Kapitel 1 Erste Dämmerung Viele Jahre später, vor dem selben Wald wachte ein junger Mann von etwa achtzehn Sommern auf. Das harte Gras stach in seinem Rücken, schnitt in seine Arme und zwickte an seinen Beinen. Der Kopf des jungen Mannes schmerzte, wie nach einem harten Stoß. Langsam begann er sich zu bewegen. Wo war er? Wie war er hierher gelangt? Wieso trug er nur eine Hose? Langsam stemmte er seine Arme gegen den trockenen Boden und drückte dich unter dem brechenden Geräusch der spröden Halme hoch, bis er sich besser umsehen konnte. So weit er sehen konnte nur Steppe. Und natürlich der Wald, an dessen Rand er sich befand. Bedächtig rappelte er sich auf, wobei sein Blick auf den Beutel am Boden fiel. Es handelte sich um einen zerfetzen Mantel, gefüllt mit allerlei Mitbringseln. Etwas Längliches war dabei. Vorsichtig entpackte er das Bündel, wobei ihm zunächst ein Kleidungsstück für seinen Oberkörper in die Hände fiel, allerdings fehlte der linke Ärmel. Danach sah er den Gürtel und ein großes Tuch Kurzerhand zog er beides an, wobei er das große Stoffstück nutzte um sein Gesicht darunter zu verbergen. Als letztes nahm er das Schwert aus dem Beutel. Es sah erstaunlich aus. Ein etwa vier Fuß langes Schwert, das aus zwei Klingen bestand, die in der Mitte voneinander getrennt waren. Der relativ lange Griff lag gut in der Hand, die scharfen Seiten des federleichten Schwertes waren von höchster Eleganz. Ein Einhänder. Nach einigem Probieren gelang es ihm, aus dem Mantel und einem Stück Holz ein Rückenträger für die Klinge zu fertigen. Die Reste des Mantels zog er an. Es musste bizarr wirken, ein Mann mit weißem, leicht fliederfarbenem Haar, einer zerrissenen Jacke, einem zerfetzten Mantel, intakter Hose und einem eigenartigen Schwert. Nicht zu vergessen das Tuch, dass sich über sein Nasenbein zog und alles unterhalb verbarg. Da stand er nun. Wohin würde er gehen? Wohin sollte er gehen? Der rauschende Wind war es, der ihn die Entscheidung fällen ließ. Der Wind kam von Süden und wollte nach Norden. Er würde dem Beispiel des Windes folgen. Dem Säuseln der bewegten Luft folgend, trat er in den Wald ein. Rauschend wogten die Bäume, wispernd wurde das Laub vom schwachen Wind bewegt. Der Wald flüsterte seine gesamte Geschichte in die Ohren des jungen Mannes. Die Blätter erzählten von uralten Sagen, von blutigen Schlachten, längst vergangenen Zeiten und ihrer Unterwerfung durch die Menschen. Die knorrigen Bäume raunten ihm Lieder zu, die ihm seltsam bekannt vorkamen, sie riefen ihn zu sich, schrieen um Hilfe, baten ihn den holzigen Ästen zu folgen. Je weiter er in den Wald eindrang, desto intensiver wurde der würzige Geruch des Holzes, mit einem Hauch Harz und einer leichten Note Steinpilz, desto bewucherter der Boden, den die Farne streichelten, die Wurzeln der Bäume umarmten und die Ranken liebkosten, desto höher die Bäume, umso dichter ihr Blätterdach und umso verwunschener die Atmosphäre des Waldes.
Langsam begannen sich Tiere zu zeigen. Ein Eichhörnchen wieselte weit oben in dem dichten Gehölz der Bäume, wand sich um einen dicken Ast und jagte schließlich den Stamm herunter, nur um kurz vor der Erde abzuspringen und einen anderen Baum zu erklimmen. Vögel zwitscherten im Efeu, unsichtbar für jeden Betrachters Auge, singend verborgen zwischen den dunklen Blättern. Als das letzte Tageslicht zwischen den Ästen verschwand, beschloss er sich einen Platz zum rasten zu suchen. Ein besonders großer Baum wirkte äußerst einladend, zwischen seinen gigantischen Wurzeln war eine kleine Mulde, perfekt zum Übernachten geschaffen. Mit einigen riesigen, wohlriechenden Blättern kleidete er sie aus, fütterte den Raum zwischen Blatt und Wurzeln mit Moos, dessen erdiger Geruch ihm angenehm in die Nase stieg. Einige besonders große lederartige Blätter dienten dem jungen Mann als Decke. Es dauerte nicht lang und er schlief ein. Auch in der Nacht erzählten die Bäume weiter, ihre Geschichten aus knarrenden und raschelnden Geräuschen fanden sich auch in seinen Träumen wieder. Als er wieder aufwachte dämmerte es. Ein wohliges Gefühl der Wärme hing zwischen den vom Licht orange gefärbten Bäumen. Dem Stand der Sonne nach war es Morgens. „Der Norden ruft...“, dachte er, und machte sich auf, um weiter seinem Ziel entgegen zu streben. Sein Nachtgemach ließ er so zurück, wie er es angerichtet hatte, die Natur würde es wieder in sich aufnehmen. Schneller als am Vortag lief er nun in Richtung seines ihm noch ungewissen Ziels, wohl wissend, dass der Wald bald enden würde. Ab dem Moment dürfte seine Reise sich unglaublich erschweren. Unterwegs kam er an einigen Bäumen mit riesigen, saftigen Früchten vorbei, an denen er sich reichlich bediente und die Taschen seines verschlissenen Mantels ebenfalls damit anreicherte. Es dauerte noch fast zwei Tage, bis er den Waldrand erreichte. Vor ihm lagen weite Ebenen, die von kräftigem, grünen Gras überzogen waren. In der Ferne waren die Umrisse einer Stadt zu erkennen. Der Wind hatte ihn nicht betrogen. Hier würde er endlich etwas über sich erfahren können. Zumindest hoffte er das. Nach einiger Zeit sichtete er einen Weg, nicht besonders viel befahren, aber ihm begegnete dennoch fast ein halbes Dutzend Menschen, die alle an ihm vorüberzogen und ihm einen mitleidigen Blick zuwarfen. Vermutlich nahmen sie an, er sei ausgeraubt worden. Oder ein Dieb auf seinem Weg zum Schafott. Er lief bereits einige Stunden, als er plötzlich bemerkte, dass jemand neben ihm lief. Vermutlich hatte die Person von hinten aufgeholt. Doch seltsamerweise schien sie ihn nicht überholen zu wollen. Auch nicht zurückfallen. Sie hatte ihre Laufgeschwindigkeit an seine angepasst. „Mein Name ist Kira“, die Stimme klang hell, freundlich und angenehm. Sie strahlte etwas beruhigendes und sympathisches aus, als wäre sie ihm irgendwie vertraut. „Freut mich“, meinte er, und sah sie an. Ihre langen silberfarbenen, fast weißen Haare wogten im Wind und ihre roten Augen musterten ihn genauso interessiert, wie die seinen sie. Ihre Haut war sehr blass, wirkte leicht durchscheinend und ihr dunkler Mantel schmiegte sich perfekt um ihren wunderbaren Körper, flatterte leicht unter einer Böe. Besonders groß war sie allerdings nicht, sie ging ihm bis zur Brust. Lautlos musterte er sie weiter, stellte fest, dass sie bewaffnet war, und zwar mit mehr als nur dem einem Dolch, den sie um ihre Hüfte in einem Gürtel trug und dachte gleichzeitig darüber nach, wieso sie ihn angesprochen hatte.
„Kennen wir uns?“, fragte er, bemüht verwundert zu klingen. „Ich wage es stark zu bezweifeln...“, antwortete die Fremde mit ihrer wohlklingenden Stimme, „aber Ihr habt meine Aufmerksamkeit auf euch gezogen. Und glaubt mir, dass gelingt nicht vielen. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der in einem derart zerfetzten Mantel, einer vollkommen intakten Hose, einer Maskierung und einem solchen Schwert direkt über die Straße Richtung Stadt läuft, wo man ihn zweifelsohne sofort als Wegelagerer richten würde. Entweder Ihr seid dumm, unerfahren, lebensmüde, entschlossen, oder aber so genial, dass ich Eurem Gedankengang nicht folgen kann. Ersteres schließe ich aus, sonst wäre es nicht zu diesem Gespräch gekommen. Die dritte Möglichkeit ist denke ich ebenfalls ausgeschlossen. Denn so wie Ihr ausseht, habt Ihr erst vor kurzem entschlossen Euer Leben verteidigt. Auch letzteres schließe ich aus. Nicht weil ich mich für so intelligent halte. Lediglich weil mein Gefühl mir sagt, dass Ihr sowohl unerfahren, als auch entschlossen seid. Die Frage ist nur, was es ist, dass Ihr bestrebt zu tun.“ „Hm“, machte er, „hm. Du bist nicht dumm. Aber verdammt geschwätzig.“ Wie ein geschlagener Hund zuckte Kira zusammen. Von da an schwieg sie. Aber sie blieb bei ihm. Es dauerte lange, sie waren bereits fast in der Stadt angekommen, da fing sie erneut an zu reden. „Wenn Du in diese Stadt gehst, wirst du sterben. Glaube es mir. Ich habe bereits genug Menschen dabei beobachtet wie sie hier gerichtet wurden, nur weil sie nicht in die Stadt sollten“ „Ah, ich sehe, Fräulein hat zur Sprache zurück gefunden“, er sprach freundlich, doch ein Hauch von Ironie umspülte seine Worte. „Es ist mein Ernst. Warum solltest du in diese Stadt gehen wollen, wo du weißt dass du dort getötet wirst?“ „Nun gut, Kira. So war doch dein Name, oder? Wir kennen uns seit wenigen Stunden, davon haben wir nur wenige Augenblicke miteinander geredet. Wieso sollte ich dir vertrauen?“ Sie sah ihn an. „Ich habe mich geirrt. Du bist nicht unerfahren und entschlossen. Du bist schlichtweg dämlich. Ich hätte es wissen sollen. Du hast mir ja noch nicht mal deinen Namen genannt.“ Unter dem Tuch das sein Gesicht bedeckte konnte man eine Bewegung sehen. Ein Grinsen. „Du wolltest wissen was ich in der Stadt suche, oder? Also gut, ich sage es dir. Ich suche nach Antworten. Und meinen Namen... Den weiß ich nicht.“ Das geschockte Gesicht in das er nun sah, verriet ihm, dass Kira mit dieser Antwort niemals gerechnet hätte. „Du... du kennst deinen Namen nicht? A-... Aber du bist mindestens Siebzehn Sommer alt. Wie nennen dich denn die Leute, wenn sie keinen Namen für dich haben? Du musst doch irgendwelche Freunde haben die dir einen Namen gegeben haben!“ Er schüttelte den Kopf. „ Ich kann mich an nichts erinnern. Vor einigen Tagen wachte ich auf den dunklen Feldern hinter dem Wald auf. Bekleidet nur mit einer Hose. Neben mir lag ein Paket, bei dem es sich um diesen Mantel handelte. Darin waren das Tuch, mein Hemd und ein Schwert. Natürlich wusste ich nicht wohin ich gehen sollte, also wartete ich bis mir der Wind den Weg nach Norden wies. Ich folgte seinem Wispern und folgte ihm, bis hierher. Glaubst du ernsthaft, dass ich zurück gehe? Ich habe nichts zu verlieren außer meinem Leben. Doch dass ist mir, so wie es im Augenblick ist, nicht besonders viel wert. Es kann kein Zufall sein, dass ich nach diesem langem Weg endlich eine Stadt gefunden habe. So etwas, nennt man Schicksal. Entweder ich gehe in dieses Dorf und sterbe, oder ich gehe in dieses Dorf und werde es auch wieder verlassen.“
„Moment mal“, Kiras Stimme hatte plötzlich einen merkwürdigen Unterton. „Du sagtest gerade du kämest von Süden. Und du wärst dem Wind gefolgt. Das hieße aber, du hättest den Wald durchquert.“ Er nickte. „Ja das ist richtig. Ich bin durch den Wald gegangen. Ich habe ihn durchquert und bin so hierher gelangt.“ Der Ausdruck der Furcht trat in Kiras Augen. „Du warst im Wald? Wieso lebst du dann noch? Das kann nicht sein! Der Wald ist ein Ort voller Gefahren, niemand, nicht mal der König persönlich würde es wagen den Wald zu betreten. Seit etwa einhundert Sommern geschehen seltsame Dinge in den Wäldern. Leute verschwinden darin, und tauchen plötzlich tot in anderen Regionen Salamoniens wieder auf. Doch nicht genug. Seit einiger Zeit, droht der Gott dieses Waldes den Menschen in dieser Gegend mit einer Plage, schlimmer als alles, was sie je zuvor erlebt haben!“ „Das ist doch Schwachsinn! Warum sollte ein Gott so etwas tun?“ „Die Menschen hier behaupten, ein böser Dämon hätte von ihm Besitz ergriffen. Allerdings kann das unmöglich sein, sonst wären wir alle längst tot. Die wahren Gründe kennt niemand. Nur die alten Herrscher von Teredo, dem Urquell allen Lebens können ihn wissen, denn nur sie gebieten über die Geschehnisse in Salamonien!“ „Nun, dann werde ich zunächst in die Stadt gehen, mich weiter umhören und versorgen und anschließend nach Teredo aufbrechen. Schließlich müssen diese Götter auch etwas über mich wissen.“ „Wenn du meinst... Ich sehe bereits, deine Meinung wirst du nicht ändern. Vollkommen egal was ich dir sagen würde.“ „Stimmt“, Kira war sich sicher das er grinste. „Gut dann komm ich halt mit“, nun war es Kira die ein breites Grinsen auf dem Gesicht hatte. „Warum bitte solltest du das tun wollen? Möglicherweise geh ich dabei drauf. Und du auch“, der junge Mann sah sie fragend an. „Hm, ich weiß nicht was ich sonst machen sollte, und das ganze klingt nach einer Menge Spaß. Ich habe seit Ewigkeiten niemanden mehr getroffen, der mich so fasziniert hat, wie du. Wieso also sollte ich mir diese Gelegenheit entgehen lassen?“ „Wenn du meinst...“ Nach etwa einem Tag Reise, der durch die Gesellschaft einer anderen Person merklich angenehmer war, kamen sie in der Stadt an. Was sie vorfanden waren riesige Menschenmassen, mit einigen Zwergen, Elfen oder Ressha dazwischen. Ressha sind riesige Echsenmenschen, die jeden Menschen um mindestens drei Köpfe überragen, meistens sind sie sogar noch größer. Die Farbe der Schuppen eines Ressha ist sehr variabel, von Schwarz über Grün und Rot, bis hin zu sehr hellen Blautönen, können sie nahezu jede Farbe haben. Das bunte Getümmel war schwer beeindruckend, wirkte allerdings nicht besonders harmonisch. An den Wegesrändern saßen überall bettelnde Leute, deren Rasse und Verfassung so unterschiedlich waren, wie sie nicht unterschiedlicher sein konnten. Der Namenlose und seine Begleiterin fielen kaum auf, zumindest nicht auf den ersten Blick, obwohl er im Gegensatz zu den meisten Leuten hier erstaunlich groß war. Die meisten Menschen überragte er um fast einen Fuß. Nun wurde er sich der Tatsache bewusst, das Kira keineswegs klein war. Er war lediglich groß. Die orangefarbenen Augen des jungen Mannes erinnerten an die untergehende Sonne, als er sich umsah und die Umgebung musterte.
Auf der Suche nach einer Kneipe gingen sie weiter in die Stadt hinein, betraten den Marktplatz, auf dem das Menschengedränge noch dichter war, als ihm Kira plötzlich am Ärmel zupfte und auf eine Bar deutete, die in einer Ecke des Marktplatzes lag. Zielstrebig steuerten die beiden Fremden auf die Bar zu, und traten, er geduckt, sie aufrecht, ein. Die Luft in den engen, spärlich beleuchteten Räumlichkeiten war stickig und warm, es roch nach Schweiß, Essen und Bier. Weit hinten an der Bar waren einige Hocker frei, die Kira auch sogleich ansteuerte. Der Namenlose folgte ihr. „Was darf’s sein?“, fragte der einäugige, dicke Wirt mit schroffer Stimme, bei den Worten wippte sein dichter Schnurrbart auf der Oberlippe auf und ab. „Hm. Wasser reicht“, er blickte den Wirt an. Dieser drehte sich um, griff unter die Bar, holte ein Glas hervor und goss Wasser aus einer Karaffe hinein. Als er es ihm hinstellte, sah er fragend Kira an. „Für mich nichts“, meinte diese nur, und sah sich weiter um. Schweigend ging der Wirt fort, nachdem Kira ihm das Wasser bezahlt hatte. Der junge Mann neben ihr hatte, wie er soeben feststellen musste, kein Geld. „Du hör mal“, wandte sie sich an ihn, „Ich find das ganz schön lästig.“ „Hm? Worum geht’s?“, er sah sie fragend an. „Dein Name. Du hast keinen. Und das ist echt nervig, ich kann dich gar nicht richtig ansprechen. Was wenn ich dich irgendwo sehe, und dich warnen will? Du würdest nicht einmal merken dass ich mit dir spreche.“ „Da ist was dran“, er zog sich das Tuch vor dem Gesicht herunter und führte das Glas zu den Lippen, „schmeckt komisch... das Wasser im Wald war besser.“ „Das hier ist kein frisches Quellwasser. Was hast du erwartet? Aber du lenkst ab...“, sie sah ihn finster an, „wie soll ich dich denn nennen?“ „Naja, ich denk mal, ich muss den Namen nicht dauernd sagen, oder? Also schlag selbst was vor“, er nahm einen weiteren Schluck und sah sie an. „Aber du musst den Namen ertragen, du wirst es sein, der sich mit diesem Namen identifiziert. Was ist wenn du ihn nicht magst?“ „Na dann sag ich es dir, und du musst dir was Neues ausdenken. So einfach geht das.“ „Wenn du meinst. Wie wäre es denn mit Nodril oder so was? Obwohl, das klingt seltsam...“ „Allerdings. Es klingt in der Tat eigenartig“, er grinste. „Helio, Nayo, Hyio… Mir fallen nur sehr unbrauchbare Namen ein…”, sie sah ihn entschuldigend an. „Kein Problem, wir haben Zeit“, mit einem letzten Zug leerte er das Glas und zog sich wieder sein Tuch übers Gesicht, „Ich bin mir sicher dir fällt noch etwas Brauchbares ein.“ „Ich freue mich über deine Zuversicht“, Kira sah ihn missbilligend an. Die Ironie, mit der er das gesagt hatte, war nicht zu überhören gewesen. Es wurde spät, die beiden fanden dennoch keinen passenden Namen und Kira beschloss ein Zimmer zu belegen, da sie ansonsten auf der Straße hätten schlafen müssen. Es war schon sehr seltsam. Warum trug der große Mann dort vorne ein Tuch im Gesicht? Und was war das für ein seltsames Schwert auf seinem Rücken? Wieso war sein Mantel so zerfetzt und trank dieser Mann etwa nur Wasser? Und was hatte er mit einer wie Kira zu schaffen? Er hatte diese Frau seit Ewigkeiten nicht mehr in Sanguino gesehen. Was wollte sie hier? Die hatte Nerven... Auf ihren Kopf waren schließlich fünf Barren Gold ausgesetzt. Sie stand angeblich mit dem Teufel im Bund. Das war natürlich Schwachsinn. Ihre roten Augen hatten nichts mit dem Teufel zu tun. Auch nicht mit Dämonen oder sonst welchem Bösen. Es war lediglich ein Fehler bei der Geburt. Sie konnte immer sehen. Egal ob Nacht, Tag, Dunkel oder Hell. Eine Fähigkeit, die zurecht als gefährlich eingestuft wurde. Niemand
würde sich besser zum meucheln in der Nacht bieten, als sie. Bloß dumm, dass sie nicht die geringste Ahnung vom Kämpfen hatte. Wie auch immer. Was hatte der Mann mit ihr zu tun? Plötzlich standen die beiden auf und verschwanden in einer Tür, die ins Obergeschoss zu den Schlafräumen führten. Das Kopfgeld würde er sich holen, soviel war sicher. Vielleicht war ja sogar der Kopf des Unbekannten einen Haufen Gold wert. Die Betten waren gut. Schlicht, aber gut. Blutsaugendes Viehzeug schien es hier auch nicht zu geben. Alles in allem ein sehr gutes Wirtshaus. „So, mir reicht diese Namenssucherei jetzt. Ich nenne dich Sang. Wir sind in Sanguino, also Sang. Mir egal ob es dir passt oder nicht.“ „Was ist denn los? Sang find ich gar nicht so schlecht. Reicht wohl fürs erste. Aber ich bin jetzt müde, wenn du nichts dagegen hast, hau ich mich aufs Ohr“, meinte der frisch getaufte Sang, dann legte er seinen Mantel und das Hemd ab. „Hey Sang“, meinte Kira plötzlich. Ihr geschockter Blick haftete auf seinem rechten Arm, „was hast du da?“ Der Arm war über und über mit roten Symbolen und Ornamenten überzogen, die ein verflochtenes Netzwerk bildeten, das sich von seinen Fingern bis über dir Schulter zog. Sang zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ist mir aber auch egal. Solange es mich nicht umbringt wird’s wohl nicht so schlimm sein.“ Mit diesen Worten ließ er sich auf das Bett fallen und schlief schnell ein. Tiefe Dunkelheit. Perfekt. Nun würde er sie fangen. Kira konnte zwar etwas sehen, doch das würde ihr wenig nutzen. Leise öffnete er die Tür. Weit hinten ihm Raum blinkte etwas, vermutlich das Fenster. Er zückte seinen Mengbilar, einen Dolch, in dessen Griff eine kleine Viole eingelassen war, über die ein lähmendes Gift auf die Klinge übertragen wurde. Wen diese Klinge schnitt, der würde für längere Zeit bewegungsunfähig bleiben. Langsam schlich er an das erste Bett. Darin lag Kira. Die junge Frau hatte die Decke bis zum Kinn gezogen und sich zusammengekrümmt, eine gewöhnliche Schlafhaltung. Da war wieder das Blitzen. War das wirklich das Fenster? Diesmal schien es von woanders zu kommen. Um Kira würde er sich wohl nachher kümmern müssen. Zuerst musste er den Mann ausschalten, möglicherweise war er die Ursache für die Lichtreflexe. Leise schlich er in die Richtung des Bettes. „Alle Achtung“, eine tiefe angenehme Stimmer flüsterte direkt neben seinem Ohr. Blitzschnell drehte er sich um und stach mit dem Mengbilar nach der Herkunft der Stimme. „Zu langsam“, die Stimme war immer noch neben seinem Ohr. Allerdings neben dem anderen. Wieder versuchte er den Uhrheber der Worte mit seinem Dolch aufzuschlitzen. Wieder traf er ins Leere, doch plötzlich packte etwas seine Hand, entriss ihr den Mengbilar und schlitzte ihm damit in den Finger. Dann drückte er ihm die Waffe wieder in die Hand. Jede einzelne Bewegung mit der Hand oder dem Arm würde das Gift schneller verteilen. Also hatte er nur noch etwa zwei bis drei Versuche seinen Gegner außer Gefecht zu setzen. „Mal schauen, wie lang ich noch kann“, murmelte er und blieb regungslos stehen. Der Unbekannte lachte. „Du glaubst doch nicht, dass ich darauf reinfalle, oder? Nur weil du sagst du bleibst stehen heißt das noch lange nicht, dass ich nicht mehr sehen kann, wie du dich bewegst. Jede einzelne deiner Bewegung ist für mich nachvollziehbar, Idiot.“ Leise fluchte er. Sein Gegenüber konnte genau wie Kira in der Dunkelheit sehen. Wie konnte das sein? Solch jemand wie Kira wurde nur so selten geboren, dass es mehr als unwahrscheinlich war, dass zwei davon gleichzeitig existierten.
Plötzlich riss ihn etwas von den Beinen, und eine Kerze wurde entflammt. Kurze Zeit war er geblendet, dann erkannte er einige Umrisse. Eine große Person mit einem Tuch maskiert, einem Atemschutz nicht unähnlich, leicht fliederfarbenen Haaren, und orangefarbenen Augen. Das war der Mann mit Kira. Der eine Arm war ausgestreckt und hielt ihn so, dass er weder an seinen Mengbilar kam, noch irgendwelche anderen Möglichkeiten der Flucht nutzen konnte. Der Arm der ihn hielt war seltsam. Über und über war er mit dunkelroten Ornamenten überzogen, die bis zur Schulter und ein kleines wenig darüber reichten. Wirklich seltsam. Das Gift begann zu wirken. Er versuchte sich zu bewegen, doch es fiel ihm mehr als schwer, nicht nur wegen dem ihn festhaltenden Fremden. „Hmm, was denkst du, kennst du ihn Kira?“ „Kommt mir bekannt vor. Ich glaube dass ist ein Kopfgeldjäger... Ich bin jede Menge Gold wert“, sie zwinkerte ihm zu. „Na dann.“ Mühelos hob er den Gefangenen hoch, musterte ihn, und zog einen Dolch aus dessen Stiefel. Anschließend nahm er ihm den Geldbeutel ab. „Ich frag mich, ob er sich noch bewegen kann“, meinte er nachdenklich, „naja, sicher ist sicher.“ Geschickt zog er mit der freien Hand die Schnüre aus den Schuhen des Kopfgeldjägers, und fesselte ihn damit. Anschließend knebelte Kira ihn und die beiden schoben den Gefesselten unter eines der Betten, wo man ihn nicht so schnell finden würde. Leise schlichen sie sich aus der Gaststätte. Hier konnten sie unmöglich bleiben, meist folgten einem Kopfgeldjäger gleich eine ganze Horde anderer. Das meinte zumindest Kira, auch wen Sang die Logik nicht ganz nachvollziehen konnte. Wäre er ein Kopfgeldjäger, würde er garantiert dafür sorgen, dass außer ihm, niemand an seine Beute rankommen konnte. Wie auch immer. Nun mussten die beiden zunächst unbemerkt entkommen. Sang, der lautlos vor Kira herschlich achtete darauf seiner Verfolgerin alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Leise verließen sie das Wirtshaus und betraten den nächtlichen Marktplatz. „Es ist Nachtruhe. Wenn sie uns jetzt erwischen, dann war’s das für uns“, Kira blickte in Sangs Richtung. „Dann darf man uns halt nicht sehen. Ich frag mich nur, wohin wir gehen sollen.“ „Vielleicht ist die Bibliothek eine gute Idee, schließlich suchst du noch nach Antworten, oder? Unter Umständen könntest du dort fündig werden.“ „Klingt nicht schlecht“, er grinste, „auf zur Bibliothek. Nur eine Frage: Wie kommen wir rein? Bei Nachtruhe dürfte die Bibliothek bewacht sein, und außerdem verriegelt.“ „Hm. Das stimmt. War wohl eine ziemlich dumme Idee das Wirtshaus zu verlassen. Naja, jetzt wo wir hier sind, können wir uns ja mal umschauen. Nur müssen wir halt vorsichtig sein.“ Sang nickte und schaute über den Marktplatz. Weit hinten konnte er einige Gestalten erkennen, scheinbar Wachen. Vorsichtig schlichen er und Kira von Schatten zu Schatten, immer darauf bedacht sich nicht zu lange möglichen Beobachtern Preis zu geben. Nach einiger Zeit erreichten sie eine schmale, dunkle Gasse, in die sie schnell abtauchten um dort einige Augenblicke zu verweilen. Plötzlich zuckte Kira zusammen. „Da kommt wer.“ „Ich hab’s auch schon gemerkt. Scheinen aber keine Wachen zu sein, es klingt nicht als wären sie gepanzert.“ „Vielleicht noch mehr Kopfgeldjäger?“ „Wir werden es gleich sehen“, meinte er und deutete mit einem Nicken in Richtung Ende der Gasse. Beide warteten gespannt, hinter einige Kisten gekauert.
Plötzlich schob sich eine Fackel in ihr Sichtfeld, flackernd verweilte sie einen Moment, dann erlosch sie. Die Person die die Fackel hielt, eilte in die Gasse, auf Sang und Kira zu, schien diese aber noch nicht bemerkt zu haben. Ein Ruf zerriss die Stille. „Stehen bleiben! Sofort stehen bleiben!“ Eindeutig Wachen. Was jetzt? Sang legte seine Hand auf Kiras Schulter. „Wir bleiben hier einfach sitzen“, wisperte er. „Solange sie nicht hinter uns her sind können wir hier bleiben, wenn sie näher kommen sehen wir weiter...“ „Sehr solider Plan“, antwortete sie, ebenfalls flüsternd und grinste. Die stolpernden Schritte der Person die auf sie zukam wurden lauter und noch hektischer. Wer auch immer das war, er rannte um sein Leben. Das merkte man sofort. „Nun gut, Planänderung“, meinte Sang, stand auf, und trat hinter dem Kistenhaufen hervor. „Was zur Hölle tust du da?“, zischte Kira ihm hinterher, doch da war es bereits zu spät. Die Wachen hatten währenddessen den Eingang zur Gasse erreicht, und eilten mit Fackeln hinein. Sang, welcher bedrohlich im Weg stand und fast den gesamten Weg versperrte wurde vom Fackelschein bereits erfasst, genau wie die auf ihn zulaufende Gestalt, die verzweifelt zu den Seiten blickte, nicht ahnend, dass Sang kein Feind war. „Sofort stehen bleiben!“ Die Wachen kamen näher. „He, Sie da! Halten sie den Flüchtigen! Er hat mehr auf dem Kerbholz als sie sich vorstellen können!“ Unter Mundschutz Sangs war eine Bewegung zu sehen. Er lächelte. „Kein Problem“, meinte er, sprintete einige Schritte nach vorne, packte den, wie man nun im Fackellicht erkennen konnte, etwa fünfzehn Sommer alten Jungen, und hielt ihn fest. „Was hast du vor?“, Kira kauerte immer noch hinter den Kisten, sie konnte sich nicht zeigen, dafür war ihr Kopfgeld zu hoch. „Lass die überraschen“, er zwinkerte ihr unauffällig zu. „Hände weg!“, der gefangene Knabe brüllte mit aller Kraft, trat um sich und versuchte mit allen Mitteln frei zu kommen. Sang zog sein Schwert. „Keine Bewegung Freundchen“, wisperte er in sein Ohr. „Was habt ihr mit mir vor?“, presste der Junge hervor. „Ich bin kein Wachmann, du Idiot“ Der Junge schluckte. Sicher glaubte er in die Fänge eines Verbrechers geraten zu sein, der durch einen Tausch sein Strafmaß leeren wollte. „Sehr gut mein Herr. Sie haben den Straftäter dingfest gemacht!“, die Stadtwachen senkten ihr Tempo. Ihnen war anzusehen dass sie schon einige Zeit liefen und keine besonders gute Ausdauer hatten. Die drei Männer hatten Sang fast erreicht als dieser plötzlich fragte: „Was hat der Junge überhaupt getan? Er ist ja noch ein Kind, so schlimm kann es doch wirklich nicht sein!“ „Ihr werdet mir nicht glauben“, der Truppkommandant sah ihn verheißungsvoll an, „er hat des Königs Ehre beschmutzt und anschließend Märchen erzählt, die von seinem Wahnsinn zeugen. Darauf wird er sicher gehängt. Geschieht ihm recht.“ Sang spürte wie der Knabe in seinen Armen sich verkrampfte. Er beugte sich ein wenig herunter. „Stimmt dass?“, fragte er laut, fügte aber leise hinzu, sodass es die Wachmänner nicht hören konnten: „Ich lass dich gleich los. Dann rennst du sofort gegen den Hauptmann. Am besten du schleuderst dich mit ganzer Kraft gegen seinen Brustharnisch. Er muss auf jeden Fall von den
Füßen gerissen werden. Ansonsten wirst du hingerichtet und ich kann nichts mehr für dich tun.“ Der Junge nickte. „Sehen Sie. Er leugnet es nicht einmal“, meinte der Offizier verächtlich. Sang lockerte seinen Griff ein wenig, der Junge wand sich sofort aus dem Griff und rammte den Befehlshaber des Suchtrupps mit voller Kraft die Schulter gegen die Brust und die Faust in den Magen. Beides verfehlte seine Wirkung nicht. Anschließend setzte er über den am Boden Liegenden hinweg, zwischen den verdatterten Wachen hindurch und Richtung ende der Gasse. Sang sprang hinterher, rempelte absichtlich die anderen beiden Wachen die noch standen um und jagte dem Flüchtling nach. Nach wenigen Augenblicken hatte er ihn eingeholt und fragte: „Sag mal, was hast du eigentlich gemacht? Des Königs Ehre beschmutzt ist ja wirklich eine tolle Sache, vor allem weil es haargenau die Geschehnisse wiederspiegelt... Also, wie hast du das angestellt?“ „Ich habe behauptet es sei Wahnsinn den Wald zu fällen, nachdem der König dies angeordnet hatte. Die Leute haben mich ausgelacht. Ich wurde wütend und habe die Vernunft des Königs in Frage gestellt. Dann haben sie angefangen den Wald zu fällen. Das war vor einigen Tagen. Seitdem sind die Geschehnisse an den Rändern der Wälder nicht mehr zu erklären. Vorher konnte man die Schuld ja noch auf wilde Tiere oder Wegelagerer schieben. Doch noch am ersten Tag starben sämtliche Holzfäller der Region. Und sie starben nicht einfach... Oh nein. Es war grauenvoll. Sobald sie ihre Axt ins Holz trieben, begannen die Bäume zu bluten. Damit meine ich kein Baumharz oder Holzsaft. Aus der Rinde quoll dickes, dunkelrotes Blut. Es berührte die Äxte, floss daran entlang, und dass selbst wenn die Axt mit dem Stiel nach oben im Holz steckte, und schloss die Finger der Arbeiter ein. Wie ein Lebewesen aus Blut begann die rote Flüssigkeit die armen Leute zu überziehen. Laut schrieen diese ihre letzten Schreie. Stundenlang. Dann verschwand das Blut... Es sickerte einfach in die Erde. Von den Holzfällern waren nur noch Skelette mit einigen Fetzen Fleisch übrig. Ich habe es selbst mit angesehen. Meine Eltern starben auf diese Weise. Und doch weiß ich, dass es nicht die Schuld des Waldes ist. Irgendetwas geht vor sich, hier in Sarzanien. Etwas, dass ganz und gar nicht gut ist.“ „Bist du dir ganz sicher? Das klingt nicht wirklich glaubwürdig“, Sang sah den Jungen an. Er log nicht. Das sah er in seinen Augen. Seltsame Dinge geschehen hier. Ich wache auf, ohne einen Namen. Ohne Erinnerungen. Menschen werden von Bäumen getötet. Leute verschwinden im Wald... Plötzlich bebte die Erde. Ein tiefes Grollen, wie von tausend Hufen die den Boden zerfetzten, klang von Norden zu ihnen her. „Bei allen Göttern“, fluchte Kira, die nun wieder zu ihnen aufgeschlossen hatte, „was ist das?“ Ihr Blick flackerte panisch gen Norden, von wo der Lärm kam und immer weiter anschwoll. „Egal!“, Sang musste schon rufen um die annahenden Geräusche zu übertönen, „Wir müssen zur Bibliothek!“ Der Junge deutete eine Straße hinunter um sofort darauf in die von ihm angegebene Richtung zu hasten. Wenige Meter weiter blieb er stehen und sah sich nach ihnen um. „Kommt schon ihr Narren. Wer zum Himmel weiß schon was sich uns dort nähert.“ Der Lärm war weiter angeschwollen und der Knabe musste brüllen, damit sie die Worte überhaupt verstehen konnten. Schnell jagten sie dem Jungen hinterher, als hetzten sie um ihr Leben, bis sie schließlich, ohne anzuhalten in die großen Hallen der Bücherei eindrangen. „Wonach suchen wir überhaupt?“, schrie Kira zu Sang hinüber, welcher sie kaum verstehen konnte. „Die gleiche Frage wollte ich dir auch stellen!“
Wieder war es der unbekannte, von Sang gerettete Junge der die Situation klärte. „Nach dem hier“, rieft er von einer Leiter herunter, wobei der Großteil seiner Worte in den Geräuschen von draußen, die mittlerweile eher so klangen, als würde eine Horde Riesen durch einen Wald preschen, um ihn sorgfältig niederzuwalzen. „Was ist das?“, brüllte Sang zu ihm hinauf. „Eine Prophezeiensschrift. Solche Dinge, wie sie sich in letzter Zeit ereignen müssen vorrausgesehen worden sein!“ Kira sah Sang an. Der Junge war überraschend klug. „Sehr gute Idee! Wirf das Buch und ein paar ähnliche Bände zu uns runter! Und dann nichts als raus hier!“ Risse zogen sich über die Erde, krochen bereits die Wände hinauf. Was auch immer da draußen war. Langsam machte es Sang ernsthafte Sorgen und füllte seine Gedanken mit lähmender Furcht, die er aber sogleich wieder niederkämpfte. „So beeil dich doch!“, schrie er mit aller Kraft, doch man verstand ihn nicht mehr. Zu stark war der Lärm angeschwollen, dessen Herkunft weiterhin unbekannt war. Geschwind sprang der Junge die Leiter hinab, drei weitere Bücher unter die Arme geklemmt. Sang sah wie sich seine Lippen bewegten und er Richtung Ausgang deutete. Sofort nahmen sie ihre Beine in die Hand, und rannten was das Zeug hielt. Draußen angekommen trauten sie ihren Augen nicht! Der Himmel stand in Flammen. Immer wieder züngelte und leckte das Feuer über das Firmament, die Dunkelheit der Nacht war weggeblasen. Das grauenhafte Grollen aber war weiterhin hörbar. Plötzlich bebte die Erde heftiger auf denn je. Die Flammen kamen näher. Sie fuhren herab und zertrümmerten den Nordteil der Stadt. Als sei das Feuer Materie begrub es alles unter sich, entflammte die Überreste dessen, was nicht sofort niedergerissen wurde, und hob sich wieder in die Luft. Das Inferno zog über sie hinweg, wie ein unglaublich gigantischer Schwarm Insekten. Lange dauerte es, bis es ganz an der Stadt vor rüber war, doch es richtete keine weiteren Schäden an. Das Grollen wurde mit der Zeit leiser. Im allgemeinen Tumult den das Erscheinen der Flammen verursacht hatte, was es kein Problem den Mauern der Stadt zu entfliehen, ohne gesehen zu werden. Der Junge der ihnen geholfen hatte verabschiedete sich und Kira und Sang ließen sich in einem Lager unweit der Stadtmauern nieder. Es war ursprünglich für Reisende gedacht, die des Nachts an den Toren Sanguinos ankamen und somit keinen Einlass erhielten. Dort machten sie sich daran den Inhalt der Bücher zu studieren. Sang blickte Kira interessiert über die Schulter, stellte aber fest, das er nur das Wenigste entziffern konnte. Er war kein besonders guter Leser. „Hier steht etwas!“, rief Kira plötzlich aus, „es ist ein Gedicht: Wenn Menschen sterben unter Bäumen Wenn Kriege ohne Gegner branden Wenn viele Geister nicht mehr Träumen Und wenn fremde Wesen stranden Wenn die Sonne steigt vom Firmament Wenn das Meer sich aus dem Bette hebt Wenn sogar das Weltenwasser brennt Und wenn eine Fremde Erde bebt Sodann die Götter weit entschwinden Verkrochen in den Tiefsten Tiefen Unmöglich sind sie noch zu finden
Selbst wenn viele Stimmen riefen Sodann die Jahre der Helden kommen Das Dämmervolke Rache sinnt Es wird langsam wiedereingenommen Wenn es soweit seien ist, nur ein Volke gewinnt Was denkst du? Klingt irgendwo schon ziemlich passend, zumindest der Großteil der ersten und Teile der zweiten Strophe.“ „Stimmt“, Sang stand auf, „nimm es mir bitte nicht übel Kira, aber ich würde gern etwas schlafen. Kannst du auch allein weitermachen?“ „Klar, kein Problem.“, sie sah ihn schelmisch an. Bestimmt dachte sie, dass er sowieso keine große Hilfe war.