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Sprachwissenschaftliche Vorlesung:
Fachsprachen, Fachkommunikation, Sondersprachen
Gehalten von Franz Patocka im Wintersemester 2011/12
Mitschrift Mitschrift von Philipp Brenner
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Inhaltsverzeichnis 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Allgemeines zu den Fach- und Sondersprachen …………………………………………...3 Zur Schichtung / Gliederung Glied erung der Fachsprachen……………………………………………5 Fachsprachen……………………………………………5 Erhebungsproblematik……………………………………………………………………..7 Erhebungsproblematik……………………………………………………………………..7 Zu den pragmatischen Funktionen von Fach- und Sondersprachen……………………….9 Sondersprachen……………………….9 Bildungssprache – Bildungssprache – Imponiersprache Imponiersprache……………………………………………………….9 ……………………………………………………….9 Zum Verhältnis zwischen Fachsprachen und Gemeinsprache……………………………10 Gemeinsprache ……………………………10 Sprachliche Charakteristika………………………………………………………………13 Charakteristika ………………………………………………………………13 7.1. Zur Lexik von Fach- und Sondersprachen……………………………………….13 Sondersprachen ……………………………………….13 7.2. Fachsprachliche Morphologie ……………………………………………………18 7.3. Zur Syntax in Fachtexten…………………………………………………….......22 Fachtexten …………………………………………………….......22 7.4. Fachsprachliche Textgestaltung………………………………………………….2 Textgestaltung ………………………………………………….244
Inhalt Im Rahmen dieser Vorlesung sollen die Phänomene „Fachsprachen“ (z.B. die der Bergleute, die sog. Wissenschaftssprache Wissens chaftssprache etc.) und „Sondersprachen“ (z.B. das Rotwelsch, diverse Jargonformen), mit dem wir oft auch in der Alltagskommunikation konfrontiert sind, nach verschiedenen Gesichtspunkten behandelt werden: Zunächst wird versucht, die schwierige Frage einer Definition für „Fachsprache(n)“ bzw. „Sondersprache(n)“ einer Lösung zuzuführen, wobei auch die Grenzziehung zur „Gemeinsprache“ eine große Rolle spielt. Nach einem kurzen Überblick über historische Aspekte (Entstehung, Entwicklung der Fachsprachen und Sondersprachen von den Anfängen bis herauf in die Gegenwart) werden die gegenwärtigen Verhältnisse aus dem kommunikationstheoretischen, soziolinguistischen, pragmatischen Blickwinkel etc. beleuchtet. Daran anschließend werden die Fach- und Sondersprachen hinsichtlich der ihnen zukommenden Charakteristika auf den verschiedenen sprachlichen Betrachtungsebenen erörtert (Wortschatz, Phonologie, Graphematik, Morphologie, Syntax, Text). Einige exemplarische „Fallstudien“ sollen danach konkrete Einblicke in die Situation der Gegenwart geben.
Art der Leistungskontrolle Schriftliche Prüfung
Empfohlene Literatur
Fluck, Hans Rüdiger: Fachsprachen. Einführung und Bibliographie. Möhn, Dieter / Pelka, Roland: Fachsprachen. Fachsprachen. Eine Einführung (= Germanistische Arbeitshefte 30).
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1. Allgemeines zu den Fach- und Sondersprachen
Fachsprachen sind Sprachformen, die für Nicht-Fachleute eine Barriere aufbauen (Bsp.: Gebrauchsanweisungen). Sie dringen weit ins Alltagsleben ein, ohne dass wir dies bemerken. Der Fachwortschatz macht die Fachsprachen aus. Kommunikation, die bei uns einen anderen Stellenwert hat. (Bsp.: Mediziner, hat Ausdrücke für Organe etc.; Technik [Computerfachausdrücke], etc.). Fachsprachen enthalten einen reichlichen Gebrauch von Passivkonstruktionen (Anonymisierung), auch „man“ (Handlung wichtiger als Personen) wird oft verwendet. Begriffserklärung Fachsprache durch Hadumod Bußmann : „Fachsprachen: Sprachliche Varietäten mit der Funktion einer präzisen und differenzierten Kommunikation über meist berufsspezifische Sachbereiche und Tätigkeitsfelder.“ 1 Beispiele für Fachsprachen: Weinbau, Mathematik, Sprachwissenschaft, Medizin, Handel, … Die Grenzen zwischen Fachsprachen und Gemeinsprachen sind durchlässig; wir merken nicht immer den Unterschied. Jedes Fach bringt eigene Sprachvarietäten hervor; zwar gibt es gemeinsame Merkmale, jedoch sind alle mit einem eigenständigen System. Es gibt auf allen Ebenen Charakteristika. Forschung in: Morphologie (Formenlehre), Syntak (Satzlehre), Textgestaltung, Kommunikation(sflüsse).
Sondersprachen sind Sprachen, die nicht mit Fächern verknüpft sind (Bsp. Medizin), also Sprachformen von bestimmten Gruppen, die nicht (primär) über Fachliches kommunizieren. Die Barrieren sind konstitutiv (wesentlich). (Bsp. für Sondersprachen: Gaunersprache: Rotwelschsprache, etc.). Sondersprachen beziehen sich auf alle Sprachvarianten, wie sie geschlechtsspezifisch und altersspezifisch von Sondergruppen herrühren. Die homogenen Gruppen sollen nicht für jedermann verständlich sein; sie enthalten Elemente, die nur diese bestimmte Personengruppe versteht. Die hermetischen Merkmale sind nicht überall gleich stark ausgeprägt. (Bsp.: Jugendsprache schwächere Ausprägung).
Zusammengefasst:
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Fachsprachen und Sondersprachen weichen von den Gemeinsprachen ab, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Fachsprachen: spezifische Sachverhalte – Verständnislosigkeit nicht beabsichtigt Sondersprachen: Abschottung von außen – Barrieren beabsichtigt
Die Varietät ist eine bestimmte Sprachform, die durch ein außersprachliches Kriterium bestimmt wird. (Bsp.: räumliche Gebundenheit regional [Dialekte]; soziologische Gebundenheit gesellschaftlich bedingt: höhere Bildung = höhere Sprachbildung; funktionale Gebundenheit Fachsprachen; situative Gebundenheit unterschiedliche Sprachformen und Sprachverhalten einer Person zu verschiedenen Zeitpunkten man spricht mit dem Arzt anders als im Supermarkt).
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Die Übergänge zwischen Fach- und Sondersprachen sind fließend; meist aus sozialen Gründen. Beispiele für Fachsprachen und Sondersprachen:
Sachgebunden – Fachsprachen: Sprache der Gießereitechnik, Sprache der Medizin, Sprache der Mathematik, Amtsdeutsch/Amtssprache, … Gaunersprache, Geheimsprachen, Sozialgebunden – Sondersprachen: „Jugendsprache“, … Überlappend: Jägersprache, Offiziersjargon, Sportsprache, …
Fachsprachendefinition durch Lothar Hoffmann : „Fachsprache, das ist die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel , die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung der dort tätigen Fachleute zu gewährleisten. […] Fachsprachen stehen hierarchisch unter der Gemeinsprachen […].“ 2 Man kann Fachsprachen nicht nur auf die Terminologie begrenzen. Fachsprachen ermöglichen eine effiziente Verständigung. In jeder Fachsprache gibt es unterschiedliche spezifische Wortschatzelemente, Varietäten, eine unterschiedliche Morphologie. Im Wortbildungsbereich gibt es oftmals lange Komposita / Wortzusammensetzungen (bis zu acht). Grund dafür sind die sehr komplexen Sachverhalte. (Bsp.: Maschinen: Hochdruckflachwalzwerk lineare Abbildung; Wiedergabe anstatt eines Diagrammes. Knappheit nicht immer möglich in der Fachsprache.) In der Syntax gibt es häufig typische Muster, wie Passivkonstruktionen. Auf der Textebene gibt es deutliche Unterschiede auf der Makro- und Mikrotextebene, wie z.B.: 1) Aufsatz zu einem linguistischen Problem: Überschrift, Unterüberschriften, Fußnoten, Zusammenfassungen (Makrotextwellen) 2) Privatbrief: Stereotyp sich wiederholende Satzanfänge sollen vermieden werden (Mikrotextwellen), Bsp.: „Der Angeklagte“ kann in juristischen Texten nicht vermieden werden! Auch beim Schreiben gibt es spezifische Merkmale: So gibt es keine Rücksichtname bei orthographischen Regelungen (Fachsprache: Photo / Gemeinsprache: Foto). Hoffmann: „Die Gesamtheit aller Mittel macht die Fachsprachen aus. […] „Fachsprachen sind immer an den Fachmann gebunden, weil sie Klarheit über Begriffe gebrauchen. Wenn ein Nichtfachmann die Fachsprache gebraucht, verliert sie ihr fachliches Denken.“ Der Nichtfachmann benutzt zwar Elemente der Fachsprache, allerdings nie die Fachsprache selbst. Der adäquate (angemessene) Gebrauch ist eng mit den Denkstrukturen verbunden. Denkstrukturen werden in Sprachstrukturen umgelegt. Dies ist dem Laien nicht möglich.
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Das hiergenannte Wort „begrenzbar“ ist nicht völlig eingrenzbar! Man darf nämlich nicht übergenau werden.
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2. Zur Schichtung / Gliederung von Fachsprachen
Die Gliederung von Fachsprachen ist häufig zweifach. Man unterscheidet:
Horizontale Gliederung / Schichtung Vertikale Gliederung / Schichtung Welche Fachsprachen gibt es? Wie werden neuerer Ansatz; zielt ab in die Schichtung sie differenziert? innerhalb von Fachsprachen Die horizontale Gliederung ist linguistisch nicht primär zu beantworten. Was versteht man unter einem Fach? Lothar Hoffmann spricht in diesem Zusammenhang von einem fachlich abgegrenzten Kommunikationsbereich. Fächer lassen sich kaum mit Berufen gleichsetzen, weshalb seine Definition recht unscharf ist (Bsp.: Schriftsätze, Drucker, Korrektor sind verschiedene Bereiche in ein und demselben Beruf, weshalb es sinnlos wäre, die Fächer zu differenzieren) Folgende Schwierigkeit tritt dabei aber auf: Was ist überhaupt ein Beruf? Auch diese Definition ist nicht ganz klar; ein Beruf hat mit den Ausbildungswegen zu tun. Die Existenz von Fächern kann man folglich als Tatsache ansehen, eine Differenzierung ist aber schwierig zu bewerkstelligen. Auch darf man den Bereich „Fach“ nicht als zu groß ansehen. 3 Wenn man Fächer als Träger von Fachsprachen betrachtet, scheitert man immer wieder. Wie viele Fächer / Fachsprachen gibt es überhaupt? Man rechnet mit ca. 300 Fachsprachen; von einer Grundlage kann man jedoch nicht ausgehen, da es sich lediglich um eine Schätzung handelt. Fest steht allerdings, dass Fächer und Fachsprachen in ihrer Zahl stetig zunehmen!
Die vertikale Gliederung beschäftigt sich mit folgenden Fragen: Wie wird eine Fachsprache in ihrem internen Bereich geschaffen? bzw. Wer benutzt innerhalb eines Faches in welchem Ausmaß die betreffende Fachsprache? Welche Unterschiede lassen sich feststellen? Die vertikale Gliederung hängt mit strukturellen Aspekten in einem Betrieb zusammen. Eine echte Fachsprache ist immer an den Fachmann gebunden; vom Nichtfachmann gebraucht verliert sie ihr Wissen, da eine sprachliche Verarbeitung notwendig ist. Der Nichtfachmann kann diese sprachlichen Zusammenhänge nicht im Vollen wiedergeben. Die Wortbedeutung soll nämlich von einem Wort ausgehen. 4 Tatsache ist, dass ein Laie im Bezug auf ein bestimmtes Fach nicht die Fachsprache, vor allem nicht in der Ausprägung wie der Fachmann. Dennoch ist der Laie aber nicht völlig ausgeschlossen; er bildet das unterste Glied einer Hierarchiekette.
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(Bsp. für zu großes Ansehen: Sprache der Wissenschaft, Sprache der Technik da es viele Einzeldisziplinen gibt. Wenn man nicht genauer unterscheiden müsste, würde es keine Verständigungsschwierigkeiten geben. Bsp. für richtige Einteilungen: Sprache der Pharmazie, Sprache der Theologie, …) 4
Ausdruck (signifiant) und Inhalt (signifiè)
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Bsp. für eine Hierarchiekette: Wissenschaftler
stark theoriebezogen --- stark abstrahierend
Ingenieur Techniker Kundenberater / Verkäufer Kunde
stark praxisbezogen --- schwach abstrahierend
Diese Hierarchiekette ist relevant für die Schichtung innerhalb einer Fachsprache: Der Kunde steht nicht außerhalb, er ist Teil des Ganzen. Die einzelnen Stufen unterscheiden sich in der Orientierung der Grad von Ausdruck und Inhalt bzw. die gebrauchten Fachwörter prägen sich unterschiedlich aus! Es existieren gegenseitige Ansätze. Diese Vorgänge sind aber notwendig, damit Kommunikation untereinander funktionieren kann. Die große Zahl von Vorschlägen in der vertikaler Gliederung führt zu folgendem Problem: Die Fächer sind zu unterschiedlich konstruiert; die unterschiedlichen Fachsprachen sind folglich nicht vergleichbar. Die beiden Tschechen Josef Filipec und Eduard Benes beispielsweise sprechen von einem theoretisch, wissenschaftlichen Fachstil und von einem praktischen Fachstil. Benes untergliedert den theoretisch wissenschaftlichen Stil in folgende drei Stile:
Forscherstil (Bsp.: wissenschaftliche Arbeiten) Belehrender Stil (Bsp.: Lehrbücher) Lexikonstil (Bsp.: Lexika).
Den praktischen Bereich gibt es im öffentlichen Verkehr (Bsp.: Gebrauchsanleitungen, Berichte, …). Es handelt sich also um Arbeitssprache. Sowohl Filipec als auch Benes beziehen sich mit ihren Stilen nur auf die schriftliche Kommunikation. Walther von Hahn legt eine dreifache Gliederung fest:
Theoriesprache / Wissenschaftssprache: strengste, reinste Form der Fachsprache; wird in Forschung verwendet, weitestgehend schriftlich angewendet (aber auch mündlich! Bsp.: Fachliche Kongresse) Fachliche Umgangssprache: wird in direkter Form definiert; Gebrauch während fachlichen Tätigkeiten, meist mündlicher Gebrauch; situativer Kontext (Bsp.: bestimmter Arbeitsplatz, gemeinsame Tätigkeiten, …) Verteilersprache: technisch-industrieller Bereich (Bsp.: Lagerhaltung, Vertrieb, Verkauf, …) Die Verteilersprache hat einen Zusammenhang mit Werbesprache; sie gibt es nur dort, wo ein Produkt verteilt wird.
Man kann derartiges Vorgehen auch bei Sonder- und Gruppensprachen anwenden, allerdings gibt es hier eine deutlich weniger starke Schichtung / Hierarchie. (Bsp.: Gaunersprache)
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3. Erhebungsproblematik Nehmen wir einmal an, wir sollen eine Fachsprache linguistisch beschreiben. Wie kommen wir zu dem sprachlichen Material, das die Grundlage für unsere Untersuchung bildet? Die Methoden, mit denen das Material für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Fachsprachen (und für empirische sprachliche Untersuchungen überhaupt) bereitgestellt werden kann, laufen auf Folgendes hinaus:
Beobachtung o Korpusmethode o Feldforschung o Teilnehmende Beobachtung Befragung Experiment
Beobachtung: Sie ist die bisher am häufigsten angewandte Methode. – Unter Beobachtung versteht man aber in diesem Zusammenhang überhaupt die theorie- und erfahrungsgeleitete 5 gezielte, selektive, kontrollierte und das eigene Vergehen reflektierende Wahrnehmung. Bei der Beobachtung gibt es eine Reihe von möglichen Alternativen:
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Fremdbeobachtung : Selbstbeobachtung (Wichtiger ist natürlich die Fremdbeobachtung.) standardisiert : nicht standardisiert (standardisiert: z.B. mit einem festen Fragenkatalog, mit einer genauen CheckList o.ä.) wiederholbar : nicht wiederholbar (Wiederholbar ist z.B. ein Erhebungsvorgang anhand von geschriebenen Texten, von Aufzeichnungen auf Tonträgern, Video etc.; nicht wiederholbar ist etwa ein Interview – zumindest nicht in identischer Form – , eine Szene aus dem Betriebsleben.) partiell : umfassend (Die partielle Erhebung ist in gewisser Weise das Übliche. Natürlich muss die Auswahl des zu erhebenden Ausschnittes nach festen Kriterien erfolgen.) direkt : indirekt (Direkt: Der Erhebende ist selbst bei der Materialsammlung anwesend; das ist z.B. bei einem Interview der Fall. – Indirekt: Der Erhebende liefert zwar die Vorgaben, ist aber selbst nicht anwesend; u.a. ist das bei ausgesandten Fragebögen der Fall.
Beobachtung hat einen theoretischen Unterbau – sie geschieht nicht aufs Geratewohl. Wer wissenschaftlich beobachtet, stützt sich auf seine Erfahrung. Er / Sie geht dabei gezielt und selektiv vor, sucht also das aus seinem Beobachtungsspektrum zu eliminieren, was nichts zur Erreichung des Erhebungsziels beiträgt. Beobachtung verläuft kontrolliert. Der Ablauf wird verfolgt (und korrigiert). Der beobachtende Forscher reflektiert seine eigene Rolle ständig.
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offen : verdeckt (Bei der verdeckten Erhebung gibt es häufig erstzunehmende Bedenken rechtlicher bzw. ethischer Art.)
... und anderes mehr Unterarten der Beobachtung:
Korpusmethode: Ein Korpus ist eine Menge von Texten, die in kommunikativer Absicht, schriftlich oder mündlich, produziert worden sind. Man muss also von verschiedenen Orten Material zusammentragen und sammeln. Die Korpusmethode nimmt in der Fachsprachenforschung einen hervorragenden Platz ein. Feldforschung: Das ist eine Form der Beobachtung, bei der der Forscher seine Daten im unmittelbaren Kontakt mit Informanten gewinnt. 6 Die Feldforschung wird z.B. eingesetzt, um untergehende Fachsprachen zu erheben. Dabei muss man die wenigen noch lebenden Vertreter dieses Faches aufsuchen und die Daten in direktem Kontakt erheben. Eine andere Anwendungsmöglichkeit besteht in der Erhebung der betrieblichen Kommunikation. Um zu ergründen, was sich innerhalb von Betrieben kommunikativ abspielt, muss man natürlich dorthin gehen, wo sich die Kommunikation abspielt. Die Feldforschung ist nicht gerade die wichtigste Erhebungsmethode in Bezug auf Fachsprachen, aber die Tendenz ist wohl steigend. Teilnehmende Beobachtung: Sie wird in der Fachsprachenforschung überhaupt nicht eingesetzt. Hierbei beschränkt sich der Beobachtende nicht aufs bloße Beobachten, sondern er ist Mitakteur in dem Geschehen.
Befragung: Bei der Befragung wird den Probanden ein bestimmter Fragen-Katalog vorgelegt, entweder mündlich in Form einer Face-to-face-Befragung oder auch telefonisch, aber auch schriftlich in Form von Fragebögen. 7 8 Experiment: Unter Experiment versteht man eine „wiederholbare Beobachtung unter kontrollierten“ Bedingungen. spielt in der Fachsprachenforschung bisher kaum eine Rolle. Was die Erhebung bei Sondersprachen betrifft, ist die Korpusmethode besonders wichtig; trotz des oft ausgeprägten isolativen Charakters. Auch die Feldforschung, häufig verquickt mit der teilnehmenden Beobachtung, spielt hier eine große Rolle; allerdings erfordert die Feldforschung, etwa im Falle der Gaunersprache, ein Forscherengagement besonderer Art.
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Vor allem in der Dialektologie und in der Sozioling uistik. Vor allem in der Dialektforschung, der Soziolinguistik und z.T. auch in der Fachsprachenforschung. 8 Die Feldforschung ist nicht immer ganz leicht von der Befragung abzugrenzen. Der Hauptunterschied liegt aber darin, dass bei der Feldforschung der Grad der Involviertheit größer ist. Der Forscher steuert nicht gezielt 7
auf Daten los, sondern er kommuniziert in „natürlicherer“ Form.
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4. Zu den pragmatischen Funktionen von Fach- und Sondersprachen
Dieter Möhn und Roland Pelka teilen die Fach und Sondersprachen in ihre pragmatischen Funktionen ein. 9 Grundfunktionen der Sprache durch Möhn und Pelka in Relevanz der Fachsprache: 1. Deskripitve Funktion: beschreibend; objektive Darstellung eines Sachverhaltes (Bsp.: ärztlicher Befund) 2. Instruktive Funktion: anleitend; Handlungsweise wird empfohlen (Bsp.: Anleitungen, Gebrauchsanweisung, Kochrezepte) 3. Direktive Funktion: auffordernd; direkte Handlungsaufforderung (Bsp.: Gesetzestext, Prüfung, militärischer Befehl) 4. Kontaktive Funktion: soziale Beziehungen werden hergestellt (Bsp.: Begrüßung, Postkarte, Small Talk) 5. Expressive Funktion: ausdrückend; subjektive Einstellung eines Sachverhaltes (Bsp.:Liebesbrief, Beifallsbekundungen, Buh-Rufe) 6. Metalinguale Funktion: sprachliche Äußerungen über die Sprache (Bsp.: Druckerzeugnisse: Wörterbücher / Lexika, ) 7. Isolative Funktion: Verständlichkeit auf eine Gruppe bezogen / nur für eine Gruppe bestimmt (Bsp.: Gaunersprache) Sprachformen können mehreren Funktionen angehören! Folgenden Sprachformen können Fachsprachen angehören: deskriptive Funktion, instruktive Funktion, direktive Funktion 10, kontaktive Funktion 11, metalinguale Funktion. Bei Sondersprachen steht die isolative Funktion im Vordergrund (Bsp.: Rotwelsch). Sie können aber auch deskriptiv, direktiv, expressive oder metalingual sein. Das ist jedoch ziemlich vage, nach außen wirksam ist nämlich vor allem die isolative Funktion.
5. Fachsprache – Bildungssprache – Imponiersprache
Bildungssprache Fachsprachen ermöglichen eine effiziente Verständigung; sie enthalten aber noch ein weiteres Moment: Die Inhaltswiedergabe soll sich vom Alltagsgebrauch abheben, ein höheres Abstraktionsniveau wird erfordert (zum Vergleich: wissenschaftliche Texte sind anspruchsvoller als Briefe). (Bsp.: Rezension: „Die vorliegende Publikation ist meines Erachtens …“ statt: „Das Buch hat…“) 9
Pragmatisch: Sprache in Form des Handelns. (Bsp.: drohen, grüßen, verbieten, …)
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bei Vorschriften bei Grußritualen (Bsp.: Bergleute grüßen mit „Glück auf!“)
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Sind die Inhalte noch angemessen oder verselbstständigen sich die Mittel? Man sollte die „Schmerzgrenze“ nicht überschreiten. Weitere Beispiele: statt „manchmal“ „ab und zu“, „hie und da“, „mitunter“, „zuweilen“, „ab und an“… Solche Ausdrücke sind nicht mehr unmarkiert, sondern stilistisch markiert; sie sind verankert und werden zu bestimmten Zeiten abgerufen, wenn gehobenere Ausdrücke benötigt werden. (Bsp.: Aber – jedoch; aufstehen – sich erheben; wehtun – schmerzen; verlieren – einer Sache verlustig gehen; warten – einer Sache harren, …)
Imponiersprache Wenn solche Ausdrucksmöglichkeiten aber dezidiert die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Klasse widerspiegeln, und die Sprache zur Selbstdarstellung benützt wird, ist der Schritt von der Bildungssprache zur Imponiersprache getan. Sie ist der Gegensatz dazu, was eine Fachsprache sein sollte. Die Imponiersprache wird auch im Alltag angewandt. Merkmale der Imponiersprache nach Ickler:
unangemessene „Aufblähung“ der Formulierungen: einfache Sachverhalte werden mit vielen Worten syntaktisch verwickelt und kompliziert ausgedrückt Pleonasmen: Hinzufügung eines Überflusses, der nicht notwendig ist (Bsp.: sequenzielle Folge, begrenzte Teilmenge, semantische Bedeutung, … leicht zu durchschauen: fettes Öl, weißer Schimmel…) Paraphrasen: Ersatz von „sein“ und „haben“ durch längere Ausdrücke (Bs p.: Diese Aussage ist nicht stichhaltig Diese Aussage entbehrt jeglicher Stichhaltigkeit.) Präpositionen werden durch umfangreichere Phrasen ersetzt (Bsp.: Während im Laufe; Im Unterricht Im Rahmen des Unterrichts, … wegen auf Grund In ursächlichem Zusammenhang, …) Erweiterung von Substantiven durch Kompositionsglieder (Bsp.: Gegenstand der Linguistik Gegenstandbereich der Linguistik, …) Pseudo-Formalisierung: formelhafte Sprache; oft in der Werbesprache – manchmal aber sinnvoll (Bsp.: Chemie [H 2O], Mathematik) – Verknappung des Ausdruckes, Verhinderung von ständigen Wiederholungen Formeln sind Etiketten, stellvertretend für Formulierungen Informationsüberfluss ist zu befürchten – Dekodierung kann scheitern Fremdwörter: Streben nach Internationalisierung; wird auch in der Gemeinsprache verwendet (Bsp.: Output statt Ergebnis)
6. Zum Verhältnis zwischen Fachsprachen und Gemeinsprache
Es ist festzuhalten, dass es verschiedene Untergruppierungen der Gesamtsprache gibt: Gemeinsprache, Fachsprachen, Sondersprachen u.a.
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Die Grenzen zwischen Gemeinsprache und Fachsprache lassen sich nicht genau ziehe. Es liegt aber auf der Hand, dass die Fachsprachen aus den Gemeinsprachen herangewachsen sind. Sie sind also nichts anderes als Spezialfälle von natürlichen Sprachen. Die Basis fachsprachlicher Texte bzw. fachsprachlicher Sprachhandlungen ist die Gemeinsprache. Mit anderen Worten: Es kann keine Fachsprache geben, die nicht auf die Gemeinsprache als „Gerüst“ angewiesen ist. Jeder fachsprachliche Text basiert im Wesentlichen auf den Regeln und Gesetzmäßigkeiten, die auch für die Gemeinsprache gelten. Allerdings ist die Gewichtung einzelner Faktoren sehr unterschiedlich. Auch kommt kaum ein Fachtext ohne gemeinsprachliche Wörter / Wortbestandteile aus, denn keine Fachsprache verständigt sich ausschließlich mit Ausdrücken, die es in der Gemeinsprache nicht gibt. Selbiges trifft natürlich auch auf Sondersprachen zu. Trotz des häufig stark dominierenden „verdunkelnden“ Charakters von Sondersprachen besteht im Einzelfall kaum ein Zweifel, welcher Sprache sie zuzuordnen sind (z.B. dem Deutschen).
Einfluss von Fachsprachen auf die Gemeinsprache Wir leben in einer Medienwelt. Auf diese Weise dringt sprachliches Material, das fachsprachlicher Herkunft ist, in großer Zahl in die Gemeinsprache ein, also in den aktiven (oder wenigstens passiven) Sprachbesitz vieler einzelner Individuen. Fragen wir uns in diesem Zusammenhang einmal, auf welchen Kanälen Fachsprachliches in den allgemeinen Sprachbesitz eindringt: a. Massenmedien: v.a. Rundfunk, Fernsehen, Zeitungen und andere leicht zugängliche Druckmedien, Internet u.a. Auf diesen Wegen wird Fachspezifisches in reicher Fülle an die Öffentlichkeit herangeführt, und die dabei in großer Dichte auf uns einwirkenden Elemente dringen nach und nach in unseren Sprachbesitz ein. Dieser Vorgang passiert meist unbewusst, wird allerdings nicht als negativ empfunden. b. Fach- und Sachbücher: Sie sorgen für die Verbreitung von Fachsprachlichem in der Sprachgemeinschaft. Zum Unterschied von den Medien – v.a. dem Fernsehen – geschieht die Einflussnahme nicht auf vielfach unbewusste Weise, sondern ist abhängig vom persönlichen Engagement des Individuums. c. Werbung: Die Werbung geschieht über die Massenmedien, über Plakate, Produktpackungen, Etiketten etc., und sie ist in unserer Gesellschaft so allgegenwärtig, dass es kaum ein Entrinnen gibt. Der Effekt der Bereicherung wird natürlich nur dann erreicht, wenn keine Verständnisbarrieren vorhanden sind. Solche totalen Barrieren sind jedoch ohnehin kaum vorhanden, da die Werbeleute die Wirkung auf den Rezipienten genau kalkulieren. Doch wir alle wissen nur zu gut, dass es in der Werbung Auswüchse gibt. Wenn soeben gesagt wurde, dass der fachsprachliche Gehalt kaum Verständnisbarrieren aufbaut, so ist das so zu verstehen, dass dort, wo mit Hilfe solcher sprachlicher Mittel Information weitergegeben werden soll, diese im Allgemeinen beim Rezipienten auch richtig ankommt. Das heißt aber nicht, dass alles, was die Werbung sprachlich produziert, auch im einzelnen der Vermittlung von Information dient. Der geballte Einsatz von Fachwortschatz soll nichts anderes bewirken, als beim leichtgläubigen Konsumenten die Überzeugung
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auszulösen, dass da wirklich und wahrhaftig Experten am Werk sind. Werbung will schlicht und einfach manipulieren. Im Vordergrund steh die Propagandafunktion. Werbung darf zwar dick auftragen, bedenklich wird es aber dann, wenn der Konsument durch Pseudo-Fachsprachliches irregeführt wird. 12 Nachtrag: Das Fachsprachliche soll in der Belletristik vor allem dazu dienen, Arbeitsatmosphäre aufzubauen, Schilderungen zu verlebendigen, unter Umständen dazu, den Eindruck von Authentizität zu erzeugen. Durch die schon genannten Einfluss-Kanäle (v.a. die Massenmedien, dann auch das populäre Fachschrifttum, die Werbung und vielleicht auch noch die Belletristik und anderes) kommt es zu einer nicht zu unterschätzenden Vermehrung des Alltagswortschatzes. Oft ist man sich gar nicht des Umstandes bewusst, dass ein bestimmtes Wort bzw. eine Wortverbindung ursprünglich fachsprachlichen Charakter hatte, weil die Übernahmezeit bzw. die Übernahmeumstände schon zu weit zurückliegen; in anderen Fällen ist die fachliche Herkunft sehr deutlich, v.a. wenn es um relativ „junge“ Fächer geht. In solchen Fällen (etw a der Computertechnologie) gilt das, was schon gesagt wurde: Die Grenzen zwischen Fach- und Gemeinsprache, zwischen Fachexperten und Laien sind unscharf, und es lässt sich häufig nicht genau festlegen, ob sich jemand noch jenseits der Fachlichkeit und damit jenseits der Fachkommunikation mit allen ihren Merkmalen und Implikationen steht oder eigentlich schon als Experte zu gelten hat. Fachsprachen, die in die Gemeinsprache eindringen: Politik13 Verwaltung14 Wirtschaft15 Wissenschaften (Medizin, technische Wissenschaften, Chemie, Geisteswissenschaften, Philosophie, Soziologie etc.) 16 e. Sport (vorrangig Fußballsport, aber auch Tennis und Skisport) 17: Der betreffende Fachwortschatz dringt langsam, aber sicher in die gemeinsprachliche Lexik ein, auch bei Mitgliedern der Sprachgemeinschaft, die sich nicht vordergründig für Sport interessieren. a. b. c. d.
Viele dieser aus der Fachsprachensphäre oder jedenfalls aus einer fachsprachennahen Sphäre stammenden Wörter (bzw. Wortverbindungen) werden zunächst einmal von der Umgangsspracheaufgenommen, vielfach zunächst in scherzhafter Verwendung, und sie gelangen dann nach und nach in den gemeinsprachlichen Wortschatz. Jedes dieser Wörter hat seine eigene Geschichte, so dass sich hier nichts generalisieren lässt. 12
Es ist wohl blanker Unsinn, um nur eines vieler Beispiele zu nennen, wenn ein Haarwasser einen Wirkstoff Bioschwefel enthalten soll. Jeder Chemiker wird bestätigen, dass es keinen größeren Gegensatz als bio – was aufgrund seiner Etymologie immerhin etwas mit „lebensspendend, lebenserhaltend“ zu tun hat – und Schwefel gibt, denn dort, wo das giftige Element Schwefel ist, erstirbt jedes Leben. 13 z.B. Gesetzesentwurf, parlamentarische Opposition, Koalitionsregierung 14 z.B. Meldezettel, Organmandat, Steuererklärung 15 z.B. Konjunktur, Preisindex, Außenhandel 16 z.B. Anlage, Struktur, Objekt, Element, Phänomen 17 z.B. im Abseits stehen, KO gehen
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7. Sprachliche Charakteristika
7.1. Zur Lexik von Fach- und Sondersprachen W. Schmidt versucht den Fachwortschatz zu gliedern. Er spricht von Termini (standardisierte, nichtstandardisierte), Halbtermini, Fachjargonismen. Es gibt eine brauchbarere Gliederung:
Allgemeiner Wortschatz: Grundbestand, gemeinsprachlicher Wortschatz Allgemein-wissenschaftlicher Wortschatz: Grundgerüst vieler / aller Fachwortschätze Spezieller Fachwortschatz: Fachwörter, die nur in einer einzigen Fachsprache Verwendung finden; spezifischer Wortschatz 18
Es ist nicht immer leicht zu sagen, in welche Kategorie ein Wort einzuordnen ist. Vor allem der allgemeine und der allgemein-wissenschaftliche Wortschatz sind flüss ig, die Grenzen sind nicht immer feststellbar. Woher kommt der Fachwortschatz (im speziellen der spezielle Fachwortschatz)? Im Gegensatz zur Gemeinsprache stellt sich bei Fachsprachen das Problem, woher neue notwendige Fachwörter zu nehmen sind. Die Alltagssprache entwickelt sich organisch: Die Wörter stehen schon zur Verfügung. Fachwortschätze hingegen müssen ständig erweitert werden, da sich auch die Fächer weiterentwickeln. Es besteht ein lexikalischer Bedarf. (Bsp.: Chemie: ca. 10 Mio. Wörter) Quellen, woher der Fachwortschatz kommt:
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Entlehnung: Entlehnung aus anderen Sprachen, vor allem aus dem lateinischen und griechischen (für Sprachwissenschaft, Geometrie, Alchemie, …). viele Wörter im allgemein-wissenschaftlichen Wortschatz! Aus diesem Material wird Neues abgeleitet. In jüngeren Fachsprachen ist der Fremdwortanteil natürlich geringer. Die Verwendung von Wörtern aus anderen Sprachen kann sowohl unverändert (z.B.: Exitus, langue:parole, Hardware, Software) als auch verändert / angepasst auftreten (z.B.: Kode, Korpus [Datenmenge], Diagnose [ursprünglich: diàgnosis]). Die Sprachen, aus denen heute Wörter entnommen werden, sind nicht mehr direkt die klassischen Sprachen (etwa Latein, Griechisch), sondern bspw. das Englische (allerdings s tammen englische Wörter aus dem Lateinischen, daher wird indirekt aus den klassischen Sprachen geschöpft.) Lehnübersetzung: Die fremdsprachlichen Wörter werden mit Bestandteilen in die Zielsprache übersetzt. (Bsp.: Gemeinde [aus communis]) (Im Russischen bedient man sich dieser Methode weit häufiger als im deutschen Sprachraum). Es gibt auch Mischformen, wie etwa einloggen (teilweise Lehnübersetzung).
Dazu gehört aber auch ein Wort wie z.B. „Bund“: in Schneiderei, Musik, Buchdruck, … unterschiedliche
Bedeutung (Ausdrucksseite gleich, Inhaltsseite nicht)
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Metaphorisierung: Die Fachwörter kommen aus der gemeinsprachlichen Lexis (also aus der eigenen Sprache), allerdings wird ihnen eine neue Bedeutung verliehen. Die Benennungsmotive sind Form und Funktion, das heißt die Form bleibt gleich, die Funktion ist aber eine andere. Sehr beliebt sind Tierbezeichnungen beziehungsweise Körperbezeichnungen für Werkzeuge. (Bsp.: Muschel, Fuchsschwanz, Schnecke, Frosch, Auge, Zahn, Knie, Nase; andere Beispiele: Mathematik: Bündel, Halm, Keim, …; Chemie: jungfräuliche Ionen, …) 19 Transposition von Eigennamen: Fachwort bekommt die Bezeichnung des Erfinders. (Bsp.: Hertz, Gauss, Parkinsonsyndrom, Volt) Teilweise findet sich ein recht freier Umgang mit der Lautung. (Bsp.: Watt statt Watt [Aussprache: Wott], Ampere statt Ampère) Auch wird etwas weggelassen. (Bsp.: Volt statt Volta). Das Problem dabei ist, dass viele Wörter nicht selbstdeutend sind! Terminologisierung: Besonders wichtig für neue Wörter; mit der Metaphorisierung verwandt. Bedeutungszusammenhang mit dem gemeinsprachlichen Wort ist leicht erkennbar. Sprachliche Zeichen, die in der Gemeinsprache vorkommen, werden semantisch eingeschränkt beziehungsweise erweitert, also mit Grenzen versehen. (Bsp.: Ableitung, Gruppe, Funktion, Menge, ähnlich, stetig Diese Wörter sind ursprünglich aus der Mathematik; Bsp.: Wärme 20, Kurve21 u.a.) Die Terminologisierung kommt in so ziemlich jeder Fachsprache vor. (absolute Neubildung): Sie spielt kaum eine Rolle! Damit sind Fachwörter gemeint, die frei erfunden sind. (Bsp.: Gas [könnte aber im 17. Jahrhundert aus dem Griechischen vom Wort chàos kommen somit erst keine Neubildung]) Vor allem bei Produktnamen, Automodelle, etc. werden Neubildungen geschaffen, allerdings gibt es immer ein Motiv. Wortbildung: Die Wortbildung ist am wichtigsten! Die Wortbildung ist die Bildung neuer Einheiten aus bereits vorhandenem, sprachlichem Material. o Komposition (Zusammensetzungen) o Derivation (Ableitung: Bildung von neuen Wörtern durch Prä- oder Suffixen) o Konversion (Überleitung in eine andere Wortwahl, ohne Veränderung 22 o Bildung von Kurzwörter o Abkürzungen o Reduplikationen23 o Kontaminationen24
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Einschub: Einige germanistische Termini: Penthouse-Prinzip [Im Hauptsatz passiert etwas, was ihm Gliedsatz nicht passiert], Rattenfänger-Konstruktion [Gruppe von Gliedsätzen]. Früher waren solche Begriffe scherzhaft gemeint. 20 Temperaturzustand, der nicht genau bestimmbar ist [Gemeinsprache], jeder Temperaturzustand [Physik] Neutralisierung der Bedeutungskomponente 21 wahrnehmbar gekrümmt [Gemeinsprache], auch eine Gerade ist eine Kurve, aber mit unendlichem Radius [Mathematik] 22 z.B. Kraft meiner Befugnis Kraft wird zur Präposition 23 24
z.B. „Wauwau“, „Klimbam“ z.B. „Kurlaub“ (Kur + Urlaub), Milka (Milch + Kakao) zwei Wörter werden zu einem zusammengesetzt
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Es ist schwer zu sagen, woher die Sondersprachen ihren Fachwortschatz nehmen, da es sehr viele Sondersprachen gibt. Einige davon haben eine lange Geschichte, bei manchen ist die Konsistenz aber kurz.
Bsp.: Rotwelschsprache Die Rotwelschsprache ist keine einheitliche Sprachvarietät, sondern ein Sammelbegriff für unterschiedliche sachliche Varietäten zu unterschiedlichen Zeiten (manchmal sogar schon seit dem Mittelalter), an unterschiedlichen Orten. Die Sprache wird assoziiert mit Bettlern, Gaunern, Hausierern, Vagabunden, etc. Die Ausdrücke haben verhüllenden, isolativen Charakter. Sondersprachen verändern sich mit der Zeit (Verluste, Zuwächse.) Der isolative Charakter ist nämlich irgendwann abgenutzt. Solche Wörter werden dann durch andere Wörter ersetzt. Trotzdem stellt sich das Rotwelsch als stabile Sondersprache bzw. als stabiler Grundbestand heraus. Quellen:
Entlehnung: vor allem Wörter, die hebräischen oder indischen Ursprungs sind. (Bsp.: etwas keif sein = jemanden etwas schuldig sein; schar / scher = Uhr). Auch viele Entlehnungen aus anderen Sprachen, wie etwa der Zigeunersprache, dem Tschechischen, Französischen, Spanischen, … Metaphorisierung: (Bsp.: Hund = Wache halten, Vorhangschloss; Gerstl = Geld; Fuchs = Gold) Wortbildung: eine Reihe von Komposita, die auch teilweise den Humor durchklingen lassen (Bsp.: Stubenvater = Zellenältester; Körperkurtl = Raufbold; verbunkern = verstecken)
Bsp.: Jugendsprache Die Jugendsprache ist wesentlich schwerer in den Griff zu kriegen, da eine weitaus stärkere Dynamik am Werk ist. Quellen:
Entlehnung: aus dem Angloamerikanischen / Englischen (Bsp.: cool, chillen) Metaphorisierung: (Bsp.: etwas teilen = etwas verstehen) Wortbildung: sehr kreativ (Bsp.: Weichei, Warmduscher, Frauenversteher, Krawallbrause [zu viel Bier trinken], jemanden volltexten) 25
Wieder zurück zu den Fachsprachen:
Terminus: Die Definition des Begriffs Terminus ist nicht ganz einfach. Ganz allgemein: Ein Terminus hat eine bestimmte, aber begrenzte Verbreitungsspähre. Ein Terminus soll auch exakt sein, also aufgrund einer dahinter stehenden Definition, genau definierbare semantische Eigenschaften haben. Ein Terminus, der einer Fachsprache angehört, gehört einer Terminologie, einem strukturierten, größeren Gebilde, an. 25
Mehr dazu unter 7.2. Fachsprachliche Morphologie
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Es ist nicht möglich, einen einzelnen Terminus richtig zu verstehen, wenn man das Ganze nicht kennt. Um den einzelnen Terminus zu verstehen, muss man den ganzen Unterbau verstehen. Begriffe, die mit Termini benannt werden: Gegenstände (Materialien, Arbeitsinstrumente, Maschinen, Fabrikate, …), Personen mit fachbez ogenen Aufgaben; Methoden, die in einem bestimmten Fach eine Rolle spielen; Prozesse, Vorgänge, Erscheinungen, Eigenschaften, Zustände, Maßeinheiten, Rechenbegriffe, …
Terminologie: Der Terminologie gehören alle Wörter einer Fachsprache an. Es handelt sich um ein geschlossenes, festes Gefüge mit genauen Relationen zwischen den Termini. Terminologie : Nomenklatur: Die fachsprachliche Forschung ist bezüglich dieser Abtrennung nicht ganz einheitlich. Einerseits wird behauptet, dass die Nomenklatur eine Untergruppe von Termini ist, andererseits unterscheidet sich die Nomenklatur von Termini. Stellvertretend für viele ähnliche Definitionen von Nomenklatur sei hier zunächst die – wie sich herausstellen wird, nicht sehr brauchbare – von der russischen Forscherin Achmanowa angeführt: [Nomenklatur ist:] Die Gesamtheit der speziellen terminologischen Benennungen, die in einem bestimmten Wissenschaftsgebiet verwendet werden; die Benennungen für die typischen Objekte der betreffenden Wissenschaft (im Unterschied zur Terminologie, der die Benennungen abstrakter Begriffe und Kategorien angehören). Dies stimmt aber nicht ganz
(bestes Beispiel: Chemie), denn das würde heißen, dass es oft gar keine Nomenklatur gibt! (Bsp.: Mathematik, Philosophie). Bessere Definition: Gegenstand der Terminologie sind allgemeine Begriffe, die definierbar, also semantisch genau eingrenzbar sind. Die Nomenklatur sind Einzelbegriffe, die man nicht definieren, sondern nur beschreiben kann. (Bsp. aus der Zoologie: Säugetier [Terminologie], Eisbär, Hausschwein [Nomenklatur].) Dadurch ergeben sich große Unterschiede von Fach zu Fach: Es gibt viele Fächer, in denen es sehr viele Termini gibt, aber auch welche, in denen das überhaupt nicht so ist.
Merkmale des Terminus nach W. Schmidt:
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Fachbezogenheit: Ein Terminus ist Teil einer bestimmten Fachsprache. Begrifflichkeit: Ein Terminus sollte ein fachlicher Begriff sein. Es handelt sich um einen abstrakten Gedanken. Exaktheit: Die Forderung sollte exakt sein; der Terminus sollte eine unmissverständliche Bedeutung haben. Es sollte keine Zweifel hinsichtlich seiner Bedeutung geben. Auch darf er nicht in die Bedeutung anderer Fachwörter hineinragen. Diese Exaktheit wird nicht immer vollständig erfüllt! Denn viele Fachwörter haben nur eine unklare Bedeutung und sind nicht gut abgegrenzt. 26 Eindeutigkeit: Die Eindeutigkeit ist eine Facette der Exaktheit. Der Terminus soll eine ganz bestimmte Erscheinung haben: einer bestimmten Ausdrucksseite soll genau
z.B. Was ist ein Satz, Wort, Sprache?
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ein Inhalt zugeordnet sein (siehe Zeichenmodell von Ferdinand de Saussure). In der Praxis ist das nicht immer ganz einfach. 27 Eineindeutigkeit: Weiterführung der Eindeutigkeit: Nicht nur ein Ausdruck = ein Inhalt, sondern auch ein Inhalt = ein Ausdruck. Das Verhältnis zwischen Ausdruck und Inhalt ist auf beiden Seiten 1:1. Andererseits soll es keine Synonyme, keine alternativen Ausdrücke, für denselben Gegenstand geben. In der Praxis ist das natürlich auch nicht immer der Fall! 28 Selbstdeutigkeit: 1. Ein Terminus sollte die Eigenschaft haben, auch ohne Kontext verstanden zu werden, er sollte also eine Kontextautonomie haben. 2. Ein Terminus soll so geschaffen sein, dass seine Lautgestalt, seine materielle Hülle, bereits auf seine Bedeutung hinweist. Es soll zumindest assoziiert werden, was sich hinter der Lautkette verbirgt. ( wichtig in der Metaphorisierung, Bsp.: Wärme, Knie, …) Auch die Selbstdeutigkeit ist nicht immer eindeutig. 29 Knappheit: Die Wörter sollen so kurz wie möglich sein. Ein Wort aus der technischen Fachsprache wie "Trapezgewindeschleifmaschine" ist zwar vom Wortumfang her relativ lang, im Verhältnis zur Sache, die damit bezeichnet wird, jedoch eindeutig definiert. (Man muss in Kauf nehmen, ob die Knappheit, oder die Eindeutigkeit wichtiger ist!) Ästhetische, expressive, moralische Neutralität: Ästhetische Neutralität: Ein Terminus sollte einem anderen Terminus nicht o deshalb vorgezogen werden, weil er schöner klingt. Expressive Neutralität: Ein Terminus sollte nicht allzu expressiv sein, da o dadurch der rationale Charakter von Fachsprachen unterminiert wird. Moralische Neutralität: Ein Terminus soll keine subjektiven Haltungen des o Sprechers bzw. Schreibers andeuten, weil auch das der Rationalität widersprechen würde, es soll also Wertfreiheit vorhanden sein. Konnotation, die irgendeine Wertung durchschimmern lassen, sind in Fachsprachen zu vermeiden.30 Hinzu kommt, dass gewisse Diminutiv-Formen in der Fachsprache im Allgemeinen keine Konnotationen tragen. Wenn ein Physiker von "Teilchen" spricht, dann möchte er dadurch nur die geringe Größe des Gegenstandes ausdrücken und keine Wertung vornehmen. 31
z.B. Kernsatz = ein Satz, bei dem das Verb an zweiter Stelle steht; aber auch: der kürzest mögliche grammatische Satz 28 z.B. Aktant = Ergänzung = Mitspieler 29 z.B. fahren (in der Bergwerkssprache) = jede Art der Bewegung; auch die Transposition von Eigennamen ist nicht eindeutig. 30 Ein drastisches Beispiel von einem gewiss nicht neutralen, wertungsfreien Fachwort: In der Druckerei gilt es als ein grober Verstoß gegen die typographischen Gestaltungsprinzipien, wenn eine Seite bzw. Spalte mit einer Ausgangszeile, also der letzten, nicht vollen Zeile eines Absatzes beginnt. Eine solche Zeile heißt Hurenkind. Man darf wohl annehmen, dass ein solcher Terminus heutzutage von keiner Terminologie-Kommission gebilligt würde, doch in einer alten, seit Jahrhunderten in ihrem Grundbestand kaum wesentlich veränderten Fachsprache sind solche ausdrücklich nichtneutralen Fachwörter durchaus keine Seltenheit. 31 Im gemeinsprachlichen Sprachgebrauch ist z.B. der Unterschied zwischen Hase und Häschen denotativ der, dass dem Diminutiv Häschen das Merkmal „klein“ zukommt; konnotativ aber schwingt dabei viel an zusätzlichen Bedeutungskomponenten mit, eben „lieb“, „zum Streicheln geeignet“ und ähnliche. Anders ist dies in den Fachsprachen: Wenn ein Physiker von Teilchen spricht oder ein Anatomie-Fachmann von Tastkörperchen, so wird damit nur die Kleinheit des Gegenstandes ausgedrückt, irgendwelche Konnotationen
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Zur Terminologienormung von Fachsprachen lässt sich festhalten, dass es in den meisten Staaten Institutionen gibt, die sich mit der Normierung von Produkten befassen, damit diese über die nationalen Grenzen hinaus Gültigkeit erlangen. DIN-A4-Blätter zum Beispiel sind ebenso normierte Gegenstände wie die Gewindegrößen von Glühbirnen oder die Normierung von Steckdosen, sodass man auch im Ausland elektrische Geräte verwenden kann. In der Fachsprache stehen vor allem die Normierung von bestimmten Gegenständen und Abläufen im Vordergrund. Die fachsprachliche Norm in Bezug auf die verwendete Terminologie ist erst in zweiter Linie von Bedeutung. Das Bedürfnis zur Vereinheitlichung in diesem Bereich ist relativ jung. In früheren Epochen sind Inkonsequenzen und regionale Unterschiede erkannt worden, damals war aber vieles überschaubar. Heute ist Normierung äußerst notwendig. Beispiele für solche Normierungsinstitutionen:
DIN (Deutsche Industrienorm / Deutsches Institut für Normung) DNA (Deutscher Normungsausschuss) VDI (Verein Deutscher Ingeneure) 32 ÖNA (Österreichischer Normungsausschuss) CEN (Europäisches Institut für Normung)
7.2 Fachsprachliche Morphologie Es gibt zwei große Bereiche, die der Morphologie zuzuordnen sind, nämlich Flexion und Wortbildung. Bei der Flexion werden die Wörter abgewandelt, neue Wortformen werden gebildet, wobei die Bedeutung des Wortes allerdings gleich bleibt. Die Wortbildung dagegen beinhaltet die Bildung neuer Wörter aus dem sprachlichen Inventar. Bei Fachsprachen lassen sich vor allem bei der Flexion Unterschiede zur Gemeinsprache feststellen. Einige Beispiele seien im Folgenden genannt: In manchen Fällen können Substantiva im fachsprachlichen Gebrauch Plurale bilden, die es bei den gleichlautenden gemeinsprachlichen Substantiva nicht gibt, z.B. Druck – Drücke, werden aber nicht mittransportiert. Ähnlich ist dies auch bei dem gemeinsprachlichen Suffix -ling, das (neben anderen Funktionen) eine abwertende Haltung von Seiten des Sprechers/Schreibers ausdrücken kann: Wenn ich jemanden, der Gedichte schreibt, nicht Dichter, sondern Dichterling nenne, darf er wohl annehmen, dass ich seine poetischen Produkte nicht allzu hoch einschätze. Solche Konnotationen stellen sich bei einem fachsprachlichen Terminus, der mit -ling gebildet ist, nicht ein. Ein Objekt, das gepresst werden soll, kann als Pressling bezeichnet werden, ein noch unverarbeiteter, also roher Gegenstand als Rohling etc., ohne dass damit eine negative, abwertende Konnotation verbunden wäre. 32 Ein Beispiel: Der VDI hat in seinen Richtlinien unter anderem die Verwendung von bestimmten Wortbildungsmitteln vorgeschlagen, z.B. -los, -frei und ähnlichen. Das Suffix -los soll demnach dann verwendet werden, wenn die Abwesenheit eines Gegenstandes oder Stoffes „ohne Wertung sachlich festgestellt“ werden soll: z.B. die Kraft wird riemenlos übertragen. Die Verwendung von -frei soll hingegen ausdrücken, dass die Abwesenheit eines Stoffes bzw. Gegenstandes wünschenswert ist; z.B.: das Präparat ist arsenfrei. Wenn die völlige Abwesenheit nicht nachgewiesen werden kann, so sollte das durch einen terminologischen Zusatz ausgewiesen werden, z.B. praktisch arsenfrei. Soll die Abwesenheit besonders hervorgehoben werden, so wird etwa empfohlen völlig arsenfrei.
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Staub – Stäube, Zerfall – Zerfälle etc. Es werden also gelegentlich Stoffnamen bzw. Abstraktbezeichnungen (wie Zerfall), die gemeinsprachlich nicht zählbare Größen sind, als zählbare behandelt. Gelegentlich kommt das – im technischen Bereich – sogar bei substantivierten Infinitiven vor, vgl. brennen – das Brennen, Pl. die Brennen („Brennvorgänge“). Es sind also fachsprachlich häufig Wörter, die sonst als Singulariatantum vorkommen, aus fachlicher Notwendigkeit heraus pluralisierbar. – Das Umgekehrte, also die Möglichkeit eines Singulars bei gemeinsprachlichen Pluraliatantum, kommt seltener vor, aber auch sie ist zu beobachten, vgl. z.B. den in der Biologie gebräuchlichen Singular zu Eltern: das Elter; dabei wird die Neutralisierung des Merkmals „Sexus“, die das Pluralwort auszeichnet, auf den neu gebildeten Singular übertragen – das Wort ist ein Neutrum. Bei den Substantiva wird auch häufig ein anderer Plural als gemeinsprachlich gebildet, was häufig damit zu tun hat, dass man wenigstens im Plural die Homonymie mit dem gemeinsprachlichen Wort vermeiden will; vgl. z.B. Dorn – Dorne (statt Dornen), Mutter – Muttern (statt Mütter). Auch hinsichtlich der Genera von Substantiven gibt es Abweichungen gegenüber der Gemeinsprache bzw. Unterschiede zwischen einzelnen Fachsprachen. Vgl. z.B. das Filter in der technischen Fachsprache; die Partikel in der Linguistik, in anderen Fachsprachen aber das Partikel; das Teil „funktionales Element eines Gerätes“; der Kalkül „Berechnung“ (Logik, Mathematik). Bei den Verben ist zu beobachten, dass die starke Konjugation gegenüber der schwachen eher in den Hintergrund tritt. Es werden häufig Verben, die gemeinsprachlich ihre Tempusstufen mit Ablaut bilden, schwach flektiert, also mit Dentalsuffix. Vgl. gemeinsprachlich saugen – sog – gesogen, fachsprachlich dagegen häufig saugen – saugte – gesaugt (in Verbindung mit dem Staubsauger auch gemeinsprachlich); ähnlich: gemeinsprachlich senden – sandte – gesandt (neben sendete – gesendet), in der Nachrichtentechnik (Rundfunk) nur senden – sendete – gesendet. Bei der Wortbildung werden vor allem die Komposition und die Derivation gebraucht, daneben kommen auch die Konversion (die Übertragung von Wörtern in eine neue Wortart) sowie auch die Wortkürzung zum Einsatz.
Komposition Bei der Komposition sind vor allem Substantive gängig. Determinativkomposita sind Wörter wie "Haustor", indem das Wort Haus das Wort Tor näher bestimmt. Kopulativkomposita zeichnen sich dadurch aus, dass hier nicht ein Grundwort durch ein Bestimmungswort näher definiert wird sondern ein gegenseitiges Verhältnis vorhanden ist (z.B.: "Spielertrainer" oder "Dichterkomponist"). Bei einem Wort wie "Tor" verhält sich das Wort "Haustor" wie Oberbegriff zu Unterbegriff. Bei Wörtern wie Maschine lassen sich Unterbegriffe wie zum Beispiel "Schleifmaschine" aufzählen. Das Wort "Schleifmaschine" kann dann wiederum als Oberbegriff für andere Schleifmaschinen fungieren, indem es ja auch "Gewindeschleifmaschinen" und andere Arten gibt. Auf diese Weise lassen sich logische Relationen erkennen. In Fachsprachen kommen aufgrund der Notwendigkeit genauer Definitionen und Präzision oftmals lange Kompositionen vor.
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Adjektiva als Zweitglieder dienen häufig dazu, um Oppositionen auszudrücken. Solche Gegensatzpaare sind fachsprachlich von großer Bedeutung. Sie sind durch Normungen festgelegt. Bsp.: -reich, -arm; -empfindlich, -fest Bildung aus zwei Adjektiven: Können mit oder ohne Bindestrich stehen, je nachdem verändert sich die Bedeutung. Bsp.: graubunt, schwarzweiß, grünrot (grün und rot gemischt) oder grün-rot (grün und rot kommen getrennt vor) Verben als Zweitglieder: oft mit Substantiva als Erstglieder. Bsp.: trennschleifen, spritzgießen Viele Komposita müssen mit Partizipien an der zweiten Stelle stehen. Bsp.: faserverstärkt, kugelgelagert Abkürzungen als Erstglieder: Erstglieder stellen sehr häufig eine Abkürzung dar. EUKommission, AV-Referenten33, P-Struktur34
Derivation Die für das Deutsche relevanten Möglichkeiten der Derivation (Ableitung) sind die Suffigierung und die Präfigierung. Bei der Suffigierung wird bekanntlich mit Hilfe von Nachsilben abgeleitet, bei der Präfigierung mit Vorsilben. Der große Bedarf an Fachwörtern wird zu einem nicht geringen Teil durch die Derivation gedeckt; die dafür im Deutschen zur Verfügung stehenden Suffixe und Präfixe (inklusive Fremdsuffixe und -präfixe) werden stark genutzt.
Suffigierung:
-er: bei Personenbezeichnungen, Gerätebezeichnungen, Pflanzen- und Tierbezeichnungen (manchmal auch – ler) -heit/-keit/-ung: Abstraktsuffixe
Hier ist kaum ein Unterschied zu den Gemeinsprachen festzustellen, allerdings versucht man Unschärfen zu beseitigen. 35
Das Suffixsystem: in der Chemie: - ase = Fermente: Amylase -it = sauerstoffarme Salze: Sulfit -id = sauerstofffreie Salze: Sulfid - at = sauerstoffreiche Salze: Sulfat in der Medizin: -itis = Entzündung: Bronchitis in der Sprachwissenschaft: - em = abstrakte Einheiten: Phonem, Morphem
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zuständig für audiovisuelle Effekte Phasenstruktur 35 Beispiel: beweg lich → bewegen durch Außeneinwirkung oder eigenständiges Bewegen? = unscharfer Begriff: Begriff soll eingeschränkt sein auf Objekte, die sich selbst bewegen können; bewegbar → steht für Objekte, die von einer außeneinwirkenden Kraft bewegt werden. 34
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Präfigierung: viele Präfixe negieren einen Begriff
un-/in-/a- ([un]beruhigter Stahl, [un]edel; [in]stabil; [a]symmetrisch) Diese
Präfixe kommen auch in der Gemeinsprache häufig vor. (sozial vs. unsozial [nicht dauerhaft] / asozial [dauerhafte moralische Qualität])
ver nicht- Dieses Präfix ist stark in der Technik vertreten, aber genauso ist es in keiner
Fachsprache unentbehrlich, denn damit lässt sich das nicht zutreffen eines Sachverhalts beweisen. Dies kommt der angestrebten Rationalität in Fachsprachen entgegen. Man kann für Wörter, die eigentlich kein Antonym haben, eines einführen. (Salz vs. Nicht-Salz) Schein-/Pseudo-/Quasi- Beschreiben Sachverhalte, die nur dem Anschein nach die Bedeutung des Basiswortes tragen. Etwas ist nicht im vollen Umfang das, was das Zweitglied ausdrückt. (Scheinschwangerschaften, Pseudomorpheme, Quasiattribut, etc.) Präfixe aus klassischen Sprachen spielen auch hier eine große Rolle: mikro, makro, mega, mini, milli, nano, etc. Auch Präfixe aus Gemeinsprachen mit genau festgelegten Funktionen werden gebraucht: be- (befüllen: etwas wird in etwas anderes gefüllt, ohne dass das Gefäß voll sein muss → wird offen gelassen); ( füllen: Gefäß muss voll sein); ver(Bauwesen: verfüllen)
Konversion Die Konversion ist der Übertritt von einer Wortart in eine andere, und zwar ohne explizite Wortbildungsmittel. Die Konversion ist gerade in den Fachsprachen sehr produktiv. Das Ergebnis ist fast immer ein Substantiv. Verschiedene Substantivierungen mit Beispielen:
Substantivierung des Infinitivs: das Brennen = der Infinitiv „brennen“ liegt dem „Brennvorgang“ zu grunde. Substantivierung von Adjektiva: das Blau Substantivierung von Partizipien: die Vorsitzende, die Unbekannte (Mathematik) Substantivierung von Numeralia: die Eins, die Zwei, etc.
Wortkürzungen, Abkürzungen etc. In den Fachsprachen der Gegenwart sind Abkürzungen sehr beliebt, da so das Merkmal der Knappheit eingehalten wird. Das Merkmal der Selbstdeutung wird hier jedoch nicht unbedingt berücksichtigt. Die sprachliche Ökonomie überwiegt.
EKG, EDV (Die Buchstabennamen werden aneinandergereiht.) NATO, UNICEF (Das Ergebnis wird wie ein Wort ausgesprochen.) Kopfwörter: Makro(+befehl), Spiegelreflex(+kamera), Info(+rmation) Schwanzwörter: (Omni+)Bus Oberbegriffe („Lekt“) : Dialekt, Soziolekt, Idiolekt, Ethnolekt, Regiolekt „eigentliche“
Abkürzungen:
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Klappwörter: Stagnation + Inflation = Stagflation; Essigsäure + Ether = Ester Aneinanderreihung: Panorö (Panorama Röntgenaufnahme), Kripo (Kriminalpolizei) Radar (radio detecting and ranging) Abkürzungen in Erstgliedern: EU-Kommission Abkürzungen in Zweigliedern (seltener): Voll-AK
7.3 Zur Syntax in Fachtexten Es lassen sich in syntaktischer Hinsicht sogenannte Frequenzspezifika in Fachsprachen feststellen. V. Hahn spricht von auffälligen syntaktischen Kennzeichnen von wissenschaftlichen Fachsprachen und von Schlüsseltechniken, die dich fachsprachliche Kommunikation bestimmen und sich syntaktisch Auswirken. 1. Anonymisierung: das handelnde, sprechende Subjekt tritt in den Hintergrund 2. explizite Spezifizierung 3. Kondensierung: syntaktische Verknappung
ad Anonymisierung: Entpersönlichung der mitzuteilenden Inhalte. Der Autor rückt gerade bei schriftlicher Kommunikation stark in den Hintergrund. Die Anonymisierung bietet eine Möglichkeit, die fachlichen Vorgänge rational auszudrücken, ohne dass das Subjekt syntaktisch mit erscheint. Es kommt zu einem stufenweisen Zurücktreten. Anfangs erfolgt noch die Benützung des Personalpronomens „Ich“ 36 (nicht-vorgenommene Anonymisierung) Durch Verwenden von „man“ er reicht man bereits eine gewisse Anonymisierung, diese wird jedoch stärker durchgesetzt, wenn man das Passiv verwendet. (= tatsächliche Anonymisierung ) Das Objekt nimmt die Subjektrolle an, wodurch das Subjekt völlig verschwindet. Es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten, zum Beispiel durch Nominalisierung (Substantivierung von Verben) oder durch das nicht-Verwenden von Modalpartikel. (eben, schon, doch, etc.) Diese Wörter sind an Sprecher gebunden und drücken persönlichen Kontakt aus. Ein Beispiel für solch ein stufenweises Zurücktreten: a) Als ich die Flüssigkeit abgoss, sah ich einen braunen Bodensatz. b) Wenn man die Flüssigkeit abgießt, sieht man einen braunen Bodensatz. c) Wird die Flüssigkeit abgegossen, zeigt sich ein brauner Bodensatz. d) Nach Abgießen der Flüssigkeit ist ein brauner Bodensatz sichtbar / zu sehen.
ad explizite Spezifizierung: Es wird in fachsprachlichen Texten häufig darauf Wert gelegt, dass der Sprechhandlungstyp ausdrücklich, unmissverständlich herauskommt. (z.B.: Die Tatsache, dass… Die Behauptung, dass… Das Problem, wie… Die Frage, ob… syntaktische Muster!) So eine Spezifizierung kommt natürlich auch in der Gemeinsprache vor, allerdings nicht in derselben Art wie in 36
nur mündlich (nicht schriftlich in Fachsprachen)
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Fachsprachen.37 Bei der Spezifizierung sind auch attributive Phrasen, Attribute und Attributsätze häufig. (Bsp.: Die Texteigenschaften, die zuvor methodisch herausgearbeitet werden müssen, die…)
ad Kondensierung: Etwas wird „dichter.“ Die Kondensierung kann eine Verknappung des Satzes bewirken, allerdings oft in unterschiedlichem Ausmaß. Vielmehr sind nämlich gerade Fachtexte besonders lang und verschachtelt. Vielmehr sind Fachtexte tendenziell ärmer an Redundanz als gemeinsprachliche Texte. Fachtexte weisen also einen geringen Grad an überschüssiger Information auf. Dichte Texte sind zwar oft kürzer, dafür wird aber vom Rezipienten eine höhere Dekodierung erfordert, da der Grad der Aufmerksamkeit viel höher sein muss. Typische Mittel der Kondensierung:
Nominalisierung: Verben werden zu Nomen, zu Substantiv geführt. (Bsp.: Es ist verboten, Tiere zu quälen. Dem, der sich nicht daran hält, wird Strafe angedroht. – Nominalisierung: Tierquälerei ist unter Strafandrohung verboten.) Funktionsverbgefüge: Bsp.: Zur Aufführung bringen (bringen = Funktionsverb). Die Verben verlieren dabei ihre ursprüngliche semantische Bedeutung. Komplexe Inhalte werden in ein Adjektiv gelegt, besonders gerne ein Substantiv mit einem Adjektiv. (Bsp.: kostenpflichtig) Abkürzungen in Form eines Symbols. (Bsp.: L-markiert dahinter steht ein komplexer Sachverhalt) Dadurch entsteht zwar eine höhere Dichte, allerdings ist die Bedeutung klarer, da der Begriff nicht erklärt werden muss. Vor allem in der Mathematik finden sich solche Abkürzungen. (Bsp.: x=y – X gleich Y statt X ist gleich Y.)
Fachsprachen haben auch syntaktische Eigenschaften, die nicht gemeinsprachlich möglich sind. Vor allem sind das Verben, die mit der Verbvalenz zu tun haben. (Valenz ist die Eigenschaft, Leerstellen zu eröffnen. Aktanten füllen diese Leerstellen siehe Dependenzgrammatik) legen ich
das Buch
auf den Tisch
In Fachsprachen wird die Verbvalenz manchmal verändert. (Bsp.: deklinieren: Ich dekliniere ein Wort. [Gemeinsprache] Das Adjektiv dekliniert ein Substantiv. [Fachsprache] Das ergibt natürlich auch eine andere Bedeutung!
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Man würde bspw. in der Gemeinsprache niemals sagen: „Ich stelle dir die Frage, ob…“)
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7.4 Fachsprachliche Textgestaltung Texte sind Gebilde eines bestimmten Umfangs, die formale und inhaltliche Beziehungen zueinander haben. Sie können mündlich oder schriftlich sein. Auch sollten sie sinnvoll zusammenhängen. Wie sind die einzelnen Elemente miteinander verbunden? Wie können Sätze in einem längeren Text miteinander verknüpft / verflochten sein? Man unterscheidet zwischen folgenden Verflechtungsrichtungen:
anaphorischer Textvertretung: (rückwärts weisend) Wiederaufnahme von etwas, was vorher schon genannt wurde. Anaphorische Elemente stehen bevorzugt am Anfang, also im Vorfeld, oder direkt hinter dem Verb. Die einfachste Form der anaphorischen Textvertretung ist die (wörtliche) Wiederholung. Die Wiederaufnahme ist in manchen Fachtexten wichtig, um den Textzusammenhang nicht zu verlieren. Folgendes fällt in die anaphorische Textvertretung: Wiederholungen o Oberbegriff – Unterbegriff – Relation: besonders wichtig in Fachsprachen! o (Bsp.: Infinitivsätze – syntaktische Relationen; Instrumente – die Flöte). Solche Relationen helfen, die Texte logisch zu strukturieren. Aber: Bsp.: Hypoxische Zustände und traumatische Einwirkungen können zu schweren Gehirnschäden führen. Die ursächliche Bedeutung beider Faktoren ist im Einzelfall schwer zu schaffen. Verallgemeinerung; keine Ober-Unterbegriff – Relation! Hier spricht man von Klassifikatoren: fassen mehrere Begriffe zusammen. In Fachsprachen wird häufig mit Klassifikatoren gearbeitet. Synomina: gleiche Inhaltsseite, unterschiedliche Ausdrucksseite (also o verschiedene Wörter mit derselben Bedeutung) (Bsp.: Insel – Eiland; Semmel – Brötchen nicht ganz exakte Synomia) Echte Synomina sind aber sehr selten. (Bsp.: Aktant – Ergänzung – Mitspieler). Eine Fachsprache besteht nicht nur aus fachsprachlichen Ausdrücken, sondern auch aus allgemeinsprachlichem Material. In diesem Material kann man aber sehr leicht Synomina benutzen! (Bsp.: verwenden – gebrauchen; beurteilen – einschätzen) kataphorische Textvertretung: (vorwärts weisend), etwas, was erst genannt wird. (Bsp.: folgende Erkenntnis) Kataphorische Elemente stehen bevorzugt weiter hinten. In fachsprachlichen Texten tritt vor allem die kataphorische Textvertretung auf.