlagenfächer“ hießen (vgl. z. B. Bettermann 1989, Uhlemann 1982). Wie aber kann unter diesen Bedingungen un iversitäre Lehreraus bildung
betrieben werden? So ist die Fremdsprachenlehrerausbildung zwar immer noch hauptsächlich philologisch ausgerichtet, aber immerhin sehen inzwischen verschiedene Deutsch-alsFremdsprache-Curricula „Landeskunde“ vor (vgl. dazu Henrici 1989, besonders 35 und 45). An der Universität existieren für dieses Fach allerdings keine Spezialiste n, es gibt keine „Rundumwissenschaftler“ (Deutschmann 1982), so d aß sich das Problem der ,überschaubaren‘ und damit seriös lehrbaren Bezugswissenschaften erneut stellt. Möglicherweise bietet eine Art „Projektorientiertheit der Ausbildung“ (mit de r Befragung /Einsch altung von einschlägigen Experten der gerade benötigten Spezialdisziplin) einen Ausweg aus diesem Dilemma (Picht 1982). Auch im Ausland sieht in dieser Hinsicht d ie Ausb ildungss ituation noch n icht erfreulicher au s. Was in der Ausbildung versäumt wird, muß später „nachgeholt“ werden . Zwei Wege werd en in d ieser Beziehung besonders häufig beschritten: a) der Weg der Fortbildung (auf diesem Gebiet s ind zahlreiche Inst itutionen sowohl in der BRD wie auch im jeweilige n Aus lan d tä tig) ; b) zusätzliche Lehrmat erialangebote der verschiedensten Institutionen (siehe S. 55). Am Beispiel der Landeskundeseminare des Goeth e-Inst ituts soll kurz ein Konzept solcher Lehrerfortbildung vorge-
Deutschlandbilder
Ulrich Hofmann Fremdsprache
Deutsch
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stellt werden. Dabei müssen wir immer im Auge behalten, daß derar tige internationale Fortbildungsseminare, die von deutschen Institutionen veranstaltet werden, selbst wieder (unter dem Stichwort ,Methodenexport‘) einen nicht unkomplizierten Gegenstand innerhalb der Diskussion um das Konzept interkultureller Kommunikation abgeben (Krumm 1986, Baumgratz 1988). In d iesen meh rwöchigen Seminaren „Erlebte Land eskund e“ wird dem Teilnehmer „nicht ein fertiges Wissen durch Referen ten ve rmittelt, sondern er wird durch bestimmte Aufgaben in vielfältige Situationen als Beobachter oder als Interviewe r ve rsetz t, die es ihm erm öglichen, sich durch Einholen verschiedener Mein ungen z u eine m Them a und durch Be nutz un g ve rschiede ne r Que llen ,ein Bild z u m ache n‘. Wir be nutz en hierfür den journalistischen Begriff der Recherche (...)“ (Rösc h 1989, 3f). Sicherlich ist die Lage im nichtdeutschsprachigen Ausland schwieriger, wenn es um die Herstellung authentischer Kommunikationssituationen außerhalb des Klassenzimmers geht. Unmöglich ist es jedoch keinesfalls, sie aufzuspü ren b edar f nur e twas
mehr Phantas ie des Lehre rs. Mögliche Ziele solcher ,Recherchen‘ sind deutsche Industr ieunternehmen, deutsche Emigranten, Kulturinstitutionen, Deutsch abteilungen von Hochs chulen, Repräs entanten d eutsch er Verkehrsunternehmen, deutsche Restaurants etc. Viele Anregungen für solche pro jektorientier te „Spu re nsuc he“ biet et das Heft 4/1991 von FREMDSPRACHE DEUTSCH zum Thema „Unterr ichtspro jekt e“.
4. Statt einer Geschichte der Landeskunde: Die dre i Ansät ze der Landeskunde Es mag schon verwundern, daß seit dem Bändchen von Erdmenger/Istel (1973) keine „Didaktik der Landeskunde Deutsch als Fremdsprache“ mehr erschienen ist, obleich sich auf dem Felde der Landeskunde seitdem einiges getan hat. Auch gibt es b is heute keine „Gesch ichte d es Faches Deutsc h als Fremdprac he“ und also au ch keine der Landes kunde Deutsch als Fremdsprache. Die Fremdsprachendidaktik
Didaktisches Konzept
Kognitiver Ansatz
Kommunikativer Ansatz*
Interkultureller Ansatz/ kulturbez ogenes Lernen
Didaktischer Ort
Eigenes Fach/ selbständige Unterrichtseinheit
Im Fremdsprachenunterricht
Im Fremdsprachenunterricht
Übergeordnetes Ziel
Wissen: Systematische Kenntnisse über Kultur und Gesellschaft aufbauen
Kommunikative Kompetenz: In der Lage sein, sich ohne Mißverständnisse zu verständigen
Kommunikative und kulturelle Kompetenz: sich und andere besser verstehen
Inhalte
Soziologie
Wie Leute wohnen Wie Leute sich er holen Wie Leute miteinander in Verbindung treten
Politik
Wie Leute am Gemeinwesen teilnehmen
Alle Repräsentationen der Zielkultur im Unterricht: Ihre Bedeutung innerhalb der Zielkultur und für die Lernenden
Wirtschaft
Wie Leute sich ver sorgen Wie Leute arbeiten/ ihren Lebensunterhalt sichern
Kultur
Wie Leute sich bild en (kultur elle Tradierung)
Geschichte LANDESBILD
ALLTAGSKULTUR/ GESPRÄCHSTHEMEN
FREMD-/ KULTURVERSTEHEN
allgeme in befindet s ich se it V. Rad da tz mater ialreicher Untersuc hung „Fremd spr achliche Landes kunde in Unterr icht und For sch ung – Eine Bilanz se it 1945“ (1989) in einer bes seren, über schau bareren Situation. Günter Weimann und Wolfram Hosch vom Deutschen Institut für Ferns tud ien (DIFF) in Tübingen s chlagen in Anlehnung an die „vier Lehrwerksgenerationen“ (Götze 1990) folgende Klassifizierun g de r versc hiedenen „Herangehensweisen“ der Landeskund emeth odik vor. Sie unters cheiden zwischen d em • ko gn it ive n • kommunikativen Ansatz • interkulturellen Mit Recht merken s ie dabei an, daß diese Ansä tze „in de r Praxis ... selten in ihrer ,reinen Form‘ vorkomm en.“
Zum kognitiven Ansatz : Auf der Ebene der Lerninhalte stehen Realien, Institutionenkund e, Geschichte und Kultur im Vordergrund. Der Lernprozeß zielt dabei vor allem auf die Aneignung von Wissen, Daten und Fakten ( siehe Abb . 1). Die Themen werden von d en jeweiligen Bezugswisse nschaften wie Politologie, Soziologie, Gesch ichte, Geograph ie oder Literaturwisse nsch aft abgeleitet. Landeskund liches Lernen ist in diesem Ansatz d em sprach lichen Lernen meist nachgeordnet und findet oft erst im Unterricht mit Fortgeschrittenen statt. Im Hintergrund steh t die Vors tellung, die Aufgabe der Landes kunde sei es, „ein beziehungsreiches, zusammenhängendes System deutscher Wirklichkeit zu vermitteln“ (Delmas / Vorderwülbecke 1982, 202). Bei allem enzyklopädischem Ansp ruc h, die Zielkultur in ihrer Gesa mtheit zu erfasse n, stehen d ie Lehre nden sowohl aufgrund de r im Sprach unterricht zur Verfügung steh end en Zeit für landeskundliches Lernen als auch aufgrund der mangelnden sprachlichen Kompetenz der Lernenden vor der Qual der Auswahl. Auch die th eoretischen Überlegungen zur Rolle un d Aufgabe d er LandesAbb.1 : Tabelle nach W eimann und Hosch * Die Inhalte des kommunikativen Ansatzes ent- sprechen den von Gerhard N euner entw ickelten Kategorien. Fremdsprache
Deutsch
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sich vor allem auf Handlungsfähigkeit in der Zielkultur und Einstellungen gegenübe r d er Zielkultur. Fragen nach den Bezugswissenschaften bzw. curriculare Entsch eidungen treten d abei in den Hintergru nd. Baus inger stellt z. B. fest: „Es gibt in der Tat kaum geordnetes und erschlossenes Material, man muß sich das im allgemeinen selber zusammensuchen“ (Bausinger 1985, 7).
Zum interk ulturellen Ansatz : Angesichts d er Tats ache , daß Vers tändigungsfähigkeit nicht auf die korrekte Verwen dun g eines zunä chs t fremdar tigen sprachlichen Systems reduziert werden kann, rückte in der Fremdsp raAbb. 1 : Lernziel Deutsch 1 , S.1 94 : Kognitiver Ansatz chenforschung (vor allem in der Engkunde im Sprachunterricht, wie sie in Handlungen im Alltag und das Vers te- lischdidaktik) in den 80er Jahren die dem Konzept „Landesbild der DDR“ hen alltagskultureller Phänomene Interdependenz von sprachlichem und zum Ausdruck kamen, sind einem unter stüt zen. In d er Aneignung lande s- kulturellem Lernen verstärkt in das kognitiven Ansatz zuzurechnen. Das kundlichen Wiss ens wird eine wesen tli- Blickfeld. Das hat te zur Folge, da ß die Lehrprogramm LK-DDR, das 1982 in che Bedingung für eine adäquate kommu nikative Didaktik zu einer inte rKraft trat, enthielt beispielsweise die Sprachverwendung gesehen, denn kulturellen erweitert wurde (siehe Zielstellung, „ausländischen Germa- Sprach enlernen wird als Bedeutungs- Abb. 3). Doch nicht nur aus s prach dinistikstudenten system atisch e in lebens- lernen konzipiert. Die Landeskunde daktischer, sondern auch aus politinahes Bild von Gegenwart, Geschichte hat in diesem Ansat z eher eine dienen- scher Sicht wird heute verstärkt für und Perspektive der Deutschen Demo- de Funktion. Die Lernziele beziehen eine Verbindung von fremdsprachlikratischen Republik zu vermitteln“ und „die Vertiefung eines wissenschaftlich fundie rten Geschichtsbe wuß tseins z u för- Abb. 2: Deutsch Aktiv I A (alt) , S.92 : Kommunikativer Ansatz dern“ (Arndt 1985, 144). (Letzteres weist auf die ideologische Komponente der Landeskunde, siehe dazu Abs chn itt 6.)
Zum komm unikativen Ansatz: Mit der kommunikativ orientierten Didaktik erfahren auch die landeskund lichen Lerninhalte eine Neubestimmung: Sie werden jetzt nicht mehr anha nd der „Gegenstän de“ der Zielkultur gewonnen, im Vordergrund stehe n vielmehr die Erfahrungen, Kenntnisse und Einstellungen der Lernenden. An ihren Intere sse n und Bedürfnissen orientiert sich die Auswahl landeskundliche r Inhalte. Die „Them en“ werde n z.B. anhand sogenannter „Grunddaseinsfunktionen menschlichen Lebens“ (Neuner 1979, 128) od er „Grun db edü rfnisse“ (Bausinger 1985, 6) gewonnen, von denen man an nimmt, daß sie von allgemeinem Interesse sind (Abb. 2). Die Landeskunde ist im kommunikativen Fremdsprachenunterricht sowohl informa tions- als auch hand lungsbezogen konzipiert u nd s oll in beiden Fällen vor allem das Gelingen sprachlicher Fremdsprache
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nikation nikation soll darüb er h inaus einen BeiBeitrag zur Völkerverständigung leisten. (Weimann G./Hosch.W, unveröffentlicht licht es Manus kript 1992) 1992)
5 . Pra k tisches tisches Beispiel: Beispiel: Thema ,Arbeit‘ im Anfängerunterricht
Abb. 3 : Sprachbrüc Sprachbrücke ke 1 , S.1 04 : Interkultureller Ansatz Ansatz
chem und kulturbezogenem Lernen plädiert. Im Zuge weltweiter Wanderungsbewegungen, die multikulturelle Gesellschaften entstehen lassen, und übernationaler Zusammenschlüsse (z.B. der EG-Binnenmarkt) sieht sich der Fremdsprachenunterricht neben anderen Fächern neuen Zielsetzungen ielsetzungen und Anforderungen nforderungen gegenüber gegenüber : „Ideally, intercultural education begins at the elem entary level an d continues through through 17) adult education.“ (Fantin i 1991, 17) Damit erfuhr d ie Land Land eskund e eine Aufwertun g: Neb en d ie kommun ikative ikative fremd spr achliche Komp Komp etenz t ritt KulKultur - bzw. bzw. Fremd Fremd verste hen als gleichbegleichberechtigtes Lernziel. Mit Hilfe exemplarischer Themen sollen die Lernenden befähigt werden, die eigene und fremde Kultur besser zu verstehen. Ein
interkulturell ausgerichteter Sprachunterricht will will deshalb nicht in ers ter Linie „I „Informat ionen“ verm itteln, den n es geht vor allem um die Entwicklung von Wahrnehmungs- und Empathiefähigkeiten ähigkeiten sowie u m die Entwicklung Entwicklung von Fähigkeiten, Fähigkeiten, Strate gien gien un d Fertigkeiten im Umgang mit fremde n KultuKulturen und Gesellschaften (vgl. ABCDThesen ). Ethn Ethn ozentr ische Sichtweisen Sichtweisen sollen relativiert relativiert und Voru rte ile ile ab gebaut werden, indem die eigene eigene Lebenswelt welt vor de m Hintergrund Hintergrund der fremden – und umgekehr t – gede gede utet wird. Das Globalziel der interkultur ellen ellen Kommu-
Mit Bedacht habe ich dieses Allerweltsthema gewählt: Es gehört zum Standard-Angebot fast jedes Deutschlehrwerks lehrwerks und ist durchaus vorurteilsvorurteilsbeladen. Das Beispiel (siehe Abb. 3) sta mmt aus dem Deutschlehrwerk SPRACHBRÜCKE I, mit dem man etwa ab dem Alter von 16 Jahren in nicht deutschspr achigen Lände Lände rn ar beiten kann. Bei Bei diesem Hörtext (den man au ch a ls LV LV nutzen kann) handelt es sich um ein Interview, in welchem eine Deutsche, Frau Klinger linger ( aus Nürnberg), von zwei ,einheimische ,einheimische n‘ Stud enten (dere n Herkunftsland ,Lil ,Lilaland‘ aland‘ unb estimmt bleiben s oll, oll, daher au ch d ie Kunstnam Kunstnam en) zum Thema Arbeit/Freizeit befragt wird. Der thematische Ausgangspunkt ist ein verbreitetes (Vor)Urteil, „wonach die Deutschen die Japaner Euro pa s se ien, ie n, m ithin ith in Am e ise n.“ (Süddeutsche Zeitung 1991, Zitat E. Cresson, ehemalige französische Ministerpräsidentin). Textstruktur und Lexik sind dem Kenntnisstand von Anfängern nach ca. 100 100 bis 120 120 Stun Stun den Deuts chunterr icht angeglichen. angeglichen. Die Struktur des Dialogs zwischen den b eiden Studen Studen ten (Frau Boto Boto und Herrn Alga aus ,Lilal ,Lilaland and ‘, in de ren Rollen die jeweiligen ,konkreten‘ Schülerinnen und Schüler schlüpfen sollen/können,) ist nun so angelegt, daß es Schritt für Schritt zu einer Demontage der Ausgangsbehauptung „Die „Die Deuts Deuts che n ar beiten viel“ viel“ kommt kommt . Nun könnte man einwenden, das sei eine unbewiesene Behauptung eines ,Kuns ,Kuns tte xtes‘ aus einem Lehr werk. DieDiesem Einwand begegnen die authentisch en Mater ialien ialien (Grafik (Grafiken, en, Zahlentabellen), die diesem Dialogtext Dialogtext zugeord net sind und die mit ihm zusammen beha ndelt werden sollen. sollen. Ob man alle alle ,durchnimmt‘, ,durchnimmt‘, sollte sollte d em Interesse der Klasse an der Arb eit mit solchen Text-
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sorten überlassen bleiben. Methodisch e Wege, Wege, die den allzu allzu eingef eingefahre ahre nen Weg de r ,W,W-Fragen‘ verme iden helfen, werd en eingesch lagen, z.B z.B.: • die ,Ü ,Übersetzung‘ bersetzung‘ der Tabel Tabelle lenn in einen Lückentext, • für interakti interaktive ve Partnerarbeit: Partnerarbeit: das Löschen bestimmter Daten aus der Statistik des einen Schülers, die dieser dann von seinem Partner, der über alle Informationen verfügt, erfragen erfragen muß (Arbeitsbuch) od er • die Erstellung rstellung entsprechender TaTabellen für für d as eigene Land. Verfähr t man in de r hier vorgesc hlagenen Weise, dann ist Landeskunde kein isolierter Teil des Deutschunterrichts: Das landeskundliche Thema wird organisch in den Prozeß des Spracherwerbs integriert und erhält in einem interaktiven interaktiven Lernprozeß seinen sicheren Platz Platz im Unterricht. Exk urs: Wie a kt ualisiere ich ich ein Lehrbuch – oder: die leidige Fra- ge der Informationsbeschaffung Da Lehrbücher im Augenblick ihres Erscheinens stets auch landeskundliches Material präsentieren, welches ber eits „veraltet“ ist ist – diese Erkenntn is trifft natürlich besonders auf statistisch e Angaben Angaben zu – folgt folgt hier ein weiterer prod ukti uktivv umzusetzender Einwand: „Aber „A ber die Zahlen in den Tabellen sta mmen ja aus der Mitte Mitte d er 80er Jahre“. Bei drei der a bgedr uckten Tabellen hande lt es sich um unveränder unveränder te oder leicht gekürzte Wiedergaben von GLOBUS-Kartendienst-Blättern. Nun kann man zum Beispiel beim Globus Globus -Kart endienst (siehe Adresse S. 55) nachfragen, ob es aktu ellere Blätter Blätter zu m jeweiligen li gen Thema gi gibt, bt, was in d er Regel der Fall ist. Unternehmen wir also einmal exemp larisch de n Vers Vers uch , die im im Lehrbuch schon seit fünf oder mehr Jahren fixierten Informationen zu aktualisieren. Wir Wir wenden u ns an e inen Informationsdienst, blättern in verschiedenen deutschen Zeitungen, sofern öff öffent ent li lich ch zugängli zugängliche che Bibli iblioth oth eken (der Hochschulen, der Stadt oder des nächsten Goethe-Instituts) sie
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läß t. Dieses Dieses Verfahren Verfahren kan n man a uch die Darstellung von „Brechungen in der Ziel ielspra spra chenkultur“ nennen. Die ,Methode‘, durch den Lehrer (allein) Informationen auf den neuesten Stand zu bringen, ist aber nicht bloß wegen des damit verbundenen Arbeitsaufw rbeitsaufwandes andes nur die zweitbest zweitbest e. Im modernen Fremdsprachenunterricht denken wir wir ja auch da rübe r nach, wie die Schülerinnen und Schüler zu selbständigem, autonomem Lernen befähigt werde n kön nen. D.h. D.h. wir Lehrer üb erlegen uns , wie wie wir sie mit mit relativ einfachen Hilfsmitteln in die Lage versetzen können, sich ohne unsere Hil ilffe be i der Lösung von fremdsp rach lichen Problemen zurechtzufinden. Die sprachlichen Mittel und landeskundlichen Kenntnisse, Kenntnisse, die man b raucht, um sich neue oder aktuellere InformatioAbb. 4: Thema „Arbeit“ nen zu beschaffen, sind nicht allzu kompliziert. Man sollte sie sobald als bereithalten oder schreiben direkt an irgendmöglich – und immer wieder – eine sogenannte Primärquelle, wobei zum Gegenstand von Unterricht zu beachte n ist, daß die meisten meisten kom- machen. merziellen Informationsdienste nicht Im Briefbeisp Briefbeisp iel (Abb (Abb . 5) geht e s u m kostenlos tätig werden. Löhn e un d Preise, ein im landeskund li li-Wir ha ben in de n n eue ren GLOB OBU US- chen Vergl ergleich eich ste ts interessantes – Lieferungen geblättert (siehe Abb. 4). aber selten differenziert genug abgeDieses Schau Schau bil bildd hab e ich desh alb aus handeltes – Thema. Dazu eine Liste der Fülle des angebotenen Materials von Adressen, die bei der Informatiaus gewählt, weil weil es die Lehr Lehr buc hst ati- onsb escha ffung nüt zl zlich ich sein können. stiken nicht einfach in die Gegenwart forts chreibt, son dern auf einen einen Aspe Aspe kt des Themas aufmerksam macht, welchen wi wirr b isl islang ang mit dem vorli vorliegenden egenden Material überhaupt nicht erfaß erfaß t hab en (der vielleicht 1985 auch noch gar nicht so bedeutend war). „Die Deutschen“, die in kleinen selbständigen Betrieben arbeiten, aber auch eine erhebliche Anzahl von Beamten und An diese m Beisp Beisp iel sto ß en wir auf eine eine Angestellten, arbeiten auch am Wo- elementare Schwierigkeit beim Umchenend e (und an Feiertagen). Feiertagen). Zu Zu ver- gang mit Land Land eskund e und d er VerVermuten steht, vor allem wenn man die mittlung von landeskundlichen „Fak jahh re la ja lang ngen en Init iat ive n d er d e u ts ch en ten“, die ich die „ideo „ideo logi logisch sch e Komp Komp oArb eitgeber um d ie Flexi Flexibili bilisieru sieru ng der nente“ der Landeskunde nennen Arbeitszeit hinzunimmt, daß dieser möch te. Es sind ja in a ll ller er Regel keine keine Trend anhält. „Fakten“, wie wir sie aus dem Umgang Ein Resultat Resultat des Bemühe ns, veralte- mit Technik Technik und Natur kennen (wobei te Informationen Informationen zu er setzen, beste ht wi wirr nicht übe rsehen wol wollen, len, daß auch also auch darin, daß wir ein differen- diese revidiert und umgestoßen wer z ie iertere rtere s Bild vo m Th em a „Arbe it in den). Landeskundliches Wissen ist Deutschla Deuts chland nd“ “ erha lten, ein Bild Bild welches viel vielmeh meh r gesell gesellsch sch aftl aftliches iches Wissen. Es nicht eindeutig ist und welches sich ist darum interpretierbar, abhängig kaum in wohlfeile Schlagworte oder von den Interessen der InformationsSlogans vom Ty Typp „Die Deuts Deuts che n s ind fleißig/arbeiten zu viel etc.“ pressen
6. Die ideologische Kom Ko m ponente von La ndeskunde : Der Str eit um das ,richt ,richt ige‘ Deutschlandbild
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Abb. 5: Sprachbrücke 1, S.167: Informationen beschaffen
quellen, die ich gerade benutze, seine Verm ittlung ist ist p er se n ie abgesch lossen. Bereits im Anfängeru Anfängeru nter richt sollte man versu chen , diese Schwierigk Schwierigkeit eit zu thematisieren. Dies ist im übrigen dann d er Ort, wo in in hom ogenen GrupGruppen die Mutters Mutters prach e unserer Schülerinnen und Schüler zu ihrem Recht kommt. In In uns erem Beispiel gesch gesch ieht die Prob lematisierung, inde inde m Informa Informa tionsquellen angegeben werden, die das in Frage stehende Thema unter anderem einmal aus d er Sicht Sicht d er InduIndustrie, einmal aus de r Sicht Sicht der Gewerkschaften beleuchten.
Man kann ziemlich siche r sein, daß ein Verfahren, das möglichst viele – auch gegensätzliche – Aspekte eines Sachverhaltes zur Sprache bringt, für alle landeskundlichen Gegenstände angemessen ist, handle es sich nun um die Themen Ökologie, Religion, Sport, Arbeit oder Anredekonventionen (Pauldrach 1987). Für die Deutschlehrerinnen und Deutsch lehrer im Ausland Ausland ist d as Problem der Informationsbeschaffung oft
in einer besonderen Weise zugespitzt. Natürlich gibt es Institutionen, die sich gleichsam von Amtes wegen mit der Aufgabe befassen, die Öffentlichkeit (die inländ inländ ische wie die die ausländ ische) mit Informationen und Materialien übe r den ges amte n Umfang Umfang des ges ellellschaftlichen schaftlichen Lebens Lebens in der Bundes republik zu versorgen. In unserem Beispiel wird das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung Bundesregierung genannt. Andere Institutionen sind z. B. INTER NATIONES oder die Zentralstelle für das Ausland ssc hulwese n (ZfA (ZfA). In In d er Regel ist man als Deutschlehrer sehr dankbar für die Materialien, die diese Institutionen – meist auch noch kosten los – zur Verfügung st ellen. Nur Nur eins muß man auch wissen: Diese Stellen vermitte ln keine ,objektiven‘ ,objektiven‘ InformaInformationen, auch sie sind im Konfliktfall Partei, soll heißen, sie vertreten bei kontroversen Fragen – je nachd em, wie wie abhängig sie institutionell, personell oder finanziell sind – eine bestimmte Meinung. Wem dies alles zu abstrakt und wirklichkeitsfern wirklichkeitsfern klingt, der s ei an jene innenpo litische litische Diskussion in der Bundesrepublik (zwischen CSU und FDP) erinnert, an de r sich eine Auseinander Auseinander set zung um d ie „A „Ausgewogenh eit“ des Deutschlandbildes entzündete. Zum selben Zeitpunkt wurden aber auch nicht unbeträchtliche Summen aus dem Bundes haush alt zur Bekämpfung Bekämpfung des Bildes ildes vom „häßlichen Deutschen“ zur Verfügung gestellt: „Das Deutschland bild ist ins Gerede Gerede gekommen. Gemeint ist nicht das Bild, das sich das Ausland von Deutschland macht, sondern die Art und Weise, wie sich die Bundesrepublik Deutschland selbst gegenüber dem Ausland darstellt“ (Ammer 1988, 1988, 1). Im Verlaufe dieser Kontroverse, in der e s um eine möglichs möglichs t pos itive itive DarDarstellung stellung d er Bundes republik Deutsch Deutsch land ging und die sich zunächst und haup tsäch lich lich auf die KulturprogramKulturprogramme d es Goethe-I Goethe-Institutes richtete, trat die damalige Bundesregierung an das Goeth e-I e-Inst itut mit der Bitte her an, einmal zu prüfen, welches Deutschlandbild eigentlich die gebräuchlichen Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrwerke vermitteln. Das Goethe-Inst Goethe-Inst itut re ichte
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diese Frage an ein Gremium renommierter Professoren, den Beirat Deutsch als Fremdsprache, weiter. Dieser Beirat wies zunäch st d as Ansinnen, „Zensurkriterien zu entwickeln“, was manch e hinter dieser Anfrage vermuteten, weit von sich. Schließ lich wurd en Leitlinien entwickelt, die bei künftiger Lehr werkproduktion von den versch iede nen Bete iligten (Auto ren, Verleger n) beherzigt werden sollten: „Texte in Lehr werken des Deutsch en als Fremdsprache. 34 Maximen“ (Jahrbuch Deutsc h a ls Fremds prach e 1987). Wahrscheinlich gibt es neben der deuts chen kaum eine Nation , die sich so intensiv um ihr ,Image‘, welches man im Ausland von ihr hat (die Stereotypenforschug nennt dies ,Fremdbild‘), kümmert oder gar kümmern muß. Es nimmt darum nicht wunder, daß gerade der Prozeß der deutschen Einigung sogleich zu entsprechenden Fragestellungen Anlaß gab. Und so kommt eine Untersuchung mit dem sprechenden Titel „Die häßlichen Deuts che n? Die Deuts che n im Spiegel der westlichen und östlichen Nachbarn“ zu dem für den Fragesteller erfreulichen Resultat: „Das Deutschla nd-Bild de r Nachbarn hat sich im Laufe von vier Jahrzehnten verbessert oder normalisiert. Konstante Ängste v or eine m aggressiv en deutschen ,Nation alcha rak ter‘ oder vo r de m Rück fall de r de utsche n Nach kriegsde m ok ratie in ein autoritäres Regime haben beträchtlich abgenommen. Geblieben ist jedoch die pla usible Furcht vo r der wirtschaftlichen und politischen Stärke der Bun de srepublik in Europa und auf dem Weltmarkt. Nicht mehr singuläre Ereignisse der deutschen Geschichte, sondern universelle Motive politischer Konkurrenz zwischen Nationen und Staaten prägen he ute das Deutsch lan dbild de r internationalen Öffentlichkeit“ (Trautmann 1991, 8). Offensichtlich widersprechen sich auf dieser ganz allgemeinen Ebene da s Deutschlandbild als ,Eigenbild‘ (der dam aligen Bunde sregierung, muß man einschränkend s agen) und die ,Fremdbilder‘ (d.h. die untersuch ten Deutschlandbilder in anderen Staaten) in erhe blichem Ausmaß . Diese in der Vor-
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urteilsforschung bekannte Erscheinun g vereinfacht d ie Situation d es Lehrers nicht: weder die eine noch die andere Seite der Betrachtung ist ,objektiv‘. Vielmehr bed arf d er Riß zwischen beiden de r Verdeutlichung und – wenn m öglich – de r Erkläru ng.
7 . Interk ulturelle Lan deskunde – neue Perspektiven, neue Them en, ne ue Verfahren
universaler Humanität (z.B. in Form der Menschenrechte) und Toleranz gegenüber allen fremden (und eigenen!) kulturellen Äußerungen (die auch b arbarisch sein können). Auf fachimma nent er Ebene werden Einwände, soweit zu sehen ist, nur noch gelegentlich u nd d ann als Auseinandersetzung um die Konstituierung einer „Interkulturellen Germanistik“ erhobe n (Zimmermann 1989).
Aspekte einer interk ulturell verfahrenden Landeskunde
Was ab er s ind nun d ie Merkmale interkultureller Kommunikation im allgeKonnte m an vor Jahren noch d ie „inter- meinen, die uns dabei behilflich sein kulturelle Kommunikation“ als „das können, die praktischen SchwierigkeiZauber wort der Fremdsp rachend idak- ten bei der Umsetzung ,herkömmlitik“ be zeich nen (Müller 1986, 33), so ist cher‘ Landeskundekonzeptionen zu mittlerweile fast zu befürchten, daß verringern. aus dem Zauberwort von ehedem ein Schlagwort geworden ist, das schlicht • „Konfrontative Semantik“ (Müller dazu mißbraucht wird, in der fachdi1981) daktischen Auseinande rsetzung zu zei- Dieses Verfahre n sc hließ t die gängigen gen, daß man sich auf der Höhe der Method en d er Semantik (Übers etzen, Diskussion befindet. Paraphrasieren, Bedeutungsanalyse Immerhin gibt es inzwischen mit etc.) nicht au s, es ergänzt sie vielmehr „Sprachbrücke“ und „Sichtwechsel“ durch die Erkenntnis, daß sich der zwei ,interkulturelle Lehrwerke‘, wie wirkliche Bedeutungsumfang fremddie vierte Generat ion der (bun desr epu- sprachlicher Texte erst dann ergibt, blikanische n) Lehrwerke genann t wird, wenn man die „hinter“ den Wörtern und die Landeskunde befindet sich stehende gesellschaftliche Wirklichebenfalls, wie wir gesehen haben, in keit, den Kontext, ihre Funktion und ihrer ,interkulturellen Phase‘. Abhängigkeit von und in der gesellKritik an diese m Konzept, welches scha ftlichen Praxis m iterarbeitet. letzlich den hohen Zielen von VölkerBeisp iel „VATER“ (wa agre ch t: ,klas verständigung und allgemeiner Tole- sisches‘ Wortfeld der Verwandtschaftsranz verp flichtet ist, wird nur no ch s el- beziehungen und Komposita – senkten geübt, obwohl es schon noch recht: s oziale Bedeutung): Anlaß dafür gäbe: „Toleranz gegen Humanismus: so Mutter – Kind – Großvater – Onkel – Bruder – Nichte könnte man das Paradox einer Kritik VATER des Ethnoz entrismus z usamm enfassen, Vaterland – Vaterschaft – Doktorvater -väterlich – die dazu führt, jedes Individuum auf seiVater unser Autorität ne Ethnie z u z entrieren. Von Kultur nur Familienvorstand im Plural zu sprechen, bedeutet nämGeldverdiener lich, den Menschen verschiedener EpoAktiv in (Vereins-)Politik chen oder entfernter Zivilisationen die Spielkamerad am Wochenende („ Samstags gehört Pappi mir“ ) Möglichk eite n z u verw eige rn, übe r denk(nach Müller, B.D. 1985, 1 32) bare ... Werte, die über ihren Entstehungsbereich hinausgehen , m iteinander in Verbindung zu treten (...)“ (Finkiel- • Erweiterung des Gegenstandkrau t 1989, 107 ff). bereichs der Landeskunde um das Zwar ist dieser Einwand auf philoFeld „Alltagskultur“ und „Leutekunsoph ischer Ebene formuliert – es geht de“ (Krumm 198 8) unter an derem u m eine Diskussion des Gemeint ist damit, daß z.B. BeHerderschen Kulturbegriffs –, aber er grüßu ngs- und Verabs chiedungsrituahält den Widerspruch fest zwischen
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le, Anredekonventionen (du/Sie), Schönh eitsvorstellungen, verschiedene Bewertung der Farbsymbolik etc. mindestens ebenso wichtige Gegenstände der Landeskunde sind wie die Kennt nis der Verfassun gsinstitutionen oder der Wirtschaftsstruktur der Zielsprachengesellschaft. Zudem b esitzen diese Themen d en groß en Vort eil, daß sie oft unmittelbar dem Erfahrungs-, Gefühls- und Kenntnishorizont u nserer Schülerinnen und Schüler zugänglich sind. Das kann auch bedeuten, daß sich die Akzente dieses Landeskundeunterrichts von den (kognitiv bestimmten), durch den Lehrer vermittelten Wissensinhalten zu den (mehr affektiv besetzten) Erwart ungshorizonten der Schüler verschieben (vgl. den Deutschlandknigge und die Beiträ ge von H.J. Krum m un d H. Weber in diesem Heft).
• Fremdperspektive (Pauldrach 198 7 u. a.) Die meisten Lehrwerke für den Deutschunterricht wurden bislang – soweit es sich um deut sche Publikationen h andelt – aus de r ,Nabelschau ‘ der Bund esre pub lik (ode r d er DDR) konzipiert und geschrieben, also aus der Perspektive dessen, der die deutschspr achigen Länder von innen sieht und diese Per spe ktive auch vermitteln will. Daß dieses Verfahren ,Deutschland kennenlernen mit deutschen Augen‘ eigentlich nicht funktionieren kann, hätte uns die (Ethno)Psychologie schon lange sagen können, hätte die Deut sch -als-Fremd sp rac he-Didaktik sie nur gefragt. Das Neue, das an dere, da s Fremde sehen wir zunächst, und das scheint eine d er wenigen anthrop ologischen Konstanten zu sein, fast ausnahmslos durch den Interpretationsfilter d es un s Vertra uten, an d em d as ande re ,gemessen ‘ wird. Insofern ist es auch ganz ,normal‘, auf diese s Fremde mit Erstaunen, Befremden, meist mit gemisch ten Gefühlen, häufig zu negat iv (Kulturschock) und selten überschwenglich positiv zu reagieren. Fremdpe rspektive aufnehmen heißt in diesem Sinne also auch , vor allem de n Ausgangspunkt des Lernenden ernstnehmen. Das bedeutet zugleich, daß wir als Fremds prac henlehrerinnen und
-lehrer die Stereotyp e un d Voru rte ile unserer Schüler (von uns eren eigenen ganz abgesehen!) als vorhand ene u nd das Fremdbild bestimmend e Faktoren wahrnehmen un d akzeptieren müssen (vgl. auch „Aktuelles Fachlexikon“ in diese m Heft).
• Rückbezüglichkeit de s Blickes auf das Fremde. Konsequenzen für das Eigenbild So könnte man eine weitere Leistung interkulturell verfahrend er Landes kunde b ezeichnen . Das so ll nichts and eres heißen, als d aß die intellektuelle und emot ionale Arb eit am Vers teh en der fremden Sprache, Kultur und Gesellsch aft auch p rodu ktive Auswirkungen haben sollte au f das Verstän dnis von eigener Spra che und Kultur. (Ihekweazu 1988) (vgl. dazu die Beiträge von Drechsler, Weber und den Deutschlandknigge in d iesem Heft). Praktisch werden diese Überlegungen in Form der Lehrmaterialienproduktion etwa seit Mitte / Ende der 80er Jahre relevant. Seitdem wird der Erstellung sogenannter regionaler Lehrwe rke (oder zumindest regionaler Adaptationen deutscher Lehrwerke) erhöhte Aufmerksamkeit und Unterstützung zuteil (mit gemischten Autorenteams, die die beiden Pole des interkulturellen Vers tänd igungsp rozesses repräsentieren, z.B. in Chile, Ind one sien, West afrika, Spanien, Dänemark etc.). Andere Lehrwerke (vor allem der sogenannten vierten Generation) werden zwar zu einem erheblichen Teil noch einsprachig deutsch produ ziert, finden aber ihre Ergänzung in sprach- und kulturkontrastiven Arbeitsbüch ern (z. B. „Sprach brüc ke“). Di e Methode der Landeskunde:
Der Verglei ch?
Interkulturelle Landeskunde ist also „in“ und ihr b eliebt est es Verfahren ist der Vergleich: „...weder im eigenkulturellen noch im interkulturellen Be reich (k omm t) m an um das Vergleichen he rum . Der Vergleich stellt eine, w enn nicht d ie kognitive Operation zur Erkenntnisgewinnung dar: Neues, Fremdes wird auf der Vergleichsgrundlage des bisher Erfahrenen integriert“ (Müller, B.D. 1986, 37, Hervorh ebu ng von AP). Dieser Feststellung wäre sofort zuzustimmen, wenn sie „nur“ eine
Besch reibung alltägliche n Denkverhaltens wäre, welches auch und vor allem im Fremdsprachenunterricht stattfindet. Bernd Müller und viele andere Fremdsprachendidaktiker sehen aber im Vergleich durchaus mehr. Er soll ein, wenn nicht das Mittel der Erkenntnisgewinnung im interkulturellen Fremdsprachenunterricht sein. Und diese Behauptung ist schon einer näheren Überprüfung wert, wie uns zunäch st und ganz banal der Volksmu nd leh rt , dem zufolge ja alle Vergleiche hinken. DER GROSSE DUDEN führt zur Tätigkeit d es „Vergleichens “ aus: „1a) prüfend nebeneinanderhalten, gegeneinande r abwägen, um Unterschiede oder Übereinstimmungen festzustellen“ und 2) „sich vergleichen, sich m it jmd. me ssen...“ (Dude n, Bd.6, 2747). Es lohnt in diesem Zusammenhang, sich der sprachlichen und kognitiven Mittel des Vergleichs zu erinnern. Dabei handelt es sich um die Tätigkeiten: • Identifizieren, also Gleichheit feststellen, • Differenzieren, also Untersc hiede, d.h. Nichtgleichh eit fest ste llen – un d • Komparation, also Verschiedenheit in der Gleichheit mess en. Da die Komparation stets nur ein ,mehr‘ oder ,weniger‘ eines Aspekts, einer Eigenschaft an zwei unterschiedenen Gegenständen feststellt, kann sie in der Regel nur qua ntifizieren d ver fahren. Mit diese m ,meh r‘ oder ,weniger‘ ist aber allzu häufig eine Bewertung verbunden, so daß daraus sehr schnell ein ,besse r‘ ode r ,schlech ter ‘ wird. Und damit sind wir bei zwei Paradekategorien de s Voru rt eils angelangt. Dieses wertende Vergleichsverhalten, welches unser Alltagsleben bewußt und unbewußt (vgl. etwa die „Überzeugungsstrategien“ von Werbung) beherrscht, hat seinen Ursprung offenb ar in de n Leistun gs- und Konkur renznormen entwickelter Indust riegesellschaften und ist selber wieder nur
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Vergleich
Erkennt nis sein, daß viele Ersc heinungen in anderen Kulturen/Gesellschaften e ben – im alltäglichen Wort sinne – nicht vergleichbar, sondern anders sind: Das Fremde wird als Fremdes erkennbar und bleibt – fremd und anziehend zugleich (Krusche/Wierlache r/Kristeva 1990). Prak tischer Exkur s: Anme rk un- gen zu ,Arbeit‘ und ,Kommunik a- tionsstrategien‘ im inter- kulturellen Vergleich
Ulrich Hofmann
in seiner Kultur- und Gesellschaftsgebundenheit zu verstehen. Auch auf der Ebene wichtiger Bezugswissenschaften der Landeskunde (z. B. der Politikwissenschaft, wo der Vergleich insges amt e ine seh r viel bedeu tsamere Rolle sp ielt als in and eren Sozialwissenschaften), stellt sich die methodische Situation nicht sehr viel beruhigender dar (Beyme 1988, 58). Der ,alltägliche‘, ,normale‘ Vergleich – so wäre dieser Exkurs zusammenzufassen – kann kein Instrument der Erkenntnisgewinnung s ein, er set zt vielmehr die (Er)Kenntnis der verglichenen Gegenstände voraus. Der ,interkultu relle Vergleich‘ dagegen, dem die genannten Mängel nicht anhaften, setzt also – und nun kehren wir auf die Ebene des Unterrichts zurück – auch allerhand vorau s, sowohl auf der Seite de s Lehrer s wie auf Seiten des Schü lers. Vielleicht sollte man diese Einsicht curricular so formulieren: Der Vergleich beherrscht zwar unser Alltagsdenken und ist insofern auch praktisch e Voraussetz ung von Fremdsprachenunterricht, er sollte aber gerade nicht als Methode zur Erkenntnisgewinnung behauptet werden. Er hat vielmehr seinen Platz am Ende d es Verstehens- und Verständigungsprozesses zwischen zwei Gesellschaften und Kulturen, er ist sein Ziel. Ein Ergebnis einer solchen reflektierten (un d nicht vorsch nellen) Vergleichsdidaktik wird dann auch die
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Ein paar Beispiele unterschiedlicher Herkunft so llen b elegen, wie vers chieden ganz alltägliche Begriffe auch zwischen nicht weit entfernten Gesellschaften verstanden und empfunden werden. Diese Beispiele mögen auch verdeutlichen, daß es im interkulturellen Vergleich nicht dar um geht zu werten, sondern daß in einem fortschreitenden Prozeß (zunächst und oberflächlich) Ähnlichkeiten und dann (je mehr man in die fremde Materie eindringt) Unterschiede herausgearbeitet werd en mü ss en. Dies geht, wie die Beispiele zeigen, nicht ohne eine Menge Wissen und Erfahrung über zwei Gese llsch aften od er Kulturen – zumindest auf seiten des Lehrers. Kehren wir noch einmal zu unserem eingangs erwähnten Thema ,Arbe it‘ zurüc k. Wir vera nst alten eine kleine Wortfeldanalyse (im Sinne der „Konfrontativen Semantik“), die auch Begriffe um faß t, die en g mit de m Zentra lbegriff ,Arb eit‘ zu tu n h abe n. Es werd en Verhältniss e in de r Bundesrepublik Deutschland und in Schweden interkulturell verglichen. • In Schweden gab es bis vor wenigen Jahren Arbeit für alle (Prinzip der Vollbes ch äftigung), Arb eits losigkeit spielte (fast) keine Rolle. 1992 wird die Arb eitslosigkeit au f über 4% ste igen, das gilt als Zeichen einer ernsten wirtschaftlichen Krise. • In (West)Deutschland (in der Statistik heißt d ies: in den alten Bund esländern) hab en sich die Leute sp ätestens seit Beginn der 80er Jahre daran „gewöhnt“, mit Arbeitslosigkeitszahlen von um die zwei Millionen, d.h. zwischen 7% und 10% zu leben, ein Sinken unter 6% gilt als enorme wirtschaftspolitische Leistung.
• Die schwedische Inflationsrate, d.h. die Steigerung der Verb rauch erp reise betrug lange Zeit mehr als 10%, was den meisten Leuten aber kein allzu großes Kopfzerbrechen bereitete, sie hatten ja Arbeit und entsprechende Lohnsteigerungen. • In Deutschland droht seit langer Zeit wieder einmal eine Inflationsrate von mehr als 4%. Die Bundesbank und der sogenannte Mann auf der Straße halten dies für ein ernstes Krisenzeichen. • Die Löhne und Gehälter in Deutschland und in Schweden differieren erheblich. Dennoch ist Schweden (fast noch mehr als Deutschland) für seinen hohen Lebensstandard bekannt. • In Schweden waren in den 80er Jahren meh r als 80% der erwerbs fähigen Frauen berufstätig , was auch als Zeichen ihrer Emanzipiertheit gilt. • In Deutschland arbeiten etwas mehr als 50% der Frau en. • Die tarifliche Jahresarbeitszeit war in Schweden 1990 erheblich höher (1800 Stunden) als in Deutschland (1648 Stun den ). • Die Deutschen hatten zudem einen längeren Jah resurlaub (30 Arbeitstage) als die Sch weden (25). • 1989 waren die industriellen Arbeitskosten (Lohnkosten plus Lohnnebenkosten) weltweit in der Bundesrepub lik am höch sten. • Schweden liegt in dieser Statistik auf Platz drei. • In Schweden ist man öfter krank/ wird m an öfter krankgeschrieben als in Deutsch land. • In der durchschnittlichen Lebenserwartung liegt Schweden in Europa und weltweit an der Spitze.
(Quellen: Sverige fakta 1991. Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland 1991/1992, Globus-Kartendienst 1990 und 91)
Diese Aufzählung ist trotz der Datenfülle selbstverständlich subjektiv und unvollständig, sie könnte noch eine ganze Zeitlang fortgesetzt und ,verfeinert‘ werden. Was mit ihr verdeutlicht werden sollte, ist nur dies: Daß ,die gleichen Ph änom ene‘ (Arbe itslosigkeit, Inflation, Frauenarbeit,
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Lebensstandard, Lebensqualität etc.) aufgrund unters chiedlicher Erfahrungen, untersch iedlicher Geschichte etc., sehr verschieden bewertet, verstanden, emp funden werden können. Daß darum auch d ie Wörter, die diese Phänomen e bezeichnen, auch wenn sie im Wörterbuch als Übersetzung angegeben werd en, oft etwas sehr Versch iedenes bedeuten.
den er sten Blick sehr nah b eieinander liegenden Gesellschaften. Für die Kommunikation zwischen Deutsch spr achigen und Skandinaviern (in Sonderh eit Finne n) s ind z.B. folgende Differen zen wes ent lich: • Schweigen und Sprechpausen sowie nonverbales Verhalten haben eine andere Funktion. • Verbal Geäußertes hat bei Finnen eine größ ere Verb indlichkeit und birgt größ ere Verp flicht ung zur Einhaltung. • Die deuts che Einstellung zu (Selbst-) Kritik ist für Finnen schwer nachvollziehbar. Ein Gebiet, welch es die inte rkulturelle • Insgesamt unterscheidet sich das Landeskunde sehr schnell für sich Argumentationsverhalten in beiden erobert hat, ist das der unterschiedliLändern sehr; verbale Leistungen chen Kommunikationsverhalten. Sind zählen in Mitteleuro pa viel mehr a ls diese kulturbedingten Unterschiede in Finnland ( Schr öde r 1990). nicht bekannt, so werden häufig In einem Aufsatz mit d em sp rechen den Mißverstä ndnisse a uftauche n, die min- Titel „So nah und doch so fern“ desten s Vorurt eile nicht ab bauen hel- beschreibt H. Kothoff unterschiedliche fen und im schlimmsten Falle zum Kommunikationsmus ter für das deutAbbruch von Kommunikation führen sche und US-amerikanische Hochkönnen. schulmilieu. Sie behandelt dabei die Wenn es ums Geschäft geht, hat das folgenden „Inte raktions rituale“: für beide Partner negative Folgen. Des- • Be grüß ungen : Die angenehmen halb waren die Handelsleute unte r den Floskeln z. B. „pleas ed t o me et you “ ersten, die nach ent sprech enden Verhaben im Amerikanischen nicht haltenskodizes („Knigge“) verlangten annähernd die Potenz, die sie im und solche erstellten oder erstellen Deutschen haben würden. ließ en. Daß es d abei nicht ohne grobe • Verabschiedungen sch einen in KaliVereinfachungen (im Sinne von Natiofornien und an d er Ostküste herzlinalklischee s) ab geht, die eher der Vercher auszufallen als in Deutsch land. breitung als dem Abbau von Vorurtei- • Komplimente erh ält man in de n USA len dienen, darf nicht verschwiegen weit öfter a ls in Deut sch land; jeman werden. So heißt es in einem deutden zu verletzen nimmt man in schen Leitfaden „Zehn Ratschläge für Deuts chland ehe r in Kauf als in de n die Anbahnung von Geschäften in USA, da ist d ie Tend enz um gekehr t. Schweden“: • Debattiere n: Deutsche Männer „Als Faustregel kann gelten, daß die bevorzugen diesen Diskurstyp bei schwedische Mentalität der britischen fast jeder Gelegenheit, in den USA am ähnlichsten ist ... Der Schwede ist im ist es wichtig, Alltagserlebnisse so allgemeinen außerordentlich höflich... darzubieten, daß sie eher Gelächter als eine Debatt e aus lösen. Der Schwed e liebt es nicht, von Besuchern überfallen zu werden...“ (Aus- • Kritik (mit ähnlichen Ergebnissen lands kurier 1980). wie beim finnisch en Beispiel) ist in Neben derartigen, offensichtlich den USA beziehungsorientierter, sehr gefragten und verbreiteten Handmotivierend, in Deutschland sachreichungen gibt es na türlich auch eine orientiert, gelegentlich sogar verletMenge seriöser und inhaltsreicher zend. Untersuchungen (vor allem im Hoch- • Rau mve rhalte n: Amerikaner erleben schulbereich) zu den Unterschieden Deutsche häufig als reserviert/ im Kommunikationsverhalten bei auf distanziert mit einem erheblichen Bedür fnis nach Privatsp häre. • Vorträge, wissenschaftliche Texte: Möglichs t freies Spreche n, lineare r
8 . Alltagskultur als Ausdruck gesellschaftlicher Erfahrung
Aufbau, mit Humor (USA) – Ablesen von Texten, degressiver Aufbau, trockener (Deutschland) (Kothoff 1989). Im Bereich der Sozialwissenschaften werden etwa vier dom inante „inte llektue lle Stile“ unt ers chied en, nämlich • die saxonische (angelsächsische, mehr pragmatische), • die teutonische (deutsche, osteuropäische, mehr theoretisch-deduktiv orientierte ), • die gallische (für die romanischen Länder ) und • die nipponische (=japanische) Denkweise (n ach Beyme 1988). Bei all diesen Interaktionsr itualen (mit Ausnahme der explizit nur im Hochsch ul- und Inte llektue llenm ilieu auftauchenden „Denkstile“) handelt es sich auch um The men de r sogenann ten Alltagsskultur ode r d er „Leutekunde“. Wir sind da mit auf Themenbereiche gestoßen, die dem Erfahrungshorizont unserer Schülerinnen und Schüler gelegentlich aus unmittelbarer Anschauung der deu tsch en Gesellschaft bereits auf irgendeine – meist unreflektierte Weise – angehören und insofern ,bekannt‘ sind. Darum eignen sich diese Themen bes onder s gut für die Behand lung im landeskundlichen Deutschunterricht. Dabei gilt aber gerade für die Themen der Alltagskultur, daß sie „gar nicht leicht zu fassen und zu begreifen (...sind ) . Alltagskultur ist eine Art Blind feld, in de m m an sich sich er be we gt, über das m an a ber nicht reflektiert. Inso fern ist e s m ühsam , de n A lltag z u e rke nnen und z u verstehen“ (Bausinger 1988, 157). Auch mit Themen aus der Geschichte läßt sich im Deutschunterricht ,leichter umgehen‘, wenn wir sie in der Form aufnehmen, wie sie sich in der Alltagskultur präsentieren. Denn unbes tritten gehört d ie Geschichte zu den wichtigen Themen d er Landes kunde, anderers eits geht d ie Landes kundedidaktik – sch on um die Fülle des Materials zu begrenzen – normalerweise von der Gegenwart als Bezugspunkt des Fremdsprachenunterrichts aus.
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Zuallererst bietet sich nat ürlich d er ,Eigenb ezug‘ uns erer Schü lerinnen un d Schüler bzw. deren Eltern und Verwandten zur deutsch en Geschichte an. Der zweite Weltkrieg und seine Folgen stellen nicht nur innerhalb Europas, wo die Deutschen in fast allen Ländern unauslöschliche Spuren hinterlassen haben, immer noch aktuelle Anknüpfungspunkte dar (man denke z.B. an die Geschichte der Anne Frank in den Niederlanden oder die Rolle der zwischen den beiden Kriegen oder nach 1945 nach Südamerika ausgewanderten Deutschen). Ein sehr probates und einfaches Mittel, den ,scheinba ren‘ Widersp ruch zwischen dem Heute und der deutschen Vergangenheit aufzulösen, ist die Darstellung vergangener Zeiten in den Spuren, die diese in de r Gegenwart hinterlassen haben. Das kann z. B. so geschehen, daß man bei der ,Behandlung‘ des deuts chen Geldes d ie auf den Geldscheinen d argestellten Frauen und Männe r in ihrem gesch ichtlichen Kontext zur Sprache kommen läßt. Dabei wird dann von Maria Sybilla Merian (500 DM-Sche in) bis zu Annet te von Drost e-Hülsho ff (20 DM-Schein) d er ganze Umfang neuerer deutscher Geschichte geboten (Weimann/Hosch 1991). Ein anderer, interessanter Weg, Geschichte im Landeskundeunterricht einzufangen, wird mit d er Ausst ellung „Zeit| Wort e“ des Goethe -Inst ituts beschritten. Diese war eigentlich zum Jubiläum des 40-jährigen Bestehens der Bundesrep ublik geplant und wurd e dann von der deutsch-deutschen Einheit ebenso üb errascht wie die gesamte Landeskunde (siehe dazu den Beitrag von Achim Maibaum in diesem Heft).
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9. Schluß So wären wir am Ende wieder bei unse rem Anfangsth ema a ngelangt, den Problemen, die die deutsche Einheit der Landeskunde im Deutschunterricht stellt. Letzte Antworten waren nicht zu erwarten, d enn immer b leibt ein Übersch uß an Fragen. Das b etr ifft die realen Verhältnisse ebenso wie ihre Vermittlung im Unte rrich t. Insofern ist die Landeskunde einer der schwierigsten Bereiche des Deutschunterrichts. Sie kommt nie an ein Ende, un d n ie ist ma n fertig mit ihr. Sie umfaßt immer de n eigenen Ausgangspunkt und das fremde Ziel, weswegen wir sie inte rkulturell nennen. Und beide Pole verändern sich permanent (ob wir es wahr nehmen wollen oder nicht). Auch das unters cheidet sie von anderen Unterrichtsbere ichen wie Gramma tik oder Phonetik. Wenn es aber gelingt, Lehre r wie Schüler a uf dieses komp lizierte Verhä ltnis aufmerksa m zu machen , was nichts and eres heißt , als sie dafür (und damit für ihre eigenen Vorst ellungen d avon) zu intere ssieren, ist sch on viel gewonnen. Literaturverzeichnis:
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Bild e r im Ko p f • Von Hans-Jürgen Krumm Die Bilder, die einer vom fremden Land hat, haben oft mehr mit dem eigenen Kopf zu tun als mit der fremden Wirk- lichkeit. Der folgende Beitrag enthält pra k tische Vorschläge, w ie Schülerin- nen und Schüler lernen können, das eigene kulturelle Vorverständnis zu erkennen und zu relativieren.
Interkulturelles
mit der fremden Sprach e und Kultur dar stellt und vorhandene Vorstellungen verstärkt, verändert oder durch neue ersetzt: Lehrbücher, Lehrer und Lehrerinnen verstärken zum Beisp iel Voru rte ile oft unab sichtlich, etwa du rch Karikaturen im Lehrbuch, die nicht relativiert werden (wie etwa in den Lehrbüchern „Deutsch aktiv“ und „Deutsch konkret“), durch einseitige Auswah l von Texten u nd Th emen , oft aber auch durch unbedachte Äußerungen (L: „Ja, bei ihnen in Italien stehen die Züge immer, da ist immer Streik, bei uns fahre n d ie Züge ...“).
3.
In den Deutschunterricht integrierte Landes kunde erfordert e inen inter kulturellen Unterricht, der die Kultur der Zielsprache in Jeder, der Deutsc h lernt, b ringt s chon Vor- Auseinanders etzung mit den Normen d er eigestellungen über die Deutschen und die nen Kultur zum Thema macht . Das fängt bereits deu tsch e Spra che in den Unterricht m it, Erfah- bei den einzelnen Wörtern an: schon Wörter run gen (z.B. mit deu tsc hen Touristen ), Ängste sind Träger spezifischer kultureller Normen (vor der „schweren“ Sprache), Klischees und und Werte . Vorurteile (wie sie z.B. der französische Studen t Fabien Didier in der Karikatur u nten fest Inter kulturelles Lernen un d Vers teh en gehalten hat). entwickeln sich beim Sprachenlernen nicht autom atisch mit, vielmehr be darf es eines Deutschunterricht ist immer und von gezielten Wahrn ehmu ngstrainings, um das SpeAnfang an „Land esku nd e“, insofern e r d ie zifische einer fremd en Kultur se hen zu lerne n. erst e systemat ische Begegnung des Lernenden Die Fähigkeit, das eigene kulturelle Vorverständnis zu relativieren, ist sogar durch die Notwen digkeit d er Auswahl und Typisieru ng im Sprach unter richt gefährd et – auch h ier können die Texte und Illustrationen von Lehrbüchern oft ungeah nte Folgen hab en. Wenn z.B. in einem Lehrb uch Herr Hartmann na ch einem leichten Unfall einen Neuwagen kauft 1, oder wenn im Lehrbuch „Themen“ bunte Bilder von Schlössern und Domen den ersten Eindruck bestimmen, so hat d ies immer auc h Konseq uenzen für die im Kopf eines Lernenden entstehenden „Landesbilder“.
Ausgangsthesen
1.
4.
2.
Landeskunde als „Leutekunde“ Wenn der Deutschunterricht einen Beitrag dazu leisten soll, genau hinzuschauen, zu erkennen, daß unsere Bilder von einem Land oft me hr mit uns selbst als mit objektiven Gegebenheiten zu tun haben, so muß er bei den vorhan den en Vors tellungen anfangen, diese bewußt machen und relativieren. Dabei sind Fremdsprache
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Le rn e n u nd La n d e sk un d e Vors tellungen üb er e in Land meist Vors tellungen über die Mensche n. Nicht die abs trakten Regelungen (Geset ze, Wirtsc haft, Politik), son dern deren konkrete Auswirkungen auf einzelne Menschen sind daher ein sinnvoller und motivierender Einstieg in die Landeskunde.
Beispiel 1 : Bew ußt ma chen und Relativie ren von Vorverständnissen 2 Den Kurs teilneh mern werd en Äuß erun gen von Ausländern über die Deutsch en mit d er Bitte vorgelegt, zu entscheiden, aus welchem Land sie sta mmen . Durch Vergleich d er Äuße rungen (z. B. mit der Frage: Wer h at d enn n un rec ht ?) kann deutlich werden, wie relativ pauschale Äußerungen über die Bevölkerung eines Landes sind. Text A Die Deutschen leben freier. In Deutschlan d k an n man das Nachtleben genießen. Die Deutschen sind viel sinnlicher, heiterer und lustiger als wir. In Deutschland ist es nich t sauber. In Deutschland riecht es schlecht. Die Deutschen sind Zwiebel fresse r ...
Text B Die Deutsche n b efo lgen das Gesetz . Sie sind k alt und zurückhaltend. Sie gehen früh zu Bett. Die Deutsch en sin d sauber un d fleiß ig und pla ne n alles. Sie sind ausgeruhter und ruhiger als andere Menschen. Sie sind in ihrer Lebensweise zu kompliziert. Die de utsche n Männe r rieche n na ch Schwe iß , die Frauen sind be haart. Aus we lche m Land stam m en die Äuß erungen A:_______________________ B:_______________________ Wer hat recht ?
Assoziogramme können helfen, vorhand ene Vors tellungen in de r Klass e explizit zu mach en und – bezogen au f aktuelle politische Ereignisse – das vorhan dene Wissen der Lernenden zu erschließen.
Beispiel 2: Assoziogramm „ deut sch-deut sch“ Die geographische Nähe zu Deutschland, die Erfahru ngen mit d em Deutsch en Reich sp iegeln sich deutlich in den Assoziationen der Italiener Fremdsprache
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a) Norditalien, Herbst 1 9 90
b) Brasilien, Herbst 1 99 1
– Großdeut schlan d Deutsches Reich Ende des 2. Weltkriegs Hitler Angst
– Wieder vere inig un g BRD-DDR – CDU – Die Grünen
– Ende des Sozialismu s offene Grenze Mauer immer nur Probleme
– Deut schlan d/ Schweiz/ Österreich – Industrie unrentabel
– vi ele M ög lichk eiten – Pro fit ar m-r eich
– Geld Kapitalismus Marktwirtschaft Ausverkauf DDR
– Norddeutschland/ Süddeutschland
– ar m-r eich Trabbi-Mercedes
– Vielf alt, Dialek te
– Goeth es Spra che Beispiel 2 : Assoziogramm „ deutsch-deutsch“
unmitte lbar n ach der Vereinigung: Sorgen vor einem neuen „Groß deuts chland“ waren da mals verstärkt in der europäischen Presse artikuliert. Aus der bra silianische n Ferne d agegen ist der Blick auf Deutschland 1991 eher sachlich; nach einer kurzen Phase 1990, in der auch in den brasilianischen Medien ausführlich über die Entwicklung in Deuts chland ber ichtet wur de, ist die Berichterstattung über Europa im Oktober 1991 wieder auf ein Minimum gesunken. Die sp ezifische n Pro bleme der Vereinigung tauche n hier gar nicht auf. Beide Aufgaben eignen sich sowohl zu spr ach liche r wie land eskund liche r Vert iefung: die erste Aufgabe, primär rezeptiv, schon in einem frühen Lernstadium, in dem evtl. auch die Lernend en selbst gebeten werden können, Zeichnun gen/Karikaturen an zufertigen od er zu sam meln und m itzubringen sowie eigene Vorstellungen über d ie Deutschen auszutauschen . Eine produ ktive Phase kann s ich hier ansc hließ en, z. B. eine Befragung von im Land e an wesenden Deutschen darüber, was sie denn ihrerseits von den Mensch en in diesem Land h alten. Die zweite Aufgabe eignet sich als Ausgangspunkt für produktive Schreibaufgaben oder für eine (evtl. in der Muttersprache geführte) Diskussion über aktuelle Entwicklungen. „Landeskunde“ steckt also in den Köpfen sch on d rin, und zwar einmal als Vors tellung über Deutschland, zum andern aber auch in Form d er eigenen Normen und Werte , die jeder
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aus der eigenen Kultur ganz unhinterfragt als Maß stab an d ie Zielkultur h eran trägt – Lande skunde im Deutschunterricht bedeutet dann, das s cheinbar sc hon Gekannte un d Normale zu relativieren. Dies gilt dann aber auch für die deutschen Lehrbuchautoren, für Lehrer und Lehrerinnen: Landeskunde als das Gegenteil von nationaler Selbstb espiegelung und ethnozentrischem Denken, als eine Form des interkulturellen Lernen s, um Selbst - und Fremd bilder zu üb erp rüfen. Dabe i können zum Beispiel auch Erfahrungsberichte helfen, die von Austauschschülern, Besuchsreisen u.ä. mitgebracht und im Unterricht diskutiert werden. Die Französin Anne-Marie Thiesse z.B. beschreibt Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich: „Wer in Deutschland eines Samstags um 14 Uhr festgestellt hat, daß der Kühlschrank leer ist, weiß, daß er bis zum nächsten Montag fasten oder wenigstens hungern muß: schnell merkt ma n, daß die Tankstellen, die Rettungsstationen der Durstigen, am Wochene nde für Bier und Ben z in z uständig sind. Ärgerlich e rfahren A uslände r, daß die Öffnungszeiten der Läden in Deutschland besonders kurz sind. ... Wie Gewe rkschaften, Kirchen und Tradition hier der freien Marktwirtschaft und der städtischen Modernität Widerstand leisten, wie die für ihren Fleiß w eltweit berühmten Deutschen durchschnittlich kürzere Arbeitszeiten als die Arbeitnehm er anderer Nationen ha ben, wa r eigentlich nicht m eine Frage. Sie lautete ehe r: Was tun den n die Deutschen am Feierabend ? Da ich direkt an einem Wald wohnte, konnte ich wenigstens die Freizeittätigkeit am Wochenende schnell identifi z ieren: es w ird gew andert. Wandern heißt aber nicht, leichtsinnig und willkürlich Freiheit und Natur zu genießen. Es wird ordentlich gewandert! ...“
Sprachbezogene Landeskunde Mit dem Lehrwerk „Sichtwechsel“ und dem Konzept der Bedeutu ngsrecherche (Müller 1981) hat die Erkenntnis in den Deutschunterricht Eingang gefunden , daß sch on viele Einzelwörter kulturelle Bedeutung t ragen. Für den Begriff „Familie“ liefert das Lehrwerk „Spr ach br ücke“ (Bd. 1, S. 52) ein sch öne s Beispiel. Hier zeigen Interviews ein ganz untersch iedlich es Vers tänd nis von Familie. Die Lehr buch interviews machen d eutlich, daß jüngere Deutsche sich oft, wenn sie von ihrer Familie sprechen, nur auf diejenigen beziehen, mit den en sie zusa mme nwohn en (Dialog 2). Der in vielen Lände rn übliche Familienb egriff (Familie = alle, die miteinan der ver wand t s ind, Dialog 1) gilt nur noch in bes timmten Kont exten: „Weihnac ht en tr ifft sich d ie ganze Familie“. Auch die Grafik „Von der Großfamilie zur Kleinfamilie“ unt ers tüt zt diese Ver wendu ng des Begriffs „Familie“: Sie will ja nicht sagen, daß 65% der Deutschen keine Eltern, Großeltern, Geschwister oder Kinder mehr hätten, sondern deutet für 1990 nur an, daß die Zahl der allein oder zu zweit lebend en Menschen in Deutsch land zugenommen hat. Die Grafik sagt also eigentlich nichts über die Größe von Familien im Sinne von Verwandt schaft, sondern nur über d ie Größe der „Haushalte“ (= Zahl der Menschen, die in einer Wohnun g gemeinsam leben). In ihrem „Tübinger Modell einer integrativen Landeskunde“ haben Paul Mog u.a. untersuc ht, wie sich solch e Selbst- und Fremdwah rne hm unge n ent wickeln. So zeigen sie z.B., wie sich die „deutsche Raumerfahrung“ aus histo-
Haben die D eutschen keinen Sinn mehr fürs Familien- leben? Tatsache ist, daß der Anteil der Großfamilien in den letzten Jahrzehnten drastisch abgenommen, jener der Kleinfamilien oder gar Einpersonenhaushalte dagegen kräftig zugenom- men hat. Im Jahr 1990 lebten noch in 44 von je 10 0 Haushalten jeweils fünf Personen und mehr. Heute haben nur noch fünf von 100 Haushalten eine derartige Größe.
Ein anre gendes Beispiel dafür, die Schü ler „Leutekunde“ auch außerhalb Deutschlands pra ktisch er fahren zu lassen, hat Peter Groenewold mit seinem Modell „Erfinde einen Deutsch en“ vorgelegt: Groene wold läßt die Schü ler sich einen Deutsch en oder eine Deutsch e ausdenken und mit einer Biograph ie ausst atten. Dafür sind intensive landeskundliche Recherchen erforderlich, schließlich müssen der Wohnort und Beruf, die dafür erforderliche Berufsausb ildung etc. her ausgefunden werden, d.h es wird untersucht, welcher Zusammenhang zwischen den politisch -sozialen, den geograph ischen u.a. Fakten und dem realen Leben der Menschen in Deutsch land besteh t.
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risch -sozialer Kleinräum igkeit wie au ch gegenwärt iger Siedlungs dicht e ent wickelt und Begriffe un d Vors tellungen vom Urlaub un d Reisen, aber a uch von Heimat pr ägt: „Die e ng begrenz ten Lebensho riz onte wu rden in Deutschland bis zur Industriellen Revolution von auße n her kaum durchbrochen. Es gab viele Phasen massierter Auswanderung; es gab auch eine Reihe von Einwanderungswellen (...) und eine oft unterschätzte Binnenwanderung. Die als Re flex de r Klein staate rei en tstandene Mentalität der Seß haftigke it wurde durch diese historische Entwicklung kaum umgeformt. „Ortsfestigkeit“ bleibt die Norm. ...“ Die deut sch e Vereinigung füh rt zu a ktuellen Wort prä gungen, die gleichfalls Elemen te d eutsch er „Gesc hicht e“ tradiere n. Das folgend e Beispiel soll das illustrieren.
auss chreibens ein „harm loseres“ Wort gesuc ht wurde: der a kzeptierte Vors chlag heißt „rekonstruieren“. Die deutsch-deutsche Vereinigung liefert zahlreiche Beispiele dafür, daß Wör ter auf einmal nicht mehr „naiv“ gebrau cht werden können oder sich p olitische Entwicklungen in Neuschöpfungen manifestieren wie etwa der „Besse r-Wes si“ und „Mecke r-Ossi“.
Stichw orte zur Unt err ichtsprax is
Für nicht m uttersp rachliche Deutschlehrerinnen und -lehrer ist es freilich nicht leicht, hier au f eigene Faus t Beisp iele zu finden u nd zu nutzen. Die folgenden Zugangsweisen erleichtern es, der Landes kunde im Deutsch unter richt eine interkulturelle Orientierung zu geben: a) Gezieltes Wahrneh mungtraining und Sensibilisierung für eigenkulturelle Prägungen Beispiel: Assoziationen zu einer Garnrolle Deutschlerner, die nicht regelmäßig deutsch(Lehr werke „Sichtwech sel“, „Spra chb rüc ke“); spr achige Zeitungen lesen, asso ziieren hier: b) Bewuß te Konfrontation/Bewuß ter Vergleich – Garnrolle – Faden abschneiden, ausrollen, eigenkultureller Prägungen und Manifestaaufrollen, abr ollen – näh en tionen mit den kulturellen Manifestationen Beim Ausfüllen der leeren Sprechblasen der deutschsprachigen Länder (Lehrwerk werden h ier die Rollen von d en Lerne nde n kei„Sprachbrücke“); neswegs eindeutig als c) Bedeutungsrecherchen und Bedeutungspos itiv-negativ char aktericollagen (Beispiele in „Sichtwechsel“ u. a.); siert: Die volle Rolle kann d) Kulturkontrastive Erfahrun gen sammeln: zwar herablassend sagen eigene Erfahru ngsberichte von Lehrer n und „Ich bin mehr wert“, aber Schülern, Gäste aus Deutsch land einladen; durchaus auch neidisch e) Vor wissen aktivieren: Asso ziogramme , mutauf die leere sein: „Du tersp rachliche Informationsqu ellen nutzen machst Diät“, „Du bist (z.B. Zeitungen , Fern seh en); aber sehr schlank“, wie f) Rech erch en (vgl. Heft 4/1991 von FREMDauch umgekehrt die leere SPRACHE DEUTSCH). Rolle mitleidig sagen kan n: „Du bist aber dick“ oder Anmerkungen: Deutsch als Fremdsprache, aus dem „Du Arme, ich bin schon 1) In Braun/Nieder/Schmoe: dieses Beispiel stammt (Bd. 1, Lektion 8), ist in der Neubearfertig.“ beitung der Neuwagenkauf durch eine Reparat ur ersetzt, bei der auch nach d en Kosten gefragt wird. Die or iginale Karikat ur Vgl. allgemein Ammer 1988. ist da gegen einde utig: Das 2) Die Anregung zu dieser Übung verdanke ich einer Arbeitsgruppe am Goeth e-Institu t Stockholm. Der Text A stam mt au s dem GI Wort „abwickeln“, bis Stockholm, der Text B aus einem von mir im Oktober 1991 dahin in der Geschäftsdurchgeführten Seminar am Goethe-Institut Salvador da Bahia/Brasilien. sprache durchaus neutral zu verwenden (Wahrig: Literaturhinweise: Reinhard: Das Deutschlandbild in den Lehrwerken für ein Geschäft ordnungs- Ammer,Deutsch als Fremdsprache. iudicium, München 1988. gemäß erledigen), hat se i- Ehlers, Swantje: Sehen lernen. In: Jahrb uch Deutsch als Fremds prach e 14 (1988), S. 171 – 197. ne Unschuld verloren, es Groenewold, Peter: Simulationen für interkulturelles Lernen. In: steht für die Prozedur der Jahrb uch Deuts ch als Fremd spr ach e 14 (1988), S. 259 – 281. Bernd-Dietrich: Bedeutungserwerb. Ein Lernprozeß in Etap„Abwicklung“ vo n Firmen Müller,pen. In: B. – D. Müller (Hg): Konfrontative Semantik. Weil der und Institutionen der eheStad t 1981, S. 113 – 154. (Hg): Die Deutsch en in ihr er Welt. Tübinger Mod ell einer maligen DDR durch Mog, Paul integrativen Landeskund e. Langensc heidt, München , Berlin Behörden der Bundesre1992. Anne-Marie: Erlebn is Deutsch land. In: Alexande r von Humpublik oder die Treuhand Thiesse,boldt Stiftung, Mitteilungen Nr. 58, 1991, S. 63 – 69. und meint meist nichts anders als: schließen, Trautmann, Günter (Hg): Die häß lichen Deutsch en? Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1991. auflösen – „abgewickelte Menschen“ sind Hog, Martin u. a.: Sichtwechsel. Elf Kapitel zur Sprachsensibilisiearb eitslos. Das Wort ist mittlerweile so pro blerung. Stuttgart 1984. u. a.: Sprachbrüc ke. Deutsch als Fremdsprac he. Bd. matisch geworden, daß mit Hilfe eines Preis- Mebus,1 Gudula und 2, Stutt gart/Münc hen 1987/1990.
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Deutschlandknigge für I ndonesier Anregungen für die la ndesk undliche Projekta rbeit Von Anthony Ba rbo (Bandung), Irene Risak otta (Suraba ya ), Siti Suasa Simaremare (Medan) und Ot Kakerissa (Ambon) in Zusa mm enarbe it mit Hans-Jürgen Krumm „Typisch deutsch”- gibt’s das überha upt? Auf jeden Fall muß m a n eine M enge über den deutschen Alltag (von den Tischsitten bis zur Intimhy giene) w issen, w enn ma n als Besucher a us ferne n Lä n- dern nach Mitteleuropa kommt.
Indonesischer Garuda
Freiherr von Knigge ( 1752–1796) ist heu te nur noch durch sein Buch „Über den Umgang mit Mensc hen “ bekan nt. Find ige Köpfe haben daraus die Gattung der „Benimm-Bücher“ entwickelt, in denen besch rieben wird, wie man sich et wa bei einem offiziellen Ess en od er Emp fang zu beneh men ha t. Inzwischen gibt es auch „Knigges“ für Reisen de, d ie bes chre iben, wie man sich im Ausland bene hmen mu ß , um nicht unangenehm aufzufallen. Der „Indonesien-Knigge“* hat uns auf die Idee gebracht, do ch au ch für Indonesier, die nach Deutschland reisen, einen solchen „Knigge“ zu schreiben. Im Rahmen eines Seminars haben sich 1989 indonesische DeutschDozenten an d ie Arbeit gemacht . Denkbar ist aber auch, daß eine Klasse einen so lchen Deuts chlan d-Knigge für d as eigene Land sc hreibt, z. B. nach einer Klassenreise, oder wenn ein Austauschschüler zurückkehrt und Auskunft geben kann. Die „Alltagskultur“ der Deutschen läßt sich so, aus der spezifisch en Sicht eines b est immten Lande s, mit Hilfe eigener Erfahrungen, Befragungen, eventuell auch nach der Korrespondenz mit einer deutschen Partnerklasse, beschreiben – und s icher lesen andere Schüler solche Texte lieber als manche n sterilen Lehrb uchte xt. Die folgende n Hinweise s piegeln d ie Erfahrungen indonesischer Deutsch landbesuch er, d. h. sie besc hreiben, was ihnen in Deutschland aufgefallen ist. Die Liste ist nicht vollständig, sie soll nur Anregungen gebe n. Manch es ist für den, der noch nie in Deutschland war, sicher unverständlich – aber hier kann sich ein Gesprä ch mit dem Lehrer od er Informanten o der eine Nachfrage bei einem Deutsch en ergeben .
Tischsitten und M ahlzeiten Gibt es ein Essen mit mehreren Gängen (dann liegt meist mehr Besteck auf dem Tisch ), werden die Gänge nicht gleichzeitig genommen und angefangen – also nicht schon bei der Vorsp eise sattes sen. Übrigens darf man ruhig ablehnen, wenn die Gastgeber ständig weiter Essen und Trinken anbieten. Beim Essen darf/ soll man rede n. Die Hände gehören auf den Tisch, doch sollte m an nicht d ie Arme auflehnen. Beim Essen keine Haustiere streicheln oder füttern. Es gehört s ich nicht zu sch matzen oder zu sch lürfen od er Reisberge auf dem Teller anzuhäufen. Fleisch ist recht billig. Die meisten Würste , Aufschnitt u nd Fleisch gerichte in Imbiß stube n sind aus Schweinefleisch gemacht. Vors ichtsh alber in einem tü rkischen Laden Hammel- und Lammfleisch kaufen; nur Ziegenfleisch gibt es kau m. Zitronen- und Apfelsinenschalen darf man nicht zur Essenszubereitung verwenden , weil sie meist mit Chemikalien beh andelt sind.
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Wichtige Familienereignisse Geburtstag: Es ist üblich zu gratulieren. Guten Bekannten überreicht m an auch ein Geschenk (in jedem Fall, wenn man zur Geburtstagsfeier eingeladen wird). Hochzeit: Man gratuliert dem Braut paar. Ein Hochzeitsgesch enk ist üblich. Zur Feier wird man eingeladen. Man kann sich beim Brautp aar e rkundigen, was für ein Gesche nk gewünscht wird. Gebu rt: Vor einem Besuch einen Termin vereinbaren und den Besuch kurz halten. Bei guten Bekannte n kann man Kinderkleidung o der Babysp ielzeug mitbringen. Todesfall: Man sollte sein Beileid ausdrücken; meistens macht man das bei der Trauerfeier unmittelbar am Grab. Zur Trauerfeier wird ma n nicht e xtra eingeladen. Es ist üb lich, du nkle Kleidung zu tragen .
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Preußischer Adler
B esuch
Wohnen zur U ntermiete Man d arf keine Aufnahm e in d ie Familie oder per sön liche Betreuu ng erwar ten, diese kann sich zwar entwickeln, ist aber nicht die Regel. Die Telefonn umm er d er Verm ieter nu r an gute Bekannte weiter geben. Zu oft sollte man sich nicht anr ufen lassen. Mittagsruhe ist zwischen 13 und 15 Uhr; ab 22 Uhr muß man Radio und Fernseh en leise ste llen. Türen stets s chließ en, nicht zusch lagen. Federb etten benutzt man zum Zudecken, nicht zum Drauflegen; nacht s wird es manch mal ziemlich kalt.
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Es ist in Deutschland üblich, daß man zu jem andem nach Hau se eingelad en wird. Wird man zum Essen eingelade n, kann man der Gastgeberin einen Blumenstr auß (aber keine rot en Rosen) mitbringen. Wenn sich Deutsche vorstellen, so sagt der Familienname nichts über ihre Herkunft (Stamm, Insel, Religion) aus. Bei einem Antritts- oder Abschiedsbesuc h in einer Schule, Universität o der Firma sollte man keine Geschenke mitbringen, stattdessen ist es sehr freundlich, wenn man Kollegen, den Rektor oder Professor zu einer kleinen Abschiedsfeier einlädt. Bei einem Besuch im Krankenhaus dagegen kann man Blumen, Frücht e ode r etwas zu lesen m itbringen. Unangemeldeter Besuch zu Hause ist nur be i sehr guten Freunde n üblich. Und wie lange d arf man bleiben ? Wenn man zum Nachmittagskaffee eingeladen wird, sollte man sich rechtzeitig vor dem Abendessen verabschieden. Nach dem Essen sollte man nicht sofort gehen, sondern no ch zu einem Gespr äch bleiben.
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Gespräche
Verhalten in der Öffentlichkeit
Das Wette r ist in Deuts chland für d as Wohlbefinden wichtiger als in Indonesien, wohl weil es so wechselhaft ist. Deshalb ist das Wetter nicht nur ein unverbindliches Gesprächsth ema, sondern paß t fast überall. Über das eigene Wohlbefinden und das der Familie wird beim ersten Kontakt nur sehr allgemein gesproch en. Probleme werden nicht d irekt erzählt. Politische Themen werden bei neuen Bekanntschaften nur zurückhaltend angesprochen, sonst aber darf man auch ganz spontan reagieren und sollte spontane Reaktionen d er Gesprächsp artner („das ist aber schlimm“, „da bin ich ganz anderer Meinung“) nicht übelnehmen .
An den Kassen von Supermärkten, im Kino, Theater oder der Post sch impfen die Leute, wenn man sich vordrän gt; es ist bes ser zu warten, bis man an d er Reihe ist. Als gut e rzogen gelten Männ er, die in öffent liche n Verkeh rsm itteln ihren Sitzplatz einer Frau, alten Menschen oder Behinderten anbieten. Fahrkarten mu ß man entweder vor d er Fahrt auf dem Bahnsteig oder zu Beginn de r Fahrt in Bus od er Straß enbah n in einem Automaten entwerten. Mehrfachfahrkarten, Grupp en- oder Wochenkarte n sind erh eblich billiger a ls Einzelfahr kart en. Es ist üb lich, vor einer roten Fuß gängeramp el zu warten und die Straß e nac h Möglichkeit auf dem Zebras treifen zu überq ueren. Abfälle sollten in die Pap ierkörbe geworfen werden . Spuc ken auf die Straß e ist nicht er laubt. Wenn d as Rauchen verbot en ist, ist das Verbo t ern st gemeint. Bei Privatbesuchen ist es sinnvoll, vorher zu fragen, ob man rauchen kann. Freunde u nd Bekannte d arf man umarmen, auch au f der Straß e. Zärtlichkeit auf der Straß e ist nicht unmor alisch. Alle Gesc häfte sch ließ en an Sonn- und Feierta gen sowie sam sta gs ab 12-14 Uhr.
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Fremdsprache
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K örperpflege Bade n ist bei den Deutsc hen n ur 1–2 mal in der Woche üblich, Duschen nur 1 mal am Tag. Zu viel Bade n und Dusch en sc had et de r Haut. Duschvorhänge in die Innenseite des Beckens ziehen, Haare aus dem Waschbecken entfernen (in die Toilette werfen). Auf das Klo sollte man nicht mit den Füßen steigen, sondern sich auf die Toilettenb rille set zen. Nicht zu viel Papier b enut zen (Gefahr der Vers top fung).
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K rankheit und A rztbesuch Vor d em Arztbe suc h einen Termin vereinb aren (Telefon); bei Schm erzen kann man direkt zum Arzt gehen. In dringenden Fällen gibt es auch einen Bereitscha ftsd ienst, wenn die Arztpra xis gesch lossen ist. Wenn man d ie Nummer 112 (Feuer wehr) anruft, kommt ein Krankenwagen. Wenn man einen Arzt aufsucht, braucht man einen Krankenschein, für den Besuch beim Facharzt eventuell eine Überweisung vom Hausarzt (fragen).
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Wenn man I nformationen oder H ilfebraucht Die Leut e im Verkeh rs verein s ind oft unh öflich, nervös und nehmen sich wenig Zeit. Günstig ist es, junge Leute oder Rentner anzusprechen. Wenn d ie Deutsch en nicht s ofort bei der Kontaktaufnahme lächeln, heißt das nicht unbed ingt, daß sie jetzt unfreundlich s ind. Als indonesische junge Frau sollte man mit dem Lächeln bei Männern sparsamer sein als zuhause; Männer könnten das höflich gemeinte Lächeln leicht anders interpretieren.
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„ Sicht w echsel“ -Übung Die hier zusammengestellten Hinweise sollen Indonesiern in Deutschland die Unsicherheit nehmen, sie sagen etwas über „typisch deutsch e“ Verhalten sweisen - aus d er Sicht von Indonesiern. Damit sagen sie aber zugleich auch etwas ü ber die Verhältnisse in Indon esien selbst. Wenn Indonesiern als „ungewöhnlich“ auffällt, daß die Deutschen sich zum Geburtstag gratulieren, so d arf man daraus schließen, daß dies in Indo nes ien nicht so üb lich ist. Aus den Knigge-Hinweisen läßt sich also eine Umkehr-Übung machen, die viel Spaß macht, gleichzeitig den Lernenden aber auch deutlich macht, d aß diese „typisch deuts chen“ Verhaltensweisen nicht völlig verallgemeinert werden dür fen, ebe nso wenig, wie das Gegenteil immer und ü ber all in Indo nes ien zutrifft: Die Deutschen baden nich t jeden Tag. Die Indo ne sier baden jeden Tag. ( ?) In Deutsch lan d soll m an nicht sch m atz en und schlürfen. In Indone sie n darf m an sch m atz en und schlürfen. (?) In Deutsch lan d soll m an nicht sofort na ch de m Essen gehen. In Indo ne sie n soll m an sofort na ch dem Essen gehen. (?)
Dadurch, daß der Umkehrschluß in dieser Allgemeinheit nicht stimmt, s oll den Schülerinnen und Schülern verdeutlicht werden, daß auch der Deutsch land-Knigge manch mal seh r stark verallgemeinert. Da die indonesischen Schüler wissen, daß in Indones ien auch nicht alle Mensch en jeden Tag dus che n, fällt es ihnen vielleicht leichter einzusehen, daß auch in Deutschland manche Menschen täglich duschen, daß auch für die Deutschen die Regeln so st arr nicht sind, daß es Unters chiede zwischen Schülern, Studen ten und älteren Mensche n, zwischen Stadt und Land, Nord und Süd gibt . Auch der Deuts chland -Knigge e ignet sich also für interkulturelles Lernen, so wie umgekehrt der Indonesien-Knigge benutzt werden kann, um zu sehen, welche Unterschiede die Deutsch en zu Indon esien sehen.
Anmerkung:
*Draine , C. / Hall, B.: Kultur-Knigge Indone sien. Verlag Simon & Magiera, Nördlingen 1988.
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enn man von den Erforsch ungen in den letzten zum Inhalt h atte, die ob ligatorische, wohlgemeint wißb e40 Jahr en in be zug auf die Verm ittlung de r Langierige und neugierige Frage stand: Wie ist das in Deideskunde im Deutsch unterricht einerseits und nem/Ihrem Land? Damit sollte der Schüler endlich die den Ereignissen im deut schs prach igen Raum in den letzMöglichkeit erhalten, über das eigene Land etwas zu ten zwei Jahren and ererseits ausgeht, dann könnte man sagen. Aber dazu fehlte den Schülern immer no ch Wort meinen, daß auch „Landeskunde im Deutschu nterricht“ sch atz. Kein Wund er, daß die Schüler in den Prüfungen eine Wende b rauch t, besonde rs in den Länder n der so gesich dahingehend äußerten, daß sie zu Mittag Kuchen nan nte n „Dritten Welt“, eigentlich der „Zweidrittelwelt“. oder Wurst gegessen und Bier getrunken haben. Die In den fünfziger Jahren ging es den Deutschen aus Schüler ha ben p hant astisch e Erzählungen geliefert ü ber den deutschsprachigen Ländern darum, sich selbst das , was sie in ihrer e igenen Welt, in d er e igenen Umgedrau ß en in der Welt als glaubwürd ige Partn er da rzustelbun g machen : Der Inhalt war weiterhin de utsc h, nur d ie len. Diese Art Selbstd ars tellung war nicht frei von ideoloName n waren einhe imisch, also mehr Dicht ung als Wahr gischem Hintergrund. Hinzu kam, daß es möglich war, heit, die die deuts che n Kollegen (wenn ma n „Expert en“ den Ausländer n in Form von Arbeitsp lätzen und Stipensagt, werden manc he gleich bö se) zu der irrigen Annah dien das Zielsprachland zugänglich zu machen. Diese me führ te, die Welt werde klein und d ie Lebe nsweise u niTendenz h ielt auc h in de n sec hziger Jahren an. Konseversal einheitlich europ äisch. quente rweise boten au ch d ie Lehrb ücher Texte mit lanIn den siebziger Jahre n kam mit der Ölkrise eine Wendes kundlichem Inhalt an, daru nter auch Dialoge, für d ie de. Die Deutsch en mer kten plötzlich, daß sie nur d ann die Situationen, mit ausschließlich unter denen der Ausländer im Landsleuten sind, wenn deutsch sprach igen Raum sie Urlaub machen, aber „fertig werden“ sollte, als zu Hause d och von zu vieBasis dienten. Die Welt len Ausländern belagert des Adressaten blieb werden. Arbeitsmöglichdabei völlig außer Acht. keiten und sogar StudienAnders gesagt, während möglichkeiten für Ausländer Ausländer, in unseder gingen schlagartig rem Fall der Ind er, Inh alte zurück. Der Ausländer aus dem deutschsp rachisollte daheim bleiben, gen Raum kennenlernte aber trotzdem tüchtig und schon zu Hause im Deuts ch lern en. Nun ging Rahmen einer zu erdenes nicht mehr um das Vorschläge eines indischen Deutschlehrers kenden und erdachten Überleben im Ausland, Von Vridha giri Ganeshan Welt (das Schlagwort sondern um ein besseres „erlebte Landeskunde“ Leben im eigenen Lande war noch in der Gebärmu tter der Wissenschaftler, die mit Deutschkenntnissen als zusätzliche Qualifikation. jedes Jahr neu e Begr iffe zu r Welt bringen!) dialogis che Irgendwie hab en d ie Auslände r d ie deut sch e VereiniSituationen im Ausland ü ber lebte, bot ihm de r Deuts chgung im Geiste vora ngetr ieben. So war es gang und gäb e, unterricht nicht viel für ein besseres Leben im eigenen daß ein indischer Wissenschaftler, der sich um ein Land. Das Überlebe n in der fremds pra chigen Umgebung DAAD-Stipen dium be warb , de r Auswa hlkommiss ion klar in den wenigen Fällen, wo der Ausländer e s d och sch affmach te, daß er in Dresd en stu dieren wollte. Dafür sa gte te, in ein deu tschs prach iges Land zu kommen, war mit ein anderer, der sich für ein Stipendium aus der DDR bösen Überrasch ungen verbunden, denn d er Ausländer interessierte, er wolle unbedingt am Max-Planck-Institut konnte in Deutsch land zeigen, daß er von zu Hause aus seine Forschung machen. Soviel hatte die Landeskunde sch on viele landeskund liche Informat ionen mitgebrach t im Deutsch unter richt schon b ewirkt. hatte und sich mit den Deutschen über Deutschland In den achtziger Jahren hat die Fachwelt in lautem unterhalten konnte. Aber wenn es d arum ging, über d as Ton üb er d en adress atenorientierten Unterricht gesproeigene Land ode r die eigene Kultur au f deu tsc h Auskün fche n, ohne d en Adre ssa ten zu fragen, was er/s ie will. Für te zu geben, wurde er sehr verlegen, was jedoch seine die deuts chen Kollegen ist es sehr schwer, in einem Land totale Integration in die deutsche Welt begünstigte und wie Indien mit den eigentlichen Adressaten in ein von beschleunigte. Wenn es dazu kam, daß der Ausländer Hemmungen nicht beeinträchtigtes Gespräch zu komnach Möglichkeit Deutschland nicht verlassen wollte, men. Auch wenn solche Gespräch e st attfinden, dann ist wunder ten s ich die Deutsch en „warum?“. der indische Gesprächspartner mit seinem deutschen Sobald man diesen Widerspruch erkannte, hieß es Gast so behuts am, daß der Deutsche mehr Dichtung als dann, wir müßt en kontrast ive Landes kunde mach en. Am Wahrh eit vorgeset zt bekom mt. Oft ist es so , daß für viele Anfang dieser Phase sah d as dan n so aus, daß am Ende ausländische Deutschlehrer s elbst „erlebte Landes kunder „Fragen zum Text“, egal welches Thema der Text de“ nur ein kurzer, sich nicht wiederholender Deutsch-
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Landeskunde nach der Wende – Was will der Kunde des Landes?
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landaufenthalt ist, daß sie sehr froh und dankbar sind, wenn die Lehr büc her „neues te“ land eskund liche Informationen liefern, an d enen s ie sich so ergötzen, daß sie auf alles, was vom Ausland angeb ote n wird, nur pos itiv reagieren. Daher glauben die Lehrb uchauto ren im deutschs prachigen Raum d ann , daß sie wirklich für einen Sichtwec hs el sorgen. Nun ist die Wend e in Deuts chland vollzogen. Deuts chland möchte europ äisiert werden, aber d och de n Ausländerzus trom regeln. Das he ißt , daß 98% der Ausländer au s einem Land wie Indien kaum Chancen hab en werden , nach Deutsch land zu kommen. Es wäre sch on angebrac ht, wenn Deuts chland sich se lbst forta n in den Länd ern de r Dritten Welt als ein keineswegs paradiesisches Land vorstellen würde . Vielleicht so llten d ie land eskun dlichen Mater ialien, die Deut sch land liefern will, eher d ie Probleme d er Deutsch en in den Vord ergrund ste llen als die Leistu ngen. Man sollte ruh ig ein Deutsch landbild anb ieten, aus d em her vorgeht, wie d ie Deutsch en für ihren Wohlstand hart haben arbeiten müssen und wie sie heute trotz des Wohlstandes mit gewissen Leben sängsten zu tun hab en, Ängste, die die Armen in den Ländern der Dritten Welt gar nicht haben. Die zwisch enme nsch lichen Probleme in Deuts chland sollten auch viel mehr bekannt gemach t werden als bisher. Zum and eren sollte man dafür sorgen, daß der Ausländer im Deutschunterricht Inhalte seiner eigenen Welt auf deuts ch vorgestellt bekommt , damit er langsam lernt, sein Land in der Zielsprache zu beschreiben, seine eigenen Belange und die seines Landes angemessen auf deutsch
auszud rücken , dam it Begegnungen mit den Deuts chen im eigenen Lande interkulturell sinnvoll werden. Wir brauch en eine kontrast ive Landes kunde, in der das betreffende Partnerland als Ausgangskultur und Deutschland als Zielkultur eine Rolle s pielen. Dies würde heiß en, wir müßten unsere Betrachtungsweise ändern. Zwei Beispiele: 1. Man so llte als Deutsch lehrer m it den indisch en Student en das Straß enbild in Indien besp rech en und sich fragen (lassen), warum dieses Straßenbild den deutschen Besucher in Indien nervös macht und warum dieses Straßenbild in Indien aus umgekehrten Gründen auch einen Inder u nruh ig machen könnte! 2. Man sollte mit den indischen Studenten zunächst das Phänomen „Freizeitbeschäftigung am Arbeitsplatz“ (Jeder, der als Europäer in Indien gewesen ist, versteht, was ich meine!) besprechen und dann die Aufteilung in Deutschland: Arbeitszeit contra Freizeit. In einem Zeitalter, wo wir alle als Vermittler zwischen zwei Kulture n, als Multiplikator en a gieren wollen u nd zwar wirkungsvoll, wäre es angebr acht, daß wir üb er un seren Fachwelthorizont hinausblicken und bereit sind, nur solche Themen in der Landes kunde stärker zu ber ücksichtigen, die der Kunde d es Landes , der Lerner, will und nich t nur d ie Themen, die das Land für die eigene Selbstd arste llung für wichtig hält. Die Deutsch en so llten d en au sländischen Lern er in seiner Andersartigkeit erkennen statt ihn nur anzuerkennen. Dazu gehört a uch, daß dieser Beitrag abgedr uckt wird!
Fe r n s t u d i e n b r i e f e z u r La n d e s k u n d e Das Deutsche Institut für Fern- studien an der Universität Tübingen (DIFF), die Gesamt- hochschule Ka ssel (G hK) und das Goethe-Institut München geben gemeinsam Fernstu- dienbriefe zur Deutschlehrer- a us- und - fortbildung hera us. Folgende Titel sind in Arbeit und w erden 19 92 bzw. 1993 im Langenscheidt Verlag ver- öffentlicht. (Im folgenden w ird kurz der Inhalt der einzelnen Studien- briefe angedeutet.) • Kees van Eunen/Henk Lettink: Landeskunde im Anfangsunterricht – Was ist Landeskunde? – Lehrwerkanalysen unter dem Aspekt der Landeskunde – Tips und Ideen zur Unterrichtspraxis
• Rainer Wicke: Kontakte knüpfen – Interkulturelles Lernen in Kontakten mit der Zielkultur in und aus der Ferne (Brieffreundschaften, Audioletter, Videobriefe, Rundfunk, Recherchen im eigenen Land usw.) • Bernd–Dietrich Müller–Jacquier: Wortschatz und Bedeutungsvermittlung – Sprachvermittlung und Landeskundevermittlung – Kulturspezifische Wortschatzvermittlung (Wortrecherchen, Bedeutungserklärungen, Versteh enskontro llen, Lernerorientiertheit usw.), didaktische Konsequenzen, Unterrichtsbeispiele • Hans Sölch: Landeskunde mit der Zeitung – sich schnell in einer Zeitung orientieren – landeskundlich interessante Informationen entschlüsseln – sinnvoll Artikel aus der Zeitung für den Unterr icht auswählen – Zeitungs art ikel didaktisier en – die Arbeit mit der Zeitung in den Unterricht integrieren • Dominique Macaire: Bilder in de r Landeskunde – Arb eit mit land eskun dlichen Bildern im Anfänger– und Fortgeschrittenenunter richt
– Auswa hlkriterien und Einsa tzmöglichkeiten von Bilder n – Unterrichts modelle für die Grund– und Mittelstufe • Monika Bischof/Viola Kessling/Rüdiger Krechel: Landeskunde und Literaturdidaktik – Literarische Texte im Sprach unterr icht und im Landeskundekontext – integrierte Landes kunde – Unterrichts vorschläge am Beispiel von literarisch en Landes kundetexten • Heinz-Helmut Lüger: Routinen und Rituale in de r Alltagskommunikation – Interpr etation sprachlicher Handlungen und kulturabh ängiger Verhaltensn ormen • Iris Bork-Goldfield/Fran k Krampikowski/Gunther Weimann: Geschichte im Deutschunterricht – Deutschland und die Deutschen aus der Außenperspektive – Vergangen heit in der Gegenwar t – Geschichte im Deutsch unterr icht als Teil der Landes kunde (Auswahl und Vermittlung) – Unterrichtsbeispiele
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Erkundungsgänge durch drei Gedichte Lan d eskun d e m it Literatur Vo n Ha n s We b e r
Gew öhnlich greift m a n im Deutschunterricht nicht zu Beispielen a us der Litera tur, w enn es da rum geht, la ndeskundliche Kenntnisse und Vorstellungen zu vermitteln. Man nimmt Texte und M a teria lien, die da s, w a s die Schülerinnen und Schüler über die deutsche (schw eizerische, österreichische) W irk lichk eit erfa hren sollen, unmittelbarer zeigen. Mit meinem Beitrag möchte ich Lehrerinnen und Lehrer dazu a nregen, hin und w ieder a uch m it literarischen Tex ten a uf landeskundliche „Spurensuche“ zu gehen. Um das zu veranschaulichen, habe ich drei zeitgenössische Gedichte ausgew ä hlt. Ich möchte beschreiben, w ie sich im behutsam fra genden Um ga ng mit den Gedichten die landeskundlichen Einsichten allmählich herausbilden.
Landeskunde als „Leutekunde“
werden angereichert, revidiert oder auch gelöscht. Damit sind die an d ie Land eskund e als „Leutekunde“ geknüpften ErwarIn der Landeskunde geht es, einfach tungen umsc hrieben (vgl. FREMDSPRAgesagt, darum, Land und Leute bess er CHE DEUTSCH , Heft 3, 1990: 60-61). Daß kennenzulernen – vor allem au ch die diese Erwar tungen sich im Deuts chu nLeute. Das braucht Zeit und bleibt terricht nicht immer erfüllen, ist doch immer widersprüchlich und bekannt. Dafür gibt es einen wesentlibruchstückhaft. Die Schülerinnen und chen Grund: Bei ihrem Bemühen, mit Schüler begegnen Menschen aus den fremden Denkweisen u nd Gewohndeutschsprachigen Ländern seltener heiten zurechtzukommen, werden d ie in der Realität, da für u m so häufiger in Schüler unvermeidlich von AnschauUnter richtsm aterialien, in Texten man- ungen geleitet, die ihnen aus ihrer eigenigfaltigster Art, in Fernsehsendungen, nen Lebenswelt geläufig sind. Aber Filmen etc. Im Laufe der Zeit legen sie auch das schon vorhandene landessich Vera llgemeiner ungen zu rech t, z.B. kundliche Wisse n komm t ins Spiel. über die Verhaltensweisen und EinstelDas gesch ieht natür lich au ch, wenn lungen dieser Menschen. Der Annähe- sie literarische Texte, etwa unsere d rei rungsprozeß , das weiß jeder au s Erfah- Gedicht e, vor sich h abe n. Sie lese n sie rung, kommt jedoch niemals zum als Angehörige einer anderen Kultur, Abschluß. Die aus den unterschiedlichsten Quellen gespeisten Vorstellungen werden bestätigt oder widerlegt, Bilder und Ansichten wandeln sich, Fremdsprache
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betrachten die darin vorkommenden Figuren und Situationen von ‘außen’. Um sie zu verst ehe n, rufen sie un willkürlich vertraute Auffassungen und Begriffe ab . Das kann zu Mißver stän dnissen führen. Was im Wortlaut nicht zu den mitgebrachten Vorstellungen paßt, wird leicht übersehen oder zurechtgebogen. Vielleicht ist es nötig, die Schüler für literarische Texte überhaupt erst emp fänglich zu mac hen . „Um au f einen Text reagieren zu können, müssen mich seine Signale erreichen“, wie Swantje Ehlers einleuchtend feststellt (Ehlers 1988, 175). Gedichte teilen ihren landeskundlichen Gehalt nicht ohn e weiteres mit. Sie brauc hen Leser als aktive Mitspieler. Für die Schüler kann die ihnen zugedac hte Rolle ungewohnt sein. Sie müßten lernen, mit Gedicht en u mzugehen, wären a lso z.B. anzuleiten, Angedeutetes auszufüllen und Ungesagtes von sich aus beizusteuern. Wir beschränken uns bei unseren Beispielen auf drei thematisch verknüpfte Gedichte 1. Sie sind, mit Ivar Sagmo zu sprechen, ausgewählt als „Teile eines Gesprächs, das eine Sprachgemeinschaft über Themen und Fragen führt, die ihr die jeweilige Gegenwart aufgegeben hat“ (Sagmo 1987, 285). Ihnen liegt jedesmal das Spannu ngsverhältnis zwischen pers önlichen und gesellschaftlichen Belangen, privaten Wünschen und kollektiven Ansp rüch en zugrunde. Wir stoß en auf Lösungsversuche, die man auch nicht nur dor t kennt, woher d ie Texte stammen: in der (alten) Bundesrepublik (Rainer Malkowski), der ehemaligen DDR (Sarah Kirsch) und der Schweiz (Kurt Marti). Die in den Gedichten auftretend en Figuren entziehen sich dem angedeuteten Konflikt durch die Flucht. Dieser (tatsächlich oder nur in Gedanken) gewählte Ausweg wird h ier verkürzt als Eskapismus bezeichnet. Landeskundlich interessant sind sowoh l die Ersch einungsformen de s Fluchtverhaltens a ls auch seine p oet ische n Spiegelungen. Diese Einsichten sind aber, wie gesagt, den Gedichten n icht einfach zu en tnehm en, sond ern sie bilden sich im Umgang mit ihnen erst her aus. Das macht s ie um so einprägsamer.
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Flucht in die „ La ube“
Fragen über Fragen. Sie werden teils vom Wortlaut angestoßen, teils von dem, was man als Zeitgenosse weiß – über den Lauf der Welt, über Lebensgewohnhe iten von Deutschen. Die entscheidende Frage ist natürlich, was da s Gedicht für die „Leute kunde“ im Deutsc hunt erricht leisten kann. Die in wenigen Strichen eingefangene Situation muß vor das geistige Auge der Schüler kommen. Wie gehen sie an d as Gedicht heran? Doch wohl so, daß sie sich zunächst an der Textoberfläche entlang bewegen, in der zwei oder drei lexikalische Stolpersteine stecken 2. Dabei werden Vorstellungen eines best immten deutsch en Milieus hervorgerufen (,Schrebergärten‘). Man kann diese Freizeitkulisse durc h Bilder ver gegenwärtigen: Laub en, kleine Rasenstücke, Blumen, trennende Hecken/ Zäune nicht zu ve rgessen . Wenn keine Fotos zur Hand sind, kann man den Schülern eine mündliche Beschreibung geben – vielleicht können sie daraufhin die Szene zeichnen oder auch
schläft. Er hat sie gerade grün/frisch gestrichen. Auf seinem Gesicht liegt eine Zeitung. Vielleicht ist er beim (Rainer Malkowski: In der LaubenLesen eingeschlafen, und sie ist ihm kolonie) Eine Momentaufnahme aus dem auf das Gesicht gefallen. Oder er hat (west)deutschen Alltag: Ein Mann ist sie auf das Gesicht gelegt, um sich vor vor seinem Gartenhäuschen eingeder Sonne zu schützen.’ schlafen und sitzt oder liegt nun da, Damit wäre ein Anfang gemacht. das Gesicht mit einer Zeitung bed eckt. Das Deutschlandwissen der Schüler Wahrsc heinlich ist er gerade m it dem wird erweitert – um die Kenntnis solAnst reichen der „Laub e“ fert ig geworcher (hauptsächlich in städtischer den. Er findet dort „Frieden“. In KlamUmgebu ng zu finde nde n) Kleingarten mern wird noch er wähnt, die Laube s ei Anlagen. Offen bleibt, wieweit sie mit„ho ffnun gsvoll grün “ gest richen . erfass en, was d ie „Laub enkolonien“ als Eine zufällig beobachtete Szene – Zufluchtsor te für d ie Mensch en bed euwas soll daran bemerkenswert sein? ten. Man kann d en Weg über die bisher Die Schluß zeilen bringen e inen d arauf, noch nicht näher betrachtete zweite daß dieser „Frieden“ nicht von Dauer Zeile ne hme n. Die Schü ler könne n s ie sein kann . Die Bedingung („wenn m an umschreiben, vielleicht so: „Übrigens die Augen sch ließ t“) ist nur vorübergewar die Laube grün gestrichen. Grün hen d zu er füllen. Es wird au ch klar, daß ist in Deutschland die Farbe der Hoff„Zeitung“ im Text nicht gegen einen nung. Der Mann h offte/war zuversichtanderen Sonnenschutz ausgetauscht lich, dort ,Frieden‘ zu finden“. Es läßt werden dürfte. Nur so begreift man sich ausmalen, was er na ch de r Ruhenämlich, wovor sich der „Schläfer“ pau se auf seiner Laub en-Insel t ut: Bluflüchtet – doch wohl vor dem , was die men gießen/ den Rasen schneiden/ Zeitun gen tä glich m elden . Er will se ine Unkraut entfernen, genießen, wie es dort blüht/ duftet/ wächst, ein Bier trinken etc. Die zuvor benut zten Fotos/ Zeichnungen können der Pha ntasie auf Raine r Malkowski die Spr ünge he lfen. I N DER L AUBENKOLONIE Unnötig zu sagen, daß der landesVor s einer frisch gestriche ne n Laub e kundliche Gehalt dam it nicht ersch öpft (hoffnungsvoll grün) ist. Schon daß ein bunde srepub likanide r Schläfer: scher Autor d ie Szene überhau pt festdie e ntfaltete Zeitung hält, ist bemerkenswert. Für Rainer auf dem Gesicht. Malkowski kommt dort offensichtlich etwas Bezeichnend es zum Vors che in: Frieden der Rückzug ins Private. Das Gedicht Frieden, entpuppt sich als Beitrag zu dem wenn ma n d ie Augen s chließt. erwähnten zeitgeschichtlichen „Gesprä ch“, auch wenn nicht klar ist, ob die Verhaltensweise des „Schläfers“ Ruh e h abe n, von Krisen, Kriegen, Kata - spielen (zur Andeutung der soeben nun kritisiert oder eher nachd enklichstrophen will er nichts wissen. beendeten Tätigkeit des Mannes mitfühlend bet racht et wird. Zugleich erkennt man, wie trügerisch genügt ein Pinsel). Bevor die Schüler auch dazu ihre die Flucht ist. Außerhalb der Idylle Wichtig wäre jedoch, daß sie sich Ansicht äuß ern, müssen s ie diese zenherrschen die friedlosen Zustände dazu (fremd-)sprach lich äuß ern. Man trale Bedeutungsebene erreicht haben. unvermindert weiter. kann den festgehaltenen Augenblick Ein Zugang läß t s ich gewinnen, indem Worauf will der Text hinaus? Ist er auch sogleich verba l, also ohn e bildli- sie die Zeilen 4 und 5 innerhalb des vorwu rfsvoll geme int? Weil ein solche s che/ szenische Wiedergabe n, schildern Situationsrahmens umformulieren: Verha lten d ie Wirklichkeit nicht änd er t lassen . Verb en s ind h inzuzufügen (im Sonnenschutz bieten z. B. auch eine und obend rein illusionär ist? Oder sind Text steht nur „schließt“). Etwa: ‘Ein herunte rgezogene Mütze oder ein auseher Verstän dnis und Bedauern h er- Mann liegt/sitzt vor seiner Laube und gebreitetes Handtuc h. Nur geht d amit aus zuhöre n? Weil die Verhältniss e n ur ein unentbehrliches Signal verloren – erträglich sind, indem man sich, es muß tatsächlich die „Zeitung“ sein, zumind est zeitweise, auf eine Inse l wie vor de r de r Mann „die Augen sch ließ t“. diese „Laubenkolonie“ rettet? Vom Dopp elsinn dieser sp rach liche n Wend ung aus öffnet der Text sich weiFremdsprache
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ter: de r Mann hat zweifellos die Augen zu, solange er schläft, aber er verschließt s ie auch im übert ragenen Sinn – vor dem, was in der Zeitung steht: vor Krieg und Gefahren, Elend und Gewalt. Das m ach t die Szene e rst zum Sinnbild. Der „Schläfer“ flüchtet vor der Wirklichkeit. Diese Haltung ist weitverbreitet. Sie tritt einem aber dor t auf besonders einprägsame Weise entgegen. Bleibt da s gleichfalls dop pelsinn ige Wort „Frieden“. Sicherlich findet der Mann in der „Laubenkolonie“ Ruhe/ Erholung/ Geborgenheit. Daß er dennoch einer Täuschung erliegt, wird du rch de n „wenn“- Satz a ngezeigt. Wer „die Augen schließt“ vor dem, was in der Welt gesch ieht, gewinnt dam it keinen „Friede n“. Die Schüler müssen sich nun fragen: Gibt es s olche Fluch twüns che a ls Reaktion auf den Druck de r Verh ältnisse bei ihnen auch? Wie werden sie befriedigt? Oder ist ihnen das eskapistisch e Verha lten fremd ? Es käme d arauf an, sich in die eigentümlich deutsche Spielart hineinzudenken, die ihnen in der „Laubenkolonie“ begegnet. Je deutlicher sie das Gemeinte erfassen, desto sp ürbarer werden auch Gefühle und Urteile einfließen. Wie berüh rt es s ie, daß jemand seine Laube „hoffnungsvoll grün“ streicht, während es ringsum so unfriedlich zugeht wie eh un d je? Sind sie inner lich empört, weil sie vielleicht hautnah erleben, was dieser deutsche „Schläfer“ anscheinend nicht einmal als Zeitungsna chr icht ertr äglich findet? Oder kommt ihnen d ie Einstellung verstä ndlich vo r? Weil der Mann ja nicht ohn e Grund dorthin flüchtet und das (Wochenend-)Glück vermutlich ‘verdient’ hat (auch d as übrigens ein dopp eldeutiges Wort : er kann e s sich leisten u nd es steht ihm zu)? Die Schüler können Namen und Ansc hrift erfind en un d d em Mann Briefe schreiben. Darin teilen sie ihm mit, was ihnen angesichts des Schnappschusses aus seiner „Laubenkolonie“ du rch d en Kopf geht . Vielleicht weisen sie ihn au f Tatsach en hin, vor denen er sich abzusch irmen such t, fragen, warum d ie „Laub e“ für ihn s o wichtig ist, gehen darauf (im Rollentausch, also aus de r Sicht des d eutsch en Briefpartners) in Antwort briefen s elber ein. Fremdsprache
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So kann der auf den ersten Blick unscheinbare Text wohl einen Beitrag zur „Leute kunde “ leisten. Mentalitätszüge werden erkennbar : kein betriebsamer Deutscher tritt auf, auch wenn die Leute in einer „Laubenkolonie“ gewiß nicht un tätig sind. Da ist d ie mit frischer Farbe versehene „Laube“. Da ist die künstlich gescha ffene un d so rgfältig gehegte „Natur “. Da ist abe r vor allem diese Fluchtreaktion. Das Gedicht wird zu einem aufschluß reichen landeskundlichen Dokumen t, obwoh l es in seinen wen igen Zeilen eigentlich nur Stichwörter liefert. Erstaunlicherweise veranlaßt es die Schüler, um mit Dietrich Krusche zu sprechen, „weitere Lese-Wege zu gehen“ (Krusche 1985, 139) und die Einsichten, die es anzubieten hat, selber herzustellen. Aber gerade dieser Umgang mit de m Text kann be wirken, daß die Bilder s ich um so tiefer einprägen.
Zwiespältiges Glück (Sarah Kirsch: Im Som m er ; Gedicht siehe nächste Seite) Die Vers e lesen sich wie Tagebu chn otizen von einem Aufenthalt auf dem Lande . Signale, daß wir un s in de r eh emaligen DDR befinden, werden am deutlichsten am Anfang übermittelt. Hinzuweisen wäre noch auf das Jahr der Veröffentlichung (1976) und den damaligen Wohnsitz der Autorin (OstBerlin). Eine allgemeine Bemerkung vorweg: Deutsc hunt erricht findet nicht im geschichtsfreien Raum statt. Sicherlich gibt es Unters chiede d es Informationsstandes (auch unter Deutschen), aber die Bilderfluten und Nachrichtenschübe der letzten Jahre (Fall der Berliner Mauer/ Wiederherstellung der staatlichen Einheit) sind mit einiger Wahrscheinlichkeit weltweit zur Kenntnis genommen worden. Wir unterstellen jedenfa lls, daß auch die Sch ülerinnen und Schüler solche Kenntnisse mitbringen und da ß sie darauf zurückgreifen, wenn es darum geht, mit dem Gedicht von Sarah Kirsch zurechtzukommen.
Damit der Lesevorgang in Bewegung bleibt, sind Wort- und Sacherklärungen wieder unerläßlich 3. Daß man ab er einen Text nicht schon versteht, wenn der Wortlaut lückenlos erfaß t ist, liegt au f der Hand. Der Sinn des Gedichts bildet sich, wie b ei unserem ersten Beispiel, im Umgang heraus. Das sp ielt sich in jeder Lerngrupp e and ers ab. Wo h akt (wenn die lexikalischen Hindernisse weggeräumt sind) die Aufmerksamkeit der Schüler ein? Falls sie Malkowskis „Laubenkolonie“ vorher gelesen ha ben, sticht ihnen vielleicht der Beginn d er d ritten Strophe ins Auge („Wenn man hier keine Zeitun g hält/ ist d ie Welt in Ordn ung“). Die Zeilen e rinnern an d en „Schläfer“, der „Friede n“ sieht, indem er vor d er Wirklichkeit „die Augen schließt“. Der Eindr uck, die „Welt“ sei in einem angene hmen Zustand, hat auch hier zur Voraus setzung, daß man den Blick in die Zeitung ver meidet . Diese Bedingung ist jedoch , wie die Sch üle r wis sen , kaum zu er füllen. Man kann , von diesen beiden Versen ausgehend, die „Welt“ genauer betrachten, wie sie von Sarah Kirsch dargestellt ist. Das läuft auf eine Art ‘Erkundungsgang’ durch das Gedicht hinaus. Wir entwerfen im folgenden einen s olchen Erkundungsgang. Selbstverständlich sind auc h an dere Einstiege und Abläufe möglich. Und – welche „Lese-Wege“ man hier auch einschlägt – sie werden bei diesem Text länger sein. Unser e Leitfrage lautet wieder, was die Schüler, sozusagen im Text unterwegs, über Land und Leute erfahren können. Auch d ies noch vor weg: Sie könn en „Im Sommer“ natürlich auch als autobiographisches Dokument auffassen, als Niederschlag von Erfahrungen der etwa 40jährigen Sarah Kirsch bei einem Besuch in ländlicher Umgebu ng (Brandenburg?/Mecklenburg?). Unser Erkundun gsgang wird uns zu weiteren Fragen führen. Einleitend wird festgestellt, das Land sei „dünnbesiedelt“. Das besagt noc h n icht viel. In Zeile 2 ist von „riesige(n) Felder(n) und Maschinen“ die Rede : das ist als Ver weis auf die so zialistische Bodenreform kaum zu verfeh-
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hier aufzunehmen. Auch die GewohnIM S OMMER heit, sich beim Anblick von Sternschnupp en etwas zu wünschen und an Dünnb esiedelt das Land. die Erfüllung zu glauben, muß wahrTrotz riesiger Felder und Maschinen scheinlich erwäh nt werden. Liegen die Dörfer s ch läfrig Natürlich kann man danach zur In Buchsbaumgärten: die Katzen dritten Stroph e weitergehen. Man kann Trifft selten ein Steinwurf. 5 aber auch die Schüler nochmals zur Im August fallen Sterne . erste n Stroph e zurückführen , und zwar Im Septe mb er bläst ma n die Jagd an. in der Erwar tung, daß ihn en diese ZeiNoch fliegt die Graugan s, s paziert de r Storch len inzwischen in einem and eren Licht Durch unvergiftete Wiesen. Ach, die Wolken erscheinen. Das wäre eine wichtige 10 Wie Berge fliegen sie ü be r die Wälde r. Leseerfahrung. Es hat sich nämlich gezeigt, daß die Besucherin in der Wen n m an h ier ke ine Zeitung hält zweiten Strophe keineswegs Eindrücke Ist d ie Welt in Ordnu ng. festhält, die auf ein sozialistisches In Pflaum enm uskes seln Land schließen lassen. Vielmehr Spiegelt sich schön das eigne Gesicht un d spricht s ie von dem, was in Natur und Feu errot leu chte n die Felder. Gesellscha ft un veränder t geblieben ist: von kosmischen Vorgängen („Im August fallen Sterne“), geschichtlich gewachsenen Bräuchen („Im Septemlen. Mit der Präposition „trotz“ wird (oder anders) abwandeln. Auch von ber bläst man die Jagd an“), von Tieren jed oc h auc h ein Gege nsatz h er vo rge- der „Graugans“ heißt es, sie fliege in ihrer („noch“) unzerstörten Umgehob en: hier die kollektivier te Landwirt- „noch“ – also zwar we iterhin, aber viel- bung. Erscheinen nun die „Buchsschaft, dort die „Dörfer schläfrig in leicht n icht mehr lange? baumgärten“ nicht eher anheimelnd? Buchsbaumgärten“. Die Schüler könHier spricht offenbar jemand, der Genieß t d ie Betra cht erin nicht die Stilnen den Zusammenhang auch anders spürt, was heraufzieht / was sich le? Die Annahme, das Gedicht sei aus dr ücken: „Obwohl/Obgleich die Fel- ankündigt: Eines Tages werden auch gegen die Mensc hen in den a bse its lieder und Maschinen riesig sind, liegen Seen und Teiche vergiftet sein. Fotos genden Dörfern gericht et, erweist sich (...)“. Damit werden Überlegungen (der brandenburgischen / mecklenbur- als voreilig. Nicht mehr kritisches angestoßen: Ist die Besucherin der gischen Landschaft und der beiden Erstaune n kommt do rt zum Ausdruck, Meinung, dort sollte es weniger idyl- Vogelarten) sollten die Vorstellungs- sondern ein Gefühl der Geborgenheit lisch zugehen? Kommt ihr die Abge- kraft der Schüler unterstützen. Wie und des Wohlbefindens . schiedenhe it rückständ ig vor? Worauf empfinden sie das Bild der „Wolken“, Darü ber dar f allerdings nicht in Verwill sie hinau s? Vermiß t s ie sp ielend e die „wie Berge ( ...) üb er die Wälder flie- gessenhe it geraten , daß in beiden StroKinder/junge Leute, die „die Katzen“ gen“? Vielleicht gelingen ihnen, je nach phe n auch an historische Sachverhalte mit einem „Steinwurf“ vertr eiben wür- Talent, Zeichnungen der in der ersten erinnert wird: an den politisch-ökonoden? So aufgefaßt, hat die erste Stro- und zweiten Strophe eingefangenen mischen Umbruch (Kollektivierung) phe einen enttäuschten, wenn nicht ländlichen „Welt“. Können sie be- wie an ökologisch e Bedroh ungen. Auf vorwurfsvollen Ton (‘Eigentlich sollte schreiben, wie ihnen die Stimmung diese Spannung stoßen die Schüler die Gegend anders/nicht wie ausge- dieses Sommer tages vorkommt? dann unüb ersehbar in der dritten Strostorben aussehen’). Wir s chlagen vor, die Aufmerksam- ph e. Einerse its he ißt es, „die Welt“ sei Der Erkundungsgang führt weiter keit nu n d em Anfang der Stroph e zuzu- dor t „in Ordnu ng“. Die „Pflaumenm uszur zweiten Strophe. Angenommen, wenden. Die Schüler müßten bemer- kessel“ stehen wieder für Praktiken das Bild des „durch unvergiftete Wie- ken, daß in den Zeilen 6 un d 7 Erschei- aus a lten Tagen. Die Früc ht e werd en in sen “ sch reitend en Storch es (Zeilen 8-9) nungen aufgeführt sind, auf die her kömmlicher Weise (in Töpfen üb er bleibt b esond ers deutlich h aften. (Bei Menschen entweder keinen Einfluß dem Holzfeuer) zu Mus verkocht. praktischen Versuchen ist das öfter so haben (Sternschnuppen) oder die die Andererseits bleiben aber auch die gewesen – vielleicht, weil ökologische Umwälzung nach 1945 überdauert Zeitumstände gegenwärtig. Die MeiSorgen weltweit verbreitet sind). Es ist haben (der Brauch, den Beginn der nung, alles sei aufs beste geordnet, jed en falls e rs ta un lich , da ß die Bet rac h- Jagd mit Hornsignalen anzuzeigen). kann nur ents tehen, sofern man „hier terin die Wiesen gerade als „unvergif- Soweit diese Tradition unbekannt ist, keine Zeitung hält“, solange man also tet“ kennzeichnet (und nicht etwa als wäre sie als land eskund liche Tatsach e aus dem Bewußtsein ausblendet, was „üppig blühend“/„windgewellt“). Die in der „Welt“ gesc hieht, gen auer : was Schüler können Zeile 9 probeweise so eine linientreue Presse, etwa ein Parteiblatt wie „Das Neue Deutschland“, darüber sch reibt. Sarah Kirsch
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Der Zwiespalt tritt nun sogar besonders scharf hervor. Bei genauem Hinsehen erscheinen nämlich die „Pflaumenmuskessel“ in einem zweideu tigen Licht. In ihne n „spiegelt sich“, wie man liest, „schön das eigne Gesicht “. Wer so lche selbs tbe zogenen Empfindungen auskostet, verdrängt die aktu ellen Verhä ltnisse, d eren „Spiegel“ die Zeitun g ist. Der in d en Zeilen 13 und 14 mitschwingende Tadel wird einem besonders bewußt, wenn man die (regional verbreitete) Redensart „aus de m Mustop f komm en“ kennt: Sie besagt, daß jemand einfältig und von aktuellen Ereignissen unberührt im Leben steht. Einmal nachdenklich geworden, sollte man den Lese-Weg auch erneut zu den „Buchsbaumgärten“ einschlagen (Zeile 4). Der Buchsbaum wird plötzlich zum vielsagenden Symbol: er blüht n icht, nimmt nicht te il am Wech sel der Jahreszeiten, wirkt steril, wird häu fig auch als Dekorat ion bei bürgerliche n Begräb nissen ve rwend et. Vor allem sind diejenigen, die sich hinter die Hecken in die „schläfrigen“ Dörfer zurückziehen, von den gesellschaftlichen Entwicklungen abgeschnitten. Insofern scheint sich der ursprüngliche Eindru ck doch noch zu bestät igen: Sarah Kirsch betrachtet die Idylle der ersten Strophe offenbar (auch) mit zweifelndem Blick. Brechen wir den Erkundungsgang hier ab. Was das Gedicht als landeskundliche Quelle anzubieten hat, ist erkennbarer geworden. Soweit es den politischen Hintergrund vergegenwärtigt und das b ereitliegende Wisse n der Schüler aktiviert und vertieft, soweit auch Natur- und Landschaftsbilder hervorgerufen werden, kann das bereits die Lektüre lohnen. Im Mittelpunkt steht aber unverkennbar das Fluchtt hem a, das „Im Sommer “ mit der „Laubenkolonie“ gemeinsam hat. Sarah Kirsch d urchlebte d en Konflikt zwischen inneren Bedürfnissen und gesellschaftlichem Bewußtsein, zwischen elementaren Wünsche n und abst rakten Hoffnungen in d en Jahren vor ihrer Über siedlung nac h West -Ber-
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lin (1977). In un ser em Gedicht ist d iese Spannung in poetische Bilder überset zt. Die Heimweht öne u nter dem Einfluß (spät)sommerlicher Erlebnisse sind unüberhör bar. Aber da s erseh nte und vorübergehend gefundene Glück ers ch eint zwiespä ltig. Die Vers e be zeugen, daß die Autorin das in der DDR aufgestaute Verlangen nach politikund ideologiefernen Inselaufenthalten teilt. Aber s ie ist sich au ch d er be denklichen Seiten eines solchen Rückzugs ins Private bewußt . So geles en, wird „Im Somme r“ zum Zeugnis eines Dilemmas, das vor der ‘Wende’ millionenfach erfahren wurde und d as be i der persö nlichen Aufarbeitung de r Vergangenh eit noch lange weiterwirken wird. • Rainer Malkowski führt an einem westdeut sche n Zeitgenoss en den Eskapismus a ls (trügerische) Lösung vor. • Sarah Kirsch gestaltet Flucht und Verweigerung als beun ruhigendes persönliches Problem. Der Text entläß t un s mit de r Chiffre der „feuerrot“ leuchte nden (un d eb en nicht meh r n ur „riesigen“) Felder. Das mag jedoch hier auf sich beruhen bleiben. Für die Schüler können diese landeskundlich bedeutsamen Erfahrungen nachvollziehbar(er) werden, indem sie die Bilder n ache inander a ufzufassen, zu verbinden, auszulegen suchen. Wie immer beim Umgang mit poetischen Texten (und erst recht in der fremden Sprache) bewegen sie sich langsamer voran, als d as etwa b ei einem Landeskunde text im Lehrbuch der Fall wäre, springen vor u nd zurück, entd ecken Signale und üb erlegen, was diese besagen. Wir haben das an einem (als Anregung gemeinten) Erkundungsgang gesch ilder t. Um es zu wiederho len: Er kann auch ganz anders verlaufen. In der zweiten Strophe beginnen die Schü ler ihn vielleicht b ei den „Ster nen “ statt beim „Storch“. Was erscheint ihnen o hne weiteres e ingängig? In de n Zeilen 11 und 12 ist der Konflikt am griffigsten formuliert (“Wenn man hier keine Zeitun g hält/ist die Welt in Ordnung“). Das gilt b eson ders dann , wenn das Malkowski-Gedicht bekannt ist. Was wirkt dagegen merkwürdig/ verwirrend /vers chlüsse lt? An de r Doppeldeutigkeit der „Buchs baumgär ten“ und
der „Pflaumenmuskessel“ führt kein Weg vorbei. Auch dort können die Schüler a uf die ‘Problemspur ’ stoß en – immer vorausgesetzt, das Problem des zwiespältigen Glücks ist für sie nachvollziehbar. Als Nicht-Deutsche betrifft es sie nicht unmittelbar. Oder gibt es dort, wo sie leben, ähnliche Konflikte? Die Zugriffe mach tgestü tzter Institutione n werden ihnen nichts Neues sein (aus eigener Erfahrung oder aus anderen Quellen, z. B. aus Büchern / Filmen / Ferns ehse ndun gen). Auch d er Wunsch nach Zufluchtsor ten, um diesen Zugriffen zu entgehen, ist ihnen sicherlich vertraut. Entscheidend wäre nu r, daß sie auch die Bedenken gegen eine Abkapselung von den öffentlichen Angelegenheiten ve rst ehe n, wie sie in Sarah Kirsch s Vers en zum Ausdr uck kommen. Und noch ein Vorschlag: liegen lassen, was sich nicht sogleich ers chließ t. Bilder, Situationen, auch sprachliche Prägungen nisten sich ein und bleiben aufgehoben – für spätere Gelegenheiten. Sie gehen einem buchstäblich nicht aus dem Kopf. Man knüpft an das an, was man schon kennt, wenn man ihm wiederbegegnet – im selben Text oder in anderen Darstellungen oder in der Realität.
Ausste igen a ls Ärge rnis ( Kurt Marti: Leichenrede , Gedicht sieh e nächste Seite) Auch hier wiede r einige Hinweise vo rweg, um das Einlesen zu erleichtern. Dieser Text spr icht sich deu tlicher aus. Der Lebenswandel eines Mannes wird geschildert, die Einstellung des Sprechers kommt unmißverständlich zum Ausd ruc k. Man kann s ich diesen Sprecher als einen Pfarrer vorstellen, der eine Grab red e hä lt. Der Schweizer Kur t Marti war bis Anfang der 80er Jahre selber als Pfarrer tätig. In den „Leichenreden“ (1976) legte er einem erfundenen Amtsbruder in den Mund, was er ü ber seine Landsleute zu sagen hatte. Das kann das Gedicht für die Schüler im Sinne der „Leutekunde“
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Pfarrer d abei, um eine Grabred e zu halLEICHENREDE ten ? Was s agt er? Schwer zu sagen, wieweit ein solwelche wohltat ch er Vers uch gelingt. Er zielt dar auf ab, einmal auch sagen zu dürfen: Vorstellungen und Urteile und vor ne in er war nicht tüch tig allem au ch Sprach mittel der Schüler zu und wechs elte oft die ste lle mob ilisieren. Man kann s ich abe r auc h nein er war nicht fleißig 5 ohne eine solche Vorbereitung sound arbeitete nur gleich der ersten Strophe zuwenden. sofern es nicht anders ging Da ist davon die Rede, daß der Versto rsonst aber be ne „nicht tü cht ig“ und „nicht fleiß ig“ las er lieb er S PORT o d e r PLAYBOY war, daß er „oft die st elle (wech selte)“ 10 setzte sich nach mittags scho n ins kino und „(nur) arbeitete, sofern es nicht (EDDI CONSTANTINE war se in lieb ling) and ers ging“. Es liegt nah e, dagegenzuschlürfte cognac in straßencafés ste llen, was den geltend en Verhalten sme ditierte die anm ut de r frauen regeln eher entsprochen hätte: gute o d e r d ie t a u b e n a m t u r m Arbeit zu leisten/zielstrebig und pflichtbewußt zu sein/einem Beruf 15 im frühling fuhr er regelmäßig nachzugehen etc. Man durch zart- un d frech grün es land kann die Strophe in die Lobrede auf den s om me r verlag er einen ‘normalen’ Zeitgenossen umwangut geölt und b eha glich im s chwimm bad deln (etwa: ‘welche wohltat/auch hier später im he rbst dann streifte er wieder sagen zu d ürfen: ja er war seh r 20 ma nche n stillen waldrand entlang tüchtig/und wechselte nie d ie stelle/ja ehe er für den winter er war st ets fleißig/und arbeitete von eine b esch äftigung suchte früh bis spät’). und eine freun din Auf diese Weise kommt auch der weil er die festferientage landeskundliche Gehalt des Gedichts 25 nicht allein zu verbringen lieb te in den Blick. Obwoh l der Tote au s d er welche wohltat Art geschlagen war, widmet der Sprein einer welt cher ihm einen freundlichen Nachruf. die vor tü chtigkeiten Die Schüler müßten (nach der vorgeaus d en fugen gerät: schlagenen Kontrastübung) wahrneh30 ein man n de r sich gute tage men, daß hier eine Gegenfigur zu zu mache n wußte bes timmten gesellschaftliche n Leitbile h e n a c h e i n ig e n b ö s e n dern gezeichnet ist, und zwar in der je tz t Absicht, diese Leitbilder in Zweifel zu de r letzte tag für ihn kam ziehen. Man kann sich die Reaktion vieler bürgerlicher Leser in der Schweiz und anderswo leicht ausmalen: sie werde n de n Text als Schlag ins Gesicht ergiebig machen. Auf die Kleinschrei- die bei derar tigen Kulturphänom enen empfinden. Doppeltes Ärgernis sogar: bung müßten sie wohl hingewiesen unaufhebbar bleiben. Nicht nur d ieser Mann set zte sich über werden. Was den Wortschatz betrifft, Wie immer, läßt sich der Einstieg das hinweg, was für schicklich gehalso ist der Bedarf an lexikalischen methodisch verschieden gestalten. ten wird, sonde rn auch derjenige, der Handreichungen h ier insgesamt wahr- Man kann z.B. mit den Schüler n, bevor aus s einer Sympath ie kein Hehl macht. scheinlich größ er 4. sie den Text zu Gesich t be kommen , ein Unser Thema tritt in einer neuen Die Schü ler müß ten s ich allerdings Bild des darin geschildert en Typs ent - Variante auf: ein Aussteiger, der sich auch ü ber d ie hinzuzudenkende Situa- werfen, also eines Mannes, der nicht bürgerlichen Lebensformen entzieht – tion im klaren se in. Der Brauc h, einen gern ar beitet, de r es in einer Stelle nie Eskapismus als Außenseitertum. Wie Vers tor ben en vor einer Traue rgemein- lange aushält, dem seine freie Zeit kommen die Schüler mit einem de d urch den Vertre ter e iner religiösen wichtiger ist. Wie verbringt so einer zurecht, der seine Tage derart entGemeinschaft würdigen zu lassen, ist seine Tage? Irgendwann stirbt er. Wer schlossen ‘alternativ’ zubrachte? Das in deutsch sprac higen Ländern üblich. kommt zu seiner Beerdigung? Ist ein schon ver traute Zeitungsmotiv taucht Das wäre also nötigenfalls wieder zu auch hier wieder auf: Er las „lieber erläutern – mit de n Einschr änkungen, SPORT oder PLAYBOY“ (Zeile 9), als zur Arbeit zu gehen oder, wie man wohl ergänzen d arf, als Tageszeitun gen mit politischen Nachrichten zu lesen. Kurt Marti
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Ehrgeiz, Strebsamkeit, Verantwortungsgefühl waren dem Mann offensichtlich fremd. War er, ohne Umsc hweife ges agt, faul? Oder kommt eher ein empfindsamer Zeitgenosse zum Vors che in, der seine Lebe nsführung, wie die dritte Strophe zeigt, dem Gang der Jahreszeiten anpaß te? Die Schü ler bewegen s ich nach diesem methodischen Vorschlag in ähnliche r Weise du rch d en Text, wie wir da s bei den anderen Gedichten beschrieben haben. Manches mag rätselhaft bleiben, z.B. daß der Vers tor ben e sich für den Kinostar Eddie Constantine begeisterte (Zeile 11). Vielleicht läßt sich ein Foto finden. „Eddie“, eine Kultfigur d er 50er und 60er Jah re, war meistens der in Schlägereien verwickelte Einzelkämpfer. Fühlte er sich ihm ver wandt , weil er ebe nfalls ein Auß ens eiter war? Das Urteil der Schüler über den Mann (und auch über d en Pfarrer) wird zweifellos stark von den in der eigenen Lebenswelt her rsch ende n Verhältnissen und Anschauungen mitbestimm t. Weibliche Leser r eagieren üb rigens erfahrungsgemäß strenger als männliche. An den „festferientagen“, also zum Jahresende, mußte diesem PLAYBOY-Leser „eine freundin“ das Alleinsein vertreiben. Und so einer hätte na chsichtige Worte verdient? • Die Schü ler könne n a us dem Text zusammen stellen, was sie an der von Kurt Marti gezeichneten Figur gut/ schlecht finden, und ihre Ansichten erläutern. • Sie können ( kürzere) Nachr ufe entwerfen – auf wirkliche od er er fund ene Personen od er (warum nicht?) auf sich selbst. Für unser Hauptanliegen, Landeskunde als „Leutekunde“, ist auch hier davon auszugehen, daß die Schüler mit der Schweiz und ihren Bewohnern schon bestimmte Vorstellungen verbinden. Welche Produkte der Schweizer Industrie und Landwirtschaft kennen sie? An welch e (vielleicht im Fernsehen oder auf Plakaten gesehene) Landschafts- oder Städtebilder erinnern sie sich? Welche Eigenschaften sprech en sie den Schweizern zu?
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Das unterschiedlich reichhaltige und unterschiedlich geordnete Wissen wird bei der Erkundung dieser „Leichenrede“ in Anspruch genommen und veränd ert. Die Schüler stoß en auf kritische Töne, die in der offiziellen Selbstdarstellung des Landes und in der Tourismuswerbung erklärlicherweise fehlen. Die Bedenken gegenüber einem ungetrübt positiven Bild der Schweiz werden zu Beginn der viert en Stroph e am deu tlichst en geäuß ert (Zeilen 26 bis 29). Dort wird das wohlwollende Urteil über den Verstor benen begründet: die Welt „(gerät) vor tüchtigkeiten aus den fugen“. Deshalb, so der Pfarrer, sei es eine „wohltat“, einmal einen Mann würdigen zu können, der ausstieg und der folglich keinen Anteil hatte an dem, was „tüchtigkeiten“ anzurichten pflegen. Es ist schwer vorherzusagen, wie konkret die Schü ler das füllen könne n, ob sie etwa Chemie- und Waffenfirmen nennen oder auf die Umweltprobleme hinweisen, die durch Autoverkehr und Wintersp ort in der Alpenregion verursa cht werden. Kurt Marti äuß erte sich in den „Leichenreden“ im übrigen auch als empör ter Christ. Das kann ein weiterer fruchtbarer Ansatzpunkt sein. Unser Text bekennt sich zu verschütteten Tugenden wie Nachsicht u nd Duldsamkeit, auch gegenüber einem Mensch en, der von den meisten wohl abschätzig als „Taged ieb“/ „Heru mtr eibe r“/ „Faulpelz“ bezeichnet würde. Indem der Autor (durch die Figur des Pfarrers) ihn nicht nur nicht verdamm t, sondern seine Darstellung ausdrücklich als „wohltat“ bezeichnet, werden Gesch äftsgeist und Erwerb str ieb als fragwürdige Maßstäbe für das eigene Lebens programm wie für das nationale Selbstgefühl bloßgestellt. Daraus läßt s ich noch eine weitere Aufgabe gewinnen: • Die Schüler können dem Pfarrer schreiben – anerkennende Briefe (für seinen Mut bei der Würdigung eines Individualiste n, der sich d en land läufigen Konventionen nicht unterwarf) oder entrüstete (weil in seiner „Leiche nred e“ kein Wor t d er Kritik fällt). • Und sie können (in der Rolle des Pfarre rs) a uf diese Briefe reagieren. Land eskund e mit litera rischen Texten m öchte den Schülern Aufschlüsse
über reale Gegebenheiten vermitteln. Unnötig zu sagen, daß Leitbilder und Wertbegriffe und ihr widersprüchliches Echo maßgebliche Bestandteile der zu verstehen den fremden Realität sind. Kurt Mart is „Leichen rede “ kann, wie auch Rainer Malkowskis „Laub enkolonie“ und Sarah Kirschs „Sommer“, den Schülern zu augenöffnenden Einsichten verhelfen. Anmerkungen:
1) Die Gedichte sind ent nommen a us: Rainer Malkowski: Zu Gast. Suhrkamp Verlag. Frankfurt/M. 1983. Sarah Kirsch: Rückenwind. Aufba u-Verlag, Berlin-Weimar 1976. Kurt Marti: Leichenreden. Luchterhand Literaturverlag, Frankfurt/M.1976. Vgl. auch Weber, Hans (Hg.): Vorschläge. Literarische Texte für den Unterricht Deutsch als Fremdsprac he. Textband mit Lesehilfen. Lehrerband mit Folien. Cassetten. INTER NATIONES, Bonn, 2. Aufl. 1991 (1990). 2) Welche Wörter erklärt werden müssen, läßt sich nicht allgemein entscheiden. Deshalb beschränken wir uns hier auf Hinweise zu wenigen landeskundlich bede utsamen Wörtern. Laubenkolonie: Stück Land (meistens in städtischer Umgebung), mit kleinen Gartenhäuschen und sorgfältig gepflegten Gärten (Schrebergärten). Bild- und Textmaterial zum Thema „Schrebergärten“ enthält d as beim Goethe-Institut erh ältliche Videoprogramm: Deutschlandspiegel. Video 3. Textheft 3. Bestellnr.: 41 00 04 V und 41 00 04 B. 3) Buchsbaum: immergrüner Zierstrauch, meist als Hecke verwende t. die Jagd anblasen: den Beginn der Jagd mit Hornsignalen anzeigen. Pflaumenmuskessel: Topf, in dem Pflaumen zu e inem Mus (=Brei) zerkocht werden. 4) Festferientage: die Zeit um Weihnachten und Neu jah r.
Literaturhinweise:
Ehlers, Swantje: Sehen lernen. Zur ästh etischen Erfahrung im Kontext interkultureller Literaturvermittlung. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache , Band 14. iudicium Verlag, Münche n 1988. FREMDSPRACHE DEUTSCH Heft 2/1990, 63: Texte verstehen: datengeleitet oder sch emageleitet? FREMDSPRACHE DEUTSCH Heft 3/1990, 60-61: ABCDThesen zur Rolle der Landeskunde im Deutschunterricht. Krusch e, Dietrich.: Lese-Unters chiede. Zum interkulturellen Lesergespräch. In: D. Krusche: Literatur und Frem de. iudicium Verlag, Münch en 1985. Sagmo, Ivar: Was kann der Auslandsgermanist in seinen Literaturkursen von deutscher Wirklichkeit eigentlich vermitteln? In: A. Wierlacher (Hg.): Perspektiven und Verfahren interkultureller Germanist ik. iudicium Verlag, Münch en 1987. Weber, Hans: Textverarbeitung im fremdsprachlichen Literaturunterricht. In: DIE NEUEREN SPRACHEN , Band 89, Heft 6. Westhoff, Gerard J.: Didaktik des Lesevers tehen s. Strategien des voraussagenden Lesens mit Übungsprogrammen. Hueber, München 1987.
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Bücher Reinhard Ammer: Das Deutschlandbild in d en Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache. Diss, iudicium, München 1988. Die materialreiche und dennoch gut lesbare Dissertation von R. Ammer (330 S.)untersuc ht d en landeskundlichen Inhalt der wichtigsten Deutschlehrwerke, die in der BRD zwischen 1955 und 1985 ersch ienen sind. Das bed eutet auch, daß die Lehrwerke der so genannten vierten o der „interkulturellen“ Generation unberü cksichtigt bleiben. Äuß erer Anlaß dieser Unters uchung war die Tatsache, daß die christdemokratisch-liberale Bundes regierung verstärkt versucht e, Einfluß auf die auswärt ige Kulturpolitik zu nehmen im Sinne einer po sitiven Darstellung der Bundes repub lik Deutschland im Ausland. Die Progno se für das „Eigenbild“, welches die Lehrwerke der 90er Jahre vermitteln werden, sieht nach Ammer dann auch nicht a llzu ausgewogen aus: „in erster Linie (werden) d ie positiven Seiten der Bundes repub lik D. und erst in zweiter Linie ihre prob lematischen und kritikablen Aspekte“ präs entiert werden (286). Gisela Baumgratz/ Rüdiger Stephan(Hg).: Fremdsprachenlernen als Beitrag zur internationalen Verständigung. iudicium, München 1987. Diese immer noch aktuelle Aufsatzund Referatsammlung (164 S.) geht auf die 1983 von der Robert -BoschStiftung in Stuttgart verans taltete Konferenz zum Thema „Landeskunde in der Lehrer fortbildung“ zurück. In allen Beiträgen geht es um die Verbr eitung/Verbes serun g des Konzepts der „transnationalen Komm unikations fähigkeit“. Diese s wird in enger Verbindung mit d er Frage der Lehrerqualifikation gesehen. Hier wiederum st eht der Aspekt der Lehrer fortb ildung im Zentrum, da aufgrund res triktiver Finanzpolitik in fast allen europäischen Ländern in dem diskutierten Zeitraum (Anfang/Mitte der 80er Jahre) kaum mehr junge Lehrer e ingestellt wurde n. Beyme, K.v: Der Vergleich in der Politikwissenschaft. Piper, 1988. In d ieser Aufsatzs ammlun g (398 S.) werden grund legende Arbeiten im Bereich der Politikwissenschaft (einer d er wichtigsten Bezugswissenschaften der fremdsprachlichen Landeskunde) zusammengefaßt. K.v. Beyme ver ste ht d abe i – in durch aus kritischer Manier – den Vergleich nicht als ein Untergebiet der Politikwissensch aft, sondern als Ansatz, der in allen Bereichen, von der Theor ie bis zur internat ionalen Politik zur Anwendung
gelangt. Sehr zu empfehlen ist dieses Buch, gegliedert in die Kapitel „Theoretische Ansätze“, „Politische Institutionen“, „Politisches Verhalten“ und „Politikfeldana lyse“ vor allem d en Landeskunded idaktikern und Lehrmaterialproduzenten , die den Vergleich als Erkenntnismittel im Landeskund eunterr icht etablieren möchten. Manfred Erdmenger/Hans-Wolf Istel: Didaktik de r Landeskund e. Hueber , Isma ning 1973. Erste und wohl bislang einzige Landeskunde-Didaktik. Das Bändchen (96 S.), welches 1978 in zweiter Auflage ers chien, geht weder auf die besonderen Aspekte der Landeskunde in Deutsch als Fremds prache noch auf die methodischen und didaktischen Entwicklungen seit Mitte d er 70er Jahre ein.
Walter Lippmann: Public Opinion. New York 1922 (dt.: Die öffentliche Meinung. Münch en 1964). Mit s einer Unterscheidung von „World outside“ und „Pictures in our Heads“ gelang dem Publizisten ein Klassiker, was das Thema „Stereotype“ anlangt.
Julia Kriste va: Fremde sind wir uns selbst. edition Suhrkamp, Frankfurt/Main1990 (Paris 1988) Eine idee ngesc hicht liche, 213 S. lange Reise, angefangen bei der griechischen un d jüdischen Geschichte, ü ber die frühe Neuzeit (Dante, Montaigne) bis hin zur Romantik und französischen Revolution, die mit den Mitteln der Psychoanalyse einen zentralen Begriff der interkulturellen Landeskund ediskussion umkreist: Das Fremde (in uns selbst). Wichtig für alle, die ein wenig über d en Tellerrand von unmittelbarer Unterrichtsvorbereitung und didaktischer Fachdiskussion hinausblicken möchten .
Bernd-Dietrich Müller( Hg.): Konfrontative Semantik. Weil der Stadt 1981 Immer n och lesens werte Studie über die Ausweitung des Semantikbegriffs in eine Richt ung, die ihn unmittelbar relevant macht für eine interkulturell verfahrende Landes kunde. Die Quintessenz der Untersuchung: Die „hinter“ den Wörtern stehe nde gesellschaftliche Wirklichkeit versch iedener Kulturen macht die Bedeutungsunterschiede „gleicher“ Wörter a us. Liebe ist nicht dass elbe in Indones ien und Deutsch land. Und Arbeit b edeutet etwas and eres in Brasilien und Deutschland.
Dieter Krusche/Alois Wierlacher (Hg.): Hermeneutik der Fremde. iudicium, München 1990. 13 Aufsätze , die d ie Entwicklung des Faches Deutsch als Fremdsprache in den 80er Jahre n auf knapp 300 Seiten exemplarisch dokumentieren. Daß es dabei haupt sächlich um das „Nachdenken übe r das Fremde“ geht, macht diesen Sammelband gerade auc h für die Positionsbestimmung von Landeskunde im Deutsch -als-Fremds prach eUnterricht wichtig.
Gerhard Neuner(Hg.): Kulturkontraste im DaF-Unterricht. iudicium, München 1986. Eine se hr lesens werte Sammlung von 15 Aufsät zen (a uf 280 S.) die sich mit den Problemen b efaßt, die an den Schnittpunkten von sehr „nahen“ und sehr „fernen“ Kulturen durch das Aufeinander treffen unterschiedlicher Verhaltenserwartungen entst ehen. Grunds atzfragen (Bezugswissenschaften us w.) werden ebens o behand elt, wie konkrete Fallstudien und Unterrichts berichte vorgestellt werden.
Jacques Leenhardt/Robert Picht (Hg.): Esprit/Geist. 100 Schlüsselbegriffe für Deutsche und Franzosen. Piper, Münc hen 1990 (2. Aufl.). Eine beispielhafte Sammlung von 100 Ess ays ( oft kürzer als fünf Seiten) zu Begriffen, die die Wörter bücher gleichsetzen, die in Wirklichkeit aber meist Untersch iedliches meinen. Das Ergebnis ist eine kleine deuts ch-französische Kulturgeschichte, eingefangen in Schlüsselbegriffen des Denkens u nd d er politischen Kultur und Alltagswirklichkeit.
Günter Trautmann: Die häß lichen Deutschen? Deutschland im Spiegel der westlichen und östlichen Nachbarn. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1991. Die deutsche Einheit stellt die Landeskunde im Fach Deutsch als Fremds prach e vor mannigfaltige, jed oc h o ft gar n ich t s o n eu e Pr ob leme! Wiede r einma l und mit zweifelnder Stimme wird aus deuts cher Sicht die Frage nach der Beschaffenheit d es Fremdb ildes gestellt: „Welches Image haben die Deutschen im Ausland und: Ist ein Wandel des Deutschlandb ildes festzu-
ste llen?“ In 25 Aufsätzen vers uch en auf 337 S. ausländische u nd d eutsche Wissensch aftler, Lehrer und Journalisten aus den unterschiedlichste n Blickwinkeln der Welt (Israel, Polen, ehemalige Sowjetunion, Dänemark, Niederlande, Groß britannien, Frankreich, Italien, Ungarn, Finnland und USA) e ine Antwort auf diese Frage zu geben. Auch wenn die Einzelantworten, je nach Betroffenheit durch deutsche Geschichte und Politik unterschiedlich ausfallen, verrät der Herausgeber b ereits im einleitenden Artikel, „daß die älteren Feindbilder u nd Vorurteile des ‘häß lichen Deutsch en’ vier Jahrzehnte nach der Befreiung Deutschlands vom NS-Regime s tar k verblaß t s ind. Die Sympathiewerte d er Deutschen im Ausland h aben d agegen zugenommen.“ ANDREAS PAULDRACH
Die Deutschen in ihrer Welt. Tübinger Modell e iner integrativen Landeskunde. Herausgegeben von Paul Mog in Zusammen arbeit mit Hans-Joachim Althaus. Langenscheidt Verlag, Berlin/ München 1992, 264 S. „Mehr als die Hälfte aller Bunde sbürgerinnen und Bundesbürger sind in cirka 200.000 Vereine n or ganisiert . Wand ern , Singen, Kegeln, Skatspielen, Turnen, Schwimmen, Radfahren, Schieß en, Religion, Zierfische und Taubenzucht, kein Interes se, das hierzulande nicht sogleich eine organisierte Vereinsform ann immt“ (S.102) – diese s Zitat könnte einen jener unendlich zahlreichen Aspekte t hematisieren, die sich unt er d em Stichwort „Landeskunde der Alltagskultur“ aufführen lassen. Doch mit einer so lchen Feststellung allein s ind zentrale Fragen der Landeskunde no ch nicht beantwortet: Wie wichtig ist dieses Phänomen „Vereine“ in d er deuts chen Gegenwartskultur ? Und wichtiger no ch: Wie läßt sich d iese (typisch deu tsche ?) Vereinsmeierei erklären ? Mit dem „Modell einer integrativen Landeskund e“ werden Antworten auf genau diese Fragen gesucht. Das Buch zeigt beis pielhaft, wie sich solche Tatbestä nde wie die „Vereinsmeierei“ in größere Zusammenhänge einordnen und in
Fremdsprache
Deutsch
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ihnen sozialgeschichtlich verste hen lassen. Das Zitat etwa findet sich in d em Kapitel „Zum Verh ältnis von privat und öffentlich“, in dem die Rolle von Familie, Freund schaft und Vereinen als chara kteristischen Ausformungen des Verhältnisses von Privatem und Öffentlichem erö rtert werden. Es geht – an ausgewählten Beispielen wie Raumerfahrung, Zeiterfahrung, Lebenss tilen, p olitischer Kultur u.a. – um die Darstellung von „Grundmuster n der sozialen und politischen Verfaßtheit der Bundesrepublik und d er deu tsch en Mentalität“. In dem Tübinger Projekt haben zu diese m Zweck Politologen, Soziologen, Historiker und Kulturwissenschaftler mit Sprachpr aktikern zusammengearbe itet – integrative Landeskund e meint hier immer b eides: Integration von Sprachunte rricht und Landeskunde und: interdisziplinäre Betracht ung zentraler Themen d er Landeskunde. Den für eine solche Betracht ung notwendigen kulturkontrast iven Aspekt gewinnen d ie Autoren durch eine beson dere Fokussierung auf den Kontrast Deutschland- Amerika; so wird etwa die spezifische deut sche Form de s Privaten an dem Kontrast zu dem Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit in den USA her ausgearbeitet. Dennoch ist dies kein Buch, das sich primär a n diejenigen wendet, die mit Amerikanern Deutsch unterr ichten. Es ist zunächst einmal (übrigens auch für Deutsch e) eine spannen de Reise ins Innere deuts cher Mentalität, und es ist auch ein empfehlenswertes Lesebuch für alle Deutsch lehrer und -stud enten. Durch s eine historische und soziokulturelle Persp ektive hilft es , viele isolierte Einzelphä nomene von Alltagskultur in einem Zusammenhang von „Mentalitätsmuster n“ zu verstehen; es trägt dazu bei, unserem Verständnis von Landeskund e (wieder) eine historische Pers pektive zu geben und das
zu einem bloßen Schlagwort verkommene „interkulturelle Lernen“ mit Leben zu erfüllen, auch und gerade in dem Kapitel zu den Lebenss tilen, wo de utlich wird, d aß Wohnen, Essen, Trinken keineswegs banale Themen unser er Alltagskultur, sondern Schlüssel zum Verste hen deut scher Mentalität sein können. Das Buch ist sicherlich für Nichtmuttersprachler eine dichte, schwierige Lektüre – aber sicher auch die spannendste Lektüre zum Thema Landeskunde s eit langem. Für mich ist d ies ein gelungenes Beispiel interdisziplinärer Grundlagenarbeit für die Landeskunde, und zugleich so konkret, d aß es h ilft, eigene Vorste llungen üb er die Funktion von Landeskund e im Deutschunterricht zu überprüfen und zu er weitern. Ich b in gespannt auf den angekündigten zweiten Band, der dann d idaktische Modelle enthalten soll. H.-J. KRUMM
Aufsätze Hans Bausinger: Stereotypie un d Wirklichkeit . In: Jahrbuch Deutsch als Fremdspr ache. 14/ 1988, 157–170. Der Tübinger Kulturwissensc haftler gibt hier auf 13 Seite eine knap pe, inhaltsreiche Einführun g über die Bedeutung und „Leistung“ von Stereotyp en. Insofern ist dieser Aufsatz imme r no ch ein „Muß“ für den Landeskunded idaktiker und -praktiker, vor allem auch desh alb, weil anhand e ines kleinen Pr ojekts die Relevanz von alltagskulturellen Themen für den Landeskund eunterricht sinnfällig vorgeführt wird. Dieter Buttjes: LandeskundeDidaktik und landeskundliches Curriculum. In: Kar l-Richar d Bausch u.a. (Hg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht.Gunter Narr, Tüb ingen 1989, 112 –119 . Dem Charakter eines Handbuchs entsprechende knappe und verdicht ete Dars tellung von „Begriffsbestimmung un d Aufgabenbe-
schr eibung“, „Landeskund e in d er Geschichte des Fremdsprachenunterrichts “, „Forsch ungsgegenstand und Forschungsstand der Landeskunde-Didaktik“ „Ziele/Inhalte des Curriculums“ und „Interkulturelles Lernen un d landeskundliche Lehrverfahren“. Im letztgenannten Absch nitt kommt auch die Deutsch-als-Fremdsprache-Landeskunde ausführlicher zu Wort. Josef Gerighausen/Peter C. Seel: Der fremde Lerner und die fremde Sprache. Überlegungen zur Entwicklung regionalspezifische r Lehr- und Lernmate rialien für Länder der Dritten Welt. In: Jahr buch Deutsch als Fremdsprache 10/1984, 126-162. Wichtiger, umfangreicher Aufsatz, welcher sich die Mühe macht, die Einwände gegen das Konzept der „interkulturellen Kommunikation“ zusammenzust ellen, als dieses Konzept sich anschickte, die Didaktik des Faches Deutsch als Fremdspr ache und vor allem die Diskussion um die weitere Entwicklung der Landeskunde zu b eherrschen. Besond erer Wert wird d abei auf die Fremds prach ensituation in Ländern der s ogenannten Dritten Welt gelegt. Josef Gerighausen/Peter C. Seel (Hg.): Aspekte eine r interkulturellen Didaktik. München (GoetheInstitut, Werkstattgesp räche) 1987. In diesem Band sind s ieben Referate (samt der dazugehörenden Diskussionsbeiträge) zusammengestellt (228 S.), die sich unt er d em leitenden Gesichtspun kt der interkulturellen Kommunikation mit der Situation von Deutsch als Fremd-/ Zweitsp rach e in de r BRD, mit DaF im fernen Ausland u nd m it DaF in den Nachbarländer n der BRD auseinanderset zen. Ein weiterer Schritt in der Reihe „Werkstattgespr äche d es Goethe-Instituts “ zur Klärung d er Frage, was eigent lich interkulturell ist an d er Kommunikation in den Fremdspr achen. Hans-Jürgen Krumm: Zur Einführung. Kulturspezifische Aspekte d er Sprachvermittlung Deutsch als Fremdsprache. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdspr ache 14/1988, 121-126 Wer sich ganz sc hne ll (auf fünf Seiten) über d en Stand de r didaktischen Diskussion Ende der 80er Jahre auch auf dem Gebiet der Landeskunde (Stichwort „interkulturelles Lernen) informieren m öchte, der möge zu d ieser Einleitung in den thematischen Teil des Jahrbuchs 1988 greifen. Dietrich Krusche: Zur Hermeneutik der Landeskunde . In: Jahrb uch
Deutsch als Fremdspr ache 15/1989, 15–29. Einer d er grund legenden, nicht sehr leicht eingängigen Artikel des Autors zur näheren Bestimmung des Landeskund ebegriffs. Dabei vertausch t er – „provokativ“ zunächst den Begriff Landeskund e mit dem der b elasteten Kulturkunde. Auf diese Weise möchte er zu einer funktionalen Beziehung zwischen Kultur im engeren u nd Kultur im weiteren Sinne gelangen (etwa im Sinne e ines erweiterten Kulturbegriffs). Bern-Dietr ich Müller: Interkulturelle Verstehensstrategien – Vergleich und Empathie. In: Gerhar d Neuner.(Hg.): Kulturkontraste im DaF-Unte rrich t. iudicium Münc hen 1986 , 33– 85. Eine um fangreiche ( 52 Seiten) , mit Beispielen gespickte Abhandlung über d ie Method e des Landeskundeunter richts, den Vergleich. Der Autor geht von der r ichtigen Beobach tung aus, daß in interkulturellen Situationen scho n immer verglichen wird. Er vers teht seine Unters uchung als „ersten Schritt in Richtung auf eine profunde Analyse des Vergleichs“, die allerdings bis heute no ch nicht vorliegt. Andreas Pauldrach: Landeskunde in der Fremdperspektive – Zur interkulturellen Konzeption v on Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrwerken. In: ZIELSPRACHE DEUTSCH IV/1987, 30–4. In diesem Aufsatz versucht der Autor zunächst, d ie kritischen Einwände gegen das Konzept der interkulturellen Kommunikation zu sammeln. In einem zweiten Teil werden am Beispiel des Lehrwerks SPRACHBRÜCKE die vor allem für den Landeskundeunterricht brauch baren Einzelmomente dieses Ansatzes vorgestellt. Robert Picht: Kultur- und Landes wissenschaften. In: Kar l-Richar d Bausch. u.a. (Hg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Gunter Narr, Tübingen 1989, 54–60. Sehr informativer Handbuchar tikel über die Probleme der (Bezugswissenschaften der) Landeskunde, was man d em Titel nicht un mittelbar ans ieht. Da der Fremdspr achenlehrer nie bloßer „Sprach ingenieur“, sond ern immer auch – ob er will oder nicht – „Mittler zwisch en den Kulturen“ ist, nimmt er auch eine eminent politische Aufgabe wahr. Dieses Betätigungsfeld wird in den Absc hnitt en „Alltag: abe r was ist das“; „Perspektiven der Fremdheit“, „Lernziel transnationale Komm unikations fähigkeit“ und „Bildung für die internationale Zusammenarbeit“ knapp, aber mit Blick auch auf die Unterrichtsp raxis an alys ier t. ANDREAS PAULDRACH
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N D E S K U N D E
Be ira t D e u tsc h a ls Fre m d sp ra c h e d e s Goethe-Instituts
2 5 The se n zur Sprachund Kulturvermittlung im Ausland Die folgenden 2 5 Thesen w ur- den zunächst für das Goethe- Institut erarbeitet. Darüber hin- aus möchte sie der Beirat Deutsch als Fremdsprache als Diskussionsangebot an alle in der Kulturvermittlung Tätigen und a n eine interessierte Ö ffent- lichk eit verstanden w issen. Die Thesen w ollen eine Disk ussion des in vielen Bereichen de r Kul- turvermittlung scheinbar selbst- verständlichen „er w eiterten Kul- turbegriffs“ anregen. Davon ausgehend soll auch über die Verbindung von Kultur, Sprache und Sprachunterricht öffentlich nachgedacht w erden.
1 . Offener Kulturbegriff Ein „er weiter ter Kulturb egriff“, de r s eine Grenzen nicht kennt und keinerlei Korrektiv gegen Beliebigkeit enthält, ist als Grun dlage der aus wärtigen Kulturpolitik nicht geeignet. An seine Stelle so llte e in „offene r Kulturb egriff“ treten, der ethisch verantwortet, historisch begründet und ästhetisch akzentuiert ist.
ihre Themen p artn ersch aftlich mit den Adressat en d er au swärtigen Kulturpo litik und ist als Beitrag zur Inter aktion Der Antagonismus „Kultur/Zivilisati- von Kulturen aufzufass en. Eine einzelon“ ist ve raltet. Gleichfalls vera ltet ist ne Kultur repräsentiert sich dabei der Antagonismus zwischen „affirmati- nicht nur durch die Antworten, die sie ver“ und „kritischer“ Kultur. Der Kul- gibt, sondern auch durch die Fragen, tur begriff der auswär tigen Kulturp oli- die sie ste llt. tik sollte jedoc h un ter a llen Bedingungen eine politische Komponente 6 . Kulturelle Vielfalt enthalten. Diese darf nicht im Sinne einer Parteipolitik verstand en werden. Unabhängig von Ressortverteilungen in der Bundesregierung gehören die Kulturen der in Deutsch land lebenden 3 . Interk ulturelle Ausländer zu den Aufgabenbereichen Komponente der auswär tigen Kulturpo litik. Die aus Die aus wärt ige Kultur politik der Bun- wärtige Kulturpolitik beginnt im eigedesrep ublik Deutsch land brau cht kei- nen Land. Zur Bewältigung mehrspranen separaten Kulturbegriff, der sich chig und mehr kulturell geprägter Situavom allgemeinen – meistens kontro- tionen beizutragen, ist Aufgabe der versen – Diskurs über kulturelle Fra- Sprachvermittlung im Inland wie im gen in der Öffentlichkeit unterschei- Ausland. det. Eine interkulturelle Komponente hinsichtlich des Auslandes und der 7 . Anstr engungen Ausländer in Deutschland gehört jedoch heute zu seinen spezifisch en Ein Kulturbe griff, des sen Repr äsen tanMerkmalen. Der Kulturbegriff der aus - ten nu r Gebur ts- und Machteliten sind, wärtigen Kulturpolitik Deutschlands ist historisch überh olt. Der Zugang zur kann im übrigen nicht für die ganze Kultur muß grundsätzlich allen offenWelt de r gleiche se in. ste hen . Diese Öffnung ver langt jedoch spezifische Anstrengungen.
2. Politischer Kulturbegriff
4 . Deutschla ndbild Es ist kein vorr angiges Ziel der aus wärtigen Kulturpolitik, ein bestimmtes Deutsch landbild zu entwerfen und zu verbreiten. Vorrangig ist vielmehr, die Lebendigkeit der Kultur und den Prozeß der Zivilisation zu erhalten u nd zu befördern, und zwar gerade durch die Verbindung mit dem Ausland. Eine generelle Beschönigung der in Deutsch land b estehe nden Verhältnisse ist diesem Ziel nicht förderlich. Andererseits kann es nicht Ziel der auswärtigen Kulturpolitik sein, durch ständigen Kritikexport die Probleme unseres eigenen Landes anderen Schultern aufzubürd en.
8 . Kanon Kultur kann nicht ohne verbindlichen Kanon verm ittelt werde n. Sie darf nicht mit einem starren Kanon vermittelt werden.
9 . Kulturmanagement Kultur, insoweit sie von öffentlichen Institutionen vermittelt wird, ist notwendig auf Administration angewiesen. Deren Strukturen müss en jedoch selber Ausdruck politischer Kultur sein und setzen eine entsprechende Qualifikation der in Verwaltung und Management Tätigen voraus .
5. Partnerschaft
10. Qualifikationskriterien
Die Kultur im Rahmen d er au swär tigen Kulturpolitik ist kommunikativ und kooperat iv zu versteh en. Sie bestimmt
Bei der Auswahl und Ausbildung von Personen, die im auswärtigen Dienst und in anderen Funktionen de r auswärtigen Kulturar beit tät ig werden s ollen, verdient kulturelles Wissen und Inter-
Fremdsprache
Deutsch
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esse der Bewerber besondere Auf16 . Program mar beit/ merksamkeit. Bei PersonalentscheiSpracharbeit dungen s oll dieses Kriterium hoc hrangig ber ücksichtigt werden. Eine organisatorische Trennung von „Programmarbeit“ und „Spracharbeit“ ist problematisch. Allemal sind beide 1 1 . Spra chkult ur Bereiche gleichrangige Formen der Für die Kultur im Sinne der auswärti- Kulturarbeit. Eine Bevorzugung der gen Kulturpolitik ist die Sprachkultur einen oder d er and eren Form d er Kulzentral. Unter den Künsten, verstan- turarbeit in Verbindung mit leitenden den als ausgezeichnete Äußerungen Funktionen ist nicht gerechtfertigt. der Kultur, hat die Literatu r in diesem Eine möglichst weitreichende InteRahmen einen beso nderen Stellenwert, gration von „Programmarbeit“ und da sie der Sprach kultur näh er steh t als „Sprac harb eit“ ist anzustreb en. andere Künste. Aber auch d er Sprachgebrauch auß erhalb der Literatur, bei17. Deutsch spielsweise in den Fachs prach en, steht als Fre m dspra che unter d em Postulat der Sprachkultur. Das Fach Deutsch als Fremds prac he an deutschen Hochschulen beschäftigt 1 2 . Kulturspra che sich in Forsch ung und Lehre nicht nur Nicht die Verbreitung der deutschen mit der Vermittlung der deuts chen Sprach e s chlechthin, sonder n d ie Ver- Sprache, sondern schließ t immer auch breitung der deutschen Sprache als kulturelle Komponenten im Sinne des Kulturs pra che ist vor rangiges Ziel der offenen Kulturbegriffs ein. aus wärt igen Kulturp olitik.
1 3 . Regionale Vielfalt
1 8 . Spra char beit als Kulturarbeit
Der deutsche Sprachraum ist sprachlich u nd ku lturell reich geglieder t. Kultur m uß mit Resp ekt vor dies er Vielfalt vermittelt werden.
Jede Form von Sprach arbeit mit jedweder Adressa tengruppe ist immer auch Kulturarbeit. Die Begegnung mit der fremden Kultur beginnt in der ersten Stunde des Sprachunterrichts. Von daher ist eine Abtrennun g der Sprach1 4. Umgangsformen arbeit von der Kultur nicht angemesDie verschiedenen Kulturen können sen . Vielmeh r muß die Vers chr änkung nur im Modu s d er Diskretion u nd Höf- von Kultur und Sprach e Konseq uenzen lichkeit miteinander verkehren. Diese hab en für d ie Entwicklung von Verm ittFähigkeit muß im Sprachunterricht lungsmethoden und Lernkonzepten gelehr t und gelernt werden. sowie für Lehrmaterialien.
15. Pädagogische Verbindungsarbeit Die „Pädagogische Verbindungsarbeit“, die sich in der Praxis bewährt hat, soll als eine kulturelle Verbindungsarb eit aufgefaß t od er in diesem Sinne erweitert werden. Sie umfaßt daher nicht nur Kontakte zu Lehrp ersonen und deren Institutionen, sondern auch zum Beispiel zu Schriftstellern und Künstlern.
1 9 . Spra chkult ur im Sprachunterricht
Subventionierter Sprach unterricht im Rahm en de r aus wärtigen Kulturp olitik der Bundes repub lik Deutsch land legitiDeutsch
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2 1. Kulturerfahrung Der Sprachunterricht verwirklicht seine kulturelle Dimens ion in er ste r Linie du rch d ie Einste llungen , Verh altens formen, Fähigkeiten und Kenntnisse des Lehrers. Auch die Sprachform des Unterr ichts ist dabe i Ausdr uck der Kultur unseres Landes. Diese Dimension muß vom Lehrer in d er Aus-, Fort - und Weiterb ildun g erfahre n werde n, damit sie im Unterricht wirksam werden kann.
22. Lebendigkeit Der Sprachunterricht steht immer in einem Spannungsfeld privaten und öffentlichen Kulturverständnisses. Aus dieser Spannung erhält er s eine Lebendigkeit.
23 . Erw artungen Die Erwart ungen de r Ausländer an d en deutschen Sprachunterricht sind häufig nicht nur zweckrational, sondern auch subjektiv und emotional geprägt. Dem sollte auch de r Sprachunterr icht Raum geben .
24 . Intellektualität Ein Sprachunterricht, der nur triviale Alltagskommunikation im Blick hat, unterfordert die Lernenden. Der Kulturb egriff ist so aus zulegen, daß er die Intellektualität der Lernenden von Anfang an herausfordert. Dies gilt für alle Lern - und Alters grup pen .
Es kann nicht Sinn des Deutsch unterrichts im Rahmen d er au swärtigen Kulturpoitik sein, die deutsche Sprache 2 5 . Zum Schluß nur instrumentell zu lehren. Wenn die deuts che Sprache, wie es recht ens ist, Kultur im Sprachunterricht heißt mit Sprachkultur gelehrt wird, verdient immer auch: Heiterkeit, Leichtigkeit, sie auch als Ziel der auswärtigen Kul- Neugierde, Phanta sie, Entd eckerfreude. turp olitik anerkannt zu werden.
2 0 . Kultureller Mehrw ert
Fremdsprache
miert sich durch einen kulturellen Mehrwert gegenüber ausschließlich praktischen Zielen der Sprachlerner und Gesichtspun kten bloße r Nützlichkeit.
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N D E S K U N D E
Ein deutscher Herbst u nd w a s d a r a u s w u r de : Schüler - und ha ndlungsorient iert – geht da s über ha upt? Von Bern d Kast Die politischen Ereignisse in Deutschland zw ischen Anfa ng 1989 (Ungarn macht den Eiser- nen Vorha ng d urchlässiger, viele DDR-Bürger fliehen in die BRD) und heute sind ein w ichti- ges und beliebtes Thema im fremdsprachlichen Deutsch- unterricht und w erden es w ohl auch noch einige Zeit lang bleiben. So aufregend die Ereignisse selbst sind, so schw ierig ist es a ndererseits, sie interessant aufzubereiten. Das Dilemma, vor dem Lehrerinnen und Lehrer stehen, ist ebenso einfa ch w ie verzw ickt: Sie w ürden das Thema gerne schüler- und handlungsorientiert in ihrem Unterricht zur Spra che bringen, das sind ja immerhin die Forde- rungen, die die Pädagogik und Didaktik an sie stellen, aber w ie ist das möglich mit einem Stoff, d er den Schülern w eitge- hend unbeka nnt ist und der zudem sprachlich und inhaltlich äußerst komplex ist? Bleibt da w irk lich nichts übrig a ls der berühmte Lehrervortrag mit all seinen Nachteilen? Daß dies nicht so sein muß, zeigen die beiden folgenden Beispiele.
Proteste und „ Wende“ Transparente
Viele Transparente können auch ausländische Schüler versteh en, stellt man ihnen das benötigte KontextwisDieser und der folgende Unter- sen zur Verfügung. Über die sprachlirichtsvorschlag wurden angeregt che Kreativität hinaus ist d ie Besc häftidurc h zwei Beiträ ge in der in den USA gung mit den Transparenten auch des erscheinenden Deutschlehrerzeit- halb inte res san t, weil sie auf diejenigen sc hr ift „Treffpun kt“ (Nr. 1/1991, S. 8 ff, gesellsch aftlichen und politisch en VerGoet he -Ins titu t New Yor k). Beide Mög- hältnisse und Situationen verweisen, lichkeiten eignen sich für eine relativ gegen die pro testiert wird. frühe Stufe des Deutsch unterr ichts. Auf den b erühm t gewordenen Mon- Arbeitsw eise und Aufgabe: tagsdemonstrationen in Leipzig tauchten zum erstenmal Transparente auf mit Losungen, die immer deutlicher, immer fordernder, immer kreativer Informa tionen zu den und wicht iger wu rden . Die Schr iftst elTransparenten lerin Christa Wolf meinte, „wir drehen alte Losungen um, die uns gedrückt BRDigung= BeErDigung = Beerdigung: Wer tot ist, und verletzt haben, und geben sie wird beerdigt, begraben. postwendend zurück“. Und voller SED = Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, die Respekt und Bewunderung nennt sie herrschende Staatspartei der ehemaligen DDR das, was auf den Transparenten zu den Laufpaß geben = jemanden wegschicken, lesen ist „literar ische s Volksvermö gen“ fortjagen (Reden im Herbs t. Berlin 1990). übermüdet = sehr müde, überwacht = kontrolliert Viele Losungen sind nur bei sehr Stasi = der Staatssicherheitsdienst: seine Aufgabe guten Sprachkenntnissen und einer war die Sicherung der DDR durch totale intimen Kennt nis der Verhältnisse und Überwachung der Bürger der politischen Situation zu vers tehen Karl Marx hat im „ Kommunistischen Manifest“ die („Trittbrettfahrer – zurücktreten!“, Arbeiterklasse aufgefordert: Proletarier aller Länder „Kein Artenschutz für Wendehälse“, vereinigt euch!“ „Rechtssicherheit spart Staatssicherbeseitigen = auf die Seite schieben, abschaffen heit“, „Keine Privilegien für uns Berliner“, „Groß mutter, warum hast du so Von Lenin kom mt der berühmte Satz: „Vertrauen ist große Zähne?“ – eine Anspielung an gut, Kontrolle ist besser.“ das Märchen „Rotkäppchen“ der In der Friedensbewegung wurde der Traum Gebrüder Grimm“, dazu eine Zeichbeschrieben: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner nung des als Großmutter verkleideten, geht hin! im Bett liegenden Egon Krenz, des Am 1. Mai gab es in den sozialistischen Ländern eine Nachfolgers von Erich Honecker, der große Parade, bei der militärische Macht gezeigt durch ein besond ers groß es Gebiß aufwurde und Soldaten und Arbeiter an der Führung vorbeizogen. fällt).
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Die Schü ler erha lten zwei Arbe itsblätter. Eines mit den Pro tes t-Transp arenten, eins mit Informationen, die das zum Verständnis der Losungen benöt igte Kontextwissen anbieten. Die Aufgabe lautet, herauszubekommen, • auf welche gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse sich die Losu ngen b eziehen (welch e Verhältnisse „hinter diesen Losungen stehen“); • welche Wünsche und Forderungen hier formuliert werden; • welche Forderungen im Prozeß der Wende und der Wiedervereinigung erfüllt wurden; • welche unerfüllt blieben oder unerfüllbar sind (und auch nur symbolisch gemeint waren). Schließlich kann eine Hitparade der drei originellsten Losungen erstellt werden (jeder Schüler kann x Losungen wählen, welche drei Losungen haben die meisten Stimmen bekommen?). Interessant könnte in dem einen oder anderen Land auch die Überlegung sein, welche der Losungen auf die Verhältnisse im eigenen Land (noch) passen oder gepaßt hätten.
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Eine Reise: Fünf neu e Lä nder und Berlin Nach e iner Idee von Erika Brosche k. Das Basismaterial stammt aus: „Die 16 deutschen Länder“, Faltplakat, hrsg. vom Deutschen Bundesrat.
nenkarten, die mit dem Text nach unten in der Mitte liegen. Jeder Schüler zieht je eine Karte aus den beiden Stapeln und liest s ie.
AUFGABE: Sechs Schüler und Studenten fliegen nach Deutschland. In welche Bundesländer/welche Städt e reisen sie? Dann beginnt ein Schüler einen Arbeitsweise: Das Material enth ält sechs Länd erkar- anderen zu fragen: ten mit einer Kurzbeschreibung der A: Meine Person ist ... und interessiert fünf neuen Bundesländ er und Berlins, sich für .... Kann sie zu dir fahren/ außerdem sechs Personenkarten mit kommen? der Beschreibung von se chs Schülern B: Ja, bei m ir ist/ gibt es ... bzw. Stud ente n, die in die neue n Bun Nein , be i m ir gibt es keine ... desländer bzw. nach Berlin re isen (siehe nächste Seite). Die Grundidee Meine Person ist ... besteh t d arin, herauszufinden, wer in usw. welches Land (in welche Stadt) reist. Auf diese Weise, versuchen die Um die Übung interaktiv anzule- Schüler herauszubekommen, welche gen, könnte man nu n folgendermaß en Perso n woh in fähr t. A dar f B so lange vorgehen: Sie bilden Gruppen von je fragen, bis er sicher ist, daß seine Persechs Schülern (und eine bzw. zwei son (n icht) in das Land (die Stadt) von mit weniger, wenn d ie Zahl de r Schüler B fähr t. nicht durch sechs teilbar ist) und Die informier te Leser in, der inforkopieren die Länder- und Personen- mierte Leser wird gleich entdeckt karten. haben, daß es sich hierbei um eine Jede Gruppe bekommt zwei Stapel Zuordnungsübung handelt, die allermit je sech s Länder - und s echs Perso- dings interaktiv angelegt ist: Jeder
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Schüler in der Grup pe weiß etwas, was der andere nicht weiß. Dieses Wissen und Nicht-Wissen führt dazu, daß Schü ler auf der Basis von Bedeut ungen miteinander sprachlich handeln, landeskundliches Wissen erfragen und mitteilen und gleichzeitig kommunikative Ziele re alisieren .
Die Personen-Kar ten Die Personen fliegen gemeinsam aus der Hauptstadt ihres Landes nach Berlin, von dort geht es d ann mit dem Zug weiter. Um die Identifikation der Schüler mit den Personen zu erleichtern, bekommen diese am besten die jewe ilige Nat ionalit ät der Sch üler und landes übliche Namen. Die Schü ler können auch die Identität der Personen über nehmen (Ich-Form).
Da s Wor t d e s Ja h r e s ‘ 9 1 Sicher kennen Sie Steffi.1 Und nat ürlich, wenn auch wahrsch einlich nicht unter diesem Namen, Gorbi.2 Wohl weniger bekannt, wenn auch viel älter, ist Ötzi.3 Wenn sie mich nicht beim Vorn amen n ennt , sagt sie Papi zu mir, meine Tochter, selten zwar, dafür sa gt sie imme r Omi.4 Wir kommen zum Thema , müssen uns nur noch zwei Sätze mit dem iSuffix beschäftigen, das der deutschen Sprach e so kreative Schöpfungen erlaubt . Es sind vor a llem Pers onenbezeichnungen – individuelle ode r kollektive (Ami 5), Kindersprache oft (Mami), Koseformen meist (Michi), besond ers produktiv in der Jugendspra che, in der es d en Grufti 6, Sponti 7 und eine Tussi 8 gibt, um n ur einige zu nennen. Es sind meist abgekürzte Personenbe zeichnungen, wie gesagt, aber nicht immer, denn es gibt auch den Trabi 9, und der ist – erinner n Sie s ich? – ein Auto, es gibt
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____ ________ ___ interessiert sich für Literatur und Philosophie. „Da gibt es für dich d ie Stadt in Deutschland“, hat sein Deutschlehrer gesagt. Ja, hier hat N ietzsche gelebt und G oethe, Schiller und viele and ere berühmte Schriftsteller.
____ ________ __ hatte viele Jahre einen Brieffreund in d er DDR, den er jetzt zum zweiten Mal besuchen möchte. Das erste Ma l wa r es sehr aufregend , mit Visum, Grenzkontrollen, A nmeldung bei d er Polizei. Sie haben damals ein wunderschönes Sommerschloß besucht, jetzt w ollen sie sich auch das Hollä ndische Viertel ansehen: Häuser wie in Holland.
_____ ___ ___ ___ _ hat gerad e sein Examen gemacht und möchte Kunst studieren, g leichzeitig a ber a uch Deutsch lernen. Deshalb möchte er seine Ferien in einer schönen Landschaft verbringen, sich Museen mit berühmten Bildern von großen Künstlern anschauen – und sein Deutsch verbessern.
_____ ___ ___ ___ _ ist richtig neugierig auf das, was ihn erwar tet. O b er noch das findet, was er auf vielen Fotos gesehen hat? Die Stad t änder t jeden Tag ihr G esicht, hat man ihm gesagt. Von dem Bauwerk, da s die Stadt so berühmt gemacht hat, ist fast nichts mehr zu sehen – es wu rde Stück für Stück verkauft.
_____ ___ ___ ___ wa ndert gerne stundenlang durch den W ald, mit einer Freundin aus Berlin will sie von Jugendherberge zu Jugendherberge wandern und a uf den Brocken klettern, obw ohl sie Angst vor Hexen hat. In der Schule hat ihr die Lehrerin von Go ethe und seinem b ekanntesten Drama , dem „ Faust“ erzählt. Darin feiern die Hexen eine tolle Party auf dem Brocken.
_______________ möchte ihre Ferien am M eer verbringen. Sie schwimm t gern, geht gerne a m Strand spazieren und ißt gerne Fisch. Aber sie interessiert sich auch für alte Städte und ihre Sehenswürdigkeiten.
den Brummi 10 und den Hunni 11. Anmerkungen woh l bekann test e Steffi ist Steffi Graf, WimbleJetzt bin ich b eim Thema, aber d iese 1 Diedon-Siegerin und lange Zeit WeltranglistenVorb emer kungen waren nöt ig, um Erste im Damen-Tennis. und die Massenmedien, allen vorden Zoni zu verstehen und d en Bun- 2 Vielean Deutsche die Bild-Zeitung, nennen den Präsidenten di: den aus der (Sowjetischen Besatder e hem aligen UdSSR einfach nu r Gorbi. 3 Ötzi heißt der als archäologische Weltsensation zungs-) Zone und den aus der Bungeltende, neuesten Messungen zufolgte etwa desrepublik. Beide gibt es schon 5300 Jahre alte Gletschermann, der 1991 in einem Gletscher im Ötztal in 3200 m Höhe a ls nicht mehr, ihre Nachfolger sind der Mumie gefunden wurd e. Ossi und der Wess i. Der e ine lebt im 4 Papa ist ihr zu bra v und b etulich, und die Omi fühlte sich zu jung, um Oma oder gar Großmutter Osten, in den fünf neuen Bundeslän(wie bei den Grimms) zu h eißen. dern, der andere im Westen, in der 5 Die Amerikaner, meist im Singular: der Ami. 6 Das sind ältere Menschen (von Gruft). Belegstelle alten Bundes repub lik. in R. Brunos „In-Deut sch “: „Ralf, wir wollen zu Inzwische n gibt es Maue r und StaOma un d Opa fahren !“ - „Nö, fahrt n ur a llein zu den beide n Grufties!“. cheldrah t nicht m ehr, Ossis und Wes- 7 Angehöriger und ogmatischer linksgerichteter sis treffen s ich und lernen sich kenGruppen (Duden, Rechtschreibung), die mit spontan en Aktionen von sich reden m achen. nen. Man redet miteinander und 8 Ein Blick in den Duden verrät: umgangssprachübereinander. Zwei Ossis zum Beilich, oft ab wertend für Mädch en, Frau, Freundin. Abgeleitet von Thusnelda. spiel: „Kennst du den Unterschied 9 Eigentlich heißt er Trabant: der Pkw, auf den zwischen Gott und einem Wessi?“ – Ossis vor der Wende rund 13 Jahre warten mußten und für den Wessis inzwischen Lieb„Gott weiß alles, un d ein Wess i weiß haberpreise bezahlen. alles besser.“ 12 10 Lastwagen. Ein Hunderter , ein Hundertma rkschein. Und mit dieser Feststellung war 11 12 Es gibt Umfragen, z.B. von Emnid, die belegen, das Wort des Jahres 1991 geboren. daß die Ossis die Wessis so er fahren, wie Sie sich oft geben, nämlich gönnerhaft, arrogant, Eine Jury, einbe rufen von d er Wiesb asch arf aufs Geld, wie ein Besat zer. dener Gesellscha ft für deuts che Spra- 13 Übrigens gibt es auch ein „Unwort des Jahres 1991“, das eine Jury au f Initiative de s Frankfurche , kür t es jede s Jahr. 1991 blieb der ter Linguisten Horst Dieter Schlosser wählte. Jury keine andere Wahl, es mußte Es lautet in Anlehnung an Suffixbildungen mit -frei wie atomwaffenfrei, staubfrei usw.: „aus13 sich für Besserwess i entscheiden. länderfrei“. Berndi
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eit vielen Jahren arbeite ich in Frankreich mit Kindern von 9 bis 13 Jahren und b emüh e mich, möglichst schönes, buntes, abwechslungsreiches Material zu benutzen. Vergess en wir nicht , daß Heran wachsen de in Mitteleurop a heu tzuta ge Kinder- und Jugendbücher mit großem Lesekomfort und hübschen Illustrationen gewohnt sind. Darf da die Schule mit häß lichen, o ft kaum mehr entzifferbaren schwarz-weiß Fotokopien arbeiten? Das gilt ganz besonders für die Landeskunde: Menschen, Feste, Bräuche, Landschaften, Jahreszeiten, Städ te. – In mo der nen Lehr werken finden wir zwar oft auch schon eine vielfarbige Bebilderung, aber häufig sind die Texte zu schwierig und vor allem für jüngere Kinder zu trocken. Deshalb plädiere ich für de n Einsatz von selbs t gesammelten Bildern, die man leicht in Städte- und Reiseprospekten oder in Zeitsc hr iften wie „Brigitte “, „Freun din“ usw. findet. Besonders schöne und brauchbare Fotos fand ich in den Wand- und Tischkalendern, die das Goethe-Institut herausgibt. Die folgende n Vors ch läge zum sp ielerischen Umgang mit deuts cher Landeskund e hab e ich alle in meinen Klassen ausp robiert. Sie sind oft s o flexibel angelegt, daß sie mit Anfängern und Fortgeschr ittenen gespielt und endlos abgewandelt, erweitert werden können. Sie b ilden eine lockere Folge, bei der dieselben Themen immer neu variiert werden, ein dem Alter der 9-12jäh rigen angeme sse nes Vorgehe n.
1. Gestalt des Landes Lernziele: Deutschland kennenlernen, Städ te, Flüss e, Berge, Meere s ituieren, Bundes länder ... Allgemeiner Einstieg: Brainstorming zum Thema „Deutschland: Was fällt eu ch dazu ein?„
Geographi sche Gesta lt In d er Klasse hängt eine groß e, bunte Deutschlandkarte. Der Lehrer zeigt, von oben nach unten gehend, einige Groß städt e, Hauptflüsse, ne nnt sie, die Schülerinnen und Schüler sp rechen im Chor nach .
Deut schland-
z Pu z le :
Landeskunde zum Anfa ssen Variat ionen zu einem Thema · Von Irene Vrignaud M it ihren Deutschland-Puzzles für Kinder zeigt I. Vrigna ud schöne Beispiele für eine spielerische, k indgemä ß k onkrete und a k tive Einführung in die elementaren geographischen Gegebenheiten des Zielsprachenlande s, die sow ohl die m otorischen Bedürfnisse als auch die Phantasie der Kinder anspricht. Ebenso interessieren sich Kinder für Feste und kulturelle Beson- derheiten. Enttäuscht vom Angebot der Lehrw erk e, plä diert die Autorin für selbstgesammelte, farbenfrohe, zu Spielen a ufbereitete La ndesk undema terialien. Aus schnöden Kostengründen m ußten auch w ir uns leider m it der Wiedergabe einiger ihrer sehr schönen, bunten Unterrichtsbei- spiele in Schw ar z-Weiß begnügen.
Gruppen bilden. Die Schüler bekommen kleinere Deutschlandkarten (Din A 4-Form at) , die auf karton ierte Bögen aufgeklebt s ind. Zu zweit je eine Kart e anschauen: Städte, Berge und Flüsse wiederfinden. Die Karten werden h erumgedreht , um das folgende Spiel etwas zu erschweren. Jede Gruppe bekommt dieselbe Karte, aber als Puzzle, sowie einen Arbeitsbogen, auf dem nur die Umrisse Deutschlands vorgegeben sind. Deutschland wird aus dem Gedächtnis wieder zusammengesetzt (auc h als Wett sp iel möglich) . Herst ellen d er Pu zzles: Land karten auf leicht kartonierte Din A 4-Bögen aufkleben, in Stücke zerschneiden. Kleine, zu komplizierte Formen vermeiden . Auf der Rückseite de r PuzzleTeile jedes Set anders markieren, damit man sie nach dem Spiel nicht
vermischt. In Plastikbeut eln aufbewahren oder mit Büroklammern zusammenheften.
Politi sche Gesta lt Eine politisch e Wandkar te mit d en ver schiedenfarbig markierten Bundesländern aufhängen. Der Lehrer zeigt und nennt die einzelnen Bundes länder. Jetzt bekommen die Schüler wieder Puzzle-Teile. Diesmal rekonstituieren sie das politische Deutschland (vor und nach der Vereinigung). Spielend begreifen sie, daß Deutschland ein Bundesstaat ist. Wer z.B. das PuzzleTeil Bayern angefaßt und eingeordnet hat, weiß, daß es das größte Bundesland ist und im Süden liegt (siehe Abb.).
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Deutschland und seine Nachbarn Jetzt hängt in der Klasse eine große geographische Europa-Karte. Der Lehre r m alt mit d ickem rote m Filzstift einen Kreis ode r ein Herz um Deuts chland her um. Schülerreaktionen abwarten, auch in der Mutters prach e akzeptieren oder als Wortfetzen zulassen, eventuell helfende Fragen stellen.
Beispiele für spontane Schüleräußerungen, mit denen man rechnen kann: „liegt in der Mitte, im Herzen von Europa“ – „hat viele Nachbarn, wenig Küste“ – „hat nicht so viele hohe Berge, nicht so viele Seen ...“ Nachbarländer finden und benennen lassen: Die Schüler bekommen partnerweise ein Arbeitsblatt, auf dem d ie europäischen Länder in ihren Konturen abgebildet und mit ihren jeweiligen Autokennzeichen ma rkiert sind. Die Schüler lesen erst die Buchstaben der Autokennzeichen, nennen dann das dazugehörige Land und schre iben den Namen dazu. Ein anderes Mal kann diese Übung zur Wiederholung variiert werden: Dieselben Arbeitsblätter, diesmal jedoch ohne Autokennz eic hen. Die Schüler b esch riften d ie Blätter mit d en gesuchten Autokennzeichen und Ländernamen.
2 . Lan dscha ft en und Städte Puzzle-Wettspiel mit Postern Als Ausgangsmaterial nimmt man Poster m it Landscha ften od er Städten, wie sie z.B. in Goethe-Instituten und Reisebüros erhältlich sind (n icht geeignet sind Karikaturen, Witz-Collagen oder Post er ohne p hotografische Realität). Wir brauchen, je nach Klassenstärke, drei oder vier gleiche Poster. Eins ist zur Anschau ung gedacht, die anderen werden auf leicht kartoniertes Papier geklebt und in größere PuzzleTeile zerschnitten. Gruppen von vier bis fünf Schülern setzen im Wettspiel das Pos terb ild (oh ne Vorlage) wiede r zusammen. Dieses Spiel läßt sich auch auf Feste und Bräuch e über tragen, je nachdem welchen landeskundlichen Aspekt man vertiefen möchte und welche Poster zur Verfügung stehen
Puzzle mit Kalenderblättern Ausgangsmaterial sind großformatige, bunte Kalenderblätter (z.B. der Goethe-Kalender „Deutsch lernen. Deutschland kennenlernen“). Blätter auf weiß kartoniertes Papier aufkleben. Die einzelnen Blätter in vier bis fünf relativ groß e Teile zers chn eiden. Spielanleitung: Vier bis fünf Schüler spielen zusammen. Jeder be kommt ein Bildstück, keiner darf sehen, was der andere hat. Wichtig ist, daß in jedem Puzzle-Set ein „Fremdkörper“ enthalten ist, ein Puzzle-Teil also, das nicht zum Gesamtbild paßt. Zuerst spielen die Schüler innerhalb einer Gruppe, sie fragen, benennen , beschre iben und finden heraus, wer den „Fremdkörper“ hat. Ist dieser fremde Bildteil erkannt, wendet man sich an eine Nachb argruppe und versucht zu erfragen, ob dort das fehlende Bildstück sitzt. Etwa: „Habt ihr Schnee ?“ – Ja. „Habt ih r Skiläufe r?“ – Ja. „Ist da ein See drauf?“ – Nein. Sob ald eine Grupp e mit „Nein“ antwortet, darf sie weiterfragen (ähnlich wie
Schülerinnen beim Puzzle- Spiel zur Gestalt des Landes
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bei Quartett-Spielen). Es gewinnt natürlich die Gruppe, die zuerst ihr vollständiges Bild vorweisen kann. Eventuell stellt sie es vor, etwa: „Bei uns ist Winter. Wir sind in den Bergen und mach en Skiferien etc...“.
Landschaf ten ra ten
Das Kästchenspiel mit Bildkart en
Lan destypische Dinge u nd Spezialitäten. Zu o r d n e n v o n T ex t e n u n d Bi ld e r n . s Gartenzwerg s Käthe Kruse-Puppen s Knusperhaus s Kuckusuhr s Nußknacker s Lebkuchenherz s Christstollen
Schr eibt d ie richtige Numm er in die Kästch en oben. Beispiel: s 5 Gartenzwerg
Als Ausgangsm ater ial eignen s ich wieder bunte, großformatige Kalenderblätter. Nur Bilder mit typisch en Landschaftsmerkmalen verwenden: Lüneburger Heide, Ostseestrand mit Strand körben, Alpenlandschaft, Braunkohletageb au b ei Leipzig usw. Zunächst nur drei bis vier Bilder zeigen. Die Schüler stellen Vermutungen an, wo das sein könnte und begründen, warum es da und nicht woanders sein muß. Der Lehrer gibt Informationen, stellt weiterhelfende Fragen. Spiel: Ein Schü ler se tzt s ich vor die Klasse mit einem Bild, das er s ich aus gesucht hat, das aber die anderen Schüler nicht sehen können. Er sagt: „Ich kenne einen Ort, den ihr nicht kennt.“ Die anderen müss en h eraus finden, wo er ist. Sie stellen Fragen, die nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden. Z.B.: „Bist du am Strand?“ – „Nein.“ „In de n Bergen?“ – „Nein .“ „Ist da vie l Wald?“ – „Nein .“ Das Spiel läßt sich beliebig variieren und auf andere Bereiche ausweiten: Städ te, Fest e, Spo rt , Feriena ktivität en. Rollensp iele können angeschlossen werde n, etwa: Im Reiseb üro. Kurze Texte können geschrieben werden, etwa: eine Postkarte aus den Ferien. Leichte Vers e könne n hinzugeno mmen werden. Z.B.: Grün ist da s Land Rot ist die Kant weiß ist der Strand das sind die Farben von Helgoland.
3. Feste, Bräuche, Spezialitäten und „typisch deut sche“ Dinge Motive sind z.B.: Kuckucksuhren, Nuß knacker, Käth e Kruse-Puppe, Gartenzwerge, Knusperhäuschen, Christbaumschmuck, Weihnachtsstollen, Adventskranz, Karnevalsmasken usw. Fremdsprache
Deutsch
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Bildcollage: Eine Reise durch Bayer n
Viele dieser Motive findet man in Memory-Spielen, auch kleinformatige Photos aus Prospekten und Kalendern eignen sich.
Zuordnung: Wie heißt das? Die Bildmotive werden auf einem Arbeitsblatt nebeneinandergruppiert; in einem Schüttelkasten liegen die dazugehörigen Bildunt ersch riften. Texte und Bilder werden jetzt einander zugeordnet.
Kästchenspiel Die Bilder des Arbeitsblattes gibt es jetzt no ch ein mal als Bildkärtch en. Hand liche s Format ist wicht ig (etwa 7 x 8 cm). Herstellen der Kärt che n: Bilder auf leicht kartoniertes weiß es Pap ier aufkleben , unter dem Bild Platz lassen für die jewe ilige Bildvokab el. Auf der Rückseite können landeskundliche Informationen stehen (z.B.: Kuckucksuhr aus dem Schwarzwald, der Kuckuck er-
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scheint zur vollen oder halben Stunde und „sagt“ die Zeit an ). Pappkästchen mit mehreren Fächer n anfertigen. Zwei Schü ler/Schülerinnen b ekommen ein Kästchen und spielen. Der eine zieht eine Karte so weit heraus, daß die Bildvokabel noch verdeckt bleibt, die and ere b enennt das Motiv. Bei richtiger Antwor t wand ert die Karte weiter, bei falsch er Auskunft bleibt sie im erst en Fach. Die Kart en werd en mehrmals durchgespielt. Ziel ist, mit vielen richtigen Antworten die Karten bis ins letzte Schub fach d urchwand ern zu lassen .
Reisebüros, Deutsche Bundesbahn, Deutsche Bundesbank, Inter Nationes oder Verkehrsämt er d er e inzelnen Städte). In Gruppenarbeit Collagen anfertigen lassen. Aufgabenstellung könnte sein: • Eine Reise durch Bayern • So seh en wir Deutsch land • Berlin gestern und h eute • Das ist Dresden Jede Gruppe sucht aus der Fülle des Angebot s d ie Bilder aus, d ie ihr gefallen. Sie findet Überschriften, füllt Sprech blasen, ergänzt durch Zeichnungen und Karikaturen. Auch die skurilsten Souvenirs, z.B. Hutfedern und Bierdeckel dürfen integriert werden. Der Phantasie sind keine Grenzen gese tzt. Ist d ie Collage fer tig, komm enIm Laufe d es Schu ljahre s, in Sprach fe- tiert jed e Grup pe ihr Werk. Die ander en rienkursen oder bei Thematagen eine stellen Fragen. Dialoge entstehen bunte Dokumentation zu einer Stadt, erfahru ngsgemäß ganz von allein. Alle einer Gegend, einem Fest zusammen- Collagen werden im Klassenraum austra gen. Mater ial wird von Schü lern und gestellt. Lehrer mitgebrach t, etwa: Postkarten, Photos, Prospekte, Kalenderblätter, Stadtpläne, Geldscheine usw. (Vieles ist zu beziehen über Goethe-Institute,
4. Deutschland-Collagen
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So sehen wir das! S c h ü l e r t e x t e a u s Os t u n d W e s t Von Kat rin Drechsel
Gew iß! Die deutsche Vereinigung, da s sind auch Daten und Fa k ten. M ehr a ls da s aber interessiert jugend liche Deutschlernend e, w ie deutsche Juge ndliche in Ost und West diese Verä nde rungen erleb- ten und w ie sie da ra uf rea gieren. Katrin Drechsel stellt ein Buch vor, in dem betroffene Schüler sich äußern, und sie zeigt an drei Tex ten, w ie ma n dam it im Unterricht arbeiten ka nn.
1 . „ Wir sind verschieden“ Betrach tet man derzeit die Praxis de s Unterrichts Deutsch als Fremdsprache, so erweist sich allerorten d er Mangel an aktuellen lande skundlichen Arbeitsmaterialien als großes Problem. Nicht nur daß die landeskundlichen Abschnitte vieler Lehrbücher inzwischen einfach üb erholt sind und d ie Neubearb eitungen noch auf sich war ten lassen; die Zeit ist au ch s o schnellebig, daß wirklich aktuelles Material kaum mehr zu erarb eiten ist. Durch Zufall stieß ich in dieser Situation a uf den Band von Helga Moericke „Wir sind verschieden“1. Die Leh rer in aus Wes t-Berlin n ah m unmittelbar nach dem Fall der Mauer gemeinsam mit den Schülern des Friedrich-EngelsGymna siums in West -Berlin Kontakt zur gleichnamigen Erweiterte n Obersc hule2 in Os t-Ber lin auf. Unter dem Eindruck dieser ers ten, natürlich für alle Bete iligten s ehr sp ann end en Begegnung, entsch loß s ie sich, Schüler aus West u nd Ost zu ihren Befindlichkeiten nach der Maueröffnung, ihren Lebensentwürfen und Zukunftsvor ste llungen zu b efragen. Die Ergebnisse veröffent licht e s ie 1991 im o.g. Band . Nicht nur für Lehrer stellen diese Schüleräuß erungen eine interessant e Lektüre dar. Ich halte sie aus verschiedenen Gründe n auch für den Deutsch unterricht s elbst für gut geeignet. Zum einen kann mit ihrer Hilfe, die west- und ostdeutsche Perspektive in den Unterricht eingebracht werden; eine Forderung, die mir unter den derzeitigen Bedingungen zwar nicht immer leicht realisierbar, aber doch sehr wichtig erscheint. Zum and eren wird in den Schüleräuß erungen auf Alltagsprob leme Jugendlicher Bezug genom men, d ie Vergleiche zur Lebe ns- und Erfahr ungswelt ausländ ischer Altersgenossen anregen. Nicht kurzlebige Daten und Ereignisse stehen hier im Mittel-
punkt, sondern Befindlichkeiten, Sorgen und Träume 17-19jähriger. Es war gerade die Möglichkeit, Sch üler zu Schü lern üb er d ie komp lexe Thematik des deutschen Einigungsprozesses sprec hen zu lasse n, die letztendlich diesen Beitrag anregte. Der folgende Unterrichtsvorschlag bezieht sich auf den Einsatz der Schülertexte im Sekundarsc hulbereich; damit meine ich im weitesten Sinne die Arbeit mit Jugendlichen, die bereits über fortgeschrittene Deutschkenntnisse verfügen. Ich habe für diesen Beitrag drei Schüleräußerungen ausgewählt und gekürzt. Bei der Arbeit mit diesen Texten sollten grundsät zlich die in ihnen p otentiell angelegten Möglichkeiten für einen Rückbezug zur Erfahrungswelt der ausländische n Schüler pro duktiv gemacht werden. Parallel dazu halte ich es jedoch für eben so wic htig, die na türliche Distanz, die möglicherweise vor allem zu den Texten der ostdeutschen Jugendlichen besteht, nicht gewaltsam üb erb rüc ken zu wollen. Auch die Erfahr ung von Distanz, die ja zugleich und vor allem eine Erfahr ung von Fremde ist, kann gleichberechtigt als Ziel und Ergebnis der Betrachtung fremdsprachiger Texte im Unterricht angeseh en werden. Gerad e bei interkultureller Betrachtungsweise muß Fremdsprachenunterricht nicht Versteh en u m jeden Preis fordern. Andererseits können diese Texte auch dazu b eitragen, Verst änd nis zu entwickeln und rein sach liche Informat ionen üb er die Situation in Deut sch land na ch d er Vereinigung mit Lebe n zu er füllen. Je nach Unter richts situat ion, Vorkenn tnissen der Schüler und unter Berücksichtigung der räumlichen Distanz zum Schau platz der Ereignisse sollte die Arbe it mit diesen Texten in eine größere Unterrichtseinheit zum Thema „Situation in der ehemaligen DDR“ „Historische Entwicklung seit 1989“ eingebettet sein. Damit Fremdsprache
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wäre der Zugang zu den Texten, die etwa zwischen Mai und Juni 1990 entstand en, und ihre zeitliche Einordn ung erleicht er t. Als Nach sch lagewerke seien an dieser Stelle der „Fischer Weltalmanach 1990. Sonderband DDR“ 3 und der Materialienba nd „Aufbrüc he. Dokumentat ion zu r Wend e in d er DDR.“4 emp fohlen. Letzteres kann auch über die Goethe -Institute im Ausland bezogen werden.
Fabian M., 19 Jahre, West -Berli n Vom Tell erwäscher zum Mil li onär
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2 . Zur Arbeit m it den Tex ten Ziel der Arbe it mit den Texten ist, daß die Schü lerinnen und Schüler über die Textinhalte miteinander ins Gesprä ch kommen u nd d as Gelesene mit den vermittelten Daten und Fakten lebendig verbinden. Eine wichtige Motivation zur Beschäftigung mit den Texten ist s icher d er Hinweis, daß in den Texten gleichaltrige Jugendliche aus West und Ost zu Wort kommen , die vor d em Fall der Mauer kaum Gelegenheit hatten, miteinander in Kontakt zu kommen, und die von dem jeweils an deren eigentlich recht wenig Konkretes wissen. Die Spannung, die in einer solchen ersten Begegnung liegt, kann h eraus gearbeitet un d als Motivationsfaktor genutzt werden: Was denken sie übereinande r? Wie ist ihr bisher iges Leben verlaufen? Welche Erfahrun gen h abe n s ie miteinander gemacht? Für die ganze Unterrichtseinheit empfehle ich Arb eit in Grup pen von 3-5 Schü lern.
Erster Schritt: Erschließen des Textinhalts Jeweils eine Schülergruppe erhält einen Schülertext mit der Aufgabe herauszufinden, woher der Verfasser /die Verfasser in stamm t und diese Auffassung am Text zu begründen. Jede Gruppe stellt dann „ihren“ Autor den and eren kurz vor. Die Arb eit in Schü lergrup pe n hat den Vor teil, daß die Lerne r von Anfang an die Möglichkeit erhalten, sich untereinander über das Gelesene zu verständigen. Auch sprachliche Probleme können so zuerst einmal in der Grupp e diskutiert werden. Es ist sicher sinnvoll, diese Phase zeitlich zu be grenzen und damit die Schüler anzuhalten, sich beim Ersch ließ en d es Inhalts auf das Wesen tliche zu konzentrieren.
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WORTERKLÄRUNGEN: EOS: Erw eitert e Oberschule: Schulen in der DDR, die zum Abitur führten. Friedrich-Engels-Ost : EOS „ Friedrich Engels“ in Ost- Berlin. Alexanderplatz: einer der größten und w ichtigsten Plätze in Ost-Berlin. Fremdsprache
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„Bei dem ers ten Tr effen m it Schü ler n v on FriedrichEngels-Ost haben die meisten von uns gedacht: Wie bitte, die sollen aus dem Osten kommen? ... Sie trugen Levis’ Jeans, hatten zum Teil gefärbte Haare, d ie w e n i g s t e n w a r e n m it D DR -Sc h u h e n u n t e r w e g s – wobei die DDR-Bürger normalerweise an den Schuhen identifizierbar sind. Selbst vom Gesichtsausdru ck her wir kten sie nicht ‘ostmä ßig’. Einmal bin ich nach der Maueröffnung auf den Alexanderplatz gefahren, und die Menschen machten, pauschal gesagt, den Eindruck als wären sie graue, blasse Arbeitermäuse, alle einheitlich. An den Augen sind die DDR-Bürger zu erkennen, oft gucken sie vers chr eckt, eingeschüchter t, ja u ngläubig in die Welt. Das war bei den EOS-Schülern nicht so. Auch von der Art der Argumentation her waren s ie a u s d r u c k s s t a r k , m ir k a m e n s i e du r ch w e g in t e r essierter und politisch viel gebildeter als die meisten unserer Schüler vor. Sie wußten – das muß man zugeben – selbst über unser Regierungssystem Bescheid. ... Da r ü b e r h i n a u s w a r ih n e n d ie An o n y m i t ä t u n t e r den Westschülern fremd. Über letzteres habe ich v o r h e r s o n ic h t n a c h g ed a c h t , m u ß i h n e n a b e r r e ch t geben. Von den neunzig Leuten meines Abiturjahrgangs kenne ich vielleicht vier oder fünf ziemlich genau, von den anderen weiß ich oft nicht einmal den Nachnamen. Die DDR-Schüler erzählten, daß sie mehr oder weniger zwangsweise mindestens zwei Nachmittage pro Woche in schulische Aktivitäten verwickelt gewesen seien. Beim Vorbereiten von Ausstellungen oder bei Sportwettkämpfen wird es etwas lockerer zugegangen sein, die Leute sind sich nähergekommen. Möglicherweise hat der Druck von o be n b e w i r k t , d a ß e i n Z u s a m m e n g e h ö r i gk e i t s ge f ü h l entstand. We r v e r b r i n g t d e n n b e i u n s s e in e Na c h m it t a g e in der Schule? Sport läuft über den Verein, und die Identifikation von Schülern und Lehrern mit der Schule ist so gering, daß die wenigsten freiwillig nachmittags etwas gemeinsam unternehmen. ... Die Schule för dert m eines Erachten s selbständiges, kr itisches Denken, Eigenständigkeit und Individualität. F ü r e i n e n Gr u p p e n z u s a m m e n h a lt i s t d a s n i ch t u n b e dingt förderlich. Vielleicht ließe es sich in einer guten Klassengemeinschaft – die gibt es bei uns kaum n o c h – t a t s ä c h lic h l e ic h t e r l er n e n . M a g s e in , d a ß e s einigen DDR-Leuten ta tsä chlich a uf der m ens chlichpers önlichen Ebene besser ging als un s. Pau schal im Sinne von schwarz-weiß, schlecht-gut, sollte man die unt erschiedlichen Schulsystem e nicht a btun.“ (S.56–58)
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Thorst en W., 18 Jahre, Ost -Berli n Es ging alles viel zu schnell!
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„Insgesamt war mein erster Eindruck vom Westen, daß alles viel nor ma ler ist, a ls ich gedacht h atte. Ein zweiter Eindruck war, daß die Unterschiede zum Osten gewaltig sind und mein jetziger ist eine Mischung daraus. Einerseits gibt es erstaunliche Gleichheiten: die gleichen Typen, die Karriere machen. Andererseits sind die Grundlagen, die Voraussetzungen andere, einfach der Unterschied im Reichtum. Insgesamt fühlte ich mich nach meinen ersten Besuchen in West-Berlin völlig überfordert von den vielen Reizen, den Informationen, die an mich gerichtet waren durch Werbung, durch Zeitungen, d u r c h d ie g a n z e b u n t e , la u t e S t im m e n w e lt . Da s v e r führt dazu, glaube ich, nicht mehr selbst auszusuchen, sondern nur noch aufzunehmen, was einem richtig präsentiert wird. So etwas kennen wir in der DDR n icht. ... Dann habe ich noch festgestellt, daß ich zu Westdeutschland keine Beziehung habe. Es interessiert m ich nu r wenig meh r als Polen oder Rußlan d. So stehe ich der Wiedervereinigung gelassen gegenüber; i ch h a b e m i t d i es e m La n d a b g e s ch l os s e n , h a b e k e in Heimatgefühl, glaube ich, ich habe es allerdings nie au f die Probe gestellt. Mein Heim at gefühl gilt meiner Familie, meinen Freunden, meiner Wohnung, vielleicht noch Berlin. ... Zu West-Ber lin ha be ich eine st ar ke Beziehu ng. Ich freue mich jedesmal, wenn ich über einen Grenzübergang fahre, der zwei Straßen getrennt hat. Meine Mutter durfte als Regisseurin ab und zu rüber, natürlich ohne uns Kinder, das war undenkbar. So hatten wir viele Freunde in Westdeutschland und West-Berlin, auch solche, die hier lebten und als J o u r n a l is t e n f ü r w e s t d e u t s ch e Ze it u n g e n a r b e it e t e n . Für mich gab es ständig die Konfrontation damit, daß jemand zu Besuch da war, der eben die Grenze ü b e r q u e r t h a t t e u n d g le ic h w ie d er f a h r e n w ü r d e , u m drüben einzukaufen. Alle Konsumartikel, die mir wichtig war en, ha be ich au s dem Westen m itgebracht bekommen, von Klamotten bis Radio. Außerdem h a b e n w ir s o w ie s o n u r We s t s e n d e r g eh ö r t u n d g es e hen. Dadurch entstand eine ganz komische Situation, m a n h a t e i n e r s e it s e i n e s t a r k e B e zie h u n g z u d i e s em Westen und andererseits eine absolut unnatürliche, weil man ihn nie mit eigenen Augen gesehen, nie berührt hat. Da baut sich eine Märchenwelt auf, und man stellt die merkwürdigsten Theorien über dieses unbekannte bekannte Land auf. Manchmal, wenn i ch Z e it h a t t e , b i n ic h z u m B r a n d e n b u r g er To r s p a z ie r t , h a b e r ü b er g e s ch a u t u n d h a t t e g a n z k o m i s ch e Gefühle dabei.“ ( S . 1 1 / 1 2 )
Zweiter Schritt: Schlüsselbegriffe hera usarbe ite n Um d ie „Schlüs selbe griffe“, die nich t no twend igerweise im Text selbst genannt werden, h erauszufinden, können die Schülerinnen und Schüler zunächst von thematischen Schwerpunkten in den Äußerungen, die sie vielleicht besonders interessant oder aber auch schwer verständlich finden, ausgehen. Die Gruppen sollten versuchen, sich auf einen oder zwei Begriffe zu einigen. Möglich wären z.B.: „Grenze/Mauer“, „Freizeit“, „Heimat“, „Ehrlichkeit“, „Freundschaften“, „Begegnungen mit anderen“, „Konsum“ u.a. Anschließend werden diese Begriffe im Plenum zusammengetragen. Allein ihre Vielfalt kann bereits in diesem Abschnitt als Zeichen für die Komplexität der angesprochenen Probleme bewußtgemacht werden.
Dritter Schritt: Bedeutungsmerkmale von Begriffen konfrontieren Mit Hilfe en tsp rech end er Fragest ellungen (z.B.: „Was ver bind et s ich für euch mit dies en Begriffen?“) können die Schüler aus ihrer, der muttersprachlichen/eigenkulturellen Sicht sogenannte „Assoziogramme“ erarbeiten. Schön wäre es, wenn ihnen dafür Pinnwände oder zumindest große Blätter zur Verfügung gestellt werden könnten, so daß die Arbeitsergebnisse der einen Gruppe auch für die anderen sichtbar sind. In ande rer Farbe werde n dann d ie muttersprac hlichen Assoziogramme durch die Äuß erungen der deutsc hen Schüler zu dem jeweiligen Begriff/Them a ergän zt. Eine Diskuss ion im Plenum schließt diese Phase ab. Dabei kann jed e Gru ppe ihr Ass ozio gr am m vo rstellen, au f Unters chiede und /oder Gemeinsamkeiten beim Ersc hließe n d es Begriffs hinweisen sowie Vermutu ngen üb er eventue lle Gründe für Differenzen äuß ern u nd zur Diskussion s tellen. Wichtig ist dabei, daß die Ergebnisse der einzelnen Grup pen für a lle sicht bar sind. So wird es m öglich, Quer verb indungen zu ziehen u nd Vergleiche zwischen den Äuß erungen west- und o stdeutscher Schüler anzuregen. Auch die Auswahl der Begriffe kann bereits Ansätze zu Vergleiche n b ieten. Bei diesem Aust ausc h von Meinungen, der erfahrun gsgemäß zu lebendigen Diskussionen führt, wird das Unterrichts-
WORTERKLÄRUNGEN: W estsender: im Sprachgebrauch der DDR Bezeichnung für Radio- und Fernsehsender der Bundesrepublik. Brandenburger Tor: W ahrz eichen von Berlin; w urde nach dem Bau der Berliner M auer 19 61 zum Symbol des geteilten Berlin; am 22.12 .19 89 w ieder geöffnet. Fremdsprache
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ziel – übe r das Gelesene ins Gespr äch zu kommen – auf natür liche Weise err eicht: Nach dem sich die Schülerinnen und Schüler in de n Grup pen intensiv mit einer konkreten Schüleräuß erung auseinandergesetzt haben, soll das gemeinsame Gespr äch an dieser Stelle nun helfen, die unte rschiedlichen Eindrücke und Perspe ktiven zu einem bu nten Ganzen zusam menzufügen.
Georgia F., 18 Jahre, Ost-Berlin Ich war das FDJ-Vorzeigekind
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Vierter Schritt: Schreibauftrag Zum Absch luß d ieses Themenkomplexes könnten die Schülerinnen und Schü ler z.B. „Briefe an die Jugendlichen“ schreiben. Dabei könnten sie Fragen ste llen, erzäh len, was ihne n a ufgefallen ist, ihre Meinung zum Dargestellten äußern, ihre eigene Befindlichkeit d ars tellen. Jede r einzelne hätte damit noch einmal die Chance, selbs t aktiv in den „Dialog“ einzutr eten . Für d en Lehre r biete t sich h ier die Möglichkeit, an den schr iftlichen Äuß erungen der Schüler weiterzuarbeiten.
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Schlußbemerkung Die Verb indung von Textersc hließu ng mit der Arbeit am Bedeutungsumfang von Begriffen ist vor allem deshalb lohnend, weil den Schülern so die Beziehungen verdeutlicht werden können, die zwischen d er Bedeut ung eines Begriffes, seiner inhaltlichen Füllung also, und dem jewe iligen gesellschaftlic hen Kontext, auf d en er sich bezieht, bestehen. Die Erkenntnis, daß Sprache nicht losgelöst von der Wirklichkeit existiert , in die sie eingebet tet ist, daß Begriffe landeskundliche Inhalte transp ortieren, ist für das Erlernen einer Fremds prach e von zentraler Bedeutung. Mein Vorschlag will dazu ermutigen, den Zugang zu fremde r Wirklichkeit au ch auf diese Weise, also vom Begriff ausgehe nd , zu versuchen.
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Anmerkungen:
1) Moericke, Helga (Hg.): Wir sind ver sch ieden. Lebens entwü rfe von Schülern aus Ost und West. Luchterhand 1991. Frankfurt/M. Wer weitere Schülertexte sucht, dem sei auch der folgende Band empfohlen: Ich we iß nicht , ob ich froh sein so ll. Kinder er leben die Wende . Verlag Metzler, 1991. 2) Erweiterte Ob ersc hule (EOS): Schu len in der DDR, die zum Abitur führten. 3) Fischer Weltalmanach : Sonder band DDR. Fische r Tasch enbu ch Verlag, Frankfurt/M. 1990. 4) Angermann, H./Drechsel, K./Kröber, H./Müller, B.-D./ Schmidt, H.W.: Aufbrüche. Dokumentation zur Wende in der DDR. Goethe-Institu t, München 1991.
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WORTERKLÄRUNGEN: FDJ: Freie Deutsche Jugend; sozialistische Jugendorganisation der DDR; in ihr w aren die meisten Jugendlichen der DDR organisiert. rübergehen < umgangsspr.>: eigentlich: hinübergehen; in der DDR verwendet für: ausreisen; die DDR verlassen. Fremdsprache
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„In der 8. Klasse habe ich mich mit Elke, einer Klass e n k a m e r a d i n a n g ef r e u n d e t , d ie m ir e ig en t l ic h ü b e r v ie le J a h r e s e h r f r e m d g ew e s e n w a r . Ic h h a t t e s ie nie verstanden, sie war jemand, die nachhakte, die fragte und laut eine andere Meinung vertrat. Mit ihr h a b e ic h v i e l ge s p r o ch e n , u n d g a n z a l lm ä h l ic h f in g ich an, selbst nachzudenken, nicht mehr alles, was vorgesetzt wurde, zu schlucken. Elke blieb die offensivere, aber nach und nach wurden wir ein eingespieltes Team. Sie hob den Finger, und alle wußten schon, jetzt kommt wieder: Ich sehe das ganz anders. Ich konnte sie unterstützen, und so haben wir viele Diskussionen provoziert. ... Der Widerspruch zwischen dem, was gelehrt und gesagt wurde, und dem was man täglich erlebt hat, war riesengroß. Es war gut für m ich, dar über wenigs t e n s i n A n s ä t z e n z u s p r e c h e n . Ge le h r t w u r d e u n s : Im M it t e lp u n k t s t e h t d e r M e n s ch ! Da s h a t m ic h a u s zweierlei Gründen gestört, bei uns stand nicht der Mensch im Mittelpunkt, sonder n die papier ene Mühle der Bürokratie. Darüber hinaus fand ich den Denkansatz falsch: Für mich steht im Mittelpunkt die Natur mit Menschen, Tieren und Pflanzen als Gesa m theit, nicht a llein der Mensch, der eigentliche Verursacher der Weltprobleme. ... Zugespitzt h at sich die Situa tion dur ch die Ausr eisewelle. Auch ich ertappte mich bei dem Gedanken rüberzugehen. In der 5. Klasse war ich bei einer Klassenkameradin zum Geburtstag eingeladen, bei ihr standen Berge von Spielzeug rum, und sie hat u n s a u f ge f or d e r t , u n s d a v o n e t w a s a u s z u s u c h e n , d a sie nach München gehe und unmöglich alles mitnehmen könne. Da ist für mich eine Welt eingestürzt, eine Schulkameradin ist einfach weg, es war für mich beinahe so, als wäre sie gestorben. Über Ausreiseanträge, über Heirat sind immer wieder Freunde und Bekannte aus meinem Leben verschwunden. Das hat Narben hinterlassen und eine stä ndige Unr uh e in m ir. ... Mein derzeitiges Tagebuch beginnt mit einem Auss p r u c h v o n B e r n a r d Sh a w : Wir m ü s s e n d a v o n a u s g ehen, daß das Wertvollste, was wir besitzen, die Zu k u n f t is t . Wir w e r d e n n i ch t d u r c h d ie E r i n n e r u n g an unsere Vergangenheit weise, sondern durch die Verantwortung für die Zukunft. Nach diesem Leitsat z m öchte ich m ein Leben einr ichten .“ (S.120–123)
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R E I S E N W ie w a r das da ma ls? W ie ist es heute? W ie k önnte es w erden? Eine Dokumentation von Ulrich Zeuner Das Thema „Reisen/ Ausreisen“ w a r ein zentrales Thema, das die Menschen in der ehema ligen DDR bew egte und in Konflikt zu den Regierenden bra chte. Der Sehnsucht der Menschen, Grenzen zu überschreiten und zu reisen, dem Drang, d ie eigenen, beengten Verhä ltnisse w enigstens vorübergehend zu verla ssen, setzten diese restriktive Reisebe- stimmungen, eine 1 37 8 km lange, verminte, streng bew achte Westgrenze und 107 k m Berliner Mauer entgegen. Dieselbe Sehnsucht läutete 2 8 Ja hre spä ter, a ls Hundertta usende auf die Straße gingen und Z ehntausende flüchteten, das Ende der DDR ein. W ie w a r das dam als? W ie ist es heute? W ie k önnte es w erden? Ulrich Zeuner a us Dresden hat zu diesen Fragen Materialien und Informa- tionen zusammengestellt. Einige der Materialien kann man auch gut im Unterricht verw enden. Auch nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrep ublik Deutsch land s ind d ie großen Unterschiede zwischen dem Westen und dem Osten Deutsch lands nicht einfach aus der Welt geschafft. Das betrifft nicht nur wirtschaftliche Vers chied enh eiten oder s ogar Gegensätze, sondern mehr noch unterschiedliche Befindlichkeiten d er Mensch en – die Herkunft „DDR“ wird sicher noch geraum e Zeit Gefühle und Leben sweise der Menschen im Osten der Bundesrepub lik Deutsc hland kennzeichne n. Das
Abb 1: Aus: Dietmar Gohl: Deutsche Demokratische Republik. Eine aktuelle Landeskunde. Fischer TB 1 98 6 Fremdsprache
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Gefühl des Eingesperrtseins, das Nichtre isenkönn en, die plötzliche Freiheit des Reisendürfens nach Öffnung der Grenzen im November 1989 und der Umgang mit dieser neu en Freiheit – all dies kann Momente solcher Befindlichkeiten verdeutlichen.
1 . Reisen, w ohin der Sta at es w ill Urlaub und Reisen in der DDR August ´61: Unse re Be we gungsfreih eit im Urlaubsort Zinnowitz war drastisch eingeschränkt, es he rrschte Quarantäne wegen Ruhr auf dem benachbarten Zelt pla tz . Wir durften Zinno witz nicht verlassen. In diese beklem me nde Situation hinein traf DIE NACHRICHT. Am 13. August. Einge sperrt. Durch eine Maue r. Ein Ring legte sich um unser Denken und Fühlen. Das wird nicht lange dauern, hofften wir. Es dauerte 28 Jahre ... (Erinnerung. In: Die Union, Dresden 11. 11. 1989)
Der Spielraum für d ie Mob ilität d er Mens che n war in de r DDR seh r eingeschränkt. Erholung und Freizeit wurden von der herrschenden Ideologie als ein Hauptbereich „sozialistischer Kultur“ angesehen, die wie alles im Land „planmä ß ig“ zu ent wickeln war. Planmäßig hieß zum Beispiel auch, daß die Menschen ihre Urlaubsplanung sehr zeitig absc hließ en muß ten – für einen Zeltplatz in einem Haupt reisegebiet war eine Anmeldezeit von einem Jahr erforderlich. Eine freie Entscheidung über das Reiseziel war in vielen Fällen nicht möglich. Der DDR-Bürger als Tourist mußte sich vor allem auf Inlandsziele einstellen. Dabei boten allerdings die Erholungslandschaften mit ihren Naturschönheiten und Städte wie Dresden, Potsdam, Berlin (Ost), Erfurt, Leipzig, Weimar und Eisenach viele Möglichkeiten für Erholung und Bildung. Der größte Teil des Urlauberverkehr s in d er DDR war ges ellsch aftlich organisiert, über die Hälfte der Ferienplätze wurde durch die Staatsgewerkschaft FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbu nd) ü ber deren Feriendienst in den Betrieben vergeben (zweiwöchig und durch hohe Subventionen s ehr billig). Fremdsprache
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Eine wichtige Rolle spielten Ferienheime und Campingeinrichtungen. Etwa ein Viertel der Urlauber war auf den über 500 staatlichen Campingplätzen zu finden, denn das Angebot an Privat- und Hotelunterkünften war begrenzt. An erster Stelle der Reiseziele innerhalb der DDR sta nd die Osts eeküste mit etwa einem Drittel aller möglichen Ferienplätze. Trotzdem war sie selten erreichtes Wunschziel vieler Urlauber. Für über ein Drittel hieß Ostseeurlaub Urlaub auf dem Zeltplatz. Der Thüringer Wald mit Friedrichsroda als zweitgrößtem Ferienort der DDR und die Sächsische Schweiz (Elbsandsteingebirge) nahmen im Urlauberverkehr den zweiten und dritten Platz nach der Ostseeküs te e in. Auch im Harz und im Mecklenburger und Brandenburger Seengebiet wurde gern Urlaub gemacht, wobei das letztere touri-
stisch wenig erschlossen war: Hier gab es fast ausschließlich Campingplätze. Wintersport wurde besonders im Thüringer Wald und im Erzgebirge betrieben.
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Der Trabant ( volkstümlich „ Trabi“ ) war das in der DDR meistgefahrene Auto – ein technisch veralteter Kleinwagen mit Zweitaktmotor, auf den m an bis zu 13 Jahre warten mußte. Andere umgangssprachliche Synonyme waren Asphaltblase, (eine Anspielung auf die Kleinheit und Unscheinbarkeit des Autos), die Pappe (die Kar osserie besteht au s einem pappeähnlichen Plastikgemisch) oder Kugelporsche (Anspielung auf die rundlichen Formen des Autos).
Reisen ins Ausland Die Ausland sreise war d ie stille Sehnsucht der meisten DDR-Bürger. Eine restriktive Reisegesetzgebung (siehe „Verordnung über Reisen …“ auf S. 50 sowie „Reiseant rag“ und „Ablehnu ng“ auf S. 49) ließ hier jedoch besonders wenig Spielraum. Wichtigste Reiseländer wurden nach 1972 (Wegfall des ˘ Visumzwangs) die d amalige CSSR (heu˘ te CSFR) und Polen. Der Reiseverkehr mit Polen wurde allerdings nach 1981 aus Furch t vor Solidarnos c-Einflüssen bis auf einen organisierten Jugendaustausch wieder weitgehend unterbunden. Immer problematischer wurde es auch, eine Privatreise ins Ausland zu finan zieren, d a d ie DDR-Mark als r eine Binnenwährung auß erhalb des Landes nichts wert war und nur seh r begrenzte Tagessätze der jeweiligen Landeswährung getauscht werden konnten. Man mu ß te s ich also reichlich mit Verpflegung von zu Hause eindecken und einen möglichst billigen Zeltplatz finden, um z. B. zehn Tage Urlaub in Ungarn finanzieren zu könn en.
2 . Der Durchbr uch: 9 . / 1 0 . Nove m be r 1 9 8 9 ... Es daue rte 28 Jahre. Ab gestern nacht nun ist dieses Bauwerk nach beiden Seiten durchlässig. Die Menschen, die sich mitten in der Nacht aufmachten, um bloß mal hinüber – und wieder herüber z u geh en , k om m en m ir w ie Kinder vor, die vorsichtig probieren, ob das Eis trägt, die blinzeln, ob der Mitspieler beim Himm el- und Hölle-Hüpfen nicht hinschaut, wenn sie den Strich übertreten. Sie waren voll von ganz ursprünglicher Freude: Etwas ist geschafft. Ihre Füße auf den Straßen unserer Städte haben es geschafft: ein Stück Normalität ... (Erinnerung. In: Die Union, Dresden 11. 11. 1989)
M auerbild der East Side Gallery: Ein Stück M auer w urde von verschiedenen Künstlern bemalt .
Die N achricht (Agenturmeldung) VÖ LLIG ÜBERRA SCH EN D M A CH TE SED-PO LITBUERO -M ITG LIED G UEN TER SCH ABO W SKI IN EIN ER IN TERN ATIO N A LEN PRESSEKO N FEREN Z AM DO N N ERSTAG A BEN D IN O ST-BERLIN DIE SEN SATIO N ELLE M ITTEILUN G . (W O RTA USZÜG E) SCHA BO W SKI. „ M IR IST SO EBEN M ITG ETEILT W O RDEN , PRIVATREISEN N A CH DEM AUSLAND KOENNEN OHNE VORLIEGEN VON VORAUSSETZUNGEN, REISEA N LA ESSEN UN D VERW A N DTSCH A FTSVERHA ELTN ISSEN BEA N TRA G T W ERDEN ... DIE A USREISEN KO EN N EN UEBER A LLE G REN ZUEBERG A N G SSTELLEN DER DDR UN D BRD ERFOLGEN ....“ FRA G E: „ W A N N ?“ S C H A B O W S KI: „ N A C H M EI N E R K EN N TN IS SO FO RT, U N V ERZ Ü G LI C H . . “ FRA G E. „SIE HATTEN A UC H BRD G ESA G T.“ SCHA BO W SKI: „ ... H AT DER M IN ISTERRAT BESCH LO SSEN , DA SS BIS ZUM IN KRA FTTRETEN EIN ER EN TSPRECHEN DEN G ESETZLICH EN REGELUN G DURCH DIE VO LKSKAM M ER DIESE ÜBERG A N G SREGELUN G IN KRA FT G ESETZT W IRD...“ FRA G E: „ G ILT DA S AU CH FUER BERLIN W EST?“ SCHA BO W SKI: „ JA , A LLE G REN ZUEBERG A N G SSTELLEN DER DDR ZUR BRD BZW . ZU BERLIN W EST ...“
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3 . Im Oste n viel Neues
Abb. 2: Was schnell besser werden muß
Abb. 3 : Aus: ADAC motorwelt 3/ 92 . Die Skizze zeigt auf einen Blick: die 1 0 Schienen- und Kanalprojekte sowie die 7 Autobahnstrecken haben eine Schlüsselfunktion für das Zusammenw achsen Deutschlands. Denn sie verknüpfen das Verkehrsnetz der alten Bundesländer mit den Wirtschaftsregionen zw ischen Rostock und Dresden.
Der recht hohe Reiseverkehr h atte d ie DDR zu einem der bed eutend sten Reisziele innerhalbder sozialistische n Staaten gemach t. Ihre Attr aktivität als Reiseland verdan kte sie vor allem d en kulturhistorischen Sehenswürdigkeiten ihrer Städte u nd vielen, in ihrer Schönheit einma ligen und zum Teil noch re lativ unberührten Landschaften. Die Mehrzah l der „Ausländ er“ waren allerdings seit dem Einreisest opp für p olnische Bürger 1981 Besucher aus der Bundesrepublik Deutschland. Dabei machten sich zum Teil schon vor der Vereinigung Deuts chland s Kapa zitätsprobleme in den Hotels bemerkbar, denn die DDR gehörte auf dem Hotelsektor zu den nachholebedürftigsten Ländern Europas. Eine internationale Handelsstadt wie Leipzig besaß z.B. nur 27 Hotels, während es in einer vergleichba ren Stad t wie z.B. Stut tgart in der alten Bundesrepublik 140 Hotels gibt. Auch Mängel in der Infrastru ktur wie fehlende Gaststä tten, Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten behinderten den Tourismus. Mit d er Öffnu ng d er DDR-Gren ze a m 9. 11. 1989, der Einführ un g de r D-Mark am 1. 7. 1990 und dem Beitritt d er fünf neuen Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland am 3. 10. 1990 verändert en sich d ann die Reisegewohnheite n de r DDR-Bürger rad ikal. Million en nut zten die neue Reisefreiheit, um das ers te Mal in ihrem Lebe n in den West teil Deutsch lands und nach Westeuropa zu fahren. Dadurch kam es in den traditionellen Feriengebieten an der Ostseeküst e plötzlich zu einem dr amatischen Rückgang de r Besuche rzahlen und zu Einkunftseinbußen. Auch die bisherigen Reiseländer in Osteuropa vermißten den Besucherstrom aus Ostdeutschland. Mit der Auflösung des FDGB verschwand auch der gewerkschaftliche Feriendienst; seine letzten Urlauber verließen Ende Dezember 1990 die Erholungshe ime de r Staats gewerkschaft. Die vorhergesagten Besucherstr öme aus Westdeuts chland blieben im ersten freien Reisesommer 1990 vielfach aus : Hohe Preise u nd im Vergleich zum westlichen Standard geringer Komfort schreckten viele ab. Vor allem die Mängel in der Verkehrsinfrastruktur wirken sich hem-
mend auf den Tourismus, aber auch auf die gesamte Wirtschaft, aus. Das Verkeh rswegen etz ents pr icht in großen Teilen noch dem Stand vor dem Zweiten Weltkrieg und ist über weite Strecken in einem sehr schlechten Zust and ( Abb . 2). Das gilt so wohl für d en Eisen bah nverkehr, wie auch für das Straß ennet z. Die Gleisanlagen wurd en in de n letzten vierzig Jahren nur s ehr langsam au sgebaut und erneuert, so daß die Züge nicht so schnell fahren können. Während zum Beispiel eine Fahrt mit dem Inte r-City von Hamburg nac h Münch en heute nur noch etwa sechseinhalb Stunden dauer t, dauert eine Fahrt von Hamburg n ach Leipzig 7 Stun den . Auch das Straßennetz wurde kaum erweitert und wenig renoviert. Insbesondere abe r gibt es infolge der Teilung noc h zu wenig Querverbindungen von Ost nach West /von West n ach Ost (Abb . 3). Auch das Tankst ellenn etz ist, verglichen mit Weste urop a, zu gering ausgebaut (in einer Großs tadt wie Erfurt gab es nu r se chs Tankstellen). So sieht m an immer noch Autoschlangen an den Tankstellen. Mit der Einführung der D-Mark hat die Autodichte im Osten Deutsc hlands s tark zugenommen – viele Mensc hen e rfüllten s ich nach d en in der DDR üblichen Wartezeiten auf einen PKW von 12 bis 15 Jahr en s chn ell ihren Wunsch nach einem eigenen Auto . So s tieg die Zahl de r PKWs in n ur einem Jahr von 4,8 Mio (Ende 1990) au f 6,3 Mio (Ende 1991) und die Zahl der Unfälle um 60%. Die Konsequenz ist, daß die schlecht ausgebauten Verkehrswege den Autostrom in den Verkehr ssp itzen nicht mehr verkraften können. Vers tär kt wird d ieser Verkeh rsn otstand noch dadurch, daß ein großer Teil der vorher von der Eisenbahn durchgeführten Transporte von der Schiene wieder a uf die Straß e verlagert wurd e. In d er DDR bewältigte die Deutsche Reichsbah n etwa 70 % der gesam ten Gütertr anspo rte, im Sommer 1991 betrug dieser Anteil der Bahn am Gütertransport in den neuen Bundesländern nu r noc h 35 %. Trotz mangelnder Infrastr uktur un d vergleichsweise schlechter Ausstattung der ostdeuts chen Hotels und Pensionen belebt sich jedoch der Tourismus in den neu en Bundes ländern. BunFremdsprache
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600 Alleen aus Linden, Eichen, Kastanien, Platanen säumen die Straßen z w ischen Ost- see und Thüringer W ald. Ihre Gesamtlänge beträgt 5400 km, einzelne Alleen sind bis zu
te Reiseprospekte werden gedruckt, und zahlreiche Reiseveranstalter bieten Urlaubsreisen nach Ostdeutschland an. Vorauss chauend e Umweltschützer setzen sich zunehmend dafür ein, daß die zum Teil einzigartigen Landschaften (wie die Kreideküsten von Jasmund auf Rügen, die Boddenlandschaft an der Ostseeküste oder die Sächsische Schweiz) nicht total vermarktet, sonder n durch s anften Tourismus erhalten werden. Dazu werden zunehme nd geschüt zte Zonen geschaffen, und es wird versuch t, den Massen tourismus durch individuellere Angebote zu ersetzen.
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30 km lang. Doch nun sind die Alleen durch den wachsenden Verkehr bedroht. Einige sind schon Verkehrsplanern, die nur an die schnelle Beförderung von Waren denken, zum Opfer
gefallen. Der ADAC (Allgemeiner Deutscher Automobil Club) startete die Aktion „Rettet die Alleen“ (ADAC-motorw elt 2/ 92 und 3 / 9 2)
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Auf der Elbe nach Dresden kreuzen Deutsche Kreuzfahrtregion wird in diesem Jahr zum ersten Male auch die Elbe sein. Fünf moderne Kabinenschiffe sollen von Ende März bis Ende Oktober von Hamburg und Lauenburg bis nach Bad Schandau und Die ZEIT, 15.3.1991 Aussig fahren.
Ostdeutsche reisen anders Ostdeutsche bleiben lieber im Lande, besuchen Verwandte und sind aktiv. „Sich sonnen“ und ähnliche passive Urlaubsmotive sind dagegen typisch „westdeutsch“.
Zu diesem Ergebnis kommt der Starnberger Studienkreis für Tourismus in seiner ersten gesamtdeutschen Reiseanalyse 1990. 10,7 Millionen Bürger der ehemaligen DDR haben 1990 wenigstens eine fünftägige Urlaubsreise gemacht und liegen damit mit 62,9 Prozent nur knapp hinter den Westdeutschen (66,8 Prozent). Fundamental allerdings sind die Unterschiede bei den Reisezielen. So ziehen 75 Prozent der Ostdeutschen Reiseziele im Inland und 32 Prozent dabei die kostensparende Unterkunft bei Verwandten und Bekannten vor; nur 25 Prozent der
Ostdeutschen fahren ins Ausland und dort am liebsten in die osteuropäischen Länder, nach Österreich oder in die Schweiz. Bei den Westdeutschen ist es genau umgekehrt: 75 Prozent zieht es in der Urlaubszeit ins Ausland und 47 Prozent verbringen die Nacht am liebsten im Hotel. Daß solche Unterschiede ganz konkrete Ursachen haben, zeigt ein Blick auf das Reisebudget: während es in Ostdeutschland pro Person 5o1 Mark beträgt, gibt ein Westdeutscher 1370 Mark für seinen Urlaubsreise aus. nach Zeitungsberichten
Das Thema „Reisen“ … ist auch interes sant für Schü lerinnen u nd Schü ler, die etwas übe r d as Lebe n d er Mensc hen in d er ehe maligen DDR und in d en n euen Bundes ländern erfahren möchten. Wie könn te m an d ie Dokume nta tion von Ulrich Zeuner od er Teile d avon im Unte rr ich t e ins etzen ? Welche Teile würd en Sie im Unte rr ich t ver wend en, und wie könnt e e ine sch üler- und han dlungsor ientierte Didaktisierung aus se he n? Vielleicht h ab en Sie Lus t, es s elbst au szup rob ieren ? Sch icken Sie u ns Ihr e Dida ktisieru ng (evtl. bereits mit Stun de nergeb nisse n?)! Wir werd en in den n äch st en b eiden Heften e inige Vor sc hläge abd ru cken.
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Aus d er Fülle de r Materialien können hier nur einige genannt werden.
1. Geographie Terra Lände rhefte: Unser Land: Freistaat Sachsen Unser Land: Thüringen Unser Land : Sach sen -Anha lt Unser Land: Brandenburg Unser Land: Mecklenb urg-Vorp ommern Ernst Klett Schulbuchverlag, Stuttgart 1991. Diese Länder hefte(m it Länderkarte, Übungsseiten, s tatistischem Anhang) geben die wichtigsten Informationen zu den n euen Bundesländern. Sehr informativ und ans prech end sind auch die Merian Lände rhefte (Hoffmann u. Campe, Hambur g) zu den fünf neuen Bundes ländern. Schmid , G. F.: Kleine Deutschlandkunde. Ein erdkundliche r Überblick. Ernst Klett Verlag, Stuttgar t 1992. Die zweite ver änd ert e Auflage bezieht nun die ganze Bundes republik ein. Themen: Lands cha ften, Klima, Bevölkerung, Wirts chaft, Verkehr, Umwelt, Politik. Viele farbige Karten.
2 . Geschichte , Polit ik , Gesellscha ft , Wi rt schaf t Feick, Jürgen/Uhl, Herb ert : Aktualitätendienst. Gesellschaft-PolitikWirtschaft. Ausgab e 1991/92. Erns t Klett Verlag für Wissen und Bildung, Stuttgart/Dresden 1991. Wichtige und aktuelle Informationen zu nationalen und internat ionalen Themen. Schaubilder u nd Tabellen. Der „Aktualitätendienst“ bietet gutes Zusatzmater ial für den landeskundlichen Unterricht, die wichtigsten Fachbegriffe werden in einem Glossar er läutert.
Der Weg zur Einheit. Zur Geschichte d er Berliner Mauer ein historischer Rückblick. Videocas set te: 60 Minuten . Verlag für Deutsch , Isma ning 1992. Für Lerner mit Mittelstufenkenntnissen. Eine zeithistorische Dokumentation vom Bau der Mauer b is zur Öffnung der Grenze. „Wir sind das Volk“. Eine Dokumentation zur politischen Wende in Deutschland. Videocassette: 58 Minut en. Verlag für Deuts ch, Ismaning 1992. Für Lerner mit Mittelstufenkenntnissen. Die Ereignisse vor der Vereinigung (Herbs tdemon strat ionen 1989 bis zu d en er sten freien Wahlen) werden aus der Sicht der Bevölkerung der ehemaligen DDR dargestellt.
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M ATERIA LIEN : De utsc hla nd 1989 –1992 3. Textbücher Für Lehrerinnen und Lehrer: Imbke Behn ken u. a. : Schülerstudie ´90. Jugendliche im Prozeß der Vereinigung. (Jugendwerk der deuts chen Shell). Juventa Verlag, Weinheim/München 1991. Die wichtigsten Ergebnisse einer Schülerbefragung werden vorgestellt, in der Schüler aus NordrheinWestfalen und aus Sachsen-Anhalt im Juni 1990 zu den Them en Vereinigung, Schule, Familie, Freizeit, Medien und zu ihren Wertvorstellungen befragt wurden. Ein zweiter Band erscheint 1992.
Micha el Lukas/ Hans-Joachim Maaz: Die Einheit beginnt zu zweit. Ein deutsch-deutsches Zwiegespräch . Rowohlt, Berlin 1991. Das Buch s tellt ein Experiment dar , das – auch wenn der Leser nicht in allen Punkten den Autoren folgen möchte – doch interes sante Einblicke ermöglicht in die „Psyche West“ und „die Psyche Ost“: Ein ostdeutscher und ein westdeutscher Psychotherapeut begeben sich in ein ö ffentliche s Zwiegespr äch üb er ihre Empfindlichkeiten und Befindlichkeiten und die vieler ihrer Landsleute angesichts d er deuts chen Vereinigung. Für den Unterricht: Kai-Axel Aanderud: Die eingemauerte Stadt. Die Gesch ichte de r Berliner Mauer. (Hg. von Guido Knop p) Georg Bitte r Verlag, Recklinghause n 1991. Die politischen Ereignisse in und um Berlin in de n Jah ren 1945 – 1990 werden in verständlicher Sprache, z. T. in p ersonalisierter Darstellungsform u nd mit zahlreichen Fotos illustr iert besch rieben.
Annegret Hofmann: Unterwegs nach Deutschland. Kinder im Niemandsland. Protokolle nach Gesprächen. Aufbau Verlag, Berlin 1992. Kinder un d Jugendliche zwischen 9 und 17 Jahren sprechen über die Vorgänge in ihrem Land und wie sie die Wende er lebten.
Gudrun Leidecker/Dieter Kirchhöfer/Peter Güttler: Ich weiß nicht ob ich froh sein soll. Kinder erlebe n die Wende. Metzlersche Verlagsbuchh andlung, Stuttgart 1991. Das Büchlein enthält Texte, Fotos, Zeichnungen von Kindern und Jugendlichen aus der Zeit vor, während und nach der Wende. Dabei werden die Brüche und inneren Krisensituationen im Vergleich zu einer scheinbar gesicherten Zukunftspersp ektive in den Texten vor und nach der Wende sichtbar. Wolfgang Geisler (Hg.): J ugend in Deutschland Ost und West. Erzählungen und Kurzprosa seit 1945 . Diest erweg, Frankfurt 1991. Einiges aus der Textsammlung zum Thema „Aufwachsen im geteilten Deutsch land“ (für de n Deutschunterricht ab Klasse 10 an deutschen Schulen zus ammengestellt) ist auch für fortgeschr ittene Deutsch lernende geeignet. Themenkomplexe sind: Erziehung in der Familie, Politische Sozialisation, Außenseiter, Erwachsenwerden.
M aterialien des Goethe-Instituts Für Deutschlehrer und Fortgeschrittene: Aufbrüche. Dokumentation zur Wende in d er DDR (Okt. 1989 – März 1990), 264 S. 1991. Von H. Angerma nn, K. Drech sel, H. Kröb er, B-D. Müller-Jacquier, H.-W. Schmidt, J. Schweckendiek. Der Veränder ungsprozeß in der ehe maligen DDR wird vor allem durch DDR-Quellen zunächst chronologisch dargestellt, wichtige The men werden in Form von Collagen präsentiert. Glossar mit „DDR-deutschen“ Begriffen und Abkürzungen. (DM 13,-) Für Fortgeschrittene : BRDDR 1990. Video (DM 25,-). Begleitheft ( 74 S.. DM 3,-). Von D. Arnsdorf, J. Schweckendiek. Zusammenstellung von Berichten aus dem Deutsch landspiegel und anderen Report agen vom November 1989 bis Mai 1990. Hier findet man u. a. auch Zeittafeln zu den Ereignissen.
Für Jugendliche ab 2./ 3. Lernjahr: Das sind wir. Leipziger Schüler berichten. Schülerh eft (48 S. DM5,–) Hörkas set te (DM 6,-) Video (DM 25,-). Von D. Meijer, M. van Kamp enh out, E. Weiß, J. Schweckendiek. Drei Leipziger Schüler berichten über ihr Leben im Herbs t 1990 und was sich seit der Wende dar in verändert hat. Für jugendliche Fortgeschrittene: Achtung Klappe: Brandenburger Tor. Somme r 1991. Vide o ( DM 25,-). Begleitheft. Von Radio Bremen /J. Kuglin. Vier Kinder mac hen eine Fernsehreportage über das Wiederzusammenwachsen der Stadt Berlin nach dem 3. 10. 1990.
Miterlebt: Die Wende in de r Penne . Somme r 1991. Video ( DM 25,-). Hessischer Rundfunk/D. Arnsdorf. Ungebahnte Wege: Junge Leute nach der Wende. Sommer 1991. Vide o ( DM 25,-). Begleith eft. Von Südwestfunk/D. Arnsdorf. Portraits junger Leute aus den n euen Bundesländern. Für alle: Transparentsatz für den Overheadprojektor: Die de utschsprachigen Länder. Neubearbeitung 1991. (DM 5.-). Von U. Olschewski, J. Schwec kendiek. Vierfarbige, unbeschriftete, physische Grundkart e, politische Grenzen als Deckfolie.
Hier bekommt ma n Informationen: Globus Kartendie nst Wandsbeker Zollstr. 5 D-W-2000 Hamburg 70 Statistisches Bundes amt Gustav-Stre sem ann-Ring 11 D-W-6200 Wies ba de n Der Erich Schm idt Verlag in Berlin, Genth iner Str. 30 G, D-W-1000 Berlin 30, gibt Zahlenbilder in versch iedenen Serien mit monatlicher Nachlieferung heraus. Man kann einen ausführlichen Prospekt anfordern. Das Sekretariat des Bundesrates, Bundeshaus, D-W-5300 Bonn 1, hat e in neues Faltplakat Die 16 deutschen Länder herausgegeben. Erscheint jedes Jahr im August in überarbeiteter Form: Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland (hg. von E. Hübner und H.-H. Rohlfs im dtv Tasche nbuch Verlag). Enthält neue Daten und Fakten zu: Gesellschaft u. Sozialsys tem, Infrastru ktur, politische Institutionen, innenpolitsche Probleme und Kontrovers en, Auß enpolitik. Jahreschronik. Sehr datailliert, informativ, nicht grafisch aufbereitet. emj.
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des Einigungsvertrags, der Kurzarb eitergeld. Kurzarb eit unter Zeitdruck ausgehand elt Null bezeichnet eine verde ckte wurde, werden aus h eutiger Arbeitslosigkeit in OstdeutschSicht kritisch betracht et. land. Es b edeutet, daß zwar Kurzarb eit angemeldet wird evaluieren – Einschä tzen, beurteilen, bewerten; insbes on- und die Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld erhalten, daß aber dere bezogen auf die Einschätzung des Leistungspotentials in de facto keine Arbe it geleistet wird. der Wissens cha ft (Lehre, Forschung usw.) der ehemaligen Konv er sio n – Umwand lung Zu sa m m e n g e ste llt v o n D a g m a r Ble i u n d DDR durch westliche Gremien bisher militärisch genutzter Eva-Maria Jenkins Stru kturen (Gelände, Kaser nen im Hinb lick auf Neu- un d Umstrukturierung ( ). usw. der Besatzungstruppen ) für zivile Zwecke. Die neuen politischen, gesellschaftlichen und Gauc k-Behörd e – Staatliche Behörde zur Aufarbe itung der Leih bea mt e – Beamte aus den w irtscha ftlichen Verhä ltnisse in den ersten Tätigkeit e hema liger Mitarbeialten Bundesländern, die zeitJahren nach der Vereinigung Deutschlands ter der Staatssicherheit (STASI) weise be im Aufbau n euer Verwaltungsstrukturen in den neu haben in einer Vielzahl neuer Wörter oder in der in der DDR unter Leitung d es Sonderb eauftragten Joachim en Bundes ländern h elfen. „Um w idmung“ schon vorhandener W örter ihren Gauck. Mau er sp ec ht – Bezeichnun g spra chlichen Ausdruck gefunden. Das Glossa r für Personen , die nach der Gemeinschaftswerk AufWend e mit einem Hammer ch w ung O s t – Programme , bietet eine Ausw ahl besonders häufig gebra uch- sKonzepte und Anschubfinanzie- eigenhändig Stücke aus der ter Begriffe. rungen (Startfinanzierungen) Berliner Mauer sch lugen. der Bundesregierung für d en Mau er sch ütz en p roz eß – Prowirtsch aftlichen Aufbau in den zeß gegen Grenzsoldaten d er neuen Bundesländern . mengeschlossen hatten) in der Alt la s t(e n) – Das ö kologisch e, ehem aligen DDR, die bes chu lDDR. politische, wirts chaftliche , digt werden, auf flüchten de Ide nt it ä ts ve rl us t – Gefühl d er gesellschaftliche Erbe d er Desor ientierung ehe maliger DDR-Bürger Todesschüsse DDRsch – Sammelbegriff für sozialistisch en DDR, das den DDR-Bürger un d -Bürgerinn en abgegeben zu haben. alles, was au s h eutiger Sicht Neuanfang belastet. nach d er Herstellung der d euttyp isch für die DDR-Zeit, ihr e Neu -Bun des b ür ger – Bezeich sch en Einhe it durch d en VerMenschen, ihre Lebensweise Ab w ic kl ung – Die oft mit Masnun g für Bürgerinnen und Bürlust der gewohnten Strukturen. ger der fünf neuen Bundeslänsenentlassungen verbundene usw. war. „Umstr ukturieru ng“ () ostder. IM – Häufig gebra uch te Abkür Einigungs ve r tr a g – Der Einideutsch er Betriebe un d Institu- gungsvertrag zwischen der zung für „Inoffizielle Mitar be i NVA-Bes tä nd e – Ausrüst ung tionen. Das Wort bekam e inen ter“ der Staatsicherh eit, die letzten Regierung d er DDR der eh emaligen Nationalen so n egativen Beiklang, daß es von de r STASI ange worb en (auch „Regierung des Rund en Volksar mee (z.B. Pan zer, Uniim o ffiziellen Spra chgeb rauc h Tisches“ genannt) unter Lothar wurden , um in ihrer Umgebu ng formen usw.). der Treuhand anstalt durch das – unerkann t – Spitzeldienste zu de Maizière und der BundesreOst-West-Pendler – Arbeitne hWort „Rekonst ruktion“ ( ) leisten. gierung vom 31. August 1990 mer, die in den n euen Bundesersetzt werden soll. regelt die Moda litäten des Bei- Ku r z a rb ei t Nu ll – Um Arbeits - ländern wohnen und in den tritts d er DDR zur Bundes repu - losigkeit zu verm eiden, kann Alt ei gen tü mer – Früh ere Besitalten arbeiten. zer/ Eigentümer d es unter dem blik wie z.B. Aufgaben de r Treu - ein Unter neh men Kurzarb eit, d. QualifizierungsgesellschafDDR-Regime en teigne ten Prihand (), „Rückgabe vor Enth. eine generelle Verkürzung te n – Siehe Beschäftigungsgevateigentums (Grun d, Immob isch ädigung für Alteigentü mer“ der Arbeits zeit anmelden . Die sellschaften. lien, Betriebe usw.) ( ) usw. Einige Bestimmungen Arbeitnehmer erhalten dann
Momentaufnahme: Vereinigungsglossar vo n A b is Z
Bes ch ä fti gungs - (u nd Qu a li fi z ie rungs )ges el ls ch a fte n –
Staatlich geführ te Gesellschaften, die gegründet werden, um „arb eitslose“ Arbe itnehme r „von der Straß e zu h olen“ und ihnen den Weg in die Marktwirtsch aft durch entsp rechende Umsch ulungs- oder Qualifizierungsmaß nahmen zu erleichtern. Bes s er w es s i – Ironisch e Bezeichnun g für Bürger/innen aus den alten Bundesländern, die gegenüber den Ostdeut schen immer alles besser wissen wollen. Block flö te Pejorative Bezeichnung für (ehem alige) Mitglieder der sogenannten Blockparteien (CDU, LDPD, NDPD, DBP, d ie sich zu einem „Block“ zusam-
Fremdsprache
Deutsch
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Reko ns tr ukt io n – Nach einem
Treuhand(anstalt) – Staatli-
Wettbewerb von einer Jur y ausgewähltes Ersatzwort für „Abwicklung“ ; wird vor allem dann gebrauch t, wenn die betro ffene Einrichtung in be grenzter Form weiterbesteh t.
ches Unternehmen, das gegründet wurde, um die etwa 8000 ehemals sta atlichen Betriebe der DDR an die Marktwirtschaft anzupassen , das heiß t: zu san ieren, zu privatisieren o der „abzuwickeln“ ( ). Umstrukturierung – Euph emistische Umschreibung von Maß nahmen, die dazu dienen, Arbeits plätze aufzulöse n.
Rüc kü b er tr a gung/ Rüc kü ber tr a gungs a ns p ruch / Rüc kga be v or Ents ch ä digu ng – Den
Alteigentü mern ( ) von Grund bes itz oder Immobilien muß ihr Eigentum laut Einigungsvertrag bei entsprech endem Nachweis zurückgegeben werd en. Viele d er e twa 1 Million Rückgabeansprüche wirken
sich investitionshemmend aus, da die Anerkennungsverfahren zum Teil seh r langwierig sind. Aber auch ganz normale Bewohner von Wohnungen ode r Einfamilienh äuse rn in den neuen Bundesländern müss en um ihre in der DDR erwor ben en Besitz- und Wohnans prüche fürchten. Servicegesellschaften – Von der Treuhand gegründete Gesellschaften, die da zu dienen, marktpolitische Rahmenprogramme in den ostd eutschen Bundesländern durchzusetzen. (alte) Seilschaften – Bezeich nun g für Komp lizenwirtsch aft, d. h. für de n Zusammenh alt ehe maliger Staats -, Par tei- und Wirtschaftsfunktionäre der DDR in de r jet zigen Zeit. STASI-Syndrom – Mit „Syndrom“ bezeichnet man in der Medizin das Zusa mment reffen verschiedener Symptome zu einem b estimmten Krankheitsbild. Am „STASI-Syndrom“ leidet eine Gesellschaft, in d er die STASI als Veru rs ach er zah lreicher „symptomatischer Auffälligkeiten“ vermutet wird. Solidaritätszuschlag – Zusä tzliche Steue r, die jede/r Bundesb ürger/in für d as „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“ zu bezahlen hat. Fremdsprache
Deutsch
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Vorfahr tsregelung (für Inve sto re n) – „Wer investiert, kann
als erste r erwer ben .“ Der investitionsh emmende Rückgabe-
anspruch ( ) der Alteigentü mer so ll durc h diese Regelung aufgehoben werden. In diesem Falle wird der Alteigentümer ( ) entschäd igt. Wohlsta nds mau er (-graben)
– Trennlinie zwisch en d en Deuts chen in Ost un d West aufgrund des untersch iedlichen Lebensniveaus. Warteschleife – Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses für Ostdeut sche (meist Akademiker), die eine Zeitlang weiter b ezahlt werden und noch nicht als Arbe itslose registriert sind. Während dieser Zeit können s ie sich um eine neue Stelle bemühe n. (Der Begriff wurde u rsp rünglich für Flugzeuge gebrau cht , die bei Überfüllung der Landebahnen „in der Warteschleife“ auf die Landeerlaubnis warten.) Zw a ngs umges ie d el te – Bürger de r eh ema ligen DDR, die gezwungen wurden , ihre grenznahen Wohnor te zu verlassen. Zus a mme nw a ch s en – Programmatisch e Vors tellung (Metapher) von der Schaffung einer Gesamtstaatlichkeit der beiden deutsch en Staaten nach dem 3. 10. 1990 mit dem Ziel gleicher Leben sverhä ltnisse in a llen Teilen Deutsch lands.
„Es gibt kein Hüben und Drüben mehr“ … hatte Kanzler Kohl den Deutschen am 4 .1 0.1 9 90 in der „ Bildzeitung“ mitgeteilt. Dafür gibt es n un: Im Osten Deutschlands: die Ostländer d ie os td eu ts ch en Bu nd es län der die Ostgebiete Ostdeutschland der Ostteil Deutschlands die neuen Bundesländer die O-Zone (Bundespost) d ie fü nf n eu en Lä nd er ( die FNL)
Im Westen Deutschlands: die Westländer die(Alt-) Bundesrepublik d ie b is her igen Län der d er Bu ndesre publik Westdeutschland der Westteil Deutschlands der bundesdeutsche Westen die W-Zone (Bundespost) d ie a lt e Bu nd es re pu blik die Alt-BRD d as Alt bu nd es geb iet die alte Bundesrepublik
d as Ge biet d er eh em alige n DDR die Ex-DDR das Beitrittsgebiet die beigetretenen Länder die Beitrittsländer das Neubundesgebiet die e hem alige DDR Und im (westdeutsche n)Volksmund: Ossiland – Stas iland – der Wilde Oste n – die Neufundlän der Im o std euts che n Volksmu nd: d ie BRD-Kolonie Angesichts dieser babylonischen Sprach verwirrung hat eine Arbeitsgruppe im Ministerium d es Innern eine „Orientierungsliste mit Empfehlungscharakter“ für „staatsrech tlich zutreffende un d umgangssp rachlich akzeptable Formulierungen m it entsprechenden Übersetzungshilfen“ zusam menges tellt (Mai 1991). Die in dieser Liste vorgesch lagenen Bezeichnungen hab en aus drücklich “Orientierungschar akter”; es hand elt sich also nicht um offiziell vorgeschriebene Bezeichnungen. Für die Situation vo r dem 3. Oktober 1990: Für den „Westen“: • Bundesrepublik Deutschland nach dem Gebietsstand bis zum 3. Oktober 1990 Vermieden werden soll dagegen die Bezeichnung „ehemalige Bundesrepublik“, da die Bundesre publik Deutschland „nicht untergegangen“ ist.
Für den „Osten“: • Deutsche Demokratische Republik • DDR • ehemalige Deutsche Demokratische Republik • ehemalige DDR Kommentar der Arbeitsgruppe: Da die DDR untergegangen ist, sei die Bezeichnung mit und ohne “ehemalig” eindeutig auf den Gebietszustand vor dem 3. 10. 1990 bezogen; vermieden werden soll hingegen die Bezeichnung “früh ere DDR”, da “früh er” ein “später” suggeriere, es ein “später” wegen des Untergangs der DDR jedoch nicht gibt. Ebenfalls zu ve rmeide n sei die Bezeichn ung “Ex-DDR” wegen des “pejorativen Anklangs im offiziellen Sprach gebra uch ”.
Für die Situation se it dem 3. Oktober 1990: Für den „Westen“: • Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach dem Stand b is zum 3. Oktober 1990 • die elf Bundesländer, die bereits vor dem 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik Deutsch land angehörten • die elf alten Bundesländer Für den „Osten“ (ohne die Ostberliner Bezirke): • das in Artikel 1 Absatz 1 des Einigungsvertrags bezeichnete Gebiet • die fünf neuen Länder • die neuen Bundesländer Für den „Osten“ (inklusive die Ostberliner Bezirke): • das in Artikel 3 des Einigungsvertrags b ezeichnete Gebiet • die fünf neuen Bundesländer zuzüglich d es Gebiets des früheren Berlin (Ost) • beigetretener Teil Deutschlands • Beitrittsgebiet Für den „Gesamtstaat“: • Bundesrepublik Deutschland • Bundesrepublik Deutschland nach dem Gebietsstand s eit dem 3. Oktober 1990 • Deutschland • D, BRD Während das Kürzel BRD zur Zeit de s Kalten Krieges nicht erwünscht war, werden nun gegen die Abkü rzu ngen (BRD, FRG, RFA usw.) keine Bedenken mehr erhobe n, da sie „nach dem Untergang der DDR als Staat und der Herstellung der Einheit Deutschlands keine ideologischen Gehalte mehr transpo rtieren.“ Dagegen sei die Kurzbezeichnung “Bundesrepublik” zu vermeiden, da sie “nur eine in Mitteleuropa häufige Staatsformbezeichnung, nicht aber die Bezeichnung eines konkreten Staates d arstellt.”
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ZEIT
La ndesk unde fra gt nicht nur nach der Gegenw ar t. Landeskunde fra gt a uch na ch der Verga ngenheit, zum Beispiel, um die Gegenw a rt zu ve rstehen. Aber: Deut- sche Geschichte – gehört das nicht in den Geschichts- unterricht? Und: Ist Geschichte häufig nicht ein eher trock enes, langw eiliges Fa ch, in dem W issen einge- trichtert w ird und Da ten und Fa k ten gelernt w erden müssen? Daß Geschichte doch etw a s mit Spra chunterricht zu tun hat und in der Spra che selbst imm er w ieder Geschichte zu finden ist, das zeigt eine Ausstellung zur Entstehung und Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (19 4 9 – 19 8 9 ), die vom Goethe-Institut zusam men m it einem Team um Achim M a ibaum für Deutschlernende der Sekundarstufe II konzipiert und schon in vielen Lä ndern gezeigt w urde. Ursprünglich zum 40jährigen Jubiläum geplant, fiel der Endpunk t der Ausstellung mit d em Ende d er a lten Bundes- repub lik z usa mm en. Auch die Vorgeschichte w urde nicht ausgeklammert: Die Ausstellung beginnt 1933, im Jahr der M achtergreifung durch die N ationalsozia listen. Achim Maibaum erläutert in seinem Beitrag das Ausstel- lungskonzept und demonstriert am Beispiel einer Ausstel- lungsa bteilung, die den „Trümm erfra uen” gew idmet ist, w ie eine Bilderserie im Zusamm enw irken mit kurz en, spra chlich einfachen Tex ten geschichtliche Entw ick lungen emotional ansprechend nachzeichnen kann. Am Ende des Beitrags stehen einige Vorschläge für den Einsatz der Bilderserie im Deutschunterricht.
Das Ausstellungskonzept Die Auss tellung sollte in ans ch aulicher und lebendiger Form auf die Rezeptionsgewohnheiten junger Leute eingehen, Interesse wecken und zur selbständigen Weiterbeschäftigung mit dem Stoff animieren. Am Anfang s tan den zwei Fragen : • Soll der zu be tracht ende Zeitraum chrono logisch bea rbeitet werd en? ... Bei Sch ülern ist d ieses Verfahr en nich t sehr beliebt, denn es end et häu fig im Aufzählen h istorisch er Daten u nd Fakten. Politische Themen bekommen sch nell ein Übergewicht, weil sich d ie gleichzeitige Behandlung geschichtlicher und alltagskultureller Themen in ein und und derselben „Abteilung“ „beiß en“ und desh alb vermieden wird. • Oder soll die Zeit in Einzelthemen dargestellt werden ? Das Problem dabei ist, daß die Gleichzeitigkeit historischer Erscheinungen und ihre Wechselwirkungen nicht oder nur schwer anschaulich gemacht werden können.
Die Entscheidung fiel zugunsten einer thematischen Ausstellung mit zwölf Abteilungen, die von einem Video b egleitet wird, das mit filmdramaturgischen Mitteln (Bildschnitt, Musik, O- Ton) eine Auswahl d er in der Ausstellung präsentierten Themen in chronologischer Reihenfolge wiederholt. Als Erinnerung an den Ausstellungsbesuch und zur Nachbereitung gibt es für jeden Besucher eine Zeitschrift (über die Goethe-Institute erhältlich), die wiederum themat isch konzipiert ist und aus gewählte Asp ekte eines Ausstellungsthemas in verschiedenen Textsorten reflektiert. Eine Dopp elchronik mit histor ischen Daten aus Deutschland und dem Ausland erlaubt die zeitliche Einordnung der angesprochenen geschichtlichen Ereignisse. Durch diese multimediale Vorgehensweise wurden chronologische und t hematische Darstellungen mehrfach miteinander verschränkt. Durch die Wiederho lungen in einem and eren Medium mit jeweils anderen, diesem
Medium adäquaten Darstellungsmitteln sollte bei den jugendlichen Besuche rn d er Auss tellung langsa m ein Vorstellungsbild he ranreifen , d as weniger durch kognitive Leistung als durch visuelles, emotionales und intuitives Erfassen zustand e kommt.
Wörter erzählen Geschichte Die Ausstellung selbst hat ein ungewöhnliches Konzept, den n ihr Thema sind zeitgeschicht liche Begriffe. Wörter wie „Wirtschaftswunder“, „68er“ oder „Waldsterben“ sind untrennbar mit der Geschichte Deutsch lands verbunden. Man findet sie nicht nur immer wieder in historischen Abhandlungen od er in d er Litera tur. Sie leben auch in der Gegenwart weiter, werden wieder aufgegriffen und ggf. einer veränderten Situation entsprechend mit neuen Bedeutu ngsmerkmalen angereichert.
Fremdsprache
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Ei n Gesc h i c h t spr o j ek t f ü r d en Spr a c h u n t er r i c h t st el l t si c h v o r Vo n A c h i m M a i ba u m
WORTE
Bild 1: 19 38 : Die Nat ionalsozialisten hatten das Frauenbild des 19. Jahrhunderts staatlich festge- schrieben: Die Frau, die im Gebä ren und der Erziehung der Kinder ihre Erfüllung findet. aus: R. Westphal: Die Frau im politischen Plakat. Berlin 1979
Für d en Deutsch lerner sind solche Wörter und Begriffe sehr schwer zu verste hen u nd zu lernen, weil sich hinter den Begriffen kollektive Erfahrungen, Mytho logisierun gen u nd Iden tifikationsmuster verbergen. Ein Blick ins Wörter buc h h ilft da wenig. Die Idee der Ausstellung war es also, einige dieser Begriffe den Deutschschülern vorzuste llen und d ie dahinter liegende n Vorstellungsbilder deutlich zu machen. Folgende Auswahl wurde getroffen: Ends ieg, Stun de Null, Trüm merfraue n, Persilschein, Wirschaftswunder, Halbstarke, Wiederbewaffnung, 68er, Ostpolitik, Waldsterben, Eurovision und d eutsch-deutsch. Da d as Stud ium von zu viel Text in einer Ausstellung zeitraubend und Fremdsprache
Deutsch
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ermüdend ist, übrigens nicht nur für Sprach schüler, die ja zusä tzlich mit d er fremden Sprache zu kämpfen haben, sollte der Text nur sehr sparsam zugunsten nonverbaler Kommunikationsm ittel eingesetzt werd en. So wurde bei der Auswahl der Bilder immer streng darauf geachtet, ob ein Bild auch möglichst viel zum Thema in s ich selbst birgt. Auch auf umfangreiche Texttafeln wurde verzichtet. Stattd esse n wurde zu jedem Begriff eine r äumliche Insta llation gescha ffen, die eine visuelle Interpretation des jewe iligen „Zeitwo rtes“ liefer t und so sinnlich erfahrbar macht. Diese Raum objekte s ind gleichzeitig Trägermedium für eine Vielzahl von Bildserien, die aus historischen Dokumenten wie Foto s, Illust rat ionen , Plakate n, Zeitungsaus rissen us w. zusam mengestellt wurd en. Mit „viel Bild“ und wenig Text wird auf diese Weise die Geschichte der Bund esre pub lik wie im Foto comic erzählt. Anh and einiger au sgewäh lter Bilder aus der Ausstellungsabteilung „Trümmerfrauen “ möch te ich auf den folgenden Seiten zeigen, worauf es uns bei der Zusamm enstellung der Dokumente ankam und wie das dahinterliegende Thema üb er da s Rollenbild de r Frau in der bundesrepublikanischen Gesellschaft entwickelt wurde. Dabei ist die eine oder and ere Überlegung auch auf andere Kontexte übertra gbar.
Bild 2: 1 94 0: Die W irklichkeit des Krieges entsprach nicht dem propagierten Mutterideal: Weil die Männer zum Kriegsdienst eingezogen w orden w aren, w urden die Frauen systematisch für die Arbeit in der Rüstungsindustrie zwangsverpflichtet. © Ullstein
Spät er wirkten d ie „Hilfsar beiter innen im Baugewerbe“ wegen des Männermangels im Nachkriegsdeutschland (fast zwei Millionen Männer waren im Krieg gefallen) auch am Wiedera ufbau der Städte mit. Trotz ihrer damaligen Selbständigkeit wurden die Frauen in den 50er Jahren ins Privatleben
„Trümmerfrauen“ Trümmerfrauen nan nte d er Volksmund die Frauen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zur Räumu ng de r zerbombten Städte eingesetzt wurden.
Bild 3: Stunde Null: Nach dem Krieg stehen unzählige Frauen vor dem Nichts. Die Situation ist schwieriger als vor dem Krieg. © Stadtarchiv Frankfu rt a.M.
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Bild 4: Bei der Freiräumung der Städte mußten die Trümmerfr auen oft Schw erstarbeit leisten, die eigentlich gesetzlich verbote n w ar. © Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Bundesbildstelle
Bild 5: Zusätzlich zur harten Arbeit der Trümmerbeseitigung mußten die Frauen auch noch ihre Familien versorgen. Der Rucksack war das w ichtigste Ut ensil für die Hamsterfahrten aufs Land. aus: Nürnberger Nachrichten. Sonderdruck „ 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland“
Bild 6: Trümmerfrauen lesen in der VOGUE. Christian Dior erfindet in Paris den New Look. Die Frauen sind ihr graues, androgynes Da sein leid. aus: Perlonzeit. Berlin 198 5
zurückgedrängt bzw. ordneten sich den Männern wieder unter. Erst Ende der se chziger Jahre mit der sogenannten neuen Frauenbewegung entstand allmählich ein breiteres Bewußtsein für die Forderung, den Frauen mehr Gewicht und Einfluß in allen gesellschaftlichen Bereichen zu verschaffen. In der ersten Abbildung sehen wir die Frau als Gebärerin und Erzieherin ihrer Kinder, ein ideologisch es Frauen bild, wie es vor a llem im Nationalso zialismus (aber nicht nur dort!) propagiert wurde. Dieses (gemalte) Propagandaplakat wird in Bild 2 mit einer Schwarzweißfotografie konfrontiert, die die schnöde Wirklichkeit vieler Frauen während des Zweiten Weltkriegs dokumentiert. Das dritte Bild zeigt die Folgen von Ideologie und Rüstung und steht symbolisch für d ie Situation der deutschen Frauen am Ende des Krieges. Der Text wird d azu genu tzt, d en Begriff de r „Stu nd e Null“, der bereits in einer eigenen Ausstellungsabt eilung vorgest ellt wurd e, wieFremdsprache
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Bild 7: Werbeanzeige für Spülmittel: Medien, Politik und Kirchen versuchen in den 50er Jahren, Frauen in ihre klassischen Rollen zurückzudrängen. V iele Frauen akz eptieren dies. Sie sind froh, da ß ihnen die M änner Arbeiten a bnehmen, die sie selbst als unw eiblich empfinden.So verlieren die Frauen wieder ihre Selbständigkeit, die sie in den 40er Jahren erreicht hatten. Zwar wehren sich einige, doch der soziale Druck in der restaurativen Ära der Wiederaufbaujahre ist sehr groß.
Bild 8: 1954: Plakat zur Arbeitszeitverkür- zung. Für die Gew erkschaften w ar klar, daß Vati das Geld verdient und Mutti sich um die Familie kümmert. © Archiv der sozialen Demokratie Friedrich-Ebert-Stiftung
aus: Perlonzeit. Berlin 198 5
deraufzunehmen. Auch werden hier Metaphern wie „vor dem Nichts stehen“, „am Boden liegen“, „in Trümmern liegen“ assoziiert, auf die ebenfalls in der Abteilung „Stunde Null“ angespielt wurde. Bild 4 zeigt die Arbeit von Trümmer frau en u m 1946. Es ist d as Bild, da s in der zugehörigen Bildunterschrift den Begriff zum ersten Mal vorstellt. Dieses Bild wurde aus gewählt, weil es drastischer als vergleichbare die Schwer e d er Arb eit illust riert . Bild Nr. 5 wurde verwendet, um zu zeigen, daß neben der Arbeit auf dem Bau auch d ie Sorge für die Familie weiterhin im wahrsten Sinne des Wortes „auf den Schultern der Frauen“ lag. Ein ähnliches Bild von Frauen mit Rucksäcken gibt es in der Abteilung „Stunde Null“. Mit solchen abs ichtlich gesetzten Bildwiederholungen werden die historischen und gesellschaftlichen Bezüge und Vern etzungen zwischen d en einzelnen Abteilungen s ichtbar gemacht. Nur die Bildunterschriften sind je nach Fremdsprache
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Bild 9: Trotzdem arbeiten Frauen, um den Lebensstandard der Familie zu verbessern. In der Industrie werden Frauen vorwiegend am Fließband oder bei anderen monotonen Arbeiten eingesetzt. © Süddeutscher Verlag
Bild 1 0: „ M änner und Frauen sind gleichberechtigt." Nur mit Mühe konnten einige Frauen den Gleichheitsgrundsatz Artikel 3 des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat durchsetzen. Im ersten deut schen Bundestag, dem westdeutschen Parlament, saßen neben 373 Männern gerade einmal 29 Frauen. © Ullstein
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Bild 11 : September 1 94 9. Das erste Kabinett der neugegründeten Bundesrepublik: obwohl die Frauen die Mehrheit der Bevölkerung stellen, sind sie in der Regierung nicht vertreten. © Ullstein
Bild 12: Vor allem die Ablehnung des Abtreibungsparagraphen (§ 21 8) führte zu einer bis heute nicht gekannten Solidarisierung – aber auch Polarisierung – der Frauen. © Richard Grübling, Frankfu rt a. M.
Thema verschieden. Auf diese Weise wird deutlich, daß Bilder aufgrund ihrer vielschichtigen Bedeutungen unterschiedliche Interpretationen zulassen, auf unter sch iedliche Bezüge verweisen und eine Erklärung nicht die einzig wahre sein muß. Pfeile vor den Begriffen wie hier bei „Hamsterfahrten“ verweisen auf die Querverbindungen und regen zum Suchen d er Begriffe in der Auss tellung an. Bild 6 markiert e inen neu en Zeitab sch nitt: Das Leben geht weiter. Bild 7 ist wie Bild 1 e in Wer be bild mit dem Unterschied, daß d as d amalige Rollenver stän dnis hier nicht d irekt bebildert wird, sonder n s ich indirekt über eine Produktwerbung vermittelt. Werbe bilder können, da sie häu fig idealisierte Wunschbilder zeichnen, beson ders gut das Wertesyst em einer Epoche veranschaulichen. Der Ausgangstext unter diesem Bild ist ungewöhn lich lang geraten , weil die Fakten, die hier vermittelt werden sollten, sich nicht unmittelbar über das Bild erschließen lassen.
Manch mal findet sich e in Foto wie in Bild 13, das se in Thema d urch eine Aufschrift auf einem Demon str ationstra nsp arent b enen nt. Dagegen ist Bild 11 mit dem Bild des ersten nur aus Männern bestehenden Regierungskabinetts für sich alleine genommen nicht beso nder s aufregend. Erst in der Text-Bild-Kombination gewinnt der Inhalt eine gewisse Brisanz. In der Kombination dieses Bildes mit Bild 14 wird schließlich eine 40jährige Entwicklung sich tba r. Reichlich Zünd sto ff ent hält Bild 12. Dieses Bild wurde unte r and erem au sgewählt, weil es sicher auch heute noch vielerorts provoziert und Anknüpfungspunkte für eine Diskussion über die Situation im eigenen Land bietet . Das Th ema Abtre ibung wird ja nicht nur in Deutschland heiß diskutiert und ist in vielen Ländern (noch) tabuisiert. Alle dies e Verfahre n un d d amit ver bund en die richtige Interp retation und die Einordnung der Bilder in den h istorischen Kontext s etzen auch das Ver-
ständnis des Textes voraus. Dies ist bei den unterschiedlichen Sprachkenntnissen der Besucher nicht immer gewährleistet. Als Hilfe für Schüler und Lehrer gab es d esha lb ein Begleithe ft m it Suchfragen für d ie Aus stellung und Besucherführungen für das allgemeine Pub likum.
Bilder und Geschichte: Die „ Trümm erfr auen“ im Deutschunterricht Unterrichtsvorschläge von emj Die meisten Lehrerinnen und Lehrer haben keine Möglichkeit, die Aus- stellung, die nur in Goethe-Institu- ten und a uch nicht in a llen Lä ndern zu sehen ist, mit ihren Schülern zu besuchen. Aber vielleicht ha t der eine oder die andere Lust, die hier abgedruckte Bilderserie im Rah- men einer U nterrichtseinheit „Deut- sche Na chk riegsentw ick lungen/ N a chk riegsgeschichte“ im U nter-
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Bild 13 : Die neue Frauenbew egung stellt die alten R ollenklischees in Frage und fordert eine angemessene Vertretung auch im nicht-privaten Bereich. aus: Der große Unterschied. Berlin 19 88
Bild 14 : 19 88 : Nach der Berliner Senatswahl stellt der neue Bürgermeister seine Regierung vor, in der zum ersten Mal mehr Frauen als M änner vertreten sind. © Landesbildstelle Berlin
richt zu verw enden. Dafür möchten w ir einige Anregungen geben. (Zur Arbeit m it Bildern siehe FREM D- SPRACHE DEUTSCH, Heft 5: Das Bild im Unterricht) Alle Arbeitsvorschläge sollten in Gruppenarbeit durch geführt werd en. Zu beacht en ist: Die Bilder zeigen d ie Entwicklung de r Frauen rolle und des Frauenbildes in der alten Bundesrepub lik Deut sch land von 1933 bis 1990. Die Entwicklung in der ehe maligen DDR ist nac h de r noch allen gemeinsamen Erfahrun g bis 1945 sowohl zeitlich als auch inhaltlich and ers ver laufen.
Option 1: Die Schüler erhalten eine chro nologische Zeittafel zur deu tschen Nachkriegsgeschichte in ihrer Mutterspra che (in höheren Klassen eventu ell auf deutsch) und d ie Bilderse rie „Trümmerfrauen“ ohne die Textteile. Aufgabe: Die Schüler s ollen vers uch en, die Bilder den historischen Daten zuzuordnen und ihre Zuordnung begründ en. Bei der Begründung können Parallelen/Kontras te zur Entwicklung des Frauenb ildes und der Frauenro lle im eigenen Land bes prochen werden. Die Aufgabe wird sich ver mut lich nicht für alle Bilder lösen lassen. Auch wird d en Schülern wahrsch einlich auffallen, daß die Geschichte von Frauen in den üblichen histor ischen Zeittafeln nicht vorkommt.
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Option 2:
Option 5:
Die Schüler erhalten die Bilder ohne die Texte mit dem Hinweis, daß diese Bilder die Verände rung der Frauenr olle in Deutsch land seit dem Zweiten Weltkrieg zeigt. Aufgabe: Die Schüler s ollen vers uch en, die Bilder in eine chron ologische Reihenfolge zu bringen und diese Reihenfolge be gründen. Auch bei dieser Aufgabe können Parallelen/Kontras te zur Entwicklung des Frauenbildes und d er Frauenrolle im eigenen Land bes proch en werden.
Die Schüler erh alten nur ausgewählte Kontras tbilder ohne Text, z.B.: Bild 1 – Bild 2 (Bild 3)/ Bild 4 – Bild 6/ Bild 3 – Bild 10/ Bild 2 – Bild 7 (evt . Bild 9) / Bild 7 – Bild 8/ Bild 7 – Bild 13/ Bild 11 – Bild 14/ Bild 9 – Bild 13/ Bild 1 – Bild 14 Aufgabe: Die Schü ler so llen jeweils ver suc hen , den inhaltlichen Zusammenh ang zwischen den beiden Bildern heraus zufinden und mündlich oder s chriftlich zu beschreiben.
Option 3: Diese Option kann sowohl in Verbindung mit den Optionen 1 und 2 als auch unab hängig davon bearbeitet werden. Die Schüler erhalten die Bilder ohne die Texte. Sie erfahren, worum es sich bei diesen Bildern handelt. Aufgabe: Die Schüler versuchen, die Bilder thematisch zu er fassen d. h., einen Themenkatalog für die Entwicklung der Frauenrolle aufzustellen. Die Themen können a uch in d ie Form von Schlagworten oder Zeitungsübe rschr iften gefaßt werden. Dann werd en kurze Bildlegenden zu den einzelnen Bildern geschrieben. Die Ergebnisse werden s päter d en originalen Bildunter schr iften gegenübergestellt
Option 4: Die Schüler erhalten die Bilder und die Texte mit den Daten, aber getrenn t. Aufgabe: Die Texte sollen d en Bilder n zugeor dnet werden.
Option 6: Einzelbildbeschreibung. Diese Option kann im Zusammenhang mit den Optionen 1 und 2 gewählt werden. Die Schüler such en s ich eins der Bilder aus und bes chreiben es detailliert im Zusammenhang mit der histo rischen Situation, auf die das Bild s ich bezieht.
Option 7: Zur Vertiefung und Vergegenwärtigung der Lebenss ituation von „Trümmerfrauen“ könnten Texte aus dem Buch: Trude Unruh (Hg.): Trümmerfrauen. Klartext-Verlag, Essen 1987 heran gezogen werden (In d er Zeitschrift zur Ausst ellung ist ein Text aus diesem Buch abgedru ckt.)
Zum Lesen u nd Nach sch lagen mit Abb ildungen u nd Karten. Gut lesbar: Diether Raff: Deutsche Geschichte vom alten Reich zum Vereinigten Deutschland. Neuausgabe. W. Heyne Verlag, München 1992, Tasc hen buc hau sgab e, 600 S., DM 24,80.
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Seit 10 Jahren: AKTUELLES in Schw ede n Im Frühjahr wurde „AKTUELLES für de n Deuts chu nte rricht“ zehn Jahre alt. Diese Zeitschrift, die anfänglich gar keine sein wollte, gehör t also zu den älteren unter den sogenannten PV-Zeitschriften des Goethe-Instituts. (PV = Pädagogische Ver-
ZEITSC HRIFTEN
STELLEN SIC H V O R:
A KTUELLES für d e n Deutschunterricht (Schweden)
bindungsarbeit)
Für di e Deut schleh rer aller Schularten – Von der Uni Uppsala und vom Goethe-Institut Sie war zunächst als reines Informationsorgan für die schwedischen Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer in der Oberstufe der neun jäh rigen Gru ndsch ule, der dreijährigen Gymnasialschule und in der Erwachsenenbildung gedacht. Herausgegeben wird sie von d er Fortbildungsabteilung der Universität Uppsala und dem Goethe-Institut in Stoc kholm. Von beide n Institutionen wird sie auc h finanziert. Wichtig in diesem Zusammenhang: Noch gelingt es den Herausgebern, die Zeitschrift kostenlos anzubieten. Mittlerweile pendelt die Auflage um 3500 herum (wobe i mit dieser Auflagenhöhe noch lange nicht alle potentiellen Abnehmer erre icht werd en) . Die Steigerung der Auflage in letzter Zeit hängt damit zusamme n, daß seit 1992 auch die Deutschlehrer in Island und in Estland Interesse an dieser Zeitschrift gezeigt haben.
Vom Mit teilungsblatt zur „ Fachzeit schrift “ Ursprünglich war die zweimal im Jahr (März und November) erscheinende Zeitschrift „eine Sammlung aktueller Materialien“ und „nützlicher Hinweise“, ein
„Mitteilungsorgan“ (ü ber Stipendienmöglichkeiten, Lehrmat erialien des Goethe -Inst ituts, Seminarankündigungen etc.) mit mehr o der weniger kurzen methodischen oder landeskundlich-informativen Texten dazwischen. In den letzten Jahren hat sie sich jedoch mehr und mehr zu einer echten methodischdidaktischen Fachzeitsch rift für Deutschlehrer aller Schularten gemausert. Für ein solches Organ besteh t in Schweden auch mehr als vielleicht anderswo Bedarf: Es gibt im Lande keine vergleichba re Publikation, welche die Deutschlehrer so umfangreich und kontinuierlich mit „Sto ff“ verso rgt.
Konzept und Gestalt ung Natürlich ist der Informationsteil durch diese „Metamorphose“ nicht weggefallen. Seit geraumer Zeit gibt
es einen NeuerscheinungsBesprechungsdienst. Dazu treten mehr oder weniger umfangreiche Beiträge in den Spar ten „Landes kunde“, „Meth odisch es“, „Spr ach e“, „Medien“ etc. Auch Abdrukke aus anderen Zeitungen und Zeitsch riften, sofern s ie „ins Pro gramm“ d er jeweiligen Nummer passen und kostenlos abgedruckt werden dürfen, sind neuerdings öfters zu finde n. Die Span nweite der Inhalte ist dabei beträchtlich: Sie reicht vom mehr theoretisch-didaktisch en Aufsatz etwa üb er die Anredekonventionen im Deutschen bis hin zu (sehr geschätzten) unterrichtspraktischen Beiträgen (mit Angabe der Klassen stu fe, für die sie geschrieben sind), die der Lehrer fotokopiert in die Klasse mitnehme n kann. AKTUELLES hat keine Themenhefte, auch wenn
die einzelnen Nummern oft um einen umfangreichen Beitrag zu einem bestimmten Thema herumgruppiert sind: • Nr. 11/12: BRDDR • Nr. 13: Bildungssystem in Deutschland • NR. 14 Jugendbücher im Deutschunterricht/ Jugendbuchliste • Nr. 15: Thema „Arbeit“ im Landeskundeunterricht Der „Haup tar tikel“ bes timmt oft auch das Titelbild. Und da ra uf ist AKTUELLES sch on ein bißchen stolz: Es hat nämlich einen sogenannten Hausgrafiker (Ulrich Hofmann) „zur Hand“, der die Titelseiten gestaltet und der oft auch im Inneren d es Heftes ordnend, karikierend, layoutend wirkt. Wenn AKTUELLES denn eine „Philosophie“ hat, dann die: Die Zeitschrift soll den Lehrerinnen und Lehrern nützen (nicht nur unmittelbar für den Unterricht, sondern auch im Sinne der e igenen Fortbildung) – und sie soll so aufgemach t se in, daß man gern in ihr blätter t.
Nordische Kooperation Seit ein paar Jahren gibt es auch ein AKTUELLES Norwegen und ein AKTUELLES Finnland. Die Redaktionen der einzelnen Zeitschriften sind völlig unabhängig voneinander, was bei der Differenzierth eit der Region Nordeurop a auch nicht Wunder nimmt. Jedoch werden die Artikel ausgetauscht und überhaupt wird mehr kooperiert: Einmal im Jahr treffen sich die Mitglieder der Reda ktionen (me ist in Stoc kholm) zu einer Redaktionsbesprechung AKTUELLESNordeuropa, in diesem Herbst erstmals auch mit den Fachberatern aus den drei baltischen Staaten. ANDREAS PAULDRACH
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gleich aber soll die zunehmende Sprachbeherrschung den Schülern die Möglichkeit geben, die andere Kultur und Nation tatsächlich kennenzulernen und die vorhandenen Stereotypen durch eigene Wahrneh mung zu überpr üfen. Damit das möglich ist und Wahrnehmung nicht nur durch die Brille vorhandener Stereotypen erfolgt, müssen die vorhandenen Stereotype über da s Zielland und die Rolle der Stereotypen im Wahrnehmungsprozep thematisiert werden.
Ster eotyp und Vorurteil Stereo typ und Voru rt eil werden im Alltag meist synonym verwendet. Man bezeichnet damit feste, negative, diskriminierende und falsche Verallgemeinerungen. Heute versucht man in der Forsch ung, die beiden Begriffe zu untersc he iden: Das Vor ur teil gilt als stärker mit Gefühlen besetzt, so daß es eher zu einem diskriminierenden Verhalten führe n kann und dann eine von vornherein feindselige Haltung ausdrückt („die Deutschen sind kalt und machtbesessen“), während Stereotyp eher die gefühlsmäß ig neutrale, kognitive Form der Verallgemeinerung bezeichnet („Alle Deutschen arb eiten viel“). Stereotypen sind eine Art schematischer Denkund Wahrnehmungshilfen, deren sich jeder bedient, um die Vielfalt der Erscheinungen für sich zu ord nen und zu vereinfachen. Die Stereotypen, die jede Nation und jede soziale Grupp e über andere Nationen und andere soziale Gruppen
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hat, gehören zu den Konventionsbeständen dieser Gruppen, zu ihrem „Weltbild“; sie werden von den Mensch en durch Erfahru ng oft nicht modifiziert oder korrigiert. So ist es sicher im Vergleich zu anderen Länd ern rich tig, wenn man sagt „die Deutschen sind pün ktlich“ – die Erfahr ung würde aber lehren, daß dies eine se hr s tar ke Vera llgemeinerung ist und in der Realität auch in Deutschland sich viele Menschen, die Eisenbahnen etc. verspäten – gleichzeitig gilt, daß Pünktlichkeit für viele Deutsche (wiederum im Gegensatz zu anderen Nationen) durchaus ein „Wert“, ein akzeptiertes Merkmal eines tüchtigen Mensch en ist. Im Fremdsprachenunterricht müssen Lehrbücher un d Lehrer not wendig mit Stereotypen arbeiten, um ihren Schülerinnen und Schülern trotz knap per Zeit und begrenzter Sprachkennt nisse eine Vors tellung von der Zielkultur und d en Sprecher n d er Zielsprache zu geben – das geht nicht ohne Vereinfachung. Zu-
Literatur:
Bausinger, Hermann: Stereotypie und Wirklichkeit. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 14, 1988, S. 157 – 170. Six, Bernd : Stere otype und Vorur teil im Kontext sozialpsychologischer Forschung. In: Günth er Blaicher (Hg.): Erstarrte s Denken: Studien zu Klischee, Stereotyp und Vorurteil in englischsprachiger Liter atu r. Tübingen 1987, S. 41 – 54.
Selbstbi ld und Fremdbild
derung erhoben worden, nicht lediglich ein objektives Bild von der anderen Kultur zu vermitteln, sondern auch das, was die anderen über die eigene Gruppe denken. Deshalb werden für den Deutsch unterricht oft Texte angeboten, in denen die Meinungen von Deutschen über die jeweils andere Kultur art ikuliert wird. Keller h offte, ein gegens eitiges Vers tehen von Gruppen untereinander dadurch zu erreichen, daß das Selbstbild und die beim andern vermuteten (also z. B. solche, von denen die Deutschen meinen, daß die Franzosen sie über die Deutschen haben) und ermittelten Fremdbilder miteinander in Einklang gebracht werden, eine sehr anspruchsvolle und schwer zu realisierende Erwartung. Realistischer ist es wohl, sich dara uf zu besch ränken, die Versc hiedenar tigkeit unter schiedlicher Kulturen und deren Bilder voneinander bewußt zu machen und die Aner kennu ng von Vers chiedenh eit zur Grundlage von Verständigung zu machen.
Individuen und Gruppen habe n nicht nur Vorst ellungen von anderen Menschen und Gruppen, sondern auch von der eigenen besitzen sie Vorstellungen, die Literatur: Gottfried: Erkennt nisse der Sozisich auf gemeinsame Wert - Keller, alpsychologie als Grundlage kulvorstellungen beziehen. turkund licher Didaktik. In: PRA XIS DES NEUSPRACHLICHEN Stereotypen, die sich auf UNTERRICHTS 16, 1969, S. eine fremde Gruppe bezie261–281. O´Sullivan, Emer: Der produktive hen, nennt man HeteroUmgang mit nationalen Stereodie das stereotypen, typen in der Kinder– und Jugendliteratur als Teil landesFremdbild dieser Gruppe kundlicher Bewußtmachung im ausmachen, also etwa das Fortgeschrittenenunterricht. In: NEUSPRACHLICHE MITTEILUNBild, das Franzosen von GEN 1987, Heft 4, S. 217 – 222. den Deutsch en h aben; Die Trautmann, Günter (Hg): Die häßlichen Deutschen? Deutschland im Vors tellungen, die man von Spiegel der westlichen und östlider eigenen Gruppe hat, chen Nachbarn. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmsind Autostereotypen, die stadt 1991. das Selbstbild oder EigenEMER O'SULLIVAN bild ausmachen. In der Landeskunde ist besonders von Gottfried Keller schon früh die For-
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N D E S K U N D E
Gew ußt w ie … … erk lä rt w a rum
E K C E H l C z e A t R L a P t S b e r i g E S R n Auf dem Gebiet der ehema ligen DDR ha t sich vieles geä ndert und verä n- E V o S dert oder: über „ä ndern“ und „verändern“ N U Zu d en Verb en, d ie vielen Deutschlernenden Kopfzerbrechen bereiten, gehören die Verb en „änd ern “, „verän dern“, „abändern“, „umänder n“ und in Verb indung damit auch „wechseln“, „wandeln“, „verwandeln“ und „umwandeln“. In nicht wenigen Sprachen steht diesen deu tschen Verben nu r ein Verb der Ausgangssprache gegenübe r. Genau anzugeben, unter welchen Bedingungen die obe n genannten Verb en verwendet werden, ist sehr sch wer, da viele versch iedene Faktoren den Gebrauch bestimmen. 1) Wir wollen uns hier auf die Unterscheidung von „ändern“ und „verändern“ beschränken und in späteren Heften e vtl. auf die ande ren Wörte r zurückkommen. Sowoh l „änd ern “ wie „verändern“ sind von „anders“/ „ander-“ abgeleitete Verben und bedeuten beide – je nach der Ausdruckweise – „etwas anders machen“ oder „anders werden “:
Worin unterscheiden ten, Inhalte, Vorschriften, zwischen „änder n“ und „versich nun die beiden Verben ? Gesetze, Normen, die Mei- änder n“ so aus: Man hat versucht 2) , den nung, sein Urteil, These n, nur „verändern“ Unterschied aus der Vorsil- eine Theorie, ein Kon- nur „ändern“ möglich möglich be „ver-“ herauszuh olen und z ept , einen Plan, eine erklärt, bei „verändern“ lie- Absich t, eine Vorliebe ge stärker als bei „ändern“ etc. der Blick auf de m Ergebnis. Man verändert da s Ich kann mich dieser Deu- Ausse he n von etw., die „ändern“/ „verändern tung nicht anschließen. Ich Form v on e tw., die Größ e möglich bin der Meinung, daß die von etw., den Klang von Antwort auf die Frage, wann etw., die Stimme, ein BauHier sei zu den drei Fälman „ändern“ und wann werk, eine Landschaft, eine len nur s o viel gesagt: man „verändern“ verwen- Plastik etc. „Ändern“ bezieht sich auf den soll, hauptsächlich Sage ich: „In d er früh eren zwei Arten von „Tun“: (wenn auch nicht allein) DDR hat sich vieles geän- 1. (eben so wie „veränd ern“) davon ab hängt, an welchen der t“, dann d enke ich an d ie darauf, daß man an etwas Objekten / „Gegenständen“ Gesetze, Vorschriften, Prei- einiges anders ma cht und man etwas anders macht, se, Gewohnheiten etc. Sage 2. darauf, daß man etwas bzw. etwas and ers wird. ich: „Dort hat sich vieles neu festlegt, d. h. etwas 3) Es gilt die Faustre gel : verändert“, denke ich eher Altes (bisher Geltendes) daran, daß das Straßenbild durch etwas Neues (nunObjekt nicht konkret: in den Städten z.T. schon mehr Geltende s) ersetzt . ändern anders aussieht, daß es In d iesem letzte ren Falle Objekt ko nkret: „westlich“ wirkende Ge- ist „ändern“ nicht durch verändern schäftsauslagen und Ge- „veränder n“ erset zbar: Ein konkretes Objekt ist schäftsfassaden gibt, daß Man hat de n Nam en der Stadt etwas, was man sehen, sich auf den Autoba hnen ein geändert. Aus Karl-Marxhören, riechen, tasten oder anderes Erscheinungsbild Stadt wurde wieder Chemschmecken kann. bietet als früher. nitz. – Meine TelephonnumMan ändert Preise, TariDie obige Faustregel mer hat sich geändert. Statt fe, Abfah rtz eiten , Öffn ungs- stimmt nur grob. In Wirk- der Nr. 768553 habe ich nun z eiten , Te rmine, Gew oh nh ei- lichkeit s ieht das Verhä ltnis die Nr. 6471373.
I. etwas and ers machen 1. Wir ändern die Parkgebühren. 2.Ich werde mich ändern. Ehrenwort! 3.Kann ich me inen Charakter ändern? 4.Man könnte den Text so ändern, daß ... 5.Ich kann (es) nicht ändern, daß e r imm er zu spät kommt.
II. a nd er s w er den
1. Wir verändern die Fassade des Hauses. 2. Er hat sich durch Schminken verändert. 3. Er hat sein Aussehen verändert. 4. Man könnte das alles so verändern, daß ... 5. –
1. Die Parkgebühren werden sich ändern. 2.Jeder ändert sich mit der . Zeit. 3. (Die Wolke ände rt ihre Lage. = Die Lage der Wolke ändert sich.) 4.Man kann sich so ändern, daß ... 5. –
1. Die Fassade des Hauses hat sich verändert. 2. Jeder verändert sich mit der Zeit. 3. (Das Haus hat sein Aussehen verändert.= Das Aussehen des Hauses hat sich veränd ert.) 4. Alles kann sich so verändern, daß ... 5. –
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Ähnliche Fälle sind: ein Code-Wort, eine Note, einen Wechselkurs, einen Preis, einen Termin, ein Satzzeichen, Gebühren, eine Verkehrsregel, eine Adresse, eine Hausnumm er, den Fam ilienstand ändern. Die Substitution kann sich b ei einer Neufestlegung auch auf Konkretes beziehen. Man sieht daran, daß die oben gegebene Faustregel nicht völlig stimmt. Man vergleiche : Man ha t die Autobah na us fahrt bei Eching geändert. (= Man hat festgesetzt, daß eine ne ue Ausfahr t gilt.) Man ha t die Autobah na us fahrt bei Eching v erän dert. (= Man ha t s ie – z. B. – breiter oder schmaler gemacht.) In einigen Fällen, in denen die Grenzen zwisch en „konkret“ und „nicht konkret“ nicht s o sc har f sind, wie z.B. be i „Welt“, „Leb en “, „Situ at ion“ oder auc h bei Bezug auf
die räumliche Lage, auf Intensitätsverhältnisse oder auf bloße Qualitätsangaben findet man auch „ändern“ oder „verändern “. Er möchte am liebsten die ganze Welt ändern/ verändern.– Solche Dinge ändern/ verändern das Leben. – Das änderte/ veränderte schlagartig die Situation. – Der Flugkörper ändert/ verändert seine Position. – Mit diesem Knopf kannst du die Lautstärke ändern/ verändern . - Das alles wird einiges ändern/ verändern. 1) Vgl. dazu: S. Latzel: Die Verben
„ändern“, „wande ln“, „wechse ln“, „tauschen“ und ihre Zusammensetzungen mit „ver-“„um-“, „ab-“ etc., München 1979. 2) Vgl. dazu Wolfgang Müller, Leicht verwechselbare Wörter, Mannheim 1973, S.31 f. 3) Zu den genaueren Regeln siehe Fuß note 1.
Eine kleine Übung: „ ändern“ / „ verändern“ ? 1. Durch eine Schönh eitsoperation kann man das Ges icht eines Mensc he n .................. 2. Negativ ist, daß sich in den n euen Bundesländer n die Mieten und die Preise................ haben. 3. Das Medikament hat den Gesch mack der Milch ............... Sie sc hm eckt jetzt ganz b itte r. 4. Man hat den Namen der Stadt ................. Aus Leningrad wurde wieder St. Petersbu rg. 5. In d er letzten Legislaturp eriode wurden viele Gesetze un d Vor sc hr iften ................. 6. In einigen Jahren wird sich d as Auss ehe n vieler Städte in d en n euen Bundes länder n ............... hab en. 7. Atro pin ............... die Pup ille. Die Pup ille er weiter t sich unter Einwirkung der Tropfen. 8. Ich kann es nicht ................, daß Otto so vergeßlich ist. Das ist eine Alter ser sch einung. 9. Ich fahre nicht nach Berlin. Ich hab e m einen Plan ............ 10. Witterungseinflüsse haben die ursprünglichen Farben der Wandbemalung stark ................ 11. A: Ich halte nicht viel von Science-fiction-Romanen. B: Lies erst einmal dieses Buch hier, dann wirst du de ine Ans icht ............... 12. Wen n weiß es Pap ier lan ge in d ie Son ne liegt, ............... sich seine Farbe.
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TERMINE 1992 · TERMINE 1992 · TERMINE 1993 · TERM 19. – 22. 7. 1992 Association of American Teachers of German (AATG):Deutsch in Baden-Baden amerika nischen und europäischen Kontex ten. Info: Prof. Renate Schulz, German Departement, University of Arizona, Zucson, Arizon a, USA. 31. 8. – 4. 9. 1992 12. Welt-Computer-Kongreß, International Federation f or Madrid Information Processing (IFIP). Info: J. Fourot, Executive Secretary, 121 Avenue de Malakoff, F-750 16 Paris/ Frankr eich. 7. 9. – 12. 9. 1992 Internationales Kuratorium für das Jugendbuch (IBBY-Kongreß): Berlin Die W elt des Kindes im Kinderbuch. Da s Kinderbuch in der Welt des Kindes. Info: Sekretariat IBBY-Kongreß, Nonnenweg 12, Postfach, CH 4 00 3 Basel, Schweiz. 20. – 26. 9. 1992 Sonnenbergtagung:Fremde und Fremdes verstehen lernen. Sonnenberg Ziele, Stile, Inhalte und Arbeitsformen im modernen Fremdsprachenunterricht. Info: G. Meister, Internationaler Arbeitskreis Sonnenberg, Bankplatz 8, D-W-3300 Braunschweig . 30. 9. – 2. 10. 1992 Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL): Saarbrücken Nachbarsprachen in Europa. Info: Prof. Dr. Klaus Mattheier, Universität Heidelberg, Germanistisches Semina r, Karlsstr. 2, D-W-69 00 Heidelberg. 30. 9. – 5. 10. 1992 Buchmesse: Schwerpunktthema Mexiko Frankfurt 9. – 14. 10. 1992 Moskau
Fachsprachensymposium des Internationalen Deutschlehrerverbandes in Moskau. Info: APNJA, Ostoshenka 38, 119 800 Moskau.
26.11.– 29.11. 1992 Expolingua: Internationale Ausstellung für Sprachen, Frankfurt Übersetz ung und mehrsprachige Kommunikation. Info: Mainzer Ausstellungsgesellschaft, Alexander-Diehl-Straße 12, D-W-6500 Mainz. 2. – 7 . 8. 1993 X. In ternationale Deutschlehrertagung:Deutsch als Leipzig Fremdsprache in einer sich w andelnden W elt. Info: IDT Leipzig 1993, Herder-Institut der Universität Leipzig, Lumumbastr. 2, D-O-7022 Leipzig. 8. – 14 . 8. 1993 10. Weltkongreß der Gesellschaft für Angewandte Linguistik: Amsterdam Sprache in einer multikulturellen Gesellschaft . Info: Dr. Johan Matter, Vrije Universiteit, Faculteit der Letteren, Postbus 7161, NL-1007 MC Amsterdam. Fortbildungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer: Die Broschüren Fortbildung 92 / Fortbildung 93 des Goethe-Instituts können bei dem für Sie zuständigen, nächstliegenden Goethe-Institut angefordert werden. Die Inf orm ationsbroschüre des Deutschen Ak ademischen AustauschdienstesSommerkurse 92 an den Hochschulen der Bundesrepublik ist erhältlich bei: DAAD, Kennedy-Allee, D-W-5300 Bonn 2. Über die ganzjährig laufenden Fortbildungsveranstaltungen des Herder-Instituts der Universität Leipzig informiert: Herder Institut der Universität Leipzig, Arbeitsgruppe Fortbildung/ Kurse, Lumumbastr. 2-4, D-O-7022 Leip zig.