dtv
Der Seelenforscher und Therapeut C. G.Jung hat sich immer auch auf jene Bereiche eingelassen, die sich exakter wissenschaftlicher Uberprüfbarkeit entziehen, auf Ereigniszusammenhänge, die nicht den Gesetzen von Raum, Zeit und Kausalität der materiellen Welt zu gehorchen scheinen. Seine Neigung zu mittelalterlicher Alche mie, zu Orakel, Astrologie und Mantik, zu paradoxen und parapsy chologischen Phänomenen hat ihm viel Kritik- in jüngerer Zeit aber auch großen Zuspruch seitens spiritueller Bewegungen - einge bracht. Auf der Suche nach einer geistesgeschichtlichen Tiefendi mension für das Unbewußte befaßte er sich mit rätselhaften Bilder welten, die ihm Bezugssysteme für symbolische Deutungen der psychischen Aspekte zu leifern schienen. Mit dem Begriff »Synchro nizität« versuchte er, ein bedeutungsvoll scheinendes Zusammen treffen von Ereignissen zu beschreiben, die in keinem kausalen Zu sammenhang stehen, bestrebt, so auch zwei scheinbar unzusammen hängende Wirklichkeiten wie die innere und die äußere in sinnvollen Bezug zueinander zu bringen. Fasziniert von den okkul ten Überlieferungen in den verschiedenen Kulturen, von der Welt des Zufalls und der Koinzidenz, suchte er die Fäden aufzunehmen, die ihn zu Mitteilungen des Unbewußten führten, zu Erlebnisdi mensionen des Menschen, die für ihn unabhängig von der dring lichen Welt existierten und nur im Austausch mit dieser zu Wand lung und Veränderung führen.
Carl Gustav Jung wurde am 26. Juli 1875 in Kesswil in der Schweiz geboren. Er studierte Medizin und arbeitete von 1900 bis 1909 an der psychiatrischen Klinik der Universität Zürich (Burghölzli). 1905 bis 1913 war er Dozent an der Universität Zürich, 1933 bis 1942 Titular professor an der ETH und 1943 Ordentlicher Professor für Psycho logie in Basel. Jung gehört mit Sigmund Freud und Alfred Adler zu den drei Wegbereitern der modernen Tiefenpsychologie. Er entwik kelte nach der Trennung von Sigmund Freud (1913) die eigene Schule der Analytischen Psychologie. C. G.Jung starb am 6. Juni 1961 in Küsnacht.
C.
G.Jung
Synchronizität, Akausalität und Okkultismus
Deutscher Taschenbuch Verla g
C. G. Jung-Taschenbuchausgabe in elf Bänden Herausgegeben von Lorenz Jung auf der Grundlage der Ausgabe >Gesammelte Werke<
Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem U nbewußten (35170) Antwort auf Hiob (35171) Typologie (35172) Traum und Traumdeutung (35173) Synchronizität, Akausalität, Okkultismus (35174) Archetypen (35175) Wirklichkeit der Seele (35176) Psychologie und Religion (35177) Die Psychologie der Übertragung (35178) Seelenprobleme der Gegenwart (35179) Wandlungen und Symbole der Libido (35180)
C. G. Jung-Taschenbuchausgabe in elf Bänden als Kassette (59049)
Januar 2001 6. Auflage Juni 2003 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co . KG, München www.dtv.de
© 1971-1990 Walter-Verlag AG, Olten Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen Umschlagbild: >Landschaft mit Fahnen<
(1915) von Paul Klee
(Sprengel Museum Hannover/© VG Bild-Kunst, Bann 1996) Gesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ·ISBN 3-423-35174-8
Inhalt
Synchronizität, Akausalität Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge (1952)
0
000
0
00
0
00
0
0000
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
Vorrede 0 00 0 0 000 0 000 0 10 Exposition 0 0 0 0 00 20 Ein astrologisches Experiment 0 0 0 000 00000 000 30 Die Vorläufer der Sychronizitätsidee 0 40 Zusammenfassung Briefe über Synchronizität (1950-1955) 0 0 00 00 00 0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
o
0
0
0
0
o
o
0
0
o
o
o
0
0
o
0
o
0
o
0
0
o
0
0
0
0
0
o
o
0
0
0
0
0
0
o
o
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
.
.
o
.
.
o
o
.
.
o
.
o
0
0
0
0
0
0
.
0
0
o
.
0
9 9 10 45 64 83 99
Okkultismus Die psychologischen Grundlagen des Geisterglaubens (1928) 0 Über spiritistische Erscheinungen (1905) 00 0 00 0 0 0 Drei Vorreden (1948, 1950, 1958) 0 0 Zur Psychologie und Pathologie sogenannter okkulter Phänomene (1902) 0 000 000 0000 000 0 00 Fall von Somnambulismus bei einer Belasteten (Spiritistisches Medium) 00 00 000 0000 0 00 Sitzungsberichte 0 0 0 0 0 0 0 0 0 00 Entwicklung der somnambulen Persönlichkeiten 0 0 0 0 Die Romane 0 00 000 0 0 0 0 Mystische Naturwissenschaft 0 0 0 0 0 Ausgang 0 0 0 0 00 00 00 00 00 0 0 Der Wachzustand 0 0 0 0 0 0 Der Herni-Somnambulismus 0 0 000000 0 0 0 0 Die Automatismen 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Die Charakterveränderung 0000 0 00 00 Verhältnis zum hysterischen Anfall 0 000 0 Verhältnis zu den unbewußten Persönlichkeiten 0 0 Verlauf 00 00 00 000 000000 0 0 Die unbewußte Mehrleistung 0 0 0 00 00000 Schlußwort 0 0 0 0 0 000000 00 000 0
0
.
0
0
.
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
•
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
•
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
•
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
•
0
•
0
0
0
•
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
•
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
•
0
0
0
0
165
0
0
0
0
•
•
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
•
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
•
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
•
0
0
0
0
0
0
0
109 127 145
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
178 187 191 197 200 204 205 208 209 222 231 237 239 240 248
Bibliographie der genannten Werke 0 0 0 0 251 Q uellennachweis 0000 00 0 0 0 0 0 0 0 0 0 259 Obersicht der Ausgabe >Gesammelte Werke< von C. Go Jung 260 Namenregister 0 0 0 0 0 0 0 00 00 265 0
0
0
0
0
•
0
0
0
.
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
•
0
0
•
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
Synchronizität, Akausalität
·
Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge (1952)
Vorrede Mit der Abfassung dieser Schrift löse ich sozusagen ein Verspre chen ein, an dessen Erfüllung ich mich viele Jahre lang nicht ge wagt habe. Zu groß schienen mir die Schwierigkeiten des Problems sowohl wie die seiner Darstellung; zu groß die intellektuelle Ver antwortung, ohne welche ein derartiger Gegenstand nicht behan delt werden kan n ; zu ungenügend endlich meine wissenschaftliche Vorbereitung. Wenn ich nun dennoch meine Scheu überwunden und das Thema in Angriff genommen habe, so geschah es haupt sächlich deshalb, weil sich einerseits meine Erfahrungen mit dem Synchronizitätsphänomen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt häuften, andererseits meine symbolgeschichtlichen Untersuchungen, insbe sondere diejenigen über das Fischsymbol, mir das Problem immer näher rückten, und schließlich, weil ich schon seit zwanzig Jahren in meinen Schriften hin und wieder das Vorhandensein besagten Phänomens, ohne eine nähere Erläuterung desselben, angedeutet habe. Ich möchte dem unbefriedigenden Zustand der Frage ein vorläufiges Ende setzen, indem ich versuche, alles, was ich hiezu vorzubringen habe, zusammenhängend darzustellen. Man möge es mir nicht als Anmaßung auslegen, wenn ich im folgenden unge wöhnliche Ansprüche an die Aufgeschlossenheit und Bereitwillig keit meines Publikums stelle. Es werden dem Leser nicht nur Ex kursionen in dunkle, zweifelhafte und durch Vorurteile abgerie gelte Gebiete menschlicher Erfahrung zugemutet, sondern es wer den ihm auch Denkschwierigkeiten aufgebürdet, wie sie eben die Behandlung und Durchleuchtung eines so abstrakten Gegenstan des mit sich bringen. Es handelt sich, wie jedermann nach der Lektüre einiger Seiten feststellen kann, keineswegs um eine voll ständige Beschreibung und Klärung des verwickelten Tatbestan des, sondern nur um einen Versuch, das Problem so aufzurollen, daß, wenn nicht alle, so doch viele seiner Aspekte und Beziehun gen sichtbar werden und damit, wie ich hoffe, ein Zugang zu einem noch dunkeln Gebiet, das aber weltanschaulich von größter Bedeutung ist, sich auftut. Als Psychiater und Psychotherapeut kam ich oft in Berührung mit den in Frage stehenden Phänomenen und konnte mich namentlich darüber vergewissern, wieviel sie für die innere Erfahrung des Menschen bedeuten. Es handelt sich ja meist um Dinge, über die man nicht laut spricht, um sie nicht gedankenlosem Spotte auszusetzen. Ich war immer wieder er-
10
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , AKAUSA L I TÄT
staunt darüber, wie viele Leute Erfahrungen dieser Art gemacht haben und wie sorgsam das Unerklärliche gehütet wurde. Meine Anteilnahme an diesem Problem ist daher nicht nur wissenschaft lich begründet, sondern auch menschlich. Bei der Ausführung meiner Arbeit erfreute ich mich des Interes ses und der tatkräftigen Unterstützung seitens einer Reihe von Persönlichkeiten, deren ich im Text Erwähnung tue. An dieser Stelle möchte ich Frau Dr. L. Frey-Rohn meinen besonderen Dank abstatten. Sie hat mit großer Hingabe das astrologische Ma terial bearbeitet. Im August 1950 C. G. Jung 1. Exposition
Die Ergebnisse der modernen Physik haben, wie bekannt, eine bedeutende Veränderung unseres naturwissenschaftlichen Weltbil des herbeigeführt, indem sie die absolute Gültigkeit des Naturge setzes erschütterten und in eine relative verwandelten. Naturgeset ze sind statistische Wahrheiten, das heißt, sie sind nur dort sozusa gen durchwegs gültig, wo es sich um sogenannte makrophysikali sche Größen handelt. Im Bereiche sehr kleiner Größen aber wird die Voraussage unsicher, beziehungsweise unmöglich, weil sich sehr kleine Größen nicht mehr den bekannten Naturgesetzen ge mäß verhalten. Das philosophische Prinzip, das unserer Anschauung von Na turgesetzlichkeit zugrunde liegt, ist die Kausalität. Wenn der Zu sammenhang von Ursache und Wirkung sich als nur statistisch gültig beziehungsweise als nur relativ wahr herausstellt, dann ist auch das Kausalprinzip in letzter Linie nur relativ zur Erklärung von Naturvorgängen verwendbar und setzt eben damit das Vor handensein eines oder mehrerer anderer Faktoren, die zur Erklä rung nötig wären, voraus. Das heißt soviel, als daß die Verknüp fung von Ereignissen unter Umständen von anderer als kausaler Natur ist und ein anderes Erklärungsprinzip verlangt. Man wird natürlich in der makrophysikalischen Welt vergeblich nach akausalen Ereignissen Umschau halten, schon einfach darum, weil man sich nicht-kausal verknüpfte, nicht-zu-erklärende Ereig nisse gar nicht vorstellen kann. Das will aber keineswegs bedeuten, daß solche nicht vorkommen. Ihr Vorhandensein geht - wenig stens als Möglichkeit - logisch aus der Prämisse der statistischen Wahrheit hervor. Die naturwissenschaftliche Fragestellung zielt auf regelmäßige und, so weit sie experimentell ist, auf reproduzierbare Ereignisse.
S Y N CH R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
11
Damit fallen einmalige oder seltene Ereignisse außer Betracht. Überdies auferlegt das Experiment der Natur einschränkende Be dingungen, denn es will sie veranlassen, auf vom Menschen er dachte Fragen Antwort zu geben. Jede Antwort der Natur ist daher belastet durch die Art der Fragestellung, und das Ergebnis stellt ein Mischprodukt dar. Die hierauf basierte, sogenannte na turwissenschaftliche Weltanschauung kann daher nichts anderes sein als eine psychologisch präjudizierte Teilansicht, welche alle jene durchaus nicht unwichtigen Aspekte, die statistisch nicht er faßbar sind, vermissen läßt. Um aber diese Einmaligkeiten bezie hungsweise Seltenheiten irgendwie erfassen zu können, scheint man zunächst auf ebenso >>einmalige<< Einzelbeschreibungen ange wiesen zu sein. Daraus ergäbe sich wohl eine chaotische Kuriositä tensammlung, die an jene alten Naturalienkabinette erinnert, wo neben Versteinerungen und anatomischen Mißbildungen sich auch das Horn des U nicorn, das Mandragoramännchen und ein einge trocknetes Meerfräulein finden. Die beschreibenden Naturwissen schaften, wie vor allem die Biologie im weitesten Umfang, kennen derartige >>Einmaligkeiten<< sehr wohl, und es braucht dort zum Beispiel nur ein festgestelltes Exemplar eines an sich höchst un glaubwürdigen Lebewesens, um dessen Existenz zu beweisen. Al lerdings haben in diesem Fall viele Beobachter Gelegenheit, sich durch ihre eigenen Sinne vom Vorhandensein eines derartigen We sens zu überzeugen. Wo es sich aber um vorübergehende Ereignis se handelt, welche keine anderen nachweisbaren Spuren hinterlas sen als etwa Gedächtnisspuren in einzelnen Köpfen, da genügt ein einzelner Zeuge nicht mehr, und auch mehrere reichen nicht aus, um ein einmaliges Vorkommnis als unbedingt glaubwürdig er scheinen zu lassen. Man kennt ja hinlänglich die Unzuverlässigkeit von Zeugenaussagen! In diesem Falle drängt sich gebieterisch die Notwendigkeit auf, zu untersuchen, ob das anscheinend einmalige Ereignis wirklich einmalig in der Erfahrung ist oder ob es gleiche oder wenigstens ähnliche Vorkommnisse sonstwo gibt. Dabei spielt der consensus omnium eine zwar psychologisch bedeutsa me, aber empirisch etwas mißliche Rolle. Zur Feststellung von Tatsachen erweist er sich nämlich nur ausnahmsweise als nützlich. Die Empirie wird ihn zwar nicht außer acht lassen, aber sich besser nicht auf ihn stützen. Absolut einmalige, vorübergehende Ereig nisse, deren Vorhandensein man mit keinen Mitteln leugnen, aber auch nicht beweisen kann, können nie Gegenstand einer Erfah rungswissenschaft sein ; seltene Vorkommnisse aber sehr wohl, wenn eine größere Anzahl von verläßlichen Einzelbeobachtungen vorliegt. Dabei spielt deren sogenannte Möglichkeit gar keine Rol le; denn das Kriterium derselben leitet sich jeweils nur von einer
12
S Y N C H R O N IZITÄT, A K A U S ALITÄT
zeitbedingten, verstandesmäßigen Voraussetzung her. Es gibt kei ne absoluten Naturgesetze, deren Autorität man anrufen könnte, um seine Vorurteile zu stützen. Man kann billigerweise nur eine möglichst hohe Zahl von Einzelbeobachtungen verlangen. Wenn diese Zahl, statistisch betrachtet, innerhalb der Zufallswahrschein lichkeit bleiben sollte, so ist damit zwar statistisch erwiesen, daß es sich um einen Zufall handelt ; aber eine Erklärung ist damit nicht geleistet. Es hat eine Ausnahme von der Regel stattgefunden. Wenn zum Beispiel die Zahl der Komplexmerkmale unterhalb der wahrscheinlichen Anzahl der beim Assoziationsexperiment zu er wartenden Störungen liegt, so berechtigt dies keineswegs zu der Annahme, daß in diesem Fall kein Komplex vorliege. Das hat aber nicht gehindert, daß man die Reaktionsstörungen früher als Zufäl le betrachtet hat. Obschon wir uns gerade in der Biologie auf einem Gebiet bewe gen, wo kausale Erklärungen öfters sehr wenig befriedigen bezie hungsweise fast unmöglich erscheinen, so wollen wir uns hier doch nicht mit dem Problem der Biologie beschäftigen, sondern vielmehr mit der Frage, ob es ganz im allgemeinen nicht nur eine Möglichkeit, sondern eine Tatsächlichkeit akausaler Ereignisse gibt. Es gibt nun innerhalb unserer Erfahrung ein unermeßlich weites G ebiet, dessen Ausdehnung der Reichweite der Gesetzmäßigkeit sozusagen das G Ieichgewicht hält: es ist die Welt des Zufalls, 1 welcher mit dem koinzidierenden Tatbestand kausal nicht verbun den zu sein scheint. Wir wollen uns daher im folgenden zunächst mit dem Wesen und der Auffassung des Zufalls näher befassen. Man ist es gewohnt, vom Zufall vorauszusetzen, daß er selbstver ständlich einer kausalen Erklärung zugänglich sei und eben nur darum als >>Zufall << oder » Koinzidenz« bezeichnet werde, weil sei ne Kausalität nicht oder noch nicht aufgedeckt sei. Da man ge wohnheitsmäßig von der absoluten Gültigkeit des Kausalgesetzes ü berzeugt ist, hält man diese Erklärung des Zufalls für zureichend. Ist aber das Kausalprinzip nur relativ gültig, so ergibt sich daraus der Schluß, daß, wenn schon die überwiegende Mehrzahl der Zu fälle kausal erklärt werden kann, dennoch ein Restbestand, der akausal ist, vorhanden sein muß. Wir finden uns daher der Aufga be gegenübergestellt, die Zufallsereignisse zu sichten und die akau salen von den kausal erklärbaren zu trennen. Natürlich steht zu vermuten, daß die Zahl der kausal erklärbaren die der auf Akausa lität verdächtigen Vorkommnisse weitaus überwiegt, weshalb 1 Das Wort ·Zu-fall« ist wie »Ein-fall« ungemein bezeichnend: Es ist das, was sich auf jemanden zu bewegt, wie wenn es von ihm angezogen wäre.
S Y N C H R O N I Z I TÄT A LS E I N P R I N Z I P
13
Oberflächlichkeit oder Voreingenommenheit des Beobachters die relativ seltenen akausalen Phänomene leicht übersehen könnte. So bald man an die Behandlung des Zufalls herantritt, drängt sich die Notwendigkeit einer zahlenmäßigen Erfassung der in Frage kom menden Ereignisse auf. Die Sichtung des Erfahrungsmaterials kann nicht erfolgen ohne Kriterien der Unterscheidung. Woran soll man akausale Verknüp fungen von Ereignissen erkennen, da man ja unmöglicherweise alle Zufälle auf ihre Kausalität untersuchen kann? Hierauf ist zu ant worten, daß man akausale Ereignisse am ehesten dort erwarten kann, wo bei näherer Überlegung eine kausale Verknüpfung als undenkbar erscheint. Als Beispiel diene das den Ärzten wohlbe kannte Phänomen der »Duplizität der Fälle«. Gelegentlich handelt es sich auch um Triplizität und mehr, so daß Kammerer von einem »Gesetz der Serie<< sprechen konnte, wofür er eine Reihe vorzügli cher Beispiele gibt.2 In den meisten solcher Fälle besteht keine auch noch so entfernte Wahrscheinlichkeit eines kausalen Zusam menhanges der koinzidierenden Ereignisse. Wenn ich zum Bei spiel feststellen muß, daß mein Trambahnbillett die gleiche Num mer trägt wie das Theaterbillett, das ich gleich darauf erwerbe, und ich am selben Abend noch einen Telephonanruf erhalte, bei dem mir die gleiche Zahl als Telephonnummer genannt wird, so er scheint mir ein kausaler Zusammenhang über alle Maßen unwahr scheinlich, und ich vermöchte mir auch mit der kühnsten Phanta sie nicht zu erdenken, wieso überhaupt ein Zusammenhang beste hen könnte, obschon j eder Fall für sich ebenso evidenterweise seine Kausalität besitzt. Ich weiß aber andererseits, daß das Zu fallsgeschehen eine Tendenz zu aperiodischer Gruppenbildung auf weist, was notwendigerweise der Fall sein muß, weil sonst nur eine periodische, regelmäßige Anordnung der Ereignisse, welche den Zufall eben gerade ausschlösse, vorhanden sein müßte. Kammerer ist nun allerdings der Ansicht, daß die Häufungen,3 beziehungsweise Zufallsserien, zwar der Wirkung einer gemeinsa men Ursache entrückt,4 das heißt akausal, aber dennoch Ausdruck der Inertie, das heißt des allgemeinen Beharrungsvermögens, sei en.5 Die Gleichzeitigkeit der »Häufung des Gleichen im Neben2 Kammerer: Das Gesetz der Serie, 1919. ' Ebenda, S. 1 30. 4 Ebenda, S. 93 f. und 1 02 f. 5 Ebenda, S. 117: ·Das Seriengesetz ist Ausdruck des Beharrungsgesetzes der in seinen Wiederholungen mitspielenden (die Serie in Szene setzenden) Objekte. Aus der unver hältnismäßig größeren Beharrlichkeit, die im Vergleiche zum Einzelkörper und zur Ein zelkraft dem Körper- und Kräftekomplex eigen ist, erklärt sich das Beibehalten einer identischen Konstellation und das ihn begleitende Zustandekommen von Wiederholun gen durch sehr lange Zeiträume hindurch.«
14
S Y NCH R O N I Z I TÄT, A K A U S A L I TÄ T
einander« erklärt er durch >> lmitation« .6 Damit widerspricht er sich aber selber, denn die Zufallshäufung ist keineswegs >>außer halb des Bereiches der Erklärlichkeit gerückt«/ sondern aller Er wartung entsprechend innerhalb derselben und daher, obschon nicht auf eine gemeinsame, so doch auf mehrere Ursachen rück führbar. Seine Begriffe von Serialität, Imitation, Attraktion und Inertie gehören in ein als kausal gedachtes Weltbild und sagen nichts weiter aus als die Zufallshäufung, welche der statistischen und mathematischen Wahrscheinlichkeit entspricht. Kammerers Tatsachenmaterial enthält nur Zufallshäufungen, deren einzige >>Gesetzmäßigkeit<< die Wahrscheinlichkeit ist, das heißt, es besteht kein ersichtlicher Anlaß, dahinter irgend etwas anderes zu suchen. Er sucht aber aus einem dunkeln Grunde doch mehr dahinter, als was die bloße Wahrscheinlichkeit verbürgt, nämlich ein Gesetz der Serialität, das er als Prinzip neben der Kausalität und der Finalität einführen möchte.8 Diese Tendenz wird aber, wie gesagt, durch sein Material in keinerlei Weise gewährleistet. Ich kann mir diesen offenkundigen Widerspruch nur dadurch erklären, daß er eine dunkle, aber faszinierende Intuition einer akausalen Anordnung und Verknüpfung der Ereignisse hatte, und zwar irrfolge des Um standes, daß er sich wie alle besinnlichen und empfindsamen Natu ren dem eigentlichen Eindruck, den Zufallshäufungen zu machen pflegen, nicht entziehen konnte und daher, seiner wissenschaftli chen Veranlagung gemäß, den kühnen Versuch wagte, eine akausa le Serialität auf Grund eines Erfahrungsmaterials, das innerhalb der Wahrscheinlichkeitsgrenzen liegt, zu postulieren. Leider hat Kammerer nicht den Versuch einer zahlenmäßigen Erfassung der Serialität unternommen. Ein derartiges Unternehmen hätte aller dings schwer zu beantwortende Fragen aufgeworfen. Die kasuisti sche Methode mag der allgemeinen Orientierung gute Dienste lei sten ; dem Zufall gegenüber ist erfolgversprechend nur die zahlen mäßige Erfassung beziehungsweise die statistische Methode. Zufallsgruppierungen oder -serien scheinen, für unser derzeiti ges Begreifen wenigstens, sinnlos zu sein und überdies samt und sonders innerhalb der Wahrscheinlichkeit zu liegen. Es gibt aller dings Fälle, deren Zufälligkeit Anlaß zu Zweifel geben könnte. Ich 6 Ebenda, S. 130. 7 Ebenda, S. 94. 8 Die Numinosität einer Zufallsserie wächst proportional der Anzahl ihrer Glieder. Das bedeutet, daß unbewußte (vermutlich archetypische) Inhalte dadurch konstelliert werden, woraus dann der Eindruck entsteht, als ob die Serie durch solche Inhalte •verur sacht« wäre. Wieso dies möglich ist, kann man sich, ohne geradezu magische Kategorien in Anspruch zu nehmen, allerdings nicht recht vorstellen, weshalb man sich in der Regel mit dem bloßen Eindruck begnügt.
S Y N C H R O N I Z I TÄ T A L S E I N P R I N Z I P
15
habe mir, um ein Beispiel aus vielen zu erwähnen, unter dem 1. April 1 949 folgenden Fall notiert: Heute ist Freitag. Wir haben Fisch zum Mittagessen. Jemand erinnert beiläufig an den Gebrauch des »Aprilfisches«. Am Vormittag habe ich mir eine Inschrift no tiert: >>Est homo totus medius piscis ab imo.«9 Nachmittags zeigt mir eine frühere Patientin, die ich seit Monaten nicht gesehen habe, einige ungemein eindrucksvolle Fischbilder, die sie in der Zwischenzeit gemalt hat. Abends wird mir eine Stickerei gezeigt, die fischartige Meerungeheuer darstellt. Am 2. April, am frühen Vormittag, erzählt mir eine frühere Patientin, die ich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte, einen Traum, in welchem sie, am Ufer eines Sees stehend, einen großen Fisch erblickt, der direkt auf sie zuschwimmt und sozusagen zu ihren Füßen »landet«. Ich bin zu dieser Zeit mit einer Untersuchung über das historische Fisch symbol beschäftigt. Nur eine der hier in Betracht kommenden Personen weiß darum. Der Verdacht, daß es sich in diesem Fall um sinngemäße Koinzi denz, um einen akausalen Zusammenhang handeln könnte, liegt nahe. Ich muß gestehen, df l ß diese Häufung mir Eindruck gemacht hat. Sie hatte für mich einen gewissen numinosen Charakter. Un ter solchen Umständen sagt man bekanntlich gerne : » Das kann doch kein bloßer Zufall sein<<, und weiß nicht, was man damit sagt. Kammerer hätte mich hier gewiß an seine »Serialität« erinnert. Die Stärke des Eindrucks beweist aber nichts gegen die zufällige Koin zidenz aller dieser Fische. Es ist gewiß höchst sonderbar, daß sich innerhalb vierundzwanzig Stunden das Thema »Fisch« nicht weni ger als sechsmal wiederholt. Man muß sich aber vor Augen halten, daß Fisch am Freitag eine gewöhnliche Sache ist. Am 1. April kann man sich leicht des Aprilfisches entsinnen. Ich war damals schon seit mehreren Monaten mit dem Fischsymbol beschäftigt. Fische als Symbole unbewußter Inhalte kommen häufig vor. Es besteht daher keine gerechtfertigte Möglichkeit, darin etwas anderes als eben eine Zufallsgruppe zu erblicken. Häufungen oder Serien, welche aus öfters vorkommenden Dingen zusammengesetzt sind, müssen bis auf weiteres als zufällig gelten.10 Sie scheiden daher, gleichviel, wie groß ihr Umfang auch sein mag, als akausale Zu sammenhänge aus, denn es ist unersichtlich, wie man sie als solche 9 ·Der 10
ganzheitliche Mensch ist von unten bis zur Mitte ein Fisch.« Zur Ergänzung des Gesagten möchte ich erwähnen, daß ich diese Zeilen am Ufer unseres Sees schrieb. Als ich den Satz beendet hatte, machte ich ein paar Schritte auf der Seemauer: Da lag ein etwa 30 cm langer Fisch tot auf der Mauer, anscheinend unverletzt. Am Vorabend hatte noch kein Fisch dort gelegen. (Vermutlich war er durch einen Raubvogel oder eine Katze aus dem Wasser gezogen worden.) Der Fisch war der sieben te in der Reihe.
16
S Y N CH R O N I Z I TÄT, A K A U S A L IT Ä T
erweisen könnte. Man nimmt deshalb allgemein an, daß überhaupt alle Koinzidenzen Zufallstreffer seien und daher keiner nichtkau salen Erklärung bedürfen. 1 1 Diese Annahme kann und muß sogar so lange als wahr gelten, als der Beweis nicht erbracht ist, daß die H äufigkeit ihres Vorkommens die Grenzen der Wahrscheinlich keit überschreitet. Sollte aber dieser Beweis geleistet werden, dann wäre damit zugleich bewiesen, daß es echte akausale Verknüpfun gen von Ereignissen gibt, zu deren Erklärung oder Auffassung ein der Kausalität inkommensurabler Faktor postuliert werden müßte. Es müßte dann nämlich angenommen werden, daß Ereignisse überhaupt einerseits als Kausalketten, andererseits aber gegebe nenfalls auch durch eine Art von sinngemäßer Querverbindung zueinander in Beziehung gesetzt seien. An dieser Stelle möchte ich jene Abhandlung Schopenhauers, >Transcendente Spekulation über die anscheinende Absicht!ichkeit im Schicksale des Einzelnen<, welche meinen hier zu entwickeln den Anschauungen ursprünglich zu Gevatter stand, zum Worte kommen lassen. Handelt sie doch von der Frage der » Gleichzeitigkeit . . . des kausal nicht Zusammenhängenden, die man den Zufall nennt . . . << 1 2 Schopenhauer veranschaulicht diese Gleichzeitigkeit durch Parallelkreise, welche eine Querverbindung zwischen den als Kausalketten gedachten Meridianen darstellen. » Alle Ereignisse im Leben eines Menschen ständen demnach in zwei grundver schiedenen Arten des Zusammenhangs : erst!ich, im objektiven, kausalen Zusammenhange des Naturlaufs ; zweitens, in einem sub jektiven Zusammenhange, der nur in Beziehung auf das sie erle bende Individuum vorhanden und so subjektiv wie dessen eigene Träume ist . . . Daß nun jene beiden Arten des Zusammenhangs zugleich bestehen und die nämliche Begebenheit als ein Glied zweier ganz verschiedener Ketten, doch beiden sich genau einfügt, infolge wovon jedesmal das Schicksal des Einen zum Schicksal des Andern paßt und jeder der Held seines eigenen, zugleich aber auch der Figurant im fremden Drama ist, dies ist freilich etwas, das alle unsere Fassungskraft übersteigt und nur vermöge der wundersam11 Man ist in einiger Verlegenheit, wie man jenes Phänomen, das Stekel als » Verpflich tung des Namens« bezeichnet hat, auffassen soll. Es handelt sich dabei um zum Teil groteske Koinzidenzen von Name und Eigenart eines Menschen. Zum Beispiel leidet Herr Groß an Größenwahn, Herr Kleiner hat einen Minderwertigkeitskomplex. Zwei Schwestern Altmann heiraten beide zwanzig Jahre ältere Männer, Herr Feist ist Ernäh rungsminister, Herr Roßtäuscher Advokat, Herr Kalberer ein Geburtshelfer, Herr Freud vertritt das Lustprinzip, Herr Adler den Willen zur Macht, Herr Jung die Idee der Wiedergeburt und so weiter. Handelt es sich hier um absurde Zufallslaunen oder um Suggestivwirkungen des Namens, wie Stekel anzunehmen scheint, oder um •sinngemäße Koinzidenzen«? 12 Schopenhauer: Parerga und Paralipomena, 1891, Bd. 2, S. 40, 39 und 45.
S Y N CH R O N I Z I TÄ T A L S E I N P R I N Z I P
17
sten harmonia praestabilita als möglich gedacht werden kann.« Nach seiner Auffassung ist >>das Subjekt des großen Lebenstrau mes . . . nur eines«, nämlich der transzendentale Wille, die prima causa, von welcher alle Kausalketten wie die Meridiane vom Pol ausstrahlen und vermöge der Parallelkreise in einer sinngemäßen Gleichzeitigkeitsrelation 13 zueinander stehen. Schopenhauer glaubt an den absoluten Determinismus des Naturablaufes und dazu noch an eine erste Ursache. Letztere Annahme ist wie erstere durch nichts gewährleistet. Sie ist ein philosophisches Mytholo gem und nur dann glaubwürdig, wenn sie in der Gestalt der alten Paradoxie Hen to pan, nämlich als Einheit und Vielheit zugleich auftritt. Erstere Annahme, daß die Gleichzeitigkeitspunkte auf den Kausal ketten-Meridianen sinngemäße Koinzidenzen darstellen, hätte nur dann eine Aussicht auf Erfolg, wenn die Einheit der prima causa wirklich feststünde. Wäre sie aber, was sie ebensogut sein könnte, eine Vielheit, so müßte die ganze Schopenhauersche Erklärung zusammenbrechen, ganz abgesehen von der erst neuer dings eingesehenen, bloß statistischen Gültigkeit des Naturgeset zes, welche dem Indeterminismus eine Möglichkeit offenhält. We der philosophische Überlegung noch die Erfahrung gewährleisten daher das regelmäßige Vorhandensein jener beiden Arten von Zu sammenhang, in denen eines und dasselbe Subjekt und Objekt ist. Schopenhauer hat zu einer Zeit gedacht und geschrieben, wo die Kausalität als Kategorie a priori absolute Gültigkeit hatte und da her zur Erklärung sinngemäßer Koinzidenzen herangezogen wer den mußte. Sie leistet aber, wie wir gesehen haben, diesen Dienst nur dann mit einiger Wahrscheinlichkeit, wenn man die weitere willkürliche Annahme einer Einheit der prima causa zu Hilfe nimmt. Dann ergibt sich aber auch die Notwendigkeit, daß jeder Punkt auf dem gedachten Meridian mit jedem anderen auf demsel ben Breitengrade in der Beziehung sinngemäßer Koinzidenz steht. Dieser Schluß überschreitet aber alle empirische Möglichkeit, das heißt er schreibt der sinngemäßen Koinzidenz ein so rege!- und gesetzmäßiges Vorhandensein oder Vorkommen zu, daß dessen Feststellung entweder gar nicht nötig oder die einfachste Sache von der Welt wäre. Schopenhauers Beispiele sind so sehr und so wenig überzeugend wie alle anderen. Höchstes Verdienst aber ist es, daß er das Problem gesehen und dabei wohl verstanden hat, daß es hierfür keine billigen Ad-hoc-Erklärungen gibt. Da es an die Grundlagen unserer Erkenntnis überhaupt greift, hat er es im Sin ne seiner Philosophie aus einer transzendentalen Voraussetzung abgeleitet, nämlich aus dem Willen, der Leben und Sein auf allen n
Daher mein Terminus »Synchronizität«.
18
S Y N C H R O N I Z I TÄT, AKAUSA L I T Ä T
Stufen schafft und jede der letzteren solchergestalt abstimmt, daß sie nicht nur ihren gleichzeitigen Parallelen harmonisch entspricht, sondern auch jeweils als fatum oder Vorsehung das Zukünftige vorbereitet und ordnet. Im Gegensatz zum Schopenhauerschen Pessimismus hat diese Anschauung eine beinahe freundliche und optimistische Tönung, die wir heutzutage kaum mehr mitzuempfinden vermögen. Eines der inhaltreichsten und zugleich bedenklichsten Jahrhunderte der Weltgeschichte trennt uns von jener noch mittelalterlichen Zeit, wo der philosophierende Geist glaubte, vor und jenseits aller Er fahrung etwas feststellen und behaupten zu können. Aber jene Zeit hatte noch den größeren und weiteren Blick, der nicht dort halt machte und dort die G renzen der Natur erreicht zu haben glaubte, wo der wissenschaftliche Straßenbau gerade sein vorläufiges Ende erreicht hatte. So hat Schopenhauer in wahrhaft philosophischer Schau dem Nachdenken ein Gebiet erschlossen, dessen eigenartige Phänomenologie er zwar nicht genügend erfaßte, wohl aber annä hernd richtig umriß. Er erkannte, daß die omina und praesagia, die Astrologie und die vielfach variierten intuitiven Methoden der Zu fallsdeutung einen gemeinsamen Nenner besitzen, den er mittels >>transzendenter Spekulation<< herauszufinden trachtete. Er er kannte dabei ebenfalls richtig, daß es sich um ein prinzipielles Problem erster Ordnung handelte, im Gegensatz zu allen jenen, die vor ihm und nach ihm mit untauglichen Kraftübertragungsvor stellungen operierten oder gar bequemerweise das ganze Gebiet als Unsinn abtun wollten, um einer allzuschweren Aufgabe auszuwei chen. 1 4 Schopenhauers Versuch ist um so bemerkenswerter, als er in eine Zeit fällt, wo der ungeheure Vorstoß der Naturwissen schaften alle Welt davon überzeugte, daß einzig und allein die Kausalität als letzthinniges Erklärungsprinzip in Frage komme. Statt alle jene Erfahrungen, die sich der Alleinherrschaft der Kau salität nicht ohne weiteres beugen wollten, einfach außer Betracht fallen zu lassen, hat er, wie wir gesehen haben, den Versuch ge macht, sie in seine deterministische Ansicht einzubeziehen. Damit aber hat er das, was schon immer und längst vor ihm als eine neben der kausalen bestehende andere Weltordnung, nämlich diejenige der Präfiguration, der Korrespondenz und der prästabilierten Har monie, der Welterklärung zugrunde lag, in das kausale Schema hineingezwängt, wohl aus dem richtigen Gefühl heraus, daß das naturgesetzliche Weltbild, an dessen Gültigkeit er nicht zweifelte, 14 Kam muß hier ausgenommen werden. In seiner Abhandlung >Träume eines Geister· sehers, erläutert durch Träume der Metaphysik• hat er Schopenhauer den Weg vorge zeichnet.
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
19
doch etwas vermissen lasse, was i n der antiken und mittelalterli chen Anschauung (wie im ahnungsvollen Gefühl des Modernen) eine beträchtliche Rolle spielt. Angeregt durch die große Tatsachensammlung von Gurney, Myers und Podmore15 haben Dariex16, Richet17 und Flammarion18 das Problem mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung angegangen. Dariex hat für >>telepathische<< Todeswahrnehmungen eine Wahr scheinlichkeit von 1 :4 1 14 545 ermittelt, das heißt die Erklärung eines derartigen Falles als Zufall ist also mehr als viermillionenmal unwahrscheinlicher als die »telepathische« beziehungsweise die akausale, sinngemäße Koinzidenz. Der Astronom Flammarion hat für einen besonders gut beobachteten Fall der »phantasms of the living<< eine Wahrscheinlichkeit von sogar 1 : 804 622 222 berech net. 19 Er bringt auch zum erstenmal andere verdächtige Ereignisse in Zusammenhang mit den dazumal interessierenden Todeswahr nehmungen. So erzählt er,20 daß, als er mit seinem Werk über die Atmosphäre beschäftigt, gerade an dem Kapitel über die Windstär ke schrieb, ein plötzlicher heftiger Windstoß alle seine losen Blät ter vom Schreibtisch weg zum Fenster hinausfegte. Ebenso er wähnt er das ergötzliche Erlebnis der dreifachen Koinzidenz des Monsieur de Fontgibu mit dem Plumpudding.21 Die Erwähnung dieser Koinzidenzen im Zusammenhang mit dem telepathischen Problem zeigt, daß sich bei Flammarion allbereits die Ahnung eines weit umfassenderen Prinzips, allerdings noch unbewußter weise, abzeichnet. Der Schriftsteller Wilhelm von Scholz22 hat eine Reihe von Fäl len gesammelt, welche zeigen, in welch seltsamer Weise verlorene oder gestohlene Gegenstände wieder zu ihren Eigentümern zu rückkehren. Unter anderem erwähnt er den Fall einer Mutter, die von ihrem vierjährigen Söhnchen im Schwarzwald eine photogra1' 16
Gurney, Myers, Podmore: Phantasms of the Living, 1 886. Dariex: Le Hasard et la telepathie, 1 89 1 , S. 300. 17 Richet: Relations de diverses experiences, 1 888. 18 Flammarion : L'lnconnu et les probli:mes psychiques, 1900, S. 227ff. 19 Ebenda, S. 241. 20 Ebenda, S. 228 f. 21 Ebenda, S. 23 1 . Ein M . Deschamps erhielt als Knabe einmal in Orleans ein Stück ehen Plumpudding von einem M. de Fontgibu. Zehn Jahre später entdeckte er in einem Pariser Restaurant wieder einen Plumpudding und verlangte ein Stück davon. Es erwies sich aber, daß der Pudding bereits bestellt war, und zwar von M . de Fontgibu. Vielejahre später wurde M. Deschamps zu einem Plumpudding als einer besonderen Rarität einge laden. Beim Essen machte er die Bemerkung, jetzt fehle nur noch M. De Fontgibu. In diesem Moment öffnete sich die Türe, und ein uralter, desorientierter Greis trat herein: M. de Fontgibu, der sich in der Adresse geirrt hatte und fälschlicherweise in diese Gesellschaft geraten war. 22 Scholz: Der Zufall, 1924.
S Y N C H R O N I Z I TÄT , A K A U S A L I T Ä T
20
phisehe Aufnahme machte. Sie ließ den Film in Straßburg entwik keln . Wegen des Kriegsausbruches (19 1 4) konnte sie den Film nicht mehr abholen. Sie gab ihn verloren. 1 9 1 6 kaufte sie sich in Frankfurt a. M. wieder einen Film, um von ihrem inzwischen ge borenen Töchterchen eine Aufnahme zu machen. Bei der Ent wicklung erwies sich der Film als doppelt belichtet : Das zweite Bild war die Aufnahme, die sie 1 9 1 4 von ihrem Söhnchen gemacht hatte ! Der alte, nicht entwickelte Film war irgendwie unter neue Filme und so wieder in den Handel geraten. Der Autor kommt zu dem begreiflichen Schluß, daß alle Anzeichen auf eine >>Anzie hungskraft des Bezüglichen« hindeuteten. Er vermutet, daß das Geschehen angeordnet sei, wie wenn es der Traum eines uns >>UD erkennbaren größeren und umfassenderen Bewußtseins<< wäre. Von psychologischer Seite wurde das Zufallsproblem durch H erben Silberer behandelt.23 Er weist nach, daß anscheinend sinn gemäße Koinzidenzen teils unbewußte Arrangements, teils unbe wußte Willkürdeutungen sind. Er zieht weder parapsychische Phänomene noch die Synchronizität in Betracht, und theoretisch geht er nicht über den Kausalismus Schopenhauers hinaus. Abge sehen von der ebenso notwendigen wie empfehlenswerten psycho logischen Kritik der Zufallsbewertung enthält Silberers Untersu chung keine Hinweise auf das Vorkommen echter sinngemäßer Koinzidenzen. Der entscheidende Beweis für das Vorhandensein akausaler Er eignisverknüpfungen ist erst in neuester Zeit hauptsächlich durch die Rhineschen Experimente24 in wissenschaftlich zureichender Weise erbracht worden, allerdings ohne daß die in Frage kommen den Autoren die weitreichenden Schlüsse, die aus ihren Ergebnis sen abgeleitet werden müßten, erkannt hätten. Es ist bis jetzt kein kritisches Argument gegen diese Versuche, das nicht widerlegt werden konnte, vorgebracht worden. Das Experiment besteht im Prinzip darin, daß von einem Experimentator eine Serie von nu merierten und einfache geometrische Motive tragenden Karten, eine nach der anderen, abgedeckt wird. Zugleich wird einer vom Experimentator räumlich getrennten Versuchsperson der Auftrag gegeben, die entsprechenden Zeichen anzugeben. Es wurde ein 23 24
Silberer: Der Zufall und die Koboldstreiche des Unbewußten, 192 1 . Rhine: Extra-Sensory Perception, 1934; derselbe: New Frontiers of the Mind, 1937; hiervon gibt es eine deutsche Übersetzung: Neuland der Seele (1938). Pratt, Rhine, Smith, Stuart und Greenwood: Extra-Sensory Perception after Sixty Years, 1940. Eine allgemeine Übersicht über die Ergebnisse findet sich in Rhine: The Reach of the Mind, 1948, ebenso in dem empfehlenswerten Buch von Ty rrel l : The Personality of Man, 1946. Ein kurzes, aber übersichtliches Resurne bei Rhine: An lntroduction to the Work of Extra-Sensory Perception, 1950, S. 164 ff.
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
21
Satz von 25 Karten verwendet, welcher aus je fünf dasselbe Zei chen tragenden Karten bestand. Fünf Karten waren durch einen Stern, fünf durch ein Rechteck, fünf durch einen Kreis, fünf durch zwei Wellenlinien und fünf durch ein Kreuz markiert. Die Karten wurden durch den Experimentator, dem die Anordnung des vor ihm liegenden Satzes natürlich unbekannt war, eine nach der ande ren abgedeckt. Die Versuchsperson (V. P.), welche keine Möglich keit hatte, die Karten zu sehen, mußte, so gut es eben ging, die abgedeckten Zeichen angeben. Viele Versuche verliefen natürlich negativ, indem das Resultat die Wahrscheinlichkeit von fünf zufäl ligen Treffern nicht überstieg. Einige Resultate lagen aber deutlich über der Wahrscheinlichkeit. Dies war bei gewissen V. PP. der Fall. Die erste Versuchsserie bestand darin, daß jede V. P. acht hundertmal versuchte, die Karte zu erraten. Das Durchschnittsre sultat ergab 6,5 Treffer auf 25 Karten, das heißt 1 ,5 mehr als die mathematische Wahrscheinlichkeit, die fünf Treffer beträgt. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine Zufallsdeviation von 1 , 5 von der Zahl Fünf eintritt, beträgt 1 :250 000. Diese Proportion zeigt, daß die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Deviation nicht gerade groß ist, indem nur in 250 000 Fällen einmal eine zufällige Devia tion dieses Betrages zu erwarten ist. Die individuellen Resultate variierten je nach der spezifischen Begabung der V. P. Ein junger Mann, der in zahlreichen Versuchen durchschnittlich zehn Treffer auf je 25 Karten erzielte (also doppelt soviel als die Wahrschein lichkeit), las einmal alle 25 Karten korrekt, was einer Wahrschein lichkeit von 1 :298 023 223 876 953 1 25 entspricht. Gegen die Mög lichkeit, daß der Kartensatz in irgendeiner arbiträren Weise ge mischt war, schützte eine Apparatur, welche die Karten automa tisch, also unabhängig von der Hand des Experimentators, misch te. Nach den ersten Versuchsserien wurde in einem Falle die räum liche Distanz zwischen Experimentator und V. P. bis zu 350 Kilo meter ausgedehnt. Das Durchschnittsresultat zahlreicher Versuche betrug hier 1 0, 1 Treffer auf 25 Karten. In einer anderen Versuchs reihe ergaben sich, als Experimentator und V. P. sich im gleichen Zimmer befanden, 1 1 ,4 Treffer auf 25; wenn die V. P. im nächsten Zimmer war, 9,7 auf 25; wenn sie zwei Zimmer weit weg war, 1 2 ,0 auf 25. Rhine erwähnt die Experimente von Usher und Burt, die sich mit positiven Resultaten über 1 3 44 Kilometer erstreckten.25 Unterstützt durch synchronisierte Uhren wurden auch Experi mente zwischen Durharn in North Carolina und Zagreb in Jugo25
Rhine: The Reach of ehe Mind, 1948, S. 49.
22
S YNC H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄT
slawien (etwa 5600 Kilometer) mit ebenfalls positivem Resultat durchgeführt.26 Der Umstand, daß die Entfernung im Prinzip keinen Effekt hat, beweist, daß es sich nicht um eine Kraft- beziehungsweise Ener gieerscheinung handeln kann, denn sonst müßte die Uberwindung der D istanz und die Ausbreitung im Raume eine Verminderung der Wirkung verursachen, das heißt, es müßte unschwer festzu stellen sein, daß sich die Trefferzahl proportional dem Quadrate der Entfernung vermindert. Da dies offenbar nicht der Fall ist, so bleibt nichts anderes übrig, als anzunehmen, daß die Distanz sich als psychisch variabel erweist beziehungsweise durch einen psy chischen Zustand gegebenenfalls auf Null reduzieren läßt. Noch merkwürdiger ist, daß auch die Zeit im Prinzip nicht pro hibitiv wirkt, das heißt, die Ablesung einer in der Zukunft heraus zulegenden Kartenserie weist eine die bloße Wahrscheinlichkeit übersteigende Trefferzahl auf. Die Wahrscheinlichkeit der Rhine schen Resultate mit dem Zeitexperiment beträgt 1 :400 000, was eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein eines von der Zeit unabhängigen Faktors bedeutet. Das Resultat der Zeitexperimente weist auf eine psychische Relativität der Zeit hin, indem es sich um Wahrnehmungen von Ereignissen handelt, die noch gar nicht eingetreten sind. In derartigen Fällen scheint der Zeitfaktor ausgeschaltet zu sein, und zwar durch eine psychische Funktion oder besser durch einen psychischen Zustand, der auch den Raumfaktor zu eliminieren vermag. Wenn wir schon bei den Raumexperimenten konstatieren mußten, daß die Energie mit der Distanz keine Verminderung erfährt, so wird es bei den Zeitexpe rimenten vollends unmöglich, an irgendein energetisches Verhält nis zwischen der Wahrnehmung und dem zukünftigen Ereignis überhaupt auch nur zu denken. Man muß daher von vornherein auf alle energetischen Erklärungsweisen verzichten, was soviel heißt, als daß Ereignisse dieser Art nicht unter dem Gesichtswin kel der Kausalität betrachtet werden können, denn Kausalität setzt die Existenz von Raum und Zeit voraus, indem aller Beobachtung in letzter Linie bewegte Körper zugrunde liegen. Unter den Rhineschen Experimenten müssen auch die Würfel versuche erwähnt werden. Die V. P. erhält den Auftrag zu würfeln (was durch einen Apparat besorgt wird), mit dem Wunsche, es möchten zum Beispiel möglichst viele Drei zum Vorschein kom men. Die Resultate dieses sogenannten PK-Experimentes (Psycho Kinesis) waren positiv, und zwar um so eher, je mehr Würfel auf 26
Rhine/Humphrey : A Transoceanic ESP Experiment,
1942,
S. 52.
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
23
einmal benützt wurden.2 7 Wenn Raum und Zeit sich als psychisch relativ erweisen, so muß auch der bewegte Körper die entspre chende Relativität besitzen beziehungsweise ihr unterworfen sein. Eine durchgehende Erfahrung bei diesen Experimenten ist die Tatsache, daß nach dem ersten Versuch die Trefferzahl abzusinken beginnt und damit die Resultate negativ werden. Tritt aber aus irgendeinem äußeren oder inneren Grund eine Auffrischung des Interesses seitens der V. P. ein, so erhöht sich die Trefferzahl wie der. Interesselosigkeit und Langeweile wirken prohibitiv; Anteil nahme, positive Erwartung, Hoffnung und Glaube an die Mög lichkeit der ESP verbessern die Resultate und scheinen daher die eigentlichen Bedingungen für das Zustandekommen derselben überhaupt zu sein. In dieser Hinsicht ist interessant, daß das be kannte englische Medium Mrs. Eileen J. Garrett bei den Rhine schen Experimenten schlechte Resultate erzielte, und zwar darum, weil sie, wie sie selber angibt, keinerlei Gefühlsverhältnis zu den seelenlosen Experimentierkarten herstellen konnte. Diese wenigen Andeutungen mögen genügen, um dem Leser einen wenigstens oberflächlichen B egriff von diesen Experimenten zu geben. Das oben erwähnte Buch von C. N. M. Tyrrell, dem derzeitigen Präsidenten der Society for Psychical Research, enthält eine sehr gute Zusammenstellung aller Erfahrungen auf diesem Gebiete. Der Verfasser hat sich selber große Verdienste um die Erforschung der ESP erworben. Von physikalischer Seite sind die ESP-Experimente durch Robert A. McConnell in einem Aufsatz, betitelt >ESP - Fact or Fancy?<, in positivem Sinne gewürdigt wor den.28 Begreiflicherweise hat man diese Resultate, die ans Wunderbare und schlechthin Unmögliche zu grenzen scheinen, auf alle mögli chen Arten wegzuerklären versucht. Solche Versuche aber schei terten alle an den Tatsachen, die sich bis jetzt nicht wegbeweisen ließen. Wir sind durch die Rhineschen Experimente mit der Tatsa che konfrontiert, daß es Ereignisse gibt, die experimentell, das heißt in diesem Fall sinngemäß, aufeinander bezogen sind, ohne daß dabei dieser Bezug als ein kausaler erwiesen werden könnte, indem die »Übertragung« keinerlei bekannte energetische Eigen schaften erkennen läßt. Es besteht daher ein begründeter Zweifel, ob es sich überhaupt um eine »Übertragung«29 handelt. Die Zeit experimente schließen nämlich eine solche prinzipiell aus, denn es 27 28
Rhine: The Reach of the Mind, 1948, S. 73 ff. Herr Prof. W. Pauli hat mich freundliehst auf diese Arbeit, die in >The Scientific Monthly< 1949 erschienen ist, aufmerksam gemacht. 29 Nicht zu verwechseln mit dem Terminus »Übertragung« in der Neurosenpsycholo gie, welcher die Projektion eines Verwandtschaftsverhältnisses bezeichnet.
24
S Y N C H R O N I ZI TÄT, AKAUSAL ITÄT
wäre absurd, anzunehmen, daß ein noch nicht vorhandener, son dern erst in der Zukunft eintretender Tatbestand sich als ein ener getisches Phänomen auf einen gegenwärtigen Empfänger übertra gen könnte.30 Es scheint vielmehr, daß die Erklärung einerseits bei einer Kritik unseres Raum- und Zeitbegriffes, andererseits beim Unbewußten einzusetzen hat. Es ist, wie schon gesagt, mit unseren derzeitigen Mitteln unmöglich, die extra-sensory perception, das heißt die sinngemäße Koinzidenz, als ein energetisches Phänomen zu erklären. Damit scheidet auch die kausale Erklärung aus, denn »Wirkung« ist anders denn als ein energetisches Phänomen nicht zu verstehen. Es kann sich daher nicht um Ursache und Effekt handeln, sondern um ein Zusammenfallen in der Zeit, eine Art von Gleichzeitigkeit. Um des Merkmals der Gleichzeitigkeit willen ha be ich den Ausdruck Synchronizität gewählt, um damit einen hy pothetischen Erklärungsfaktor, der ebenbürtig der Kausalität ge genübersteht, zu bezeichnen. In meinem Aufsatz >Der Geist der Psychologie<31 habe ich die Synchronizität als eine psychisch be dingte Relativität von Zeit und Raum dargestellt. Bei den Rhine schen Experimenten verhalten sich Raum und Zeit der Psyche gegenüber gewissermaßen >>elastisch«, indem sie anscheinend be liebig reduziert werden können. Bei der räumlichen Versuchsan ordnung wird der Raum und bei der zeitlichen die Zeit gewisser maßen auf annähernd Null reduziert; das heißt, es scheint, als ob Raum und Zeit in einem Zusammenhang mit psychischen Bedin gungen stünden oder als ob sie an und für sich gar nicht existierten und nur durch das Bewußtsein >>gesetzt<< wären. Raum und Zeit sind in der ursprünglichen Anschauung (das heißt bei den Primiti ven) eine höchst zweifelhafte Sache. Sie sind erst im Laufe der geistigen Entwicklung zu "festen<< Begriffen geworden, und zwar durch die Einführung der Messung. An sich bestehen Raum und Zeit aus nichts. Sie gehen als hypostasierte Begriffe erst aus der diskriminierenden Tätigkeit des Bewußtseins hervor und bilden die für die Beschreibung des Verhaltens bewegter Körper unerläß lichen Koordinaten. Sie sind daher wesentlich psychischen Ur sprungs, was wohl der Grund ist, der Kant bewogen hat, sie als Kategorien a priori aufzufassen. Sind aber Raum und Zeit durch die Verstandesnotwendigkeiten des Beobachters erzeugte, anschei nende Eigenschaften bewegter Körper, dann ist ihre Relativierung durch eine psychische Bedingung auf alle Fälle kein Wunder mehr, sondern liegt im Bereiche der Möglichkeit. Diese Möglichkeit tritt 1° Kammerer hat sich mit der Frage der »Gegenwirkung des nachfolgenden Zustandes auf den vorhergehenden« befaßt, aber nicht gerade in überzeugender Weise (Das Gesetz der Serie, 1 9 1 9 , S. 1 3 1 f.). 11 Als >Theoretische Überlegungen zum Wesen des Psychischen<, G W 8 , § § 343-442.
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
25
aber dann ein, wenn die Psyche nicht äußere Körper, sondern sich selbst beobachtet. Das ist nämlich bei den Rhineschen Experimen ten der Fall : Die Antwort der Versuchsperson erfolgt nicht aus der Anschauung der physischen Karten, sondern aus reiner Imagina tion, das heißt aus Einfällen, in denen sich die Struktur des diese erzeugenden Unbewußten manifestiert. Ich will hier nur zunächst einmal darauf hinweisen, daß es die ausschlaggebenden Faktoren der unbewußten Psyche, die sogenannten A rchetypen sind, welche die Struktur des kollektiven Unbewußten ausmachen. Letzteres aber stellt eine bei allen Menschen sich selbst identische »Psyche<< dar, die im Gegensatz zu dem uns bekannten Psychischen unan schaulich ist, weshalb ich sie als psychoid bezeichnet habe. Die Archetypen sind formale Faktoren, welche unbewußte seeli sche Vorgänge anordnen : Sie sind »patterns of behaviour« . Zu gleich haben die Archetypen eine >>Spezifische Ladung« : Das heißt, sie entwickeln numinose Wirkungen, die sich als Affekte äußern. Der Affekt bewirkt ein partielles abaissement du niveau mental, indem er einen bestimmten Inhalt zwar zu einer übernormalen Klarheitshöhe erhebt, in eben demselben Maße aber auch den an deren möglichen Bewußtseinsinhalten soviel Energie entzieht, daß sie verdunkelt beziehungsweise unbewußt werden. Infolge der be wußtseinseinschränkenden Wirkung des Affektes entsteht eine der Dauer desselben entsprechende Herabsetzung der Orientierung, welche ihrerseits dem Unbewußten eine günstige Gelegenheit bie tet, sich in den leer gelassenen Raum einzudrängen. Es ist daher eine sozusagen regelmäßige Erfahrung, daß im Affekt unerwartete, sonst gehemmte beziehungsweise unbewußte Inhalte durchbre chen und zur Äußerung gelangen. Derartige Inhalte sind nicht selten inferiorer oder primitiver Natur und verraten damit ihren Ursprung in den Archetypen. Wie ich weiter unten noch beleuch ten werde, scheinen mit den Archetypen unter gewissen Umstän den Gleichzeitigkeits-, das heißt Synchronizitätsphänomene ver bunden zu sein. Das ist der Grund, warum ich die Archetypen hier erwähne. In die Richtung der psychischen Raum-Zeit-Relativität weisen vielleicht die Fälle außerordentlicher Raumorientierung bei Tieren hin. Die rätselhafte Zeitorientierung des Palolowurmes, dessen mit Geschlechtsprodukten befrachtete Schwanzsegmente jeweils am Vortage des letzten Mondviertels im Oktober und November an der Meeresoberfläche erscheinen,32 könnte in diesen Zusammen32 Genauer gesagt, beginnt das »Schwärmen« etwas vor und endet erst etwas nach diesem Tage. Auf diesen Tag fällt nur das Maximum. Die Monate wechseln je nach Standort. Der Wawo von Amboina soll beim Vollmond im März erscheinen. (Krämer: Über den Bau der Korallenriffe, 1 897.)
26
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄ T
bang gehören. Als Ursache dafür wurde die z u dieser Zeit infolge der Mondgravitation eintretende Erdbeschleunigung angegeben. Es ist aber aus astronomischen Gründen unmöglich, daß diese Erklärung stimmt.33 Die an sich unzweifelhafte Beziehung der menschlichen Menstruationsperiode zum Mondlauf hängt mit letzterem nur durch die Zahl zusammen, ohne mit ihm in Wirk lichkeit zu koinzidieren. Es ist auch nicht bewiesen, daß sie dies je getan hat. Das Problem der Synchronizität hat mich schon lange beschäf tigt, und zwar ernstlich seit der Mitte der zwanziger Jahre,34 wo ich bei der Untersuchung der Phänomene des kollektiven U nbe wußten immer wieder auf Zusammenhänge stieß, die ich nicht mehr als zufällige Gruppenbildung oder Häufung zu erklären vermochte. Es handelte sich nämlich um »Koinzidenzen<< , die sinngemäß derart verknüpft waren, daß ihr »zufälliges« Zusam mentreffen eine Unwahrscheinlichkeit darstellt, welche durch eine unermeßliche Größe ausgedrückt werden müßte. Ich erwähne nur beispielsweise einen Fall aus meiner Beobachtung : Eine junge Pa tientin hatte in einem entscheidenden Moment ihrer Behandlung einen Traum, in welchem sie einen goldenen Skarabäus zum Ge schenk erhielt. Ich saß, während sie mir den Traum erzählte, mit dem Rücken gegen das geschlossene Fenster. Plötzlich hörte ich hinter mir ein Geräusch, wie wenn etwas leise an das Fenster klopfte. Ich drehte mich um und sah, daß ein fliegendes Insekt von außen gegen das Fenster stieß. Ich öffnete das Fenster und fing das Tier im Fluge. Es war die nächste Analogie zu einem goldenen Skarabäus, welche unsere Breiten aufzubringen vermochten, näm lich ein Scarabaeide (Blatthornkäfer), Cetonia aurata, der »gemei ne Rosenkäfer<< , der sich offenbar veranlaßt gefühlt hatte, entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten in ein dunkles Zimmer gerade in diesem Moment einzudringen. Ich muß schon sagen, daß mir ein solcher Fall weder vorher noch nachher je vorgekommen, ebenso wie auch der damalige Traum der Patientin ein Unikum in meiner Erfahrung geblieben ist. " Dahns: Das Schwärmen des Palolo, 1932. " Schon Jahre zuvor sind mir Zweifel an der unbeschränkten Anwendbarkeit des Kausalprinzips in der Psychologie aufgestiegen. In der Vorrede zur I. Auflage der •Col lected Papers on Analytical Psychology< ( 1 9 1 6) habe ich geschrieben: Die •Kausalität ist nur ein Prinzip, und die Psychologie kann nicht allein mit kausalen Methoden ausge schöpft werden, denn der Geist lebt auch auf Ziele hin.• (GW 4, § 679.) Die psychische Finalität beruht auf einem »präexistentenu Sinn, welcher erst dann problematisch wird, wenn es sich um ein unbewußtes Arrangement handelt. In diesem Fall muß nämlich eine Art » Wissen• vorgängig aller Bewußtheit angenommen werden. Zu diesem Schluß ge langt auch H. Driesch (Die •Seele« als elementarer Naturfaktor, 1903, S. SOff.)
S Y N C H R O N I Z ITÄT ALS E I N P R I N Z I P
27
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einen anderen, für eine gewisse Kategorie von Vorkommnissen typischen Fall anfüh ren. Die Frau eines meiner in den Fünfzigerjahren stehenden Pa tienten erzählte mir einmal gesprächsweise, daß beim Tode ihrer Mutter und Großmutter sich vor den Fenstern des Sterbezimmers eine große Zahl von Vögeln gesammelt hätte ; eine Erzählung, wie ich sie schon mehr als einmal von anderen Leuten gehört hatte. Als die Behandlung ihres Mannes sich ihrem Ende nahte, indem seine Neurose behoben war, da traten bei ihm vorerst leichte Symptome auf, welche ich auf eine Herzerkrankung bezog. Ich schickte ihn zu einem Spezialisten, der aber bei der ersten Untersuchung, wie er mir schriftlich mitteilte, nichts Besorgniserregendes feststellen konnte. Auf dem Heimweg von dieser Konsultation (mit dem ärztlichen Bericht in der Tasche) brach mein Patient plötzlich auf der Straße zusammen. Als er sterbend nach Hause gebracht wurde, war seine Frau bereits in ängstlicher Unruhe, und zwar darum, weil, bald nachdem ihr Mann zum Arzte gegangen war, ein ganzer Vogelschwarm sich auf ihr Haus niedergelassen hatte. Natürlich erinnerte sie sich sofort an die ähnlichen Vorkommnisse beim To de ihrer Angehörigen und befürchtete Schlimmes. Obschon ich die an diesen Ereignissen beteiligten Personen ge nau kenne und deshalb weiß, daß es sich um einen wahren Tatsa chenbericht handelt, so stelle ich mir doch keineswegs vor, daß sich irgend jemand, der entschlossen ist, solche Dinge als bloße Zufälle anzusehen, dadurch bewogen fühlen wird, seine Auffas sung zu ändern. Ich bezwecke mit der Darstellung der beiden Fälle daher nur einen Hinweis auf die Art und Weise, wie sich sinnge mäße Koinzidenzen im praktischen Leben zu präsentieren pflegen. Die sinngemäße Beziehung in ersterem Falle ist in Ansehung der annähernden Identität der Hauptobjekte (nämlich der beiden Ska rabäen) einleuchtend ; in letzterem Falle dagegen sind Todesfall und Vogelschwarm anscheinend inkommensurabel. Wenn man aber berücksichtigt, daß schon im babylonischen Hades die Seelen ein >>Federkleid« tragen und in Alt-Ägypten der ba, das heißt die Seele, als Vogel35 gedacht wird, so liegt die Annahme eines arche typischen Symbolismus nicht allzuferne. Wäre ein solches Vor kommnis zum Beispiel geträumt worden, so käme eine derartige Deutung vergleichend-psychologisch unbedingt in Betracht. Eine archetypische Grundlage scheint auch in ersterem Fall zu beste hen. Wie ich schon erwähnt habe, handelte es sich um eine unge wöhnlich schwierige Behandlung, die bis zu dem erwähnten Traum so gut wie gar nicht vom Flecke gekommen war. Der 35 Bei Homer "zwitschern« die Seelen der Toten.
28
S Y N C H R O N IZITÄT, A K A U S A L ITÄT
H auptgrund hiefür war, wie ich zum Verständnis der Situation erwähnen muß, der in cartesianischer Philosophie erzogene Ani mus meiner Patiemin, welcher an seinem starren Wirklichkeitsbe g_riff dermaßen festhielt, daß ihn selbst die B emühungen von drei A rzten (ich war nämlich der dritte) nicht zu erweichen vermocht hatten. D azu brauchte es offenbar schon ein irrationales Ereignis, das ich aber selbstverständlich nicht produzieren konnte. Schon durch den Traum allein war die rationalistische Einstellung meiner Pariemin leise erschüttert. Als aber gar noch der Skarabäus in Wirklichkeit geflogen kam, da konnte ihr natürliches Wesen den Panzer der Animusbesessenheit durchbrechen, womit auch der die B ehandlung begleitende Wandlungsprozeß zum erstenmal richtig in Fluß kam. Wesentliche Einstellungsänderungen bedeuten psy chische Erneuerungen, die fast in der Regel durch Wiedergeburts symbole in Träumen und Phantasien begleitet sind. Der Skarabäus ist ein klassisches WiedergeburtssymboL Nach der Schilderung des altägyptischen B uches >Am-Tuat< verwandelt sich der tote Sonnengott an der zehnten Station in Kheperä, den Skarabäus, und als solcher besteigt er an der zwölften Station die Barke, welche die verjüngte Sonne am Morgenhimmel emporführt. Schwierig ist in diesem Fall nur, daß (obschon das Symbol meiner Pariemin nicht bekannt war) bei Gebildeten Kryptomnesien oft nicht mit Sicher heit auszuschließen sind. Beiläufig bemerkt, stößt die psychologi sche E rfahrung beständig auf solche Fälle,36 in denen das Auftreten von Symbolparallelen ohne die Hypothese des kollektiven Unbe wußten nicht erklärt werden kann. Fälle von sinngemäßen Koinzidenzen die von bloßen Zufalls gruppen zu unterscheiden sind - scheinen auf archetypischer Grundlage zu beruhen. Wenigstens weisen alle Fälle meiner Erfah rung - es sind ihrer eine ganze Anzahl - dieses bezeichnende Merkmal auf. Was das zu bedeuten hat, habe ich oben bereits angedeutet.37 Obschon j eder, der einige Erfahrung auf diesem Ge biete hat, unschwer den archetypischen Charakter solcher Erleb nisse erkennt, so wird er doch die psychischen Bedingungen des Rhineschen Experimentes damit nicht ohne weiteres in Verbin dung b ringen können, denn eine Konstellation des Archetypus ist hier zunächst nicht ersichtlich. Es handelt sich dabei auch nicht um derart emotionale Situationen wie die meiner Beispiele. Immerhin ist zunächst darauf zu verweisen, daß bei Rhine durchschnittlich die erste Versuchsserie die besten Resultate ergibt, die dann rasch -
36 Derartiges läßt sich natürlich nur dann feststellen, wenn der Arzt über die nötigen symbolgeschichtlichen Kenntnisse verfügt. 37 Ich verweise auf meine Ausführungen in: Der Geist der Psychologie (Theoretische Überlegungen zum Wesen des Psychischen, GW 8, § § 343-442).
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
29
abnehmen. Wenn es aber gelingt, ein neues Interesse für das (an sich langweilige) Experiment wachzurufen, verbessern sich auch die Resultate wieder. Daraus geht hervor, daß der emotionale Fak tor eine bedeutsame Rolle spielt. Die Affektivität aber beruht in hohem Maße auf den Instinkten, deren formaler Aspekt eben der Archetypus ist. Es besteht aber auch eine psychologische Analogie zwischen meinen beiden Fällen und dem Rhineschen Experiment, die aller dings nicht auf der Hand liegt. Diese anscheinend gänzlich ver schiedenen Situationen haben nämlich als gemeinsames Charakte ristikum eine gewisse Unmöglichkeit. Die Patientin mit dem Skarabäus befand sich insofern in einer >>unmöglichen« Situation, als ihre Behandlung stockte und sich nirgends ein Ausweg ab zeichnete. In derartigen Situationen, wenn sie ernsthaft genug sind, pflegen sich archetypische Träume einzustellen, welche eine Fortschrittsmöglichkeit aufzeigen, an die man nicht gedacht hätte. Derartige Situationen sind es überhaupt, welche den Archetypus mit großer Regelmäßigkeit konstellieren. In gewissen Fällen sieht sich daher der Psychotherapeut gezwungen, das rational unlösbare Problem aufzufinden, auf welches das Unbewußte des Patienten hinsteuert. Ist dieses gestellt, dann werden dadurch die tieferen Schichten des Unbewußten, die Urbilder nämlich, aufgeweckt, wo durch die Wandlung der Persönlichkeit in die Wege geleitet wird. Im zweiten Fall war es die halb unbewußte Besorgnis einerseits und die drohende Möglichkeit eines letalen Ausganges anderer seits, wobei keine Möglichkeit eines genügenden Erkennens der Situation bestand. Beim Rhineschen Experiment schließlich ist es die Unmöglichkeit der Aufgabe, welche die Aufmerksamkeit auf die inneren Vorgänge lenkt und damit dem Unbewußten eine Möglichkeit gibt, sich zu manifestieren. Die Fragestellung des ESP-Experimentes hat an sich schon eine emotionale Wirkung, indem sie nämlich etwas Unerkennbares und schlechterdings Un wißbares als möglicherweise Erkenn- und Wißbares hinstellt und damit die Möglichkeit eines Wunders ernstlich in Betracht zieht. Unbekümmert um den eventuellen Skeptizismus der V. P. appel liert diese Andeutung an die unbewußt stets und überall vorhande ne Bereitschaft, ein Wunder zu erleben und an die Hoffnung, daß etwas Derartiges am Ende doch möglich sein könnte. Der primiti ve Aberglaube liegt auch bei den aufgeklärtesten Geistern dicht unter der Oberfläche, und gerade diejenigen, die sich am meisten dagegen wehren, unterliegen zuerst seiner Suggestivkraft. Wenn nun ein seriöses Experiment mit seiner gewichtigen wissenschaftli chen Autorität diese Bereitschaft irgendwo berührt, so entsteht unvermeidlicherweise eine Emotion, welche affektiv annimmt
30
S Y N C H R O N I Z ITÄT, A K A U S A L ITÄT
oder ablehnt. Auf alle Fälle entsteht eine affektive Erwartung, die trotzdem vorhanden ist, auch wenn sie geleugnet wird. Es ist wohl angebracht, auf die Möglichkeit eines Mißverständ nisses hinzuweisen, das durch den Ausdruck Synchronizität ver anlaßt werden könnte. Ich habe diesen Terminus gewählt, weil mir die Gleichzeitigkeit zweier sinngemäß, aber akausal verbundener Ereignisse als ein wesentliches Kriterium erschien. Ich gebrauche hier also den allgemeinen Begriff der Synchronizität in dem spe ziellen Sinne von zeitlicher Koinzidenz zweier oder mehrerer nicht kausal aufeinander bezogener Ereignisse, welche von glei chem oder ähnlichem Sinngehalt sind. Dies im Gegensatz zu »Syn chronismus<<, welcher die bloße Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse darstellt. So bedeutet denn Synchronizität zunächst die Gleichzeitigkeit eines gewissen psychischen Zustandes mit einem oder mehreren äußeren Ereignissen, welche als sinngemäße Parallelen zu dem mo mentanen subj ektiven Zustand erscheinen und - gegebenenfalls auch vice-versa. Diesen Fall veranschaulichen meine beiden Bei spiele in verschiedener Weise. Beim Fall des Skarabäus ist die Gleichzeitigkeit unmittelbar evident, im zweiten Beispiel dagegen nicht. Wohl veranlaßt der Vogelschwarm eine vage Besorgnis, was aber kausal zu erklären ist. Die Frau meines Patienten war sich allerdings vorher keiner Ängstlichkeit bewußt, die sich mit meiner Besorgnis vergleichen ließe, denn die Symptome (Schmerzen im Hals) waren nicht derart, daß ein Laie sofort an etwas Schlimmes gedacht hätte. Das Unbewußte weiß aber oft mehr als das Bewußt sein, weshalb es mir möglich erscheint, daß bei der Frau das Unbe wußte bereits die Gefahr witterte. Das läßt sich nun allerdings nicht beweisen, aber die Möglichkeit und vielleicht sogar Wahr scheinlichkeit besteht immerhin. Wenn wir also einen bewußten psychischen Inhalt, wie den der Vorstellung einer tödlichen Ge fahr, ausschließen, so besteht in diesem Falle eine evidente Gleich zeitigkeit des Vogelschwarmes, in seiner traditionellen Bedeutung, mit dem Tode des Mannes. Der psychische Zustand erscheint, wenn wir von der zwar möglichen, aber nicht nachweisbaren Erre gung des Unbewußten absehen, als vom äußeren Geschehen ab hängig. Die Psyche der Frau ist immerhin insofern impliziert, als der Vogelschwarm sich bei ihr niedergelassen hatte und von ihr beobachtet wurde. Aus diesem Grunde ist es mir auch wahrschein lich, daß ihr Unbewußtes konstelliert war. Der Vogelschwarm an sich hat traditionelle mantische Bedeutung.38 Diese erscheint auch 3 8 Ein literarisches Beispiel sind die Kraniche des Ibykus. Wenn ein Schwarm von Elstern sich lärmend bei einem Haus niederläßt, so bedeutet dies einen Todesfall und so weiter. Man denke auch an die Bedeutung der Augurien.
S Y N C H R O N I Z I T ÄT A L S E I N P R I N Z I P
31
i n der Deutung der Frau, und es sieht deshalb so aus, wie wenn die Vögel eine unbewußte Todesahnung dargestellt hätten. Die alten romantischen Ärzte hätten hier wohl von »Sympathie<< oder »Ma gnetismus« gesprochen, aber wie schon erwähnt, lassen sich solche Phänomene nicht kausal erklären, es sei denn, daß man sich phan tastische Hypothesen ad hoc gestatten zu dürfen glaubt. Die Deutung des Vogelschwarms als Omen beruhte, wie wir gesehen haben, auf zwei früheren Koinzidenzen ähnlicher Art. Sie bestand beim Tode der Großmutter noch nicht. Dort wurde die Koinzidenz nämlich nur durch den Tod und die Ansammlung der Vögel dargestellt. Damals war sie unmittelbar evident; im dritten Fall konnte sie erst als solche verifiziert werden, als der Sterbende ins Haus gebracht wurde. Ich erwähne diese Komplikationen, weil sie für den Umfang des Synchronizitätsbegriffes wichtig sind. Nehmen wir nun einen an deren Fall : Einer meiner Bekannten sieht und erlebt im Traum den plötzlichen und gewaltsamen Tod seines Freundes, mit charakteri stischen Einzelheiten. Der Träumer befindet sich in Europa und sein Freund in Amerika. Ein Telegramm am nächsten Morgen bestätigt den Tod, und ein Brief etwa zehn Tage später die Einzel heiten. Die Vergleichung der europäischen Zeit mit der amerikani schen ergibt, daß der Tod mindestens eine Stunde vor dem Traume eingetreten ist. Der Träumer war spät zu Bett gegangen und hatte bis um ein Uhr nicht geschlafen. Der Traum fand um zwei Uhr morgens statt. Das Traumerlebnis ist nicht synchron mit dem To de. Erlebnisse dieser Art finden häufig entweder nach oder vor dem kritischen Ereignis statt. J. W. Dunne39 erwähnt einen beson ders instruktiven Traum, den er im Frühjahr 1902 hatte, als er den Burenkrieg mitmachte : Es schien ihm, als stünde er auf einem vulkanischen Berg. Es war eine Insel, von der er schon früher geträumt hatte und von der er wußte, daß sie unmittelbar durch einen katastrophalen vulkanischen Ausbruch gefährdet war (wie Krakatau!). Angsterfüllt wollte er die viertausend Einwohner der Insel retten. Auf einer benachbarten Insel versuchte er, die franzö sischen Behörden zu bewegen, sofort alle verfügbaren Schiffe zur Rettungsaktion zu mobilisieren. Hier begann sich der Traum durch das Motiv des Hastens, Hetzens und Nicht-Ankommens zum typi schen Nachtmahr zu entwickeln, wobei dem Träumer beständig der Satz vorschwebte: » Viertausend Menschen werden getötet, wenn nicht . . . " Einige Tage später erhielt Dunne seine Post mit einer Nummer des >Daily Telegraph<, und sein Blick fiel auf fol gende Nachricht : 39
Dunne: An Experiment with Time,
1927,
S. 34 ff.
32
S Y N C H R O N IZI T Ä T , A K A U S A L ITÄT Volcano Disaster In Martinique Town Swept Away An Avalanche of Flame Probable Loss of Over 40 000 Lives .
Der Traum fand nicht im Augenblick der wirklichen Katastro p he statt, sondern erst, als die Zeitung mit der Nachricht sich ihm näherte. Dabei unterlief ihm der Lesefehler 4000 statt 40 000. Die fehlerhafte Wahrnehmung setzte sich beim Träumer als Paramne sie fest, so daß er, wenn immer er den Traum erzählte, stets 4000 sagte statt 4 0 000. Erst fünfzehn Jahre später, als er den Zeitungsar tikel für sich kopierte, entdeckte er den Irrtum. Sein unbewußtes Wissen hat gleichsam denselben Lesefehler wie er selber gemacht. Die Tatsache, daß erst kurz vor dem Eintreffen der Nachricht diese geträumt wird, stellt eine relativ häufige Erfahrung dar, in dem der Traum zum Beispiel Personen erwähnt, von denen die nächste Post einen Brief bringt. Ich konnte mehrere Male konsta tieren, daß im Augenblicke, in dem der Traum stattfand, der Brief schon im Postamt des Adressaten lag. Ich kann aus eigener Erfah rung auch die Verlesung bestätigen. In den Weihnachtsferien 1 9 1 8 beschäftigte ich mich mit der Orphik und insbesondere mit dem orphischen Fragment bei Malalas, in welchem das primordiale Licht >>trinitarisch<< als Metis, Phanes und Ericepaeus bezeichnet wird. Dabei las ich beharrlich Erikapaios statt Erikepaios, wie es der Text hat. (Es kommen an sich beide Lesarten vor. ) Diese Ver lesung setzte sich dann als Pa_ramnesie fest, und ich habe diesen Namen später immer nur als Erikapaios erinnert u_nd erst dreißig Jahre später entdeckt, daß der Text bei Malalas Erikepaios hat. Genau zu dieser Zeit hatte eine meiner Patientinnen, die ich da mals seit vier Wochen nicht mehr gesehen hatte und die in keiner lei Weise mit meinen Studien bekannt war, einen Traum, in wel chem ein unbekannter Mann ihr ein Blatt überreichte, auf dem ein
»lateinischer« Hymnus an einen Gott Ericipaeus aufgezeichnet war. Die Träumerin konnte diesen Hymnus beim Erwachen nie
derschreiben. Die Sprache desselben war ein eigentümliches Ge misch von Latein, Französisch und Italienisch . Die Dame hatte einige elementare Schulkenntnisse des Lateins, konnte etwas mehr Italienisch und sprach fließend Französisch. Der Name Ericipaeus war ihr völlig unbekannt - begreiflicherweise -, da sie über keiner lei klassische Kenntnisse verfügte. Unsere beiden Wohnorte sind
S YNC H R ONI Z I T ÄT A L S E IN P R INZ I P
33
etwa neunzig Kilometer voneinander entfernt, und es hatte seit einem Monat überhaupt keine Kommunikation zwischen uns stattgefunden. Bemerkenswerterweise setzt die Variation des Na mens, das heißt die »Verlesung« gerade bei dem Vokal ein, bei dem auch ich mich verlesen hatte, indem ich a statt e las ; nur verlas sich ihr Unbewußtes in der anderen Richtung, indem es i statt e las. Ich vermute daher, daß sie unbewußterweise nicht meinen Irrtum, sondern vielmehr den Text, in welchem die lateinische Translitera tion Ericepaeus vorkommt, »gelesen« hat, wobei sie anscheinend von meinem Verlesen nur gestört wurde. Synchronistische Ereignisse beruhen auf der Gleichzeitigkeit zweier verschiedener psychischer Zustände. Der eine ist der norma le, wahrscheinliche (das heißt kausal zureichend erklärbare) und der andere der kausal aus dem ersteren nicht ableitbare Zustand, nämlich das kritische Erlebnis. Im Falle des plötzlichen Todes ist letzteres nicht unmittelbar als extra-sensory perception (ESP) er kennbar, sondern kann als solche erst nachträglich verifiziert wer den. Aber auch im Falle des Skarabäus ist das unmittelbar Erlebte ein psychischer Zustand oder ein psychisches Bild, das sich vom Traumbild nur dadurch unterscheidet, daß es unmittelbar verifi ziert werden kann. Im Falle des Vogelschwarmes handelt es sich bei der Frau um eine unbewußte Alterierung beziehungsweise Be sorgnis, welche mir allerdings bewußt war und mich veranlaßt hatte, den Patienten zum Herzspezialisten zu schicken. Es besteht in allen diesen Fällen, gleichviel ob es sich um räumliche oder zeitliche ESP handelt, eine Gleichzeitigkeit des normalen oder ge wöhnlichen Zustandes mit einem kausal nicht ableitbaren, anderen Zustand oder Erlebnis, dessen Objektivität meist erst nachträglich verifiziert werden kann. Diese Definition muß man besonders im Auge behalten, wenn zukünftige Ereignisse in Frage kommen. Sie sind nämlich evidenterweise nicht synchron, wohl aber synchroni stisch, indem sie als psychische Bilder gegenwärtig erlebt werden, wie wenn das objektive Ereignis schon vorhanden wäre. Ein uner warteter Inhalt, der sich unmittelbar oder mittelbar auf ein objek tives äußeres Ereignis bezieht, koinzidiert mit dem gewöhnlichen psychischen Zustand: Dieses Vorkommen nenne ich Synchronizi tät und bin der Ansicht, daß es sich um genau dieselbe Kategorie von Ereignissen handelt, ob nun deren Objektivität als im Raum oder als in der Zeit von meinem Bewußtsein getrennt erscheint. Diese Ansicht wird durch die Rhineschen Ergebnisse bestätigt, insofern weder Raum noch Zeit, im Prinzip wenigstens, die Syn chronizität beeinflussen. Raum und Zeit, die verstandesmäßigen Koordinaten des bewegten Körpers, sind wohl im Grunde eines und dasselbe, darum spricht man von »Zeiträumen«, und schon
34
SY N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U SA L I T Ä T
Philo Iudaeus sagt : >>Die Erstreckung der Himmelsbewegung ist die Zeit.« 40 Man kann die räumliche Synchronizität ebensogut als ein Wahrnehmen in der Zeit auffassen, aber bemerkenswerterwei se kann nicht ebensoleicht die zeitliche als räumlich verstanden werden, denn wir vermögen uns keinen Raum vorzustellen, in welchem zukünftige Ereignisse schon objektiv vorhanden wären und durch Reduktion dieser räumlichen Distanz als gegenwärtig erlebt werden könnten. Indem aber erfahrungsgemäß unter gewis sen Umständen Raum und Zeit als auf annähernd Null reduziert erscheinen, fällt damit auch die Kausalität weg, denn sie ist an das Vorhandensein von Raum und Zeit und von Körperveränderun gen geknüpft, da sie ja im Nacheinander von Ursache und Wir kung besteht. Aus diesem Grunde kann das Synchronizitätsphä nomen prinzipiell mit keinen Kausalitätsvorstellungen in Verbin dung gebracht werden. Die Verknüpfung sinngemäß koinzidenter Faktoren muß daher notwendigerweise als akausal gedacht wer den. Hier geraten wir nun allerdings in die Versuchung, aus Erman gelung einer feststellbaren eine transzendentale Ursache anzuneh men. » Ursache« kann aber nur eine feststellbare Größe sein. Eine »transzendentale« Ursache ist nämlich insofern eine contradictio in adiecto, als etwas Transzendentales per definitionem gar nicht festgestellt werden kann. Wenn man die Annahme der Akausalität nicht riskieren will, so bleibt nichts anderes übrig, als die soge nannten synchronistischen Phänomene für bloße Zufälle zu erklä ren , womit man aber zu den Rhineschen ESP-Ergebnissen und anderen wohlbeglaubig_ten Tatsachen in Widerspruch gerät. Oder wir sind gezwungen, Uberlegungen in der Art der obigen anzu stellen und die Prinzipien unserer Welterklärung einer Kritik zu unterziehen, in dem Sinne, daß Raum und Zeit in einem bestimm ten System nur dann konstante Größen sind, wenn sie abgesehen von psychischen Zuständen gemessen werden. Dies ist beim natur wissenschaftlichen Experiment in der Regel der Fall. Wird aber das Geschehen ohne experimentelle Einschränkungen beobachtet, so kann beim Beobachter ein gewisser emotionaler Zustand eintreten, welcher Raum und Zeit im Sinne einer Kontraktion verändert. Jeder emotionale Zustand bewirkt eine Bewußtseinsveränderung, welche Janet als »abaissement du niveau mental<< bezeichnet hat, das heißt, es tritt eine gewisse Verengerung des Bewußtseins zu gleich mit einer Verstärkung des Unbewußten ein, was besonders bei starken Affekten auch für den Laien ohne weiteres erkennbar ist. Der Tonus des Unbewußten wird gewissermaßen erhöht, wo40
Philo Alexandrin u s : De opificio mundi, 1 8 26, Band 1 , S. 8.
S Y N C H R O N I Z ITÄT ALS E I N P R I N Z I P
35
durch leicht ein Gefälle vom Unbewußten zum Bewußtsein hin entsteht. Das Bewußtsein gerät damit unter den Einfluß unbewuß ter, instinktiver Antriebe und Inhalte. Letztere sind in der Regel Komplexe, die in letzter Linie auf den Archetypen, das heißt dem »instinctual pattern«, beruhen. Neben diesen finden sich im Unbe wußten aber auch subliminale Wahrnehmungen (und ebenso ver gessene, das heißt momentan oder überhaupt unreproduzierbare Gedächtnisbilder). Unter den subliminalen Inhalten sind die Wahrnehmungen von dem, was ich als ein unerklärliches >>Wissen« oder >> Vorhandensein« bezeichnen möchte, zu unterscheiden. Während die Wahrnehmungen auf mögliche oder wahrscheinliche unterschwellige Sinneserregungen bezogen werden können, hat das >>Wissen« oder >> Vorhandensein« von unbewußten Bildern ent weder keine erkennbare Grundlage, oder es bestehen erkennbare kausale Beziehungen zu gewissen, schon vorher vorhandenen (oft archetypischen) Inhalten. Diese Bilder aber, gleichviel, ob sie in schon vorhandenen Grundlagen wurzeln oder nicht, stehen in ana loger oder äquivalenter, das heißt sinngemäßer Beziehung zu ob jektiven Ereignissen, die mit ihnen keine erkennbare, ja nicht ein mal eine denkbare kausale Beziehung haben. Wie kann zum Bei spiel ein räumlich oder gar zeitlich entlegenes Ereignis die Entste hung eines entsprechenden psychischen Bildes anregen, wenn ein hiezu nötiger energetischer Ubermittlungsprozeß nicht einmal denkbar ist? So unverständlich dies auch erscheinen mag, so ist man doch schließlich gezwungen anzunehmen, daß es im Unbe wußten etwas wie ein apriorisches Wissen oder besser »Vorhan densein« von Ereignissen gibt, das jeder kausalen Grundlage ent behrt. Auf alle Fälle erweist sich unser Begriff von Kausalität als untauglich zur Erklärung der Tatsachen. Bei dieser verwickelten Sachlage lohnt es sich, das oben erörterte Argument zu rekapitulieren, was wohl am besten anband unserer Beispiele geschieht. Beim Rhineschen Experiment mache ich die Annahme, daß infolge der Erwartungsspannung, das heißt des emotionalen Zustandes der V. P. ein schon vorhandenes, korrek tes, aber unbewußtes Bild des Resultates das Bewußtsein befähigt, eine mehr als bloß wahrscheinliche Anzahl von Treffern anzuge ben. Der Skarabäustraum ist eine bewußte Vorstellung, die aus einem unbewußt schon vorhandenen Bild der am folgenden Tag eintretenden Situation, nämlich der Traumerzählung und des da zukommenden Rosenkäfers, hervorgeht. Die Frau meines verstor benen Patienten hatte ein unbewußtes Wissen um den bevorste henden Todesfall. Der Vogelschwarm evozierte die entsprechen den Erinnerungsbilder und damit ihre Angst. Ebenso ist der beina he gleichzeitige Traum vom gewaltsamen Tode des Freundes aus
36
S Y N C H R O N IZITÄT, A K A U S ALITÄT
dem schon vorhandenen unbewußten Wissen davon hervorgegan gen. In allen diesen und ähnlichen Fällen scheint ein a priori beste hendes, kausal nicht zu erklärendes Wissen um einen zur betref fenden Zeit unwißbaren Tatbestand vorzuliegen. Das Synchroni zitätsphänomen besteht also aus zwei Faktoren : 1. Ein unbewuß tes Bild kommt direkt (wörtlich) oder indirekt (symbolisiert oder angedeutet) zum Bewußtsein als Traum, Einfall oder Ahnung. 2. Mit diesem Inhalt koinzidiert ein objektiver Tatbestand. Man kann sich gleichermaßen über das eine wie über das andere wun dern. Wie kommt das unbewußte Bild zustande, oder wie die Koinzidenz? Ich verstehe nur zu gut, warum man es vorzieht, die Tatsächlichkeit solcher Dinge in Zweifel zu ziehen. Ich will hier nur die Frage aufwerfen. Eine Antwort zu geben, will ich im späte ren Verlauf dieser Untersuchung wagen . H insichtlich der Rolle, welche der Affekt beim Zustandekom men synchronistischer Ereignisse spielt, möchte ich erwähnen, daß dies keineswegs eine neue Idee ist, sondern schon von Avicenna und Albertus Magnus klar erkannt wurde . Albertus Magnus sagt : »Ich fand (bezüglich der Magie) eine einleuchtende Darlegung im sechsten B uche der Naturalia des Avicenna, daß der menschlichen Seele eine gewisse Kraft (virtus), die Dinge zu verändern, inne wohne und ihr die anderen Dinge untertan seien ; und zwar dann, wenn sie in einem großen Exzeß von Liebe oder Haß oder etwas ähnlichem hingerissen ist (quando ipsa fertur in magnum amoris excessum aut odii aut alicuius talium). Wenn also die Seele eines Menschen in einen großen Exzeß von irgendeiner Leidenschaft gerät, so kann man experimentell feststellen, daß er (der Exzeß) die Dinge (magisch) bindet und sie in eben der Richtung hin verän dert, wonach er strebt (fertur in grandem excessum alicuius passio nis invenitur experimento manifesto quod ipse ligat res et alterat ad idem quod desiderat et diu non credidi illud), und ich habe es lange nicht geglaubt ( ! ), aber nachdem ich nigrernantisehe Bücher und solche über Zauberzeichen (imaginum) und Magie gelesen habe, fand ich, daß (wirklich) die Emotionalität (affectio) der menschli chen Seele die Hauptwurzel all dieser Dinge ist, sei es entweder, daß sie wegen ihrer großen Emotion ihren Körper und andere Dinge, wonach sie tendiert, verändert, oder daß ihr, wegen ihrer Würde, die anderen, niedrigeren Dinge untertan sind, oder sei es, daß mit einem solchen, über alle Grenzen hinausgehenden Affekt die passende Sternstunde oder die astrologische Situation oder eine andere Kraft parallel läuft, und wir (infolgedessen) glauben, daß (das), was diese Kraft mache, dann von der Seele bewirkt würde (cum tali affectione exterminata concurrat hora conveniens aut
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
37
ordo coelestis aut alia virtus, quae quodvis faciet, illud reputavi mus tune animam facere) . . . Wer also das Geheimnis hievon wis sen will, um jenes zu bewirken und aufzulösen, der muß wissen, daß jeder alles magisch beeinflussen kann, wenn er in einen großen Exzeß gerät . . . , und er muß es dann eben gerade in jener Stunde tun, in welcher ihn jener Exzeß befällt, und mit den Dingen tun, die ihm die Seele vorschreibt. Die Seele ist nämlich dann so begie rig nach der Sache, die sie bewirken will, daß sie auch von sich aus die Bedeutendere und bessere Sternstunde ergreift, die auch über den Dingen waltet, die besser zu jener Sache passen . . . Und so ist es die Seele, welche die Sache intensiver begehrt, welche die Dinge mehr wirksam und (dem) ähnlicher macht, was herauskommt . . . In ähnlicher Weise nämlich funktioniert die Herstellung bei allem, was die Seele mit intensivem Wunsche begehrt. Alles nämlich, was sie, auf jenes zielend, treibt, hat Bewegungskraft und Wirksamkeit nach dem hin, was die Seele ersehnt.<<41 Dieser Text zeigt deutlich, daß das synchronistische (»magi sche«) Geschehen als vom Affekt abhängend angesehen wurde. Natürlich erklärt Albertus Magnus, dem Geist seiner Zeit entspre chend, durch die Annahme eines magischen Vermögens der Seele, ohne in Betracht zu ziehen, daß der seelische Vorgang ebensosehr »angeordnet« ist wie die koinzidente Vorstellung, welche den phy sischen, äußeren Vorgang antizipiert. Die koinzidente Vorstellung geht aus dem Unbewußten hervor und gehört daher zu jenen »CO gitationes quae sunt a nobis independentes« und die, wie Arnold Geulincx meint, von Gott veranlaßt sind und nicht dem eigenen Denken entspringen.42 Auch Goethe denkt in Hinsicht auf syn chronistische Ereignisse in »magischer« Weise. So sagt er in den Eckermannsehen Gesprächen : »Wir haben alle etwas von elektri schen und magnetischen Kräften in uns und üben wie der Magnet selber eine anziehende und abstoßende Gewalt aus, je nachdem wir mit etwas Gleichem oder Ungleichem in Berührung kom men.«43 Kehren wir nach dieser allgemeinen Betrachtung wieder zu un serem Problem der empirischen Grundlagen der Synchronizität zurück! Die Beschaffung eines Erfahrungsmaterials, das hinläng lich sichere Schlüsse ermöglicht, bildet zunächst die Hauptfrage, deren Lösung leider nicht leicht ist. Die hier in Frage kommenden 4 1 Albertus Magnus : Oe mirabilibus mundi. Inkunabel der Zürcher Zentralbibliothek, undatiert. (Es gibt hievon einen Kölner Druck von 1 485.) " Geulincx: Metaphysica vera, 3 . Teil , S. 1 87f. (Vorstellungen, die von uns unabhän gig sind). 43 Eckermann: Gespräche mit Goethe, 1 8 84, S. 142.
38
S Y N C H R O N I ZITÄT, AKAUSALITÄT
Erfahrungen liegen ja nicht auf der Hand. M a n muß sich deshalb in die obskursten Winkel wagen und den Mut aufbringen, die Voreingenommenheiten unserer gegenwärtigen Weltanschauung zu brüskieren, wenn man versuchen will, die Basis der Naturer kenntnis zu verbreitern. Als Galilei mittels seines Fernrohrs die Jupitermonde entdeckte, stieß er auch sofort mit der Voreinge nommenheit seiner gelehrten Mitwelt zusammen. Niemand wuß te, was ein Fernrohr war und was ein solches konnte. Nie zuvor hatte jemand von Jupitermonden gesprochen. Natürlich denkt je de Zeit, alle früheren seien voreingenommen gewesen, und heute denkt man dies mehr denn je und hat damit ebenso unrecht wie alle früheren Zeiten, die so dachten. Wie oft schon hat man es erlebt, daß die Wahrheit verdammt wurde. Es ist traurig, aber leider wahr, daß der Mensch aus der Geschichte nichts lernt. Diese Tatsache wird uns die größten Schwierigkeiten bereiten, denn wenn wir uns anschicken, in einer so dunkeln Sache ein irgendwie erleuchtendes Erfahrungsmaterial zu sammeln, so werden wir es ganz sicher dort finden, wo alle Autoritäten uns versichert haben, daß nichts zu finden sei. Die Erzählung von merkwürdigen Einzelfällen - seien sie auch noch so gut beglaubigt - ist unprofitabel und führt höchstens da zu, daß man den Erzähler für einen leichtgläubigen Menschen hält. Selbst die sorgfältige Registrierung und Verifizierung einer sehr großen Anzahl von Fällen, wie sie sich in dem Werke von Gurney, Myers und Podmore44 findet, hat auf die wissenschaftliche Welt so gut wie keinen Eindruck gemacht. Weitaus die meisten »Fachleu te<<, nämlich Psychologen und Psychiater, scheinen überhaupt nichts davon zu wissen.45 Die Resultate der ESP- und P K-Experimente haben eine zahlen mäßig erfaßbare Grundlage für das Synchronizitätsphänomen ge schaffen, und zugleich weisen sie hin auf die bedeutsame Rolle, welche der psychische Faktor dabei spielt. Diese Tatsache hat mir die Frage nahegelegt, ob es nicht möglich wäre, eine Methode ausfindig zu machen, die einerseits das Synchronizitätsphänomen nachweist und andererseits psychische Inhalte soweit erkennen läßt, daß man damit wenigstens gewisse Anhaltspunkte in bezug auf die Natur des involvierten psychischen Faktors gewinnen kann. Ich fragte mich, ob es nicht eine Methode gäbe, welche " Gurney, Myers, Podmore: Phantasms of the Living, 1 886. 45 Neuerdings hat sich Pascual Jordan in sehr verdienstlicher Weise für die wissen schaftliche Erforschung des räumlichen Hellsehens eingesetzt (Positivistische Bemer kungen über die parapsychischen Erscheinungen, 1936). Ich möchte auch auf seine Schrift >Verdrängung und Komplementarität• (1947) hinweisen, welche für die Beziehun gen zwischen der Mikrophysik und der Psychologie des Unbewußten wichtig ist.
S Y N C H R O N I Z I T ÄT A L S E I N P R I N Z I P
39
meßbare beziehungsweise zählbare Resultate ermöglichen und zu gleich einen Einblick in die psychischen Hintergründe der Syn chronizität gewähren würde. Daß sehr wesentliche psychische Be dingungen der Synchronizitätsphänomene vorhanden sind, haben wir ja bereits bei den ESP-Experimenten gesehen, obschon diese letzteren ihrer ganzen Art nach sich auf die Tatsache der Koinzi denz beschränken und nur deren psychische Bedingtheit hervor heben, ohne diesen Faktor näher zu beleuchten. Es war mir nun schon seit langem bekannt, daß es gewisse intuitive (sogenannte mantische) Methoden gibt, welche hauptsächlich vom psychischen Faktor ausgehen, die Tatsächlichkeit der Synchronizität aber als· selbstverständlich voraussetzen. Ich richtete zunächst mein beson deres Augenmerk auf jene Hilfstechnik der intuitiven Ganzheits erfassung, welche für China charakteristisch ist, nämlich auf den I Ging (oder I Ching). Der chinesische Geist strebt, im Gegensatz zu dem griechisch erzogenen westlichen, nicht nach der Erfassung der Einzelheit um ihrer selbst willen, sondern nach einer Anschau ung, welche das einzelne als Teil eines Ganzen sieht. Eine derartige Erkenntnisoperation ist dem reinen Intellekt aus naheliegenden Gründen unmöglich. Das Urteil muß sich daher in vermehrtem Maße auf die irrationalen Funktionen des Bewußtseins, nämlich auf die Empfindung (als »Sens du reel<<) und auf die Intuition (als eine hauptsächlich durch subliminale Inhalte bestimmte Wahrneh mung) stützen. Der I Ging, diese - man darf wohl sagen experi mentelle - Grundlage der klassischen chinesischen Philosophie, ist nun eine Methode, seit alters dazu bestimmt, eine Situation ganz heitlich zu erfassen und damit das Einzelproblem in den Rahmen des großen Gegensatzspieles von Yang und Yin zu stellen. Die Ganzheitserfassung ist selbstverständlich auch das Ziel der Naturwissenschaft. Aber dieses Ziel liegt notwendigerweise in großer Entfernung, indem die Naturwissenschaft, wenn immer möglich, experimentell und auf alle Fälle statistisch vorgeht. Das Experiment aber besteht in einer bestimmten Fragestellung, wel che alles Störende und Nichtzugehörige möglichst ausschließt. Es stellt Bedingungen, zwingt diese der Natur auf und veranlaßt sie auf diese Weise, eine auf die menschliche Frage ausgerichtete Ant wort zu geben. Es wird ihr dabei verwehrt, aus der Fülle ihrer Möglichkeiten zu antworten, indem letztere tunliehst einge schränkt werden. Zu diesem Zwecke wird im Laboratorium eine künstlich auf die Frage eingeschränkte Situation geschaffen, wel che die Natur zwingt, eine möglichst eindeutige Antwort zu ge ben. Das Walten der Natur in ihrer unbeschränkten Ganzheit ist dabei völlig ausgeschlossen. Um dieses aber kennenzulernen, brauchen wir eine Fragestellung, die möglichst wenig oder wo-
40
S Y N C H R O N I Z I TÄ T , A K A U S A L I TÄT
möglich gar keine Bedingungen stellt und es damit der Natur über läßt, aus ihrer Fülle zu antworten. Die bekannte, feststehende Experimentanordnung bildet den in variabeln Faktor der die Resultate sammelnden und vergleichen den Statistik. Beim intuitiven beziehungsweise mantischen Ganz heitsexperiment dagegen braucht es keine Frage, die irgendwelche Bedingungen stellt und damit die Ganzheit des Naturvorganges beschränkt. Letzterer hat alle Chancen, die er überhaupt haben kann. Beim I Ging fallen und rollen die Münzen, wie es ihnen eben paßt.46 Auf eine unbekannte Frage folgt eine unverständliche Ant wort. Insofern sind also für eine Ganzheitsreaktion die Bedingun gen geradezu ideal. Der Nachteil aber springt in die Augen : Im Gegensatz zum naturwissenschaftlichen Experiment weiß man nicht, was geschehen ist. Diesem Übelstand versuchten schon im 1 2. Jahrhundert vor unserer Ära zwei chinesische Weise abzuhel fen, indem sie, auf der Hypothese des Einsseins aller Natur fu ßend, versuchten, die Gleichzeitigkeit eines psychischen Zustan des mit einem physischen Vorgang als Gleichsinnigkeit zu erklä ren. Mit anderen Worten : Sie nahmen an, daß dasselbe Sein sich im psychischen wie im physischen Zustand ausdrücke. Um diese Hy pothese zu verifizieren, bedurfte es aber bei diesem anscheinend schrankenlosen Experiment doch einer Bedingung, nämlich einer bestimmten Form des physischen Vorganges, das heißt einer Me thode oder Technik, welche die Natur zwang, in geraden und ungeraden Zahlen zu antworten. Diese sind als die Repräsentanten von Yin und Yang dem Unbewußten sowohl wie der Natur in der Gestalt der Gegensätze, nämlich der Mütter und der Väter alles Geschehens, eigentümlich und bilden daher das tertium compara tionis zwischen der psychischen Innen- und der physischen Au ßenwelt. So erfanden die beiden Alten eine Methode, wie ein inne rer Zustand als ein äußerer und vice-versa dargestellt werden konnte. Dazu gehörte nun allerdings ein (intuitives) Wissen um die Bedeutung der jeweiligen Orakelfigur. Der I Ging besteht daher in einer Sammlung von 64 Deutungen, in denen der Sinn jeder der 64 möglichen Yang-Yin-Kombinationen herausgearbeitet ist. Diese Deutungen formulieren das innere, unbewußte Wissen, welches mit dem j eweiligen Bewußtseinszustand zusammentrifft. Mit die ser psychischen Voraussetzung koinzidiert das Zufallsergebnis der Methode, nämlich die geraden und ungeraden Zahlen, die sich aus dem Fall der Münzen oder der zufälligen Teilung der Schafgar benstengel ergeben. 4 7 46 Wenn das Experiment mit den klassischen Schafgarbenstengeln vorgenommen wird, so stellt die Teilung der 49 Stenge! den ZufallsfaktOr dar. 47 Siehe unten.
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
41
Die Methode ist, wie alle divinatorischen, das heißt intuitiven Techniken, auf das Prinzip des akausalen oder Synchronizitätszu sammenhanges gegründet.48 Bei der praktischen Ausführung des Experimentes ereignen sich tatsächlich zahlreiche und dem Unvor eingenommenen einleuchtende Fälle, die man rational und mit einiger Gewalttätigkeit nur als Projektionen erklären könnte. Nimmt man aber an, daß sie das wirklich sind, was sie zu sein scheinen, dann handelt es sich um sinngemäße Koinzidenzen, für die es unseres Wissens keine kausale Erklärung gibt. Die Methode besteht darin, daß entweder 49 Schafgarbenstengel arbiträr in zwei Hälften geteilt, und letztere nach drei und fünf abgezählt werden, oder daß man drei Münzen wirft, wobei das jeweilige Vorherr schen des Zahlenwertes von Avers und Revers, respektive Bild (drei) und Wert (zwei), die Gestalt des Hexagrammes entschei det.49 Das Experiment fußt auf einem triadischen Prinzip (zwei Trigramme) und besteht aus 64 Mutationen, welche ebensovielen psychischen Situationen entsprechen. Diese sind im Text und den dazugehörigen Kommentaren ausführlich erörtert. Es gibt nun aber auch eine westliche, aus der Antike stammende Methode,50 die im allgemeinen auf dem gleichen Prinzip beruht wie der I Ging. Nur ist im Westen dieses Prinzip nicht triadisch, sondern bezeichnenderweise tetradisch, und das jeweilige Resultat ist nicht ein aus Yang- und Yinlinien zusammengesetztes Hexagramm, son dern es sind sechzehn Quaternionen, die aus geraden und ungera den Zahlen bestehen. Zwölf davon werden nach gewissen Regeln in einem astrologischen Häuserschema angeordnet. Die Grundlage des Experimentes bilden vier mal vier Zeilen, die aus einer zufälli gen Anzahl von Punkten bestehen. Diese werden von der fragen den Person im Sand oder auf dem Papier von rechts nach links markiert.51 Das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren geht in echt okzidentalischer Weise erheblich mehr in die Einzelheiten als der I Ging. Auch hier ereignen sich reichlich sinngemäße Koin zidenzen, welche aber im allgemeinen schwerer zu erfassen und 48 Ich habe diese Bezeichnung zum erstenmal veröffentlicht in meiner Gedächtnisrede auf Richard Wilhelm ( 1 0. Mai 1930 in München). Die Rede ist in der zweiten und den folgenden Auflagen von ·Das Geheimnis der Goldenen Blüte< ( 1929 von Wilhelm und mir gemeinsam herausgegeben) erschienen. Es heißt dort: ·Die Wissenschaft des I Ging beruht nämlich nicht auf dem Kausalprinzip, sondern auf einem bisher nicht benannten weil bei uns nicht vorkommenden - Prinzip, das ich versuchsweise als synchronistisches Prinzip bezeichnet habe.• (GW 1 5, § 8 1 .) 49 Ich verweise auf: I Ging. Das Buch der Wandlungen, hrsg. von R. Wilhelm, 1924. 50 Schon im >Liber ethimologiarum< des Isidor von Sevilla (Buch 8, Kapitel 9, 1 3 ) erwähnt. 51 Es können dazu auch Körner irgendwelcher Art oder eine Anzahl Würfel benützt werden.
42
S Y N C H R O N I Z I TÄ T , A K A U S A L I T ÄT
darum weniger einleuchtend als die Resultate des I Ging sind. Es bestehen bei der westlichen Methode, die seit dem 1 3 . Jahrhundert als Ars geomantica oder Punktierkunst52 bekannt ist und sich einer weiten Verbreitung erfreute, keinerlei umfassende Kommentare, da deren Gebrauch nur mantisch, aber nie philosophisch wie der jenige des I Ging war. Die Resultate beider Verfahren, des I Ging sowohl wie der Ars geomantica, liegen zwar in der gesuchten Richtung, bieten aber keinerlei Handhaben zu einer exakten Erfassung. Ich habe mich daher nach einer anderen intuitiven Technik umgesehen und bin dabei auf die Astrologie gestoßen, welche - in ihrer modernen Entwicklungsform wenigstens - den Anspruch erhebt, relativ ganzheitliche Charakterbilder zu ermöglichen. Im Bereiche dieses Verfahrens fehlt es zwar nicht an Kommentaren. Es gibt sogar einen verwirrenden Überfluß davon ; ein Zeichen dafür, daß die Deutung weder eine einfache noch eine sichere Sache ist. Die sinn gemäße Koinzidenz, die wir suchen, ist in diesem Fall ohne weite res einleuchtend, indem seit den ältesten Zeiten feststehende Planeten-, Häuser-, Zodiakal- und Aspektbedeutungen, auf wel che sich ein Tatbestand gründen ließe, vorhanden sind. Man kann zwar immer noch den Einwand erheben, daß das Resultat mit der psychologischen Kenntnis der Situation respektive des in Frage stehenden Charakters nicht übereinstimme und die schwer zu wi derlegende Behauptung aufstellen, daß die Erkenntnis eines Cha rakters eine höchst subjektive Angelegenheit sei, indem es auf dem Gebiete der Charakterkunde keine untrüglichen, verläßlichen, meß- oder zählbaren Merkmale geb e ; ein Einwurf, den man be kanntlich auch gegen die Graphologie erhebt, obschon deren Ge brauch sich praktisch schon allgemeiner Anerkennung erfreut. Diese Kritik und die Abwesenheit sicherer Kriterien für die Feststellung von Charaktereigenschaften läßt die von der Astrolo gie geforderte sinngemäße Koinzidenz von Horoskopstruktur und Charakter für den hier diskutierten Zweck als unverwendbar er scheinen. Wenn man daher die Astrologie zu einer Aussage über akausale Verknüpfung von Ereignissen veranlassen will, so muß man an Stelle der unsicheren Charakterdiagnose einen bestimmten und unbezweifelbaren Tatbestand setzen. Ein solcher ist zum Bei spiel die eheliche Verbindung zwischen zwei Personen. 53 52 Die beste Darstellung bei Roben Fludd: Oe arte geomantica. Siehe auch Thorndike: A History of Magie and Experimental Science, Band 2, S. 1 1 0. 53 Weitere eindeutige Tatbestände wären Mord und Selbstmord. Hiezu finden sich bei von Kloeckler (Astrologie als Erfahrungswissenschaft, 1927, S. 232 ff. und 260ff.) Stati stiken, die leider den Vergleich mit normalen Durchschnittswerten vermissen lassen und daher für unseren Zweck unverwendbar sind. Dagegen hat Paul Harnbart (Preuves et
SYN C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
43
Die mythologische und traditionelle astrologische und alchemi stische Entsprechung ist seit alters die coniunctio Solis (8) et Lunae ( {C ), das Liebesverhältnis des Mars (d') mit der Venus ( � ), sowie die Beziehungen dieser Gestirne zum Aszendenten respekti ve Deszendenten. Letztere Beziehung muß mit einbezogen wer den, indem die Aszendentachse seit alters als für das Wesen der Persönlichkeit besonders wichtig gilt.54 Es wäre daher zu untersu chen, ob sich in den Horoskopen von Verheirateten eine größere Anzahl von koinzidierenden 8 - C - oder d' - � - Aspekten als bei Nichtverheirateten nachweisen läßt.55 Zur Ausführung einer derartigen Untersuchung bedarf es keines Glaubens an die Astro logie, sondern nur der Geburtsdaten, der Ephemeriden und einer Logarithmentafel, mit deren Hilfe das Horoskop zu errechnen ist. Die dem Wesen des Zufalls adäquate Methode ist, wie die drei erwähnten mantischen Prozeduren zeigen, die des Zählens. Seit alters haben sich die Menschen der Zahl bedient, um die sinngemä ße, das heißt deutbare Koinzidenz festzustellen. Die Zahl ist etwas Besonderes - man darf wohl sagen - etwas Geheimnisvolles. Man hat sie ihres numinosen Nimbus nie ganz berauben können. Wenn man, so sagt ein Lehrbuch der Mathematik, von einer Gruppe von Gegenständen jeden einzelnen aller seiner Eigenschaften beraubt, so bleibt zuletzt doch noch die Anzahl derselben übrig, womit der Zahl der Charakter einer anscheinend unabdingbaren Größe verbases de l'astrologie scientifique, 192 1 , S. 79ff.) eine Statistik über den Aszendenten bei geistig hervorragenden Leuten (123 Personen) graphisch dargestellt. Es finden sich deut liche Anhäufungen an den Ecken des Lufttrigons ( ]J, ""' , :::::: ). Dieses Resultat wurde bestätigt durch weitere 300 Fälle. 54 Hier kann der mehr oder weniger routinierte Astrologe wohl kaum ein Lächeln unterdrücken, indem für ihn nämlich derartige Entsprechungen einfach selbstverständ lich sind. Ein klassisches Beispiel ist Goethes Verbindung mit Christiane Vulpius, näm lich 0 50 11V o IC r nv . " Diese A uffassung i s t schon bei Ptolemaeus vorhanden: » Apponit (Ptolemaeus) au tem tres gradus concordiae: Primus cum Sol in viro, et Sol, vel Luna in foemina, aut Luna in utrisque, fuerint in locis se respicientibus trigono, vel hexagono aspectu. Secundus cum in viro Luna, in uxore Sol, eodem modo disponuntur. Tertius, si cum hoc alter alterum recipiat . « (Ptolemaeus »nimmt drei Stufen harmonischer Übereinstimmung an: Die erste, wenn die Sonne beim Mann, und die Sonne oder der Mond bei der Frau, oder der Mond bei beiden sich in ihren jeweiligen Stellungen zueinander in einem Trigon oder Sexti!aspekt befinden. Die zweite, wenn beim Manne der Mond, bei der Frau die Sonne in gleicher Weise angeordnet sind. Die dritte, wenn sie dazu noch füreinander empfänglich sind . • ) Auf derselben Seite zitiert Cardanus den Ptolemaeus (De astrorum iudiciis): ••Ümnino vero constantes et diurni convictus permanent, quando in utriusque coniugis genitura luminaria contigerit configurata esse concorditer.« (»>m allgemeinen ist ihr Zusammenleben beständig und von Dauer, wenn sich in beider Geburtshoroskop die Stellung der Himmelsleuchten [Sonne und Mond] im Einklang befindet.«) Als besonders günstig für die Ehe erachtet er die Konjunktion eines männlichen Mondes mit einer weiblichen Sonne. Hieronymus Cardanu s : Opera omnia: Commentaria in Prolemaeum De astrorum iudiciis, 1 663, Buch 4, S. 332.
S Y N C H R O N I Z ITÄT, A K A U S A L I T Ä T
44
liehen wird. (Ich setze mich hier nicht m i t d e r Logik des mathema tischen Argumentes auseinander, sondern nur mit dessen Psycho logi e ! ) Die Reihe der ganzen Zahlen ist unerwartet mehr als eine Aneinanderreihung identischer Einheiten : sie enthält in sich die ganze M athematik und alles, was in ihr noch zu entdecken sein wird. Die Zahl ist daher eine unabsehbare Größe, und es ist wohl kein Zufall, daß gerade das Zählen die der Behandlung des Zufalls adäquate Methode ist. Obschon ich mich nicht möchte anheischig machen, irgend etwas Erleuchtendes über die innere Beziehung zweier Gegenstände, die dermaßen inkommensurabel erscheinen wie die Synchronizität und die Zahl, beizubringen, so kann ich doch nicht umhin, hervorzuheben, daß nicht nur Zahl und Zählen mit der Synchronizität schon von j eher in Verbindung gebracht wurden, sondern beide auch N uminosität und Geheimnis als ge meinsame Eigenschaften besitzen. Die Zahl diente von jeher zur B ezeichnung des numinosen Objektes, und alle Zahlen von eins bis neun sind »heilig« , ebenso sind 1 0, 1 2 , 1 3 , 1 4, 2 8 , 32 und 40 durch B edeutsamkeit ausgezeichnet. Wohl die elementarste Eigen schaft des Objektes ist dessen Einheit und Vielheit. Zur Ordnung des chaotischen Vielerlei der Erscheinung hilft in allererster Linie die Zahl. Sie ist das gegebene Instrument zur Herstellung einer O rdnung oder zur Erfassung einer schon bestehenden, aber noch unbekannten Regelmäßigkeit, das heißt eines Angeordnetseins. Sie ist wohl das primitivste Ordnungselement des menschlichen Gei stes, wobei den Zahlen von eins bis vier die größte Häufigkeit und die allgemeinste Verbreitung zukommt, das heißt primitive Ord nungsschemata sind meist Triaden und Tetraden. Daß die Zahl einen archetypischen Hintergrund besitzt, ist nicht etwa meine Vermutung, sondern diejenige gewisser Mathematiker, wie wir unten noch sehen werden. Es ist darum wohl keine allzu kühne Schlußfolgerung, wenn wir die Zahl psychologisch als einen be wußtgewordenen Archetypus der Ordnung definieren.56 Bemer kenswerterweise besitzen auch die vom Unbewußten spontan pro duzierten psychischen Ganzheitsbilder, beziehungsweise die Sym bole des Selbst in Mandalaform, mathematische Struktur. Es sind in der Regel Quaternitäten (oder deren Mehrfaches) .57 Diese Ge bilde drücken nicht nur Ordnung aus, sondern bewirken auch eine solche. Deshalb erscheinen sie zumeist in Zuständen psychischer Desorientiertheit als Kompensationen eines chaotischen Zustan des, oder sie formulieren numinose Erfahrungen. Dabei muß her56
Zur Psychologie östlicher Meditation, GW 1 1 , § 943 . Vgl. dazu ,zur Empirie des lndividuationsprozesses< und >Über Mandalasymbolik•, GW 9/l . 57
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
45
vorgehoben werden, daß diese Strukturen keine Erfindungen des Bewußtseins sind, sondern spontane Produkte des Unbewußten, wie die Erfahrung hinlänglich bewiesen hat. Natürlich kann das Bewußtsein diese Ordnungsgebilde nachahmen, aber solche Imitationen beweisen keinesfalls, daß auch die Originale bewuß te Erfindungen wären. Aus diesen Tatsachen geht unwiderlegbar hervor, daß das Unbewußte die Zahl als Ordnungsfaktor ver wendet. Wenn wir uns nun im folgenden Kapitel dem Problem eines astrologischen Synchronizitätsbeweises zuwenden, so werden es Berechnungen und Zahlen sein, welche uns zur Verfolgung der Spur ihre Dienste leisten müssen. 2. Ein astrologisches Experiment Wie erwähnt, brauchen wir zwei verschiedene Tatbestände, wo von der eine die astrologische Konstellation, der andere aber das Verheiratetsein darstellt. Die Ehe ist ein wohlcharakterisierter Tat bestand, obschon ihr psychologischer Aspekt alle erdenklichen Variationen aufweist. Nach astrologischer Ansicht drückt sich eben gerade letzterer am allermeisten im Horoskop aus, während die Möglichkeit, daß die charakterisierten Individuen sozusagen zufälligerweise miteinander verheiratet sind, notwendigerweise dagegen in den Hintergrund tritt, wie überhaupt äußere Tatsachen nur vermöge ihrer psychologischen Repräsentation einigermaßen astrologisch erfaßbar zu sein scheinen. lnfolge der sehr großen Zahl von charakterologischen Variationen ist wohl kaum nur eine einzige astrologische Konfiguration als für die Ehe kennzeichnend zu erwarten, sondern es werden wohl mehrere Merkmale sein, welche auf eine Prädisposition hinsichtlich der Wahl des Ehepart ners hinweisen, wenn die astrologische Voraussetzung überhaupt zu Recht besteht. In letzterer Hinsicht muß ich allerdings die Auf merksamkeit meines Lesers auf jene schon seit geraumer Zeit be kannte Übereinstimmung der Sonnenfleckenperioden mit der Mortalitätskurve hinweisen. Das verbindende Zwischenstück stel len die erdmagnetischen Störungen dar, welche ihrerseits auf den Schwankungen der solaren Protonenstrahlung beruhen. Diese letzteren beeinflussen auch das >>Radiowetter<< durch Störung der die Radiowellen reflektierenden Heavisideschicht : Es hat sich nun bei der Untersuchung dieser Störungen ergeben, daß dabei die planetaren Konjunktionen, Oppositionen und quadratischen Aspekte eine beträchtliche Rolle spielen, indem sie die Protonen strahlung ablenken und dadurch elektromagnetische Stürme erre-
46
S YNC H R O N J Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄ T
gen. D i e astrologisch günstigen trigonalen und sextilen Aspekte dagegen bedingen gleichmäßiges Radiowetter. 58 Diese Beobachtung nun eröffnet einen unerwarteten Ausblick auf eine mögliche kausale Grundlage der Astrologie. Auf alle Fälle gilt dies für die Keplersche Wetterastrologie. Die Möglichkeit be steht aber auch, daß über die bereits festgestellten physiologischen Wirkungen der Protonenstrahlung hinaus psychische Effekte zu stande kommen können, womit die astrologischen Aussagen ihrer Zufallsnatur entkleidet und in den Bereich einer kausalen Betrach tung gerückt würden. Obschon man keineswegs des näheren weiß, worauf sich die Gültigkeit eines Nativitätshoroskopes gründet, so ist die M öglichkeit eines kausalen Zusammenhanges planerarer Aspekte mit psychophysiologischen Dispositionen doch denkbar geworden. Man tut demnach gut daran, wenn man die Resultate der astrologischen Betrachtungsweise nicht als synchronistische Phänomene, sondern als möglicherweise kausal bedingte Effekte auffaßt. D enn, wo immer eine Ursache vernünftigerweise auch nur denkbar ist, wird die Synchronizität zu einer höchst zweifelhaften Angelegenheit. Gegenwärtig besteht allerdings noch keine genügende empiri sche Sicherheit, daß die astrologischen Resultate mehr sind als Zufälle, beziehungsweise daß Statistiken mit großen Zahlen ein mehr als bloß wahrscheinliches Ergebnis zeitigen.59 Da derartig groß angelegte Untersuchungen bio jetzt nicht vorliegen, habe ich mich entschlossen, an einer das übliche Maß etwas überschreiten den Zahl von Ehehoroskopen mein Glück zu versuchen, um zu nächst einmal festzustellen, was für Zahlen bei einer derartigen Untersuchung herauskommen. Ich habe mein Augenmerk in erster Linie auf die Konjunktionen ( ö ) und die Oppositionen ( 8 ) von Sonne und Mond gerichtet,60 indem diese beiden Aspekte astrologisch als ungefähr gleich stark (obschon im Gegensinne) gelten, das heißt, sie bedeuten intensive Beziehungen zwischen den Gestirnen. Alle 0
S Y N C H R O N I Z I T ÄT A L S E I N P R I N Z I P
47
rateten Paaren (360 Horoskopen) untersucht und mit den entspre chenden Beziehungen bei 32 220 unverheirateten verglichen, wobei die Zahl 32 220 sich aus der Anzahl möglicher Kombinationen der zugrunde gelegten Horoskope Verheirateter ergibt ( 1 80 X { 1 80 - 1 } = 32 220). Bei sämtlichen Berechnungen wurde ein Orbis (das heißt Aspektumkreis) von acht Grad angenommen, und zwar so wohl in der Richtung des Uhrzeigers als umgekehrt, und nicht nur innerhalb eines Zeichens, sondern auch darüber hinausgreifend. Im ganzen wurden 483 Ehen, das heißt 966 Horoskope unter sucht. Wie aus den nachfolgenden Tabellen hervorgeht, wurde die Prüfung sowohl wie die Darstellung der Resultate sozusagen >>pa ketweise« vorgenommen. Diese Methode dürfte nicht ohne weite res einleuchten. Wenn sich mein Leser aber Rechenschaft darüber gibt, daß es sich hier vor allem einmal um einen erstmaligen Vor stoß auf einer terra incognita handelt, so wird er begreifen, daß Vorsicht und Umsicht bei einer so riskanten Unternehmung wohl am Platze sind. Die paketweise Untersuchung empfahl sich inso fern, als man damit einen unmittelbaren Einblick in das Benehmen der Zahlen bekam. Im Vergleich zu anderen astrologischen Stati stiken müßte man zum Beispiel annehmen, daß 1 00 Fälle schon eine respektable Grundlage zu einer Statistik darstellen. Für eine astrologische Untersuchung genügt diese Zahl aber nicht, und schon gar nicht für eine Statistik, bei der es sich um nicht weniger als SO Aspekte handelt. In einem derartigen Fall lassen sich bei kleinen Zahlen sehr große Streuungen, die das Urteil leicht irre führen, erwarten . Es war auch a priori keineswegs sicher, welche und wie viele von diesen SO Aspekten sich als für die Ehe charakte ristisch erweisen würden, wenn überhaupt! Selbstverständlich stellt die unvermeidlich große Anzahl der Aspekte eine ernsthafte Schwierigkeit für die statistische Durchleuchtung des komplizier ten Tatbestandes dar, denn es stand zu erwarten, daß eine große Anzahl der Aspekte steril sein würde, was sich dann auch bestätigt hat. Das Material verdanke ich verschiedenen astrologisch tätigen Persönlichkeiten in Zürich, London, Rom und Wien. Es wurde ursprünglich zu rein astrologischen Zwecken, zum Teil schon vor vielen Jahren aufgenommen. Zwischen der Aufnahme des Mate rials und der Absicht meiner Untersuchung besteht also keinerlei Zusammenhang, was ich deshalb hervorhebe, weil man möglicher weise einwenden könnte, das Material sei in Hinsicht meines Zweckes besonders ausgewählt worden. Das Material ist seiner Herkunft nach ein ganz zufälliges und ergibt darum ein unpräjudi ziertes Durchschnitts bild. Es wurde in chronologischer Reihenfol ge aufgehäuft. Als 1 80 Ehen zusammengekommen waren, ergab
48
SY N C H R O N J Z I T Ä T , A K A U S A L I T Ä T
sich zufälligerweise eine Pause in der Sammlung, welche dazu benützt wurde, die 360 Horoskope aufzuarbeiten. Das erste Paket von 1 80 Ehen ergab sich auf diese Weise rein zufällig, ebenso das später zu erwähnende zweite und dritte Paket. Tabelle I Aspekt weiblich zu männlich
Mond Asz. Mond Mond Mond Venus Mars Mars Mars Sonne Venus Sonne Mars Desz. Venus Mond Venus Venus Venus Mond Sonne Asz. Desz. Venus Sonne Sonne Sonne Mars Mars Venus Asz. Mond Desz. Asz. Mond Mars Mond Mars Asz. Desz. Venus Asz.
0 0 0
R
0
8 0
0
0
0
0
0 0 0 0
8 8 0 0
0
0 0 0
8
0
8
0
8
0
0 0
8
0
8
0
0 0
0
Sonne Venus Asz. Sonne Mond Mond Mond Mars Asz. Mars Asz. Asz. Desz. Venus Desz. Mars Venus Mars Sonne Mars Desz. Asz. Sonne Sonne Mond Venus Mars Sonne Venus Mars Mond Mond Mond Mars Venus Venus Desz. Mond Desz. Mars Mond Sonne
Absolute Werte bei 1 80 Ehen
Absolute Werte bei 32 220 unverheirateten Paaren
18
1 0,0%
1 506
8,4
8,3%
141 1
7, 9 8,3
=
15 = 14
=
13 =
13 =
13 =
7,7%
1 485
7,2%
1 438
7,2%
1 526
7,2%
1 479
Durchschnittliche Häufigkeit bei 1 8 0 unverheirat. Paaren
8,0
8,3
8,5
13 =
7,2 %
1 548
13 =
7,2%
171 1
12 =
6,6%
1 46 7
8,2
11 =
6,1 %
1 409
7,9
1 47 1
8,2 8,2
12 =
11
=
6,6% 6, 1 %
1 485
1413
11 =
6,1 %
11 =
6,1 %
11 =
1 470
6,1%
1 526
=
5,5%
1 540
10
9 = 9 = 9 = 9 = 9 =
9 = 8 =
5,0%
1415
5,0%
1 526
5,0%
5,0% 5,0% 5,0% 4,3%
1498 1 5 39
1 556
1 595
1 398
1 485
8,6
9,6 8,3
7,9
8,5 8,6 7,9 8,4
8,5
8,6 8,7
8,9 7,8
8 =
4,3%
=
8 = =
4,3%
1 508
8
4,3%
1516
8 =
4,3%
1516
8 =
4,3%
1531
8 =
4,3%
1 54 1
=
4,3%
8 =
4,3%
1 548 1 543
8,6
8
7 =
4,3%
1 625
3,8%
9,1
7 =
1 48 1
3,8%
1 52 1
3,8%
1 5 39
3,3%
1 540
8,6
1 328
6 =
7,4
3,3%
1 433
8,0
6 =
3,3%
1 436
3,3%
8,0
1 587
8,9
8
8 =
8
=
7 =
7 =
6 =
6 =
4,3%
4,3%
3,8%
1 5 02
1 520
8,3
8,4 8,4 8,5
8,5
8,5 8,6
8,6 8,6
8,3 8,5
8,6
49
SYNC H R O N IZ ITÄT ALS E I N P R I N Z I P Aspekt weiblich zu männlich
Mars Mond Venus Sonne Sonne Mars Sonne Sonne
d 8 d IS d 8 d 8
Sonne Venus Venus Mond Venus Mars Sonne Sonne
Absolute Werte bei 1 80 Ehen
6 6 5 5 4 3 2 2
= = = = = = = =
3,3% 3,3% 2,7% 2,7% 2,2% 1 ,6 % 1,1% 1,1%
Absolute Werte bei 32 220 unverheirateten Paaren
Durchschnittliche Häufigkeit bei 1 80 unverheirat. Paaren
1 5 75 1 576 1497 1 530 1 490 1 440 1 480 1 482
8,8 8,8 8,4 8,6 8,3 8,0 8,3 8,3
Durchschnitt: 1 506 auf 180 reduziert: 8,4. Zunächst wurden sämtliche Konjunktionen und Oppositionen zwischen 8 C cf' C( Asz. und Desz., sowohl bei den 180 Ehepaa ren als bei den 32 220 unverheirateten Paaren gezählt. Die aufge führten Zahlen stellen Häufigkeitswerte dar, das heißt sie geben die Anzahl der Fälle pro Aspekt für beide Gruppen an. Da es sich dabei um die ursprünglichen Zahlen handelt - im Unterschied zu den später in Betracht gezogenen Mittelwerten -, bezeichne ich diese Zahlen als absolute Werte. Sie sind in der Rubrik der Verhei rateten nach Maßgabe ihrer Häufigkeit angeordnet. Wir sehen, daß zum Beispiel die Konjunktion zwischen (weiblich) Mond und (männlich) Sonne an oberster Stelle figuriert. Diese Zahlen sind nicht aufeinander bezogen und lassen sich daher nicht unmittelbar vergleichen. Um ihre Bedeutung zu erken nen, müssen sie auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden, indem man zum Beispiel die rechte auf die linke Seite reduziert, wie folgt : Aspekt weiblich zu männlich Mond Asz. Mond
d d d
Sonne Venus Asz.
Absolute Werte bei Verheirateten
Durchschnittliche Häufigkeit bei 1 80 Unverheirateten
1 8 = 1 0,0% 15 = 8,3% 14 = 7,7%
1 506 : 1 80 = 8,40 = 4,6% 1 4 1 1 : 1 80 = 7,88 = 4,3% 1 4 85 : 1 80 = 8,29 = 4,6%
Durch diese arithmetische Operation wird ein Vergleich mög lich : wir setzen die rechte Seite (Unverheiratete) 1, woraus sich folgende Proportion ergibt: 1 8 : 8 ,40 2 , 1 4 : 1 . In der nächsten Tabelle (II) sind diese Proportionen der Häufigkeit nach geordnet. =
=
so
S Y N C H R O N IZI T Ä T , A K A U S A L I T ÄT
Tabelle II Proportion der Aspekthäufigkeiten bei Verheirateten Unverheirateten
Aspekt männlich zu weiblich
2,14 1 ,89 1 ,68 1 ,6 1 1 ,5 7 1 ,53 1 ,5 0 1 ,46 1 ,44 1 ,39 1 ,39 1 ,36 1 ,3 4 1 ,34 1 ,29 1,16 1,14 1 ,0 7 1 ,06 1 ,05 1 ,04 1 ,02 1 ,0 1 0,96 0,95 0,95 0,94 0,94 0,94
Mond Asz. Mond Mond Mond Venus Mars Mars Sonne Venus Sonne Mars Mars Desz. Venus Mond Venus Venus Venus Mond Sonne Desz. Asz. Venus Sonne Sonne Sonne Mars Mars Venus Asz. Mond Desz. Asz. Mond Mars Mond Asz. Mars Desz. Venus Asz. Mars Mond Venus Sonne
0,94 0,93 0,93 0,92 0,88 0,85 0 , 82 0,81 0,81 0,81 0 , 75 0 , 75 0,68 0,68 0,68 0,60 0,59
1 1 1 " 1 1 1
0 0 0 8 0 8 0 0 0 0 0 0 0 0 0 8 8 0 0 0 0 0 0 8 0 8 8 8 0 8 0 R 0 0 0 8 0 0 8 0 0 0 0 8 0 8
Sonne Venus Asz. Sonne Mond Mond Mond Asz. Mars Asz. Asz. Mars Desz. Venus Desz. Mars Venus Mars Sonne Mars Desz. Sonne Asz. Sonne Mond Venus Mars Sonne Venus Mars Mond Mond Mond Mars Venus Venus Desz. Desz. Mond Mars Mond Sonne Sonne Venus Venus Mond
51
S Y N C H R O N I Z I T ÄT A L S E I N P R I N Z I P Proportion der Aspekthäufigkeiten bei Verheirateten Unverheirateten
Aspekt männlich zu weiblich
0,48 0,37 0,24 0,24
Sonne Mars Sonne Sonne
o Venus 8 Mars o Sonne 8 Sonne
Was bei dieser Tabelle auffällt, ist die ungleichmäßige Streuung der Häufigkeitswerte. Sowohl die obersten sieben als die untersten sechs Aspekte weisen eine stärkere Streuung auf, während sich die mittleren Werte eher um die Proportion 1 : 1 zusammendrängen. Ich werde auf diese Eigenart der Streuung anband einer besonde ren Tabelle (Tabelle III) zurückkommen. Interessant ist die Bestätigung der traditionellen astrologischen und alchemistischen Entsprechung der Ehe zu den Aspekten zwi schen Mond und Sonne : (weiblich) Mond o (männlich) Sonne = 2 , 1 4 : 1 (weiblich) Mond c? (männlich) Sonne = 1 ,6 1 : 1 während hier ein Hervortreten der Venus-Mars-Aspekte nicht festzustellen ist. Von den 50 möglichen Aspekten ergeben sich bei den Verheira teten 1 5 solcher Beziehungen, deren Häufigkeit deutlich über der Proportion 1 : 1 liegt. Der höchste Wert findet sich bei der schon erwähnten Mond-Sonne-Konjunktion, die beiden nächsthöheren Zahlen 1 ,89 : 1 und 1 ,68 : 1 entsprechen den Konjunktionen zwi schen (weiblich) Asz. und (männlich) Venus bzw. (weiblich) Mond und (männlich) Asz., womit die überlieferte Bedeutung des Aszendenten anscheinend bestätigt wird. Unter diesen 1 5 Aspekten kommt bei Frauen viermal ein Mond aspekt vor, während nur 6 auf die 35 anderen möglichen Werte entfallen. Der mittlere Verhältniswert aller Mondaspekte beträgt 1 ,24 : 1 . Der Durchschnittswert der 4 in der Tabelle angeführten beträgt 1 ,74 : 1 gegenüber 1 ,24 : 1 aller Mondaspekte. Der Mond scheint danach bei den Männern weniger betont zu sein als bei den Frauen. Bei den Männern spielt die entsprechende Rolle hier nicht die Sonne, sondern die Aszendent-Deszendent-Achse. Diese Aspekte kommen in unserer Tabelle sechsmal bei Männern, bei Frauen nur zweimal vor. In ersterem Fall haben diese Aspekte einen Durch schnittswert von 1 ,42 : 1 , gegenüber 1 ,22 : 1 aller männlichen Aspekte zwischen Aszendent-Deszendent einerseits und einem der vier Gestirne andererseits.
S Y N C H R O N IZ I T Ä T , A K A U S ALITÄT
52
Tabelle III Verteilung der Aspekte nach Maßgabe ihrer Häufigkeit Häufigkeit der Aspekte
bei Ehepaaren
1 8,0 1 7,8 1 7,6 1 7,4 1 7,2 1 7,0 1 6,8 1 6,6 1 6,4 1 6,2 1 6,0 1 5,8 1 5,6 1 5,4 1 5,2 1 5,0 1 4,8 1 4,6 1 4,4 14,2 14,0 1 3,8 1 3,6 13,4 1 3,2 1 3 ,0 1 2,8 12,6 1 2,4 1 2,2 1 2,0 1 1 ,8 1 1 ,6 6,0 5,8 5,6 5,4 5,2 5,0 4,8 4,6 4,4 4,2 4,0 3,8 3,6
X
(1 80)
X
X
XXXXX
XX
XXXXXX
XX
X
bei den Unverheirateten (durchschnittliche Häufigkeit)
Häufigkeit der Aspekte
1 1 ,4 1 1 ,2 1 1 ,0 10,8 10,6 10,4 1 0,2 1 0,0 9,8 9,6 9,4 9,2 9,1 9,0 8,9 8,8 8,7 8,6 8,5 8,4 8,3 8,2 8,0 7,9 7,8 7,6 7,4 7,2 7,0 6,8 6,6 6,4 6,2 3,4 3,2 3,0 2,8 2,6 2,4 2,2 2,0 1,8 1 ,6 1 ,4 1 ,2 1 ,0
bei Ehepaaren
(1 80)
bei den Unverheirateten (durchschnittliche Häufigkeit)
xxxxx
X X
XXXXXX
X XX
XX X
xxxxxxxxxx xxxxxxx xxxxx
xxx.xxx.xx
XXX
xxxxxxxxxxxx xxxx xxxx
xxxx
X
XX
S Y N C H R O N I Z I T ÄT A L S E I N P R I N Z I P
53
Diese Tabelle (III) gibt eine graphische Darstellung der in Tabel le I aufgeführten Werte, und zwar nach dem Gesichtspunkt der Verteilung der Aspekte auf die einzelnen Urzahlen (das heißt die absoluten Häufigkeitswerte). Die Kreuzehen bedeuten die Aspek te, welche denselben Häufigkeitswert aufweisen. Die linke Seite der Tabelle entspricht der ersten Rubrik von Tabelle I (Aspekthäu figkeit bei Ehepaaren), während die rechte Seite die entsprechende Darstellung der Durchschnittswerte der Kombinationen Unver heirateter enthält. Als Beispiel diene der Häufigkeitswert 9,0 mit sechs Kreuzehen versehen : Aspekt weiblich zu männlich Venus Venus Venus Mond Sonne Asz.
8 o o o o o
Venus Mars Sonne Mars Desz. Asz.
Absoluter Wert (oder Urzahl) bei 1 80 Ehen 9 9 9 9 9 9
XXXXXX
Diese Anordnung gibt ein Bild der Streuung der Werte, ebenso gestattet sie die Ablesung des wahrscheinlichen Mittels (W. M.), das bei statistischen Zahlen sich dann empfiehlt, wenn es sich um große Streuungen handelt. Während der Mittelwert der Kombina tionen Unverheirateter jeweils ein arithmetisches Mittel ist (näm lich Summe der Aspekte : 50), bedeutet das wahrscheinliche Mittel jene Häufigkeitszahl, welche dadurch erreicht wird, daß man die Kreuzehen von oben und unten abzählt, bis die Zahl 25 erreicht ist. Der Häufigkeitswert, auf den diese Zahl fällt, stellt das W. M. dar. Das W. M. beträgt bei Ehepaaren 7,8 Fälle, bei den Kombinatio nen mehr, nämlich 8,4. Bei den Unverheirateten decken sich das W. M. und das arithmetische Mittel - beide betragen 8,4 Fälle -, während bei den Verheirateten das W. M. tiefer liegt als der ent sprechende Mittelwert, der 8,4 Fälle beträgt, was mit dem Vorhan densein abnorm niedriger Werte bei den Verheirateten zusammen hängt. Wenn wir nämlich die Rubrik der Ehepaare betrachten, so finden wir eine bedeutende Streuung der Werte in auffallendem Gegensatz zu der Zusammendrängung derselben um das Mittel 8,4 bei den Unverheirateten. Bei letzteren findet sich kein einziger Aspekt, der eine größere Häufigkeit als 9,6 aufwiese, während bei den Verheirateten ein Aspekt sogar eine beinahe doppelt so große Häufigkeit erreicht.
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I T ÄT
54
Tabelle IV 1 80 Ehepaare Mond Asz. Mond Mond Mond Mars Venus Mars Mars Sonne Venus Venus Mars Sonne
0 0 0 0 8 0 8 0
0 0 0
0 0
0
Sonne 1 0,0% Venus 9,4% Asz. 7,7% Mond 7,2% Sonne 7,2% Mond 7,2% Mond 7,2% 6,6% Mars 6,6% Asz. Mars 6,6% Desz. 6, 1 % Asz. 6,1% Desz. 6 , 1 % Asz. 6,1%
400 Ehepaare
220 Ehepaare Mond Mars Venus Mond Mond Desz. Desz. Mond Venus Sonne Venus Venus Sonne Sonne
0 Mond 1 0,9% 8 Venus 7,7% 0
Mond
8 Sonne 8 Mars 0 Mars 0
Venus
8 Venus 0 Venus 8 Mars
Desz. 0 Mars 0 Mond 0 Sonne
0
7,2% 6,8% 6,8% 6,8% 6,3% 6,3% 6,3% 5,9% 5,4% 5,4% 5,4% 5,4%
Mond Mond Mond Mars Desz. Mond Mars Mars Mond Venus Venus Desz. Asz. Sonne
0 Mond 9,2% 8 Sonne 7,0% 0 Sonne 7,0% 0
0 8 0 8 0 0 0 0 0 8
Mars Venus Mars Mond Venus Asz. Desz. Mond Mars Venus Mars
6,2% 6,2% 6,2% 6,0% 5,7% 5,7% 5,7% 5,5% 5,2% 5,2% 5,2%
Da die in der vorhergehenden Tabelle hervortretende Streuung sich bei einem größeren Material wahrscheinlich ausgleichen wür de, so habe ich eine größere Anzahl von Ehehoroskopen zusam mengestellt, im ganzen 400 (das heißt 800 Einzelhoroskope), um der astrologischen Behauptung Genüge zu tun. Es hat ja keinen Zweck, eine Ansicht, die beinahe so alt ist wie die menschliche Kultur, aus vorgefaßten Meinungen und ohne gründliche Prüfung zu verwerfen, und zwar hauptsächlich darum, weil man sich den kausalen respektive gesetzmäßigen Zusammenhang nicht vorzu stellen vermag. Ich stelle in Tabelle IV die hauptsächlichen Ergeb nisse des zusätzlichen Materials, verglichen mit den vorher bespro chenen 1 80 Fällen dar, wobei ich mich auf die Maximalzahlen, die das W. M. deutlich überschreiten, beschränke. Ich gebe die Zahlen in Prozenten wieder. Die 1 80 Ehepaare der ersten Kolonne stellen das Resultat der ersten Zusammenstellung dar, während die 220 der zweiten Ko lonne später während mehr als eines Jahres gesammelt wurden. Das erste Paket zeigt das für die astrologische Behauptung gün stigste Ergebnis, während die zweite Kolonne nicht nur in den Aspekten von der ersten variiert, sondern auch ein deutliches Ab sinken der Häufigkeitswerte erkennen läßt. Eine Ausnahme bildet bloß die erste Zahl, welche die klassische C o C betrifft. Sie tritt an die Stelle der ebenso klassischen C o 8 in der ersten Kolonne. Von den 14 Aspekten der ersten Kolonne kehren nur vier in der zweiten wieder, darunter sind aber nicht weniger als drei Monda spekte, was zugunsten der astrologischen Erwartung spricht. Die mangelnde Entsprechung zwischen den Aspekten der ersten und zweiten Kolonne weist auf eine große Ungleichheit des Materials,
55
S Y N C H R O N IZITÄT A L S E I N P R I N Z I P
das heißt auf eine bedeutende Streuung hin, welche sich hinsicht lich des Ergebnisses bei noch größeren Zahlen für die astrologische Erwartung recht ungünstig auswirken dürfte. Man sieht dies schon bei den Gesamtzahlen der 400 Ehepaare : sämtliche Zahlen zeigen infolge der Ausgleichung der Streuung wiederum eine deutliche Abnahme. In der folgenden Tabelle V treten diese Verhältnisse noch deutlicher zutage. Tabelle V Durchschnitt
Häufigkeit in %
([ d 8
([ <) ([
([88
1 80 Ehepaare 2 2 0 Ehepaare 1 80 + 220 400 Ehepaare Später hinzugekommene 83 Ehepaare 83 + 400 483 Ehepaare
1 0,0 4,5 7,0
7,2 1 0,9 9,2
7,2 6,8 7,0
8,1 7,4 7,7
7,2 7,2
4,8 8,4
4,8 6,6
5,6 7,4
=
=
Die Tabelle zeigt die Häufigkeitszahlen von drei Konstellatio nen, welche am meisten vorkommen, zwei Mondkunjunktionen und einer Mondopposition. Die zuerst gesammelten 1 80 Ehepaare weisen als größte durchschnittliche Häufigkeit 8 , 1 % auf. Bei den später gesammelten und bearbeiteten 220 Ehepaaren geht das durchschnittliche Maximum schon auf 7,4% zurück. Bei den noch später hinzugekommenen 83 Ehepaaren beträgt der Durchschnitt nur noch 5,6% . Während bei den Anfangsgruppen ( 1 80 und 220) die Maxima noch bei den gleichen Aspekten liegen, zeigt es sich bei den später hinzugekommenen 83 Ehepaaren, daß deren Maxi ma sogar bei anderen Aspekten liegen, nämlich Asz. d C , 8 cf <( , 8 o d' und Asz. o Asz. Das durchschnittliche Maximum dieser vier Aspekte beträgt 8,7% . Dieser hohe Betrag überschreitet sogar unsere >>beste<< Durchschnittszahl 8 , 1 % bei den ersten 1 80 Paaren, womit ohne weiteres ersichtlich wird, wie zufällig unsere »günstigen<< Anfangsresultate sind. Immerhin darf man hervorhe ben, daß sozusagen scherzhafterweise das Maximum von 9,6% bei Asz. o C liegt, also wiederum bei einem Mondaspekt, der für die Ehe als besonders charakteristisch gilt - ein lusus naturae fürwahr, aber ein hintergründiger, in dem der Ascendens oder Horoscopus zusammen mit Sonne und Mond nach alter Tradition die für das Schicksal beziehungsweise die Charakterbestimmung grundlegen de Dreiheit bildet. Wenn man dieses statistische Ergebnis hätte zurechtfälschen wollen, um es in Einklang mit der Tradition zu bringen, so hätte man nicht besser verfahren können.
S Y N C H R O N IZITÄT, A K A U S A L ITÄT
56 Tabelle VI Maximale Häufigkeit in % bei :
7, 3 6,5 6,2 5,3
1 . zufällig kombinierten 300 Paaren 2. ausgelosten 325 Paaren 3. ausgelosten 400 Paaren 4. 32 220 Paaren
Hier sind die maximalen Häufigkeiten bei unverheirateten Paa ren angegeben. Die Rubrik 1 . wurde dadurch hergestellt, daß mei ne Mitarbeiterin, Frau Dr. L. Frey-Rohn, die männlichen Horo skope auf die eine Seite legte, die weiblichen auf die andere und die j eweils zufällig obenaufliegenden miteinander zu einem Paar kom binierte. Dabei wurde natürlich darauf geachtet, daß nicht zufälli gerweise ein wirkliches Ehepaar kombiniert wurde. Die resultie rende Häufigkeit von 7,3 liegt noch recht hoch im Vergleich zu der sehr viel wahrscheinlicheren Maximalzahl bei den 32 200 unverhei rateten Paaren, die nur 5 , 3 beträgt. Ersteres Ergebnis schien mir etwas verdächtig.61 Ich schlug daher meiner Mitarbeiterin vor, die Kombination der Paare nicht selber vorzunehmen, sondern fol gendermaßen vorzugehen : 325 männliche Horoskope wurden nu meriert ; die Nummern wurden auf besondere Zettel geschrieben, diese in einen Topf geworfen und gemischt. Sodann wurde eine Person, die nichts von Astrologie und Psychologie und erst recht nichts von diesen Untersuchungen wußte, eingeladen, einen Zettel nach dem anderen, ohne hinzusehen, aus dem Topf herauszuho len. Die herausgeholten Nummern wurden jeweils mit dem näch61 Wie subtil diese Dinge sein können, zeigt folgender Fall: Meiner Mitarbeiterin fiel kürzlich die Aufgabe zu, für das gemeinsame Nachtessen einer größeren Gesellschaft die Tischordnung zu erstellen. Sie tat dies mit Sorgfalt und Umsicht. Im letzten Moment aber erschien ein unerwarteter, geschätzter Gast, den man unbedingt passend placieren mußte. Dadu rch wurde die ganze Tischordnung über den Haufen geworfen, und es mußte in aller Eile ein neues Arrangement aufgestellt werden. Zu langem Nachdenken bestand keine Zeit. Als wir zu Tische saßen, ergab sich in der unmittelbaren Umgebung des Gastes folgendes astrologisches Bild:
Dame (( in Q,
Dame G in )(
Gast G in Ci
Dame G in )(
Dame G in Q,
Dame (( m )(
Herr (( in Ci
Dame (( in )(
Es waren vier 0- (( -Ehen entstanden. Dazu muß nun allerdings bemerkt werden, daß meine M itarbeiterin es lange genug mit astrologischen Eheaspekten zu tun hatte, um diese gründlich zu kennen; auch war sie über die Horoskope der in Frage kommenden Personen unterrichtet. In der Eile, in der die Tischordnung erstellt werden mußte, hatte sie aber keine Gelegenheit zu langen Überlegungen, so daß das Unbewußte freie Hand hatte, die •>Ehen« im geheimen zu arrangieren.
SYN C H R O N I Z ITÄT ALS E I N P R I N Z I P
57
sten weiblichen Horoskop gepaart, das zuoberst auf den aufge schichteten weiblichen Horoskopen lag, wobei wiederum darauf geachtet wurde, daß nicht zufälligerweise Ehepaare zusammenka men. Auf diese Weise wurden 325 künstliche Paare erzeugt. Das Ergebnis 6,5 nähert sich schon mehr der Wahrscheinlichkeit an. Noch wahrscheinlicher ist das Resultat bei den 400 unverheirate ten Paaren. Immerhin liegt auch diese Zahl (6,2) noch zu hoch. Das etwas merkwürdige Verhalten unserer Zahlen hat zu einem Experiment geführt, dessen Resultat ich mit allen nötigen Vorbe halten doch erwähnen möchte, weil es allem Anschein nach geeig net sein könnte, auf die statistischen Variationen ein gewisses Licht zu werfen. Der Versuch wurde mit drei Personen, deren psycholo gischer Status genau bekannt war, durchgeführt. Das Experiment bestand darin, daß zuerst von 200 beliebigen Ehehoroskopen 200 mit Nummern versehen wurden. Sodann wurden davon 20 Eheho roskope von der V. P. ausgelost. Darauf wurden diese 20 Ehepaare statistisch auf unsere 50 Ehemerkmale untersucht. Die erste V. P. war eine Patientin, die sich zur Zeit des Experimentes in einem Zustand triebmäßig gesteigerter Aktivität befand. Es ergab sich, daß von 20 Marsaspekten nicht weniger als zehn, und zwar mit der Häufigkeit von 1 5,0, von den Mondaspekten neun mit einer H äu figkeit von 10,0 und von den Sonnenaspekten neun mit einer Häu figkeit von 1 4,0 betont waren. Die klassische Bedeutung des Mars ist dessen Triebhaftigkeit, in diesem Fall unterstützt von der männlichen Sonne. Im Vergleich zu unseren allgemeinen Resulta ten ergibt sich hier ein Vorherrschen der Marsaspekte, was mit dem psychischen Zustand der V. P. übereinstimmt. Die zweite V. P. war eine Patientin, deren Hauptproblem die Bewußtwerdung und Durchsetzung der eigenen Persönlichkeit ge genüber Selbstunterdrückungstendenzen bildete. In diesem Fall traten die sogenannten Achsenaspekte (Asz. Desz.), welche gerade für die Persönlichkeit charakteristisch sein sollen, zwölfmal auf mit einer Häufigkeit von 20,0 und die Mondaspekte mit einer Häufigkeit von 1 8,0. Dieses Resultat ist, astrologisch bewertet, in völliger Übereinstimmung mit der gegenwärtigen Problematik der V. P. Die dritte V. P. ist eine Frau mit starken inneren Gegensätzen, deren Vereinigung und Aussöhnung ihr gegenwärtiges Hauptpro blem bildet. Die Mondaspekte kommen vierzehnmal vor mit einer Häufigkeit von 20,0, die Sonnenaspekte zwölfmal mit einer Häu figkeit von 1 5,0 und die Achsenaspekte neunmal mit einer Häufig keit von 1 4,0. Die klassische coniunctio Solis et Lunae als das Symbol der Gegensatzvereinigung tritt in diesem Fall stark in den Vordergrund.
58
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄ T
In allen diesen Fällen erweist sich die erloste Auswahl von Ehe horoskopen als beeinflußt, der Erfahrung entsprechend, die man mit dem I Ging und anderen mantischen Methoden macht. Ob schon sich alle diese Zahlen weit innerhalb der Wahrscheinlich keitsgrenzen befinden und deshalb nicht anders denn als zufällig aufgefaßt werden können, so gibt doch ihre Variation, die dem j eweiligen psychischen Zustand der V. P. überraschend entspricht, zu denken. Der in Frage kommende j eweilige psychische Zustand ist charakterisiert als eine Situation, in welcher Einsicht und Wil lensentschluß an die unüberwindliche Schranke eines widerstre benden und entgegengesetzten Unbewußten stoßen. Diese relative Niederlage der Bewußtseinskräfte konstelliert in der Regel den moderierenden Archetypus. Letzterer erscheint im ersten Fall als Mars, der triebhafte Maleficus, im zweiten als ausgleichendes und persönlichkeitsfestigendes Achsensystem und im dritten als Hie rosgamos der supremen Gegensätze. Das psychische und physi sche Geschehen (nämlich die Problematik und das Auslosen der H o roskope) entspricht, wie es den Anschein hat, der Natur des hintergründlichen Archetypus und könnte daher ein Synchronizi tätsphänomen darstellen. Wie mir Herr Prof. M. Fierz in Basel, der sich liebenswürdiger weise der Mühe unterzogen hat, die Wahrscheinlichkeit meiner M aximalzahlen zu berechnen, mitteilt, beträgt diese um 1 : 1 0 000. Daraus erhellt, daß unsere besten Resultate, nämlich (C ö 8 und (C ö (C , praktisch zwar ziemlich unwahrscheinlich sind, aber
theoretisch dennoch so wahrscheinlich, daß wenig Berechtigung besteht, die unmittelbaren Ergebnisse unserer Statistik anders denn als zufällig aufzufassen. Unsere Untersuchung zeigt, daß nicht nur mit der größten Anzahl von Ehepaaren die Häufigkeitswerte sich dem D u rchschnitt annähern, sondern auch, daß irgendwelche zu fälligen Paarungen ähnliche statistische Verhältnisse zeitigen. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen, ist das Ergebnis unse rer Untersuchung für die Astrologie in einer gewissen Hinsicht nicht ermutigend, denn es weist alles darauf hin, daß bei großen Zahlen sich die Unterschiede zwischen den Häufigkeitswerten der Eheaspekte Verheirateter und Unverheirateter überhaupt verwi schen. Somit besteht vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gese hen geringe Hoffnung, die astrologische Entsprechung als eine Gesetzmäßigkeit zu erweisen. So ist denn das Wesentliche, was von unserer astrologischen Statistik übrigbleibt, die Tatsache, daß die erste Gruppe von 1 80 Ehehoroskopen bei (C ö 8, und die zweite, später gesammelte G ruppe von 220 ein deutliches Maximum bei (C ö (C aufweist. Diese beiden Aspekte sind schon in der alten Literatur als für die
S YNC H R ONI Z I T Ä T A L S E I N P R INZ I P
59
Ehe charakteristisch erwähnt und stellen daher älteste Tradition dar. Die dritte Gruppe von 83 Ehepaaren ergibt, wie erwähnt, ein Maximum bei
·
60
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄT
überdies die Frage der Synchronizität mich seit vielen Jahren zu tiefst beschäftigt hat. Der Fall scheint tatsächlich so zu liegen - und scheint es schon immer getan zu haben, wenn wir die lange astro logische Tradition in Betracht ziehen -, daß sich zufällig wieder dasjenige Resultat herausstellt, das vermutlich schon öfters in der Geschichte vorgekommen ist. Hätten die Astrologen (von weni gen Ausnahmen abgesehen) sich mehr mit der Statistik abgegeben und die Berechtigung der astrologischen Deutung wissenschaftlich untersucht, so hätten sie schon lange entdeckt, daß ihre Aussagen auf einer schwankenden Grundlage ruhen. Es dürfte ihnen aber wohl so gegangen sein wie mir, daß nämlich eine heimliche gegen seitige Konnivenz (conniventia Nachsicht, Duldung) zwischen dem Material und dem psychischen Zustand des Astrologen be steht. D iese Entsprechung ist einfach vorhanden wie irgendein anderer freundlicher oder ärgerlicher Zufall, und es kann, wie es scheint, in wissenschaftlicher Weise nicht bewiesen werden, daß sie mehr ist als ein solcher. 63 Man mag durch die Koinzidenz ge narrt sein, aber es braucht schon eine gewisse Dickhäutigkeit, um von der Tatsache nicht beeindruckt zu sein, daß zweimal oder dreimal aus j e 50 Möglichkeiten sich gerade diejenige, welche von der Tradition als typisch angesehen wird, herausstellt. Um mich von der (zwar zugegebenermaßen unwahrscheinli chen) Zufälligkeit unseres Resultates zu vergewissern, habe ich ein weiteres statistisches Experiment gemacht. Ich habe die ursprüng liche und zufällig chronologische Anordnung sowie die ebenso zufällige Einteilung in drei Pakete aufgehoben, indem ich die er sten 1 50 mit den letzten 1 50 Ehen (letztere in umgekehrter Reihen folge) mischte, das heißt ich legte zur ersten Ehe die letzte, zur zweiten die zweitletzte und so fort. Dann teilte ich die 3 00 Ehen in Pakete von je 1 00 ein. Es ergab sich folgendes Resultat : =
1 . Paket Maxim u m :
Keine Aspekte I I %
2. Paket
3 . Paket I I% 11%
D as Resultat d e s ersten Paketes i s t amüsant insofern, als sich erstens unter den 300 Ehen nur 15 finden, die keinen der von uns erwählten 50 Aspekte gemeinsam haben, und zweitens insofern, 63 Wie meine Statistik zeigt, verwischt sich das Resultat bei größeren Zahlen. Es ist darum höchst wahrscheinlich, daß bei einer Sammlung weiteren Materials kein ähnliches Ergebnis mehr zustande gekommen wäre. Man muß sich also mit diesem anscheinend einmaligen »lusus naturae« begnügen, was der Tatsächlichkeit desselben keinen Abbruch tut.
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
61
als diese Aspekte in Hinsicht auf das erwartete Vorhandensein von Gemeinsamkeiten gewählt wurden. Das zweite Paket ergibt zwei Maxima, von denen das zweite wieder eine klassische Konjunktion darstellt. Das dritte Paket endlich ergibt ein Maximum bei der uns bereits bekannten ((; o Asz. , der dritten »klassischen<< Konjunk tion. Das Gesamtresultat läßt erkennen, daß eine zufällig andere Anordnung der Ehen einerseits leicht ein vom früheren Total ab weichendes Resultat ergeben kann, andererseits aber doch ein Hervortreten der klassischen Konjunktionen nicht ganz verhin dert. Letzteres Ergebnis dürfte vielleicht dafür sprechen, daß die für 8 o ((; und C o (C errechnete Wahrscheinlichkeit von rund 1 : 1 0 000 eine einigermaßen beachtliche Größe darstellt, die auf einer gewissen Gesetzmäßigkeit beruhen könnte. Soweit sich das feststellen läßt, scheint es sich um eine schwach ausgedrückte Re gelmäßigkeit zu handeln, die aber viel zu gering ist, als daß sie für die seltsame Koinzidenz der drei klassischen Mondkonjunktionen eine kausale Grundlage wahrscheinlich machen würde. Die Untersuchung der von uns gewählten 50 Eheaspekte hat kein eindeutiges Resultat gezeitigt. Was die von der Astrologie erwartete Häufigkeit oder Regelmäßigkeit von Aspektbeziehun gen anbetrifft, so liegen ihre Zahlen noch im Bereich der Zufalls wahrscheinlichkeit, obschon letztere als praktisch gering erscheint. Was aber das in puncto astrologischer Erwartung erstaunlich posi tive Resultat unserer ersten Statistik betrifft, so ist es dermaßen unwahrscheinlich, daß man dafür ein >>Arrangement<< wohl anneh men muß. Letzteres hat wiederum mit der Astrologie insofern nichts zu tun, als das vorliegende Material das sofortige Hervortre ten der drei klassischen Mondkonjunktionen nicht erklärt. Das Ergebnis unseres ersten Experimentes entspricht den Erfahrungen, die man mit den oben erwähnten mantischen Prozeduren macht. Man hat den Eindruck, als ob diese und ähnliche Methoden eine günstige Vorbedingung für das Zustandekommen sinngemäßer Koinzidenzen schüfen. Es ist ja richtig, daß die genaue Feststel lung des synchronistischen Phänomens eine mißliche beziehungs weise unmögliche Aufgabe darstellt. Man muß daher Rhines Ver dienst, anhand eines einwandfreien Materials die Koinzidenz des psychischen Zustandes mit entsprechendem objektivem Vorgang nachgewiesen zu haben, um so höher veranschlagen. Obschon die statistische Methode im allgemeinen höchst ungeeignet ist, um sel tenen Vorkommnissen gerecht zu werden, haben die Rhineschen Experimente dem ruinösen Einfluß der Statistik doch standgehal ten. Man muß daher ihre Ergebnisse bei der Beurteilung der Syn chronizitätsphänomene in Betracht ziehen. Angesichts des verwischenden Einflusses der statistischen Me-
62
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L ITÄT
thode auf die zahlenmäßige Feststellung der Synchronizität muß die Frage beantwortet werden, wie es Rhine gelungen ist, trotzdem zu positiven Ergebnissen zu gelangen. Ieh wage die Behauptung,
daß er seine Resultate nie erreicht hätte, wenn er seine Versuche mit einer einzigen64 oder nur wenigen V P. durchgeführt hätte. Er brauchte ein immer wieder erneutes Interesse, das heißt eine Emo
tion mit ihrem charakteristischen abaissement mental, welche dem Unbewußten ein gewisses Übergewicht verleiht. Einzig dadurch nämlich können Raum und Zeit in einem gewissen Grade relati viert werden, womit zugleich auch die Möglichkeit eines kausalen Vorganges vermindert ist. Was dann entsteht, ist eine Art von creatio ex nihilo, ein kausal nicht mehr erklärbarer Schöpfungsakt. Die mantischen Methoden verdanken ihre Wirksamkeit wesentlich demselben Zusammenhang mit der Emotionalität: sie erregen durch die B erührung einer unbewußten Bereitschaft Interesse, Neugier, Erwartung, Hoffnung und Befürchtung und damit das entsprechende Übergewicht des Unbewußten. Die wirksamen (numi nosen) Potenzen des Unbewußten sind die Archetypen. Weitaus die meisten spontanen Synchronizitätsphänomene, die ich zu beobachten und zu analysieren Gelegenheit hatte, ließen un schwer ihre direkte Beziehung auf einen Archetypus erkennen. Er stellt an sich einen unanschaulichen, psychoiden Faktor65 des kol lektiven Unbewußten dar. Letzteres kann insofern nicht lokalisiert werden, als es entweder in j edem Individuum im Prinzip vollstän dig oder als ein und dasselbe überall anzutreffen ist. Von dem, was im kollektiven Unbewußten eines einzelnen Individuums vorzu gehen scheint, ist nie mit Sicherheit anzugeben, ob es sich nicht auch in anderen Individuen oder Lebewesen oder Dingen oder Situationen ereignet. Als zum Beispiel in Swedenborgs Bewußtsein die Vision von einem Brand in Stockholm entstand, da wütete dort auch ein entsprechendes Feuer,66 ohne daß das eine mit dem ande ren in einem irgendwie nachweisbaren oder auch nur denkbaren Zusammenhang gestanden hätte. Ich möchte mich allerdings nicht anheischig machen, die archetypische Beziehung in diesem Fall aufzuzeigen. Ich weise aber auf die Tatsache hin, daß die Biogra phie Swedenborgs gewisse Ereignisse berichtet, welche ein merk würdiges Licht auf seinen psychischen Zustand werfen. Man muß annehmen, daß bei ihm eine Herabsetzung der Bewußt seinsschwelle bestand, welche das >>absolute Wissen« zugänglich 6' Womit eine beliebige und nicht etwa eine spezifisch begabte V. P. gemeint ist. 65 Vgl. Theoretische Überlegungen zum Wesen des Psychischen, GW 8. 66 Dieser Fall ist wohlbeglaubigt. Siehe den Bericht bei Kant: Träume eines Geister sehers, 1 9 1 2 .
S YNC H R ONI Z I TÄT A L S E I N P R I NZ I P
63
machte. Der Stockholmer Brand fand gewissermaßen auch in ihm statt. Für die unbewußte Psyche scheinen Raum und Zeit relativ zu sein, das heißt, das Wissen befindet sich in einem raumzeitli chen Kontinuum, in welchem Raum nicht mehr Raum und Zeit nicht mehr Zeit ist. Wenn daher das Unbewußte ein gewisses Po tential zum Bewußtsein hin entwickelt oder erhält, dann entsteht die Möglichkeit, daß Parallelereignisse wahrgenommen bezie hungsweise >>gewußt<< werden können. Gegenüber Rhine besteht der große Nachteil meiner astrologi schen Statistik darin, daß sozusagen das ganze Experiment nur an einer V. P., nämlich mir selber, ausgeführt wird. Ich experimentie re nicht mit vielen V. P., sondern ein mannigfaltiges Material fordert mein Interesse heraus. Ich bin daher in der Lage der V. P., die zuerst enthusiastisch ist, sich aber nachträglich durch die Ge wöhnung wie im ESP-Experiment abkühlt. Die Resultate ver schlechtern sich darum mit der zunehmenden Anzahl der Experi mente, welche der paketweisen Exposition des Materials entspre chen, das heißt, die Anhäufung größerer Zahlen verwischt das >>günstige« Anfangsresultat. Ebenso zeigt mein späteres Experi ment, daß die Aufhebung der ursprünglichen Anordnung und die arbiträre Paketeinteilung der Horoskope, wie zu' erwarten, ein an deres Bild, das allerdings nicht ganz eindeutig ist, ergeben. Die Rhinesche Regel dürfte sich daher überall empfehlen (zum Beispiel in der Medizin), wo es sich nicht um sehr große Zahlen handelt. Das Interesse und die Erwartung des Forschers könnte nämlich anfangs von überraschend günstigen Resultaten, trotz al ler Vorsichtsmaßnahmen, synchronistisch begleitet sein. Um »Wunder« handelt es sich nur für den, der den statistischen Cha rakter des Naturgesetzes nicht in Betracht zieht. Wenn, wie es allen Anschein hat, die sinngemäße Koinzidenz oder >> Querverbindung« von Ereignissen kausal nicht erklärt wer den kann, so liegt das Verbindende in der Gleichsinnigkeit der Parallelereignisse, das heißt, ihr tertium comparationis ist der Sinn. Wir sind gewohnt, unter >>Sinn« einen psychischen Vorgang oder Inhalt zu verstehen, von dem wir nicht ohne weiteres annehmen, daß er auch außerhalb unserer Psyche existieren könnte. Wir glau ben wenigstens soviel von der Psyche zu wissen, daß wir ihr keine Zaubermacht zutrauen dürfen, und noch viel weniger dem Be wußtsein. Wenn wir also die Annahme in Betracht ziehen, daß ein und derselbe (transzendentale) Sinn sich in der menschlichen Psy che und zugleich in der Anordnung eines gleichzeitigen äußeren und unabhängigen Ereignisses offenbaren könne, so geraten wir mit unseren hergebrachten naturwissenschaftlichen und erkennt nistheoretischen Ansichten in Widerstreit. Man muß sich schon
64
S Y N C H R O N I Z I TÄ T , A K A U S A L I T Ä T
immer wieder a n d i e bloß statistische Gültigkeit d e r Naturgesetze und an die Wirkung der statistischen Methode, welche alle selte nen Ereignisse ausmerzt, erinnern, um unserer Hypothese ein Ohr leihen zu können. Die große Schwierigkeit liegt darin, daß uns alle wissenschaftlichen Mittel fehlen, einen objektiven Sinn, der kein bloß psychisches Produkt ist, festzustellen. Wir sind aber zu einer derartigen Annahme gedrängt, sofern wir es nicht vorziehen, auf eine magische Kausalität zu regredieren und der Psyche eine deren empirischen Bereich weit überschreitende Macht zu vindizieren. In diesem Fall müßte man, um die Kausalität nicht fahren zu las sen, annehmen, daß das Unbewußte Swedenborgs den Brand Stockholms inszeniert, oder umgekehrt, daß das objektive Ereignis (in allerdings unvorstellbarer Weise) die entsprechenden Bilder in Swedenborgs Gehirn angeregt hätte. In beiden Fällen aber stoßen wir, .�ie oben auseinandergesetzt, an die unbeantwortbare Frage der Ubermittlung. Es bleibt natürlich dem subjektiven Ermessen vorbehalten, welche Hypothese als sinnreicher empfunden wird . Bei der Wahl zwischen transzendentalem Sinn und magischer Kausalität hilft uns auch die Tradition nicht viel, indem einerseits der Primitive bis zur Gegenwart Synchronizität als magische Kau salität erklärt, andererseits der philosophische Geist seit alters eine geheimnisvolle correspondentia der Naturereignisse, also sinnge mäße Verbindung derselben, bis ins 1 8 . Jahrhundert angenommen hat. Ich ziehe letztere Hypothese vor, weil sie nicht, wie erstere, mit dem empirischen Kausalitätsbegriff in Konflikt gerät, sondern als ein Prinzip sui generis gelten kann. Das nötigt uns allerdings zwar nicht zu einer Korrektur der bisherigen Prinzipien der Na turerklärung, wohl aber zu einer Vermehrung der Anzahl dersel ben, eine Operation, die nur durch schwerwiegende Gründe zu rechtfertigen ist. I ch glaube aber, daß die im Vorangegangenen gegebenen Hinweise ein Argument, das gründlich überlegt sein will, bedeuten. Die Psychologie vor allem kann es sich auf die Dauer nicht leisten, die vorhandenen Erfahrungen zu übersehen. Für das Verständnis des Unbewußten sind diese Dinge denn doch zu wichtig, ganz abgesehen von den weltanschaulichen Konse quenzen.
3.
Die Vorläufer der Synchronizitätsidee
Das Kausalprinzip sagt aus, daß die Verbindung von causa und effectus eine notwendige sei. Das Synchronizitätsprinzip sagt aus, daß die Glieder einer sinngemäßen Koinzidenz durch Gleichzei tigkeit und durch den Sinn verbunden seien. Wenn wir also anneh-
S Y N C H R O N I Z I T ÄT A L S E I N P R I N Z I P
65
men, daß die ESP-Experimente sowie die vielen Einzelbeobach tungen Tatsachen feststellen, so ergibt sich daraus der Schluß, daß, neben dem Zusammenhang von Ursache und Wirkung, es in der Natur noch einen anderen, in der Anordnung von Ereignissen sich ausdrückenden Faktor gibt, welcher uns als Sinn erscheint. Sinn ist eine zugegebenermaßen anthropomorphe Deutung, bildet aber das unerläßliche Kriterium des Synchronizitätsphänomens. Worin je ner Faktor, der uns als >>Sinn<< erscheint, an sich besteht, entzieht sich der Erkenntnismöglichkeit. Als Hypothese aber stellt er doch keine solche Unmöglichkeit dar, wie es einen auf den ersten Blick dünken möchte. Man muß nämlich in Betracht ziehen, daß unsere okzidentale Verstandeseinstellung nicht die einzig mögliche oder die allumfassende ist, sondern sie stellt in gewisser Hinsicht eine Voreingenommenheit und eine Einseitigkeit dar, welche mögli cherweise zu korrigieren wären. Das sehr viel ältere Kulturvolk der Chinesen hat von jeher in einer gewissen Hinsicht anders ge dacht als wir, und wir müssen schon bis auf Heraklit zurückgehen, wenn wir in unserem Kulturkreis - wenigstens was die Philo sophie betrifft - Ähnliches feststellen wollen. Nur auf dem Niveau der Astrologie, der Alchemie und der mantischen Prozeduren gibt es zwischen unserer und der chinesischen Einstellung keine prinzi piellen Unterschiede. Deshalb verlief auch die Entwicklung der Alchemie im Westen wie im Osten auf parallelen Bahnen und zu demselben Ziel mit zum Teil identischen Begriffsbildungen.67 In der chinesischen Philosophie gibt es seit alters einen zentralen Begriff, dessen Bezeichnung als Tao die Jesuiten mit »Gott<< über setzt haben. Dies ist aber nur im okzidentalen Sinn richtig. Andere Übersetzungen, wie Providenz und ähnliches, sind bloße Notbe helfe. R. Wilhelm hat in genialer Weise Tao als Sinn gedeutet.68 Der Begriff des Tao beherrscht das ganze weltanschauliche Den ken Chinas. Diese Bedeutung hat bei uns die Kausalität, aber sie hat sie erst im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte erreicht, dank dem nivellierenden Einfluß der statistischen Methode einerseits und dem beispiellosen Erfolg der Naturwissenschaften anderer seits, wobei das metaphysisch begründete Weltbild allerdings in Verlust geraten ist. Vom Tao gibt Lao-Tse im berühmten >Tao Te King< folgende Beschreibung: 67 Vgl. hiezu Psychologie und Alchemie (GW 1 2 , § 453) und Der Geist Mercurius (GW 1 3 , § 273); ferner die Lehre vom chen-jen bei Wei Po-Yang in Lu-Ch'iang Wu: An ancient Chinese treatise on alchemy, 1932, S. 241 und 25 1 , und bei Dschuang Dsi: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland, 1920. 68 Siehe Wilhelm/jung: Das Geheimnis der goldenen Blüte, GW 1 3 , §§ 28-30, und Wilhelm: Chinesische Lebensweisheit, 1922, Kap. 25 und I I , S. 1 5 .
66
S YNC H R ONI Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄT
Es gibt etwas, das ist unterschiedslos vollendet, Es geht der Entstehung von Himmel und Erde voran. Wie still! Wie leer ! Selbständig und unverändert, Im Kreise wandelnd ungehindert. Man kann es für die Mutter der Welt halten. Ich weiß nicht seinen Namen. Ich bezeichne es als Tao [Wilhelm : »Sinn<<] Notdürftig nenn ich es : das Große. Das Tao » kleidet und nährt alle Wesen und spielt nicht ihren H errn<<. Lao-Tse bezeichnet es als Nichts,69 womit er, wie Wilhelm sagt, nur dessen »Gegensatz zur Welt der Wirklichkeit<< zum Aus druck bringt. Lao-Tse schildert dessen Wesen folgendermaßen : Dreißig Speichen umgeben eine Nabe : Auf dem Nichts daran beruht des Wagens Wirkung (wörtlich : B rauchbarkeit). Man macht Schüsseln und Töpfe zu Gefäßen : Auf dem Nichts darin beruht des Gefäßes Wirkung. Man höhlt Türen und Fenster aus an Zimmern, Auf dem Nichts darin beruht des Zimmers Wirkung. Daru m : das Etwas schafft Wirklichkeit, Das Nichts schafft Wirkung. Das >>Nichts<< ist offenbar der >>Sinn<< oder >>Zweck<< und darum Nichts genannt, weil es an und für sich in der Sinnenwelt nicht erscheint, sondern nur deren Anordner ist.70 So sagt Lao-Tse : Man schaut nach ihm und sieht es nicht, das heißt mit Namen : das Luftige. Man horcht nach ihm und hört es nicht, das heißt mit Namen : das Dünne. Man greift nach ihm und faßt es nicht, das heißt mit Namen : das Unkörperliche. Das heißt die gestaltlose Gestalt, Das dinglose Bild, 6 9 Tao ist das Kontingente, von dem A. Speiser sagt, es sei ein •reines Nichts• (Über die Freiheit, 1950, S. 4). 70 Wilhelm: Chinesische Lebensweisheit, 1922, S. 1 5 : »Man kann das Verhältnis von Sinn (Tao) und Wirklichkeit auch nicht unter der Kategorie von Ursache und Wirkun g erfassen . . . • (Die weiteren Zitate Kap. 14 und 2 1 , S. 1 6, 17 und 1 8. Hervorhebungen von mir.)
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
67
Das heißt das Neblig-Verschwommene. Ihm entgegentretend sieht m an nicht sein Antlitz, Ihm folgend sieht man nicht seinen Rücken. »Es handelt sich also<<, so schreibt Wilhelm, >>Um eine Konzeption, die auf der Grenze der Welt der Erscheinungen liegt. « Die Gegen sätze sind in ihr »in der Ununterschiedenheit aufgehoben«, aber potentiell bereits vorhanden. >>Diese Keime nun«, fährt er fort, >>deuten auf etwas, das erstens irgendwie der Sichtbarkeit ent spricht, etwas Bildartiges , zweitens irgendwie der Hörbarkeit entspricht, etwas Wortartiges . . . , drittens irgendwie der Ausge dehntheit entspricht, etwas Gestaltartiges. Aber dieses Dreifache ist nicht deutlich geschieden und definierbar, sondern ist eine un räumliche (kein oben und unten) und unzeitliehe Einheit (kein vorn und hinten).« So sagt der •Tao Te King< : .
.
.
Der Sinn (Tao) bewirkt die Dinge Ganz neblig, ganz verschwommen. So verschwommen, so neblig Sind in ihm Bilder, So neblig, so verschwommen Sind in ihm Dinge ! Die Wirklichkeit, meint Wilhelm, sei begrifflich erkennbar, weil nach chinesischer Auffassung in den Dingen selber etwas irgend wie >>Rationales« stecke.71 Dies ist der Grundgedanke der sinnge mäßen Koinzidenz ; sie ist möglich, weil beiden Seiten derselbe Sinn eignet. Wo der Sinn prävaliert, da ergibt sich Ordnun g : Der Sinn (Tao) als höchster ist namenlose Einfalt. Wenn Fürsten und Könige ihn so wahren könnten, So würden alle Dinge sich als Gäste einstellen. Das Volk würde ohne Befehle von selbst ins Gleichgewicht kommen. Er wirkt nicht, Und doch kommt alles von selbst. Er ist gelassen Und weiß doch zu planen. Das Netz des Himmels ist so groß, so groß, Weitmaschig und verliert doch nichts. 71
Wilhelm: Chinesische Lebensweisheit, 22, S. 1 9 (Verse: S. 22 und 25).
68
S Y N C H R O N I Z I TÄT, A K A U S A L I TÄT
Dschuang Dsi (ein Zeitgenosse des Platon) sagt über die psycholo gische Voraussetzung des Tao : >>Der Zustand, wo Ich und Nicht Ich keinen Gegensatz mehr bilden, heißt der Angelpunkt des Sinns (Tao).«72 Es klingt wie eine Kritik unserer naturwissenschaftlichen Weltanschauung, wenn er sagt : >>Der Sinn (Tao) wird verdunkelt, wenn man nur kleine fertige Ausschnitte des Daseins ins Auge faßt,<<73 oder: >>Die Begrenzungen sind nicht ursprünglich im Sinn des D aseins begründet. Die festgelegten Bedeutungen sind nicht ursprünglich den Worten eigentümlich. Die Unterscheidungen entstammen erst der subjektiven Betrachtungsweise.«74 Die Mei ster des Altertums, sagt Dschuang Dsi an anderer Stelle, nahmen als Ausgangspunkt >>einen Zustand an, da die Existenz der Dinge noch nicht begonnen hatte. Damit ist in der Tat der äußerste Punkt erreicht, über den man nicht hinausgehen kann. Die nächste An nahme war, daß es zwar Dinge gab, aber ihre Getrenntheit noch nicht begonnen hatte. Die nächste Annahme war, daß es zwar in gewissem Sinn Getrenntheiten gab, aber Bejahung und Vernei nung noch nicht begonnen hatten. Durch die Entfaltung von Beja hung und Verneinung verblaßte der Sinn (Tao). Durch die Ver blassung des Sinns verwirklichte sich einseitige Zuneigung.«75 >>Das äußere Hören darf nicht weiter eindringen als bis zum Ohr; der Verstand darf kein Sonderdasein führen wollen, so wird die Seele leer und vermag die Welt in sich aufzunehmen. Und der Sinn (Tao) ist's, der diese Leere füllt. « Wer Einsicht hat, sagt Dschuang D si, der >>gebraucht sein inneres Auge, sein inneres Ohr, um die Dinge zu durchdringen und bedarf nicht verstandesmäßigen Er kennens.«76 Damit wird offenbar auf das absolute Wissen des Un bewußten hingewiesen, das heißt auf das mikrokosmische Vorhan densein makrokosmischer Ereignisse. Diese taoistische Anschauung ist typisch für chinesisches Den ken überhaupt. Es ist, wenn irgend möglich, ganzheitlich, wie auch der hervorragende Kenner der chinesischen Psychologie, Granet, hervorhebt.77 Man kann diese Eigentümlichkeit auch im gewöhnlichen Gespräch mit Chinesen beobachten : Eine uns ein fach erscheinende, präzise Frage nach einer Einzelheit veranlaßt den chinesischen Denker zu einer unerwartet umfänglichen Ant71 Dschuang Dsi : Das wahre Buch vom südlichen Blütenland, Buch 2, S. 1 4 . 7 3 Ebenda, S. 1 3 . 7 4 Ebenda, S. 1 7. 7' Ebenda, S. 1 5 f. 76 Ebenda, Buch 4, S. 29. 77 Granet: La Pensee chinoise, 1934. Ebenso Abegg: Ostasien denkt anders, 1949. Letzteres Werk gibt eine vorzügliche Darstellung der synchronistischen Mentalität Chi nas.
S Y N C H R O N I ZITÄT A L S E I N P R I N Z I P
69
wort, gerade so, wie wenn man von ihm einen Grashalm verlangt hätte und er als Antwort eine ganze Wiese brächte. Für uns zählen Einzelheiten an und für sich ; dem östlichen Geist ergänzen sie stets ein Gesamtbild. In diese Ganzheit sind nun, wie schon in der primitiven oder in unserer (zum Teil noch vorhandenen) mittelal terlichen, vorwissenschaftliehen Psychologie, Dinge einbegriffen, deren Verbindung mit den anderen nur noch als » zufällig<<, das heißt als Koinzidenz, deren Sinngemäßheit als arbiträr erscheint, aufgefaßt werden kann. Dazu gehört die mittelalterliche naturphi losophische Lehre der correspondentia/8 insbesondere die schon antike Anschauung der Sympathie aller Dinge (sympatheia ton holon). Hippakrates sagt : »Ein Zusammenfließen, ein Zusammen hauchen (conflatio), alles zusammen empfindend. Alles hinsicht lich der Ganzheit, hinsichtlich des Teiles aber die in jedem Teil (vorhandenen) Teile mit Absicht auf die Wirkung. Das große Prin zip reicht bis in den äußersten Teil, aus dem äußersten Teil gelangt es in das große Prinzip : eine Natur, das Sein und das Nichtsein.<<79 Das universale Prinzip findet sich aber auch im kleinsten Teil, welcher daher mit dem Ganzen übereinstimmt. Ein für unsere Überlegungen interessanter Gedanke findet sich bei Philo (geboren um 25 v. Chr. und gestorben nach 42 n. Chr.): »Indem Gott Anfang und Ende des Gewordenen unter sich wollte (so) zusammenstimmen lassen, daß die Dinge durch Notwendig keit und Freundschaft verbunden seien, hat er als Anfang den Himmel, als Ende aber den Menschen gemacht ; ersteren (schuf er) als das vollkommenste der unvergänglichen wahrnehmbaren Din ge, letzteren als bestes der erdgeborenen vergänglichen Wesen, als einen kleinen Himmel - wenn man die Wahrheit sagen soll -, welcher in sich die Abbilder der vielen, den Sternen ähnlichen Naturen trägt . . . Da nun das Vergängliche und das Unvergängli che entgegengesetzt ist, so hat er beiden, dem Anfang und dem Ende, die schönste Gestalt gegeben, dem Anfang, wie gesagt, die des Himmels, dem Ende die des Menschen . <<80 Hier ist das große Prinzip (arche megale) oder Anfang der Him mel, das heißt das Firmament, dem Menschen als dem Mikrokos mos eingegeben, indem dieser die Abbilder der Sternnaturen, also 78 Herr Professor W. Pauli macht mich freundliehst auf die Tatsache aufmerksam, daß Niels Bohr zur Bezeichnung jener Verallgemeinerung, welche zwischen der Vorstellung des Diskontinuums (Teilchen) und des Kontinuums (Welle) vermittelt, sich des Aus drucks » Korrespondenz« bedient, ursprünglich ( 1 9 1 3-19 1 8) als » Korrespondenzprin zip« und später (1927) als »Korrespondenzargument« formuliert. 79 Hippokrates: De alimento, 1927, S. 79ff. 80 Philo Iudaeus : De opificio mundi, 1 896, S. 28.
70
S Y N C H R O N J Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄT
als kleinster Teil und Ende des Schöpfungswerkes wiederum das Ganze enthält. Nach Theophrast (3 7 1-28 8 v. Chr.) ist das Übersinnliche und das Sinnliche durch ein Band der Gemeinschaft verbunden. Dieses Band kann nicht die Mathematik, sondern vermutlich nur die Gottheit sein. 81 Ebenso sind die aus der einen Weltseele stammen den Einzelseelen bei Plotin sympathisch oder antipathisch in wechselseitiger Beziehung, wobei die Entfernung keine Rolle spielt. 82 Ähnliche Anschauungen kehren bei Pico della Mirandola wieder: »Est enim primum ea in rebus unitas, qua unumquodque sibi est unum sibique constat atque cohaeret. Est ea secundo, per quam altera alteri creatura unitur, et per quam demum omnes mundi p artes unus sunt mundus. Tertia atque omnium principalis sima est, qua totum universum cum suo opifice quasi exercitus cum suo duce est unum. «83 Pico meint mit der dreifachen Einheit eine einfache, die entsprechend der Trinität einen dreifachen Aspekt hat ( »unitas est ita ternario distincta, ut ab unitatis simpli citate non discedat«). Die Welt ist sozusagen für ihn ein Wesen, ein sichtbarer Gott, in welchem natürlich alles von Anbeginn so zu sammengeordnet ist, wie es den Teilen eines lebendigen Organis mus entspricht. Die Welt erscheint als das corpus mysticum Got tes, wie die Kirche dasjenige Christi ist oder wie ein wohldiszipli niertes H eer ein Schwert in der Hand des Heerführers genannt werden kann. Die Anordnung aller Dinge auf den Willen Gottes hin ist eine Anschauung, welche der Kausalität nur einen beschei denen Raum gönnt. Wie in einem lebenden Körper verschiedene Teile gleichzeitig sinngemäß aufeinander Abgestimmtes tun, so stehen auch die Ereignisse der Welt in sinngemäßer wechselseitiger B eziehung, die man nicht aus immanenter Kausalität ableiten kann. Der G rund hiefür ist, daß im einen wie im anderen Fall das Verhalten der Teile von einer ihnen übergeordneten zentralen Lei tung abhängt. In seinem Traktat >De hominis dignitate< sagt Pico : »Nascenti homini omnifaria semina, et omnigenae vitae germina indidit pa-
81 82
Zeller: Die Philosophie der Griechen, 1 859, Bd. 2, 2. Teil, S. 654. Ploti n : Enneaden, zitiert nach Drews: Plotin, 1907, S. 1 79. 83 •In erster Linie ist in den Dingen die Einheit, durch welche jedes mit sich selber eins ist, aus sich selber besteht und mit sich selber zusammenhängt. Zweitens ist (es) die (Einheit), durch welche eine Kreatur mit der anderen geeint wird und durch welche schließlich alle Teile der Welt eine Welt ausmachen. Die dritte und hauptsächlichste ist die, durch welche das ganze Weltall mit seinem Schöpfer wie ein Heer mit seinem Führer eins ist.« (Heptaplus, 1 557, Buch 6, S. 40 f.) • . . . e.ine Einheit, in der Weise dreifach gegliedert, daß sie von der Einfachheit der Einheit nicht abweicht.•
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
71
ter . . . «84 Wie Gott quasi die copula der Welt darstellt, so auch der Mensch innerhalb der Schöpfung. >>Faciamus«, sagt Pico, >>homi nem ad imaginem nostram, qui non tarn quartus est mundus, quasi nova aliqua creatura, quam trium (mundus supercoelestis, coele stis, sublunaris) quos diximus complexus et colligatio. <<85 Der Mensch ist in Körper und Geist »der kleine Gott der Welt<<, der Mikrokosmos (»Gott . . . hat den Menschen in die Mitte [der Welt] gestellt nach seinem Bilde und der Gleichheit der Formen. << ) . So wie Gott ist daher auch der Mensch ein Zentrum des Geschehens, und alle Dinge sind auch auf ihn ausgerichtet.86 Dieser der moder nen Auffassung so fremdartige Gedanke beherrschte das Weltbild bis in unsere Zeit, nämlich bis die Naturwissenschaft die Unterle genheit des Menschen unter die Natur und seine äußerste Abhän gigkeit von Ursachen dartat. Damit wurde die Idee einer Zuord nung und einer Ausrichtung des Geschehens auf den Sinn (der nur mehr als menschlich gelten konnte) in eine dermaßen entfernte und verdunkelte Region verbannt, daß sie sich der Vernunft als unauffindbar erwies. Schopenhauer hat sich sozusagen nachträg lich ihrer erinnert, nachdem sie bei Leibniz noch ein Hauptstück der Welterklärung gebildet hatte. Vermöge seiner mikrokosmischen Natur ist der Mensch ein Sohn des Himmels respektive des Makrokosmos. »Ich bin ein Stern, der mit euch seine Wandelbahn geht<< , lautet ein Bekenntnis der MithrasliturgieY Der Mikrokosmos ist in der Alchemie gleichbedeutend mit dem »rotundum<< , ein seit Zosimos von Pano polis (3. Jahrhundert) beliebtes Symbol, welches auch als Monas bezeichnet wurde. Die Idee, daß der innere und der äußere Mensch zusammen das Ganze, die Hippokratische ülomelie, nämlich einen Mikrokosmos, also jenen kleinsten Teil, in welchem der »große Anfang<< (arche megale) ungeteilt anwesend ist, darstelle, dieser Gedanke kenn zeichnet auch die Geistesart des Agrippa von Nettesheim. Er sagt : »Est Platonicarum omnium unanimis sententia, quemadmodum in archetypo mundo omnia sunt in omnibus, ita etiam in hoc corpo reo mundo, omnia in omnibus esse, modis tarnen diversis, pro " •Bei der Geburt hat der Vater allenthalben Samen und Keime vielgestaltigen Lebens dem Menschen eingesenkt.« (Ebenda, S. 3 1 5 .) 85 Ebenda, Buch 5, Kap. 6, S. 3 8 : •Laßt uns den Menschen zu unserem Bilde machen, der zwar keine vierte Welt, (also) gleichsam irgendeine neue Kreatur ist, sondern viel mehr die Umfassung und Verbindung dreier (Welten, d. h. der überhimmlischen, der himmlischen und der sublunaren) ist.« 86 Picos Lehre ist ein charakteristisches Beispiel für die mittelalterliche Korrespon denzanschauung. Eine gute Darstellung der kosmologischen und astrologischen Ent sprechung findet sich bei Alfons Ros en b e rg : Zeichen am Himmel, 1949. 87 Dieterich: Eine Mithrasliturgie, 1910, S. 9.
72
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄT
natura videlicet suscipientium : sie et elementa non solum non sunt in istis inferioribus, sed et in coelis, in stellis, in daemonibus, in angelis, in ipso denique omnium opifice et archetypo. «88 Die Alten hätten gesagt : >>Ümnia plena diis esse. << (Alles sei von Göttern erfüllt. ) Diese Götter seien »virtutes divinae in rebus diffusae« (göttliche Kräfte in den Dingen verteilt) . Zoroaster habe sie als »divinae illices« (göttliche Lockungen) und Synesius als »symboli cae illecebrae« (symbolische Köder) bezeichnet.89 Letztere Inter pretation kommt dem Begriff der archetypischen Projektionen in der modernen Psychologie schon recht nahe, obschon von den Tagen des Synesius bis herauf in die neuere Zeit es keine Erkennt niskritik gab, geschweige denn deren neueste Form, nämlich die psychologische. Agrippa teilt mit den Platonikern die Ansicht, daß den Dingen der unteren Welt eine gewisse Kraft (vis) innewohne, vermöge welcher sie zu einem großen Teil mit denen der oberen Welt übereinstimmten, und daß daher die Tiere mit den »göttli chen Körpern« (das heißt den Himmelskörpern) zusammenhingen und mit ihren Kräften diese affizierten.90 Er zitiert dazu den Ver gilschen Vers : H aud equidem credo, quia sit divinitus illis Ingenium, aut rerum fato prudentia maior.91 Damit deutet Agrippa auf ein den lebenden Wesen angeborenes »Wissen« oder »Vorstellen« hin, zu dem in unserer Zeit auch Driesch92 rekurriert. Man gerät in der Tat nolens volens in diese Verlegenheit, sobald man ernstlich über die zielgerichteten Vor gänge in der Biologie nachdenkt oder die kompensierende Funk tion des Unbewußten genauer untersucht oder gar das Synchroni zitätsphänomen erklären will. Die sogenannten finalen Ursachen setzen - man kann es drehen, wie man will - ein Vorauswissen 88 Agrippa von Netteshei m : De occulta philosophia libri tres, 1 533, Buch I , Kap. 8, S. XII: •Es ist die einmütige Auffassung aller Platoniker, daß, wie in der archetypischen Welt, Alles in Allem ist, so auch in dieser Körperwelt Alles in Allem sei, zwar in verschiedener Weise, je nach der Natur der aufnehmenden (Wesen oder Dinge). So sind auch die Elemente nicht allein in dieser unteren Welt, sondern auch im Himmel, in den Sternen, in den Dämonen, in den Engeln und schließlich (auch) im Schöpfer und Arche typus des All.• 89 Agrippa (ebenda, Buch I , Kap. 14, S. XIX) stützt sich hier auf die Übersetzung von Marsilius Ficinus (Auctores Platonici, 1 497). Bei Synesius (Opuscula, III B) heißt es to thelgomenon von thelgein = reizen, entzücken, bezaubern. 90 Agrippa von Nettesheim : De occulta philosophia, 1 533, Buch I, Kap. 55, S. LXI I I . ' Ähnliches b e i Paracelsus. 91 »Ich wenigstens glaube nicht, daß sie mit einem göttlichen Geiste oder mit einer Voraussicht der Dinge, größer als das Orakel, begabt seien.• 92 Driesch : Die •Seele• als elementarer Naturfaktor, 1903, S. 80 und 82.
SYN C H R O N I ZITÄT ALS E I N P R I N Z I P
73
irgendwelcher Art. Es ist sicherlich keine Kenntnis, die mit dem Ich verbunden wäre, also kein bewußtes, wie wir es kennen, son dern vielmehr ein an sich bestehendes oder vorhandenes >>unbe wußteS<< Wissen, das ich als absolutes Wissen bezeichnen möchte. Es ist darunter keine Erkenntnis zu verstehen, sondern, wie Leib niz treffend formuliert, ein Vorstellen, das aus subjektlosen »simu larca<< , aus Bildern besteht, oder - vorsichtiger ausgedrückt - zu bestehen scheint. Diese postulierten Bilder sind vermutlich dassel be wie die von mir angenommenen Archetypen, die sich als forma le Faktoren bei spontanen Phantasiebildungen nachweisen lassen. In moderner Sprache ausgedrückt, würde die Idee des Mikrokos mos, der »die Bilder aller Kreatur<< enthält, das kollektive Unbe wußte darstellen.93 Mit dem »Spiritus mundi<< , dem »Iigamentum animae et corporis<<, der »essentia quinta<<,94 die Agrippa mit den Alchemisten gemeinsam hat, ist wohl das Unbewußte gemeint. Dieser Geist, der >>alles durchdringt<<, das heißt alles abbildet, ist nach ihm die Weltseele : »Est itaque anima mundi, vita quaedam unica omnia replens, omnia perfundens, omnia colligans et con nectens, ut unam reddat totius mundi machinam . . . <<95 Die Dinge, in denen dieser Geist besonders mächtig ist, haben daher eine Tendenz, »sich (selber) Ähnliches zu erzeugen<<,96 das heißt Korre spondenzen respektive sinngemäße Koinzidenzen hervorzubrin gen.97 Von diesen gibt Agrippa lange Listen, basiert auf den Zahlen 93 V gl. meine Darstellung in Theoretische Ü berlegungen zum Wesen des Psychischen, GW 8 . 9' Darüber sagt Agrippa: •Quoddam quintum super illa (elementa) a u t praeter illa subsistens.« (Buch 1, Kap. 14, S. XIX.) 95 •So ist die Weltseele ein gewisses einziges Leben, das alles erfüllt, alles durchströmt, alles zusammenbindet und in Zusammenhang bringt, damit sie Eines mache aus der Maschine der ganzen Welt . . . « (Buch 2, Kap. 57, S. CCIII . ) 96 potentius perfectiusque agunt, turn etiam promptius generant sibi simile.« (Ebenda.) 97 Der Zoologe A. C. Hardy macht ähnliche Überlegungen: •Perhaps our ideas on evolution may be altered if something akin to telepathy - unconscious no doubt - were found to be a factor in moulding the patterns of behaviour among members of a species. If there was such a nonconscious group-behaviour plan, distributed between, and lin king, the individuals of the race, we might find ourselves coming back to something like those ideas of subconscious racial memory of Samuel Butler, but on a group rather than an individual basis.« (•Vielleicht würden sich unsere Vorstellungen von der Evolution verändern, wenn sich etwas der Telepathie Verwandtes - zweifellos Unbewußtes - als Gestaltungsfaktor für die Verhaltensmuster unter den Individuen einer Spezies entdek ken ließe. Wenn es einen solchen nicht bewußten Plan für das Gruppenverhalten gäbe, zwischen den einzelnen Gliedern einer Rasse wirksam und sie untereinander verbindend, so ließe sich feststellen, daß wir zu etwas wie den Vorstellungen von einem unbewußten Rassegedächtnis im Sinne Samuel Butlers - aber eher auf Gruppen - als auf individueller Basis - zurückkehren würden.«) (The Scientific Evidence for Extra-Sensory Perception, 1949, s. 328.
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄT
74
von Eins bis Zwölf.98 Eine ähnliche, mehr alchemistisch orientierte Korresr ondenztabelle findet sich in einem Traktat des Aegidius de Vadis.9 Von diesen möchte ich nur die »Scala unitatiS<< hervorhe ben, weil sie symbolgeschichtlich von besonderem Interesse ist: >>Jod (der Anfangsbuchstabe des Tetragrammaton, des Gottesna mens) - anima mundi - so! - Iapis philosophorum - cor - Luci fer<< . 100 Ich muß mich mit der Andeutung begnügen, daß es sich hier um einen Versuch zur Archetypenordnung handelt. Es beste hen in dieser Hinsicht empirisch nachweisbare Tendenzen des Un bewußten . 1 01 Agrippa war ein älterer Zeitgenosse des Theophrastus Paracelsus und hat auf letzteren nachweislichen Einfluß ausgeübt. 1 02 Es ist daher nicht erstaunlich, wenn sich das Paracelsische Denken als von der Korrespondenzidee in j eglicher Hinsicht durchdrungen erweist. So sagt Paracelsus : >> Einer der da will ein Philosophus sein I und darinn kein falsch legen I der muß den grund der Philo sophey dermaßen setzen I das er Himmel unnd Erden in einen Microcosmum mache I unnd nicht umb ein härlen fehlschieß. Also auch einer der da wil auß dem grund der Artzney schreiben I der muß auch nicht umb ein härlen fehlen I anderst dann das er auß dem Microcosmo den Lauff der Himmel und der Erden mach : Also das der Philosophus anderst nichts find im Himmel und in der Erden I anderst dann dz er im Menschen auch findt. Unnd das der Artzt nichts findt im Menschen I dann was Himmel und Erden auch haben : Und das diese zwey nichts anders scheiden von einan der I dann die gestalt der Form I und dz doch die form zu beiden seiten in eim ding verstanden wurde I usw . << 1 03 Psychologisch auf den Arzt zugespitzt, heißt es im >Paragranum < : 1 04 >>Darumb nit vier I sondern ein Arcanum, aber vierecket gsetzt I wie ein Thurn auff die vier Win d : Und als wenig ein Thurn einen Eck mangeln mag I also wenig mag ein Artzt deren theilen eins gerathen . . . Und zu gleicher [Zeit] weiß [er] wie (durch) ein Ey in einer Eyerschalen I die Welt Figuriert wirdt I und ein Hünlin mit allen seinen Fetti gen darinn verborgen ligt : Also sollen die ding alle I was die Welt 98
Buch 2, Kap. 4-14. Aegidius de Vadis: Dialogus inter Naturam et filium Philosophiae. I n : Theatrum chemicum, 1 602, Bd. 2, S. 1 23 . 100 Agrippa, Buch 2 , Kap. 4, S. 104. 1 01 Vgl. dazu die Untersuchung der Symbolik des >Goldnen Topfes• von E. T. A. Hoffmann bei Aniela Jaffe: Bilder und Symbole aus E . T. A. Hoffmanns Märchen ·Der Goldne Topf•, 1950. 102 Vgl. Paracelsus als geistige Erscheinung, GW 13, § 1 4 8 . 103 Paracelsus : D a s Buch Paragranum, 1903, S. 3 5 f. Ähnliches i n : Labyrinthus medi corum (Werke, hrsg. von Sudhoff und Ma!!hiesen, Bd. I I , S. 204 ff.). 104 Ebenda, S. 34. 99
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
75
und d' Mensch begreiHen I im Artzt verborgen Iigen. Und wie die Hennen die figurierte Welt in d'Shalen durch ihr brüten verwand let in ein Hünlin : Also durch die Alchimey werden gezeitigt die Arcana I so Philosophisch im Artzt ligend . . . Hierinn ligt die irrung I daß der Artzt nicht recht fürgenommen ist worden.<< 1 05 Was gerade diese Äußerung für die Alchemie bedeutet, habe ich an anderen Beispielen in meiner >Psychologie und Alchemie< ausführ lich gezeigt. In ähnlicher Weise dachte auch Johann Kepler. So sagt er in seinem >Tertius interveniens< : 1 06 Die niedere Welt ist an den Him mel gebunden und ihre Kräfte werden von oben regiert »nach Aristotelis Lehre : Nemlich daß in dieser niedem Welt oder Erden kugel stecket ein Geistische Natur, der Geometria fähig, welche sich ab den Geometrischen und Harmonischen Verbindungen der himmlischen Liechtstraalen ex instinctu creatoris, sine ratiocina tione erquicket, und zum Gebrauch jhrer KräHten selbst auHmun dert und antreibt. << »Üb alle Kräutter und Thier diese Facultet so wol als die Erdekugel in jhnen haben, kan ich nicht sagen. Kein ungläublich ding ist es nicht . . . es ist überall der instinctus dinvi nus, rationis particeps, und gar nicht deß Menschens eygne WitZ . << »Daß aber auch der Mensch mit seiner See! und deroselben nideren KräHten eine solche Verwandtnuß mit dem Himmel habe wie der Erdtboden, mag in viel wege probiert und erwiesen werden . . . << 1 0 7 Über den astrologischen »Charakter<< , das heißt die astrologi sche Synchronizität, sagt er folgendes : »Dieser Character wirdt empfangen nicht in den Leib, dann dieser ist viel zu ungeschickt hierzu, sondern in die Natur der Seelen selbsten, die sich verhält wie ein Punct, darumb sie auch in den Puncten deß confluxus radiorum mag transformiert werden, und die da nicht nur deren Vernunfft theilhaHtig ist, von deren wir Menschen vor andern lebenden Creaturen vernünHtig genennet werden, sondern sie hat auch ein andere eyngepflantzte Vernunft, die Geometriam so wo! in den radiis als in den vocibus, oder in der Musica, ohn langes erlernen, im ersten Augenblick zu begreiHen.<<108 >>Fürs dritte ist diß auch ein wunderlich Ding, daß die Natur, welche diesen Cha racterem empfähet, auch jhre angehörige zu etwas Gleichheiten in constellationibus coelestibus befürdert. Wann die Mutter großes Leibs und an der natürlichen Zeit ist, so sucht dann die Natur 105 Ä hnliche Vorstellungen finden sich auch bei Jacob Böhme: •Der Mensch hat zwar alle Gestaltnüsse aller drey Welten in ihme liegen I dann er ist ein Bild Gottes oder des Wesens aller Wesen . . . • (De signatura rerum, 1682, S. 6.) Je<; 1 6 1 0 ; Opera omnia, Bd. I . 107 Ebenda, S. 605 ff., Thesis 64. 108 Ebenda, Thesis 65.
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄ T
76
einen Tag und Stund z u r Geburt, d e r sich mit der Mutter jhres Vattern oder B rudern Geburt Himmels halben (non qualitative, sed astronomice et quantitative) vergleichet . . . << 1 09 ,,zum vierdten, so weiß ein j ede Natur nicht allein j hren characterem coelestem, sondern auch jedes Tags himmlische configurationes und Läuffe so wo!, daß so offt ihr ein Planet de praesenti in jhres characteris aseendentern oder loca praecipua kömpt, sonderlich in die Natali tia sie sich dessen annimbt und dadurch unterschiedlich affectio nirt und ermundert wird . << 1 1 0 Kepler vermutet, daß das Geheimnis der wundersamen Entspre chung in der Erde begründet sei, denn diese sei durch eine anima telluris beseelt, für deren Existenz er eine Reihe von Beweisen anführt, unter anderem die beständige unterirdische Wärme, die der Erdseele eigentümliche Erzeugung der Metalle, Mineralien und Fossilien, die facultas formatrix, die derjenigen des Mutterlei bes ähnlich sei und Gestalten hervorbringen könne im Inneren der Erde, die sonst nur außen vorkämen, nämlich von Schiffen, Fi schen, Königen, Päpsten, Mönchen, Soldaten und so weiter,1 1 1 ferner die Ausübung der Geometrie, denn sie bringe die fünf Kör per und die sechseckigen Figuren in Kristallen hervor. Die anima telluris habe dies alles durch einen urtümlichen Antrieb, und nicht durch Ü berlegung und Schlußfolgerung des Menschen . 1 12 Der Sitz der astrologischen Synchronizität sei nicht in den Planeten, sondern vielmehr in der Erde, 1 1 3 aber nicht in der Mate rie, sondern eben in der anima telluris . Jede Art von natürlichen oder lebendigen Kräften in den Körpern habe daher eine gewisse Gottähnlichkeit. 1 1 4 Aus diesem geistigen H intergrund trat Gottfried Wilhelm Leib niz ( 1 646-1 7 1 6) mit der Idee der »prästabilierten Harmonie<< , nämlich eines absoluten Synchronismus der psychischen und der p hysischen Ereignisse hervor. Diese Lehre hat im Begriff des »psy chophysischen ParallelismuS<< ihren Ausklang gefunden. Auch die p rästabilierte Harmonie und die oben erörterte Idee SchopenhauEbenda, Thesis 67. Ebenda, Thesis 68. 111 Siehe dazu die S. 81 berichteten Träume. 1 12 » . . . formatrix facultas est in visceribus Terrae, quae feminae praegnanris rnore occursantes foris res humanas, veluti eas videret, in fissilibus lapidibus exprimit, ut militum, monarchorum, pontificum, regum et quicquid in ore hominum est . . . « (Kepler: Opera omnia, Bd. 5, S. 254; ähnlich Bd. 2, S. 270f., ebenso Bd. 6, S. 1 78 f.) ID ». • . quod sei. principatus causae in terra sedeat, non in planetis ipsis . . . (Ebenda, Bd. 2, S. 642 .) 1 14 » . . . u t omne genus naturalium vel animalium facultatum in corporibus Dei quan dam gerat similitudinem.« (Ebenda, Bd. 2, S. 643) Ich verdanke den Hinweis auf Kepler der freundlichen Kooperation von Frau Dr. L. Frey-Rohn und Frl. Dr. M.-L. v. Franz. 109
110
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
77
ers von der durch die Einheit der prima causa bewirkten Gleich zeitigkeit und Verwandtschaft kausal nicht unmittelbar verbunde ner Ereignisse bedeuten im Grund nichts anderes als eine Wieder holung der peripatetischen Anschauung, allerdings mit einer mo dernen deterministischen Begründung im Falle Schopenhauers und einer teilweisen Ersetzung der Kausalität durch eine präzedie rende Zusammenordnung im Falle von Leibniz. Für ihn ist Gott der Urheber der Anordnung. So vergleicht er Seele und Körper mit zwei synchronisierten Uhren 1 1 5 und drückt mit demselben Gleichnis auch die Beziehung der Monaden oder Enteleebien un ter sich aus. Obschon die Monaden nicht gegenseitig aufeinander einwirken können (relative Aufhebung der Kausalität!), da sie >>keine Fenster« haben, 1 1 6 so sind sie doch so beschaffen, daß sie 1 1 5 Leibniz: Kleinere philosophische Schriften, Zweite Erläuterung des Systems über den Verkehr zwischen den Substanzen (1 883, S . 68). Auf der gleichen Seite sagt Leibniz: »Gott hat gleich bei Anbeginn jede von diesen beiden Substanzen (sei. Seele und Körper) so geschaffen, daß sie, indem sie nur ihren eigenen Gesetzen folgt, die sie gleichzeitig mit ihrem Dasein empfangen hat, dennoch mit der andern zusammenstimmt, ganz als ob eine wechselseitige Einwirkung zwischen ihnen bestände oder als ob Gott neben seiner allge meinen Mitwirkung auch immer noch im besondern Hand dabei anlegte.• Hier ist auch anzumerken, worauf mich Herr Prof. Pauli dankenswerterweise aufmerksam macht, daß Leibniz seine Idee der sychronisierten Uhren möglicherweise von dem flämischen Philo sophen Arnold Geulincx ( 1 625-1699) bezogen hat. In der >Metaphysica vera< findet sich zur octava scientia ( Arnoldi Geulincx Antverpiensis opera philosophica, Bd. 2, S. 194f.) eine Annotation (S. 296), welche besagt: » . . . quod non amplius horologium voluntatis nostrae quadret cum horologio motus in corpore• (daß die Uhr unseres Willens mit der Uhr der Bewegungen innerhalb unseres Körpers nicht weitgehender übereinstimme). Eine weitere Annotation (S. 297) präzisiert: »Volumas nostra null um habet influxum, causalitatem, determinationem, aut efficaciam quamcunque in motum . . . cum cogiratio nes nostras bene excutimus, nullam apud nos invenimus ideam seu notionem determina tionis . . . Restat igitur Deus solus primus motor et solus motor, qui et ita motum ordinat atque disponit et ita simul volumati nostrae licet libere moderatur, ut eodem temporis momento conspiret et voluntas nostra ad projiciendum v. g. pedes inter ambulandum, et simul ipsa illa pedum projectio seu ambulatio.<< (Unser Wille ist von keinerlei Einfluß, Verursachung, Bestimmung oder Auswirkung in bezug auf die Bewegung . . . wenn wir unsere Gedanken genau untersuchen, so finden wir in uns selbst keinerlei Vorstellung oder Begriff von Bestimmung . . . Gott allein bleibt daher der erste Beweger und einzige Beweger, da er auf diese Weise auch die Bewegung festsetzt und ordnet und so mit unserem Willen frei zur Übereinstimmung bringt, daß zum gleichen Zeitpunkt sowohl unser Wille, beispielsweise die Füße zum Gehen vorwärtsbewegt als auch gleichzeitig die Vorwärtsbewegung der Füße beziehungsweise das Gehen wünscht.) Annot. zur nona sciemia (S. 298) bemerkt: »Mens nostra . . . penitus independens est ab illo (sei. corpore) omniaque quae de corpore scimus jam praevie quasi et ante nostram cognitionem esse in corpore. Ut illa quodammodo nos in corpore legamus, non vero inscribamus, quod Deo proprium est.<< (Unser Geist ist von jenem Körper innerlich unabhängig, und alles, was wir vom Körper wissen, ist schon im voraus und vor unserer Erkenntnis im Körper. So daß wir uns damit gleichsam von unserem Körper ablesen können, jedoch nicht darein einschreiben, denn das steht Gott allein zu.) Diese Anschau· ung antizipiert in gewissem Sinne das Uhrengleichnis von Leibniz. 116 Ebenda, Monadologie, § 7, S. 1 5 1 : »Die Monaden haben keine Fenster, durch
78
SYNC H R O N I ZITÄT, AKAUSALITÄT
immer übereinstimmen, ohne voneinander Kunde z u haben. E r faßt j ede Monade als >>kleine Welt« oder als »tätigen unteilbaren Spiegel« auf. 1 17 Der Mensch ist also nicht nur ein das Ganze in sich schließender Mikrokosmos, sondern überhaupt jede Entelechie beziehungsweise Monade ist annähernd ein solcher. Jede »einfache Substanz<< hat Beziehungen, »die alle übrigen ausdrücken<< . Sie ist daher »ein beständiger, lebender Spiegel des Universums . << 1 1 8 Er nennt die Monaden lebender Körper »Seelen<< : »Die Seele folgt ihren eigenen Gesetzen und ebenso der Körper den seinen, sie begegnen sich aber vermöge der zwischen allen Substanzen vor herbestimmten Harmonie, da sie sämmtlich Darstellungen des nämlichen Universums sind .<< 1 19 Damit ist der Gedanke, daß der Mensch einen Mikrokosmos darstellt, deutlich ausgesprochen. Die Seelen sind, wie Leibniz sagt, »im allgemeinen lebende Spiegel oder B ilder des Universums der geschaffenen Dinge . . . << Er unter scheidet sie einerseits von den Geistern, welche »Bilder der Gott heit<< und "fähig sind, das System des Universums zu erkennen und einen Theil davon durch aufbauende Proben nachzuahmen, da jeder Geist in seinem Bereiche gleichsam eine kleine Gottheit ist<< ; 1 20 andererseits von den Körpern, welch letztere »nach den Gesetzen der bewirkenden Ursachen oder der Bewegungen<<, wäh rend die Seelen »nach den Gesetzen der Zweckursachen durch Begehrungstriebe, Zwecke und Mittel<< handeln.l2l In der Monade beziehungsweise der Seele finden Veränderungen statt, deren Ur sache der »Begehrungstrieb<< ist. 122 »Der dem Wechsel unterworfe ne Zustand, der eine Menge in der Einheit oder einfachen Substanz umschließt und vorstellt, ist nichts anderes als was ich Vorstellung nenne<< , sagt Leibniz.123 Die "Vorstellung<< ist »der innere, die Au ßendinge darstellende Zustand der Monade<< , welcher von der be wußten Anschauung zu unterscheiden ist. Die Vorstellung näm lich ist unbewußt. 124 Hierin hätten die Cartesianer gefehlt, meint welche etwas ein- oder austreten könnte . . . Daher kann weder eine Substanz noch ein Accidenz von außen in die Seele eintreten . « 1 1 7 Entgegnung auf die Bemerkungen im •Bayleschen Wörterbuch< (ebenda, S. 1 05). 118 Monadologie, § 56, S. 1 63 : »Diese Verknüpfung oder Anpassung aller erschaffenen Dinge an jedes einzelne und jedes einzelnen an alle übrigen hat nun aber zur Folge, daß jede einfache Substanz Beziehungen hat, die alle übrigen ausdrücken, und daß sie folglich ein beständiger lebendiger Spiegel des Universums ist.• 1 19 Monadologie, § 78, S. 1 69 . 1 20 Monadologie, § 83, S. 1 70, und Theodicee, B, § 1 47. 12 1 Monadologie, § 79, S . 1 69. 1 22 Monadologie, § 1 5, S. 1 53 . "' Monadologie, § 1 4 , S. 1 52. 1 2 4 Kleinere philosophische Schriften, Die in der Vernunft begründeten Principien der Natur und der Gnade, § 4, S. 1 40 f .
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
79
er, daß sie die Vorstellungen, die man nicht wahrnimmt, für nichts rechneten.125 Das Vorstellen der Monade entspricht dem Wissen, und ihr Begehrungstrieb dem Willen in Gott.126 Aus diesen Ausführungen wird ersichtlich, daß Leibniz neben der kausalen Verknüpfung einen durchgehenden prästabilierten Parallelismus der Ereignisse innerhalb und außerhalb der Monade annimmt. Das Synchronizitätsprinzip wird damit zur absoluten Regel in allen Fällen, wo es sich um ein gleichzeitiges äußeres und inneres Geschehen handelt. Demgegenüber müssen wir aber in Berücksichtigung ziehen, daß die empirisch feststellbaren syn chronistischen Phänomene, weit entfernt davon, eine Regel zu bil den, relativ so seltene Ausnahmen darstellen, daß ihr Vorkommen meistens bezweifelt wird. Sie sind allerdings in Wirklichkeit wohl viel häufiger, als man denkt und nachweisen kann, aber es ist noch unbekannt, ob und in welchem Erfahrungsgebiet sie eine derartige Häufigkeit oder Regelmäßigkeit bilden, daß man von einem ge s�tzmäßigen Vorkommen reden könnte.127 Wir wissen bis heute nur soviel, daß es ein allen derartigen (verwandten) Erscheinungen zugrunde liegendes Prinzip geben muß, aus welchem sie mög licherweise erklärt werden könnten. Die primitive Auffassung sowohl wie die antike und mittelalter liche Naturanschauung setzen das Vorhandensein eines derartigen Prinzips neben der Kausalität voraus. Noch bei Leibniz ist letztere weder einzig noch auch nur vorherrschend. Im Laufe des 1 8 . Jahr hunderts ist sie dann zum ausschließlichen Prinzip der Naturwis senschaft geworden. Mit dem Aufstieg der Naturwissenschaften im 19.Jahrhundert ist die correspondentia dann allerdings von der Bildfläche verschwunden, und damit schien die magische Welt frü herer Zeiten endgültig untergegangen zu sein, bis dann gegen das Ende des Jahrhunderts die Gründer der Society for Psychical Re search die Frage indirekt durch die Erforschung des sogenannten telepathischen Phänomens aufs neue aufrollten. Die oben geschilderte mittelalterliche Denkweise liegt allen den magischen und mantischen Prozeduren zugrunde, welche seit je her eine große Rolle gespielt haben. Einem mittelalterlichen Geiste käme die Rhinesche Experimentanordnung als magische Hand125 Monadologie, § 14, S. 1 52. Vgl. dazu die Abhandlung von M.-L. v. Franz: Der Traum des Descartes, 1952 . 126 Monadologie, § 48, S. 1 6 1 , und Theodicee, B, § 1 49. 127 Ich muß hier allerdings nochmals die Möglichkeit hervorheben, daß das Verhältnis von Körper und Seele als eine Synchronizitätsbeziehung verstanden werden könnte. Sollte sich diese bloße Vermutung einmal bestätigen, so müßte meine heutige Ansicht, daß Synchronizität ein relativ seltenes Phänomen sei, korrigiert werden. Siehe hiezu die Ausführungen von C. A. Meier: Zeitgemäße Probleme der Traumforschung, 1950, S. 22.
80
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄ T
l u n g vor, deren Effekt aus diesem Grunde auch nicht erstaunlich wäre. Er wurde als »Übertragung<< gedeutet, was übrigens auch heute noch allgemein der Fall ist, obschon es, wie gesagt, keinerlei Möglichkeiten gibt, sich eine empirisch begründbare Vorstellung von dem übertragenden Medium zu machen. Ich b rauche wohl nicht hervorzuheben, daß für den primitiven Geist die Synchronizität eine selbstverständliche Voraussetzung bedeutet, weshalb es auf seiner Stufe auch keine Zufälle gibt. Es gibt sozusagen keinen Unfall, keine Krankheit, keinen Todesfall, der zufällig wäre und auf >>natürlichen<< Ursachen beruhen würde. Alles gründet sich irgendwie auf eine magische Bewirkung. Das Krokodil, das einen Mann beim Baden erwischt, ist von einem Zauberer ausgesandt; die Krankheit ist durch den Geist eines Soundso verursacht; die Schlange, die am Grabe der verstorbenen Mutter erscheint, ist natürlich deren Seele und so weiter. Selbstver ständlich erscheint auf primitiver Stufe die Synchronizität nicht als ein B egriff ihrer selbst, sondern als >>magische<< Kausalität. Letzte re stellt die Frühform unseres klassischen Kausalitätsbegriffes dar, während die Entwicklung der chinesischen Philosophie aus der Konnotation des Magischen den >> Begriff<< des Tao, der sinngemä ßen Koinzidenz, hervorgebracht hat, nicht aber eine auf Kausalität beruhende Naturwissenschaft. Die Synchronizität setzt einen in bezug auf das menschliche Bewußtsein apriorischen Sinn voraus, der außerhalb des Menschen vorhanden zu sein scheint. 128 Eine derartige Annahme erscheint vor allem in der Philosophie Platons, welche die Existenz trans zendentaler Bilder oder Modelle der empirischen Dinge, die soge nannten eide (Gestalten, species), deren Abbilder (eidola) die Din ge sind, annimmt. Diese Annahme hat früheren Jahrhunderten nicht nur keine Schwierigkeit bedeutet, sondern war vielmehr so zusagen eine Selbstverständlichkeit. Die Idee eines a priori vorhan denen Sinnes dürfte auch in der Vorstellung der älteren Mathema tik liegen, wie des Mathematikers Jacobi Paraphrase des Schiller sehen Gedichtes >Archimedes und der Jüngling< zeigt. Er preist die Berechnung der Uranusbahn und schließt mit den Versen : Was du i m Kosmos erblickst, ist nur der Göttlichen Abglanz, In der Olympier Schaar thronet die ewige Zahl. 128 In Anbetracht der Möglichkeit, daß die Synchronizität nicht nur eine psychophysi sche Erscheinung ist, sondern sich auch ohne Beteiligung der menschlichen Psyche ereignen könnte, möchte ich hier schon erwähnen, daß in diesem gedachten Fall nicht mehr von Sinn, sondern vielmehr von Gleichartigkeit oder Konformität gesprochen werden müßte.
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
81
Dem großen Mathematiker Gauß wird das Wort zugeschrieben : ho theos arithmetizei (Gott treibt Arithmetik).129 Die Annahme einer Synchronizität und eines an sich bestehen den Sinnes, welche die Grundlage des klassischen chinesischen Denkens und die naive Voraussetzung des Mittelalters bildet, er scheint uns heute als ein Archaismus, der tunliehst zu vermeiden ist. Der Westen hat zwar diese altertümliche Voraussetzung soviel wie möglich abgestreift, allerdings nicht ganz. Gewisse mantische Prozeduren scheinen zwar ausgestorben zu sein ; die Astrologie aber, welche in unserer Zeit eine nie zuvor erreichte Höhe erklom men hat, ist geblieben. Auch der Determinismus des naturwissen schaftlichen Zeitalters hat es nicht vermocht, die Überzeugungs kraft des Synchronizitätsprinzips gänzlich auszulöschen. Es han delt sich dabei eben letzten Endes nicht um einen Aberglauben, sondern um eine gewisse Wahrheit, die nur darum so lange nicht gesehen worden ist, weil sie weniger mit dem materiellen Aspekt der Ereignisse als vielmehr mit deren psychischem zu tun hat. Es sind die moderne Psychologie und Parapsychologie, welche dar tun, daß die Kausalität eine gewisse Anordnung der Ereignisse nicht erklärt und daß als Erklärungsprinzip in diesem Fall ein formaler Faktor, nämlich die Synchronizität, in Frage kommt. Für psychologisch Interessierte möchte ich hier erwähnen, daß die eigenartige Vorstellung eines an sich bestehenden Sinnfaktors in Träumen angedeutet wird. Als einmal in meinem Kreise dieser Begriff diskutiert wurde, fiel die Bemerkung : >>Das geometrische Quadrat kommt in der Natur nicht vor, ausgenommen in Kristall flächen. « Eine bei diesem Gespräch anwesende Dame träumte in der folgenden Nacht : Im Garten ist eine große Sandgrube, in wel cher Ablagerungsschichten zutage treten. Dort entdeckt sie, in ei ner Schicht liegend, dünne, schiefrige Platten aus grünem Serpen tin. Auf einer derselben sieht sie schwarze, konzentrisch angeord nete Quadrate. Die schwarze Farbe ist nicht aufgemalt, sondern eine im Stein befindliche Verfärbung, ähnlich wie die Zeichnung eines Achats. Ähnliche Zeichnungen finden sich auf zwei bis drei anderen Platten, die ein (der Träumerin oberflächlich bekannter) Herr A. an sich nimmt. 130 Ein anderes Traummotiv derselben Art 129 In einem Briefe aus dem Jahre 1 830 schreibt dann Gauß allerdings: »Wir müssen in Demuth zugeben daß, wenn die Zahl bloß unsers Geistes Product ist, der Raum auch außer unserm Geiste eine Realität hat.« (Leopold Kronecker: Über den Zahlbegriff, 1 899, S. 252.) Ebenso faßt Hermann Weyl die Zahl als Verstandesprodukt auf (Wissen schaft als symbolische Konstruktion des Menschen, 1949, S. 37S ff. ) . Markus Fierz dage gen (Zur physikalischen Erkenntnis, 1949, S. 434 ff.) neigt mehr der Platonischen Idee zu (vgl. auch Briefe über Synchronizität, S. 99-106 in diesem Band). 130 Nach den Regeln der Traumdeutung entspricht dieser Herr A. dem Animus, wel-
82
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄT
ist das folgende : Der Träumer entdeckt in einer wilden felsigen Gegend anstehende Schichten eines schiefrigen Triasgesteins. Er löst die Platten auseinander und entdeckt zu seinem maßlosen Er staunen lebensgroße menschliche Köpfe in Flachrelief auf den frei gelegten Platten. Dieser Traum hat sich in längeren Abständen mehrfach wiederholt.131 In einem anderen Fall findet der Träumer » auf einer Fahrt durch die sibirische Tundra ein längst gesuchtes Lebewesen: es ist ein mehr als lebensgroßer Hahn, der aus etwas wie dünnem, farblosem Glas besteht. Er ist aber lebendig und eben gerade zufällig aus einem mikroskopischen einzelligen Wesen ent standen, welches die Fähigkeit besitzt, plötzlich irgendwelche Tiere (die in der Tundra gar nicht vorkommen) oder sogar menschliche Gebrauchsgegenstände von irgendwelcher Größe darzustellen. Im nächsten Augenblick ist die Zufallsform jeweils spurlos verschwun den . « Ein weiterer Traum dieser Art ist der folgende : Der Träu mer spaziert in einer waldigen Gebirgsgegend. Er stößt auf eine aus dem steilen Abhang hervortretende Rippe von löcheriger Nagel fluh und findet dort einen kleinen braunen Mann, der die Farbe des von Eisenoxyd gebräunten Gesteines besitzt. 132 Dieser ist damit beschäftigt, im Fels eine kleine Höhle auszuhauen, in deren Hin tergrund im gewachsenen Gestein ein Pfeilerbündel erscheint. Auf jedem Pfeiler sitzt oben je ein dunkelbrauner Menschenkopf mit großen Augen, der äußerst sorgfältig aus einem lignitähnlichen, sehr harten Stein geschnitten ist. Der kleine Mann befreit dieses Gebilde von dem anliegenden amorphen Konglomerat. Der Träumer traut zuerst s.einen Augen nicht, muß dann aber kon statieren, daß sich dieses Gebilde tatsächlich in den gewachsenen Fels fortsetzt und daher darin ohne Zutun des Menschen entstan den sein muß. Der Träumer macht die Überlegung, daß diese Nagelfluh mindestens fünfhunderttausend Jahre alt sei und das Artefakt daher unmöglich von Menschenhänden gemacht sein könne. 133 Diese Träume scheinen das Vorkommen eines formalen Faktors in der Natur zu schildern. Es handelt sich nicht bloß um einen lusus naturae, sondern um die sinngemäße Koinzidenz eines abso luten Naturproduktes mit einer (davon unabhängigen) menschli-
eher als Personifikation des Unbewußten die Zeichnungen als lusus naturae wieder an sich nimmt, das heißt, das Bewußtsein hat dafür keine Verwendung bzw. kein Verständ nis. 13 1 I n d e r Wiederholung drückt sich eine gewisse Insistenz des Unbewußten aus, den Trauminhalt schließlich dem Bewußtsein zuzuführen. 13 2 Es handelt sich um ein Anthroparion, ein »Erzmännchen«. 1 33 Vgl. dazu die oben erwähnten Keplerschen Ideen.
S Y N C H R O N I Z I T ÄT A L S E I N P R I N Z I P
83
chen Vorstellung. Dies ist, was die Träume offenkundigerweise aussagen134 und durch Wiederholung dem Bewußtsein näherbrin gen wollen. 4. Zusammenfassung Ich betrachte diese meine Ausführungen keineswegs als endgülti gen Beweis meiner Ansicht, sondern bloß als eine Schlußfolgerung aus empirischen Prämissen, welche ich hiemit der Überlegung meiner Leser unterbreiten möchte. Ich vermochte aus dem mir vorliegenden Tatsachenmaterial keine andere Hypothese abzulei ten, die zu dessen Erklärung (inklusive der ESP-Experimente) ge nügen würde. Ich bin mir dabei hinlänglich bewußt, daß die Syn chronizität eine höchst abstrakte und unanschauliche Größe dar stellt. Sie schreibt dem bewegten Körper eine gewisse psychoide Eigenschaft zu, welche, wie Raum, Zeit und Kausalität, ein Krite rium seines Verhaltens bedeutet. Wir müssen dabei auf die Vor stellung einer mit einem lebenden Gehirn verbundenen Psyche völlig verzichten und uns vielmehr des »Sinngemäßen<< bezie hungsweise »intelligenten<< Verhaltens der niederen Lebewesen, die kein Gehirn besitzen, erinnern. Wir befinden uns dort schon in größerer Nähe des formalen Faktors, der, wie gesagt, mit einer Gehirntätigkeit nichts zu tun hat. Man müßte sich hier, wie es scheint, die Frage vorlegen, ob nicht das Verhältnis der Seele zum Leibe unter diesem Gesichtswinkel zu betrachten, beziehungsweise ob nicht die Koordination der psychischen und der physischen Vorgänge im Lebewesen als ein synchronistisches Phänomen statt einer kausalen Relation zu ver stehen wäre. Geulincx sowohl wie Leibniz betrachten die Koordi nation des Psychischen und des Physischen als einen Akt Gottes, also eines außerhalb der empirischen Natur stehenden Prinzips. Die Annahme einer Kausalrelation zwischen Psyche und Körper führt andererseits zu Schlüssen, die sich schlecht mit der Erfah rung vertragen : Entweder sind es physische Vorgänge, welche Psychisches bewirken, oder es ist eine präexistente Psyche, welche '" Wem diese Aussage unbegreiflich erscheinen sollte, der wird unter Umständen geneigt sein, auf Grund vorgefaßter Meinungen einen ganz anderen verborgenen Sinn darin zu wittern. Man kann über alles, so auch über Träume, phantasieren. Ich ziehe es vor, möglichst nahe bei der Traumaussage zu bleiben und zu versuchen, diese ihrem offenbaren Sinn entsprechend zu formulieren. Wenn es sich als unmöglich erweisen sollte, diesen Sinn mit der Bewußtseinslage des Träumers in Verbindung zu bringen, so bekenne ich, daß ich den Traum nicht verstehe, hüte mich aber, diesen mit allerhand arbiträren Kunstgriffen zu manipulieren und mit einer vorgefaßten theoretischen Mei nung in Einklang zu bringen.
84
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄ T
d e n Stoff anordnet. I n ersterem Fall i s t nicht abzusehen, w i e che mische j emals psychische Vorgänge zu erzeugen und wie in letzte rem Falle eine immaterielle Psyche j emals den Stoff in Bewegung zu setzen vermöchte. Es ist nicht nötig, an eine Leibnizsche » har monia p raestabilita<< zu denken, die nämlich absolut wäre und sich in einer allgemeinen correspondentia und sympathia kundgeben müßte, etwa ähnlich wie die Schopenhauersche sinngemäße Koin zidenz der auf dem gleichen Breitengrad liegenden Zeitpunkte. Die Synchronizität besitzt Eigenschaften, welche für die Erklä rung des Leib-Seele-Problems möglicherweise in Betracht kom men. Vor allem ist es die Tatsache der ursachelosen Anordnung oder, besser, des sinnvollen Angeordnetseins, welche auf den psy chophysischen Parallelismus ein Licht werfen könnte. Die Tatsa che des >>absoluten WissenS << , das heißt der durch keine Sinnesor gane vermittelten Kenntnis, welche das synchronistische Phäno men kennzeichnet, unterstützt die Annahme beziehungsweise drückt die Existenz eines an sich bestehenden Sinnes aus. Letztere Seinsform kann nur eine transzendentale sein, da sie sich, wie die Kenntnis zukünftiger oder räumlich distanter Ereignisse beweist, in einem psychisch relativen Raum und einer entsprechenden Zeit, das heißt in einem unanschaulichen Raum-Zeit-Kontinuum befindet. Es dürfte sich vielleicht lohnen, von diesem Gesichtspunkt aus jene Erfahrungen, welche das Vorhandensein psychischer Vorgän ge in einem nach allem Dafürhalten unbewußten Zustand wahr scheinlich machen, in nähere Betrachtung zu ziehen. Ich denke hier zunächst an die merkwürdigen Beobachtungen, die bei tiefen Synkopen nach akuten Gehirnverletzungen gemacht wurden. Ent gegen aller Erwartung hat eine schwere Kopfverletzung nicht im mer eine entsprechende Bewußtlosigkeit zur Folge. Dem von au ßen B eobachtenden erscheint der Verwundete allerdings als teil nahmslos, gelähmt, >>entrückt<< und bewußtlos. Subjektiv aber ist das B ewußtsein keineswegs erloschen. Die Sinneskommunikation mit der Außenwelt ist zwar in hohem Maße eingeschränkt, aber nicht immer völlig aufgehoben, obschon zum Beispiel der Ge fechtslärm plötzlich einer ,,feierlichen<< Stille Platz macht. In die sem Zustand tritt nun eine sehr deutliche und eindrucksvolle Levi tationsempfindung und -halluzination auf, indem der Verwundete in derjenigen Stellung, in der er sich im Momente der Verwundung befand, sich in die Luft zu erheben vermeint. Ein Stehender erhebt sich stehend, ein Liegender liegend und ein Sitzender sitzend. Ge legentlich scheint sich auch die Umgebung mit zu erheben, zum Beispiel der ganze Bunker, in welchem sich der Verletzte befindet. Die H öhe der Erhebung beträgt zwischen einem halben und vielen Metern. Die Schwereempfindung ist aufgehoben. In wenigen Fäl-
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
85
Jen glauben die Verwundeten mit den Armen Schwimmbewegun gen auszuführen. Wenn Wahrnehmung einer Umgebung vorhan den ist, so scheint sie meist imaginiert zu sein, das heißt, aus Erin nerungsbildern zu bestehen. Die Stimmung während der Levita tion ist überwiegend euphorisch. »Gehoben, feierlich, schön, selig, aufgelockert, glücklich, erwartungsfroh, gespannt<< sind die zur Kennzeichnung verwandten Ausdrücke. Es sind eine Art »Him melfahrtserlebnisse<< . 135 Jantz und Beringer heben mit Recht her vor, daß die Verwundeten sich von auffallend leichten Reizen, wie Anruf bei Namen, Berührung aus der Synkope aufwecken lassen, während der heftigste Gefechtslärm keine Wirkung hat. Ähnliches kann bei tiefen Ohnmachten, die auf anderen Ursa chen beruhen, beobachtet werden. Ich möchte ein Beispiel aus meiner eigenen ärztlichen Erfahrung erwähnen : Eine Patientin, an deren Zuverlässigkeit und Wahrheitsliebe ich keinen Grund zu zweifeln habe, erzählte mir, daß ihre erste Geburt sehr schwierig war. Nach dreißigstündiger erfolgloser Wehentätigkeit hielt es der Arzt für angezeigt, eine Zangengeburt einzuleiten. Diese wurde in leichter Narkose durchgeführt. Sie war von einem ausgiebigen Dammriß und großem Blutverlust gefolgt. Als der Arzt, ihre Mut ter und ihr Gatte fortgegangen waren und alles aufgeräumt war, wollte die Pflegerin essen gehen, und die Patientin sah sie noch unter der Türe, von wo sie fragte: ,, Wünschen Sie noch etwas, bevor ich zum Nachtessen gehe? << Die Patientin wollte antworten, konnte aber nicht mehr. Sie hatte die Empfindung, als ob sie durch das Bett hindurch in eine bodenlose Leere sänke. Sie bemerkte noch, wie die Pflegerin zu ihrem Bette eilte und ihre Hand ergriff, um den Puls zu fühlen. Aus der Art, wie sie dabei die Finger hin und her bewegte, schloß die Patientin, daß offenbar der Puls un merkbar geworden war. Da sie sich selber sehr wohlfühlte, amü sierte sie der Schrecken der Pflegerin. Sie selber war nicht im ge ringsten erschrocken. Das war das letzte, woran sie sich für unbe stimmt lange Zeit entsinnen konnte. Das nächste, was ihr nunmehr zum Bewußtsein kam, war, daß sie, ohne ein Gefühl ihres Körpers und dessen Lage zu haben, von einem Punkte unmittelbar an der Zimmerdecke herunterblickte und alles wahrnahm, was unter ihr im Zimmer vorging: Sie sah sich selber totenblaß mit geschlosse nen Augen im Bett liegen. Neben ihr stand die Pflegerin. Im Zim mer ging der Arzt aufgeregt hin und her, und es schien ihr, als hätte er den Kopf verloren und wisse nicht recht, was tun. Ihre Angehörigen kamen an die Türe. Ihre Mutter und ihr Gatte kamen 135 Jantz/Beringer: Das Syndrom des Schwebeerlebnisses unmittelbar nach Kopfver letzungen, 1944, S. 202.
86
·
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄT
herein und schauten sie erschreckt an. Die Patientin dachte, es sei doch zu dumm, daß sie meinten, sie sterbe. Sie würde ja wieder zu sich kommen. Dabei wußte sie, daß sich hinter ihr eine prachtvol le, in den lebhaftesten Farben leuchtende, parkähnliche Landschaft befand, und insbesondere eine smaragdgrüne Wiese mit kurzem Gras, welche sich an einem Hang hinaufzog und zu der im Vor dergrund ein Gattertor, durch das man in den Park eintreten konnte, führte. Es war Frühling, und kleine bunte Blumen, wie sie solche zuvor nie gesehen hatte, waren im Grase eingebettet. Die Gegend lag in strahlendem Sonnenschein, und alle Farben waren von unbeschreiblichem Glanz. Der Abhang war auf beiden Seiten flankiert von dunkelgrünen Bäumen. Die Wiese machte ihr den Eindruck einer Lichtung im Urwald, von keines Menschen Fuß je betreten . >> Ich wußte, daß hier der Eingang zu einer anderen Welt war, und daß, wenn ich mich umdrehen sollte, um das Bild direkt anzuschauen, ich mich versucht fühlen würde, durch das Tor hin ein- und damit aus dem Leben hinauszugehen.<< Sie sah diese Landschaft nicht wirklich, da sie ihr den Rücken kehrte, aber sie wußte um sie. Sie fühlte, daß nichts sie hindern würde, durch das Tor hineinzugehen. Sie wußte nur, daß sie wieder zu ihrem Körper zurückkehren und nicht sterben werde. Deshalb fand sie die Auf regung des Arztes und die Besorgnis ihrer Angehörigen dumm und ü berflüssig. D as nächste, was nun geschah, war, daß sie im Bette aus ihrer Ohnmacht erwachte und ihre Pflegerin, die sich über sie beugte, erblickte. Sie erfuhr jetzt, daß sie ungefähr eine halbe Stunde lang bewußtlos gewesen sei. Anderntags, etwa fünfzehn Stunden spä ter, als sie sich kräftiger fühlte, machte sie zur Pflegerin eine kriti sche Bemerkung über das ihr als inkompetent und »hysterisch<< erscheinende Benehmen des Arztes während ihrer Ohnmacht. Die Pfleg�rin aber wies diese Kritik energisch zurück in der begründe ten U berzeugung, daß die Patientin ja völlig bewußtlos gewesen sei und darum nichts von der Szene wahrgenommen haben könne. Erst als diese ihr die Vorgänge, die sich während der Ohnmacht abgespielt hatten, mit allen Einzelheiten beschrieb, mußte sie zu geben, daß die Patientin die Ereignisse so wahrgenommen hatte, wie sie in Wirklichkeit stattgefunden hatten. Man könnte in diesem Fall vermuten, daß es sich um einen psychogenen Dämmerzustand, in welchem noch eine abgespaltene B ewußtseinshälfte bestand, gehandelt habe. Die Patientin war aber nie hysterisch, sondern hatte einen genuinen Herzkollaps mit einer auf Gehirnanämie beruhenden Synkope erlitten, wofür alle äuße ren und offenbar alarmierenden Anzeichen sprachen. Sie war wirklich ohnmächtig und hätte dementsprechend psychisch völlig
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
87
ausgelöscht und keineswegs klarer Beobachtung und zugleich ei nes Urteils fähig sein sollen. Merkwürdigerweise war es auch nicht ein unmittelbares Innewerden der Situation durch indirekte, das heißt unbewußte Beobachtung, sondern sie sah die Gesamtsitua tion von oben, wie wenn ihre »Augen an der Zimmerdecke gewe sen wären<<, wie sie bezeichnenderweise sagte. Es ist in der Tat nicht leicht zu erklären, wieso in einem Zustand schweren Kollapses erinnerungsfähige, ungemein intensive psychi sche Vorgänge stattfinden, und wieso bei geschlossenen Augen wirkliche Vorgänge mit konkreten Einzelheiten beobachtet wer den können. Man sollte doch nach aller Voraussetzung erwarten, daß eine so deutliche Gehirnanämie gerade das Zustandekommen hochkomplexer psychischer Vorgänge erheblich beeinträchtigen, beziehungsweise verhindern würde. Einen sehr ähnlichen Fall, in welchem aber die ESP sehr viel weiter ging, präsentierte Sir Auckland Geddes der Royal Medical Society (27. Februar 1927). Dieser Patient beobachtete während eines Kollapszustandes die Abspaltung eines integralen Bewußt seins von einem körperlichen Bewußtsein, welches sich allmählich in seine (Organ-) Komponenten auflöste. Ersteres hatte verifizier bare ESP. 136 Solche Erfahrungen scheinen darauf hinzuweisen, daß in Ohn machtszuständen, wo nach allem menschlichen Dafürhalten jede Garantie dafür besteht, daß die Bewußtseinstätigkeit und vor allem die Sinneswahrnehmungen aufgehoben sind, gegen alle Erwartung dennoch Bewußtsein, reproduzierbare Vorstellungen, Urteilsakte und Wahrnehmungen bestehen können. Das dabei vorhandene Levitationsgefühl, beziehungsweise die Veränderung des Beobach tungswinkels, und die Auslöschung des Gehörs und der koenäs thetischen Wahrnehmungen weisen in die Richtung einer Verän derung der Bewußtseinslokalisation, einer Art von Abtrennung vom Körper, beziehungsweise von der Hirnrinde oder vom Zere brum, wo man den Sitz des Bewußtseinsphänomens vermutet. Wenn diese Überlegung zu Recht besteht, so muß man sich fragen, ob in uns noch ein anderes nervöses Substrat als das Zerebrum denken und wahrnehmen kann, oder ob es sich bei diesen während der Bewußtlosigkeit stattfindenden psychischen Vorgängen um synchronistische Phänomene, das heißt um Ereignisse handelt, welche in keiner kausalen Verbindung mit organischen Prozessen stehen. Letztere Möglichkeit ist darum nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, als es ESP, das heißt von Zeit und Raum 136 V gl. den Bericht bei Tyrrell : The Personality of Man, 1946, S. 197f. Auf S. 199 f. befindet sich ein weiterer Fall dieser Art.
88
S Y N C H R O N I ZITÄT, AKAUSALITÄT
unabhängige Wahrnehmungen gibt, welche nicht durch biologi sche Substratvorgänge erklärt werden können. Wo Sinneswahr nehmungen an sich unmöglich sind, kann es sich um gar nichts anderes handeln als um Synchronizität. Wo aber räumliche und zeitliche Bedingungen, welche an sich Perzeption und Apperzep tion ermöglichen würden, vorhanden sind und nur die Bewußt seinstätigkeit, also vermutlich nur die Rindenfunktion, ausgelöscht ist, und wo, wie dies bei unserem Beispiel der Fall ist, trotzdem ein Bewußtseinsphänomen, das heißt Wahrnehmung und Urteil, statt findet, da könnte möglicherweise dafür ein nervöses Substrat in Frage kommen. Es ist allerdings beinahe axiomatisch, daß Be wußtseinsvorgänge an das Großhirn gebunden seien, und daß alle niederen Zentren nur Reflexverbindungen, die an sich unbewußt sind, beherbergen. Vollends gilt dieses Axiom für den Bereich des Sympathikus. Man hält daher die Insekten, die überhaupt kein zerebrospinales Nervensystem, sondern nur das Strickleitersystem besitzen, für Reflexautomaten. Diese Ansicht ist nun allerdings durch die Bienenforschungen, die Karl von Frisch in Graz unternommen hat, einigermaßen ins Wanken geraten. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß die Bienen ihren Stammgenossen durch einen eigenartigen Tanz nicht nur mitteilen, daß sie eine Futterstelle gefunden haben, sondern auch, in welcher Richtung und Distanz. Durch diese Mitteilung werden die Neulinge in den Stand gesetzt, die Futterstelle direkt anzuflie gen. 137 Diese Mitteilung läßt sich im Prinzip von einer Information unter Menschen nicht unterscheiden. Wir würden letzteren Fall zweifellos als ein bewußtes und intendiertes Handeln auffassen und könnten uns kaum vorstellen, wie zum Beispiel ein Angeklag ter oder dessen Verteidiger einem Gerichtshof beweisen könnte, daß eine derartige Handlung unbewußt erfolgt sei. Man könnte zur Not, unter Berufung auf psychiatrische Erfahrungen, noch zugeben, daß die Mitteilung einer sachlichen Information auch ausnahmsweise einmal in einem Dämmerzustand erfolgt, würde es aber ausdrücklich ablehnen, Mitteilungen dieser Art für normaler weise unbewußt zu halten. Trotzdem wäre die Annahme möglich, daß der geschilderte Vorgang bei den Bienen unbewußt sei. Damit ist aber für die Lösung der Frage nichts gewonnen, denn nach wie vor sind wir mit der Tatsache konfrontiert, daß das Strickleitersy stem im Prinzip anscheinend dasselbe leistet wie unsere Großhirn rinde. Man kann übrigens auch nicht beweisen, daß die Bienen unbewußt sind. \Jl
Frisch: Aus dem Leben der Bienen, 1948, S. 1 1 1 ff.
S Y N C H R O N I ZI TÄT A L S E I N P R I N Z I P
89
Damit ist man zum Schlusse gedrängt, daß ein vom Zerebrospi nalsystem in puncto Herkunft und Funktion so verschiedenes ner vöses Substrat wie der Sympathikus offenbar ebensogut Gedanken und Wahrnehmungen erzeugen kann wie ersteres. Was soll man nun vom Sympathikus bei Vertebraten halten? Kann auch er spezi fisch psychische Vorgänge erzeugen oder vermitteln? Die Beob achtungen von Frischs beweisen das Vorhandensein transzerebra len Denkens und Wahrnehmens. Man muß diese Möglichkeit wohl im Auge behalten, wenn man die Existenz einer Bewußtheit innerhalb der Bewußtlosigkeit einer Ohnmacht erklären will. Der Sympathikus ist nämlich während einer Ohnmacht nicht gelähmt und könnte daher möglicherweise als Träger psychischer Funk tionen in Betracht kommen. Sollte dem so sein, so müßte man wohl auch die Frage aufwerfen, ob die normale Bewußtlosigkeit des Schlafes, welche bewußtseinsfähige Träume enthält, nicht in ähnlicher Weise betrachtet werden könnte? D as heißt, ob nicht, mit anderen Worten, Träume weniger aus der schlafenden Rin dentätigkeit als vielmehr aus dem vom Schlaf nicht betroffenen Sympathikus hervorgehen, mithin also transzerebraler Natur wären? Außerhalb des noch völlig undurchsichtigen psychophysischen Parallelismus stellt das synchronistische Phänomen keine durch gängige und leicht zu beweisende Regelmäßigkeit dar. Man emp findet darum ebensosehr die Disharmonie der Dinge, wie man von deren gelegentlicher Harmonie überrascht ist. Im Gegensatz zur Idee einer prästabilierten Harmonie beansprucht der synchronisti sche Faktor bloß die Existenz eines für die erkennende Tätigkeit unseres Verstandes notwendigen Prinzips, das sich der anerkann ten Triade Raum, Zeit und Kausalität als Viertes anschließen wür de. Wie erstere zwar notwendig, aber durchaus nicht absolut sind - unräumlich sind die meisten psychischen Inhalte ; Zeit und Kau salität sind psychisch relativ -, so erweist sich auch der synchroni stische Faktor als nur bedingt gültig. Ungleich aber der Kausalität, welche das Bild der makrophysischen Welt sozusagen unum schränkt beherrscht und ihre universale Herrschaft erst bei gewis sen niederen Größenordnungen erschüttert findet, erweist sich die Synchronizität als ein Phänomen, welches hauptsächlich mit psy chischen Bedingungen, nämlich mit Vorgängen im Unbewußten, zusammenzuhängen scheint. Mit relativer Regelmäßigkeit und Häufigkeit ergeben sich - experimentell - synchronistische Phäno mene bei den intuitiven, >>magischen<< Prozeduren, wo sie zwar subjektiv überzeugend, aber obj ektiv kaum oder recht schwer zu beweisen und statistisch nicht erfaßbar sind (wenigstens vorder hand nicht).
90
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L ITÄT
Auf organischer Stufe könnte vielleicht die biologische Mor phogenese unter dem Gesichtswinkel des synchronistischen Faktors betrachtet werden. Prof. A.-M. Dalcq (Brüssel) faßt die Form trotz ihrer Bindung an die Materie als eine der le benden Materie >>übergeordnete Kontinuität<< auf. 138 Zu den ursachenlosen Ereignissen, zu denen, wie wir sahen, auch die synchronistischen gehören, rechnet Sir James Jeans auch den RadiumzerfalL Er sagt : »Radioaktiver Zerfall stellte sich als ei n e Wirkung ohne Ursache dar und legte den Gedanken nahe, daß die letzten Gesetze der Natur nicht einmal kausal sei en.« 139 Diese höchst paradoxe Formulierung, welche der Feder eines Physikers entstammt, ist charakteristisch für die Verle genheit, welche der Radiumzerfall dem Verständnis bedeutet. Letzterer, beziehungsweise das Phänomen der Halbwertszeit, erscheint in der Tat als ein u rsacheloses Angeordnetsein, unter welchen Begriff auch die Synchronizität fällt, worauf ich un ten noch zurückkommen werde. Es handelt sich bei der Synchronizität nicht um eine philo sophische Ansicht, sondern um einen empirischen Begriff, der ein der Erkenntnis notwendiges Prinzip postuliert. Das ist weder Ma terialismus noch Metaphysik. Kein ernsthafter Naturforscher wird behaupten, daß das Wesen des durch Beobachtung feststellbaren Seienden oder die Natur des Beobachtenden, nämlich der Psyche, ein B ekanntes und Erkanntes wären. Wenn die neuesten Schluß folgerungen der Naturwissenschaft sich einem einheitlichen Be griffe des Seins, dem die Aspekte von Raum und Zeit einerseits und von Kausalität und Synchronizität andererseits eignen, nä hern, so hat das mit Materialismus gar nichts zu tun. Vielmehr scheint sich hier die Möglichkeit zu zeigen, die lnkommensurabili tät zwischen Beobachtetem und Beobachtendem zu eliminieren. Sollte dies der Fall sein, so würde sich daraus eine Einheit des Seins ergeben, die durch eine neue Begriffssprache ausgedrückt werden müßte, nämlich durch eine »neutrale Sprache« , wie dies Wolfgang Pauli einmal trefflich formulierte. Raum, Zeit und Kausalität, diese Triade des klassischen physika lischen Weltbildes, würden durch den Synchronizitätsfaktor zu einer Tetras ergänzt, nämlich zu einem ein Ganzheitsurteil ermög lichenden Quaternio :
138 Dalcq : La Morphogenese dans le cadre de Ia biologie generale, 1949. Vgl. dazu die oben erwähnte ähnliche Überlegung des Zoologen A. C. Hardy. "9 Jean s : Physik und Philosophie, 1944, S . 1 88 und 220.
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
91
Hiebei verhält sich die Synchronizität zu den drei anderen Prin zipien wie die Eindimensionalität140 der Zeit zur Dreidimensiona lität des Raumes oder wie das widerstrebende Vierte im >Timaios<, das sich der Mischung der drei nur »mit Gewalt<<, wie Platon sagt, 141 beifügen läßt. Wie die Einführung der Zeit als vierte Di mension in der modernen Physik das Postulat eines unanschauli chen Raum-Zeit-Kontinuums bedingt, so erzeugt die Synchronizi tät mit der ihr anhaftenden charakteristischen Sinnqualität ein Weltbild von einer zunächst beinahe verwirrenden Unanschau lichkeit. 142 Der Vorteil dieser Ergänzung aber ist die Ermögli chung einer Auffassung, welche den psychoiden Faktor, nämlich einen apriorischen Sinn (beziehungsweise eine » Gleichartigkeit<<) mit in die Beschreibung und Erkenntnis der Natur einbezieht. Damit wiederholt und löst sich zugleich ein Problem, das seit anderthalb Jahrtausenden die Spekulationen der alchemistischen Naturphilosophie wie ein roter Faden durchzieht, nämlich das sogenannte Axiom der Maria, der Jüdin (oder Koptin): ek tü tritü to he tetarton (aus dem Dritten folgt das Eine als Viertes ) . 1 43 Auch diese obskure Observation bestätigt, was ich oben sagte, daß man nämlich prinzipiell neue Gesichtspunkte in der Regel nicht in schon bekanntem Gebiet, sondern an abgelegenen, vermiedenen oder sogar verrufenen Orten entdeckt. Der alte Traum der Alche misten, die Transmutation der chemischen Elemente, diese vielver lachte Idee, hat sich in unserer Zeit verwirklicht, und ihre Symbo lik, die nicht minder ein Gegenstand des Spottes war, ist zu einer wahren Fundgrube für die Psychologie des Unbewußten gewor den. Ihr Dilemma zwischen Drei und Vier, das schon mit der Rahmenerzählung des ,Timaios< anhebt und bis zur Kabirenszene 140
Ich sehe von der Diracschen Mehrdimensionalität der Zeit ab. Vgl. dazu meinen Aufsatz >Versuch einer psychologischen Deutung des Trinitäts dogmas<, GW I I . 142 Sir James Jeans (Physik und Philosophie, 1944, S. 3 1 3) meint, es könnte sein, ·daß die Ursprünge der Ereignisse in dieser Unterschicht (d. h . Jenseits von Raum und Zeit) auch unsere eigene Geistestätigkeit umfassen, s o daß der künftige Ablauf der Ereignisse zu einem Teil von dieser Geistestätigkeit abhinge«. Der Kausalismus in dieser Überle gung scheint mir allerdings nicht haltbar zu sein. 14 3 Vgl. dazu Psychologie und Alchemie, GW 1 2. 141
92
SYN C H R O N I Z ITÄT, AKAUSALITÄT
in >Faust<, Zweiter Teil, reicht, i s t von einem Alchemisten des 1 6 . Jahrhunderts, Gerardus Dorneus, als die Entscheidung zwi schen der christlichen Trinität und dem >>Serpens quadricornutus« (der vierhörnigen Schlange), das heißt dem Teufel, erkannt wor den. Wie in Vorahnung kommender Dinge verwahrt er sich gegen die heidnische Quaternität, die doch sonst den Alchemisten so sehr am H erzen liegt, denn sie ist aus dem binarius (der Zweizahl), also aus dem Stofflichen, Weiblichen und Teuflischen, entstan den. 144 Marie-Louise von Franz hat dieses Hervortreten des trini tarischen Gedankens in der Parabel des Bernardus Trevisanus, so dann in Khunraths >Amphitheatrum<, bei Michael Maier und dem Anonymus des >Aquarium Sapientum< nachgewiesen . 1 45 Wolfgang Pauli weist auf die Polemik zwischen Johannes Kepler und Robert Fludd hin, in welcher die Korrespondenzlehre des letzteren zu Fall kam und der Dreiprinzipienlehre des ersteren das Feld räumen mußte. 1 46 Der Entscheidung zugunsten der Dreiheit, die in gewis sem Widerspruch zur alchemistischen Tradition steht, folgte ein naturwissenschaftliches Zeitalter, welches die correspondentia nicht mehr kannte, sondern mit Ausschließlichkeit einem triadi schen Weltbild, welches den Typus der Trinität fortsetzte, anhing, nämlich der Welt, die mittels Raum, Zeit und Kausalität beschrie ben und erklärt wurde. Die durch die Entdeckung der Radioaktivität veranlaßte Revolu tion der Physik hat die klassischen Anschauungen erheblich modi fiziert. Die Veränderung ist dermaßen beträchtlich, daß wir das klassische Schema, auf das ich mich oben berufen habe, einer Revi sion unterziehen müssen . Da ich dank dem liebenswürdigen Inter esse, das Herr Prof. W. Pauli meiner Untersuchung entgegenge b racht hat, in der vorteilhaften Lage war, mit einem berufenen Physiker, der zugleich auch meine psychologischen Argumente zu würdigen verstand, diese Prinzipienfrage diskutieren zu können, bin ich in den Stand gesetzt, einen die moderne Physik mit einbe ziehenden Vorschlag zu machen. Pauli regte an, die Gegenüber stellung von Zeit und Raum im klassischen Schema durch Ener gie(erhaltung)-Raum-Zeit-Kontinuum zu ersetzen. Dieser Vor schlag hat mich veranlaßt, das Paar Kausalität-Synchronizität nä her zu umschreiben, um eine gewisse Verbindung zwischen den b eiden heterogenen Begriffen herzustellen. Wir haben uns dem entsprechend auf folgenden Quaternio geeinigt :
144 Dorn : De tenebris contra naturam, 1 602, S. 5 1 8 ff. 145 M . - L . v. Franz: Die Parabel von der Fontina des Grafen von Tarvis (Manuskript). 146 Siehe Paulis Beitrag in Jung/Pauli: Naturerklärung und Psyche, Zürich 1952.
+
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
93
Unzerstörbare Energie Konstanter Zusammenhang durch Wirkung (Kausalität)
Inkonstanter Zusammenhang durch Kontingenz bzw. Gleichartigkeit oder »Sinn« (Synchronizität)
Raum-Zeit-Kontinuum
Dieses Schema befriedigt einerseits die Postulate der modernen Physik, andererseits die der Psychologie. Der psychologische Ge sichtspunkt ist erklärungsbedürftig. Eine kausalistische Erklärung der Synchronizität erscheint als ausgeschlossen, wie oben erläu tert. Sie besteht wesentlich aus »zufälligen<< Gleichartigkeiten. Ihr tertium comparationis beruht auf psychoiden Gegebenheiten, die ich als Archetypen bezeichne. Letztere sind undeutlich, das heißt nur annähernd erkenn- und bestimmbar. Sie sind zwar den kausa len Vorgängen beigesellt, beziehungsweise von diesen >>getragen<< , begehen aber eine Art von Rahmenüberschreitungen, die ich als Transgressivität bezeichnen möchte, indem sie nicht eindeutig und ausschließlich nur im psychischen Bereich festgestellt werden, son dern ebensosehr auch in nicht psychischen Umständen erscheinen können. (Gleichartigkeit eines äußeren physischen Vorganges mit einem psychischen.) Die archetypischen Gleichartigkeiten verhal ten sich zur kausalen Determination kontingent, das heißt, es be stehen zwischen ihnen und den Kausalvorgängen keine gesetzmä ßigen Beziehungen. Sie scheinen also demnach einen Sonderfall jener Gesetzlosigkeit und Zufälligkeit oder jenes >>gesetzlosen Zu standes<<, der »völlig gesetzmäßig durch die Zeit hindurchgetragen wird<<, wie Andreas Speiser sagt, 147 darzustellen. Es handelt sich dabei um jenen Anfangszustand, der >>durch das mechanische Ge setz nicht bestimmt<< ist. Er ist die zufällige Voraussetzung oder das Substrat, auf das sich das Gesetz bezieht. Rechnen wir die Synchronizität, beziehungsweise die Archetypen, zu dem Kontin genten, so gewinnt letzteres den spezifischen Aspekt eines Modus, der funktionell die Bedeutung eines weltgestaltenden Faktors hat. Der Archetypus stellt die psychische Wahrscheinlichkeit dar, indem er durchschnittliches, instinktmäßiges Geschehen in einer Art von Typen abbildet. Er ist der psychische Sonderfall der allgemeinen Wahrscheinlichkeit, die »aus Gesetzen des Zufalls besteht und Re geln für die Natur genau wie die Mechanik bildet<< . 148 Man muß zwar Speiser zugeben, daß, im Reiche des reinen Intellektes wenig1 47 Speiser: Über die Freiheit, 1950, S. 4 f. 148 Eben da, S. 5 f.
94
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄT
s t e n s , d a s Kon t in gente » e i n formloser Stoff« sei, für d i e psychische I n trospektion aber e n t h üllt e s sich, soweit e s sich d u rch i nn ere Wah r ne h m u n g e rfas s e n läßt, als B il d oder besser Typus, welcher n i c h t n u r d e n psychisch e n , s o n d e r n merkwürd i gerweise auch den psychophysischen G leichartigkeit e n z u grunde l iegt. Es ist schwer, sich der kausalistisc h e n Färb u n g der B e griffsspra che zu e n t l ed i g e n . So e n tspricht d as " zugrundeliege n « trotz s e i n e r k a u s a l i s t i s chen Wo rthü l l e k e i n e m u rsächlichen Tatbestand, son d e rn ein em bloßen Vo rha n den- oder Sosein, d as heißt einer n i cht weiter red uzierbaren Ko n t i n ge n z . Die s i n ngemäße Koinzidenz o d e r die G Ieichartigkeit e i n e s p s y c h i schen u n d eines physischen Z u s t a n d e s , die in k e inem gegen s e i t i ge n Kausalverhältnis z u e i n a n d e r s t e h e n , b e d e u t e t , a l l g e m e i n gefaßt, e i n e a k a u s a l e Modal ität, e i n u rs ac h e loses A n geord n e ts e i n . D i e Frage e r h e b t s i c h n u n , o b u n s e r e Defi n i tion der Synchronizität, w e l c h e s i c h auf d i e G le ich artig keit p s y c h i scher und phys ischer Vorgänge bezieht, n icht einer Er weiterung fäh i g w äre, beziehu n gsweise eine solche erfordern wür d e . D i ese Forderung scheint sich a u fzudrän g e n , wen n wir u n sere o b i ge a l l gemeinere Fas s u n g der S y nchronizität als ein » u rsachelo ses A n geordne tsei n << in B e tracht z i e he n . U n ter diesen Begriff fal len n ä m l i c h schlechthin alle » Schöpfungsakte « , respektive Apriori G e g e b e n h e i t e n , wie z u m B e i s p i e l d i e E i gen schaften g a n z e r Zahle n , d i e D i s k o n t i n u i täten d e r modernen P h y s i k u n d so weiter. D a m i t würden w i r n u n allerdings konstante u n d experimentell j ederzeit repro d u z i erbare Phänomene i n d e n Umkreis u n s e res erweiterten B e gri ffs e i n b e z i e h e n , was der Natur der unter dem en geren B e griff von S y n c h ro n i zi tät vers t a n d e n e n Phänomene n i c h t zu en tsprechen sche i n t . Letztere s i n d ja meist E i n zelfälle, welche experim entelle Reproduzierbarkeit vermissen lassen . A l lerd i n gs g i l t d ies n i cht d u rc h w e g s , wie die R h i n eschen Experimente und die v i e l fachen E rfah r u n gen mit h e l l s eh e risch begabten I n d i v iduen zeigen. D i ese Tatsachen b e w e i s e n , daß i n dem G e b i e te i n k ommens urabler E i n z e l fä l l e , v u lgo c u r i o s a , es d o c h a u c h gewisse Regelmäßigkei teil gibt und d a m i t konstante Faktore n , woraus man schließen muß, daß u n s e r e n gerer S y n c h ro n i zi tätsbegriff wahrschei n l i ch w i r k l i ch zu eng ist und d es h alb der E rweiteru n g bedarf. Ich neige in der Tat d e r A n n ahme z u , daß die Sy nchronizität im engeren Sinne n u r ein beson derer Fa ll des allgemeinen u rsachelosen A ngeordnetsems i s t , u n d z w a r derj enige der G leichartigkeit psychischer u n d physischer Vorg:1 n g e , w o b e i der B eobachter in der vortei lh aften Lage ist, das t e n i u m comparat i o n i s erk e n n e n z u k ö n n e n . Mit der Wa hrneh m u n g der archetypischen G ru n d l age gerät e r aber auch i n die Ver s u c h u n g , die Ass imilation gege n s e i t i g u n abhängiger psychischer und p h y s i scher Vo rgänge auf e i n e (kausale) Wirkung des A rchcty-
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
95
pus zurückzuführen und damit deren bloße Kontingenz zu übersehen. Diese Gefahr wird vermieden, wenn man die Synchro nizität als einen Sonderfall des allgemeinen Angeordnetseins betrachtet. Damit wird auch eine unzulässige Vermehrung der Er klärungsprinzipien vermieden : Der Archetypus ist die durch Intro spektion erkennbare Form des apriorischen psychischen Angeord netseins. Gesellt sich dazu ein äußerer synchronistischer Vorgang, so folgt er derselben Grundzeichnung, das heißt er ist in derselben Weise angeordnet. Diese Form des Angeordnetseins unterscheidet sich dadurch vom Angeordnetsein der Eigenschaften ganzer Zah len oder der Diskontinuitäten der Physik, daß letztere von jeher und regelmäßig vorgefunden sind, während erstere Schöpfungsakte in der Zeit darstellen. Hierin liegt, beiläufig gesagt, der tiefere Grund, warum ich gerade das Moment der Zeit als für diese Phä nomene charakteristisch hervorgehoben und sie als synchronisti sche bezeichnet habe. Die moderne Entdeckung der Diskontinuität (das heißt des An geordnetseins zum Beispiel des Energiequants, des Radiumzerfalls und so weiter) hat der Alleinherrschaft der Kausalität und damit der Trias der Prinzipien ein Ende bereitet. Das Terrain, das letzte re verloren, gehörte früher zum Bereiche der correspondentia und sympathia, welche Begriffe in der prästabilierten Harmonie von Leibniz ihre größte Entfaltung erreichten. Schopenhauer kannte die empirischen Grundlagen der Korrespondenzidee viel zuwenig, um die Aussichtslosigkeit seines kausalistischen Erklärungsversu ches zu erkennen. Heutzutage sind wir in der vorteilhaften Lage, dank den ESP-Experimenten über ein beträchtliches Erfahrungs material zu verfügen. Von der Zuverlässigkeit dieser Tatsachen kann man sich ein Bild machen, wenn man erfährt, daß zum Bei spiel die Resultate der ESP-Experimente von S. G. Soal und K. M. Goldeney, wie G . E. Hutchinson149 hervorhebt, eine Wahrschein lichkeit von 1 : 1 031 besitzen. 1 : 1 031 entspricht der Summe der Mo leküle in 250 000 Tonnen Wasser. Es gibt nur relativ wenige expe rimentelle Arbeiten im Gebiete der Naturwissenschaften, deren Resultate einen auch nur annähernd so hohen Sicherheitsgrad er reichen. Die übertriebene Skepsis in bezug auf ESP hat wirklich keine genügenden Gründe für sich anzuführen. Ihren wesentlichen Daseinsgrund bildet heutzutage nur noch die Unwissenheit, wel che leider als eine beinahe unvermeidliche Folge das Spezialisten tum begleitet und den notwendigerweise an sich schon verengerten Horizont des Spezialstudiums in unwillkommener und schädli cher Weise gegen höhere und weitere Gesichtspunkte abschirmt. 149
Soal: Science and Telepathy, 1948, S. 5.
96
S Y N C H R O N I Z I TÄ T , A K A U S A L I TÄT
Man hat es ja schon vielfach erlebt, daß sogenannte abergläubische Meinungen einen Kern von wissenswerter Wahrheit enthalten. So konnte es wohl sein, daß die ursprünglich magische Bedeutung des Wortes >>WÜnschen<< , die noch in der »Wünschelrute<< erhalten ist und nicht nur bloßes Wünschen im Sinne eines Verlangens, son dern auch zugleich ein (magisches) Bewirken ausdrückt, 1 50 sowie der althergebrachte Glaube an die Wirksamkeit des Gebetes auf der Erfahrung von synchronistischen Begleiterscheinungen beru hen. Die Synchronizität ist nicht rätselhafter oder geheimnisvoller als die D iskontinuitäten der Physik. Es ist nur die eingefleischte Überzeugung von der Allmacht der Kausalität, welche dem Ver ständnis Schwierigkeiten bereitet und es als undenkbar erscheinen läßt, daß ursachelose Ereignisse vorkommen oder vorhanden sein könnten. Gibt es sie aber, so müssen wir sie als Schöpfungsakte ansprechen im Sinne einer creatio continua, 151 einesteils von jeher, teils sporadisch sich wiederholenden Angeordnetseins, das aus kei nerlei feststellbaren Antezedentien abgeleitet werden kann. Man muß sich selbstverständlich davor hüten, jedes Geschehen, dessen 150 Grimm : Deutsche Mythologie, Bd. I , S. 347. Wünscheldinge sind von Zwergen geschmiedete Zaubergeräte, wie Odins Speer Güngnir, Thors Hammer Miölnir und Freyrs Schwert (Bd. 2, S. 725). Wunsch ist »gotes kraft« . »Got hät an sie den wunsch geleit und der wünschelruoten hort• . ·Beschoenen mit Wunsches gewalte• (Bd . 3, S. 5 1 u n d 5 3 ) . Wunsch heißt skr. manoratha = wörtl. Wagen des Verstandes oder der Psyche, d . h. Wunsch, Begehren, Phantasie (Macdonell: A Practical Sanskrit Dictionary, 1924). 151 Unter dem Begriff der creatio cominua ist nicht nur eine Reihe sukzessiver Schöp fungsakte, sondern auch die ewige Gegenwart des einen Schöpfungsaktes zu denken, im Sinne des »Semper patrem fuisse, er genuisse verbum« (immer sei der Vater gewesen und habe das Wort gezeugt; Origenes: De principiis, Buch I, Kap. li, 3), oder des •aeternus creator mentium• (ewiger Schöpfer der Geister; Augustinus: Confessiones, Buch I I , Kap. 3 1 , col. 352). Gott ist in seiner Schöpfung enthalten: »Nec indiget operibus suis, tanquam in eis collocetur, ut maneat; sed i n sua aeternitate persistit, in qua manens omnia quaecumque voluit fecit in coelis et in terra« (und er bedarf nicht seiner eigenen Werke, als wäre er in ihnen aufgehoben, um Bestand zu haben; sondern er verharrt in seiner Ewigkeit, wo er weilt und alles schafft, was er will, im Himmel und auf Erden; Augusti nus, Enarratio in Psalmum 1 1 3 , col. 1 796). Was in der Zeit sukzessive geschieht, ist im göttlichen Geiste gleichzeitig: » Mutabilium dispositionem immutabilis ratio continet, ubi sine tempore simul sunt, quae in temporibus non simul sunt« (eine unwandelbare Ordnung hält die wandelbaren Dinge in Beziehung zueinander, und in dieser ist alles zeitlos gleichzeitig, was in der Zeit nicht gleichzeitig ist; Prosperus Aquitanus: Sententiae ex Augustino delibatae, XLI). »Ürdo temporum in aeterna Dei sapiemia sine tempore est• (zeitliche Abfolge ist ohne Zeit in der ewigen Weisheit Gottes; ebenda LVI I). Vor der Schöpfung war überhaupt keine Zeit, welche erst mit den bewegten Dingen begon nen hat: » Potius ergo tempus a creatura, quam creatura coepit a temporeu (eher nahm daher die Zeit vom Geschaffenen ihren Anfang als das Geschaffene von der Zeit; ebenda CCLXXX). •Non enim erat tempus ante tempus, tempus autem cum mundo concrea tum est« (es gibt nämlich keine Zeit vor der Zeit, sondern die Zeit wurde mit der Welt zusammen geschaffen; Anonymus: De triplici habitaculo, Kap. 5).
S Y N C H R O N I Z I TÄT A L S E I N P R I N Z I P
97
Ursache unbekannt ist, als ursachelos aufzufassen. Letzteres ist nur, wie ich hervorgehoben habe, in jenen Fällen statthaft, wo eine Ursache nicht einmal denkbar ist. Die Denkbarkeit ist allerdings ein Begriff, der höchste Kritik erfordert. Wenn zum Beispiel das Atom seinem ursprünglichen philosophischen Begriff entspräche, so wäre dessen Teilbarkeit undenkbar. Wenn es sich aber als eine meßbare Größe erweist, dann ist seine Unteilbarkeit undenkbar. Sinngemäße Koinzidenzen sind als reine Zufälle denkbar. Je mehr sie sich aber häufen und je größer und genauer die Entsprechung ist, desto mehr sinkt ihre Wahrscheinlichkeit, und desto höher steigt ihre Undenkbarkeit, das heißt, sie können nicht mehr als bloße Zufälle gelten, sondern müssen mangels kausaler Erklärbar keit als Anordnungen aufgefaßt werden. Dabei besteht, wie schon betont, der >>Mangel an Erklärbarkeit<< nicht etwa nur aus der Tatsache, daß die Ursache unbekannt ist, sondern daraus, daß eine solche mit unseren Verstandesmitteln auch nicht denkbar ist. Die ser Fall tritt notwendigerweise dann ein, wenn Raum und Zeit ihren Sinn verlieren, beziehungsweise relativ geworden sind, denn unter diesen Umständen kann eine Kausalität, die Raum und Zeit zu ihrem Bestehen voraussetzt, nicht mehr festgestellt, ja über haupt nicht mehr gedacht werden. Aus diesen Gründen scheint es mir notwendig, daß neben Raum, Zeit und Kausalität eine Kategorie eingeführt wird, welche nicht nur die Charakterisierung der Synchronizitätsphänomene als eine besondere Klasse von Naturereignissen ermöglicht, sondern auch das Kontingente als ein einerseits Allgemeines, seit jeher Vor handenes, andererseits als die Summe vieler, sich in der Zeit ereig nender individueller Schöpfungsakte begreift.
Briefe über Synchronizität ( 1950-1955)
2 1 . Februar 1950
An Markus Fierz
Lieber Herr Professor, Sie hatten die große Freundlichkeit, mein Manuskript1 über die Synchronizität anzusehen, wofür ich Ihnen nie gebührend gedankt habe. Ich war eben zu sehr mit der Ausar beitung dieser Idee beschäftigt. Ich nehme mir heute die Freiheit, Sie wieder mit einem Stück dieses Manuskriptes zu belästigen, was Sie vielleicht damit ent schuldigen wollen, daß ich sehr in Verlegenheit bin in bezug auf die mathematische Auswertung der herausgearbeiteten Resultate. Ich lege Ihnen nämlich die Tabellen bei, samt dem kommentieren den Text. Zur allgemeinen Orientierung möchte ich nur bemer ken, daß die Eigenart des Materials eine etwas sonderbare Anlage der Tabellen bedingt hat. Die Grundlage der Untersuchung be steht aus 1 80 Ehepaaren, deren Horoskope verglichen wurden in bezug auf das Vorkommen der sogenannten klassischen Eheaspek te, nämlich Konjunktion und Opposition von Sonne und Mond, Mars und Venus, Aszendent und Deszendent. Dies ergibt 50 Aspekte. Die Resultate, die bei Ehepaaren erzielt wurden, wur den verglichen mit 1 80 X 1 80 - 1 32 220 Kombinationen Un verheirateter. Zu dem ursprünglichen Material von 1 80 Ehepaaren kamen später noch 1 45 weitere dazu, die ebenfalls in die Statistik einbezogen wurden. Sie wurden teils gesondert, teils summiert mit den 1 80 untersucht, wie Sie aus den Tabellen ersehen werden. Am interessantesten scheint mir die Tabelle VI zu sein, welche die Streuungen bei verschiedenen Anordnungen zeigt. Ich wäre Ihnen nun sehr dankbar, wenn Sie mir Ihre Kritik und Auffassung der Tabellen im allgemeinen mitteilten und insbesondere mir eine Frage beantworteten, die sich aus der Tabelle VI ergibt. Wir haben dort einige Aspekte, welche das wahrscheinliche Mittel der Kom binationen beträchtlich übersteigen. Ich möchte nun gerne wissen, welches die Wahrscheinlichkeit dieser Deviationen vom wahr scheinlichen Mittelwert ist. Ich weiß, daß zu diesem Zwecke eine Rechnung verwendet wird, die auf dem sogenannten »deviation Standard« beruht. Diese Methode übersteigt aber mein mathemati sches Können, und hier bin ich ganz auf Ihre Hilfe angewiesen. Ich wäre sehr froh, wenn Sie sich hauptsächlich auf diese Frage kon zentrieren wollten. Aus äußeren Gründen pressiert es nämlich et=
1 Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge, S. 9-97 in diesem Band.
1 00
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄT
was mit diesen Tabellen. Die Sache soll nämlich bald in Druck gegeben werden. Im Notfalle würde es mir genügen, wenn Sie mir nur bestätigen könnten, daß die Tabellen im allgemeinen in Ord nung sind, und wenn Sie mir die Wahrscheinlichkeit wenigstens für die beiden höchsten Werte auf Tabelle VI, Kolonne I, angeben könnten. Alles übrige, so hoffe ich wenigstens inständigst, können Sie aus den Tabellen selber ersehen. Sie sind mir selber nach länge rer Überlegung klar, und ich muß gestehen, daß ich nicht wüßte, wie ich sie klarer gestalten könnte. Falls Sie sich für das ganze Manuskript interessieren sollten oder es für wünschenswert hielten, es für den vorliegenden Zweck zu lesen, so steht es Ihnen natürlich zur Verfügung. Ich möchte aber nicht o hne weiteres eine solche Lawine auf Sie herunterprasseln lassen . Empfangen Sie zum voraus meinen besten Dank für Ihre Bemü hungen. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebener C. G. Jung 2 . März 1950 Lieber H err Professor, empfangen Sie meinen besten Dank für I h re Mühewaltung. Sie haben mir genau das gegeben, was ich mir von Ihnen wünschte, nämlich ein objektives Urteil über die Be deutung der statistischen Zahlen, die mein Material von j etzt 400 Ehen ergeben hat. Verblüfft hat mich nur, daß meine Statistik die traditionelle Angabe, daß Mond- und Sonne-Aspekte für die Ehe charakteristisch seien, liberal bestätigt hat, was noch durch den von Ihnen ermittelten Wert für Mond-Konjunktion-Mond, nämlich 0 , 1 2 5 % , unterstrichen wird. Ich habe von mir aus bereits das Ergebnis für sehr ungenügend erachtet und deshalb die weitere Materialsammlung sistiert, da mir die A n näherung an den wahrscheinlichen Mittelwert mit zuneh mendem Material verdächtig wurde. Obschon die Zahl 0 , 1 2 5 % noch durchaus innerhalb der Mög lichkeit liegt, so möchte ich Sie doch, der Klarheit halber, fragen, ob m an diesen Wert wenigstens insofern als »bedeutsam« ansehen darf, als er eine mit der historischen Tradition koinzidierende, relativ kleine Wahrscheinlichkeit darstellt? Dürfte man hier wenig stens vermuten, daß dies eher für als gegen die Tradition (seit Ptolemaeus) spricht? Ich teile Ihre Auffassung der divinatorischen Methode als Katalysator der Intuition durchaus. Dieses Ergebnis der Statistik hat mich aber doch etwas stutzig gemacht, namentlich im Z usammenhang mit den neueren ESP-Experimenten, die eine Wahrscheinlichkeit von 1 0 - 3 1 erreicht haben. Diese Experimente
B R I E F E Ü B E R S Y N C H R O N I Z I TÄT
101
und die ganze große ESP (extra-sensory perception)-Erfahrung überhaupt, beweisen hinlänglich, daß es sinngemäße Koinziden zen gibt. Es besteht also eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß die divinatorischen Methoden tatsächlich Synchronizitätsphänomene ('lj!) produzieren. Sie schienen mir bei der Astrologie am faßbar sten. Zweifellos zeigen die statistischen Ergebnisse, daß die astro logischen Entsprechungen nicht mehr als Zufälle sind. Die statisti sche Methode stützt sich auf die Voraussetzung eines Kontinuums uniformer Gegenstände. Das 'lj!-Phänomen aber ist ein qualifizier tes individuelles Ereignis, welches durch die statistische Methode ruiniert wird ; umgekehrt hebt das 'lj!-Phänomen die Vorausset zung uniformer Gegenstände auf. Es ruiniert also die statistische Methode. Es scheint daher zwischen 'ljJ und Kausalität ein Komple mentaritätsverhältnis zu bestehen. Die Rhinesche Statistik hat also trotz der ungeeigneten Methode das Vorhandensein von 'ljJ nachge wiesen. Das hat mir in bezug auf die Astrologie eine falsche Hoff nung erweckt. Das 'lj!-Phänomen der Rhineschen Experimente ist ein äußerst einfacher Tatbestand. Demgegenüber ist der astrologi sche Tatbestand unvergleichlich komplexer und deshalb empfind licher für die statistische Methode, welche gerade das betont, was für 'ljJ am wenigsten charakteristisch ist, nämlich die Uniformität. Meine Resultate bestätigen nun boshafterweise gerade die alte Tra dition, obschon sie so zufällig sind wie die Resultate der Alten. Damit ist wieder ein Ereignis entstanden, das alle Kennzeichen der 'ljJ aufweist, nämlich der »sinngemäßen Koinzidenz« oder der >>just so story<< . Offenbar haben ganz zufälligerweise die Alten die glei che Erfahrung gemacht, sonst hätte eine derartige Tradition wohl kaum entstehen können. Ich glaube nun nicht, daß je ein alter Astrolog 800 Horoskope auf Ehemerkmale statistisch untersucht hat. Er hatte jeweils nur kleine Zahlenpakete zur Verfügung, wel che die 'ljJ nicht ruinieren konnten, und er konnte daher, wie ich, die prädominierenden Mond-Konjunktion-Mond und die Mond Sonne-Aspekte feststellen, obschon diese bei großen Zahlen not wendigerweise verschwinden müssen. Alle 'lj!-Phänomene, die hö her qualifiziert sind als die ESP, sind als solche unbeweisbar, das heißt, ein einziger beglaubigter Fall ist im Prinzip genügend Be weis, wie man j a auch nicht 1 0 000 Schnabeltiere vorweisen muß, um die Existenz dieses Tieres zu beweisen. Mir scheint, daß das 'lj! Phänomen einen un mittelbaren Schöpfungsakt darstellt, der in der Breite der Zufälligkeit erscheint. Die statistische Feststellung der Naturgesetzlichkeit ist darum ein nur sehr beschränkt taugliches Mittel der Naturbeschreibung, indem sie nur uniforme Ereignisse erfaßt. Die Natur ist aber auch essentiell diskontinuierlich, das heißt zufällig. Ihre Beschreibung bedarf daher noch eines Prinzips
1 02
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I TÄT
der Diskontinuität. In der Psychologie ist es die Individuations tendenz, in der Biologie die Differenzierung, in der Natur aber die >>Sinngemäße Koinzidenz« , das heißt 'lj! . Entschuldigen Sie, daß i c h Ihnen vielleicht abstrus erscheinende Überlegungen unterbreite. Sie sind mir selber neu, und deshalb sind sie noch etwas chaotisch, wie alles in statu nascendi. B esten Dank für Ihre Mühewaltung ! Ich wäre froh, wenn Sie mir Ihre Eindrücke mitteilen wollten. Mit freundlichen Grüßen Ihr ergebener C. G. Jung
20. Oktober 1954 Lieber H err Professo r ! Gegenwärtig wird eine englische Version meiner A rbeit über Synchronizität vorbereitet. Bei dieser Gelegen heit möchte ich die nötigen Korrekturen an den Wahrscheinlich keiten der Maximalzahlen meiner Statistik anbringen, welche Sie freundlicherweise für mich berechnet haben . Meine Herausgeber wünschen nun, Ihre B erechnung im Detail kennenzulernen, da sie nicht verstehen, welche Methode Sie angewandt haben. Wenn es Ihnen nun möglich wäre, mir diesen Bericht in Bälde zukommen zu lassen, so wäre ich Ihnen sehr zu Dank verpflichtet. Leider muß ich noch einen speziellen Wunsch hinzufügen, nämlich die Beant wortung der Frage : Welches ist die Wahrscheinlichkeit des Ge samtresultates, daß die 3 Konjunktionen ([ o 8, ([ o ([ , ([ o Asz. zusammen herauskommen? Dieses Resultat (das zwar aus Zufalls zahlen besteht), entspricht der traditionellen astrologischen Vor aussage und imitiert wenigstens j enes Bild, das, wenn es aus »signi ficant numberS << bestünde, die Richtigkeit der astrologischen Er wartung dartäte. Hoffentlich ist es mir gelungen, mein Anliegen klar auszudrük ken. Es tut mir im übrigen außerordentlich leid, Sie mit diesen Fragen zu belästigen und Ihre kostbare Zeit hiefür in Anspruch zu nehmen. Vielleicht könnten Sie einen Studenten mit dieser Aufga be betrauen. Ich bin in dieser Sache natürlich hilflos und deshalb gerne b ereit, die Ihnen beziehungsweise dem Studenten hieraus erwachsenen Unkosten zu vergüten . Bitte nehmen Sie mir diesen p raktisch gemeinten Vorschlag nicht übel. C. G. ] ung Mit bestem Dank zum voraus Ihr sehr ergebener
B R I E F E Ü B E R S Y N C H R O N I Z I TÄT
1 03 28. Oktober 1954
Sehr geehrter, lieber Herr Professor ! Empfangen Sie hiermit mei nen verbindlichsten Dank für Ihre liebenswürdige und prompte Erfüllung meines Wunsches. Ich werde Ihre Darstellung, die Sie selbstverständlich nicht wiederholen müssen, an Dr. Michael Fordham weitersenden. Bezüglich meiner Anfrage wegen der Triade ([ Ö 8, ([ Ö 8 und ([ Ö Asz. scheint ein Mißverständnis zu bestehen : 1 . Daß es sich bei meinen Zahlen um Zufälligkeiten handelt, habe ich bei der Zusammenstellung meiner Tabellen selber schon gemerkt. Daher habe ich meine Tabellen, welche diese Zufälligkeit schon deutlich zum Ausdruck bringen, so ausführlich abgedruckt, um dem nicht-mathematischen Leser einen visuellen Überblick zu ermöglichen. Um der Genauigkeit willen habe ich Sie dann gebe ten, mir die Wahrscheinlichkeit meiner Maxima anzugeben. Ihre Antwort hat meiner Erwartung mehr oder weniger entsprochen. Meine Absicht lag keineswegs darin, zu beweisen, daß die astrolo gische Voraussage recht hat, dazu kenne ich die Unzuverlässigkeit der Astrologie viel zu gut. Ich wollte nur den genauen Betrag der Wahrscheinlichkeit meiner Zahlen in Erfahrung bringen. Sie haben mich schon bei dieser ersten Gelegenheit zweimal vor der Unmög lichkeit eines Beweises gewarnt. Wie ich vielleicht bemerken darf, haben Sie damit Eulen nach Athen getragen : Es liegt mir nämlich gar nichts daran, ob die Astrologie recht hat oder nicht, sondern (wie gesagt) wieviel die Wahrscheinlichkeit jener Zahlen (»Maxi ma«) beträgt, welche einen Beweis für die Richtigkeit der astrolo gischen Voraussage vortäuschen. 2 . Die Voraussage der Astrologie besteht darin, daß sie tradi tionsgemäß meine drei Mondkonjunktionen als für die Ehe in er ster Linie charakteristisch angibt. (8 ([ Asz. sind die Grundpfei ler des Horoskops !) Diese Triade ist also keineswegs arbiträr ge wählt, weshalb ich das Gleichnis von den drei weißen Ameisen für durchaus passend halte. Mit Verlaub zu sagen, scheinen Sie mir eine offene Türe einzurennen, wenn Sie annehmen, daß ich mein Resultat für etwas anderes als statistisch bedingt ansehe. Selbstver ständlich liegt es mathematisch innerhalb der Wahrscheinlichkeit, was aber keineswegs hindert, daß die »Maxima<< genau an den Stellen liegen, die man astrologisch erwarten dürfte. Mich interes siert bloß der Betrag der Wahrscheinlichkeit, welche dieser Koin zidenz zukommt, um der Genauigkeit willen ! Ich will mit meinen Zahlen gar nichts beweisen, sondern nur darstellen, was sich ereig net hat und was ich getan habe. Es hat sich dabei zufälligerweise, was ich eben so deutlich wie möglich zeigen möchte, eine Konfi-
1 04
S Y N C H R O N I Z I T Ä T , A K A U S A L I T ÄT
guration ergeben, die, wenn sie aus bedeutsamen Zahlen bestün de, zugunsten der Astrologie spräche. Die ganze G eschichte, mit anderen Worten, ist ein Fall wie der Skarabäus und zeigt, was der Zufall tun kann, also eine >>just so story« ! Daß nun solche Zufälle im Prinzip mehr sind als bloß statistisch bedingt, zeigen die Rhineschen Ergebnisse, aber nicht ein einzelner Fall wie meine Statistik. Selbstverständlich rede ich dem Zufall das Wort in einer gewis sen Hinsicht, weil ich die absolute Gültigkeit der statistischen Aussage bestreite, insofern sie alle Ausnahmen als unerheblich ab tut. D as ergibt ein abstraktes Durchschnittsbild der Wirklichkeit, welches eine gewisse Verfälschung derselben darstellt, was dem Psychologen nicht gleichgültig sein kann, da er nämlich mit den pathologischen Resultaten dieses abstrakten Wirklichkeitsersatzes zu tun hat. Die Ausnahme ist sogar wirklicher als der Durchschnitt, indem sie der Wirklichkeitsträger par excellence ist, wie Sie ja in Ihrem Brief vom 24. Oktober selber hervorheben. Es tut mir leid, daß ich Ihnen soviel Arbeit veranlaßt habe und daß Sie jetzt noch diesen langen Brief zu lesen haben. Ich weiß aber wirklich nicht, was Sie veranlaßt haben könnte zu meinen, ich wolle die Astrologie beweisen. Ich wollte ja nur einen Fall von >>sinnvoller KoinzidenZ<< , welcher den Gedanken meiner Schrift über Synchronizität illustriert, darstellen. Dieser Umstand wird allerdings allgemein übersehen. In London haben sie zum Beispiel einen top statistician angestellt, um das Rätsel meiner Tabellen zu lösen. Das ist, wie wenn ein Bauer sein Scheunentor nicht mehr öffnen kann und einen Experten für Tresorschlösser kommen läßt, der es dann natürlich auch nicht zu öffnen versteht. Man ist bedau erlicherweise dem Irrtum verfallen, ich wolle etwas zugunsten der Astrologie herausfinden, was ich ja in meiner Schrift ausführlich in Abrede stelle. Leider kann ich nicht verstehen, wieso Sie irgendwelche andere Konstellationen (unter meinen 50) als ebenso »sinnvoll<< ansehen, wie die drei (( - Konjunktionen. Alle anderen sind ja keine >>klassi schen Voraussagen<< . Auch kommt nicht irgendeine, sondern nur die »vorausgesagte<< weiße Ameise zum Vorschein. Die Wahr scheinlichkeit dieses »sinnvollen<< Geschehens wäre mir eben dar um interessant, denn es ist ja nicht gerade sehr wahrscheinlich, daß dreimal nacheinander die weiße Ameise zuerst aus der Schachtel kommt. Wenn die Wahrscheinlichkeit des einzelnen Falles 1 : 50 betrüge, so wäre die dreifache Wiederholung doch 1 : 503 ? Also eine ganz erkleckliche Zahl, wie mir scheinen will. Dieses Resultat dürfte man doch wohl als günstig für meine Absicht, einen Fall
B R I E F E Ü B E R SYN C H R O N I Z I TÄT
1 05
von Synchronizität darzustellen, ansehen, wennschon er für die Astrologie nichts beweist, was .ich auch gar nie beabsichtigt habe. In der Hoffnung, diesmal das Mißverständnis aufgeklärt zu ha ben, verbleibe ich mit bestem Dank und freundlichen Grüßen Ihr C. G. Jung ergebener
An Michael Fordham
1 . Juli 1955
Lieber Fordham, Synchronizität s agt etwas über die Natur dessen aus, was ich den psychoiden Faktor, das heißt den unbewußten Archetypus nenne (nicht seine bewußte Vorstellung !). Da der Ar chetypus die Tendenz hat, geeignete Ausdrucksformen um sich zu versammeln, läßt sich seine Natur am besten begreifen, wenn man diese Neigung durch Amplifikation nachahmt und unterstützt. Die natürliche Wirkung eines Archetypus und seiner Amplifika tionen kann allerdings als eine Analogie zu der synchronistischen Wirkung verstanden werden, insofern als letztere dieselbe Ten denz zeigt, gleichzeitige und zufällige Tatsachen zu kombinieren, die dem zugrunde liegenden Archetyp angemessenen Ausdruck verleihen. Es ist jedoch schwierig oder sogar unmöglich nachzu weisen, daß amplifikatorische Assoziationen nicht kausal sind, während amplifikatorische Tatsachen auf eine Weise zusammen treffen, die sich einer kausalen Erklärung widersetzt. Das ist der Grund, warum ich spontane und künstliche Amplifikationen als bloße Analogie zur Synchronizität bezeichne. Es stimmt jedoch, daß wir eine kausale Verknüpfung nicht in jedem Fall von Ampli fikation nachweisen können, und so ist es durchaus möglich, daß es sich bei einer Reihe von Fällen, wo wir eine kausale >>Assozia tion<< annehmen, in Wirklichkeit um Synchronizität handelt. Was ist schließlich »Assoziation« ? Wir wissen es nicht. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die psychische Anordnung mit Ausnahme des sekundären rationalen >>enchainement« psychischer Vorgänge im Bewußtsein im allgemeinen auf Synchronizität beruht. Das ist ana log zum natürlichen Verlauf der Dinge, der so anders ist als unsere wissenschaftliche und abstrakte Rekonstruktion der Realität, die auf dem statistischen Durchschnitt basiert. Diese entwirft ein Bild der Natur, das aus bloßen Wahrscheinlichkeiten besteht, während die Realität ein Durcheinander von mehr oder weniger unlenkba ren Ereignissen ist. Unser psychisches Leben bietet das gleiche phänomenologische Bild dar. Dies ist der Grund, warum ich ei gentlich der Meinung bin, daß es eine Anmaßung wäre anzuneh men, daß die Psyche ausschließlich auf dem synchronistischen
1 06
S Y N C H R O N I Z I TÄ T , A K A U S A L I T Ä T
Prinzip begründet ist, zumindest bei unserem jetzigen Wissens stand. Ich stimme völlig mit Ihrer Vorstellung von den zwei komple mentären Einstellungen des Verstehens, nämlich der rationalen und der irrationalen oder synchronistischen überein . Aber es wird sich noch zeigen müssen, ob alle irrationalen Ereignisse sinnvolle Zufälle sind. Ich bezweifle es. Es ist erfrischend, Sie mit diesen interessanten Problemen be schäftigt zu sehen, und etwas Intelligentes von Ihnen zu hören, statt der erstaunlichen Dummheiten, die unsere Zeitgenossen uns auftischen. Es tut mir leid, daß ich nicht nach England kommen kann, um mit Ihnen zu feiern. Ich schreibe vom Spital aus, wo ich eine Prostatageschichte kuriere. Morgen werde ich einstweilen entlas sen. Das Alter ist nicht gerade, was ich unter einem Spaß verstehe. Meine besten Wünsche, herzlich Ihr C. G. Jung P. S. Da Sie meinen 80. Geburtstag in London feiern wollen und ich leider nicht anwesend sein kann, wäre es vielleicht eine nette Geste, wenn Sie dem schweizerischen Botschafter in Großbritan nien eine Einladung schicken könnten. Ich bin sicher, daß er zu mindest Ihre freundliche Geste einem seiner Landsleute gegenüber begrüßen würde.
Okkultismus
Die psychologischen Grundlagen des Geisterglaubens ( 1 928)
Wenn wir in die Vergangenheit des Menschengeschlechtes zurück blicken, so finden wir neben vielen anderen religiösen Überzeu gungen einen allgemein verbreiteten Glauben an die Existenz von Luft- oder Hauchwesen, welche sich in der Umgebung der Men schen aufhalten und ihn unsichtbar, aber wirksam beeinflussen. Meistens wird damit der Gedanke verknüpft, daß diese Wesen die Geister oder Seelen verstorbener Menschen seien . Dieser Glaube findet sich vom höchsten Kulturvolk bis zum Australneger, der noch im Steinzeitalter lebt. Bei den westlichen Kulturvölkern al lerdings hat die seit etwas mehr als hundert Jahren bestehende rationalistische Aufklärungsepoche den Geisterglauben bekämpft und ihn bei einer großen Anzahl von Gebildeten verdrängt, zu gleich mit anderen metaphysischen Überzeugungen. Wie diese aber bei der großen Masse noch lebendig bestehen, so auch der Geisterglaube. Das Spukhaus ist auch in den aufgeklärte sten und intellektuellsten Städten noch nicht ausgestorben, sowe nig wie der Bauer aufgehört hat, an die Behexung seines Viehes zu glauben. Wir haben es im Gegenteil gesehen, daß der Geisterglau be gerade im Zeitalter des Materialismus - dieser unvermeidlichen Folge der rationalistischen Aufklärung - eine Wiederbelebung auf höherer Stufe erlebt hat, und diesmal nicht als einen Rückfall in die Dunkelheit des Aberglaubens, sondern als ein intensives wissen schaftliches Interesse, als ein Bedürfnis, mit dem Lichte der Wahr heit dieses düstere Chaos zweifelhafter Tatsachen zu erhellen. Die Namen eines Crookes, Myers, Wallace, Zöllner und vieler anderer ausgezeichneter Autoren symbolisieren diese Wiedergeburt und Erneuerung des Geisterglaubens. Wenn man sich auch über die Natur der Beobachtungen streiten, wenn man diesen Forschern auch Irrtümer und Selbsttäuschungen vorwerfen kann, so bleibt ihnen doch das unsterbliche moralische Verdienst, mit dem ganzen Gewicht ihrer Autorität und ihres großen wissenschaftlichen Na mens, unter Hintansetzung persönlicher Ängstlichkeit, für diese Bemühungen, in der Finsternis ein neues Licht zu entzünden, ein getreten zu sein. Sie haben weder das akademische Vorurteil noch den Spott der Menge gescheut und haben gerade in einer Zeit, wo das Denken der Gebildeten mehr denn je der materialistischen Strömung verfiel, auf Phänomene psychischer Provenienz hinge wiesen, welche zum Materialismus der Gegenwart in schärfstem Widerspruch zu stehen schienen. Diese Männer bezeichnen daher eine Reaktion des menschlichen
1 10
O K K U LT I S M U S
Geistes gegen die materialistische Weltanschauung. Vom Stand punkt der Geschichte aus betrachtet, ist es keineswegs erstaunlich, daß sie sich gerade des Geisterglaubens bedienten als der wirksam sten Waffe gegen die bloß sinnlich bedingte Wahrheit, denn der Geisterglaube hat auch für den Primitiven dieselbe funktionale B edeutung. Die ungeheure Abhängigkeit des Primitiven von den umgebenden Umständen, die vielfache Not und Bedrängtheit sei nes Lebens unter feindlichen Nachbarn und gefährlichen Raubtie ren, öfters ausgeliefert einer unbarmherzigen Natur, seine ge schärften Sinne, seine sinnliche Begehrlichkeit, seine mangelhaft beherrschten Affekte, alles bindet ihn an physische Realitäten, so daß er stets in Gefahr steht, einer völlig materialistischen Einstel lung und damit der Degeneration zu verfallen. Sein Geisterglaube aber, oder besser gesagt, seine Wahrnehmung des Geistigen, reißt ihn immer wieder aus der Bindung an die bloß sieht- und tastbare Welt heraus und drängt ihm die Gewißheit einer geistigen Realität auf, deren Gesetze er ebenso sorgsam und ängstlich zu befolgen hat wie die Gesetze der ihn umgebenden physischen Natur. Er lebt daher eigentlich in zwei Welten. Seine physische Realität ist zu gleich auch eine Geisterwelt; so unleugbar ihm jene ist, so wirklich ist ihm auch diese, nicht etwa aus bloßem D afürhalten, sondern aus Naivität der Wahrnehmung geistiger Dinge. Wo immer diese Naivität durch die Berührung mit der Kultur und ihrer für den Primitiven verderblichen Aufgeklärtheit zugrunde gegangen ist, härte auch seine Bedingtheit durch das geistige Gesetz auf, und er degenerierte. Vor diesem Untergang wird ihn auch das Christen tum nicht bewahren, denn diese hochentwickelte Religion verlangt auch eine hochentwickelte Psyche, um ihre segensreichen Wirkun gen entfalten zu können. Das Geisterphänomen ist dem Primitiven die unmittelbare Evi denz der Realität des Geistig�n. Wenn wir näher untersuchen, worin für ihn das Geisterphänomen besteht, so finden wir folgen de psychologische Tatsachen : Vor allem ist die Geistervision unter den Primitiven nicht selten. Man ist geneigt anzunehmen, daß die se beim Primitiven ungleich viel häufiger vorkomme als beim Kul turmenschen, und man leitet daraus die Idee ab, die Geistervision sei bloßer Aberglauben, denn bei einem aufgeklärten Menschen komme so etwas nie vor, außer etwa in krankhaften Zuständen. Es ist ganz gewiß, daß der Kulturmensch ungleich viel weniger von der Geisterhypothese Gebrauch macht als der Primitive; es ist aber meines Erachtens ebenso gewiß, daß das psychische Phänomen selber nicht sehr viel seltener bei ihm vorkommt als beim Primiti ven. Ich bin überzeugt, daß ein Europäer, der dieselben Exerzitien und Praktiken durchliefe, welche ein Medizinmann gebraucht, um
PSYC H O L O G I S C H E G R U N D LA G E N DES G EISTERGLAU B E N S
111
sich die Geister sichtbar zu machen, auch dieselben Wahrnehmun gen machen würde. Er würde sie allerdings anders deuten und dadurch entkräften, was aber von der Tatsache als solcher nichts wegnähme. Bekannt ist ja der Umstand, daß auch der Europäer allerhand merkwürdige psychische Wahrnehmungen machen kann, wenn er längere Zeit unter primitiven Umständen zu leben gezwungen ist oder wenn er sich sonstwie unter außerordentlichen psychischen Bedingungen befindet. Eine wesentliche Stütze des Geisterglaubens bildet für den Pri mitiven der Traum. Im Traume treten sehr oft handelnde Personen auf, welche vom primitiven Bewußtsein gerne als Geister verstan den werden. Für den Primitiven haben gewisse Träume bekannt lich einen unvergleichlich viel höheren Wert als für den Kultur menschen. Er spricht nicht nur sehr viel von seinen Träumen, sondern sie sind ihm auch so bedeutungsvoll, daß es oft scheint, als könne er sie von der Wirklichkeit kaum unterscheiden. Den Kul turmenschen im allgemeinen erscheinen zwar die Träume als un wichtig, aber es gibt doch auch unter ihnen sehr viele Menschen, welche gewissen Träumen eine große Bedeutung beilegen, und zwar gerade um ihres oft fremden und eindrucksvollen Charakters willen. Diese Eigentümlichkeit gewisser Träume läßt die Annah me, daß sie Eingebungen seien, verständlich erscheinen. Zu der Inspiration gehört aber auch implicite ein Inspirierendes, ein Spiri tus oder Geist, wenn schon von dieser logischen Folgerung wenig die Rede ist. Ein besonders günstiger Fall ist das nicht seltene Auftreten Verstorbener in Träumen. Der naive Verstand hält dies für ein Wiedererscheinen der Toten. Eine weitere Quelle für den Geisterglauben sind die psychogenen Krankheiten, nervöse Störungen, besonders solche von hysteri scher Art, welche bei Primitiven öfters vorzukommen scheinen. Da solche Krankheiten aus psychologischen Konflikten hervorge hen, die größtenteils unbewußt sind, so hat es den Anschein, als ob diese Krankheiten verursacht wären durch diejenigen Lebenden oder Verstorbenen, welche mit dem subjektiven Konflikt irgend wie wesentlich verbunden sind. Handelt es sich um Verstorbene, so liegt die Annahme nahe, daß es ihr Geist sei, welcher eine schädliche Wirkung ausgeübt habe. Da pathogene Konflikte häu fig bis in die Kindheit zurückreichen und auf diese Weise mit den Erinnerungen an die Eltern zusammenhängen, so ist es verständ lich, daß dem Primitiven gerade die Geister verstorbener Angehö riger von besonderer Wichtigkeit sind. Aus diesen Beziehungen erklärt sich der vielfach verbreitete Ahnen- und Verwandtenkul tus. Der Totenkult bedeutet in erster Linie einen Schutz gegen das Übelwollen der Verstorbenen. Wer sich mit der Behandlung Ner-
112
O K K ULTI S M U S
venkranker beschäftigt, weiß, wie groß die B edeutung der Eltern einflüsse auf die Kranken ist. Viele Patienten fühlen sich geradezu verfolgt von den Eltern, auch wenn diese längst tot sind. Die psy chologischen Nachwirkungen der Eltern sind so stark, daß sich, wie gesagt, bei vielen Völkern ein ganzes System des Totenkultus herausgebildet hat. 1 Von unzweifelhafter Bedeutung für die Entstehung des Geister glaubens sind die eigentlichen Geisteskrankheiten. Bei primitiven Völkern handelt es sich, soweit Genaueres darüber bekannt ist, meist um Krankheiten deliriöser, halluzinatorischer und katatoner Art, die anscheinend zu dem weiten Gebiet der sogenannten Schi zophrenie gehören, einer Krankheit, welche die Großzahl der chronischen Geisteskranken ausmacht. Immer und überall wurden G eisteskranke als von bösen Geistern Besessene angesehen. Die sem Glauben kommt der Kranke durch seine Halluzinationen ent gegen . Diese Art von Kranken leiden weniger an Visionen als vielmehr an Halluzinationen des Gehörs : sie hören »Stimmen<< . Diese Stimmen sind sehr häufig diejenigen von Angehörigen oder von Personen, welche mit den subjektiven Konflikten des Kranken irgendwie verknüpft sind. Auf den naiven Verstand machen solche H alluzinationen natürlicherweise den Eindruck, als ob sie von Geistern herrührten. Vom Geisterglauben kann man nicht reden, ohne zugleich auch den Seelenglauben in Betracht zu ziehen. Der Seelenglauben ist ein Korrelat zum Geisterglauben. Wie in der primitiven Überzeugung ein Geist meist ein Totengeist ist, so war er vorher die Seele eines Lebenden . Dies ist namendich dort der Fall, wo die Überzeugung vorherrscht, daß der Mensch nur eine Seele besitze. Diese Annah me b esteht aber gar nicht überall, sondern es wird sehr häufig angenommen, daß der Mensch zwei oder mehrere Seelen besitze, 1 Als ich mich 1925/26 auf einer Expedition am Mount Elgon aufhielt, erkrankte eine unserer Wasserträgerinnen, eine junge Frau, die in einem benachbarten Kraal wohnte, allem Anschein nach an einem septischen Abort mit hohem Fieber. Unsere spärliche Ausrüstung genügte nicht zu einer Behandlung. Die Angehörigen ließen sofort einen »nganga«, einen Medizinmann, kommen. Dieser ging in immer weiteren Kreisen um die Hütte herum und beschnupperte die Umgebung. Plötzlich stand er still auf einem Pfad, der vom Berg herunterkam, und erklärte, die Kranke sei die einzige Tochter von Eltern, die allzu jung gestorben seien und sich jetzt oben im Bambuswald aufhielten, von woher sie jede Nacht herunterkämen, um die Tochter krank zu machen, damit sie sterbe und ihnen dann Gesellschaft leiste. Es wurde nun sofort an diesem Pfade eine •Geisterfalle• in Gestalt einer Miniaturhütte gebaut, eine kleine Lehmfigur als Simulacrum der Kran ken geformt und mit •posho• (Lebensmitteln) in das Hüttchen gelegt. Nachts kehrten die Geister dort ein, weil sie meinten, bei der Tochter zu sein. Zu unserem maßlosen Erstaunen genas die Kranke innerhalb von zwei Tagen. War unsere Diagnose falsch? Das Rätsel blieb ungelöst.
P SY C H O L O G I S C H E G R U N D LA G E N D ES G EISTERGLAUBENS
1 13
von denen die eine oder andere den Tod überdauert und eine relative Unsterblichkeit besitzt. In diesem Fall ist der Totengeist nur eine von den verschiedenen Seelen des Lebenden. Er ist also nur ein Teil der Gesamtseele, ein psychisches Fragment sozusagen. Der Seelenglauben ist somit eine fast notwendige Voraussetzung des Geisterglaubens, insofern es sich um den Glauben an Toten geister handelt. Es gibt nun in der primitiven Überzeugung aller dings nicht bloß Totengeister, sondern auch Elementardämonen, von denen nicht angenommen wird, daß sie je Menschenseelen oder Teile von solchen gewesen seien. Für diese Gruppe von Gei stern käme daher eine andere Ableitung in Frage. Bevor wir nun näher auf die psychologischen Grundlagen des Seelenglaubens eintreten, wollen wir einen kurzen Rückblick auf die vorhin erwähnten Tatsachen werfen. Ich habe in der Hauptsa che drei Quellen hervorgehoben, welche dem Geisterglauben eine sozusagen tatsächliche Grundlage verschaffen : die Geistervision, den Traum und die krankhaften Störungen des Seelenlebens. Der normalste und häufigste Fall ist der Traum, dessen große Bedeu tung für die primitive Psychologie allgemein anerkannt wird. Was ist nun der Traum ? Der Traum ist ein psychisches Gebilde, welches ohne bewußte Motivierung im schlafenden Zustande entsteht. Im Traumschlafe ist das Bewußtsein allerdings nicht völlig erloschen, sondern es besteht noch eine geringe Bewußtheit. So hat man zum Beispiel in den meisten Träumen noch ein relatives Bewußtsein seines Ich, allerdings eines sehr beschränkten und eigentümlich veränderten Ich, das man als Traum-Ich bezeichnet. Es ist nur ein Fragment oder eine Andeutung des wachen Ich. Bewußtsein besteht nur insofern, als ein psychischer Inhalt mit dem Ich assoziiert ist. Das Ich stellt einen psychischen Komplex von besonders fester innerer Bindung dar. Da der Schlaf selten ganz traumlos ist, so kann man auch annehmen, daß der Ichkomplex selten als Tätigkeit ganz er lischt. Seine Tätigkeit ist in der Regel durch den Schlaf nur be schränkt. An dieses Ich assoziieren sich im Traume psychische Inhalte, die so an das Ich herantreten, wie zum Beispiel die realen äußeren Umstände, weshalb wir auch im Traume meistens in Si tuationen versetzt sind, welche keine Ähnlichkeit mit dem wachen Denken, sondern vielmehr mit Wirklichkeitssituationen haben. Wie die realen Menschen und Dinge in unser Blickfeld treten, so treten auch die Traumbilder wie eine andere Art von Realität in das Bewußtseinsfeld des Traum-Ich. Wir haben nicht das Gefühl, daß wir die Träume machen, sondern sie kommen zu uns. Sie unterliegen nicht unserer Willkür, sondern gehorchen eigenen Ge setzen. Sie stellen offenbar autonome psychische Komplexe dar,
114
O K K U LTI S M U S
welche aus sich selber sich z u gestalten vermögen. Ihre Motivquel le ist uns unbewußt. Wir sagen darum, daß die Träume aus dem Unbewußten kommen. Wir müssen daher annehmen, daß es selb ständige psychische Komplexe gibt, die unserer Bewußtseinskon trolle entgehen und nach ihren eigenen Gesetzen auftreten und verschwinden. Aus unserem wachen Dasein glauben wir zu wis sen, d aß wir unsere Gedanken machen und sie dann haben, wann wir wollen . Wir glauben auch zu wissen, warum und wozu wir diese Gedanken haben, und kennen ihre Herkunft. Wenn uns je ein G edanke wider unseren Willen kommt und uns beherrscht, oder wenn er plötzlich ohne unseren Willen verschwindet, so empfinden wir diesen Fall als einen Ausnahmefall oder gar als etwas Krankhaftes. Der Unterschied der psychischen Aktivität im Wachen und im Schlafzustand scheint daher bedeutend zu sein . Im Wachen untersteht die Psyche anscheinend dem bewußten Willen, im Schlaf dagegen erzeugt sie Inhalte, die fremd und unverständ lich wie aus einer anderen Welt in unser Bewußtsein hineinragen. Dasselbe ist nun der Fall mit der Vision. Sie ist wie ein Traum, aber im wachen Zustand. Sie tritt aus dem Unbewußten neben die bewußte Wahrnehmung und ist nichts anderes als ein momentaner Einbruch eines unbewußten Inhaltes in die Kontinuität des Be wußtseins. Das gleiche Phänomen findet auch in der Geistesstö rung statt. Anscheinend ganz unvermittelt hört das Ohr nicht bloß die G eräusche der Umgebung, die von außen kommenden Schall wellen, sondern es wird von innen erregt und hört psychische Inhalte, welche keine unmittelbaren Bewußtseinsinhalte des Sub j ektes waren.2 Neben den Urteilen, welche durch den Intellekt und das Gefühl aus Prämissen gebildet werden, treten Meinungen und Überzeugungen auf, welche sich dem Subjekt aufdrängen, anschei nend aus wirklichen Wahrnehmungen, tatsächlich aber aus inneren u nbewußten Bedingungen stammend. Dies sind die Wahnideen. Das Gemeinsame dieser drei Fälle ist die Tatsache, daß die Psy che als Ganzes keine unteilbare Einheit ist, sondern ein teilbares und mehr oder weniger geteiltes Ganzes . Obschon die einzelnen Teile u ntereinander zusammenhängen, so sind sie doch von relati ver Selbständigkeit, welche so weit geht, daß gewisse Seelenteile entweder gar nicht oder nur selten mit dem Ich in Assoziation treten . Ich habe diese Seelenteile als autonome Komplexe bezeich net und auf die Tatsache ihres Vorhandenseins meine sogenannte Komplextheorie der Psyche gegründet.3 Nach dieser Theorie bil2 Es gibt auch Fälle, wo die Stimmen der Kranken die eigenen bewußten Gedanken laut vortragen. Doch sind dies seltenere Fälle. 3 Vgl. Allgemeines zur Komplextheorie, GW 8.
P S Y C H O L O G I S C H E G R U N D LA G E N D E S G E I S T E R G LA U B E N S
115
det der Ichkomplex das für unsere Psyche charakteristische Zen trum. Er ist aber nur einer unter verschiedenen Komplexen. Die anderen Komplexe treten mehr oder weniger oft in Assoziation mit dem Ichkomplex und werden auf diese Weise bewußt. Sie können aber auch längere Zeit existieren, ohne mit dem Ich in Assoziation zu treten. Ein treffliches und allgemein bekanntes Bei spiel hiefür ist die Psychologie der Bekehrung des Paulus. Ob schon der Moment der Bekehrung ein absolut plötzlicher zu sein scheint, so wissen wir doch andererseits aus vielfacher Erfahrung, daß zu einer so fundamentalen Umwandlung eine längere innere Vorbereitung gehört; und erst wenn diese vollendet ist, das heißt wenn das Individuum zur Bekehrung reif ist, bricht die neue Er kenntnis mit gewaltigem Affekt durch. SauJus war unbewußt schon längere Zeit ein Christ, daraus erklärt sich sein fanatischer Christenhaß ; denn Fanatismus findet sich immer bei solchen, die einen inneren Zweifel zu übertönen haben. Darum sind die Kon vertiten immer die schlimmsten Fanatiker. Die Vision Christi auf dem Wege nach Damaskus bezeichnet bloß den Moment, wo der unbewußte Christuskomplex sich mit dem Ich des Paulus assozi ierte. Daß ihm Christus dabei quasi objektiv als Vision gegenüber trat, erklärt sich aus dem Umstand, daß die Christlichkeit des Saulus ein ihm unbewußter Komplex war. Daher erschien ihm dieser Komplex projiziert, als quasi nicht zu ihm selber gehörig. Er konnte sich selber als Christen nicht sehen; weshalb er aus Wider stand gegen Christus blind wurde und nur durch einen Christen wieder geheilt werden konnte. Die psychogene Blindheit, um die es sich in diesem Falle handelte, ist erfahrungsgemäß immer ein (unbewußtes) Nichtsehenwollen. Das Nichtsehenwollen in diesem Falle entspricht dem fanatischen Widerstand des SauJus gegen das Christentum. Dieser Widerstand ist, wie die Schrift beweist, bei Paulus nie ganz erloschen, sondern brach in seinen Anfällen, die man fälschlicherweise als Epilepsie erklärt, zeitweise wieder her vor. Die Anfälle entsprechen einer plötzlichen Wiederkehr des Sauluskomplexes, der durch die Bekehrung so abgespalten wurde wie früher der Christuskomplex. Wir dürfen aus Gründen intellektueller Moral den Fall des Pau lus nicht einer metaphysischen Erklärung unterwerfen, sonst müß ten wir auch alle ähnlichen Fälle, die sich bei unseren Kranken ereignen, auf die gleiche metaphysische Weise erklären. Damit aber käme man zu ganz absurden Konklusionen, gegen die sich nicht nur die Vernunft, sondern auch das Gefühl sträubt. In Träumen, Visionen, krankhaften Halluzinationen und Wahn ideen treten die autonomen Komplexe der Psyche am deutlichsten hervor. Weil sie dem Ich unbewußt, also fremd sind, erscheinen sie
1 16
O K K U LTI S M U S
zunächst immer proj iziert. I m Traume sind sie durch andere Per sonen dargestellt, in der Vision gewissermaßen in den Raum proji ziert, wie in der Geistesstörung die Stimmen, insofern diese nicht von den Kranken direkt den Personen ihrer Umgebung zuge schrieben werden . Die Verfolgungsideen richten sich bekanntlich häufig auf b estimmte Personen, welche mit den Qualitäten des u nbewußten Komplexes ausgestattet werden. Sie werden vom Kranken als feindlich empfunden, weil sein Ich dem unbewußten Komplex feindlich gegenübersteht, etwa wie SauJus seinem nicht anerkannten Christuskomplex. Die Christen wurden von ihm ver folgt als Repräsentanten des in ihm bestehenden, aber von ihm nicht anerkannten Christuskomplexes. Dieser Fall wiederholt sich im Alltagsleben beständig : ohne lange zu zögern, ist man stets bereit, irgendeine Annahme über Menschen und Sachen zu proji zieren und diese dementsprechend zu hassen oder zu lieben. Da Nachprüfen und Nachdenken so umständlich und schwierig sind, so urteilt man lieber unbeschwert und realisiert nicht, daß man bloß projiziert und somit sich selber zum Opfer eines närrischen Illusionstricks macht. Man gibt sich keine Rechenschaft von der Ungerechtigkeit und Lieblosigkeit solchen Verfahrens, und vor allem denkt man nie an die beträchtliche Einbuße an Persönlich keit, die man erleidet, wenn man sich aus lauter Fahrlässigkeit den Luxus gestattet, seine eigenen Fehler oder Vorzüge anderen anzu dichten. Es ist in jeder Hinsicht äußerst unvorteilhaft, den anderen für so dumm und so minderwertig zu halten, wie man selber ist, und man sollte um den Schaden wissen, den man damit anrichtet, daß man die eigenen guten Eigenschaften willig an auf Beute er pichte moralische Wegelagerer abtritt. Die G eister sind also, vom psychologischen Standpunkt aus be trachtet, unbewußte autonome Komplexe, welche projiziert er scheinen, da sie sonst keine direkte Assoziation mit dem Ich ha ben.4 Ich habe vorhin ausgeführt, daß der Seelenglaube ein notwendi ges Korrelat des Geisterglaubens sei. Während die Geister als fremd und als dem Ich nicht zugehörig empfunden werden, ist dies bei der oder den Seelen nicht der Fall. Der Primitive empfindet die Nähe oder den Einfluß eines Geistes als unangenehm oder gefähr lich und fühlt sich erleichtert, wenn der Geist gebannt werden kann. Umgekehrt aber empfindet er den Verlust einer Seele wie eine schwere Krankheit und führt auch eine schwere körperliche ' Man möge dies nicht als metaphysische Konstatierung mißverstehen. Die Frage, ob es Geister an sich gibt, ist damit nicht von ferne entschieden. Die Psychologie beschäftigt sich nicht mit dem »An-sich« der Dinge, sondern nur mit deren Vorstellung.
P S Y C H O L O G I S C H E G R U N D LA G E N D E S G E I S T E R G L A U B E N S
117
Krankheit auf Seelenverlust zurück. Es gibt zahlreiche Riten, den Seelenvogel wieder in den Kranken zurückzulocken. Kinder dür fen nicht geschlagen werden, weil ihre Seele sich sonst beleidigt zurückziehen könnte. Die Seele ist für den Primitiven also etwas, das normalerweise bei ihm sein sollte; die Geister aber scheinen ihm etwas anderes zu sein, das normalerweise nicht in seiner Nähe sein sollte. Er meidet daher auch die Orte, wo sich Geister aufhal ten. Er betritt sie nur mit Scheu, zu religiösen oder magischen Zwecken. Die Mehrheit der Seelen weist auf eine Mehrheit von Komplexen von relativer Autonomie hin, die sich wie Geister verhalten kön nen. Die Seelenkomplexe aber erscheinen dem Ich als zugehörig und ihr Verlust als krankhaft, im Gegensatz zu den Geisterkom plexen, deren Beziehung zum Ich Krankheit bewirkt und deren Abspaltung Genesung bedeutet. Daher kommt es, daß die primiti ve Pathologie als Ursache von Krankheit nicht nur den Seelenver lust kennt, sondern auch die Besessenheit durch den Geist. Die beiden Theorien halten sich so ziemlich die Waage. Dieser Sachla ge entsprechend müßte man also die Existenz unbewußter Kom plexe fordern, welche normalerweise zum Ich gehören, und sol cher, welche normalerweise sich dem Ich nicht assoziieren sollten. Erstere sind die Seelenkomplexe, letztere die Geisterkomplexe. Diese der primitiven Überzeugung geläufige Unterscheidung entspricht nun genau meiner Auffassung des Unbewußten. Das Unbewußte zerfällt nach meiner Auffassung in zwei scharf zu unterscheidende Teile. Der eine Teil ist das sogenannte persönliche Unbewußte. Es enthält alle diejenigen psychischen Inhalte, welche im Laufe des Lebens vergessen worden sind. Ihre Spuren sind im Unbewußten noch erhalten, auch wenn jede bewußte Erinnerung erloschen ist. Außerdem enthält es alle subliminalen Eindrücke oder Perzeptionen, welche eine zu geringe Energie besaßen, um das Bewußtsein erreichen zu können. Dazu kommen noch die unbewußten Vorstellungskombinationen, welche noch zu schwach und zu undeutlich sind, um die Bewußtseinsschwelle überschrei ten zu können. Schließlich finden sich im persönlichen Unbewuß ten auch alle diejenigen Inhalte, die sich als inkompatibel mit der bewußten Einstellung erweisen. Meist betrifft dies eine ganze Gruppe von Inhalten. Vor allen Dingen unterliegen der Verdrän gung wegen Inkompatibilität diejenigen Inhalte, welche moralisch, ästhetisch oder intellektuell als unzulässig erscheinen. Bekanntlich kann der Mensch nie nur Schönes, Gutes und Wahres denken und fühlen. Wenn man sich aber bestrebt, eine möglichst ideale Ein stellung zu haben, so verdrängt man automatisch alles, was zu dieser Einstellung nicht paßt. Wenn, wie dies bei differenzierten
118
O K K U LT I S M U S
Menschen fast immer der Fall ist, eine Funktion, wie zum Beispiel das Denken, vor allem entwickelt ist und damit das Bewußtsein beherrscht, so wird dadurch das Fühlen in den Hintergrund ge drängt, und es gerät damit zum großen Teil ins Unbewußte. Aus diesen Materialien setzt sich das persönliche Unbewußte zusammen. Den anderen Teil des Unbewußten bezeichne ich als das unpersönliche oder kollektive Unbewußte. Wie schon der Na me zeigt, enthält dieses Unbewußte keine persönlichen Inhalte, sondern kollektive, das heißt solche, welche nicht einem Individu um allein zugehören, sondern mindestens einer ganzen Gruppe von Individuen, meist einem ganzen Volke, ja sogar der ganzen Menschheit. Diese Inhalte sind nicht Erwerbungen der Individual existenz, sondern sind Erzeugnisse von angeborenen Formen und Instinkten. Obschon das Kind keine angeborenen Vorstellungen hat, so hat es doch ein hochentwickeltes Gehirn mit ganz be stimmten Funktionsmöglichkeiten. Dieses Gehirn ist von den Ah nen vererbt. Es ist der Niederschlag der psychischen Funktion der ganzen A szendenz. Das Kind bringt somit ein Organ ins Leben mit, das bereit ist, mindestens so zu funktionieren, wie es zu allen Zeiten funktioniert hat. Im Gehirn sind die Instinkte präformiert und ebenso alle Urbilder, auf deren Grundlage die Menschen stets gedacht haben, also der ganze Reichtum an mythologischen Moti ven . 5 Bei einem normalen Menschen ist es natürlich nicht leicht, ohne weiteres die Existenz eines kollektiven Unbewußten nachzu weisen, aber in seinen Träumen melden sich von Zeit zu Zeit mythologische Vorstellungen. Am deutlichsten sieht man solche Inhalte in Fällen von Geistesstörung, speziell in der Schizophrenie. Dort entfalten sich oft die mythologischen Bilder in ungeahnter Mannigfaltigkeit. Die Geisteskranken produzieren oft Ideenver bindungen und Symbole, die man nicht auf die Erfahrungen ihres individuellen Daseins zurückführen kann, wohl aber auf die menschliche Geistesgeschichte. Es ist primitives mythologisches Denken, welches seine Urbilder reproduziert, und nicht Repro duktion bewußter Erfahrungen.6 Das persönliche Unbewußte enthält also Komplexe, welche dem Individuum zugehören und einen unerläßlichen Teil seines psychi5 Worunter keinesfalls die jeweilige Gestalt des Motivs, sondern dessen vorbewußtes (und daher unanschauliches) Schema zu verstehen ist. Man kann dieses dem in der Mutterlauge präformiert vorhandenen Kristallgitter vergleichen, das nicht zu verwech seln ist mit dem verschieden ausgebildeten Axialsystem des individuellen Kristalls. 6 Vgl. dazu mein Buch Wandlungen und Symbole der Libido (Neuausgabe: Symbole der Wandlung, GW 5) ferner Spielrein : Über den psychologischen Inhalt eines Falles von Schizophrenie, 1 9 1 1 , S. 329 ff. ; Nelken : Analytische Beobachtungen über Phantasien eines Schizophrenen, 1912, S. 504 ff. ; Meier: Spontanmanifestationen des kollektiven Unbewußten, 1939.
P S Y C H OL O G I S C H E G R U N D LA G E N D E S G EI S T E R G L A U B E N S
1 19
sehen Lebens bilden. Wenn irgendwelche Komplexe, die mit dem Ich assoziiert sein sollten, durch Verdrängung oder durch Versin ken unbewußt werden, so erfährt das Individuum einen Verlust. Und wenn ihm, zum Beispiel durch psychotherapeutische Be handlung, ein verlorengegangener Komplex wieder bewußtge macht wird, so empfindet es dadurch einen Kraftzuwachs.7 Die Heilung vieler Neurosen geschieht auf diesem Weg. Wenn dage gen ein Komplex des kollektiven Unbewußten sich dem Ich asso ziiert, das heißt bewußt wird, so empfindet das Individuum diesen Inhalt als fremd, unheimlich und zugleich faszinierend ; auf jeden Fall wird das Bewußtsein dadurch in beträchtlicher Weise beein flußt, sei es, daß es den Komplex als krankhaft empfindet, sei es, daß es dadurch dem normalen Leben entfremdet wird. Es tritt durch Assoziation eines kollektiven Inhaltes an das Ich immer ein Zustand von >>Entfremdung<< ein, denn es mischt sich etwas in das individuelle Bewußtsein, das eigentlich unbewußt, das heißt vom Ich getrennt, bleiben sollte. Gelingt es, einen solchen Inhalt wieder aus dem Bewußtsein zu entfernen, so fühlt sich das Individuum erleichtert und normaler. Der Einbruch dieser fremden Inhalte findet sich als charakteristisches Symptom am Anfang vieler Gei steskrankheiten. Die Kranken werden von fremden und unerhör ten Gedanken befallen, die Welt sieht verändert aus, die Menschen haben fremde, verzerrte Gesichter und so weiter. 8 Die Inhalte des persönlichen Unbewußten empfindet man als zur eigenen Seele gehörig, die Inhalte des kollektiven Unbewußten hingegen erscheinen fremd und wie von außen kommend. Die Reintegration eines persönlichen Komplexes wirkt erleichternd und oft direkt heilend, der Einbruch eines kollektiv-unbewußten Komplexes dagegen ist ein sehr unangenehmes, ja sogar gefährli ches Zeichen. Der Parallelismus mit dem primitiven Seelen- und Geisterglauben ist deutlich. Die Seelen der Primitiven entsprechen den autonomen Komplexen des persönlichen Unbewußten, die Geister dagegen den Komplexen des kollektiven Unbewußten. Vom Standpunkt der Wissenschaft aus bezeichnen wir prosai scherweise das, was der Primitive als Seelen oder Geister auffaßt, 7 Dieser wird allerdings nicht immer als angenehm empfunden. Man ist ja zuvor mit dem Verlust des Komplexes gar nicht unzufrieden gewesen, solange man die schlimmen Folgen des Verlustes nicht zu spüren bekam. 8 Kenner dieser Materie werden die Einseitigkeit meiner Darstellung beanstanden, denn sie wissen, daß der Archetypus, eben der autonome Kollektivinhalt, nicht nur den hier geschilderten negativen Aspekt besitzt. I ch habe mich aber hier auf die landläufige Symptomatologie, wie sie in jedem Lehrbuch der Psychiatrie zu finden ist, und auf die ebenso landläufige Abwehreinstellung gegen das Ungewöhnliche beschränkt. Selbstver ständlich hat der Archetypus auch eine positive Numinosität, deren ich reichlich Erwäh nung getan habe.
OKKULTISMUS
1 20
als psychische Komplexe. I n Anbetracht der außerordentlichen Rolle, welche der Seelen- und Geisterglaube in der Geschichte und in der Gegenwart spielt, dürfen wir uns mit der bloßen Konstatie rung solcher Komplexe nicht begnügen, sondern müssen etwas tiefer in ihr Wesen eindringen. M an kann diese Komplexe leicht experimentell demonstrieren mittels des Assoziationsexperimentes.9 Das Experiment besteht bekanntlich darin, daß man der Versuchsperson ein Wort zuruft, worauf die Versuchsperson so rasch wie möglich mit einem dazu gehörigen Wort reagiert. Die Reaktionszeit wird gemessen. Nach der allgemeinen Erwartung müßten alle einfachen Wörter unge fähr mit gleicher Geschwindigkeit beantwortet werden können, und nur »schwierige« Wörter würden eine längere Reaktionszeit verursachen. In Wirklichkeit liegt aber die Sache anders. Es gibt oft unerwartet lange Reaktionszeiten auf sehr einfache Wörter, während schwierigere Wörter rasch beantwortet werden. Es hat sich bei näherer Nachforschung herausgestellt, daß lange Reaktions zeiten meistens dann eintreten, wenn das Reizwort auf einen Inhalt trifft, der stark gefühlsbetont ist. Außer der Verlängerung der Reak tionszeit treten auch noch andere charakteristische Störungen auf, auf deren Einzelheiten ich hier nicht eingehen kann. Die gefühlsbe tonten Inhalte betreffen meistens Dinge, von denen die Versuchsper son möchte, daß sie dem anderen unbekannt blieben. Es handelt sich in der Regel um etwas peinliche und darum verdrängte Inhalte, sogar etwa um solche, welche der Versuchsperson selber unbekannt sind. Wenn ein Reizwort auf einen solchen Komplex trifft, so fällt ihr ü berhaupt keine Antwort ein, oder es fallen ihr so viele Dinge ein, daß sie aus diesem Grunde gar nicht weiß, was antworten, oder sie wiederholt mechanisch das Reizwort oder gibt eine Antwort und ersetzt sie gleich durch eine andere und so weiter. Wenn man, nach vollendetem Experiment, die Versuchsperson noch einmal befragt, was sie auf die einzelnen Reizwörter geantwortet hat, so kann sie sich an die gewöhnlichen Reaktionen meistens gut erinnern, an die Komplexwörter dagegen meistens schlecht. Diese Eigentümlichkeiten zeigen deutlich die Eigenschaften des autonomen Komplexes : Er bewirkt eine Störung in der Reaktions bereitschaft, er entzieht einem die Antwort oder bewirkt wenig stens eine unverhältnismäßige Verspätung, oder er verursacht eine nicht p assende Reaktion, und nachträglich entzieht er auch oft die Erinnerung an die Antwort. Er durchbricht also den bewußten Willen, indem er die Einstellung stört. Darum sprechen wir von der A utonomie der Komplexe. Wenn wir einen Neurotischen oder •
Vgl. meine Schrift Diagnostische Assoziationsstudien, GW 2.
PSYCH O LO G I S C H E G R U N DLAGEN D E S G E I STERGLAU B E N S
121
einen Geisteskranken diesem Experiment unterwerfen, s o entdek ken wir, daß dieselben Komplexe, welche das Reagieren stören, auch zugleich wesentlicher Inhalt der psychischen Störung sind. Sie verursachen nicht nur die Reaktionsstörungen, sondern auch die Symptome. Ich habe einzelne Fälle gesehen, wo gewisse Reiz wörter mit fremden und anscheinend sinnlosen Wörtern beant wortet wurden, mit Wörtern, die der Versuchsperson ganz uner wartet heraussprangen. Es klang so, als hätte ein fremdes Wesen aus ihr gesprochen. Diese Wörter gehörten in den autonomen Komplex. Diese Komplexe können, wenn durch einen äußeren Reiz angeregt, plötzliche Verwirrungen des Denkens, Affekte, De pressionen, Angstzustände und so weiter erzeugen, oder sie äu ßern sich in Halluzinationen. Kurz, sie benehmen sich so, daß der primitive Geisterglaube als eine ungemein anschauliche Formulie rung dafür erscheint. Wir können nun die Parallele noch weiter ziehen. Gewisse Komplexe entstehen durch schmerzliche oder peinliche Erfahrun gen im individuellen Leben. Es sind Lebenserfahrungen affektvol ler Art, welche langdauernde psychische Wunden hinterlassen. Ei ne schlimme Erfahrung kann zum Beispiel wertvolle Eigenschaf ten eines Menschen unterdrücken. Daraus entstehen unbewußte Komplexe persönlicher Natur. Der Primitive würde in diesem Fall von Seelenverlust sprechen - richtigerweise, denn tatsächlich sind gewisse Teile der Psyche anscheinend verschwunden. Ein Teil der autonomen Komplexe entsteht aus solchen persönlichen Erfah rungen. Ein anderer Teil aber stammt aus ganz anderer Quelle. So leicht ersichtlich die erstere Quelle ist - weil sie eben das jeder mann sichtbare äußere Leben betrifft -, so dunkel und schwer verständlich ist die andere, weil sie immer Wahrnehmungen oder Eindrücke von Inhalten des kollektiven Unbewußten betrifft. Ge wöhnlich versucht man diese inneren Wahrnehmungen durch äu ßere Ursachen zu rationalisieren, ohne damit aber der Sache beizu kommen. Es handelt sich im Grunde genommen um irrationale Inhalte, welche dem Individuum zuvor nie bewußt waren und die es darum vergebens irgendwo außen nachzuweisen versucht. Die primitive Auffassung drückt dies treffend aus mit ihrer Überzeu gung, daß ein fremder Geist dabei seine Hand im Spiele habe. Nach meiner Erfahrung treten diese inneren Erlebnisse entweder dann ein, wenn eine äußere Erfahrung dermaßen erschütternd auf das Individuum eingewirkt hat, daß seine ganze bisherige Lebens anschauung zusammenbricht oder wenn die Inhalte des kollekti ven Unbewußten aus irgendeinem Grunde eine so große Energie erlangen, daß sie das Bewußtsein zu beeinflussen vermögen. Die ses letztere Ereignis tritt meines Erachtens dann ein, wenn im
1 22
O K K U LT I S M U S
Leben eines Volkes oder überhaupt einer größeren menschlichen Gruppe eine tiefgreifende Veränderung politischer, sozialer oder religiöser Natur stattfindet. Diese Veränderung bedeutet zugleich eine Veränderung der psychologischen Einstellung. Wir sind zwar gewohnt, tiefgreifende historische Veränderungen ausschließlich auf äußere Ursachen zurückzuführen. Ich glaube aber, daß die äußeren U mstände öfters mehr oder weniger bloße Gelegenheiten sind, bei welchen die unbewußt vorbereitete, neue Einstellung zu Welt und Leben manifest wird. Durch allgemeine soziale, politi sche und religiöse Bedingungen wird das kollektive Unbewußte affiziert, und zwar in dem Sinne, daß alle diejenigen Faktoren, welche durch die herrschende Weltanschauung respektive Einstel lung im Leben eines Volkes unterdrückt werden, sich allmählich im kollektiven Unbewußten ansammeln und dadurch seine Inhalte beleben. Meistens ist es dann ein Individuum oder mehrere von besonders kräftiger Intuition, welche diese Veränderungen im kol lektiven Unbewußten wahrnehmen und sie in mitteilbare Ideen übersetzen. Diese Ideen breiten sich dann rasch aus, weil auch bei den anderen Menschen parallele Veränderungen im Unbewußten statt gefunden haben. Es herrscht eine allgemeine Bereitschaft, die neuen Ideen aufzunehmen, obschon andererseits auch ein heftiger Wider stand dagegen besteht. Neue Ideen sind nicht bloß Gegner der alten, sondern sie treten auch meistens in einer Form auf, welche der alten Einstellung als mehr oder weniger unannehmbar erscheint. Wenn immer Inhalte des kollektiven Unbewußten belebt wer den, so wirkt dieses Ereignis übermächtig auf das Bewußtsein. Es tritt immer eine gewisse Verwirrung ein. Tritt die Belebung des kollektiven Unbewußten ein infolge des Zusammenbruches der Lebenshoffnungen und -erwartungen, so entsteht dadurch die Ge fahr, daß sich das Unbewußte an die Stelle der Wirklichkeit setzt. Dieser Zustand wäre krankhaft. Tritt dagegen die Belebung ein durch psychologische Vorgänge im Unbewußten des Volkes, so fühlt sich zwar der Einzelne bedroht oder mindestens desorien tiert, aber der daraus hervorgehende Zustand ist kein krankhafter, wenigstens nicht für das Individuum. Wohl aber ließe sich dann der G eisteszustand des ganzen Volkes mit einer Psychose verglei chen. Gelingt die Übersetzung des Unbewußten in eine mitteilbare Sprache, so entsteht eine erlösende Wirkung. Die in den unbewuß ten Inhalten befindlichen Triebkräfte werden durch die Überset zung ins Bewußtsein übergeführt und bilden eine neue Kraftquel le, welche einen folgenschweren Enthusiasmus auslösen kann.1 0 10 Die obige Beschreibung des Zustandekommens einer Kollektivpsyche ist im Früh jahr 1 9 1 9 verfaßt worden. Die Zeitereignisse von 1933 an geben dazu die Bestätigung.
P S Y C H O L O G I S C H E G R U N D L A G E N D E S G E I S T E R G LAU B E N S
123
Die Geister sind nicht unter allen Umständen gefährlich und schädlich, sondern können, wenn in Ideen übersetzt, auch segens reiche Wirkung�n entfalten. Ein allgemein bekanntes Beispiel für einen solchen Ubergang eines kollektiv-unbewußte� Inhaltes in die allgemeine Sprache ist das Pfingstwunder. Für den Außenste henden befanden sich die Apostel in einem Zustand ekstatischer Verwirrung.11 Aber aus eben diesem Zustande heraus vermittelten sie die neue Lehre, welche der unbewußten Erwartung des Volkes den passenden und erlösenden Ausdruck verlieh und sich mit er staunlicher Schnelligkeit durch das ganze römische Weltreich aus breitete. Die Geister sind Komplexe des kollektiven Unbewußten, wel che entweder an die Stelle einer verlorengegangenen Anpassung treten, oder eine ungenügend gewordene Einstellung eines ganzen Volkes durch eine neue zu ersetzen trachten. Die Geister sind also krankhafte Gedanken oder noch unbekannte neue Ideen. Die Geister der Verstorbenen entstehen dadurch, daß derjenige Betrag an affektiver Zugehörigkeit, welcher den Verstorbenen mit seinen Angehörigen verband, mit dem Tode seine Realanwendung verliert und darum in das Unbewußte gerät, wo er einen kollekti ven Inhalt belebt, der keine günstigen Wirkungen auf das Bewußt sein ausübt. Die Batak und viele andere Primitive sagen daher, daß die Verstorbenen sofort mit dem Tode ihren Charakter ver schlechtern und den Lebenden immer irgendwie zu schaden trach ten. Sie sagen dies offenbar aus der vielfach gemachten Erfahrung, daß eine unaufgelöste Bindung an Verstorbene die Menschen zum Leben weniger tauglich macht, ja sogar seelische Krankheiten ver ursacht. Die ungünstige Wirkung kann unmittelbar eintreten in Gestalt von Libidoverlust, Depression und körperlicher Krank heit. Als postmortale Ereignisse werden auch allgemein Spukphä nomene berichtet. Es handelt sich dabei in erster Linie um psychi sche Tatsachen, die man nicht in Abrede stellen kann. Die mit der sogenannten allgemeinen Aufklärung sonderbarerweise verbunde ne Superstitionsphobie veranlaßt sehr oft, daß höchst interessante Tatsachenberichte schleunigst unterdrückt werden und so der For schung verlorengehen. Ich habe nicht nur vielerlei Berichte dieser Art bei meinen Patienten eruieren können, sondern selber einiges beobachtet. Aber mein Material ist zu spärlich, als daß ich darauf eine begründbare Ansicht basieren könnte. Immerhin bin ich zur subjektiven Überzeugung gelangt, daß es sich beim Spuk um Tat sachen handelt, von denen man zwar träumt, aber wovon die >>Schulweisheit<< keine Notiz nehmen will. 11
Apostelgeschichte 2, 1 3 : »Sie sind voll süßen Weines.•
1 24
O K K U LTI S M U S
Ich habe in diesem Aufsatz eine psychologische Auffassung des Geisterp roblems skizziert, wie sie sich aus der derzeitigen Er kenntnis unbewußter Prozesse ergibt. Ich habe mich ganz auf das Psychologische beschränkt und mit Absicht die Frage, ob Geister auch an und für sich existieren und ihre Existenz durch materielle Wirkungen bekunden könnten, aus der Diskussion gelassen. Nicht etwa, weil ich a priori der Meinung wäre, eine solche Frage sei unsinnig, sondern weil ich nicht in der Lage bin, irgendwie bewei sende Erfahrungen beizubringen. Mein Leser ist sich wohl mit mir bewußt, wie außerordentlich schwierig es ist, Beweise für die un abhängige Existenz der Geister zu finden, denn die gewöhnlichen spiritistischen Kommunikationen sind meist nichts anderes als sehr alltägliche Manifestationen des persönlichen Unbewußten. Immerhin gibt es erwähnenswerte Ausnahmen. So möchte ich auf den merkwürdigen Fall, den Stewart E. White in einer Reihe von B üchern beschreibt, aufmerksam machen . Die Kommunikationen haben hier einen ungewöhnlich tieferen Gehalt als anderswo. So werden eine Reihe von archetypischen Ideen produziert, darunter zum B eispiel der Archetypus des Selbst, so daß man beinahe mei nen könnte, es handle sich um Entlehnungen aus meinen Schriften. Ganz abgesehen von einem bewußten Plagiat halte ich auch eine kryptomnestische Reproduktion für unwahrscheinlich. Es dürfte sich wirklich um genuine Spontanproduktion des kollektiven Ar chetypus handeln. Das ist an sich nichts Außergewöhnliches, da man gerade den Typus des Selbst überall in der Mythologie wie in individuellen Phantasieprodukten antreffen kann. Die spontane B ewußtwerdung von Kollektivinhalten, deren Vorhandensein im Unbewußten von der Psychologie schon längst eruiert worden ist, gehört mit zu der allgemeinen Tendenz mediumistischer Kommu nikationen, die Inhalte des Unbewußten ins Bewußtsein überzu führen. Ich habe den weitaus größeren Teil der spiritistischen Lite ratur gerade auf die in den Kommunikationen zutage tretenden Tendenzen untersucht und bin dabei zum Schlusse gekommen, daß im Spiritismus ein Spontanversuch des Unbewußten vorliegt, in kollektiver Form bewußtzuwerden. Die Bemühungen der soge nannten Geister laufen darauf hinaus, entweder die Lebenden di rekt bewußter zu machen, oder den neu Verstorbenen ihre psy chotherapeutischen Bemühungen und damit indirekt wieder den Lebenden angedeihen zu lassen. Der Spiritismus als Kollektiver scheinung verfolgt also dieselben Ziele wie die ärztliche Psycholo gie, und dabei produziert er sogar, wie seine neuesten Manifesta tionen dartun, dieselben Grundvorstellungen - allerdings in der Form von >>Geisterlehren« -, welche für das Wesen des kollektiven Unbewußten charakteristisch sind. Solche Dinge, so verblüffend
P S Y C H O L O G I S C H E G R U N D L A G E N D E S G E I S T E R G LA U B E N S
1 25
sie auch sein mögen, beweisen nichts für und nichts gegen die Geisterhypothese. Ein anderes ist es allerdings mit den geglückten Identitätsnachweisen. Ich werde nicht die Modetorheit begehen, alles, was ich nicht erklären kann, für Schwindel anzusehen. Es dürfte nur sehr wenige Nachweise dieser Art geben, welche dem Kriterium der Kryptomnesie und vor allem der »extra-sensory per ception<< standhalten. Die Wissenschaft kann sich den Luxus der Naivität nicht gestatten. Diese Fragen sind noch zu beantworten. Wer sich aber für die Psychologie des Unbewußten interessiert, dem kann ich nur empfehlen, die Bücher Stewart E. Whites zu lesen.12 Das interessanteste Buch scheint mir >The U nobstructed Universe< zu sein. Auch >The Road I Know< ist bemerkenswert, insofern sich darin eine vortreffliche Anleitung zu jener Methode der Aktiven Imagination findet, die ich schon seit mehr als dreißig Jahren in der Neurosenbehandlung verwende, um unbewußte In halte dem Bewußtsein zuzuführen.13 Man findet in diesen Schrif ten noch die primitive Gleichung: Geisterland Traumland (Un bewußtes). Wo es sich um parapsychologische Phänomene handelt, so scheinen diese in der Regel mit der Gegenwart eines Mediums verbunden zu sein.14 Sie sind, soweit wenigstens meine Erfahrung reicht, exteriorisierte Wirkungen unbewußter Komplexe. Von die sen Exteriorisationen bin ich allerdings überzeugt. Ich habe zum Beispiel vielfach telepathische Wirkungen unbewußter Komplexe gesehen und auch eine Reihe parapsychischer Phänomene beob achtet. Aber ich kann in all dem keinen Beweis für die Existenz von wirklichen Geistern erblicken, sondern muß dieses Erschei nungsgebiet bis auf weiteres für ein Kapitel der Psychologie hal ten.15 Ich glaube, die Wissenschaft muß sich diese Beschränkung =
12 Herr Dr. Künkel in Los Angeles hat mich freundliehst auf Stewart E. White auf merksam gemacht. 13 Eine kurze Schilderung der Methode findet sich in Die transzendente Funktion, GW 8; ferner in Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewußten, GW 7, § § 341-373. 1 4 Aber es gibt auch von dieser Regel gewisse bemerkenswerte Ausnahmen. (Vgl. z . B. den ortsgebundenen Spuk.) 1 5 Nachdem ich seit einem halben Jahrhundert von vielen Menschen und in vielen Ländern psychologische Erfahrungen gesammelt habe, fühle ich mich nicht mehr so sicher wie im Jahre 1919, als ich obigen Satz niederschrieb. Ich zweifle offen gestanden daran, daß eine ausschließlich psychologische Methodik und Betrachtung den in Frage stehenden Phänomenen gerecht werden kann. Nicht nur die Feststellungen der Parapsy chologie, sondern auch meine eigenen theoretischen Überlegungen, die ich in meinem Eranosbeitrag Jahrbuch 14 (1946), S. 485 ff. (GW 8, §§ 343-442) skizziert habe, führten mich zu gewissen Postulaten, welche das Gebiet der atOmphysikalischen Vorstellungen, d. h . des Raum-Zeit-Kontinuums berühren. Damit wird die Frage der transpsychischen Realität, welche der Psyche unmittelbar zugrunde liegt, aufgeworfen.
1 26
O K K ULT I S M U S
auferlegen . Darüber aber soll man nie vergessen, daß die Wissen schaft nur eine Angelegenheit des Intellektes ist. Der Intellekt ist nur eine unter mehreren fundamentalen psychischen Funktionen und genügt darum nicht zur Schaffung eines allgemeinen Weltbil des. D az u gehört zum mindesten auch das Gefühl. Das Gefühl hat vielfach andere Überzeugungen als der Intellekt, und es ist nicht immer zu beweisen, daß die Überzeugungen des Gefühls gegen über denen des Intellektes minderwertig seien. Wir haben ferner die subliminalen Wahrnehmungen des Unbewußten, welche dem bewußten Intellekt nicht zur Verfügung stehen und deshalb bei einem intellektuellen Weltbild nicht in Betracht kommen. Wir ha ben daher allen Grund, unserem Intellekt nur eine beschränkte Gültigkeit einzuräumen. Wo wir aber mit dem Intellekt arbeiten, müssen wir wissenschaftlich vorgehen und solange einem Erfah rungssatze treu bleiben, bis untrügliche Beweise seiner Ungültig keit vorliegen.
Über spiritistische Erscheinungen (1905)
Es ist unmöglich, im knappen Zeitraum einer Stunde etwas Gründliches und Erschöpfendes zu sagen über ein so komplizier tes historisches und psychologisches Problem, wie es uns die Er scheinung des Spiritismus bietet. Man muß sich darauf beschrän ken, bald auf diese, bald auf jene Seite dieser weitläufigen Materie ein Licht fallen zu lassen. Diese Behandlungsweise hat den Vorteil, daß der Hörer dadurch am ehesten einen Begriff bekommt von der Vielseitigkeit der spiritistischen Frage. Der Spiritismus (von spiri tus = Geist) ist sowohl eine Lehre (die Überzeugten nennen sie eine >>wissenschaftliche<<) als auch eine religiöse Überzeugung, welche, wie jede religiöse Überzeugung, den geistigen Kern abgibt zu einer religiösen Bewegung, einer Sekte, welche das tatsächliche und greifbare >>Hineingreifen einer Geisterwelt in die unsrige<< glaubt und konsequenterweise als ihre religiöse Praxis den Verkehr mit den Geistern übt. Der Spiritismus hat vor anderen religiösen Bewegun gen eine Doppelnatur voraus : Er glaubt nicht bloß an gewisse weiter nicht beweisbare Glaubenstatsachen, sondern er stützt seinen Glau ben auf einen die Naturwissenschaft angehenden, in letzter Linie physikalischen Komplex von Erscheinungen, welche derart beschaf fen sein sollen, daß sie nicht anders als durch die Wirksamkeit von Geistern schlechthin erklärt werden können. Diese eigentümliche Doppelnatur - einerseits religiöse Sekte, andererseits naturwissen schaftliche Hypothese - macht es, daß der Spiritismus die verschie denartigsten und anscheinend entlegensten Lebensgebiete berührt. Der Spiritismus als Sekte nahm seinen eigentlichen Anfang in Amerika im Jahre 1 848. Seine Entstehungsgeschichte klingt selt sam.1 Zwei Mädchen aus der Methodistenfamilie Fox in Hydesvil le bei Rochester (New York) werden allnächtlich durch Klopflaute erschreckt. Zuerst entstand daraus ein großer Skandal, die Nach barn vermuteten, daß der Teufel hier sein Spiel treibe, dann aber gelang es, mit diesen Klopflauten allmählich in Verbindung zu treten, indem man die Entdeckung machte, daß sie auf Fragen mit einer bestimmten Anzahl Schläge antworteten. Mit einem Klopfal phabet wurde schließlich herausgebracht, daß im Hause der Fox ein Mann ermordet und seine Leiche im Keller verscharrt worden sei. Nachforschungen sollen diese Nachricht bestätigt haben. Soweit der Bericht. An öffentlichen Vorstellungen, welche die 1 Ausführlicher Bericht bei Capron : Modern Spiritualism, 1 8 85. Kurz referiert bei Aksakow: Animismus und Spiritismus, 1 894.
128
O K K U LTI S M U S
Fox mit ihren Klopfgeistern i n Rochester gaben, schlossen sich rasch Gründungen von anderen Zirkeln respektive Sekten an. Man nahm das früher schon geübte Tischrücken wieder auf, man suchte und fand zahlreiche Medien, das heißt Personen, bei denen derarti ge Erscheinungen wie Klopflaute, Tischrücken und so weiter vor kommen. Die Bewegung verpflanzte sich rasch auch nach England und dem Kontinent. Bei uns äußerte sich die spiritistische Bewe gung hauptsächlich in Form einer Tischrückepidemie, welche ganz Europa überzog. Es gab dazumal keine Abendgesellschaft, kein Kränzchen, wo nicht in später Stunde noch offen oder verstohlen der Tisch befragt wurde. Dieses eine Symptom des Spiritismus grassierte allgemein ; weniger schnell drang bei uns die religiös sektiererische Sekte durch, doch wuchs sie langsam und stetig. Heutzutage gibt es keine größere Stadt mehr, wo sich nicht eine ziemlich zahlreiche gläubige Spiritistengemeinde fände. In Amerika, wo es von kleinen lokalreligiösen Bewegungen wimmelt, ist auch das Emporkommen der Spiritisten leicht ver ständlich . Bei uns ist die günstige Aufnahme dieses exotischen Glaubens nur daraus verständlich, daß ein günstiger, historischer Boden dafür vorhanden war. Der Anfang des 1 9 . J ahrhunderts hat uns die romantische Richtung der Literatur gebracht, als ein Sym ptom für eine tief ins Volk hinabreichende und weitverbreitete Sucht nach dem Außergewöhnlichen und Abnormen. Man schau erte gerne in Ossianisehen Gefühlen, man bevorzugte die Romane, die in alten Schlössern und verfallenen Klöstern spielten. Überall drängten sich mystische, überempfindsame, hysterische Züge her vor. Gespräche über das Leben nach dem Tode, über Somnambule und Geisterseher, über animalischen Magnetismus ware·n an der Tagesordnung. Schopenhauer hat dieser Richtung ein umfangrei ches Kapitel seiner >Parerga und Paralipomena< gewidmet und kommt auch an verschiedenen Stellen seines H auptwerkes auf der artige Dinge gern zu sprechen. Selbst sein wichtiger Begriff der >>Heiligkeit« ist ein übertriebenes mystisch-asketisches Ideal. Auch in der katholischen Kirche zeigten sich ähnliche Richtungen, die sich namentlich in der seltsamen G estalt des Johann Josef von Görres ( 1 776-1 848) verdichteten. Besonders bezeichnend in dieser Hinsicht ist sein vierhändiges Werk >Die christliche Mystik<. Eine ähnliche Tendenz verrät seine frühere Schrift : >Emanuel Sweden borg. Seine Visionen und sein Verhältnis zur Kirche<. Das prote stantische Publikum schwärmte für die empfindsame Poesie des Justinus Kerner und seiner Seherin, der Frau Friederike Hauffe, während gewisse Theologen ihrer katholisierenden Richtung durch Geisterbannungen Ausdruck verliehen. Aus jener Zeit stam men eine ganze Anzahl merkwürdiger Lebensbeschreibungen oder
ÜBER SPIRITISTISCHE ERSCHEINUNGEN
129
sonstiger psychologischer Schilderungen von ekstatischen (som nambulen, sensitiven) Personen. Man suchte überall diese nervö sen Abnormitäten auf und kultivierte sie förmlich. Ein schönes Beispiel ist Frau Hauffe, die Seherin von Prevorst, und der Kreis von Bewunderern, den sie um sich sammelte. Ein katholisches Gegenstück dazu ist Katharina Emmerich, die ekstatische Nonne von Dülmen. Über ähnliche Persönlichkeiten berichtet ein gelehr ter Anonymus in einem dicken Buche >Die Tyroler ekstatischen Jungfrauen. Leitsterne in die dunkeln Gebiete der Mystik<. Bei diesen wunderlichen Personen - Sensitiven oder Somnambu len, wie man sie damals nannte - wurden meist folgende übersinn liche Vorgänge beobachtet: 1. »Magnetische« Erscheinungen 2. Hellsehen und Prophetie 3. Visionen.
1 . Unter animalischem Magnetismus verstand man im Anfang des 19. Jahrhunderts ein ganz unbestimmt abgegrenztes Gebiet phy siologischer und psychologischer Erscheinungen, die man alle »magnetisch« erklären zu können glaubte. Man sprach von »ani malischem Magnetismus«, seitdem man die genialen Experimente Franz Anton Mesmers gesehen hatte. Mesmer entdeckte nämlich die Kunst, durch leichte Streichungen mit den Händen einen Men schen in Schlaf zu bringen. Bei den einen war dieser Schlaf ein dem natürlichen ähnlicher, bei anderen war er dagegen ein sogenannter »Wachschlaf« , das heißt, die Leute glichen Nachtwandlern, sie schliefen nur partiell, während gewisse Sinnesgebiete wach blie ben. Man nannte diesen Halbschlaf auch den »magnetischen Schlaf« oder Somnambulismus (Schlafwandel). In diesen Zustän den waren die Leute dem Willen des Magnetiseurs gänzlich unter worfen, sie waren von ihm »magnetisiert<< . Bekanntlich haben die se Zustände heutzutage das Wunderbare verloren; wir kennen sie als Hypnose und verwenden die Mesmersehen Striche oder passes als wertvolles Hilfsmittel neben anderen Suggestionsmethoden. Die Bedeutung, die man den Mesmersehen Strichen zumutete, führte auch rasch zu einer unverhältnismäßigen Überschätzung. Man glaubte damit eine Lebenskraft entdeckt zu haben, man sprach von einem »magnetischen Fluidum«, das vom Magnetiseur auf den Patienten überströme und den Krankheitsstoff zersetze. Man wollte damit auch die Bewegungen des Tisches beim Tisch rücken erklären, indem man sich vorstellte, der Tisch werde durch Auflegen der Hände belebt - vitalisiert - und bewege sich darum wie ein belebtes und beseeltes Wesen. Auf ähnliche Weise erklärte
130
O K K U LTI S M U S
man sich die Erscheinungen der Wünschelrute und des automa tisch schwingenden Pendels. Es wurden sogar ganz tolle Erschei nungen dieser Art berichtet und geglaubt. So erzählte die >Neue Preußische Zeitung< aus Barmen in Pommern, daß sich eine Ge sellschaft von sieben Personen in einem freischwimmenden Boote um einen befestigten Tisch gesetzt und ihn magnetisiert habe. »In den ersten 2 0 Minuten trieb das Boot 50 Fuß weit mit dem Strome. Sodann fing es seine drehende Bewegung, seine Rotation an, so daß es unter stetiger Beschleunigung in drei Minuten umwandte ( 1 80 G rad). Durch geschickte Handhabung des Steuerruders wur de endlich die Längsbewegung erzielt, und die Gesellschaft fuhr in 40 Minuten 1/2 Meile stromaufwärts, in 26 Minuten aber dieselbe Strecke zurück. Ein Schwarm Zuschauer, die den Experimenten vom Ufer aus zugesehen, empfing die >Tischfahrer< mit Jubel.« Also ein mystisches Automobilboo t ! Der Universitätsprofessor Nägeli in Freiburg im Breisgau soll zu diesem Experiment den Vorschlag gemacht haben. Auch aus dem grauen Altertum sind derartige Experimente be kannt. So berichtet Ammianus Marcellinus aus dem Jahr 3 7 1 , daß ein gewisser Patricius und ein Hilarius zu Lebzeiten des Kaisers Valens, »durch abscheuliche Wahrsagekünste« nach dem zukünfti gen Reichsnachfolger geforscht hätten. Sie benutzten dazu eine Metallschale, auf deren Rand das Alphabet eingegraben war. Dar über hielten sie unter Beschwörungen einen an einem Faden aufge hängten Ring. Dieser begann zu pendeln und buchstabierte durch Anschlagen an die Schale den Namen Theodorus heraus. Als ihre Zauberei ruchbar wurde, wurden sie verhaftet und hingerichtet. Die gewöhnlichen Experimente mit automatischen Bewegungen des Tisches, der Wünschelrute und des Pendels verlaufen weder so wundersam wie das zuerst genannte Beispiel, noch so gefährlich wie das zweite. Über die verschiedenen Erscheinungen, die beim Tischrücken vorkommen können, hat Justinus Kerner eine Ab handlung geschrieben, die den bezeichnenden Titel führt >Die somnambülen Tische. Zur Geschichte und Erklärung dieser Er scheinungen<. Der j üngst verstorbene Professor Thury in Genf hat ebenfalls über diese Vorgänge geschrieben : >Les Tables parlantes au point de vue de Ia physique generale<. 2. Hellsehen und Prophetie sind weitere Eigentümlichkeiten der Somnambulen. Fälle von Hellsehen in Zeit und Raum spielen in den Lebensbeschreibungen von besseren Somnambulen immer ei ne große Rolle. Die betreffende Literatur ist reich an mehr oder weniger glaubwürdigen B erichten.2 2
A m meisten findet man in Gurney/Myers/Podmore: Phantasms of the Living, 1 886.
ÜBER SPI RITISTI S C H E ERSCHEINUNGEN
131
Ein hübsches Beispiel von Hellsehen bewahrt uns die philo sophische Literatur auf; es ist uns auch darum interessant, weil lmmanuel Kant es mit persönlichen Randbemerkungen versehen hat. In einem nicht genau datierten Brief an Fräulein Charlotte von Knobloch schreibt Kant über den Geisterseher Swedenborg fol gendermaßen : >>Die folgende Begebenheit aber scheint mir unter allen die größ te Beweiskraft zu haben und benimmt wirklich allem erdenklichen Zweifel die Ausflucht. Es war im Jahre 1 756, als Herr von Sweden borg gegen Ende des Septembermonats am Sonnabend um 4 Uhr Nachmittags aus England ankommend, zu Gothenburg ans Land stieg. Herr William Castel bat ihn zu sich und zugleich eine Ge sellschaft von fünfzehn Personen. Des Abends um 6 Uhr war Herr von Swedenborg herausgegangen und kam entfärbt und bestürzt ins Gesellschaftszimmer zurück. Er sagte, es sei eben jetzt ein gefährlicher Brand in Stockholm am Südermalm (Gothenburg liegt von Stockholm über 50 Meilen weit ab) und das Feuer griff sehr um sich. Er war unruhig und ging oft heraus. Er sagte, daß das Haus einer seiner Freunde, den er nannte, schon in der Asche läge und sein eigenes Haus in Gefahr sei. Um 8 Uhr, nachdem er wie der herausgegangen war, sagte er freudig : Gott!ob, der Brand ist gelöschet, die dritte Thüre von meinem Hause! - Diese Nachricht brachte die ganze Stadt und besonders die Gesellschaft in starke Bewegung und man gab noch denselben Abend dem Gouverneur davon Nachricht. Sonntags des Morgens ward Swedenborg zum Gouverneur gerufen. Dieser befrug ihn um die Sache. Swedenborg beschrieb den Brand genau, wie er angefangen, wie er aufgehört hätte und die Zeit seiner Dauer. Desselben Tages lief die Nachricht durch die ganze Stadt, wo es nun, weil der Gouverneur darauf geachtet hatte, eine noch stärkere Bewegung verursachte, da Viele wegen ihrer Freunde oder wegen ihrer Güter in Besorgniß waren. Am Montage Abends kam eine Estafette, die von der Kaufmann schaft in Stockholm während des Brandes abgeschickt war, in Go thenburg an. In den Briefen ward der Brand ganz auf die erzählte Art beschrieben. Dienstags Morgens kam ein königlicher Courier an den Gouverneur mit dem Berichte von dem Brande, vom Ver luste, den er verursachet, und den Häusern, die er betroffen, an ; nicht im mindesten von der Nachricht unterschieden, die Sweden borg zur selbigen Zeit gegeben hatte, denn der Brand war um 8 Uhr gelöseher worden. - Was kann man wider die Glaubwürdig keit dieser Begebenheit anführen ? Der Freund, der mir dieses schreibt, hat alles das nicht allein in Stockholm, sondern vor unge fähr 2 Monaten in Gorbenburg selbst untersucht, wo er die an sehnlichsten Häuser sehr wohl kennt und wo er sich von einer
132
O K K U L TI S M U S
ganzen Stadt, i n der seit der kurzen Zeit von 1 756 doch die meisten Augenzeugen noch leben, hat vollständig belehren können.<<3 Das Prophezeien ist eine begrifflich und durch den Religionsun terricht so bekannte Erscheinung, daß sie durch Beispiele nicht besonders verdeutlicht werden muß. 3 . Die Geistervisionen endlich spielten von jeher eine große Rol le in den Wundergeschichten, sei es als Gespensterspuk oder als ekstatisches Gesicht. Die Wissenschaft faßt die Geistervisionen als Sinnestäuschungen (Halluzinationen) auf. Halluzinationen sind bei Geisteskrankheiten sehr gewöhnlich. Ich greife aus der psych iatrischen Literatur ein beliebiges Beispiel heraus : Eine vierundzwanzigjährige Magd, die von einem trunksüchti gen Vater und einer nervenkranken Mutter stammt, bekommt plötzlich eigentümliche Anfälle : Sie gerät von Zeit zu Zeit in einen anderen Bewußtseinszustand, in welchem sie alles, was ihr in den Sinn kommt, in so lebendigen Farben vor sich sieht, als ob es Wirklichkeit wäre. Dabei wechseln die Bilder mit wahrhaft aufre gender Schnelligkeit und Lebendigkeit. Die Kranke, die eigentlich nichts ist als ein einfaches Landmädchen, gleicht dann einer begei sterten Seherin . Ihre Miene ist verklärt, ihre Bewegungen erfolgen mit wahrer Grazie. An ihrem geistigen Auge ziehen herrliche Bil der vorüber. Schiller erscheint ihr persönlich und spielt mit ihr. Er trägt ihr seine Gedichte vor. Dann fängt sie selbst an zu dichten und Gelesenes, Erlebtes, Gedachtes in Versen zu rezitieren und zu improvisieren. Endlich kommt sie müde, erschöpft, mit Kopfweh und Beklemmungen wieder zum Bewußtsein, mit nur undeutli cher Erinnerung an das Erlebte. Ein andermal hat ihr zweites Be wußtsein einen düsteren Charakter : Sie sieht Unglück prophezei ende Spukgestalten, Geisterzüge, Karawanen von seltsamen und schrecklichen Tiergestalten, sieht ihr eigenes Leichenbegräbnis und so weiter.4 Nach diesem Typus verläuft im allgemeinen auch die Ekstase des Sehers. Aus der Geschichte sind uns zahlreiche Visionäre bekannt; zu ihnen gehören viele der Propheten des Alten Testamentes. Von Paulus wird die Vision auf dem Weg nach Damaskus berichtet; sie war von einer Blindheit gefolgt, die in einem psychologischen Mo ment aufhörte. Diese Blindheit erinnert lebhaft einerseits an die Blindheit, die man durch Suggestion erzeugen kann, andererseits an diejenige, die bei gewissen hysterischen Kranken spontan ent steht und in einem geeigneten psychologischen Momente wieder schwindet. Die schönsten und psychologisch durchsichtigsten Vi' Kant : Träume eines Geistersehers, 1 766, hrsg. von Kehrbach, Anhang, S. 73 f. Bei Krafft-Ebing: Lehrbuch der Psychiatrie, 1 890, S. 577.
4
Ü B E R S P I R IT I S T I S C H E E R S C H E I N U N G E N
133
sionen findet man in der Heiligenlegende, wo die Gesichte am farbigsten sind, wenn es sich bei weiblichen Heiligen um das himmlische Verlöbnis handelt. Ein hervorragender visionärer Ty pus ist die Jungfrau von Orleans, die unter Ludwig XVIII. von dem frommen Träumer Themas Ignaz Martin anscheinend unbe wußt kopiert wurde.5 Ein Visionär von. unerreichter Fruchtbarkeit ist Emanuel von Swedenborg ( 1 689-1 772), ein gelehrter und geistig hochstehender Mann. Seine Bedeutung zeigt sich uns noch darin, daß er einen nicht unbeträchtlichen Einfluß auf Kant ausübte.6 Die bisherigen Ausführungen sollen nichts Abschließendes ge ben, sondern bloß in gröbsten Umrissen das damalige Wissen und die damalige mystische Richtung skizzieren. Sie geben andeu tungsweise die psychologischen Prämissen, welche die rasche Auf nahme, die der amerikanisch-englische Spiritismus bei uns gefun den, verständlich machen. Der Spiritismus fiel auf dem Kontinent auf fruchtbaren Boden. Die Tischrückepidemie der 1 850er Jahre wurde bereits erwähnt. In den 1 860er und -70er Jahren wurde der Höhepunkt erreicht. In Paris wurden am Hofe Napoleons III. spi ritistische Sitzungen abgehalten. Die berühmten und zum Teil be rüchtigten Medien Cumberland, die Gebrüder Davenport, Horne, Slade, Miß Cook produzierten sich; mit ihnen brach eigentlich die Blütezeit des Spiritismus an, denn bei diesen Medien geschahen Wunder, ganz außerordentliche Dinge, die so weit über alles menschliche Maß hinausgingen, daß ein denkender Mensch, der nicht selber Augenzeuge war, ihnen nur Skepsis entgegenbringen konnte. Es geschah nämlich das Unmögliche: Es entstanden menschliche Körper und Körperteile da, wo vorher nichts gewesen war als Luft. Diese Körper verrieten eine selbständige Intelligenz und enthüllten sich als Geister Verstorbener. Sie gingen mit Ver ständnis auf die zweifelnden Forderungen der Menschen der dies seitigen Welt ein und fügten sich sogar experimentellen Bedingun gen: Die Geister hinterließen bei ihrem Verschwinden dem Dies seits Stücke ihrer weißen Florgewänder, Abdrücke von Fuß und Hand, Handschriften auf der Innenseite zweier aneinander gesie gelter Schieferplatten, und schließlich ließen sie sich auch photo graphieren. Tief eindrucksvoll wirkte diese Kunde aber erst, als der auf dem Gebiete der Physik rühmliehst bekannte englische Gelehrte Wil liam Crookes in seiner Zeitschrift >Quarterly Journal of Science< 5 Vgl. Kerner: Die Geschichte des Thomas Ignaz Martin, Landmann zu Gallardon, über Frankreich und dessen Zukunft im Jahre 1 8 1 6 geschaut, 1 835. 6 Über sein Leben vgl. Ballet: Swedenborg, 1 899.
134
O K K U LT I S M U S
der Welt einen Bericht vorlegte über seine während dreier Jahre angestellten Beobachtungen, welche ihn von der Realität der in Frage stehenden Phänomene überzeugt hatten. Da es sich um Be obachtungen handelt, die keiner von uns mitgemacht hat und de ren nähere Bedingungen niemand mehr kontrollieren kann, so bleibt nichts anderes übrig, als durch den Mund des Beobachters selbst zu vernehmen, wie sich seine damaligen B eobachtungen in seinem Gehirn spiegelten. Die Art seines Ausdrucks läßt uns dann wenigstens ahnen, welche Gefühle seine Schilderung begleitet ha ben. I ch zitiere darum wörtlich einen Passus aus dem Berichte Crookes' über die in den Jahren 1 870-1 873 angestellten Untersu chungen : >>Klasse VI: Das Sicherheben von Personen. - Dieses hat sich in meiner Gegenwart bei vier Gelegenheiten im Finsteren zugetra gen. Die Prüfungsbedingungen, unter denen es stattfand, waren ganz befriedigend, soweit sich dieses beurteilen ließ ; aber der sichtbare Beweis einer solchen Tatsache ist so notwendig, um un sere vorgefaßten Meinungen über das >VOn Natur Mögliche und U nmögliche< zu zerstören, daß ich hier nur Fälle erwähnen will, bei denen die Schlußfolgerungen der Vernunft von dem Gesichts sinn bestätigt wurden. B ei einer Gelegenheit sah ich einen Stuhl mit einer auf ihm sit zenden Dame sich mehrere Zoll hoch vom Boden erheben. Bei einer anderen Gelegenheit kniete die D ame, um den Verdacht zu vermeiden, daß dieses auf irgendeine Weise von ihr selbst bewirkt werde, derart auf dem Stuhl, daß uns dessen vier Füße sichtbar waren. Er hob sich dann ungefähr drei Zoll hoch, blieb etwa zehn Sekunden lang schwebend und senkte sich dann langsam nieder. Ein andermal erhoben sich zwei Kinder bei besonderen Gelegen heiten vom Fußboden mit ihren Stühlen in vollem Tageslicht, un ter (für mich) höchst befriedigenden Bedingungen ; denn ich kniete und beobachtete dicht an den Stuhlbeinen, und bemerkte, daß niemand sie berühren konnte. Die schlagendsten Fälle des Sicherhebens, deren Zeuge ich war, fanden bei Mr. Horne statt. Bei drei besonderen Gelegenheiten habe ich ihn vollständig vom Fußboden des Zimmers sich erheben sehen. Das eine Mal saß er auf einem Lehnstuhle, das andere Mal kniete er auf einem Stuhle, und das dritte Mal stand er auf ihm. In j edem Fall hatte ich volle Gelegenheit, den Vorgang zu beobach ten, sobald er stattfand. Es gibt wenigstens hundert berichtete Fälle von Mr. Hornes Er hebungen vom Boden, in Gegenwart ebenso vieler verschiedener Personen, und ich habe von den Lippen dreier Augenzeugen der schlagendsten Vorfälle dieser Art - vom Grafen von Dunraven,
Ü B E R S P I RITISTI S C H E E R S C H E I N U N G E N
135
von Lord Lindsay und von Kapitän Wynne - ihre selbsteigenen, genauesten Berichte von dem, was stattfand, entgegengenommen. Die berichteten Sinneswahrnehmungen über diesen Gegenstand verwerfen, hieße überhaupt alles menschliche Zeugnis verwerfen; denn weder in der heiligen noch in der profanen Geschichte ist eine Tatsache durch eine stärkere Reihe von Zeugnissen gestützt. Die gesammelten Zeugnisse, welche Mr. Hornes Erhebungen feststellen, sind überwältigend. Es ist sehr zu wünschen, daß je mand, dessen Zeugnis in der wissenschaftlichen Welt als entschei dend angesehen wird - wenn in der Tat ein solcher Mann sich finden sollte, dessen Zeugnis zugunsten derartiger Erscheinungen angenommen würde - ernst und geduldig diese behaupteten Tatsa chen prüfen möchte. Die meisten Augenzeugen für diese Erhebun gen leben noch und werden ohne Zweifel geneigt sein, ihr Zeugnis zu geben. Aber in einigen Jahren wird ein solches direktes Zeugnis sehr schwer, wenn überhaupt noch möglich, zu erhalten sein.<<7 Wie man aus dem Tone des Zitates ohne weiteres schließen kann, ist Crookes völlig überzeugt von der Tatsächlichkeit seiner Wahrnehmungen. Ich verzichte auf weitere Zitate. Etwas prinzi piell Neues würde man daraus nicht lernen. Es genügt zu bemer ken, daß Crookes so ziemlich alles, was bei diesen großen Medien vorkommt, gesehen hat. Es ist wohl kaum nötig, noch besonders zu betonen, daß, wenn dieses Unerhörte wirklich Tatsache ist, Welt und Wissenschaft um ein Erfahrungsgebiet von der ungeheu ersten Bedeutung bereichert sind. Die psychologische Auffas sungsfähigkeit und Reproduktionstreue Crookes' in den Jahren 1 870-1 873 vom Standpunkt des Irrenarztes zu kritisieren, ist ein aus vielen Gründen unmögliches Unterfangen. Wir wissen nur, daß Crookes damals nicht manifest geisteskrank war. Crookes und seine Beobachtungen sind uns vorderhand ein ungelöstes psycho logisches Rätsel. Das gleiche gilt auch von einer Reihe anderer Beobachter, deren Intelligenz oder Ehrlichkeit man nicht grundlos herabsetzen will. Von den zahlreichen Beobachtern aber, bei de nen Voreingenommenheit, Kritikmangel und Bildungsfähigkeit auffallen, sage ich nichts : sie kommen von vorneherein nicht in Betracht. Man braucht nicht besonders angekränkelt zu sein von Zweifeln, ob die Welterkenntnis des 20. Jahrhunderts wirklich den höchst möglichen Gipfel erklommen hat, um sich menschlich berührt zu fühlen von dem unzweideutigen Zeugnis eines hervorragenden Gelehrten. Man kann bei diesem Mitgefühl völlig absehen von der physikalischen Frage der Realität solcher Phänomene und sich 7 Crookes : Notes of an Enquiry into the Phenomena called Spiritual, 1 874, S. 85 f.
1 36
O K K U LTI S M U S
vorerst rein der psychologischen Frage zuwenden : Wie kommt ein denkender Mensch, der sich anderweitig nur vorteilhaft über seine B esonnenheit und wissenschaftliche Beobachtungsgabe ausgewie sen hat, dazu, das Unfaßbare als Realität zu behaupten? Dieses psychologische Interesse hat mich veranlaßt, seit Jahren denjenigen Personen, die als Medien veranlagt sind, nachzuspüren. Mein B eruf als I rrenarzt gab mir dazu reichlich Gelegenheit, be sonders in einer Stadt wie Zürich, wo so viele merkwürdige Ele mente auf so kleinem Raum zusammenströmen, wie nicht bald an einem anderen Ort Europas. Ich habe im Laufe der Jahre acht Medien untersucht, sechs weiblichen und zwei männlichen Ge schlechts. Den Gesamteindruck dieser Untersuchungen kann man dahin resümieren, daß man mit äußerst geringen Erwartungen an ein Medium herangehen muß, um nicht enttäuscht zu werden. Die Ausbeute der Untersuchungen hat ein lediglich psychologisches Interesse, das heißt, physikalische oder physiologische Neuigkei ten kamen dabei nicht heraus. Alles, was als wissenschaftlich siche re Tatsache gelten kann, gehört ins Gebiet der geistigen Vorgänge, das heißt der Gehirnprozesse, und ist durch die der Wissenschaft bereits bekannten Gesetze völlig erklärbar. Alle vom Spiritismus für die Wirksamkeit von Geistern rekla mierten Erscheinungen sind an die Gegenwart gewisser Personen, der sogenannten Medien, geknüpft. Als spiritistisch bezeichnete Ereignisse konnte ich nie beobachten an O rten oder bei Gelegen heiten, wo kein Medium zugegen war. Medien sind in der Regel geistig leicht abnorme Personen. Frau Rothe zum Beispiel konnte von den Gerichtspsychiatern nicht als unzurechnungsfähig be zeichnet werden, obschon sie eine Reihe sogenannter hysterischer Symptome darbot. Sieben meiner Medien zeigten leichtere hysteri sche Erscheinungen (die übrigens auch sonst außerordentlich ver breitet sind). Eines meiner Medien war ein amerikanischer Schwindler, dessen Abnormität hauptsächlich in Unverschämtheit bestand. Meine sieben übrigen Medien handelten in guten Treuen. Nur ein Medium, eine Frau in mittlerem Alter, hatte ihre Fähig keiten angeboren ; sie litt nämlich seit frühester Kindheit an Be wußtseinsveränderungen (häufige und leichte hysterische Däm merzustände). Sie machte aus der Not eine Tugend, rief durch Autosuggestion die Bewußtseinsveränderung selbst herbei und p rophezeite dann in dieser Autohypnose. Die anderen Medien wurden auf ihre Fähigkeit erst durch die Umgebung geführt, in dem sie in spiritistischen Sitzungen dazu dressiert wurden, was nicht besonders schwierig ist. Man kann durch ein paar geschickte Suggestionen einen ungemein hohen Prozentsatz der Menschen, namentlich der Frauen, zu einfachen spiritistischen Manipulatio-
Ü B E R S P I RITIST I S C H E E R S C H E I N U N G E N
137
nen bringen, zum Beispiel zu selbständigem Tischrücken, etwas weniger häufig auch zu automatischem Schreiben. Die gewöhnlichsten Erscheinungen, die man an Medien sehen kann, sind das Tischrücken, das automatische Schreiben und das Trancereden. Das Tischrücken besteht darin, daß eine oder mehrere Personen die Hände auf ein leicht bewegliches Tischehen legen. Nach eini ger Zeit (ein paar Minuten bis eine Stunde) fängt der Tisch an, sich zu bewegen, und zwar macht er drehende oder schaukelnde Bewe gungen. Diese Erscheinungen kann man an allen Gegenständen, die berührt werden, beobachten. Das automatisch schwingende Pendel und die Wünschelrute beruhen auf dem gleichen Prinzip. Es war nun eine sehr kindliche Hypothese der früheren Jahrzehn te, daß man annahm, die berührten Gegenstände bewegten sich selbständig, wie lebende Wesen. Wenn man ein etwas schwereres Objekt wählt und während der Bewegung desselben die Armmus keln des Mediums befühlt, so kann man mit aller Deutlichkeit die Spannung derselben konstatieren und damit auch die Anstren gung, welche das Medium macht, um den Gegenstand zu bewe gen. Merkwürdig ist an der Sache bloß, daß die Medien behaupten, sie spürten nichts von dieser Anstrengung, sondern hätten dabei das bestimmte Gefühl, als bewege sich der Gegenstand selbständig oder als würde ihnen der Arm oder die Hand bewegt. Diese psy chologische Erscheinung ist aber bloß für diejenigen Leute merk würdig, welche die Erfahrungen des Hypnotismus nicht kennen. Man kann zum Beispiel einem Hypnotisierten befehlen, daß er nach dem Erwachen alles, was in der Hypnose passiert ist, verges sen müsse, er werde aber nachher auf ein bestimmtes Zeichen, ohne zu wissen warum, plötzlich den rechten Arm emporheben. Nach dem Erwachen hat er richtig alles vergessen ; auf das Zeichen aber erhebt er den Arm ; er weiß aber nicht warum, »es hat ihm den Arm einfach in die Höhe gezogen« . Umgekehrt kann man gelegentlich bei Hysterischen spontan auftretende automatische Erscheinungen beobachten, zum Bei spiel Lähmungen eines Armes oder eigentümliche automatische Bewegungen desselben. Den Grund dieser plötzlich eintretenden Symptome können die Kranken entweder nicht angeben, oder sie geben Scheingründe an, zum Beispiel das komme von einer Erkäl tung oder von Überanstrengung. Man braucht die Kranken bloß zu hypnotisieren, um dann in der Hypnose den wirklichen Grund und die Bedeutung dieses Symptomes zu erfahren. Ein junges Mädchen erwacht des Morgens und entdeckt, daß ihr rechter Arm gelähmt ist. Sie eilt entsetzt zum Arzt und gibt an, sie wisse nicht, woher das komme, sie habe sich offenbar tags zuvor in der Haus-
1 38
O K K U LTI S M U S
haltung überanstrengt. Dies sei der einzige G rund, den sie sich denken könne. In der Hypnose aber stellt es sich heraus, daß tags zuvor die Kranke eine heftige Auseinandersetzung mit den Eltern gehabt hatte, wobei der Vater sie schließlich energisch am rechten Arm gefaßt und zur Türe hinausspediert hatte. Nun ist die Läh mung des rechten Armes klar; sie hängt ab von der dem wachen B ewußtsein nicht gegenwärtigen (unbewußten) Erinnerung an die gestrige Szene. 8 Aus diesen Tatsachen ist zu ersehen, daß an unserem Körper unter Umständen sehr wohl automatische Bewegungen vorkom men können, deren Grund und Herkunft uns unbekannt sind. Wenn uns nicht die Wissenschaft darauf aufmerksam gemacht hät te, so wüßten wir auch nicht, daß unsere Arme und Hände fast beständig leise Bewegungen ausführen, welche unsere Gedanken begleiten, sogenannte » Intentionszitterbewegungen<< . Stellt man sich zum Beispiel eine einfache geometrische Figur, vielleicht ein Dreieck, vor, so beschreiben die Bewegungen der ausgestreckten H and ebenfalls ein Dreieck, was man mittels geeigneter Apparate leicht sichtbar machen kann. Wenn man sich also mit der lebhaften Erwartung automatischer Bewegungen an den Tisch setzt, so wer den die I ntentionszitterbewegungen diese Erwartung widerspie geln und allmählich den Tisch in Bewegung bringen . Haben wir aber einmal die scheinbar automatische Bewegung bemerkt, so sind wir auch davon überzeugt, daß >>die Sache geht<< . Die Über zeugung (Suggestion) trübt aber Urteil und Beobachtung, so daß wir nicht bemerken, daß die anfänglich leisen Zitterbewegungen allmählich in kräftigere Muskelzusammenziehungen übergehen, welche dann natürlich entsprechend größere und noch mehr über zeugende Wirkungen hervorbringen. Wenn nun aber ein gewöhnlicher Tisch, dessen einfache Kon struktion wir kennen, scheinbar selbständige Bewegungen aus führt und sich wie belebt gebärdet, so ist die menschliche Phanta sie gern bereit, irgendein mystisches Fluidum oder gar die Geister der Luft als Bewegungsursache anzunehmen. Wenn nun gar, was in der Regel geschieht, der Tisch aus einem Alphabet Sätze mit vernünftigem Inhalt zusammenstellt, so scheint der Beweis er bracht zu sein, daß hier eine >>fremde Intelligenz<< noch mit im Spiele ist. Wir wissen aber, daß die anfänglichen automatischen Zitterbewegungen in hohem Grade von unseren Vorstellungen ab hängig sind. Sind sie nun imstande, den Tisch zu bewegen, so können sie auch die Bewegungen des Tisches so leiten, daß sie in 8 Über die Existenz •unbewußter Vorstellungen• vgl. meine Habilitationsschrift >Über das Verhalten der Reaktionszeit beim Assoziationsexperiment<, GW 2.
Ü B E R S PI RITISTI S C H E E R S C H E I N U N G E N
1 39
einem Alphabet Buchstaben zu Worten und Sätzen zusammenstel len. Es ist dabei ganz unnötig, daß man sich die Sätze vorher deutlich vorstellt. Derjenige unbewußte Teil unserer Seele, der die automatischen Bewegungen leitet, läßt auch bald intellektuellen Inhalt in die Bewegungen einfließen.9 Wie nicht anders zu erwar ten, steht der intellektuelle Gehalt von dergleichen Produktionen in der Regel auf einer recht niederen Stufe und überschreitet nur in ganz seltenen Fällen die Intelligenzsphäre des betreffenden Me diums. Gute Beispiele für die Armlichkeit der >>Tischreden<< gibt Allan Kardecs bekanntes >Buch der Medien<. Das sogenannte automatische Schreiben erfolgt nach den glei chen Prinzipien wie das Tischrücken. Der Inhalt des Geschriebe nen überragt in keiner Weise denjenigen der »Tischreden<< . Das Trancereden, das Reden in der Verzückung oder Ekstase, ist prin zipiell das gleiche. Statt der Muskeln des Armes und der Hand werden hier einfach die Muskeln des Sprachapparates in selbstän dige Tätigkeit versetzt. Der Inhalt des Gesprochenen nimmt na türl !ch den gleichen Rang ein wie die Produkte der anderen Auto matismen. Die besprochenen Erscheinungen sind statistisch die häufigsten, die man bei Medien beobachten kann. Erheblich seltener sind Er scheinungen von »Hellsehen<< . Unter meinen Medien befanden sich zwei, denen man Hellsehen nachsagte. Das eine dieser Medien ist eine bekannte, gewerbsmäßige Hellseherin, die sich schon in verschiedenen Schweizer Städten mit ihren Seancen blamiert hat. Um mir ein möglichst gerechtes Urteil über den Geisteszustand dieser Person zu verschaffen, habe ich während eines halben Jahres annähernd dreißig Sitzungen mit ihr abgehalten. Die Ergebnisse der Untersuchung bezüglich hellseherischer Leistungen sind kurz gefaßt : Etwas ganz unzweifelhaft über die normalen psychologi schen Möglichkeiten Hinausgehendes wurde nicht beobachtet. Dagegen waren einige Fälle darum merkwürdig, weil sie eine un bewußte feine Kombinationsgabe verrieten. Das Medium konnte gewiß kleine Wahrnehmungen und Vermutungen sehr geschickt zusammenstellen und verwerten, und zwar geschah dies meist in einem Zustande leichter Umnebelung des Bewußtseins. Irgend et was Übernatürliches hat dieser Zustand nicht an sich; er ist im Gegenteil ein der Psychologie bekanntes Forschungsobjekt. Wie fein die unbewußte Auffassungsfähigkeit ist, konnte ich bei meinem zweiten Medium experimentell nachweisen. Die Anord-
' Eine ausführliche Darstellung findet sich in meiner Schrift >Zur Psychologie und Pathologie sogenannter okkulter Phänomene< (S. 1 65-249 dieses Bandes).
1 40
O K K U L TI S M U S
nung der betreffenden Versuche war folgende : Das Medium setzte sich mir gegenüber an einen leichten kleinen Tisch, der auf einem dicken weichen Teppich stand (behufs größerer Beweglichkeit). B eide legten die Hände auf den Tisch. Während das Medium von einer dritten Person durch Konversation geistig in Anspruch ge nommen wurde, stellte ich mir intensiv eine Zahl zwischen 0 und 1 0 vor, zum Beispiel 3. Die Abmachung war, daß der Tisch durch eine entsprechende Anzahl Neigungen angeben sollte, wie groß die jeweilen vorgestellte Zahl war. Daß nun der Tisch jedesmal, wenn ich meine Hände während des ganzen Versuches auf der Platte hielt, die Zahl richtig angab, ist weiter nicht merkwürdig. Bemerkenswert ist aber, daß der Tisch in 77% der Fälle die Zahl auch richtig angab, wenn ich meine H ände entfernte, sobald die erste Bewegung anhob. Brachte ich meine Hände überhaupt nicht mit dem Tisch in Berührung, so gab es keine Treffer. Aus diesen Resultaten zahlreicher Versuche geht hervor, daß es möglich ist, durch einfache Intentionszitterbewegungen eine Zahl zwischen 0 und 1 0 einer anderen Person zu übermitteln, und zwar so, daß diese Person die Zahl nicht erkennen, aber doch durch ihre auto matischen Bewegungen wiedergeben konnte. Wie ich zur Genüge konstatieren konnte, hatte das Bewußtsein des Mediums nie eine Ahnung von der Zahl, die ich übermittelt hatte. Zahlen über 1 0 wurden sehr unsicher, oft nur zur einen oder anderen Hälfte wie dergegeben. Wurden die Ziffern römisch vorgestellt, so gingen sie bedeutend schlechter als die arabischen. Die oben erwähnten 77% Treffer gelten nur für die Versuche mit arabischen Ziffern. Man kann daraus schließen, daß meine unbewußten Bewegungen wahr scheinlich das Schriftbild der Ziffern übermittelten. Die kompli zierteren und ungewohnteren Schriftbilder der römischen Ziffern gingen darum schlechter, ebenso die Zahlen über 1 0 . Ich kann von diesen Versuchen nicht berichten, ohne einer ku riosen, aber lehrreichen Beobachtung zu gedenken, die ich an ei nem Tage machte, an welchem alle psychologischen Versuche mit dem Medium mißrieten. Auch die oben erwähnten Zahlenexperi mente wollten durchaus nicht gehen, bis ich schließlich auf folgen den Ausweg verfiel : Bei im übrigen gleicher Versuchsanordnung erklärte ich, daß die Zahl, die ich mir vorstelle (3 ) zwischen 2 und 5 liege. Ich ließ nun jeweilen den Tisch ein dutzendmal Antwort geben. Die Zahlen, die der Tisch wiedergab, lauteten mit eiserner Konsequen z : 2, 4, 5 aber nie 3, womit der Tisch, respektiv das Unbewußte des Mediums, negativ, aber deutlich angab, daß es die mir vorgestellte Zahl kannte und bloß aus irgendeiner Laune um ging. Die Launenhaftigkeit des Unbewußten ist etwas, von dem die Spiritisten auch sonst viel zu erzählen wissen, nur heißt es in ,
Ü B E R SPI RITISTI S C H E E R S C H E I N U N G E N
141
ihrer Sprache, die guten Geister seien von neckischen Spottgeistern abgelöst worden, wodurch die Versuche gestört worden seien. Die feine Auffassungsfähigkeit des Unbewußten, welches aus den Zitterbewegungen einer anderen Person Zahlen ablesen kann, ist eine auffallende, aber keineswegs unerhörte Tatsache. Die wis senschaftliche Literatur kennt eine Reihe von Beispielen, welche diese Tatsache belegen. Ist nun aber das Unbewußte eines Men schen imstande, etwas zu erkennen und wiederzugeben (was mei ne Experimente beweisen), ohne daß das Bewußtsein des Individu ums etwas davon weiß, so ist bei der Beurteilung von bellseheri schen Leistungen die größte Vorsicht vonnöten. Bevor wir anneh men, daß der Gedanke unabhängig vom Gehirn Raum und Zeit überfliegt, müssen wir danach trachten, durch minutiöse psycho logische Untersuchung die verborgenen Quellen und Zuflüsse der scheinbar übernatürlichen Erkenntnis aufzudecken. Auf der anderen Seite aber kann jeder vorurteilslose Forscher ruhig zugeben, daß man gegenwärtig noch nicht auf dem Gipfel aller Weisheit angelangt ist und daß die Natur noch unendliche Möglichkeiten in sich birgt, mit denen eine glücklichere Zukunft wird rechnen können. Ich beschränke mich deshalb darauf zu er klären, daß diejenigen Fälle von bellseherischen Leistungen, die ich erlebte, sich zwanglos auf einem anderen, verständlicheren Wege erklären ließen als durch die Annahme mystischer Erkennt nismöglichkeiten. Die anscheinend unerklärlichen Hellsehleistun gen habe ich nur erzählen gehört oder in Büchern gelesen. Das gleiche gilt auch von den übrigen großen spiritistischen Ma nifestationen, von den sogenannten physikalischen Erscheinungen. Die, welche ich sah, galten als solche, waren aber keine. Überhaupt werden unter den zahllosen Wundergläubigen unserer Tag� weni ge sein, die überhaupt jemals etwas derart handgreiflich Uberna türliches gesehen haben. Unter diesen wenigen sind jedenfalls etli che, welche eine überhitzte Phantasie haben und kritische Beob achtung durch Glauben ersetzen. Immerhin bleibt aber unter die sen Zeugen doch ein Rest, den man nicht kritisch bemängeln darf. Ich rechne zum Beispiel Crookes hieher. Alle Menschen beobachten Dinge, die ihnen ungewohnt sind, schlecht. Auch Crookes ist ein Mensch. Es gibt keine universelle Beobachtungsgabe, die ohne spezielle Übung in hohem Grade si cher wäre. Die menschliche Beobachtung leistet nur dann etwas, wenn sie für ein bestimmtes Gebiet geübt ist. Nehmen wir einen feinen Beobachter von seinem Mikroskop weg und richten seine Aufmerksamkeit auf Wind und Wetter, so ist er hilflos und leistet weniger als jeder Jäger und Bauer. Setzen wir einen guten Physiker in das täuschende und zauberische Dunkel einer spiritistischen
142
O K K U LT I S M U S
Sitzung, w o hysterische Medien mit all dem wunderbaren und unglaublichen Raffinement, das vielen zu Gebote steht, ihr Wesen treiben, so leistet seine B eobachtung so viel wie die irgendeines Laien. Es kommt dann nur noch darauf an, wie stark sein Vorurteil pro oder contra ist. Daraufhin wäre zum Beispiel Crookes' seeli sche Disposition noch zu untersuchen. Ist er durch Milieu und Erziehung oder durch seinen angeborenen Geisteszustand nicht abgeneigt, das Wunderbare zu glauben, so wird er durch den Spuk ü berzeugt. Ist er von vornherein abgeneigt, das Wunderbare zu glauben, so glaubt er trotz dem Spuk nicht, wie es so vielen ande ren Leuten gegangen ist, die Ähnliches bei den nämlichen Medien gesehen haben. Die menschliche Beobachtung und Berichterstattung ist gestört durch zahllose Fehlerquellen, die zum Teil noch ganz unbekannt sind. So beschäftigt sich zum Beispiel eine ganze Richtung der experimentellen Psychologie mit der »Psychologie der Aussage<< , das heißt mit dem Problem der Beobachtung und Berichterstat tung. Professor William Stern, 1 0 der Schöpfer dieser Richtung, hat Experimente veröffentlicht, deren Resultate ein böses Licht auf die menschliche Beobachtungsgabe werfen, und dabei hat Stern noch mit gebildeten Leuten experimentiert ! Es scheint mir nun, als müßten wir zuerst noch einige Jahre in der von Stern eingeschlage nen Richtung fleißig weiterarbeiten, bevor wir uns an die schwieri ge Realitätsfrage in spiritistischen Dingen machen. Was die Wunderberichte in der einschlägigen Literatur betrifft, darf man bei aller Kritik nie das Bewußtsein von der Beschränkt heit unserer Erkenntnis verlieren, sonst könnte einem leicht etwas allzu Menschliches zustoßen, nämlich, daß man sich blamiert, wie die Akademie mit Chladnis Meteoren 1 1 oder das hochwohlweise bayerische Ärztekollegium mit der Eisenbahn. 1 2 Immerhin glaube ich, hat man beim gegenwärtigen Stand der Dinge Grund genug, ruhig zuzuwarten, bis sich wieder größere physikalische Erschei nungen ereignen. Steckt dann nach Abzug von bewußtem und unbewußtem Betrug, Selbsttäuschung, Vorurteil und so weiter noch etwas Positives dahinter, so wird die exakte Wissenschaft 10 Stern ( 1 871-1938) war Professor für Angewandte Psychologie in Breslau ; 19341938 an der Duke University, USA. Vgl. Freud/Jung ·Briefwechsel< und Jung: Die psychologische Diagnose des Tatbestandes, GW 2, § 728. 11 Eigentlich Meteoriten, die noch die Astronomen des 19. Jahrhunderts für irdischen Ursprungs hielten. Der deutsche Physiker E. F. F. Chladni ( 1 756-1827) vertrat die Theorie ihrer außerirdischen Herkunft. 12 Als 1 83 5 die erste deutsche Eisenbahnlinie von Nürnberg nach Fürth eröffnet wur de, warnten Ärzte, daß die Geschwindigkeit der Züge bei Reisenden und Zuschauern Schwindel hervorrufen und die Milch der Kühe, die in der Nähe der Geleise weideten, sauer werden lassen könnte.
ÜBER SPIRITISTISCHE ERSCHEINUNGEN
1 43
sich auch dieses Gebiet erobern und dem prüfenden Experiment unterwerfen, so wie es mit allen anderen Dingen menschlicher Erfahrung gegangen ist. Daß viele Spiritisten mit ihrer »Wissen schaft« und »wissenschaftlichen Erkenntnis« renommieren, ist na türlich arger Unfug. Diesen Leuten fehlt es nicht bloß an Kritik, sondern auch an den elementarsten psychologischen Kenntnissen. Sie wollen im Grunde genommen übrigens auch nicht belehrt sein, sondern bloß glauben, was in Ansehung der menschlichen Unvoll kommenheit eine naive Unbescheidenheit ist.
Drei Vorreden ( 1948, 1950, 1958)
[White] Man lege dieses Buch 1 nicht leichthin aus der Hand, wenn man entdeckt, daß es von >>Unsichtbaren« (invisibles), das heißt also von Geistern, handelt und daher in die Kategorie der spiritisti schen Literatur gehört. Man kann es nämlich auch ohne diese Hypothese oder Theorie lesen, und zwar als einen psychologi schen Tatsachenbericht oder als eine fortlaufende Erzählung von Mitteilungen des Unbewußten - denn um letzteres geht es in erster Linie. Sogar die Geister sind zunächst psychische Phänomene, die ihre Begründung im Unbewußten haben. Jedenfalls sind die >>Un sichtbaren«, welche die Informationsquellen dieses Buches darstel len, schattenhafte Personifikationen unbewußter Inhalte, entspre chend der Regel, daß aktivierte Teile des Unbewußten, wenn sie sich der bewußten Wahrnehmung bemerkbar machen, Persönlich keitscharakter annehmen. Aus diesem Grunde scheinen die Stim men, welche Geisteskranke vernehmen, Persönlichkeiten, die oft identifiziert werden, anzugehören oder es werden ihnen persönli che Intentionen zugeschrieben. Wenn es dem Beobachter gelingt was nicht immer eine leichte Sache ist -, eine gewisse Anzahl von halluzinierten Aussagen zu sammeln, so lassen sich in der Tat etwas wie Motive und Absichten, die personalen Charakter haben, darin erkennen. Das gleiche gilt in entsprechend vergrößertem Maßstab bei den >>COntrols<< der spiritistischen Medien, welche >>Kommunikatio nen« vermitteln. Alles in unserer Psyche hat zunächst persönlichen Charakter, und man muß seine Untersuchung schon sehr weit treiben, bis man auf Elemente stößt, welche diesen Charakter nicht aufweisen. Das >>Ich« oder >>Wir« der Kommunikationen hat bloß grammatikalische Bedeutung und beweist niemals die Existenz ei nes Geistes, sondern bloß das persönliche Vorhandensein des Me diums oder der Medien. Handelt es sich aber um >> Identitäts bewei se« , wie sie in diesem Buche vorkommen, so muß man sich daran erinnern, daß ein solcher Beweis wenigstens theoretisch unmög1 Stewart Edward White: Uneingeschränktes Weltall, 194 8 . White ( 1 8 73-1946), ameri kanischer Schriftsteller, Verfasser von Aben teuergeschichten, befaßte sich in seinem späteren Leben mit Spiritualismus. Jung lernte seine Bücher 1946 durch Fritz Künkel, einen amerikanischen Psychotherapeuten, kennen ; vgl. seinen ausführlichen Brief an Künkel vom 1 0 . Juli 1946 über >The Unobstructed Universe< (C. G. Jung: Briefe, Bd. 2, hrsg. von A . Jaffe, 1972).
1 46
O KK U LT I S M U S
lieh z u sein scheint, wenn man sich vergegenwärtigt, was für eine unabsehbare Reihe von Fehlerquellen dabei in Betracht kommt. Wir wissen für sicher, daß das Unbewußte subliminal wahrnimmt und den Schatz verlorener Erinnerungen beherbergt. Es gibt, wie wir wissen, überdies genügend experimentelle Beweise dafür, daß Raum und Zeit für das Unbewußte relative Größen bedeuten, daß mithin die unbewußte Wahrnehmung nicht unbedingt durch die Schranken von Raum und Zeit behindert wird, sondern Erwer bungen machen kann, die dem Bewußtsein schlechterdings unzu gänglich wären. Ich verweise in dieser Hinsicht auf die an der Duke University und an andern Orten durchgeführten Rhine schen Experimente.2 Bei dieser Sachlage scheint der Identitätsbeweis, theoretisch we nigstens, eine hoffnungslose Sache zu sein. Praktisch allerdings liegt die Sache insofern anders, als Fälle nicht nur möglich sind, sondern tatsächlich vorkommen, welche derartig überwältigend eindrucksvoll sind, daß sie auf die Betroffenen unbedingt überzeu gend wirken. Wenn schon einerseits unsere kritischen Argumente jeden einzelnen Fall in Zweifel ziehen, so gibt es doch andererseits kein einziges, welches die Nichtexistenz der Geister beweisen könnte. Wir müssen uns daher wohl in dieser Hinsicht mit einem »non liquet<< begnügen. Wer von der Wirklichkeit der Geister überzeugt ist, möge wissen, daß es sich dabei um eine subjektive, aus soundso vielen Gründen anfechtbare Entscheidung handelt. Wer davon nicht überzeugt ist, der hüte sich vor der naiven An nahme, daß damit aller Spuk erledigt sei und daß alle Manifestatio nen dieser Art als schwindelhaft und sinnlos zu gelten hätten. Dem ist nämlich keineswegs so. Die Phänomene bestehen, abgesehen von aller Deutung, zu Recht, und es ist über allen Zweifel sicher, daß es sich um genuine Manifestationen des Unbewußten handelt. Mitteilungen der >> Geister<< sind auf alle Fälle Aussagen über die unbewußte Psyche, vorausgesetzt, daß sie wirklich spontan und nicht von einem betrügerischen Bewußtsein zusammengeschwin delt sind. Das haben solche Aussagen mit dem Traum gemeinsam : auch dieser sagt über das Unbewußte aus, und deshalb benützt ihn auch die Psychotherapie als erstrangige Informationsquelle. Was also White in seinem Buche darstellt, dürfen wir als eine umfängliche Auskunft über das Unbewußte und dessen Wesen betrachten. Die Mitteilungen unterscheiden sich von der gewöhn lichen spiritistischen Kommunikationsliteratur dadurch sehr vor teilhaft, daß sie von aller Erbaulichkeit und banaler Phantasterei 2 Rhine: New Frontiers of the Mind, 1937; The Reach of the Mind, 1948. Tyrrell: The Personality of Man, 1945.
DREI VORREDEN
1 47
absehen und sich dafür auf gewisse allgemeine Aspekte und Ideen konzentrieren. Diesen ebenso wohltuenden wie bemerkenswerten Unterschied dürfen wir wohl dem glücklichen Umstand zuschrei ben, daß das eigentliche Verdienst dieses Buches dem Medium Betty, der damals schon verstorbenen Frau des Autors, zukommt. Es ist ihr >>Geist<< , der in dem Buche waltet. Wir kennen nämlich ihr Wirken und ihre Persönlichkeit aus früheren Büchern Whites3 und wissen, wie groß der Einfluß ihrer Persönlichkeit auf ihre Umgebung war, wie erzieherisch und seelenbildend sie gewirkt und wie sehr sie damit im Unbewußten ihrer Umgebung all das vorbereitet hat, was in den Mitteilungen dieses Buches zutage tritt. Die erzieherische Absicht der Tätigkeit Bettys unterscheidet sich nicht von der allgemeinen Tendenz der spiritistischen Kommuni kationsliteratur: Die »Geister<< (oder personifizierte unbewußte Faktoren) streben nach einer Entwicklung des menschlichen Be wußtseins und nach einer Vereinigung desselben mit dem Unbe wußten. Die Bemühungen Bettys verfolgen eingestandenermaßen den gleichen Zweck. Interessanterweise koinzidieren die Anfänge des amerikanischen (und bald nach Europa verpflanzten) Spiritis mus um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Aufblühen des Wissenschaftsmaterialismus. Es kommt daher dem Spiritismus in allen seinen Formen eine kompensatorische Bedeutung zu. Es ist von Belang, zu wissen, daß eine Reihe von Naturforschern, Ärzten und Philosophen, deren Kompetenz unbestritten ist, sich für die Wahrheit der fraglichen Phänomene, die eine höchst seltsame Wir kung der Psyche auf die Materie demonstrieren, eingesetzt haben. Ich erwähne Friedrich Zöllner, William Crookes, Alfred Riebet, Camille Flammarion, Giovanni Schiaparelli, Sir Oliver Lodge und unseren Zürcher Psychiater Eugen Bleuler, ganz abgesehen von einer großen Zahl weniger bekannter Namen. Ich selber habe mich speziell auf diesem Gebiete durch keine originale Forschung her vorgetan, stehe aber nicht an zu erklären, daß ich genügend derar tige Phänomene beobachtet habe, um von deren Realität völlig überzeugt zu sein. Sie sind mir unerklärlich, und ich kann mich daher für keine der gewöhnlichen Deutungen derselben entschei den. Ich will dem Inhalt dieses Buches nicht vorgreifen, aber ich kann es mir nicht versagen, einige Punkte hervorzuheben. Vor allem scheint mir erwähnenswert - und dies in Ansehung des Umstan des, daß der Autor keinerlei Kenntnis von moderner Psychologie hat -, daß die »Unsichtbaren<< eine energetische Auffassung der Psyche präkonisieren, welche gewissen neuesten Anschauungen 3
The Betty Book, 1937; Across the Unknown, 1939; The Road I Know, 1942.
148
O K K U LTI S M U S
der Psychologie nahekommen. Die Analogie liegt i m Begriffe der » Frequenz<<. Hier liegt aber auch der nicht zu übersehende Unter schied : Die Psychologie nimmt für das Bewußtsein eine höhere energetische Spannung an als für das Unbewußte. Umgekehrt schreiben die »Unsichtbaren« dem Geiste eines Abgeschiedenen (also einem personifizierten unbewußten Inhalt) eine höhere >>Fre quenz<< zu als der lebenden Psyche. Man darf allerdings dem Um stand, daß beide Gebiete sich einer energetischen Anschauung be dienen, nicht allzu große Bedeutung zumessen, da der Energiebe griff sozusagen eine Kategorie des modernen naturwissenschaftli chen Verstehens überhaupt darstellt. Die >>Unsichtbaren« erklären des ferneren, daß unsere Bewußt seinsweit mit dem >>Jenseits« einen und denselben Kosmos bilde, so daß die Toten sich gewissermaßen nicht an einem anderen Orte befinden als die Lebenden. Es besteht nur ein Unterschied in der >>Frequenz« der beiden Lebensformen, wie bei niederer Umdre hungszahl die Flügel eines Propellers deutlich sichtbar sind, bei hoher aber verschwinden. Ins Psychologische übersetzt, würde dies bedeuten, daß die bewußte wie die unbewußte Psyche eine und dieselbe sind, nur getrennt durch einen verschiedenen Ener giewert. Die Wissenschaft kann dieser Aussage beipflichten, ob schon sie den dem Unbewußten vindizierten höheren Energie wert, wenigstens für die durchschnittliche Erfahrung, nicht akzep tieren kanri. D as >>Jenseits« ist, nach den >>Unsichtbaren«, dieser Kosmos, aber ohne die Schranken, welche dem sterblichen Menschen durch Raum und Zeit gesetzt sind, daher >>the unobstructed universe« . D a s Diesseits ist sozusagen in dieser höheren Ordnung enthalten und verdankt seine Existenz wesentlich dem Umstand, daß der im Körper lebende Mensch eine niedrige >> FrequenZ<< hat, weshalb die einschränkenden Faktoren von Zeit und Raum wirksam werden. Die Welt ohne Schranken wird von den >>Unsichtbaren<< >>orthos<< genannt, also soviel wie die >>richtige« oder >>eigentliche<< Welt. Daraus geht mit Deutlichkeit hervor, was für ein Bedeutungsak zent auf das »Jenseits<< gelegt wird, allerdings - man muß dies gebührend hervorheben - nicht zuungunsten des Diesseits. Ich erinnere mich der philosophischen Frage, die mein arabischer Dra goman an mich richtete, als ich die Kalifengräber in Kairo besuch te. >>Welcher Mann « , fragte er, >> ist der klügere, der, welcher sein Haus da baut, wo er die längste Zeit sein wird, oder der, der es dort baut, wo er nur vorübergehend weilt ? << - Betty ist sich klar darüber, daß dieses Leben in der Beschränktheit so ganz wie nur möglich gelebt werden sollte, weil die Erreichung einer höchst möglichen Bewußtheit schon im Diesseits eine wesentliche Vorbe-
DREI VORREDEN
1 49
dingung für das kommende Leben im »orthos<< sei. Damit stimmt sie nicht nur mit der allgemeinen Tendenz der spiritistischen »Phi losophie<< überein, sondern auch mit Platon, der die Philosophie als eine Einleitung zum Tode betrachtete. Die moderne Psychologie kann bestätigen, daß es - wenigstens für gewisse Menschen - ein Problem der zweiten Lebenshälfte gibt, weil sich in ihr das Unbewußte oft in sehr vernehmlicher Weise zum Worte meldet, und das Unbewußte ist laut ältester Auffassung das Traum- und zugleich das Toten- und Ahnenland. Das Unbewußte scheint in der Tat nach allem, was wir darüber wissen, eine Seinsform relativ unabhängig von den Schranken von Raum und Zeit darzustellen ; auch wäre gegen die Idee, daß das Bewußtsein und seine Welt im Meere des Unbewußten gewisser maßen eingeschlossen seien, nichts einzuwenden. Die unbewußte Psyche ist von unbekannter Erstreckung und möglicherweise von größerer Bedeutung als das Bewußtsein. Wenigstens sind wir überzeugt, daß die Rolle, die das Bewußtsein im Leben der Pri mitiven oder der Primaten spielt, gegenüber dem Unbewußten relativ unbedeutend ist. Die Ereignisse in unserer modernen Welt - die Menschheit, die blind und hilflos, ohne es zu wollen, von einer Katastrophe in die andere tappt - sind kaum dazu angetan, den Glauben an den Wert unseres Bewußtseins und an die Freiheit unseres Willens zu stärken. Gewiß - dem Bewußtsein sollte größte Bedeutung zukommen ; denn es ist die einzige Garantie der Frei heit und der Möglichkeit, Fatalitäten zu vermeiden. Aber wie es scheint, bleibt es vorderhand bei dem frommen Wunsche. Bettys und ihrer »Unsichtbaren<< Streben geht dahin, das Be wußtsein durch den Anschluß desselben an den >>orthos<< mög lichst zu erweitern. Sie versuchen, das Bewußtsein dahin zu erzie hen, daß es in die Seele hineinzuhorchen lernt und damit eine Zusammenarbeit mit den » Unsichtbaren<< in die Wege leitet. Die ses Bestreben läßt sich der analogen Bemühung der modernen Psychotherapie vergleichen. Auch diese versucht die Einseitigkeit, Enge und Beschränktheit des Bewußtseins durch eine bessere Be ziehung und Bekanntschaft mit dem Unbewußten zu kompensie ren. Die Ähnlichkeit zwischen den Hauptvorstellungen dieses Bu ches und gewissen grundsätzlichen Ansichten der Psychologie des Unbewußten darf nun allerdings nicht über einen ebenso profun den Unterschied hinwegtäuschen. Die Psychologie der >Betty Books< unterscheidet sich prinzipiell nicht von der primitiven Weltanschauung, in welcher die Inhalte des Unbewußten alle auf Objekte der Umwelt projiziert sind. Was auf primitiver Stufe als ein »Geist<< spukt, ist auf einem bewußteren Niveau vielleicht ein
150
O K K ULTI S M U S
abstrakter Gedanke; s o wie übrigens die antiken Götter u m die Wende unserer Zeitrechnung sich in philosophische Ideen zu ver wandeln anfingen. Diese Projektion psychologischer Tatbestände teilt der Spiritismus mit der Theosophie unserer Tage. Der Vorteil der Proj ektion ist offenkundig : Sie ist unmittelbar anschaulich und gegenständlich und erhebt keinerlei Ansprüche an das Denken und die Überlegung. Da sie aber das Unbewußte doch einigermaßen dem B ewußtsein näherbringt, so ist sie wenigstens besser als gar nichts. Whites Buch erhebt indessen Ansprüche an das Denken, aber nicht nur an das psychologische, sondern vielmehr noch an das p hysikalische, Ansprüche, die allerdings hinsichtlich der Inte gration der projizierten Inhalte bedeutend sind. Juli 1948 [Moser] Dem Wunsche der Autorin nach einigen einleitenden Worten mei nerseits komme ich um so lieber nach, als mir ihr früheres Werk über O kkultismus, das mit großer Umsicht und Materialkenntnis verfaßt wurde, noch in lebhafter Erinnerung ist. Ich begrüße das E rscheinen des vorliegenden B uches, 1 welches eine reich doku mentierte Sammlung parapsychologischer Ereignisse darstellt, als eine wertvolle Bereicherung der psychologischen Literatur über haupt. Außerordentliche und mysteriöse Geschichten sind nicht notwendigerweise immer Lügen und Phantastereien. Frühere Jahrhunderte kannten zahlreiche »geistreiche, curieuse und ergerz liehe Historien<< , unter denen sich Beobachtungen befanden, die seither ihre wissenschaftliche Bestätigung gefunden haben. Die moderne >>ganzheitliche« psychologische Beschreibung des Men schen hatte ja auch ihre Vorbilder in den zahlreichen Lebensge schichten sonderbarer Leute wie Somnambulen und dergleichen im Anfang des 19. Jahrhunderts. Ja, wir verdanken die Entdeckung des Unbewußten geradezu solchen alten, noch vorwissenschaftli ehen Beobachtungen. In bezug auf die Erforschung der parapsy chologischen Phänomene stehen wir noch ganz am Anfang. Wir sind noch nicht einmal über den ganzen Umfang des in Betracht kommenden Gebietes unterrichtet. Daher ist die Sammlung von Beobachtungen und möglichst zuverlässigem Material eine hoch verdienstliche Sache. Der Sammler muß allerdings den Mut und den unerschütterlichen Vorsatz haben, sich von den Schwierigkei ten, Unzulänglichkeiten und Irrtumsmöglichkeiten, welche eine 1 Fanny Moser: Spuk, 1950.
151
DREI VORREDEN
derartige Unternehmung umlauern, nicht abschrecken zu lassen, wie auch der Leser das Interesse und die Geduld aufbringen muß, den oft befremdlichen Stoff, unter Hintansetzung aller möglichen Vorurteile, objektiv auf sich wirken zu lassen. In diesem weit schichtigen und dämmerigen Gebiete, wo alles möglich und des halb nichts glaubwürdig zu sein scheint, muß man selber beobach tet und dazu noch viele Geschichten gehört, gelesen und wenn möglich durch Zeugenbefragung zusätzlich geprüft haben, um zu einem auch nur einigermaßen gefestigten Urteil zu kommen. Trotz gewissen Fortschritten, wie der Gründung der Britischen und der Amerikanischen Society for Psychical Research und dem Bestehen einer erheblichen und zum Teil wohldokumentierten Li teratur, herrscht doch noch, und gerade in den Kreisen der Urteils fähigen, ein Vorurteil und ein nur zum Teil berechtigtes Mißtrauen gegen dergleichen Berichte. Es hat fast den Anschein, als ob Kant noch auf längere Zeit recht behalten sollte, als er vor nun bald zweihundert Jahren schrieb : »Und so werden die Erzählungen von dieser Art wohl jederzeit nur heimliche Gläubige haben, öffentlich aber durch die herrschende Mode des Unglaubens verworfen wer den.<<2 Er selber reserviert sein Urteil mit folgenden Worten : »Eben dieselbe Unwissenheit macht auch, daß ich mich nicht un terstehe, so gänzlich alle Wahrheit an den mancherlei Geisterer zählungen abzuleugnen, doch mit dem gewöhnlichen obgleich wunderlichen Vorbehalt, eine jede einzelne derselben in Zweifel zu ziehen, allen zusammen genommen aber einigen Glauben bei zumessen.<<3 Man möchte wünschen, daß recht viele unserer Vor eingenommenen sich diese weise Stellungnahme eines großen Denkers merkten. Dies wird aber, wie ich aus gewissen Gründen fürchte, nicht so leicht der Fall sein, denn das rationalistische Vorurteil gründet sich - »lucus a non lucendo<< -4 nicht etwa auf die Vernunft, sondern auf etwas weit Tieferes und Ursprünglicheres, nämlich auf einen urtümlichen Instinkt, dem Goethe im >Faust< Ausdruck verleiht: »Berufe nicht die wohlbekannte Schar . . << 5 Ich hatte einmal die kostbare Gelegenheit, diesen Effekt in vivo zu beobachten, und zwar bei einem Stamme am Mount Elgon, von dem nur wenige mit .
2
Träume eines Geistersehers, 1 766, hrsg. von Kehrbach, S. 45. Ebenda, S. 42. • Latein im Alltag, hrsg. von Sellner, S. 74 : »Wörtlich: Wald (wird Wald genannt) vom nicht leuchtend sein. Quintilian (um 35-95 n. Chr.) stellt die Behauptung auf, daß einige Begriffe von ihren Gegenteilen stammen - Wal d : lucus, leuchtend : lucere. Als spöttische Verkehrung vergleiche man bei : Canis a non canendo.« 5 I . Teil, Osterspaziergang; Wagner spricht. 3
1 52
O K K U LTI S M U S
dem weißen Mann j e i n Berührung gekommen waren . Ich sprach bei einem Palaver einmal ahnungslos das Wort >>selelteni<< aus, das »Geister« bedeutet. Plötzlich fiel eine Totenstille auf die Ver sammlung der Männer. Sie wendeten die Blicke von mir ab, schau ten nach allen Richtungen, und einige machten sich davon. Mein headman und der Häuptling steckten die Köpfe zusammen, und dann flüsterte mir der headman ins Ohr: »Warum hast du das gesagt? Du mußt >shauri tahari< machen (das Palaver schließen).« Damit erfuhr ich, daß man die Geister unter keinen Umständen laut nennen dürfe. Diese primitive Geisterfurcht steckt uns noch, aber u nbewußt, in den Gliedern. Der Rationalismus verhält sich komplementär zum Aberglauben. Nach psychologischer Regel verstärkt sich mit dem Licht der Schatten, das heißt, je rationalisti scher sich das Bewußtsein gebärdet, desto lebendiger wird die spukhafte Welt des Unbewußten. Und es wird offenkundig, in welchem Maße die Vernünftigkeit einen Apotropäismus gegen den unvermeidlichen und von jeher vorhandenen »Aberglauben« be deutet. Die offenkundige Dämonenwelt des Primitiven ist nur durch wenige Generationen von uns getrennt, und wie furchtbar nahe sie uns noch ist, lehrten und lehren uns noch die unerhörten Dinge, welche in den Diktatorenstaaten geschahen und immer noch geschehen. Ich persönlich führe mir immer wieder zu Gemü te, daß die letzte Hexe im Geburtsjahr meines Großvaters ver brannt wurde. Die vielerorts herrschende Voreingenommenheit gegenüber den hier in Betracht kommenden Tatsachenberichten weist alle Sym ptome p rimitiver Gespensterfurcht auf. Selbst gebildete Leute, die es besser wissen könnten, brauchen gelegentlich die unsinnigsten Argumente, werden unlogisch und verleugnen das Zeugnis ihrer eigenen Sinne. Sie unterschreiben gegebenenfalls ein Sitzungspro tokoll und ziehen nachher, wie dies mehr als einmal vorgekommen ist, ihre Unterschrift wieder zurück, da ja das, was sie beobachtet und bestätigt hatten, doch unmöglich sei - wie wenn man genau wüßte, was möglich ist ! Geistergeschichten beweisen durchaus nicht immer das, was sie zu bezeugen scheinen. So liefern sie zum Beispiel keinen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele. Für den Psychologen sind sie aber in verschiedenen Hinsichten interessan t : sie geben Auskunft über Dinge, von denen der Laienverstand nichts ahnt, so zum B eispiel über die Frage der Exteriorisierung unbewußter Vorgän ge, über den Inhalt letzterer und damit über die möglichen Quel len parapsychischer Phänomene. Von ganz besonderer Wichtig keit sind solche Erzählungen für die Erforschung der Zuständlich keit des Unbewußten und insbesondere der Synchronizitätsphä-
D REI V O R R E D E N
1 53
nomene, welche auf eine psychische Relativierung von Raum und Zeit und damit auch der Materie hinweisen. Man kann zwar mit Hilfe der statistischen Methode das Vorhandensein solcher Effekte mit mehr als hinlänglicher Sicherheit beweisen, wie dies Rhine und eine Reihe von anderen Forschern getan haben. Die individuelle Natur der komplexeren Phänomene dieser Art verbietet aber die Anwendung des statistischen Gesichtspunktes, weil sich dieser zur Synchronizität als komplementär erweist und daher letzteres Phä nomen zerstört, indem er nicht mehr kann, als daß er es als wahr scheinlichen Zufall eliminiert. Wir sind daher in dieser Beziehung ganz und gar auf den wohlbeobachteten und -beglaubigten Einzel fall angewiesen. Man kann darum jeden neuen Beitrag an objekti ven Berichten vom Standpunkt der Psychologie aus nur willkom men heißen. Frau Dr. Fanny Moser hat in diesem ersten Bande ein imponie rendes Tatsachenmaterial zusammengetragen. Es unterscheidet sich von anderen Sammlungen dieser Art durch eine ebenso sorg fältige wie ausführliche Darstellung und Dokumentierung, welche in vielen Fällen jenen Gesamteindruck der Situation ermöglicht, den man in derartigen Berichten sonst öfters vermißt. Obschon den Spukphänomenen gewisse universale Züge eignen, so treten sie doch in individuell unendlich variierten Bedingungen und For men auf, welche für die Forschung von besonderer Bedeutung sind. Die vorliegende Sammlung gibt gerade in dieser Hinsicht wertvollste Auskünfte. Die Frage, um die es hier geht, ist zukunftsträchtig. Die Wissen schaft hat eben erst angefangen, sich ernsthaft mit der menschli chen Seele und insonderheit mit dem Unbewußten zu beschäfti gen. In den weiten Umkreis der psychischen Phänomene gehört auch die Parapsychologie, die uns mit unerhörten Möglichkeiten bekannt macht. Es ist wirklich an der Zeit, daß die Menschheit sich des Wesens der Seele bewußt wird, denn es stellt sich allmählich mit immer größerer Deutlichkeit heraus, daß die schlimmste Ge fahr, die dem Menschen je drohte, von seiten seiner Psyche kommt und damit aus jener Ecke unserer Erfahrungswelt, von der wir bislang am wenigsten Kenntnis hatten. Die Psychologie bedarf einer gewaltigen Erweiterung ihres Horizontes. Das vorliegende Buch bedeutet einen neuen Meilenstein auf dem langen Wege zur Erkenntnis der seelischen Natur des Menschen. Im April 1950 C. G. Jung
1 54
O KKULTI S M U S
Fall von Prof. C. G . Jung, Zürich Im Sommer 1920 befand ich mich in London, wo ich auf Einla dung von Dr. X arbeitete und Vorlesungen gab . Mein Kollege erzählte mir, daß er, in der Erwartung meiner Ankunft, für diesen Sommer einen passenden Weekendort gefunden habe. Es sei nicht so einfach gewesen, meinte er, ein zusagendes Haus zu finden, da auf die Sommerferien hin entweder alles schon vermietet oder dann so exorbitant teuer oder dermaßen unattraktiv gewesen sei, daß er den Plan beinahe aufgegeben habe. Schließlich hätte er aber - und das sei ein wahrer Glücksfall gewesen - ein reizendes cottage gefunden, für unsere Zwecke gerade richtig, und zwar zu einem lächerlich niederen Preise. Es war, wie sich herausstellte, in der Tat ein höchst anziehendes altes Farmhaus in Buckinghamshire, wohin wir uns am Ende der ersten Arbeitswoche (das heißt am Freitag abend) begaben. Für die Bedienung hatte Dr. X ein Mädchen aus dem benachbarten Dorfe angestellt, zu der sich im Laufe des Nachmittags jeweils eine Freundin als freiwillige Helferio gesellte. Wir waren einfach, aber komfortabel untergebracht. Das Haus war geräumig, zweistöckig und in einem rechten Winkel gebaut. Es hatte also zwei Flügel, von denen uns der eine vollauf genügte. Im Erdgeschoß befanden sich ein Gartenraum mit angebautem conservatory (Treibhaus) mit einer Türe, die direkt in den Garten führte, sodann die Küche, ein Eßzimmer und ein drawing-room. Im ersten Stock befand sich ebenfalls ein Korridor, der durch die Mitte des Hauses, von der Treppe beim Gartenzimmer her, zu einem großen Schlafzimmer führte, welches die ganze Stirnseite des Flügels einnahm. Es hatte an den Seiten je ein Fenster und an der Stirnseite einen Kamin. Das eine Fenster ging gegen Westen, das andere gegen Osten . Linker Hand von der Türe (auf der West seite) stand ein B ett, gegenüber an der Stirnseite (Norden) befand sich eine große altertümliche Kommode, rechter Hand (Osten) ein Schrank und ein Tisch. Zusammen mit einigen Stühlen war dies das ganze ameublement. Das war mein Zimmer. Zu beiden Seiten des Korridors befanden sich eine Reihe von Schlafzimmern, die von D r. X und den j eweiligen Gästen benützt wurden. In der ersten Nacht, ermüdet von der anstrengenden Arbeit der Woche, schlief ich ausgezeichnet. Den nächsten Tag verbrachten wir mit Spaziergängen und Gesprächen. Am Abend der zweiten Nacht ging ich, ziemlich müde, um elf Uhr zu Bett, aber ich kam über den Punkt des Einschlafens nicht hinweg. Ich verfiel nur in eine Art von Erstarrung, die darum peinlich war, weil es mir schien, daß ich mich nicht bewegen könne. Auch schien es mir, die Luft im Zimmer sei dumpf und es herrsche ein undefinierbarer,
DREI VORREDEN
1 55
unangenehmer Geruch. Ich dachte, ich hätte vergessen die Fenster zu öffnen. Das veranlaßte mich dann schließlich, trotz meiner Er starrung, Licht zu machen (das heißt eine Kerze anzuzünden) : Beide Fenster standen offen, und ein leiser Nachtwind zog durch das Zimmer und erfüllte es mit dem hochsommerliehen Wohlge ruch blühender Wiesen. Von üblem Geruch war keine Spur zu entdecken. Ich blieb hellwach in meinem merkwürdigen Zustand, bis ich durch das östliche Fenster den ersten blassen Schimmer des kommenden Tages erblickte. In diesem Moment wich wie ein Zau ber die Erstarrung von mir, und ich fiel sofort in tiefen Schlaf, aus dem ich erst gegen neun Uhr erwachte. Am Sonntagabend bemerkte ich beiläufig zu Dr. X, daß ich die Nacht vorher merkwürdig schlecht geschlafen hätte. Er riet mir, eine Flasche ale zu trinken, was ich dann auch tat. Aber es ging mir in dieser dritten Nacht wie vorher: ich kam nicht weiter als bis zum Punkte des Einschlafens. Die beiden Fenster standen offen. Anfangs war die Luft frisch, aber nach etwa einer halben Stunde schien sie sich zu verschlechtern ; sie wurde dumpf und muffig, und schließlich irgendwie widerwärtig. Es war mir schwierig, den Geruch zu identifizieren, obschon ich mich bemühte, dessen Na tur festzustellen. Es kam mir nur in den Sinn, er habe etwas Krankhaftes an sich. Ich ging dieser Spur nach durch alle Geruchs erinnerungen, die man während acht Jahren praktischer Tätigkeit an einer psychiatrischen Klinik sammeln kann. Plötzlich stieß ich auf das Erinnerungsbild einer alten Frau, die an einem offenen Karzinom litt. Das war unmißverständlich der krankhafte Geruch, den ich in ihrem Krankenzimmer so oft wahrgenommen hatte. Als Psychologe wunderte ich mich nun, was der Grund zu die ser eigentümlichen Geruchshalluzination sein könnte. Es gelang mir aber nicht, irgendeine überzeugende Beziehung zwischen mei nem Bewußtseinszustand und der Halluzination aufzufinden. Ich fühlte mich nur sehr unbehaglich und kam mir in meiner Erstar rung wie gelähmt vor. Ich konnte schließlich auch nichts mehr denken, sondern verfiel in einen halbwachen Torpor. Plötzlich hörte ich etwas regelmäßig tropfen. »Habe ich den Wasserhahn nicht recht zugedreht?<< dachte ich. >>Aber es gibt ja gar kein flie ßendes Wasser im Zimmer - dann muß es offenbar regnen - es war doch heute so schön ! << Unterdessen ging das Tropfen regelmäßig weiter im Tempo von einem Tropfen in zwei Sekunden. Ich stellte mir links von meinem Bette in der Nähe der Kommode eine kleine Wasserlache vor. >>Dann muß aber das Dach irgendwo lecken<< , dachte ich mir. Schließlich, mit heroischer Anstrengung, wie es mir schien, machte ich Licht und ging zur Kommode. Es war kein Wasser auf dem Boden, und an der gegipsten Decke war kein
1 56
O K K U L TI S M U S
Wasserfleck. Erst dann blickte ich zum Fenster hinau s : es war eine klare Sternennacht. Unterdessen ging das Tropfen ruhig weiter. Ich konnte eine Stelle auf dem Fußboden, etwa einen halben Meter vor der Kommode, ermitteln, woher das Tropfgeräusch kam. Ich hätte sie mit der Hand berühren können. Plötzlich hörte das Ge räusch auf und kam nicht wieder. Erst um drei Uhr beim ersten Tagesschimmer fiel ich in tiefen Schlaf. Ich habe Holzwürmer gehört. Aber ihr Ticken ist schärfer. Dies war ein mehr dumpfes Geräusch, genau wie es ein von der Decke fallender Wassertropfen erzeugen würde. Ich war ärgerlich und nicht gerade erfrischt von diesem Week end. Ich sagte aber nichts zu Dr. X . Am nächsten Weekend, nach einer inhalts- und ereignisreichen Woche, dachte ich an mein vori ges Erlebnis gar nicht mehr. Als ich aber etwa eine halbe Stunde im Bett war, da war alles wie zuvor wieder da, die Erstarrung und der widerwärtige Geruch, und dazu kam nun etwas Neues: etwas streifte an den Wänden entlang, wie knisterndes Papier, die Möbel krachten hie und da, es rauschte sonderbar, bald in der einen, bald in der anderen Ecke. Es war eine seltsame Unruhe in der Luft. Ich dachte, es sei der Wind, machte Licht und wollte die Fenster schließen. Die Nacht war aber ruhig, und da war keine Spur von Wind. Solange das Licht brannte, war die Luft frisch und kein Geräusch hörbar. Kaum hatte ich gelöscht, so trat langsam die Erstarrung wieder ein, die ·Luft wurde stickig, und das Rauschen und Knistern begann wieder. Ich dachte, ich hätte Ohrgeräusche. Sie hörten aber so um drei Uhr morgens wieder prompt auf. Am Abend der zweiten Nacht versuchte ich es wieder mit einer Flasche ale. Ich hatte nämlich in London stets gut geschlafen und vermochte mir gar nicht vorzustellen, was ausgerechnet an diesem stillen und friedlichen Ort mir Schlaflosigkeit verursachen könnte. In dieser Nacht wiederholten sich die gleichen Phänomene, aber in gesteigerter Form. Erst j etzt kam mir der Gedanke, daß es sich um etwas Parapsychisches handeln könnte. Ich wußte, daß gewisse Probleme der Hausbewohner, die ihnen unbewußt sind, zu derar tigen Exteriorisationen Anlaß geben können ; denn konstellierte unbewußte Inhalte haben oft eine Tendenz, sich irgendwie äußer lich zu manifestieren. Nun kannte ich die Probleme der damaligen Bewohner sehr gut, und ich konnte gar nichts entdecken, was diese Exteriorisationen zu erklären imstande gewesen wäre. Anderen tags erkundigte ich mich aber doch vorsichtshalber bei allen, wie sie geschlafen hätten. Alle rühmten ihren guten Schlaf. In der dritten Nacht wurde es noch schlimmer. Es traten sogar Klopflaute auf, und ich hatte den Eindruck, es husche ein Tier in der Größe eines mittleren Hundes im Zimmer herum, wie in einer
DREI VORREDEN
157
Panik. Wie gewöhnlich hörte der Spuk schlagartig mit dem ersten Lichtstreifen im Osten auf. Im Laufe des nächsten, dritten Weekends steigerten sich die Phänomene. Das Rauschen wurde iu einem Brausen und Sausen wie das eines Sturmes. Die Klopflaute kamen auch von außen in Form dumpfer Schläge, wie wenn jemand mit einem umwickelten Schmiedehammer von außen auf die Backsteinmauern schlüge (im ersten Stock !). Mehrfach mußte ich mich vergewissern, daß kein Sturm herrschte und niemand von draußen an die Mauer schlagen konnte. Beim vierten Weekend machte ich meinem Gastgeber einige vor sichtige Andeutungen : Das Haus sei vielleicht >> haunted<< , und das könnte der Grund für den überraschend niederen Mietpreis sein? Er lachte mich natürlich aus, obschon er sich meine Schlaflosigkeit sowenig wie ich erklären konnte. Es war mir aber aufgefallen, wie schnell die beiden Mädchen jeden Abend nach dem dinner auf räumten und lange vor Sonnenuntergang jeweils das Haus verlie ßen. Um acht Uhr war kein Mädchen mehr zu sehen. Ich bemerkte scherzhaft zu unserer Köchin, sie habe wohl Angst vor uns, daß sie sich jeden Abend von ihrer Freundin abholen lasse und es dann immer so eilig habe heimzugehen. Sie lachte und sagte : »Ich habe keine Angst vor den Herrschaften, aber ich würde keinen Augen blick allein oder gar nach Sonnenuntergang in diesem Haus blei ben.<< »Ja, was ist denn los hier?<< fragte ich sie. »Why, this house here is haunted, didn't you know it? Das ist der Grund, warum Sie es so billig bekamen. Niemand hat es hier ausgehalten.<< Das sei so, solange sie sich erinnern könne. Über den Ursprung des Gerüchtes war nichts aus ihr herauszubekommen. Ihre Freundin bestätigte sie mit Emphase. Ich konnte als Gast begreiflicherweise keine näheren Nachfor schungen im Dorf anstellen. Mein Gastgeber war skeptisch, aber gewillt, das ganze Haus einmal gründlich zu untersuchen. Wir fanden gar nichts Bemerkenswertes, bis wir auf den Estrich ka men. Dort fanden wir nämlich zwischen den beiden Flügeln eine Brandmauer, darin eine relativ neue, zirka vier Zentimeter dicke Türe mit einem schweren Schloß und zwei mächtigen Riegeln, welche den unbewohnten Flügel von dem unsrigen abschloß. Den Mädchen war die Existenz der Türe unbekannt. Diese Türe ist insofern rätselhaft, als das Erdgeschoß sowohl wie der erste Stock in den beiden Flügeln offen kommunizierten. Im Dachraum waren keine Zimmer und auch keine abschließbaren Gelasse. Auch fan den sich keine Spuren von irgendwelcher Benützung. Ich habe keine Erklärung gefunden. Das fünfte Weekend war dermaßen unerträglich, daß ich meinen
1 58
O K K U L TI S M U S
Gastgeber bitten mußte, mir ein anderes Zimmer z u geben. Es hatte sich nämlich folgendes ereignet : Es war eine schöne, wind stille Mondnacht. Im Zimmer rauschte, klopfte und knisterte es ; von außen tönten Schläge an die Mauern. Ich hatte das Gefühl, es sei etwas in der Nähe. Ich öffnete mit Mühe die Augen. Da sah ich neben mir auf dem Kopfkissen den Kopf einer alten Frau, das rechte Auge, weit aufgerissen, mich anstarrend. Die linke Ge sichtshälfte fehlte bis zum Auge. Das kam so plötzlich und uner wartet, daß ich mit einem Satz aus dem Bett flog, Licht machte und bei Kerzenschimmer in einem Lehnstuhl den Rest der Nacht ver brachte. Anderentags siedelte ich ins Nebenzimmer über, wo ich dann glänzend schlief und während dieses und des nächsten Week ends nicht mehr im geringsten gestört wurde. Ich drückte meinem Gastgeber meine Überzeugung aus, daß ich das H aus in der Tat für »haunted<< hielte, welche Erklärung er mit lächelnder Skepsis quittierte. Diese Haltung, so begreiflich sie war, ärgerte mich doch einigermaßen. Ich konnte mir nämlich nicht verhehlen, daß meine Gesundheit unter diesen Erlebnissen gelitten hatte. Ich fühlte mich unnatürlich erschöpft, wie ich mich nie zuvor gefühlt hatte. Ich forderte darum Dr. X heraus, es selber einmal mit dem >>haunted room<< zu versuchen. Er ging darauf ein und gab mir sein Ehrenwort, mir ehrlich und genau seine Beob achtungen mitzuteilen. Er werde allein in das Haus gehen und dort das Weekend verbringen, um mir ,,fair chance<< zu geben. Ich verreiste darauf. Etwa zehn Tage später erhielt ich einen B rief von Dr. X. Er sei allein ins Weekend gegangen. Am Abend sei es sehr still gewesen, und er habe gedacht, es sei ja nicht unbe dingt nötig, in den oberen Stock zu gehen ! Der Spuk könne sich ja nötigenfalls überall im Haus manifestieren, wenn es überhaupt einen geb e ! So habe er sein Feldbett im Gartenraum aufgeschlagen, und da das Haus doch recht einsam stehe, habe er eine geladene Jagdflinte mit sich ins Bett genommen. Es sei alles totenstill gewe sen. Er habe sich nicht gerade »comfortable<< gefühlt, sei aber dann nach einiger Zeit doch beinahe eingeschlafen. Da habe es ihm plötzlich geschienen, als ob er leise Schritte im Korridor höre. Er habe sofort Licht gemacht und die Türe aufgerissen, aber da sei gar nichts gewesen. Er habe sich darauf ärgerlich zu Bett gelegt und gedacht, ich sei ein "fool<< ! Aber es sei nicht lange gegangen, da habe er die Schritte wieder gehört und zu seinem Mißvergnügen entdeckt, daß dem Türschloß der Schlüssel fehlte. Er habe dann einen Stuhl mit der Lehne unter das Schloß geklemmt und sei darauf wieder zu Bett gegangen. Bald darauf hätte er die Schritte wieder gehört, die gerade vor der Türe anhielten; der Stuhl habe geächzt, wie wenn jemand vom Korridor her gegen die Türe drük-
DREI VORREDEN
1 59
ke. Er habe darauf sein Bett in den Garten hinausgestellt und dort sehr gut geschlafen. In der nächsten Nacht habe er das Bett wieder in den Garten gestellt. Um ein Uhr nachts aber habe es zu regnen angefangen, da habe er das Kopfende des Bettes unter das Vordach des conservatory geschoben und das Fußende mit einer wasser dichten Blache bedeckt. So habe er dann friedlich geschlafen. Aber nichts in der Welt hätte ihn veranlassen können, wieder im Gar tenzimmer zu schlafen. Er habe nun das Haus aufgegeben. Etwas später vernahm ich dann durch Dr. X, daß der Eigentü mer das Haus abgerissen habe, da es unverkäuflich war und in kürzester Zeit alle Mieter verscheuchte. Leider habe ich das Origi nal des Briefes nicht mehr. Aber sein Inhalt ist mir unauslöschlich eingeprägt, weil er mir eine ganz besondere Genugtuung bedeute te, nachdem mich mein Kollege so ausgiebig wegen meiner Ge spensterfurcht ausgelacht hatte. Epikritisch möchte ich zu den Phänomenen folgendes bemer ken : Das Tropfgeräusch kann ich mir nicht erklären. Ich war völlig wach und habe den Fußboden genau untersucht. Ich halte eine subjektive Täuschung in diesem Fall für ausgeschlossen. Was das Knistern und Rauschen anbelangt, glaube ich, daß es sich wohl nicht um objektive Geräusche gehandelt hat, sondern um Ohrge räusche, die mir aber als objektiv im Raum befindlich vorkamen. In meinem merkwürdigen hypnoiden Zustand erschienen sie über trieben stark. Auch von den Klopflauten bin ich keineswegs sicher, daß sie objektiv waren. Sie können ebensogut einzelne starke Herzschläge gewesen sein, die mir als außen befindlich vorkamen. Mein Erstarrungszustand war mit einer inneren Erregung verknüpft, die wohl einer Angst entsprach. Diese warmir aber, bis zum Moment der Vision, unbewußt und ist erst dann ins Bewußtsein durchgebro chen. Die Vision hatte den Charakter einer hypoagogischen H alluzi nation und war vermutlich eine Rekonstruktion des Erinnerungsbil des jener alten Frau, die an einem Karzinom litt. Was nun die Geruchshalluzination betrifft, so hatte ich den Ein druck, als ob meine Gegenwart im Zimmer irgendwie etwas all mählich belebte, was gewissermaßen an den Wänden haftete. Es kam mir vor, als ob jener Hund, der in panischer Angst herum huschte, meine Intuition (die ja bekanntlich mit der Nase ver knüpft wird - eine >>gute Nase<<) dargestellt hätte. Ich habe etwas >>gewittert<<. Wenn der menschliche olfactorius nicht so hoffnungs los degeneriert, sondern so entwickelt wäre wie etwa bei einem Hunde, so hätte ich wohl eine deutlichere Vorstellung von den Personen bekommen, welche früher das Zimmer bewohnt hatten. Primitive Medizinmänner können nicht nur einen Dieb, sondern auch »Geister« riechen.
1 60
O K K U LT I S M U S
Die eigentümliche hypnoide Katalepsie, mit der die Phänomene j eweils verknüpft waren, hat die Bedeutung einer intensiven Kon zentration, deren Gegenstand eine subliminale und daher "faszi nierende« Geruchswahrnehmung war, etwa ähnlich dem psychi schen Zustand eines Vorstehhundes (pointer), der Witterung ge faßt hat. Das faszinierende Agens nun scheint mir allerdings von einer besonderen Beschaffenheit zu sein, welche durch die Annah me einer gerucherzeugenden Substanz nicht hinlänglich erklärt ist ; es sei denn, daß der Geruch auch eine psychische Situation von erregender Natur veranschaulicht und auf den Perzipienten über trägt. Das ist keineswegs undenkbar, wenn man an die außeror dentliche Bedeutung, die der Geruchssinn bei den Tieren hat, denkt. Es ist auch gar nicht unmöglich, daß gerade die Intuition beim Menschen die Stelle der ihm mit dem Abbau des olfactorius verlorengegangenen Geruchswelt eingenommen hat. Ähnlich ist ja auch die Wirkung der Intuition auf den Menschen wie die schlag artige Faszination der Geruchswahrnehmung für das Tier. Ich ha be selber eine Reihe von Erfahrungen gemacht, wo »psychische<< Gerüche, das heißt Geruchshalluzinationen, subliminale Intuitio nen bedeuteten, wie ich nachträglich j eweils verifizieren konnte. Mit dieser Hypothese sollen nun selbstverständlich nicht alle Spukphänomene erklärt sein, sondern höchstens eine gewisse Ka tegorie derselben. Ich habe eine große Anzahl von Geisterge schichten gehört und gelesen. Darunter befanden sich einige, die sehr wohl auf die angedeutete Art erklärt werden könnten, zum Beispiel solche, wo in einem Zimmer, in welchem ein Mord ge schehen, sich ein Spuk entwickelte. In einem Fall waren, unter einem Teppich verborgen, noch B lutspuren sichtbar. Ein Hund hätte das Blut sicherlich gerochen und vielleicht sogar das Men schenblut erkannt, und wenn er die menschliche Phantasie besäße, so hätte er auch die Gewalttat mehr oder weniger rekonstruieren können. Das menschliche Unbewußte mit seiner sehr viel feineren Perzeptions- und Rekonstruktionsfähigkeit, als das Bewußtsein sie besitzt, hätte das gleiche leisten und ein visionäres Bild der erre genden psychischen Situation herausstellen können. So hat mir zum B eispiel ein Verwandter erzählt, daß er im Ausland auf einer Reise in einem Hotel abgestiegen sei. In der Nacht hatte er einen wilden Angsttraum, daß in seinem Zimmer eine Frau ermordet werde. Tags darauf erfuhr er, daß in der Nacht vor seiner Ankunft in seinem Zimmer tatsächlich eine Frau umgebracht worden war. Mit diesen Bemerkungen möchte ich nur darauf hinweisen, daß die Parapsychologie wohl daran täte, die Erkenntnisse der modernen Psychologie des Unbewußten sich dienstbar zu machen. April 1950 C. G. Jung
D RE I V O R R E D E N
161
Kommentar der Herausgeberin Fanny Maser Auf Grund eines Fragebogens hat Prof. Jung diesen Bericht über sein merkwürdiges Erlebnis in jenem englischen Spukhaus noch ergänzt: Es handelte sich dabei um »ein altes Farmhaus, schätzungsweise aus dem 1 7. oder 1 8 . Jahrhundert, ein einsames Gehöft, eine Vier telstunde vom nächsten Dorf entfernt. Das Haus war ein Back steinbau, die Gegend sanftes Hügelland mit Wiesen, Hecken und einzelnen großen Bäumen. Kein größeres Gewässer in der Nähe.« Auf die Frage, ob das »Tropfen wie von Wasser<< bei Licht sofort aufhörte, schrieb er: >>Nein, es dauerte mindestens drei Minuten lang, nachdem ich Licht gemacht hatte .<< Am wichtigsten war das Folgende: »Die Vision des Kopfes fand statt in einer Nacht, die von heftigsten Klopfgeräuschen gestört war. Wie ich Licht machte, hörte aber alles auf. Dabei war der Kopf durchaus lebendig, kompakt und körperhaft. Er befand sich rechts von mir in einer Entfernung von etwa vierzig Zentimetern. Am Schluß löste er sich nicht auf, sondern verschwand in dem Moment, wo ich Licht machte. Es ging alles natürlich sehr plötz lich. Die Vision dauerte also kaum mehr als ein bis zwei Sekun den<< - und doch war die Wirkung auf einen Mann wie Professor Jung von solcher Stärke, daß sie ihn aus dem Bett jagte und er vorzog, den Rest der Nacht auf einem Lehnstuhl zu verbringen, um nachher ein anderes Zimmer zu verlangen ! Das muß man sich vor Augen halten. Bezeichnend auch, wie sein englischer Kollege ihn »ausgiebig wegen seiner Gespensterfurcht auslachte<< , und doch in dem »haunted room<< nicht zu schlafen wagte, sondern unter einem nichtigen Vorwand lieber bei Regen im Garten schlief! - ungeachtet seines Versprechens, ihm »auf Ehrenwort<< eine "fair chance<< zu geben und dann »ehrlich und genau<< zu berichten ! Oberbewußt war Prof. Jung für ihn ein "fool<<, unterbe wußt dagegen glaubte er offenbar an Gespenster, und diese Furcht siegte ! Dieser Fall ist vielleicht der schauerlichste, vergegenwärtigt man sich die plötzliche Erscheinung eines Frauenkopfes auf dem Kopf kissen »kompakt und durchaus lebendig, das rechte Auge weit aufgerissen ihn anstarrend -!<<
1 62
O K K U LT I S M U S
Uaffe] Dieses B uch, 1 dessen Verfasserio sich bereits durch die Veröffent lichung verdienstvoller Arbeiten einen Namen gemacht hat, erzählt von wunderlichen Geschichten, die das Odium des Aberglaubens auf sich tragen und deshalb nur in der Heimlichkeit gehegt und gepflegt werden . Die Umfrage des >Schweizerischen B eobachters< hat sie an das Licht der Öffentlichkeit gelockt, womit sich die genannte Zeitschrift kein geringes Verdienst erworben hat. Das umfangreiche Material gelangte zuerst an meine Adresse. Da aber mein Alter und meine Überbeschäftigung mit anderen Din gen mir keine weiteren Belastungen erlaubten, konnte ich die Last dieser Aufgabe, eine derartige Sammlung zu sichten und einer psy chologischen Betrachtung zu unterziehen, in keine würdigeren H ände legen als in die der Verfasserin . Sie hat sich in ihrer Behand lung einer verwandten Vorstellungswelt, nämlich derjenigen von E. T. A. Hoffmanns >Goldnem Topf<,2 über soviel Feinheit an psy chologischer Einfühlung, Verständnis und Erkenntnis ausgewie sen, daß ich in meiner Wahl nicht gezögert habe. Kurioserweise, muß man schon sagen, ist das Problem der Wun dererzählungen, wie sie gang und gäbe sind - Aufklärung hin oder her -, so gut wie nie von der psychologischen Seite her angegangen worden. Ich schließe natürlich die Mythologie aus, obschon man im allgemeinen der Ansicht ist, daß sie wesentlich historisch sei und sich heutzutage nicht mehr ereigne. Als heutiges psychisches E reignis ist sie darum nur als Jagdgebiet für Abseitige bekannt. Geistergeschichten , Vorausgesichte und andere wundersame Er eignisse werden immer wieder berichtet, und die Zahl j ener, denen einmal » etwas<< zugestoßen ist, ist überraschend groß. Zudem ist es auch einem weiteren Publikum, trotz dem mißbilligenden Schwei gen der »Aufgeklärten<< , nicht ganz verborgen geblieben, daß es schon seit geraumer Zeit eine seriöse Wissenschaft gibt, die sich als >>Parapsychologie<< bezeichnet. Dieser Umstand hat vielleicht mit dazu beigetragen, eine derartige Befragung des Publikums zu er mutigen. Es hat sich dabei die beachtenswerte Tatsache ergeben, daß in unserem Volk, das man als nüchtern, phantasielos, rationalistisch und materialistisch zu bezeichnen beliebt, so viele Geisterge schichten und ähnliches vorkommen wie zum Beispiel in England oder I rland. Ja, wie ich aus eigener Erfahrung und aus derjenigen 1 Aniela Jaffe: Geistererscheinungen und Vorzeichen, 1958. Jaffe: Bilder und Symbole aus E. T. A . Hoffmanns Märchen ·Der Goldne Topf,, 1950. 2
DREI VORREDEN
1 63
anderer Forscher weiß, ist auch das mittelalterliche und noch viel ältere Zauberwesen keineswegs ausgestorben, sondern blüht heut zutage so schön wie vor Jahrhunderten. Aber von dem >>redet man nicht<<. Es geschieht bloß, und eine intellektuelle Oberschicht weiß nichts davon; sie kennt sich selber nicht und nicht den wirklichen Menschen. In der Welt des letzteren wird - ohne daß er sich dessen bewußt wäre - das Leben der J ahnausende gelebt, und es ereignen sich immerfort die Dinge, die von jeher das Leben des Menschen begleitet haben : Ahnungen, Vorauswissen, Geistersehen, Spuk, Wiederkehr der Toten, Dämonisches, Verhexung, Zauberhand lungen und so weiter. Begreiflicherweise will unser wissenschaftliches Zeitalter >>wis sen<<, ob solche Dinge »wahr<< seien, ohne sich dabei genügend Rechenschaft darüber zu geben, wie ein solcher Wahrheitsbeweis beschaffen sein müßte und wie er zu erbringen wäre. Zu diesem Zweck müssen die Ereignisse handfest und nüchtern angefaßt wer den, wobei es sich dann meistens herausstellt, daß die schönsten Geschichten in die Luft zerflattern, und was dann noch übrig bleibt, ist nicht »der Rede wert<< . Niemand denkt daran, sich ein mal prinzipiell die Frage vorzulegen : Was ist der wirkliche Grund dazu, daß immer wieder die gleichen alten Geschichten erlebt und erzählt werden, ohne im geringsten an Prestige einzubüßen ? Sie kehren im Gegenteil mit ewig erneuter Jugendkraft wieder, so frisch »wie am ersten Tag<< . Die Verfasserio hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Wunderge schichten als das, was sie sind, nämlich als psychische Tatsachen, anzuerkennen und sie nicht wegzutüfteln, weil sie in das Schema unserer gegenwärtigen Weltanschauung· nicht passen wollen. Sie hat darum folgerichtigerweise die im Falle der Mythologie schon längst erledigte Wahrheitsfrage beiseite gelassen, dafür aber den Versuch gewagt, sich nach dem psychischen Warum und Wozu zu erkundigen : Wer erlebt einen Spuk? Unter was für psychischen Voraussetzungen erlebt er ihn ? Was bedeutet der Spuk, wenn in haltlich, das heißt als Symbol betrachtet? Die Verfasserio versteht es, die Wundererzählung so zu lassen, wie sie ist, mit allem Drum und Dran, das dem Rationalisten so zuwider ist. Dadurch bleibt die dem Bericht wesentliche Atmo sphäre, das Zwielicht, erhalten. Zum nächtlich-numinosen Erleb nis gehört die Bewußtseinsdämmerung, das Ergriffensein, die Un möglichkeit der Kritik und die Lähmung der eigenen Stellungnah me. Es gehört zum Wesen des Wundererlebnisses, daß der Ver stand sich verflüchtigt und ein anderes selbsttätig die Führung übernimmt - eine einzigartige Erfahrung, die man nolens volens in aller Verborgenheit als Kostbarkeit hütet, manchmal unter Protest
1 64
O K K ULT I S M U S
der Vernunft. Das ist der unverstandene Zweck dieser Erschei n ung, daß nämlich der Mensch unwiderstehlich von einem Ge heimnis angerührt sei. Es ist der Verfasserin geglückt, diese Ganzheit des Erlebnisses trotz der Widerspenstigkeit der Berichte zu bewahren und sie zum Gegenstand ihrer Betrachtung zu machen. Wer eine Antwort auf die parapsychologische Wahrheitsfrage erwartet, wird nicht auf seine Rechnung kommen. Es liegt nämlich dem Psychologen zu nächst wenig daran, was für eine Tatsächlichkeit im hergebrachten Sinne festgestellt werden kann, sondern es kommt ihm nur darauf an, daß j emand für die Authentizität seines Erlebnisses, abgesehen von allen Deutungen, einsteht. Daran lassen die vorliegenden Be richte keinen Zweifel. Sie sind nicht nur durch den freien Bericht selber, sondern auch in der Regel durch unabhängige Paralleler zählungen bestätigt. An dieser Tatsache kann nicht gezweifelt wer den : solche Berichte gibt es aus allen Zeiten und Orten . Es besteht darum kein zureichender G rund, an der Wahrhaftigkeit eines ein zelnen B erichtes prinzipiell zu zweifeln. Ein berechtigter Zweifel ist nur dort angebracht, wo es sich um eine absichtliche Lüge handelt. Die Anzahl solcher Fälle ist verschwindend klein, denn die Urheber solcher Fälschungen sind zu unwissend, um richtig lügen zu können. Die Psychologie des Unbewußten hat uns in so vielen anderen Hinsichten neue Lichter aufgesteckt, daß man erwarten konnte, sie würde auch die dunkle Welt der ewig jungen Wundererzählungen erhellen. Aus dem umfangreichen Material, das dem vorliegenden B uch zugrunde liegt, gewinnt die tiefenpsychologische Betrach tungsweise in der Tat neue und bedeutsame Einsichten, welche eine gebührende Aufmerksamkeit verdienen. Ich kann es daher dem Interesse all jener empfehlen, die das zu schätzen wissen, was die Monotonie der Alltäglichkeit heilsam durchbricht, unsere Selbstsicherheit (bisweilen) erschüttert und Ahnungen verleiht. Im August 1 9 5 7 C. G. Jung
Zur Psychologie und Pathologie sogenannter okkulter Phänomene ( 1902)
Auf jenem großen Gebiete der psychopathischen Minderwertig keit, von welchem die Wissenschaft die Krankheitsbilder der Epi lepsie, Hysterie und Neurasthenie abgrenzte, begegnen wir verein zelten Beobachtungen, welche seltene Zustände des Bewußtseins betreffen, über deren Deutung die Autoren noch nicht einig sind. Es sind dies jene sporadisch in der Literatur auftauchenden Beob achtungen über Narkolepsie, Lethargie, automatisme ambulatoire, periodische Amnesie, double conscience, Somnambulismus, pa thologische Träumerei und pathologische Lüge und so weiter. Die genannten Zustände werden teils der Epilepsie, teils der Hysterie, teils dem Erschöpfungszustande des Nervensystems, der Neurasthenie, zugeteilt, teils wird denselben auch die Dignität ei ner Krankheit sui generis zuerkannt. Die betreffenden Patienten selbst machen gelegentlich eine ganze Stufenleiter von Diagnosen durch, von Epilepsie aufwärts durch Hysterie bis zur Simulation. Tatsächlich lassen sich einerseits diese Zustände nur mit größter Schwierigkeit, unter Umständen gar nicht von den genannten Neurosen abtrennen, andererseits aber weisen gewisse Züge über das Gebiet der pathologischen Minderwertigkeit hinaus auf eine mehr als bloß analogische Verwandtschaft mit Erscheinungen der normalen Psychologie, ja sogar der Psychologie des Mehrwerti gen, des Genies. So verschieden unter sich auch die einzelnen Erscheinungen die ses Gebietes sind, so ist doch gewiß kein Fall, der nicht durch die Brücke eines Zwischen-Falles nahe mit dem anderen typischen Falle verbunden wäre. Diese Verwandtschaft erstreckt sich tief in die Krankheitsbilder der Hysterie und der Epilepsie. Es haben sich sogar neuerdings Stimmen dafür erhoben, daß eine endgültige Grenze zwischen Epilepsie und Hysterie überhaupt nicht vorhan den sei und ein Unterschied erst in den extremen Fällen deutlich werde. So sagt zum Beispiel Steffens : >>Wir kommen ungezwungen auf den Gedanken, daß das Wesen der Hysterie und Epilepsie überhaupt nicht principiell unter einander verschieden ist, sondern dieselbe Krankheitsursache hier nur in verschiedener Form und in verschiedener Intensität und Nachhaltigkeit in die Erscheinung tritt.<< 1 Die Abgrenzung der Hysterie und gewisser Grenzformen der 1
Steffens: Über drei Fälle von »Hysteria magna•, 1900, S. 928.
1 66
O KK U LTI S M U S
Epilepsie gegenüber angeborener und erworbener psychopathi scher Minderwertigkeit begegnet ebenfalls den größten Schwierig keiten. Die Symptome des einen oder anderen Krankheitsbildes greifen überall weit in das benachbarte Gebiet ein, so daß man den Tatsachen Gewalt antun muß, wenn man sie gesondert als zu die sem oder j enem Gebiet gehörig betrachten will. Die Abgrenzung der psychopathischen Minderwertigkeit vom Normalen ist voll ends ein Ding der Unmöglichkeit. Der Unterschied ist überall nur das »Mehr« oder >>Weniger«. Auf dieselben Schwierigkeiten stößt die G ruppierung auf dem Gebiete der Minderwertigkeit selber. Man kann hier nur im großen und ganzen gewisse Gruppen her ausheben, die sich um einen durch besonders typische Charaktere ausgezeichneten Kern kristallisieren. Sehen wir von den beiden großen G ruppen der Minderwertigkeit des Intellektes und des Ge mütes ab, so bleiben uns noch die vorzugsweise hysterisch oder epileptisch (epileptoid) oder neurasthenisch gefärbten Minderwer tigkeiten, welche weder durch Minderwertigkeit des Intellektes noch des Gemütes ausgezeichnet sind. Auf diesem, einer sicheren Klassifikation unzugänglichen Gebiete spielen sich vorzugsweise jene oben genannten Zustände ab. Sie können, wie bekannt, als Teilerscheinungen einer typischen Epilepsie oder Hysterie oder als Sonderexistenzen auf dem Gebiete der psychopathischen Minder wertigkeit vorkommen, wo sie ihre Qualifikation als »epileptisch<< oder »hysterisch<< oft ziemlich unwesentlichen, akzessorischen Nebenerscheinungen verdanken. So pflegt man in der Regel den Somnam bulismus den hysterischen Erkrankungen beizuzählen, weil er gelegentlich Teilerscheinung einer schweren Hysterie ist, oder weil leichtere sogenannte »hysterische<< Symptome denselben begleiten. Einet sagt : »11 n'y a pas un somnambulisme, un etat nerveux toujours identique a lui-meme, il y a des somnambulis mes . << 2 Als Teilerscheinung einer schweren Hysterie ist der Som nambulismus eine nicht unbekannte Erscheinung, aber als patho logische Sonderexistenz, als Krankheit sui generis, dürfte er, nach der Spärlichkeit der einschlägigen deutschen Literatur zu schlie ßen, ziemlich selten sein. Der sogenannte spontane Somnambulis mus auf dem Boden einer hysterisch gefärbten psychopathischen Minderwertigkeit ist keine allzuhäufige Erscheinung, und es lohnt sich der Mühe, derartige Fälle einem genaueren Studium zu unter werfen, da sie gelegentlich eine Fülle interessanter Beobachtungen darbieten. Fräulein E . , vierzig Jahre alt, ledig, Buchhalterin in einem gro ßen Geschäft, ist erblich nicht belastet. Es wäre höchstens zu er2
Binet: Les Alterations de Ia personnalite, 1 892, S. 2.
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U L T E R P HÄ N O M E N E
167
wähnen, daß ein Bruder nach Familienunglück und Krankheit leicht nervös geworden ist. Gute Erziehung, munterer, fröhlicher Charakter, lernte nicht sparen, >>hatte es immer etwas groß im Kopf<< . Sie war sehr wohltätig, weich, tat viel für ihre in bescheide nen Verhältnissen lebenden Eltern und für fremde Familien. Trotzdem fühlte sie sich nicht glücklich, weil sie sich nicht recht verstanden glaubte. Nachdem sie früher immer gesund gewesen war, soll sie vor einigen Jahren wegen Magenerweiterung und Bandwurm behandelt worden sein. Während dieser Krankheit wurden ihre Haare in kurzer Zeit weiß. Später machte sie noch Typhus durch. Eine Verlobung wurde durch Tod des Bräutigams an Paralyse gelöst. Seit etwa anderthalb Jahren war Patientin sehr nervös. Im Sommer 1 897 Luft- und Wasserkur. Sie erzählt selbst, seit zirka einem Jahr habe sie oft bei der Arbeit Momente gehabt, in denen ihre Gedanken wie stillgestanden seien, ohne daß sie einschlief. In ihren Rechnungen machte sie dabei keine Fehler. Auf der Straße ging sie öfters an einen falschen Ort, merkte dann auf einmal, daß sie nicht auf der richtigen Straße war. Schwindel oder Ohnmachtsanfälle seien nicht vorgekommen. Menstruation früher stets regelmäßig, ohne Beschwerden alle vier Wochen ; seit sie ner vös und überarbeitet sei, alle vierzehn Tage. Seit langer Zeit leidet sie an habituellem Kopfweh. Die Kranke hatte als Rechnerio und Buchhalterio in einem großen Geschäft eine sehr anstrengende Arbeit, welche sie tüchtig und gewissenhaft leistete. Im letzten Jahr kamen zu den Anstrengungen des Berufes noch allerlei Wi derwärtigkeiten : Der Bruder mußte sich plötzlich scheiden lassen ; sie führte neben ihrem Beruf dessen Haushaltung, pflegte ihn und sein Kind in schwerer Krankheit und so weiter. Um sich zu erho len, reiste sie am 1 3 . 9. zu einer Freundin in Süddeutschland. Die große Freude, die lang entbehrte Freundin wieder zu sehen, und die Teilnahme an einem Feste machten die nötige Ruhe unmöglich. Am 1 5. 9. hatte sie ganz gegen ihre Gewohnheit zusammen mit der Freundin einen halben Liter Rotwein getrunken. Nachher spazier ten sie auf einen Friedhof. Da begann sie Blumen von den Gräbern abzureißen und die Gräber aufzukratzen. Nachher wußte sie abso lut nichts mehr davon. Am 1 6. 9. blieb sie bei ihrer Freundin, ohne daß etwas weiteres passierte. Am 1 7. 9. brachte die Freundin sie nach Zürich. Eine Bekannte kam nun mit ihr in die Anstalt. Unter wegs habe sie immer klar gesprochen, sei aber sehr müde gewesen. Vor der Anstalt begegneten sie drei Knaben, welche sie als die drei Toten bezeichnete, die sie ausgegraben habe. Sie wollte nun nach dem in der Nähe der Anstalt liegenden Friedhof gehen und ließ sich nur mit Überredungskünsten in die Anstalt bringen. Die Kranke ist klein, zart gebaut, leicht anämisch. Die Herz-
1 68
O KKU L T I S M US
grenze nach links leicht vergrößert, keine deutlichen Geräusche ; einige D oppelschläge. An der Mitralis auffallend starke Töne. Die Leberdämpfung reicht nur bis zum Rand der obersten Rippe. Pa tellarreflexe etwas verstärkt, sonst keine Sehnenreflexe. Keine An ästhesien und Analgesien, keine Lähmungen. Eine grobe Prüfung des Gesichtsfeldes mit den Händen ließ keine Einengung desselben finden. Kopfhaare ganz hell, gelblich weiß. Im übrigen sieht die Kranke ihrem Alter entsprechend aus. Die Patientin erzählt über ihr Vorleben und die Vorkommnisse in der letzten Zeit ganz klar, nur für die Vorkommnisse auf dem Friedhof in C. und vor der Anstalt hat sie gar keine Erinnerung. In der Nacht vom 1 7. auf den 1 8 . 9. sprach sie mit der Wärterin, äußerte sich, sie sehe das ganze Zimmer voll Tote in der Erscheinung von Skeletten. Sie war dabei durchaus nicht ängstlich, wunderte sich vielmehr darüber, daß die Wärterin sie nicht auch sah. Einmal lief sie zum Fenster. Sonst war sie ruhig. Am folgenden Vormittag im Bett sah sie immer wieder Gerippe; nachmittags nicht mehr. In der folgenden Nacht um vier Uhr erwachte sie und hörte die toten Kinder vom nahen Kirchhof rufen, sie seien lebendig begraben. Sie wollte hinaus, um sie auszu graben, ließ sich aber zurückhalten. Morgens um sieben Uhr war sie noch in deliriösem Zustande und erinnerte sich nun genau an die Ereignisse auf dem Friedhofe in C. und bei der Annäherung an die Anstalt. Sie erzählte, daß sie in C. die toten Kinder, welche ihr riefen, ausgraben wollte. Die Blumen habe sie nur weggerissen, um die Gräber freizulegen und öffnen zu können. Es wurde ihr nun in diesem Zustande von Herrn Professor Bleuler erklärt, daß sie sich auch nachher im normalen Zustande an alles erinnern werde. Die Kranke schlief am Vormittag noch einige Zeit, war nachher ganz klar und fühlte sich relativ wohl. Sie erinnerte sich nun wirklich an die Anfälle, verhielt sich aber auffallend gleichgültig denselben gegenüber. In den folgenden Nächten, mit Ausnahme derjenigen vom 22. auf den 2 3 . und vom 25. auf den 26. September, hatte sie wieder kürzere Anfälle deliriösen Inhaltes, in denen sie mit Toten zu tun hatte; in den Details waren die einzelnen Anfälle unter sich verschieden. Zweimal sah sie die Toten in ihrem Bett; sie schien sich aber nicht vor ihnen zu fürchten, sie ging vielmehr aus dem Bett, u m die Toten nicht zu »genieren«. Mehrmals wollte sie auch zum Zimmer hinaus. Nach einigen freien Nächten folgte in der Nacht vom 30. 9. auf den 1 . 1 0 . wieder ein kurzer Anfall, in welchem sie am Fenster den Toten rief. Während des Tages war sie in dieser Zeit immer ganz klar gewesen. Am 3. Oktober sah sie, wie sie nachher selbst erzähl te, im Salon bei vollem Bewußtsein eine ganze Menge Gerippe. Obschon sie an der Wirklichkeit der Skelette zweifelte, habe sie
ZUR PSYCHOLOGIE O KKULTER PHÄN O M E N E
1 69
sich doch nicht davon überzeugen können, daß sie halluzinierte. In der folgenden Nacht hatte sie zwischen zwölf und ein Uhr - schon die früheren Anfälle waren meistens um diese Zeit eingetreten während etwa zehn Minuten mit den Toten zu tun. Sie setzte sich im Bett auf, starrte in eine Ecke und sagte : >>Nun kommen sie - es sind aber noch nicht alle da - sie sollen nur kommen, der Saal ist groß genug, es haben alle Platz. Wenn alle da sein werden, komme ich auch mit.<< Dann legte sie sich mit den Worten : »So, jetzt sind alle da<< , nieder und schlief wieder. An alle diese nächtlichen Anfäl le hatte sie am Morgen nicht die geringste Erinnerung. Ganz kurze Anfälle traten noch in den Nächten vom 4./5., 6./7. , 9 . / 1 0 , 1 3 . / 1 4 . , 1 5 ./ 1 6 . Oktober je nachts zwischen zwölf und ein Uhr auf. Die letzten drei fielen in die Zeit des Monatsflusses. Die Wärterin suchte mehrmals mit ihr zu sprechen, zeigte ihr die brennende Straßenlaterne, die Bäume ; die Kranke reagierte aber nicht auf diese Anreden. Seither blieben die Anfälle ganz aus, die Kranke klagte über eine Reihe von Beschwerden, die sie schon während des bisherigen Verlaufes gehabt hatte. Namentlich Kopfweh plagte sie viel und steigerte sich am Morgen nach den Anfällen, wie Pa tientin sagte, ins Unerträgliche. 0,25 Sacch. lactis half prompt da gegen. Dann klagte sie über Schmerzen in beiden Vorderarmen, die sie beschrieb, wie wenn es sich um eine Tendovaginitis handel te. Die Muskelbäuche der Beuger hielt sie für eine Geschwulst und wünschte, massiert zu werden. Objektiv war nichts nachzuweisen, und als man die Klagen ignorierte, besserte sich das Übel. Wegen der Verdickung eines Zehennagels klagte sie auffallend viel und lange, auch noch, nachdem die verdickte Partie abgetragen worden war. Der Schlaf war öfters unruhig. Die Kranke hatte ihre Einwil ligung versagt, als sie gegen die nächtlichen Anfälle hypnotisiert werden sollte. Schließlich entschloß sie sich doch, das Kopfweh und die Schlafstörung hypnotisch behandeln zu lassen. Sie erwies sich als leicht beeinflußbar und kam schon in der ersten Sitzung in tiefen Schlaf mit Analgesie und Amnesie. Im November wurde sie wieder gefragt, ob sie sich des Anfalles vom 19. 9 . , für welchen ihr Erinnerungsfähigkeit suggeriert wor den war, entsinne. Es machte ihr schon viel Mühe, sich darauf zu besinnen, und sie konnte schließlich nur die Hauptsache noch erzählen, die Einzelheiten hatte sie vergessen. Es mag hier noch nachgetragen werden, daß die Kranke durch aus nicht abergläubisch ist und sich in gesunden Tagen nie beson ders für die übersinnlichen Dinge interessiert hat. Während der ganzen Behandlungsdauer, die am 1 4 . 1 1 . abschloß, fiel die große Gleichgültigkeit der Kranken gegenüber der Krankheit und sogar der Besserung auf. Im nächsten Frühjahr stellte sich die Kranke
1 70
O K K U L TI S M U S
wieder ein zur ambulanten Behandlung der Kopfschmerzen, wel che bei angestrengter Arbeit sich im Laufe der Monate langsam wieder eingestellt hatten. Ihr Befinden ließ im übrigen nichts zu wünschen übrig. Es wurde nun konstatiert, daß sie gar keine Erin nerung mehr an die Anfälle vom vorigen Herbst hatte, auch nicht an diej enigen vom 19. 9. und früher. Dagegen konnte sie in Hyp nose die Vorgänge auf dem Friedhof, vor der Anstalt und während der nächtlichen Störungen noch gut erzählen. Unser Fall e_rinnert durch seine eigenartigen Halluzinationen und durch sein Auftreten an die Zustände, welche von Krafft Ebing als >>protrahirte Zustände von hysterischem Delirium<< be schreibt. Er sagt: »Es sind . . . leichtere Fälle von Hysterie, bei denen solche delirante Zustände vorkommen . . . D as protrahirte hysterische Delirium steht auf dem Boden einer temporären Er schöpfung . . . Gemüthsbewegungen scheinen seinen Ausbruch zu befördern. Es recidiviert leicht . . . Am häufigsten findet sich Ver folgungsdelirium mit oft sehr heftiger reaktiver Angst, dann reli giöses und erotisches. Hallucinationen aller Sinne sind nicht selten. Am häufigsten und wichtigsten sind jedenfalls Gesichts-, Geruchs und Gefühlstäuschungen. Die Gesichtshallucinationen drehen sich besonders häufig um Thiervisionen, Leichenzüge, phantastische Prozessionen, in welchen es von Todten, Teufeln, Gespenstern und dergleichen wimmelt. - Die Gehörstäuschungen sind einfach Acusmen (Geschrei, Getöse, Knallen) oder wirkliche Hallucina tionen, vielfach mit sexuellem Inhalt.<<3 Die Leichenvisionen unserer Patientin und das anfallsweise Auf treten derselben erinnern an Zustände, wie sie gelegentlich bei Hysteroepilepsie beobachtet werden. Auch dort kommen die spe zifischen Visionen vor, und sind, im Unterschied zum protrahier ten Delir, an die einzelnen Anfälle gebunden. Eine dreißigj ährige Dame mit grande hysterie hat deliriöse Däm merzustände, in denen sie sich vorzugsweise mit schreckhaften H alluzinationen beschäftigt: Sie sieht, wie ihre Kinder ihr entführt werden, wie wilde Tiere dieselben fressen und so weiter. Patientin hat Amnesie für den Inhalt der einzelnen Anfälle.4 Siebzehnjährige Patientin, ebenfalls schwere Hysterika, sieht in ihren Anfällen jeweilen die Leiche ihrer verstorbenen Mutter, wel che sich ihr nähert, um sie an sich zu ziehen. Patientin hat Amnesie für die Anfälle. 5 ' Krafft-Ebing: Lehrbuch der Psychiatrie, 1 8 79, S. 58 1 . ' Richer: Etudes cliniques sur I' hystero-epilepsie, 1 8 8 1 , S. 483. s Ebenda, S. 487ff.; vgl. auch Erler: Hysterisches und hystero-epileptisches Irresein, 1 897, S. 2 8 ; ferner Cullerre: Un Cas de somnambulisme hysterique, 1 8 88, S. 356.
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U L T E R P H ÄN O M E N E
1 71
Die zitierten Fälle sind schwere Hysterien, deren Bewußtsein auf tiefer Traumstufe steht. Einzig das Anfallsweise und die Stabi lität der Halluzinationen zeigen eine gewisse Verwandtschaft zu unserem Fall, welcher in dieser Beziehung noch mehrfache Analo gien zu entsprechenden hysterischen Zuständen hat, zum Beispiel zu jenen Fällen, in denen ein psychischer Schock (Notzucht und so weiter) die Veranlassung zum Ausbruch der hysterischen An fälle war, und wo jeweilen das auslösende Ereignis halluzinato risch stereotyp wiedererlebt wird. Ein spezifisches Gepräge erhält aber unser Fall durch die Identität des Bewußtseins in den ver schiedenen Anfällen. Es handelt sich um einen >>etat second<< mit eigenem Gedächtnis und Abtrennung vom Wachzustande durch eine totale Amnesie. Hierdurch unterscheidet er sich von den bis her erwähnten Dämmerzuständen und nähert sich den sogenann ten somnambulen Zuständen. Charcot6 teilt die Somnambulismen in zwei Grundformen ein : 1 . Delir mit auffallender Inkoordination der Vorstellungen und Handlungen. 2. Delir mit koordinierten Handlungen. Der Zustand nähert sich dem des Wachseins. Unser Fall gehört zu letzterer Form. Wenn man unter Somnam bulismus einen Zustand systematischen partiellen Wachseins7 ver steht, müssen bei einer Besprechung dieser Affektion auch jene vereinzelten Fälle von anfallsweiser Amnesie berücksichtigt wer den, welche hin und wieder zur Beobachtung gelangen. Es sind dies, abgesehen vom Noktambulismus, die einfachsten Zustände eines systematischen partiellen Wachseins. Allen voran steht in der Literatur gewiß der Naefsche Fall.8 Er betrifft einen zweiunddrei ßigjährigen Herrn, der, schwer belastet, zahlreiche teils funktio nelle, teils anatomische Degenerationszeichen aufweist. Infolge Überanstrengung hatte er schon im siebzehnten Jahre einen eigen tümlichen Dämmerzustand mit Wahnideen, der einige Tage dauer te und mit einer summarischen Erinnerung heilte. Später war er häufigen Schwindelanfällen mit Herzklopfen und Erbrechen un terworfen ; jedoch waren diese Anfälle nie mit Bewußtseinsverlust verknüpft. Im Anschluß an eine fieberhafte Krankheit reiste der Explorand plötzlich von Australien nach Zürich, verlebte dort ' I n : Guinon: Documents pour servir a I' histoire des somnambulismes, 1 891 . 7 •Das Schlafwandeln ist als systematisches partielles Wachsein aufzufassen, bei wel chem ein begrenzter, logisch zusammenhängender Vorstellungskomplex in das Bewußt sein tritt. Gegenvorstellungen treten nicht ein, zugleich geht die geistige Tätigkeit inner halb der begrenzten Sphäre des Wachseins mit erhöhter Energie vor sich.• (Loewenfeld : Der Hypnotismus, 190 1 , S. 289.) 8 Naef: Ein Fall von temporärer, totaler, theilweise retrograder Amnesie, 1 898.
1 72
O K K U LTI S M U S
einige Wochen sorglos und heiter und kam erst z u sich, als er in der Zeitung die Notiz von seinem plötzlichen Verschwinden in Australien las. Er hatte eine zum Teil totale und retrograde Amne sie für die Zeit von mehreren Monaten, welche die Reise nach Australien, den dortigen Aufenthalt und die Rückreise in sich schließt. Einen Fall von periodischer Amnesie veröffentlicht Azam : 9 Albert X , zwölfeinhalb Jahre alt, mit hysterischen Be schwerden, wird im Verlaufe einiger Jahre mehrmals von amnesti schen Zuständen befallen, in denen er Lesen, Schreiben, Rechnen, sogar zum Teil die Sprache auf mehrere Wochen vergißt. Dazwi schen Intervalle normalen Befindens. Einen Fall von >>automatisme ambulatoire« auf ausgesprochen hysterischer G rundlage, der sich aber vom Naefschen durch das mehrfache Auftreten von Anfällen unterscheidet, publiziert Proust : Ein dreißigjähriger gebildeter Mann zeigt alle Erscheinun gen der grande hysterie, ist sehr suggestibel, hat von Zeit zu Zeit oft unter Einfluß von Gemütsbewegungen Anfälle von Amnesie, welche sich auf die Dauer von zwei Tagen bis zu mehreren Wo chen erstrecken. In diesen Zuständen wandert er, besucht Ver wandte, zerstört verschiedene Gegenstände bei denselben, macht Schulden, wird sogar, >>pour acte de filouterie<< , vor Gericht ge stellt und verurteilt.10 Einen ähnlichen Fall mit Wandertrieb berichtet Boeteau : Eine zweiundzwanzigjährige schwer hysterische Witwe erschrickt vor der drohenden Notwendigkeit einer Salpingitisoperation ; sie ver läßt das Spital, in dem sie sich bis dahin aufgehalten hatte, und verfällt darauf in einen somnambulen Zustand, aus welchem sie nach drei Tagen mit totaler Amnesie erwacht. In diesen drei Tagen hatte sie einen Weg von etwa sechzig Kilometern zurückgelegt, um ihr Kind zu suchen . 1 1 William James teilt einen Fall von >> ambulatory sort<< mit : Reve rend Anse! Bourne, Wanderprediger, dreißig Jahre alt, Psycho path, hatte einige Male Anfälle von einstündiger Bewußtlosigkeit. Eines Tages ( 1 7. Januar 1 887) verschwindet er plötzlich aus Gree ne, nachdem er auf einer Bank 5 5 1 Dollar abgehoben hat. Zwei Monate bleibt er verschollen. In dieser Zeit führt er als A . ]. B rown einen kleinen Kramladen in Norristown, Pennsylvanien, besorgt regelrecht alle Einkäufe, obschon er nie zuvor so etwas 9 Azam : Hypnotisme, double conscience et alterations de Ia personnalite, 1 887. Ein ähnlicher Fall bei Winslow: Obscure Diseases of the Brain and Disorders of the Mind, 1 860, s. 405. 10 Proust: Cas curieux d' automatisme ambulatoire chez un hysterique, 1 890. 1 1 Boeteau : Automatisme somnambulique avec dedoublement de Ia personnalite, 1 892 .
Z U R PSY C H O L O G I E O K KU LT E R P H Ä N O M E N E
1 73
betrieben hat. Am 1 4 . März 1 887 erwacht er plötzlich und kehrt nach Hause zurück. Völlige Amnesie für das Intervall.12 Mesnet · publiziert folgenden Fall : F., siebenundzwanzig Jahre alt, Sergeant der afrikanischen Truppe, wurde bei Bazeilles am Parietale verwundet, hatte ein Jahr lang, bis die Wunde geheilt war, eine Hemiplegie, welche mit der Heilung verschwand. Patient bekam im Verlaufe seiner Krankheit somnambule Anfälle mit starker Einengung des Bewußtseins, sämtliche Sinnesfunktionen mit Aus nahme des Tastsinnes und eines kleinen Teiles des Gesichtssinnes waren gelähmt. Die Bewegungen waren koordiniert, jedoch war die Zweckmäßigkeit derselben bei Überwindung von Hindernissen stark eingeschränkt. Patient zeigte während der Anfälle einen blöden Sammeltrieb. Durch verschiedene Manipulationen konnte man sei nem Bewußtsein einen halluzinatorischen Inhalt geben, zum Bei spiel gab man ihm einen Stock in die Hand, worauf sich Patient sofort in eine kriegerische Szene versetzt sieht. Er befindet sich auf Vor posten, sieht den Feind kommen und so weiter. 13 Guinon und Sophie Woltke machten folgende Versuche an Hy sterischen : Einer Patientin im hysterischen Anfall wurde ein blau es Glas vor die Augen gehalten. Sie sah darauf regelmäßig das Bild ihrer Mutter am blauen Himmel. Ein rotes Glas zeigte ihr eine blutende Wunde, ein gelbes Glas eine Orangenhändlerin oder eine Dame mit gelbem Kleid.14 Mesnets Fall erinnert an die Fälle von anfallsweiser Einengung des Gedächtnisses. MacNish teilt einen entsprechenden Fall mit: Eine anscheinend gesunde junge Dame verfällt plötzlich, angeblich ohne Prodromal Symptome, in einen tiefen, abnorm langen Schlaf. Beim Erwachen hat sie die Worte und die Kenntnis der einfachsten Dinge verges sen. Sie muß wieder lesen, schreiben und rechnen lernen. Sie macht bei der Erlernung dieser Dinge rapide Fortschritte. Nach einer zweiten Schlafattacke erwacht sie wieder in ihrem ersten normalen Zustande ohne Erinnerung an die dazwischengeschobene Episode des zweiten Zustandes. Während mehr als vier Jahren alternieren diese Zustände, in denen das Bewußtsein innerhalb der zwei Zu stände Kontinuität zeigt, aber amnestisch getrennt ist vom Be wußtsein des normalen Zustandes.15 12
James: The Principles of Psychology, 1 89 1 , Bd. 1, S. 39 1 . Mesnet: D e l'Automatisme d e I a memoire et d u souvenir dans l e somnambulisme pathologique, 1 874, zitiert in Binet: Les Alterations, 1 892, S. 3 ff. Vgl. auch Mesnet: Somnambulisme spontane dans ses rapports avec l'hysterie, 1 892. 14 Gui non/Woltke: De l'Jnfluence des excitations des organes des sens sur les halluci nations, 1 89 1 . 1 5 MacNish: The Philosophy o f Sleep, 1 830, zitiert in Binet: Les Alterations, 1 892, s. 4 ff. u
1 74
O K K U LTI S M U S
Diese ausgewählten Fälle von verschiedenartigen Bewußt seinsveränderungen werfen jeder ein gewisses Licht auf unseren Fall. Der Naefsche Fall zeigt zwei hysteriforme Gedächtniseklip sen, von denen die eine durch Auftreten von Wahnideen ausge zeichnet ist und die andere durch zeitliche Dauer, Einengung des Bewußtseins und Wandertrieb hervorragt. Die eigentümlichen un vermittelten Antriebe sind im Proustschen und Mesnersehen Falle besonders deutlich. Wir können hierzu das triebartige Abreißen von Blumen, das Aufwühlen der G räber, wie es in unserem Falle beobachtet w urde, als gleichwertig in Parallele setzen. Die Be wußtseinskontinuität, welche Patientin in den einzelnen Anfällen zeigt, erinnert an das Verhalten des Bewußtseins im Falle Mac Nishs, weshalb unser Fall als ein vorübergehendes Phänomen von alternierendem Bewußtsein darf aufgefaßt werden. Der traumhafte halluzinatorische Inhalt des eingeengten Bewußtseins in unserem Falle läßt aber eine unbedingte Zuteilung desselben zu dieser Gruppe der double conscience nicht gerechtfertigt erscheinen. Die H alluzinationen im zweiten Zustande zeigen eine gewisse Produk tivität an, welche durch die Autosuggestibilität dieses Zustandes bedingt erscheint. Wir sehen im Falle Mesnets das Auftreten hallu zinatorischer Vorgänge auf einfache Tastreize. Das Unterbewußt sein des Patienten verwendet die einfachen Perzeptionen zum auto matischen Aufbau komplizierter Szenen, welche dann das eingeeng te B ewußtsein gefangennehmen . Bezüglich der Halluzinationen unserer Patientin haben wir an etwas Ähnliches zu denken, wenig stens scheinen die äußeren Umstände, unter denen das Auftreten der H alluzinationen erfolgte, unsere Vermutungen zu bestärken : Der Spaziergang auf dem Friedhof induziert die Skelett-Vision, die B egegnung mit den drei Knaben erweckt die Halluzination lebendig begrabener Kinder, deren Stimmen die Patientin nachts hört. Patientin kommt auf den Friedhof in somnambulem Zu stand, der diesmal infolge des Alkoholgenusses besonders intensiv auftritt; sie begeht triebartige Handlungen, von denen ihr Unter bewußtsein j edenfalls gewisse Eindrücke empfängt. (Die Rolle, die der Alkohol hier spielt, darf nicht unterschätzt werden ; er wirkt erfahrungsgemäß auf dergleichen Zustände nicht nur verschlim mernd ein, sondern es darf ihm auch, wie jedem anderen Narkoti kum, eine gewisse durch ihn bedingte Steigerung der Suggestibili tät zugeschrieben werden.) Die im Somnambulismus erhaltenen Eindrücke bilden sich unterbewußt fort als selbständige Vegetatio nen und treten schließlich als Halluzinationen in die Wahrneh mung. D amit schließt sich unser Fall eng an die somnambulen Traumzustände, welche namentlich in England und Frankreich neuerdings einem eingehenden Studium unterworfen wurden.
ZUR PSYCHOLOGIE OKKULTER P HÄNOMENE
1 75
Die anfänglich anscheinend inhaltlosen Absenzen gewinnen durch zufällige Autosuggestion einen Inhalt, der sich automatisch bis zu einem gewissen Grade weiterbildet, in seiner weiteren Ent wicklung aber, wahrscheinlich unter dem Einfluss der beginnen den Besserung, zum Stillstand kommt und schließlich mit einge tretener Genesung überhaupt verschwindet. Über die Einpflanzung von Suggestionen in einem partiellen Schlafzustand haben Binet und Fere zahlreiche Versuche ange stellt. Sie haben zum Beispiel gezeigt, daß es genügt, der anästheti schen Hand einer Hysterischen einen Bleistift zu geben, um sofort lange automatische Briefe und dergleichen zu erhalten, welche dem Bewußtsein der Patientin durchaus fremd sind. Cutane Reize in anästhetischen Regionen werden unter Umständen als Gesichts bilder wahrgenommen oder wenigstens als lebhafte, unvermittelt auftauchende Gesichtsvorstellungen. Diese selbständigen Trans mutationen einfacher Reize sind als das Urphänomen der Entste hung somnambuler Traumbilder zu betrachten. Noch innerhalb der Sphäre des wachen Bewußtseins kommen in seltenen Fällen analoge Erscheinungen vor. So berichtet zum Beispiel Goethe, daß, wenn er, den Kopf vornüber gesenkt, dasitze und sich eine Blume lebhaft vorstelle, sehe, wie sich dieselbe selbständig verän dere, indem neue Kombinationen der Gestaltung auftreten.16 Im Halbwachzustande sind dergleichen Erscheinungen verhältnismä ßig häufig als sogenannte hypnagogische Halluzinationen. Die Automatismen, welche das Beispiel Goethes illustriert, unterschei den sich von den eigentlich somnambulen, insofern die Ausgangs vorstellung in diesem Falle bewußt ist und die weitere Entwick lung des Automatismus sich in den durch die Ausgangsvorstellung bestimmten Grenzen hält, also innerhalb des bloß motorischen oder visuellen Gebietes. Geht die Ausgangsvorstellung unter oder war sie überhaupt nie bewußt und greift die automatische Entwicklung auf benachbarte Gebiete über, also zum Beispiel gesellt sich zu der Wahrnehmung der Blume die Vorstellung einer Hand, die sie pflückt, oder die Vorstellung des Blumengeruches, so verlieren wir jede Möglich keit einer Abgrenzung des Wachautomatismus von demjenigen 1 6 Goethe: Zur Natu rwissenschaft im allgemeinen, 1 858, S. 333 : »Ich hatte die Gabe, wenn ich die Augen schloß und mit niedergesenktem Haupte mir in der Mitte des Sehorgans eine Blume dachte, so verharrte sie nicht einen Augenblick in ihrer ersten Gestalt, sondern sie legte sich aus einander, und aus ihrem Innern entfalteten sich wieder neue Blumen aus farbigen, auch wohl grünen Blättern: es waren keine natürlichen Blu men, sondern phantastische, jedoch regelmäßig wie die Rosetten der Bildhauer. Es war unmöglich, die hervorquellende Schöpfung z u fixiren, hingegen dauerte sie so lange, als mir beliebte, ermattete nicht und verstärkte sich nicht.«
1 76
O K K U LTI S M U S
des somnambulen Zustandes. Das einzige Unterscheidungsmerk mal ist dann nur das >>Mehr« oder >>Weniger«. Wir reden dann in dem einen Fall von >>Wachhalluzinationen Gesunder«, im anderen Fall von den >>Traumvisionen der Somnambulen « . Die Deutung der Anfälle unserer Patienten als hysterische gewinnt durch den Nachweis einer wahrscheinlich psychogenen Entstehung der Hal luzinationen an Sicherheit. Unterstützt wird sie noch durch die B eschwerden der Patientin (Kopfweh und >>Tendovaginitis«), wel che sich einer suggestiven Behandlung zugänglich gezeigt haben. Einzig der ätiologische Faktor findet in der Diagnose >>Hysterie<< keine genügende Berücksichtigung, und es wäre doch eigentlich a priori zu erwarten, daß im Krankheitsverlaufe, welcher doch so ganz der Heilung einer Erschöpfung durch Ruhe entspricht, hie und da Züge beobachtet würden, welche als Erschöpfungserschei nungen könnten gedeutet werden. Es erhebt sich die Frage, ob nicht etwa die anfangs absence-ähnlichen und später somnambulen Anfälle als Erschöpfungszustände respektive >>neurasthenische Krisen<< aufgefaßt werden könnten. Wir wissen j a, daß es auf dem Gebiete der psychopathischen Minderwertigkeit zu verschiedenar tigen epileptoiden Zufällen kommen kann, deren Zugehörigkeit zur Epilepsie oder Hysterie zum mindesten zweifelhaft ist. West phal sagt wörtlich : >>Auf vielfältige Beobachtungen gestützt be haupte ich also, daß die sogenannten epileptoiden Anfälle eines der allgemeinsten und häufigsten Symptome . . . in der Gruppe von Erkrankungen bilden, die wir zu den Geisteskrankheiten und Neuropathieen rechnen, und daß weder für den Charakter und die Form der Erkrankung noch für ihren Verlauf und ihre Prognose das bloße Vorhandensein eines oder mehrerer epileptischen oder epileptoiden Anfälle maßgebend ist . . . Den Begriff des Epileptoi den habe ich hierbei für den Anfall selbst, wie erwähnt, im weite sten Sinne gebraucht.<< 1 7 D i e epileptoiden Momente unseres Falles brauchen nicht erst herausgehoben zu werden ; man kann dagegen den Einwand erhe ben, daß die Färbung des ganzen Bildes eine exquisit hysterische sei. D emgegenüber ist aber darauf hinzuweisen, daß nicht jeder Somnambulismus eo ipso hysterisch ist. Es kommen gelegentlich bei typischer Epilepsie Zustände vor, welche von berufener Seite direkt in Parallele zu somnambulen Zuständen gestellt werden oder welche sich mit Ausnahme des eigentlichen Krampfanfalles von Hysterischen unterscheiden . 1 8 17 18
Westphal : Die Agoraphobie, 1 87 1 , S. 1 58 . Pick: Vom Bewußtsein i n Zuständen sogenannter Bewußtlosigkeit, 1 8 84, S. 202; ferner Pelman: Über das Verhalten des Gedächtnisses bei den verschiedenen Formen des Irreseins, 1 864, S. 78.
ZUR PSY C H O L O G I E OKKULTER PHÄNOMENE
1 77
Wie DiehJI9 zeigt, kommt es auch auf dem Boden der neurasthe nischen Minderwertigkeit zu >>Krisen<<, welche den Diagnostiker oft in Verlegenheit bringen. Ein bestimmter Vorstellungsinhalt kann sich sogar in den einzelnen Krisen stereotyp wiederholen. Neuerdings publiziert auch Mörchen20 einen Fall von epileptoi dem neurasthenischem Dämmerzustand. Der Mitteilung von Herrn Professor Bleuler verdanke ich fol genden Fall : Gebildeter Herr in mittlerem Alter - keine epilepti schen Antezedentien - hat sich durch jahrelange übermäßige geistige Arbeit erschöpft. Ohne sonstige prodromale Symptome (keine Depression und so weiter) begeht er gelegentlich eines Ferienaufenthaltes einen Suizidversuch, indem er sich in einem eigentümlichen Dämmerzustand plötzlich an belebter Uferstelle ins Wasser stürzt. Er wird sofort herausgezogen, hat ganz summa rische Erinnerung. Mit Rücksicht auf diese Beobachtungen darf man gewiß der Neurasthenie einen erheblichen Anteil an den Zufällen unserer Patientin zuerkennen. Die Kopfschmerzen und die »Tendovagi nitis<< weisen auf das Bestehen einer relativ leichten Hysterie hin, welche aber gewöhnlich latent, erst unter dem Einfluß der Er schöpfung manifest wird. Die Genese des eigentümlichen Krank heitsbildes erklärt uns dessen oben dargelegte Verwandtschaft zu Epilepsie, Hysterie und Neurasthenie. Fassen wir zusammen : Fräulein Elise K. ist psychopathisch minderwertig, mit Tendenzen zu hysterischen Affektionen. Unter Einfluß einer nervösen Er schöpfung erkrankt sie an »epileptoiden<< Benommenheitsanfällen, deren Deutung vorderhand noch ungewiß ist. Unter dem Einfluß einer ungewohnt großen Alkoholdosis erweitern sich die Anfälle zu deutlichen Somnambulismen mit Halluzinationen, welche traumhaft an zufällige äußere Wahrnehmungen anknüpfen. Unter Heilung der nervösen Erschöpfung treten auch die hysteriformen Erscheinungen zurück. Auf dem Gebiete der psychopathischen Minderwertigkeit mit hysterischer Färbung begegnen wir zahlreichen Erscheinungen, die wie der obige Fall zwar die Symptome verschiedener bestimm ter Krankheitsbilder an sich tragen, aber keinem derselben mit Sicherheit zugeteilt werden können. Zum Teil sind diese Zustände schon als selbständige Krankheitsbilder aufgestellt: so zum Bei spiel die pathologische Lüge, die pathologische Träumerei und so 19 Diehl: Neurasthenische Krisen, 1902, S. 366 : »Wenn die Kranken zuerst ihre Krisen schildern, geben sie meist ein Bild, das uns den Gedanken an epileptische Verstimmung naherückt. Ich habe mich in diesem Sinne oft getäuscht . . . « 20 M ärchen: Über Dämmerzustände, Fall 32, 1 90 1 , S. 75.
1 78
O K K U LT I S M U S
weiter. Viele dieser Zustände aber harren noch einer eingehenden wissenschaftlichen Bearbeitung und bewegen sich vorderhand im Gebiete der mehr oder weniger wissenschaftlichen Anekdote. Die Träger dieser Zustände sind der habituelle Halluzinant und der Begeisterte, der bald als Dichter oder Künstler, bald als Heiliger, Prophet oder Sektenstifter die Aufmerksamkeit der Umgebung auf sich zieht. Die Genese der eigentümlichen Geistesverfassung dieser Men schen ist vielfach in absolutes Dunkel gehüllt, da es nur zur Selten heit einmal gelingt, eine dieser merkwürdigen Figuren einer genauen Beobachtung zu unterwerfen. In Ansehung der oft gro ßen historischen Bedeutung solcher Personen erscheint es wün schenswert, ein wissenschaftliches Material zu besitzen, auf Grund dessen wir imstande wären, nähere Einsichten in die psychologi sche Entwicklung ihrer Eigentümlichkeit zu gewinnen. Abgesehen von den heutzutage fast wertlosen Produkten der pneumatologi schen Richtung im Anfange des 19. Jahrhunderts ist die wissen schaftliche Literatur deutscher Zunge sehr arm an einschlägigen B eobachtungen, ja es scheint sogar eine eigentliche Aversion gegen eine B earbeitung des erwähnten Gebietes vorhanden zu sein. Was wir an Tatsächlichem auf diesem Gebiete wissen, verdanken wir fast ausschließlich den Arbeiten von Forschern französischer und englischer Zunge. Eine Bereicherung unserer Literatur in dieser Hinsicht erscheint deshalb zum mindesten wünschenswert. Diese Überlegungen haben mich bewogen, einige Beobachtungen zu veröffentlichen, die vielleicht dazu beitragen, unsere Kenntnisse über die Beziehungen hysterischer Dämmerzustände zu geschicht lichen u nd normalpsychologischen Problemen zu erweitern. Fall von Somnambulismus bei emer Belasteten (Spiritistisches Medium) Nachstehenden Fall habe ich in den Jahren 1 8 99 und 1900 beob achtet. Da ich in keinem ärztlichen Verhältnis zu Fräulein S. W. stand, konnte eine körperliche Untersuchung auf hysterische Stig mata leider nicht vorgenommen werden. Über die Sitzungen führ te ich ein ausführliches Tagebuch, das ich j eweils nach den Sitzun gen ergänzte. Der nachstehende Bericht ist eine gedrängte Darstel lung an Hand der Aufzeichnungen. Rücksichten auf die Familie und die Person des Fräulein S. W. geboten Änderung unwesentli cher D aten und Weglassong verschiedener Details bei der Darstel lung ihrer Romane, welche zum großen Teil aus sehr intimen An gelegenheiten bestehen.
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
1 79
Fräulein S. W., fünfzehneinhalb Jahre alt, reformiert. Der Groß vater väterlicherseits war sehr intelligent, Geistlicher, hatte häufig Wachhalluzinationen. (Meist waren es Visionen, oft auch ganze dramatische Szenen mit Gesprächen und so weiter). Ein Bruder des Großvaters imbezill, verschroben, ebenfalls Geisterseher. Eine Schwester des Großvaters seltsam, eigentümlicher Charakter. Die Großmutter väterlicherseits hatte im zwanzigsten Jahre nach einer fieberhaften Krankheit (Typhus?) einen Anfall von Scheintod, in welchem sie drei Tage lang sich befand und aus dem sie erst all mählich erwachte, als man ihr den Scheitel mit einem glühenden Eisen brannte. Später hatte sie bei Gemütsbewegungen Ohn machtsanfälle, welche fast regelmäßig von einem kurzen Somnam bulismus gefolgt waren, in welchem sie prophezeite. Vater eigen tümliche, originelle Persönlichkeit mit bizarren Ideen. Zwei seiner Brüder ähnlich. Alle drei haben Wachhalluzinationen. (Zweites Gesicht, Ahnung und so weiter). Ein dritter Bruder von bizarrem, verschrobenem Charakter, einseitig begabt. Mutter angeboren psychopathisch minderwertig, oft ans Psychotische streifend . Eine Schwester ist hysterisch, visionär, und eine zweite Schwester leidet an »nervösen Herzzufällen«. Fräulein S. W. ist sehr zart gebaut, zeigt etwas rachitischen Schä delbau ohne ausgesprochenen Hydrocephalus, etwas blasse Ge sichtsfarbe, dunkle Augen mit eigentümlich stechendem Glanz. Fräulein S. W. hat nie erhebliche Krankheiten durchgemacht. In der Schule war sie mittelmäßig, zeigte wenig Interesse, war zer streut. Im allgemeinen zeigte sie ein etwas zurückhaltendes Beneh men, das aber oft plötzlich ausgelassenster, exaltiertester Freude Platz machen konnte. Sie ist von mittelmäßiger Intelligenz. Beson dere Gaben hat sie nicht. Sie ist sehr unmusikalisch. Sie liebt die Bücher nicht, bevorzugt Handarbeiten oder träumerisches Her umsitzen. Schon in der Schule oft wie geistesabwesend, verlas sich oft beim Lautlesen in eigentümlicher Weise, las zum Beispiel statt dem Wort >>Ziege« : >>Gaiß,, , statt >>Treppe« : >>Stege«, was so häufig vorkam, daß sie deshalb von ihren Geschwistern ausgelacht wur de. Sonst wurden nie irgendwelche Abnormitäten an S. W. beob achtet; namentlich kamen nie schwerere hysterische Erscheinun gen vor. Ihre Familie setzt sich aus Handwerkern und Geschäfts leuten zusammen, hat sehr beschränkten Interessenkreis. Bücher mystischen Inhalts waren in der Familie nie geduldet. Die Erzie hung des Fräulein S. W. war eine mangelhafte. Abgesehen davon, daß zahlreiche Geschwister vorhanden waren und deshalb die Er ziehung in Bausch und Bogen genommen wurde, hatten die Kin der auch viel unter der inkonsequenten, ungebildeten, oft direkt rohen Behandlung seitens der Mutter zu leiden. Der Vater als
1 80
O K K U L TI S M U S
vielbeschäftigter Geschäftsmann konnte sich nur wenig seinen Kindern widmen und starb zu einer Zeit, als Fräulein S. W. noch unerwachsen war. Bei diesen unerquicklichen Verhältnissen ist es kein Wunder, wenn Fräulein S. W. sich beengt und unglücklich fühlte. Sie hatte oft Furcht, nach Hause zu gehen, und war an jedem anderen Orte lieber als zu Hause. Sie trieb sich daher viel mit Gespielinnen herum und wuchs auf diese Weise heran, ohne von der Kultur zu sehr beleckt zu sein. Demgemäß ist ihr Bil dungsniveau ein relativ niederes, entsprechend sind ihre Interessen von sehr beschränktem Umfang. Der Umfang ihrer Literatur kenntnisse ist ebenfalls ein sehr beschränkter. Sie kennt die ge wöhnlich in den Schulen auswendig gelernten Lieder von Schiller und Goethe und einigen anderen Dichtern, ferner einige Gesang buchlieder und Bruchstücke aus den Psalmen. In Prosa dürfte die Stufe der Heimburg- und Zeitungsromane die obere Grenze be zeichnen. Bücher gebildeteren Inhalts hat sie bis zur Zeit des ent wickelten Somnambulismus nicht gelesen. Sie hörte zu Hause und von Freundinnen vom Tischrücken er zählen, wofür sie sich zu interessieren begann. Sie verlangte, an solchen Experimenten einmal teilnehmen zu dürfen. Der Wunsch der Patientin erfüllte sich bald. Im Juli 1 899 beteiligte sich Fräulein S. W. einige Male scherzweise am Tischrücken im Kreise ihrer Freundinnen und Geschwister. Dabei wurde die Entdeckung ge macht, daß sie ein vorzügliches »Medium<< sei. Es kamen einige Mitteilungen ernsthaften Charakters, welche mit allgemeinem Erstaunen aufgenommen wurden. Namentlich überraschte der pastorale Ton derselben. Der Geist gab sich als Großvater des Mediums aus. Da ich mit ihrer Familie bekannt war, gelang es mir, an den betreffenden Experimenten teilzunehmen. Anfang August 1 899 fanden in meiner Gegenwart die ersten Anfälle von Somnambulismus statt. Dieselben verliefen meist folgenderma ßen : Fräulein S. W. sank langsam, unter starkem Erblassen zu Boden oder auf einen Stuhl, schloß die Augen, wurde katalep tisch, tat mehrere tiefe Atemzüge und fing dann an zu sprechen. In diesem Stadium war sie meist völlig schlaff, die Lidreflexe waren erhalten, ebenso die taktile Sensibilität. Sie war für uner wartete Berührungen empfindlich und schreckhaft, besonders im Initialstadium. Auf Anrufen mit ihrem Vornamen reagierte sie nicht. In ihren somnambulen Gesprächen kopierte sie in äußerst geschickter Wei se verstorbene Verwandte und Bekannte mit allen Eigentümlich keiten derselben, so daß sie selbst auf unbeeinflußte Personen ei nen nachhaltigen Eindruck machte. Sie kopierte zum Beispiel auch Personen, die sie nur der Beschreibung nach kannte, so treffend,
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
181
daß jeder Zuhörer ihr zum mindesten ein erhebliches Schauspieler talent nicht abstreiten konnte. Allmählich gesellten sich zu dem bloßen Sprechen auch Gesten hinzu, welche schließlich zu >>attitu des passionnelles<<, ja ganzen dramatischen Szenen führten. Sie nahm betende, verzückte Stellungen an, in denen sie mit strahlen den Augen und leidenschaftlich glühender, geradezu hinreißender Rhetorik sprach. Sie bediente sich dann ausschließlich der schrift deutschen Sprache, welche sie, ganz im Gegensatz zu ihrem sonsti gen durchaus unsicheren und verlegenen Benehmen in wachem Zustande, mit vollendeter Sicherheit und Gewandtheit sprach. Ihre Bewegungen waren durchaus frei und von edler Grazie und versinnlichten in schönster Weise ihre wechselnden Gefühlszu stände. Das Verhalten während dieses Stadiums war in den ver schiedenen Anfällen ein regellos wechselndes und ungemein man nigfaltiges. Bald lag Fräulein S. W. ruhig mit geschlossenen Augen zehn Minuten bis zwei Stunden auf dem Sofa oder auf dem Boden, ohne sich zu rühren, bald lag sie in halb sitzender Stellung und sprach mit veränderter Stimme und Sprache, bald war sie in be ständiger Bewegung und nahm alle möglichen pantomimischen Stellungen an. Ebenso wechselnd und regellos war der Inhalt ihrer Reden. Bald sprach sie von sich in der ersten Person, aber nie lange, meist nur um ihren nächsten Anfall vorauszusagen, bald sprach sie (das war das Gewöhnliche) von sich in der dritten Per son. Sie stellte dann irgendeine andere Person dar, entweder be kannte Verstorbene oder frei erfundene Personen, deren Rolle sie nach den Charakteristika, die sie selber gab, in konsequenter Wei se durchführte. Zum Schluß der Ekstase kam meist noch ein kata leptisches Stadium mit flexibilitas cerea, welches allmählich ins Erwachen überging. Fast konstant war das j ähe Erblassen bis zu einem geradezu beängstigenden wächsern anämischen Kolorit, das oft schon im Beginn des Anfalls, oft aber auch erst in der zweiten Hälfte desselben erfolgte. Dabei war der Puls klein aber regelmä ßig und von normaler Frequenz, die Atmung leise, oberflächlich, oft fast unmerklich. Wie schon bemerkt, sagte Fräulein W. ihre Anfälle oft voraus. Unmittelbar vor den Anfällen befielen sie ei gentümliche Gefühle, sie war aufgeregt, etwas ängstlich, und gele gentlich äußerte sie Sterbegedanke n : sie werde wahrscheinlich ein mal in diesen Anfällen sterben, ihre Seele hänge im Anfall sowieso nur mit einem ganz dünnen Faden am Körper, so daß der Körper oft kaum mehr leben könne. Einmal wurde nach dem katalepti schen Stadium Tachypnoe von zwei Minuten Dauer mit einer Fre quenz von hundert Atemzügen pro Minute beobachtet. Anfangs traten die Anfälle spontan auf, später konnte S. W. dieselben pro vozieren, indem sie sich in eine dunkle Ecke setzte und das Gesicht
1 82
OKKULTISMUS
mit den Händen bedeckte. Häufig gelang ihr dieses Experiment aber nicht. Sie hatte sogenannte >>gute<< und »schlechte<< Tage. Die Frage der Amnesie nach den Anfällen ist leider sehr unklar. Soviel ist sicher, daß sie nach jedem Anfall ganz genau darüber orientiert war, was sie speziell erlebt hatte >>in der Entzückung<< . Unsicher dagegen ist, wie s i e a n die Gespräche, welchen sie als Medium diente, und an die Veränderungen in ihrer Umgebung während des Anfalls sich erinnerte. Es hatte oft den Anschein, als ob sie eine summarische Erinnerung dafür besitze. Denn sehr oft sagte sie unmittelbar nach dem Erwachen : »Wer war da? War nicht der X oder Z da? Was hat er gesprochen ?<< Sie zeigte sich auch oberflächlich orientiert über den Inhalt der Gespräche. Sie bemerkte dann oft, die Geister hätten ihr vor dem Erwachen noch mitgeteilt, was man gesprochen hätte. Häufig war dies aber durch aus nicht der Fall. Wenn man ihr auf Verlangen den Inhalt der Trancereden wiedergab, so war sie sehr oft entrüstet über densel ben. Sie war deshalb oft stundenlang traurig verstimmt, nament lich wenn unangenehme Indiskretionen vorgekommen waren. Sie konnte dann geradezu schimpfen und versicherte oft, sie werde ihren Führer das nächste Mal bitten, solche Geister von ihr fern zu halten. Ihre Entrüstung war eine ungeheuchelte, denn in wachem Zustande konnte sie sich und ihre Affekte nur ganz mangelhaft beherrschen, so daß sich jede Verstimmung sofort auf ihrem Ge sichte malte. Über die äußeren Vorgänge während des Anfalls schien sie jeweilen kaum oder gar nicht orientiert zu sein. Sie bemerkte selten, daß j emand das Zimmer verließ oder daß jemand hereinkam. So verbot sie mir zum Beispiel einmal, das Zimmer zu betreten, als sie besondere Mitteilungen erwartete, die sie vor mir verheimlichen wollte. Ich begab mich aber trotzdem hinein, setzte mich zu den drei Anwesenden und hörte alles an. Fräulein S. W. hatte die Augen offen und sprach verschiedene der Anwesenden direkt an, ohne mich zu bemerken. Erst als ich zu sprechen be gann, bemerkte sie mich, was einen lebhaften Entrüstungssturm zur Folge hatte. Besser, aber auch nur in anscheinend unbestimm ten Umrissen erinnerte sie sich an die Äußerungen der Teilnehmer, welche sich auf die Trancereden oder direkt auf sie bezogen. Ein bestimmtes Rapportverhältnis in dieser Beziehung konnte ich nie entdecken. Neben diesen »großen« Anfällen, welche eine gewisse Gesetz mäßigkeit in ihrem Verlaufe zeigten, wies Fräulein S. W. noch eine große Anzahl anderer Automatismen auf. Ahnungen, Vorgefühle, unberechenbare Stimmungen und plötzlich wechselnde Launen waren an der Tagesordnung. Einfache Schlafzustände habe ich nie beobachtet. Dagegen fiel es mir bald auf, daß Fräulein S. W. oft
Z U R PSYC H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
1 83
mitten im lebhaftesten Gespräch in eigentümlich monotoner Wei se ganz verwirrt und sinnlos weitersprach und dabei träumerisch mit halbgeschlossenen Augen vor sich hinsah. Diese >>Absenzen<< dauerten meist nur wenige Minuten. Dann fuhr sie plötzlich auf: >>So, j a, was haben Sie gesagt ?« Anfangs wollte sie keine Auskunft über diese Absenzen geben, antwortete ausweichend : Es sei ihr etwas schwindlig gewesen, sie habe Kopfschmerzen und so weiter. Später aber sagte sie einfach : >>Sie waren halt wieder da« , nämlich ihre Geister. Sie war diesen Absenzen sehr gegen ihren Willen unterworfen, sie wehrte sich oft dagegen, >>ich will nicht, ich kann jetzt nicht, sie sollen zu einer anderen Zeit kommen, sie glauben, ich sei nur für sie da« . Die Absenzen befielen sie nämlich auf der Straße oder im Geschäft, überhaupt in jeder Situation. Wenn sie dieser Zustand auf der Straße befiel, lehnte sie sich an ein Haus und wartete, bis der Anfall vorüber war. Während dieser Absen zen, deren Intensität sehr verschieden war, hatte sie regelmäßig Visionen, sehr oft auch, und dies besonders bei denjenigen Anfäl len, in welchen sie stark erbleichte, >>wanderte« sie, das heißt ver ließ, wie sie angab, ihren Körper und versetzte sich nach fernen Orten, wohin sie von ihren Geistern geführt wurde. Weite Reisen in der Ekstase strengten sie besonders stark an. Sie war nachher oft stundenlang völlig erschöpft und beklagte sich manchmal, die Gei ster hätten ihr wieder viel Kraft entzogen, solche Anstrengungen seien ihr jetzt bald zu viel, die Geister sollten ein anderes Medium suchen und so weiter. Einmal war sie nach einer derartigen Ekstase eine halbe Stunde lang hysterisch blind. Ihr Gang war schwan kend, tastend, sie mußte geführt werden, sie sah das Licht nicht, das auf dem Tische stand. Die Pupillen reagierten. . Visionen kamen auch ohne eigentliche Absenzen vor (wenn wir mit diesem Wort nur die höhergradigen Aufmerksamkeitsstörun gen bezeichnen), und zwar in großer Anzahl. Anfangs beschränk ten sich die Visionen auf den Beginn des Schlafes. Einige Zeit, nachdem Fräulein S. W. zu Bette gegangen war, erhellte sich das Zimmer, und aus der allgemeinen nebelhaften Helligkeit lösten sich weiße, glänzende Gestalten ab. Sie waren durchweg in weiße, schleierartige Gewänder gehüllt, die Frauen hatten eine turbanarti ge Kopfbedeckung und einen Gürtel. Später (dies alles nach den Angaben des Fräulein S. W.) >>Standen die Geister oft schon be reit«, wenn Fräulein S. W. zu Bette gehen wollte. Schließlich sah sie die Gestalten auch am hellen Tage, jedoch nur undeutlich und kurze Zeit, solange nicht eine eigentliche absence eintrat, womit dann allerdings die Gestalten sich zu greifbarer Natürlichkeit ver dichteten. Fräulein S. W. bevorzugte aber stets das Dunkel. Der Inhalt der Visionen scheint nach den Angaben des Fräulein S. W.
1 84
O KKULTISMUS
zum größten Teil höchst angenehmen Charakters gewesen zu sein. Sie empfand im Anschauen der schönen Gestalten ein Gefühl wonniger Beseligung. Viel seltener waren schreckhafte Visionen dämonischen Charakters. Sie beschränkten sich ganz auf die Nacht oder auf dunkle Räume. S. W. sah gelegentlich schwarze Gestalten auf der nächtlichen Straße oder in ihrem Zimmer; auf dem dunkeln H ausflur erschreckte sie einmal ein furchtbares kupferrotes Ge sicht, d as sie plötzlich von Angesicht zu Angesicht anstierte. Über das erste Auftreten der Visionen konnte ich nichts Befriedigendes erfahren . S. W. gibt an, in ihrem fünften und sechsten Jahre einmal nachts ihren Führer, den Großvater (den sie bei Lebzeiten nicht mehr gekannt hatte) gesehen zu haben. Objektive Anhaltspunkte für diese Früh-Vision konnte ich bei den Verwandten von S. W. nicht erhalten. Später soll nie mehr etwas derartiges vorgekommen sein bis zu der ersten Sitzung. Mit Ausnahme der hypnagogischen H elligkeit und des Funkensehens kamen nie elementare Halluzi nationen vor, sondern dieselben waren von Anfang an systemati scher Natur und betrafen sämtliche Sinnesgebiete in gleicher Wei se. Was die intellektuelle Reaktion auf diese Erscheinungen anbe langt, so ist bemerkenswert, mit welcher verblüffenden Selbstver ständlichkeit S. W. ihre Träume aufnahm. Ihre ganze Entwicklung zur Somnambulen, ihre zahllosen rätselhaften Erlebnisse erschie nen ihr durchaus natürlich. Sie sah ihre ganze Vergangenheit nur in diesem Lichte. Jedes etwas auffallende Ereignis der früheren Jahre stand in einer notwendigen und klaren Beziehung zu ihrem jetzi gen Zustand. Sie war glücklich in dem Bewußtsein, ihre wahre Lebensaufgabe gefunden zu haben. Sie war natürlich unerschütter lich überzeugt von der Realität ihrer Visionen. Ich versuchte oft, ihr eine kritische Erklärung nahezulegen, sie verhielt sich aber stets ablehnend, indem sie in ihrem gewöhnlichen Zustand eine ver nünftige Erklärung nicht recht verstand und im hemisomnambu len Zustand dieselbe als unsinnig, ihren Tatsachen direkt ins Ge sicht schlagend, empfand . So sagte sie einmal : » Ich weiß nicht, ob das, was mir die Geister sagen und was sie mich lehren, wahr ist, ich weiß schließlich auch nicht, ob sie diejenigen sind, mit deren Namen sie sich nennen, aber daß meine Geister existieren, ist keine Frage . Ich sehe sie vor mir, ich kann sie betasten, ich rede mit ihnen über alles, was ich will, so laut und so natürlich, wie ich jetzt rede. Es kann nicht anders sein, als daß sie wirklich sind.« Von einer Krankhaftigkeit ihrer Erscheinungen wollte sie vollends gar nichts wissen. Überhaupt betrübten sie Zweifel an ihrer Gesund heit oder an der Wirklichkeit ihrer Traumwelten aufs tiefste und beeinträchtigten auch sehr meine Beobachtungen, indem sie sich vor mir verschloß und sich oft längere Zeit weigerte, in meiner
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
1 85
Gegenwart zu experimentieren ; ich hütete mich daher, zu viele Zweifel und Bedenken lautwerden zu lassen. Dafür genoß S. W. einer um so ungeteilteren Verehrung und Bewunderung seitens ihrer näheren Verwandten und Bekannten, welche sich bei ihr in allen möglichen Dingen Rat holten. Sie erlangte mit der Zeit einen solchen Einfluß auf ihre Anhänger, daß drei ihrer Geschwister ebenfalls zu halluzinieren begannen, und zwar in analoger Weise. Meist begannen diese Halluzinationen als nächtliche Träume von sehr lebhaftem, dramatisch geschlossenem Charakter, welche all mählich ins Wachsein herübertraten, teils hypnagogisch, teils hyp nopompisch. Namentlich eine verheiratete Schwester von Fräulein S. W. bekam ungemein lebhafte Träume, welche sich von Nacht zu Nacht konsequent erweiterten und schließlich auch ins Wachbe wußtsein zuerst als undeutliche Illusionen, dann als wirkliche Hal luzinationen eintraten, aber nie die plastische Deutlichkeit der Vi sionen des Fräulein S. W. erlangten. So sah sie zum Beispiel im Traume eine schwarze dämonische Gestalt an ihr Bett treten in lebhaftem Wortwechsel mit einer weißen, schönen Gestalt, welche den Schwarzen zurückzuhalten versuchte; der Schwarze griff sie aber trotzdem an und würgte sie, wobei sie erwachte. Sie sah dabei über sich gebeugt einen schwarzen Schatten mit menschlichen Umrissen und daneben eine weiße nebelhafte Gestalt. Die Vision verschwand erst, als sie ein Licht anzündete. Solche und ähnliche Visionen wiederholten sich Dutzende von Malen. Die Visionen der beiden anderen Geschwister waren ähnlicher Natur, nur an Intensität geringer. Der beschriebene Typus der "Anfälle samt der Fülle phantasti scher Visionen und Ideen hatte sich im Laufe von nicht ganz einem Monat zur vollen Höhe entwickelt, welche später nie überschrit ten wurde. Was später noch dazu kam, war nur Ausbau aller jener Gedanken und Visionszyklen, die gewissermaßen programmatisch schon ganz · im Anfang angedeutet worden waren. Neben den >>großen« Anfällen und den kleinen, aber inhaltlich gleichwertigen >>absence<<-Zuständen ist noch eine dritte Kategorie von Zuständen bemerkenswert. Es sind dies die hemi-somnambulen Zustände. Dieselben traten auf im Beginn oder am Ende der >>großen« Anfäl le, kamen aber auch unabhängig von den großen Anfällen für sich vor. Sie entwickelten sich allmählich im Laufe des ersten Monats. Eine genauere Angabe des Datums ihres Auftretens ist nicht mög lich. In diesem Zustand fallen der starre Ausdruck des Gesichtes, die glänzenden Augen und eine gewisse Würde und Gemessenheit der Bewegungen auf. Fräulein S. W. ist in diesem Zustand sie selbst, respektive ihr somnambules Ich. Sie ist dabei vollkommen orientiert über die Außenwelt, steht aber gewissermaßen mit ei-
1 86
O K K U LT I S M U S
nem Fuß in ihrer Traumwelt. Sie sieht und hört ihre Geister, sie sieht, wie dieselben im Zimmer unter den Zirkelteilnehmern her umgehen, wie sie bald bei diesem, bald bei jenem stehen. Sie ver fügt über eine klare Erinnerung an ihre gehabten Visionen, an ihre Reisen und ihre empfangenen Belehrungen. Sie spricht ruhig, klar und bestimmt und ist stets von ernster, fast feierlicher Stimmung. Ihr Wesen verrät eine tiefe Religiosität, frei von allem pietistischen B eigeschmack, namentlich ist ihre Sprache in keiner Weise vom Bibel- und Traktätchenjargon ihres Führers beeinflußt. Ihr feierli ches Benehmen hat einen leidenden Zug, etwas Wehmütiges. Sie empfindet schmerzhaft den großen Unterschied zwischen ihrer nächtlichen, idealen Welt und der rauhen Alltäglichkeit. Dieser Zustand steht in schroffem Gegensatz zu ihrem wachen Dasein : Es findet sich darin keine Spur von j enem unsicheren und unharmoni schen Wesen, von j enem sprunghaften, nervösen Temperament, das für ihr sonstiges Verhalten so charakteristisch ist. Wenn man mit ihr spricht, so hat man das Gefühl, als spreche man mit einer um viele J ahre älteren Person, die durch zahlreiche Lebenserfah rungen zu einem sicheren, komponierten Benehmen gelangt ist. In diesem Zustande auch gab sie ihre besten Produkte, während ihre Romane meist den Gegenstand ihres wachen Interesses bean spruchten. Der Herni-Somnambulismus trat meist spontan auf, in der Regel während der Tischexperimente, was sich jeweilen da durch ankündigte, daß S. W. anfing, j ede automatische Mitteilung des Tisches vorauszuwissen. Sie hörte dann gewöhnlich mit den Tischbewegungen auf und ging nach kurzer Zeit mehr oder weni ger p lötzlich in Ekstase über. Fräulein S. W. erwies sich als sehr feinfühlig. Sie konnte einfachere Fragen, welche sich ein Zirkelteil nehmer dachte, der selber nicht >> Medium<< war, erraten und beant worten. Es genügte, die Hand auf den Tisch oder auf ihre Hände zu legen, um ihr die nötigen Anhaltspunkte zu geben. Mentale G edankenübertragung konnte nie erzielt werden. Neben der of fenbaren Erweiterung ihrer ganzen Persönlichkeit war um so auf fallender das Weiterbestehen ihrer früheren, gewöhnlichen Natur. Fräulein S. W. teilte mit unverhohlenem Vergnügen alle die kleinen kindischen Erlebnisse, die Liebeleien und Herzensgeheimnisse, alle U narten und Erziehungsmängel ihrer Alters- und Standesge nossinnen. Sie war für jedermann, der ihr Geheimnis nicht kannte, ein M ädchen von fünfzehneinhalb Jahren, das in keinem Punkte von Tausenden seiner Art abwich. Um so größer war auch das Erstaunen, wenn man sie von der anderen Seite kennenlernte. Ihre näheren Verwandten konnten diese Wandlung anfangs nicht fas sen ; zum Teil begriffen sie dieselbe überhaupt nie, so daß es oft zu bitterem Streit in der Familie kam, da der eine Teil für und der
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
1 87
andere Teil _gegen Fräulein S. W. Partei ergriff, die einen in schwär merischer Uberschätzung, die anderen in verächtlicher Beurtei lung des »Aberglaubens<< . So führte Fräulein S. W., solange ich sie näher kannte, ein seltsames, widerspruchsvolles Dasein, ein eigent liches Doppelleben zweier neben- oder nacheinander existierender Persönlichkeiten, die sich beständig den Rang streitig machten. Es folgen nun einige der interessantesten Sitzungsberichte in chrono logischer Reihenfolge. Sitzungsberichte
Erste und zweite Sitzung, August 1 899. Fräulein S. W. übernahm sofort die Führung der » Kommunikationen<< . Der >>Psychograph<< , i n diesem Fall ein umgestülptes Trinkglas, auf das zwei Finger der rechten Hand gelegt wurden, bewegte sich blitzschnell von Buch staben zu Buchstaben. (Man hatte mit Buchstaben und Zahlen bezeichnete Zettel im Kreise um das Glas herumgelegt.) Es wurde die Mitteilung gemacht, daß der Großvater des >>Mediums<< sich hier befinde und mit uns sprechen werde. Es erfolgten nun zahlrei che Mitteilungen in rascher Folge, von meist religiös erbaulichem Inhalt, teils in richtig geformten Worten, teils mit Buchstabenum stellungen, teils in umgekehrter Reihenfolge der Buchstaben. Letz tere Worte und Sätze wurden oft so rasch produziert, daß man dem Inhalt nicht folgen, sondern denselben erst nachträglich durch Umstellung der Buchstaben erkennen konnte. Die Kommunika tionen wurden einmal unterbrochen in brüsker Weise durch eine neue Kommunikation, welche die Gegenwart des Großvaters des Referenten ankündigte. Bei dieser Gelegenheit wurde die scherz hafte Bemerkung gemacht, »offenbar vertragen sich die beiden >Spirits< sehr schlecht. << - Während dieser Versuche war die D äm merung hereingebrochen. Plötzlich wurde Fräulein S. W. unruhig, sprang ängstlich auf, fiel auf die Knie nieder und rief: >>Da, da, seht ihr nicht dieses Licht, diesen Stern da?<< , und deutete in eine dunk le Ecke des Zimmers. Sie wurde immer aufgeregter und verlangte ängstlich nach Licht. Sie war bleich, weinte : Es sei ihr so eigen tümlich, sie wisse gar nicht, was mit ihr sei. Als Licht gebracht wurde, beruhigte sie sich. Die Versuche wurden aufgehoben. In der nächsten Sitzung, die nach ein paar Tagen, auch wieder abends, stattfand, wurden ähnliche Kommunikationen des Groß vaters der S. W. erzielt. Bei Einbruch der Dunkelheit lehnte sich S. W. plötzlich auf dem Sofa zurück, wurde bleich, schloß die Augen bis auf eine kleine Spalte und lag regungslos da. Die Bulbi waren nach oben gerollt, der Lidreflex war vorhanden, ebenso die
1 88
O K K U LT I S M U S
taktile Sensibilität. Die Atmung war leise, fast unmerklich. Der Puls klein, weich. Dieser Zustand dauerte etwa eine halbe Stunde, worauf sich S. W. plötzlich mit einem Seufzer erhob. Die starke B lässe des Gesichts, welche während des ganzen Anfalls vorhan den gewesen war, machte wieder der früheren, blaßroten Färbung Platz. S. W. war etwas verwirrt und verlegen, deutete an, sie habe allerhand gesehen, wollte aber nicht erzählen. Erst auf eindringli ches Befragen erzählte sie, sie habe in einem merkwürdigen wa chen Zustande ihren Großvater gesehen, mit dem Großvater des Referenten Arm in Arm. Dann seien dieselben plötzlich in einer offenen Kutsche nebeneinandersitzend vorbeigefahren. Dritte Sitzung. In der dritten, nach einigen Tagen stattfindenden Sitzung sofort ein dem früheren analoger Anfall von etwas mehr als halbstündiger Dauer. S. W. erzählte nachher von zahlreichen weißen, verklärten Gestalten, die ihr j ede eine B lume von besonde rer symbolischer Bedeutung überreicht hätten. Meist waren es ver storbene Verwandte. Über den genaueren I nhalt der Gespräche beobachtete sie ein hartnäckiges Schweigen. Vierte Sitzung. Nachdem Fräulein S. W. in Somnambulismus gekommen war, fing sie an, eigentümliche Lippenbewegungen zu machen, dabei gab sie schluckende und gurgelnde Geräusche von sich. D an n flüsterte sie sehr leise und unverständlich. Nachdem diese Erscheinung einige Minuten gedauert hatte, fing sie plötzlich mit veränderter und tiefer Stimme zu sprechen an. Sie redete von sich in der dritten Person : »Sie ist nicht hier, sie ist fort . << Es folgten dann noch mehrere Sätze religiösen Inhaltes. Aus dem Inhalt und der Sprache war mit Leichtigkeit zu schließen, daß ihr Großvater, der Geistlicher gewesen war, kopiert wurde. Der In halt der Rede ging nicht über das geistige Niveau der » Kommuni kationen << hinaus. Der Ton der Stimme hatte etwas Gemachtes und Gezwungenes und bekam erst Natürlichkeit, als die Stimme im Laufe des Gespräches sich immer mehr derjenigen des Mediums genähert hatte. (In späteren Sitzungen war die Stimme nur noch dann vorübergehend verändert, wenn ein neuer spirit sich manife stierte. ) Nachher Amnesie für die Trancerede. Andeutungen über einen Aufenthalt im Jenseits . Sie sprach von einer ungeahnten Se ligkeit, die sie empfunden. Es muß noch bemerkt werden, daß das Sprechen im Anfall absolut spontan erfolgte und keine diesbezüg liche Suggestion vorausgegangen war. Unmittelbar nach dieser Sitzung wurde S. W. mit dem Buche Justinus Kerners >Die Seherin von Prevorst< bekannt. S. W. fing in der Folge an, gegen das Ende des Anfalls sich selbst zu magnetisie ren, teils durch regelrechte Passes, teils durch seltsame kreis- und achtförmige Touren, welche sie mit beiden Armen zugleich in
Z U R PS Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
1 89
symmetrischer Weise ausführte. Sie tat dies, wie sie selbst angab, zur Vertreibung der nach den Anfällen sich einstellenden starken Kopfschmerzen. In den (hier nicht referierten) Sitzungen im Au gust gesellten sich zum Großvater noch zahlreiche andere geistes verwandte spirits, welche nichts Bemerkenswertes produzierten. Jedesmal, wenn ein Neuer auftrat, veränderte sich die Bewegung des Glases in auffallender Weise : Es lief meist der Buchstabenreihe entlang, stieß den einen und anderen Buchstaben an, ohne daß ein Sinn dabei herausgekommen wäre. Die Orthographie war eine ganz unsichere und willkürliche, und die ersten Sätze waren häufig unvollständig oder von ganz sinnlosen Buchstabengemengseln un terbrochen. Meist setzte dann die flotte Schreibweise plötzlich ein. Einige Male wurde bei vollständiger Dunkelheit automatisches Schreiben versucht. Die Schreibbewegungen begannen mit hefti gen ruckweisen Stößen des ganzen Armes, so daß das Papier vom Bleistift durchstoßen wurde. Die erste Schriftprobe bestand aus zahlreichen Anstrichen und Zickzacklinien von etwa acht Zenti meter Höhe. Bei den weiteren Proben kamen zuerst sehr groß geschriebene unleserliche Worte, und allmählich erst wurde die Handschrift kleiner und deutlicher. Sie war nicht wesentlich von der des Mediums verschieden. Der kontrollierende Geist war wie der der Großvater. Fünfte Sitzung. Somnambule Anfälle aus dem September 1 899. S. W. setzt sich auf das Sofa, lehnt sich zurück, schließt die Augen, atmet leise und regelmäßig. Allmählich wird sie kataleptisch. Die Katalepsie verschwindet nach etwa zwei Minuten wieder, worauf S. W. in anscheinend ruhigem Schlaf mit vollständiger Erschlaf fung der Muskulatur daliegt. Sie beginnt plötzlich mit gedämpfter Stimme zu sprechen : >> Nein, nimm du das Rote, ich nehme das Weiße - du kannst das Grüne nehmen und du das Blaue. - Seid ihr bereit? - Wir wollen jetzt gehen.<< (Pause von mehreren Minuten, in welcher sich das Gesicht mit leichenähnlicher Blässe bedeckt. Ihre Hände fühlen sich kalt an und sind ebenfalls tief anämisch.) Plötzlich ruft sie mit lauter, feierlicher Stimme : »Albert, Albert, Albert<<, dann flüsternd : »SO, jetzt sprich du<< , worauf eine längere Pause folgt, in der die Blässe des Gesichts den denkbar höchsten Grad erreicht. Wieder mit lauter, feierlicher Stimme : »Albert, Al bert, du glaubst deinem Vater nicht? - Ich sage dir, in der N'schen Lehre sind viele Irrtümer enthalten. - Denk daran. << - Pause. Die Blässe des Gesichtes nimmt ab. »So, er ist sehr erschrocken, er konnte gar nicht mehr sprechen.<< (Diese Worte erfolgen in ge wöhnlichem Konversationston.) - Pause. - »Er wird gewiß daran denken.<< - S. W. spricht nun im gleichen Konversationston weiter in einem fremden Idiom, das ähnlich dem Französischen und Ita-
190
O K KULTISMUS
Iienischen klingt und bald a n dieses bald a n jenes erinnert. Sie spricht fließend und mit Grazie in sehr schnellem Tempo, so daß man eben noch einige Worte versteht, ohne sie aber alle bei ihrer Fremdartigkeit im Gedächtnis behalten zu können. Von Zeit zu Zeit kehren beständig Worte wieder, wie : wena, wenes, wenai, wene und so weiter. Verblüffend wirkt namentlich die absolute Natürlichkeit des Vortrages. Von Zeit zu Zeit macht S. W. Pausen, wie wenn j emand ihr antwortete. Plötzlich sagt sie deutsch : >>Ach, ist es schon Zeit? « Mit betrübter Stimme: »Muß ich schon gehen ? - Lebet wohl, lebet wohl ! << Bei den letzten Worten geht über ihr Gesicht ein unbeschreiblicher Ausdruck ekstatischer Seligkeit. Sie hebt ihre Arme empor, ihre bis dahin geschlossenen Augen öffnen sich, sie sieht mit strahlenden Blicken nach oben. Einen Augen blick verharrt sie in dieser Stellung, dann sinken ihre Arme schlaff herab, die Augen schließen sich, der Ausdruck des Gesichtes wird müde und erschöpft. Nach einem kurzen kataleptischen Stadium erwacht sie mit einem Seufzer. Sie sieht sich erstaunt um : »Nicht wahr, ich habe wieder geschlafen? << Es wird ihr erzählt, sie habe während des Schlafes gesprochen, worüber sie in lebhafte Entrü stung gerät, die sich noch steigert, als sie erfährt, sie habe in frem der Sprache gesprochen. » Ich habe den Geistern doch gesagt, ich wolle nicht, es könne nicht sein, es strenge mich zu sehr an. << Beginnt zu weinen. »Ach Gott, muß denn alles, alles wiederkom men wie das letzte Mal, wird mir nichts erlassen ?<< Am folgenden Tage um die gleiche Zeit fand wieder ein Anfall statt : Nachdem S. W. eingeschlafen ist, meldet sich plötzlich Ul rich von Gerbenstein. U. v. G. zeigt sich als launiger Schwätzer, er spricht sehr gewandt, in hochdeutscher Sprache mit norddeut schem Akzent. Darnach gefragt, was jetzt Fräulein S. W. mache, gesteht er nach langen Umschweifen, sie sei weit fort, und er sei unterdessen hier, um ihren Körper zu besorgen, den Blutumlauf, die Atmung. Er müsse auch aufpassen, daß unterdessen kein Schwarzer sich ihrer bemächtige und ihr Schaden zufüge. Auf ein dringliches Befragen erzählt er, Fräulein S. W. sei mit den anderen nach Japan gegangen, um dort einem entfernten Verwandten zu erscheinen und ihn von einer dummen Heirat abzuhalten. Er gibt dann mit flüsternder Stimme den Moment an, in dem die Erschei nung stattfindet, verbietet auf einige Minuten jedes Gespräch, weist auf das soeben stattfindende jähe Erblassen der S. W. hin, indem er bemerkt, die Materialisation auf so große Entfernungen koste entsprechend viel Kraft. Er verordnet sodann kalte Um schläge auf den Kopf, um das starke Kopfweh, das sie nachher befallen werde, zu mildern. Mit der allmählich sich wieder bele benden Gesichtsfarbe wird das Gespräch lebhafter. Es dreht sich
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P HÄ N O M E N E
191
um alle möglichen kindischen Scherze und Kleinigkeiten ; plötzlich sagt U. v. G . : »Ich sehe sie kommen, sie sind allerdings noch sehr weit, ich sehe sie dort wie ein Sternchen.<< S. W. deutet nach Nor den. Man fragt natürlich erstaunt, warum sie nicht von Osten kämen, worauf U. v. G. lächelnd bemerkt : >>Ja, sie kommen eben den direkten Weg über den Nordpol. Ich gehe jetzt; lebt wohl . << Unmittelbar darauf seufzt S. W., erwacht, ist mißmutig, klagt über heftige Kopfschmerzen. Sie habe gesehen, daß U. v. G. bei ihrem Körper gestanden habe; was er erzählt habe? Sie ärgert sich über das »dumme Geschwätz<<, das er nun einmal nicht lassen könne. Sechste Sitzung. Beginn wie gewöhnlich. Tiefes Erblassen. Liegt ausgestreckt, kaum atmend da. Plötzlich spricht sie mit lauter, feierlicher Stimme: »Ja, erschrecke nur, ich bin's. - Ich warne dich vor der N'schen Lehre. Sieh, im Hoffen ist alles enthalten, was zum Glauben gehört. - Du möchtest wissen, wer ich bin ? Gott gibt, wo du es am wenigsten vermutest. - Kennst du mich nicht? << - Daraufhin Flüstern, unverständlich. Nach wenigen Augenblik ken Erwachen. Siebente Sitzung. Fräulein S. W. gerät bald in Schlaf, liegt ausge streckt auf dem Sofa. Ist sehr blaß. Spricht nichts, seufzt von Zeit zu Zeit tief auf. Schlägt die Augen auf, erhebt sich, setzt sich auf das Sofa, beugt sich nach vorn über, spricht dazu leise : »Du hast schwer gesündigt, bist tief gefallen . << Beugt sich dazu nach vorn, wie wenn sie mit jemandem spräche, der vor ihr kniete. Sie steht auf, wendet sich nach rechts, streckt die Hand aus und zeigt auf die Stelle, über die sie sich vorhin beugte : »Willst du ihr vergeben?<< fragt sie laut. »Vergib nicht dem Menschen, sondern ihrem Geiste. Nicht sie, ihr Mensch hat gesündigt. << Sie kniet darauf nieder, ver harrt etwa zehn Minuten in betender Stellung. Darauf erhebt sie sich plötzlich, sieht mit ekstatischem Ausdruck zum Himmel und wirft sich dann in kniender Stellung mit auf die Hände gelegtem Gesicht nieder, flüstert unverständliche Worte. Sie verharrt re gungslos in dieser Stellung mehrere Minuten. Darauf erhebt sie sich, sieht wieder verklärten Gesichtes nach oben und legt sich auf das Sofa, erwacht bald darauf. Entwicklung der somnambulen Persönlichkeiten Zu Beginn vieler Sitzungen ließ man das Glas spontan laufen, worauf jeweilen in stereotyper Weise die Aufforderung erfolgte : »Ihr müßt fragen.<< Da mehrfach überzeugte Spiritisten an den Sitzungen teilnahmen, wurde natürlich sofort nach allen spiritisti schen Merkwürdigkeiten gefragt, vor allem nach den »Schutzgei-
1 92
O K K U L TI S M U S
stern<< . Auf diese Fragen wurden teils Namen bekannter Verstor bener, teils unbekannte Namen produziert, wie Berthe de Valours, Elisabeth von Thierfelsenburg, Ulrich von Gerbenstein und so weiter. Der kontrollierende spirit war fast ausschließlich der Großvater des Mediums, welcher einmal erklärte, er liebe sie am meisten von dieser Welt, weil er sie von Kindheit auf beschützt habe und alle ihre Gedanken wisse. Diese Persönlichkeit produ zierte eine Flut von Bibelsprüchen, erbaulichen Betrachtungen und Gesangbuchliedern, auch selbstgemachte (?) Verse wie : Sei treu im Glauben, An Deinem Gotte halte fest, Laß Dir den Himmelstrost nicht rauben, Der nie zu Schanden werden läßt. Den Himmelstrost, vor Gott zu treten, Wenn Erdennot die Seele drückt. Wer beten kann, von Herzen beten, Der kann auch tragen, was Gott schickt. Zahlreiche ähnliche Elaborate verleugnen nicht ihre Abstammung aus irgendeinem Traktätchen durch ihren banalen, salbungsvollen Inhalt. Seitdem S. W. in der Ekstase angefangen hatte zu reden, entwickelten sich lebhafte Zwiegespräche zwischen den Zirkelteil nehmern und der somnambulen Persönlichkeit. Der Inhalt der erhaltenen Antworten ist im wesentlichen ganz derselbe banale und allgemein erbauliche wie derjenige der psychographischen Mitteilungen. Der Charakter dieser Persönlichkeit ist gekenn zeichnet durch trockenen, geradezu langweiligen Ernst, rigorose Sittlichkeit und pietistische Frömmigkeit (was mit der historischen Wirklichkeit nicht stimmt). Der Großvater ist der Führer und Hüter des Mediums. Er gibt während der Ekstase allerhand Rat schläge, sagt spätere Anfälle, Erscheinungen beim Erwachen vor aus und so weiter. Er verordnet kalte Umschläge, gibt Anweisun gen, die Lagerung des Mediums oder die Anordnungen der Sitzun gen betreffend und so weiter. Sein Verhältnis zum Medium ist ein überaus zärtliches. In lebhaftestem Gegensatz zu dieser schwerfäl ligen Traumperson steht eine Persönlichkeit, die schon in den psy chographischen Mitteilungen der ersten Sitzungen sporadisch auf taucht. Sie enthüllt sich bald als der verstorbene Bruder eines H errn R., der damals an den Sitzungen teilnahm. Dieser verstorbe ne B ruder, ein Herr P. R., bewegte sich seinem lebenden Bruder gegenüber in Allgemeinheiten über brüderliche Liebe und so wei ter. Speziellen Fragen wich er auf jede Weise aus. Dafür entwickel te er aber eine geradezu erstaunliche Beredsamkeit den Damen des
Z U R PSYC H O L O G I E O K K U L T E R P H Ä N O M E N E
1 93
Zirkels gegenüber, wobei er namentlich einer Dame, die den leben den Herrn P. R. nie gekannt hatte, seine Huldigungen darbrachte. Er behauptete, schon bei Lebzeiten für sie geschwärmt zu haben, sei ihr öfters auf der Straße begegnet, ohne sie zu kennen und sei jetzt ungemein erfreut, sie auf diese ungewöhnliche Weise kennenzuler nen. Mit faden Komplimenten, schnippischen Bemerkungen den Herren gegenüber, harmlosen kindischen Späßen und so weiter füllte er einen großen Teil der Sitzungen aus. Mehrere Zirkelteilneh mer hielten sich auf über den Leichtsinn und die Banalität dieses >>Spirit<< , worauf derselbe für ein oder zwei Sitzungen verschwand, aber bald darauf wieder, zuerst zahm, oft sogar mit christlichen Phrasen, auftrat und auch bald wieder in den alten Ton verfiel. Neben diesen beiden scharf getrennten Persönlichkeiten traten noch andere auf, welche nur wenig vom Typus des Großvaters variierten, meist waren es verstorbene Verwandte des Mediums. Dementsprechend war der Gesamthabitus der Sitzungen der er sten zwei Monate ein feierlich-erbaulicher, der nur von Zeit zu Zeit durch das triviale Geplauder des Herrn P. R. gestört wurde. Einige Wochen nach Beginn der Sitzungen verließ Herr R. unseren Zirkel, worauf eine bemerkenswerte Anderung im Verhalten des P. R. auftrat. Er wurde einsilbiger, kam weniger oft, und nach einigen Sitzungen verschwand er ganz, um später nur noch selten, und zwar meist nur, wenn das Medium mit der betreffenden Dame allein war, zu erscheinen. Dafür drängte sich eine neue Persönlich keit in den Vordergrund, welche im Gegensatz zu Herrn P. R., der stets Dialekt sprach, sich einer affektierten, norddeutsch akzentu ierten Sprache bediente. Im übrigen war er die genaue Kopie des Herrn P. R. Seine Beredsamkeit war insofern bemerkenswert, als Fräulein S. W. nur über ein sehr mangelhaftes Hochdeutsch ver fügt, während die neue Persönlichkeit, die sich Ulrich von Ger benstein nannte, ein beinahe tadelloses, an liebenswürdigen Phra sen und Komplimenten reiches Deutsch sprach.21 Von Gerbenstein ist ein witziger, schlagfertiger Schwätzer, ein Flaneur, großer Verehrer der Damen, leichtsinnig und von größter Oberflächlichkeit. Im Laufe des Winters 1 899/1900 beherrschte er die Situation allmählich immer mehr, übernahm nach und nach alle oben angedeuteten Funktionen des Großvaters, der ernsthafte Charakter der Sitzungen schwand unter seinem Einfluß zuse hends. Alle Gegensuggestionen erwiesen sich als machtlos, und schließlich mußten die Sitzungen deshalb auf immer länger wer dende Zeiträume suspendiert werden. 21
Es ist zu bemerken, daß im Hause des Fr! . S . W. ein Herr verkehrt, der norddeutsch
spricht.
1 94
O K K U LT I S M U S
Folgender Umstand, der für alle diese somnambulen Persönlich keiten gilt, ist erwähnenswert. Sie verfügen über das ganze Ge dächtnis des Mediums, auch über den unbewußten Teil desselben, sie sind auch orientiert über die Visionen, die das Medium in der Ekstase hat, sie haben aber nur eine ganz oberflächliche Kenntnis der Phantasie des Mediums in der Ekstase. Sie wissen nur das von den somnambulen Träumereien, was sie gelegentlich von den Zir kelteilnehmern erfahren. Sie können über fragliche Punkte nie Auskunft geben oder nur eine solche, welche im Widerspruch zu den Erklärungen des Mediums steht. Die stereotype Antwort auf diesbezügliche Fragen lautet: »Fraget Ivenes, Ivenes weiß es. <<22 Aus den oben zitierten Beispielen von verschiedenen Ekstasen ist zu ersehen, daß das Bewußtsein des Mediums während der Trance durchaus nicht untätig ist, sondern eine ungemein mannigfaltige phantastische Tätigkeit entwickelt. Bei der Rekonstruktion des somnambulen Ich des Fräulein S. W. sind wir ganz auf ihre nach träglichen Erzählungen angewiesen, denn erstens sind die sponta nen Äußerungen ihres mit dem Wachzustand zusammenhängen den Ich spärlich und meist unzusammenhängend, und zweitens verlaufen sehr viele Ekstasen ohne Pantomime und ohne Sprechen, so d aß aus der äußeren Erscheinung kein Rückschluß auf innere Vorgänge gemacht werden kann. Fräulein S. W. ist meist total am nestisch für die automatischen Phänomene während der Ekstase, soweit sie den Bereich der ihrem Ich fremden Persönlichkeiten fallen. Für alle anderen Phänomene, wie lautes Reden, Zungenre den und so weiter, welche direkt mit ihrem Ich zusammenhängen, besteht in der Regel klare Erinnerung. Doch besteht in allen Fällen eine totale Amnesie sicher nur in den ersten Augenblicken nach der Ekstase. Innerhalb der ersten halben Stunde, während welcher meist noch eine Art Herni-Somnambulismus mit träumerischem Wesen, Halluzinationen und so weiter vorhanden ist, schwindet die Amnesie allmählich, indem bruchstückweise Erinnerungen an das Vorgefallene auftauchen, jedoch in ganz regelloser und will kürlicher Weise. Die späteren Sitzungen wurden meist damit begonnen, daß man die H ände auf dem Tisch vereinigte, worauf der Tisch sofort in B ewegung geriet. Unterdessen kam Fräulein S. W. allmählich in somnambulen Zustand, wobei sie die Hände vom Tisch nahm, sich ins Sofa zurücklehnte und in den ekstatischen Schlaf fiel. Nachher erzählte sie j eweilen ihre Erlebnisse, wobei sie sich aber Fremden gegenüber sehr zurückhaltend zeigte. Schon nach den ersten Ek stasen deutete sie an, daß sie eine bevorzugte Rolle unter den 22 lvenes ist der mystische Name des somnambulen Ich des Mediums.
Z U R PSYCH O L O G I E O K K U LT E R P HÄ N O M E N E
1 95
Geistern spiele; sie führte wie jeder Geist einen besonderen Na men : lvenes ; ihr Großvater umgab sie mit ganz besonderer Sorg falt, in der Ekstase mit der Blumenvision wurden ihr besondere Geheimnisse gelehrt, über die sie sich aber vorderhand noch in tiefes Schweigen hüllte. Während der Sitzungen, in denen ihre Geister sprachen, machte sie weite Reisen, meist zu Verwandten, denen sie erschien ; oder sie befand sich im Jenseits, in >>jenem Raum zwischen den Gestirnen, von dem man meint, daß er leer sei ; es befinden sich aber dort zahlreiche Geisterwelten« . In dem ihren Anfällen häufig folgenden hemi-somnambulen Zustande er zählte sie einmal in eigentlich poetischer Weise von einer Land schaft im Jenseits, >>einem wunderbaren, mondbeglänzten Tale, das für die noch ungeborenen Geschlechter bestimmt sei « . Ihr somnambules Ich schildert sie als eine vom Körper fast ganz be freite Persönlichkeit. Es ist eine erwachsene, aber kleine, schwarz haarige Frau, von ausgesprochen jüdischem Typus, in weiße Ge wänder gehüllt, den Kopf mit einem Turban bedeckt. Sie versteht und spricht die Sprache der Geister, denn die Geister sprechen noch aus menschlicher Angewöhnung unter sich, obschon sie dies eigentlich nicht nötig haben, da sie sich ihre Gedanken gegenseitig ansehen. Sie »spreche eigentlich auch nicht immer mit den Gei stern, sondern sehe sie bloß an, wobei sie die Gedanken der Gei ster verstehe« . Sie reist in Begleitung von vier bis fünf Geistern, verstorbenen Verwandten, und besucht ihre lebenden Verwandten und Bekannten, um ihr Leben und ihre Sinnesart zu erforschen, sie besucht ferner alle Orte, welche im Rufe des Gespensterspukes stehen. Nach der Bekanntschaft mit dem Buche Kerners ist ihre Bestimmung, die schwarzen Geister, welche an gewisse Orte ge bannt sind oder sich teils unter der Erdoberfläche befinden, zu belehren und zu bessern . (Analog der Seherin von Prevorst.) Diese Tätigkeit verursacht ihr viele Beschwerden und Schmerzen, sie klagt in und nach den Ekstasen über erstickende Gefühle, heftige Kopfschmerzen und so weiter. Am Mittwoch, alle vierzehn Tage, darf sie aber dafür die ganze Nacht in den Gärten des Jenseits zubringen in Gesellschaft seliger Geister. Dort wird sie belehrt über die Kräfte der Welt und über die unendlich komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse der Menschen, ferner über die Geset ze der Reinkarnation, über die Sternbewohner und so weiter. Lei der gelangte nur das System der Weltkräfte und der Reinkarnation zu einiger Ausbildung. Über die anderen Gegenstände ließ S. W. nur gelegentlich Bemerkungen fallen. So kam sie zum Beispiel einmal von einer Eisenbahnfahrt in höchster Aufregung zurück. Man meinte zuerst, es sei ihr irgend etwas Unangenehmes zugesto ßen, bis sie sich endlich fassen konnte und erzählte, es sei ihr ein
1 96
O K K U LTI S M U S
Sternbewohner i n der Eisenbahn gegenübergesessen. Aus der Be schreibung, die sie von diesem Wesen gab, erkannte ich einen mir zufällig bekannten, älteren Kaufmann, der ein etwas unsympathi sches Gesicht hatte. Im Anschluß an dieses Ereignis erzählte sie allerhand Seltsamkeiten von den Sternbewohnern, daß sie nämlich keine göttliche Seele wie die Menschen haben, daß sie keine Wis senschaften betreiben, keine Philosophie, dafür aber in den techni schen Künsten viel weiter seien als die Menschen. So sei auf dem Mars schon lange die Flugmaschine eingeführt, der ganze Mars sei kanalisiert, die Marskanäle seien künstlich ausgegrabene Seen und dienten der Bewässerung. Die Kanäle sind ganz flache Grä ben, das Wasser darin ist sehr seicht. Die Ausgrabung der Kanä le verursachte den Marsbewohnern keine besonderen Schwierig keiten, da der Marsboden leichter ist als der der Erde. Die Kanäle sind nirgends überbrückt, auch hindern sie den Verkehr nicht, da alles per Flugmaschine reist. Kriege kommen auf den Gestirnen nicht vor, da es keine Meinungsverschiedenheiten gibt. Die Sternbewohner haben keine menschliche Gestalt, son dern alle möglichen lächerlichen Gestalten, die man sich gar nicht erdenken könne. Menschliche Geister, die im Jenseits die Erlaubnis zum Reisen bekommen, dürfen die Gestirne nicht be treten. Ebenso dürfen wandernde Sternbewohner die Erde nicht betreten, sondern müssen in einer Entfernung von etwa fünf undzwanzig Metern über der Erdoberfläche bleiben. Übertreten sie das Gebot, so bleiben sie in der Gewalt der Erde und müs sen sich als Menschen verkörpern und werden erst nach ihrem natürlichen Tode wieder freigelassen. Als Menschen sind sie kalt, hartherzig und grausam. Fräulein S. W. erkennt sie am eigentümlichen Blicke, in dem das »Seelische« fehle, und am unbehaarten, brauenlosen, scharfgeschnittenen Gesicht. Napo leon I. war ein Sternbewohner. Bei ihren Reisen sieht sie die Gegenden, die sie durcheilt, nicht. Sie hat das Gefühl des Schwebens, und die Geister sagen ihr, wenn sie an O rt und Stelle ist. D ann erblickt sie meist nur das Gesicht und den Oberkörper desjenigen, dem sie erscheinen oder den sie sonst sehen will. Sie konnte selten angeben, in was für einer Umge bung sie die betreffende Person sah. Sie sah gelegentlich mich, aber nur meinen Kopf ohne irgendwelche Umgebung. Sie befaßte sich viel mit der Bannung von Geistern und schrieb zu diesem Behufe Sprüche in einer fremden Sprache auf Zettel, die sie an allen mögli chen Orten verbarg. In meiner Wohnung war ihr besonders die Gegenwart eines italienischen Mörders, den sie Conventi nannte, unangenehm. Sie versuchte denselben mehrere Male zu bannen und versteckte, ohne daß ich es wußte, bei mir mehrere solcher
ZUR PSYCH OLOGIE OKKULTER PHÄNOMENE
197
Zettel, welche später zufällig gefunden wurden. Ein solcher Zettel ist folgendermaßen beschrieben (mit Rotstift) :
� I Conventi :
March
govi
Ivenes.
Conventi, go orden, astaf vent.
Gen palus, vent allis ton prost afta ben genallis.
Eine Übersetzung habe ich leider nie erhalten, denn Fräulein S. W. erwies sich darin ganz unzugänglich. Gelegendich spricht die somnambule Ivenes direkt zum Publi kum. Sie führt stets eine würdige Sprache mit etwas altklugem Beiklang; Ivenes ist aber nicht langweilig-salbungsvoll und nicht ausgelassen-läppisch, wie ihre beiden Führer, sondern sie ist eine ernsthafte, reifere Person von devoter Frömmigkeit, weiblicher Zartheit und großer Bescheidenheit, die sich stets dem Urteil ande rer unterwirft. Ein schwärmerisch-elegischer Zug, etwas Melan cholisch-Resigniertes ist ihr eigentümlich, sie sehnt sich aus dieser Welt fort, sie kehrt ungern zur Wirklichkeit zurück, sie beklagt ihr hartes Los, ihre unsympathischen Familienverhältnisse. Daneben hat sie etwas Hoheitsvolles, sie gebietet ihren Geistern, verachtet das läppische >> Geschwätz<< Gerbensteins, tröstet andere, richtet betrübte Menschen auf, warnt und beschützt vor Gefahren des Leibes und der Seele. Sie vermittelt das gesamte intellektuelle Re sultat aller Manifestationen, obschon sie dasselbe der Unterrich tung durch die Geister zuschreibt. Ivenes ist es, unter deren ganz direktem Einfluß der hemi-somnambule Zustand des Fräulein S. W. steht. Die Romane Der im Herni-Somnambulismus so eigenartig geisterhafte Blick des Fräulein S. W. gab einigen Zirkelteilnehmern Anlaß, sie der Seherin von Prevorst zu vergleichen. Diese Suggestion blieb nicht ohne Folgen. Fräulein S. W. machte Andeutungen von früheren Existenzen, die sie schon erlebt habe, und schon nach wenigen
198
O K K U LTISMUS
Wochen enthüllte sie auf einen Schlag ein ganzes Reinkarnations system, nachdem sie früher nie etwas dergleichen erwähnt hatte. lvenes ist ein geistiges Wesen, das vor anderen Menschengeistern etwas voraus hat. Jeder Menschengeist muß sich im Laufe der Jahrhunderte zweimal verkörpern. Ivenes aber muß sich minde stens alle zweihundert Jahre einmal verkörpern ; außer ihr teilen nur noch zwei Menschen dieses Schicksal ; nämlich Swedenborg und Miss Florence Cook (das berühmte Medium Crookes')Y Fräulein S. W. nennt diese beiden Persönlichkeiten ihre >>Geschwi ster<< . Über deren Präexistenzen machte sie keine Angaben. Ivenes war Anfang des 19. Jahrhunderts Frau Hauffe, die Seherin von Prevorst. Ende des 1 8 . Jahrhunderts eine Pfarrersfrau in Mittel deutschland (unbestimmt, wo). Als solche wurde sie von Goethe verführt und gebar ihm einen Sohn. Im 1 5 . Jahrhundert war sie eine G räfin von Sachsen und führte den poetischen Namen Thier felsenburg. Ulrich von Gerbenstein ist ein Verwandter aus jener Zeit. Die Pause von 300 Jahren, die sie eingelegt hatte, und ihren Fehltritt mit Goethe mußte sie in den Leiden der Seherin von Prevorst büßen. Im 1 3 . Jahrhundert war sie eine Adelige, namens de Valours, im südlichen Frankreich und wurde als Hexe ver brannt. In der Zeit vom 1 3 . Jahrhundert bis zu den Neronischen Christenverfolgungen fanden mehrfache Reinkarnationen statt, ohne daß Fräulein S. W. darüber nähere Angaben macht. An der Christenverfolgung Neros nahm sie als Märtyrerin teil. Dann folgt wieder ein großes Dunkel bis zu Davids Zeiten, wo Ivenes eine gewöhnliche Jüdin war. Nach ihrem damaligen Tode habe sie durch Astaf, einen Engel aus einem höheren Himmel, den Auftrag zu ihrer wunderbaren Laufbahn erhalten. In allen ihren Präexi stenzen war sie » Medium<< und vermittelte den Verkehr zwischen Jenseits und Diesseits. Ihre »Geschwister<< sind gleich alt und ha ben den gleichen Beruf. In ihren verschiedenen Präexistenzen war sie jeweilen verheiratet und gründete allmählich auf diese Weise einen kolossalen Verwandtschaftsstamm, mit dessen unendlich komplizierten Verhältnissen sie sich in vielen Ekstasen beschäftig te. Zum Beispiel war sie etwa im 8 . Jahrhundert die Mutter ihres leiblichen Vaters und ferner ihres und meines Großvaters : daher die auffallende Freundschaft der beiden einander sonst fremden alten Herren. Als Frau de Valours war sie die Mutter des Referen ten. Als sie als Hexe verbrannt wurde, nahm dieser sich das sehr zu Herzen und ging in ein Kloster in Rouen, trug ein graues Habit, wurde Prior, schrieb ein Werk über Botanik und starb hochbetagt, über achtzig Jahre alt. Im Refektorium des Klosters hing das Bild 23
Sir William Crookes, Arzt und Seelenforscher ( 1 832-1919).
Z U R PS Y C H O L O G I E O K K U L T E R P H Ä N O M E N E
199
der Frau de Valours, auf dem sie in halb sitzender, halb liegender Stellung abgebildet war. (Fräulein S. W. nahm im hemi-somnam bulen Zustand oft diese Stellung auf dem Sofa ein. Es entspricht diese Stellung ganz genau derjenigen der Madame de Recamier auf dem bekannten Bilde von David.) Ein Herr, der öfters an den Sitzungen teilnahm und einige entfernte Ähnlichkeit mit dem Re ferenten hat, war ebenfalls einer ihrer Söhne aus jener Zeit. Um diesen Verwandtschaftskern herum gruppierten sich nun in nähe rer und weiterer Entfernung alle ihr irgendwie verwandten oder bekannten Personen. Der eine war aus dem 1 5 . Jahrhundert, der andere aus dem 1 8. ein Vetter und so weiter. Aus den drei großen Verwandtschaftsstämmen besteht nun weitaus der größte Teil der europäischen Völker. Sie und ihre Geschwister stammen von Adam ab, der durch Materialisation entstand, die übrigen damals schon existierenden Völker, aus de ren Mitte Kain seine Frau nahm, stammen vom Affen ab. Fräulein S. W. produzierte aus diesen Verwandtschaftskreisen einen erwei terten Familienklatsch, das heißt eine Hochflut romanhafter Ge schichten, pikante Abenteuer und so weiter. Namentlich war die Zielscheibe ihrer Dichtungen eine Dame aus der Bekanntschaft des Referenten, welche ihr aus unerfindlichen Gründen ungemein an tipathisch war. Sie erklärte diese Dame als die Verkörperung einer berühmten Pariser Giftmischerin, die im 1 8. Jahrhundert großes Aufsehen erregt habe. Sie behauptete, diese Dame setze auch jetzt noch ihr gefährliches Handwerk fort, aber auf eine weit raffinierte re Weise als früher; sie habe nämlich mittels Inspiration durch sie begleitende böse Geister ein Flüssigkeitsgemisch entdeckt, das man nur an die Luft zu stellen brauche, damit sich herumfliegende Tuberkelbazillen darin sammelten, die dort trefflich wüchsen. Mit dieser Flüssigkeit, die sie dem Essen beizumischen pflege, habe die Dame ihren Mann, der tatsächlich an Tuberkulose gestorben ist, umgebracht, ferner auch einen ihrer Liebhaber und ihren eigenen Bruder, um denselben beerben zu können. Der älteste Sohn dieser Dame sei ein uneheliches Kind von ihrem Liebhaber. Einem ande ren Liebhaber habe sie in ihrer Witwenzeit ein illegitimes Kind heimlich geboren, und schließlich habe sie in einem unsittlichen Verhältnis zu ihrem eigenen (später vergifteten) Bruder gestanden. Auf diese Weise spann Fräulein S. W. unzählige ähnliche Ge schichten, an die sie selber felsenfest glaubte. Die Personen dieser Romane traten auch in ihren Visionen handelnd auf, so zum Bei spiel die Dame in der oben berichteten Vision mit der pantomimi schen Beichte und Sündenvergebung. Alles, was irgendwie in ihrer Umgebung an Interessantem passierte, wurde in diese Romansy steme einbezogen und in die Verwandtschaftsverhältnisse einge-
200
O K K U L TI S M U S
ordnet, mit mehr oder weniger genauer Angabe der Präexistenzen und der beeinflussenden Geister. Ebenso erging es allen Personen, welche die Bekanntschaft von Fräulein S. W. machten. Sie wurden, je nachdem sie einen markanteren oder unbestimmteren Charakter hatten, als zweite oder erste Verkörperung taxiert. Meist wurden sie auch als verwandt bezeichnet, und zwar immer gleich in ganz bestimmter Weise. Erst nachträglich, oft erst nach mehreren Wo chen, kam dann plötzlich einmal wieder ein neuer komplizierter Roman nach einer Ekstase zum Vorschein, welcher durch Präexi stenzen oder durch illegitime Verhältnisse die auffallende Ver wandtschaft erklärte. Personen, die Fräulein S. W. sympathisch waren, waren in der Regel stets sehr nah verwandt. Diese Fami lienromane waren (mit Ausnahme des oben berichteten) alle sehr vorsichtig abgefaßt, so daß eine Kontrolle durchwegs unmöglich war. Sie wurden aber immer mit ganz verblüffender Sicherheit vorgetragen und überraschten durch eine oft äußerst geschickte Verwertung einzelner Details, die Fräulein S. W. irgendwo ver nommen oder beobachtet hatte. Die Romane haben zum großen Teil einen schauerlichen Charakter ; Mord mit Gift und Dolch, Verführung und Verstoßung, Testamentsfälschungen und so wei ter spielen darin eine hervorragende Rolle. Mystische Naturwissenschaft Fräulein S. W. unterlag in Hinsicht auf naturwissenschaftliche Fra gen zahlreichen Suggestionen. Meist wurde nach Schluß der Sit zungen über zahlreiche und verschiedenartige Gegenstände natur wissenschaftlicher und spiritistischer Art gesprochen und debat tiert. Fräulein S. W. griff nie in die Unterhaltung ein, sondern saß gewöhnlich träumerisch in einer Ecke in hemi-somnambulem Zu stande. Sie hörte bald das, bald jenes, das sie halbträumend auffaß te, doch konnte sie nie etwas im Zusammenhange erzählen, wenn man sie darnach fragte, begriff auch Erklärungen nur immer zur H älfte. Im Laufe des Winters tauchten in verschiedenen Sitzungen Andeutungen auf: Die Geister machten ihr über die Kräfte der Welt und des Jenseits seltsame Offenbarungen, doch könne sie jetzt noch nicht alles sagen. Einmal versuchte sie, eine Darstellung zu geben, sagte aber nur, auf der einen Seite sei das Licht, auf der anderen die Anziehungskraft. Endlich im März 1900, nachdem mehrere Male vorher gar nichts mehr von diesen Dingen in den Sitzungen verlautet war, kam sie plötzlich mit freudigem Gesicht, sie habe jetzt alles von den Geistern erhalten. Sie zog einen langen, schmalen Papierstreifen hervor, auf dem zahlreiche Namen stan-
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
201
den. Sie gab trotz meinem Verlangen den Zettel nicht aus den Händen, sondern diktierte mir folgendes Schema in die Feder:
Ich kann mich genau entsinnen, daß im Laufe des Winters 1 899 bis 1900 mehrere Male in Gegenwart von Fräulein S. W. von repulsi ven und attraktiven Kräften gesprochen wurde im Anschluß an Kants >Naturgeschichte des Himmels4 ferner vom Gesetze der Erhaltung der Energie, von den verschiedenen Formen der Energie und von der Frage, ob die Schwerkraft ebenfalls eine Bewegungs form sei. Aus dem Inhalt dieser Gespräche hat Fräulein S. W. of fenbar die Grundlage ihres mystischen Systems geschöpft. Sie gab darüber folgende Erklärungen : Die Kräfte ordnen sich auf sieben Kreisen an. Außerhalb dieser Kreise sind noch drei weitere, auf denen unbekannte Zwischenkräfte zwischen Kräften und Stoffen sich finden. Die Stoffe befinden sich auf sieben Kreisen, welche die 24 Kam: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels, 1 884.
202
O K K U LT I S M U S
zehn inneren umschließen.25 I m Zentrum steht die Urkraft, sie ist die Ursache der Schöpfung, sie ist eine geistige Kraft. Der erste Kreis, welcher die Urkraft umschließt, ist die Materie, die keine eigentliche Kraft ist und auch nicht von der Urkraft abstammt. Aber sie verbindet sich mit der Urkraft, und aus dieser Verbin dung gehen in erster Linie die geistigen Kräfte hervor ; auf der einen Seite die guten oder Lichtkräfte, auf der anderen die dunkeln Kräfte. Am meisten Urkraft enthält die Kraft Magnesor, am we nigsten die Kraft Connesor, in welcher die dunkle Macht der Ma terie am größten ist. Je weiter die Urkraft nach außen fortschreitet, desto schwächer wird sie, desto schwächer wird aber auch die Kraft der Materie, indem ihre Macht da am größten ist, wo der Zusammenstoß mit der Urkraft am heftigsten ist, nämlich bei der Kraft Connesor. Auf den Kreisen befinden sich immer analog, aber in entgegengesetztem Sinne wirkende und an Intensität glei che Kräfte. Das System läßt sich auch in eine einzige Reihe schrei ben, welche mit Urkraft, Magnesor, Cafar und so weiter beginnt (von links nach rechts auf dem Schema fortschreitet) und über Tusa, Endos aufsteigend mit Connesor endet, nur ist dann die Ü bersicht der Intensitätsgrade erschwert. Jede Kraft auf einem äußeren Kreise setzt sich zusammen aus den wieder zunächst lie genden Kräften des inneren Kreises. Die Magnesorgruppe. Vom Magnesor stammen in direkter Linie mit nur geringer B eeinflussung von der dunkeln Seite her die soge nannten Lichtkräfte ab. Die Kräfte Magnesor und Cafar bilden in ihrer Gesamtheit die sogenannte Lebenskraft, welche keine ein heitliche Kraft, sondern bei Tieren und Pflanzen von verschiede ner Zusammensetzung ist. Zwischen Magnesor und Cafar steht die Lebenskraft des Menschen. Am meisten Magnesor haben die mo ralisch guten Menschen und die Medien, welche den Verkehr guter Geister mit der Erde vermitteln. In der Mitte etwa stehen die Lebenskräfte der Tiere und bei Cafar die der Pflanzen. Von Hefa ist nichts bekannt, respektive Fräulein S. W. weiß nichts darüber anzu geben. Persus ist die Grundkraft, welche in den Erscheinungsformen der B ewegungskräfte zutage tritt. Ihre erkennbaren Formen sind Wärme, Licht, Elektrizität, Magnetismus und zwei unbekannte Kräfte, von denen die eine nur auf den Kometen vorkommt. Von den Kräften des siebenten Kreises konnte Fräulein S. W. nur Süd- und Nord-Magnetismus und positive und negative Elektrizität bezeich nen. Deka ist unbekannt. Smar ist von besonderer, unten noch zu erläuternder Bedeutung; sie führt hinüber zur Hyposgruppe. Hypos und Hyfonismus sind Kräfte, die nur 25 A u f der Abbildung sind nur die ersten sieben inneren Kreise dargestellt.
ZUR PSYCHOLOGIE OKKULTER PHÄNOMENE
203
bestimmten Menschen innewohnen, und zwar solchen, die im stande sind, einen magnetischen Einfluß auf andere auszuüben. Athialowi ist der Geschlechtstrieb. Von ihm leitet sich direkt die chemische Affinität ab. Auf dem neunten Kreise unter ihr kommt die Trägheit (respektive in die Linie des Smar). Surus und Kara sind unbekannter Bedeutung. Pusa entspricht in um gekehrtem Sinne Smar. Die Connesorgruppe. Connesor ist der Gegenpol des Magnesor. Es ist die der guten Lichtkraft an Intensität gleichkommende dunkle und böse Kraft. Was die gute Kraft schafft, verkehrt diese in das Gegenteil. Endos ist eine Grundkraft der mineralischen Stoffe. Von Tusa (unbekannter Bedeutung) leitet sich die Gravita tion ab, welche ihrerseits als Grundkraft der in die Erscheinung tretenden Beharrungskräfte bezeichnet wird. (Schwerkraft, Kapil larität, Adhäsion und Kohäsion.) Nakus ist die geheime Kraft ei nes seltenen Steines, der die Wirkung des Schlangengifts aufhebt. Die beiden Kräfte Smar und Pusa haben eine besondere Bedeu tung. Nach Fräulein S. W. kommt Smar zur Entwicklung im Mo mente des Todes moralisch guter Menschen, und zwar im Körper derselben. Diese Kraft ermöglicht der Seele den Aufstieg zu den Lichtkräften. Entgegengesetzt verhält sich Pusa, welche Kraft die moralisch schlechte Seele zur dunkeln Seite hinüberführt, in den Zustand des Connesor. Mit dem sechsten Kreise beginnt die sichtbare Welt, welche nur infolge der Mangelhaftigkeit unserer Sinnesorgane so scharf vom Jenseits getrennt zu sein scheint. In Wirklichkeit ist der Übergang ein ganz allmählicher, und es gibt Menschen, welche auf einer höheren Stufe der Welterkenntnis leben, weil ihre Wahrnehmun gen und Empfindungen feiner sind als die der anderen Menschen. Solche »Seher<< vermögen Krafterscheinungen zu sehen, wo ge wöhnlich Menschen nichts mehr wahrnehmen. Den Magnesor sieht Fräulein S. W. wie einen weiß oder bläulich leuchtenden Dampf, der hauptsächlich zur Entwicklung kommt, wenn gute Geister in der Nähe sind. Connesor ist ein schwarzes dampfähnli ches Fluidum, das ähnlich dem Magnesor bei Erscheinungen >>schwarzer<< Geister zur Entwicklung kommt. Namentlich nachts vor dem Beginn der großen Visionen lagert sich der leuchtende Magnesordampf in dichten Schwaden um sie, und daraus verdich ten sich dann die guten Geister zu sichtbaren, weißen Gestalten. Ebenso verhält es sich mit dem Connesor. Diese beiden Kräfte haben ihre verschiedenen Medien. Fräulein S. W. ist ein Magnesor medium, ebenso wie die Seherin von Prevorst und Swedenborg. Die Materialisationsmedien der Spiritisten sind meist Connesor medien, weil die Materialisation viel leichter durch den Connesor
204
O K K U LT I S M U S
stattfindet, wegen seiner nahen Beziehung z u den Eigenschaften des Stoffes. Im Sommer 1900 versuchte Fräulein S. W. mehrere Male, die Kreise der Stoffe zu produzieren, sie kam aber nie über ganz vage und unverständliche Andeutungen hinaus, und in der Folge sprach sie überhaupt nicht mehr davon. Ausgang Die eigentlich interessanten und inhaltsreichen Sitzungen nahmen mit der Produktion des Kräftesystems ein Ende. Schon vorher machte sich eine allmähliche Abnahme der Lebhaftigkeit der Ek stasen bemerkbar. Ulrich von Gerbenstein trat immer mehr in den Vordergrund und erfüllte die Sitzungen stundenlang mit seinem kindischen Geplauder. Die Visionen, die Fräulein S. W. unterdes sen hatte, scheinen ebenfalls bedeutend an Reichtum und Plastizi tät der Gestaltung eingebüßt zu haben, denn Fräulein S. W. wußte nachher nur mehr von allgemeinen Wonnegefühlen in der Gegen wart guter Geister und von unangenehmen in Gegenwart böser zu berichten. Irgend etwas Neues wurde nicht mehr produziert. In den Trancereden wurde eine gewisse Unsicherheit, etwas wie Ta sten und Forschen über den Eindruck, den sie beim Zuhörer machten, neben der zunehmenden Fadigkeit des Inhaltes beobach tet. Auch im äußeren Benehmen des Fräulein S. W. trat eine auffal lende Scheu und Unsicherheit hervor, so daß der Eindruck ab sichtlicher Täuschung immer lebhafter wurde. Der Schreibende zog sich darum bald von den Sitzungen zurück. Fräulein S. W. experimentierte in der Folgezeit in anderen Kreisen und wurde etwa ein halbes Jahr nach Aufhören meiner Beobachtung auf Be trug in flagranti ertappt. Sie wollte nämlich durch eigentlich spiri tistische Experimente wie Apport und so weiter den gesunkenen Glauben an ihre übernatürlichen Fähigkeiten wieder beleben, in dem sie verschiedene kleine Gegenstände, die sie in ihrem Ober kleide verborgen hatte, in der Dunkelsitzung in die Luft warf. Damit hatte sie ihre Rolle ausgespielt. Seither sind anderthalb J ah re verflossen, in denen mir Fräulein S. W. aus den Augen gekom men ist. Wie ich von einem Beobachter, der sie aus früherer Zeit kennt, erfahre, hat sie noch hie und da etwas sonderbare Zustände von kürzerer Dauer, in denen sie sehr blaß und schweigsam ist, starren, glänzenden Blick zeigt und so weiter. Von Visionen konn te ich nichts mehr in Erfahrung bringen. Auch soll sie an keinen spiritistischen Sitzungen mehr teilnehmen. Fräulein S. W. ist jetzt A ngestellte in einem größeren Geschäft und ist allem Vernehmen nach eine fleißige und pflichttreue Person, die mit Eifer und Ge-
Z U R PSYC H O L O G I E O K KULTER P HÄ N O M E N E
205
schick und zu allseitiger Zufriedenheit ihre Geschäfte besorgt. Ihr Charakter hat sich nach Bericht zuverlässiger Personen bedeutend gebessert, sie ist im ganzen ruhiger, gesetzter und sympathischer geworden. Irgendwelche sonstigen Abnormitäten sind an ihr nicht zutage getreten. Dieser Fall enthält trotz seiner Unvollständigkeit eine Fülle psy chologischer Probleme, deren nähere Ausführung den Rahmen dieser kleinen Arbeit weit überschritte. Wir müssen uns daher mit einer bloßen Skizzierung der verschiedenen auffallenden Erschei nungen begnügen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit erscheint es angezeigt, die einzelnen Zustände von Fräulein S. W. in gesonder ter Darstellung zu besprechen. Der Wachzustand Die Patientin bietet in wachem Zustand verschiedene Besonder heiten. Sie ist, wie wir gesehen haben, zur Schulzeit oft zerstreut, verliest sich in eigentümlicher Weise, ist launisch, ihr Benehmen wechselt in unbestimmter Weise, bald ist sie still, scheu, zurückge zogen, bald ungemein lebhaft, laut und gesprächig. Sie ist nicht unintelligent zu nennen, jedoch kann sie bald durch Borniertheit, bald durch einzelne intelligente Momente auffallen. Ihr Gedächt nis ist im allgemeinen gut, jedoch durch die bemerkenswerte Zer streutheit oft sehr beeinträchtigt; so weiß sie trotz vielfacher Un terhaltung und Lektüre über Kerners >Seherin von Prevorst< nach vielen Wochen noch nicht, ob der Autor Koerner oder Kerner heißt, auch nicht den Namen der Seherin, wenn sie direkt darnach gefragt wird. Trotzdem erscheint in den automatischen Mitteilun gen der Name » Kerner<<, wenn er gelegentlich einmal vorkommt, richtig geschrieben . Im allgemeinen, kann man sagen, zeigt der Charakter der Patientin etwas ungemein Maßloses, Unbeständi ges, beinahe Proteusartiges. Sehen wir von den psychologischen Charakterschwankungen des Pubertätsalters ab, so bleibt ein ge wisser pathologischer Rest übrig, der sich in den maßlosen Reak tionen und dem unberechenbaren, bizarren Wesen äußert. Man darf diesen Charakter als »desequilibrc:!« oder »instable« bezeich nen. Ein spezifisches Gepräge erhält er durch gewisse als hyste risch zu bezeichnende Züge : Als hysterisch ist vor allem die Zer streutheit und das träumerische Wesen aufzufassen. Wie Janet be hauptet, ist die Grundlage der hysterischen Anästhesien die Auf merksamkeitsstörung. Er konnte bei jugendlichen Hysterischen »eine auffallende Gleichgiltigkeit und Zerstreutheit gegen Alles, was in den Bereich des Empfindungslebens gehört<<, konstatie-
206
O K K U LT I S M U S
ren .26 Ein bemerkenswertes Moment, das die hysterische Zer streutheit aufs schönste illustriert, ist das Verlesen. Die Psycholo gie dieses Vorganges darf man sich vielleicht folgendermaßen den ken : Während des Lautlesens erlahmt die Aufmerksamkeit für die sen Akt und wendet sich irgendeinem anderen Gegenstand zu. Unterdessen wird mechanisch weitergelesen, die Sinneseindrücke werden nach wie vor aufgenommen ; infolge der Zerstreutheit ist aber die Erregbarkeit des Perzeptionszentrums gesunken, so daß die Stärke des Sinneseindruckes nicht mehr hinreicht, um die Auf merksamkeit so zu fesseln, daß die Perzeption als solche auf die sprachmotorische Bahn weitergeleitet wird, das heißt daß alle zu fließenden Assoziationen, welche sich sofort mit jedem neuen Sin neseindruck verbinden, verdrängt werden. Der weitere psycholo gische Mechanismus läßt nun zwei Erklärungsmöglichkeiten zu. 1 . Die Aufnahme des Sinneseindruckes erfolgt infolge der Erhö hung der Reizschwelle im Perzeptionszentrum unbewußt, das heißt u nterhalb der Reizschwelle des Bewußtseins, und wird infol gedessen nicht von der bewußten Aufmerksamkeit aufgegriffen und als solcher auf die Sprachbahn weitergeleitet, sondern er ge langt erst durch Vermittlung gewisser zunächstliegender Assozia tionen, in diesem Falle der Dialektausdrücke für denselben Gegen stand, zur sprachlichen Äußerung. 2 . Der Sinneseindruck wird bewußt aufgenommen und gelangt erst im Momente des Eintrittes in die Sprachbahn auf ein Territo rium, dessen Erregbarkeit durch die Zerstreutheit vermindert ist. An dieser Stelle schiebt sich dem motorischen Sprachbild assozia tiv das Dialektwort unter und wird als solches geäußert. Sicher ist in beiden Fällen die akustische Zerstreutheit, welche den Irrtum nicht korrigiert. Welche der beiden Erklärungen die richtige ist, kann in diesem Falle nicht entschieden werden, wahrscheinlich sind beide annähernd richtig, indem die Zerstreutheit eine allge meine zu sein scheint und j edenfalls mehr als eines der beim Akte des Laut!esens in Betracht kommenden Zentren betrifft. Für unseren Fall hat diese Erscheinung darum einen ganz beson deren Wert, weil es sich um ein durchaus elementares automati sches Phänomen handelt. Man darf dasselbe als hysterisch bezeich nen, insofern im konkreten Falle der Zustand der Ermüdung und der I ntoxikation mit ihren parallelen Erscheinungen ausgeschlos sen ist. Ein gesunder Mensch läßt sich nur ausnahmsweise derart von einem Objekt fesseln, daß er die Korrektur begangener Zer streutheitsfehler, namentlich solcher, wie der berichteten, unter läßt. Die Häufigkeit dieser Vorkommnisse bei der Patientin weist 26
Janet: Der Geisteszustand der Hysterischen, 1 894, S. 42.
Z U R PSYCHO L O G I E O KK U LT E R P H Ä N O M E N E
207
auf eine erhebliche Einengung des Bewußtseinsfeldes hin, insofern Patientin nur ein relatives Minimum von gleichzeitig zuströmen den Elementarempfindungen bewältigen kann. Wenn wir den psy chologischen Zustand der »psychischen Schattenseite<< qualifizie ren wollen, so können wir denselben je nach dem Vorherrschen der Passivität oder Aktivität als einen Schlaf- oder Traumzustand bezeichnen. Ein pathologischer Traumzustand von ganz rudimen tärer Ausdehnung und Intensität ist allerdings vorhanden ; seine Genese ist eine spontane, und spontan entstehende Traumzustän de mit automatischer Produktion pflegt man im großen und gan zen als hysterisch zu bezeichnen. Es muß dabei darauf hingewie sen werden, daß solche Fälle von Verlesen bei der Patientin häufig vorkamen und daß aus diesem Grund die Bezeichnung »hyste risch<< angebracht ist, indem, soviel uns bekannt, nur auf dem Boden der hysterischen Konstitution häufig spontane partielle Schlaf- oder Traumzustände auftreten. Die automatische Unterschiebung einer naheliegenden Assozia tion hat Binet an seinen Hysterischen experimentell studiert : Wenn er zum Beispiel die anästhetische Hand der Patientin stach, so dachte sie, ohne daß sie die Stiche empfand, an >>Punkte<<, be wegte er ihre anästhetischen Finger, so dachte sie an »Stöcke<< oder »Säulen<< . Oder die anästhetische Hand, die durch einen Schirm dem Blicke der Patientin entzogen ist, schreibt »Salpetriere<< : Pa tientin sieht vor sich auf schwarzem Grund mit weißer Schrift das Wort »Salpetriere<< Y Wir erinnern hier auch an die oben berichte ten Experimente von Guinon und Sophie Woltke. Wir finden also bei der Patientin schon zu einer Zeit, wo noch nichts die späteren Phänomene andeutete, rudimentäre Automatis men, Bruchstücke von Traumerscheinungen, welche die Möglich keit in sich tragen, daß eines Tages zwischen die Zerstreutheitsper zeptionen und das Bewußtsein sich mehr als eine Assoziation ein schleichen wird. Das Verlesen zeigt uns ferner eine gewisse auto matische Selbständigkeit der psychischen Elemente, welche schon bei Gelegenheit einer mehr oder weniger flüchtigen, jedenfalls sonst in keiner Weise auffallenden oder verdächtigen Zerstreutheit eine, wenn auch geringe, Produktivität entfalten, welche derjeni gen des physiologischen Traumes am nächsten steht. Das Verlesen kann darum als Prodromalsymptom der späteren Ereignisse aufge faßt werden, besonders noch da seine Psychologie prototypisch ist für den Mechanismus der somnambulen Träume, die eigentlich nichts artderes sind als eine vielfache Multiplikation und unendlich mannigfaltige Variation des oben besprochenen elementaren Vor27
Binet: Les A!terations, 1 892, S. 187 und 1 85 .
208
O K K U LT I S M U S
ganges. E s ist mir nie gelungen, zur Zeit meiner oben dargestellten Beobachtungen ähnliche rudimentäre Automatismen nachzuwei sen : Es hat den Anschein, als ob sich mit der Zeit die anfänglich geringgradigen Zerstreutheitszustände gewissermaßen unter der Oberfläche des Bewußtseins zu jenen merkwürdigen somnambu len Anfällen ausgewachsen hätten und darum in dem anfallsfreien Wachzustand verschwunden wären. Was die Entwicklung des Charakters der Patientin anbetrifft, so konnte im Verlaufe der beinahe zweijährigen Beobachtungszeit außer einer gewissen, nicht sehr intensiven Reifung keine auffallende Änderung konsta tiert werden. Dagegen ist die Beobachtung, daß in den letzten zwei Jahren seit dem Zurücktreten (gänzlichen Aufhören ?) der som nambulen Attacken eine erhebliche Veränderung des Charakters stattgefunden hat, bemerkenswert. Wir werden weiter unten noch auf die B edeutung dieser Beobachtung zu sprechen kommen. Der Herni-Somnambulismus In der Darstellung des Falles W. wurde mit dem Namen Herni Somnambulismus folgender Zustand bezeichnet : Die Patientin be findet sich einige Zeit vor und nach den eigentlich somnambulen Attacken in einem Zustand, dessen hervorstechendste Eigentüm lichkeit als >>Präokkupation« bezeichnet werden muß. Patientin nimmt nur mit halbem Ohr an der Unterhaltung teil, antwortet zerstreut, ist häufig von allen möglichen Halluzinationen in An spruch genommen, ihre Miene ist feierlich, der Blick ekstatisch, von stechendem Glanz. Bei näherer Beobachtung zeigt sich eine tiefgreifende Veränderung ihres ganzen Charakters, sie ist ernst, gemessen ; wenn sie spricht, so ist das Thema immer ein durchaus ernsthafter Gegenstand. Sie weiß in diesem Zustande ernst, ein dringlich und überzeugend zu reden, so daß man sich beinahe fragen muß : Ist das noch ein Mädchen von fünfzehneinhalb Jah ren ? Man gewinnt den Eindruck, daß hier eine reife Frau mit zum mindesten beträchtlichem schauspielerischem Talent dargestellt wird. Die Ernsthaftigkeit und Feierlichkeit des Benehmens ist völ lig motiviert durch die Erklärung der Patientin, daß sie in ihrem gegenwärtigen Zustande auf der Grenze zwischen Diesseits und Jenseits stehe und ebenso wirklich j etzt mit den Geistern der Ver storbenen verkehre wie mit den lebenden Menschen. Tatsächlich ist ihre Unterhaltung durchgehend gespalten zwischen Antworten auf obj ektiv reale Fragen und solchen auf Halluzinationen. Wenn ich diesen Zustand als Herni-Somnambulismus bezeichne, so ge schieht es in Übereinstimmung mit der Definition Richets, dem
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
209
Autor dieses Begriffes. Riebet sagt : »La conscience de cet individu persiste dans son integrite apparente: toutefois des operations tres compliquees vont s'accomplir en dehors de Ia conscience ; sans que le moi volontaire et conscient paraisse ressentir une modification quelconque. Une autre personne sera en lui, qui agira, pensera, voudra, sans que Ia conscience, c'est-a-dire Je moi reflechi, con scient en ait Ia moindre notion.<<28 Binet bemerkt zu dem Namen Hemi-Somnambulismus : >>Ce terme indique Ia parente de cet etat avec le somnambulisme verita ble, et ensuite il laisse comprendre que Ia vie somnambulique qui se manifeste durant Ia veille est reduite, deprimee, par Ia conscience normale qui Ia recouvre. <<29 Die Automatismen Der Herni-Somnambulismus ist charakterisiert durch die Konti nuität des Bewußtseins mit dem des Wachzustandes und durch das Auftreten verschiedener Automatismen, welche die vom Selbstbe wußtsein unabhängige Tätigkeit eines Unterbewußtseins anzeigen. Die automatischen Phänomene unseres Falles sind folgende : 1 . Die automatischen Bewegungen des Tisches 2. Die automatische Schrift 3. Die Halluzinationen 1 . Die automatischen Bewegungen des Tisches. Bevor die Patientin in meine Beobachtung kam, stand sie schon unter der Suggestion des >>Tischrückens<<, welches sie als gesellschaftliches Spiel kennen gelernt hatte. Da mit ihrem Eintreten in jenen Zirkel sofort Mittei lungen von Personen ihrer Familie zum Vorschein kamen, wurde sie auch folgerichtig sofort als das Medium bezeichnet. Ich konnte nur konstatieren, daß, sobald ihre Hände auf dem Tische lagen, auch sofort die typischen Bewegungen auftraten. Der Inhalt der erfolgenden Mitteilungen interessiert uns nicht weiter. Dagegen verdient der automatische Charakter des Aktes selber einige Be sprechung, denn es darf hier ohne weiteres der Einspruch erhoben werden, daß es sich um absichtliche und willkürliche Stoß- und Druckbewegungen seitens der Patientin handle. Wie durch die Untersuchungen von Chevreul, Gley, Lehrnano und so weiter bekannt ist, sind die motorischen Phänomene des 28 Richet: La Suggestion mentale er le calcul des probabilites, 1 884, 5. 650. 29 Binet: Les Alterations, 1 892, S. 1 39.
210
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
Unbewußten nicht nur von häufigem Vorkommen bei Hysteri schen oder sonst disponierten pathologischen Personen, sondern sie lassen sich auch bei Gesunden, die sonst niemals spontane Au tomatismen zeigen, mit einer relativen Leichtigkeit provozieren.30 Ich habe in dieser Richtung vielfache Versuche angestellt und kann diese B eobachtung nur bestätigen. Es handelt sich bei weitaus den meisten Personen nur um die nötige Geduld, die eventuell eine Stunde ruhigen Wartens erträgt. Wo nicht Konträrsuggestionen hindernd dazwischentreten, können vielleicht bei den meisten Versuchspersonen schließlich die motorischen Automatismen in mehr oder weniger hohem Grade erreicht werden . In einem relativ niedrigen Prozentsatz treten die Erscheinungen spontan ein, das heißt immerhin noch unter dem Einfluß der verbalen Suggestion oder einer von früher her datierten Autosuggestion. Das Beispiel wirkt in diesem Falle in hohem Grade suggestiv. Überhaupt unter liegt die betreffende Disposition allen denjenigen Gesetzen, die auch für die normale Hypnose gelten. Es sind aber immerhin noch gewisse eigentümliche Verhältnisse zu berücksichtigen, welche durch die Spezialität des Falles bedingt sind. Es handelt sich nicht um eine totale Hypnose, sondern um eine partielle, ganz auf die motorische Region des Armes beschränkte, vergleichbar der durch einige magnetische »passes<< erzeugten zerebralen Anästhesie einer schmerzhaften Körperstelle. Wir berühren unter verbaler Sugge stion oder unter Benützung einer schon vorhandenen Autosugge stion die betreffende Körperstelle und benützen den erfahrungsge mäß suggestiv wirkenden taktilen Reiz zur Erzielung der ge wünschten partiellen Hypnose. Entsprechend diesem Vorgehen können refraktäre Versuchspersonen ziemlich leicht zur Auslö sung des Automatismus gebracht werden, indem der Experimen tierende absichtlich dem Tisch einen leisen Stoß oder besser eine Reihenfolge rhythmischer, aber sehr leiser Stöße gibt. Nach kurzer Zeit merkt der Experimentierende, daß die Oszillationen stärker werden, daß sie sich fortsetzen, obschon man die absichtlichen B ewegungen unterbricht: D as Experiment ist gelungen, die Ver suchsperson hat ahnungslos die Suggestion aufgenommen. Man erreicht durch dieses Vorgehen meist weit mehr als durch verbale Suggestion. Bei sehr empfänglichen Personen und in allen j enen Fällen, wo scheinbar spontan die Bewegung auftritt, übernehmen die intendierten Zitterbewegungen, die ja subjektiv nicht wahr nehmbar sind, die Rolle des »agent provocateur<< .31 Dadurch kön30
Ausführlich referiert bei Binet, ebenda, S. 197ff. " B e kanntlich sind die Hände und Arme beim wachen Menschen nie ganz ruhig, sondern führen beständig feine Zitterbewegungen aus. Preyer, Lehmann u . a. haben nachgewiesen, daß diese Bewegungen in hohem Maße von den prädominierenden Vor-
211
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
nen gelegentlich Personen, die für sich allein niemals automatische Bewegungen gröberen Kalibers erreichen, die unbewußte Leitung der Tischbewegungen übernehmen, vorausgesetzt daß ihre Zitter bewegungen so stark sind, daß das Medium deren Sinn versteht. Das Medium übernimmt in diesem Falle die leisen Oszillationen und gibt sie in erheblichem Grade verstärkt wieder, nur in seltenen Fällen im anscheinend gleichen Momente, meist erst einige Sekun den später, und offenbart auf diesem Wege den bewußten oder unbewußten Gedankeninhalt des »agent«. Es können mittels die ses einfachen Mechanismus oft beim ersten Anblick verblüffende Fälle von Gedankenlesen zustande kommen. Zur Illustration des Gesagten diene ein sehr einfaches Experiment, das in vielen Fällen auch mit ganz ungeübten Personen gelingt: Der Experimentieren de denkt sich zum Beispiel die Zahl Fünf und wartet dann, die Hände ruhig auf dem Tisch, bis er fühlt, daß der Tisch die erste Neigung macht, um die gedachte Zahl anzugeben. In diesem Mo ment nimmt er die Hände vom Tisch. Die Zahl Fünf wird richtig angegeben. Es empfiehlt sich, zu diesem Experiment den Tisch auf einen weichen, dicken Teppich zu stellen. Bei genauem Aufpassen bemerkt der Experimentierende gelegentlich eine Bewegung des Tisches, welche sich folgendermaßen darstellt : a
1
J b 1 . Intendierte Zitterbewegungen, die subjektiv nicht beobachtet werden können. 2. Mehrere minimale, eben noch wahrnehmbare Schwankungen des Tisches, welche das Ansprechen der Versuchsperson auf die intendierten Zitterbewegungen andeuten. Stellungen beeinflußt sind; so zeigte z.B. Preyer, daß die ausgestreckte Hand kleine mehr oder weniger gelungene Abbildungen derjenigen Figuren zeichnete, welche gerade leb haft vorgestellt wurden. In sehr einfacher Weise können die intendierten Zitterbewegun gen durch die Versuche mit dem pendelnden Lot demonstriert werden.
212
O KKULTISMUS
3 . Die großen, die gedachte Zahl Fünf objektiv angebenden Be wegungen. Der Strich a-b bezeichnet den Moment, in dem die Hände weg genommen werden. Dieses Experiment gelingt vorzugsweise bei gut ansprechenden, aber noch ungeübten Versuchspersonen. Schon nach kurzer Übung pfl�gt das angedeutete Phänomen zu verschwinden, indem durch die Ubung schon direkt aus den intendierten Bewegungen die Zahl abgelesen und reproduziert wird.32 Ähnlich wie im oben berichteten Experiment die absichtlichen Stöße, wirken hier beim empfänglichen Medium die intendierten Zitterbewegungen des »agent«. Sie werden aufgenommen, ver stärkt und reproduziert, jedoch sehr leise, gewissermaßen zaghaft. Sie sind aber eben noch vernehmbar und wirken daher als leise taktile Reize suggestiv und lösen durch Steigerung der partiellen Hypnose die großen automatischen Bewegungen aus. Dieses Ex periment illustriert aufs deutlichste die stufenweise Steigerung der Autosuggestion. Auf dem Wege dieser Autosuggestion entwickeln sich alle automatischen Phänomene motorischer Art. Wie sich all mählich der intellektuelle Gehalt in das rein Motorische einmischt, braucht nach der obigen Auseinandersetzung kaum mehr erläutert zu werden. Einer speziellen Suggestion zur Hervorrufung intellek tueller Phänomene bedarf es gar nicht. Es handelt sich ja von vornherein, wenigstens von Seiten des Experimentators, um Wort vorstellungen. Nach den ersten planlosen motorischen Äußerun gen der ungeübten Versuchspersonen werden bald eigene Wort produkte oder die Intentionen des Experimentators wiedergege ben. Objektiv ist das Hereintreten intellektuellen Inhalts folgen dermaßen zu verstehen : Durch die allmähliche Steigerung der Autosuggestion werden die motorischen B ezirke des Armes isoliert gegen das Bewußtsein, respektive die Perzeption der leisen Bewegungsimpulse wird dem B ewußtsein verschleiert.33 Durch die auf dem Wege des Bewußt seins aufgenommene Erkenntnis der Möglichkeit intellektuellen I nhalts erfolgt eine kollaterale Erregung im Sprachgebiet als dem zunächstliegenden Mittel zur intellektuellen Kundgebung. Die In tention zur Kundgebung betrifft notwendigerweise den motori schen AnteiP4 der Wortvorstellung am meisten, wodurch das un32 Vgl. Preyer: Die Erklärung des Gedankenlesens, 1 886. 33 Analog gewissen hypnotischen Experimenten im Wachzustand. Vgl. das Experi ment Janets, der durch geflüsterte Suggestionen einen Patienten dazu brachte, daß er sich platt auf den Boden legte, ohne es zu bemerken ( L'Automatisme psychologique, 1 889, s. 2 4 1 ). 34 Charcotsches Schema der Wortbildzusammensetzung: I . Gehörsbild, 2. Gesichts-
Z U R PSYCH O L O G I E O K K U LT E R P HÄ N O M E N E
213
bewußte Hinüberfließen von Sprachimpulsen zur motorischen Region35 und umgekehrt das allmähliche Hinübertreten der par tiellen Hypnose auf das Sprachgebiet verständlich wird. Ich habe bei zahlreichen Versuchen mit Anfängern in der Regel beim Beginn intellektueller Phänomene eine mehr oder weniger große Anzahl völlig sinnloser Wörter, oft auch nur sinnlose Buch stabenfolgen beobachtet. Später werden allerhand Spielereien pro duziert, zum Beispiel Wörter oder ganze Sätze mit regellos ver setzten Buchstaben oder mit umgekehrter Anordnung der Buch staben, also gewissermaßen Spiegelschrift. Das Auftreten des Buchstabens oder Wortes bedeutet eine neue Suggestion ; unwill kürlich gesellt sich irgendeine Assoziation dazu, welche sich dann realisiert. Merkwürdigerweise sind dies aber zumeist nicht die be wußten Assoziationen, sondern gänzlich unerwartete. Ein Um stand, der dafür spricht, daß bereits ein erheblicher Teil des Sprachgebietes hypnotisch isoliert ist. Die Erkenntnis dieses Auto matismus bildet wiederum eine fruchtbare Suggestion, indem un fehlbar in diesem Moment das Gefühl der Fremdartigkeit auftritt, wenn es nicht schon bei dem rein motorischen Automatismus vor handen war. Die Frage : Wer tut das ? Wer spricht so? ist die Sugge stion zur Synthese der unbewußten Persönlichkeit, welche auch in der Regel nicht zu lange auf sich warten läßt. Irgendein Name stellt sich ein, gewöhnlich ein gefühlsstarker, und die automatische Spaltung der Persönlichkeit ist fertig. Wie zufällig und wie schwankend diese Synthese in ihrem Beginne ist, zeigen folgende Berichte aus der Literatur: Myers teilt folgende interessante Beobachtung eines Herrn A., Mitglied der S. P. R., mit (Herr A. machte an sich selbst Versuche mit automatischem Schreiben) : 3 . Tag Was ist der Mensch ? - Tefi hasl esble lies. Ist das ein Anagramm ? - Ja. Wie viele Worte enthält es ? - Fünf. Wie lautet das erste Wort ? - See. Wie lautet das zweite Wort? - Eeeee. See? Soll ich es selber interpretieren ? - Versuch's ! Herr A. fand als Lösung: Life is less able. Er war erstaunt über diese intellektuelle Kundgebung, welche ihm die Existenz einer bild, 3. Bewegungsbilder, a) Sprechbild, b) Schreibbild (Ballet: Die innerliche Sprache, 1 890). 35 Bain sagt: Der Gedanke ist ein unterdrücktes Wort oder eine unterdrückte Hand lung (The Senses and the lntellect, 1 894, S. 358).
O K K U LT I S M U S
214
von der seinigen unabhängigen Intelligenz z u beweisen schien. Er fragte deshalb weite r : Wer bist du? - Clelia. B ist du eine Frau ? - Ja. Hast du j emals auf der Erde gelebt? - Nein. Wirst du leben ? - Ja. Wan n ? - In sechs Jahren. Warum unterhältst du dich mit mir? - E if Clelia el. H err A. interpretiert diese Antwort als : I Clelia feel. 4. Tag Bin ich es, der die Frage gibt? - Ja. Ist Clelia da? - Nein. Wer ist denn hier? - Niemand. Existiert Clelia überhaup t ? - Nein. Mit wem sprach ich denn gestern ? - Mit niemand.36
Janet führt mit dem Unterbewußtsein der Lucie, die unterdessen von einem anderen Beobachter in ein Gespräch verwickelt ist, folgendes Gespräch : Qanet fragt :) M'entendez-vous ? (Lucie antwortet mittels auto matischer Schrift :) Non . Mais pour n!pondre il faut entendre. - Oui, absolument. Alors, comment faites-vous? - Je ne sais. II faut bien qu'il y ait quelqu'un qui m'entende ? - Oui. Qui cela? - Autre que Lucie. A h ! bien, une autre personne. Voulez-vous que nous lui don nions un nom ? - Non ! Si, ce sera plus commode. - Eh bien, Adrienne. Alors, Adrienne, m 'entendez-vous ? - Oui.37 Aus diesen Zitaten ersieht man, auf welchem Wege sich die unter bewußte Persönlichkeit konstruiert : Sie verdankt ihre Entstehung lediglich Suggestivfragen, denen eine gewisse Disposition des Me diums entgegenkommt. Wir haben diese Disposition aus der Des aggregation der psychischen Komplexe zu erklären, wobei das Ge fühl der Fremdartigkeit solcher Automatismen unterstützend mit wirkt, sobald die bewußte Aufmerksamkeit auf den automatischen Akt gerichtet ist. Binet bemerkt zu obigem Experiment Janets : »II 36
Myers : Automatie Writing, 1 885. L'Automatisme psychologique, 1 889, S. 3 1 7 f.
37 Janet:
ZUR PSYCH O L O G I E O KK U LTER P HÄ N O M E N E
215
faut bien remarquer que s i la personnalite d'>Adrienne<' a pu se creer, c'est qu'elle a rencontre une possibilite psychologique; en d'autres termes, il y avait la des phenomimes desagreges, vivant separes de la conscience normale du sujet. ,, J s Die Individualisierung des U nterbe wußtseins bedeutet immer einen beträchtlichen Fortschritt von großem suggestivem Einfluß auf die weitere Gestaltung der Automa tismen.39 Auf diese Weise kann man sich die Entstehung der unbe wußten Persönlichkeit in unserem Falle denken. Der Einwand der »Simulation« des automatischen Tischrückens darf wohl aufgegeben werden, wenn man das Phänomen des Ge dankenlesens aus den intendierten Zitterbewegungen, welches die Patientin in reichem Maße dargeboten hat, berücksichtigt. Ra sches, bewußtes Gedankenlesen erfordert zum mindesten eine ganz außerordentliche Übung, welche aber der Patientin nachge wiesenermaßen abgeht. Mittels der intendierten Zitterbewegungen können ganze Gespräche geführt werden, wie etwa in unserem Falle. Auf gleichem Wege läßt sich auch die Suggestibilität des Unterbewußtseins objektiv nachweisen, indem zum Beispiel der Agent sich lebhaft vorstellt : » Die Hand des Mediums wird den Tisch oder das Glas nicht mehr bewegen können« , sofort steht gegen aller Erwarten und zum lebhaftesten Erstaunen der Ver suchsperson der Tisch unverrückbar still. Natürlich lassen sich auch beliebige andere Suggestionen realisieren, aber nur solche, welche mit ihrer Innervation das Gebiet der partiellen Hypnose nicht überschreiten, womit zugleich auch die Partialität der Hyp nose bewiesen ist. Suggestionen auf die Beine oder den anderen Arm realisieren sich daher nicht. Das Tischrücken ist nicht ein Automatismus, der etwa aus schließlich dem Herni-Somnambulismus der Patientin angehörte, im Gegenteil, er tritt in der ausgebildetstell Form im Wachzustand auf und vermittelt erst ·in den meisten Fällen den Hemi-Somnam bulismus, dessen Auftreten sich gewöhnlich durch Halluzinatio nen ankündigt; so zum Beispiel in der ersten Sitzung. 2. Die automatische Schrift. Ein zweites automatisches Phänomen, welches einer von vornherein höheren partiellen Hypnose ent spricht, ist die automatische Schrift. Sie ist, wenigstens nach mei ner Erfahrung, viel seltener und schwieriger zu produzieren als die Tischbewegungen. Es handelt sich wieder wie beim Tischrücken um eine primäre Suggestion, bei erhaltener Sensibilität an das Be38
Binet: Les Alterations, 1 892, S . 1 33. •Une fois baptise, le personnage inconscient est plus determine et plus net, il montre mieux ses caracteres psychologiques.« Qanet: L'Automatisme psychologique, 1 899, s. 3 1 8.) 39
216
O KK U LTISMUS
wußtsein, bei erloschener a n das Unbewußte. Die Suggestion ist aber insofern keine einfache, als sie schon das Element des Intel lektuellen in sich trägt : »Schreiben<< bedeutet »etwas schreiben<<. Dieser spezielle, über das Motorische hinausreichende Gehalt der Suggestion bedingt häufig ein gewisses Stutzigwerden der Ver suchsperson, wodurch leicht Konträrsuggestionen entstehen, wel che das Auftreten der Automatismen hindern. Indessen habe ich in einigen Fällen beobachtet, daß die Suggestion sich trotz ihrer rela tiven Kühnheit (sie ist an das Wachbewußtsein eines sogenannten Gesunden gerichtet!) realisiert, aber in einer eigentümlichen Wei se, indem sie nur den rein motorischen Teil des betreffenden zen tralen Systems in Hypnose versetzt und dann die tiefere Hypnose erst durch Autosuggestion aus dem motorischen Phänomen er reicht wird, analog dem oben erläuterten Vorgang beim Tischrük ken . Die Versuchsperson, der man einen Bleistift in die Hand gegeben hatte, wird zweckmäßig in ein Gespräch verwickelt, da mit ihre Aufmerksamkeit vom Schreiben abgelenkt wird.40 Die Hand beginnt alsdann Bewegungen zu machen, und zwar vorerst teils zahlreiche Aufstriche, teils Zickzacklinien, oder sie macht
eine einfache Linie ; gelegentlich kommt es auch vor, daß der Blei stift das Papier gar nicht berührt, sondern in die Luft schreibt. Diese Bewegun gen sind als rein motorische Phänomene aufzufas sen, welche der Ä ußerung des motorischen Elementes in der Vor stellung >>Schreiben<< entsprechen. Diese Erscheinung ist ziemlich selten, meist werden von vornherein Buchstaben geschrieben, für deren Zusammens etzung zu Worten und Sätzen dasselbe gilt, wie das beim Tischrücken Gesagte. Hie und da wird auch eigentliche Spiegelschrift beobachtet. Weitaus in den meisten Fällen und viel leicht in allen Erstlingsversuchen, die nicht unter einer ganz spe ziellen Suggestion stehen, ist die produzierte automatische Schrift diejenige der Versuchsperson. Erst sekundär kann sich gelegent lich ihr Charakter oft in sehr hohem Maße umwandeln,4 1 was '0 Vgl. die entsprechenden Experimente von ßinet und Fere (Les Alterations, 1 892). " Vgl. entsprechende Proben bei Flournoy: Des Indes a Ia planete Mars. Etude sur un cas d e somnambulisme avec glossolalie, 1900.
ZUR PSYCHOLOGIE OKKULTER PHÄNOMENE
217
immer als Symptom der eingetretenen Synthese einer unterbewuß ten Persönlichkeit zu betrachten ist. Wie berichtet, ist das automa tische Schreiben der Patientin nie zu sehr hoher Vollkommenheit gediehen. Sie ging bei diesen Versuchen, welche mit ihr in der Dunkelheit angestellt wurden, meist in Herni-Somnambulismus oder in Ekstase über. Das automatische Schreiben hatte also den gleichen Erfolg wie das präliminarische Tischrücken.
3. Die Halluzin ationen. Die Art des Überganges in Somnambulis mus in der zweiten Sitzung ist von psychologischer Bedeutung. Wie berichtet, waren die automatischen Phänomene im besten Gange, als die Dunkelheit hereinbrach. Das interessierende Ereig nis der vorangegangenen Sitzung war die brüske Unterbrechung einer Mitteilung des Großvaters, welche zu verschiedenen Erörte rungen unter den Zirkelteilnehmern Anlaß gab . Diese beiden Mo mente : Dunkelheit und auffallendes Ereignis scheinen den Grund gegeben zu haben zu einer raschen Vertiefung der Hypnose, infol ge deren sich dann die Halluzinationen entwickeln konnten. Der psychologische Mechanismus dieses Vorganges scheint folgender zu sein : Der Einfluß der Dunkelheit auf die Suggestibilität, na mentlich die der Sinnesorgane, ist bekannt. 42 Ein spezieller Einfluß auf die Hysterischen, nämlich ein unmittelbar Schläfrigkeit erzeu gender, wird von Binet angegeben.43 Wie aus den vorausgegange nen Erläuterungen anzunehmen ist, befand sich die Patientin im Zustand partieller Hypnose, und zwar hatte sich eine mit dem Sprachgebiet in nächster Verbindung stehende unterbewußte Per sönlichkeit konstituiert. Die automatische Äußerung dieser Per sönlichkeit wird in unerwarteter Weise unterbrochen durch eine neue Person, von deren Existenz niemand eine Ahnung hatte. Wo her kam diese Spaltung? Offenbar hatte hier die lebhafte Erwar tung dieser ersten Sitzung die Patientin sehr beschäftigt. Was sich in ihr von Erinnerungen an meine Person und Familie vorfand, hatte sich wahrscheinlich um diesen Erwartungsaffekt gruppiert und trat plötzlich auf einem Höhepunkt der automatischen Auße rung zutage. Der Umstand, daß es gerade die Person meines Groß vaters war und nicht irgendeine andere, etwa die meines verstorbe nen Vaters, der, wie die Patientin wußte, mir näher stand als mein Großvater, den ich nie gekannt habe, deutet vielleicht darauf hin, wo die Ursprungsstätte dieser neuen Person zu suchen ist. Es handelt sich wahrscheinlich um eine Abspaltung aus dem Gebiete der schon vorhandenen Persönlichkeit, welche sich des zunächst42
Vgl. Hagen: Zur Theorie der Hallucination, 1 868, S. 1 0 . " Binet: Les Alterations, 1 892, S . 1 57f.
218
O KK U LTIS M U S
liegenden Materials, nämlich der meine Person betreffenden Asso ziationen zu ihrer Ä ußerung bemächtigte. Wieviel davon in Paral lele zu setzen ist zu den Ergebnissen der Traumforschung Freuds,44 muß dahingestellt bleiben ; denn es entzieht sich unserem Urteil, inwiefern der erwähnte Affekt als >>Verdrängt<< bezeichnet werden dürfte. Aus dem brüsken Einbrechen der neuen Persön lichkeit darf man auf eine große Lebhaftigkeit der betreffenden Vorstellungen und auf eine entsprechend intensive Erwartung schließen, welche vielleicht eine gewisse mädchenhafte Scheu und Befangenheit zu bemeistern versuchte. Dieses Vorkommnis erin nert jedenfalls lebhaft an die Art und Weise, wie der Traum dasje nige, was man sich nie klar und offen im Zusammenhang sagte, plötzlich in mehr oder weniger durchsichtiger Symbolik dem Be wußtsein darstellt. Wann diese Abspaltung der neuen Persönlich keit erfolgte, ob sie sich im Unbewußten langsam vorbereitete oder ob sie erst in jener Sitzung zustande kam, wissen wir nicht. Auf j eden Fall bedeutet dieses Ereignis einen erheblichen Fort schritt in der Ausdehnung des durch die Hypnose zugänglich ge machten unbewußten Gebietes . Zugleich darf dieses Ereignis in Hinsicht auf den Eindruck, welchen dasselbe auf das Wachbe wußtsein der Patientin machte, als mächtige Suggestion aufgefaßt werde n ; denn die Wahrnehmung dieses unerwarteten Eingreifens einer neuen Macht mußte das Gefühl der Fremdartigkeit des Au tomatismus entschieden noch heben und den Gedanken nahele gen, daß hier tatsächlich ein selbständiger Geist sich kundgab. D araus folgte die begreifliche Assoziation, daß man eventuell die sen Geist sehen könnte. Aus dem Zusammentreffen der durch die Dunkelheit bedingten Steigerung der Suggestibilität mit dieser energischen Suggestion ist die in der zweiten Sitzung erfolgende Situation zu erklären. Die Hypnose und mit ihr die abgespaltenen Vorstellungsreihen bre chen zu der visuellen Sphäre durch : Die vorher rein motorische Äußerung des U nbewußten objektiviert sich nun auch gemäß der spezifischen Energie des neu betretenen Systems in Gestalt visuel ler Bilder mit dem Charakter der Halluzination. Und zwar nicht als bloße Begleiterscheinung des Wortautomatismus, sondern ge radezu als stellvertretende Funktion : Die Erklärung der in der ersten Sitzung entstandenen unerwarteten und vorerst unerklärli chen Situation stellt sich nun nicht mehr in Worten, sondern als erklärende allegorische Vision dar. Der Satz : >> Sie hassen sich nicht, sondern sind Freunde<< ist im Bilde ausgedrückt. Wir begeg nen bei Somnambulen derartigen Ereignissen häufi g : Das Denken 44 Freud : Die Traumdeutung, 1900.
Z U R PSYCH O L O G I E O KK U LT E R P HÄ N O M E N E
219
der Somnambulen spielt sich i n plastischen Vorstellungen ab, wel che beständig bald in dieses, bald in jenes Sinnesgebiet einbrechen und als Halluzinationen sich objektivieren. Der Überlegungspro zeß versinkt ins Unterbewußtsein, und nur dessen Endglieder kommen als lebhaft sinnlich gefärbte Vorstellungen oder direkt als Halluzinationen zum Bewußtsein. Es handelt sich in unserem Fal le um das nämliche wie bei der Patientin, welche Binet neunmal in die anästhetische Hand sticht und die dabei lebhaft an die Zahl Neun denken muß, oder wenn Flournoys45 Helene Smith in ihrem Geschäfte bei der Frage nach einem gewissen Muster plötzlich die Zahl der Tage ( 1 8), die dasselbe schon ausgeliehen ist, in etwa zwanzig Zentimeter Größe vor sich sieht. Es erhebt sich die weite re Frage: Warum brach der Automatismus zur visuellen Sphäre durch und nicht zur akustischen ? Für diese Wahl des Visuellen sprechen verschiedene Gründe : a) Die Patientin ist akustisch schlecht veranlagt, sie ist zum Bei spiel sehr unmusikalisch. b) Die der Dunkelheit entsprechende Stille, welche das Auftre ten von Akusmen begünstigt hätte, war nicht vorhanden, denn es wurde lebhaft gesprochen. c) Die durch das Gefühl der Fremdartigkeit des Automatismus gestärkte Überzeugung vom nahen Dasein der Geister kann sehr wohl die Idee erwecken, daß ein Geist könnte gesehen werden, wodurch eine leise Miterregung der Sehsphäre gegeben ist. d) Die entoptischen Erscheinungen in der Dunkelheit begünsti gen das Auftreten von Halluzinationen. Die sub c und d angeführten Gründe, die entoptischen Erschei nungen in der Dunkelheit und die wahrscheinlich vorhandene Er regung der Sehsphäre, sind von ausschlaggebender Bedeutung für das Auftreten der Halluzinationen. Die entoptischen Erscheinun gen spielen in diesem Falle die gleiche Rolle in der autosuggestiven Hervorrufung des Automatismus, wie die leisen taktilen Reize bei der Hypnose der motorischen Zentren. Wie berichtet, ging dem ersten halluzinatorischen Dämmerzustand ein Funkensehen in der ersten Sitzung voraus. Offenbar war schon damals die Aufmerk samkeit gespannt auf Gesichtswahrnehmungen gerichtet, so daß die sonst sehr schwachen Eigenlichterscheinungen der Netzhaut in solcher Intensität gesehen wurden. Die Rolle, welche entoptische Lichtwahrnehmungen bei der Entstehung von Halluzinationen spielen, verdient etwas näher beleuchtet zu werden. Schüle sagt: »Das Licht- und das Farbengewimmel, welches das nächtliche Sehfeld im Dunkel erregt und belebt, gibt . . . das Zeug zu den 45
Flournoy: Des Indes a Ia planete Mars, 1900, S. 55.
220
O K K U LTISMUS
phantastischen Luftfiguren vor dem Einschlafen<< .46 Bekanntlich sieht man nie ein absolutes Dunkel, immer sind einige Partien des dunkeln Sehfeldes matt erhellt; die Lichtflecken tauchen bald da, bald dort auf, kombinieren sich zu allen möglichen Gestalten, und eine nur einigermaßen lebhafte Phantasie formt daraus, wie aus den Wolkengebilden des Himmels, leicht gewisse bekannte Figu ren. Die mit dem Einschlafen schwindende Urteilskraft läßt der Phantasie freien Spielraum, so daß es zu lebhafterer Gestaltenbil dung kommen kann. An die Stelle der Lichtflecken, Nebel und wandelnden Farben des dunkeln Sehfeldes treten bestimmte Ge genstandsumrisse.47 Auf diesem Wege entsteht die hypnagogische Halluzination. Der Hauptanteil fällt natürlich der Phantasie zu, weshalb auch vorzugsweise phantasiereiche Leute hypnagogischen Halluzinationen unterworfen sind.48 Die hypnopompischen (My ers) sind natürlich den hypnagogischen Halluzinationen gleichzu setzen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die hypnagogischen Bilder iden tisch sind mit den Traumbildern des normalen Schlafes, respektive deren visuelle Grundlage bilden. So hat Maury durch Selbstbeob achtung nachgewiesen, daß die gleichen Bilder, die ihn hypnago gisch umschwebten, auch Gegenstand seiner darauffolgenden Träume waren.49 Noch überzeugender bewies dasselbe TrumbuH Ladd. D u rch Übung brachte er es dahin, daß er sich zwei bis fünf Minuten nach dem Einschlafen plötzlich aufwecken konnte. Bei dieser Gelegenheit bemerkte er jeweilen, daß die leuchtenden Fi guren der Retina gleichsam die Umrisse der eben geträumten Bil der darstellten . Er nimmt sogar an, daß fast jeder visuelle Traum das Formale aus den Eigenlichterscheinungen der Netzhaut be zieht. 50 In unserem Falle begünstigte die Situation das Zustande kommen phantastischer Umdeutung. Einen nicht geringen Einfluß darf man auch der gespannten Erwartung zuschreiben, welche das matte Retinalicht in gesteigerter Intensität erscheinen ließ .51 Die Schüle: Handbuch der Geisteskrankheiten, 1 878, S. 1 34. ] . Müller: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen, 1 826, zitiert in Hagen: Zur Theorie der Hallucinarion, 1 886, S. 41 . 46
47
4 8 Spinoza sah hypnopompisch einen »nigrum et scabiosum Brasilianum«, vgl. Hagen, ebenda, S. 49. ln den •Wahlverwandtschaften• Goethes (S. 375) sieht Otti!ie jeweilen im Halbdunkel die Gestalt Eduards in einem matt erhellten Raume. Vgl. auch Cardanus : ,.imagines uidebam ab imo lecti quasi e paruis annulis aereisque constantes, arborum, belluarum, hominum, oppidorum, instructarum acierum, bellicorum er musicarum in strumcntorum, aliorumque huiusce generis ascendentes, uicissimque descendentes, aliis atque aliis succedentibus.« (Oe subti!itate, 1 550, S. 358). " Maury : Le Sommcil et !es reves, 1 86 1 , S. 1 34. so Ladd : Contribution to the Psychology of Visual Dreams, 1 892. " Hecker sagt von derartigen Zuständen : »Es giebt eine einfache, elementare Vision durch Spannung der geistigen Thätigkeit ohne Bildnerei der Phantasie, selbst ohne sinnli-
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
22 1
weitere Gestaltung der Retinaerscheinungen erfolgt konform den prädominierenden Vorstellungen. Diese Art des Auftretens der Halluzinationen wurde auch bei anderen Visionären beobachtet : Jeanne d' Are sah zuerst eine Lichtwolke, und erst nach einiger Zeit traten daraus die Heiligen Michael, Katharina und Margaretha her vor. 52 Swedenborg sah einst eine Stunde lang nichts als leuchtende Kugeln und hellbrennende Flammen. Dabei spürte er im Gehirn eine gewaltige Veränderung, die ihm wie eine »Lichtentbindung<< vorkam. Nach Verlauf einer Stunde aber sah er plötzlich wirkliche Gestalten, die er für Engel und Geister hielt. 53 Die Sonnenvision des Benvenuto Cellini54 in der Engelsburg dürfte vielleicht eben falls hierher gehören. Ein Student, der öfters Erscheinungen hatte, gab an : >>Wenn diese Erscheinungen kommen, so sehe ich zuerst immer nur einzelne Lichtmassen und zugleich vernehme ich in den Ohren ein dumpfes Geräusch. Nach und nach aber werden diese Umrisse zu wirklichen Gestalten.<<55 In ganz klassischer Weise ge staltet sich das Auftreten der Halluzinationen bei Flournoys Hele ne Smith. Ich setze die betreffenden Stellen aus den Protokollen wörtlich hierher: >> 1 8 mars . . . Tentative d'experience dans l'obscurite . . . Mlle. Smith voit un ballon tantöt lumineux, tantöt s'obscurcissant . . . 25 mars . . . Mlle. Smith commence a distinguer de vagues lueurs, de longs rubans blancs s'agitant du planeher au plafond, puis enfin une magnifique etoile qui dans l'obscurite s'est montree a elle seule pendant taute Ia seance . . . 1 er avril . . . Mlle. Smith se sent tres agitee ; eile a des frissons, est partiellement glacee. Elle est tres inquiete et voit taut a coup, se balanc;ant au dessus de Ia table, une figure grimac;ante et tres laide avec de longs cheveux rouges . . . . Elle voit alors . . . un magnifique bouquet de roses de nuances diverses ; tout a coup elle voit sortir de dessaus le bouquet un petit serpent qui, rampant doucement, vient sentir !es fleurs, !es regarde. << 56 Über die Entstehung ihrer Marsvisionen sagt Helene Smith : » . . . Ia lueur rouge persista autour de moi, et je me suis trouvee entouree de fleurs extraordinaires . . . <<5 7 ehe Vorstellung: es ist die Vision des gestaltlosen Lichtes, eine Lebenserscheinung des innerlich erregten Sehorgans . . . • (Über Visionen, 1 848, S. 16.) " Quicherat: Proces de condamnation et de rehabilitation de Jeanne d'Arc, dite Ia pucelle . . . , Bd. 5, S. 1 1 6 ff. " Hagen: Zur Theorie der Hallucination, 1 868, S. 57. 54 Cellini : Autobiographie, 1 803, Bd. I , S. 306 ff. 55 Hagen: Zur Theorie der Hallucination, 1 868, S. 57. 56 Flournoy: Des Indes a Ia plani:te Mars, 1900, S. 32 ff. 57 Ebenda, S. 1 62.
222
O K K U L TI S M U S
Von j eher nahmen die komplexen Halluzinationen der Visionäre eine besondere Stellung ein gegenüber der wissenschaftlichen Be u rteilun g : So trennt sie zum Beispiel schon Macario als sogenannte intuitive von den übrigen Halluzinationen ab, indem er von ihnen behauptet, daß sie bei Individuen von lebhaftem Geiste, tiefem Verstande und hoher, nervöser Erregbarkeit :vorkommen .58 Ähn lich, aber noch enthusiastischer drückt sich Hecker aus : Er nimmt an, ihre Bedingung sei >>die angeborene hohe Ausbildung des See lenorgans, welche das Eigenleben der Phantasie durch ursprüngli che Thätigkeit zu einem beweglichen freien Spiele einladet« .59 Die se Halluzinationen sind ,,Vorboten oder auch Zeichen einer mäch tigen Geisteskraft<< . Die Vision ist geradezu >>eine höhere Erre gung, die sich in die vollkommenste Gesundheit des Geistes wie des Körpers harmonisch einfüge<< . Die komplexen Halluzinatio nen gehören nicht dem wachen Zustand an, sondern vollziehen sich in der Regel in einem partiellen Wachzustand : Der Visionär ist in sein Gesicht vertieft bis zur völligen Versunkenheit. Auch Flournoy hat während der Visionen der H. S. immer >> Un certain degre d'obnubilation<< konstatieren können.60 In unserem Falle kompliziert sich die Vision mit einem Schlafzustand, dessen Ei gentümlichkeiten wir weiter unten besprechen werden.
Die Charakterveränderung Das hervorragendste Charakteristikum des zweiten Zustandes ist in unserem Falle die Veränderung des Charakters . Wir begegnen in der Literatur mehreren Fällen, welche das Symptom spontaner Charakterveränderung dargeboten haben. Der erste, durch wis senschaftliche Publikation bekanntgewordene Fall ist derjenige der Mary Reynolds, welchen Weir Mirehell publizierte.6 1 Es handelt sich um eine jugendliche Frauensperson, welche um 1 8 1 1 in Penn sylvanien wohnte. Nach einem tiefen Schlafe von etwa zwanzig Stunden hatte sie ihre ganze Vergangenheit und alles Erlernte total vergessen, sogar die Worte, die sie äußerte, hatten ihren Sinn ver loren . I hre Angehörigen kannte sie nicht mehr. Sie lernte langsam wieder lesen und schreiben, wobei sie von rechts nach links schrieb. Am auffallendsten aber war ihre Charakterveränderung : " Macario: Des Hallucinations, nach der Besprechung in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie 4, 1 847, 5. 1 39 . 5 9 Hecker: Über Visionen, 1 848, 5 . 6 . 6° Flournoy: Des Indes a I a planete Mars, 1900, S. 5 1 . 6 1 M itchell: Mary Reynolds, 1 8 88, referiert bei James: The Principles of Psychology, 1 8 9 1 , 5 . 3 8 1 ff.
Z U R PS Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
223
»Instead of being melancholy she was now cheerful to extremity. Instead of being reserved she was buoyant and social. Formerly taciturn and retiring, she was now merry and jocose. Her disposi tion was totally and absolutely changed.<<62 Sie gab in diesem Zustand ihr früheres zurückgezogenes Leben ganz auf und liebte es, durch Wald und Gebirge kühne Streifzüge unbewaffnet zu Fuß und zu Pferd zu unternehmen. Bei einer die ser Touren kam ihr einmal ein großer schwarzer Bär entgegen, den sie für ein Schwein hielt. Der Bär richtete sich auf die Hinterfüße auf und fletschte die Zähne gegen sie. Da sie ihr Pferd nicht mehr weitertreiben konnte, ging sie mit einem gewöhnlichen Stock auf den Bären los und schlug ihn in die Flucht. Nach fünf Wochen kam sie nach einem tiefen Schlaf wieder in den früheren Zustand, mit Amnesie für das Intervall. Diese Zustände alternierten etwa sechzehn Jahre. Die letzten fünfundzwanzig Jahre aber brachte Mary Reynolds ausschließlich in ihrem zweiten Zustande zu. Schroeder van der Kolk63 berichtet über folgenden Fall: Die Patientin erkrankt im Alter von sechzehn Jahren, nach einer drei Jahre vorausgegangenen langwierigen Krankheit, an periodischer Amnesie. Jeweilen morgens nach dem Erwachen macht sie einen eigentümlichen choreatischen Zustand durch, in welchem sie mit den Armen taktmäßig schlagende Bewegungen macht. Darauf zeigt sie den ganzen Tag ein kindisches, blödes Benehmen, hat alle ihre ausgebildeten Fähigkeiten verloren. (Im normalen Zustande ist sie sehr intelligent, belesen, spricht sehr gut Französisch.) Im zweiten Zustand fängt sie an, mangelhaft Französisch zu lernen. Am zweiten Tag ist die Patientin jeweilen wieder normal. D ie beiden Zustände sind durch Amnesie völlig getrennt.64 Höfelt berichtet über einen Fall von spontanem Somnamb1..dis mus bei einer Magd, die im normalen Zustande sonst unterwürfig und bescheiden war, im Somnambulismus aber frech, grob und gewalttätig wurde.65 Azams Felida war im normalen Zustand de primiert, gehemmt, zaghaft ; im zweiten Zustand heiter, sicher, unternehmend bis zum Leichtsinn. Der zweite Zustand wurde allmählich der vorherrschende und verdrängte schließlich den er sten soweit, daß die Patientin ihren nur noch kurz andauernden normalen Zustand >> Krise« nannte. Die amnestischen Anfälle wa ren mit vierzehneinhalb Jahren aufgetreten. Mit der Zeit wurde der zweite Zustand gemäßigter; es trat eine gewisse Annäherung im 62
Emminghaus: Allgemeine Psychopathologie 1 8 78, S. 1 29, Fall Ogier Ward. Schroeder van der Kolk: Pathologie und Therapie der Geisteskrankheiten, 1 863, s. 3 1 . 64 Vgl. Donath: Über Suggestibilität, 1 892, und Der epileptische Wandertrieb, 1 8 99. 65 Höfelt: Ein Fall von spontanem Somnambulismus. 63
224
O K K U LT I S M U S
Charakter der beiden Zustände ein.66 Ein sehr schönes Beispiel von Charakterveränderung ist auch der von Camuset, Ribot, Le grand du Saulle, Richer, Voisin und zusammenfassend von Bourru und Burot bearbeitete Fall des Louis V., einer schweren männli chen H ysterie mit amnestisch alternierendem Charakter. Im ersten Zustand ist er unhöflich, frech, querulant, naschhaft, diebisch, rücksichtslos. Im zweiten Zustand zeigt er einen angenehmen, sympathischen Charakter und ist fleißig, gelehrig und gehorsam .67 Literarisch wurde die amnestische Charakterveränderung von Paul Lindau verwendet in seinem Schauspiel >Der Andere<.68 Einen Parallelfall zu Lindaus verbrecherischem Staatsanwalt berichtet Rieger.69 Man kann zu unserem Falle auch die unterbewußten Persönlichkeiten von Janets Lucie und Leonie70 oder diejenigen der Patientin Morton Princes71 in Parallele setzen ; jedoch sind dies therapeutische Kunstprodukte, deren Hauptbedeutung auf dem Gebiete der Bewußtseins- und Gedächtnisspaltung liegt. In den berichteten Fällen ist der zweite Zustand vom ersten stets durch eine amnestische Spaltung geschieden, und die Charakter veränderung ist j eweils auch von einer Unterbrechung der Be wußtseinskontinuität begleitet. In unserem Falle fehlt jegliche am nestische Störung ; der Übergang des ersten Zustandes in den zwei ten erfolgt ganz allmählich, und die Kontinuität des Bewußtseins bleibt erhalten, so daß die Patientin alles, was sie durch Halluzina tionen im zweiten Zustand aus dem ihr sonst unbekannten Gebiet ihres Unbewußten erfährt, in den Wachzustand herübernimmt. Periodische Persönlichkeitsveränderungen ohne amnestische Spaltung finden sich auf dem Gebiete des zirkulären Irreseins ; zur Seltenheit kommen sie j edoch auch auf dem Gebiete der Hysterie vor, wie der Renaudinsche Fall zeigt : ••Ein j unger Mann, dessen Betragen jederzeit musterhaft gewesen war, begann plötzlich die schlechtesten Neigungen an den Tag zu legen.<< Symptome des I rrsinns waren an ihm nicht zu bemerken, dagegen zeigte es sich, daß die Körperoberfläche total anästhetisch war. Dieser Zustand zeigte periodische Unterbrechungen, und auf gleiche Weise war auch der Charakter des Patienten Schwankungen unterworfen. So bald die Anästhesie verschwand, war er fügsam und freundlich. Trat die Anästhesie wieder auf, so beherrschten ihn sofort die 66
Azam : Hypnotisome, 1 887, S. 63 ff. 67 Bourru/Burot: La Suggestion mentale et les variations de Ia personnalite, 1 895. 68 Vgl. Moll: Die Bewußtseinsspaltung in Paul Lindaus neuem Schauspiel, 1 893, s. 306 ff. 69 Rieger: Der Hypnotismus, 1 884, S. 1 0 9 ff. 70 Janet : L'Automatisme psychologique, 1 8 89. 71 Prince : An Experimental Study of Visions, 1 898.
Z U R PSYC H O L O G I E OKK ULTER PHÄN O M E N E
225
schlimmsten Triebe, die sich, wie beobachtet wurde, bis zur Mordlust steigern konnten .72 Wenn wir uns daran erinnern, daß das Alter unserer Patientin im Momente des Auftretens jener Störungen fünfzehneinhalb Jahre beträgt, also das Alter der Pubertät eben erreicht ist, so liegt der Gedanke nahe, die Störungen in eine gewisse Beziehung zu den physiologischen Charakterveränderungen der Pubertätsperiode zu bringen. »Es erscheint während dieser Lebensperiode im Bewußt sein des Individuums eine neue Gruppe von Empfindungen nebst den daraus entstehenden Gefühlen und Ideen, und dieser fortwäh rende Andrang ungewohnter Geisteszustände, die sich beständig geltend machen, weil ihre Ursache beständig fortwirkt, und die untereinander koordiniert sind, weil sie aus einer und derselben Quelle entspringen, muß nach und nach in der Verfassung des Ichs tiefgreifende Veränderungen herbeiführen.« 73 Bekannt sind ja die Stimmungsschwankungen, die unklaren neuen und starken Gefüh le, die Neigung zu schwärmerischen Ideen, zu exaltierter Religio sität und zu Mystizismus, daneben die Rückfälle in das Kindische, welche dem reifenden Menschen das so ungemein charakteristi sche Gepräge verleihen ; der Mensch macht in dieser Epoche die ersten ungeschickten Versuche mit seiner Selbständigkeit auf allen Gebieten, er verwendet zum ersten Male mit eigenen Intentionen, was Familie und Schule seiner Kindheit beigebracht haben, er faßt Ideale, konstruiert hochfliegende Pläne für die Zukunft, lebt sich in Träume hinein, deren Inhalt Ehrgeiz und Selbstgefälligkeit sind. Soweit reicht schon das Physiologische. Die Pubertät eines Psy chopathen ist eine Krise ernster Bedeutung. Nicht nur verlaufen die physiologisch-psychischen Umwandlungen in oft unerhört stürmischer Weise, sondern es fixieren sich auch die Züge eines hereditär entarteten Charakters, welche beim Kinde entweder gar nicht oder nur sporadisch zum Vorschein kamen. Wir müssen bei der Erklärung unseres Falles an eine spezifische Pubertätsstörung denken. Die Gründe für diese Annahme werden sich aus dem weiteren Studium der zweiten Persönlichkeit ergeben. (Der Kürze halber wollen wir die zweite Persönlichkeit Ivenes nennen, wie die Patientin ihr höheres Ich taufte.) Ivenes ist die gerade Fortsetzung des alltäglichen Ich. Sie umfaßt dessen ganzen Bewußtseinsinhalt. Sie steht im hemi-somnambulen Zustande in einem dem Wachen analogen Verkehr mit der realen Außenwelt, der allerdings durch dazwischentretende Halluzina tionen beeinträchtigt ist, jedoch nicht in höherem Grade als derje72
Zitiert bei Ribot: Die Persönlichkeit, 1 894, S . 90. " Ribot, ebenda, S. 69.
O K K U LT I S M U S
226
nige der nichtverwirrten psychotischen Halluzinanten. Die Konti nuität der I venes erstreckt sich offenbar auch in den hysterischen Anfall hinein, wo sie dramatische Szenen aufführt, visionäre Er lebnisse hat und so weiter. Im Anfall selber ist sie meist gegen die Außenwelt isoliert, sie bemerkt nicht, was um sie her vorgeht, weiß auch nicht, daß sie laut redet und so weiter. Sie hat aber keine Amnesie für den Traum-Inhalt ihres Anfalles. Die Amnesie für ihre motorischen Äußerungen und die Veränderungen ihrer Um gebung ist nicht immer vorhanden. Daß sie vom Intensitätsgrade der somnambulen Benommenheit und von einem oft partiellen Lähmungszustande einzelner Sinnesorgane abhängt, beweist zum B eispiel jenes Vorkommnis, wo die Patientin, obwohl ihre Augen offen waren und sie höchst wahrscheinlich die übrigen Anwesen den sah, mich nicht bemerkte, sondern meine Anwesenheit erst wahrnahm, als ich zu ihr sprach. Es handelt sich in diesem Fall um eine sogenannte systematische Anästhesie ( »hallucination negati ve<<), wie sie bei Hysterischen öfters beobachtet wird. So berichtet zum B eispiel Flournoy von Helene Smith, daß sie während der Sitzungen plötzlich die Zirkelteilnehmer nicht mehr sah, obschon sie noch deren Stimme hörte und deren Berührung fühlte, oder sie hörte plötzlich nichts mehr, obschon sie sah, wie sich die Lippen der Sprechenden bewegten, und so weiter.74 So wie Ivenes das wache Ich fortsetzt, so überträgt sie auch ihren ganzen B ewußtseinsinhalt wieder dem wachen Zustande. Dieses merkwürdige Verhalten spricht nun entschieden gegen die Analo gie mit den Fällen von double conscience. Die berichteten Eigen schaften der Ivenes stechen in vorteilhafter Weise gegen diejenigen der Patientin ab ; die ruhigere, komponiertere Persönlichkeit, ihre angenehme Bescheidenheit und Gemessenheit, ihre gleichmäßigere Intelligenz, ihre sichere Beredsamkeit darf als eine Verbesserung des ganzen Wesens aufgefaßt werden ; insofern existiert eine Ähn lichkeit mit Janets Leonie. Es bleibt aber bei der bloßen Ähnlich keit. Sie sind getrennt durch einen tiefen psychologischen Unter schied, abgesehen von der Amnesie. Leonie II ist die gesündere, die normalere, sie h at ihre natürlichen Fähigkeiten zurückgewon nen, sie ist die vorübergehende Besserung eines chronisch hysteri schen Zustandes. Ivenes aber macht den Eindruck eines mehr künstlichen Produktes, sie hat etwas Erdachtes, sie macht trotz aller Vorzüge den Eindruck einer ausgezeichnet gespielten Roll e ; ihre Weltschmerzlichkeit, ihre Sehnsucht nach d e m Jenseits dieser Dinge sind nicht mehr bloße Frömmigkeit, sondern das Attribut der Heiligkeit ; Ivenes ist nicht mehr ganz Mensch, sondern ein 74
Flournoy: Des Indes a Ia planete Mars, 1900, S. 59.
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
227
mystisches Wesen, das nur zum Teil der realen Wirklichkeit ange hört; der wehmütige Zug, die leidensvolle Ergebenheit, ihr ge heimnisvolles Schicksal leiten uns auf das historische Vorbild der Ivenes : Justinus Kerners >Seherin von Prevorst<. Man darf den Inhalt des Kernersehen Buches als bekannt voraussetzen und da her den Hinweis auf die verwandten Züge unterlassen. Ivenes ist jedoch keine Kopie der Seherin : Die Resignation und die pietisti sche Frömmigkeit der letzteren mangeln ihr. Die Seherin ist bloß Vorwurf für ein Original. Die Pariemin legt ihre eigene Seele in die Rolle der Seherin, indem sie sich daraus ein Ideal der Tugend und Vollkommenheit zu schaffen sucht, sie antizipiert ihre Zukunft, und in Ivenes verkörpert sich das, was die Pariemin in zwanzig Jahren zu sein wünscht, nämlich die sichere, einflußreiche, kluge, graziöse, fromme Frau. In der Konstruktion der zweiten Person liegt der tiefgreifende Unterschied zwischen Leonie II und Ivenes. Beide sind psychogen. Leonie I empfängt aber in Leonie II das, was ihr eigentlich gehörte, unsere Pariemin jedoch konstruiert eine Person über sich hinaus. Man kann nicht sagen, »sie lügt sich«, sondern >>sie träumt sich« in den höheren idealen Zustand hinein.75 Die Realisierung dieses Traumes erinnert lebhaft an die Psycho logie des pathologischen Schwindlers. Delbrück76 und ForeF7 ha ben auf die Bedeutung der Autosuggestion bei der Bildung patho logischer Schwindeleien und Träumereien hingewiesen. Pick78 führt als erstes Symptom der hysterischen Träumer eine intensive Autosuggestibilität an, welche die Realisierung der »Tagträume« ermöglicht. Eine Pariemin Picks träumt sich in eine sittlich gefähr liche Situation hinein und führt schließlich ein Notzuchtattentat an sich selber auf, indem sie sich entblößt auf den Boden legt und sich an Tisch und Stühlen festbindet. Oder es wird eine dramati sche Person geschaffen, mit welcher die Patienten in brieflichen Verkehr treten, wie etwa im Bohnschen79 Falle, wo eine Pariemin sich in ein Verlobungsverhältnis mit einem ganz imaginären Rechtsanwalt in Nizza hineinträumt, von dem sie Briefe empfängt, 75 . . reves somnambuliques . . . sortes de romans de l'imagination subliminale, analogues a ces >histoires continues< que tant de gens se racontent a eux-memes, et clont ils sont generalement les heros, dans leurs moments de far-niente ou d'occupations routinieres qui n'offrent qu'un faible obstacle aux reveries, intfrieures. Constructions fantaisistes, mille fois reprises et poursuivies, rarement achevees, ou Ia folle du Iogis se donne libre carriere et prend sa revanche du terne et plat terre-3.-terre des n!alitfs quotidiennes.« (Flournoy, ebenda, S. 8). 76 Delbrück: Die pathologische Lüge und die psychisch abnormen Schwindler, 1 89 1 . 77 Fore!: Der Hypnotismus, 1 889. 7 8 Pick: Über pathologische Träumerei und ihre Beziehung zur Hysterie, 1 896, s. 280ff. 79 Bohn : Ein Fall von doppeltem Bewußtsein, 1 898.
228
OKKULTISMUS
die sie indessen selber mit verstellter Handschrift geschrieben hat. Dieses pathologische Träumen mit autosuggerierten Erinnerungs fälschungen bis zu eigentlicher Wahnbildung und Halluzination findet sich auch im Leben vieler Heiliger.80 Von den traumhaften, stark sinnlich gefärbten Vorstellungen zur eigentlich komplexen H alluzination ist nur ein Schritt.81 So sieht man zum Beispiel im ersten Picksehen Falle, wie die Patientin, die Kaiserin Elisabeth zu sein wähnt, sich allmählich so in ihren Träumen verliert, daß ihr Zustand äußerlich als eigentlicher Dämmerzustand muß bezeich net werden und später auch wirklich in ein hysterisches Delir übergeht, in welchem ihre Traumphantasien zur typischen Hallu zination werden. - Der pathologische Lügner, der sich durch seine Phantasien hinreißen läßt, benimmt sich nicht anders als das Kind, das sich in seinem Spiel verliert, 82 oder der Schauspieler, der ganz in seiner Rolle aufgeht. - Der Unterschied zur somnambulen Per sönlichkeitsspaltung ist kein prinzipieller, sondern bloß ein Grad Unterschied und beruht bloß auf der Intensität der primären Au tosuggestibilität oder Desaggregation der psyühischen Elemente. Je mehr sich das Bewußtsein dissoziiert, desto größer wird die Plastizität der erträumten Situation, desto geringer wird auch der Anteil der bewußten Lüge und des Bewußtseins überhaupt. Dieses Mitgerissensein durch den interessierenden Gegenstand ist das, was Freud >> hysterische Identifizierung« nennt. Es erscheinen zum Beispiel der schwer hysterischen Patientin Erlers83 hypnagogisch viele kleine Papierreiter, die ihre Phantasie so gefangennehmen, daß sie die Empfindung hat, auch als ein solcher mitten unter denselben sich zu befinden. Ähnliche Erscheinungen begegnen uns normalerweise im Traume, wo wir überhaupt »hysterisch<< den ken.84 Die absolute Hingabe an die interessierende Vorstellung erklärt uns auch die für bewußte Schauspielerei unerreichbare Na türlichkeit pseudologischer oder somnambuler Darstellungen. Je weniger das wache Bewußtsein überlegend und berechnend ein greift, desto sicherer und überzeugender wird die Objektivation des Traumes .85 80 81
Görres: Die christliche Mystik, 1 836-1 842. Vgl. Behr: Erinnerungsfälschungen und pathologische Traumzustände, 1 899 ; siehe auch Ballet : Le Langage interieur, 1 890, S. 44. 82 Vgl . Redlich: Ein Beitrag zur Kenntniss der Pseudologia phantastica, 1900, S. 66. 83 Erler: Hysterisches und hystero-epileptisches Irresein, 1 879, S. 2 1 . 84 ))Les hysteriques n e sont pour nous que des sujers d'Clection, agrandissant des phenomenes qu'on doit necessairement retrouver a quelque degre chez une foule d'autres personnes qui ne sont ni atteintes n i meme effleurfes par Ia nfvrose hystfrique , (( (Binet: Les Alterations, 1 892, S. 79.) 8 5 Man denke z. B. an die Dächer besteigenden Nachtwandler.
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
229
Unser Fall hat noch eine Analogie mit der Pseudologia phanta stica: die anfallsweise Weiterbildung. In der Litercuur sind mehr fach Fälle bekannt, wo die pathologischen Lügen anfallsweise, un ter verschiedenen hysteriformen Beschwerden, gebildet werden.86 Unsere Patientin erweitert ihre Systeme ausschließlich im Anfall. Sie ist ganz unfähig, im normalen Zustand irgend welche neuen Ideen oder Aufklärungen zu geben, sie muß sich dazu j eweilen in Somnambulismus versetzen oder das spontane Auftreten eines sol chen abwarten. Damit sind die Verwandtschaften zur Pseudologia phantastica und zur pathologischen Träumerei erschöpft. Unsere Patientin unterscheidet sich wesentlich dadurch von den pathologischen Träumen, daß niemals konnte nachgewiesen wer den, daß ihre Traumgespinste zuvor den Gegenstand ihres tägli chen Interesses gebildet hätten; ihre Träume treten explosiv auf, brechen plötzlich mit einer ganz verblüffenden Fülle aus dem Dunkel des Unbewußten hervor. Ganz das gleiche ist auch bei Flournoys Helene Smith der Fall. An mehreren Stellen (siehe un ten) kann aber die Anknüpfung an Perzeptionen des normalen Zustandes nachgewiesen werden, so daß die Vermutung wahr scheinlich wird, daß die Wurzeln jener Träume ursprünglich ge fühlsbetonte Vorstellungen waren, die aber nur kurze Zeit das wache Bewußtsein beschäftigtenY Wir müssen annehmen, daß bei der Entstehung solcher Träume die hysterische Vergeßlichkeit88 eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt : Viele Vorstellungen, die als solche wert wären, im Bewußtsein aufbewahrt zu werden, versinken ; angeknüpfte Gedankengänge kommen abhanden und spinnen sich, dank der psychischen Dissoziation, im Unbewußten weiter; ein Vorgang, dem wir wiederum bei der Genese unserer Träume begegnen.89 Auf diese Weise läßt sich das anscheinend 86 Delbrück: Die pathologische Lüge, 1 89 1 ; Redlich: Ein Beitrag, 1900. Ich erinnere hier auch an die Weiterbildung der Wahnideen im epileptischen Dämmerzustand, wie sie Mörchen (Über Dämmerzustände, 190 1 , S. 51 und 59) berichtet. 87 Vgl. hierzu die höchst interessante Vermutung Flournoys über die Entstehung des cycle hindou der H . S . : »Je ne serais pas etonne que Ia remarque de Marles sur Ia beaute des femmes du Kanara ait ete Je clou, l'atome crochu, qui a pique l'attention subliminale et l'a rres naturellement rivfe sur cet unique passagc, avec les deux ou trois lignes consfcutives, a l'exclusion de taut Je contexte environnant, beaucoup moins interessant.« (Des Indes a Ia planete Mars, 1900, S. 285.) 88 Janet sagt: Von der Vergeßlichkeit »Stammen, wenn nicht immer, so doch häufig die vermeintlichen Lügen der Hysterischen. So erklären sich auch in gleicher Weise ihre Launen, ihr Stimmungswechsel, ihre Undankbarkeit, mit einem Wort ihre Unbeständig keit, denn die Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart, die dem ganzen Wesen Ernst und Gleichmäßigkeit verleiht, hängt zum großen Theile vom Gedächtnis ab." (Der Geisteszustand der Hysterischen, 1 894, S. 67.) 89 " Von unserem bewußten Nachdenken her wissen wir, daß wir bei Anwendung der Aufmerksamkeit einen bestimmten Weg verfolgen. Kommen wir auf diesem Wege an
230
O K K U LT I S M U S
plötzliche und unvermittelte Auftreten der Träumereien erklären. Das totale Aufgehen der bewußten Persönlichkeit in der Traum rolle vermittelt indirekt auch die Entwicklung von gleichzeitig be stehenden Automatismen : » Une seconde condition peut amener la division de conscience; ce n'est pas une alteration de la sensibilite, c'est une attitude paniculiere de l 'esprit, la concentration de l'att ention sur un point unique; il resulte de cet etat de concentration que l'esprit devient distrait pour le reste, et en quelque sorte insen sible, ce qui ouvre la carriere aux actions automatiques ; et ces actions . . . peuvent prendre un caractere psychique et constituer des intelligences parasites, vivant cöte a cöte avec la personnalite normale qui ne les connait pas . « 90 Über die subjektiven Wurzeln ihrer Träume geben die Romane der Patientin bezeichnende Aufschlüsse. Es wimmelt darin von offenen und heimlichen Liebschaften, von illegitimen Geburten und anderen sexuellen Verdächtigungen. Der Mittelpunkt aller dieser zweideutigen Geschichten ist eine ihr antipathische Dame, welche sich allmählich zu ihrem Gegenpol gestaltet, indem lvenes der Gipfel der Tugend, jene Dame der tiefste Lasterpfuhl ist. Ihre Reinkarnationslehre aber, in der sie als die Stammutter ungezählter Tausender auftritt, entspringt in ihrer naiven Nacktheit einer ex uberanten Phantasie, wie sie eben der Pubertätsepoche eigentüm lich ist. Es ist das ahnungsvolle sexuelle Gefühl des Weibes, der Traum der Fruchtbarkeit, welche der Patientin j ene ungeheuerli chen I deen schuf. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir in der aufkeimenden Sexualität den zureichenden Grund für das seltsame Krankheitsbild suchen. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist das ganze Wesen der lvenes samt ihrer ungeheuren Familie nichts anderes als ein erfüllter sexueller Wunschtraum, welcher vom Traum einer Nacht sich dadurch unterscheidet, daß er sich über Monate und Jahre erstreckt.
eine Vorstellung, welche der Kritik nicht Stand hält, so brechen wir ab ; wir lassen die Aufmerksamkeitsbesetzung fallen. Es scheint nun, daß der begonnene und verlassene Gedankengang sich dann fonspinnen kann, ohne daß sich ihm die Aufmerksamkeit wieder zuwendet, wenn er nicht an einer Stelle eine besonders hohe Intensität erreicht, welche die Aufmerksamkeit erzwingt. Eine anfängliche, etwa mit Bewußtsein erfolgte Verwerfung durch das Unheil, als unrichtig oder als unbrauchbar für den actuellen Zweck des Denkactes, kann also die Ursache sein, daß ein Denkvorgang vom Bewußt sein unbemerkt sich bis zum Einschlafen fortsetzt . • (Freud: Die Traumdeutung, 1900, 5. 3 5 1 .) 90 Binet: Les Alterations, 1 892, S. 84.
ZUR PSYCHOLOGIE OKKULTER PHÄNOMENE
23 1
Verhältnis zum hysterischen Anfall Es ist bis jetzt ein Punkt in der Geschichte des Fräulein S. W. unerörtert geblieben, und das ist ihr Anfall. In der zweiten Sitzung wird die Patientin plötzlich von einem ohnmachtähnlichen Zufall betroffen, aus dem sie mit Erinnerung an verschiedene Halluzina tionen erwacht. Nach ihrer Angabe hatte sie keinen Moment das Bewußtsein verloren. Nach den äußeren Symptomen und dem Verlauf dieser Anfälle könnte man an eine Narkolepsie respektive Lethargie denken, wie sie zum Beispiel von Leewenfeld beschrie ben wurde, um so eher, als wir wissen, daß bereits ein Familien glied (die Großmutter) einen Anfall von Lethargie hatte. Es ist denkbar, daß die »lethargische Disposition<< (Loewenfeld) sich auf unsere Patientin vererbt hat. Man beobachtet in spiritistischen Sit zungen häufig hysterische Krampfanfälle. Unsere Patientin zeigte nie Krampferscheinungen, dafür die eigentümlichen Schlafzustän de. Ätiologisch kommen in unserem Falle zwei Momente (beim erstmaligen Auftreten) in Betracht : 1 . Übergreifen der Hypnose 2. Psychische Erregung 1 . Übergreifen der partiellen Hypnose. Janet beobachtete, daß die unterbewußten Automatismen einen hypnotisierenden Einfluß haben und den totalen Somnambulismus herbeiführen können.91 Er machte folgendes Experiment: Ein zweiter Beobachter verwik kelte die völlig wache Patientin in ein Gespräch, unterdessen stellte sich ] anet hinter dieselbe und ließ sie durch geflüsterte Suggestio nen unbewußt die Hand bewegen, schreiben und durch Zeichen auf Fragen Antwort geben ; plötzlich hörte die Patientin mitten im Gespräch auf, kehrte sich um und setzte nun mit ihrem Oberbe wußtsein die vorher unterbewußte Unterhaltung mit Janet fort : Sie befand sich in hypnotischem Somnambulismus.92 Wir sehen in diesem Beispiel einen ähnlichen Vorgang wie in unserem Fall. Es ist aber aus gewissen (unten erörterten Gründen) anzunehmen, daß der Schlafzustand nicht als Hypnose aufzufassen ist. Es kommt daher in Frage :
2 . Die psychische Erregung. Von Bettina Brentano wird berichtet, daß sie, als sie zum erstenmal mit Goethe zusammentraf, auf des91 »Une autre consideration rapproehe encore ces deux ftats, c'est que les actes sub conscients ont un effer en quelque sorte hypnotisant et contribuant par eux-memes a amener le somnambulisme.« Qanet: L'Automatisme psychologique, 1 889, S. 329) 92 Ebenda, 5 . 329.
232
O K K U LT I S M U S
sen Knien plötzlich einschlief.93 Der ekstatische Schlaf inmitten der größten Qualen, der sogenannte ••Hexenschlaf,, , ist aus der Geschichte der Hexenprozesse bekannt.94 B ei disponierten Personen genügen schon verhältnismäßig ge ringfügige Anlässe, um somnambule Zustände auszulösen. So wurde zum Beispiel einer sensiblen Dame ein Splitter aus dem Finger geschnitten . Ohne irgendwelche körperliche Veränderung sah sich dieselbe plötzlich an den Rand eines Baches auf eine schö ne Wiese versetzt, wo sie Blumen pflückte. Dieser Zustand dauerte so lange wie die unbedeutende Operation und verschwand dann von selbst ohne besondere Eingriffe.95 Unbeabsichtigte Veranlassung des hysterischen Lethargus durch Hypnose hat Loewenfeld beobachtet.96 Unser Fall hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem hysterischen Lethargus,97 wie ihn Loewen feld beschrieben hat : die Oberflächlichkeit der Atmung, das Sin ken des Pulses und die Leichenblässe des Gesichtes, ferner die eigentümlichen Sterbegefühle und Todesgedanken.98 Das Erhal tensein einzelner Sinne spricht nicht gegen Lethargus : So bleibt in gewissen Fällen von Scheintod das Gehör erhalten.99 Im Falle Bo namaison 100 war nicht nur das Gefühl erhalten, sondern noch Ge hör und Geruchssinn verschärft. Der halluzinatorische Inhalt und das laute Sprechen mit halluzinierten Personen im Lethargus kom men ebenfalls vor. In der Regel besteht totale Amnesie für das lethargische Intervall. Loewenfelds1 01 Fall D. hatte aber nachher summarische Erinnerung, im Falle Bonamaison bestand keine Amnesie. Für die gewöhnlichen Weckreize erwiesen sich Lethargi sche als unzugänglich ; es gelang aber Loewenfeld, bei seiner Pa tientin St. den Lethargus mittels Mesmerischer Striche in Hypnose umzuwandeln und auf diesem Wege sich mit dem Bewußtseinsrest innerhalb des Anfalls in Verbindung zu setzen. 1 02 Unsere Patientin erwies sich anfangs im Lethargus absolut unzugänglich, später be gann sie spontan zu sprechen, war unablenkbar, wenn ihr som93 Literarisch wurde dieses Einschlafen im Momente höchster Erregung von Gustave Flaubert in seinem Roman •Salammbö< verwendet, wo der Held, nachdem er nach vielen Kämpfen Salammbö endlich eroben hat, im Moment, da er ihren jun gfrä u li c h en Busen berührt, plötzlich einschläft. 94 Vielleicht gehören hieher die Fälle von Emotionslähmung. Vgl. Baetz: Über Emotionslähmung, 190 1 . 95 Hagen, Zur Theorie der Hallucination, 1 868, S. 1 7. 96 Leewenfeld : Über hysterische Schlafzustände, 1 89 1 , S. 59. 97 Vgl. Flournoy : Des Indes a Ia planete Mars, 1900, S. 65 f. 98 Loewenfeld : Über hysterische Schlafzustände, 1 89 1 , S. 737. 99 Ebenda, S. 734. 1 00 Bonamaison: Un Cas remarquable d'hypnose spontanee, 1 890, S. 234. 101 Loewenfel d : Über hysterische Schlafzustände, 1 89 1 , S. 737. 1 02 Ebenda, S. 59 ff.
ZUR PSYCHOLOGIE OKKULTER PHÄNOMENE
233
nambules Ich sprach, ablenkbar, wenn eine ihrer automatischen Persönlichkeiten sprach. Für diesen letzteren Fall ist es wahr scheinlich, daß dem hypnotisierenden Einfluß von Seiten der Au tomatismen eine partielle Umwandlung des Lethargus in Hypnose gelungen war. Wenn man berücksichtigt, daß nach der Ansicht Loewenfelds die lethargische Disposition nicht »kurzweg mit dem der Hysterie eigentümlichen Verhalten der Nervenapparate identi fiziert« werden darf, so gewinnt die Annahme einer familiären Vererbung der betreffenden Disposition in unserem Falle eine ge wisse Wahrscheinlichkeit. Das Krankheitsbild wird durch die An fälle sehr kompliziert. Wir haben bis jetzt gesehen, daß das Ich-Bewußtsein der Patien tin in allen Zuständen identisch ist. Sekundäre Bewußtseins-Kom plexe haben wir bis jetzt zwei besprochen und bis in den somnam bulen Anfall verfolgt, wo sie als Vision der Patientin gegenübertra ten, während sie ihre motorische Äußerung während des Anfalls aufgaben. Sie blieben während der nächstfolgenden Anfälle ver schwunden für die äußere Erkennung, dagegen entfalteten sie eine um so intensivere Tätigkeit innerhalb des Dämmerzustandes als Visionen. Es scheinen sich schon früh zahlreiche sekundäre Vor stellungsreihen von der primären unbewußten Persönlichkeit ab gespalten zu haben, denn schon nach den paar ersten Sitzungen folgten sich die »Spirits« dutzendweise. Die Namen waren in ihrer Verschiedenheit unerschöpflich, dagegen waren die Unterschiede zwischen den betreffenden Persönlichkeiten bald erschöpft, und es zeigte sich, daß sie sich alle unter zwei Typen subsumieren ließen, dem ernsthaft-religiösen und dem heiter-ausgelassenen Typus. In sofern handelte es sich eigentlich nur um zwei verschiedene unter bewußte Persönlichkeiten, die unter verschiedenen Namen, wel� ehe aber keine wesentliche Bedeutung hatten, auftraten. Der ältere Typus, der Großvater, der die Automatismen überhaupt eingelei tet hatte, begann auch zuerst, den Dämmerzustand sich dienstbar zu machen. Ich vermag mich keiner Suggestion zu entsinnen, wel- . ehe zu dem automatischen Sprechen hätte Anlaß geben können. Nach den früheren Erläuterungen kann der Anfall unter diesen Umständen als eine partielle Autohypnose gedacht werden. Das erhaltene Ich-Bewußtsein, das in Folge der Isolierung gegen die Außenwelt ganz mit seinen Halluzinationen beschäftigt ist, ist der Rest des Wachbewußtseins. Der Automatismus hat daher ein weites Feld für seine Tätigkeit. Die Selbständigkeit der einzelnen zen tralen Sphären, die wir bei der Patientin schon anfangs konstatiert haben, läßt uns den automatischen Sprechakt begreiflich erschei nen. Spricht doch auch der Träumer gelegentlich im Schlafe, ja sogar der Wachende begleitet intensive Gedanken mit unbewuß·
234
O K K U LT I S M U S
tem Flüstern. 103 Die eigentümlichen Bewegungen der Sprechmus kulatur sind bemerkenswert. Sie wurden auch bei anderen Som nambulen beobachtet. 1 04 Diese ungeschickten Versuche sind direkt in Parallele zu stellen mit den unintelligenten und ungeschickten B ewegungen des Tisches oder Glases und entsprechen höchst wahrscheinlich der präEminarischen Äußerung der motorischen Vorstellungsanteile respektive einer auf die motorischen Zentren beschränkten Erregung, welche sich vorerst noch keinem höheren System untergeordnet hat. Ob solches auch bei denjenigen Perso nen, die im Traume reden, vorkommt, weiß ich nicht. Bei Hypno tisierten wurde es aber beobachtet . 1 05 Infolge des bequemen Kommunikationsmittels der Sprache war nun das Studium der unterbewußten Persönlichkeiten erheblich erleichtert. Ihr intellektueller Umfang ist ein verhältnismäßig ge ringer. Sie verfügen über die Kenntnisse, die den Besitzstand der wachen Patientin bilden, dazu kommen noch einige gelegentliche Detailangaben, wie Geburtsdaten fremder verstorbener Personen und dergleichen, deren Ursprung mehr oder weniger dunkel ist, indem die Patientin nicht weiß, woher ihr die Kenntnis dieser Daten auf natürlichem Wege hätte zukommen können. Es sind dies sogenannte Kryptomnesien, die aber zu unbedeutend sind, als daß sie ausführlichere Erwähnung verdienten. Die Intelligenz der beiden unterbewußten Personen ist sehr gering; sie produzieren fast ausschließlich Banalitäten. Interessant ist ihr Verhalten zu dem Ich-Bewußtsein der Patientin im somnambulen Zustand. Sie sind stets unterrichtet von allem, was innerhalb der Ekstase vorkommt, und erstatten gelegentlich von Minute zu Minute genauen Be richt. 1 06 Die unterbewußten Personen kennen aber nur ganz ober flächlich die phantastischen Gedankengänge der Patientin, sie ver stehen sie n icht und können keine einzige Frage, welche diesen Gegenstand betrifft, richtig beantworten ; sie verweisen stereotyp auf lvenes : >> Fraget IveneS . << Diese Beobachtung deckt einen schwer zu erklärenden Dualismus im Wesen der unterbewußten 10 3 Vgl. die Untersuchungen Lehmanns über unwillkürliches Flüstern (Aberglaube und Zauberei, 1 898, S. 386 ff.). 104 So schreibt z. B. Flournoy: »Dans un premier essai, Leopold (der Kontrollgeist der H . S.) ne rt�ussit q u 'i donner ses intonations et sa prononciation a Hflfne: aprfs une seance ou eile avait vivement souffert dans le bauche et le cou comme si on lui travaillait ou l u i enlevait les organes vocaux, eile se mit a causer tres naturellement.« (Des Indes a Ia planete Mars, 1900, S. 1 00.) • e s Loewenfeld : Über hysterische Schlafzustände, 1 89 1 , S. 60. 106 Dieses Verhalten erinnert an die Beoabachtungen Flournoys: Während H. S. som nambul als Marie Antoinette spricht, gehören die Arme der H. S. nicht zu der somnam bulen Persönlichkeit, sondern zu dem Automatismus »Leopold«, welcher sich mittels Gesten mit dem Beobachter unterhält (Des Indes a Ia planete Mars, 1900, S. 1 25).
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
235
Person auf, denn der Großvater, der sich durch automatisches Sprechen kundtut, erscheint auch der Ivenes und belehrt sie nach ihrer Angabe über die betreffenden Gegenstände. Warum weiß nun der Großvater, wenn er durch den Mund der Patientin spricht, nichts von diesen Dingen und belehrt Ivenes doch gerade darüber in den Ekstasen ? Wir greifen wieder zurück auf die Erläuterungen des ersten Auf tretens der Halluzinationen. Wir haben damals die Vision als das Übergreifen der Hypnose auf die visuelle Sphäre geschildert. Jenes Übergreifen führte nicht zu einer >>normalen« Hypnose, sondern zu einer »Hysterohypnose<<, das heißt die einfache Hypnose wur de durch einen hysterischen Anfall kompliziert. Es ist auf dem Gebiete des Hypnotismus eine nicht seltene Er scheinung, daß durch das unerwartete Auftreten eines hysteri schen Somnambulismus die normale Hypnose gestört respektive ersetzt wird, wodurch in vielen Fällen der Hypnotiseur den Rap port mit den Patienten verliert. In unserem Fall spielt der in der motorischen Region auftretende Automatismus die Rolle des Hypnotiseurs ; die von ihm ausgehenden Suggestionen (objektiv Autosuggestionen genannt) hypnotisieren die benachbarten Ge biete, in denen eine gewisse Empfänglichkeit konstatiert wurde. Im Momente des Übergreifens der Hypnose auf die visuelle Sphä re tritt der hysterische Anfall dazwischen, welcher, wie bemerkt, eine sehr tiefgreifende Veränderung in einem großen Teile des psychischen Gebietes bewirkt. Wir müssen uns nun denken, daß der Automatismus dem Anfall gegenübersteht, wie der Hypnoti seur der pathologischen Hypnose: Er verliert den Einfluß auf die weitere Gestaltung der Situation. Als seine letzte Einwirkung auf die Persönlichkeit des Somnambulen kann das halluzinatorische Erscheinen der hypnotisierenden Persönlichkeit respektive des suggerierten Gedankens betrachtet werden. Von da an aber wird der Hypnotiseur nur noch zu einer Figur, mit der sich die Persön lichkeit des Somnambulen selbständig beschäftigt; er kann nur noch ungefähr konstatieren, was vorgeht, ist aber nicht mehr die conditio sine qua non des Inhaltes der somnambulen Attacke. Der selbständige Ich-Komplex des Anfalls, in unserem Falle Ivenes, hat jetzt die Oberhand und gruppiert ihre eigenen Geistesprodukte um die nunmehr zum bloßen Bild herabgesunkene Persönlichkeit ihres Hypnotiseurs, des Großvaters. Auf diesem Wege gelangen wir zum Verständnis des Dualismus im Wesen des Großvaters. Der Großvater I, der direkt zur Umgebung spricht, ist eine total andere Person und ein bloßer Zuschauer seines Doppelgängers, des Großvaters II, der als Lehrer der Ivenes auftritt. Der Großvater I unterläßt zwar nicht, energisch zu versichern, daß beide ein und
O K K U LT I S M U S
236
dieselbe Person seien und daß Nummer I alle diejenigen Kenntnis se auch besitze wie Nummer II und nur durch die schwierige Situation des Zungenredens an ihrer Kundgebung verhindert sei. (Die Patientin selber war sich natürlich dieser Spaltung nicht be wußt, sondern hielt beide für dieselbe Person). Großvater I hat aber, bei Licht betrachtet, doch nicht so unrecht, und er kann sich auf eine B eobachtung berufen, welche anscheinend für die Identi tät von I und II sprich t : Wenn I automatisch spricht, so ist II nicht vorhanden, das heißt lvenes bemerkt dessen Abwesenheit und kann nicht angeben, wo I während dieser Ekstase sich befand, oder sie erfährt bei der Rückkehr von ihren Reisen, daß der Großvater unterdessen ihren Körper gehütet habe. Umgekehrt spricht der Großvater nie, wenn er mit lvenes auf Reisen geht oder ihr beson dere A u fklärungen gibt. Dieses Verhalten ist allerdings beachtens wert. Ist I wirklich der von der Person der lvenes völlig getrennte Hypnotiseur, so ist kein Grund vorhanden, daß nicht zugleich er objektiv sprechen und sein Bild (II) in der Ekstase auftreten könn te. Obschon diese Möglichkeit sehr nahe liegt, wurde sie tatsäch lich nie beobachtet. Wie soll nun dieses Dilemma entschieden wer den ? Allerdings ist eine Identität von I und II vorhanden, sie liegt aber nicht im Bereich der fraglichen Persönlichkeit, sondern in der den beiden zugrunde liegenden gemeinsamen Basis, nämlich in der im tiefsten Wesen doch einen und unteilbaren Persönlichkeit der Patientin. Wir stoßen hier auf das Charakteristikum aller hysterischen Be wußtseinsspaltungen. Es sind Störungen, welche nur der Oberflä che angehören, und keine derselben reicht so tief, daß sie das festgegliederte Fundament des Ich-Komplexes angriffe. An ir gendeiner, wenn auch oft sehr verborgenen Stelle, finden wir die Brücke, welche die scheinbar unüberschreitbare Kluft überspannt. Von vier Spielkarten wird eine dem Hypnotisierten durch Sugge stion unsichtbar gemacht, er nennt demgemäß nur die drei übri gen. Jetzt wird ihm ein Bleistift in die H and gedrückt, mit der Anweisung, alle Karten, die eben dagelegen, aufzuschreiben; er fügt die vierte richtig hinzu . 107 - Ein Patient Janets1 08 hatte in der Aura seiner hystero-epileptischen Anfälle stets die Vision einer Feuersbrunst, und j edesmal, wenn er offenes Feuer sah, bekam er einen Anfal l ; es genügte sogar, ihm ein brennendes Streichholz hinzuhalten, um den Anfall auszulösen. Das Gesichtsfeld des Pa tienten ist links auf dreißig Grad eingeengt, das rechte Auge wird geschlossen. Das linke Auge muß nun die Mitte eines Perimeters 107
108
Dessoir: Das Doppel-Ich, 1 896, S. 29. Janet : L'Anesthesie hysterique, 1 892, S. 69.
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
237
fixieren, während auf achtzig Grad ein brennendes Streichholz gehalten wird ; es tritt sofort ein hystero-epileptischer Anfall ein. Trotz der ausgebreiteten Amnesie in vielen Fällen von Doppelbe wußtsein benehmen sich die betreffenden Patienten doch nicht dem Grade ihrer Unkenntnis entsprechend, sondern so, wie wenn noch ein dunkler Instinkt ihre H andlungen entsprechend ihren früheren Kenntnissen leitete. Nicht nur diese relativ leichte amne stische Spaltung, sondern auch die schwere Amnesie des epilepti schen Dämmerzustandes, welche früher für ein irreparabile dam num galt, genügt nicht, um die innersten Fäden zu zerschneiden, welche den Ich-Komplex des Dämmerzustandes an den normalen knüpfen. Es ist in einem Falle gelungen, den Inhalt des Dämmer zustandes dem wachen Ich-Komplex anzugliedern.1 09 Wenden wir diese Erfahrungen auf unseren Fall an, so gelangen wir zu der erklärenden Annahme, daß die von der Spaltung nicht erreichten Schichten des Unbewußten unter dem Einfluß entspre chender Suggestionen zwar die Einheit der automatischen Persön lichkeit darzustellen sich bestreben, daß aber diese Bemühung scheitert an der tiefer greifenden und elementareren Störung durch den hysterischen Anfall, 1 1 0 welcher eine vollkommenere Synthese hindert durch die Angliederung von Assoziationen, die gewisser- · maßen ureigenstes Eigentum der oberbewußten Persönlichkeit sind : Der auftauchende Ivenes-Traum wird den zufällig im Ge sichtsfeld befindlichen Figuren in den Mund gelegt und bleibt von nun an mit diesen Personen assoziiert. Verhältnis zu den unbewußten Persönlichkeiten Wie wir gesehen haben, gruppieren sich die zahlreichen Persön lichkeiten um zwei Typen, den Großvater und Ulrich von Ger benstein. Ersterer produziert ausschließlich Pietistisch-Religiöses, gibt massenhaft erbauliche Moralvorschriften und so weiter. Letz terer ist mit einem Wort ein Backfisch, an welchem außer dem Namen nichts Männliches ist. Wir müssen an dieser Stelle anamne stisch ergänzen, daß die Patientin mit fünfzehn Jahren von einem streng pietistischen Pfarrer konfirmiert wurde, daß sie auch zu Hause gelegentlich pietistische Moralpredigten zu hören be1 0 9 Graeter: Ein Fall von epileptischer Amnesie, durch hypnotische Hypermnesie be seitigt, 1 899, 5. 1 29. 1 1 ° Karplus sagt: Der hysterische Anfall ist kein rein psychischer Vorgang. Durch die psychischen Vorgänge wird nur ein präformierter Mechanismus ausgelöst, der an und für sich nichts mit psychischen Vorgängen zu tun hat (Über Pupillenstarre im hysterischen Anfall, 1 898, 5. 52).
238
O K K U LTI S M U S
kommt. Der Großvater repräsentiert diese Seite ihrer Vergangen heit, Gerbenstein die andere H älfte, daher der seltsame Kontrast. Wir haben also hier die personifizierten Hauptcharaktere der Ver gangenheit ; hier der pietistische Zwangserziehungsmensch, dort die ganze Ausgelassenheit eines oft über das Ziel hinausschießen den lebhaften Mädchens von fünfzehn Jahren . 1 1 1 An der Patientin selber finden wir die beiden Züge in einem sonderbaren Gemisch, bald ist sie ängstlich, scheu, von übertriebener Zurückhaltung, bald ausgelassen bis zur Grenze des Zulässigen. Sie empfindet sel ber diese Gegensätze oft in peinlicher Weise. Dieser Umstand gibt uns den Schlüssel zum Ursprung der beiden unterbewußten Perso nen. Die Patientin sucht offenbar einen Mittelweg zwischen den beiden Extremen, sie bemüht sich, dieselben zu verdrängen und nach einem idealeren Zustand zu streben. Dieses Bemühen führt sie zum Pubertäts-Traume der idealen Ivenes, neben deren Gestalt die unabgeklärten Seiten ihres Charakters in den Hintergrund tre ten. Sie gehen aber nicht verloren, sondern beginnen als verdrängte Gedanken, analog der Invenes-Idee, ein selbständiges Dasein als automatische Persönlichkeiten. Dieses Verhalten erinnert lebhaft an die Traumuntersuchungen Freuds, welche die selbständigen Vegetationen der verdrängten Gedanken aufdecken . 1 12 Wir begreifen nun auch, warum die hallu zinierten Personen von den automatisch schreibenden und spre chenden geschieden sind. Erstere belehren Ivenes über die Ge heimnisse des Jenseits, sie erzählen ihr alle j ene phantastischen Geschichten über die Außerordentlichkeit ihrer Person, sie schaf fen ihr Situationen, in denen Ivenes dramatisch auftreten kann mit den Attributen ihrer Macht, ihrer Klugheit und ihrer Tugend. Es sind nichts anderes als dramatische Spaltungen ihres Traum-Ich. Letztere aber sind die zu überwindenden, sie sollen eben keinen Teil haben an lvenes. Sie haben mit den geisterhaften Gefährten der Ivenes nur den Namen gemeinsam. Es ist a priori nicht zu erwarten, daß in einem Falle wie dem unsrigen, wo nirgends ganz scharfe Trennungen existieren, zwei so prägnante charakterologi sche Eigentümlichkeiten spurlos aus einem mit dem Wachbe wußtsein zusammenhängenden somnambulen Ich-Komplex ver schwinden. Tatsächlich begegnen wir denselben zum einen Teil in j enen ekstatischen Buß-Szenen und zum anderen Teil in j enen von 111 Diese Objektivation gewisser einheitlicher Assoziationskomplexe wurde literarisch verwendet von Carl Hauptmann i n seiner dramatischen Dichtung ·Die Bergschmiede•. Dort ist es sein ganzes besseres Wesen, welches in der unheimlichen Nacht dem Schatz gräber halluzinatorisch gegenübertritt. 1 1 2 Freu d : Die Traumdeutung, 1900. Vgl. auch Breuer/Freud : Studien über Hysterie, 1 895, s. 1 77 ff.
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
239
mehr oder weniger banalem Klatsch strotzenden Romanen. Im ganzen herrscht aber eine bedeutend gemilderte Form vor. Verlauf Es bleiben nun noch einige Worte über den Verlauf dieser eigen tümlichen Affektion zu sagen übrig. Im Verlauf von ein bis zwei Monaten erreichte der Prozeß seinen Höhepunkt. Die von Ivenes und den unterbewußten Persönlichkeiten entworfene Schilderung paßt im allgemeinen auf diesen Zeitpunkt. Von da an machte sich ein allmählicher Niedergang bemerkbar, indem die Ekstasen in haltlos und die Einflüsse Gerbensteins mächtiger wurden. Die Pla stizität der Erscheinungen verflachte immer mehr; es entstand all mählich ein unentwirrbares Gemenge der anfangs gut geschiede nen Charaktere. Die psychologische Ausbeute wurde immer ge ringer, und schließlich erhielt die ganze Geschichte einen exquisit schwindelhaften Anstrich. Von diesem Niedergang wurde auch Ivenes schwer betroffen, sie wurde peinlich unsicher, sprach vor sichtig tastend und ließ immer unverhüllter den Charakter der Patientin zutage treten. Auch die somnambulen Attacken nahmen an Häufigkeit und Intensität ab. Man konnte geradezu alle Stufen vom Somnambulismus bis zur bewußten Lüge beobachten. Damit fiel der Vorhang. Die Patientin ist seither ins Ausland gegangen. Daß ihr Charakter viel angenehmer und stabiler gewor den ist, dürfte von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein, wenn wir uns an die Fälle erinnern, in denen allmählich der etat II den etat I ersetzte. Vielleicht handelt es sich hier um eine ähnliche Erscheinung. Wie bekannt, sind somnambule Erscheinungen gerade in der Pubertätszeit besonders häufig. 1 1 3 So begann der Somnambulis musfall von Dyce1 1 4 unmittelbar vor dem Eintritt der Pubertät und dauerte genau bis zum Abschluß derselben. Ebenso steht der Som nambulismus Helene Smiths in engem Zusammenhang mit der Pubertät. 1 15 Schroeder van der Kolks Patientin ist im Moment ihrer Erkrankung sechzehn Jahre alt ; Felida X vierzehneinhalb und so weiter. Wir wissen auch, daß um diese Zeit der zukünftige Charakter sich ausbildet und fixiert. Im Falle der Felida X und der Mary Reynolds haben wir gesehen, daß der Charakter des etat II den des etat I allmählich verdrängt und ersetzt. Es ist daher nicht undenkbar, daß derartige Doppelbewußtseins-Erscheinungen 113
Pelman: Über das Verhalten des Gedächtnisses, 1 864, S. 74. Jessen : Doppeltes Bewußtsein, 1 865, S. 407. 1 1 5 Flournoy: Des Indes a Ia planete Mars, 1900, S. 28. 1 14
240
OKKULTI S M U S
nichts anderes sind als Charakterneubildungen oder Durchbruchs versuche der zukünftigen Persönlichkeit, die infolge besonderer Schwierigkeiten (Ungunst äußerer Verhältnisse, psychopathische D isposition des Nervensystems und so weiter) mit eigentümlichen Störungen des B ewußtseins verknüpft sind. Unter Umständen er halten die Somnambulismen gerade in Ansehung der dem zukünf tigen Charakter sich entgegenstellenden Schwierigkeiten eine emi nent teleologische Bedeutung, indem sie dem sonst unfehlbar un terliegenden Individuum die Mittel zum Siege verleihen. Ich denke hier vor allem an Jeanne d' Are, deren außerordentlicher Mut leb� haft an die Taten der Mary Reynolds II erinnert. An dieser Stelle sei auch auf die ähnliche Bedeutung der »hallucination teleologi que<< hingewiesen, von welcher gelegentlich Fälle zur allgemeinen Kenntnis gelangen, ohne daß sie bis j etzt in wissenschaftlicher Weise verarbeitet worden wären . Die unbewußte Mehrleistung Wir haben jetzt sämtliche essentielle Erscheinungen, die unser Fall bietet und die für seinen inneren Aufbau von Bedeutung waren, besprochen. Es handelt sich nun noch darum, gewisse Begleiter scheinungen einer kurzen Besprechung zu unterziehen : Es sind dies die unbewußten Mehrleistungen. Man begegnet auf diesem Gebiete einem nicht unberechtigten Skeptizismus seitens der Ver treter der Wissenschaft. Schon Dessoirs Auffassung vom zweiten Ich begegnete vielfachem Widerspruch und wurde von verschiede nen Seiten als zu enthusiastisch abgelehnt. Bekanntlich hat sich vorzu�sweise der Okkultismus dieses Gebietes bemächtigt und vorzeitige Schlüsse aus zweifelhaften Beobachtungen gezogen. Wir sind tatsächlich noch weit davon entfernt, irgend etwas Ab schließendes sagen zu können, indem noch nirgends ein ausrei chendes Material dazu vorhanden ist. Wenn wir daher das Gebiet der unbewußten Mehrleistung betreten, so geschieht es nur des halb, um allen Seiten unseres Falles gerecht zu werden. Unter unbewußter Mehrleistung verstehen wir denjenigen auto matischen Prozeß, dessen Resultat für die bewußte psychische Tä tigkeit des betreffenden Individuums nicht erreichbar ist. Hierher gehört vor allem das Gedankenlesen durch die Bewegungen des Tisches. Ich weiß nicht, ob es Personen gibt, die mittels induktiver Schlüsse aus lntentionszitterbewegungen längere Gedankenfolgen erraten können. Jedenfalls ist sicher, daß, diese Möglichkeit vor ausgesetzt, solche Personen über eine durch unermüdliche Übung erreichte Routine verfügen müssen. Die Routine aber kann für
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
241
unseren Fall ohne weiteres ausgeschlossen werden, und es bleibt nichts anderes übrig, als vorderhand eben eine primäre, der be wußten um ein Mehrfaches überlegene Empfänglichkeit des Unbe wußten anzunehmen. Diese Annahme stützt sich auf zahlreiche Beobachtungen an Somnambulen. Ich erwähne hier nur die Expe rimente Binets, 1 1 6 welcher auf die anästhetische Haut des Han drückens oder des Halses kleine Buchstaben oder sonstige Gegen stände oder auch kleine komplizierte Reliefs legte und die unbe wußten Wahrnehmungen durch Zeichnungen wiedergeben ließ. Er kommt auf Grund dieser Experimente zu folgendem Schluß : »D'apres !es calculs que j'ai pu faire, Ia sensibilite inconsciente d'une hysterique est a certains moments cinquante fois plus fine que celle d'une personne normale . << Eine zweite für unseren Fall und für zahlreiche andere Somnambule in Betracht kommende Mehrleistung ist derjenige Vorgang, den die Franzosen mit »cryp tomnesie<< 1 1 7 bezeichnen. Man versteht darunter das Bewußtwer den eines Gedächtnisbildes, welches aber nicht primär als solches erkannt wird, sondern eventuell erst sekundär auf dem Wege der nachträglichen Wiedererkennung oder des abstrakten Räsonne ments. Charakteristisch für die Kryptomnesie ist, daß das auftau chende Bild nicht die Merkmale des Gedächtnisbildes an sich trägt, das heißt nicht mit dem betreffenden oberbewußten Ich-Komplex verknüpft ist. Man unterscheidet im allgemeinen drei Wege, auf denen das kryptomnestische Bild dem Bewußtsein zugeführt wird : 1 . Das Bild tritt ohne Vermittlung der Sinnessphären (intrapsy chisch) ins Bewußtsein. Es ist ein Einfall, dessen Kausalkette dem betreffenden Individuum verborgen ist. Insofern ist die Kryptom nesie ein ganz alltägliches Ereignis und berührt sich mit den nor malen psychischen Vorgängen aufs innigste. Wie oft verführt sie den Forscher, den Schriftsteller oder den Komponisten, an die Originalität seiner Einfälle zu glauben, und hinterher weist der Kritiker die Quelle nach ! Meist wird die individuell gefaßte Dar stellung den Autor vor dem Vorwurf des Plagiates schützen und seinen guten Glauben beweisen, aber es können doch Fälle vor kommen, in denen unbewußterweise wörtlich reproduziert wird. Enthält der betreffende Passus eine bemerkenswerte Idee, so ist 116 Binet: Les Alterations, 1 892, S. 1 25. Vgl. auch die hierher gehörigen Angaben Loewenfelds (Der Hypnotismus, 190 1 ). 1 1 7 Kry ptomnesie darf nicht mit Hypermnesie verwechselt werden. Mit letzterem Na men bezeichnet man die abnorme Schärfung des Vermögens der Wiedererinnerung, welche die Gedächtnisbilder als solche reprod uziert.
242
O K K U LTI S M U S
der Verdacht eines mehr oder weniger bewußten Plagiates berech tigt, denn eine wichtige Idee ist durch zahlreiche Assoziationen mit dem Ich-Komplex verbunden ; sie wurde zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Situationen schon überdacht und verfügt daher über zahlreiche Anknüpfungspunkte nach allen Seiten, so d aß sie nie derart dem Bewußtsein entschwindet, daß ihre Konti nuität dem Umfang des bewußten Gedächtnisses könnte verloren gehen . Wir haben aber ein Kriterium, durch das wir jederzeit die intrapsychische Kryptomnesie auch objektiv erkennen können :
Die kryptomnestische Vorstellung ist durch ein Minimum von As soziationen an den betreffenden Ich-Komplex geknüpft. Der
Grund liegt im Verhältnis des Individuums zum betreffenden Ge genstand, in der Unverhältnismäßigkeit zwischen Interesse und Objekt. Es sind zwei Möglichkeiten denkbar: a) Das Objekt ist des Interesses wert, aber das Interesse ist infolge Zerstreutheit oder mangelhaften Verständnisses gering. b) Das Objekt ist des Interes ses nicht wert, weshalb das Interesse gering ist. - In beiden Fällen entsteht eine höchst labile Verbindung mit dem Bewußtsein, wel che ein rasches Vergessen zur Folge hat. Die leichte Brücke ist bald zerstört, und die erworbene Vorstellung versinkt ins Unbewußte, wo sie dem Bewußtsein nicht mehr zugänglich ist. Tritt sie nun wieder auf dem Wege der Kryptomnesie vor das Bewußtsein, so haftet ihr entweder der Charakter der Fremdartigkeit oder der o riginellen Schöpfung an, weil der Weg, auf dem sie ins Unterbe wußte eintrat, unauffindbar geworden ist. Fremdartigkeit und ori ginelle Schöpfung stehen übrigens einander sehr nahe, wenn man sich an die in der schönen Literatur zahlreich vorhandenen Zeug nisse genialer Naturen erinnert. (Besessenheit des Genies . ) 1 1 8 Ab gesehen von einzelnen hervorragenden Fällen dieser Art, in denen es zweifelhaft ist, ob es sich um kryptomnestische oder originelle Schöpfung handelt, gibt es welche, in denen kryptomnestisch ein Passus von unwesentlichem Gehalt reproduziert wird, und zwar, wie in folgendem B eispiel, fast wörtlich genau :
1 1 8 »H at Jemand, Ende des neunzehnten Jahrhunderts, einen deutlichen Begriff davon, was Dichter starker Zeitalter Inspiration nannten? Im anderen Falle will ich's beschrei ben. - Mit dem geringsten Rest von Aberglauben in sich würde man in der That die Vorstellung, bloß Inkarnation, bloß Mundstück, bloß medium übermächtiger Gewalten zu sein, kaum abzuweisen wissen. Der Begriff Offenbarung, in dem Sinne, daß plötzlich, mit unsäglicher Sicherheit und Feinheit, Etwas sichtbar, hörbar wird, Etwas, das Einen im Tiefsten erschüttert und umwirft, beschreibt einfach den Thatbestand. Man hört, man sucht nicht; man nimmt, man fragt nicht, wer da giebt; wie ein Blitz leuchtet ein Gedan k e auf, mit Nothwendigkeit, in der Form ohne Zögern, - ich habe nie eine Wahl gehabt.« (Nietzsche: Ecce homo, 1 9 1 1 , S. 90.)
Z U R PSYC H O L O G I E O KK U LT E R P H Ä N O M E N E
Also sprach Zarathustra ( . . . durch den Feuerberg selber aber führe der schmale Weg ab wärts, der zu diesem Thore der Unterwelt geleite.) Um jene Zeit nun, als Zara thustra auf den glückseligen In seln weilte, geschah es, daß ein Schiff an der Insel Anker warf, auf welcher der rauchende Berg steht; und seine Mannschaft gieng an's Land, um Kaninchen zu schießen. Gegen die Stunde des Mittags aber, da der Capi tän und seine Leute wieder bei sammen waren, sahen sie plötz lich durch die Luft einen Mann auf sich zukommen, und eine Stimme sagte deutlich : »es ist Zeit! Es ist die höchste Zeit!« Wie die Gestalt ihnen aber am nächsten war sie flog aber schnell gleich einem Schatten vorbei, in der Richtung, wo der Feuerberg lag - da erkannten sie mit größter Bestürzung, daß es Zarathustra sei ; denn sie hat ten ihn Alle schon gesehn, aus genommen der Capitän selber . . . >>Seht mir an ! sagte der alte Steuermann, da fährt Zarathu stra zur Hölle ! « 1 19 -
243
Ein Schrecken erweckender Auszug aus dem Journal des Schiffes Sphinx vom fahre 1686, im mittelländischen Meere. Die vier Capitäne und ein Kaufmann, Herr Bell, gingen an das Ufer der Insel Mount Stromboli, um Kaninchen zu schießen. Um drei Uhr riefen sie ihre Leute zusammen, um an Bord ihrer Schiffe zu gehen, als sie, zu ihrem unaussprechli chen Erstaunen, zwei Männer erscheinen sahen, die sehr schnell durch die Luft auf sie zuschwebten; der eine war schwarz gekleidet, der andere hatte graue Kleider an ; sie ka men nahe bei ihnen vorbei, in höchster Eile, und stiegen, zu ihrer größten Bestürzung, mit ten in die brennenden Flammen in den Schlund des schreckli chen Vulkans, Mount Strombo li, hinab. (Die betreffenden Leute wurden als Bekannte aus London erkannt. )120
Wie mir die Schwester des Dichters, Elisabeth Förster-Nietzsche, auf meine diesbezügliche Anfrage antwortete, hat Nietzsche, zwi schen dem zwölften und fünfzehnten Jahr, bei seinem Großvater Pastor Oehler in Pobler sich lebhaft mit Kerner beschäftigt, und später sicher nicht mehr. Es dürfte wohl kaum in der Absicht des Dichters gelegen haben, ein Plagiat an einem Schiffsjournal zu begehen, und wenn dies der Fall gewesen wäre, so hätte er sicher die höchst prosaische und für die betreffende Situation ganz unwe1 19
12°
Nietzsche: Also sprach Zarathustra, 190 1 , S. 1 9 1 . Kerner: Blätter aus Prevorst, 1 833, S. 57.
244
OKKULTISMUS
semliehe Stelle >>Um Kaninchen z u schießen<< weggelassen. Offen bar unterschob sich ihm bei der dichterischen Ausmalung der Höl lenfahrt Zarathustras halb- oder unbewußt j ener vergessene Ein druck aus der Jugend. An diesem Beispiel sehen wir alle Eigentümlichkeiten der Kryp tomnesie : Ein ganz unwesentliches Detail, das nichts anderes als schleuniges Vergessen verdient, wird plötzlich mit beinahe wörtli cher Treue reproduziert, während die Hauptpunkte der Erzählung in individueller Weise, man kann nicht sagen abgeändert, sondern neu geschaffen werden. Um den individuellen Kern, um die Idee der Höllenfahrt legen sich als malerisches Detail j ene alten, verges senen E indrücke einer ähnlichen Situation. Der betreffende Arti kel ist im übrigen so albern, daß der viellesende Jüngling wahr scheinlich flüchtig darüber hinwegging und der Sache j edenfalls kein tieferes Interesse entgegenbrachte. Wir haben hier das gefor derte Minimum assoziativer Verknüpfung, denn es läßt sich nicht leicht ein größerer Sprung denken, als der von j enem alten, alber nen Märchen zu Nietzsches Bewußtsein im Jahre 1 8 8 3 . Wenn wir uns Nietzsches Stimmung zur Zeit der Abfassung des >Zarathu stra< vergegenwärtigen 121 und an die in mehr als einem Punkte dem Pathologischen sich nähernde Ekstase des Dichters denken, so wird uns diese abnorme Reminiszens begreiflich erscheinen. Die andere der oben erwähnten Möglichkeiten : Nämlich die Aufnahme eines an sich nicht uninteressanten Objektes im Zustan de der Zerstreutheit oder bei halbem Interesse infolge mangelnden Verständnisses und dessen kryptomnestische Reproduktion finden wir hauptsächlich bei Somnambulen, auch als Kuriosa in der schö nen Literatur bei Sterbenden . 122 Unter der reichen Auswahl dieser Phänomene kommen für uns hauptsächlich in Betracht das Reden in fremden Sprachen, das Symptom der sogenannten Glossolalie. Wir finden dieses Phänomen überall erwähnt, wo entsprechende ekstatische Zustände in Frage kommen ; im Neuen Testament, in den Acta Sanctorum, 123 in den Hexenprozessen, in neuerer Zeit bei der Seherin von Prevorst, bei Judge Edmonds Tochter Laura, dann bei Flournoys Helene Smith, welche auch in dieser Beziehung in 121 >> Eine Entzückung, deren ungeheure Spannung sich mitunter in einen Thränen strom auslöst, bei der der Schritt unwillkürlich bald stürmt, bald langsam wird; ein vollkommenes Außersichsein mit dem disrinktesten Bewußtsein einer Unzahl feiner Schauder und Überrieselungen bis in die Fußzehen; eine Glückstiefe, in der das Schmerzlichste und Düsterste nicht als Gegensatz wirkt, sondern als bedingt, als heraus gefordert, als eine nothwendige Farbe innerhalb eines solchen Lichtüberflusses . . ·" (Ec ce homo, 19 1 1 , S. 90.) 122 Eckermann : Gespräche mit Goethe, 1 884, S. 230f. 1 23 Vgl. Görres: Die christliche Mystik, 1 836- 1 842.
Z U R P S Y C H O L O G I-E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
245
einzig dastehender Weise untersucht wurde, ferner bei dem Fall Breslers, 124 der wahrscheinlich mit Pastor Blumhardts125 Gottlie bin Dittus identisch sein dürfte. Wie Flournoy zeigte, ist die Glos solalie, soweit es sich um eine wirklich selbständige Sprache han delt, ein kryptomnestisches Phänomen katexochen. Ich verweise auf die hochinteressanten Ausführungen des genannten Autors. 126 Was unseren Fall betrifft, so wurde nur einmal Glossolalie beob achtet, bei welcher die einzig verständlichen Worte die eingestreu ten Variationen über das Wort >>vena<< waren. Die Quelle dieses Wortes ist deutlich : Die Patientin hat sich einige Tage zuvor in einem anatomischen Atlas in das Studium der lateinisch bezeichne ten Venen des Gesichtes vertieft und das Wort >>vena« in ihren Träumen verwendet, wie es auch dem gesunden Menschen gele gentlich passiert. Die übrigen Worte und Sätze in fremder Sprache verraten auf den ersten Blick ihre Abstammung aus dem der Pa tientin etwas geläufigen Französisch. Leider fehlen mir die genaue ren Übersetzungen der verschiedenen Sätze, weil die Patientin die selben nicht geben wollte ; aber wir können annehmen, daß es sich um ein ähnliches Phänomen handelt wie bei Helene Smiths Mars Sprache. Flournoy weist nach, daß die Mars-Sprache nichts ande res ist als eine kindliche Übersetzung aus dem Französischen, wo bei nur die Worte verändert sind, die Syntax aber völlig die gleiche ist. Wahrscheinlicher noch als diese Erklärung ist die Annahme, daß die Patientin einfach sinnlos fremdartig klingende Laute ohne eigentliche Wortbildung aneinanderreihte, 127 indem sie gewisse charakteristische Sprachtöne aus dem Französischen und Italieni schen entlehnte und sprachähnlich kombinierte, ähnlich wie Hele ne Smith die Lücken zwischen den wirklichen Sanskrit-Wörtern durch sprachähnliche Eigenprodukte füllte. Die fremdartigen Na men des mystischen Systems lassen sich zum großen Teil auf be kannte Wurzeln zurückführen. Schon die Kreise erinnern lebhaft an die jedem Schulatlanten beigegebenen Schemata der Planeten bahnen ; auch die innere Ähnlichkeit mit dem Verhältnis der Plane ten zur Sonne ist ziemlich deutlich, wir werden darum nicht fehl gehen, wenn wir auch in den Namen Reminiszenzen aus der popu lären Astronomie sehen. Auf diese Weise erklären sich etwa die Namen : Persus, Fenus, Nenus, Sirum, Surus, Fixus und Pix, als 124
Bresler: Culturhistorischer Beitrag zur Hysterie, 1 896, S . 333 ff. Zünde!: rfarrer J . C. Blumhardt, 1 8 80. 126 Flournoy: Des Indes a Ia planete Mars, 1900. 127 » Le baragouin rapide et confus dont on ne peut jamais obtenir Ia signification, probablement parce qu'il n'en a en effet aucune, et n'est qu'un pseudo-Langage.« (Eben da, S. 193. ) "_ analogue au baragouinage par lequel !es enfants se donnent parfois dans leurs jeux l'illu sion qu'ils parlent chinois, indien, ou •sauvage•.• (Ebenda, S. 1 52.) I2 S
246
OKKULTISMUS
die kindlich umgestalteten Perseus, Venus, Sirius und Fix-Stern (analog den Variationen von vena). Magnesor erinnert lebhaft an Magnetismus, dessen mystische Bedeutung die Patientin aus der >Seherin von Prevorst< kannte. Connesor läßt als Gegensatz zu Magnesor in seiner Vorsilbe » Con<< das französische »contre<< ver muten . Hypos und Hyfonismus erinnern an Hypnose und Hyp notismus, über deren Bedeutung in Laienkreisen bekanntlich noch die abenteuerlichsten Vorstellungen umgehen. Die mehrfach ver wendeten Endungen auf »US<< und »OS<< sind diejenigen Merkmale, an denen in der Regel der Laie den U merschied zwischen Latein und Griechisch bemerkt. Die übrigen Namen entspringen jeden falls ähnlichen Zufälligkeiten, deren Kenntnis sich unserem Wissen entzieht. Die bescheidene Glossolalie unseres Falles macht natür lich nicht den Anspruch eines klassischen Paradigmas der Kryp tomnesie, denn dieselbe besteht nur in der unbewußten Verwen dung verschiedener teils optischer, teils akustischer Eindrücke, die alle sehr nahe liegen. 2. Das kryptomnestische Bild tritt durch Vermittlung der Sinne (als Halluzination) ins Bewußtsein. Für diesen Fall liefert wieder Hele
n e Smith klassische B eispiele. Ich erinnere an den oben berichteten Fall mit der Ziffer 1 8 . 128
3. Das Bild tritt durch Vermittlung des motorischen Automatismus ins Bewußtsein. Helene Smith hatte eine ihr kostbare Brosche ver
loren, welche sie ängstlich überall vergebens suchte. Zehn Tage darauf gab ihr Führer Leopold durch den Tisch die Mitteilung, wo die B rosche zu finden sei. Sie wurde nach den erhaltenen Angaben auf freiem Felde bei Nacht von Sand bedeckt gefunden. 129 Streng genommen handelt es sich bei der Kryptomnesie nicht um eine Mehrleistung im eigentlichen Sinne des Wortes, indem das bewuß te Gedächtnis keine Steigerung seiner Funktion, sondern bloß eine Bereicherung seines Inhaltes erfährt. Durch den Automatismus werden bloß gewisse Gebiete auf indirektem Wege dem Bewußt sein zugänglich gemacht, welche demselben vorher verschlossen waren . Das Unbewußte vollbringt aber deshalb keine Leistung, welche die Fähigkeiten des Bewußten qualitativ oder quantitativ überschritte. Die Kryptomnesie ist daher eine bloß scheinbare Mehrleistung im Gegensatz zur Hypermnesie, welche tatsächlich eine Funktionserhöhung darstellt.130 128
Siehe S . 2 19 . Flournoy: Des Indes a Ia planete Mars, 1900, S. 378. 130 Ein diesbezüglicher Fall bei Krafft-Ebin g : Lehrbuch der Psychiatrie, 1 879, S. 5 7 f.
119
Z U R P S YC H O L O G I E O K KULTER P H Ä N O M E N E
247
Wir haben oben von einer dem Bewußten überlegenen Emp fänglichkeit des Unbewußten gesprochen, hauptsächlich in Hin sicht auf die einfachen Gedankenübertragungsversuche mit Zah len. Wie schon erwähnt, ist nicht nur unsere Somnambule, son dern eine noch verhältnismäßig große Anzahl von Gesunden im stande, längere Gedankenfolgen, sofern sie nicht komplizierteren Charakters sind, aus den Zitterbewegungen zu erraten. Diese Ex perimente stellen gewissermaßen das Urphänomen dar zu jenen selteneren und ungleich erstaunlicheren Fällen intuitiver Erkennt nis, welche Somnambule bisweilen zeigen.13 1 Daß derartige Er scheinungen nicht bloß an das Gebiet des Somnambulismus ge knüpft sind, sondern auch bei nicht somnambulen Personen vor kommen, zeigt uns zum Beispiel Zschokke132 in seiner Selbst schau. Die Bildung solcher Erkenntnisse scheint auf verschiedenen We gen zu erfolgen : Vor allen Dingen kommt die schon erwähnte Feinheit unbewußter Perzeptionen in Betracht. Sodann ist die Wichtigkeit der erfahrungsgemäß enormen Suggestibilität der Somnambulen hervorzuheben. Die Somnambule verkörpert ge wissermaßen nicht nur jeden suggestiven Gedanken, sondern lebt sich auch in die Suggestion par excellence, in die Person ihres Arztes oder Beobachters ein mit jener den suggestibeln Hysteri schen eigentümlichen Hingabe. Das Verhältnis der Frau Hauffe zu Kerner ist hierfür ein schönes Beispiel. Daß es in solchen Fällen zu hochgradiger Assoziationskonkordanz kommt, kann nicht wun dernehmen, ein Umstand, den zum Beispiel Riebet in seinen Expe rimenten über mentale Gedankenübertragung vielleicht etwas mehr hätte berücksichtigen dürfen. Endlich gibt es Fälle von som nambuler Mehrleistung, welche sich nicht allein durch Hyperäs thesie der unbewußten Sinnestätigkeit und Assoziationskonkor danz erklären lassen, sondern die Annahme einer hochentwickel ten intellektuellen Tätigkeit des Unbewußten voraussetzen. Die Entzifferung der intendierten Zitterbewegungen erfordert nicht nur eine außerordentlich sensible, sondern auch ei:ne sensorische Feinfühligkeit, welche die Kombination der einzelnen Wahrneh mungen zu der geschlossenen Einheit des Gedankens ermöglicht; wenn wir überhaupt den Erkenntnisprozeß im Gebiete des Unbe wußten in Analogie zum Erkenntnisprozeß des Bewußten setzen dürfen. Es ist ja immerhin die Möglichkeit zu beachten, daß im 131 · Die Einschränkung der associativen Vorgänge und die anhaltende Concentration der Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Vorstellungsgebiet können auch zur Entwick lung neuer Gedanken führen, welche keine Willensanstrengung in wachem Zustande zu Tage zu fördern vermochte.« (Loewenfeld : Der Hypnotismus, 1 90 1 , S. 289.) m Zschokke: Eine Selbstschau, 1 843, S. 227 ff.
248
O KKULTI S M U S
Unbewußten Gefühle und Begriffe nicht so reinlich gesondert, eventuell sogar eins sind. Der intellektuelle Aufschwung, den viele Somnambule in der Ekstase zeigen, ist eine zwar seltene, aber doch sicher beobachtete Tatsache, 133 und ich möchte das von unserer Patientin verfaßte Schema eben als eine solche über ihre normale Intelligenz hinausgehende Mehrleistung bezeichnen. Wir haben schon gesehen, woher ein Stück jenes Schemas kommen dürfte. Eine zweite Quelle sind wahrscheinlich die Lebenskreise der Frau Hauffe, welche in dem betreffenden Buche Kerners abgebildet sind. D urch diese Anhaltspunkte scheint die äußere Form determi niert zu sein . Wie schon in der Darstellung des Falles bemerkt wurde, stammt die Idee des Dualismus aus den bruchstückweise aufgenommenen Gesprächen, denen die Patientin in träumeri schem Zustand jeweilen nach ihren Ekstasen beiwohnte. D amit ist meine Kenntnis der Quellen, aus denen die Patientin schöpfte, zu Ende. Woher die Grundidee stammt, weiß die Patien tin nicht zu sagen. Ich habe natürlich die okkultistische Literatur, soweit dieselbe in Betracht kam, nach dieser Richtung durchsucht, und zwar eine Fülle von Parallelen aus verschiedenen Jahrhunder ten mit unserem gno.stischen System entdeckt, aber zerstreut in allen möglichen Werken, welche zum größten Teil für die Patien tin ganz unzugänglich sind. Überdies ist bei ihrem j ugendlichen Alter und bei ihrer Umgebung die Möglichkeit zu einem solchen Studium ganz ausgeschlossen. Eine kurze Überlegung des Systems an Hand der von der Patientin gegebenen Erklärungen zeigt, wie viel Geist auf die Konstruktion verwendet wurde. Wie hoch die intellektuelle Leistung eingeschätzt werden soll, bleibt Ge schmackssache. Auf jeden Fall aber muß dieselbe in Anbetracht des jugendlichen Alters und der Geistesverfassung der Patientin als eine ganz außergewöhnliche taxiert werden. Schlußwort Ich bin weit davon entfernt zu glauben, daß mit dieser Arbeit irgendein abschließendes und wissenschaftlich befriedigendes Re sultat erreicht ist. Mein Bestreben ging vor allem dahin, entgegen der öffentlichen Meinung, welche für die sogenannten okkulten Phänomene nichts als ein geringschätziges Lächeln hat, die zahlrei"' Gilles de la Taurette sagt: »Wir haben somnambule, arme, ungebildete, im Wachen sehr u n be gabte Mädchen gesehen, deren ganzes A uftreten sich änderte, sobald sie einge
schläfert waren. Vorher waren sie langweilig und jetzt sind sie lebhaft und angeregt, manchmal sogar geistreich.« (Zitiert in Loewenfeld: Der Hypnotismus, 190 1 , S. 1 32.)
Z U R P S Y C H O L O G I E O K K U LT E R P H Ä N O M E N E
249
chen Verknüpfungen derselben mit dem Erfahrungsgebiete des Arztes und der Psychologie darzustellen und auf die zahlreichen wichtigen Fragen hinzuweisen, welche dieses unerforschte Gebiet noch für uns birgt. Den Anstoß zu dieser Arbeit gab mir die Überzeugung, daß auf diesem Gebiete eine reiche Ernte für die Erfahrungspsychologie reift, und das Bewußtsein, daß unsere deutsche Wissenschaft sich noch viel zu wenig dieser Probleme annimmt. Letzterer Grund gab mir auch Veranlassung, die Erörte rung eines Somnambulismusfalles aus dem rein pathologischen Gebiet vorauszuschicken, um im allgemeinen über die Stellung der Somnambulen zur Pathologie zu orientieren. In diesem Sinne hof fe ich, daß meine Arbeit mit dazu beitragen werde, der Wissen schaft einen Weg zur fortschreitenden Aufklärung und Assimila tion der noch viel umstrittenen Psychologie des Unbewußten zu bahnen.
Bibliographie der genannten Werke
Verweise auf Werke C. G. Jungs beziehen sich in der Regel auf die Ausgabe ,Gesammelte Werke, (siehe dazu die Übersicht der Ausgabe >Gesammelte Werke, von C. G. Jung, S. 260-264) mit Bandzahl und Absatzzählung (§). B i bliographische Hinweise auf Werke C. G. Jungs, die nicht i n den >Gesam melten Werken< enthalten sind, finden sich in der folgenden B i bliographie der genannten Werke. Abegg, Lily : Ostasien denkt anders. Versuch einer Analyse des west-östlichen Gegensatzes. Zürich 1 949. Aegidius de Vadis : Dialogus inter naturam et filium philosophiae. In : Thea trum chemicum. Band 2. Ursel und Strassburg 1 602. S. 95- 1 2 3 . Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius : D e occulta philosophia libri tres. Köln 1 5 3 3 . Aksakow, Alexander N. : Animismus und Spiritismus. Versuch einer kriti schen Prüfung der mediumistischen Phänomene mit besonderer Berück sichtigung der Hypothesen der Hallucination und des Unbewußten. 2. Auf lage. Leipzig 1 8 94. Albertus Magnus : De mirabilibus mund i. Kölner Druck 1 4 8 5 . ( Inkunabel der Zentralbibliothek Zürich). Ammianus Marcellinus : History. London und Cambridge/Mass . 1 9 5 6 . Anon ymu s : Die Tyroler ekstatischen Jungfrauen. Leitsterne in die dunkeln Gebiete der Mystik. Regensburg 1 84 3 . Anonymus : D e triplici habitaculo liber unus. lncerti auctoris. Mauriner Augustinus-Ausgabe VI col. 1 44 8 ; M igne P. L . XL col . 9 9 1 -998. Augustinus, Aurelius : Confessionum libri tredecim. Tom. I col. 1 33 - 4 1 0 . Augustinus, Aurelius : Enarratio in psalmum CXIII, 1 4 . Tom. IV col. 1 776 B. Azam, Charles Marie Etienne-Eugen e : Hypnotisme, double conscience et alterations de Ia personnalite. Paris 1 8 8 7. Baetz, E. von : Über Emotionslähmung. I n : Allgemeine Zeitschrift für Psych iatrie und psychisch-gerichtliche Medicin 58. Berlin 1 90 1 . S. 7 1 7 - 72 1 . Bain, Alexander: The Senses and the Intellect. 4 . Auflage. London 1 894. Ballet, Gilbert : Le Langage interieur et les diverses formes de l'aphasie. Paris 1 886. Deutsch: Die innerliche Sprache und die verschiedenen Formen der Aphasie. Leipzig und Wien 1 890. Ballet, Gilbert : Swedenborg. Histoire d'un visionnaire au XVIIIe siede. Paris 1 899.
Behr, Albert : Bemerkungen über Erinnerungsfälschungen und pathologische Traumzustände. I n : Allgemeine Zeitsc � rift für Psychiatrie und psychisch gerichtliche Medicin 56. Berlin 1 8 99. S . 9 1 8-952. Binet, Alfred : Les Alterations de la personnalite. Paris 1 892. Böhme, Jacob : De signatura rerum. Das ist : Von der Gebuhrt und Bezeich nung aller Wesen. Amsterdam 1 6 82. Boeteau, M . : Automatisme somnambulique avec dedoublement de Ia person nalite. In: Annales medico-psychologiques 50/ 1 5 . Paris 1 8 92. S. 6 3 - 7 9 .
252
B I B L I O G RA P H I E
Bohn, Wolfgang : Ein Fall von doppeltem B ewußtsein. Breslau 1 898. Bonamaison, L. : Un Cas remarquable d'hypnose spontanee. In : Revue de l'Hypnotisme 4 . Paris 1 890. S. 234-243. Bourru, H . / P. Burot: La Suggestion mentale et les variations de Ia personnali te. Paris 1 895. Bresler, Johann: Culturhistorischer Beitrag zur Hysterie. In: Allgemeine Zeit schrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medicin 53. Berlin 1 896. S. 3 3 3 - 3 76 . Breuer, Joseph/Sigmund Freu d : Studien über Hysterie. Leipzig und Wien 1 89 5 . Cardanus, Hieronymus: Commentaria in Ptolemaeum De astrorum iudiciis. I n : Opera omnia V. Lyon 1 663 . Cardanus, Hieronym u s : De subtilitate libri XXI. Nürnberg 1 550. Capron, E. W. : Modern Spiritualism. Its Facts and Fanaticisms, Its Consisten cies and Contradictions. New York und Boston 1 85 5 . Cassini, Jacques Dominique, Comte de Thury : L e s Tables parlantes a u point de vue de I a physique generale. Genf 1 85 5 . Cellini, Benvenuto: D a s L e b e n d e s B 'C', Florentinischen Goldschmieds und Bildhauers, von ihm selbst geschrieben. Übersetzt und mit einem Anhange herausgegeben von Goethe. Tübingen 1 80 3 . Crookes, William : Notes of an Enquiry i n t o the Phenomena called Spiritual, during the years 1 870-73 . I n : Quarterly Journal of Science 1 1 . London 1 8 74 . Cullerre, Alexandre : Un Cas de somnambulisme hysterique. I n : Annales me dico-psychologiques 46. Paris 1 8 8 8 . S . 354-370. Dahns, Fritz : Das Schwärmen des Palolo. In: Der Naturforscher 8 / 1 1 . Lich terfelde 1 932. Dalcq, Albert-M. : La Morphogenese dans Je cadre de Ia biologie generale. In: Verhandlungen der Schweizer Naturforschenden Gesellschaft, 1 2 9. Jahres versammlung. Aarau 1949. S. 3 7-72. Dariex, Xavier: L e Hasard et Ia telepathie. In: Annales des sciences psychiques 1 . Paris 1 89 1 . S. 295-304. Delbrück, Anto n : Die pathologische Lüge und die psychisch abnormen Schwindler. Eine Untersuchung über den allmählichen Übergang eines nor malen Vorganges in ein pathologisches Symptom. Stutegart 1 89 1 . Dessoir, Max: Das Doppel-Ich. 2 . Auflage. Leipzig 1 896. Deventer, J . van : Ein Fall von sanguinischer Minderwerthigkeit. I n : Allgemei ne Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medicin 5 1 . Berlin 1 89 5 . s. 550-578. Diehl, August: Neurasthenische Krisen. In: Münchener medicinische Wo chenschrift 9. München 1902. S. 363-366. Dieterich, Albrecht: Eine Mithrasliturgie. 2 . Auflage. Leipzig und Berlin 1 9 1 0 . Donath, Julius : Über Suggestibilität. I n : Wiener medizinische Presse 3 1 . Wien 1 89 2 . Col. 1 244-1 246. Donath, Julius : Der epileptische Wandertrieb (Poriomanie). In: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 3 2 . Berlin 1 899. S. 335-355. Dorneus, Gerardus : De tenebris contra naturam. I n : Theatrum chemicum. Band 1 . Ursel und Strassburg 1 602 . S . 5 1 8 - 5 3 5 . Drews, A r t h u r : Plotin und der Untergang der antiken Weltanschauung. Jena 1 9 0 7.
BIBLIO GRAPH I E
253
Driesch, Hans : Die »Seele« als elementarer Naturfaktor. Studien über die Bewegungen der Organismen. Leipzig 1903 . Dschuang Dsi : Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Aus dem Chinesi schen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm. Jena 1920. Dunne, John William : An Experiment with Time. London 1927. Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. 3 Bände. Leipzig 1 8 84. Emminghaus, H.: Allgemeine Psychopathologie zur Einführung in das Stu dium der Geistesstörungen. Leipzig 1 878. Erler: Hysterisches und hystero-epileptisches Irresein. In : Allgemeine Zeit schrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medicin 35. Berlin 1 879. S. 1 6-45. Ficinus, Marsilius : Auetores Platonici. Venedig 1 497. Fierz, Markus: Zur physikalischen Erkenntnis. In: Eranos-Jahrbuch 1 6 ( 1948). Zürich 1949. S . 433-460. Flambart, Paul: Preuves et bases de l 'astrologie sciemifique. Paris 192 1 . Flammarion, Camille: L'Inconnu et les problemes psychiques. Paris 1900. Flaubert, Gustave: Salammbö. Paris 1 88 5 . Flournoy, Theodore : Des Indes a Ia planete Mars. Etude s u r un cas d e som nambulisme avec glossolalie. 3 . Auflage. Paris und Genf 1900. Fludd, Robert: Animae intellectualis scientia seu De geomantia. In: Fasciculus geomanticus in quo varia variorum opera geomantica. Verona 1 687. Fore!, August: Der Hypnotismus, seine . . . Bedeutung . . . und Handhabung. Stuttgart 1 889. Franz, Marie-Louise von : Der Traum des Descartes. In: Zeitlose Dokumente der Seele. Zürich 1952. Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. Leipzig und Wien 1900. Frisch, Karl von : Aus dem Leben der Bienen. 4. Auflage. Berlin 1948. Geulincx, Arnold : Opera philosophica. 3 Bände. Den Haag 1 891 - 1 899. Görres, Johann Joseph von : Die christliche Mystik. 4 Bände. Regensburg und Landshut 1 836- 1 842. Görres, Johann Joseph von: Emanuel Swedenborg. Seine Visionen und sein Verhältnis zur Kirche. Speyer 1 827. Goethe, Johann Wolfgang von : Zur Naturwissenschaft im allgemeinen. In: Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. (Cotta) Stuttgart 1 85 8 . Goethe, Johann Wolfgang v o n : D i e Wahlverwandtschaften. I n : Werke. Voll ständige Ausgabe letzter Hand. (Cotta) Stuttgart 1 858. Graeter, Carl: Ein Fall von epileptischer Amnesie, durch hypnotische Hy permnesie beseitigt. In: Zeitschrift für Hypnotismus, Psychotherapie, sowie andere psychephysiologische und psychepathologische Forschungen 8. Leipzig 1 899. S. 1 29- 1 63 . Granet, Marcel: La Pensee chinoise. Paris 1934. Grimm, Jacob : Deutsche Mythologie. 3 Bände. 4. Ausgabe. Gütersloh 1 8761 877. Guinon, Georges: Documents pour servir a l'histoire des somnambulismes. In : Progres medical 1 3 und 1 4 . Paris 1 89 1 . Guinon, Georges/Sophie Woltke: D e l'Influence des excitations des organes des sens sur les hallucinations de Ia phase passionelle de l'attaque hystiirique. In: Archives de Neurologie 2 1 . Paris 1 89 1 . S. 346-365.
254
B I B L I O G RA P H I E
Gurney, Edmund/Frederic W. H . Myers/Frank Podmore : Phantasms o f the Living. 2 Bände. London 1 886. Deutsc h : Gespenster lebender Personen und andere telepathische Erscheinungen. Leipzig 1 896. Hagen, F. W. : Zur Theorie der Hallucination. In: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medicin 25. Berlin 1 868. S. 1 - 1 1 3 . Hardy, A . C. : The Scientific Evidence for Extra-Sensory Perception. In : Discovery 1 0 . London 1949. S . 3 2 8 . Hauptmann, Carl : Die Bergschmiede. Dramatische Dichtung. München 1902. Hecker, Just. Frdr. Carl : Über Visionen. Eine Vorlesung. Berlin 1 84 8 . Hippokrates: D e alimento. Corpus Medicorum Graecorum I/ 1 . Herausgegeben von Heiberg. Leipzig 1927. Höfelt, J. A . : Ein Fall von spontanem Somnambulismus. I n : Allgemeine Zeit schrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medicin 49. Berlin 1 893. S . 250-255. Ging. Das Buch der Wandlungen. Herausgegeben von Richard Wilhelm. Jena 1924. Isidor von Sevilla: Liber ethimologiarum. Strassburg 1 470. Jaffe, Aniela: Bilder und Symbole aus E. T. A . Hoffmanns Märchen »Der gold ne Topf« . In: C. G. Jung: Gestaltungen des Unbewußten. Zürich 1950. Jaffe, Aniela: Geistererscheinungen und Vorzeichen. Eine psychologische Deutung. Zürich 1 9 5 8 . James, William : T h e Principles of Psychology. 2 Bände. London u n d New York 1 89 1 . Janet, Pierre: L 'Automatisme psychologique. Paris 1 8 89. Janet, Pierre: Der Geisteszustand der Hysterischen. (Die psychischen Stigma ta). Leipzig und Wien 1 894. Janet, Pierre : Les Nevroses. Paris 1909. Jantz, Hubert/K. Beringer: Das Syndrom des Schwebeerlebnisses unmittelbar nach Kopfverletzungen. I n : Der Nervenarzt 1 7. Berlin 1944. S. 197-206. Jeans, James : Physik und Philosophie. Zürich 1944. ]essen, Peter Willers : Doppeltes Bewußtsein. In: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medicin 2 2 . Berlin 1 865. S. 407. Jordan, Pascual : Positivistische Bemerkungen über die parapsychischen Er scheinungen. I n : Zentralblatt für Psychotherapie 9. Leipzig 1936. S. 3 - 1 7. Jordan, Pascual : Verdrängung und Komplementarität. Harnburg 1947. Jung, Carl Gustav: Briefe. Herausgegeben von Aniela Jaffe. 3 Bände. Olten 1972. Kammerer, Pau l : D a s Gesetz d e r Serie. Stuttgart u n d Berlin 1 9 1 9 . Kant, Immanuel : Allgemeine Naturgeschichte u n d Theorie des Himmels nebst zwei Supplementen. Leipzig 1 8 84. Kant, I m m anuel : Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik. I n : Werke. Band 2. Herausgegeben von Ernst Cassirer. Berlin 1912. Kardec, Allan: Das Buch der Medien oder Wegweiser der Medien und der A nrufer. 2. Auflage. Leipzig 1 89 1 . Karplus, J . P. : Über Pupillenstarre im hysterischen Anfall. I n : Jahrbücher für Psychiatrie und Neurologie 1 7. Leipzig und Wien 1 898. S. 1 - 53. Kepler, Johan n : Tertius interveniens. Opera omnia. Herausgegeben von Ch. Frisch. 8 Bände. Frankfurt und Erlangen 1 8 58- 1 8 7 1 .
B I B L I O G RA P H I E
255
Kerner, Justinu s : Blätter aus Prevorst. Originalien und Lesefrüchte für Freun de des inneren Lebens, mitgetheilt von dem Herausgeber der Seherin aus Prevorst. 4. Sammlung. Karlsruhe 1 833. Kerner, Justinus : Die Seherin von Prevorst. 2 Teile. Stuttgart und Tübingen 1 829. Kerner, Justinus : Die Geschichte des Thomas Ignaz Martin, Landsmann zu Gallardon, über Frankreich und dessen Zukunft im Jahre 1 8 1 6 geschaut. Heilbronn 1 835. Kerner, Justinus : Die somnambülen Tische. Zur Geschichte und Erklärung dieser Erscheinung. Stuttgart 1 853. Klöckler, H. von: Astrologie als Erfahrungswissenschaft. Leipzig 1927. Knoll, Max : Wandlungen der Wissenschaft in unserer Zeit. I n : Eranos-Jahr buch 20 (1951). Zürich 1952. Krämer, Augustin Friedrich : Über den Bau der Korallenriffe. Kiel und Leip zig 1 897. Krafft, K.-E. : Traitt� d'astro-biologie. Pari s ; Lausanne; Brüssel 1939. Krafft-Ebing, Richard von : Lehrbuch der Psychiatrie auf klinischer Grundla ge für praktische Ärzte und Studierende. 4. Auflage. Stuttgart 1 890. Kronecker, Leopold : Über den Zahlbegriff. In: Werke 3/1 . Leipzig 1 899. Ladd, George Trumbull : Contribution to the Psychology of Visual Dreams. In: Mind. A Quarterly Review of Psychology and Philosophy 1 7. London 1 892. s. 299-304. Lehmann, Alfred : Aberglaube und Zauberei von den ältesten Zeiten an bis in die Gegenwart. Stuttgart 1 898. Lehmann, Alfred : Die körperlichen Äußerungen psychischer Zustände: 3 Teile. Leipzig 1 899. Leibniz, Gottfried Wilhel m : Kleinere philosophische Schriften. Leipzig 1 883. Leibniz, Gottfried Wilhelm : Die Theodicee. 2 Bände. Leipzig 1 884. Loewenfeld, Leopold : Über hysterische Schlafzustände, deren Beziehungen zur Hypnose und zur Grande Hysterie. I n : Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 22 und 23. Berlin 1 89 1 / 1 892. S. 71 5-738/S. 40-69. Loewenfeld, Leopold : Der Hypnotismus. Handbuch der Lehre von der Hyp nose und der Suggestion, mit besonderer Berücksichtigung ihrer Bedeutung für Medicin und Rechtspflege. Wiesbaden 190 1 . Macario, M . M . A . : Des Hallucinations. I n : Annales medico-psychologiques 6 und 7. Paris 1 845/1 846. S. 3 1 7-349/S. 1 3-45. Macdon eil, A. A.: A Practical Sanskrit Dictionary. London 1924. MacNish, Robert: The Philosophy of Sleep. Glasgow 1 830. Maury, Louis Ferdinand Alfred : Le Sommeil et !es reves. Etudes psycho logiques sur ces phenomenes et !es divers etats qui s'y rattachent. Paris 1 86 1 . McConnell, Roben A . : ESP - Fact o r Fancy? I n : The Sciemific Momhly 49. Lancaster/Pa. 1949. Meier, Carl Alfred : Spontanmanifestationen des kollektiven Unbewußten. I n : Zentralblatt für Psychotherapie I I . Leipzig 1939. S. 284-303. Meier, Carl Alfred : Zeitgemäße Probleme der Traumforschung. Zürich 1950. Mesnet, Ernest: De l'Automatisme de Ia memoire et du souvenir dans Je somnambulisme pathologique. I n : Union medicale 1 8/87. Paris 1 874. S. I05- 1 1 2 .
256
B I B L I O G RA P H I E
Mesnet, Ernest: Somnambulisme spontane dans ses rapports avec l'hysterie. I n : Archives de Neurologie 69. Paris 1 892. S. 289-304. Mitchell, Silas Weir: Mary Reynolds. A Case of Double Consciousness. In Transaceions of the College of Physicians of Philadelphia 10. Philadelphia 1 8 8 8 . s. 366-389. Mörchen, Friedrich : Über Dämmerzustände. Ein Beitrag zur Kenntnis der pathologischen Bewußtseinsveränderungen. Marburg 1 90 1 . Moll, Albert: Die Bewußtseinsspaltung i n Paul Lindaus neuem Schauspiel. I n : Zeitschrift für Hypnotismus, Psychotherapie, sowie andere psychephysio logische und psychopathalogische Forschungen 1 . Leipzig 1 893. S. 306- 3 1 0. Moser, Fanny: Spuk. Irrglaube oder Wahrglaube. Baden 1950. Müller, Johannes : Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Eine phy siologische Untersuchung mit einer physiologischen Urkunde des Aristote les über den Traum, den Philosophen und Ärzten gewidmet. Coblenz 1 82 6 . Myers, Frederic W. H. : Automatie Writing. In : Proceedings of t h e Society for Psychical Research 3 . London 1 8 8 5 . S. 1 -63. Naef, Max: Ein Fall von temporärer, totaler, theilweise retrograder Amnesie (durch Suggestion geheilt). Leipzig 1 89 8 . Nelken, Jan : Analytische Beobachtungen über Phantasien eines Schizophre nen. I n : Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathalogische For schungen 4. Leipzig und Wien 1 9 1 2 . S. 504-562. Nietzsche, Friedrich : Also sprach Zarathustra. Werke. Band 6. Leipzig 190 1 . Nietzsche, Friedrich : Ecce homo. I n : Werke. Band 1 5 . Leipzig 1 9 1 1 . Origenes : D e principiis. Migne P. G . X I I I col. 255-544. Paracelsu s : Das Buch Paragranum. Herausgegeben von Franz Strunz. Leipzig 1 90 3 . Paracelsus: Sämtliche Werke. Herausgegeben v o n Kar! Sudhoff und Wilhelm Matthiesen. 1 5 Bände. München und Berlin 1 9 22 - 1 9 3 5 . Pauli, Wolfgang : D e r Einfluß archetypischer Vorstellungen a u f d i e Bildung naturwissenschaftlicher Theorien bei Kepler. I n : C. G. Jung/Wolfgang Pau l i : Naturerklärung und Psyche. Zürich 1952. Pelman, Carl : Über das Verhalten des Gedächtnisses bei den verschiedenen Formen des Irreseins. I n : Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psy chisch-gerichtliche Medicin 2 1 . Berlin 1 864. S. 63- 1 2 1 . Philo Iudaeus: De opificio mundi. Opera 1 . Herausgegeben von Leopold Cohn. Berlin 1 896. Pick, Arnold : Vom Bewußtsein in Zuständen sogenannter Bewußtlosigkeit. I n : Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 1 5 . Berlin 1 884. S. 202223 . Pick, Arnold : Über pathologische Träumerei und ihre Beziehungen zur Hy sterie. I n : Jahrbücher für Psychiatrie und Neurologie 1 4 . Leipzig und Wien 1 89 6 . S . 280-30 1 . Pico della Mirandola, Giovanni: Heptaplus. Opera omnia. Basel 1 557. Pratt, J. G .!J . B . Rhine/B . M . Smith/Ch . E . Stuart/j . A . Greenwood : Extra Sensory Perception after Sixty Years. New York 1940. Preyer, W. : Die Erklärung des Gedankenlesens. Leipzig 1 886. Prince, M o rton : A n Experimental Study of Visions. In: Brain. A Journal of Neurology 2 1 . London 1 89 8 . S. 528-546.
B I B L I O G RA P H I E
257
Prosperus Aquitanus : Sententiae ex Augustino delibatae. Mauriner Augusti nus-Ausgabe 10 co. 2566 ; Migne P. G. LI, col. 435 und 468. Proust, A. A . : Cas curieux d'automatisme ambulatoire chez un hysterique. I n : Tribune medicale 23. Paris 1 890. S. 202f. Quicherat, Jules (Hrsg.) : Proces de condamnation et de .rehabilitation de J ean ne d'Arc, dite La Pucelle . . . 5 Bände. Paris 1 841 - 1 849. Redlich, Johann : Ein Beitrag zur Kenntniß der Pseudologia phantastica. In: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medicin 57. Berlin 1900. S. 65 f. Rhine, J . B . : An Introduction to the Work of Extra-Sensory Perception. I n : Transactions o f the New York Academy of Sciences, series II/ 1 2 . New York 1950. S. 1 64 - 1 68. Rhine, J. B.: Extra-Sensory Perception. Boston 1934. Rhine, J . B . : New Frontiers of the Mind. New York und London 1937. Deutsc h : Neuland der Seele. Stuttgart 1938. Rhine, J. B.: The Reach of the Mind. London 1948. Rhine, J. B ./Betty M. Humphrey: A Transoceanic ESP Experiment. I n : Jour nal of Parapsychology 6. Durham/N. C. 1942. S. 52-74. Ribot, Theodule Armand: Die Persönlichkeit. Pathologisch-psychologische Studien. Berlin 1 894. Richer, Paul : Etudes cliniques sur l'hystero-epilepsie ou grande hysterie. Paris 1 88 1 . Richet, Charles: La Suggestion mentale e t J e calcul des probabilites. I n : Revue philo�ophique de France et de l'etranger 1 8 . Paris 1 884. S. 609-674. Richet, Charles: Relations de diverses experiences sur transmission mentale, Ia lucidite, et autres phenomenes non explicables par !es donnees scientifiques actuelles. I n : Proceedings of the Society for Psychical Research 5. London 1 888. s. 1 8- 168. Rieger, Conrad : Der Hypnotismus. Jena 1 884. Rosenberg, Alfons : Zeichen am Himmel. Das Weltbild der Astrologie. Zürich 1949. Schmiedler, G . R . : Personality Correlates of ESP as Shown by Rorschach Studies. I n : Journal of Parapsychology 1 3 . Durham/N. C. 1949. S. 23-3 1 . Scholz, Wilhelm von: Der Zufall. Eine Vorform des Schicksals. Stuttgart 1924. Schopenhauer, Arthur: Parerga und Paralipomena. Kleine philosophische Schriften. Herausgegeben von R. von Koeber. 2 Bände. Berlin 1 89 1 . Schroeder van der Kolk, J acobus L. C. : Pathologie und Therapie der Geistes krankheiten auf anatomisch-physiologischer Grundlage. Braunschweig 1 863. Schüle, Heinrich: Handbuch der Geisteskrankheiten. Leipzig 1 878. Silberer, Herbert: Der Zufall und die Koboldstreiche des Unbewußten. Bern und Leipzig 192 1 . Soal, S. G . : Science and Telepathy. I n : Enquiry 1 12. London 1948. S . S-7. Speiser, Andreas : Über die Freiheit. Basel 1950. (Baseler Universitätsreden 28). Spielrein, Sabina: Über den psychologischen Inhalt eines Falles von Schizo phrenie. In: Jahrbuch für psychoanalytische und psychepathologische For schungen 3. Leipzig und Wien 191 1 . S. 329-400.
258
B I B L I O G RA P H I E
Steffens, Pau l : Über drei Fälle von »Hysteria magna• . I n : Archiv für Psychia trie und Nervenkrankheiten 33. Berlin 1900. S. 892-92 8 . Stekel, Wilhelm : D i e Verpflichtung des Namens. I n : Mollsehe Zeitschrift für Psychotherapie und medizinische Psychologie 3. Stutegart 1 9 1 1 . S. l l O ff. Synesius Cyrenensis : Opuscula. Herausgegeben von Nicolaus Terzaghi. Rom 1 944. Tao Te King. A New Translation by Ch'u Ta-Kao. London 1937. Thorndike, Lyn n : A History of Magie and Experimental Science During the First Thirteen Centuries of our Era. 6 Bände. New York 1 929- 194 1 . Thury : Siehe Cassini. Tyrrell, G. N. M . : The Personality of Man. New York 1946 und London 1 947. Westphal, C. : Die Agoraphobie, eine neuropathische Erscheinung. I n : Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 3. Berlin 1 87 1 . S. 1 38- 1 6 1 . Weyl, Herman n : Wissenschaft als symbolische Konstruktion des Menschen. I n : Eranos-Jahrbuch 1 6 ( 1948 ) . Zürich 1 949. White, Seewart Edward: Across the Unknown. New York 1939. White, Stewart Edward: The Betty Book. Excursions into the World of Ot her-Consciousness. Made by Betty between 1919 and 1 936. New York 1937. White, Stewart Edward: The Road I Know. New York 1942. White, Seewart Edward : The Unobstructed Universe. New York 1940. Deutsch : Uneingeschränktes Weltall. Vorwort von C. G. Jung. Zürich 1 948. Wilhelm, Richard : Chinesische Lebensweisheit. Darmstadt 1 922. Winslow, Forbes Benignus : On Obscure Diseases of the Brain and Disorders of the Mind. London 1 860. Wolff, Toni : Einführung in die Grundlagen der Komplexen Psychologie. I n : Die kulturelle Bedeutung d e r Komplexen Psychologie. Festschrift z u m 60. Geburtstag von C. G. Jung. Herausgegeben vom Psychologischen Club Zü rich. Berlin 1935. Wu, Lu-Ch'iang/T. L. Davis : An Ancient Chinese Treatise on Alchemy entit led Ts'an T'ung Ch'i. I n : Isis 1 8. Brügge 1932. S. 2 1 0-289. Zell er, Eduard : Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Ent wicklung. 6 Bände. 2. Auflage. Tübingen 1 859. Zschokke, Johann Heinrich Daniel : Eine Selbstschau. 3. Auflage. Aarau 1 843. Zünde!, Friedrich : Pfarrer Joh. Christoph Blumhardt. Ein Lebensbild. Zürich und Heilbronn 1 880.
Quellennachweis
Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge ( 1952) : Erstdruck
mit >Der Einfluß archetypischer Vorstellungen auf die Bildung naturwissen schaftlicher Theorien bei Kepler< von Wolfgang Pauli in dem Band >Natur erklärung und Psyche< (Rascher: Zürich 1952 ; Studien aus dem C. G. Jung Institut 4). Der Text der Taschenbuchausgabe folgt: Gesammelte Werke (GW), Band 8, herausgegeben von M arianne Niehus-Jung, Lena Hurwitz Eisner, Franz Riklin, Lilly Jung-Merker, Elisabeth Rüf, 4. Auflage, Olten 1987, s. 457-553. Briefe über Synchronizität ( 1950-1955) : Erstdruck in : Gesammelte Werke (GW), Band 1 8/2, herausgegeben von Lilly Jung-Merker, Elisabeth Rüf, l . Auflage, Olten 198 1 , S. 537-544. Die psychologischen Grundlagen des Geisterglaubens ( 1928) : Vortrag 1919 in der British Society for Psychical Research, abgedruckt unter dem Titel >The Psychological Foundations of Belief in Spirits< in >Proceedings of the Socie ty for Physical Research< 3 1 /79 (London 1920). Deutsche Fassung in >Über die Energetik der Seele< (Rascher: Zürich 1928) und bearbeitet und erweitert in >Über psychische Energetik und das Wesen der Träume< (Rascher: Zürich 1948, 1965, Studienausgabe Walter: Olten 1971). Der Text der Taschen buchausgabe folgt: Gesammelte Werke (GW), Band 8, herausgegeben von Marianne Niehus-Jung, Lena Hurwitz-Eisner, Franz Riklin, Lilly Jung Merker, Elisabeth Rüf, 4. Auflage, Olten 1987, S. 329-348. Über spiritistische Erscheinungen ( 1905) : Vortrag 1905 am Bernoullianum in Basel. Erstdruck in Fortsetzungen in >Basler Nachrichten< (Nr. 3 1 1 - 3 1 6 , 1 2 . - 1 7. 1 1 . 1905). Der Text der Taschenbuchausgabe folgt: Gesammelte Werke (GW), Band 1 8 / 1 , herausgegeben von Lilly Jung-Merker, Elisabeth Rüf, l . Auflage, Olten 198 1 , S. 3 1 7-333. Drei Vorreden ( 1948, 1950, 1958): [White} Vorwort in der deutschen Ausgabe des genannten Werks (Origo : Zürich 1948) und unter dem Titel >Psycholo gie und Spiritismus< abgedruckt in der >Neuen Schweizer Rundschau< (7. 1 1 . 1948). - [Moser] Vorwort und Beitrag in dem genannten Werk (Gyr: Baden 1950). - Oaffe] Vorwort in dem genannten Werk (Rascher: Zürich 1958). Die Texte der Taschenbuchausgabe folgen : Gesammelte Werke (GW), Band 1 8/ 1 , herausgegeben von Lilly Jung-Merker, Elisabeth Rüf, 1 . Auflage, 01ten 198 1 , S. 338-343, S. 344-355, S. 356-358. Zur Psychologie und Pathologie sogenannter okkulter Phän omene ( 1902) : Inauguraldissertation bei Eugen Bleuler an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich (Mutze: Leipzig 1902). Der Text der Taschenbuchausga be folgt: Gesammelte Werke (GW), Band 1, herausgegeben von Marianne Niehus-Jung, Lena Hurwitz-Eisner, Franz Riklin unter Mitarbeit von Lilly Jung-Merker, Elisabeth Rüf, 3. Auflage, Olten 198 1 , S. 1 -98.
Übersicht der Ausgabe >Gesammelte Werke< von C. G. Jung, erschienen im Walter-Verlag, Olten 1 9 7 1 -1990 Die mit '' gekennzeichneten Texte sind enthalten in der C. G . Jung-Taschenbuchausgabe, Deutscher Taschenbuch Verlag, München. (""'' = Auszüge.)
1. Band ( 1966, 3. Auf!. 1 98 1 ) : Psychiatrische Studien Zur Psychologie und Pathologie sogenannter okkulter Phänomene ( 1 902)''· Über hysterisches Verlesen (1904) Krypromnesie ( 1 905) Über manische Verstimmung ( 1 903) Ein Fall von hysterischem Stupor bei einer Untersuchungsgefangenen ( 1 902) Über Simulation von Geistesstörung ( 1 903) Ärztliches Gutachten über einen Fall von Sirnu lar.ion geistiger Störung ( 1904) Obergutachten über zwei widersprechende psychiatrische Gutachten ( 1 906) Zur psychologischen Tatbestandsdiagnostik ( 1905) 2 . Band ( 1979, 2 . Aufl. 1987): Experimentelle Untersuchungen Experimentelle Untersuchungen über die Assoziationen Gesunder (Mit Franz Riklin) ( 1 904) Analyse der Assoziationen eines Epileptikers ( 1905) Über das Verhalten der Reaktionszeit beim Assoziationsexperimente ( 1905) Experimentelle Beobachtungen über das Erinnerungsvermögen ( 1905) Psychoanalyse und Assoziationsexperiment ( 1905) Die psychologische Diagnose des Tatbestandes ( 1905) Assoziation, Traum und hysterisches Symptom ( 1 906) Die psychopathalogische Bedeutung des Assoziationsexperimentes (1906) Über die Reproduktionsstörungen beim Assoziationsexperiment ( 1907) Die Assoziationsmethode ( 1 9 1 0) Die familiäre Konstellation ( 1 9 1 0) Über die psychophysischen Begleiterscheinungen im Assoziationsexperiment ( 1907) Psychophysische Untersuchungen mit dem Galvanometer und dem Pneumographen bei Normalen und Geisteskranken (Mit Frederick Peterson) ( 1907) Weitere Untersuchungen über das galvanische Phänomen, Pneumographen und die Respiration bei Normalen und Geisteskranken Uung und Ricksher) ( 1 907) Statistisches von der Rekrutenaushebung ( 1906) Neue Aspekte der Kriminalpsychologie ( 1 908) Die an der psychiatrischen Klinik in Zürich gebräuchlichen psychologischen Untersuchungsmethoden ( 1 9 1 0) Ein kurzer Überblick über die Komplexlehre ( 19 1 1 ) Z u r psychologischen Tatbestandsdiagnostik ( 1 937) 3 . Band ( 1 968, 3. Auf!. 1985) : Psychogenese der Geisteskrankheiten Über die Psychologie der Dementia praecox ( 1907) Der Inhalt der Psychose ( 1908) Kritik über E . Bleuler: Zur Theorie des schizophrenen Negativismus ( 1 9 1 1 ) Über d i e Bedeutung des Unbewußten i n d e r Psychopathologie ( 1 9 1 4) Über das Problem der Psychogenese bei Geisteskrankheiten ( 1 9 19) Geisteskrankheit und Seele ( 1928) Über die Psychogenese der Schizophrenie ( 1939) Neuere Betrachtungen der Schizophrenie ( 1956) Die Schizophrenie ( 1 958)
Ü B E R S I C HT D E R AUSGABE >G ESAMM ELTE W E R K E <
261
4. Band ( 1969, 3 . Aufl. 1985): Freud und die Psychoanalyse Die Hysterielehre Freuds ( 1906) Die Freudsche Hysterietheorie ( 1 908) Die Traumanalyse ( 1909) Ein Beitrag zur Psychologie des Gerüchtes ( 1 9 1 0) Ein Beitrag zur Kenntnis des Zahlentraumes ( 19 1 0) Morton Prince ·The Mechanism and Interpretation of Dreams• ( 1 9 1 1 ) Zur Kritik über Psychoanalyse ( 19 1 0) Zur Psychoanalyse ( 1912) Versuch einer Darstellung der psychoanalytischen Theorie ( 1 9 1 3 ) Allgemeine Aspekte d e r Psychoanalyse ( 1 9 1 3 ) Über Psychoanalyse ( 19 1 6) Psychotherapeutische Zeitfragen (Briefwechsel mit R. Loy) (19 1 4) Vorreden zu •Collected Papers on Analytical Psychology• ( 19 1 6) Die Bedeutung des Vaters für das Schicksal des Einzelnen (1909) Einführung zu W. M. Kranefeldt •Die Psychoanalyse• ( 1 930) Der Gegensatz Freud und Jung ( 1929, 1969)'' 5. Band ( 1 973, 5. Aufl. 1988) : Symbole der Wandlung ( 1952) (Neubearbeitung von •Wandlungen und Symbole der Libido•, 191 2'') 6. Band ( 1960, 1 5 . Aufl. 1986) : Psychologische Typen ( 192 1 )'"' 7. Band ( 1964, 4. Aufl. 1989): Zwei Schriften über die analytische Psychologie Über die Psychologie des Unbewußten ( 1 943, 1966) Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewußten ( 1928, 1966)'' Anhang: Neue Bahnen der Psychologie ( 1 9 1 2), Die Struktur des Unbewußten ( 19 1 6 ) 8 . Band ( 1967, 1 5. Aufl. 1987) : Die Dynamik des Unbewußten Über die Energetik der Seele ( 1928) Die transzendente Funktion ( 19 1 6) Allgemeines zur Komplextheorie (1934) Die Bedeutung von Konstitution und Vererbung für die Psychologie ( 1929) Psychologische Determinanten des menschlichen Verhaltens ( 1936) Instinkt und Unbewußtes ( 1 928) Die Struktur der Seele ( 1928)'' Theoretische Überlegungen zum Wesen des Psychischen ( 1 947) Allgemeine Gesichtspunkte zur Psychologie des Traumes ( 1928)''' Vom Wesen der Träume (1945)"" Die psychologischen Grundlagen des Geisterglaubens ( 1928)'' Geist und Leben ( 1 926)'' Das Grundproblem der gegenwärtigen Psychologie ( 1931 )'' Analytische Psychologie und Weltanschauung ( 1 93 1 ) '' Wirklichkeit und Überwirklichkeit ( 1933) Die Lebenswende (1931 )'' Seele und Tod ( 1 934)" Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge ( 1 952)" Über Synchronizität ( 1952) 9/l. Band ( 1976, 6 . Aufl. 1985): Die Archetypen und das kollektive Unbewußte Über die Archetypen des kollektiven Unbewußten ( 1 935)''· Der Begriff des kollektiven Unbewußten (1936)'' Über den Archetypus mit besonderer Berücksichtigung des Animabegriffes ( 1936) ''· Die psychologischen Aspekte des Mutterarchetypus ( 1939)''
262
Ü B E R S I C H T D E R A U S G A B E > G E S A M M E LT E W E R K E <
Über Wiedergeburt (1940) Zur Psychologie des Kindarchetypus (1940)* Zum psychologischen Aspekt der Korefigur (194 1 ) * Z u r Phänomenologie d e s Geistes i m Märchen (1946) Zur Psychologie der Tricksterfigur ( 1954)'' Bewußtsein, Unbewußtes und Individuation (1939) Zur Empirie des Individuationsprozesses ( 1 934) Über Mandalasymbolik ( 1938) Mandalas ( 1955) 9/ll. Band ( 1976, 6. Auf!. 1985): Aion. Beiträge zur Symbolik des Selbst (195 1 ) Das Ich Der Schatten Die Syzygie: Anima und Aniinus Das Selbst Christus, ein Symbol des Selbst Das Zeichen der Fische Die Prophezeiung des Nostradamus Über die geschichtliche Bedeutung des Fisches Die Ambivalenz des Fischsymbols Der Fisch in der Alchemie Die alchemistische Deutung des Fisches Allgemeines zur Psychologie der christlich-alchemistischen Symbolik Gnostische Symbole des Selbst Die Struktur und Dynamik des Selbst Schlußwort 10. Band ( 1974, 3 . Auf!. 1986) : Zivilisation im Übergang Über das Unbewußte ( 1 9 1 8) Seele und Erde ( 1931 )"" Der archaische Mensch ( 193 1 ) '' Das Seelenproblem des modernen Menschen ( 1928)'' Das Liebesproblem des Studenten (1928) Die Frau in Europa (1927, 1965) Die Bedeutung der Psychologie für die Gegenwart (1933)'' Zur gegenwärtigen Lage der Psychotherapie (1934) Vorwort zu •Aufsätze zur Zeitgeschichte< ( 1946) Wotan ( 1936) Nach der Katastrophe ( 1945) Der Kampf mit dem Schatten ( 1946) Nachwort zu •Aufsätze zur Zeitgeschichte< ( 1 946) Gegenwart und Zukunft (1957) Ein moderner Mythus: Von Dingen, die am Himmel gesehen werden ( 1958) Das Gewissen in psychologischer Sicht ( 1958) Gut und Böse in der analytischen Psychologie (1959) Vorrede zu: Toni Wolff •Studien zu C. G. Jungs Psychologie< ( 1959) Die Bedeutung der schweizerischen Linie im Spektrum Europas (1928) Der Aufgang einer neuen Welt ( 1930) Ein neues Buch von Keyserling •La Revolution mondiale et Ia responsabilite de l'esprit< ( 1934) Komplikationen der amerikanischen Psychologie ( 1930) Die träumende Welt Indiens ( 1939) Was Indien uns lehren kann ( 1939) Verschiedenes (Neun kurze Beiträge 1933-1938)
ÜBERSICHT D E R AUSGABE >G ESAMM ELTE WERKE<
263
I I . Band ( 1963, 5 . Auf!. 1988): Zur Psychologie westlicher und östlicher Religion Psychologie und Religion (1940)'' Versuch einer psychologischen Deutung des Trinitätsdogmas (1942) Das Wandlungssymbol in der Messe (1942)'' Geleitwort zu Victor Withe: Gou und das Unbewußte (1952) Vorrede zu Zwi Werblowsky: Lucifer und Prometheus ( 1952) Bruder Klaus ( 1933) Über die Beziehung der Psychotherapie zur Seelsorge ( 1 932)"· Psychoanalyse und Seelsorge ( 1928)'' Antwort auf Hiob ( 1952)'' Psychologischer Kommentar z u : Das tibetische Buch der großen Befreiung ( 1 955) Psychologischer Kommentar zum Bardo Thödol (1935) Yoga und der Westen ( 1936) Vorwort zu Daisetz Teitaro Suzuki: Die große Befreiung (1939) Zur Psychologie östlicher Meditation (1943) Über den indischen Heiligen. Einführung zu Heinrich Zimmer: Der Weg zum Selbst (1 944) Vorwort zum I Ging (1950)
12. Band ( 1972, 5. Auf!. 1987) : Psychologie und Alchemie (1944)''* 1 3 . Band ( 1978, 2. Auf!. 1982): Studien über alchemistische Vorstellungen Kommentar zu •Das Geheimnis der goldenen Blüte< (1929) Die Visionen des Zosimos (1938) Paracelsus als geistige Erscheinung (1942) Der Geist Mercurius ( 1943) Der philosophische Baum ( 1945) 1 4/ 1 . Band (1968, 4 . Auf!. 1984): Mysterium Coniunctionis (1955) Die Komponenten der Coniunctio Die Paradoxa Die Personifikationen der Gegensätze 14/11. Band ( 1968, 4. Auf!. 1984) : Mysterium Coniunctionis ( 1955) Rex und Regina Adam und Eva Die Konjunktion 1 4/111. Band (1971, 3. Auf!. 1984): Mysterium Coniunctionis, Ergänzungsband (Herausgegeben und kommentiert von Marie-Louise von Franz) Aurora Consurgens 1 5 . Band (1 971, 4. Auf!. 1984): Über das Phänomen des Geistes in Kunst und Wissenschaft Paracelsus ( 1929)" Paracelsus als Arzt ( 1 94 1 ) Sigmund Freud als kulturhistorische Erscheinung (1932)'' Sigmund Freud ( 1939) Zum Gedächtnis Richard Wilhelms ( 1930) Über die Beziehung der Analytischen Psychologie zum dichterischen Kunstwerk (1922)'' Psychologie und Dichtung (1930) ·Uiysses< (1932)'' Picasso (1932)''
264
Ü B E R S I C H T D E R A U S G A B E > G E S A M M E LT E W E R K E <
16. Band ( 1958, 4 . Auf!. 1984) : Praxis der Psychotherapie Grundsätzliches zur praktischen Psychotherapie ( 1935) Was ist Psychotherapie? (1935) Einige Aspekte der modernen Psychotherapie (1930) Ziele der Psychotherapie ( 1929)'' Die Probleme der modernen Psychotherapie (1929)'' Psychotherapie und Weltanschauung {1943) Medizin und Psychotherapie ( 1945) Die Psychotherapie in der Gegenwart (1945) Grundfragen der Psychotherapie ( 195 1 ) Der therapeutische Weg des Abreagierens (192 1 ) Die praktische Verwendbarkeit der Traumanalyse (1934)'' Die Psychologie der Übertragung (1946)'' 1 7. Band ( 1972, 5 . Auf!. 1985): Über die Entwicklung der Persönlichkeit Über Konflikte der kindlichen Seele (1910) Einführung zu Frances G. Wickes •Analyse der Kinderseele< (193 1 ) Die Bedeutung der Analytischen Psychologie für die Erziehung { 1923) Analytische Psychologie und Erziehung { 1926) Der Begabte ( 194 3) Die Bedeutung des Unbewußten für die individuelle Erziehung (1928) Vom Werden der Persönlichkeit ( 1934)''· Die Ehe als psychologische Beziehung {1925)'' 1 8/1. Band (198 1 ) : Das symbolische Leben Über Grundlagen der analytischen Psychologie ( 1935) Symbole und Traumdeutung {1961 )'' Das symbolische Leben {1939) Ergänzungen zu GW I, 3, 4''* 1 8/11. Band (198 1 ) : Das symbolische Leben*'' Ergänzungen zu GW 5, 7- 1 7 1 9 . Band {1983): Bibli<;>graphie Die veröffentlichten Schriften von C. G. Jung (Original werke und Übersetzungen) Die Gesammelten Werke von C. G. Jung Die Seminare von C. G. Jung 20. Band : Gesamtregister (noch nicht erschienen) Supplementband (1987): Kinderträume (Herausgegeben von Lorenz Jung und Maria Meyer-Grass) Vorlesungen 1936-1941
Namenregister
Abegg, Lily 68 Agrippa von Nettesheim 7 1-74 Aegidius de Vadis 74 Aksakow, Alexander N. 127 Albertus Magnus 36 f. Ammianus Marcellinus 1 3 0 Aristoteles 7 5 Augustinus, Aurelius 96 Avicenna 36 Azam, Charles Marie Etienne-Eugene 1 72, 224 Baetz, E. von 232 Bain, Alexander 2 1 3 Ballet, Gilbert 1 33, 2 1 3, 228 Behr, Albert 228 Beringer, K. 85 Bernardus Trevisanus 92 Binet, Alfred 1 66, 1 73, 1 75, 207, 209 f., 2 1 S ff., 229f., 241 Bleuler, Eugen 1 4 7, 1 68, 1 77 Böhme, 1 acob 75 Boeteau, M. 1 72 Bohn, Wolfgang 227 Bohr, Niels 69 Bonamaison, L. 232 Bourru H. 224 Brentano, Bettina 23 1 Bresler, 1ohann 245 Breuer,1oseph 238 Burot, P. 224 Burt, 2 1 Butler, Samuel 73 Camuset, Louis 224 Capron, E. W. 1 2 7 Cardanus, Hieronymus 4 3 , 220 Cassini, 1 acques Dominique (Comte de Thury) 1 30 Cellini, Benvenuto 221 Charcot,1ean Martin 1 71 , 2 1 2 Chevreul, Michel Eugene 209 Chladni, E. F. F. 1 42 Crookes, Sir William 1 09, 1 3 3 ff., 1 4 1 f., 1 47, 198 Cullerre, Alexandre 1 70 Dahns, Fritz 26 Dalcq, Albert-M. 90 Dariex, Xavier 19
Delbrück, Anton 227, 229 Dessoir, Max 236, 240 Diehl, August 1 77 Dieterich, Albrecht 7 1 Dirac, P. A. M. 9 1 Donath, 1 ulius 223 Dorneus, Gerardus 92 Drews, Arthur 70 Driesch, Hans 26, 72 Dschuang Dsi 65, 68 Dunne,1ohn William 3 1 Eckermann, Johann Peter 37, 244 Emminghaus, H. 223 Erler, 1 70, 228 Fere, - 1 75, 2 1 6 Ficin us, Marsiliu s 72 Fierz, Markus 58 f., 8 1 , 99 Flambart, Paul 42 Flammarion, Camille 19, 1 4 7 Flaubert, Gustave 232 Flournoy, Theodore 2 1 6, 2 19, 221 f., 226, 229, 232, 234, 239, 244 ff. Fludd, Robert 42, 92 Förster-Nietzsche, Elisabeth 243 Fordham, Michael l OS Fore!, August 227 Franz, Marie-Louise von 76, 79, 92 Freud, Sigmund 1 42, 2 1 8 , 230, 238 Frey-Rohn, Liliane 1 0, 56, 76 Frisch, Kar! von 8 8 f. Galilei, Galileo 38 Gauß, Kar! Friedrich 81 Geddes, Sir Auckland 87 Geulincx, Arnold 37, 77, 83 Gley, M . E . E . 209 Görres, Johann 1osef von 1 2 8 , 228, 244 Goethe, 1ohann Wolfgang von 37, 43, 1 5 1 , 1 75, 198, 220, 231 Goldeney, K.M. 95 Graeter, Carl 237 Granet, Marcel 68 Greenwood , J . A . 20 Grimm, 1 acob 96 Guinon, Georges 1 7 1 , 1 73 , 207 Gurney, Edmund 19, 38, 1 3 0
NAMENREGISTER
2 66 Hagen, F. W. 2 1 7, 220f., 232 Hardy, A. C. 73, 90 Hauptmann, Carl 238 Hecker, Just. Friedrich Carl 220, 222 Hilarius 1 30 Hippakrates 69, 7 1 Höfelt, J . A . 223 Hoffmann, E. T. A . 74, 162 Humphrey, Betty M. 22 Hutchinson, G.E. 95 Isidor von Sevilla 4 1 J acobi, Kar! 8 0 Jaffe, Aniela 74, 1 45, 1 62 James, William 1 72 f., 222 Janet, Pierre 206, 2 1 2 , 2 1 4 f., 224, 226, 229, 23 1 , 236 Jantz, Huben 85 Jeanne d'Arc 1 33, 22 1 , 240 Jeans, Sir J ames 90 f. J essen, Peter Willers 239 Jordan, Pascual 38 Karplus, ]. P. 237 Kammerer, Paul 1 3, 24 Kant, l mmanuel 1 8, 62, 131 ff., 1 5 1 , 20 1 Kardec, Allan 1 3 9 Kepler, Johannes 7 5 f., 8 2 , 92 Kerner, Justinus 1 2 8 , 1 30, 1 88, 195, 205, 227, 243, 247f. Khunrath, Heinrich 92 Kloeckler, H. von 42 Knobloch, Charlotte von 1 3 1 Knoll, Max 46 Krämer, Augustin Friedrich 25 Krafft, K . - E . 46 Krafft-Ebing, Richard von 1 32, 1 70, 246 Kronecker, Leopold 8 1 Künkel, Fritz 1 25 , 1 45
Maier, Michael 92 Maury, Louis Ferdinand Alfred 220 McConnell, Roben A . 23 Meier, Carl Alfred 79, 1 1 8 Mesmer, Franz Anton 1 29, 232 Mesnet, Ernest 1 73 f. Mitchell, Weir 222 Mörchen, Friedrich 1 77 Moll, Albert 224 Moser, Fanny 1 50, 1 53, 1 6 1 Müller, Johannes 220 Myers, Frederic W. H . 19, 38, 1 09, 1 30, 2 1 3 f. Naef, Max 1 7 1 , 1 74 Napoleon I. 196 Napoleon III. 1 33 Nelken, J an 1 1 8 Nietzsche, Friedrich 242 ff. Origenes 96 Paracelsus, Theophrastus 74 Patricius 1 30 Pauli, Wolfgang 23, 69, 77, 92 Paulus l ! S f., 132 Pelman, Carl 1 76, 239 Philo J udaeus 34, 69 Pick, Arnold 1 76, 227 f. Pico della Mirandola, Giovanni 70 f. Platon 68 Plotin 70 Podmore, Frank 19, 38, 1 30 Preyer, W. 2 \ 0 ff. Prince, Monon 224 Prosperus Aquitanus 96 Prau, J. G. 20 Proust, A. A . 1 72 Ptolemaeus 4 3, I 00
Ladd, George Trumbull 220 Lao-Tse 66 Legrand d u Saulle, Henri 224 Lehmann, Alfred 209f., 234 Leibniz, Gottfried Wilhelm 71 , 76-79, 83 f. Lindau, Paul 224 Lodge, Sir Oliver 147 Loewenfeld, Leopold 1 7 1 , 232 ff., 24 1 , 247f. Ludwig XVIII. 1 33
Redlich, Johann 228 f. Rhine, J. B. 20-23, 28 f., 33, 35, 59, 6 1 , 63, 79, 94, 1 0 1 , 1 46 Ribot, Theodule Armand 224 f. Richer, Paul 1 70 Richet, Alfred 1 47 Richet, Charles 19, 208f., 247 Rieger, Conrad 224
Macario, M. M . A . 222 Macdonell, A. A. 96 MacNish, Roben 1 73
SauJus siehe Paulus Schiaparelli, Giovanni 147 Schiller, Friedrich 80
Quicherat, J ules 221 Quintilian 1 5 1
267
N A M E N RE G ISTER Schmiedler, G . R . 59 Scholz, Wilhelm von 19 Schopenhauer, Artbur 1 6 ff., 71, 77, 84, 95, 128 Schroeder van der Kolk, Jacobus L. C. 223, 239 Schüle, Heinrich 220 Silberer, Herbert 20 Smith, B . M . 20 Soal, S. G. 95 Speiser, Andreas 66, 93 Spinoza, Baruch 220 Steffens, Paul 1 65 Stekel, Wilhelm 1 6 Stern, William 142 Stuart, Ch. E . 20 Swedenborg, Emanuel 62, 64, 1 28, 1 3 1 , 1 33, 198, 203, 221 Synesius 72 Theophrast 70 Thorndike, Lynn 42 Thury siehe Cassini
Tourette, Gilles de Ia 248 Tyrrell, G. N. M. 20, 23, 87, 146 Usher, 2 1 Valens ( Kaiser) 1 30 Vulpius, Christiane 43 Wallace, A . R. 1 09 Westphal, C. 1 76 Weyl, Hermann 8 1 White, Seewart Edward 1 2 4 f., 1 45 ff. Wilhelm, Richard 4 1 , 65 ff. Winslow, Benignus Forbes 1 72 Woltke, Sophie 1 73, 207 Wu, Lu-Ch'iang 65 Zell er, Ed uard 70 Zöllner,]. K. F. 1 09, 147 Zeroaster 72 Zosimos von Panopolis 71 Zschokke,Johann Heinrich Daniel 247 Zünde!, Friedrich 245
366 XIX. PsychodiqnOilik/9. Sdudtnts
0 C>
8
n m �- � c n fl , __;
n Af o n �
Testbelspiele
dtv-Atlas Ps y chologie von Hellmuth Benesch 2 Bände 208 Farbseiten von H. u. K. von Saalfeld Originalausgabe dtv 3224 I 3225
:� )
R
E1 ...._
Verena Kast im dtv Verena Kast verbindet auf einfühlsame und auch für Laien verständliche Weise die Psychoanalyse C. G. Jungs mit kon kreten Anregungen für ein ganzheitliches, erfülltes Leben. Der schöpferische Sprung Vom therapeutischen Umgang mit Krisen dtv 3 -423-3500 9 - 1 Wir sind immer unterwegs Gedanken zur Individuation dtv 3 -423-35 1 5 8-6 Imagination als Raum der Freiheit Dialog zwischen Ich und Unbewußtem dtv 3 -423-35088 - 1 Die beste Freundin Was Frauen aneinander haben dtv 3 -423 -3509 1 - 1 ·
Die Dynamik der Symbole Grundlagen der Jungsehen Psychotherapie dtv 3 -423-35 1 06-3 Freude, Inspiration, Hoffnu n g dtv 3 -423-35 1 1 6-0 Neid und Eifersucht Die H erausforderung durch unangenehme Gefühle dtv 3 -423-35 1 52 - 7 Der Schatten in uns Die subversive Lebenskraft dtv 3 -423-35 1 60-8
Märcheninterpretationen Vom gelingenden Leben Märcheninterpretationen dtv 3 -423-35 157-8 Mann und Frau im Märchen Eine psychologische Deutung dtv 3 -423 -3500 1 -6 Wege zur Autonomie dtv 3 -423 -350 1 4 - 8 Wege aus Angst u n d Symbiose Märchen psychologisch gedeutet dtv 3 -423-35020-2 Märchen als Therapie dtv 3 -423 -3502 1 -0 Familienkonflikte im Märchen Eine psychologische Deutung dtv 3 -423 -35034-2 Glückskinder Wie man das Schicksal überlisten kann dtv 3 -423-35 1 54-3
Erich Fromm im dtv >>Nicht als ob man meinte, die Liebe sei nicht so wichtig. Die Menschen hungern geradezu danach; sie sehen sich unzählige Filme an, die von glücklichen oder u nglücklichen Liebesgeschichten handeln, sie hören sich Hunderte von kitschigen Liebesliedern an - aber kaum einer nimmt an, daß man etwas tun muß, wenn man es lernen will zu lieben.<< Erich Fromm
Die Seele des Menschen
I hre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen ISBN 3 -423 -35005-9 Die Furcht vor der Freiheit
ISBN 3-423 -35024-5
Es geht um den Menschen
Tatsachen und Fiktionen in der Politik ISBN 3 -423 -35057- 1 Sigmund Freud
Seine Persönlichkeit und seine Wirkung ISBN 3 -423-35096-2
Die Kunst des Liebens
ISBN 3 -423 -361 02-6
Haben oder Sein
Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft ISBN 3 -423-36103-4 Erich Fromm heute
Zur Aktualität seines Denkens Herausgegeben von Rainer Funk u. a. ISBN 3-423 -361 66-2 Erich Fromm Gesamt ausgabe in zwölf Bänden
Herausgegeben von Rainer Funk ISBN 3 -423 -59043-2