Jan Assmann
Stein und Zeit Mensch und Gesellschaft im alten Ägypten
Wilhelm Fink Verlag München
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
3. Auflage 2003
ISBN 3-7705-2681-3
Inhalt Einführung . . . . . . . . . .
...............
9
ErsterTeil
Stein und Zeit. Grundstrukturen der symbolischen Kultur /.
Il.
III.
IY.
Zwei Kulturen
...... .
16
1. Spuren und Botschaften . 2. Zwei Bauweisen . . . . a) Bleiben und Vergehen b) Zur Entstehungsgeschichte der Steinbauweise . c) Formtendenzen der Steinarchitektur: Kolossalität und Zeichenhaftigkeit . . . . . . . . . . . 3. Zwei Schriften . . . . . . . . . . . . . . 4. Ägypten und das Problem der Hochkultur
20 24 27
Das Doppelgesicht der Zeit .
32
1. Wie schneU vergeht Zeit? 2. Zeit und Sprache . . . . a) Die Zeiteinheiten . . b) Die Zeit des Menschen und der Dinge . c) Die kosmische Zeit . . . . 3. Theologie der Zeit . . . . . . . . . . . .
32 35 35 37 39 47
Magische Weisheit. Wissensformen im ägyptischen Kosmotheismus . . . . . .
59
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
59 59 61 63 67 69 73
Kosmotheismus . . . . . . . . . . . . Adam und Adapa: Wissen und Sterben Die magische Weisheit des Herrschers Kosmographien . . . . . . . . . . . Eritis sicut Deus: Göttliche Weisheit Bildersturz . . . . . . Vor Sonnenuntergang . . . . . . . .
16 17 18 19
Sprachbezug und Weltbezug der Hieroglyphenschrift
16
1. Bildhaftigkeit und Weltreferenz . . . . . . . . . a) Weltbezug und Sprachbezug . . . . . . . . . b) Ursprung und Entwicklung der Hieroglyphen c) Bild und Schrift: Interdependenz und komplementäre Multimedialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76 76 79 81
6
Inhalt
2. Inschriftlichkeit: Monumentale Präsenz und situative Verankerung . . . . . . . . . . a) Semiotische Interferenz . . . . . . . b) Monumentalität und Unsterblichkeit 3. Systemoffenheit: Die Welt als Text . . . a) Idolatrie und unmittelbare Signifikation b) Krokodilizität, oder: Die Welt als Text
86 86 87
88 88
90
Zweiter Teil:
Menschenbild und Lebensformen V.
VI.
Das Bild des Vaters
. .
96
A. Der lebende Vater . . . . . . 1. Der Vater als Erzeuger: Geschlecht und Abstammung 2. Der Vater als Ernährer: Versorgung und Schutz . 1. Der Vater als Erzieher: Untetweisung und Sozialisation
96 96 100 104
"B. Der tote Vater . . . . . 1. Die Horus- Konstellation im Totenkult . . . . 2. Die mythische Fassung der Horns-Konstellation 3. Die Vater-Sohn-Konstellation auf der Ebene des Götterkults und des ägyptischen Königtums 4. Die Karnutcf-Konstellation . . .
115 118
Das Bildnis in der ägyptischen Kunst. Stile und Funktionen bildlicher Selbstdarstellung . . .
125 128 134 138
Vorbemerkung . . 138 1. Das ägyptische Porträt als Gattung monumentaler 138 Selbstthematisierung 2. Porträtplastik des Alten Reichs 142 a) Magischer Realismus . . . 142 b) Das Königsporträt im Alten Reich . 144 c) Generalität der vollkommenen Serienproduktion: 146 Die private Porträtplastik der 5. und 6. Dyn. 3. Idealporträt und Schönheitssinn in der 18. Dynastie 148 4. Expressiver Realismus: die Bildniskunst des Mittleren Reichs 150 5. Individualismus der Unsterblichkeit 159 VII.
Schrift, Tod und Identität. Das Grab als Vorschule der Literatur . . . . . . .
169
1. Schrift und Unsterblichkeit- allgemeine Vorüberlegungen 2. Die biographische Grabinschrift im Alten Reich 3. Biographie und Literatur . . . . .
169 178 189
Inhalt
V 111. Der schöne Tag. Sinnlichkeit und Vergänglichkeit im altägyptischen Fest. . . . . . . . . . . . . .
7
200
A. Die Form des Festes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellige Feste: Die Gastmahlsszene in den Beamtengräbern der 18. Dynastie ( 1500- 1300 v. Chr.) . . . . . . . . a) Die Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Auratisierung des Augenblicks: Stimmung und Atmosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Zeugnis der Texte: Der "schöne Tag" 2. Das Intimfest . . . . .
200
B. 1. 2. 3. 4.
215 215 218 220 223
Die Weisheit des Festes . . . . . . . Die Harfnerlieder . . . . . . . . . . Das Herz: Vergessen und Vergnügen Memento Mori . . . . . Das Fest als "Heterotop" . . . .
200 200 205 209 213
Dritter Teil:
Staat und Geschichte IX.
Politik zwischen RitWll und Dogma . . . . . . . . . . . . A. Solidarität von Heil und Herrschaft: die ,Göttlichkeit' königlichen Handeins . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allmachtswahn und Despotismus: Pharao von außen gesehen 2. Göttlichkeit des Herrschens: Pharao von innen gesehen a) Grundlagen des Göttlichkeitsdogmas: Verkörperung und Sohnschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wandlungen des Göttlichkeitsdogmas: identitäre und repräsentative Theokratie . . . . . . . . . . . . . . B. 1. 2. 3.
X.
Routine und Ritual: die Struktur königlichen Handeins Allgemeinverbindlichkeit und Überindividualität . Partner und Objekte königlichen Handeins . . . . Rollenkonformität . . . . . . . . . . . . . . . .
238 238 238 240 240 241 245 245 246 250
C. Ansätze eines Handlungsspielraums im politischen Denken des Mittleren und Neuen Reichs . 1. Das Mittlere Reich : Rhetorik der Motive 2. Das Neue Reich: Semiotik des Ereignisses
251 252 257
Königsdogma und Heilserwartung. Politische und kultische Chaosbeschreibungen . . . . . . . . . .
259
Vorbemerkung: Geschichte als Fest- die Negation der Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . .
259
8
Inhalt
1. Die Klagen des Mittleren Reichs . . . . . . a) die Admonitions: das Gott zum Vorwurf gemachte Böse . . . . . . . . . . . . . . b) Exkurs: die .,Kosmotelie" von Totenbuch Kap. 175 und ihr Vorläufer . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Chacheperreseneb: die Chaos-Klage als Ausdruck pessimistischer Weltsicht . . . . . . . . . . . . . . d) Das Selbstgespräch des .,Lebensmüden": das Verstummen zwischenmenschlicher Verständigung 2. Politische Prophezeiungen . . . . . . a) Neferti . . . . . . . . . . . . . . . b) Töpferorakel und demotische Texte 3. Königsinschriften des Neuen Reichs a) Tutanchamun und die Amarnazeit . b) Sethos I. und der Beginn der 19. Dynastie c) Pap. Harris I und der Beginn der 20. Dynastie d) Die Israelstele des Merenptah . . . . . . . . . 4. Chaosbeschreibungen in Magie und Kult der Spätzeit a) Metternichstele: Krankheit und kosmisches Unheil b) Pap. Sah 825 u.a. Texte: kultische Unheilsbannung c) Kultvollzug und kosmische Sympathie
XI.
Der Einbruch der Geschichte . Vorbemerkung . . . . . . . . 1. Die Genese der Alten Welt 2. Theologie des Willens . . . 3. Der Mensch vor Gott . . . 4. Einstieg in die Geschichte .
XII.
Die Entdeckung der Vergangenheit. Innovation und Restauration in der ägyptischen Literaturgeschichte . . . . . . . . . . 1. Kinder und Greise- das "Vergangenheitsbewußtsein" der ägyptischen Spätzeit im Spiegel der griechischen Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . 2. Ramessidische Geschichtskodifikationen . . . . 3. Klassik als Zweisprachen-Lehrstoft . . . . . . . 4. Der Modernismus der ramessidischen Literatur 5. Memphis und die Entdeckung der Vergangenheit .
260 260 265 267 270 271 271 276 278 278 279 280 281 283 283 284 285 288 288 289 291 295 298 303
303 305 308 309 312
Abkürzungen . . . . .
314
Bibliographie . . . . .
316
Abbildungsverzeichnis
334
Nachweise . . . . . . .
336
Einführung Die Frage nach dem Wesen der Kultur, nach Entstehung und Wandel symbolischer Formen und Sinnwelten, hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten zur Ausbildung neuer Forschungszweige und Arbeitsmethoden geführt. War sie früher Sache bestimmter Fächer, zunächst der Philologie und Philosophie, dann der Soziologie und Ethnologie, ist sie immer mehr zur gemeinsamen Sache fachübergreifender Zusammenarbeit geworden. Die literarische Form dieser Zusammennarbeit ist der Sammelband, bei dem Vertreter verschiedener Disziplinen aus der Sicht ihrer fachspezifischen Forschungen her zur Klärung einer allgemeineren kulturtheoretischen Fragestellung beitragen. Die Fragestellung ist es, die für die thematische Integration des Bandes sorgt. Dieser Band nun geht einmal den umgekehrten Weg. Aus einer Fülle ägyptologischer Forschungen zu fachübergreifenden Projekten stellt er solche Arbeiten zusammen, die sich zu einem möglichst umfassenden und geschlossenen Bild der altägyptischen Kultur ergänzen. Hier ist es also das Thema "Ägypten", das dem Buch seinen Zusammenhang gibt, während die einzelnen Aspekte, unter denen dieses Thema hier in den Blick gefaßt wird, im Kontext ganz verschiedener kulturtheoretischer Fragestellungen entwickelt wurden. Insgesamt ergeben sie ein Bild der pharaonischen Kultur Ägyptens, wie es sich aus der Sicht einer vergleichenden, interdisziplinären Kulturwissenschaft darstellt. Da diese Kulturwissenschaft etwas Neues ist, das es so vor 30 Jahren noch nicht gab, ist auch das Bild der altägyptischen Kultur neu, das sich in dieser Beleuchtung entwerfen läßt. Das ergibt sich einfach daraus, daß sie unter Fragestellungen untersucht wird, auf die man aus der Eigendynamik des Faches heraus bislang nicht gekommen ist und vielleicht nie gekommen wäre. Für die einzelnen Fächer stellt die Mitarbeit im kooperativen Projekt einer vergleichenden und theoretischen Kulturwissenschaft und Historischen Anthropologie eine große und fruchtbare Herausforderung dar. In den meisten Fällen ist der Ägyptologe- ist jeder Vertreter einer Einzelwissenschaft, der sich auf solche Fragestellungen einläßt- gezwungen, Neuland zu betreten. In manchen Fällen wird man dabei in überraschender Weise fündig. Ein auf solche Weise, nicht am einsamen Schreibtisch, sondern im interdisziplinären Gespräch entstandenes, auf Fragen von anderen antwortendes und vielfache Anregungen aufgreifendes Buch ist in gewisser Hinsicht ein kollektives Produkt. Daher ist hier ein Wort des Dankes an jene am Platze, die diese Fragen aufgeworfen haben und von denen ich hier stellvertretend
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Einführung
nur einige nennen will: Aleida Assmann für die Frage nach dem "Festen und dem Flüssigen in der Kultur" 1 bzw. dem "kulturellen Gedächtnis" sowie nach "Weisheit" 2 im Kontext historischer Wissensformen und ihrer Wertung, Hubertus Teilenbach für die Frage nach der Geschichte des "Vaters" 3 , Walter Haug und Rainer Warning für die Frage nach dem Fest4 , Christian Meier für die Frage nach der kulturellen Konstruktion geschichtlicher Handlungsspielräume5 und Hans Ulrich Gumbrecht, dessen Dubrovnik-Kolloquien einen ganz besonders inspirierenden Rahmen darstellten, für die Frage nach den "Materialitäten"6 und den "Epochen•. Im Idealfall trifft die Frage im Horizont des betroffenen Einzelfaches auf so reiche und eigenartige Befunde, daß sich von daher auch der theoretische Ansatz neu und differenzierter darstellen läßt. In den genannten Beispielen ergab sich, wie ich glaube, diese Wechselwirkung. Es geht also in allen diesen Arbeiten nicht nur um bestimmte Aspekte Ägyptens, sondern auch um bestimmte theoretische Fragen, was bei manchen von ihnen auch terminologisch in Erscheinung tritt. Bei der Bearbeitung dieser Aufsätze habe ich keinen Versuch gemacht, diese Bezugnahmen auf die jeweils zugrundeliegenden kulturtheoretischen Fragestellungen zu verwischen. Im Gegenteil: der Band, zu dem sich diese verschiedenen Arbeiten hier vereinigen, will nicht nur ein Bild vom alten Ägypten vermitteln, sondern auch unser theoretisches Wissen vom Wesen und Wandel kultureller Welten anband ägyptischer Beispiele fördern. Das entsprechende Kolloquium fand Ende 1987 im Internationalen Wissenschaftsforum Heide I· berg statt und wurde vom Heidelberger Gesprächskreis "Kulturanalyse'' veranstaltet. Ein besonderer Dank gebührt Dietrich Harth für seine Verdienste um diese stimulierende Unterneh· mung. 2 Die Ergebnisse von drei Tagungen des Arbeitskreises "Archäologie der literarischen Kommunikation" in der Wemer-Reimers-Stiftung Bad Hornburg (Mai 1987 bis September 1988) zum Thema "Weisheit" wurden von A. Assmann im Verlag W. Fink veröffentlicht. Aus Tagungen dieses Arbeitskreises zum Thema "Mündlichkeit und Schriftlichkeit" stammt auch das 7. Kapitel über "Schrift, Tod und Identität". 3 Die von Hubertus Teilenbach geleiteten, inzwischen legendären "Heidelberger Vaterseminare" haben für vier Jahre, von 1973-1977, die Heidelberger Geisteswissenschaften geprägt und sind in einer vierbändigen Kassette im Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, erschienen: I. Das Vaterbild in Mythos und Geschichte, 1976 II. Das Vaterbild im Abendland I. Rom, Frühes Christentum, Mittelalter, Neuzeit, Gegenwart, 1978 111. Das Vaterbild im Abendland II, Literatur und Dichtung Europas, 1978 IV. Vaterbilder in Kulturen Asiens, Afrikas und Ozeaniens. Religionswissenschaft, Ethnologie, 1979. 4 Die Tagung der Forschungsgruppe "Poetik und Hermeneutik" fand im September 19H7 in der Werner-Reimers-Stiftung Bad Hornburg statt. s Deutscher Historikertag Münster 1982. Einige der dort zu diesem Thema gehaltenen Vorträge wurden in der Zeitschrift Saeculum, Bd. 35 (1984) veröffentlicht. 6 Die Tagung im Jnter-University-Center in Dubrovnik, der das 4. Kapitel ganz besonders weitreichende Anregungen verdankt, fand im Frühjahr 1987 statt. 7 Tagung ebendort Frühjahr 1983. 1
Einführung
11
Die altägyptische Kultur kommt solchen Fragestellungen entgegen. Man könnte auch sagen: sie erzieht den, der sich mit ihr hauptberuflich beschäftigt, den Ägyptologen, zu einer gewissen kulturtheoretischen Aufgeschlossenheit und kulturwissenschaftlichen Vielseitigkeit. Das liegt an der Fülle und Vielseitigkeit der Quellen. Ein Ägyptologe kann es sich nicht leisten, ganz in der Spezialisierung aufzugehen, zu der er wie jeder andere Wissenschaftler durch die Entwicklung seines Faches gezwungen wird. So wird er sich vielleicht, um ein beliebiges Beispiel herauszugreifen, als Philologe für eine bestimmte Textgattung interessieren. Wenn er dem Kontext dieserTexte nachgeht, wird ersieh aber notgedrungen auch z.B. mit ägyptischen Gräbern beschäftigen und das bedeutet: mit Ikonographie und Architektur, Sozialund Verwaltungsgeschichte, Totenkult und Jenseitsvorstellungen; und er wird sich im Bemühen um ein besseres Verständnis dieser Quellen auch nach Kräften in den verschiedensten Richtungen theoretischer und vergleichender Ansätze umschauen: in der Sprach- und Literaturwissenschaft, der Sozial- und Religionswissenschaft, in der Kunsttheorie und vergleichenden Rechtsgeschichte. Der Ägyptologe ist ein notorischer Dilettant: immer etwas nachhinkend in der Entwicklung theoretischer Fragestellungen und Methoden, weil er sich auf zu vielen Gebieten gleichzeitig auf Laufenden zu halten versuchen muß, aber dafür ein gern gesehener Gast im interdisziplinären Gespräch, weil von Ägypten her zu so gut wie allem Wichtiges und oft Überraschendes beizutragen ist. In meinem Falle betrifft diese Spezialisierung die Religionsgeschichte Ägyptens. Die meisten meiner im engeren Sinne ägyptologischen Arbeiten beziehen sich auf Fragen der ägyptischen Religion. Diese Arbeiten sind in den vorliegenden Band nicht aufgenommen worden. Das heißt aber nicht, daß die ägyptische Religion darin ausgespart worden wäre. Im Gegenteil: sie kommt genau in dem Sinne zu Wort, in dem sie aus der Sicht einer größeren Distanz in den Blick tritt: als symbolische Sinnwelt, die sich von dem, was wir "Kultur" nennen, in keiner Weise unterscheiden läßt, aber nicht als besonderes "Gebiet", zu dem sie nur in der verengten Optik fachinterner Spezialisierung künstlich ausdifferenziert wird. Die Idee zu diesem Band stammt von Raimar S. Zons, dem ich für seine Ermutigung und tatkräftige Unterstützung sehr zu danken habe. Der Titel, der nicht ganz unabsichtlich an ein bekanntes philosophisches Werk anklingt, bezeichnet die Brennpunkte der ägyptischen Kultur, die daher zugleich auch das Thema dieses Bandes umreißen: den Stein als das Medium ägyptischer Erinnerung und Selbstverewigung, und die Zeit als die Dimension, in der und gegen die diese Kultur des Steinernen aufgestellt ist. Man könnte auch an den Begriff der "Steinzeit" denken. Zwar liegt diese Periode- im Sinne eines strengen prähistorischen Epochenbegriffs- schon lange zurück, als im späten Chalkolithikum und der Frühen Bronzezeit die ersten ägyptischen Inschriften anfangen, zu uns zu sprechen. Und doch scheint sich in der zentra-
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Einführung
len Kulturbedeutung, die das Steinerne in Ägypten besaß, noch ein Stück "Steinzeitideologie" wiederzuspiegeln. Die ägyptischen Texte, die weiter als alle anderen Texte zurückreichen in der Geistesgeschichte der Menschheit, führen uns in die "Steinzeit" des Denkensund Erkennens, der Imagination und Erinnerung zurück.
ErsterTeil
Stein und Zeit Grundstrukturen der symbolischen Kultur Der Ägyptologe und Kunsthistoriker H. G. Evers hat das alte Ägypten einen "Staat aus dem Stein" genannt. Der Steinbau, von den Pyramiden des Alten Reichs bis zu den Tempeln der griechisch-römischen Zeit, bildet die auffallendste und charakteristischste Manifestation der altägyptischen Kultur. Von diesem Phänomen gehen die Beiträge aus. Gefragt wird nach der Kulturbedeutung des Steinernen in Ägypten. Die Antworten weisen in zwei Richtungen: in die Richtung des Staates und seiner Repräsentation, und in die Richtung der Ewigkeit, der zeitüberwindenden Dauer. Es läßt sich zeigen, daß diese beiden Brennpunkte der ägyptischen Kultur, der Staat und die Dauer, aufs engste zusammenhängen. Das Heil wird in der Dauer, d.h. in der Erlösung von der Vergänglichkeit, gesehen und der Staat ist die Institution, die die Wege zu diesem Heil erschließt und verwaltet. Der vornehmste Heilsweg ist der monumentale Steinbau. Im monumentalen Steinbau hat sich die ägyptische Kultur selbst auf Dauer gestellt: - im Medium des Steines als des dauerhaftesten Materials, - im Medium einer Formensprache, die durch "Kanonisierung" vorWandel und Veränderung geschützt wurde, und - im Medium der Schrift, die als ein von strengen Regeln geleiteter Diskurs der Selbstthematisierung einigen Bevorzugten die Möglichkeit eröffnete, sich in dieses steinerne Gedächtnis einzuschreiben. Stein hat also in Ägypten sehr viel mit Gedächtnis zu tun, mit dem Fortleben des einzelnen im Gedächtnis der Gruppe, aber auch mit dem Fortleben der Gruppe selbst, deren kulturelle Identität ihr in Gestalt der sich ständig vermehrenden und allmählich in die Jahrtausende zurückreichenden Steinmonumente viel massiver und konkreter vor Augen stand als mündliche Überlieferung allein dies vermag. Der Steinbau ist daher in Ägypten auch ein Medium des kulturellen Gedächtnisses, d.h. einer Überlieferung, auf die sich das Bewußtsein der Ägypter von ihrer kulturellen Einheit und Eigenart stützte. Das erste Kapitel ist aus der Beschäftigung mit dem Zusammenhang zwischen Kultur und Gedächtnis, Überlieferung und Identität hervorgegan-
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
gen. Die zugrundeliegende These lautet: Kultur ist das objektivierte Gedächtnis einer Gesellschaft, das ihre Identität durch die Generationenfolge hindurch sichert. Die Formen, in denen eine Gesellschaft diese identitätssichernden Überlieferungen organisiert und die Institutionen ihrer Pflege sagen viel aus über die Eigenart, den unverkennbaren Stil einer Kultur. 1 Aus der Deutung des Steins als eines Heilswegs, der der Sehnsucht nach Unsterblichkeit entspringt, ergibt sich die Frage nach den ägyptischen Vorstellungen von Zeit und Ewigkeit. Diesen Fragen geht das zweite Kapitel nach, das die Ergebnisse einer diesem Thema gewidmeten Monographie ( Assmann 1975b) zusammen faßt. Es läßt sich zeigen, daß der ägyptische Zeitbegriff auf der Polarität von Dauer und Zyklus beruht, die letztlich auf die Aspekt-Opposition des semito-hamitischen Verbalsystems zurückgeht. Wie der Stein die Dauer, symbolisieren die Gestirne die zyklische Zeit. Die "Steinzeit" der Monumente bildet also nur das eine Gesicht des doppelgesichtigen Zeitbegriffs der Ägypter: jene Zeit oder Ewigkeit, die sie djet nennen und mit dem Gott Osiris assoziieren: die Zeit, in der das Vollendete unwandelbar fortdauert. Ihr steht eine andere Zeit gegenüber, die in fortwährender zyklischer Bewegung in die Welt einströmt, genannt neheh und dem Sonnengott zugeordnet. Dies ist die Zeit, in der sich das Geschehende ereignet- äg. cheper-, djet ist die Zeit, in der das Bestehende währt- äg. wenen. Zu einem genau entsprechenden dichotomischen Zeitbegriff gelangte der Soziologe und Systemtheoretiker N. Luhmann. Er unterscheidet zwischen "Beständen" und "Ereignissen", allerdings in dem Sinne, daß sich die Begriffe von Zeit-als-Dauer (Bestände) und Zeit-als-Bewegung (Ereignisse) gegenseitig ausschließen (Luhmann 1973, lOf.). Auf dem Hintergrund dieses modernen theoretischen Ansatzes tritt die Eigenart des altägyptischen Zeitdenkens besonders klar hervor. Was Luhmann als die sich gegenseitig negierenden Pole einer kontradiktorischen Beziehung rekonstruiert, bildet in Ägypten die Aspekte einer komplementären Beziehung. 2 Die beiden anschließenden Kapitel gehen zwei Themen etwas genaucr nach, die in den beiden ersten Kapiteln bereits angeklungen sind: den Themen "Kosmos" und "Schrift". Das Thema Kosmos, das bei der Frage nach dem ägyptischen Zeitverständnis eine zentrale Rolle spielt, wird im dritten Kapitel unter dem Gesichtspunkt der Wissensformen behandelt. Was bedeutete in Ägypten die Beobachtung und Erkenntnis kosmischer Zusammenhänge? Welche Art von Wissen und "Wissenschaft" war mit dem Kosmos befaßt? Das entscheidende Stichwort heißt: Kosmotheismus. Die Beschäftigung mit dem Kosmischen hatte gottesdienstlichen Charakter, sie war Sache 1
2
Ich bin diesen Fragen, z.T. zusammen mit Aleida Assmann, in anderen Publikationen nachgegangen, vgl. besonders Assmann, A. u. J. (1985), (1988) sowie Assmann (1987a; 1988b; 1988d), Assmann u. Hälseher ( 1988). ZurTheorie des "kultureUen Gedächtnisses" vgl. Assmann 198&. ZumThema "Zeit und Ewigkeit'' vgl. auch Westendorf (1983) und Hornung (1989), 67-79.
I. Grundstrukturen der symbolischen Kultur
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priesterlichen Kosmos-Kultes und Gegenstand priesterlichen Wissens. Nicht "Polytheismus", die Vielheit der Götter, sondern "Kosmotheismus", die Göttlichkeit des Kosmos, kennzeichnet die "heidnische" Welt gegenüber den aus Israel hervorgegangenen Religionen Judentum, Christentum und Islam und kennzeichnet in ganz besonderer Weise das alte Ägypten. Das Wissen von den kosmischen Zusammenhängen hat magische Kraft, denn es dient der Inganghaltung der Welt. Es wurde in einem Kult zelebriert, dessen vornehmste Aufgabe darin besteht, rund um die Uhr den Sonnenlauf mit Rezitationen zu begleiten, und in Büchern kodifiziert, die an den Wänden der Königsgräber aufgezeichnet wurden. Denn dieses kosmische Wissen hatte nicht nur die Kraft, den Sonnenlauf ingangzuhalten, sondern vermittelte auch dem Wissenden eine Teilhabe am kosmischen Leben. Kein Versuch, die charakteristischen Züge der altägyptischen Kultur herauszuarbeiten, kann am ägyptischen Schriftsystem, der Hieroglyphenschrift, vorbeigehen. In der Struktur dieser Schrift liegt der Schlüssel für viele Besonderheiten altägyptischer Welterfassung. Schon das erste Kapitel behandelte die Schrift, genauer gesagt: die beiden Schriften in ihrem Antagonismus als Ausprägungen der ägyptischen "Bikulturalität". Das vierte Kapitel geht nun auf Strukturen und Funktionsweisen der Schrift näher ein und versucht vor allem eine Antwort auf die Frage zu finden, warum die ägyptischen Hieroglyphen, im Gegensatz zu allen anderen bekannten Bilderschriften der Erde, der Tendenz zur Abstraktion und Vereinfachung bis zuletzt widerstanden und unbeirrbar an der realistischen Bildhaftigkeit der Zeichenformen festgehalten haben. In der Hieroglyphenschrift, im Gegensatz zur Buchkursive, dem Hieratischen, geht es offenbar nicht nur um Sprach-, sondern auch um Weltbezug. Die Welt erscheint so als ein unerschöpflicher Vorrat an Schriftzeichen. Aus dieser Anschauung ergeben sich bestimmte Vorstellungen über den Aufbau der Wirklichkeit, die das "hieroglyphische Denken" in die Nähe des platonischen rücken. 3
3
Vgl. hierzu auch Hornung (1989), 9-33.
I. Gebrauch und Gedächtnis. Die zwei Kulturen des pharaonischen Ägypten 1. Spuren und Botschaften Wenn es einen Begriff gibt, der geeignet wäre, die Eigenheit der pharaonischen Kultur auf die kürzeste Formel zu bringen, dann ist es der Begriff der "Zweikultürlichkeit" oder "Bikulturalität". Durch die altägyptische Kultur läuft ein so tiefer Spalt, daß wir es eher mit zwei Kulturen zu tun haben als mit einer einzigen. Emblematisch läßt sich dieser Spalt an der Tatsache verdeutlichen, daß die Ägypter nicht eines, sondern zwei Schriftsysteme verwendeten: eines für den Alltagsgebrauch und eines für den Monumentalgebrauch. Wir werden darauf noch eingehen. Die beiden Schriften verweisen auf die beiden Kulturen, in deren Funktionsrahmen sie entwickelt wurden: die Gebrauchskultur des Alltags und die Monumentalkultur der Ewigkeit. In einem gewissen Sinne allerdings scheint eine Tendenz zu "Bikulturalität" zum Wesen der Kultur überhaupt zu gehören. Das zeigt sich schon daran, daß der Begriff der Kultur von den einen in Richtung auf das Alltägliche, von anderen in Richtung auf das Monumentale definiert wird. So schreibt etwa der Sozialpsychologe Peter R. Hofstätter: "Die Summe der Selbstverständlichkeiten in einem Gesellschaftssystem nennen wir dessen Kultur." 1 Demgegenüber stellt der Soziologe Arnold Gehlen fest: "Die Kultur ist das Unwahrscheinliche, nämlich das Recht, die Gesittung, die Disziplin, die Hegemonie des Moralischen. " 2 Für den einen ist Kultur der Inbegriff des Impliziten, in die Unbewußtheit des Selbstverständlichen Abgesunkenen, für den anderen die Kultur der Inbegriff des Expliziten und Bewußten, der- wie Gehlen an anderer Stelle schreibt "Bewegungen nach der Größe, dem Anspruchsvollen und Kategorischen hin" (S. 59), eine normative Instanz, die als solche immer explizit und bewußt sein muß. Mir scheint es, daß beideRecht haben, daß also Kultur immer beides ist: das Selbstverständliche und das Anspruchsvolle, das Implizite und das Explizite, das Unbewußte und das Bewußte. In beiden Richtungen ist Kultur das Ergebnis gesellschaftlicher Produktion, d.h. eine Gesellschaft produziert, wie M. Erdheim gezeigt hat, Unbewußtheit 3 , indem sie Bereiche und Entscheidungen in die Implizitheil und Unthematisierbarkeit des Selbstverständlichen abdrängt, und sie produziert Bewußtheit, indem sie das orientierende Wissen pflegt und verbreitet. Entsprechend dieser Zweigleisigkeil oder Doppelgesichtigkeit hinterläßt eine Kultur zweierlei Formen von Überresten. Als Lebenswelt hinterläßt sie Spuren, unabsichtli1
2 3
Hofstätter (SJ973), 93. Gehlen (1961), 60. Erdheim (1984).
I. Gebrauch und Gedächtnis
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ehe materielle Abdrücke des als solches verschwundenen Lebens. Als Monument dagegen hinterläßt sie Botschaften, Selbstthematisierungen, Ausdrucksformen ihrer fortwährenden Explikations- und Überlieferungsarbeit. 4 Diese beiden Aspekte der Kultur treten nun im alten Ägypten so scharf auseinander, daß man hier geradezu von zwei Kulturen sprechen muß, einer "Gebrauchskultur" und einer "Gedächtniskultur". Die Gebrauchskultur organisiert sich nach den Regeln der Funktionalität, nach den Erfordernissen eines möglichst konfliktlos funktionierenden Zusammenlebens. Die Gedächtniskultur organisiert sich nicht selbst, sondern wird organisiert und getragen von den gesellschaftlichen Institutionen nach den Erfordernissen der Identität und Kontinuität. Die beiden Sphären des Gebrauchs und des Gedächtnisses lassen sich wohl in jeder Kultur unterscheiden, aber man würde kaum anderswo mit so viel Recht wie im Falle Ägyptens von zwei Kulturen sprechen dürfen. Die Zwei-Kulturen-These möchte ich an zwei Phänomenen kultureller Zweigleisigkeil belegen, die m.E. in so extremer Ausdifferenzierung in anderen Kulturen nicht vorkommen: der exklusiven Verwendung zweier Bautraditionen und zweier Schriftsysteme.
2. Zwei Bauweisen Hegel hat Ägypten "das Land der Ruinen überhaupt" genannt. In der Tat dürfte Ägypten von allen Kulturlandschaften der Erde die größte Ruinendichte aufweisen. Das liegt nicht nur an der Gunst des Klimas und anderer äußerlicher Faktoren, sondern spiegelt auch einen Wesenszug der altägyptischen Kultur selbst, nämlich ihren einzigartigen Hang zum Monumentalen. Da diese Monumente nicht nur in ungewöhnlicher Fülle, sondern darüber4
Archäologie hat es als Wissenschaft mit den Spuren zu tun, sie ist in methodischer Hinsicht Spurensicherung, und nicht Hermeneutik wie Kunstgeschichte und Philologie. Sie bezieht sich, vor allem in ihrer neueren Richtung als "New Arcbaeology" programmatisch auf Kultur als Lebenswelt und nicht als Monument. Diese Unterscheidung zwischen Spurensicherung und Monumental-Hermeneutik erinnert an die Begründung der "Kulturgeschichte" durch J. Burckhardt und ihre Abgrenzung gegenüber der Historie. Die Kulturgeschichte hat es mit den "unabsichtlichen" Spuren des Wirklichen, die Historie dagegen mit den absichtsvollen und daher immer fiktionalen Selbstdarstellungen zu tun: "Ein Vorteil der kulturhistorischen Betrachtung überhaupt ist nun vor allem die GewißMit der wichtigeren kulturhistorischen Thtsachen gegenüber den historischen im gewöhnlichen Sinne, den Ereignissen, welche der Gegenstand der Erzählung sind. Letztere sind mannigfach ungewiß, streitig, gefärbt oder, zumal bei dem griechischen Talent zum Lügen, von der Phantasie und vom Interesse völlig erdichtet. Die Kulturgeschichte dagegen hat primum gradum certitudinis, denn sie lebt wichtigerenteils von dem, was Quellen und Denkmäler unabsichtlich und uneigennützig, ja unfreiwillig, unbewußt und andererseits sogar durch Erdichtungen verkünden, ganz abgesehen von demjenigen Sachlichen, welches sie absichtlich melden, verfechten und verherrlieben mögen, womit sie wiederum kulturgeschichtlich lehrreich sind. (Burckardt 1984, 175).
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
hinaus auch fast als einziger Überrest der altägyptischen Kultur auf uns gekommen sind, verfallen wir gern einer optischen Täuschung und nehmen diesen Teil für das Ganze. Wir denken uns diese Kultur als einen Komplex aus Pyramiden, Hieroglyphen und Mumien, als einen "Staat aus dem Stein" 5 , und vergessen gern, daß daneben eine ganz andere Kultur existiert hat. Daß diese Kultur uns bis auf geringe Reste verloren ist, hat zwei Gründe, einen inneren und einen äußeren. Der innere liegt in der situativen Flüchtigkeit der Lebenswelt, die nur ,.Spuren" hinterläßt, aber keine ,.Botschaften", der äußere in derTatsache, daßdiese Lebenswelt ihren Ort im Fruchtland hatte, wo solche Spuren sich unter meterhohen Nilschlammablagerungen verloren haben. Die "Gedächtniskultur" dagegen verwendete nicht nur das dauerhafte Material des Steins, sondern bezog auch- und vor allem- die Wüste mit ein, die ganz andere konservierende Umweltbedingungen stellt. Wir haben es also in Ägypten mit einem doppelten Gegensatz zu tun: dem Gegensatz zwischen dem Fruchtland, das aufgrundder jährlichen Nilüberschwemmung ganz ungewöhnlich ungünstige Erhaltungsbedingungen bietet und der Wüste, die aufgrund der geringen Feuchtigkeit ebenso ungewöhnlich günstige Bedingungen schafft, und dem Gegensatz zwischen Spuren und Botschaften bzw. "Texten", d.h. zwischen den unwillkürlichen materiellen Relikten und Substraten des als solches flüchtigen Lebens, und den auf Dauer angelegten Monumenten. Den Gegensatz zwischen Fruchtland und Wüste gibt es in dieser Schärfe wohl nur in Ägypten; der Gegensatz zwischen Spuren und Texten ist dagegen wohl universal und gehört zum Wesen der Kultur. Es könnte sein, daß die Besonderheit der ägyptischen Situation lediglich die Folge der Interferenz zwischen den beiden Gegensätzen, dem geographischen und dem kulturellen, ist. Das weitgehende Verschwinden der Spuren verschafft den Monumenten eine Dominanz, die ihnen von Haus aus nicht zukommt, und verschärft den Gegensatz zwischen Spuren und Texten, dem Flüssigen und dem Festen, zu einer unüberbrückbaren Polarität. a) Bleiben und Vergehen Da ist nun das Zeugnis eines Zeitgenossen von besonderem Wert, der die ägyptische Kultur noch als eine lebendige beobachtet hat und dabei bereits genau dieselbe überscharf gezogene Grenze zwischen Lebenswelt und Monumentalwelt, sowie die überwältigende Dominanz der Monumente hervorhebt: Die Einheimischen geben der im Leben verbrachten Zeit einen ganz geringen Wert. Dagegen legen sie das größte Gewicht auf die Zeit nach ihrem Tode, während der man durch die Erinnerung an die Tugend im Gedächtnis bewahrt wird. Die Behausungen 5
Dies der Titel des 1929 erschienenen zweibändigen Werkes von H.G. Evers über die Plastik des Mittleren Reichs.
I. Gebrauch und Gedächtnis
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der Lebenden nennen sie "Absteigen" (katalyseis), da wir nur kurze Zeit in ihnen wohnten. Die Gräber der Verstorbenen bezeichnen sie als "ewige Häuser" (aidioi oikoi), da sie die unendliche Zeit (während derer man sich um ihrer Tugendwillen an sie erinnerte) im Hades verbrächten. Entsprechend verwenden sie wenig Gedanken auf die Ausrüstung ihrer Häuser, wohingegen ihnen für die Gräber kein Aufwand zu hoch erscheint. 6
.. Dieser Bericht des griechischen Ethnographen Hekataios von Abdera, der Agypten um 300 v.Chr. bereist hat, verweist uns ganz unzweideutig auf das innere, strukturbildende Prinzip, das in der ägyptischen Kultur am Werke ist und - unabhängig von allen äußeren konservierenden und destruktiven Umweltfaktoren - ihre Zweigleisigkeil und Zweigesichtigkeit hervorgebracht hat. 7 Hinter dem Gegensatz zwischen der Unscheinbarkeit der Lebenswelt und ihrer materiellen Rahmungen einerseits, und der demonstrativen Aufwendigkeit8 der Monumente andererseits, steht der Unterschied zwischen Vergänglichkeit und Dauer. Die Kultur dient dem Ägypter einerseits als ein Instrument, die vergängliche Lebenszeit auf jene Basis möglichst schmerzfreier Umweltanpassung zu stellen, deren der Mensch als "das nicht festgestellte 1ier" nun einmal bedarf. Und sie dient andererseits als ein Instrument der Überwindung dieser Vergänglichkeit selbst. Die eine Kultur dient dem Menschen als Prothese, die seinen Mangel gegenüber derTierweit auszugleichen hat, die andere als Prothese, die seinen Mangel gegenüber den Göttern kompensiert. Was Hekataios mit seiner Deutung der kulturellen Zweigleisigkeil Ägyptens im Blick hat, ist der Unterschied zwischen Wohnhäusern und Gräbern. Dies ist der Unterschied zwischen Lehmbauweise und Steinbauweise. In der Tat ist im pharaonischen Ägypten der Steinbau den Gräbern und Tempeln, der Lehmbau dagegen den Wohn- und Wirtschaftsgebäuden vorbehalten. Diese Grenze wird kaum überschritten. Selbst der prächtigste Wohnpalast eines Königs ist in Lehmziegeln, und nicht in Stein aufgeführt, und selbst der kleinste Tempel ist in der Regel in Stein, und nicht in Lehmziegeln, gebaut. b) Zur Entstehungsgeschichte der Steinbauweise
Der Steinbau wird in Ägypten in der 3. Dyn. eingeführt und gilt als die Erfindung des Wesirs und Oberbaumeisters Imhotep, dem die Planung derTotenkultanlage König Djosers (um 2620 v.Chr.) mit "Stufenpyramide" und Kult6 7
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Hekataios von Abdera, bei Diodor, Bibi. Hist. I 51. Man kann sich höchstens fragen, ob Umweltfaktoren wie der so überscharf ausgeprägte Gegensatz zwischen Fruchtland und Wüste dazu beigetragen haben könnten, daß sich auf der Ebene der symbolischen Formen der Gegensatz zwischen Lebenswelt und Monument, den Sphären des Gebrauchs und des Gedächtnisses, ebenso überscharf, d.h. übergangslos ausgeprägt hat. S. Morenz hat die ägyptische Monumentalkultur mit dem Veblen'schen Begriff der conspicuow consumption zusammengebracht: Prestige- Wirtschaft im alten Ägypten (Morenz 1969, 46ff.)
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
bauten zugeschrieben wird. Daher erhält auch Djoser später das Epitheton "Erfinder des Steinbaus" .9 Beide, Imhotep und Djoser, vor allem aber Imhotep, werden noch Jahrtausende nach ihrem Tod als Götter verehrt. Imhotep kann als die bedeutendste vergöttlichte Gründerfigur Ägyptens gelten. 10 An keine andere zivilisatorische Errungenschaft, nicht an Schrift und Kalender, nicht an Staatsgründung, Bewässerungssystem und Vorratswirtschaft hat sich eine vergleichbare Verehrung geheftet wie an den Steinbau. Das sagt etwas aus über die Kulturbedeutung- ja: Heilsbedeutung-dieser Erfindung, die in der Einschätzung der Ägypter offenbar weit mehr als eine technologische Verbesserung darstellte und geradezu der Erschließung einer neuen Dimension gleichkam. Bezeichnenderweise gehören im 3. Jt. v.Chr., also im "Alten Reich". die Göttertempel noch nicht zur Monumentalsphäre. Die Religion, d.h. der Götterkult, ist in dieser Zeit noch wesentlich lokal. Das zeigt deutlicher als alles andere, daß der Steinbau bzw. die gesamte Monumentalkultur sich aus den Repräsentations- und Ewigkeilsbedürfnissen des Staates heraus entwikkelt hat. Erst mit der Wende zum 2. Jt. nimmt sich der Staat auch des Tempelbaus an, wird die Religion interlokal und ihre Architektur monumental. Damit wird auch der Tempel, vorher das bescheidene Gehäuse eines regionalen Kults, zu einer Repräsentationsform staatlich-königlicher Identität und "Ewigkeit" .11 Die Grenze zwischen den Sphären des Lehmbaus und des Steinbaus verschiebt sich, aber sie verändert weder ihren Sinn, noch ihre Schärfe. c) Formtendenzen der Steinarchitektur: Kolossalität und Zeichenhaftigkeit
Nichts sagt mehr aus über Sinn und Funktion des Steinbaus als die Gestalt desjenigen Bauwerks, für das er der Überlieferung nach zuerst im großen Stil und ausschließlich angewendet wurde: der Totenkultanlage des Djoser in Saqqara. Es handelt sich zum einen um eine Pyramide (noch in Stufenform, aus der sich dann später die echte Pyramide entwickelt hat), zum anderen um das Steinmodell einer in anderen Materialien gedachten Wohn- und Festarchitektur. Der Steinbau dient also zum einen der Ermöglichung einer völlig neuen Form: der Pyramide, und zum anderen derVerewigung traditioneller, aber vergänglicher Formen im Modell. Über den Sinn der Pyramide- Urhügel? Sonnenlauf? Himmelsaufstieg?- ist man sich noch immer nicht im Kla9 10 11
wb3 jnr ,.der den Stein öffnet", s. Wildung (1969), 82-IW. Wildung (19n). So heißt es etwa in einem programmatischen Text dieser Zeit, der Berliner Lederhs. mit der Kopie einer Bauinschrift Sesostris'l. (Goedicke (1974), 87-104): MeinelUgend wird erinnert werden in seinem (sc. des Gottes) Hause. mein Name ist die Pyramide, mein Denkmal ist der heilige See. Ewigkeit bedeutet es, das Wertvolle zu tun. ( ... ) Was zur Ewigkeit gehört, vergeht nicht.
I. Gebrauch und Gedächtnis
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ren. 12 Eins aber steht fest: der unauflösliche Zusammenhang mit Idee und Institution des pharaonischen Königtums. Bis zur Mitte des 2. Jt. bleibt die Pyramide - auch in Ziegelausführung, auch im Kleinformat - eine exklusiv königliche Form. Sie symbolisiert das Königtum. Eine besonders deutliche Sprache sprechen in dieser Hinsicht eine Reihe von kleinen steinernen Stufenpyramiden der 3./4. Dyn., die sich über Ober- und Unterägypten verteilen und die man als "Wahrzeichen und Symbol einer ständigen Präsenz der königlichen Majestät" 13 interpretiert. Wir dürfen also, was die Pyramide betrifft, davon ausgehen, daß hier das Königtum als die entscheidende formbildende Kraft wirksam ist. Die Pyramide markiert als eine exklusiv königliche Bauform den Abstand zwischen dem König und den "Menschen". Ihr ausschlaggebendes unterscheidendes Merkmal ist die Höhe: sie überragt alle anderen Bauten und Monumente. Das Königtum, so möchte ich diesen morphogenetischen Prozeß rekonstruieren, strebte in seinem Bedürfnis nach exklusiver, d.h. alle gewohnten und menschlich zugänglichen Maßstäbe transzendierender Selbstdarstellung vor allem in die Höhe- ein Streben, von dem uns die biblische Geschichte des Turmbaus zu Babel, auf die wir noch zurückkommen werden, einen Bericht aus israelitischer- und d.h. diametral entgegengesetzter- Sicht gibt. Das steinerne Palastmode/1, das die Stufenpyramide des Djoser umgibt, verweist auf einen anderen, ebenso entscheidenden Aspekt der Steinarchitektur: ihre Unbewohnbarkeil bzw. alltagszweckliehe Unfunktionalität. Die Gebäude sind großenteils massiv, also unbegehbar, eine monumentale Atrappe, eine in Stein umgesetzte Kulisse. Es hat den Anschein, als käme es darauf :m, jeden praktischen Nutzen zu vereiteln, um den symbolischen Sinn dieser Bauformen zu realisieren: je zweckenthobener für den Alltagsnutzen der Lebenswelt, desto wirksamer für die Ewigkeilszwecke des toten Königs. Am deutlichsten wird dieses Grundgesetz der Monumentalität in der "Scheintür" greifbar, dieser Zentralform des ägyptischen Grabmonuments, das von der Frühzeit bis in den Hellenismus die Kultstelle des Grabes markiert. Die "Scheintür" kann gerade darum als Schnittstelle zwischen Diesseits und Jenseits und Durchgang für den Toten dienen, weil sie nur das steinerne Abbild eines wirklichen Durchgangs ist. Die steinernen Abbilder sind nicht Mimesis der lebensweltlichen und damit vergänglichen, flüchtigen Wirklichkeit, sondern magische Poiesis einer zweiten, unvergänglichen Wirklichkeit. 14 12 13
t•
Vgl. zuletzt Stadelmann (1985). S. hierzu Stadelmann, a.a.O., 79. Das gilt für das gesamte Forminventar der Monumentalkultur, vor allem natürlich für die bildende Kunst, bezüglich derer Panofski sehr treffend bemerkt: "damit kennzeichnet sich die Art, wie die Ägypter die Proportionslehre handhabten, als klarer Ausdruck ihres Kunstwollens, das nicht auf das Variable, sondern auf das Konstante, nicht auf die Erfassung der lebensvollen Gegenwart, sondern auf die Symbolisierung einer zeitlosen Ewigkeit gerichtet war: wenn ein griechischer Künstler eine Menschengestalt hervorbrachte, so sollte ihr ein nur scheinbares, aber aktu-
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
Der Steinbau dient also der Realisierung einer Architektur, die sich in drei Richtungen der Formensprache des lebensweltlichen Nutzbaus in einer sehr scharf betonten Weise entgegenstellt: (a) durch ihre alles menschliche Maß übersteigende Größe 15 , (b) durch ihren allem menschlichen Nutzen entzogenen Symbolcharakter und (c) durch ihre aller menschlichen Vergänglichkeit entzogene Dauerhaftigkeit. Der Lehmbau (wobei "Lehm'' hierparspro toto für die Gesamtheit der für Wohn- und Gebrauchsarchitektur üblichen Werkstoffe wie Lehmziegel, Holz, Matten usw. steht) dient demgegenüberder Realisierung einer Architektur, deren Maß und Form aus den Erfordernissen des praktischen Nutzens und den Bedürfnissen des menschlichen Körpers entwickelt ist: sie muß Raum bieten für die in ihr sich abspielenden Lebensvollzüge und Schutz vor Sonne und Regen, Hitze und Kälte sowie Gewalt und Indiskretion. So entwickeln sich in Ägypten zwei scharf getrennte Traditionen des Bauens. Die eine entspringt aus den Bedürfnissen nach Sicherheit und Bequemlichkeit, die andere aus dem Bedürfnis nach Ewigkeit. Man könnte die eine eine "Architektur des Leibes", die andere eine "Architektur der Seele" nennen. Mit dem Bedürfnis nach Ewigkeit verbindet sich - und das scheint ein Spezifikum der ägyptischen Monumentalität- das Bedürfnis nach Repräsentation, d.h. Sichtbarmachung von Identität. Das Königsgrab wird zum Symbol des "Zentralstaats", dieser in der damaligen Welt völlig neuartigen Form eines gesellschaftlichen und politischen Verbands ganz großen Umfangs, der auf dem Prinzip durchgreifender und interlokaler Herrschaft gegründet ist. Das Beamtengrab symbolisiert entsprechend die individuelle Teilhabe an -und Bewährung in- dieser Herrschaft. 16 Wir dürfen also, wenn wir die ägyptische Monumentalkultur (mit Hekataios von Abdera) als ein Instrument der Überwindung von Vergänglichkeit und damit als religiös motiviert deuten, diese politische Funktion der Repräsentation von Herrschaft nicht aus dem Auge verlieren. Die religiöse und die politische Dimension gehören untrennbar zusammen. Der Staat ist in dieser Frühzeit eine Art
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elles Leben verliehen werden, indem sie die Funktionalität des menschlichen Organismus widerspiegelte -wenn ein Ägypter eine Menschengestalt hervorbrachte, so sollte sie eines realen, aber nur potentiellen Lebens teilhaftig sein, indem sie die Daseinsform der menschlichen Körpergestalt in dauerhafterer Materie entstehen ließ. Wir wissen ja, daß die ägyptische Grabstatue nicht geschaffen wurde, um eigenes Leben vorzutäuschen, sondern um einem fremden Leben (dem Leben des Seelenwesens Ka) als materiellerTräger zu dienen; während das plastische Abbild bei den Griechen einen Menschen bedeutet, der da lebt, ist es bei den Ägyptern ein Körper. der da leben soll: dort existiert das Kunstwerk in einer Sphäre der ästhetischen Idealität- hier in einer Sphäre magischer Wirklichkeit, dort ist das Ziel des Künstlers eine mimesis, hier eine Rekonstruktion", vgl. Panofski (1985), 172. Vgl. hierzu Cancik (1990), 51-68. Das ist jedenfalls der ursprüngliche Sinn nichtköniglicher Repräsentationskunst und -architektur. Später wird dieses Prinzip einer Bewährung in der Ausübung von Herrschaft ethisiert, so daß Hekataios genau das Richtige trifft, wenn er die im Monumentalbau repräsentierte Identität vom "Gedächtnis an die Tugend" abhängig macht.
I. Gebrauch und Gedächtnis
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Religion: er vermittelt nicht nur Ordnung, d.h. großräumige und langfristige Organisation des Zusammenlebens, sondern auch Dauer, d.h. die Chance einer vergänglichkeitsenthobenen Identität. Vergleichbare Bauformen bilden sich immer wieder aus, wo der Staat als Religion auftritt. So ist es kein Zufall, daß wir einem Architekten im Umkreis Albert Speers eine Charakteristik des Monumentalen verdanken, die unmittelbar auf die ägyptische Steinbauweise anwendbar ist: So läßt sich das Gesetz des Monumentalen, "das harte Gesetz in der Baukunst", das immer und in allen Teilen eine männliche Angelegenheit gewesen ist, zu einem klaren Begriff zusammenfassen: es muß streng sein, von knapper, klarer, ja klassischer Formgebung. Es muß einfach sein. Es muß den Maßstab des "an den Himmel Reichenden" in sich tragen. Es muß über das übliche, dem Nutzen entlehnte Maß hinausgehen. Es muß aus dem Vollen gebildet sein, fest gefügt und nach den besten Regeln des Handwerks wie für die Ewigkeit gebaUI. Es muß im praktischen Sinne zwecklos, dafür aber Träger einer Idee sein. Es muß etwas Unnahbares in sich tragen, das die Menschen mit Bewunderung, aber auch mit Scheu erfüllt. Es muß unpersönlich sein, weil es nicht das Werk eines einzelnen ist, sondern das Sinnbild einer durch ein gemeinsames Ideal verbundenen Gemeinschaft.17
Das ist das Credo einer Architektur der Macht, die seit je ihr Ideal in den ägyptischen Pyramiden erblickte. Man könnte geradezu Imhotep als den Erfinder dieses "harten Gesetzes in der Baukunst" bezeichnen 18 • "Klassische" Strenge der Formgebung, "an den Himmel reichende" Größe (vgl. Gen. 11,4!), Massivität, Zwecklosigkeit "im praktischen Sinne", feste, auf ewige Dauer hin angelegte Fügung, Unnahbarkeit, Sinnbildhaftigkeit- alldies beschreibt präzise die Merkmale der von ihm inaugurierten Steinbauweise. Besonders wichtig erscheint mir das Postulat: es muß im praktischen Sinne zwecklos, dafür aber Träger einer Idee sein. Hier ist der Punkt getroffen, an dem sich das besondere Repräsentationsbedürfnis des faschistischen (wie überhaupt des totalitären) Staats mit dem der pharaonischen Zentralherrschaft berühren. Der Staatstheoretiker Carl Schmitt hat diesen Zusammenhang zwischen Monumentalarchitektur und politischem Repräsentationsbedürfnis auf eine bündige Formel gebracht: "Große Architektur ist immer der untrügliche und anscheinend auch unentbehrliche Ausdruck eines wirklichen 17
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F. Thmms, Das Große in der Baukunst, aus: Die Kunst im deutschen Reich, hrsg. v. Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP (1944), wiederabgedruckt in F.T., Von Menschen, Städten und Brücken (1974). DerText ist natürlich eine linientreue Programmschrift; Tamms war jedoch nicht in der Partei und bekleidete nach 1945 hohe Stellungen in der Bauverwaltung, s. W. Durth, Deutsche Architekten. Biographische Verflechtungen 1900-1970. Ich verdanke den Hinweis auf diese Literatur meinem Vater Hans Assmann. Übrigens antwortete Tamms mit diesem Pamphlet auf eine entsprechende Programmschrift des Architekten W. Schmitthenner, die unter dem Titel .. Das sanfte Gesetz in der Baukunst" erschienen war und deren Postulate sich mutatis mutandis auf die ägyptische Lehmbauweise anwenden lassen. Vgl. Durth, a.a.O.
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
Staates" .19 Ein "wirklicher Staat" braucht "große Architektur", um sich nach innen und nach außen darzustellen. Denn er ist alles andere als "wirklich", er ist eine "imaginäre Institution" 20 und gehört um so entschiedener ins Reich des Imaginären, je größer, anspruchsvoller und umfangreicher er auftritt. Staaten sind "imaginierte Gemeinschaften" 21 ; daraus ergibt sich ihr Hunger nach "Wirklichkeit", d.h. Sichtbarkeit. Große Architektur ist immer politisch, immer Ausdruck einer politischen Identität und eines politischen Willens. Dieser Zusammenhang liegt schon der Geschichte vom Turmbau zu Babel zugrunde. Denn dort geht es um den Willen eines Volkes, sich "einen Namen zu machen" und "nicht zerstreut zu werden übers Antlitz der Erde": Heran! Bauen wir uns eine Stadt und einen Turm, dessen Haupt an den Himmel reicht, damit wir uns einen Namen machen und nicht zerstreut werden übers Antlitz der Erde! (Gen. 11.4-5)
In Ägypten verbindet sich dieses spezifisch politische Streben nach Sichtbarmachung staatlicher Identität mit dem Streben nach Fortdauer und Unsterblichkeit. Der "Staat" vermittelt nicht nur Sicherheit und Versorgung, sondern auch ewiges Leben. Er verwaltet die Heilsgüter und als deren höchstes die Ewigkeit.
3. Zwei Schriften Die Zweigleisigkeit der ägyptischen Kultur, der "ägyptische Bikulturalismus" findet seinen Ausdruck nun nicht nur in der scharfen Unterscheidung von Stein- und Lehmbauweise, sondern auch in der Verwendung zweier Schriftsysteme, von denen zwar das eine aus dem anderen abgeleitet ist, aber sich von diesem Ursprung so weit entfernt hat, daß es als Zweitschrift eigens erlernt werden muß. 22 Die beiden Schriften verteilen sich in ihrer Verwendung auf genau dieselben Bereiche wie Stein- und Lehmbauweise: 19
20 21
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Carl Schmitt, "IIIyrien. Notizen von einer dalmatinischen Reise". in: Hochland, Dezember 1925,293-298. Zitiert bei: A. Mohler, "Carl Schmitt und die ,Konservative Revolution"', in: H. Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum. Ober Carl Schmitt, Berlin 1Q88, 135. Vgl. zu diesem Begriff Castoriadis ( 1975). Anderson (1983). Wir haben damit eine Digraphie-Situation, die exakt der ägyptischen Diglossie-Situation entspricht, wie sie sich etwa seit dem 13. Jh. v. Chr. eingestellt hat. In der Ramessidenzeit haben sich Umgangssprache und Schriftsprache so weit auseinanderentwickelt, daß die Schriftsprache als Zweitsprache eigens erlernt werden muß, vgl. dazu Junge (1985), 17-34. In Mesopotamien haben wir es zwar von Anfang an mit einer verschärften Diglossie- Situation zu tun (Sumerisch und Akkadisch sind zwei völlig verschiedene, nicht miteinander verwandte Sprachen), dafür hat sich aber hier nie eine vergleichbare Digraphie ausgebildet, ebensowenig wie in China.
I. Gebrauch und Gedächtnis
Ewigkeit Sinnbildhaftigkeit
Gegenwart praktischer Nutzen
Hieroglyphenschrift Steinbauweise
Kursivschrift Lehmbauweise
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Das Spezifikum der Hieroglyphenschrift ist ihre Bildhaftigkeit, ihre Ikonizität, die sie (im Unterschied zu allen anderen ideographischen Schriften) während der über drei Jahrtausende ihrer Verwendung getreulich bewahrt hat. Sie ist also, genau wie die Steinbauweise (a) extrem aufwendig und (b) "hieratisch stillgestellt", an einen Formenkanon gebunden. Demgegenüber ist die Kursivschrift "handgerecht" (so wie die Lehmbauweise "körpergerecht", d.h. den Bedürfnissen des Körpersangepaßt ist) und unterliegt nur (wie jede Schrift) den Bindungen eines Codes, und nicht eines Kanons. 23 Was die Aufwendigkeit betrifft, steht die Hieroglyphenschrift in nichts der bildenden Kunst nach. In Wirklichkeit ist sie einTeil der Kunst, war Sache derselben Handwerker und erforderte dieselbe Ausbildung. Genetisch ist die Schrift aus der Bildkunst hervorgewachsen; umgekehrt läßt sich aber auch die Kunst als eine Extension der Hieroglyphenschrift verstehen. Die Hieroglyphenschrift besteht aus Miniaturbildern, die Bildkunst aus vergrößerten Schriftzeichen. Dasselbe gilt für die Kanonbindung der Hieroglyphenschrift. Es handelt sich um ein und denselben Formenkanon, der Bildkunst und Bildschrift reguliert. Es genügt daher nicht, zu sagen, daß in Ägypten Kunst und Schrift aufs engste aufeinander bezogen sind: "il faut reconnaitre que cette Iiaison est tellement complementaire qu'il s'agit d'une unite" .24 Es handelt sich also um ein und dasselbe Medium "Hieroglyphik", das in seinen semiotischen Möglichkeiten sowohl solche des Schreibens wie solche ikonischer Darstellung umfaßt und das insgesamt auf die Seite des "Festen" in der Kultur gehört. Damit ist zugleich aber auch klar, daß die Hieroglyphenschrift, als Teil eines übergeordneten Mediums "Hieroglyphik", auch dessen Grenzen und Bindungen teilt. Sie ist in ihrem Verweisungshorizont und ihren Ausdrucksmöglichkeiten an dieses Medium gebunden. Dasselbe gilt für die Kunst. Ebenso wie die Kunst in Ägypten als eine Art Schrift die Möglichkeiten künstlerischer Darstellung nicht voll zur Entfaltung bringen kann, dafür aber einen viel höheren Grad an "Lesbarkeit" erreicht als jede andere Bildtradition, so kann auch die Hieroglyphenschrift als eine Art von Kunst die Möglichkeiten der Schrift nicht voll zur Entfaltung bringen, erreicht aber dafür einen viel höheren Grad an sinnlicher, "ästhetischer" Präsenz als jede andere 23
2'
In einem Code sind die Zeichen gegeneinander definiert, in einem Kanon darüber hinaus durch den Bezug auf ein in ihm zur Erscheinung kommendes Heilige. Fischer (1986), 24. Das ganze Buch ist für diese Fragestellung zentral, ebenso wie ders. (I9n).
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
Schrift. Die ägyptische Kunst geht über das eigentlich Künstlerische hinaus durch ihre schriftartige Sinnreferenz, die Hieroglyphenschrift geht über das eigentlich Schriftliche hinaus durch ihre bildhafte, unmittelbare (d.h. nicht sprachvermittelte) Weltreferenz. Darauf wird das IV. Kapitel noch näher eingehen. Daraus folgt nun, daß in Ägypten verfestigter Sinn, das "Feste in der Kultur", niemals in dem Maße hat Sprache werden können, wie das in anderen Hochkulturen - Mesopotamien, Israel, Griechenland- der Fall war. Er ist ja im Medium der "Hieroglyphik" kodiert (und kanonisiert), zu dem über das Schriftliche hinaus das Bildliehe und das im eigentlichen Sinne Monumentale unabtrennbar hinzugehören. Dieser Sinn ist ohne Bilder und ohne steinerne Monumentalität nicht fixierbar. Der in die Bilder und die Monumente eingelassene Sinn kann aber nicht bearbeitet, elaboriert, kommentiert werden, es gibt keine Meta-Ebenen argumentativer Kritik und Verständigung. Man kommt, mit anderen Worten, in diesem Medium intellektuell nicht weiter. Bestimmte Ebenen der Reflexivität sind dieser Organisationsform des kulturellen Gedächtnisses ebenso unzugänglich wie etwa, aus ganz anderen Gründen, der mündlichen Überlieferung, die ebenfalls keine Meta-Ebenen kritischer und exegetischer Reflexion ausbilden zu können scheint. Erst eine volle Versprachlichung des kulturellen Sinns führt dann in der Verschriftlichung zu evolutiven intellektuellen Prozessen. 25 Der Unterschied zwischen Hieroglyphen- und Kursivschrift ist der zwischen lnschriftlichkeit und Handschriftlichkeit. 26 Inschriftlichkeit ist ein performativer Schreibakt. Durch ihn wird Sprache nicht nur "auf~ezeichnet" und sichtbar gemacht, sondern dauerhaft situativ verankert. In Agypten ist die Dauer als solche heilig. Sie ist das, was den Menschen abgeht, im Unterschied zum göttlichen Kosmos. Die Steinkultur organisiert die den Menschen abgehende Dauer als einen heiligen Zeit-Raum, in den sich der Mensch im Medium der Hieroglyphik hineinstellen kann. Damit ist eine gegenüber dem "Leben" und der Vielfalt seiner Situationen sprachlicher Kommunikation vollkommen neuartige Situation geschaffen. In diesem heiligen Raum der Dauer kann Sprache niemals als Sprache erklingen, sondern nur als Inschrift präsent werden. Im Modus der hieroglyphischen Inschriftlichkeit verläßt die 25
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Dies bezieht sich, wohlgemerkt, nur auf die Hieroglyphenschrift, nicht auf die Kursivschrift. Ein möglicher Einwand gegen das Vorgebrachte könnte daher in dem Hinweis bestehen, daß die in der Hieroglyphenschrift undenkbaren Formen nicht nur der Fixierung, sondern auch der Bearbeitung sprachlichen Sinns in der Kursivschrift hätten stattfinden können. Dafür, daß solche Prozesse stattfinden können, müssen aber zwei Voraussetzungen gegeben sein: I. die Versprachlichung des kulturellen Sinns, und 2. die Kanonisierung oder jedenfalls hochverbindliche Festlegung der so entstandenen Texte, die überhaupt erst die kommentierende und kritische Auseinandersetzung mit ihnen, d.h. eine .,Sinn pflege" motiviert (Vgl. hierzu A. u. J. Assmann ( 1987). Dieses Schicksal ist den in Kursivschrift notierten ägyptischen Texten bis auf wenige Ansätze niemals zuteil geworden. Zur Kategorie der lnschriftlichkeit vgl. G. Wienold (1991).
I. Gebrauch und Gedächtnis
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Sprache die ihr eigentümliche situative Eingebundenheit in den Zeit-Ort der Kommunikation (ihren "Sitz im Leben") und geht über in die vollkommen andere situative Eingebundenheit des monumentalen Bildes. 27 Der situative Rahmen des monumentalen Bildes ist zeitlich entgrenzt aber aufgrundseiner Ortsfestigkeit räumlich distinkt definiert. Der hinzutretende Betrachter aktualisiert eine permanente Potentialität. Die situative Präsenz des Bildes ist davon unabhängig. Das gleiche gilt für die hieroglyphische Inschrift. Inschriften werden auch dort angebracht, wo kein Auge sie lesen kann- sie wirken selbsttätig durch ihre permanente ortsdefinite Präsenz. Die Handschrift ist dagegen gegenüber dem Kommunikationsakt als dem eigentlichen Sprachereignis subsidiär. Sie "speichert" einen Sinn, aber sie "vergegenwärtigt" ihn nicht, hält ihn nicht selbsttätig präsent in einem konstanten situativen Rahmen. Sie ist portabel, d.h. ortsabstrakt. Die "Situation" ist dort, wo der Leser ist. Bei der Inschrift ist die Situation dort, wo die Inschrift ist. Die Inschrift "stiftet" die Situation in Verbindung mit anderen monumentalen Formen der Steinkultur und "vollzieht" den in ihr ausgedrückten Sinn, sie gibt kein Sprechen wieder sondern spricht gleichsam selbst im Medium monumentaler Sichtbarkeit und Präsenz. In dem Maße, wie in Ägypten kultureller Sinn in die "Hieroglyphik" investiert wird, wird er aus den lebensweltlichen Situationen sprachlicher Kommunikation ausgelagert. Zwischen beiden Sphären gibt es keine Verbindung. Hieroglyphische Überlieferung teilt die situativen Rahmenbedingungen und Diskursbeschränkungen, die dem "heiligen Raum der Dauer" nach ägyptischer Vorstellung eigen sind.
4. Ägypten und das Problem der Hochkultur Die ägyptische Situation ist durch vier Punkte gekennzeichnet: 1.) die extreme Materialität des "Festen in der Kultur", der "Kultur als Monument", die hier mit der Konstanz einer kanonisierten Formensprache die schiere Dauerhaftigkeit des Materials verbindet, 2.) die beispiellose Zwangseinheit von Herrschaft und Heil (E. Schulin), aufgrund derer die "monumentale Kultur" zugleich der Repräsentation von Herrschaft und der Überwindung individueller Vergänglichkeit dient, 3.) die Asymmetrie der Partizipation, die "das Feste in der Kultur" der Elite der Herrschenden vorbehält und 4.) die extrem scharfe Trennung zwischen dem "Festen" und dem "Flüssigen", zwischen den Sphären des Gedächtnisses und des Gebrauchs. Die vier Punkte bedingen sich gegenseitig und führen dadurch in Ägypten zu einer Steigerung von Grundstrukturen, die vermutlich allen frühen Hoch27
Vgl. hierzu ausführlicher Assmann (1990 b).
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
kulturengemeinsam sind. Ägypten wird dadurch zu einer Hochkultur kat' exochen. l)rpisch nämlich für diesen Typ von Gesellschaften ist das extreme Repräsentationsbedürfnis von Herrschaft, das mit deren Unselbstverständlichkeit zusammenhängt. Wir befinden uns hier ja in einer Epoche, in der von "Völkern" oder "Nationen" in dem uns vertrauten Sinne noch keine Rede sein kann. Die Institution der Zentralherrschaft legt sich vielmehr als eine vollkommen neuartige Form politischer und sozialer Makro-Organisation über eine Fülle lokaler ethnischer Verbände und ist mit ihrem Anspruch auf Gehorsam darauf angewiesen, sich bis in die entferntesten Provinzen in eindrucksvoller und einschüchternder Weise zu repräsentieren. 28 In diesen Gesellschaften ist die Herrschaft die einzige Basis des Zusammenhalts; von gemeinsamen Bräuchen, Vorstellungen, Kulten, ja einer gemeinsamen Sprache kann zunächst und auf lange Zeit hin noch nicht die Rede sein. "Herrschaft ist die zentrale und faktisch tragende Institution. " 29 Die sozialen Formationen der frühen Großreiche- China, Mesopotamien, Ägypten- sind über nichts anderes als über Herrschaft integriert. So ist Repräsentation von Herrschaft gleichbedeutend mit der Sichtbarmachung von Identität. Dadurch kommt es nun auch zu einer vertikalen Schichtung in der kulturellen Struktur: das "Feste" legt sich als das interlokal Gültige und Herrscherliehe über das "Flüssige", die Kultur stratifiziert sich, mit R. Redfield zu reden, in die eine "Great" und die vielen "Little Traditions" 30 . Die Große Tradition ist als das "Feste" in der Kultur zugleich die Kultur der Herrschenden und Ausdrucksform einer allgemeinen, d.h. überlokalen Zugehörigkeit, also das, was Tamms mit Bezug auf "das harte Gesetz in der Baukunst" beschönigend als "Sinnbild einer durch ein gemeinsames Ideal verbundenen Gemeinschaft" bezeichnete. So kommt es zu der für Hochkulturen typischen Allianz zwischen Herrschaft und Gedächtnis. Indem die herrschende Kultur sich als ein interlokal verbindlicher Integrations- und Identifikationsrahmen über die vielen lokalen Kulturen legt, gewinnt sie zugleich mit solcher Verbindlichkeit einen neuen Aggregatzustand der Verfestigung, wird zum "Monument". Als "Große Tradition" monopolisiert sie den Gedächtnis-Aspekt der Kultur und verweist die kleinen lokalen Traditionen in den Bereich des "Flüssigen". des unverfestigten lebensweltlichen Gebrauchs. Wenn man davon ausgehen kann, daß jede Kultur sich nach den Polen des Festen und des Flüssigen strukturiert, ist doch ebenso damit zu rechnen, daß die historischen Realisierungen dieser Struktur jeweils ganz verschieden aus28
29 30
F.H. Tenbruck nennt dies das .,Interlokalitätsprinzip", vgl. Tenbruck (1986). bes. 250-272 sowie 297-324. Vgl. auch Redfield (1955); (1969). Wobei in Indien, auf das sich die Arbeiten R. Redfields in erster Linie beziehen, die Dinge insofern besonders liegen, als die Träger der Hochkultur, der "Great Tradition" nicht die Inhaber der politischen Herrschaft, sondern des Wissens, die Brahmanen sind. Leitner (1987, unveröff.), 169. R. Redfield, a.a.O.
I. Gebrauch und Gedächtnis
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sehen. Sie ist im Sinne einer Skalierung mit vielfach abgestuften Übergängen denkbar, wie W. Raible dies für die Struktur des kollektiven Gedächtnisses plausibel gemacht hat. 31 Man kann sie sich in derWeise gegenseitiger "osmotischer" Durchdringung vorstellen, wie dies möglicherweise die Situation politisch schwach integrierter Gesellschaften wie z.B. der altgriechischen und der altisraelitischen kennzeichnet. In Ägypten haben wir jedoch eine Gesellschaft vor uns, in der die Grenze zwischen Gedächtnis und Gebrauch, Kultur als Monument und Kultur als Lebenswelt überscharf gezogen ist und sich im siedlungsgeographischen Erscheinungsbild des Landes als der Unterschied zwischen Steinbau und Lehmbau ausprägt. Das hat, wenn unsere Deutung zutrifft, seine Ursache in der ungewöhnlichen Materialisierung des "festen" oder "Monument"-Pols in der Kultur. Denn der Begriff des "Monuments" bezieht sich ja allein auf die Zeitresistenz, und nicht etwa auf die Materialität der kulturellen Semantik. Wenn wir von der" Verfestigung" kulturellen Sinns sprechen, ist damit in keiner Weise seine Materialisierung in Stein und Erz gemeint. Die Ägypter haben aber in der Tat in solcher Materialisierung den sichersten Weg zur Verfestigung gesehen. 32 Alles weitere, die scharfe Ausprägung der sozialen Schichtung in der Partizipationsstruktur, das Heilsmonopol des Staates und die Begrenztheit der geistigen Entwicklungsmöglichkeiten folgen aus diesem Schritt. Nun hat es allerdings bereits in Ägypten selbst an Gegenbewegungen, an Ansätzen einer ,,Spiritualisierung" des Monumentalen nicht gefehlt. Hier sind vor allem zwei Ansätze zu nennen, die an die Stelle der Monumente etwas weniger Materielles setzen wollen. Der erste gehört in die Wende zum 2. Jt. und propagiert die "Tugend" oder ethische Vollkommenheit (äg. nfrw), der zweite gehört in die Ramessidenzeit (13. Jh. v.Chr.) und propagiert (unter präziser Vorwegnahme des aere perennius-Motivs von Horaz) die Literatur. Eine Inschrift des frühen 2. Jt. v.Chr. zitiert ein "Sprichwort im Munde der Geringen", das da lautet: Das (wahre) Denkmal des Menschen ist seineTugend33
Und in einer Lehre liest man, daß ein Grab in der Totenstadt dadurch ausgestattet wird, daß man aufrichtig ist und Gerechtigkeit übt. Im selben Text steht auch zu lesen, daß der Charakter eines Mannes sein "Himmel" ist, d.h. die Basis seiner Unsterblichkeit. 31 32
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W. Raible ( 1988), 9f. Davon scheint Plato etwas gewußt zu haben, wenn er behauptet, daß die Ägypter früh erkannt hätten, "was und wie etwas schön sei", diese Erkenntnis in "Standardtypen" (schemata) expliziert und diese Muster des Schönen wiederum an den Tempelwänden dargestellt hätten, also ganz im Sinne einer monumentalen Kulturgrammatik, nach der nicht nur die Kunst, sondern das Leben selbst sich zu richten habe (Legg 657-7 vgl. Davis (1979). 121-127). Mentuhotep-lnschrift, London University College 14333, ed. H. Goedicke, in: Journ. Eg. Arch. 48 (1962), 26 vgl. Schenkel (1964), 1If.
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
Der spätere, ramessidische Vorschlag läuft kurz gefaßt darauf hinaus, daß ein Weisheitsbuch eine sehr viel sicherere Investition auf Unsterblichkeit darstellt als eine Pyramide. Das wird exemplifiziert an den großen "Klassikern" der ägyptischen Weisheitsliteratur, die in ihren Büchern präsent sind, während die Steingräber ihrer Zeitgenossen und ihrer selbst verfallen sind. 34 Hier kommt nun ein Gesichtspunkt ins Spiel, der in derTat für die Frage nach dem "Festen" in der Kultur zentral ist und in der Steinkultur mit ihrer massiven Materialität ausgeblendet wird: der Gesichtspunkt der Rezeption. Die Verfestigung kulturellen Sinns ist immer ein Rezeptionsvorgang, die Sache eines erinnernden Rückgriffs auf etwas Älteres. Dies Ältere muß freilich von der Art sein, daß eine spätere Generation darauf zurückgreift, aber ohne solchen Rückgriffbekäme es nie einen Platz im kulturellen Gedächnis. Da hat es nun die in einem Buch niedergelegte Weisheit doch wesentlich leichter, sich in der Erfahrung späterer Generationen zu bewähren, als etwa ein Monument. Bücher werden einfach mehr gebraucht, und sei es auch nur- dies ist genau der Fall der Ramessidenzeit, aus der unser Lobpreis der Klassiker stammt- um an ihnen eine Sprache zu lernen. 35 Hier haben wir genau jenen Austausch zwischen "monumentaler" und "lebensweltlicher" Kultur, zu dem die Monumente nicht in der Lage sind. Der in sie investierte Sinn ist einfach zu weit aus den lebensweltlichen Praxisbezügen ausgelagert, um spätere Rückgriffe motivieren und noch einmal zum Tragen kommen zu können. Daher bedeutet auch die Ramessidenzeit einen gewissen strukturellen Durchbruch in der ägyptischen Kultur; mit ihrer Konzeption einer "Klassik" und ihrer "Entdekkung der Vergangenheit" schaffen sie eine neue kulturelle Polarisierung in die "alte" und die "neue" Kultur. 36 Jetzt erst wird man sich des Alters der Monumente bewußt, von denen man umgeben ist, und gewinnt einen Eindruck von der Zeitdimension dessen, was "Kultur als Monument" bedeuten kann. Denn die ursprüngliche Idee eines "Heiligen Raumes der Dauer", in den man sich in den Monumenten hineinstellt und in der Hieroglyphik hineinschreibt, hat keine Zeitstruktur: hier herrscht eine ewige Gegenwart. Vor allem handelt es sich um eine magische, und nicht um eine kommunikative Realität. Kommunikative Wirklichkeit bedeutet Wirklichkeit als umfassendster Rahmen und Verweisungshorizont aller in einer Gesellschaft ablaufenden kommunikativen Handlungen. In diesem Sinne "wirklich" sind die Monumente nur solange, als sie in kommunikatives Handeln, z.B. Kult, einbezogen sind. Das haben die Ägypter immer gewußt und betont, daß zum "Monument" nicht nur der Stein, sondern auch die Erinnerung gehören, Erinnerungswürdigkeit aber nur durch ein gutes Leben und überragende Leistung 34 lS 16
Vgl. hierzu te Velde (1982) sowie Kap. VII. S. 173f. Der Pap. Chester Beatty IV, aus dem dieser Passus stammt, ist auch ein typischer Schultext; die ganze Argumentation gehört in den Kontext der Schule. Vgl. hierzu Kap. XII .. Die Entdeckung der Vergangenheit".
I. Gebrauch und Gedächtnis
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erworben wird. 37 Aber genau wie sie auch nach dem Aufkommen eines allgemeinen Seelenglaubens an der Mumifizierung festgehalten haben, waren sie auch außerstande, sich von den Monumenten zu trennen und das "Feste" in der Kultur entschlossen zu spiritualisieren. Sie haben zwischen dem Spirituellen und dem Materiellen offenbar nicht unterscheiden, jedenfalls das eine nicht ohne das andere denken können.
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Vgl. hierzu te Velde (1982) und Assmann (1984b) sowie Kap. VII .. Schrift, Tod und Identität".
II. Das Doppelgesicht der Zeit im altägyptischen Denken 1. Wie schnell vergeht die Zeit? Wir leben bekanntlich in einer "schnellebigen" Zeit, in einer Ära der Halbwertzeiten, Verfallsdaten, Lebenserwartungen und mittelfristigen Planungen, einer Zeit der "Nostalgiewellen", die in immer rascherer Folge die 20er, 30er, 40er und SOer Jahre hochgespült haben und bald die Gegenwart einzuholen drohen. Je schneller die Zeit zu vergehen scheint, desto länger dehnt sie sich in unserem Bewußtsein aus. Wir reden nicht vom Tode und richten uns im Diesseits ein als hätten wir ewig zu leben. 1 "Wir vertrauen", wie die Ägypter sagen würde, "auf die Länge der Jahre. " 2 Die Klagen über die Kürze des menschlichen Lebens stammen aus Zeiten, als man die Zeit nach Stunden maß und nicht nach Sekunden. ars longa, vita brevis- der Satz3 läßt sich heute umkehren. Ehe man die Kunst gelernt hat, ist sie schon wieder veraltet. Kein Leben ist kurz genug, um in einem künstlerischen Stil oder in einer wissenschaftlichen Theorie heimisch zu bleiben. Unser Begriff von Kunst und Wissenschaft ist auf Einmaligkeit ausgerichtet. Jedes Kunstwerk, jede Theorie ist ein Individuum, das den Stempel seiner Epoche, ja seines Entstehungsjahres trägt. Wir lesen ein Buch, wir betrachten ein Bild mit anderen Augen, wir hören ein Musikstück mit anderen Ohren, wenn wir erfahren, daß es nicht 1952, sondern 1928 entstanden ist. Das Entstehungsjahr ist konstituierendes Element seines Sinngehalts4 . In beiderlei Hinsicht ist die altägyptische Kultur unser genaues Gegenbild. Der Rhythmus der kulturellen Veränderungen grenzt dort an Stillstand. Die in den ersten Jahrhunderten des 3. Jt. v. Chr., am Ausgang der Steinzeit also, gefundenen Formen und Institutionen der Kultur werden bis zum Ausgang der Antike nicht wesentlich verändert. Die Kunst ist ganz aufWiederholbar1
2 3 4
Für eine grundsätzliche Behandlung dieser Problematik unter einer Vielzahl verschiedener Aspektes. z.B. Fulton 1976. Lehre für Merikare ed. Helck 1977, 31. Dieser Satz ist sinngemäß in der äg. Literatur mehrfach belegt, s. dazu Brunner 1980. Einzelne Aspekte dieser Problematik behandeln etwa Gombrich 1978, Kubler 1973 und Belting 1978. Diese Parallelisierung von Kunst und Wissenschaft hinsichtlich der Datierbarkeil ihrer Produkte. also ihrer Zeitgebundenheit, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich Kunst und Wissenschaft in der spezifischen Form ihrer Zeitgebundenheit in charakteristischer Weise entgegengesetzt verhalten. Gegenüber dem strikten Fortschrittsprinzip, das die Wissenschaft kennzeichnet, wo alles Frühere vom und im Späteren (im Hegeischen Doppelsinn) "aufgehoben .. wird, gilt im Bereich der Kunst die prinzipielle Einmaligkeit, Unwiederbringlichkeil und Unersetzbarkeil des Kunstwerks und in bestimmten Epochen sogar die Vorbildhaftigkeit des Früheren. Vgl. zu dieser Unterscheidung Steiner 1971, 102f. (Hinweis Aleida Assmann).
II. Das Doppelgesicht der Zeit
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keit ausgerichtet: eine "Serienfabrikation" von Modellen, die über 3000 Jahre in Gebrauch bleiben, immer denselben Mustern, demselben Kanon verpflichtet5. Platon, von dem überliefert wird, er habe sich im ägyptischen Heliopolis in die Weisheit der Ägypter einweihen lassen, hat das in den Gesetzen als Vorbild gepriesen: "Weder den Malern, noch anderen, die Kunstwerke schaffen, war es gestattet, Neuerungen zu treffen oder anderes als von den Vätern übernommenes auszusinnen, weder damals noch heute in allem, waszur Kunst gehört. Und wenn du nachforschst, wirst du dort vor zehntausend Jahren (und das nicht, wie man so sagt, sondern wirklich vor zehntausend Jahren) Gemaltes und Geformtes finden, das die Kunstwerke des heutigen Tages weder übertrifft noch ihnen nachsteht, sondern zu derselben Kunst vollendet ist. " 6
Die Ägyptologie gibt sich zwar die größte Mühe, dieses Image der ägyptischen Kultur zu widerlegen und ihren Hinterlassenschaften doch so etwas wie eine Geschichte abzuringen, aber sie wird doch oft genug von der mangelnden Datierbarkeil ihrer Forschungsgegenstände zur Verzweiflung gebracht. In der Ny Carlsberg Glyptothek zu Kopenhagen gibt es einen königlichen Porträtkopf, der zu den höchsten Meisterwerken der ägyptischen Kunst gerechnet werden muß. Seine Datierung schwankt noch immer um 2000 Jahre: zwischen der 12. Dyn., d.h. dem 18. Jh. v. Chr., und der griechisch-römischen Zeit7 • Eine Inschrift im Britischen Museum (um ein anderes prominentes Beispiel zu nennen), das sog. Denkmal memphitischerTheologie, enthält einen Traktat, der als differenzierteste Darstellung der Lehre von der Schöpfung durch das Wort berühmt ist. Die Inschrift stammt aus der 25. Dyn., also um 700 v. Chr., gibt aber vor, einen weit älteren Text zu kopieren. Manche Ägyptologen setzen ihn an den Anfang der ägyptischen Kultur, also um 2800 v. Chr., andere in die Zeit seiner Niederschrift 8 . Auch hier schwankt die Datierung um 2000 Jahre. Stellen wir uns einmal vor, wir wären im Zweifel, ob das Gastmahl von Platon oder von Marsilio Ficino stammt, oder ob eine Plastik einen frühgriechischen Kuros oder einen spätmittelalterlichen Adam darstellt, und wir gewinnen einen Eindruck von den Problemen meines Faches, aber auch von der Permanenz der Kultur, mit der es zu tun hat. 9 5
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Für eine freilich stark vereinseitigende und der ägyptischen Kunst in keiner Weise gerecht werdende Darstellung dieses Aspekts s. Worringer 1927. Zur Kategorie der" Wiederholbarkeit", die mir für die äg. Kunst grundlegend erscheint, s. Assmann 1975 c, 304ff. Plato, Leges II 656e, s. dazu Davis 1979. Für die Spätdatierung vgl. z.B. Koefoed-Petersen 1960, 70: "basse epoque (epoque ptolemaique?)", für die Datierung ins MR z.B. Bothmer 1960, 177. Für die Spätdatierung vgl. Junge 1973 (25. Dyn.) und Schlögl. 1980, HOff. ( 19. Dyn.); fürdie Datierung in die 2. Dyn. s. z.B. Sethe 1928, 3ff. Natürlich sind das extreme Beispiele. Im Allgemeinen ist es mit der Datierbarkeil ägyptischer Kunstwerke nicht so schlecht bestellt. Es gibt Epochen, die einen ausgeprägten Zeitstil haben wie z.B. die 12. Dyn. oder die Amarnazeit. Thebanische Wandmalereien lassen sich in der 18. Dyn. aufs Jahrzehnt, teilweise sogar aufs Jahrfünft genau datieren. Aber der Grad der Datier-
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
Gemessen an dieser Permanenz kam dem einzelnen sein diesseitiges Dasein als ein flüchtiger Augenblick vor. Hekataios v. Abdera (- 350/290 v. Chr.) schreibt, daß die Ägypter das irdische Leben zu kurz fanden als daß es sich lohnte, steinerne Wohnhäuser zu errichten 10 . Ihre Wohnhäuser waren ihnen bloße "Herbergen", "Absteigequartiere", die sie in Holz und Lehm aufführten; alle Mühe und Aufwendungen aber verwandten sie auf den Bau "ewiger Häuser" - aidioi oikoi-, in denen sie die Ewigkeit 11 zu verbringen gedachten. Was Hekataios hier bemerkt, kann die Ägyptologie ebenfalls nur bestätigen. Die Spur der Wohnungen ist verweht und gelingt nur in seltensten Glücksfällen und hochspezialisierten Grabungstechniken aus den Überresten nur allzu vergänglicher Materialien zu rekonstruieren. Die Spur der Gräber aber, diese grandiose, auf Ewigkeit abgezielte Selbstdarstellung einer Kultur, hat die Jahrtausende überdauert und die Zeit das Fürchten gelehrt. "Bauten, vor denen die Zeit sich fürchtet", nannte der arabische Rechtsgelehrte Umara aly amani (gest. 1175) die Pyramiden 12 . Die Zeitlosigkeit der Kunst, auf die es Platon ankam, hängt mit dem Sinn der von Diodor hervorgehobenen "ewigen Häuser" zusammen. Sie schmückte nicht Häuser und Plätze und Gärten, sondern Tempel und Gräber. Sie hatte die Aufgabe, Ewigkeit zu realisieren, als Abbildung ewiger, zeitenthobener Ordnungen. Sie ist nicht nur zeitlos in dem Sinne, daß sie, aufWiederholbarkeit gestellt, keinen Fortschritt und keine Geschichte zu kennen scheint; sie ist auch "zeit-abstrakt": sie stellt keine Zeithaitigen Vorgänge oder Zustände, sondern nur zeitenthobene Formen dar. Nie hat man Vergangenes dargestellt, und sei es eine Szene des Mythos. Nie (von einer kurzen Episode vielleicht abgesehen) hat man Einmaliges dargestellt, es sei denn als Manifestation ewiger Ordnung 13 • Der Mensch wird nie in konkreten Haltungen dargestellt, die sich auch nur für einen Augenblick einnehmen ließen, sondern in den abstrakten Formen eines "Stehens an sich", "Sitzens an sich", das aller Zeitlichkeit enthoben ist.
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barkeil schwankt von Epoche zu Epoche und von Gattung zu Gattung. Vor allem aber läßt die Ausprägung des zeitlichen Ablaufs in der materiellen Kultur- .,the shape of time". vgl. Kubler 1973- jene evolutionistische Logik vermissen. die eine kunstgeschichtliche Beschreibung immer mehr oder weniger implizit voraussetzt. Neuerungen machen keine Schule. bilden keine Stadien in einem evolutionären Prozeß, Vergangenes ist niemals überholt, Rückgriffe und Rückfälle verschiedenster Art sind grundsätzlich immer möglich. Bei Diodor I. 51, oben, Kap. I, S. 18f. Hier fügt Hekataios eine Begründung ein. die in derTat einen Aspekt des ägyptischen Grabgedankens genau trifft: "indem sie ihrer. ,arete' (äg.: nfrw) wegen im Gedächtnis bewahrt werden"; vgl. dazu u., S. 170f. "Bauten, vor denen sogar die Zeit sich fürchtet, und es fürchtet :>onst doch alles in der sichtbaren Welt die Zeit", nach: Graefe 1911, 86. Zum ramessidischen Historien bild, der charakteristischsten Ausnahme dieser allgemeinen Regel, s. Groenewegen-Frankfort 1951, 120ft.; Gaballa 1976, 94ff.; Assmann 1975 c, 315f.; Wolf 1957, 510ft.
II. Das Doppelgesicht der Zeit
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Damit sind wir mitten in unserem Thema. Die Zeitabstraktheil einer auf Wiederholbarkeil gestellten Kunst und die Verewigungstechnik der Mumien und Gräber, diese beiden von Platon und Diodor (bzw. seinem Gewährsmann) als für die ägyptische Kultur typisch hervorgehobenen Phänomene berühren auch uns Heutige noch am eigentümlichsten; die Annahme liegt auf der Hand, daß sie einem spezifischen Zeitbegriff entspringen, von dem die ägyptische Kultur geprägt ist. Nach diesem Zeitbegriff wollen wir fragen und diese Untersuchung auf zwei Ebenen durchführen: auf der Ebene der sprachlichen Befunde und auf der Ebene der religiösen Erscheinungsformen.
2. Zeit und Sprache Den ersten Einstieg in den Zeitbegriff einer Kultur bietet die Analyse des sprachlichen Befundes, also der Wörter für Zeit 14 • Damit möchte ich auch hier beginnen, wähle allerdings aus der Fülle nur das Wichtigste aus und verbinde dies zugleich mit einigen Fakten, die über das rein Lexikalische hinausgehen, aber in unserem Zusammenhang von Interesse sind. Das Ägyptische kennt kein Wort, das so abstrakt und umfassend ist wie unser Wort "Zeit", aber eine große Menge von Wörtern, die alle etwas mit Zeit zu tun haben. a) Die Zeiteinheiten Da sind zunächst die Einheiten, in denen die Zeit gemessen wurde: Stunde, Tag, Dekade, Monat, Jahreszeit und Jahr. Wichtig scheint mir, daß es keine Begriffe für größere Zeiteinheiten als das Jahr gibt. Die sog. Phönix- Periode von 500 Jahren und die Sothis-Periode von 1460 Jahren, von der die griechischen und römischen Autoren berichten, lassen sich in ägyptischen Quellen bislang nicht nachweisen und gehören jedenfalls einer späteren Epoche an, die bereits mit babylonischen u.a. Vorstellungen in Berührung gekommen war 15 • Die Jahre summieren sich also nicht zu höheren Einheiten, sondern bilden den größten Zyklus und lassen nach ihrem Ablauf die Zeit von neuem beginnen. Daher heißt das Jahr ägyptisch "die sich Verjüngende" und bezieht sich auf den Begriff einer in sich kreisenden Zeit, die immer wieder von vorn anfängt. Immer von vom fing man auch mit der Jahreszählung an, bei jeder Thronbesteigung eines neuen Königs wurde wieder beim Jahr 1 begonnen. Das Jahr was das Sonnenjahr zu 365Tagen, eingeteilt in 12 Monate zu je 30 Tagen und 5 Zusatztage "zwischen den Jahren", die "Epagomenen" (äg "Ta-
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•~
Zum folgenden vgl. für die Einzelheiten Sethe 1919120; Otto 1954; Otto 1966. Die Apis-Periode von 25 Jahren und die Sedfest-Periode von 30 Jahren beruhen klärlich auf einem Generations-Begriff; sie haben spezifischere Bedeutung und spielen im aUgemeinen Kalenderwesen und der darin fixierten Zeitvorstellung keine Rolle.
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
ge, die ,auf' dem Jahr sind") 16 • Es gab 3 Jahreszeiten zu je 4 Monaten: Überschwemmung, Aussaat und Ernte. Die Jahreszeiten hießen also nach den landwirtschaftlichen Tätigkeiten, die in ihnen stattzufinden hatten, und auf diese Beziehung zwischen Zeit und Tätigkeit werden wir noch in anderem Zusammenhang stoßen. Die Monate waren eingeteilt in 3 Dekaden zu je lOTagen, die wie die jüdische Woche durch einen regelmäßigen Ruhetag skandiert waren (Helck 1964). Dazu gab es Feiertage; diese verteilten sich in ungleichem Rhythmus über das Jahr und folgten einem eigenen Kultkalender, der auf dem Mondjahr beruhte. Wie das Jahr wurde auch Tag und Nacht in 12 Teile geteilt. Da die Tage immer von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang gerechnet wurden und immer 12 Stunden hatten, mußte man der verschiedenen Länge der Tage durch variable Stundenlängen Rechnung tragen 17 . Im Winter waren die Tagesstunden kürzer, im Sommer länger, und die Nachtstunden umgekehrt. Wie das Jahr, das "sich Verjüngende", hat auch die Stunde einen sprechenden Namen: die "Vergehende". Denn die Stunde verjüngt sich nicht in der nächsten, sondern muß ihr Platz machen und kommt erst nach 23 anderen Stunden wieder zum Zuge, die alle einen Eigennamen tragen und sozusagen eine eigene Physiognomie haben. Auch die Tage haben ihre Physiognomie, ihre guten oder schlechten Eigenschaften. je nach dem Ereignis, das in der Mythologie auf sie fällt. Nur das Jahr fängt immer wieder von vorne an. So kommen in den beiden Wörtern für die kleinste und größte Einheit, in der die Ägypter die Zeit gemessen haben, zwei entgegengesetzte Aspekte der Zeit zum Ausdruck: die vergehende Stunde und das sich verjüngende Jahr. Die verschiedene Physiognomie der Zeiteinheiten ist ein so eigenartiges und zugleich so kennzeichnendes Element des ägyptischen Zeitdenkens, daß mir wenigstens ein kurzer Seitenblick auf dieses Phänomen unerläßlich erscheint. Zu verweisen wäre hier in erster Linie auf die bis in das europäische Mittelalter fortwirkende Tradition der Loskalender, der "dies aegyptiaci", die die Qualität des jeweiligen Tages nach den mythologischen Präzedenzen bestimmten (s. auch E. Brunner-Traut 1971), sowie auf die erst in der Spätzeit hervortretende Vorstellung der göttlichen "Chronokratoren", d.h. Gottheiten der einzelnen Tage, Dekaden, Monate und Jahreszeiten, die in langen "defiles" auf Tempelfriesen erscheinen. Ihr Wesen ist ambig: sie verkörpern sowohl das Unheil wie den Segen, den die Zeit bringt und der sich in der Zeit ereignet. Aber das Gefährliche, Unheilvolle scheint doch zu überwiegen, und ihre Verehrung in den Tempeln hat die Funktion, dieses potentielle Unheil zu bannen, so daß es sich an keinem einzigen Tag des Jahres ereignen kann. Eine besonders eindrucksvolle und bis in die 18. Dyn. zurückführende 16 17
Zum äg. Kalenders. Parker 1950; Schott 1950 und Krauss 1985. Für eine Wasseruhr mit monatlich verschiedenen Stundenskalen s. Borchardt 1920; NeugebauerParker 1969.
II. Das Doppelgesicht der Zeit
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Ausformung dieser Idee hat kürzlich Jean Yoyotte (1980) erschlossen. Ausgehend von dem Problem der über ganz Ägypten und zahlreiche Museen verstreuten Sachmet-Statuen Amenophis' III. hat er anband von ptolemäischen Tempelfriesen und Litaneien zeigen können, daß sich diese Statuen zu einem Zyklus von 2 x 365 Statuen ergänzen, 2 (eine stehende und eine sitzende) für jeden Tag des Jahres. Gemeinsam realisieren sie zugleich eine Litanei und einen Kalender. Sachmet verkörpert die Einheit von "Zeit" und "Unheil": mit ihrer Beschwörung verbindet sich der Gedanke, das Jahr in jedem einzelnen seinerTage so zu bannen, daß kein Unheil sich darin ereignen kann. Auf die sich darin äußernde zugleich pessimistische und dramatische, d.h. zu unablässigem Handeln aufrufende Vorstellung der Zeit werden wir abschließend noch zurückkommen. b) Die Zeit des Menschen und der Dinge
Eine zweite Gruppe von Wörtern bezieht sich auf Zeit von etwas und Zeit für etwas. Das Wort 3t ('at) bedeutet soviel wie "Augenblick", "Moment" und bezeichnet den Zeitpunkt, an dem sich ein Phänomen am charakteristischsten und vollsten entfaltet; das Wort tr (ter), das auch "Jahreszeit" bedeutet (im selben Doppelsinn wie das frz. "saison") bezeichnet die rechte Zeit für etwas 18 • Beide Ausdrücke, 'at und ter, berühren sich mit dem griechischen Kairos-Begriff 19 • In diesen Wörtern erschließt sich am klarsten die Bedeutung, die der Ägypter dem flüchtigen Augenblick seines Erdendaseins beigemessen hat, für den sich ihm, nach Diodor, die Anlage eines steinernen Wohnhauses nicht lohnte. Auch das Erdendasein erschien ihm als eine solche "saison", eine Gelegenheit, die es zu ergreifen und mit der Tätigkeit zu erfüllen gilt, die sie erfordert. So liest man z.B. in der Lehre des Ptahhotep: Folge deinem Herzen in der ,saison' deines Erdendaseins und tue nicht mehr als die Sache erfordert. Vermindere nicht die Zeit (tr) in der du dem Herzen folgst, denn ein Abscheu für den ,Ka' ist es, seine rechte Zeit (3t) zu schmälern. Beeinträchtige nicht die Bedürfnisse des Tages über das Bestellen deines Hausstands hinaus. {Auch der) Besitz dessen wächst, der seinem Herzen folgt, doch nichts taugen Reichtümer, wenn es (das Herz) vernachlässigt ist 20 • 18
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Zum Zusammenhang von Jahreszeit und (landwirtschaftlicher) Tätigkeit vgl. den in Ägypten über zweieinhalb Jahrtausende tradierten Satz aus der ältesten erhaltenen Lebenslehre (des Djedefhor): .,Lehre deinen Sohn Schreiben, Pflügen, Fischen und Fallenstellen nach dem Umlauf des Jahres" (Brunner 1979, 119 und 122). Hierzu s. Morenz 1960, 7Pr84. Seine These, daß die Ägypter mit diesen Begriffen einen Kairos in der menschlich-geschichtlichen Sphäre (Jt) und einen in der natürlichen Sphäre (tr) unterschieden hätten, läßt sich allerdings nicht halten. 11. Maxime, ed. :2:aba 1956, 30f. Nr. 186-1923, s. dazu auch Hornung 1978, 307; Fecht 1978, 30f; Kap. VIII, 218f.
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
Das ist eine Aufforderung zum rechten Gebrauch der Zeit, die dem Menschen gegeben ist, eine Mahnung zum Ergreifen der Gegenwart21 , anstatt in der Sorge um die Zukunft, die Vermehrung des Besitzes über das Notwendige hinaus, die Gelegenheit zum Leben zu schmälern. Auf einer Statue der 22. Dyn. liest man: Schlafe nicht, wenn die Sonne im Osten steht, und dürste nicht zur Seite des Bierkrugs. Sitze nicht in der Kammer der Herzenssorge, das Morgen vorherzusagen, bevor es gekommen ist22 •
Einmalliest man sogar die erstaunlichen Worte, die die Klage des Achill vorwegzunehmen scheinen: Wertvoller ist der Augenblick, da man das Licht der Sonne sieht als die Ewigkeit als Herrscher der Unterwelt23 .
Dieser Begriff von der Kostbarkeit des Erdendaseins als einer vorübergehenden Gelegenheit, die genutzt werden muß und als einer Gegenwart, die nicht in der Sorge um die Zukunft vertan werden darf, erschließt sich dem Ägypter aus dem Bewußtsein seiner Sterblichkeit. "Es gibt kein Verweilen auf Erden" lautet ein ägyptisches Sprichwort24 • Das vergißt man nur allzuleicht über dem überwältigenden Zeugnis der Gräber und Mumien. Der Ägypter hat sich nicht eingebildet, mit seiner aufwendigen Verewigungstechnik den Tod überwinden zu können. Auch wenn der Tod für ihn kein absolutes Ende, sondern Übergang in eine andere Existenzform war, hat er ihm die gebührende Furcht oder besser Ehrfurcht nicht verweigert. Das Zeugnis der Gräber lehrt vielmehr, daß ihm der Tod und die Ewigkeit ständig vor Augen standen 25 • Aus der Intensität dieser Beherzigung des Sterbenmüssens er21
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Dieser Lehre folgt auch ein gewisser Megegi aus Theben, dersich um dieWendezum 2. Jt. v. Chr. in seiner Grabinschrift folgendermaßen charakterisiert (nach Schenkell965a, 108f.): .,Ich bin einer, der das Gute liebt und das Böse haßt, der den Tag voll ausnutzt. Ich zog keine Zeit vom Tag ab, ich ließ keine nützliche Stunden verstreichen. Ich verbrachte die Jahre auf Erden und erreichte die Wege der Nekropole, nachdem ich mir jede Grabausrüstung bereitet hatte, die den Seligen bereitet werden kann. Ich bin einer, der seinem Tag folgt, der seiner Stunde nachgeht im Verlauf eines jeden Tages." In einer ungefähr 1700 Jahre späteren Inschrift heißt es entsprechend: "Folget eurem Herzen in dem Augenblick des diesseitigen Daseins (Petosiris, Inschrift Nr. 127, s. Otto 1954b, 184). Vgl. auch Assmann 1977a. Statue Kairo CG 42 225, s. Kees 1962, 24-26; Assmann 1977a, 80. Statue KairoCG 42 206ed. Legrain 1914, 16(b)vgl. Assmann 1975, l8sowie Kap. VIII, 218-20. Gunn 1926,183 Nr. IOn. 16-17;Assmann 1975, 16; 1977,68. "Ich habe gemacht, daß ihre Herzen den Westen ( = das Totenreich) nicht vergessen können", sagt der Schöpfergott in einem vielzitierten Text aus dem MR (Cf VII 464d).
II. Das Doppelgesiebt der Zeit
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schloß sich ihm ein Begriff der Lebenszeit als einer kostbar unwiederbringlichen Gegenwart und Chance. Damit hat uns die Analyse der sprachlichen Ausdrücke an den problematischen Gegensatz von Zeit und Ewigkeit herangeführt. Dieser Gegensatz stellt sich im Ägyptischen dar als Opposition von abgemessenen Zeitspannen auf der einen Seite und unendlicher Zeitfülle auf der anderen 26 • Das Wort für die abgemessene Zeitspanne lautet 'J,'w (abau), das auch spezifisch "Lebenszeit" bedeuten kann, als die allem Lebenden für den Aufenthalt im Diesseits zur Verfügung gestellte Zeitspanne, ohne die Konnotationen der Gelegenheit und Vergänglichkeit, aber mit dem Merkmal der Begrenztheit, dem die kosmische Zeitfülle als das Unbegrenzte und in diesem Sinne als eine Art von Ewigkeit gegenübersteht. Dieser "Ewigkeit" wollen wir uns nun als dem dritten lexikalischen Begriff der ägyptischen Zeitausdrücke zuwenden.
c) Die kosmische Zeit Wenn die Texte die individuell begrenzte Zeitspanne, abau, der allgemeinen, ungemessenen Zeitfülle gegenüberstellen, dann verwenden sie für diese das Wort nJ,J, ( nebeb). Dieses Wort bezeichnet den unerschöpflichen Vorrat der Stunden, Tage, Monate und Jahre, aus dem allem Seienden sein Teil zugemessen ist. Nun also, wird man einwenden, da haben wir ja, was wir suchen: das ägyptische Wort für "Zeit". Aber so einfach ist es nicht, und zwar aus zwei Gründen: erstens hat der ägyptische Begriff neheh kaum etwas mit dem gemeinsam, was wir unter "Zeit" verstehen: er vergeht nicht, schafft keine Distanz, ist kein Worin für geschichtliche Abläufe. Er stellt nur die Zeiteinheiten und Zeitspannen bereit, in denen sich Dasein und Geschichte ereignen können; zweitens, und hier liegt das eigentliche Problem des ägyptischen Zeitbegriffs, gibt es noch ein anderes Wort für "Zeit": dl (djet). Meist kommen die beiden Wörter gemeinsam vor und drücken in der Form eines Hendiadyoin den Begriff der unendlichen Zeitfülle aus. Die Tatsache, daß wir es hier nicht nur mit einem, sondern mit zwei Wörtern zu tun haben, hat der Ägyptologie besonderes Kopfzerbrechen gemacht27 • Die einen halten sie schlechtweg für Synonyme. Aber diesen Luxuserlaubt sich bekanntlich die Sprache nicht. Zwei Ausdrücke, zwei Inhalte, lautet die Regel. Diese Inhalte können sich überschneiden, aber niemals völlig decken. Daher suchen die anderen die Lösung in Oppositionen wie Vergangenheit ( djet) und Zukunft (neheh), diesseitige (neheh) und jenseitige Zeit (djet), zyklische (neheh) Zu dieser Oppositions. Assmann 1975 b, Kap. I, mit den ergänzenden Bemerkungen Hornung 1978, 28lff., die deutlich machen, daß der Begriff ·~·w sich nicht auf diesseitige im Gegensatz zu jenseitiger Zeit bezieht, sondern auf abgemessene Zeit im Gegensatz zur unerschöpflichen Zeitfülle (nJ"h). Abgemessene Zeit gibt es nach ägyptischer Vorstellung auch im Jenseits. n Entsprechende Literaturhinweise gab ich in Assmann 1975 b, 41f. n. 138-143. Vgl. zuletzt Ni~nski 1981,41-53.
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
und lineare Zeit (djet), räumliche (djet) und zeitliche Unendlichkeit (neheh) und vieles andere mehr. Jeder dieser Vorschläge ist an der Fülle beigebrachter Gegenbeispiele gescheitert. Ich möchte dem Leser meinen eigenen Vorschlag nicht vorenthalten. Dafür muß ich ihm aber einen Exkurs in das Tempus-System der ägyptischen Sprache zumuten. Daß der Zeitbegriff einer Kultur etwas mit dem Tempussystem der Sprache zu tun hat, in der sie denkt, läßt sich am klarsten anband jener Stellen veranschaulichen, wo im Bereich unserer eigenen Kultur erstmals und für alle Späteren maßgeblich eine Bestimmung der Begriffe "Zeit" und "Ewigkeit" unternommen wird. Ewigkeit, heißt es in Platons Timaios, ist die Sphäre des Seins, von dem in Wahrheit nur ausgesagt werden kann: es ist; Zeit dagegen ist die Sphäre des Werdens, alles dessen, von dem gesagt werden kann: es war, ist, wird sein. Zeit ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft 28 • Damit folgte Platon und folgen wir den Kategorien unseres indogermanischen Tempussystems, das auf die Zeit in den drei Zeitstufen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verweist. Die semitohamitische Sprachfamilie, zu der auch das Ägyptische gehört, gründet ihr Tempus-System nicht auf die Dreiteilung der Zeitstufen, sondern auf die Zweiteilung der Aspekte Perfektiv und lmperfektiv 29 • Der perfektive Aspekt gibt an, daß sich ein Agens außerhalb des in seiner Gesamtgestalt abgeschlossen überschauten Vorgangs befindet, der Imperfektiv stellt das Agens innerhalb des unabgeschlossenen Vorgangs dar 30 . Schon diese binäre Opposition der Aspekte macht die Existenz eines Zeitbegriffs, der Zeit als Hendiadyoin oder "duale Einheit" ausdrückt, plausibel. Die Beziehung dieses dualen Zeitbegriffs zu den spezifischen Tempus-Kategorien des Ägyptischen31 ist aber noch viel enger. Bevor ich aber darauf eingehe, muß ich daran erinnern, daß das Ägyptische wie viele andere und besonders semitohamitische Sprachen die Möglichkeit hat, sich vollkommen zeitabstrakt auszudrücken. Die Form dafür ist der Nominalsatz, der kein verbum finitum und keine Zeitreferenz hat 32 • Zeitreferenz findet also überhaupt nur in einem Teil der ägyptischen Satzformen statt, in den Sätzen mit Verbum finitum. Hier ist nun aus der ursprünglichen semitohamitischen Aspekt-Opposition eine Opposition geworden, die ich als Virtualität vs. Resultativität verstehe 33 . Die Verbformen des Virtualis bezeichnen einen Vorgang als solchen, unabhängig von der Zeitstellung seines aktuellen Verlaufs; die Formen des Resultativs bezeichnen ihn in der Art eines perfeeturn praesens als aktuell abgelaufen 28 29
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Timaios 37e-38a. Aus der schwer übersehbaren Fülle einschlägiger Lit. und zugleich als Wegweiser zu dieser seien nur Diakonoff 1965, 78-101; Kurylowicz 1972, 79--93 und Schenkel 1975, 3ff. zitiert. Nach Kaschmieder 1929. S. hierzu etwa Junge 1970; Assmann 1974a, 59--76 und Loprieno 1986. Vgl. Schenkell965b, zusammengefaßt bei Assmann 1974a, 65-67. Eine vorläufige Skizze dieser Konzeption gab ich in Assmann 1974a, 64ff.
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und in seinem Resultat fortdauernd. Im Deutschen läßt sich diese Opposition veranschaulichen an Verben, die sich auf Fähigkeiten oder Gewohnheiten beziehen. Dort bringt das Praesens ähnlich wie der äg. Virtualis die bloße Disposition zum Ausdruck, z.B. "er raucht", "er trinkt", während das Perfekt sich auf die soeben aktuell vollzogene Handlung bezieht: "er hat geraucht", "er hat getrunken". Von dieser Grundopposition des ägyptischen Tempussystems her verstehe ich die semasiologische Differenzierung der beiden Wörter für Zeit. Djet ist der resultative Aspekt der Zeit, die gegenwärtige und unendliche Fortdauer dessen, was sich in der Zeit vollendet hat. Neheh ist die virtuelle Zeit, der Oberbegriff der Zeitfiguren, d.h. der Stunden, Tage, Monate, Jahreszeiten und Jahre, die in unendlicher Folge dem Neheh als einem unerschöpflichen Vorrat entströmen. Ähnlich haben sich auch die Ägypter selbst über die semantische Differenz zwischen neheh und djet geäußert. Aber da sie sich natürlich nicht in abstrakten Kategorien äußerten wie "Resultativität" und "Virtualität" 34 , haben sie ihre Zuflucht zu veranschaulichenden Metaphern genommen. So haben sie neheh als "Tag", djet als "Nacht", neheh als "das Morgen", djet als "das Gestern", neheh als "Anfang", djet als "Ende" erklärt und vieles andere mehr. "Gestern" und "Morgen": das klingt nun doch wieder wie "Vergangenheit" und "Zukunft". Aber dieses ägyptische "Morgen" ist kein zukünftiges Morgen, das einmal Vergangenheit wird, sondern ein virtuelles oder "ewiges" Morgen, das immer im Kommen bleibt und aus dem jedes aktuelle "Heute" hervorgeht 35 • Die Zukunft wird zur Vergangenheit, die neheh-Zeit wird aber nie zur djet-Zeit, sondern nur das, was sich in den aus der nehehZeit hervorgehenden Zeiteinheiten vollendet, geht in die Resultativität der djet-Zeit ein. Ebenso ist das "Gestern" keine Vergangenheit, sondern die aktuelle Gegenwart, in der das, was jemals seine Endgestalt gewonnen hat, lebendig bleibt und andauert; ein "ewiges Gestern", von dem man sich nie wei-
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Gegen derartige Versuche, am sprachlichen Befund (anhand verschiedener Verwendungskontexte) beobachtbaren semasiologischen Differenzierungen mit Kategorien wie .. Perfektivität" und .,lmperfektivität", .,Resultativität" und "Virtualität" beizukommen, ist von der Kritik (zuletzt Niwinski 1981,41 m.n. 2) immer wieder der Vorwurf erhoben worden, sich in ihrer Abstraktheil von der .. prälogischen Denkweise" der alten Ägypter zu entfernen. Aber es dürfte wohl einleuchten, daß wir uns auch über eine .. prälogische" Denkweise im wissenschaftlichen Diskurs nur verständigen können, wenn wir sie, um den Preis der "Entfernung", in eine .,logische" Sprache übersetzen. Zur Verbindung der Nllh-Zeit mit der Vorstellung des "Kommens" s. Assmann 1975b, 13f., dazu BauerBl, 145vom .. Nahen" (tkn) desnM, vgl. auchAssmann, a.a.O., 39oben: "der nnh kommt verjüngt". Ebenso hängt die gt-Zeit mit der Vorstellung des "Bieibens·· (äg. mn, auch gd .,dauern") zusammen.
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ter entfernen kann, das nie zum "Vorgestern" wird 36 • Vergangenheit und Zukunft: das ist die Zeit, wie sie der Mensch in Erinnerung und Erwartung an sich selbst erfährt. Es lassen sich zwar Sprachen denken, deren Tempussystem sich nicht auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bezieht; aber es läßt sich kein menschliches Bewußtsein denken, das ohne Erinnerung und Erwartung funktioniert. Neheh und Djet sind offensichtlich nicht auf der Grundlage des menschlichen Zeitbewußtseins konzipiert. Dasein und Geschichte lassen sich in diesen Kategorien nicht denken. Hier haben wir es nicht mit der Zeit des Menschen, sondern mit der Zeit des Kosmos zu tun. Das Wesen der neheh-Zeit tritt für den Ägypter am klarsten an den Bewegungen der Gestirne in Erscheinung, das Wesen der djet-Zeit an der starren Unwandelbarkeit des Gesteins. In der Dichotomie von neheh und djet, Virtualität und Resultativität, erschließt sich das Wesen der Zeit, nicht als Auß, sondern als Gegenwart, in der das Vollendete lebt und in die das Virtuelle einströmt, als ein ewiges "Heute", das sich aus der Komplexion von "Gestern" und "Morgen" ergibt. Nach allem Gesagten ist klar, daß und in welcher Weise Neheh und Djet keine Synonyme sind. Trotzdem bleibt das Faktum bestehen, daß sie in gegebenen Kontexten oft füreinander eintreten können. Auch dies läßt sich erklären. Neheh und Djet bezeichnen gemeinsam einen Oberbegriff, für den das Ägyptische kein eigenes Wort hat und den auch wir in ein Wort unserer Sprache zu übersetzen in Verlegenheit sind, denn er umfaßt Zeit und Ewigkeit in einem, wäre also mit Wendungen wie "ewige Zeit" zu umschreiben. Ganz anders steht es mit "Vergangenheit", "Gegenwart" und "Zukunft": das sind, wie Platon im Timaios zeigt, die "Teile" der Zeit. Hier gibt es einen klaren Oberbegriff (Chronos) und ebenso klare Unterteilungen. Im Ägyptischen aber ist der Oberbegriff verborgen (lexikalisch nicht realisiert). Er kommt nicht nur durch das Hendiadyoin, die "duale Einheit" Neheh-und-Djet zum Ausdruck, sondern klingt auch in jedem einzelnen der beiden Wörter mit an. Daher kann jeder der beiden Ausdrücke fallweise so etwas wie "ewige Zeit" bedeuten und nur in Kontexten, wo es darauf ankommt, wird ihre Differenzierung in resultative und virtuelle Zeit herausgestellt. Man kann sich die Übersetzungsprobleme des Ägyptologen vorstellen, der dieselben Ausdrücke bald mit "Zeit", bald mit "Ewigkeit" wiedergeben zu müssen glaubt. Zeit ist ein zwar geheimnisvolles, aber doch natürliches und sogar alltägliches Phänomen, Ewigkeit aber ist ein "Donnerwort••, ein .l6
Aus dieser Struktur des äg. Zeitbegriffs lassen sich unmittelbar gewisse Eigentümlichkeiten des äg. Geschichtsverständnisses herleiten, wie sie besonders Wildung 1969 herausgearbeitet hat. "Vergangenheit" ist für diese Geschiehtsauffassung keine Kategorie; nicht ihr hohes Alter macht z.B. die Pyramiden bedeutsam, sondern der Umstand, daß einzelne ihrer Erbauer im Bewußtsein ihrer Nachwelt lebendig geblieben, d.h. also gerade nicht vergangen, sondern gegenwärtig sind. Qt ist die fortwährende Gegenwärtigkeil dessen, was von der Kultur in die fortfließende Gegenwart mitgenommen wird.
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II. Das Doppelgesicht der Zeit ~-----
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Abbildung I: Neheh (links) und Djet (rechts) als Himmelsträger. Darstellung auf einem der vergoldeten Schreine Tutanchamuns, nach: A. Piankoff, N. Rambova, The Shrines ofTht-Ankh-Amon (Bollingen Series XL. 2, New York 1955, Abb. 47). Die Wiedergabe als männliche (Neheh) und weibliche (Djet) Gottheit richtet sich nach dem gramm. Geschlecht der ägyptischen Lexime. Beachtenswert ist hier die hieroglyphische Schreibung der beiden Wörter, die bereits in der Wahl und Anordnung der Zeichen das Element des Zyklischen und die Beziehung zur Sonne bei Neheh, sowie bei Djet die Beziehung zur Erde (zum Gestein als Inbegriff der Dauer) zum Ausdruck bringt.
schwindelerregendes Hinausdenken in ein Jenseits alles Vorstellbaren. Wie kann man jemals im Zweifel sein, welches dieser abgrundtief verschiedenen Wörter die richtige Übersetzung ist, wie kann man sie gar zu Formeln wie "ewige Zeit" vermengen? Gegen solche Vermengung hat deshalb Erik Hornung den Vorschlag gemacht, das Wort Ewigkeit überhaupt aus den Übersetzungen zu streichen und nhh und gt nur mit "Zeit" wiederzugeben, da sie mit unserem Ewigkeitsbegriffnichts zu tun hätten 37 • Das Problem liegt aber noch tiefer, denn sie haben ebensowenig mit unserem Zeitbegriff zu tun. Sie sind nicht, wie dieser, gegen eine Ewigkeit begrifflich abgegrenzt. Sie ufern, sozusagen, in Richtung auf das aus, was man unter Ewigkeit verstehen, was man jedenfalls nicht mehr Zeit nennen kann. Wichtig ist vor allem, daß dem Ägypter diese Unterscheidung überhaupt fremd war. Für ihn gibt es kein "Jenseits der Zeit". Der Übergang vom Diesseits zum Jenseits liegt innerhalb der Zeit, von der Knappheit hier zur Fülle dort 38 • Auch die Götter stehen in der Zeit. 37
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Hornung 1965, 28-32; ähnlich Brunner 1954155, 141-145; Hornung 1971, 166-179. Hornung 1978, 294 und 304 folgt jedoch unserem Vorschlag ( Assmann 1975b, 48), ,U,h und/oder !l.t fallweise mit .. Ewigkeit" oder .,Zeit" zu übersetzen. Vgl. hierzu bes. Hornung 1978, 269-307. spez. 304.
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
Ihre Theologie bietet keinen archimedischen Punkt, von dem aus, via negationis, über die Welt und die Zeit hinauszudenken wäre 39 . Die Zeit der Götter ist zwar unendlich lang, aber sie verläuft wie die Zeit der Menschen in Tagen und Jahren und nicht wie die Zeit Jahwes, vor dessen Augen .,Tausend Jahre sind wie der gestrige Tag, wenn er vergangen ist. " 40
Hier wird wirklich über die Zeit hinausgedacht. Von dem archimedischen Punkt eines transzendenten Gottesbegriffs aus wird sie aus den Angeln gehoben, negiert, zum Stillstand gebracht. Mit dem Problem der Zeit ist der Mensch in allen Lebensbereichen konfrontiert, für das Problem der Ewigkeit aber ist, so scheint es, allein die Religion zuständig. Solange eine Religion sich nicht zu einem Jenseits des Kosmos, der Zeit und des Vorstellbaren aufschwingt, solange kann auch von Ewigkeit nicht die Rede sein. Gestatten Sie mir hierzu eine Anmerkung. Tatsächlich gibt es in der ägyptischen Religionsgeschichte eine Phase, in der einer bestimmten theologischen Tradition dieser Aufschwung zu einem transzendenten Gottesbegriff gelang. Es handelt sich um die Ramessidenzeit 41 - das 13. und 12. Jh. v. Chr. -die es unternahm, den Monotheismus der vorausgegangenen Amarnazeit durch die pantheistische Theologie eines Höchsten Wesens zu überwinden, das die Götterwelt- und damit den Kosmos- transzendiert. Dieser Gottesbegriff bietet erstmals den Ansatz für eine Negation der Zeit, d.h. eine Position der Ewigkeit. Von ihm heißt es in fast wörtlicher Vorwegnahme des zitierten Verses aus Ps 90: Der die Zukunft vorhersieht in Millionen von Jahren, die gt steht ihm vor Augen wie der gestrige Tag, wenn er vergangen ist 42 .
Die djet-Zeit ist das schlechthin Unabsehbare. Man kann sie nicht treffender negieren, als daß man sie einem Gotte vor Augen stehen läßt wie der gestrige Tag. In diesem Blick, der aus einem Jenseits der Zeit schaut, ist die Zeit aufgehoben43. 39
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Für die eine, berühmte Ausnahme- das 175. Kapitel des Totenbuchs mit seinem Vorläufer in Sargtext-Spruch 1130 und seinem Nachklang in einem späten Osiris-Hymnus - s. Assmann 1975b, 26ff.; Hornung 1978, 300f.; Kakosy 1978, 109f. Ps90,4. Zum Weltgott-Begriff der Ramessidenzeit s. allgemein Assmann 1979b; mit besonderem Bezug auf die Zeit-Problematik: Assmann 1975b, 61~9. Vgl. auch Graefe 1979,47-78. Papyrus Berlin 3049, XII, 4-5; Papyrus Strasbourg 2 und 7,11, 17, vgl. zu diesen Stellen im Zusammenhang einer verbreiteten Topik der "Zeit im Angesicht Gottes" Assmann l975b, 67~9. Dieser Gottbegriff transzendiert auch den Gegensatz von n}Jh und d,t: er ist beides in einem. Von ihm heißt es z.B.: ,nhh' ist sein Name, dt ist sein Ebenbild, sein ,Ka' (planender Wille) ist alles Seiende (zusammen mit ähnlichen Stellen bei Assmann 1975b, 65). Die kosmische Zeit ist der Lebensvollzug dieses Gottes, die geschichtliche Zeit entspringt seinem "Ka", seinem planenden Denken und Wollen.
II. Das Doppelgesicht der Zeit
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Zum Haupttext zurückkehrend, wollen wir aus dieser Anmerkung vor allem folgende Beobachtung mitnehmen: die Ewigkeit ist ein historisches Phänomen. Mit den Problemen der Zeit - was immer man unter ihr verstehen will - sind wir immer schon konfrontiert und keine Kultur kommt ohne eine begriffliche Artikulation der Zeitdimension aus. Der Ewigkeit aber fehlt jede natürliche Evidenz. Der argentinische Dichter und Essayist Jorge Luis Borges hat wohl am klarsten den Vorrang der Zeit als eines "natürlichen Mysteriums" vor der "von Menschen erschaffenen Ewigkeit" zum Ausdruck gebracht. Er schreibt: Die Zeit ist für uns ein Problem, ein furchtbares und anheischiges Problem, vielleicht das vitalste Problem der Metaphysik; dagegen ist die Ewigkeit ein Spiel oder eine müde gewordene Hoffnung. Wir lesen in Platons "Timaios", die Zeit sei ein bewegliches Abbild der Ewigkeit; doch ist dies zur Not ein schöner Akkord, der keinen Leser von der Überzeugung abbringen wird, daß die Ewigkeit ein aus der Substanz der Zeit hergestelltes Bild ist. 44
Die Ewigkeit ein "aus der Substanz der Zeit hergestelltes Bild" - vielleicht kann man noch genauer sagen: ein Gegen-Bild der Zeit. Unter einem Ewigkeilsbegriff möchte ich die Negation der Zeit verstehen, und zwar nicht der Zeit "an sich", denn was das ist, scheint niemand zu wissen, sondern eines spezifischen Zeitbegriffs. Wenn eine Kultur überhaupt zu einem Ewigkeitsbegriff vorgedrungen ist, dann ist dieser zu beschreiben als die Negation der dominierenden Merkmale ihres Zeitbegriffs. Wo Zeit als gerichteter Fluß verstanden wird, ist Ewigkeit als Stillstand denkbar, wo Zeit Entfaltung heißt, erscheint Ewigkeit als punktartige Kopräsenz, wo Zeit- wie in Indien -Bindung an einen Zyklus der Wiederkehr bedeutet, ist Ewigkeit Erlösung, wo Zeit die Sphäre des Werdens und Vergehens kennzeichnet, ist Ewigkeit die Sphäre des Seins usw. usw. Nach dieser Regelläßt sich nun auch genau bestimmen, in welchem Sinne nl,zl,z und fl.t einen Ewigkeilsbegriff ausdrükken: sie negieren speziell die existenzielle Dimension des ägyptischen Zeitbegriffs, die Zeit der Menschen und der Dinge. Wo Zeit als Kairos und zugemessene Spanne begriffen wird, als Einmaligkeit und Begrenztheit, da erscheint Ewigkeit als unbegrenzte Duration und unendliche Wiederholbarkeit. Dieser Ewigkeilsbegriff denkt aber nur über den Menschen, nicht über den Kosmos hinaus. Daher ist er kein Donnerwort, worin sich das absolut Unvorstellbare ausdrückt, sondern ein Begriff, der sich an den natürlichen Manifestationen der Zeit: an der Unwandelbarkeit des Gesteins und der Unendlichkeit der Gestirnsbewegungen orientiert. 44
Borges 1965 (1975), 5. Eine Ausnahme, auf die in der Diskussion W. Pannenberg aufmerksam machte, stellt vielleicht der auf der Evidenz der "black holes" beruhende "Ewigkeits"-Begriff der neuesten Astrophysik dar. Deswegen spezifiziere ich: der Ewigkeit fehlt jede natürliche Evidenz. "Natürlich" ist die nur über komplizierteste Apparate und Berechnungen zugängliche Evidenz der "black holes" jedenfalls nicht.
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An diesem Punkt möchte ich die Analyse des sprachlichen Befundes zum Abschluß bringen, die uns als erster Einstieg in die Problematik des ägyptischen Zeitbegriffs dienen sollte. Die Betrachtung der Zeiteinheiten hat uns mit der "vorübergehenden" Stunde und dem "sich verjüngenden" Jahr, der kleinsten und der größten Einheit, in der die Ägypter die Zeit gemessen haben, zwei Eigenschaften der Zeit bezeichnet, die auch in den anderen beiden Gebieten, die wir untersucht haben, eine Rolle spielen: die Vergänglichkeit auf der existenziellen Ebene, wo die Zeit als Kairos erscheint, als Zeit für etwas und von etwas, die nicht versäumt werden darf, und die Verjüngung auf der kosmischen Ebene der Zeitfülle, die uns mit dem Begriff der Zeit (bzw. Ewigkeit) als dualer Einheit von Resultativität und Virtualität, unabsehbarer Dauer und unendlich wiederholbarer Zeitfiguren, konfrontiert hat. Dieser Begriff ist unserem Denken fremd, aber er läßt sich zu manchen Phänomenen in Beziehung setzen, die wir eingangs, unter BerufungaufPlaton und Diodor, als die hervorstechendsten Eigentümlichkeiten der ägyptischen Kultur, in Erinnerung gerufen haben. Der Bezug der Zeit als resultative Fortdauer des geschichtlich Vollendeten zum Drang nach Selbstverewigung im Stein liegt auf der Hand. Aber auch der Bezug der virtuellen Zeit zur Wiederholbarkeil der künstlerischen Formen ist evident. Ermutigt von diesen Zusammenhängen- denn was ist historische Wahrheit anderes als die Anschließbarkeil von Beobachtungen? - können wir den zweiten Schritt tun und die Untersuchung von der Ebene der sprachlichen Befunde auf die Ebene der religiösen Gestalten und Vorstellungswelten verlagern. In der religiösen Dimension füllen sich die abstrakten Kategorien nicht nur mit lebendiger Anschauung und Erfahrung, sondern gewinnen Gestalt in Gottheiten von ungeheurer Strahlkraft und Bedeutungsfülle. Alles bisher Behandelte erscheint hier in einem neuen Licht. Der enge Rahmen des Vortrags, die "zugemessene Zeit", die als kostbare Gelegenheit genutzt werden will, zwingt mich aber, eine Auswahl zu treffen. Ich werde bei der Zeit als dualer Einheit, bei Resultativität und Virtualität, verweilen, die mir nicht nur als der fremdartigste und interessanteste, sondern auch als der zentrale Aspekt der ägyptischen Zeitauffassung erscheint. Wir werden also die Domäne des Mondgottes Thoth beiseite lassen, dem die Zeitmessung und das Kalenderwesen heilig sind. Wir werden auch- und dieser Verzicht fällt wesentlich schwerer- auf die ägyptische Idee vom Totengericht hier nicht näher eingehen, in deren Sicht sich die Bedeutung der diesseitigen Lebenszeit, der zugemessenen Zeitspanne, als ein Weg darstellt, der auf ein Ziel hinführt. Statt dessen beschränken wir uns auf die Götter der virtuellen und der resultativen Zeit, in deren Theologie sich uns der ägyptische Zeitbegriff am anschaulichsten und differenziertesten erschließt.
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3. Theologie der Zeit Wenn es in einer so frühen Kultur wie der altägyptischen überhaupt so etwas wie eine Philosophie der Zeit gegeben haben soll, dann ist gar nicht anders zu erwarten, als daß sie in Gestalt der Theologie derjenigen Gottheit auftritt, die vor allen anderen mit den Phänomenen der Zeit verbunden wird. Das ist in Ägypten die Sonnentheologie 45 , die im Tempel von Heliopolis beheimatet ist, demselben Tempel, in dem der Überlieferung nach Platon sich in die ägyptische Weisheit hat einweihen lassen. Über keine andere Theologie der altägyptischen Religion sind wir so gut unterrichtet wie über diese, die ihren Niederschlag in Tausenden von Texten gefunden hat, vor allem Hymnen, aber auch Traktaten, kosmographischen Beschreibungen des Sonnenlaufs, Himmels- und Unterweltsbüchern, Toten- und Zaubertexten. Wenn wir unsere Untersuchung auf diese reichen Materialien stützen, geben wir ihr auf jeden Fall eine denkbar solide Basis, auch wenn wir es dabei- das müssen wir uns immer bewußt halten - nicht unbedingt mit dem Wissen des altägyptischen "Mannes auf der Straße" zu tun bekommen, sondern mit dem Wissen der "Weltbild-Spezialisten", der Priester-46. Die Sonnentheologie ist eine Theologie des Sonnenlaufs. Der Sonnengott erscheint darin in dreifacher Gestalt: als Chepre am Morgen, Re am Mittag und Atum am Abend 47 • In dieser Dreiheit verkörpert sich die Anschauung der Zeit als dualer Einheit. Re ist der verborgene Oberbegriff, für den das Ägyptische kein Wort hat, während Chepre, die Morgensonne, den virtuellen Aspekt der Zeit und Atum, die Abend- und Nachtsonne, den resultativen Aspekt der Zeit verkörpert. Das geht aus der Bedeutung der Namen ganz klar hervor: Chepre heißt der "Werdende", der "sich Verwandelnde", Atum heißt der "Vollendete". Das ist keine Etymologie, die den Ägyptern, d.h. der lebendigen Sprache selbst undurchsichtiggewesen wäre. So liest man z.B. oft Sätze wie •s Zur ägyptischen Sonnenreligion s. Assmann 1983a. 46
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Die Vorstellungswelt gerade der Sonnenreligion ist aber im Ägypten zumindest des Neuen Reichs ( 1500-1000 v. Chr.) ausgesprochen populär, mit Ausnahme der esoterischen .. Unterweltsbücher", die eine eigene und in manchen Punkten abweichende Theorie der Zeit zu entwickeln scheinen, vgl. dazu Hornung 1978, 281-290. Der teilweise Widerspruch zwischen Hornungs und meinen Interpretationen des ägyptischen Zeitbegriffs erklärt sich aus der wissenssoziologischen Differenzierung des von uns herangezogenen Materials. So scheint mir etwa die von Hornung erschlossene hochinteressante Vorstellung einer Zeit-Schlange, die die Stunden -oder auch andere 'h'w-Zeitspannen- gebiert und verschlingt, auf die Unterweltsbücher beschränkt und sonst im ägyptischen Denken keine Rolle zu spielen. Die Verallgemeinerung dieser Vorstellung scheint mir um so problematischer, als der Gedanke des Gebärens und Verschlingens, auch über die "Zeit-Schlange" hinaus, für die Unterwehsbücher typisch ist und wohl weniger mit der Vorstellung der Zeit als des durch den Zug der Sonne durch die Unterwelt bedingten Wechsels von ücht und Finsternis zusammenhängt. S. hierzu Assmann 1969, 333ff.
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"du hast dich vollendet zum Herrn der Djet (also der resultativen Fortdauer) in deinem Namen ,Atum' (der Vollendete)"
Und zumToten sagt man: "du vereinigst dich mit der neheh-Zeit, wenn sie als Morgensonne aufgeht, und mit der Djet-Zeit, wenn sie als Abendsonne untergeht"48 •
So besitzt für den Ägypter die Zeit als duale Einheit, als Komplexion von Virtualität und Resultativität, Wandel und Vollendung, in der Theologie des Sonnenlaufs eine natürliche und täglich neu erfahrbare Evidenz. Aber im Sonnenlauf, im Zyklus von Chepre und Atum, Morgen und Abend, Wandel und Vollendung, wird zwar die Zeit als duale Einheit sehr sinnfällig, tritt jedoch ausschließlich auf der kosmischen Ebene, als kosmische Zeit in Erscheinung. Das ist die Zeit jenseits der menschlichen Sphäre, die von daher gesehen als Ewigkeit erscheint. In späterer Zeit tritt daneben aber eine Götter-Konstellation hervor, in der das Wesen der Zeit in noch viel umfassenderer, auch die Sinn-Dimensionen der Geschichte und des Menschen einbegreifenden Weise zur Anschauung kommt: Das ist die Konstellation des Sonnengottes Re mit seinem Antagonisten, dem Totengott Osiris, die sich als Verkörperung der Zeit zur dualen Einheit verbinden. Re verkörpert die virtuelle Zeit, Neheh, das "ewige Morgen", aus dem jeder neue Tag hervorgeht, Osiris verkörpert die resultative Zeit, djet, das "ewige Gestern", in dem alles, was in der Zeit zur Endgestalt gereift ist, aufgehoben ist und unwandelbar fortdauert-49 . Osiris ist ein Spätling in der ägyptischen Religionsgeschichte, der erst im 2. Jt. seine ganze Bedeutungsfülle entfaltet50 . Man kann sein Wesen nicht umfassender beschreiben, als wenn man ihn als den Inbegriff und die Verkörperung der Resultativität bezeichnet. Osiris ist nicht nur ein Totengott, ein Herrscher der Unterwelt, sondern ein toter Gott. Sein Wesen ist, gestorben und als gestorbener Gott unvergänglich zu sein. Osiris gehört nicht zur Gruppe der "sterbenden und auferstehenden Götter". Gewiß hat er mit den Zyklen der Natur zu tun, mit dem Sterben und Wiederaufleben der Vegetation und dem Steigen und Fallen des Nils. Aber er ist kein Vegetationsgott, der als Vegetation stirbt und aufersteht, sondern er ist der Tod, aus dem das Leben 48 49
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Diese und ähnliche Stellen bei Assmann 1975b, 43-48, bes. 44 n. 155 und 47 n. 161. Die Gleichsetzung von Re mit nM und von Osiris mit dtwird im 17. Kapitel des Totenbuchs implizit vollzogen, wo erst "alles Seiende" als "nM und df' und dann nM als "Tag" und dt als .,Nacht" erklärt und in Abschnitt5Osiris dem "Gestern" und Re dem "Morgen" gleichgesetzt werden. Überdies sind nM-Sonnengott-Tag und dt-Osiris-Nacht-Gestem auch sonst geläufige Gleichsetzungen, s. Assmann 1975b, 44 n. 155 und LÄ II, 50 m.n. 4>-45. Das Wesen des GottesOsiris ist immer noch oder besser: seit neuestem wieder Gegenstand heftiger Kontroversen in der Ägyptologie, s. Griffiths, in: LÄ IV.4 (1981) 623-633 und Westendorf 1981, 55-58 mit Verweisen auf weitere Lit. Meine eigene Deutung versteht sich nicht als Rekonstruktion hypothetischer Ursprünge (Westendorf), sondern bezieht sich auf die erst mit dem 2. Jt. in den Quellen greifbare Theologie die Gottes.
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kommt und dem es wieder anheimfällt, der Tod, durch den das Korn hindurchgehen muß, um wieder zur Pflanze zu keimen, der Urgrund des Lebens, das aus dem Tode lebt. Osiris wird als Mumie dargestellt mit den Insignien der Königswürde. Die Königswürde hat er einmal im Diesseits ausgeübt51: er ist derjenige ägyptische Gott, der eine Vergangenheit, ein Schicksal, kurz: einen Mythos hat im vollen Sinne dieses Wortes. Der Mythos entfaltet in der Form der Erzählung das Gewordensein des Gottes zu jener Endgestalt, als die er nun, der Inbegriff des Resultativen, mumienhaftunwandelbar fortdauert. Er trägt den Beinamen Wan-nafre (der übrigens in dem christlichen Namen Onnophrius weiterlebt). Wan-nafre bedeutet "Der Ausgereift Dauernde". Präziser läßt sich die Kategorie des Resultativen nicht umschreiben. Osiris ist nicht, wie der Sonnengott, ein ausschließlich oder auch nur vornehmlich kosmischer Gott; sein Wesen als Inbegriff der Resultativität umgreift vielmehr alle drei Sinn-Dimensionen der ägyptischen Wirklichkeit: Kosmos, Mensch und Gesellschaft. Auf allen drei Ebenen verkörpert Osiris jeweils den resultativen Pol in drei analogen Konstellationen, die alle drei die duale Einheit von Resultativität und Virtualität zum Ausdruck bringen: Re und Osiris auf der Ebene des Kosmos Horus und Osiris auf der Ebene des Staates, der Gesellschaft und der Geschichte "Ba" und Osiris auf der Ebene des Menschen, d.h. vor allem: des Totenglaubens {den Begriff "Ba" werde ich unten erläutern)
Die Theologie des Gottes Osiris integriert die Ebenen oder Sinn-Dimensionen der Wirklichkeit und weitet zugleich den Begriff der Zeit als dualer Einheit vom Kosmischen auf die gesamte Wirklichkeit aus. Wir wollen diese Ausweitung des Zeitbegriffs anband der drei Konstellationen näher betrachten, in denen Osiris in den drei Sinn-Dimensionen der Wirklichkeit das Wesen der djet-Zeit, die Resultativität, verkörpert. a) Auf der kosmischen Ebene verkörpert sich in der Konstellation von Re und Osiris die duale Einheit der kosmischen Zeit. Re ist das "ewige Morgen", dem alles Werden und aller Wandel entspringt, Osiris ist das "ewige Gestern", dem alles Vollendete zu unwandelbarer Fortdauer anheimfällt. Der Sonnenlauf, die sinnfälligste kosmische Manifestation der Zeit, ereignet sich zwischen den beiden Göttern und ist ihr gemeinsames Werk, das als zyklische Vereinigung der beiden Zeitkategorien, der Virtualität und der Resultativität, zustande kommt. b) Auf der Ebene des Königtums, d.h. des Staates, der Gesellschaft und der Geschichte, verkörpert Osiris die Kategorie des Resultativen in Gegenüberstellung mit dem Gott Horus. Jeder lebende ägyptische König gilt als 51
Vgl. hierzu Yoyotte 1977, 145-149.
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Abbildung 2: Der Sonnenlauf. Zeichnung von Aleida Assmann nach einer Wandmalerei im thebanischen Grabe des Ncfersecheru (Nr. 296, um 12.'\0 v. Chr.). Die Sonne, vom Symbol des Lebens emporgehoben, zwischen Himmel (das von oben empfangende weibliche Armpaar mit Brüsten) und Unterwelt (dem von unten stützenden Pfeiler, dem Symbol der .. Dauer". in dem sich Osiris verkörpert). Der Vorgang vollzieht sich unter der Anbetung der .. Sonnenaffen", der Göttinnen Jsis und Nephtyhs und der .,Ba"-Vögel des Grabherm.
Verkörperung des Gottes Horus, jeder tote König wird zu Osiris. Man kann daher den Gott Horus als einen "virtuellen König" bezeichnen, der sich in der als unendlich vorgestellten Reihe der ägyptischen Könige immer wieder verkörpert, in genau derselben Weise, wie die ni,J,-Zeit als ein "ewiges Morgen" in der unendlichen Reihe derTage in die Welt einströmt. Entsprechend ist Osiris als Existenzform des toten Königs das "ewige Gestern", als das er nicht der Vergangenheit, sondern der dt-Zeit, der resultativen Fortdauer angehört und in die fortfließende Gegenwart mitgenommen wird. Neheh und Djet vereinen sich im lebenden König, der immer zugleich Sohn und Verkörperung eines Gottes ist: Sohn in bezugauf den Toten Vater, der als Osiris die resultative Fortdauer des Gestern, des geschichtlich Gereiften darstellt, ln-
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karnation in bezug auf den virtuellen König Horus, der in ihm zur Welt kommt wie das ewige Morgen im jeweiligen Heute. Kraft dieses Doppelbezugs zur Virtualität des Horus und zur Resultativität des Osiris, kommt auch im Königtum, genau wie im Sonnenlauf, die kosmische Zeitfülle in voller Präsenz zur Erscheinung52 • c) Im Gegensatz zum König gewinnt der einzelne Mensch an dieser kosmischen Zeit jedoch erst nach dem Tode Anteil. Das ist die dritte Ebene, auf der Osiris als der Inbegriff der Resultativität erscheint. Nach dem Tode wird der Mensch durch die Riten der Einbalsamierung und Mumifizierung zu einem Osiris, dessen Namen er als Toter wie einen Titel führt: Osiris Antef, Osiris Amenophis, Osiris Ranofer. Als solcher geht er in die djet-Zeit ein. Er legt sich ein steinernes Grab an, worin er seine Biographie aufzeichnet, die Geschichte seines Gewordenseins zu dem, was als Resultat nun fortdauern soll 53 • Entscheidend für diese Fortdauer ist aber nicht die Summe, die er selbst zieht, sondern die im Totengericht gezogen wird, dem sich jeder Verstorbene nach ägyptischer Vorstellung nach dem Tode unterziehen muß. Hier wird in einem ordentlichen Gerichtsverfahren das Resultat festgestellt und über Fortdauer oder Vernichtung entschieden. Da der Ägypter als Person fortdauern will, d.h. im sozialen Bezug, bedarf er der Anerkennung. Nur das im Totengericht anerkannte Resultat einer im Tun des Rechten ausgereiften Persönlichkeit lebt in dem durch Mumie und Steingrab bereitgestellten resultativen Aspekt der Zeit weiter54 • Dem steht auch hier der virtuelle Aspekt gegenüber, in Gestalt eines vitalen Prinzips, das den Körper bewegt und beseelt. Der Ägypter nennt dieses Prinzip "Ba" und versteht darunter die Fähigkeit, sich in beliebigen Gestalten zu verkörpern, also Virtualität und Potentialität im reinsten Sinne des Wortes55 • Im Leben ist dieser Ba in den Körper eingebunden, im Tode aber wird er frei zu beliebiger Gestaltung, während der Körper als Mumie fortdauert. Das ist die Form, in der der Mensch nach dem Tode in der dualen Einheit der kosmischen Zeitfülle existiert: Dein Ba existiert, indem er lebt in der Neheh-Zeit wie Orion am Leibe der Himmelsgöttin; Dein Mumienleib existiert, indem er dauert in der Djet-Zeit wie das Gestein der BergeS6.
s2 Zur Horns-Osiris-Konstellation als Zentrum der ägyptischen Königstheologie und Geschiehtsauffassung s. Kap. V, 115-137. B Das, was wir hier "Resultativität" nennen und sowohl mit dem Tempussystem als auch mit der Zeitbegrifflichkeil des Ägyptischen in Verbindung bringen, ist als grundlegende Kategorie der mit Grab, Totenglauben und Osirisreligion verbundenen Vorstellungswelt schon von Spiegel 1935 in gültiger Form herausgearbeitet. 54 Vgl. hierzu meinen Artikel "Persönlichkeitsbegriff und -Bewußtsein" in LÄ IV (1982), 963--78. ss Zum Ba-Begriffs. Wolf-Brinkmann 1968; 2:abkar 1968. 56 Papyrus Boulaq 111.8,3-4 ed. Sauneron 1952, Tf. 27.
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
Ba und Mumie realisieren also auf der Ebene der Anthropologie und desTotenglaubens die duale Einheit von Virtualität und Resultativität, und zwar nicht als die kosmische Zeit selbst, sondern als die Form der Teilhabe an ihr, die Weise des In-der-Zeit-Seins. In Re und Osiris dagegen verbinden sich Virtualität und Resultativität nicht zu einer Weise des In-der-Zeit-Seins, sondern zur Zeit selbst. Re und Osiris sind nicht "in" Neheh und Djet, sondern sie sind Neheh und Djet. Hier liegt das eigentliche Mysterium des ägyptischen Zeitbegriffs. Es handelt sich buchstäblich um ein Mysterium, denn einer der Texte, der uns darüber Auskunft gibt, warnt ausdrücklich: Wer das enthüllt, stirbt eines gewaltsamen Todes, weil es ein großes Mysterium ist: Re ist das und Osiris57 •
Im Vertrauen darauf, diese Dinge doch nie völlig entschleiern zu können und immer noch ein gutes Stück von der gefährlichen Wahrheit entfernt zu bleiben, dürfen wir wohl unerschrocken auch an dieses Mysterium herangehen. Auch Re und Osiris verhalten sich zueinander wie Ba und Mumienleib. Es handelt sich aber nicht um eine bloße Analogie. Genau wie der Ba des Menschen sich nach ägyptischer Vorstellung nächtens mit dem Leichnam vereinigt, so steigt auch der Sonnengott als Ba in die Unterwelt hinab und vereinigt sich um Mitternacht mit seinem Leichnam Osiris 58 . Die Zeit als duale Einheit wird in diesem Mysterium rituell dramatisiert. Die logische Beziehung der beiden Kategorien Virtualität und Resultativität zueinander und zu dem verborgenen Oberbegriff wird im Ritual als Vereinigung der beiden Götter zu einem einzigen Gott dargestellt, der "Vereinigter Ba" genannt wird. Re, der Sonnengott, ist das vitale Prinzip, der "Ba" des Kosmos, die Virtualität als Fähigkeit zu unendlicher Gestaltung, die nicht nur in der Sonne Gestalt annimmt, sondern in allem, was durch das Licht der Sonne sichtbar wird, d.h. seine Gestalt dem Licht verdankt 59 . Osiris, der Totengott, ist der Mumienleib des Kosmos, die Permanenz des Vollendeten, Gewordenen, Ausgereiften, Verwirklichten. Der Sonnenlauf, der die Zeit hervorbringt, ist das Zusammenspiel von Ba und Mumienleib und daher nichts anderes als der Lebensvollzug des Kosmos, dessen Lebendig-sein man sich nach dem anthropologischen Modell als zyklische Vereinigung von Ba und Leichnam vorstellt. Auf allen drei Ebenen der Wirklichkeit - Kosmos, Königtum und Totenglauben- geht es um die Vereinigung von Djet und Neheh, Resultativität und Virtualität. Was dadurch gewährleistet werden soll, ist mehr und ist etwas Konkreteres als der Fortgang der Zeit. Am nächsten kommt dem damit angePapyrus Salt 825 XVIII. 1-2 ed. Derchain 1965 I, 153ff.; II, 19. Zur Vorstellung einer allnächtlichen Vereinigung von Re und Osiris s. Derchain 1965 I, 155ft.; Assmann 1969, 101-105; Hornung 1971, 85-87; Assmann 1983a, 2. Kap. ~ Einiges Material hierzu findet sich im 4. und 5. Kap. von Assmann 1983a. 57
SB
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Abbildung 3: Re und Osiris als "Vereinigter Ba", Darstellung im Grab der Nefenari (um U50 v. Chr.) nach A. Piankoff, The Tomb of Ramses VI (Bollingen Series XL. I, New York 1954), S. 34. Der Mumienleib ist als Merkmal des Osiris, der Widderkopf mit Sonnenscheibe als Merkmal des (nächtlichen) Sonnengottes anzusehen, die in dieser Gestalt verschmelzen. Die hieroglyphische Beischrift besagt: "Osiris, der in Re ruht: das ist Re, der in Osiris ruht ...
strebten Ziel wohl der Begriff der KontinuitäfiJ. Im Totenglauben gewährleistet die nächtliche Vereinigung von Ba und Leichnam die Kontinuität der personalen Identität, im Königtum gewährleistet die in der Doppelrolle des Königs, als Sohn und Verkörperung, gelungene Vereinigung von Resultativität und Virtualität die Kontinuität der Geschichte, d.h. der staatlichen, nationalen und kulturellen Identität, und auf der kosmischen Ebene bedeutet die mitternächtliche Vereinigung von Re und Osiris die Kontinuität der Wirklichkeit schlechthin. Die Kontinuität der Wirklichkeit: das ist der Oberbegriff von Neheh und Djet, der ägyptische Begriff der Zeit, der in Richtung Ewigkeit ausufert. Kontinuität ist ein dramatischer Begriff von Zeit, der den Menschen zum Handeln aufruft. Djet und Neheh müssen fortwährend vereinigt, die Zeit in 60
Zum Begriff der Kontinuitäts. Assmann 1975b, 28-30.
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
Gang gehalten, Kontinuität gewährleistet werden. Das geschieht in den Kulten der ägyptischen Sonnenheiligtümer. Hier wird die Zeit in Gang gehalten und der Sonnenlauf in der Form eines rituellen Kalenders kultisch mitvollzogen, der jede "vorübergehende" Stunde mit Handlungen und Rezitationen begleitet61 • Dieser rituelle Mitvollzug des Sonnenlaufs geht nicht davon aus, daß die Zeit eine selbstverständliche Gegebenheit ist, daß automatisch jeder Nacht ein Morgen folgt und die Sonne ohne Stillstand vom Osten zum Westen gelangt. Die Grunderfahrung, auf der dieser Begriff der Zeit als Kontinuität der Wirklichkeit sowie der diesem Zeitbegriff gewidmete Kult beruhen, ist die jederzeitige Möglichkeit der Katastrophe62 • Dieses uns so seltsam anmutende Handeln vollzieht sich im Sinnhorizont einer virtuellen Apokalyptik, die das Fortbestehen der Welt auf dem Hintergrund ihres einkalkulierten Endes sieht. Es gibt sehr viele Texte, die dieses Weltende beschreiben 63 . So beginnt z.B. das Mysterium der Vereinigung von Re und Osiris, aus dem ich oben zitiert habe: Die Erde ist verwüstet, die Sonne geht nicht auf, der Mond zögert, es gibt ihn nicht mehr, der Ozean schwankt, das Land kehrt sich um, der Fluß fließt nicht mehr ab64 •
Das ist die Krise, die Katastrophe, die durch die Vereinigung von Re und Osiris abgewendet wird. Ein anderer Text stellt die Katastrophe so dar: Die Sonnenbarke steht still und fährt nicht weiter, die Sonne verharrt an ihrer gestrigen Stelle. Die Opfer sind aufgehalten, die Tempel verschlossen, Finsternis geht um, die Zeiteinheiten werden nicht geschieden, die Figuren des Schattens sind nicht zu beobachten. Die Quellen sind verstopft, das Gras verdorrt, das Leben ist den Lebenden entzogen 65 .
Das ist ein Text, der bei Schlangenbiß rezitiert wird. Der Zauberer macht sich die Kohärenz oder "Sympathie" des Kosmos zunutze, der auf allen Ebenen der Wirklichkeit- Kosmos, Königtum und Einzelschicksal- vom Prinzip der dualen Einheit durchwaltet, d.h. auf die Kontinuität des Lebens angewiesen 61
62
63
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M
Das sog. Stundenritual. s. Assmann 1969, 133-164. Eine Neuedition von E. Graefe ist in Vorbereitung. "Das Chaos ist ganz im Sinne ältester Mythen vorauszusetzen und natürlich, der Kosmos ist göttlich und gefährdet": Gehlen 1961,59. Mit speziellem Bezug auf das ägyptische Weltbild vgl. dazu Kap. X. Zusammengestellt bei Schott 1959; vgl. ferner Assmann 1975b, 2fr28; Kap. X, S. 283ft.; Hornung 1977. Papyrus Sah 825, I, 1~ s. Derchain 1965 I, 24-28. Klasens 1952, 3lf.; 57; 96.
II. Das Doppelgesicht der Zeit
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ist. Er stellt den Schlangenbiß als Eingriff in die allgemeine Lebenskontinuität hin, der alles Leben stocken läßt und die Götter zu sofortiger Abhilfe veranlaßt. Der Kult beruht auf den gleichen Prinzipien wie die Magie, verfolgt aber andere, allgemeine Ziele. Mit seinen Lobpreisungen fördert er den Sonnenlauf und zieht das kosmische Gelingen auf die Erde hinab. Der kultische Mitvollzug des Sonnenlaufs verfolgt zwei Ziele: Kontinuität und Kohärenz. Kontinuität erzielt er durch die rituelle Begehung der Zeit, durch die sie gleichsam "ornamentalisiert" wird. Lassen Sie mich diesen Begriff kurz erläutern. Das Ritual hat eine ähnliche Beziehung zur Zeit wie das Drama und die Musik und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens entfaltet es sich in der Zeit und gibt einem bestimmten Stück zeitlichen Ablaufs eine konkrete, bedeutungsvolle und genau festgelegte Gestalt, und zweitens gewährleistet es durch die genaue Befolgung der Vorschrift, daß jede Aufführung zur vollkommenen Wiederholung der vorhergehenden wird, genau wie in der Musik die Partitur den Wiederholungscharakter einer Aufführung sicherstellt. Das Prinzip des Rituals wie der musikalischen Partitur ist die Wiederholbarkeil festliegender Handlungs- und Zeitfiguren. Beim Ritual kommt nun noch etwas entscheidendes hinzu: die Einfügung dieser Wiederholungen in genau festliegende Zeitorte im Ganzen des zeitlichen Flusses. Indem nun das Ritual erstens im festliegenden Rhythmus seiner Wiederholungen die Zeit skandiert und zweitens durch die genaue Befolgung der Vorschrift jede Aufführung mit der vorhergehenden zur Deckung bringt, hebt es die Gerichtetheit der Zeit auf und macht aus dem Strahl des zeitlichen Ablaufs ein Ornament im unendlichen Rapport immer wieder sich deckender Zeitfiguren66 • Diese Bemerkungen beziehen sich auf das Ritual im Allgemeinen. Im Sonnenkult haben wir es aber mit Ritualen zu tun, die ganz speziell die Zeit zum Thema haben. Jede einzelne Stunde wird hier mit kultischen Begehungen begleitet, die nicht nur mit der Vorschrift übereinstimmen, sondern auch in genauestem Einklang stehen müssen mit den kosmischen Ereignissen, die für die jeweilige Stunde charakteristisch sind67 • Dadurch wird nicht nur die Zeit ornamentalisiert, sondern die Krise abgewendet und Kontinuität erzeugt. Kohärenz, d.h. die Einbindung der verschiedenen Sinn-Dimensionen der Wirklichkeit in ein umfassendes Prinzip der "Sympathie", der aufeinanderBezogenheit, erreicht der Kult durch die sprachliche Ausdeutung, mit der er unablässig die kosmischen Vorgänge begleitet und sie auf die Sinn-Dimensionen der Wirklichkeit- d. h. die kosmische Götterwelt, das Königtum und den Totenglauben-hin durchsichtig macht68 . Die Überwindung des Sonnenfein66 67
68
Vgl. hierzu Assmann 19nc, 2t)-28. S. n. 59, vgl. auch Assmann 1983a, Kap. l. Eine ÜbersetzungderTexte: ÄHG Nr. 1-12. Nach ägyptischer Auffassung hat der Kult die Aufgabe, mit dem Mittel der ,.sakramentalen Ausdeutung" Erde und Himmel zueinander in Beziehung zu setzen (s. dazu Assmann 19nc, 15-25) und so die Erde zum Abbild des Himmels und zum Gefäß göttlicher Einwohnung zu machen (vgl. Junge 1978 mit Verweis auf Pseudo- Apuleius, Asclepius § 24 sowie Derchain 1962, 188ff.).
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des am Mittag wurde in den Hymnen als die Herrschaft des Rechts und der Sieg der göttlichen Ordnung dargestellt, der auch dem Pharao Sieg über innere und äußere Feinde garantierte, und die Durchquerung der Unterwelt bei Nacht wurde als Überwidnung des Todes gefeiert, als Inbegriff des Lebens aus dem Tode, die allem Sterblichen ein neues Leben verhieß. Im Gelingen des Sonnenlaufs und in der genauen Befolgung der ihn begleitenden Riten stand die eigene Sache auf dem Spiel. Wenn die Riten nicht befolgt werden, heißt es in den Texten, entsteht Hungersnot im ganzen Land, wenn der Götterfeind nicht bekämpft wird, herrscht Gesetzlosigkeit, Anarchie und Aufruhr auf Erden, wenn der Kultbetrieb gestört wird, verfinstert sich die Sonne und der Ozean trocknet aus69 . Nur allzuleicht belächelt man solche Visionen als Wahnvorstellungen einer primitiven Menschheitsstufe. Natürlich sind keine derartigen kosmischen Katastrophen eingetreten, seit und weil die Riten nicht mehr vollzogen wurden. Aber es ging ja gar nicht darum, die Zeit und den Sonnenlauf in Gang zu halten, sondern die Kohärenz und Kontinuität der Wirklichkeit. Was man in Gang hielt, war ein Wissen von der Ordnung des Ganzen, war die Kontinuität der kulturellen Identität. Das aber haben die Ägypter, allen Fremdherrschaften zum Trotz, in einer höchst eindrucksvollen Weise bewerkstelligt. Nicht eine neue Herrschaft- der Libyer, Assyrer, Äthiopier, Perser, Griechen und Römer-sondern erst ein neuesWissen: das Christentum, hat diese kulturelle Identität zerstört. Man hat diese Schilderungen der Katastrophe immer für echte Apokalypsen gehalten, für Prophezeiungen des Weitendes. Erst in der Kategorie der Virtualität erschließt sich ihre eigentliche Bedeutung als die immer gegebene, aber auch immer abwendbare Gefahr des Abreißens der Kontinuität und des Zerfalls der Kohärenz, auf deren dunklem Hintergrund sich die gelingende Kontinuität als die volle Präsenz des Heils und des Lebens darstellt. Im Sinnhorizont einer virtuellen Apokalyptik ereignet sich Zeit als realisierte Eschatologie, als die volle Gegenwärtigkeil des Heils. Auf dem Hintergrund der glücklich bestandenen Krise erweist sich die Kontinuität der Zeit nicht als Fortschreiten, sondern als Fortwähren, als schiere Präsenz, die keinen Aufschub und keine Distanz, keine Erwartung künftigen und keine Erinnerung vergangeneo Heils kennt. Die Riten hatten das Heil zu sichern, indem sie die irdischen Verhältnisse einbanden in die kosmische Zeit, deren Struktur wir uns veranschaulichen weder als Linie, noch als Kreis, sondern als ein Ornament im unendlichen Rapport der periodischen Vereinigung von Neheh und Djet. Lassen Sie mich mit einem Bild schließen, das geeignet ist, uns die aktuelle Gegenwärtigkeil des ägyptischen Zeitbegriffs vor Augen zu führen. Es stammt von dem englischen Dichter und Graphiker William Blake und stellt 69
Papyrus Jumilhac XVI1.19-XVIII.Il und Urk VI, 122-125 s. Kap. X, S. 284-287.
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Abbildung 4: Das Sonnenkind im Uroboros, nach einem Papyrus der 21 Dyn. (um 1000 v. Chr.) in Kairo, bei A. Piankoff, Mythological Papyri S. 22, Abb. 3. Zwischen den beiden Löwen, die als .,Gestern" und .,Morgen" = Djet und Neheh den Doppelaspekt der Zeit verkörpern, garantiert das Sonnenkind im Uroboros als deren Vereinigung die Kontinuität der Wirklichkeit.
eine Schlange dar, die, sich in den Schwanz beißend, einen Ring formt. Auf ihr, hochaufgerichtet, die Arme erhoben, die Hände zur Spitze zusammengelegt, ein nackter Mensch. Es handelt sich um einen unausgeführten Entwurf zu einer Illustration von Edward Young's Gedicht "Nacht-Gedanken" (Night Thoughts) 70 und bezieht sich auf folgende Zeilen: nature revolves but man advances; both etemal, that a circle, this a line 71 (Die Natur kreist in sich, doch der Mensch schreitet voran, beide ewig, jene ein Kreis, dieser eine Gerade)
Die Schlange und der Kreis symbolisieren die in sich kreisende Natur (revolving nature), die ewig in sich selbst zurückkehrende kosmische Zeit. Der Mensch und die Gerade symbolisieren den Fortschritt des Menschen ( advancing man), sein Schicksal und sein proprium: den "Fortschritt", der ihn von der Natur nicht nur unterscheidet, sondern entfernt. Beide streben unvereinbar auseinander. Auch hier die Zeit im Dual: aber nicht als duale Einheit. Die sich in den Schwanz beißende Schlange, der Uroboros, ist ein ägyptisches Symbol der kosmischen Zeit, der schlechthinnigen Zeitfülle, außer-
70 71
H.B. De Groot 1969, 560. Ich verdanke die Kenntnis dieser Zeichnung Aleida Assmann. Edward Young, Night Thoughts, VI, 690-92.
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
Abbildung 5: .,Nature revolves but man advances" -Allegorie der geschichtlichen und der natürlichen Zeit, Zeichnung von Aleida Assmann nach einem Bleistift-Entwurf zu einer Illustration von William Blake (Ende 18. Jh. n. Chr.).
halb derer nichts gedacht werden kann 72 • Der Uroboros symbolisiert die Zeit als den Lebensvollzug des lebendigen Kosmos, der zugleich alles belebt und am Leben erhält, was in ihm ist. Nichts kennzeichnet den Unterschied zwischen dem ägyptischen und dem abendländisch-christlichen Weltbild knapper und treffender als der aufrechte Mensch, den Blake auf den Uroboros stellt. Für Blake wie für den Ägypter symbolisiert der Uroboros die kosmische Zeitfülle, die alles, was in der Zeit ist, belebend umgreift. Für Blake aber ist die Zeit nicht das Ganze, sondern eine Sphäre, die der zur Ewigkeit berufene Mensch transzendiert. Für den Ägypter dagegen ist die kosmische Zeitfülle das schlechthinnige Ganze, worin alles Sein und Leben gründet. "Doch der Mensch schreitet voran" - but man advances- dieses Heraustreten des Menschen aus dem kosmischen Leben wäre für ihn vermutlich der Inbegriff jener Katastrophe- jenes Kohärenz-Zerfalls- gewesen, um deren Abwendung er unablässig bemüht war.
72
Zum Uroboros in Ägyptens. Stricker 1953; Assmann 1975b, 30-34 m. n. 93-106; Hornung 1977, 434ft.; Niwinski 1981.
111. Magische Weisheit. Wissensformen im ägyptischen Kosmotheismus 1. Kosmotheismus Kosmotheismus wird hier als Sammelbegriff vorgeschlagen für Religionen der Weltbeheimatung und Weltinganghaltung, die sich unter dem Aspekt der Kosmosverehrung prägnanter kennzeichnen lassen als unter dem Aspekt der Vielheit, wie er in der eingebürgerten Bezeichnung "Polytheismus" hervorgehoben wird. Nicht Einheit oder Vielheit des Göttlichen macht den entscheidenden Unterschied, sondern die Frage seinerWeltlichkeit oder Außerweltlichkeit. Denn mit der Weltlichkeit des Göttlichen ist seine Evidenz und grundsätzliche Erforschbarkeit gegeben: das Göttliche wird zum Gegenstand nicht des Glaubens, sondern des Wissens. Mit der Weltlichkeit des Göttlichen ist aber auch die Göttlichkeit der Welt gegeben. Daher wird die Natur zum Gegenstand nicht der Erforschung, sondern der Anbetung. Wissen und Glauben, Theologie und Kosmologie fallen in eins zusammen.
2. Adam und Adapa: Wissen und Sterben Aus dem alten Orient sind uns zwei Mythen überliefert, die den Menschen als ein Zwitterwesen definieren: ausgestattet mit dem Wissen der Götter, aber nicht mit deren Unsterblichkeit. Zum Wissen gehört das ewige Leben, zum Sterbenmüssen gehört die Unwissenheit. Aber der Mensch, dieses exzentrische Wesen, hat die sinnvolle Disposition gestört. Er verbindet Wissen und Sterben. Der babylonische Mythos handelt von Adapa, dem Sohn des Ea. 1 Ea ist der Gott der Weisheit. Er konnte seinem Sohn die Weisheit, aber nicht die Unsterblichkeit vererben. Eines Tages zerreißt der Südwind dem fischenden Adapa das Netz. Adapa verflucht den Südwind, und da er das Wissen der Götter besitzt, ist sein Fluch so kräftig, daß er dem Windgott die Flügel bricht. Dadurch wird der unhaltbare Zustand offenkundig: ein irdisches Wesen besitzt das Wissen der Götter und ist doch kein Gott. Adapa wird vor den Thron des Anu, des Götterkönigs zitiert. Ea gibt ihm die Weisung mit auf den Weg, 1
Ich benutze die Übersetzung von E. A. Speiser 21955, 100-103. Die älteste Bezeugung stammt aus dem Tontafelarchiv von Tell ei-Amama in Ägypten (14. Jh. v. Chr.). Der Mythos selbst stammt, nach freundlicher Auskunft von K. Deller, aus altbabylonischer Zeit. Nach E. Ebeling, Tod und Lebm, 27a, wird in einem unpublizierten Syllabar a-da-ap mit .. Mensch" gleichgesetzt. Adapa und Adam sind daher möglicherweise nicht nur mytho- sondern auch etymologisch ver· wandt. Vgl. a. Bucellati 1973 und Picchioni 1981. Zu Adapa als "apkallu", einen der sieben UrWeisen in Karpfengestalt, s. den Beitrag von C. Wilcke in A. Assmann (1991).
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keine Nahrung anzurühren, die ihm die Götter anbieten. Es könnte die Nahrung des Todes sein. So verweigert Adapa die ihm angebotenen Speisen. Es war aber die Nahrung des Lebens. Denn die Götter wollten den unhaltbaren Zustand dadurch beenden, daß sie ihn zu einem Gott machten. So aber bleibt es für alle Zeiten bei dieser prekären Verbindung von Wissen und Sterben. Der biblische Mythos vom Sündenfallläßt Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis essen und dadurch wissend werden "wie Gott". Aber bevor sie auch noch vom nebenstehenden Baum des Lebens essen und die dazugehörige Unsterblichkeit erwerben können, werden sie aus dem Paradies vertrieben. Beide Mythen definieren den Menschen durch ein Zuviel an Wissen und ein Zuwenig an Leben. Das Wissen, um das es da geht, ist in beiden Mythen jedoch sehr verschieden. In der Bibel ist es das Wissen um Gut und Böse, das den Menschen Gott gleich macht, also die Fähigkeit zu selbstbestimmter Orientierung im Raum des Ethischen. Im babylonischen Mythos dagegen geht es um Kenntnisse und Macht im Raum des Kosmischen. Ea hat seinem Sohn, wie es heißt, "das Herz von Himmel und Erde" enthüllt. So bedeutet sein Wissen kosmische Macht. Er kann dem Südwind die Flügel brechen und stellt für die Götter eine Gefahr dar. Zwischen den beiden Mythen, zwischen Babyion und Israel, liegt ein Bruch: der Bruch mit dem Kosmotheismus. Für die Babyionier ist das göttliche Wissen Kosmos-Wissen: das Herz von Himmel und Erde; für die Israeliten ist das göttliche Wissen Gesetzes- Wissen: die Unterscheidung von Gut und Böse. Der Religionswissenschaftler R. Pettazzoni hat zwischen "magischer" und "göttlicher" Allwissenheit unterschieden (Pettazzoni 1960). "Magisch" ist die Allwissenheit des Schöpfers. Jedes gekonnte Handeln setzt ein savoir-faire voraus. Das Handeln des Schöpfers erfordert als das umfassendste Handeln auch das umfassendste Wissen. Magische Weisheit ist das Wissen, das in derWeit als Handlung steckt. "Göttlich" ist die Allwissenheit des Richters, der ins Verborgene blickt und über Gut und Böse entscheidet. Die Terminologie ist unglücklich, denn auch und gerade die "magische" Allwissenheit ist göttlich, gibt es doch keine göttlichere Handlungsform als die Schöpfung. Das "göttliche'' steckt schon im Begriff der Allwissenheit. Für unsere Zwecke werden wir zwischen "magischem" und "moralischem" Wissen unterscheiden. Kosmotheistisches Wissen ist "magisches Wissen", das Wissen der Schöpfung und in-Gang-Haltung, nicht des Überwachensund Strafens. 2 Es bezieht sich auf Himmel und Erde, also auf die sichtbare Welt, aber auf deren "Herz", also auf ihre Geheimnisse, ihren verborgenen Sinn, ihre steuernden Zusammenhänge. Kosmotheistisches Wissen ist kosmisch (welt-bezogen), verstehend (sinn-bezogen), magisch (handlungs-bezogen) und hermetisch (geheim). 2
.,Richterliche Allwissenheit" ist in Ägypten charakteristischerweise zuerst für den König bezeugt (Urk. I, 39) und geht erst später auf den Sonnengott in der Barke und Osiris als Herrn des Totengerichts über.
II I. Magische Weisheit
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3. Die magische Weisheit des Herrschers Der König betet den Sonnengott an in der Morgenfrühe bei seinem Herauskommen, wenn er seine ,Kugel öffnet', wenn er auffliegt zum Himmel als Skarabäus -er tritt ein in den Mund, er kommt heraus aus den Schenkeln bei seiner Geburt des Osthimmels. Sein Vater Osiris hebt ihn empor, die Arme (der Luftgötter) Huh und Hauhet empfangen ihn. Er läßt sich nieder in der Morgenbarke. Der König kennt diese geheime Rede, die die ,östlichen Seelen' sprechen, wenn sie Jubelmusik machen für den Sonnengott bei seinem Aufgang, seinem Erscheinen im Horizont und wenn sie ihm die Türflügel öffnen an den Toren des östlichen Horizonts, damit er zu Schiff dahinfahren kann auf den Wegen des Himmels. Er kennt ihr Aussehen und ihre Verkörperungen, ihre Wohnsitze im Gottesland. Er kennt ihre Standorte wenn der Sonnengott den Weganfang beschreitet. Er kennt jene Rede, die die Schiffsmannschaften sprechen, wenn sie die Barke des Horizontischen ziehen. Er kennt das Geborenwerden des Re und seine Verwandlung in der Flut. Er kennt jenes geheime Tor, durch das der Große Gott herauskommt, er kennt den, der in der Morgenbarke ist, und das große Bild in der Nachtbarke. Er kennt seine Landeplätze am Horizont und deine Steuergeräte in der Himmelsgöttin. 3
DieserText zählt auf, was der König alles wissen muß für eine einzige, wenn auch entscheidende Handlung: die Anbetung des Sonnengottesam Morgen. Er kennt die Natur des kosmischen Vorgangs, seine Phasengliederung, seine szenisch-konstellative Ausgestaltung und seine Heilsbedeutung als Wiedergeburt, er kennt die beteiligten Wesen, ihre Handlungen, ihre Reden, ihre Lebensumstände, und er kennt den räumlichen Rahmen des Geschehens, Himmelstore, Barken, Landeplätze, Steuergeräte. Er muß das alles genau kennen, um sich mit seiner anbetenden Rede wirkungsvoll in den kosmischen Prozeß einschalten zu können. Er will zum Gelingen dieses Prozesses beitragen und an diesem Gelingen teilhaben, um die Menschenwelt mit dem kosmischen 3
Aus einem Kulttheologischen Traktat über den .,König als Sonnenpriester", ed. Assmann 1970.
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
Gelingen in Einklang zu bringen. Zum Gelingen trägt er bei, indem er den Heils-Sinn des Vorgangs kennt und kultisch ausspricht. Im Ägyptischen heißt das: die Maat aufsteigen lassen ( Assmann 1990a, 184-192). Dabei handelt es sich um ein Sprach-Opfer. Der Sonnengott wird vornehmlich durch Rezitation verehrt, die man zu ihm aufsteigen läßt. In diesen Rezitationen wird das Gelingen, der Heils-Sinn der kosmischen Vorgänge beschworen. Dieses Sprach-Opfer heißt Maat. Maat ist der Inbegriff der Weisheit, nicht das Wissen selbst wie die hebräische IJ,okhmah, sondern das, worauf es sich bezieht. Das Wort kommt von einem Verb mit der Grundbedeutung "lenken", "leiten", "den Dingen die richtige Richtung geben" (vgl. Westendorf 1966). Maat ist Sinn im Sinne von "Richtungssinn" wie frz. sens, engl. sense. Der König kennt den verborgenen Richtungssinn der Dinge, und er läßt ihn zum Sonnengott aufsteigen, um dem Sonnenlauf die richtige Richtung zu geben. Damit bewirkt er nichts Geringes. "Ich habe dir Apopis niedergeworfen und deiner Barke freie Fahrt verschafft, sodaß sie nicht aufläuft auf jener Sandbank des Apopis bei der großen Fahrt", sagt er zum Sonnengott ( Apopis ist der Erzfeind des Sonnengottes, der als Wasserschlangedie Sonnenbarke mit Stillstand bedroht)4 Der König ist "der Schützer des Re-Harachte, der seinen Feind fällt mit der Heilseffizienz (J~w) seines Ausspruchs, der bewirkt, daß die Barke in Herzensweite dahingleitet". 5 Der König und die ihn vertretenden Sonnenpriester sind keine müßigen Zuschauer des Sonnenlaufs. Rund um die Uhr wird das "Stundenritual" zelebriert, dasden Sonnenlaufmit Rezitationen begleitet ( Assmann 1969,113-164 und 1975, Nr. 1-12). Ein Kult der Zeit, ein ritualisierter Kalender, der den dramatischen Charakter des ägyptischen Weltbilds deutlich macht. Für den Ägypter ist "Kosmos" nichts Statisches, kein" wohlgeordneter Raum", sondern ein "gelingender Prozeß", und dieses Gelingen steht ständig auf dem Spiel. Dabei geht seine Angst weniger dahin, daß eines Tages die Sonne nicht mehr aufgehen, als daß vielmehr der Heilssinn des Prozesses verloren gehen könnte. Es handelt sich also um ein officium memoriae. Er mußallsein Gedächtnis aufbieten, um dieses Wissen in seiner Heilseffizienz präsent zu halten. Die Welt, die da in Gang gehalten wird, ist eine Sinn-Welt, eine Welt der Sprache, des Wissens, der Beziehungen und Spiegelungen, eine anthropomorphe Lesung des Kosmos, der ein kosmomorphes Bild der menschlichen Ordnungen entspricht (Derchain 1962). Das Stundenritual bändigt wie alle Riten das kosmische Chaos und mit ihm das Chaos im Menschen. Wie das chinesische I-Ging "einigt es die Herzen und stellt Ordnung her" (vgl. Balandier 1988, 31). Das Kosmos-Wissen dient aber nicht nur dem Sonnenpriester, um dem Sonnenlauf die richtige, es dient auch dem Zauberer, um den Dingen die ge-
4
~
Stele Ramses'IV. In Abydos ed. Kitcben, Ramessilh Jnscriptions, VI, 24. 9-10. Medinet Habu VI, Tf. 422-423 s. Assmann 1970, 68.
111. Magische Weisheit
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wünschte Richtung zu geben. Dabei kann er dieses Wissen geradezu dazu benutzen, den Sonnenlauf anzuhalten, jedenfalls damit zu drohen. Denn in einem Drama, wo alles miteinander zusammenhängt und auf dem Spiel steht, gibt es keine isolierten Unglücksfälle. Der Magier kann sie mit der richtigen Beschwörung in den Zusammenhang des kosmischen Prozesses stellen: so werden die Götter, einfach um den drohenden Weltstillstand abzuwenden, rettend und heilend eingreifen, um den Störfall zu beheben. Wir zitieren einige einschlägige Beschwörungen in Kapitel X. Magische Heilungen behandeln die Krankheit als einen Einbruch des Chaos, dem mit einer Beschwörung der Ordnungskräfte zu begegnen ist, die die Welt hervorgebracht haben und in Gang halten (Eliade 1954/58). Daher ist magisches Wissen Schöpfungswissen. Es mobilisiert das kosmogonische Know-how, das im fortwährenden Gelingen des Weltprozesses steckt. Nichts anderes tut der Sonnenpriester, um diesen Prozeß selbst in Gang zu halten. Er verfügt über das kosmogonische Wissen und läßt es als Maat, als Opfergabe und "Richtungssinn" zum Himmel aufsteigen.
4. Kosmographien Woher hat der König dieses Wissen? Wie wird es überliefert und vermittelt? Über diesen Punkt sind wir überraschend gut unterrichtet: denn er hat es sich ins Grab mitgenommen. Die ägyptischen Königsgräber des Neuen Reichs sind mit Bildern und Beschreibungen einer jenseitigen Welt dekoriert. 6 Die meisten dieser Bild-Text-Kompositionen sind Itinerarien der nächtlichen Sonnenfahrt, die den Sonnenweg einbetten in eine Landkarte der Unterwelt. Das älteste und klassische dieser "Unterweltsbücher" (klassisch in dem Sinne, daß alle späteren davon abhängen) ist das "Amduat". 7 Dieses Buch trägt einen Zwecktitel, der seine Funktion spezifiziert: Zu kennen die Wesen der Unterwelt, zu kennen die geheimen Wesen, zu kennen die Tore und die Wege, auf denen der Große Gott (der Sonnengott) wandelt, zu kennen, was getan wird, zu kennen, was in den Stunden ist und ihre Götter, zu kennen den Lauf der Stunden und ihre Götter, zu kennen ihre Verklärungssprüche für Re, zu kennen, was er ihnen zuruft, zu kennen die Gedeihenden und die Vernichteten.
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Hornung 21984, vgl. Hornung 1981 und Brunner 1980. Allgemein zu den Königsgräbern s. Hornung 1982. Ed. Hornung 1963-1967; Übers. Hornung 21984, 57-194.
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Also ein Buch, das in erster Linie Wissen kodifizieren, systematisieren und vermitteln will. Das Wort Wissen oder Kennen wird im Titel neunmal wiederholt. Es ist dasselbe Wort, das auch im kulttheologischen Traktat über den König als Sonnenpriester immer wiederkehrt (achtmal), um die Wissensgegenstände der Morgenphase des Sonnenlaufs aufzuzählen. Im Amduat geht es um die Wissensgegenstände der Nachtphasen. Aber es handelt sich natürlich um dasselbe Wissen. Der Thaktat beschreibt den König als den Träger eines Wissens, das ihm durch Schriften wie das Amduat vermittelt wurde. In diesen Büchern haben wir die Kodifikationen des magischen Wissens vor uns, das nach Ansicht der Ägypter zur In-Gang-Haltung des (nächtlichen) Sonnenlaufs notwendig ist. Als Grabdekoration dienen sie dem König dazu, sein mitwirkendes Teilnehmen und seine Teilhabe am Gelingen des Sonnenlaufs im Jenseits fortzusetzen. Aus der Art dieser Wiederverwendung, der wir die Kenntnis dieser Literatur verdanken, können wir schließen, daß es sich dabei um einen äußerst exklusiven, streng gehüteten Wissensvorrat gehandelt haben muß. Denn im Neuen Reich (16.-12. Jh.) kommen die Kosmographien so gut wie ausschließlich in Königsgräbern vor. Der Charakter eines hermetischen Geheimwissens wird in ihnen selbst auch immer wieder betont. "Die geheimnisvolle Schrift der Unterwelt" nennt sich das Amduat, "die nicht gekannt wird von irgendwelchen Menschen außer vom Erlesenen." Der unterweltliche Raum wird im Amduat in zwölf Abschnitte geteilt: die 12 Stunden der Nacht. Das Bild gibt Raum und Zeit gleichermaßen wieder, und die Zeit ist das dominierende Gliederungsprinzip. Darin äußert sich hier der Primat der Zeit im ägyptischen Kosmos-Denken, auf den wir bereits gestoßen sind. Der Sonnengott durchquert die Unterwelt zu Schiff. In allen zwölf Stundenabschnitten ist die Sonnenbarke präsent, es wird also kein bestimmter Moment, sondern der Gesamtablauf dargestellt. Jeder Stundenbereich ist in der Horizontale dreigeteilt. Im Mittelstreifen fährt die Sonnenbarke dahin, meist auf einem Wasserstreifen, teilweise auch über Sand gezogen. Im oberen und unteren Streifen werden die Wesen dargestellt und beschrieben, denen der Sonnengott auf seiner Fahrt begegnet (Hornung 21984, 18). 8 Dabei geht es vor allem um ihre Reden und Handlungen. Es handelt sich hier weniger um die Kartographie eines Raumes, als um die Choreographie eines Rituals. Aber genau darin entspricht diese Beschreibung der Struktur des ägyptischen Weltbildes und Welt-Wissens. Die Welt ist von Natur aus Chaos.
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Diese A-B-A-Struktur ist allen Sonnenbildern gemeinsam. Gewöhnlich stellt man den Sonnengott dar in der Mitte zwischen Adoranten, die ihn symmetrisch links und rechts flankieren. Hier ist das Schema um 9
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Kosmos entsteht- in der Menschen- und Götterwelt- durch die gemeinsame Zelebrierung des kosmischen Rituals. 9 Die Darstellung baut auf der Idee des "Sonnenlaufs" als einer Schiffsreise durch Himmel und Unterwelt auf und elaboriert sie in zwei Richtungen. Die eine kann man Spezifikation nennen. Hier geht es um Genauigkeit und Detailreichtum. Die Magie ist eine exakte Wissenschaft. Es ist besonders dieser Aspekt des magischen Wissens, der es für uns so befremdlich macht. Nicht nur, daß hier Räume beschrieben werden, die sich jeder Beobachtbarkeit und Erfahrbarkeil entziehen- daß sie so genau beschrieben werden, ist das Absonderliche. So werden etwa die Abmessungen der Stundenbereiche genau angegeben. Die Breite ist jeweils 120 jtrw (1 jtrw, gr. stadion, = 10,5 km), die Länge 309 jtrw. So kommt man auf eine Gesamtlänge der nächtlichen Sonnenreise von 3708 jtrw oder knapp 39.000 km} 0 Man fragt sich, wie die Ägypter auf solche Zahlen gekommen sind. Handelt es sich um zahlensymbolische Spekulationen? Oder liegen dem irgendwelche Hochrechnungen und Extrapolationen bekannter geographischer Abmessungen zugrunde? Bekanntlich galt ja die Kunst der Landvermessung im Altertum als die große Errungenschaft der Ägypter. 11 Worum es aber vor allem geht, ist die Spezifizierung nicht des Raumes, sondern des Geschehens. Die Nachtfahrt der Sonne wird in Phasen zerlegt, die Phasen in Form von Szenen und Konstellationen verbildlicht. In diesen Szenen treten eine Fülle von Gottheiten und Wesen auf. Allein am Vorgang des Sonnenuntergangs sind 124 namentlich identifizierte Wesen beteiligt. Diese Wesen und ihre Namen sind nichts anderes als personifizierte Teilaspekte, in die eine kosmotheistische "Naturwissenschaft" den Vorgang des Sonnenuntergangs zerlegt. Das Amduat unterscheidet 908 an der Nachtfahrt beteiligte Wesen. Die "Sonnenlitanei", ein anderes dieser "Unterweltsbücher", unterscheidet 75 9
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Dieses pessimistische Weltbild beruht auf der Vorstellung, daß die Welt so wie sie ist nicht dem Urzustand des "Ersten Males" entspricht, sondern einige Phasen dramatischer Verschlechterung durchgemacht hat, die der Ägypter nicht als "Fall" (Iapsus) sondern als "Spaltung" und "Trennung" konzipiert. Der für diese Idee zentrale Mythos führt diese Spaltung auf eine Empörung der Menschen gegen die Herrschaft des Schöpfer- und Sonnengottes zurück, die dem goldenen Zeitaltereiner ungespaltenen Welt ein Ende gemacht hat, s. Hornung 1982a. Dadurch ist das Böse in Gestalt von Tod, Streit, Mangel und Unordnung in die Welt gekommen, die nur durch dessen unausgesetzte Bändigung in Gang zu halten ist. Es kommt aber alles darauf an, sie in Gang zu halten. Darin unterscheidet sich dieses Weltbild von dem radikal weltverneinender Religionen. Diese Zahl entspricht knapp dem Erdumfang, was möglicherweise kein Zufall ist. Vgl. Leitz 1989, 102f., dessen Argumentation ich in der Längenberechnung der Unterwelt gefolgt bin. S. dazu Schlott-Schwab 1981. Die Ägypter berechneten die Gesamtlänge Ägyptens mit 106jtrw. Zählt man diese 106 jtrw zu den 3708 jtrw der Unterwelt hinzu, gelangt man zu 3814 jtrw, was exakt dem Erdumfang entspricht (vgl. Leitz, 1989, 103f.) Die Berechnung des Erdumfangs durch Eratosthenes fand nicht nur in Ägypten statt, sondern basierte auch auf den Daten der altägyptischen Geodetik. Bekanntlich bestimmte Eratosthenes den Erdumfang durch Schattenmessung auf das 50fache der Entfernung Syene-Alexandria, also 5300 jtrw.
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Gestalten, die der Sonnengott in der Nacht annimmt. Das "Stundenritual" und verwandte Sonnenriten zerlegen den Sonnenlauf in 24 Phasen, denen 24 Gestalten des Sonnengottes entsprechen. Die kosmotheistische Optik wirkt in der spezifizierenden Richtung wie ein Mikroskop: sie zerlegt den kosmischen Prozeß in eine phantastisch anmutende Fülle differenzierter Komponenten. Die andere Richtung des magischen Wissens zielt auf Konzentration. Damit meine ich den durchgehenden Bezug des ganzen vielfigurigen und vielszenigen Geschehens auf einige wenige "Heilsideen". Es ist dieser Bezug auf die Heilseffizienz des Geschehens als eines Rituals, der dem Ganzen überhaupt erst einen Sinn gibt und der spezifizierenden Beschreibung den Charakter einer Ausdeutung verleiht. Im Zentrum steht der Gedanke einer doppelten Überwindung, die durch das Ritual der solaren Nachtreise geleistet wird: die Überwindung des Bösen, das in der Gestalt des Wasserdrachens Apopis die Sonnenbarke mit Stillstand bedroht, und die Überwindung des Todes. Beides sind Manifestationen des Chaos. Es handelt sich um zwei Aspekte desselben Geschehens. Die Überwindung des Bösen ist der aktivtransitive, nach außen gerichtete Aspekt. Hier erscheint der Sonnengott als Weltenkönig, der durch sein Herrscherwort Ordnung stiftet, Recht spricht, Versorgung sichert. In diesem Aspekt ist der Sonnenlauf ein "Prozeß" im juridischen Sinne, eine gerichtliche Auseinandersetzung, in der mit dem Bösen abgerechnet und der Sonnengott "gerechtfertigt" wird. Durch diesen Prozeß wird die "gespaltene", durch die Anwesenheit des Bösen ambivalent gewordene Welt fortwährend vereindeutigt, d.h. regiert, sicher und bewohnbar gemacht. Die Überwindung des Todes ist der passive bzw. intransitive Aspekt der Nachtfahrt. Hier erscheint der Vorgang als ein Lebensprozeß, den der Sonnengott selbst durchmacht, indem er altert, stirbt und wiedergeboren wird. Das Mysterium der solaren Wiedergeburt steht im Zentrum aller dieser Unterweltsbücher, es stellt die zentrale Heilstatsache der ägyptischen Religion überhaupt dar. Durch diesen Fluchtpunkt erscheint der gesamte Kosmos in einer Art Heilsperspektive, als ein Heilsgeschehen. Wieder zeigt sich der Vorrang der Zeit vor dem Raum. Während der Grieche die Harmonie des Ganzen bewundert, fasziniert den Ägypter der Prozeß einer fortwährenden Rechtfertigung und Wiedergeburt. Es ist der Vorgang, der Prozeß des Sonnenlaufs, in dem sich ihm der Sinn der Welt, "das Herz von Himmel und Erde" erschließt. In diesem Geschehen erscheint ihm der Kosmos als Inbegriff todüberwindender Lebensfülle und chaosbannender Ordnungskraft. Durch diesen Bezug wird die erkennende Schau zu einem Akt identifikatorischen Verstehens. Der Mensch erkennt sich im Kosmos wieder. Es ist sein Tod, der hier überwunden, seine Ambivalenz zwischen Gut und Böse, die hier zum Guten vereindeutigt, seine Unordnung, die gebändigt, seine Herrschaft, die ausgeübt wird. Ihn interessiert nicht der Zusammenhang von Ursache und Wirkung, die eigengesetzliche Organisation des Prozesses, dies
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herauszufinden, wäre ein Akt des Erklärens. Ihn interessiert vielmehr der Heils- Sinn der als Handlung und Lebensvollzug gelesenen Vorgänge. Das ist ein Akt des Verstehens. Der Kosmos wird nicht erklärt, sondern ausgelegt. Er enthält eine Botschaft, die der Mensch auf sich beziehen, einen Sinn, den er in sich selbst aktivieren kann. Kosmotheistische "Naturwissenschaft" ist eine Sache spekulativer Identifikation. Mit der Anbetung der ordnenden Kräfte, die den Kosmos durchwalten, mobilisiert der Mensch auch den Kosmos in sich selbst. Er legt die Welt aus, indem er sich in sie hineinlegt. Magie und Mystik hängen ganz eng zusammen.12 Letztlich geht es um Teilnahme und Teilhabe. "Wer das weiß, ist ein Ebenbild des Großen Gottes" heißt es ausdrücklich im Amduat: eritis sicut Deus. 13 Aber es geht nicht nur um Wissen. Varianten dieser Verheißung formulieren: "wer das tut... ". Wissen und Tun (gnosis und praxis) sind austauschbar. Kosmotheistisches Wissen ist auf Handlung angelegt, ist savoirfaire, Kennen der Riten, die die Welt in Gang halten. Zu Magie und Mystik gehört als Drittes der Ritus. Die Welt wird nicht nur als ein götterweltlicher Handlungszusammenhang gedeutet, als ein von den Göttern zelebriertes Ritual, sondern diese Deutung wird auch rituell inszeniert.
5. Eritis sicut Deus: Göttliche Weisheit Was uns an diesem Wissen hybride anmutet, ist seine Perfektion. Es gibt hier keine Lücken und keine Grenzen. So, wie die ägyptischen Kosmographien die Welt kennen und das, was sie im Innersten zusammen- und in Gang hält, kann nur ein Autor sein Werk kennen. So von innen und so restlos überblickt nur ein Schöpfer seine Schöpfung. Der menschlichen Wahrnehmung in ihrer Endlichkeit steht die Welt von außen gegenüber in jener opacite rectangulaire et solide, von der Levinas schreibt (Levinas 1972, 17-23). Der Mensch kann ihr Sinn nur durch Verweis auf andere, abwesende Gegebenheiten, durch 12
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Auf den Zusammenhang von Magie und Mystik haben wohl am nachdrücklichsten Gershorn Scholems Interpretationen der kabbalistischen Traditionen aufmerksam gemacht. Auch bei den ägyptischen Unterwehsbüchern handelt es sich um eine Art Kabbalah, aber sozusagen eine "Staats-Kabbalah", der zur vollen Entfaltung ihrer mystischen Komponenten die Individualität des Subjekts fehlt. Wer hier zum "Ebenbild des Großen Gottes" wird ist der König und in seiner Stellvertretung der Sonnenpriester, immer als bevollmächtigter Repräsentant der Menschheit insgesamt, die es in solcher assimiltUio deimit den kosmogonischen Kräften in Einklang zu bringen gilt. Diese Aussagen hat Wente 1982 analysiert und dabei die gottgleichmachende Heilseffizienz des in diesen Büchern vennittelten magischen Kosmos-Wissens gebührend hervorgehoben. Gegen seine einseitige Interpretation dieser Aussagen als "mysticism" sind die in der vorhergehenden Anmerkung dargelegten Einschränkungen geltend zu machen. Die Teilhabe am Wesen der Gottheit wird nicht durch Versenkung und Meditation des Individuums erreicht, sondern durch die rituelle Inszenierung dieses Wissens in der sozialen Rolle eines bevollmächtigten Priesters.
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Metaphorik, abgewinnen. "Nur für Gott mit seiner unbegrenzten Wahrnehmung wäre der Sinn nicht unterschieden von der wahrgenommenen Realität, wäre Verstehen dasselbe wie Wahrnehmen". Wo es um die In-Gang-Haltung derWeit geht, hält sich der Ägypter nicht lange bei ihrer Wahrnehmung auf, er verweilt nicht bei der opacite rectangulaire et solide, in der die Wirklichkeit unserer Rezeptivität gegeben ist, sondern geht sofort zum Verstehen über, zur signification. Diese Bedeutung kommt ihm von innen, nicht von außen. Das heißt nicht einfach, daß die Welt mit menschlichem Sinn erfüllt, anthropomorph animiert wird. Die metaphorische Relation, nach Levinas, ist strikt symmetrisch, die Bedeutung ist nicht das Privileg eines ihrer Glieder, sondern ein Drittes, das beide verbindet. Indem sich der Mensch, den Kosmos auslegend, in ihn hineingelegt, legt er den Kosmos in sich hinein. Die Anthropomorphose des Kosmos bedingt die Kosmomorphose des Menschen. Bruno Snell, auf den Levinas verweist, hat diese reziproke Beziehung an den homerischen Gleichnissen verdeutlicht. Wenn in der Ilias der Widerstand gegen den Angriff einer feindlichen Phalanx mit einem Fels in der Brandung verglichen wird, handelt es sich nicht einfach darum, eine menschliche Verhaltensweise durch Anthropomorphase auf den Felsen zu projizieren, sondern eher darum, den menschlichen Widerstand "petromorph" zu deuten. 14 In dieser Doppelseitigkeil des identifikatorischen Verstehens liegt das Geheimnis seines Funktionierens. Indem der Mensch glaubt, eine zweideutige Welt ordnend zu vereindeutigen, bekommt er seine eigene Ambivalenz in den Griff. Indem er die Welt in Gang zu halten glaubt, hält er sich selbst in Gang. Das officium memoriae der Riten, das der Welt ihren Heils-Sinn zuspricht, erfüllt sein eigenes Bewußtsein und kulturelles Gedächtnis mit den
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Vgl. Snelll959, 258-298. Uvinas 1972, 2lf. Am Eindrucksvollsten hat Novalis diese Zweiseitigkeil der Metaphorik beschrieben: Drückt nicht die ganze Natur so gut, wie das Gesicht, und die Geberden, der Puls und die Farben, den Zustand eines jeden der höheren, wunderbaren Wesen aus, die wir Mensch nennen? Wird nicht der Fels ein eigenthümliches Du, eben wenn ich ihn anrede? Und was bin ich anderes, als der Strom, wenn ich wehmütig in seine Wellen hinabschaue, und die Gedanken in seinem Gleiten verliere?... Ob jemand die Steine und Gestirne schon verstand, weiß ich nicht, aber gewiß muß dieser ein erhabenes Wesen gewesen seyn. In jenen Statuen, die aus einer untergegangenen Zeit der Herrlichkeit des Menschengeschlechts übrig geblieben sind, leuchtet allein so ein tiefer Geist, so ein seltsames Verständnis der Steinwelt hervor, und überzieht den sinnvollen Betrachter mit einer Steinrinde, die nach innen zu wachsen scheint. Das Erhabene wirkt versteinernd, und so dürfen wir uns nicht über das Erhabene der Natur und seine Wirkungen wundem, oder nicht wissen, wo es zu suchen sey. Könnte die Natur nicht über den Anblick Gottes zu Stein geworden seyn? Oder vor Schrecken über die Ankunft des Menschen? (Novalis, Schriften in 4 Blinden, hg. v. Paul u. Richard Kluckhohn Samuel, Stuttgart 1960, Bd. I 101, nach H. Böhme 1989, 136).
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Szenen des kosmischen Dramas. 15 Daher ist magisches Wissen Weisheit: es bewährt sich im Gelingen. Die rituelle Kosmisierung der Welt hat in China und Ägypten kulturelle Formationen und Wissenscorpora von unglaublicher Langlebigkeit hervorgebracht. Wie in China hat auch in Ägypten die gefundene Harmonie der göttlichen und menschlichen Dinge vornehmlich politischen Charakter: es ist der Staat, der diese Sphäre vermittelt und in die Relation reziproker Spiegelung bringt. Das muß vor allem im Hinblick auf Hornungs interessante tiefenpsychologische Deutung der ägyptischen Unterwehsbücher betont werden (Hornung 1985). Die Tiefe, die hier kolonisiert wird, liegt in einer anderen als der modernen individuellen Seele, mit der Freud es zu tun hatte. Und das "Ich", das hier durch die kulturelle Anstrengung der Riten konstituiert und kontinuiert wird, ist jene kollektive, kulturelle und politische Identität, l'etre communautaire par excellence (Jacq 1981 16 ), die der Ägypter "Pharao" nennt. Daher ist die magische Weisheit des Kosmotheismus Herrschaftswissen.
6. Bildersturz Das magische Wissensgebäude des Kosmotheismus läßt sich nicht auf dem Wege allmählicher Korrekturen modifizieren und endlich "entzaubern", es läßt sich nur pauschal verwerfen und vergessen. Auf einen solchen Versuch läuft der religiöse und epistemologische Umsturz des Echnaton hinaus. Echnatons Revolution verabsolutiert die sichtbare Natur. Der Welt wird jeder Heils- und Hintersinn abgesprochen. Sie verweist auf nichts, sie ist, was sie ist. Sie existiert 1. als das Erscheinende. Und dies existiert nur kraft des Lichts, das es zur Erscheinung bringt. Sie existiert 2. als das Werdende. Und dies existiert nur in der Zeit, die es zur Entfaltung bringt. Licht und Zeit sind die Wirkkräfte der Sonne. Durch ihre Bewegung bringt sie die Zeit, durch ihre Strahlung das Licht hervor. Da es nichts Seiendes gibt außerhalb von Licht und Zeit, ist es die Sonne, die alles hervorbringt, die einzige Quelle allen Seins:
•s Erik Hornung, der beste Kenner der ägyptischen Unterweltbüchcr, interpretiert die ägyptische .. ,Wissenschaft' über die Unterwelt" geradezu als eine Art Tiefenpsychologie . .,Die liefe, die hier ausgelotet wird, öffnet für ihn (sc. den Ägypter) tiefe Einblicke in die Welt des Unbewußten. Was er an Vorstellungen über das Schicksal der Toten entwickelt hat, ist auch für unsere modernen Mittel nicht überprüfbar, aber seine Einblic~e in die Ttefe der menschlichen Seele behalten eine bleibende Aktualität." Vgl. Hornung 1985,57. 16 Das Buch von Chr. Jacq (1981) gehört nicht in den wissenschaftlichen, sondern in den "initiatorischen" Diskurs und ist daher nur mit gewissen Vorbehalten zu empfehlen; nichtsdestoweniger enthält es eine Fülle von interessanten Einsichten.
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Du erschaffst Millionen Hervorbringungen aus dir, dem Einen: Städte und Dörfer, Acker, Weg und Fluß. (Assmann 1975a, Nr. 92, 115-117)
Damit wird die Welt nicht mehr verstanden, sondern erklärt. Echnaton hat das eine Prinzip gefunden, auf das er alle Phänomene zurückführen kann, die eine Ursache, als deren Wirkung sich alles erklären läßt. Daraus entwickelt er ein Wissen, das nicht nur inhaltlich, sondern strukturell anders ist. Es stellt sich nicht ergänzend oder polemisch neben das alte Wissen, sondern setzt sich, es restlos verdrängend, an seine Stelle. Man darf sich von der äußeren Form der Amamatexte als Hymnen und ihrer unzweifelhaften gottesdienstlichen Funktion nicht täuschen lassen: Auch sie sind Kodifikationen von Wissen, der enumerative Stilläßt daran keinen Zweifel. Aber dieses Wissen hat eine andere Form. Es ist weder hermetisch noch magisch, und es verwirft die Fülle der Bilder und Gleichnisse des verstehenden Kosmotheismus. Echnaton hält sich strikt an die sichtbare Wirklichkeit, und wenn er darin etwas Verborgenes aufdeckt, so ist das kein symbolischer Geheimsinn, sondern die Rückführbarkeit alles Erscheinenden auf Zeit und Licht, die sich erst dem eindringenden Blick und dem theoretischen Denken erschließt. Sein Großer Hymnus ( Assmann 1975a Nr. 92) behandelt in dieser neuen, erklärenden Form folgende Phänomene: ( 1) Sonnenaufgang: die Schönheit der Strahlen, die Lichterfülltheit aller Länder; (2) Mittag: der Hochstand der Sonne läßt sie über jedem Land gleichzeitig stehen und mit ihren Strahlen die gesamte Erde umfassen; der blendende Strahlenglanz der Mittagsonne; (3) Nacht als Tod, Chaos und Gottesferne; Schlaf als Abwesenheit von Leben; Raub und Diebstahl sowie das nächtliche Walten der Raubtiere und Schlangen als Manifestationen des Chaos; Finsternis und Schweigen als Todessymptome der Welt; (4) die Lebensregungen der Geschöpfe am Morgen als Reaktionen auf das wiederkehrende Licht: a) der Menschen: aufstehen, waschen, ankleiden, anbeten, an die Arbeit gehen; b) des Viehs: fressen; c) der Bäume und Pflanzen: wachsen; d) der Vögel: auffliegen; e) der Wildtiere in der Wüste: tanzen; f) der Fische im Fluß: springen; (5) die Begehbarkeil der Welt: die Schiffe fahren stromauf und stromab, die Wege sind geöffnet. Nun macht der Text einen Schritt und geht von den unmittelbar vor Augen liegenden Auswirkungen von Licht und Zeit zu den verborgeneren aber gleichwohl als "Hervorbringungen" (I:Jprw) der Sonne erklärbaren Phänomenen über. (6) Ein embryologischer Traktat: a) das Wachsen des Menschenkindes im Mutterleib, b) die Entwicklung des Kükens im Ei. Hier geht es um die Zeit, die das werdende Leben braucht, um sich zu entfalten. Dabei wird in einer
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für das ägyptische Denken typischen Weise die Zeit mit der Luft assoziiert. So wird auch im traditionellen Polytheismus der Gott Chnum, der das Kind im Mutterleib formt, als Gott des Lebensodems verehrt. 17 Vom Mikrokosmos geht der Text dann zum Makrokosmos über: (7) Die Wohleingerichtetheit der Welt: die Länder, Rassen und Sprachen sind wohl unterschieden, für alle ist gesorgt. Ägypten hat den Nil zur Bewässerung, die anderen Länder haben einen Nil am Himmel, der für sie regnen läßt. Alles hängt mit der Sonne zusammen. Durch ihre Strahlen läßt sie alles wachsen, durch den jahreszeitlich gegliederten Gang ihrer Bewegung läßt sie alles sich entfalten, schafft sie Sommer und Winter, Hitze und Kälte .18 Der dritte Teil vollzieht wiederum einen Schritt, diesmal in Richtung theologisch-theoretischer Summierung: (8) Alles Sichtbare und Seiende ist eine Hervorbringung des Lichts. Hier stehen die oben zitierten Verse, die Städte und Dörfer, Acker, Welt und Fluß als ljprw des Einen erklären. Gott ist die Zeit selbst, durch die und in der alles lebt: Die Erde entsteht auf deinen Wink, wie du sie geschaffen hast. Du gehst auf- sie leben, du gehst unter - sie sterben, du bist die Zeit selbst, man lebt in dir. ( Assmann 1975a, Nr. 92, 125-128)
Hier kündigt sich eine Wissens- oder Weisheitsform an, die man gewöhnlich erst mit der ionischen Naturphilosophie verbindet 19 : die auf Vielheit gerichtete Erforschung der Phänomene in Embryologie, Klimatheorie, Rassentheorie, Siedlungsgeographie usw., verbunden mit der auf Einheit gerichteten Erforschung der Ursprünge (archai) und Ursachen (aitiai). Das Charakteristische dieser Wissensform ist, daß sie nicht magisch ist. Sie verzichtet auf das verstehende Eindringen in die Geheimnisse des Schöpfers. Echnaton sieht zwar in den Dingen noch ljprw "Hervorbringungen" der Sonne; aber diese hprw sind Werke, die ihrerseits keine Göttlichkeit besitzen. Die von der Soni\e durch Licht und Zeit ins Sein gerufene Welt ist ihrerseits ohne Göttlichkeit. Diese neue Art der Naturbetrachtung muß mit der Göttlichkeit der Welt brechen, wenn sie die Phänomene erklären will. Denn jede Erklärung verfährt reduktiv, und die Reduktion, die hier gefordert ist, ist die Entgöttlichung der
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Vgl. hierzu M. Th. Derchain-Urtel1984. In diesem Zusammenhang der "Wohleingerichtetheit" der Welt verwendet die hebräische Übersetzung des Echnaton-Hymnus ( vgl. n. 21) das Wort .. Weisheit": ,.in Weisheit (b•-t,okhmah) hast du sie alle geschaffen. Zur kosmogonischen Weisheit vgl. Keel1974, bes. 71 m. n. 174. Gemeint ist das Künstlerturn Gottes, das staunenswerte savoir-faire, von dem die Schöpfung zeugt. Vgl. zu diesem Motiv im Ägyptischen Assmann 1983b, 12lf. und 228f. Diesen Aspekt der Amama-Religion hat J. P. Allen 1989 hervorgehoben.
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Welt. Dadurch werden die Phänomene als Ursachen einer einzigen Wirkung, Hervorbringungen einer einzigen Quelle, erklärbar. 20 Ebenso wie zur ionischen Naturphilosophie ist es von Echnatons Naturweisheit nur ein Schritt zur schöpfungstheologischen Naturweisheit der Bibel. Von Echnaton jedenfalls gilt, was das Buch der Könige von König Salomo überliefert: "Er redete über die Bäume von der Zeder, die auf dem Libanon wächst, bis zum Ysop, der an der Mauer wächst, und redete über das Vieh, die Vögel, das Kriechgetier und die Fische" (1 Kön 5.13). Zwar haben sich in der Bibel von solcher Naturweisheit nur Spuren erhalten. Sie weisen aber alle nach Ägypten. Der 104. Psalm, einer der wichtigsten hierhin gehörenden Texte, ist sogar in weiten Strecken eine freie Übersetzung des Echoaton-Hymnus ins Hebräische, über unbekannte kanaanäische Zwischenglieder.21 AndereTexte wie die Gottesreden des Hiob-Buches (Hi 38-41) werden mit ägyptischen "Onomastica" in Verbindung gebracht, Thesauren, die alles aufzählen was Ptah geschaffen und was Thoth aufgezeichnet hat, den Himmel mit seinen Konstellationen. die Erde mit dem, was in ihr ist, was die Berge ausspeien, was die Flut benetzt, alles was die Sonne erleuchtet und was auf dem Rücken der Erde wächst ( Gardiner 1968 vgl. Alt 1951; v. Rad 1955)
und daher vielleicht, auch wenn man es ihrer trockenen Listenform nicht ansieht, ebenfalls einem schöpfungstheologischen Erkenntnisinteresse entspnngen. Der eigentliche Bruch mit dem Kosmotheismus ist aber nicht die Schöpfungstheologie, sondern das Bilderverbot (Dohmen 1987). Damit ist dem anbetend-verstehenden Zugang zur Erscheinungswelt der stärkste Riegel vorgeschoben. Erst vom deuteronomistischen Bilderverbot her wird so recht deutlich, worum es der kosmotheistischen Weisheit geht: Identifikation, Anbetung und magische Wirkung. Der Israelit ist ausdrücklich angehalten, bei der Betrachtung der kosmischen Phänomene nicht stehen zu bleiben, sich nicht verstehend-anbetend in ihnen zu verstricken und sich kein Bildnis und Gleichnis zu machen "dessen was oben im Himmel, dessen, was unten auf Erden und dessen was in den Wassern unter der Erde ist" (Ex. 20.4). 22
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Ähnlich interpretiert der Konstanzer Philosoph J. Mittelstraß den Satz des Thales .. Alles ist voll von Göttern!" als Klage über die Unwissenheit, mit der der Naturphilosoph zu kämpfen hat und mit der er brechen muß. Der Vortrag erscheint in 8. Gladigow (im Druck). Verse 2~30 gehen auf den Großen Hymnus des Echnaton zurück. Vgl. hierzu Auffret 1981.279--310 (mit weiterer Literatur). Vgl. Dtn 4.23; 4.25; 5.8 sowie v.a. Dtn 4, 16-19 (Kap. IV, 89f.).
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Abbildung und Anbetung werden hier praktisch in eins gesetzt. Beides bedeutet Rückfall in Kosmotheismus. Das Verwerfliche daran ist der Abfall von einem Gott, der im Sichtbaren nicht zur Erscheinung kommt und daher nicht abgebildet werden kann. Jedes Bild muß daher notwendigerweise einen anderen, innerweltlichen, kosmischen Gott zur Erscheinung bringen. dabei wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, daß in jedem Bild ein Gott zur Erscheinung kommt. Noch ist die Welt voll von - wenn auch fremden Göttern, noch ist sie nicht "entzaubert", ist der Kosmotheismus ein mächtiger und faszinierender Gegner. Noch ist die magische Weisheit der Bilder und Gleichnisse die selbstverständliche und dominierende Wissensform, von der man sich nur unter großen Anstrengungen losreißen kann.
7. Vor Sonnenuntergang In Ägypten hat Echnatons Umsturzversuch die Entwicklung in die genaue Gegenrichtung getrieben. Wir beobachten eine geradezu explosionsartige Entfaltung der religiösen Bilderwelt, der hermetischen Unterwehsbücher (Hornung 1984) und der Zauberei, so als sei man sich der Gefährdung der rituell aufrecht zu erhaltenden Ordnung jetzt noch intensiver bewußt geworden (Brunner 1976). Dieses Gefährdungsbewußtsein kulminiert in der Spätzeit, unter den Fremdherrschaften der Perser, Griechen und Römer. Als ob die Ägypter unter dem Druck politischer und kultureller Überfremdung von der Angst des Vergessens gepackt seien, werden jetzt alle Kräfte darauf verwandt, das kosmotheistische Wissensgebäude in Vorahnung seines nahenden Untergngs für alle Zeiten sicherzustellen. Wie in solchen Fällen üblich, wird es kodifiziert, ja kanonisiert, aber dieser Kanon nimmt hier die monumentale Form eines Tempels an. Den Typus des nach einem streng kanonisierten Bauplan 23 angelegten, über und über dekorierten Spätzeittempels muß man als eine monumentale, dreidimensionale Kodifikation und Inszenierung kosmotheistischen Wissens verstehen. 24 Alle Merkmale dieser Wissensform treten an ihm aufs klarste hervor: der Hermetismus im eigentümlichen Typus einer Schachtelarchitektur, die das Allerheiligste mit Mauern und Korridoren fünffach ummantelt; Magie, die zum Zwecke der In-Gang-Haltung derWeit ins Werk gesetzte Heilseffizienz des kosmotheistischen Wissens, im Ritual, dem der Tempel als Kultbühne dient; Bildhaftigkeit: die monumental gesteigerte n Die Kanon-Formel ,,Nichts wegnehmen, nichts hinzufügen" wird in einer Tempelinschrift auf den Tempelgrundriß bezogen, s. hierzu meinen in n. 24 erwähnten Aufsatz. Allgemein zur Kanonisierung s. Assmann/Assmann 1987. 24 Ich führe diesen Gedanken näher aus in einem Aufsatz "Der Tempel der ägyptischen Spätzeit als Kanonisierung kultureller Identität'", der in der Festschrift Erik lversen erscheinen soll.
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
Sichtbarkeit und Konkretheit der religiösen Symbole und der "multimediale" Zusammenhang von Architektur, Bild, Inschrift und Ritual und sympathetische Analogie: das Prinzip, nach dem der Tempel in seiner architektonischen Anlage, seiner Dekoration und seinen Ritualen den kosmischen Prozeß abbildet; der Tempel ist ein Symbol des "Urhügels" und daher der Sitz der kosmogonischen Kräfte, die zur Bändigung des Chaos aufgeboten werden müssen, und er ist zugleich ein Abbild des Himmels und daher der Ort, um die himmlischen Ordnungskräfte auf Erden zu inszenieren. 25 Im spätägyptischen Denken wird der Tempel zum Herz der Welt. Ein Abbruch des Kultgeschehens, eine Entweihung der Kultgeheimnisse käme einem "Herzstillstand" gleich und würde eine kosmische Katastrophe nach sich ziehen. "Wenn die vier Sprüche in Heliopolis bekannt werden, stürzt der Himmel herab, wenn er sie hört. " 26 (Kap. X, S. 285) Nach Auskunft des über diese Dinge besonders gut unterrichteten Kirchenvaters Clemens v. Alexandrien wurde die magische Weisheit in 42 "hochverbindlichen" (pany anarkaiai) Büchern kanonisiert, deren Zahl der Menge der ägyptischen Gaue entspricht, so wie die 22 oder 24 Bücher der hebräischen Bibel der Anzahl der Schriftzeichen des aramäischen bzw. hebräischen Alphabets. Zusammengefaßt werden diese Bücher unter dem Oberbegriff der "Machterweise des Sonnengottes" (b3w Rcw): sie speichern die ungeheuren kosmogonische Energie, mit der der Sonnengott die Welt in Gang hält, indem er ihr durch Licht und Bewegung die Ordnung der Riten aufzwingt, die das Chaos bändigen. Thoth-Hermes hat diese Energie in Bücher übersetzt, und der Tempelkult führt sie im Ritual auf. Die Bücher enthalten Hymnen an die Götter, handeln über den König, über Astronomie, Kosmographie, Geographie, über die Konstruktion der Tempel, ihre Dekoration und Ausstattung, über Erziehung und Opferkunst, Riten und Prozessionen, über Gesetze und priesterliche Lebensführung und über Medizin.27 Das gesamte Wissen und Weltbild der ägyptischen Kultur ("die gesamte Philosophie der Ägypter··) ist in diesen Kanon eingegangen. Und da es ein magisches Wissen ist, ein savoirfaire, paßt es nicht in eine Bibliothek, sondern nur in einen Tempel, wo es in Handlung umgesetzt und in den Weltlauf eingepaßt werden kann. Die diesem Wissen von Anfang an eingeschriebene Angst, es könnte verloren gehen und der Weltlauf zum Stillstand kommen, nimmt in der Spätantike, dem "Zeitalter der Angst" (Dodds) apokalyptische Formen an. Die berühmte Apokalypse, die uns im hermetischenTraktatAsc/epius und im koptischen Codex VI von Nag Hammadi überliefert ist, bringt das Bewußtsein des unter25 26
27
Vgl. den Text Pap. Jumilhac XVII.l9-XVIII.ll ed. Vandier 1961. 129f. s. Kap. X S. 285f. UrkVI,127.3-6ed. Schott 1929. Darüber berichtet vor allem Oemens Alexandrinus, Stromata Vl.4.35-7 (geschrieben um 200 n. Chr. ). Ägyptische Bücherkataloge der Tempelbibliotheken von Edfu und Tod bestätigen dieses Bild. Vgl. Fowden 1987, 57ff.
111. Magische Weisheit
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gehenden Kosmotheismus auf den Punkt. Vielleicht ist sie wirklich Aug in Aug mit dem heraufziehenden Christentum geschrieben - jedenfalls ist sie von christlicher Seite (Laktanz, Augustinus) so gelesen und als heidnische Selbstprophezeiung des eigenen Untergangs verbucht worden. In diesem Text wird "Ägypten als Abbild des Himmels" und "Tempel der ganzen Welt" definiert. Und doch wird eine Zeit kommen, wenn es so aussieht, als hätten die Ägypter vergeblich die Gottheit verehrt mit frommem Herzen und unablässiger Hingabe und alle heilige Hinwendung zu den Göttern wird vergeblich und ihrer Früchte beraubt sein. Denn die Gottheit wird von der Erde wieder zum Himmel aufsteigen und Ägypten verlassen. Dieses Land, einst der Sitz der Religion, wird nun der göttlichen Gegenwart beraubt sein. Fremde werden dieses Land bevölkern, und die alten Kulte werden nicht nur vernachlässigt, sondern geradezu verboten werden. Von der ägyptischen Religion werden nur Fabeln übrig bleiben und beschriftete Steine.< ... > In jenen Tagen werden die Menschen des Lebens überdrüssig sein und aufhören, den Kosmos (mundus) zu bewundern und zu verehren. Dieses Ganze, so gut, daß es nie etwas Besseres gab, gibt noch geben wird, wird in Gefahr sein, unterzugehen, die Menschen werden es für eine Last ansehen und es verachten. Sie werden diese Welt, das unvergleichliche Werk Gottes, nicht länger lieben, diesen glorreichen Bau, gefügt aus einer unendlichen Vielfalt von Formen, Instrument (machina) des göttlichen Willens, der seine Gunst rückhaltlos in sein Werk verströmt, wo sich in harmonischer Vielfalt alles, was der Anbetung, Lobpreisung und Liebe wert ist, als Eines und Alles zeigt. Finsternis wird man dem Licht vorziehen und Tod dem Leben. Niemand wird seine Augen zum Himmel erheben. Den Frommen wird man für verrückt halten, den Gottlosen für weise und den Bösen für gut.< ... > Die Götter werden sich von den Menschen trennen-oschmerzliche Trennung!- und nur die bösen Dämonen werden zurückbleiben, die sich mit den Menschen vermischen und die Elenden mit Gewalt in alle Arten von Verbrechen treiben, in Krieg, Raub und Betrug und alles, was der Natur der Seele zuwider ist. In jenen Zeiten wird die Erde nicht länger fest sein und das Meer nicht mehr schiffbar, der Himmel wird die Sterne nicht in ihren Umläufen halten noch werden die Sterne ihre Bahn im Himmel einhalten; jede göttliche Stimme wird notwendig zum Schweigen kommen. Die Früchte der Erde werden verfaulen, der Boden wird unfruchtbar werden und die Luft selbst wird stickig und schwer sein. Das ist das Greisenalter der Welt: das Fehlen von Religion (inreligio), Ordnung (inordinatio) und Verständigung (inrationabilitas). 28
Was hier prophezeit wird, ist der Untergang des Kosmotheismus und der ägyptischen Kultur, die ihn vermutlich wie keine andere in Formen des Wissens und Lebens umgesetzt hat.
28
Asclepius 24-26 ed. Nock-Festugiere 1960, 326-329vgl. Nag Hammadi Codex VI, 8.65.15-78.43 ed. Krause-Labib 1971, 194-200. Vgl. Fowden 1987, 39-43; Kap. X, unten, S. 271,287. Dem lateinischen inrationabililas bonorum omnium entspricht im Koptischen "das Fehlen guter Worte". Der Untergang der sprachlichen Verständigung und das Überhandnehmen der Gewalt gehört zu den Zentralmotiven der ägyptischen Chaosbeschreibungen, s. Kap. X.
IV. Sprachbezug und Weltbezug der Hieroglyphenschrift Es ist noch nicht das freie Licht des Geistes, das in ihm ertönt. Die Schriftsprache ist noch Hieroglyphe, und die Grundlage desselben nur das sinnliche Bild, nicht der Buchstabe selbst. (G.W.F. Hege!, Philosophie der Geschichte, WW ed. Glockner, 11, 265)
1. Bildhaftigkeit und Weltreferenz a) Weltbezug und Sprachbezug Wenn Schrift sichtbar gemachte Sprache, "visible language" (so der Name einer einschlägigen Zeitschrift) ist, dann ist die Hieroglyphenschrift mehr als ein Schriftsystem. Denn sie bezieht sich nicht nur auf die ägyptische Sprache, sondern darüber hinaus auch auf "Welt", d.h. auf Gegenstände und Sachverhalte, die sie unabhängig von der Sprache (d.h. einer spezifischen einzelsprachlichen Artikulation) abzubilden vermag. Soweit unsere These. Wer sie vor dem Jahre 1822 äußerte, hätte nur ein müdes Achselzucken geerntet. Dies war nichts anderes als die communis opinio über die Funktion des hieroglyphischen Schriftsystems. Darin erblickte man ja gerade seinen Vorzug: da seine Zeichen keinen "Lautwert" besaßen, also den Bezug auf die Wirklichkeit nicht auf dem Umweg über eine bestimmte Sprache und deren "double articulation" herstellten, sondern die "Dinge" unmittelbar, und abstraktere Begriffe über metaphorische und metonymische Verbildlichungen wiederzugeben vermochten, war es nicht an eine bestimmte Sprache gebunden. 1822 publizierte Jean Fran~ois Champollion dann seine Entzifferung der Hieroglyphenschrift, die auf der Entdeckung des Lautwerts der Hieroglyphen basierte. Seit diesem Durchbruch weiß man, daß die Hieroglyphenschrift keine Bilderschrift ist, sondern "Visible Language" wie jede andere Schrift auch. Von jetzt an wäre eine These wie die oben geäußerte als krasseste Häresie oder Unbildung gebrandmarkt worden. Der einzige Unterschied zwischen der Hieroglyphenschrift und den uns geläufigen alphabetischen Schriften besteht darin, daß die Schrift sich nicht ausschließlich auf die Ebene der phonologischen Artikulation bezieht, sondern auch auf die Ebene der semantischen Artikulation. Es gibt, mit anderen Worten, nicht nur "Lautzeichen", sondern auch "Sinnzeichen" und "Laut+Sinn-Zeichen". Das Prinzip solcher "doppelten Codierung" läßt sich folgendermaßen darstellen ( vgl. Schenkel 1971, 1981, 1984):
Tl
IV. Sprachbezug und Weltbezug
Referenz
Laut
~
Bedeutung
~~
Phonogramme z.B. das Zeichen des Auges in jrj "tun"
Ideogramme
z.B. das Zeichen des Auges in jrt "Auge"
Determinative z.B. das Zeichen des Auges in m33 "sehen"
Ideogramme beziehen sich auf Wörter als Einheiten von Laut und Sinn. Phonogramme beziehen sich auf einen Laut( komplex) unter Absehung vom
Sinn. Dadurch wird es z.B. möglich, das Bild des Auges mit dem Lautwert jr<.t> 1 auf das Wort jr<.j> "tun" zu übertragen, das denselben Lautwert hat, oder das Bild eines Haus(grundriss)es mit dem Lautwert pr auf das Wort pr<.j> "herausgehen" usw., also auch unabbildbare Denotanda zu schreiben. 2 Determinative beziehen sich auf Sinnklassen: das Zeichen des Auges z.B. auf
alles, was mit dem Sehen zusammenhängt, das Zeichen des Hauses auf Raumbegriffe, das Zeichen der Sonne auf Zeitbegriffe usw. Durch Kombination dieser drei Funktionen gelingt es dem System, mit einem Bestand von ca. 700Zeichen auszukommen (vgl. demgegenüberden ungeheuren Zeichenbestand rein ideographischer Schriften, z.B. Chinesisch). "Weltreferenz" ist in diesem Schema nicht vorgesehen. Alle Funktionen, auch die Ideogramme und Determinative, beziehen sich auf die Sprache. Es liegt nahe, in den Sinnzeichen einen unmittelbaren, außersprachlichen Bezug auf die Realität ("Weltbezug") zu erblicken (z.B. te Velde 1986). Aber auch Sinn ist eine sprachliche (wenn auch nicht unbedingt einzelsprachliche) Kategorie. Sinnzeichen beziehen sich entweder auf "Sememe" (Wortbedeutungen: Ideogramme) oder "Klasseme" (Wortklassenbedeutungen: Determinative), auf jeden Fall aber auf Sprache und die semantische Ebene ihrer Artikulation von Wirklichkeit, nicht unmittelbar auf die Wirklichkeit selbst. Wirwollen an dieser grundlegenden Einsicht unbedingt fest- und das Schema von jeder sprachunabhängigen Weltreferenz freihalten. Wo liegt aber dann die behauptete" Weltreferenz" der ägyptischen Hieroglyphenschrift? Sie liegt, kurz gesagt, in der Ma1
2
Das <.t> ist eine Feminin-Endung, die nicht zum Lautwert des Zeichens gerechnet wird. Der "Lautwert" der Schriftzeichen beschränkt sich auf die Konsonanten und läßt die Vokale ausser acht. Dadurch wird die Reichweite der Übertragbarkeit erheblich gesteigert. Das Verfahren, nur die Konsonanten zu schreiben, mag sich den Ägyptern von der Struktur ihrer Sprache her nahegelegt haben, die- wie andere semitohamitische Sprachen auch -lexematische Grundbedeutung an" Wurzeln" mit festem Konsonatismus bindet und Hexionsformen durch Transformationen des Vokalismus bildet, sodaß die Konsonanten als Konstante und Vokale als Variable erscheinen. Auf die schriftgeschichtliche Ungewöhnlichkeit dieses Verfahrens, das spätere Konsonantschriften wie das Hebräische und Arabische von der Hieroglyphenschrift übernommen haben, hat H. G. Fischer aufmerksam gemacht (vgl. Fischer 1986, 25f.).
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
terialität der Zeichen, und nicht in dem, was wir im Gegensatz dazu ihre "Semantizität" nennen woUen. Wir werden diesen Bezug also nicht innerhalb, sondern außerhalb des Schemas unterbringen, das sich mit der Funktionentrias auf die Semantizität beschränkt: Zeichen
~ Materialität
Semantizität Zeichenhaftigkeit
La~inn
~~
Phonogr.
Ideogr.
Determ.
Bildhaftigkeit (Ikonizität)
"Dinge und Sachverhalte"
Die Bildhaftigkeit der ägyptischen Hieroglyphenschrift als .,Materialität" zu interpretieren, mag zunächst überraschen. Der Begriff der Materialität läßt ja eher an das rein Stoffliche wie etwa Stein oder Papier, Kerbung oder Färbung usw. denken als an eine Eigenschaft wie Bildhaftigkeit. Was ich meine ist dies: jedes Zeichen hat zwei Aspekte, den Aspekt seines Funktionierens in einem Zeichensystem, kraftdessen es sich überhaupt erst auf einen bestimmten Sinn beziehen kann, und den Aspekt seiner sinnlichen Erscheinungsform, kraftderen es diesen Sinn überhaupt erst zur Erscheinung bringen kann. Unter dem Begriff der Semantizität sei der erste Aspekt bezeichnet und alles zusammengefaßt, was für das Funktionieren des Zeichens als Zeichen unabdingbar wichtig ist. Unter dem Begriff der Materialität wollen wir den zweiten Aspekt bezeichnen und alles zusammenfassen, was als sinnliche "Trägermaterie" dient, und so oder anders beschaffen sein kann, ohne daß die Funktionalität des Zeichens davon beeinträchtigt sein muß. Ein .,R" kann in Stein gemeißelt, auf Papier geschrieben, in Rinde geritzt, in Fraktur, Bodoni, Garamond oder Helvetica gedruckt sein ohne seine Bedeutung, seinen Bezug auf das Phonem [r] im mindesten zu affizieren. Ausschlaggebend ist lediglich seine Distinktivität: man darf es nicht mit einem "P" oder "B" verwechseln können. Alles andere gehört zur "Materialität" des Zeichens, die zwar unabdingbar ist, um die Bedeutung überhaupt zur Erscheinung kommen zu lassen, aber deren Spezifität zur Bedeutung selbst nichts beiträgt. In diesem Sinne ist auch die Ikonizität der Hieroglyphen ein Aspekt ihrer Materialität, den sie abstreifen können ohne ihre sprachreferentielle Bedeutung zu verändern. Die ägyptischen Kursivschriften sind diesen Weg gegangen und haben sich in den normalen eigengesetzlichen Bahnen graphischer Systeme entwickelt; die Hieroglyphenschrift jedoch hat unverändert an ihrer vollen Bildhaftigkeit festgehalten. Das zeigt, daß dieses Zeichensystem keine Schrift im vollen Sinne von "visible language", dafür aber mehr als nur Schrift ist, daß es hier um mehr als Sprachreferenz geht. Dieses "mehr" bedingt ihre Bildhaftigkeit, es ist also "Weltreferenz".
IV. Sprachbezug und Weltbezug
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b) Ursprung und Entwicklung der Hieroglyphen Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die Schrift erfunden sei, um Sprache aufzuzeichnen. Diese Möglichkeit hat sich vielmehr erst allmählich herausgebildet, nachdem man schon jahrhunderte, vielleicht jahrtausendelange Erfahrungen mit schriftartigen Aufzeichnungssystemen gemacht hatte. Die sumerischen Schriftzeichen gehen auf "calculi", Zählsteine, zurück, kleine Tonmodelle mit Zahlen- und Objektbedeutung, die zur Aufzeichnung nicht sprachlicher, sondern ökonomischer Kommunikation dienten und Transaktionen, Besitzverhältnisse und sonstige Ansprüche an Land, Vieh und Getreide registrierten (vgl. Schmandt-Besserat 1982). Bildhaftigkeit spielte hier keine besondere Rolle, die Zeichen waren z.T. von Anfang an äußerst abstrakt.
I
\ \
\
\
\
Abb. 6: Schminkpalette des Königs Narmer (Kairo, um 3000 v.Chr.). Nach: A. Schlott, Schrift und Schreiber im Alten Ägypten, München 1989, Abb. 48.
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
Im Gegensatz dazu hatte die ägyptische Hieroglyphenschrift ihre Ursprünge in einem Aufzeichnungssystem, bei dem es von Anfang an auf Bildhaftigkeit ankam. Hier ging es nicht um ökonomische, sondern um "politische" Kommunikation: um die Aufzeichnung von Handlungen besonderer politischer Bedeutung. Damit wurden offenbar vor allem zwei Zwecke verfolgt: einerseits das Ergebnis dieser Handlungen auf Dauer sicherzustellen, indem man es in Stein abbildete und in einem Heiligtum deponierte: also hineinstellte in einen situativen Rahmen, der zugleich permanent und zur Götterwelt hin "öffentlich" war; andererseits ein Mittel zur chronologischen Orientierung zu schaffen, indem man das Hauptereignis eines Jahres festhielt und das Jahr nach ihm benannte. Dies ist daher sowohl der Ursprung der ägyptischen Annalistik und Geschichtsschreibung, als auch der gesamten monumentalen Bau- und Bildkunst, die keinen anderen Sinn hat als diesen permanenten und zur Götterwelt hin öffentlichen situativen Rahmen als einen "heiligen Raum der Dauer" sichtbar zu machen und auszugestalten. Und es ist damit auch der Ursprung der Hieroglyphenschrift, die eine Gattung der Bildkunst bleibt und als "die Schrift der Gottesworte", wie sie ägyptisch heißt, den Aufzeichnungen im götterweit-öffentlichen heiligen Raum der Dauer vorbehalten ist. 3 Das Prinzip der prolodynastischen Bildnarrative ist die Verwendung von Bild- Zeichen in zwei deutlich unterschiedenen Größenordnungen. Die großen Bilder werden zur Darstellung einer "Szene" verwendet, die kleinen zur Identifikation von Aktanten und Örtlichkeiten durch Namensbeischrift. Die kleinen Bildzeichen beziehen sich also auf Sprache (Namen), die großen auf Welt (Handlungen). Es wäre aber falsch, nur die kleinen Bilder als "Schrift" einzustufen. Auch die großen fungieren als Schrift. Schließlich "schreibt" ja das ganze komplexe Bild einen Namen, nämlich den Namen des nach dem dargestellten Ereignis benannten Jahres. Diese Form der Aufzeichnung gelingt nur, indem beideZeichen typen, die kleinen mit Sprachreferenz und die großen mit Weltreferenz, zusammenwirken. Keins der beiden "Medien" ist für sich autark, den gemeinten oder irgendeinen anderen Sinn eindeutig aufzuzeichnen. Wir haben es also bei den kleinen Zeichen noch nicht mit einem Schriftsystem zu tun, sondern lediglich mit der Konstituente eines komplexenAufzeichnungssystems. Ein neues Stadium ist erreicht, wenn die "großen" Zeichen in das Repertoire der "kleinen" integriert werden. Genau dies ist der Ursprung der Determinative. Das Determinativ ist ursprünglich nichts anderes als das auf Schriftformat verkleinerte "Bild", das zu den ihm vorausgehenden Phonogrammen als der ursprünglichen Beischrift hinzutritt. Erst allmählich verallgemeinert sich der Bezug dieser Sinnzeichen von Sememen auf Klasseme. So
3
Zu Ursprung und Frühgeschichte der Hieroglyphenschrift vgl. bes. Sethe 1939; Schott 1950; Kap1ony 1966; Westendorf 1969; He1ck 1985; Sch1ott 1989, 95-118.
IV. Sprachbezug und Weltbezug
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wird das Wort für "Käfer" ursprünglich mit dem Bild des Käfers determiniert, und erst später mit dem Bild des Vogels als Bezeichnung der Sinnklasse "fliegenden Wesen", oder noch später durch das Tierfell mit der noch allgemeineren Bedeutung "Tier". c) Bild und Schrift: Interdependenz und komplementäre Multimedialität
Um deutlich zu machen, bis zu welchem Grad sich in der ägyptischen Kunst die Sphären der Weltabbildung und der Sprachaufzeichnung gegenseitig durchdringen, genügt ein typisches Beispiel. Ich entnehme es dem Grab des Fürsten Paheri in El-Kab, aus dem frühen Neuen Reich (Mitte des 2. Jt. v. Chr.), also aus der Mitte der ägyptischen Geschichte. Abb. 7 gibt die Westwand des Grabes (Südteil) wieder, Abb. 8 ersetzt die Hieroglyphen durch deutsche Übersetzungen. Worauf es mir ankommt, ist 1. die vollkommene Flexibilität der Schrift, die sich mit dem Wechsel der Schriftrichtung (rechts/links, horizontal/vertikal) vollkommen der Bildkomposition und der Figurenrichtung, also dem "Sinn" der Szene ("Sinn" im Sinne von "Uhrzeigersinn") anpassen kann (vgl. Fischer 19'n; 1986; Vernus 1985); 2. der fließende Übergang zwischen Beischrift (der ins Bild integrierte Text) und Illustration (das in den Text integrierte Bild) im Rahmen gegenseitiger "Determination";
3. die dreifache Funktion der Schrift, das Bild zu erklären (infinitivische Szenentitel, z.B. "Auszug des Fürsten Paheri zum Beladen der Schiffe"), die Personen usw. zu identifizieren (Namensbeischriften, z.B. "der Kornschreiber, der das Korn zählt, Thotnofer) und durch Wiedergabe der Reden, also Tonaufzeichnung multimedial zu ergänzen. So entstehen als ein in der Geschichte der Kunst einzigartiges Phänomen jene komplexen Lesebilder, die nicht nur das innere Auge, sondern auch das innere Ohr ansprechen 4 und in dem Reichtum der Verbindung von Bild und Schrift weit über das hinausgehen, was selbst auf dem Gebiet der modernen Bildnarrativik (Comics) möglich ist. 5
Vgl. dazu eine ägyptische Grabinschrift der Spätzeit, die den Grabbesuchern gewisse Segnungen verheißt (Kap. VII, 171f.) s Vgl. allgemein zur Komplementarität von Bild und Schrift, über die bereits genannten Arbeiten von Fischer 1977, 1986 und Vernus 1985 hinaus, noch Brunner 1979, Tefnin 1984 und Assmann 1987.
4
82
Abb. 7
Grundstrukturen der symbolischen Kultur
IV. Sprachbezug und Weltbezug
83
84
Abb.B
Grundstrukturen der symbolischen Kultur
IV. Sprachbezug und Weltbezug
Drescht für euch. itv Oc:hsen. Drescht euch das Stroh zum Funer und das Kotn IUr eure Hennl Gönnl -em Herzen keine Ruhe! Es lsl ja kühl!
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
2. Inschriftlichkeit: monumentale Präsenz und situative Verankerung a) Semiotische Interferenz
Jedes Zeichen hat zwei Seiten, die semantische seiner Bedeutung und die materielle seiner Erscheinungsform. Damit ein Zeichensinn zur Erscheinung kommen kann, muß er aber nicht nur materiell verkörpert werden, sondern diese materielle Verkörperung, darin liegt die von AleidaAssmann beschriebene Dialektik von Präsenz und Absenz6, muß in ihrer eigenen Bedeutsamkeil zurücktreten, d.h. semantisch neutralisiert werden. Das Mitsprechen der Materie aber ist nie völlig zum Schweigen zu bringen, sondern nur in Latenz zu halten. Der materielle Aspekt des Zeichens ist niemals kategorisch insignifikant, sondern immer mehr oder weniger latent ko-signifikant: Zeichen .... -------------- Maten"ali tat .. SemantJZJtat Signifikation Latente Ko-Signifikation Sprache
minimali~ ~alisiert
z.B. Kukivschrift
z.B. Hierogiyphen chines. Kalligraphie Initialen in mittelalt. Hss.
Wie Aleida Assmann gezeigt hat, wird im Falle aktualisierter Mitbedeutung die Lesbarkeit erschwert. 7 Der lesende Blick, der normalerweise die Materialität der Zeichen unmittelbar auf den in ihnen zur Erscheinung kommenden Sinn hin durchschaut, wird durch die Elaboration der Form im materiellen Erscheinungsbild arretiert: "Dem Drang zur verflüssigenden Spiritualisierung tritt die Materialisierung des Texts als ein Veto entgegen". "Lesen" schlägt um in "Starren". Die Fülle der aus allen Schrifttraditionen beizubringenden Beispiele zeigt allerdings, das es den Schreibenden oft genug nicht nur um den lesenden, sondern um den "faszinierten" Blick ging. Im allgemeinen liegen aber die Möglichkeiten einer graduellen Aktualisierung der latenten Ko-Signifikation des Materiellen im normalen Schriftsystem einer Kultur und sind nicht als Sonderschrift ausdifferenziert. Genau dies ist jedoch im Ägyptischen der Fall. Hier hat sich für die Zwecke des Alltagsgebrauchs eine 6
"Die Sprache der Dinge. Der lange Blick und die wilde Semiose", in: H. U. Gumbrecht, K. Ludwig Pfeiffer (Hg.), Materillliliil der Komnumilclllion, Frankfurt 1988, 237-251.
7
A.a.O., 24lf.
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IV. Sprachbezug und Weltbezug
Kursivschrift entwickelt, in der die Ko-Signifikation der Zeichenformen minimalisiert und semiotische Interferenz weitestgehend ausgeschaltet ist. Wir haben also eine echte Digraphie-Situation vor uns, wobei zwar die eine Schrift aus der anderen entwickelt wurde, sich aber dabei so weit von der Ausgangsschrift entfernt hat, daß sie eigens erlernt werden muß. Auf diese Weise war es der "heiligen" Schrift der Hieroglyphen möglich, ihre für denAlltagsgebrauch sowohl in der Produktion als auch (aufgrund der hohen semiotischen Interferenz) in der Rezeptiondysfunktionale Aufwendigkeit zu kultivieren. In dieser Digraphie-Situation manifestiert sich jene in Ägypten besonders ausgeprägte "Bikulturalität", auf die wir im I. Kapitel eingegangen sind. b) Monumentalität und Unsterblichkeit Was die "Verkörperung" von Sinn angeht, haben wir bisher nur von der Materialität des Zeichens gesprochen. Es kommen aber noch zwei weitere Elemente hinzu, sodaß wir mit drei Aspekten des Körperlichen zu tun haben. Hier zeigt sich nun, daß wir im Hinblick auf die Modalitäten der kommunikativen Sinn- Verkörperung nicht nur zwischen der mündlichen und der schriftlichen, sondern auch noch der inschriftlichen Kommunikation zu unterscheiden haben: Kommunikation Mündliche
Schriftliche
Inschriftliche
Materialität des Zeichens
Stimme
Neutrales Schriftbild
Ästhetisiertes Schriftbild
Zeichenträger
Körper
Papierusw.
Monument
Situativer Kontext
raum-zeitl. begrenzt
unspezifisch
Räumlich begrenzt
Was aus dieser Übersicht hervorgeht, ist die überraschende Tatsache, daß sich hinsichtlich der körperlichen Präsenz und Spezifik die mündliche und die inschriftliche Situation wesentlich näher stehen, als die schriftliche und die inschriftliche. An die Stelle der Stimme tritt das ästhetisierte, d.h. in seiner KoSignifikation aktualisierte Schriftbild, an die Stelle des Körpers tritt das Monument und an die Stelle der spezifischen, zeitlich und räumlich begrenzten Kommunikationssituation tritt der Monumentalkontext, der mehr oder weniger räumlich spezifiziert (z. B. Kirche, Mausoleum, Platz usw.) und begrenzt sein kann. In der alltagsweltlichen, gebrauchsbezogenen Schriftlichkeil sind die drei Aspekte der mündlichen Kommunikation: Stimme, Körper und Situation, neutralisiert und heruntergespielt durch ein möglichst lesba-
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
res Schriftbild, leicht transportable Trägermaterie und eine dadurch ermöglichte situationsunspezifische beliebige Rezipierbarkeit. In der inschriftlichen Situation dagegen sind diese drei Aspekte der Mündlichkeil mit anderen Mitteln sorgfältig rekonstruiert. Was nun die ägyptischen Hieroglyphen angeht, so stehen wir vor dem nur irgend denkbaren Maximum solcher sinnlichen Präsenz von Sinnverkörperung. Die Hieroglyphenschrift kommt so gut wie ausschließlich im Kontext monumentaler Träger und bedeutsamer, festgelegter Kommunikationsräume vor. Die Ägypter haben die monumentale Verkörperung des Sinns mit einem beispiellosen Aufwand ins Werk gesetzt. Dahinter steht, was Paul Eluard "le dur desir de durer" genannt hat, der hartnäckige Drang nach Beharrung, ein Ewigkeits-Begehren, das sein Heil in der schieren Persistenz und Massivität des Materials sucht. Außerdem befinden wir uns im Lande der Mumifizierung, d.h. der Unfähigkeit, sich die Seele ohne den Körper, den Geist ohne die Materie vorstellen zu können. So wird neben der Lebenswelt jene Welt aus Stein errichtet, in der das vergängliche Dasein auf Dauer gestellt und die materielle Basis für ein ewiges Leben bereit gestellt wird. Das ist "der heilige Raum der Dauer", der als Kommunikationssituation gegenüber der Götterwelt öffentlich ist, in dem man durch das Monument körperlich präsent wird und durch die Hieroglyphen Sprache und Stimme gewinnt.
3. Systemoffenheit: die Welt als Text a) Idolatrie und unmittelbare Signifikation Daß der Geist nicht ohne Materie gedacht werden kann und alles daran gesetzt werden muß, den Leichnam zu konservieren, hat eine Kehrseite: die Materie kann auch ohne den Geist nicht gedacht werden. Sie ist so ipso beseelt, d.h. es gibt den Begriff der "Materie" im Ägyptischen überhaupt nicht. 8 Nie wäre es den Ägyptern eingefallen, ein Götterbild etwa deswegen zu verachten, weil es aus Erz oder Stein gebildet ist. "Ehre du Gott auf seinem Wege", heißt es daher in einer ägyptischen Lebenslehre, "der aus Stein und Erz gebildet ist" (Merikare P 125 s. Volten 1945, S. 67-69): "Gott", und nicht "das Bild Gottes". Denn nach ägyptischer Vorstellung bildet das Götterbild nicht den Leib eines Gottes ab, sondern ist der Leib eines Gottes. "Das Gold ist das Fleisch der Götter" liest man in einem anderen Text (Schott 1961, S. 150, 169f). Die Materie als ein toter, bedeutungsloser und beliebiger Stoff, aus dem man alles mögliche, u. U. auch Götter, machen kann, ist vielmehr eine israelitische Erfindung: 8
In diesem Zusammenhang muß die Sitte erwähnt werden. bestimmte Schriftzeichen, die Lebewesen darsteUen, in den Inschriften der Sargkammer entweder zu vermeiden oder zu verstümmeln, damit sie in ihrer Beseeltheit dem Toten nicht gefährlich werden könnten.
IV. Sprachbezug und Weltbezug
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Er pflanzt eine Esche und der Regen macht sie groß, daß sie dem Menschen als Brennholz diene; und er nimmt davon und wärmt sich. Teils heizt er damit, um Brot zu backen, teils macht er daraus einen Gott und wirft sich nieder, formt es zum Bilde und kniet vor ihm. Die Hälfte verbrennt er im Feuer, auf den Kohlen brät er Fleisch, ißt einen Braten und sättigt sich; auch wärmt er sich und spricht: 'Ha, mir ist schön warm; ich spüre das Feuer.' Und den Rest macht er zu einem Gott, zu einem Bilde, und kniet vor ihm, wirft sich nieder und fleht zu ihm: ,Rette mich, denn du bist mein Gott!' (Jes 44.14-17)
In Ägypten befinden wir uns in der Gegenwelt. Hier ist niemand auf den Gedanken gekommen, daß er es mit "Materie" zu tun hat, wenn er mit Bildern umgeht. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, daß es sich in Ägypten, im Sinne der von Aleida Assmann eingeführten Unterscheidung, um eine Kultur der "unmittelbaren Signifikation" handelt (A. Assmann 1980, S. 57-78). Damit ist gemeint, daß die Welt schon als solche Göttliches bzw. Sinnhaftes in unerschöpflichen Formen zur Erscheinung bringt, die der "faszinierte Blick" des Betrachters entziffert. Die Hieroglyphen beziehen sich in ihrer ikonischen "Weltreferenz" auf solche Formen und bieten sich daher ihrerseits nicht nur der Lektüre, sondern der "kontemplativen Anschauung" dar. 9 Wenn sich in den sinnlich faßbaren Erscheinungsformen der Welt Göttliches manifestiert, dann bedeutet die Weltreferenz der Bilder eo ipso Gottreferenz. Daher trifft die Bibel genau den Punkt, wenn sie an den vielen Stellen, wo sie gegen die Bilder ankämpft, Herstellung und Anbetung von Bildern in eins setzt. Bilder sind schon als solche "Götzenbilder", "dekorative" und sonstige harmlose Zwecke werden nicht anerkannt: So nehmt euch nun- es gilt euer Leben- wohl in acht, da ihr am Tage, als Jahwe am
Horeb aus dem Feuer zu euch redete, keinerlei Gestalt gesehen habt, daß ihr euch 9
Vgl. A. Assmann, 1980, S. 62: "Der sinnlich faßbaren Erscheinung kommt im System der unmittelbaren Signifikation eine ganz andere Bedeutung zu. Don stellt der Sinnesimpuls, verfestigt als Hieroglyphe oder Emblem, ein Verstehensmodell dar, dem die kontemplative Anschauung als bestimmender Orientierung verpflichtet bleibt. In der sinnlichen Erscheinung selbst muß die verborgene geistige Bedeutung entdeckt werden. Das Prinzip der mittelbaren Signifikation verwenet den Impuls der Sinne lediglich als eine Initialzündung, die den Verstehensprozeß anregt und einleitet. Die Wege des Geistes müssen sich möglichst weit von diesem Ausgangspunkt entfernen, wenn der Gedanke in den Bereich der Generalität und Universalität vordringen soll. Nicht die Entzifferung und Ausdeutung, sondern die Abstraktion von der Erscheinungswelt fühn zur Erkenntnis. Die eigentliche Verantwonung liegt bei dem aktiven, vom Diktat der Sinne und den Eindrücken der Gegenstandsweit unabhängigen produktiven menschlichen Geist."
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nicht frevelhafterweise ein Gottesbild in Gestalt irgendeines Standbildes verfertigt, sei es die Figur eines männlichen oder eines weiblichen (Wesens), die Figur irgendeines vierfüßigen Tieres auf Erden oder die Figur irgendeines beschwingten Vogels, der am Himmel fliegt, die Figur irgendeines , das auf dem Erdboden umherkriecht, oder die Figur irgendeines Fisches, der sich im Wasser unter der Erde befindet, und daß du, wenn du die Blickegen Himmel schweifen lässest und die Sonne, den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels, betrachtest, dich nicht dazu verleiten lässest, dich vor ihnen niederzuwerfen und ihnen Verehrung zu bezeugen. 10
Auch die Israeliten lebten in einer nichtentzauberten Welt. Deshalb mußten sie sich vor den Bildern in acht nehmen. Da Jahwe in den sinnlich faßbaren Erscheinungen oder .,Gestalten" (fmunah) dieser Welt nicht zur Erscheinung kommt, müssen es andere Götter sein, auf die sich die Weltreferenz der Bilder bezieht. Deshalb ist Bildkult gleichbedeutend mit der Anbetung anderer Götter. b) Krokodilizität, oder: Die Welt als Text
Die Systemoffenheit der Hieroglyphenschrift hängt mit ihrer Weltreferenz zusammen sowie damit, daß dies eine Welt der unmittelbaren Signifikation ist. Auf der Basis der Bedeutsamkeil der Welt und der Bildhaftigkeit, d.h. Weltbezogenheil der Zeichen, können ständig neue Zeichen eingeführt werden. Bis zur Spätzeit ist diese Möglichkeit allerdings durch bestimmte trotz allem gültige Ansprüche an die Lesbarkeit gebändigt. In der Ptolemäerzeit allerdings reißen diese Bindungen. Eine geradezu explosionsartige Vermehrung des Zeichenbestands, von ca. 700 auf über 7000 Zeichen (vgl. Janssen 1974; Catalogue 1983), ist die Folge. Aber das ist noch nicht alles. Die meisten Zeichen nehmen verschiedene Bedeutungen an, einige ein Dutzend und mehr. Der absolute Gipfel des Raffinements ist bei Inschriften erreicht, die nur ein einziges Zeichen verwenden, das immer wieder, mit jeweils anderer Bedeutung, wiederholt wird (vgl. Vernus 1977).u Die Sprachreferenz der Schrift wird durch diese Zeichenvermehrung kaum verändert. Die entscheidenden Veränderungen liegen auf der Ebene der Weltreferenz. 12 Wir haben es mit einer Art Literal-Allegorese. mit .,AIIographie" oder "ecriture figurative" (Sauneron 1982) zu tun. Mit der Einführung neuer Zeichen werden neue "Dinge" ins Schriftsystem eingeführt. Die Weltreferenz des Systems wird verstärkt, nicht auf dem traditionellen Wege des ikonischen Realismus, sondern auf dem neuen Wege der Vermehrung der 10
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12
5 Mose 4, 16-19 vgl. Ex 20.4; Dtn 4.23; 4.25; 5.8. Diese absichtliche Verrätselung der Schrift oder Kryptographie ist in Ägypten "Kalligraphie". d.h. ein ästhetisches Prinzip. Es geht also nicht darum, einen besonders heiligen Text vor unbe· fugter Lektüre zu schützen, sondern an herausgehobener Stelle eine besonders kunstvolle In· schrift anzubringen. Vgl. Sauneron (1982). Vgl. hierzu bes. die Bemerkungen F. Junges zur spätägyptischen "Philosophie der Schrift" (F Junge 1984, 27~272). Zum Übergang von Lautschrift zu Sinnschrift vgl. a. Daumas (1978).
IV. Sprachbezug und Weltbezug
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als Zeichen dienenden Dinge. Worauf es ankommt, ist die virtuelle Kongruenz zwischen dem Corpus der Zeichen und dem Corpus der Dinge. Dadurch wird die Welt als ein Corpus von Zeichen, und die Schrift als ein Corpus von Dingen deutbar. Die Schrift nimmt kosmische, der Kosmos schrifthafte Züge an. Beide sind Kodifizierungen von Zeichen: die Welt als die "Hieroglyphenschrift der Götter" (Junge 1984, S. 272), die Schrift als eine Art enzyklopädisches Bildlexikon. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied im Signifikationsmodus der Dinge, d.h. in der Art, wie Dinge Bedeutung annehmen können, sobald sie in den Rahmen der Hieroglyphenschrift eingeführt werden. Den ersten, normalen Modus möchte ich den "direkten", den zweiten und ungewöhnlicheren den "metaphorischen" nennen. Im direkten Modus bedeutet das Bild eines Dinges entweder (als Ideogramm) das Ding selbst, oder (als Phonogramm) dessen Namen in seinem (konsonantischen) Lautwert. Im metaphorischen Modus bezeichnet das Bild eines Dinges nicht das Ding selbst, sondern eine Eigenschaft, die dieses Ding in paradigmatischer bzw. "emblematischer" Weise verkörpert. Das Zeichen des Krokodils z.B. kann einfach "Krokodil" bedeuten: dann haben wir es mit dem direkten Modus zu tun. Es kann aber auch als Determinativ dienen in Worten, die "Gier", "gierig sein", "Gewalttätigkeit", "angreifen" usw. bedeuten. Dies, würde ich meinen, ist ein vollkommen anderer Modus der Bezeichnung. Das Ding, hier: das Krokodil, bezeichnet nicht einfach das Wort oder den Begriff "Krokodil", sondern einen Begriff von "Krokodilhaftigkeit" als Inbegriff der (auf den Menschen übertragenen) Verhaltenseigenschaften des Krokodils. Es handelt sich um das Verfahren der Metapher, angewandt auf die Funktionen der Schrift. Anstatt einen Mann ein "Krokodil" zu nennen aufgrundseiner Gier und Aggressivität, schreibt man die Worte für "Gier" und "Aggressivität" mit dem Zeichen des Krokodils. 13 Im klassischen Schriftsystem spielt der metaphorische Modus zweifellos nur eine Nebenrolle, ist allerdings auch nicht völlig ungewöhnlich. Es gibt immerhin gut 20 Zeichen, sämtliche lierbilder, die im metaphorischen Modus verwendet werden. Das schönste Beispiel ist das Zeichen der Kuh, die ihr Kalb säugt und es dabei zärtlich leckt. Das so determinierte Wort 3ms-jb bedeutet "froh sein". Das Motiv spielt auch eine große Rolle in den bukolischen Szenen auf Grabwänden (vgl. Matthiae 1962; Keell980, S. 55-114). Mit solchen Zeichen funktioniert die Welt nicht nur als ein Typenreservoir, sondern als ein Text, der Bedeutungen vermittelt.
n Es handelt sich v. a. um die Worte zkn .. gierig sein", hnt,.gierigsein", 3d ,.wütend, gewalttätig, aggressiv sein". Die knappen Bemerkungen von H. Grapow (1924), 95{. werden der Bedeutung des Krokodilbildes auch in der ägyptischen Sprachmetaphorik in keiner Weise gerecht.
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Grundstrukturen der symbolischen Kultur
In der Spätzeit wird der metaphorische Modus erheblich ausgebaut. Seine exklusive Monopolstellung erringt er aber erst in der Erinnerung, die in der Spätantike von der Bedeutung der Hieroglyphen übrig geblieben ist. Im 5. oder 6. Jh. n. Chr. gibt der ägyptische Priester Horapolion eine Beschreibung der Hieroglyphen, die alle Zeichen im metaphorischen Modus interpretiert.14 Die meisten der sogenannten Schriftzeichen haben mit wirklichen Hieroglyphen überhaupt nichts zu tun, aber selbst wo er das Richtige trifft, ist seine Erklärung falsch, z.B. wenn er das Bild der Ente mit der Bedeutung "Sohn" durch den exemplarischen Familiensinn dieses Tieres erklärt oder das Bild des Hasen mit der Bedeutung "öffnen" durch die Tatsache, daß der Hase niemals die Augen schließt. 15 DerText des Horapolion basiert auf und korreliert drei Repertoires: (a) ein Repertoire von begrifflichen Denotanda wie "Sohn", "Öffnen", "Zeit" usw., (b) ein Repertoire von Bildern (davon ca. 10% wirkliche Hieroglyphen) und (c) ein Repertoire von Weltwissen, dassich weitgehend mit dem Bestiarium des Physiologus deckt. Diese Repertoires werden in der Regel nach folgendem Schema korreliert: "Wenn sie (a) ausdrücken wollen, zeichnen sie (b), weil: (c)". All das ist reine Phantasie, hat aber für die Spätantike eine enorme natürliche Evidenz besessen, weil es mit ihrem bio- und vor allem zoologischen Wissen, einer Art allegorischer Ethologie, in genauem Einklang stand. Die Komponente (c) im Schema des Horapolion entsprach genau einem Weltbild, dessen Gültigkeit bis in die Renaissance unbezweifelt war. So konnte derTextdes Horapolion im 16. und 17. Jh. nochmals zu ungeheurem Einfluß kommen. 16 Er führte einerseits zur Entwicklung der Hieroglyphik oder Emblematik als eines Systems der Kommunikation mit metaphorischen oder allegorischen Bildern, einer "Allographie", und befestigte andererseits ein hieroglyphisches Weltbild, das die Welt als einen Komplex bedeutungsvoller Zeichen verstand, das Weltbild der "unmittelbaren Signifikation". Erst die Entzifferung der Hieroglyphen durch Champollion hat mit der Wiederentdeckung des "direkten" Modus der Signifikation diesem jahrtausendealten Mißverständnis ein Ende bereitet aber damit zugleich auchalldas in Vergessenheit geraten lassen, was sich darin an genuinem Wissen erhalten hatte.
14 15
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Kommentierte Textausgabe: Sbordone 1940; Übersetzung (eng!.): Boas 1950. In Wirklichkeit handelt es sich natürlich um einfache Lautübertragung, von z3 "Ente" auf zJ ,,Sohn" und von wn "Hase" auf wn ,.öffnen". Aber dieser Modus war völlig in Vergessenheit geraten. Vgl. hierzu lversen (1961); Gielow (1915}; Volkmann (1923).
Zweiter Teil
Menschenbild und Lebensformen Das pharaonische Ägypten war keine ausgeprägt patriarchalische Kultur: darin sticht es auffallend von seiner orientalischen Umwelt ab. Die Frau spielte eine ganz andere Rolle, sie hat Rechte und Rollen, die anderwärts unbekannt sind; vor allem aber waren die Clan-, Sippen- und Adelsstrukturen, auf deren Boden das Patriarchalische gedeiht, in Ägypten weitgehend abgebaut. Das hängt zusammen mit der monozentrischen Einbindung des einzelnen in den Staat, dessen Überdominanz alle sonstigen Bindungen oberhalb der Kernfamilie auflöst. 1 Trotzdem kann man die ägyptische Kultur mit gutem Recht eine "Vaterkultur" nennen. Mit dem Bild des Vaters verbinden sich die höchsten und zentralsten Werte der altägyptischen Welt: Ma'at und Totenkult, oder Gerechtigkeit und Unsterblichkeit. Der Vater vermittelt dem Sohn die "Ma'at": die Kunst des rechten Lebens, und der Sohn vermittelt dem Vater durch den Vollzug des Totenkults die Fortdauer über den Tod hinaus. Die Vater-Sohn-Beziehung ist das grundlegendste Kohärenz-Modell der ägyptischen Kultur: sie bindet die Generationen aneinander, bindet den einzelnen in die Gemeinschaft und an den Staat und bindet die menschliche Gesellschaft in den Kosmos, d.h. die Götterwelt ein. Denn Pharao, der Exponent der menschlichen Gesellschaft, tritt den Göttern als Sohn gegenüber. Die ägyptische Welt dreht sich um die Achse von Vater und Sohn. Es ist eine vertikale Achse. Der Vater ist "oben", im Alter, im Rang und schließlich: im Jenseits, der Sohn ist "unten". Kohärenz, Einklang, Verständigung, kurz: Mitmenschlichkeit baut sich auf von oben nach unten, von unten nach oben, im Austausch von Schutz (von oben nach unten) für Gehorsam (von unten nach oben). Ich nenne dieses Prinzip "Vertikale Solidarität" 2 ; der Soziologe und Indologe L. Dumont prägte dafür anhand indischer Befunde den Begriff "homo hierarchicus". 3 Der Vater- nicht unbedingt der konkrete Vater, aber das "Bild" des Vaters ist in Ägypten der Inbegriff dieser Vertikalität, die die 1
2 3
E. Brunner-Traut ( 1990), 82ff. spricht in bezugauf dieses Phänomen von einer .. aggregierten Gesellschaft" und scheint dies für ein Kennzeichen früher Gesellschaften zu halten. Ich sehe darin eher einen modernen Zug des alten Ägypten. Assmann 1990a, Kap. 4. Dumont (1966); (1977).
94
Menschenbild und Lebensformen
Gesellschaft, ja: die Welt zusammenhält. Daher gruppieren sich um dieses Bild die höchsten Werte und Tugenden der ägyptischen Moral. Das Selbst, das sich in diesem vertikal strukturierten Gesellschaftsgefüge aufbaut, tritt uns in einer erstaunlichen Artikuliertheil entgegen. Es gibt kaum eine andere Kultur, in der der einzelne sich so reich zur Darstellung bringt. Dieser Selbstdarstellung dient das Grab; es handelt sich also genauer um eine Selbstverewigung. Adressat ist die Nachwelt. Worum es geht, ist: im Gedächtnis der Gruppe präsent zu bleiben. Wir haben schon betont, daß der Stein als ein Weg zur Unsterblichkeit nicht alles ist. Die Formel lautet vielmehr: Stein+Erinnerung. Für die Erinnerung sorgen zwei Medien: das Medium des Bildes, das die individuellen Züge dieses zu verewigenden Selbst in seiner körperlichen Erscheinung festhält, und das Medium der (In-)Schrift. das die Autobiographie aufzeichnet. Das sechste und das siebte Kapitel widmen sich diesen beiden Medien, der Bildniskunst und der autobiographischen Grabinschrift. Es sind die produktivsten und charakteristischsten Gattungen der altägyptischen Kultur, die damit in den Blick treten. Beide beginnen mit dem Anfang des Alten Reichs, und beide setzen sich bis in die römische Kaiserzeit fort. Das "Steinerne" oder .,Monumentale", das wir im Ersten Teil in seiner allgemeinen Kulturbedeutung analysiert haben, tritt nun in seiner Bedeutung für den einzelnen in den Blick. Denn beide Gattungen dieser Selbstthematisierung sub specie aeternitatis, das Portrait und die autobiographische Grabinschrift, sind an den Stein gebunden. Eine Kultur des "Väterlichen", aufgebaut in vertikalen Strukturen von Solidaritäten und Verpflichtungen, und eine Kultur des Steinernen, die ihr Heil in der massiven und materialen Selbstverewigung sucht - diese Kennzeichnungen treffen, aber sie treffen nur die eine Seite. Wir dürfen uns die ägyptische Kultur nicht allzu monolithisch vorstellen. Die Ägypter haben daneben auch eine völlig andere, oder genauer: die genau entgegengesetzte Philosophie entwickelt und gelebt. Danach zählt nur der flüchtige Augenblick des Erdendaseins. Vor seinem Glanz zerfällt die steinerne Ewigkeit zur blassen Illusion. Nicht das Jenseits, nicht die Pflichten dervertikalen Ordnungerheben einen Anspruch auf das Selbst, sondern das Fest, der Genuß, die Sinnenweide, die Trunkenheit, die Freude. Hier wird vor der Sorge gewarnt, die das Selbst in seiner Entfaltung verkürzt. Im Fest, so scheint es, kultivierten die Ägypter die Gegenwelt zu allem, was ihnen sonst heilig und teuer war. Dabei waren sie sich dieses Widerspruchs durchaus bewußt; er fällt nicht etwa erst dem modernen Betrachter auf. Waren die Ägypter "zweidimensionale Menschen", die in zwei sich gegenseitig widersprechenden Welten- wenn auch nicht gleichzeitig, sondern abwechselnd- zu leben vermochten? Der Gegensatz von Fest und Alltag ist eine andere Form von Bikulturalität als die, die wir im ersten Teil kennengelernt und mit Begriffen wie "Stein und Lehm", "Ewigkeit und Lebenszeit", "Gedächtnis und Gebrauch" umschrieben haben. Das Fest gehört keineswegs auf die Seite des Lehms, des Ge-
Menschenbild und Lebensformen
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brauchsund der Vergänglichkeit, im Gegenteil. Es sprengt diesen Gegensatz. Das ägyptische Symbol für diese Erfahrung der grenzüberschreitenden und Gegensätze aufhebenden Kraft des Festes ist die Vereinigung von Himmel und Erde. Die Trennung von Himmel und Erde begründet jene väterlichen Ordnungen, die die ägyptische Welt konstituieren: die Ordnungen der Autorität und Verantwortung, des Gehorsams und des Schutzes, der Selbstkontrolle und selbsthintansetzenden Einfügung, des Staates und der "vertikalen" MitmenschlichkeiL Im Fest fallen sie alle dahin. Es sind Ordnungen des Alltags, notwendig für die Routine und Gottesferne alltäglicher Daseinsbewältigung. Im Fest wird diese Routine unterbrochen. Himmel und Erde, Oben und Unten, vereinen sich, das Göttliche bricht in die Gegenwart und innerhalb der Zeitgrenzen des Festes verschwinden in "affektiver Verschmelzung" die anderen Grenzen, die den Alltag und seine Ordnungen konstituieren. Das Fest ist die Inszenierung einer anderen Wirklichkeit. Das 8. Kapitel beschreibt das "häusliche Fest" und seine Philosophie, nicht das große religiöse Prozessionsfest, das demgegenüber als das "städtische" oder gar "staatliche Fest" zu bezeichnen wäre. 4 Denn das Thema ist der ägyptische Mensch, den gerade die Institution des häuslichen Festes, des "Schönen Tages" als eines Intim- und Spontanfestes, in seiner "Zweidimensionalität" darstellt.
' Diesem Typus der ägyptischen Festkultur widmet sich mein Beitrag zu Assmann, J., Sundermeier, Th. (Hgg.), Das Fest und das Heilige, Gütersloh 1991.
V. Das Bild des Vaters Erster Teil:
A. Der lebende Vater ..Herr ist der Vater, Diener der Sohn" 1
1. Der Vater als Erzeuger: Geschlecht und Abstammung Im Alten Ägypten spielt die Abstammung, sehr im Gegensatz zu den semitischen Nachbarkulturen, eine verhältnismäßig geringe Rolle. Familien-. Geschlechts- oder Stammesnamen gibt es nicht. Filiationsangaben dienen nur in Ausnahmefällen dem sozialen Prestige: dann wird der vornehmere Elternteil angegeben, was oft die Mutter sein kann; in der Regel dienen sie der Unterscheidung gegenüber Gleichnamigen, und geben je nach der jeweils herrschenden Sitte Vaternamen, Mutternamen oder beides an. 2 Herkunftsstolz bezieht sich also, wenn überhaupt, aufbeide Eltern, und nicht eine besondere Wertbesetzung von genealogischen Bindungen wie .,Blut" oder .,Samen", sondern die auf einer ganz anderen Ebene liegende Sitte der Amtsvererbung bringt es mit sich, wenn in Einzelfällen auf die Abstammung Wert gelegt wird, wenn sich identifizierende Filiationsangaben zu glorifizierenden Stammbäumen erweitern, und wenn einer stolz bekennt: ,.Ich bin ein Priester, Sohn eines Priesters" oder ,.Ich bin ein Großer, Sohn eines Großen". Die Bindungen der Kultur, Amt, Erbe, Tradition, Unterweisung, dominieren die der Natur. Daher ist auch die Adoption in Ägypten zu allen Zeiten häufig. 3 Die Vererbung des Amtes in der eigenen Familie galt zwar in Ägypten zu allen Zeiten als ein erstrebenswertes Ziel, bedurfte aber immer der Zustimmung des Königs, von dem die eigentliche Berufung ausging. 4 Nur bei den Priestern war die Herkunft, die Abstammung von einem Priester, im Laufe der Zeit zu einer notwendigen Vorbedingung und Qualifikation für eine Priesterstelle geworden. Hier scheinen religiöse Reinheitsvorstellungen eine Rolle zu spielen. 5 Der Name wird nun in Ägypten nicht, wie etwa in Mesopotamien, mit dem väterlichen Prinzip, dem Samen, in Verbindung gebracht, sondern vielmehr mit der Mutter, die ihn genau wie das Kind zur Welt bringt. Entweder gibt die Mutter dem Kind bei der Geburt seinen Namen, oder der Vater formuliert Caminos (1956), Tf. 20, D, I, 6. Vgl. Brunner (1973a). 3 Vgl. Brunoer (1973b). 4 Vgl. Helck (1973). s Vgl. Sauneron (1957). Bei der Besetzung von Priesterstellen wird mehr als bei anderen Ämtern auf Herkunft geachtet (vgl. z.B. Otto 1954, 85f.). 1
2
V. Das Bild des Vaters
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den Namen aus den Worten, die die Mutter bei der Geburt spricht. 6 Der Name aber gilt als das ionerste Selbst des Menschen, ebenso wie das Herz. Daher ist es in diesem Zusammenhang höchst aufschlußreich, daß der Ägypter auch das Herz des Kindes von der Mutter ableitet. Der wichtigste Beleg für diese Vorstellung ist das sehr häufige 30. Kapitel desTotenbuchs7 , das sich mit der Rolle des Herzens beim Totengericht beschäftigt und mit den Worten beginnt: .,0 Herz von meiner Mutter her, o Bewußtsein von meinem Dasein auf Erden her, steh nicht auf gegen mich als Zeuge!"
Dieser Text verwendet zwei Worte für Herz, von denen wir eines mit "Bewußtsein" übersetzt haben. Der eine Aspekt des Herzens leitet sich, wie der Name, von der Mutter her, der andere konstituiert sich als individuelles Bewußtsein während des Erdendaseins. 8 Wir sehen also, daß im Alten Ägypten das biologische Erzeugerturn des Vaters nicht mit besonderen Wertvorstellungen verbunden war. Das Prinzip der patrilinearen Filiation führte nicht zur Hypostasierungen (im Sinne von konzeptuell fixierten und wertbesetzten Größen) wie "Same", "Stamm", "Geschlecht" und entsprechend fehlt hier auch eine Überhöhung der Vaterfigur im Sinne des Stammvaters und Ahnherrn, wie wir sie aus dem Alten Testament kennen. In den Fragen der biologischen Herkunft dominierten die Vorstellungen vom Mutterleib die vom Vatersamen 9 , in der Abkunft vom Vater stehen die kulturellen und geistigen Aspekte, Amt und Unterweisung, im Vordergrund. Mit der bloßen Abstammung ist es nicht getan: der Sohn hat sich als solcher zu erweisen. Der Same (als solcher) ist nun einmal aufsässig, sagt der Weise Ptahhotep: 10 .,Wenn du ein reifer Mann geworden bist, dann schaffe dir einen Sohn, um Gott gnädig zu stimmen. Wenn er gerade ist und sich zu deiner Art wendet, sich um dein Gut in gehörigerWeise kümmert, dann erweise ihm alles Gute: er ist dein Sohn, er gehört zu den Zeugungen deines Ka, du darfst dein Herz nicht von ihm trennen.
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Posener (1970), 204f. Zuverlässige Übersetzung: Hornung (1979). Vgl. die Stellen bei Assmann (1973a), 73f. In späten Texten werden physiologische Vorstellungen greifbar, die möglicherweise älter sind, als die Überlieferung erkennen läßt. Danach entstehen die Knochen eines Kindes aus dem väterlichen Samen, Haut und Fleisch aber aus der Milch der Mutter: vgl. Sauneron (1960); Yoyotte (1962); Stricker (1961), 53 vgl. allg. Stricker (1968), 87-121. Ptahhotep 197-219 ed. Zaba ( 1956). Die hier paraphrasierte Maxime findet sich aufS. 31-33, 7980und 129f.
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Aber der Same ist aufsässig. Wenn er in die Irre geht, deine Pläne übertritt, wenn er sich allem Gesagten widersetzt, und sein Mund geht mit üblen Reden: verstoße ihn, er ist nicht dein Sohn, er ist dir nicht geboren. So wie sein Mund ist sein ganzes Wesen. Wer gegen dich stößt, ist einer, den sie verworfen haben, dessen Verderben schon im Mutterleib verhängt wurde. Wen sie leiten, der kann nicht irre gehn, wen sie schifflos lassen, der findet keine Überfahrt."
Ich möchte hier nur einen Punkt dieses bedeutenden Textes unterstreichen: die Vorstellung von der Aufkündbarkeit der Vaterschaft. Dieser Gedanke ist nicht auf das literarische Genos der Weisheitsliteratur und die soziokulturelle Situation der Unterweisung beschränkt. Wir finden sie z.B. auch in einer Königsinschrift Sesostris 'I II. (um 1850 v. Chr.) in aller Schärfe formuliert: 11 "Wer nun aber von meinen Söhnen diese Grenze verteidigen wird, die ich gemacht habe, der ist mein Sohn, der wurde mir geboren. Das Ebenbild eines/des Sohnes, der für seinen Vater eintritt, ist derjenige, der die Grenze seines Erzeugers verteidigt. Wer sie aber preisgeben wird, wer nicht für sie kämpft, der ist nicht mein Sohn, der ist mir nicht geboren."
Zwischen solcher Aufkündbarkeit der Vaterschaft und der verhältnismäßig untergeordneten Bedeutung, die die Ägypter dem natürlich-biologischen Aspekt der Vaterschaft im Ganzen ihres Vaterbegriffs beigemessen haben, besteht wohl ein Zusammenhang. Die ägyptischen Begriffe von Vater und Sohn umfassen offenbar mehr als dieses natürliche Band, das unaufkündbar, aber eben nicht alles, ja nicht einmal das Entscheidende ist. Aus dieser umfassenden Bedeutung des Vaterbegriffs ergibt sich nicht nur die Aufkündbarkeit sondern auch deren Gegenteil, die "Eingehbarkeit" der Vaterschaft. Mit der Zeugung ist sie noch nicht gegeben. Der Vater hat den Sohn als solchen anzuerkennen (Vgl. Assmann 1982). Das geschieht, indem er sich in ihm wiedererkennt. Das aber ist nicht eine Sache der natürlichen, physiognomischen Ähnlichkeit des "Blutes", sondern einer geistigen Ebenbildlichkeit, die sich im Handeln und Verhalten manifestiert. Nur der ist Sohn, der in seinem Handeln den Willen des Vaters "abbildet" und sich dadurch als "lebendes Abbild", twt 'nlj des Vaters erweist. Mit diesem Begriff der Königstheologie, der sich auf einen jenseitigen, "toten" Vater bezieht, greife ich zwar dem 2. Teil bereits etwas vor; aber hier, in den physiologischen Anschauungen von Vaterschaft, hat er seine Wurzeln. Wer diese Zusammenhänge verkennt, läuft Gefahr, die Got11
Grenzsteleninschrift Sesostris'III. aus Semna und Uronarti, übers. nach Blumenthai (1970), 151 und 188; Kaplony (1966), 403ff.
V. Das Bild des Vaters
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tessohnschaft des Königs "adoptianisch" oder "mythisch" zu vereinseitigen. Schon der "normale" Begriff von Vaterschaft hat, was man eine "adoptianische Komponente" nennen könnte, die eingegangen sein will und die aufkündbar ist. Dadurch lassen sich alle derartigen Beziehungen im Sinne der Vater-Sohn- Konstellation verstehen und bezeichnen, wo einer dem anderen "nachfolgt", ihn "abbildet", der ihm unterweisend, führend, vorbildhaft vorausgeht. So kann sich auch jeder Grenzsoldat, der lesen kann und die Worte Sesostris' III. auf jenen Inschriften entziffert, als Sohn angesprochen fühlen.12 Und wo immer in den zahllosen Dialogen zwischen Gott und König, die uns die ägyptischen Königsinschriften hinterlassen haben, die Worte "Du bist mein Sohn", "Ich bin dein Vater" erklingen, da haben sie diesen "rekognoszierenden" Sinn des bestätigenden Zuspruchs einer Beziehung, die sich nicht auf das Natürliche beschränkt, sondern sich immer wieder bewähren und als solche erweisen muß. Möglicherweise hängt es mit diesen verhältnismäßig schwach entwickelten genealogischen Begriffsbildungen und Wertvorstellungen zusammen, daß die ägyptische Sprache so arm ist an Verwandtschaftsbezeichnungen. Den Kern bilden nur vier Lexeme: jtj "Vater", mwt "Mutter", z3 "Sohn" und sn "Bruder"; dazu kommen noch h3jj "Gatte", und hmt "Frau" (im allgemeinen Sinne und im speziellen von Ehefrau, wie im Deutschen). "Tochter" und "Schwester" werden durch Anfügung der Femininendung von den Lexemen "Sohn" und "Bruder" abgeleitet, sekundäre Verwandtschaftsverhältnisse durch Genetivverbindungen ausgedrückt wie "Vater seines Vaters", "Mutter seines Vaters", "Vater seiner Mutter", "Bruder seiner Mutter", "Tochter seiner Schwester", "Sohn seiner Tochter" usw. 13 Immerhin zwingt dieses System, wie man sieht, zu größerer Genauigkeit als das unsrige, die wir uns bei Großeltern, Enkeln, Onkeln, Tanten, Neffen, Nichten usw. nicht festlegen müssen, ob die Verwandtschaft über die väterliche oder die mütterliche Linie läuft. Dafür waren die Ägypter aber in anderer Weise ungenau, indem sie ihre Verwandtschaftsbezeichnungen, je nach Anlaß und Kontext, sowohl im speziellen, als auch im erweiterten Sinne verwendeten. "Vater" kann "Großvater, Vorfahr" bedeuten, "Mutter" entsprechend, "Bruder" kann für Schwager, Vetter oder Neffe, "Schwester" für Tante oder Cousine, "Sohn" für Neffe, Schwiegersohn, Nachfahre, "Tochter" für Nichte, Enkelin, Nachfahrin stehen. Liebende und Eheleute nennen sich "Bruder" und "Schwester", was zu merkwürdigen Vorstellungen über ägyptische Geschwisterheirat geführt hat und nichts weiter ist als der übertragene Gebrauch von Verwandtschaftsbezeichnungen .14
2 3 :4
So Seibert (1967), 41 m.n.42; vgl. auch Barta (1975b). Vgl. Allam (1975); Franke (1983). Hermann (1959), 7~.
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2. Der Vater als Ernährer: Versorgung und Schutz Auf der ökonomischen Ebene stellt sich die Familie als eine Versorgungsgemeinschaft dar, die vom Vermögen und den Zuteilungen des Ernährers lebt, der das Haupt dieser Versorgungsgemeinschaft bildet. Hier betreten wir nun, im Gegensatz zum Vorhergehenden, ein Gebiet, das die ägyptische Kultur aufs reichste ausgestaltet hat mit dem, was wir als Begriffsbildungen und Wertvorstellungen bezeichnet haben. Trotzdem aber fehlen, in genauer Entsprechung zur genealogischen Ebene, in Ägypten so große Ernährer, Häupter so großer Versorgungsgemeinschaften, wie etwa Priamus und Jakob. Hier haben wir es mit Großfamilien zu tun, wo die verheirateten Söhne mit ihren Kindern im Vaterhaus wohnen, während in Ägypten die Kleinfamilie das Übliche ist, die sich immer wieder aufspaltet, wenn ein Kind heiratet und das Elternhaus verläßt. Die ägyptische Ehe war also, genau wie die europäische, in der Regel neolokal.15 Sich verheiraten heißt ägyptisch "ein Haus gründen". Dazu bedurfte es eines gewissen Vermögens, und die Ehe war ein Zeichen von Wohlstand. So konnte ein junger Ägypter erstdarandenken, sich zu verheiraten und "ein Haus zu gründen", wenn er eine Stellung innehatte und über entsprechende Einkünfte verfügte, auch wenn eine späte Weisheitslehre empfiehlt: "Nimm dir eine Frau, wenn du 20 Jahre alt bist, damit du einen Sohn hast, während du noch jung bist." 16
In der Lehre des Ani liest man: "Sage nicht: ,es gibt ja ein Haus bei unserem Vater und unserer Mutter zuhause'. Die Schwalben fliegen fort und lassen sich (woanders) nieder. " 17
In der Praxis war das nicht eine Frage des Alters, sondern des Vermögens. 1R Auch darin entsprechen sich die altägyptischen und die europäischen Verhältnisse, und es wäre zu fragen, ob der Zusammenhang, den man für Europa postuliert hat zwischen dem Prinzip der neolokalen Ehe und dem wirtschaftlichen Aufstieg, den die europäischen Länder in den letzten Jahrhunderten erlebt haben, nicht in ähnlicher Weise auch für das Alte Ägypten in Anspruch genommen werden könnte, das im Altertum so auffallend in dieser Hinsicht gegen seine Nachbarn abstach. 19 Während also die ägyptische Familie, was das Zusammenleben der Generationen angeht, in der Regel nicht über die Einheit der Kleinfamilie hinaus15 16
17 18
19
Allam (1975). Anchsheshonqi 11,7 ed. GlanviUe (1950); vgl. Anii 3,1-3: "Nimm dir eine Frau, solange du jung bist, damit sie dir einen Sohn schenkt". Anii 6,7 s. Volten (1937138), 94f., 97-99. Vgl. Admonitions 7,14 ed. Gardiner (I 909), 60: .• Wer aus Mangel ehelos schlief... "; Übersetzung und Zusammenhang sind aUerdings unsicher. Hajnal (1965).
V. Das Bild des Vaters
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geht, bemißt sich die Größe eines Haushalts, also die Menge derer, die von einem Vermögen leben und eine Versorgungsgemeinschaft bilden, nach der Größe des vorhandenen Vermögens. Der Haushalt eines Heqanachte, der als Totenpriester eines Vezirs um das Jahr 2000 in zwar wohlhabenden, aber keinesfalls feudalen Verhältnissen lebte, umfaßte etwa 30 Personen, die teils Familienmitglieder, teils Partner oder Pächter, teils Dienstleute waren. 20 Generell gilt, daß die väterliche Versorgung im Austausch gewährt wird für DienstIeistungen; nur die Töchter und die jüngeren Söhne brauchen in dem meist landwirtschaftlichen Betrieb nicht mitzuarbeiten, während die älteren Söhne wie abhängige Pächter eingesetzt und Uedenfalls in den Briefen des Heqanachte) behandelt werden. Andererseits werden auch die Diener und Lohnabhängigen zur Familie im Sinne der "Versorgungsgemeinschaft", ägyptisch "Haus", gerechnet 21 (das Ägyptische hat kein Wort für "Familie" im engeren Sinne der biologischen Verwandtschaftsverhältnisse 22 ), wie überhaupt der Aufbau einer großen Versorgungsgemeinschaft nicht als Besitzstreben und Unternehmertum, sondern als Wohltätigkeit betrachtet wird und sich wenigstens der Idee nach auch auf solche erstreckt, die darauf angewiesen sind ohne Gegenleistungen erbringen zu können: Arme, Witwen und Waisen, Alte und Schwache. 23 Versorgen heißt sowohl ernähren wie beschützen. Als Versorger verkörpert der ägyptische Vater im engeren Familienkreise Eigenschaften wie Zärtlichkeit, Milde, Güte, im weiteren Kreise seines wohltätigen Wirkens Barmherzigkeit, Großzügigkeit, Gastfreundschaft und Gerechtigkeit. Gerechtigkeit, weil er die als Unrecht empfundenen Unterschiede der Besitzverhältnisse ausgleichen helfen soll, dem Schwachen beistehen gegen den Starken, dem Armen helfen gegenüber dem Reichen. In der Praxis entwickelt sich daraus im Laufe der Zeit ein System der Patronage, wo sich Leute geradezu in die Versorgungsgemeinschaft eines Mächtigen einkaufen (durch Arrogation, dem Gegenstück zur Adoption), in der Ideologie entsteht das Bild eines Über-Vaters, der erst auf den König und später auf die Gottheit übertragen wird. Wir werden die historische Situation der Entstehung dieses Vaterbildes und die Bedingungen seiner Übertragung auf die Gottheit noch kurz behandeln. Insofern sich die väterliche Autorität nun aus dieser Versorgerrolle herleitete, war sie in dreifacher Weise eingeschränkt: a) Aus der ökonomischen Fundierung des ägyptischen Haushalts und seiner Autoritätsstrukturen ergibt sich nicht nur die Stellung des Vaters, sondern auch die für Ägypten charakteristische und es gegenüber allen antiken Kulturen scharf unterscheidende Stellung der Frau, die durchaus gleichbeJames (1962). :• Allam (1975), 104-106. !2 Meeks ( 1974) hat gezeigt, daß unter dem mit "Familie" wiedergegebenen Wort 3bwt das Gesinde zu verstehen ist. Franke (1983), 2Tiff. gibt 3bwt als "Großfamilien-Hausverband" wieder. :J Otto (1954), 87-101; Assmann (l990a) vgl. Index s. v. "Witwen und Waisen".
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rechtigt ist. Die Frau hat nicht nur ihr eigenes Vermögen und kann es in Form eines Darlehens in die Gründung des Hausstands einbringen, ihr gehört auch ein Drittel von dem, was die Eheleute im Laufe der Zeit an Gütern dazuerwerben.24 Sie ist gleichberechtigte Teilhaberio am gemeinsamen Hausstand und trägt als solche den Titel "Herrin des Hauses"». So teilen sich auch Vater und Mutter in die Versorgerrolle, jedenfalls was den engeren häuslichen Kreis angeht, und wenn man im übertragenen Sinne die Gottheit in ihrem Versorger-Aspekt preisen will, nennt man sie nicht "Vater", sondern "Vaterund-Mutter" der Menschheit. 25 b) Man muß es wohl ebenfalls als eine gewisse Einschränkung der väterlichen Autorität ansehen, wenn die väterliche Versorgung mehr und mehr zu einem geschuldeten Entgelt für Dienstleistungen wird. So schreibt auch Heqanachte seinen älteren Söhnen nicht etwa nur: "Eßt ihr nicht mein Brot?" 26 sondern auch "Seid ihr nicht mit mir als Partner?" 27 Der auf Versorgung gegründete Autoritätsabstand zwischen Vätern und Söhnen tendiert dazu, sich zu verringern, bis schließlich der zum Amtsnachfolger herangewachsene Erbsohn als sog. "Stab des Alters" seinerseits die Versorgung des Vaters übernimmt. c) Da die Ägypter nun einmal Herrschafts- und Dienstverhältnisse in den konkreten ökonomischen Formen von Versorgungsbeziehungen denken, und da sie andererseits keine Grenzen ziehen zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht, Familie und Staat, sondern vielmehr auch den Staat insgesamt als eine gewaltige Versorgungsgemeinschaft mit dem König als "Landes-Vater" an der Spitze auffassen 28 , ergibt sich als Bild der Gesellschaft eine Hierarchie von Versorgungsgemeinschaften, in die auch der Vater eingebunden ist. Dieser dritte Punkt ist für unsere Betrachtung des ägyptischen Vaters besonders wichtig; denn hier ist seine Stellung und Einschätzung naturgemäß am stärksten vom Wandel der historischen Bedingungen abhängig. Die Idee der Gesellschaft als einer straff zentralisierten Hierarchie von Versorgungsgemeinschaften mit dem König als dem alleinigen Ursprung aller Versorgung (im Sinne von Brot und Gerechtigkeit 29 ) an der Spitze, läßt solange sie sich in der Wirklichkeit einigermaßen intakt abbildet, den individuellen Vater als Ernährer großen Stils nicht recht aufkommen. Um so bezeichnender ist es aber, Pestman (1961). Allg. zur Stellung der Frau s. Wenig (1967); Tanner (1967). Einige Belege bei Grapow (1924), 132f. s. dazuÄHG Nr. 68, 23f.; 102, 33f.; 75, 23; 91, 21; 89,42 (nur Mutter). 26 II, 33; James (1962), 33. v I vso. 17; James (1962), 14, 30f. (85), Tf. IV. 28 Allerdings sei nicht verschwiegen, daß die Phraseologie der Königsinschriften Ausdrücke wie "Landesvater" kaum zu kennen scheint. Haremhab wird einmal "Vater der beiden Ufer" genannt (Urk IV, 2116,7). 29 Vgl. hierzu Assmann {1970), 58ff., spez. 61-62 und (1990a), Kap. VII. 24
2s
V. Das Bild des Vaters
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daß das Bild des großen Patrons als eines Über-Vaters seine Genese den Zerfalls-Perioden der königlichen Zentralgewalt verdankt, erst, nach dem Ende des Alten Reichs, auf der soziologischen Ebene 30 , dann, sehr viel später, nach der Krise von Amarna, auf der religiösen Ebene, als man bei Gottheiten in der Rolle des Patrons Schutz sucht. 31 Man muß diese Figur also auf dem dunklen Hintergrund allgemeiner Unordnung, Hungersnot, Rechtlosigkeit, Existenzangst sehen, wie sie in den Zeiten intakter königlicher Zentralgewalt per definitionem ausgeschlossen und wahrscheinlich auch de facto nicht in diesem Umfang vorhanden waren. Ein Vater, wie er uns in den Heqanachte-Briefen entgegentritt, kann seiner mit ihren leicht gekürzten Nahrungsrationen unzufriedenen Familie immerhin schreiben: "Seht, das ganze Land geht zugrunde, aber ihr braucht nicht zu hungern. Seht, als ich hierherkam, hatte ich eure Rationen anständig festgesetzt. Ist nun die Überschwemmun$ etwa sehr hoch? Unsere Rationen bemessen sich aber für uns nach dem Stand der Uberschwemmung. Seht: der ganze Haushalt ist wie meine Kinder, alles gehört mir -denn es heißt: "ein halbes Leben ist besser als ein ganzer Tod". Seht, ,Hunger' sagt man (nur) zu (wirklichem) Hunger. Hier, schaut, fangen sie an, Menschen zu essen. Seht, es gibt nirgendwo Leute, die solche Rationen wie ihr bekommen. " 32 "Dies ist nicht die Zeit für einen Mann, nachlässig zu sein gegenüber seinem Herrn, seinem Vater oder seinem Bruder. " 33
Man kennt aus der Josephsgeschichte, wie in Zeiten intakter Zentralgewalt der Gefahr solcher Hungersnöte vorgebeugt wurde. 34 Im Grunde beruht der ägyptische Staat auf dem System einer Speicherwirtschaft, die das ganze Land ernährt und zur Versorgungsgemeinschaft zusammenschließt. Jetzt aber ist die Versorgung der hungernden Bevölkerung dem Organisationstalent der lokalen Machthaber anheimgestellt. In ihren autobiographischen Grabinschriften beschreiben sie ihr Wirken in den Kategorien der Väterlichkeit: "Ich war ein guter Mann in seiner Stadt, ich rettete ihre Leute aus dem großen Unglück, als es im ganzen Land entstanden war. Nichts Gleiches geschah in diesem Land. Ich schützte den Schwachen vor dem Mächtigen und rettete den Furchtsamen, wenn sein Fall an die Reihe kam. Ich erwies ihnen alle Wohltaten, als es Zeit war, es zu tun.( ... ) Ich bereitete ein Begräbnis dem, der keines hatte, ich erhielt alle ihre Kinder am Leben, lO ll
12 13 l4
Zur äg. "Feudalzeit" s. Edgerton (1959); vgl. auch Seidlmayer (1987). Vgl. ÄHGTexte 147-200; Brunner (1961). Hekanakhte II, 4-28 (mit Auslassungen), James (1962), 32,38--40, Tf. 5. I, 14; James (1962), 14, 24 (36), Tf. 2. S. Vandier (1936).
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ich begründete alle ihre Häuser fest, ich erwies ihnen alle Wohltaten wie ein Vater für seinen Sohn, als das große Unglück in diesem Gau entstanden war als ein sehr großes Unglück, das im ganzen Lande herrschte. " 35
Diese Inschrift stammt zwar erst aus der Perserzeit, also 1700 Jahre nach Heqanachte, aber sie fußt auf der damals entstandenen Tradition und zeigt, wie das damals formulierte Vater-Ideal immer wieder hervortrat, wenn die Umstände seiner Genese sich wiederholten. Das Übliche und 'JYpische aber, wir wollen es, diesen Abschnitt zusammenfassend, noch einmal wiederholen, ist der auch als Ernährer in übergeordnete Versorgungsgemeinschaften und Autoritätsstrukturen eingebundene Vater, dessen aus seinem Versargerturn abgeleitete Autorität nicht zu einer absoluten patria potestas institutionalisiert wird, sondern im Gegenteil darauf angelegt ist, sich im Laufe der Zeit zu verringern; dem Sohne so schon im Familienkreis die Möglichkeit selbständiger Verantwortlichkeit, vor allem aber der Ehefrau als der "Herrin des Hauses" einen gleichberechtigten Platz an der Seite des Vaters einräumend (vgl. n. 24).
3. Der Vater als Erzieher: Unterweisung und Sozialisation Auf der dritten, der pädagogischen Ebene, tritt uns der ägyptische Vater nun in seinem ureigensten Bereich und in seiner reichsten Entfaltung entgegen. 36 Die Erziehung des Sohnes (bei den Töchtern mag es sich anders verhalten) war allein Sache des Vaters. Bereits in der ältesten Lehre, die uns aus Ägypten erhalten ist, heißt es: "Lehre deinen Sohn schreiben, ackern, jagen und Fallenstellen entsprechend dem Zyklus des Jahres."
Derselbe Satz taucht in der spätesten Lehre, die in demotischer Sprache abgefaßt ist und aus spätptolemäischer Zeit stammt, fast wörtlich so wieder auf: er ist zum Sprichwort geworden und faßt den Inbegriff ägyptischer Vaterpflichten bündig zusammen. 37 Die literarischen Lebenslehren, die aus dem Alten Ägypten in beträchtlicher Anzahl auf uns gekommen sind, sind alle in die Form dieser väterlichen Unterweisung gekleidet. 35 36
37
Otto (1954), 91 und 172. Zum Folgenden vgl. die grundlegende Monographie von Brunner (1957). Gute Überblicke vermitteln Otto (1956); Brunner (1973b); (1975); (1981). VgJ. auch A. Assmann (1991), wo "väterliche Weisheit" als einer von 4 Grundtypen des weisheitliehen Diskurses bestimmt und am Beispiel verschiedener Kulturen und Epochen illustriert wird. P. Seibert, bei Posener (1966), 65 n.3. Lehre des Ankhsheshonqi ed. Glanville (1950), I 40-41; 11,17. Zur Unterweisung als Pflicht s. bes. die zehnte Lehre des demotischen plnsinger, "Nicht darin zu ermüden, seinen Sohn zu unterweisen", vgJ. Lichtheim (1983), 205f.
V. Das Bild des Vaters
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Aus diesen Lehren geht nun klar hervor, daß es bei dieser väterlichen Unterweisung keineswegs um Ackern und Fallenstellen, um irgendeine Ausbildung in speziellen Fertigkeiten und Übermittlung von Spezialwissen ging. Es ging vielleicht sogar gar nicht so sehr um die Vermittlung von Wissen, als eher von Haltung und Einstellung. Die Lehren sagen nichts eigentlich Neues, sondern stellen das Vertraute in das Licht einer bestimmten Wertigkeit, sie befestigen den Unterwiesenen in seiner Haltung zur Welt, die sie weniger beschreibend lehren, als vielmehr begründen und in einer allgemeinen, gottgewollten Ordnung der Dinge verankern. Es geht also um Unterweisung auf einer sehr generellen Ebene; alle Spezial-Informationen sind in die verschiedenen Formen der Fachausbildung abgeschoben, die in anderer Weise und oft auch durch andere als den Vater geschah. Gegenüberall diesen verschiedenen Formen der Ausbildung, Erziehung und Anleitung ist die väterliche Unterweisung durch ihre hohe Generalitätsstufe als eine eigene Form herausgehoben, als ein Sprech-Ereignis sui generis, bei dem es um nichts geringeres als das Leben selbst ging. Eine Erziehung zum Leben im allgemeinsten Sinne, unabhängig und vor aller arbeitsteiligen Spezialisierung. Diese Lehren nennen sich daher selbst "Weg des Lebens", die Unterweisung heißt "auf den Weg des Lebens setzen".38Wir wollen sehen, was sie im einzelnen unter "Leben" verstehen. Zunächst frappieren diese Lehren durch eine gewisse mondäne Vernünftigkeit, der die Würde einer allgemeinen Lebensphilosophie durchaus abzugehen scheint. "Wenn du mit einem Großen zu Tisch sitzt, rede nur, wenn du gefragt wirst,lache, wenn er lacht und sei nicht neidisch, wenn dein Nachbar mehr bekommt. " 39 "Wenn du eine Botschaft zu überbringen hast, dann bleibe bei der Wahrheit, aber übertreibe sie auch nicht. Man wiederholt keine Herzensergüsse" 40 "Wenn du ein Leitender bist, so höre das Wort eines Bittstellers ruhig an. Weise ihn nicht ab, bis er seinen Leib ausgefegt hat von dem, was er dir zu sagen gedachte. Denn ein Bedrückter liebt seine Herzenserleichterung mehr, als daß geschieht, weswegen er gekommen ist" 41
In den Lehren gehtes-so darf man vielleicht zusammenfassend und vereinfachend sagen, denn für eine detaillierte Behandlung der ägyptischen Weisheit ist hier nicht der Ort- um gesellschaftliches Wohlverhalten im allerallgelll
19 40
4•
Zum ,.Weg des Lebens" s. Brunn er ( 1975), 117-119; 123-126; Couroyer ( 1949); Grumach ( 1972), 10-15. Vgl. Ptahhotep 119-144, Brunner (1957), 119; (1988a), 114. Vgl. Ptahhotep 145-152, Brunner (1957), 126; (1988a). 115. Ptahhotep 264-269, Brunner (1988a), 119; vgl. den Abschnitt aus der .. Amtseinsetzung des Vezirs" ed. Faulkner (1955), fig. 2 Zeile 13-14, S. 22,27 m.n.46: ,.Wenn sich ein Bittsteller an dich wendet, dann lehne nicht ab, was er sagt, als etwas, das schon gesagt worden ist, sondern weise ihn erst ab, nachdem du ihn hast hören lassen, warum du ihn abweist. Denn man sagt, ein Bittsteller liebt die Beachtung seiner Aussage mehr, als das erhört wird, weswegen er gekommen ist." Zum Gebot des Zuhörens vgl. Assmann (1990a), 73-76.
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meinsten Sinne. Der Sohn wird zu einem gesellschaftsfähigen Wesen erzogen, lernt das richtige Benehmen bei Tisch, im Gespräch und in allgemeinen beruflichen Situationen, gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Untergebenen, die Wichtigkeit eine Familie zu gründen und sich ein Grab anzulegen, die Gefahren des Umgangs mit zweifelhaften Freunden und Frauen, die Kunst des rechten Redensund vor allem Schweigens. Ziel ist die Einführung und Einbindung des einzelnen in die Gemeinschaft, nach dem Grundsatz "Gut ist, was den Beifall der Menschen findet". 42 Das ist nicht etwa primitive Liebedienerei, sondern ein sensus communis, in den es den Eigen-Sinn des Kindes umzuformen gilt. Dieser common sense, das über sich selbst hinausdenken, von sich selbst absehen können in allen Lebenslagen, ist die Grundlage eines Lebens nicht nur im Einklang mit der Gesellschaft und zum Beifall der Menschen, sondern zugleich auch im Einklang mit den göttlichen Geboten, zum Wohlgefallen der Gottheit. Die auf die göttliche Ordnung gegründete menschliche Gesellschaft steht als ein ungeteiltes Ganzes im Blick; die Bösen gehören einfach nicht dazu. So kann der Einklang mit der Gesellschaft und der berufliche Erfolg als unmittelbare Manifestation des göttlichen Segens gelten. Der Einklang des Individuums mit der Gesellschaft ist Einklang mit Gott, so daß dieser "Weg des Lebens" im Jenseits seine Fortsetzung findet und zu dem führt, was die Ägypter sich unter ewiger Seligkeit vorgestellt haben. Das harmonische Zusammenleben der Menschen untereinander, das dieser Ethik als das Höchste gilt, überließen die Ägypter nicht dem glücklichen Zufall der Verhältnisse und der individuellen Veranlagung, sondern machten daraus eine )ehrbare, tradierbare Kunst. Tradiert und eingeübt wurde sie in der Form einer Kasuistik, die am konkreten Einzelfall das Richtige veranschaulicht, und nicht in der Form eines abstrakten Sittengesctzes, das in allgemeinen Regeln das Rechte vorschreibt. In der Form dieser Unterweisung tritt der ägyptische Vater seinem Sohn nicht mit einem kategorischen "du sollst"- oder vielmehr: "du sollst nicht"- gegenüber, er macht ihm keine Vorschriften, sondern er gibt ihm Ratschläge, die rational begründet werden. Ihre Befolgung erwirbt keine frommen Verdienste, sondern bringt diesseitige Vorteile, entspricht dem "wohlverstandenen Eigeninteresse" des Belehrten. Das Idealbild dieser Erziehung faßt der Ägypter selbst unter dem Begriff des "rechten Schweigers" zusammen. 43 Der Schweiger ist der zurückhaltende Weise, der aus Einsicht in die allgemeinen Ordnungen das Gesetz des eigenen Herzens, die spontanen Regungen von Willen und Leidenschaft, dem allgemeinen Maß des Zusammenlebens, der "Maat"44 unterzuordnen und zu vermitteln gelernt hat. Bescheidenheit und Selbstbeherrschung sind höchste 42 43 44
Vgl. dazu Otto (1954), 79; (1969), 60-64. S. dazu Brunner (1957), 122f.; Grumach (1972). 28-29, 44ff. (mit weiterer Lit.). S. hierzu Assmann (1990a).
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Tugenden, Habgier und verstockt-eifernder Eigensinn die schlimmsten Laster. Das Ideal des "rechten Schweigers" hat etwas mit Triebverzicht zu tun, es stecken einige "du sollst nicht"s dahinter. 45 Um ein solches im höchsten Grade gesellschaftsfähiges Wesen zu werden, wie es die väterliche Unterweisung anstrebt, werden vom Sohn Opfer verlangt. Er muß seinen Eigen-Sinn dem Gemein-Sinn unterordnen. Jedenfalls wird ihm so geraten, nicht weil ein Gott es von ihm fordert, sondern weil Gott die Welt so eingerichtet hat, daß dieses Verhalten allein letztlich zum Ziel führt und dem" wohlverstandenen Eigen-Interesse" des einzelnen entspricht. Die Autorität46 , aus der heraus ein Vater seinem Sohn diesen Rat geben kann, beruht auf einer Einsicht in die Einrichtung der Welt, in die gottgewollten Gesetzmäßigkeiten von Bewährung und Segen, die überindividuell ist, ein Erfahrungswissen von Generationen, das sich auf eine jahrhundertealte Tradition beruft. Aufgrund dieser Über-Individualität ist das eine Autorität, die absolut ist, sich nicht auf ein Gespräch einläßt, sondern bedingungsloses Zuhören fordert. Aber es ist die Autorität der Tradition, die der Vater nur verkörpert im Augenblick der Unterweisung, nicht die persönliche Autorität des Vaters. Es ist die Autorität der Einsicht, des Arguments, der Erfahrung, die sich der Sohn, der zuhören kann, zu eigen machen kann. Und auf der anderen Seite ist es auch wieder kein Zufall, sondern in unserem Zusammenhang höchst bedeutsam, daß die ägyptische Kultur und Gesellschaft nicht durch den Mund von Göttern, Priestern, Königen, Gesetzgebern, sondern durch den vertrauten Mund der Väter zu ihren Söhnen spricht, zu den "jungen Barbaren", die immer wieder in sie hineingeboren und auf diese Weise in sie eingegliedert werden müssen. Wenn wir also dem ägyptischen Vater die Funktion des Normen-Senders zuzuerkennen haben, müssen wir ihn zugleich doch als "Verweis-Figur" verstehen. Hinter ihm steht die Gesellschaft als Ganzes, ihre jahrhundertealten Erfahrungen und Einsichten in die gottgewollte Ordnung der Dinge und die Natur der Menschen. Der Vater weist den Sohn in diese Ordnungen ein, nicht indem er sich ihm gebieterisch gegenüberstellt, sondern indem er, gleichsam hinter ihm stehend und in dieselbe Richtung blickend, von der Warte seines Überblicks aus die Ordnungen am einzelnen Fall veranschaulicht. Der hörende Sohn, der die Lehre in sich aufnimmt und sie sich zu eigen macht, wird zum Vater aufsteigen und, in der gewiesenen Richtung, über ihn hinausgehen.47 "Jeder Edle- heißt es in einer sprichworthaften Sentenz- der den Menschen Gutes tun wird und die Art dessen übertrifft, der ihn erzeugt hat, der wird dauern auf Erden". 411 Dies ist die einzige Form, in der Innovation 4~
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47
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Otto (1956), 46. Hierzu s. Brunner (1957), 126-131. Vgl. Ptahhotep 628-634: "Siehe, ein guter Sohn, wie Gott ihn gibt, ist der, der noch etwas hinzufügt zu dem, was ihm sein Meister gesagt hat", dazu Brunner (1957), 129. Otto (1969), 62; Schenkel (1965a), 78 m. n. I; Siut 111, 14 (OLZ 42, 156); Otto (1954), 23.
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möglich ist in der traditionsgebundenen ägyptischen Kultur. Nur das Neue, das auf dem Überkommenen aufbaut, und- so können wir ergänzen- nur das Individuelle, Besondere, das mit dem Allgemeinen vermittelt ist, hat Bestand, indem es seinerseits Tradition wird. In dieser Form ist Innovation aber nicht nur möglich, sondern notwendig. Jeder rühmt sich, das Vorgefundene verbessert, das Bestehende vermehrt zu haben, über die Väter hinausgegangen zu sein. Es geht ja bei dem, was die Ägypter das "Tun der Maat" genannt haben, nicht um die Erfüllung eines ritualisierten Gesetzes, sondern um eine lebendige Bewährung, die die Normen erfüllt, indem sie darüber hinausgeht. Soviel zur Autorität des erziehenden Vaters, die keine absolute Autorität ist, sondern ihm durch die Rolle zuwächst, durch die Kultur, die sich in dieser Unterweisung fortpflanzen, in neuem Leben verkörpern will. Auch der Vater handelt in Erfüllung der Normen, er folgt einer Pflicht zur Unterweisung. 49 Diese Pflicht zur väterlichen Unterweisung (deren die Kultur bedarf, um am Leben zu bleiben- und sie blieb immerhin über 3000 Jahre lang am Leben!), diese Pflicht bildet selbst einen Hauptgegenstand der literarischen Lehren. Der Vater spricht in ihnen ja nicht zu einem unmündigen Kinde, sondern zu einem Menschen, der selbst einmal Vater werden und die durch eigene Erfahrung bereicherte Lehre seinen Söhnen weitergeben wird. 50 Der Sohn soll nicht nur lernen, ein guter Sohn zu sein, sondern auch ein guter Vater. Die Kultur, zu der er erzogen wird, soll ihm nicht nur Erfolg und Anerkennung bringen, sie soll sich auch in ihm verkörpern und weiterleben, indem er sie vermehrt und über seinen Vater hinausgeht. Beide, Vater und Sohn, handeln also in diesem Unterweisungsgespräch im Dienst der Gesellschaft und ihrer Kultur. In diesem Zurücktreten hinter dem, was er seinem Sohne vermittelt, äußert sich im Vater jene Bescheidenheit, die er als oberste Tugend seinem Sohne empfiehlt. Auch und gerade als Erzieher ist der ägyptische Vater eingebunden in höhere Ordnungen, er erfüllt eine gesellschaftliche Pflicht und steht im Dienst von etwas, wir haben es "Kultur" oder "Tradition" genannt, das durch den Mund der Väter zur Jugend spricht und sich in diesem Sprechen fortpflanzt. Betrachten wir, zur Illustration dieses Gedankens, die Erzählung, in die die Lehre des Ptahhotep eingekleidet ist: 51
49
50
SI
Brunner (1957), 107-110; plnsinger, Zehnte Lehre, vgl. bes. 9,12: .. Der Sohn, der nicht unter· wiesen wird, dessen Vater erregt allgemeines Aufsehen". Den konkreten Fall einer solchen Vernachlässigung schildert der von Hughes (1969), 43-54 veröffentlichte Text. Vgl. Ptahhotep 507-523 (dazu Brunner 1957, 128), der in der Sentenz gipfelt: .,Die Lehre eines Mannes ist dazu bestimmt, an die Nachwelt weitergereicht zu werden". Ptahhotep 1-41; Brunner (1988a), 109f.
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"Die Lehre des Vezirs Ptahhotep, der sagt: Herrscher, mein Herr: das Greisenturn ist eingetreten, das Alter herabgestiegen, die Schwäche ist gekommen, die kindische Hilflosigkeit hat sich erneuert, deretwegen der zum Kind gewordene alle Tage im Liegen verbringt, die Augen sind schwach, die Ohren taub, die Kraft schwindet aus Mattigkeit des Herzens, der Mund schweigt und kann nicht mehr sprechen, das Herz ist vergeBlich und kann sich des gestrigen Tages nicht mehr erinnern, die Knochen schmerzen wegen der Länge (der Jahre), Gutes ist zu Schlechtem geworden, jeder Geschmack ist vergangen. Das ist, was das Alter den Menschen antut: Schlechtes an allen Dingen. Die Nase ist verstopft und kann nicht mehr atmen aus Schwäche in jeglicher Handlung. Möge darum dem Diener da befohlen werden, (sich) einen Stab des Alters zu schaffen, möge veranlaßt werden, daß mein Sohn an meine Stelle tritt, damit ich ihm die Worte derer sage, die hören konnten, die Ratschläge der Vorfahren, die vordem auf die Götter gehört hatten; so daß für dich in gleicherWeise gehandelt werde, daß der Streit niedergehalten werde unter den Untertanen und die beiden Ufer für dich arbeiten. Da sagte die Majestät dieses Gottes: Unterrichte ihn nach den Worten der Vorzeit damit er ein Vorbild abgebe für die Kinder der Großen. Möge das Hören in ihn eintreten und alle Herzensgradheil dessen, der zu ihm spricht. Keiner ist weise geboren."
Man sieht daraus, daß der lehrende Vater erst den König um Erlaubnis fragen muß. Denn was er seinem Sohn weitergeben möchte, gehört ihm nicht so zu eigen, daß er selbstherrlich damit verfahren könnte. Denn zugleich mit der Unterweisung qualifiziert er seinen Sohn für das Amt des Vaters, er schafft sich in ihm einen "Stab des Alters", d.h. einen Amtsnachfolger, den er noch selbst einweisen und der ihm schon während seiner eigenen Amtsausübung zur Seite stehen kann. Das aber geht nicht ohne die Einwilligung des Königs, der allein die Ämter vergibt, "der Gewohnheit entsprechend (wie es einmal heißt), daß der König einen Mann in sein Amt einsetzt und daß der Sohn die Stelle seines Vaters einnimmt". 52 Die Lehre, die der Vater seinem Sohn übermittelt, ist nicht nur allgemein eine Initiation in die Gesellschaft, sondern auch speziell eine Einführung in die Stellung des Vaters. Ferner wird in dieser
52
Schenkel (1965a), 236; vgl. a. Helck (1973).
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Rahmenerzählung deutlich, daß Ptahhotep seinem Sohn nicht sein eigenes Wissen, sondern die "Ratschläge der Vorfahren" vermitteln möchte, eine uralte Tradition, die letztendlich von den Göttem stammt. Und schließlich ist in unserem Zusammenhang auch die Schilderung der Altersbeschwerden höchst bedeutsam, die bei weitem ausführlichste Altersschilderung in der ägyptischen Literatur und dabei alles andere als ein literarischer Topos, sondern eine höchst ungewöhnliche Stelle, die im Zusammenhang des Ganzen wichtig sein muß. Sie stellt uns den lehrenden Vater als einen "schwachen", und zwar altersschwachen Vater dar, der sich in seinem Sohne einen "Stab des Alters", eine Unterstützung und gleichberechtigten Partner schaffen will. Der Pflicht zur Unterweisung entspricht auf seiner Seite das Bedürfnis oder die Bedürftigkeit; der Vater braucht den Sohn und zwar den unterwiesenen und daher gleichberechtigten Sohn. Die väterliche Unterweisung, das heißt: die Initiation eines Neophyten in die Gesellschaft und ihre Kultur, geschieht aus dem Wunsch, sich selbst zurückzuziehen zu dürfen aus dieser Gesellschaft und ihren Aufgaben. Die Figur des altersschwachen, hinfälligen, bedürftigen Vaters, die einen Aspekt des erziehenden Vaters darstellt, möchte ich in einem kurzen Exkurs noch etwas näher beleuchten. Wir kennen diese Figur aus der ägyptischen Mythologie, und wenn ich sagte, daß die Altersschilderung des Ptahhotep ein Unikum darstelle, muß ich diese Aussage im Hinblick auf einen bestimmten Mythos etwas einschränken. Die ersten Anspielungen auf diesen Mythos finden wir in den Pyramidentexten, den königlichen Totentexten aus dem A. R. (um 2500): 53 "Was das angeht, Re, was du sagtest: ,0 hätte ich doch einen Sohn', als du König warst, Re. der ,Ba' wäre. mächtig und angesehen, mit bringenden Armen, mit weitem Schritt,', Siehe N, Re, N ist dein Sohn .... !"
Die Situation, auf die hier angespielt wird, als der Sonnengott, der in der Urzeit als erster König über die Welt, seine Schöpfung herrschte, sich einen Sohn wünschte, offenbar weil auch er alt geworden war und den Wunsch verspürte, sich aus dem Getriebe zurückzuziehen, diese Situation schildert uns eine mythologische Erzählung, die in sehr viel späterer Zeit aufgeschrieben worden ist (auch hier wiederum im Zusammenhang königlicher Jenseitszurüstungen):54 "Es geschah aber, daß Re aufging, der Gott, der aus sich selbst entstand, nachdem er König über Menschen und Götter zusammen gewesen war. Die Menschen aber schmiedeten Pläne gegen Re. 53 54
Pyr886--888 vgl. 2120-2121; crm, 334 c ff.; Zabkar (1968), 5f. Vgl. Hornung (l982a).
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Nun war aber Seine Majestät alt geworden, seine Knochen waren aus Silber, seine Glieder aus Gold, sein Haar aus echtem Lapislazuli. Seine Majestät aber erfuhr von den Plänen, die von den Menschen gegen ihn geschmiedet worden waren."
Es folgt nun eine längere Erzählung, wie Re die undankbare Menschheit samt und sonders vernichten will, sich aber im letzten Augenblick noch eines anderen besinnt, aber überall dem doch die Lust daran verliert, weiter mit ihnen als König zusammen zu sein: 55 "So wahr ich mir lebe mein Herz ist es müde geworden, mit ihnen zusammen zu sein"
Dies ist die Situation, auf die die alte Fassung des Mythos anspielt: "Was das angeht, Re, was du sagtest: Ach hätte ich doch einen Sohn!" DerText schließt mit der Erzählung, wie der Sonnengott das Königtum seinem Sohn, dem Luftgott überläßt und sich an den Himmel zurückzieht, der nun durch den Luftgott hoch über die Erde emporgestemmt wird, um dem Wunsch des abtretenden Gottes nach Absonderung von seinen undankbaren Geschöpfen Rechnung zu tragen. So entsteht die zweistöckige Welt, in der Götter und Menschen getrennt sind. Dieser Exkurs in die einigermaßen burleske Welt der ägyptischen Mythologie sollte uns nur die Sprechsituation veranschaulichen, die hinter den ägyptischen Lehren und der väterlichen Unterweisung im allgemeinen steht, die Situation des altersschwachen und bedürftigen Vaters, der sich im Sohn einen "Stab des Alters" heranziehen will, dem er seinen Platz in der Gesellschaft überlassen kann, um selbst sich in Ruhe davon zurückziehen zu können. Zum Abschluß dieses Abschnitts obliegt es uns noch, auch an das Erzieherturn des ägyptischen Vaters jene beiden Fragen zu stellen, die wir an die beiden anderen Aspekte, Erzeuger- und Ernährertum, gestellt haben: (1) Gibt es im Zusammenhang mit der väterlichen Unterweisung das, was wir etwas schwerfällig als "konzeptuell fixierte und wertbesetzte Zentral begriffe" bezeichnet haben? (2) Gibt es eine Überhöhung des erziehenden Vaters in Ägypten, so wie sie sich für den Erzeuger als Stammvater, für den Ernährer als Landesvater oder "Patron" denken und z.T. in Ägypten auffinden ließ? Zu (1): Als Zentralbegriffe der väterlichen Untersuchung würde man wohl vor allem drei ägyptische Begriffe nennen, die sich deutsch als "Leben", "Ordnung/Wahrheit" und "Hören" wiedergeben lassen. Diese Dreiheit ist jedoch unbedingt zu ergänzen durch einen vierten Begriff, den wir mit "Ge55
Himmelskuh, 37.
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meinschaft" bezeichnen können, dem jedoch auf entsprechend abstrakter Ebene keine ägyptische Wortprägung und Begriffsbildung zu entsprechen scheint. Ein Kenner des Altägyptischen würde daher gewiß energisch protestieren, wenn ich den Begriff "Gemeinschaft" in eine Reihe stellen wollte mit "Leben, Wahrheit, Hören". Um diese Kenner zu beruhigen, will ich das Wort "Gemeinschaft" ersetzen durch das Wort "Gunst", äg. hzwt. 56 Von "Gunst" ist in den ägyptischen Texten sehr viel die Rede, und ich meine, daß in allen diesen Fällen implizite auch von Gemeinschaft die Rede ist: im Sinne des Oberbegriffs oder der Klasseall derer, von denen diese Gunst ausgeht. Worin besteht nun die große Bedeutung dieser "Gunst"? Der so Ausgezeichnete erwirbt sich durch das Lob der Gemeinschaft einen Status, der ihm die ewige Seligkeit verbürgt: 57 "Wer die Jahre verbringt als ,Gelobter', dessen ,Ba' wird leben zur Seite des Allherrn, dessen Name bleibt gut im Munde der Menschen, dessen gedenkt man und verklärt ihn in Ewigkeit."
Der im Diesseitsleben erreichte Einklang mit der Gemeinschaft, der sich in ihrer "Gust" (ihrem "Beifall") ausdrückt, reicht ins Jenseits hinüber. Wir können das Wort daher geradezu mit "Segen" übersetzen. 58 Mit diesem Wort steigt zugleich die Gestalt des israelitischen Patriarchen, des Spenders des Segens, vor uns auf. Wie klein und bürgerlich nimmt sich der ägyptische Vater neben ihm aus! Und wir sehen jetzt klar den Unterschied: weil der ägyptische Vater eben nicht der alleinige irdische Spender des Segens ist, sondern nur eine "Verweisfigur", eingebunden in eine Hierarchie sich überordnender Kreise, bis hin zur "Gesellschaft" und ihren beiden, diesseitigen und jenseitigen, Exponenten, dem König und dem Gott. Das ergibt sich vollkommen klar aus einer Analyse der ägyptischen Texte, vor allem der Autobiographien in den Gräbern, auf das hin, was sie als "segnende Instanzen" erwähnen. Der Vater ist nur eine von ihnen, neben ihm erscheint regelmäßig die Mutter, oft die Geschwister, und darüber hinaus die "Stadt", der "Gau", das "ganze Land", "alle Menschen" ( = Ägypter), "der König" und "der Gott", immer weitere Kreise, immer höhere Instanzen, in deren Ordnungen und Zusammenhänge das Leben des einzelnen im Laufe seiner geschichtlichen Entfaltung eintritt. "Leben"- und damit kommen wir zu einem weiteren unserer Grundbegriffe- heißt, sich im Zusammenhang dieser Kreise entfalten, die sich konzentrisch und hierarchisch um und über der Familie als dem engsten Kreis aufbauen. Für dieses sozial eingebundene und einbezogene, sozusagen "gesellte" Dasein soll die väterliche Unterweisung den Sohn vorbereiten, indem sie ihn "gesellschaftsfähig" und das heißt: im eigentlichen Sinne Iebensy, 51
58
Vgl. dazu Assmann (1975b}, 60-64. Urk IV, 62.5-8. VgJ. Assmann (1974c).
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fähig macht. Daher bezeichnet sie sich als den "Weg des Lebens", geht es doch um nichts geringeres als das "wahre" Leben im Einklang mit der Gesellschaft und mit Gott. Nur der Unterwiesene und Wissende kann seinen Platz in der Gemeinschaft finden. Der Unwissende tappt im Dunkel. Die Lehre des Ptahhotep nennt ihn den "Sucher, der nicht hört" und diagnostiziert ihn als einen, der "lebendig tot ist", weil er "Gut und Böse nicht unterscheiden kann". 59 Wer für diesen Unterschied blind ist, kann sich nicht in die Gesellschaft einfügen, er ist "tot", weil der Tod das schlechthin Vereinzelnde, Absondernde ist. 60 ,.Einer lebt, wenn der andere ihn leitet" sagt ein ägyptisches Sprichwort. 61 Er stirbt, wenn er sich nicht leiten läßt, d.h. taub ist gegenüber der Unterweisung und daher unfähig, sein eigenes Selbst in die Ordnungen der Tradition und der Allgemeinheit einzubinden, mit dem Ganzen zu vermitteln und im Ganzen zu entfalten. "Wer für die Maat taub ist, hat keinen Freund. " 62 Wenn hier von Ordnungen, Normen, Bindungen die Rede ist, so umschreibt das den ägyptischen Begriff der ,.Maat" .63 Maat ist der Geist, der die menschliche Gesellschaft durchwaltet und sie im Sinne einer kulturellen Gemeinschaft zusammenhält. Sie geht von Gott, als dem letztendlichen Normensender aus, und wird ihm durch ein rechtschaffenes Leben zurückgegeben. Maat heißt daher nicht nur Ordnung, Recht, Gerechtigkeit, sondern auch "Opfer", denn sie stiftet nicht nur die Kommunikation der Menschen untereinander (durch Wohltaten und "Gunst"), sondern ermöglicht auch die Kommunikation von Mensch und Gott (deren reinster Ausdruck das Opfer ist). Maat heißt schließlich und vor allem auch "Wahrheit", sie ist das Rechte und Richtige nicht nur im Handeln, sondern auch im Reden. Dabei handelt es sich nicht um ein Reden in Übereinstimmung mit den Fakten, sondern um eine sprachliche Kommunikation von Maat, ein Reden in Übereinstimmung mit der göttlichen Weltordnung, die sich auch in der Sprache darstellen läßt. Die väterliche Unterweisung ist ein solches Reden in reinster Ausprägung. Hier geht die Maat durch das Medium der Sprache vom aufbewahrenden Geist des Vaters durch Mund und Ohr in den aufnehmenden Geist des Sohnes über. Für "Geist" sagt der Ägypter ,.Herz" .64 "Herz", Mund und Ohr sind also die zentralen Organe dieser Kommunikation von Maat, die, wie wir nun wissen, ein Akt der Belebung ist, und zwar der eigentlichen Belebung, die im ägyptischen Denken eine wesentlich größere Rolle spielt als die 59 00 61
62
63 M
Ptahhotep 575-587, vgl. dazu Seibert (1967), 78-84; Assmann (1990a). 76--82. Vgl. Seibert ( 1967). 42f. Sander-Hansen (1956), 35-36; 41; Klasens (1952), 10; 52. Vogelsang (1913), 225 zu BauerB 2, 110. Vgl. auch das 27. Bekenntnis des 125. Totenbuch-Kapitels: .. Ich habe mich nicht taub gestellt gegenüber wahren Worten." Vgl. zu diesem Begriff Assmann (1990a). Zum Herzen im Zusammenhang der altägyptischen Erziehungstheorie s. Brunner (1957); (1954); (1968); (1988b); Grumach (1972) 12-15 usw. s. Index s.v. Herz und Zunge.
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Menschenbild und Lebensformen
Zeugung. Daher überrascht es nicht, daß wir nun in diesem Bereich jene Hypostasierungen antreffen, die wir im biologischen verrnißt haben. Das Herz wird als "Gott im Menschen" bezeichnet62 , weil es das Organ dieses Lebens aus der von Gott kommenden Maat ist, "Ausspruch" und "Erkenntnis" werden als Gottheit personifiziert, die dem Schöpfergott bei der Erschaffung und Erhaltung der Welt beistehen. 66 Mit dem "Wort", das aus der "Erkenntnis" kommt und den Unwissenden wissend macht, rührt der ägyptische Vater an die Urkräfte der Schöpfung. Erst diese geistige Zeugung, die neues Leben in der Maat schafft, macht ihn voll zum Vater. Zu (2): Abschließend möchte ich noch kurz auf die Frage eingehen nach einer Überhöhung des Vaters in seiner unterweisenden Funktion. Wir haben gesehen, daß eine solche Überhöhung im Falle des zeugenden Vaters- zum Patriarchen und Stammvater- nicht nachweisbar ist, der ernährende und beschützende Vater dagegen im Zusammenhang einer bestimmten historischen Situation über den engen häuslichen Kreis zu einer Rolle hinausgewachsen ist, die dann auf den König und später die Gottheit übergegangen ist. Wie steht es damit im Falle des unterweisenden Vaters? Einer Überhöhung in diesem Sinne verdanken wir es, daß wir über diesen Ao;pekt des ägyptischen Vaters so gut unterrichtet sind. Denn die Rolle oder Persona des "unterweisenden Vaters", in der die Verfasser von literarischen Lebenslehren zu ihrem Publikum sprechen, läßt sich durchaus als eine solche Überhöhung bezeichnen. Die literarische Unterweisung gilt ja nicht einem bestimmten Sohn, sondern ganzen Generationen von Söhnen. Solche ,.ÜberVäter" scheint es jedoch nicht nur als literarische Figuren gegeben zu haben. Es ist durchaus möglich, daß hin und wieder einzelne Weise eine besondere Lebens-Lehre, einen "Weg des Lebens" nicht nur im häuslichen Kreise, sondern öffentlich oder in einem größeren Kreise von Schülern (oder soll man sagen: Jüngern?) verkündet haben. An die Namen des Imhotep, des Baumeisters und Wesirs König Djosers in der 3. Dyn., und des Amenophis, eines Beamten unter Amenophis 111. in der 18. Dyn. haben sich derartige Traditionen geknüpft. 67 Vor allem aber scheint König Echnaton seine revolutionären religiösen Ideen in dieser Weise verkündet zu haben. Die Texte der Zeit sprechen immer wieder von der "Lehre" des Königs, die auch als ., Weg des Lebens" bezeichnet wird. 68 Und nach Echnaton scheint auch dieser dergestalt überhöhte Aspekte des Vaters in den Gottesbegriff eingegangen zu sein. So liest man z.B. in der Biographie eines gewissen Kiki, mit Mutternamen Zimut, der unter Ramses II. lebte: 69 65 66 67 68
69
Bonnet (1949); (1952), 225-228; Grumach (1972). Ringgren (1947), 9-52; Morenz (1960), 173f.; Zandee (1964), 47-49. Vgl. hier.lu Otto (1942) und Wildung (1976). Vgl. Assmann (1972), llO; (1980). Vgl. ÄHG Nr. 173, dazu Vemus (1978).
V. Das Bild des Vaters
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"Ihn aber hat nun sein Gott unterwiesen, er hat ihn unterrichtet gemäß seiner Lehre. Er hat ihn auf den Weg des Lebens gesetzt, um seinen Leib zu beschützen"
Damit ist eine Entwicklung eingeleitet, die sich in der Spätzeit vor allem mit dem Kult des Gottes Toth in Hermupolis verbindet. Auf diesem Nährboden entstanden dann in griechisch-römischer Zeit die hermetischen Schriften und besonders der Traktat XIII, der sich als Lehrgespräch zwischen Vater und Sohn, Hermes Trismegistos und Tat, gibt.
Zweiter Teil:
B. Der tote Vater ,.Gut ist ein Sohn für seinen Vater" 10
Wir haben den Komplex VATER in drei Aspekte aufgeteilt: Erzeuger, Ernährer und Erzieher. Wir haben gesehen, daß der Aspekt des Erzeugers, der "natürliche" Aspekt der Vaterschaft, gegenüber den anderen beiden mehr kulturellen und sozialen Aspekten in den Hintergrund tritt. Erzeuger, Ernährer und Erzieher sind jedoch Aspekte oder Rollen, die sich nicht ausschließen sondern ergänzen, und zwar in einem zeitlichen Nacheinander, es sind Phasen einer geschichtlichem Wandel unterworfenen Vater-Sohn-Beziehung. Der Vater manifestiert sich zuerst als Erzeuger, dann als Ernährer und zuletzt als Erzieher (wir haben ja gesehen, daß die Unterweisung dem erwachsenen Sohn gilt, den sie in die Gesellschaft einführt und so gewissermaßen aus der väterlichen Ernährung und Versorgung entläßt). Das Vaterbild beschreibt also in Ägypten eine ansteigende Bedeutungskurve. Je älter der Sohn, desto bedeutender wird der Vater für ihn. In den Zenith dieser Kurve tritt der Vater jedoch erst nach seinem Tode. Erst die Gestalt des toten bzw. jenseitigen Vaters gewinnt jene dominierenden Züge und reicht in jene liefenschichten der Kultur, die uns das Recht geben, in fragendem Sinne mit Begriffen wie "Vater-Kultur" und "Vater- Religion" an dasAlte Ägypten heranzutreten. Damit gelangen wir allerdings in ein Terrain, wo sich unsere Aufgabe wesentlich schwieriger gestaltet als im Falle des diesseitigen Vaters. Der jenseitige Vater wird zu einer Art "Tiefenvater", der sich in den verschiedensten Zusammenhängen- der Religion, des Königtums, des Totenkults, der Mythologie, der Anthropologie usw. - manifestiert. Als eine terminologische Orientierungshilfe möchte ich den Begriff der Konstellation einführen. Denn der "Tiefen70
Vgl. n. 144. Für ,.gut" steht im äg. Text das unübersetzbare Wort 3b ACH, das soviel wie ,.verklirt, mächtig (wie ein verklärter Geist), zauberkräftig" bedeutet; vgl. Englund (1978); Friedman (1985) und (1986).
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Menschenbild und Lebenstonnen
vater" ist eine bloße Chimäre; die eigentliche Konstante ist vielmehr ein Rollenzusammenhang, eine mit besonderen Verhaltensmustern und Wertvorstellungen verbundene und spezifizierte Form zwischenmenschlicher Beziehungen, z.B. der Vater-Sohn-Beziehung, wie sie in der Regel in Mythen, als Beziehung zwischen Gottheiten, urbildhaftfixiert und überliefert wird. Die unendliche Vielfalt möglicher zwischenmenschlicher Beziehungen, Rollenerwartungen, Verhaltensweisen, wird durch solche komplexe Konstanten in kulturspezifischer und bedeutungshaltiger Weise eingeschränkt. Wir haben es also hier nicht allein mit dem Vater, sondern mit einem spezifizierten Rollenzusammenhang zu tun, und alles, was zum Thema VATER herangezogen werden soll, ließe sich mit gleichem, gelegentlich sogar größerem Recht unter das Thema SOHN stellen. Mit dem Begriff der Konstellation steht uns ein beide umfassender Oberbegriff zur Verfügung. 71 Das Alte Ägypten konfrontiert uns, was den jenseitigen Vater angeht, mit zwei verschiedenen Konstellationen. Die eine betrifft das Problem der Nachfolge und des Totenkults, abstrakter und allgemeiner die Formulierung eines Begriffes von Pietät, die das Diesseits mit dem Jenseits in Beziehung hält, eine Form ,,jenseits-bewußten" Lebens in der Verantwortung vor dem ,.toten Vater", die andere betrifft das Problem der Verkörperung, des Weiterlebens im Sohne, abstrakter und allgemeiner die Formulierung eines Begriffs von Unsterblichkeit oder Kontinuität, in der eine unvergängliche Lebensenergie vom Vater auf den Sohn übergeht und sich in der Abfolge der Generationen immer wieder aufs neue verkörpert. Die Konstellation der Pietät, die einen jenseitigen Vater und einen diesseitigen Sohn aufeinander bezieht, wollen wir die Horus- oder Harnlet-Konstellation nennen, und sie damit sowohl in ihrem kulturspezifisch ägyptischen, als auch in ihrem universalen Aspekt kennzeichnen (daß wir uns nur und bestenfalls für den ersteren zuständig fühlen, braucht kaum betont zu werden; es erscheint aber wichtig, die Möglichkeiten der Generalisierung von Anfang an offenzuhalten). Die Konstellation der Unsterblichkeit, die ein unvergängliches, und als spezifisch männlich aufgefaßtes Prinzip durch Vermittlung des Weiblichen an die diesseitige Kette der Generationen, den Zyklus der Verkörperungen bindet, nennen wir nach dem gleichen Prinzip der doppelten Kennzeichnung auf kulturspezifischer und universaler Ebene die Kamutefoder Oedipus-Konstellation. Kamutef ist ein ägyptischer Göttername und heißt "Stier seiner Mutter". So werden Götter genannt, die als Exponenten der männlichen Zeugungskraft (und in diesem Sinne gewissermaßen als Erzväter) verehrt werden und von denen man annimmt, daß sie sich in einer ihnen als Mutter und Gattin zugeordneten Muttergottheit (als Exponentin der weiblichen Fruchtbarkeit) immer wieder aufs neue hervorbringen. Die 71
Für eine ausführliche Erläuterung dieses Begriffs s. Assmann (1969), 333-359; vgl. a. (1984a), Kap.4.
V. Das Bild des Vaters
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Konstellation verbindet also ein unvergängliches, im Zyklus der Verkörperungen in Vater und Sohn auseinandertretendes männliches Prinzip mit einem ebenfalls unvergänglichen, aber als Muttergattin in sich selbst verharrenden weiblichen Prinzip. 72 Die Horus- oder Harnlet-Konstellation thematisiert den Gegensatz der Generationen, während der Gegensatz der Geschlechter hier keine Rolle spielt. In der Gegenüberstellung und Verbindung von Sohn und totem Vater wird der abstrakte Gegensatz von Diesseits und Jenseits gedacht und zugleich die Möglichkeit einer Mediation, einer Grenzüberschreitung formuliert im Sinne einer pietas als eines Programms von Handlungen und Haltungen. In genauem Gegensatz dazu thematisiert die Kamutef- oder OedipusKonstellation den Gegensatz der Geschlechter, während sie den Gegensatz der Generationen explizit aufhebt (Vater und Sohn sind identisch). Der sich mit dem Weib vereinigende Mann wird zum Vater seiner selbst und bringt sich im Sohn selber hervor. In dieser Konstellation werden zwei abstrakte Gegensatzpaare gedacht: einmal die begriffliche Unterscheidung, die der Ägypter vornimmt zwischen einer bleibenden und einer kommenden Zeit (die bleibende Zeit ist das weibliche, die kommende Zeit das männliche Element)?\ zum anderen der Gegensatz zwischen der Außerzeitlichkeit Gottes und der Zeitlichkeit seiner innerzeitlichen Manifestationen, anders gesagt: der Gegensatz zwischen dem transzendenten Einen und der Vielheit seiner zyklischen immanenten Verkörperungen. 74 Der Sohn erscheint in der Kamutef-Konstellation als Wiederverkörperung seines Vaters bzw. eines überindividuellen und beiden gemeinsamen genealogischen Prinzips, das vor ihm im Vater verkörpert war; in der Horus-Konstellation erscheint er als Nachfolger und Statthalter, dem die Aufgabe obliegt, den Tod seines Vaters zu rächen bzw., allgemeiner und zugleich ägyptischer: zu heilen. Es liegt auf der Hand, in diesen beiden Konstellationen den Gegensatz von Natur und Kultur wiederzuerkennen, der sich beim diesseitigen Vater als Erzeuger und Erzieher manifestiert. In der Kamutef-Konstellation überwiegen die irrationalen Züge der Vaterschaft als eines natürlichen Mysteriums, in der Horus- Konstellation dagegen die rationalen Züge der Vaterschaft als eines kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens. Hier zeichnet sich sowohl eine Beziehung zwischen dem Vater als Erzeuger und der Kamutef-Konstellation, als auch vor allem zwischen dem Vater als Erzieher und der Horus-Konstellation ab, die uns im Folgenden noch eingehender beschäftigen soll. Wir haben schon gesehen, daß es dem unterweisenden Vater um das Problem der Nachfolge geht. Er kann die Lehre daher imn Zur .. Kamutef"-Konstellation bzw. zum Inzest-Thema in der ägyptischen Religion und Königstheologie s. Jacobsohn (1939) und (1968); Frankfurt (1948), 177-180; Brunner (1964); Münster (1968), 128-141. 73 s. hierzu Assmann (1975b), bes. 45-47 sowie Kap. II. 74 Vgl. Assmann (1972), 115f.; ÄHG. 66-71; LÄ s. v. Gott.
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Menschenbild und Lebensformen
mer nur Einem weitergeben, den er damit zugleich in sein Amt und seinen Platz in der Gesellschaft einführt. Und wir haben ferner gesehen, daß für den Vater diese spezielle Unterweisung des Sohnes (wie sie in den überlieferten Weisheitslehren ihre literarische Ausprägung findet) einen Schritt auf seinen eigenen Tod zu bedeutet: der unterweisende Vater ist der altersschwache Vater, der das Bedürfnis verspürt, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen. Die Bindung, die mit der Unterweisung gestiftet wird, ist nichts anderes als die Vorstufe der Horns-Konstellation, die mit dem Tod des Vaters dann voll in Kraft tritt. Die Zurückhaltung des Ägypters gegenüber den natürlichen und sein soviel größeres Interesse an den kulturell-gesellschaftlichen Aspekten der Vaterschaft finden wir auch im Jenseits bzw. auf der uns hier beschäftigenden liefenebene der ägyptischen Kultur wieder: der ägyptische Harnlet spielt in den Texten eine ungleich größere Rolle als der ägyptische Oedipus. Wir werden letzteren daher nur exkursartig behandeln und unser Hauptaugenmerk auf die Harnletgestalt des rächenden Sohnes richten oder vielmehr auf die den toten Vater einbeziehende Konstellation. Diese gehört, wie gesagt, einer kulturellen Tiefenschicht an und manifestiert sich an der Oberfläche in verschiedensten Zusammenhängen, von denen wir als die wichtigsten auswählen: 1. Totenkult 2. Mythos 3. Königtum Die Reihenfolge erscheint etwas willkürlich. Logisch richtiger wäre es wohl, mit dem Mythos anzufangen, der die archetypischen Konstellationen auf der Ebene der Götter in Erzählungen entfaltet und urbildhaftt fixiert Urbilder, die dann in der menschlichen Praxis im Totenkult und im Königtum abbildhaftnachgelebt und realisiert werden. Unsere Reihenfolge kommt dagegen der zu erschließenden historischen Entwicklung näher. Der Totenkult scheint das Ursprüngliche zu sein; aus seiner Praxis ist der Mythos von Osiris und Horus allmählich hervorgewachsen, der dann später seinerseits formend und umformend auf den Totenkult zurückstrahlt. Das Königtum oder vielmehr das königliche Sohnschaftsdogma setzt beides, Totenkult und Mythos, voraus und reicht in seinen Anfängen nicht vor die 4. Dynastie zurück.
1. Die Horus- Konstellation im Totenkult Mit dem Tode des Vaters treten beide, Vater und Sohn, in eine Konstellation ein, die, wie schon gesagt, eine diesseitige Vorstufe besaß in dem Bündnis, daß der altersschwache Vater und der zum Nachfolger erwählte Erbsohn in der Unterweisung eingegangen sind. Die Aufgaben, die dem erwählten Erbsohn beim Tode des Vaters zufallen, verteilen sich daher auf zwei Bereiche: (1) der Totenkult des Vaters (2) die Nachfolge des Vaters
V. Das Bild des Vaters
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Tod und Nachfolge stehen in engstem Zusammenhang. Ein alter Text sagt zum gestorbenen König: .,Geh nun dahin nach deinen Tagen, reinige dich, auf daß du dein Haus deinem Sohn überläßt, der dein Sproß ist" 75
und immer wieder wird dem Toten zugerufen: .,Dein Sohn ist auf deinem Platz!" 76
Wer in der erwünschten Rolle des "toten Vaters" ins Jenseits hinübergeht, bleibt in die Gemeinschaft der Lebenden einbezogen, und zwarkraftdieser Konstellation, die den Tod übergreift und überwindet, indem sie seine vereinzelnde, aus der Gemeinschaft absondernde Wirkung aufhebt. In dieser Konstellation verteilen sich Vater und Sohn zwar auf Diesseits und Jenseits, bleiben aber in ihrem Tun einander verbunden. Ein königlicher Totentext aus dem A.R. stellt das so dar: "Du stehst auf, o Phiops, als König, gerächt, ausgerüstet als Gott, ausgerüstet mit der Erscheinungsform des Osiris, auf dem Thron des Ersten der Westlichen. Du tust, was er vordem tat unter den Geistern, den unvergänglichen Sternen. Dein Sohn steht auf als König auf deinem Thron, ausgerüstet mit deinen Insignien, er tut, was du vordem getan hast an der Spitze der Lebenden auf Geheiß des Re, des Großen Gottes. Er baut Gerste an, er baut Weizen an, um dir damit zu opfern. " 77
Hier teilen sich Vater und Sohn in die Weltherrschaft, der eine im Jenseits über die Geister, der andere im Diesseits über die Lebenden, wobei das Bild dadurch etwas verkompliziert wird, daß auch der Vater im Jenseits einen noch jenseitigeren Vater, den Gott Osiris, beerbt. Wie sich diese Beziehungen zwischen Vater und Sohn, zwischen Jenseits und Diesseits auf der allgemein-menschlichen Ebene darstellen, zeigt uns eine Gruppe von Sprüchen aus dem M. R., die der Befürchtung Rechnung tragen, daß der tote Vater sich nicht an die mit der Horus-Konstellation verbundenen Vereinbarungen halten könnte, daß er über dem Wunsch, seinen Sohn im Jenseits bei sich zu haben, vergessen könnte, wie wichtig es für ihn ist, daß sein Sohn im Diesseits verbleibt und in der Welt der Lebenden für ihn eintritt. 78 Der BündnisCharakter dieser Konstellation kommt darin besonders klar zum Ausdruck. Ich zitiere nur die in unserem Zusammenhang wichtigen Passagen: 75
Pyr 137.
76
Vgl. einstweilen die Belege bei Assmann (1969), 241-242.
77
Pyr 759-761. Cf I, 157-176, vgl. Griehammer (1970), 25-29, 116ft.; (1975n6).
78
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Menschenbild und Lebensformen
0 mein Vater, der im Westen ist! Sei verklärt, sei göttlich im Westen, in diesem erhabenen Land, in dem du bist. Dein ,Ba' gehört dir, deine Verklärtheil ist bei dir. Geliebt von dir ist dein ,Ba', welches ich bin, auf Erden. Hast du gesagt, daß ich weggebracht werden soll zu diesem erhabenen Land, in welchem du bist, damit dann dein Haus zerstört, damit dann dein Tor eingerissen wird, damit dann dein Erbe Mangel leidet, damit dann deine Feinde über dich jubeln? Ich bin doch hier in diesem Lande, dabei, deinen Thron einzunehmen, deine Verzagten zusammenzuhalten, deine Waisen aufzuziehen, dein Tor zu befestigen, deinen Namen lebendig zu erhalten auf Erden im Munde der Lebenden. Hab Geduld, hab Geduld, der du göttlich bist in jenem erhabenen Land, in dem du bist, mit deinem Amt und mit jenem deinem Bedarf in jenem erhabenen Land, wo du bist! Ich bin doch hier in diesem Lande der Lebenden, deine Altäre zu bauen, deine Totenopfer festzusetzen in deinem Haus der Ewigkeit (Grab) in der Feuerinsel ( ... ) Du aber bist doch zufrieden in jenem Land als mein Beistand im Gerichtskollegium des Gottes! Ich dagegen bin hier als ein Fürsprecher im Gerichtskollegium der Menschen, indem ich deinen Grenzstein aufstelle, indem ich deine Verzagten zusammenhalte, indem ich für dich dein Ebenbild abgebe auf Erden so daß deine Angehörigen für dich versorgt werden auf Erden und dir dein Tor befestigt wird durch das, was ich tue.
Die Argumentation des Sohnes ist klar: der Vater schadet nur sich selbst, wenn er den Sohn durch einen frühzeitigen Tod zu sich ins Jenseits bringen lassen will. Nur im Diesseits, im Rahmen der Horns-Konstellation, kann er für ihn eintreten, indem er sein Haus versorgt unter den Lebenden, und seine Altäre in der Totenstadt. Die Aufgaben, die dem Sohn in dieser Konstellation zufallen, sind mit diesen Textbeispielen vielleicht deutlich geworden; von dem aber, was wir als ihr eigentliches Zentrum bezeichnet haben, der Formulierung eines Begriffs von Pietät, war bisher noch nicht die Rede. Die ausführlichsten und aufschlußreichsten Texte für diese in der Harnlet-Konstellation verankerte Pietät des Diesseits gegenüber dem Jenseits verdanken wir den ersten Königen der 19. Dynastie, die einmal vielleicht aus Verbundenheit mit der bürgerlichen Vergangenheit der Familie, zum anderen wohl als Reaktion auf die unmittelbar vorhergegangene Amamazeit, die als eine Zeit der Pietätlosigkeit, der "Jenseits-Vergessenheit" empfunden und gebrandmarkt wird, sehr viel von dem zur Sprache bringen, was nicht speziell der Königsideologie, sondern allge-
V. Das Bild des Vaters
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mein-ägyptischem Brauchtum und Empfinden entspricht. Sethos I. hat für seinen Vater und Vorgänger, Ramses I. (den Begründer der 19. Dyn.), in Abydos eine Kultkapelle eingerichtet. 79 Die lange Widmungsinschrift gliedert sich in einen berichtenden und einen betrachtenden Teil. Der Anfang schildert die Amamazeit als einen Zustand allgemeiner Gottlosigkeit und Jenseits- Vergessenheit. Dieser Not beschließen die Götter dadurch abzuhelfen, daß sie Ramses I. zum König einsetzen. Sethos stand dabei seinem Vater schon zu dessen Lebzeiten tatkräftig zur Seite. Nach dem Tode des Vaters besteigt er den Thron als der rechtmäßige, vom Vater selbst noch eingesetzte und unterwiesene Nachfolger: Er war es, der meine Schönheit geschaffen hat (die gängige Umschreibung für: ins Königsamt einsetzen) nachdem er meine Familie groß gemacht hat in den Herzen (in der allgemeinen Einschätzung) Er hat mir seine Ratschlüsse gegeben zu meinem Schutz, seine Lehre ist wie ein Schutzwall in meinem Herzen. Ich bin ein Sohn, .,ACH" 111 für den, der mich hervorgebracht hat, den Namen meines Erzeugersam Leben erhaltend. 81 Nachdem er sich mit dem Himmel vereint hat, bin ich an seine Stelle getreten, denn ich bin es ja, der seinen Namen am Leben erhält. ( ... )Ich bin König auf dem Sitz, den er weitgemacht hat, auf dem Thron, auf dem er gesessen hatte. Dieses Land ist in meiner Hand, wie es in der meines Vaters war. Er aber hat nun angefangen, ein Gott zu sein. 82
Die folgenden Abschnitte erzählen die Taten des Sohnes als Leiter des väterlichen Begräbnisses, wozu auch die Errichtung der Kapelle gehört, und als Opfer-Versarger seines Vaters. Der historische Teil schließt mit der Sentenz: Gut ist es, tätig zu sein für einen, der im Jenseits ist. Es bezeugt einen Sohn, der für seinen Vater eintritt (NQ) 83
Der betrachtende Teil der Inschrift deckt etwas von dem geistigen Hintergrund und den inneren Motiven auf, die hinter den berichteten Taten einer vorbildlichen Sohnes-Pietät stehen. Wir greifen aus dem langen Text die Sätze heraus, die in unserem Zusammenhang besonders aufschlußreich sind:
79
80 81
82 83
Schott (1964). Zum Begriff vgl. n. 70 und n. 144-145. Schott ( 1964) 19 § 4. Schott (1964) 21f. §§ 8-9. Schott (1964) 23 unten § 13. Die Formulierung klingt wie ein Zitat des Grenzstelentexts Sesostris' Ill. (o., S. 98).
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Menschenbild und Lebensformen
"Seht, mein Herz ermattet nicht beim Gedenken an den, der mich erzeugt hatR4 "Mein Herz hat mich bei der Arbeit geleitet. Sein Haus ist errichtet an der Stätte der Ewigkeit, richtig und schön, während ich an ihn dachte und an die Leute seiner Familie. Die Schönheit seines Charakters hat mein Herz erfreut. "85 "Mein Herz baut am Werk seines Hauses der Ewigkeit, damit ich seinen Leib verehren kann, der in der Kapelle ist" 86 "Ich bin ein Sohn, der seinen Vater ehrt. Ich kenne seinen Zustand (als eines ins Jenseits entrückten, auf den Sohn angewiesenen Toten) wohl und vergesse ihn nicht. " 87 "Mein Herz wendet sich dem zu, der ermattet ist, mein Denken trachtet nach meinem wahren Vater. Ich bin wie Horus zur Seite seines Erzeugers, und gedenke des Namens meines Erzeugers. Am Ort, wo man eines Namens millionenmal gedenkt, vernachlässigt man nicht den Zustand. " 88 "Weil mein Herz so sehr hängt an dem Zustand seines Ortes, (gemeint ist das Jenseits, in das das liebende Herz des Sohnes hinüberzudenken befähigt ist) gibt es gegen ihn keinen Überdruß. Mein Denken trachtet nach seiner Schönheit. " 89
Die Taten des Sohnes müssen dem Herzen entspringen, wenn sie den Vater im Jenseits erreichen wollen. Der Verbindung zwischen beiden beruht auf der vergegenwärtigenden Kraft des Herzens, das sich den jenseitigen Zustand des Vaters bewußt hält. Die wichtigste Aufgabe des Sohnes ist das Denken an den Vater im Jenseits, die schlimmste Sünde ist entsprechend die Jenseits-Vergessenheit, deren dieser Text eingangs die vorangegangene Amarnazeit bezichtigt hat. 90 Der Ausbau von Abydos, dem heiligen Zentrum dieser auf den jenseitigen Vater gerichteten Sohnes-Pietät, in der 19. Dynastie geschieht aus dem Wunsch, diese Sünde zu sühnen und Osiris zu versöhnen. Auch die Inschrift, in der Ramses II. Rechenschaft ablegt über seine pietätvollen Sohnestaten für Sethos I., steht in Abydos. 91 Sie beginnt mit der Thronbesteigung:
84
~ 116 lf7
88 89
90 91
Schott (1964) 24 § 13. Schott (1964) 26 § 17. Schott (1964) 26 § 18. Schott (1964) 28. § 21. Schott (1964) 29 oben§ 22. Schott ( 1964) 30 oben § 24. Schott (1964) 18 und 36-42. Sog. Inscription dedicatoire: A. Mariette, Abydos I Tf. 6ff.; Gauthier (1912); KRill, 324-336. Übersetzung: J.H. Breasted, Ancient Records of Egypt 111, 222f.
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"Es geschah aber nun, daß der Sohn, der für seinen Vater eintritt, wie Horus, wenn er für Osiris eintritt, der den baut, der ihn hervorbrachte, der den Namen seines Erzeugersam Leben erhält, König Ramses II, der Herr der beiden Länder, den Thron bestieg, um für seinen Vater einzutreten im Jahre 1. .. " 92
Die Titulatur, die Ramses II. hier in Abydos und in dieser Inschrift gegeben wird, ist durchaus ungewöhnlich: sie hält sich ganz im Rahmen der VaterSohn-Konstellation, die sie als ein reziprokes Verhältnis ausdeutet. Der Sohn, der seinem Vater Denkmäler errichtet, "baut" ihn und "bringt ihn hervor" (in Form von Statuen), so wie er selbst vom Vater gebaut und hervorgebracht wurde. Die Inschrift erzählt dann im weiteren von einer Reise nach Theben mit Bauarbeiten und Opferstiftungen für Sethos I., die mit den Sätzen endet: "Sein Angesicht war freundlich gegenüber seinem Erzeuger, sein Herz war dem zugewandt, der ihn aufgezogen hatte. " 93
Im Folgenden wird eine Reise nach Abydos beschrieben. Der König besichtigt die unfertigen und zerstörten Bauwerke der Vorfahren, beschließt, die Arbeiten zu vollenden und beruft eine Versammlung ein, der er seinen Plan vorträgt: "Seht, ich habe euch rufen lassen wegen des Planes, der mir vor Augen steht. Ich habe die Bauten im Heiligen Bezirk gesehen ( ... ) Die Arbeiten daran sind unfertig geblieben seit der Zeit ihrer Erbauer. Soll ein Sohn sich auf den Platz seines Vaters stellen, ohne die Denkmäler seines Erzeugers zu renovieren? Daher sprach ich mit meinem Herzen: eine schöne Tat ist es, das Vergangene zu vollenden, wohlgefällig, schön, gut und barmherzig ist ein Sohn, der sein Herz seinem Vater zuwendet. Mein Herz leitet mich, Sethos I. Wohltaten zu erweisen, ich will bewirken, daß man in Ewigkeit sagt: ,sein Sohn war es, der seinen Namen am Leben erhielt'. Dann wird mich mein Vater Osiris mit einer langen Lebenszeit segnen. " 94
Nach einer langeneulogischen Antwort der Höflinge wird die Anordnung der Bauarbeiten berichtet. Daraufhin spricht Rames II. zu seinem Vater und berichtet ihm, was er alles für ihn getan hat:
92 93 IM
KRI II, 324; Breasted § 525. KRI II, 324, 4-5. KRI II, 327,5-10.
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"König Ramses II sprach und meldete, was er alles getan hatte, seinem Vater, Osiris König Sethos I. Er sagte: Wach auf, blicke zum Himmel, daß du die Sonne siehst, o mein Vater Sethos, der nun ein Gott ist! Sieh, ich halte deinen Namen am Leben, ich bin für dich eingetreten .. " 95
Es folgt nun ein langer Bericht über die Bauarbeiten und Opferstiftungen, der mit der Bitte an den Vater endet, sich nun, da er ein Gott ist96 , der mit Re und Osiris verkehrt, bei diesen für seinen Sohn zu verwenden: "Mögest du zu Re sagen: Gib Lebenszeit, erfüllt mit Jubiläumsfesten, dem König Ramses. Es ist gut für dich, wenn ich ewig König bin. Ein guter Sohn ist es, der seines Vaters gedenkt ... cn
Daraufhin antwortet der tote Vater seinem Sohn "wie ein Vater auf Erden mit seinem Sohn spricht" und sagt: "Freue dich mein Sohn, den ich liebe, König Ramses! Siehe, Re gibt dir Millionen Jahre, die Ewigkeit auf dem Hornsthron der Lebenden. Osiris erfleht für dich die Lebenszeit des Himmels. ( ... ) Ich sage zu Re mit liebendem Herzen: Gib ihm die Ewigkeit auf Erden wie Chepre! Ich wiederhole dem Osiris, wenn ich vor ihn trete: verdopple ihm die Lebenszeit deines Sohnes Horus!
(... ) Ich bin erhöht durch alles, was du für mich getan hast, ich stehe an der Spitze des Totenreiches, ich bin göttlich geworden und habe meine Vollkommenheit vermehrt, seit dein Herz sich mir zugewandt (sich um mich gekümmert) hat. während ich in der Unterwelt bin. den Göttern zugesellt im Gefolge des Sonnengottes. ( ... ) Du aber verbringst eine lange Lebenszeit, die Re dir anbefohlen hat. " 911
Die zentralen Motive der ägyptischen Pietas finden wir in diesem Text wieder: das Herz des Sohnes, das den Hiat zwischen Diesseits und Jenseits überbrückt, und den Charakter eines Bündnisses, eines Vertrags gegenseitigen 9S 96
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KRI II, 331,1~332,2. Diesen Sinn muß die Anrede ntj m n1.r haben, ähnlich tj sw m nJ.r "nun da er ein Gott ist" in der Stele Sethos' I. (Z.l9, Schott (1964) 29 § 23 übersetzt ungenau). und in einem Harfnerlied (vgl. Assmann 1975b, 15 m.n. 35, Vers4); vgl. die ungewöhnliche Formulierung, die die Stele Sethos' I. für die Gottwerdung des toten Vaters findet: "Er hat begonnen, Gott zu spielen" (Schott (1964), 22 § 9), vgl. Otto (1957), 193ff.; Hornung (1966), 62 n. 58. KRI li, 334, 4-6. KRill, 334, 14f.; 335, 4f.; 335, 1&-336, 2; 336.~5.
V. Das Bild des Vaters
125
Füreinander Eintretens, der dieser Vater-Sohn-Konstellation eigentümlich ist.
2. Die mythische Fassung der Horus-Konstellation Wir wollen nun kurz auf den Mythos eingehen, auf den der Name Horus anspielt, und mit dem die Ägypter dieser Konstellation von Sohn und totem Vater eine urbildhafte Form gegeben haben. Den Inbegriff aller Sohnes-Pietät faßt der Ägypter in der Wendung zusammen: "was Horus tat für seinen Vater Osiris." Die Konstellation selbst aber ist älter als der Mythos und im Totenkult seit alters verankert, aus dem der Mythos erst sekundär sinngebend hervorgewachsen ist. In der Frühzeit trat der Sohn als er selbst an das Grab des Vaters, etwa mit den Worten: .,0 mein Vater, erhebe dich von deiner linken Seite, leg dich auf deine rechte Seite, nimm dir dieses Brot, das ich dir gegeben habe, ich bin dein Sohn, dein Erbe!" 99
Später aber genügt diese einfache Selbstvorstellung nicht mehr, um die Konstellation zu beschwören, in der Vater und Sohn miteinander kommunizieren, und es bedarf der ausdrücklichen Identifikation mit der mythischen Rollenverteilung: "Erwache, erwache, o mein Vater Osiris! ich bin dein Sohn, der dich liebt, ich bin dein Sohn Horus, der dich liebt. " 100
Die Geschichte von Osiris, Horus und Isis auf die diese Identifikationen anspielen, ist ausgespannt zwischen zwei Polen, dem Tod des Osiris und dem Triumph des Horus, als zwei entgegengesetzten Zuständen, von denen der zweite die Aufhebung des ersten ist. 101 Die "Mangelsituation" des Anfangs, deren Überwindung das Thema der Geschichte ist, bildet das vollständige Tot-sein des Osiris, dessen Leichnam zerstückelt, in den Nil geworfen und über ganz Ägypten verteilt ist. Zur Aufhebung dieses katastrophalen Mangels an Leben bedarf es fünf verschiedener Schritte, die jeder für sich einen Kristallisationspunkt bilden für eine Fülle eigener Mythen, Legenden und heiliger Handlungen: I Die Suche der lsis, die Sammlung und Zusammenfügung der einzelnen Körperteile Pyr 1047, mit zahlreichen Parallelen und Varianten. Allg. zu den ,.Sohntexten" der Pyramidentextes. Schott (1945), 47. 100 Pyr 2127 vgl. zur Form Schott ( 1945). 48. 101 Zum Osirismythos vgl. Griffiths (1966); Otto (1966); Griffiths (1970); Assmann (1984a).
9'1
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Menschenbild und Lebensformen
II Die Beweinung des Leichnams, die ihn soweit wiederbelebt, daß Isis noch ein Kind von ihrem toten Gatten empfangen kann, so daß dieser zwar nicht zum Leben, aber zu dem aufersteht, was ihm die Rolle des "Toten Vaters" an Seinsmöglichkeiten eröffnet. 102 111 Die Geburt und Aufzucht des göttlichen Kindes als Harpokrates "Horusdas- Kind" im Verborgenen. 103 IV Die Kämpfe des Horus um das Erbe des Vaters, das er dessen Mörder Seth entreißen muß. Seth ist der Bruder beider Eltern, die ja Geschwister sind, kehrt aber in dieser Phase der Geschichte seine Eigenschaft als Mutterbruder heraus. 104 V Der Triumph des Horus, der als Sieger den Thron besteigt und sich nun als Harendotes, "Horus-der-für-seinen-Vater-eintritt" mit "liebendem Herzen" seinem Vater zuwendet und all jene wunderkräftigen Riten desTotenkults für ihn ausführt, die zu einer vollkommenen Aufhebung des Anfangszustands führen. 105 Die Geschichte erzählt also 5 Stufen der Überwindung zwischen einem Ausgangszustand, der allem Erzählten vorausliegt (erst Plutarchs Version 106 verlängert es nach rückwärts in den Bereich des Vorausgesetzten und unterscheidet sich dadurch erheblich von den ägyptischen Fassungen) und einem Endzustand, der hinter allem Erzählten liegt, und zwar dadurch, daß er, wie wir im folgenden Abschnitt ausführlicher darlegen werden, das Ziel unausgesetzter Bemühungen bildet, die dem ägyptischen Königtum obliegen. Diese 5 Stufen der Überwindung formulieren zugleich 5 Konstellationen. Osiris ist in allen präsent: als direktes Objekt auf ihn bezogener Handlungen in der 1. (die Suche der Isis) und 5. (Nachfolge und Totenkult des Horus), als Dritter in den mittleren, von denen die 2. (Beweinung) die beiden Schwestern Isis und Nephthys, die 3. (Geburt und Aufzucht des Kindes) Isis und Horus, und die 4. (der rächende Kampf um das Erbe) Neffe und Onkel, Horus und Seth miteinander verbindet. lsis dominiert in den ersten beiden, Horus in den beiden letzten Stufen, die mittlere verbindet sie beide zu einer Konstellation. Wir haben es hier vor allem mit der 5. Stufe zu tun, mit der Konstellation des toten Vaters und des Sohnes, der für diesen Vater eintritt, müssen aber auch die 4. miteinbeziehen, denn sie definiert den Sohn als Rächer und verleiht ihm durch die Konfrontation mit dem Mörder und Onkel die Züge eines ägyptischen Harnlet. 102 Lit.'~
I und II: Münster (1968), 1-3; zu II: Bleeker (1958). Späte liturgische Texte: Faulkner (1933), 1-32; (1934); Goyon (1967); Haikai (1968), 4(r90. Zum Mysterium der posthumen Empfängnis s. Ouo (1968), 99-105. 103 Diese Phase spielt v.a. in der magischen Literatur, im Schutz- und Heilungszauber eine Rolle, s. die Hinweise bei Münster (1968), 5-12. Zum allg.l)'pus s. Jung-Kerenyi ( 1951 ), 39-104. IDol Griffiths (1960); Münster (1968), 13-17. lOS Einiges Material bei Derchain (1955) und Anthes (1954). 1116 S. die reich kommentierte Neuausgabe von Griffiths ( 1970).
V. Das Bild des Vaters
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Wir wollen nun aus diesem Mythos drei Punkte herausgreifen, die im Zusammenhang unseres Themas von Bedeutung sind: (1) Die Vorstellung, daß derTodheilbar ist, und zwar nicht im Sinne einer individuellen (von diesseitigen Bindungen unabhängigen) Auferstehung, sondern durch den Triumph, d.h. den Tod bezwingenden Sieg des Sohnes, der den Tod des Vaters dadurch rächt, daß er sein Erbe antritt und seine Stellung einnimmt. (2) Der Begriff von Pietät, der diese Auferstehung im Sohne nicht zu einem natürlichen Mysterium, einer geheimnisvollen Unsterblichkeit der männlichen Lebenskraft macht- darum geht es vielmehr in jener anderen, der Kamutef oder Oedipus-Konstellation- sondern zu einer Sache der Kultur, des Bewußtseins, des "Herzens". Der Sohn läßtkraftdieser Pietät den Vater in sich auferstehen. Das ägyptische Wort für diesen Pietätsbegriff ist das Verbum ND, das in all diesen Texten ständig wiederkehrt, und das wir etwas blaß mit "für jemanden eintreten" wiedergaben. Wir müssen es je nach Kontext mit "rächen, heilen, schützen, bewahren" übersetzen. ND faßt alles zusammen, was ein Sohn unternehmen muß, um den grundsätzlich als veränderbar aufgefaßten Zustand des toten Vaters zu verbessern. (3) Der doppelte Bezug dieses Mythos zur Wirklichkeit. Auf der allgemein-menschlichen Ebene ist dieser Mythos ein Paradigma, das jedes Handeln eines Sohnes für seinen Vater aufs neue abbildet. Jeder Sohn handelt dann "wie Horus", auch der König, wenn er, wie Sethos I. und Ramses II. in allgemein-menschlichen Bezügen für seinen leiblichen toten Vater und Vorgänger eintritt. Der König handelt aber auch und vor allem als Horus, und zwar überall dort, wo er als König agiert. Er ist nach ägyptischem Glauben nicht das Ebenbild, sondern die unmittelbare und leibhaftige Verkörperung des Gottes Horus, der im Laufe der Geschichte immer mehr im Sinne des Osiris-Mythos als der Horus der IV. und V. Stufe, d.h. als der ideale Sohn und Harnlet ausgedeutet wird. Hier aber, auf der Ebene des Königtums, ist der Mythos nicht Urbild, sondern aktuelle Wirklichkeit. Der König bildet ihn in seinem Handeln als König nicht ab, sondern setzt ihn fort. Hier begründet und definiert der Mythos das ägyptische Königtum als eine Institution, der die Aufgaben der Sohnespietät obliegen, und zwar nicht nur gegenüber Osiris, sondern allen Göttern. Wir kommen damit zum 3. Abschnitt: der Horus-Konstellation auf der Ebene des Königtums. Kult und Geschichte werden in Ägypten auf die vom König wahrzunehmende Sohnes-Pietät gegenüber den Göttern zurückgeführt, die, überspitzt ausgedrückt, insgesamt den "toten Vater" bilden in der dem kultischen Verkehr zwischen Mensch und Gott zugrundeliegenden Konstellation, auf der die offizielle Religion basiert und die ganz nach dem Modell des Totenkults gebildet ist.
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Menschenbild und Lebensformen
3. Die Vater-Sohn-Konstellation auf der Ebene des Götterkults und des ägyptischen Königtums Seit der 4. Dyn. führt der ägyptische König den Titel "Sohn des Sonnengottes" .107 Ungefähr seit derselben Zeit beginnt die Hornsgestalt, die sich in ihm verkörpert, immer mehr im Sinne des Osirismythos ausgedeutet zu werden, als der pietätvolle Sohn kat'exochen. In den ägyptischen Tempeln finden wir immer nur den König als Opfernden dargestellt, auch wenn er diese Rolle in Wirklichkeit an die lokalen Priesterschatten delegiert hat; und in all diesen Szenen und Texten tritt er den jeweiligen Gottheiten als deren Sohn entgegen.108 Wir haben hier drei Aspekte des Sohnschaftsdogmas vor uns, das im Laufe der geschichtlichen Entwicklung des ägyptischen Königtums zum Mittelpunkt der Königsideologie wird. Ein vierter Aspekt tritt erst in der 12. Dyn. hinzu: die auf gegenseitiger Erwählung gegründete Vater-Sohn-Beziehung zwischen dem König und einem bestimmten Gott des ägyptischen Pantheons, die gegenüber dem Mysterium- mehr den Bündnis-Charakter dieser Konstellation in den Vordergrund stellt .109 In dieser mindestens vierfähigen Bedeutungsfülle reguliert das Sohnschaftsdogma nicht nur das kultische, sondern das gesamte offizielle Verhalten des Königs. Alles königliche Handeln, als Feldherr, Richter, Priester und vor allem Bauherr folgt den Normen der Sohnespietät und entspringt dem Wunsch, sich als ein pietätvoller Sohn zu bewähren. Die Herrschaft des Königs legitimiert sich als ein diesseitiges Eintreten für die Belange Gottes, der sich ins Jenseits zurückgezogen und den König als Stellvertreter auf Erden eingesetzt hat: "Re hat den König auf der Erde der Lebenden eingesetzt, indem dieser den Menschen Recht spricht und den Göttern opfert, indem er die Ma'at verwirklicht und die Sünde vernichtet. Er gibt den Göttern Opferspeisen und den Toten Totenopfer." 110
Der König ist in allem, was er ex officio tut, vom Schöpfergott selbst eingesetzt als dessen Statthalter. Das "Haus des Vaters", das der Sohn in Ordnung halten soll, ist die gesamte Schöpfung, die "Erde der Lebenden". Das vieldeutige Sohnschaftsdogma verbindet den König mit allen Göttern und auf verschiedene Weise. So kann z.B. in einem anderen, für unsere Fra107 Vgl.
hierzu Morenz (1964), 15-16; Barta (1975), 13ff., bes. 32-40. allg. Frankfort (1948) und im Besonderen Posener ( 1960), 34f. und Blumenthai ( 1970), 6771,74-76. 109 S. hierzu Morenz (1956), 118-125; Görg (1975), 76--81. 110 Assmann (1970), 19, 22, 35f., 58-65. Vgl. Urk IV 1676, 17-I6n,1 (Rede der Götter an Amun über Amenophis 111): "Gib, daß er an der Spitze der Lebenden ist, indem er auf deinem Thron der Lebenden sitzt! Während du im Himmel bist, und die Erde erleuchtest, ist er auf Erden und übt dein Königsamt aus." 108 Vgl.
V. Das Bild des Vaters
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gestellung besonders aufschlußreichen Text der memphitische Schöpfergott Ptah zum König folgendennaßen sprechen: m "Ich bin dein Vater der dich gezeugt als Gott und alle deine Glieder als Götter. Ich verwandelte mich in den Widder von Mendes, und zeugte dich in deiner erlauchten Mutter. Ich bin mir bewußt, daß du es bist, der für mich eintritt, daß du derjenige bist, der meinem KA Wohltaten erweist. 112 ( ... ) Ich betrachte dich mit jubelndem Herzen, ich umfange dich mit meiner Umarmung aus Gold, ich umarme dich mit Dauer und Herrschaft, ich durchdringe dich mit Gesundheit und Freude, ich vermähle dich mit Jauchzen und Vergnügen, Lust, Fröhlichkeit und Jubel. Ich mache dein Herz göttlich wie mich selbst, ich erwähle dich, wäge dich, bereite dich, daß dein Herz unterscheidungsfähig, dein Ausspruch treffend sei, daß da nichts ist, was du nichts weißt. Ich habe dich vollendet, heute und vormals, daß auch du alle Menschen am Leben erhalten mögest durch deine Unterweisung.113 Ich habe dich als .König eingesetzt für alle Zeit, als Herrscher, der ewig dauert; ich habe deinen Leib aus Gold gegossen, deine Knochen aus Eisen. Ich habe dir jenes göttliche Amt gegeben, daß du die beiden Länder als König beherrschest. Ich habe dir den Nil gegeben und dir die beiden Länder mit Reichtum erfüllt, Nahrung, Speisen und Kostbarkeiten, wo immer du hintrittst. 114
Der König antwortet: Ich bin dein Sohn, du hast mich auf den Thron gesetzt, du hast mir dein Königtum überwiesen, du hast mich geschaffen nach deinem Bild, du hast mir überwiesen, was du geschaffen hast. Ich aber bin es, der doppelt alles Gute tut für dein Herz. 115
111
Zu diesem als ..Segen des Ptah" bekannten Text vgl. zuletzt Görg (1975), 237-250; KRI II, 258281.
KRI KRI 114 KRI 115 KRI 112
113
II II II II
263, 5-15. 265,5-266,3. 266,5-267,3. 277, ~10.
130
Menschenbild und Lebensfonneo
In diesem Text treten als Aspekte der Vaterschaft neben dem Zeugungsmysterium und der Amtseinsetzung auch die segnende Umarmung, Erwählung und Unterweisung auf, Aspekte des unterweisenden Vaters, der Einen auswählt für das Bündnis, das über Diesseits und Jenseits hinweg geschlossen werden soll. In den Inschriften vor allem des N.R. werden König und Gott (hier handelt es sich vor allem um den "Reichsgott" Amun-Re) nicht müde, einander dieses Bündnisses immer wieder zu versichern. "Mein Name ist: ,Der an der Spitze der Götter', dein Name ist: ,Die an der Spitze aller Lebenden'
sagt Amun zur Königin Hatschepsut 116 , genau wie Vater und Sohn sich in den Totentexten der Pyramiden des Alten Reichs in die Weltherrschaft teilen. 117 Neben dem "adoptianischen" Aspekt des Bündnisses steht der "mythische" Aspekt der Gottessohnschaft Pharaos, den die Texte nicht nur in der Form des traditionellen Mythos von der "Geburt des Gottkönigs" 118 erzählen, als Intervention des Gottes in der Rolle und Gestalt des königlichen Vaters 119 , sondern auch in eine Form kleiden, die man als Vorwegnahme der "Präexistenz-Christologie"120 verstehen muß: "Ich bin dein Vater, der deine Schönheit geschaffen hat, ich habe dich hervorgebracht in Gegenwart von Schu und Tefnut, aber du bist noch vor ihnen hervorgetreten aus meinem Leib. Ich habe dich aufgezogen, als ich aus dem Urwasser hervortrat; bevor ich noch (je) meinen Mund zum Sprechen geöffnet hatte da sagte ich: Er ist mein Sohn auf meinem Thron, gemäß dem Befehl der Götter. Er ist es der für mich eintreten wird und alles tun wird, was ich sage. Du bist mein geliebter Sohn, der aus meinem Leibe kam, mein Ebenbild, das ich auf Erden eingesetzt habe. '' 121
Die Erzeugung von Schu und Tefnut ("Luft" und "Feuchte") ist das erste Schöpfungsereignis in einer noch chaotischen, raum- und zeitlosen VorWelt: 122 damals und noch vorher hat der Gott seinen königlichen Sohn hervorgebracht. Es ist klar, daß diese Tat nicht die historische Person Amenophis' 111. betrifft, der nach allem, was wir wissen, am 7. Juni 1402 v. Chr. den ägyptischen Thron bestieg. Sondern dieses erste Wort, das der Gott sprach, noch vor jener großen Rede, aus der die Götter und mit ihnen die Welt hervorginUrk IV, 298, ~9. Vgl. n. Tl. 118 Brunner (1964). 119 Urk IV219,11: "Er verwandelte sich in die Majestät ihres Gatten, des KönigsThutmosis I", ähnl. Urk IV 1714,7. Vgl. Barta (1975), 19-44 und Assmann (1982). 1211 Vgl. Bornkamm (1976). 121 Urk IV 1675,4-11; 1676, 1-2. Vgl. dazu Kakosy (1977). 122 Vgl. Cf Sprüche 75-80 und de Buck (1947). 116
117
V. Das Bild des Vaters
131
gen 123 , war die Idee des Sohnes und Pharaos, die sich erst in Amenophis 111. in ganzer Reinheit und Fülle verkörperte: er ist der Sohn, den Gott vor aller Zeit geschaffen hat, und seine Taten, seine prachtvollen Bauwerke, sind es, an denen der Gott ihn als solchen erkennt. Betrachten wir, um das Bild abzurunden, noch einige weitere Proben aus derartigen Vater-Sohn-Dialogen zwischen Gott und König: Ramses 111. sagt zuAmun: .,Ich bin dein Sohn, aus dir bin ich hervorgegangen, du hast mich als König eingesetzt, als ich noch im Ei war" 124
und der Gott antwortet: .,Du bist ein Sohn, der seinem Vater wohlgefällig ist, der ihn sich ins Herz gibt. " 12S
Das Herz spielt auch hier die Rolle, die wir im Totenkult angetroffen haben: .,0 mein Vater, ich bin König, auf deinen Befehl, o mein Herr, mein Herz ist auf deine Pläne gerichtet Tag für Tag, seit du mich erwähltest unter Hunderttausenden zum König und Herrscher der beiden Ufer, als du mich fandest als Kind an der Mutterbrust Du hast mich festgesetzt auf deinem Thron, ich verlasse mich ganz auf deine Kraft, denn ich bin mir der Stärke deines Armes bewußt. Ich handle für dich mit liebendem Herzen, um dein Haus, deinen Tempel zu versorgen. " 126
In einem Hymnus Ramses' 111. an Amun-Re heißt es einmal: ,.Wer ,mein Vater' zu dir sagt, der ist Herr über die neun Bogen!" 127
Daraus wird zweierlei klar: einmal, daß nur ein König zu Gott "Vater" sagen kann, und zweitens, daß dem König, der zuAmun-Re "mein Vater" sagt, d.h. sich Amun-Re zum Vater erwählt, dieser Gott den Sieg über die Feinde (die "neun Bogen") schenkt. Das Bündnis der Gottessohnschaft, das Gott und König miteinander eingehen, verpflichtet aber nicht nur den König zu Treue, Gehorsam und jenem ganzen Programm von Handlungen, das in dem Verbum NQ, dem ägyptischen Pietätsbegriff beschlossen liegt, es verpflichtet auch den Gott. Im Gedicht auf die Schlacht von Kadd ist auch das Stoßgebet enthalten, das Ramses II. an Amun-Re gerichtet hatte als er sich allein von feindlichen Truppen umringt sah: Zur Vorstellung von der Schöpfung durch das Wort s. Zandee ( 1964). Helck (1958). 125 Reliefsand lnscriptions at Kamak I (OIP XXV, 1926), Tf.34. 126 Medinet Habu IV, 231. 127 Reliefsand lnscriptions ... (n. 125), Tf.23 = ÄHG Nr. 196 Vers 53. 123
124
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Menschenbild und Lebensformen
"Was ist das, mein Vater Amun? Hätte ein Vater jemals seinen Sohn vergessen? Die Taten, die ich vollbracht habe, wären sie ohne dich geschehen? Bin ich nicht vorgegangen und still gestanden auf dein Wort? Niemals habe ich die Pläne übertreten, die du beschlossen hast. . .'' 128
Zugleich zeigt uns dieser Text deutlich genug, daß die Gottessohnschaft keine Rolle war, die der König nur im Kult spielte- sie um faßte das ganze Königtum. Wir müssen nun fragen, was diese Konzeption des Königtums als einer Erfüllung von Sohnespflichten für den ägyptischen Gottesbegriff bedeutet. Haben wir es hier mit einer Vater-Religion, gar mit einer Religion des "toten Vaters" zu tun? Muß man nicht diesen Schluß ziehen, wenn die Beziehung von Sohn und Vater im Totenkult das Grundmodell abgibt für alle Religion und Königsherrschaft in Ägypten? Die Sohnschaft des Königs realisiert zunächst und vor allem den Unterschied zwischen Mensch und Gott, Diesseits und Jenseits. Grenzen werden gezogen und zugleich Formen der Vermittlung gefunden. Modell dieser Vermittlung zwischen Diesseits und Jenseits ist der Totenkult. Durch den König wird Gott zum Vater, und das heißt: zugleich entrückt und zugänglich. Gott schafft sich im König einen Sohn und stiftet auf diese Weise ein Band zwischen sich und der Welt, der er sich entrückt hat. Als Vater des Königs ist Gott verborgen und der Welt nur über einen Mittler zugänglich, dessen auch er sich bedient, um seine Herrschaft im Diesseits auszuüben. Und er ist zweitens als Vater des Königs ein persönlicher Gott, der Gebote aufstellt und Gehorsam fordert, der Ratschlüsse trifft und für die Welt sorgt. Teilt aber dieser Gott, wenn man auf die Pietät der Könige blickt, ihr unablässiges Eintreten für den göttlichen Vater, nicht auch die Bedürftigkeit des toten Vaters, die jenseitige Mangelsituation, der das diesseitige Eintreten des Sohnes Abhilfe schafft? Nein: es geht zwar auch hier um die Aufrechterhaltung der Wechselbeziehung von Diesseits und Jenseits- soweit reicht die Parallele zum Totenkultaber es sind nicht die Götter, die davon leben, sondern die Menschen. Wenn dieses Band abrisse, würde geschehen, was der Ägypter in der Amarnazeit erfahren und folgendermaßen formuliert hat: "Das Land machte eine Krankheit durch. Die Götter hatten sich von diesem Land abgewendet. Wenn ein Heer nach Syrien geschickt wurde um die Grenzen Ägyptens zu erweitem, konnte es nichts ausrichten. Wenn man einen Gott bat, von ihm sich Rat zu holen, kam er nicht. Denn ,sie' (die Amama-Könige) hatten die Schöpfung zerstört. " 129 128
KRill, 34. IV 2027, 11-20. Vgl. u., S. 279.
129 Urk
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133
Nicht die Götter, sondern das Land, die Kultur, die ägyptische Gesellschaft würden dabei zugrundegehen. Eine ägyptische Sentenz sagt: "Wenn man die Opferbrote der Götter schädigt, dann gehen Millionen Menschen zugrunde in diesem Land." 130
Die Gestalt des Ketzers Echnaton hat in der Geschichte des Sohnschaftsdogmas eine besondere Rolle gespielt. Vieles spricht dafür, daß dieser König seine religiöse Revolution im Zeichen einer ins Wahnhafte übersteigerten Form dieses Dogmas verkündet hat. 131 Er hat sich offenbar mit der ihm durch das Königtum auferlegten Rolle in einer ganz realen und persönlichen Weise identifiziert und alles rigoros abgeschafft, was zu dieser persönlichen VaterSohn-Beziehung mit der Gottheit nicht passen wollte: die Vielheit der Väter und Mütter, die Vieldeutigkeit der Sohnschaftsbeziehung, die Delegation dieser Eigenschaft, die für ihn ja keine Rolle mehr war und kein Bündnis, sondern wesensmäßig, an Priester. Für ihn konnte es nur einen Gott geben, weil es nur einen Vater gibt, und nur einen Propheten, dem dieser Gott sich offenbarte. Dieser Eine Gott konnte nur die Sonne sein, der Inbegriff alles Einzigen, die Quelle des alles hervorbringenden Lichts. Daß im Ägyptischen die Worte für Sonne ("Aton", richtiger Jati) und Vater bzw. "mein Vater" (jat bzw. jati) gleich lauten, mußte dem König als die letzte Bestätigung dieser Offenbarungen erscheinen. 132 Jedenfalls machen die Texte sehr viel aus diesem Wortspiel. Gott ist die Sonne (Jati) und offenbart sich im König als "mein Vater" (Jati), anders gesagt: Gott ist kosmisch, das Licht als alleshervorbringender Urgrund des Seins, und nimmt in der Vater-Sohn-Konstellation, die er mit dem König eingeht, die personalen Züge des Vaters an. Die Jenseitigkeil oder Transzendenz dieses Vaters besteht in seiner kosmischen lmpersonalität, die ihn, wie dieTexte immer wieder betonen, den Augen der Menschen zugleich offenbart und verbirgt. In derWeit ist er als Licht, nur im Herzen des Königs ist er als Person anwesend: "Bist du gegangen, und es ist kein Auge mehr da, dessen Sehkraft du geschaffen hast, damit du dich nicht selbst sehen müßtest, allein als einziges deiner Geschöpfe, dann bist du doch in meinem Herzen, und kein anderer kennt dich, außer deinem Sohn Echnaton, den du deiner Pläne hast kundig werden lassen und deiner Kraft. " 133
In der Amarna-Religion haben wir eine Vater-Religion reinster Ausprägung vor uns. Als Gott ist die Sonne Vater und nichts als Vater, und zwar nicht absoUrk II, 44 und Nilymnus, ÄHG Nr. 245, Verse 15-16. m Vgl. hierzu und zum Folgenden Fecht (1960); Assmann (1972); (1973), Wenig (1973). 132 Die Vokalisierung des äg. Wortes jtn und damit die Aufdeckung der Assonanz zum Wort jtj .,Vater" wird Fecht (1960) verdankt. m ÄHG Nr. 92, Verse 120-124.
130
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Menschenbild und Lebensformen
lut, wie die römischen Götter, und auch nicht in bezugauf die Menschheit insgesamt oder gar die, die an ihn glauben (an die Sonne kann man nicht glauben), sondern in bezugauf den Einen Sohn, welcher der König ist- Vater also im Sinne der besonderen Konstellation, die uns hier beschäftigt. In dieser einen Konstellation, und das heißt: in der Gestalt des Königs, Sohnes und Mittlers sind daher die personalen Züge der Gottheit vereinigt. 134 Darin wird zugleich auch der Unterschied zur traditionellen polytheistischen Religion sichtbar. Im Polytheismus steht zwar der König gegenüber den Göttern, dem Sonnengott, dem erwählten und erwählenden Gott und dem Totengott Osiris in den Bindungen der Sohnschafts-Konstellation, die Götter aber stehen ihrerseits untereinander in einer Vielfalt von Konstellationen, wie sie sich in Mythen entfalten, und sind fern davon, ihre personalen Aspekte allein in bezug auf den königlichen "Sohn" zu definieren. Auch wenn der König ihnen als "Sohn" gegenübertritt, erschöpft sich ihr Wesen doch nicht in der korrespondierenden Vaterrolle dieses Bündnisses, auf dem die offizielle Religion und die Königsideologie beruhen.
4. Die "Kamutef-Konstellation" Abschließend möchte ich nun noch kurz eingehen auf jene Kamutef- oder Oedipus-Konstellation, die in mancher Hinsicht das Gegenstück zur HorusKonstellation bildet, auch wenn sie ursprünglich mit jener vermutlich nicht das geringste zu tun hat, da sie erstens wesentlich älter zu sein und zweitens aus dem Bereich astraler Mythen, also aus ganz anderen Ursprüngen hervorgegangen zu sein scheint. Die Verbindung beider zu einer komplementären Opposition hat jedoch bereits die ägyptische Königstheologie zuwege gebracht, die auf zwei Dogmen basiert. Das eine ist das im vorstehenden erörterte Sohnschaftsdogma, das sich erst verhältnismäßig spät im Lauf der Geschichte nach dem Modell des Totenkults ausgebildet hat. Das andere ist das Inkorporationsdogma, das jeden König als Verkörperung des Gottes Horus erklärt und in wohl kaum mehr ergrundliche liefen der ägyptisch-afrikanischen Vorgeschichte hinabreicht, ohne sich jedoch für ägyptisches Denken mit dem später hinzugekommenen Sohnschaftsdogma zu widersprechen. Das Inkorporationsdogma aber beruht auf der Kamutef-Konstellation. Mit diesem Dogma fixierte der Ägypter die überzeitlichen und überindividuellen Aspekte des Königtums, die wir heute in dem Begriff der "Institution" zusammenfassen würden. Institutionen sind etwasAbstraktes und besitzen eine andere Zeitlichkeit als die Individuen, die sie verkörpern. Das Mittelalter ordnete sie dem aevum zu und stellte sie mit den Engeln auf eine Stufe. Der
134
Zum König als dem .. persönlichen Gott" der Amarna-Religion s. Assmann (1975b), 58-61 und (1980).
V. Das Bild des Vaters
135
Ägypter dachte die spezifische Unsterblichkeit des Königtums im institutionellen Sinne als die Konstellation eines Gottes Horus, der sich in einem unendlichen Zyklus von Verkörperungen in einem weiblichen Komplement, der Göttin Isis, immer wieder selbst hervorbringt. Das Sohnschaftsdogma ordnet das Diesseits, die Menschheit in ihrem Exponenten, dem König, den jenseitigen Göttern zu. Das Karnutcf-Modell andererseits verbindet das Göttliche als etwas Überweltliches und Außerzeitliches mit der Welt der Erscheinungen. Die Vater-Sohn-Konstellation ist vom Sohn aus gedacht und bindet rückwärts gewandt die Gegenwart und Zukunft an die Vergangenheit. Die Kamutef- Konstellation ist vom Vater aus gedacht und bindet etwas Überzeitliches und Immaterielles an eine in die Zukunft fortschreitende Gegenwart. Beide formulieren einen Begriff von Kontinuität, die eine als Pietät, als ein Handeln in Verantwortung vor dem Vergangenen, die andere aber als Unsterblichkeit. Daß es bei der Karnutcf-Idee letztendlich um den Ausdruck einer Unsterblichkeitssehnsucht geht, zeigt sich aufs klarste in der dominierenden Rolle, die sie in den Totentexten spielt. Auch hier, in den Vorstellungen von der Seinsweise des Toten, verbinden sich die beiden Konstellationen "Kamutef" und "Horus" zu einer komplexen Einheit. DerTote ist als Osiris sowohl Träger der Rolle des toten Vaters und als solcher jenseitig auf einen diesseitigen Sohn bezogen, als auch Partner einer Kamutef-Konstellation, die er mit der Himmels- und Muttergottheit Nut eingeht. Als Osiris im Sinne des toten Vaters bleibt er dem Diesseits zugleich entrückt und verbunden, als Osiris im Sinne des Sohn-Gatten der Muttergattin Nut gewinnt er die spezifisch ägyptische Unsterblichkeit eines im zyklischen Wandel der Wiedergeburten mit sich selbst identisch bleibenden Wesens. Durch diese Deutung des Todes als Vereinigung mit der Mutter wird die Lebenslinie zur Kreisbahn umgebogen und auf diese Weise die Unendlichkeit der bewegenden Lebensenergie garantiert.135 Auch die Karnutcf-Idee hat, allerdings sehr viel weniger deutlich, ihr Korrelat auf der menschlichen, ,.alltagsweltlichen" Ebene, nämlich in dem tief eingewurzelten Glauben, daß der Vater im Sohn weiterlebt. Dies ist es, was wir oben als das "natürliche Mysterium" der Vaterschaft bezeichneten. Der Vater sagt zu dem Sohn, den er durch die Umarmung als echtbürtig anerkennt: ,.Das bin ich!" 136 und ein in Ägypten häufiger Personenname lautet "Der seinen Vater wiederbringt". Genauer gesagt glaubt der Vater wohl nicht selbst im Sohne weiterzuleben, sondern in Gestalt eines beiden Gemeinsamen, Überindividuellen und Immateriellen, das von ihm auf den Sohn übergeht. ns Vgl. die in n. 72 angef. Lit., bes. das bahnbrechende Werk von H. Jacobsohn. Speziell auf die Beziehungen dieser ,.Konstellation" zur Archetypus- Theorie C.G. Jungs geht Frankfort ( 1958) ein vgl. auch (1948), 169ff., 176f. tl6 Belege bei Assmann (1969) 99 m. n. 41. Vgl. zum Sinn solcher Rekognitionsforrneln o .• S. 96.
136
Menschenbild und Lebensformen
Auf der königlichen Ebene ist das der Gott Horus, auf der Ebene der allgemeinen altägyptischen Anthropologie ist das der KA. 137 Es ist dasselbe Wort wie KA "Stier", das wir in der Verbindung Kamutef "Stier seiner Mutter" antreffen, und bezeichnet wohl ursprünglich so etwas wie Zeugungskraft im Sinne einer "bewegenden Lebensenergie", die sich in zyklischen Verkörperungen vom Vater auf den Sohn fortpflanzt. In geschichtlicher Zeit werden diese Vorstellungen stark vergeistigt. Wir haben bereits die Stelle bei Ptahhotep kennen gelernt, der lehrt, daß nur "der Sohn, der auf deine Lehre hört" ein Kind ist, "das dein KA dir gezeugt hat" .138 Das Vater und Sohn Gemeinsame, das ihre Kommunikation über die Todesgrenze hinaus ermöglicht, das sich in beiden verkörpernde Überindividuelle, wird aus dem Bereich des Samens (KA: Stier) in den Bereich des "Herzens" ausgeweitet, den Bereich der Sprache, der Zeugung durch Mund und Ohr, die das den Tod überdauernde Bündnis stiftet. Dieser vergeistigte KA-Begriff, als ein Bündnis und geistiges Band, gewinnt im Osiris-Mythos Gestalt, dessen auf dem Schabaka-Stein festgehaltene Version mit den Worten schließt: "Sein Sohn Horns erschien als König von Ober- und Unterägypten in den Armen seines Vaters Osiris" 139
"in den Armen": das ist der Gestus, den die KA-Hieroglyphe darstellt. 140 Der Sohn, der die Stelle seines Vaters einnimmt (d.h. dessen überindividuellen Aspekt als Amtsträger verkörpert) und seinem jenseitigen Vater mit liebendem Herzen verbunden bleibt, wird von dem schützenden Segen des Vaters wie von einer Umarmung umfangen. 141 Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang der "Umarmung von Gold", mit der der Gott Ptah seinen königlichen Sohn gesegnet hat. 142 Die Umarmung ist die Veranschaulichung einer reziproken Beziehung. Dem Vater werden in dieser Umarmung den Tod überwindende Lebenskräfte zugeführt. In einem sehr alten Mysterienspiel sagt Horus: "Ich halte diesen meinen Vater in meiner Umarmung, der müde geworden ist, damit er wieder gesund wird. " 143 Beide, Vater und Sohn, ziehen aus dieser über die Todesgrenze hinübergreifenden Kommunikation im KA einen Gewinn, den das Ägyptische mit 137 Zum
Begriff des Ka s. Frankfort (1948), 61-78; Greven (1952); Schweitzer (1956). Einen guten einführenden Überblick gibt Teichmann ( 1975). 138 S. o., n. 10. 139 Sog. "Denkmal memphitischerTheologie", Z. 64; vgl. Junker (1941), 37f. Zur Datierungs. Jun· ge (1973). 140 Vgl. z. B. Pyr 1653a: "Du legst deine Arme um sie als die Arme des Ka. damit dein Ka in ihnen sei": die Umarmung, mit der der Schöpfergott seinen Geschöpfen Leben zuführt. 1 ~ 1 Zur Ka-Umarmung als väterlichem Segensgestus vgl. Frankfort (1948), 32, 66f., 122. 133-138, 199; Assmann (1969), 101-105. 142 Zitiert n.ll3. Vgl. hierzu Görg (1975), 239f. 1 ~ 3 Dramat. Ramesseum Papyrus Sz. 33, vgl. Frankfort (1948), 136.
V. Das Bild des Vaters
137
dem Wort ACH ausdrückt. 144 "ACH ist ein Vater für seinen Sohn, ACH ist ein Sohn für seinen Vater" heißt es in einem Totenopferspruch. 145 ACH für den Aton (was genauso klingt wie "ACH für meinen Vater") ist die Bedeutung des Namens Echnaton, der, wie wir sahen, seine gesamte Religion auf der königlichen Vater- Sohn-Konstellation autbaute. 146 ACH bezeichnet auch die Existenzform des seligen Toten, den Zustand in den es die Mangelsituation des toten Vaters zu verwandeln gilt. 147 Diese Verwandlung vermag die Pietät des Sohnes zu bewirken. Der KA-Begriff bezeichnet den Schnittpunkt der beiden Konstellationen, in denen wir das Phänomen VATER betrachtet haben; der Beziehung des Sohnes zum toten Vater, wie sie der Osiris-Mythos erzählt, und der KamutefKonstellation. Das Kamutef-Motiv zielt auf den KA als eine immaterielle und unsterbliche Größe, die sich immer wieder verkörpert in der Kette der Generationen, die Vater-Sohn-Konstellation zielt auf den KA als eine überindividuelle, die Generationen umspannende Größe, die eine Kommunikation von Vater und Sohn über die Todesgrenze hinaus ermöglicht und auch den Charakter eines geistigen Bandes, eines im "Herzen" verankerten Bündnisses annehmen kann. Im ägyptischen Begriff des KAscheint nun, wie wir vorbehaltlich einer neuerlichen Untersuchung dieses schwierigen Begriffs nur andeuten können, alles zusammengeiaßt, was den intensionalen Bedeutungsgehalt des ägyptischen Vater-Bildes ausmacht. Denn KA heißt ( 1) "Stier" - der Vater als Erzeuger (2) "Nahrung" -der Vater als Ernährer (3) "Geist, Wille, Unterscheidungsvermögen" - der Vater als Erzieher. KA ist der Inbegriff aller zeugenden Lebenskräfte, die vom Vater auf den Sohn und von den Göttern auf den König und von ihm auf die menschliche Gesellschaft übergehen- der Inbegriff der Paternalität.
Vgl. z.B. Totenbuch Kap. 173: .. Begrüßung des Horus für seinen Vater Osiris ( ... ).als einer den anderen umarmte, damit er dadurch ACH werde im Jenseits ... ", s. hierzu und für weitere Belege Assmann (1969), 104-105. 14 ~ Davies (1943), Tf.96; der letzte Teil schon in einer Grabinschrift aus dem Alten Reich: MoussaJunge (1975), 24f., Tf. 4a. 141-Wie sehr bei dem Namensbestandteil ACH an die Vater-Sohn- Konstellation gedacht ist, machen Phrasen deutlich wie z.B. "Ich bin dein Sohn, der für dich ACH ist" (Sandman 1938, 14.13-16) oder die Prädikation Echnatons als "ACH für den, der für ihn ACH ist", die die in der in n. 144 zitierten Wendung zum Ausdruck gebrachte Reziprozität dieser Vater-Sohn-Beziehung meint. Die an den Namen Echnatons anklingende Wendung "ACH für den Vater" ist in der Form des Sohnschaftszuspruchs nicht selten, vgl. Reliefsand lnscriptions (n. 125), Tf. 34,7-8: .. Du bist der Sohn, der ACH ist für den Vater", ähnlich temy- Gardiner, Hieratic Ostraca Tf. 8.5. 14 ~Vgl. Otto (1973).
144
VI. Das Bildnis in der ägyptischen Kunst. Stile und Funktionen bildlieber Selbstdarstellung Vorbemerkung In der Kunstwissenschaft wird das Problem des Porträts unter dem Zeichen des Gegensatzes von Individualität und Idealität verhandelt. Zwei neuere TItel mögen das belegen: Individuum und Ideal überschreibt Luca Giuliani seinen Beitrag zum Berliner Ausstellungskatalog Bilder vom Menschen in der Kunst des Abendlandes (1980), Zwischen Individualität und Idealität nennt GundolfWinter sein Buch über die Bildnisbüste (1985). Die beiden Begriffe verweisen auf verschiedene Dimensionen. "Individualität" reicht hinein in die anthropologisch-bewußtseinsgeschichtliche Dimension; der Gegensatz ist hier nicht Idealität, sondern Kollektivität. "Idealität" reicht demgegenüber hinein in die stilistische Dimension; sein Gegensatz ist hier nicht Individualität, sondern Realismus. Wir haben es also nicht mit einer einfachen Opposition, sondern mit einem begrifflichen Geviert zu tun: dem Gegensatz von Individualität und Kollektivität entspricht, auf stilistischer Ebene, der Gegensatz von Realismus und Idealität. Realismus ist ein Indiz für Individualismus, während Idealität ein überindividuelles, allgemeines Menschenbild bezeugt.11m Hintergrund steht dann oft noch die evolutionistische Vorstellung einer Entwicklung, die von Allgemeinheit und Idealität zu Besonderheit, Geschichtlichkeit, Individualität und Realismus verläuft. Das leuchtet unmittelbar ein und entspricht unserer abendländischen Erfahrung. Zum Verständnis der ägyptischen Bildniskunst reicht dieses begriffliche Schema jedoch nicht hin. Die Dinge scheinen hier wesentlich komplizierter zu liegen und eine differenziertere Begrifflichkeit zu erfordern. Vor allem der Zusammenhang von Realismus und Individualität scheint in Ägypten nicht zu bestehen. Außerdem ist hier auch auf stilistischer Ebene die Dynamik der Entwicklung nicht mit einer einfachen Polarität wie Realismus vs. Idealität einzufangen.
1. Das ägyptische Porträt als Gattung monumentaler Selbstthematisierung Wenn wir, mit Ernst Buschor, unter Porträt "Darstellungen bestimmter Personen" verstehen, "die ein Erdenleben geführt haben, Darstellungen, die be1
Zum Problem von Individualität und Idealität, Realismus und Idealisierung s. bes. Hölscher, (1971).
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VI. Das Bildnis in der Kunst
strebt sind, ihrem Gegenstand eine gewisse Dauer zu verleihen" 2 , dann ist die ägyptische Plastik fast ausnahmslos als Bildniskunst einzustufen. Denn gegenüber der in die Zehntausende gehenden Masse der Darstellungen "bestimmter Personen" treten die Götterbilder, Tier- und Dienerfiguren ins Unbedeutende zurück. Diesen eigentümlichen Befund gilt es sich vorweg in seiner ganzen Besonderheit klar zu machen. Die ägyptische Kunst, darin sehe ich ihre Einzigartigkeit, ist fast durchweg "eponym", d.h. jedes Kunstwerk steht in Beziehung zu einem Namen, allerdings nicht dem des Künstlers, sondern dem des Auftraggebers, der auch der Dargestellte ist. 3 Es handelt sich daher, jedenfalls in der Regel, wo nicht um Selbstporträts, dann doch um selbstveranlaSte Porträts, die ganz ausgesprochen das Ziel verfolgten, "ihrem Gegenstand eine gewisse Dauer zu verleihen". Hinter jedem selbstveranlaSten Porträt steht der Wunsch seines Auftraggebers nach Dauer, nach Todesüberwindung, nach Fortdauer in einem unvergänglichen Medium. Die verschiedenen Formen, in denen dieser je individuelle Wunsch nach Fortdauer seinen Ausdruck findet, fasse ich unter dem Begriff der "monumentalen Selbstthematisierung" zusammen. Dazu gehören in erster Linie die Gräber und Tempel mit ihrer Ausstattung an Stelen und Statuen, Pyramiden, Obelisken, Sphingen, Altären, Opferplatten usw. usw. All das und damit so gut wie die gesamte ägyptische Kunst dient nicht der Verschönerung, sondern derVerewigung des Daseins. In diesem Kontext, ideologisch, sozial und ganz konkret räumlich-architektonisch, steht das ägyptische Porträt. Im Rahmen des Monumentalen ist es eine Gattung "ikonischer", d.h. abbildhafter Selbstthematisierung, im Gegensatz zur sprachlichen Selbstthematisierung, wie sie die Inschriften darstellen, in denen der Auftraggeber, als Grabherr oder Stifter einer Tempelstatue, von sich selbst spricht. 4 Wir können also, innerhalb dieses allgemeinen Rahmens monumentaler Selbstverewigung, der im pharaonischen Ägypten so gut wie die gesamte Architektur und Kunst bestimmt, zwei Gattungen ausmachen, die es in einem ganz besonderen, engeren Sinne mit Selbstthematisierung zu tun haben: die Porträtplastik und die ( auto )biographische Inschrift: Selbstthematisierung ikonisch
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Porträt 2 3
4
textlich
I
( auto )biographische Grabinschrift
Buschor, (1960). Dies, und nicht die "Anonymität" der ägyptischen Kunst (im Sinne fehlender Individualität) ist der Grund für das weitgehende Zurücktreten der Künstler hinter ihren Werken (Wolf, 1935,8, und viele andere), s. dazu Assmann (1987c), bes. 199f. Vgl. hierzu :~:.usammenfassend Assmann (l987c) und hier, Kap. VII.
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Menschenbild und Lebensformen
Interessant ist nun, daß wir auf der Ebene der sprachlichen Selbstthematisierung, in der Geschichte der (auto)biographischen Inschriften, eine Polarität feststellen können, die auffallend genau der Polarität von Individualität und Idealität auf der Ebene der ikonischen Selbstthematisierung entspricht. Im Falle der Inschriften bezeichnen wir den einen Pol als "Idealbiographie", für den anderen habe ich den Terminus "Laufbahnbiographie" vorgeschlagen. Die Idealbiographie ist das vollkommen stereotypisierte, formelhafte Bekenntnis zu einer allgemeinen Norm: "Ich tat die Maat, ich sagte die Maat, ich gab dem Hungrigen Brot, dem Durstigen Wasser und Kleider dem Nackten ... ", während die Laufbahnbiographie sich zu historisch detaillierten Tatenberichten entfalten kann. Die beiden TYpen entstehen im Alten Reich als distinkte Gattungen, um dann bald zu einer einzigen Gattung zu verschmelzen, die, ähnlich wie das Porträt, in ihrer Geschichte zwischen den Polen Idealität und Individualität schwankt (vgl. Kap. VII). Was dieser Seitenblick auf den sprachlichen Parallelfall lehrt, ist vor allem die Erkenntnis, daß es sich bei "Idealität" und "Individualität" nicht nur um Kategorien einer geschichtlichen Entwicklung handelt, sondern auch um Optionen, die gleichzeitig nebeneinander bestehen, in distinkten Gattungen realisiert oder in Texten einer Gattung vielfältig miteinander kombiniert sein können. Wir haben es also mit Vielfalt und Polarität in zwei Dimensionen zu tun: in der Synchronie als Vielfalt des Wählbaren und Kombinierbaren, und in der Diachronie als die Vielfalt der Pole, zwischen denen sich eine Entwicklung abspielt, d.h. die Vielfalt des Nacheinander Möglichen. Aus diesem Seitenblick auf die Geschichte einer sprachlichen Gattung ergibt sich auch, daß das, was wir als "Idealität" und "Individualität" bezeichnen, sich vom Bezugsrahmen der ägyptischen Befunde her bestimmt, und nicht etwa von einer allgemeinen Theorie her. Was eine ägyptische "Idealbiographie" ist, bestimmt sich aus ihrem Gegensatz zur ägyptischen Laufbahnbiographie, und nicht aus unseren Vorstellungen von Idealität. Besonders wichtig ist diese Feststellung für den Gegenpol der Individualität. An unseren Maßstäben gemessen mag auch die "individuellste" ägyptische Biographie noch äußerst konventionell und idealisiert erscheinen. Das ist aber für die Gattungsgeschichte vollkommen irrelevant. Hier zählt allein das ägyptische, kulturimmanente Maß, wie es sich in der Synchronie aus dem Abstand zur gleichzeitigen idealbiographischen Topik, und in der Diachronie aus dem Abstand zum bis dahin erreichten Maß an Individualität ergibt. Aufs Porträt übertragen heißt das, daß auch Begriffe wie "Realismus" und "Idealität" aus dem Bezugsrahmen der ägyptischen Optionen her bestimmt werden müssen. Individualität, auf der Ebene der Sprache eine Frage der narrativen Spezifizierung, der geschichtlichen Details, ist auf der Ebene des Bildes eine Frage der Ähnlichkeit. Nach unseren Begriffen - nur Buschor macht da eine Ausnahme - ist Ähnlichkeit ein unverzichtbares Definiens des Porträts überhaupt: "Porträt ist die als ähnlich beabsichtigte Darstellung eines bestimmten
VI. Das Bildnis in der Kunst
141
Menschen" (R. Delbrück) 5 , "Das Wesen des Porträts liegt in der Übereinstimmung zwischen Original und Abbild" (M. Kemmerich) 6 , "Das Porträt muß einen bestimmten, tatsächlich lebenden oder gelebt habenden Menschen darstellen; es muß die Unverwechselbarkeit von dessen Erscheinung festhalten, ähnlich sein und dem Betrachter eine Vorstellung von der individuellen Eigenart des Dargestellten vermitteln" (L. Giuliani). 7 Die Ägypter scheinen ähnlich gedacht zu haben. Das ägyptische Wort für Statue ist von einem Wort abgeleitet, das "ähnlich sein" bedeutet. 8 Schaut man jedoch näher hin, dann ist mit "Ähnlichkeit" nicht viel mehr gemeint als der unverwechselbare Bezug auf einen bestimmten Menschen. Unverwechselbarkeit kann aber auch durch eine Namensaufschrift gewährleistet sein. Nach ägyptischen Vorstellungen ist die Statue dadurch ähnlich gemacht, zum unverwechselbaren Bild dessen geworden, dessen Namen sie trägt. Die zahlreichen Fälle von Porträtusurpation legen von dieser Auslegung des Begriffs "Ähnlichkeit" ein beredtes Zeugnis ab. 9 Ähnlichkeit in unserem Sinne ist demnach ein Spezialfall von Unverwechselbarkeit: die durch rein ikonische (bildliche) Mittel hergestellte Vereindeutigung des Bezugs. Wir müssen also unterscheiden zwischen der altägyptischen "Bildgattung" der Porträtstatue (twt), die keinen begrifflichen Unterschied machte zwischen ikonisch oder inschriftlich hergestellter Ähnlichkeit (Unverwechselbarkeit), und unserem theoretischen Begriff von Porträthaftigkeit (im Sinne einer metahistorischen Konstante), der sich allein auf die Option ikonisch hergestellter Unverwechselbarkeit bezieht. Was wir unter "Porträt" verstehen, deckt sich daher nicht einfach mit der Masse der ägyptischen Bildniskunst, sondern ist als eine ihrer Möglichkeiten in ihr angelegt. Der folgende Überblick soll versuchen, den Rahmen dieser Möglichkeiten abzustecken (§§ 2-3), um dann näher auf jene Tradition einzugehen, die in meinen Augen unserem (metahistorischen) Begriff von Porträt am nächsten kommt(§ 4).
s Delbrück, (1923). Kemmerich, (1909). 7 Giuliani (1980). Ich verdanke die Kenntnis dieser Definitionen von "Porträt" einem Referat meiner Schülerin Felicitas Polz. 8 twt "Bild" (nicht: "Statue", da auch von Flachbildern). von twt "gleich sein", "ähnlich sein", s. Erman-Grapow, Wörterbuch der ägyptischen Sprache V, 255-257. 9 Allerdings gibt es auch Fälle, wo bei einer usurpierten Statue nicht nur die Inschrift verändert, sondern auch die Gesichtsmodeliierung überarbeitet wurde, z. B. bei der von Merenptah überarbeiteten Statue Amenemhets III in Berlin (Ost), auf die Brunner (1984), 279 verweist.
6
142
Menschenbild und Lebensformen
2. Porträtplastik des Alten Reiches a) Magischer Realismus Sehen wir einmal ab von den Anfängen der ägyptischen Bildniskunst in der 2. und 3. Dyn . 10 , deren summarische Formensprache- zumindest auf den veröffentlichten Photographien - eine nähere Bestimmung nach den hier angewandten Kategorien nicht erlaubt, und beginnen wir unsere Untersuchung dort, wo auch die ägyptische Grabplastik im großen Stil einsetzt: mit Beginn der 4. Dyn. (2600 v. Chr.). Dann tritt eines sehr deutlich hervor: daß diese erste Phase der ägyptischen Grabplastik im Zeichen eines ausgeprägten Realismus steht. 11 Vom "hieroglyphischen" Charakter der ägyptischen Formensprache kann hier keine Rede sein. Ohne jeden Zweifel kam es dem ägyptischen Künstler darauf an, besser gesagt: war es sein Auftrag, die individuellen physiognomischen Züge des Grabherrn abzubilden, um ihnen im Medium des Steins Dauer zu verleihen. Besonders eindeutig ist diese Absicht an den sog. "Ersatzköpfen" aus Gisa abzulesen 12 (Abb. lOa-b). die in der4. Dyn. die Funktion der Grabplastik wahrnehmen: denn hier trat keine Namensbeischrift hinzu, um die Identität, d.h. Unverwechselbarkeit des Dargestellten sicherzustellen. Das individuelle Aussehen und seine Umsetzung in Stein wurde als ausreichende Kennzeichnung betrachtet. In derTat sind alle diese Köpfe unverkennbar und unverwechselbar Bildnisse verschiedener Personen mit individuellen Zügen. Aber das gleiche gilt auch für die beschrifteten Sitzbilder des Rahotep und seiner Frau Nofret aus Medum aus der Zeit des Snofru 13 {Abb. 11), das Sitzbild des Cheops-Sohnes Hemiunu aus Giza 14 (Abb. 12), die Schreiberstatue des Prinzen Kai aus Saqqara 15 (Abb. 13), und alle übrigen Privatbildnisse dieser Zeit. Den Gipfel dieses Realismus stellt die Büste des Prinzen Anchhaf dar 16 (Abb. 15). Die naturalistische Präzision der Gesichtswiedergabe läßt sich wohl nur durch ein Werkverfahren erklären, das mit Gipsabformungen vom lebenden oder toten Gesicht arbeitet.17 Gipsmasken in Form überarbeiteter Totenmasken sind in Bestattun1° 11
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13 14
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•6
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Vgl. hierzu Smith (1949), 1~19 mit Tf. 2--4. Zum Problem des Realismus in der ägyptischen Kunst s. zuletzt Baines (1985), spez. 15-17. S. dazu Smith (1949), 2~27; Vandersleyen (1975}, 11-14. Vgl. z.B. Smith (1949}, 2lf. sowie jetzt Saleh, Sourouzian (1986} Nr. 27 (mit Bibliographie}. H. Junker, Giza I, 15~157; Smith (1949} 22f. Weitere Bibliographie: Porter und Moss (21981), 123. Bibliographie: Porter-Moss (21981 ), 458f. Das Werk ist unter dem Namen ,.Scribe du Louvre" bekannt. Porter-Moss (21981 ), 196. Für Buschor, in dessen evolutionistischem Konzept das Porträt ,.Zug um Zug durch Untergliederung des AJlgemeinbildes" entstanden ist, kann es einen Realismus niemals am Anfang, sondern immer nur am Ende einer vom Idealitätspot ausgehenden Entwicklung geben. Er erklärt daher den Realismus der Anchhaf-Büste als ,.zu fallsnahes Stadium des Werkvorgangs". Wie immer man den ,.anfänglichen Realismus" der ägyptischen Porträtkunst erklären will: Zufall ist hier gewiß nicht im Spiel.
VI. Das Bildnis in der Kunst
143
gen dieser Zeit mehrfach gefunden worden. 18 All das bezeugt ein lebhaftes Interesse an der individuellen Physiognomie sowie den Wunsch, sie im Medium haltbarer Materialien zu konservieren. Der Grund für dieses naturalistische Interesse ist nicht bekannt. Aus den Aufstellungsbedingungen, dem Verwendungskontext dieser Kunst, ergeben sich allerdings einige Hinweise. 19 Alle diese Masken, Ersatzköpfe und sogar
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Abb. 9 Saqqara; Grab desli (5. Dyn.)
18 19
Eine Liste solcher Funde gibt Smith ( 1949), 27-18. Vgl. hierzu die Monographie von Shoukry ( 1951 ). Zum Prinzip der unzugänglichen Aufstellung von Grabplastik im Alten Reich vgl. jedoch die wichtigen korrigierenden Bemerkungen von Junker ( 1955), 124-126.
144
Menschenbild und Lebensformen
Statuen waren nach der Beisetzung für kein menschliches Auge mehr sichtbar. Es konnte also nicht darum gehen, der Nachwelt die Erinnerung an das individuelle Aussehen des Verstorbenen möglichst präzise und detailliert zu überliefern. Daher sucht man den Grund eher in einer Vorstellungswelt, zu der auch die sich gleichzeitig perfektionierende Mumifizierungstechnik gehört, d.h. der Wunsch nach Erhaltung der Körperlichkeit und eine Personenvorstellung, zu der das körperliche Aussehen als integrativer unablösbarer Bestandteil hinzugehört. Man nimmt an, daß der "Ka", eine Seelenform des Verstorbenen, diese steinernen Ersatzformen als Körper akzeptieren und ihnen auf Dauer oder für den Verlauf eines Kultvollzugs einwohnen sollte 20 , und daß die physiognomische Ähnlichkeit für solche Einwohnung wichtig war. Eines jedenfalls ist klar: es kam dieser Kunstrichtung aufUnverwechselbarkeit an, und da die Nachwelt, das "Publikum" als Subjekt möglicher Verwechslungen ausscheidet, muß man nach anderen Erklärungen Ausschau halten. Da hat der Gedanke, daß dem Kader steinerne Ersatzkörper durch Ähnlichkeit akzeptabel gemacht werden sollte, eine unbestreitbare Plausibilität. Die typische Aufstellungsform der Grabplastik des Alten Reichs ist der "Serdab" 21 , eine allseitig abgeschlossene Kammer die nur durch Sehschlitzc mit dem Kultraum des Grabes kommuniziert (Abb. 9). Hier wurden die Statuen aufgestellt (Abb. 14), während die Ersatzköpfe, nach ihrer Fundlage zu schließen, in der bzw. in nächster Nähe zur Sargkammer aufgestellt waren und mit dem Kultvollzug nicht in Verbindung standen. Dieser "Serdab" tritt zuerst im Zusammenhang der Stufenpyramide des Djoser, also als eine königliche Form der Statuenaufstellung auf, um dann aber alsbald von den Privatgräbern übernommen zu werden und sich als die spezifisch nicht-königliche Form der Grabplastik durchzusetzen.
b) Das Königsporträt im Alten Reich Die Königsplastik der 4. Dyn. scheint etwas andere Wege zu gehen. Zwar finden sich auch hier sehr realistische Bildnisse, besonders von Mykerinos, dessen individuelle Eigenheiten- ein viel zu kleiner Kopf, stark unter dem Oberlid vortretende Augen, der Mund mit schmaler Ober- und schwerer Unterlippe sowie die sich nach unten verbreitende Kopfform - auf seiner Sostoner Statue geradezu schonungslos wiedergegeben sind 22 (Abb. 17). Aber gerade im Vergleich zu einem solchen krassen Realismus ist dann der wesentlich ge20
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Totentexte fordern den verstorbenen König auf: "Bekleide dich mit deinem Leib!" Damit ist doch offenbar gemeint, daß derTotengeist zum Entgegennehmen des Opfers der Statue einwohnen (vielleicht auch nicht etwa gestaltlos oder in beliebiger Gestalt erscheinen) möge. Vgl. Pyr. § 221c, 224d, 1300b/c. Vgl. Brovarski (1984). Reisner (1931), 108ff.; M. Seidel und D. Wildung, in:Vandersleyen (1975)Tf. 131bund S. 223f.
VI. Das Bildnis in der Kunst
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mildertere Realismus anderer Bildnisse des Mykerinos unverkennbar 23 (Abb. 18a-b). Aber hier handelt es sich wohl nicht nur um den rein negativen Vorgang einer Abschwächung. Wenn der Ausdruck der individuellen Züge abgeschwächt wird, dann geschieht das offenbar zugunsten der Steigerung des Ausdrucks von etwas anderem: der überindividuellen Eigenschaften von Würde, Hoheit, Göttlichkeit, die sich mit dem Königsamt verbinden. Die meisten Königsbilder desAlten Reichs, allen voran die berühmten Diorit-Sitzbilder des Chephren aus seinem Taltempel von Giza, strahlen eine Majestät aus, die der Privatplastik abgeht 24 (Abb. 19). Dabei spielt natürlich das kostbarere Material- Alabaster, Diorit, Granit, Schiefer- eine wichtige Rolle, das eine andere Oberflächenbehandlung zuläßt. Auch die Ikonographie, vor allem das Königs-Kopftuch, spricht mit und steigert den Eindruck des Gesichts. Entscheidend aber scheinen doch die stilistischen Mittel zu sein. Ich möchte sie charakterisieren als eine Abschwächung des zeittypischen Realismus zugunsten einer gesteigerten Ausdruckskraft, wobei das, was hier zum Ausdruck gebracht werden soll, auf Eigenschaften eher des Königsamtes als des individuellen Königs verweist. Die Steigerung von "Ausdruck" paßt nun aufs beste zu der gegenüber der Privatplastik vollkommen anderen Funktion und Aufstellungssituation dieser Königsplastik. Denn diese Statuen waren nicht in verschlossenen Statuenkammern "beigesetzt", sondern frei aufgestellt. 25 Hier handelt es sich nicht um "Ersatzkörper" für den Totengeist, sondern hier sollte durch die Schönheit und Kostbarkeit des Materials, den Glanz der polierten Oberfläche, den Reichtum der plastischen Durchgestaltung, die wohldurchdachte Symbolik der ikonischen Elemente das Auge des Betrachters angesprochen werden. Hier geht es ganz offensichtlich um mehr als bloße Unverwechselbarkeit, um bloße Konservierung einer individuellen Physiognomie. Dieses "Mehr", das mit der anderen Funktion und Aufstellungssituation zusammenhängt, findet seinen Ausdruck in einer stilistischen Tendenz, die sich von dem "anfänglichen Realismus" entfernt in eine Richtung, für die sich der Begriff der "Idealität" nahelegt. Denn hier geht es ja offenbar um die Idealvorstellung des Gottkönigtums, die in den Königsbildern sichtbaren Ausdruck finden soll.
23 24
25
Vgl. Reisner (1931 ), Kapitel VIII. Vgl. jetzt Saleh-Sourouzian (1986) Nr. 31 (mit Bibliographie). Von der Aufstellung im Pfeilerhof des Taltempels, von wo die Statuen des Chephren stammen, ist man später mehr und mehr abgegangen zugunsten der Aufstellung in Statuenkapellen s. WildungiSeidel, a.a.O. (n.22), 224. ·
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Menschenbild und Lebensformen
c) Generalität der vollkommenen Serienfabrikation: die private Porträtplastik der 5. und 6. Dyn. Im Laufe der 5. Dyn. setzt in der nichtköniglichen Bildniskunst eine Bewegung in der Gegenrichtung ein. An die Stelle der realistischen Gesichtswiedergabe im Dienste individueller physiognomischer Unverkennbarkeil tritt eine zwar lebendige und organische, aber sehr typisierte Darstellungsweise, in der sich nun alle Grabherren zum Verwechseln ähnlich sehen. Für dieses Phänomen bieten sich zwei Erklärungen an. Die eine, übliche, läßt sich mit dem Stichwort "Idealität" kennzeichnen. Die Bildnisse unterdrücken die individuellen Besonderheiten im Hinblick auf ein allgemeines SchönheitsideaL Der einzelne soll möglichst unbeeinträchtigt von Alter, Krankheit und sonstigen individualisierenden Faktoren in altersloser Vollkommenheit dargestellt werden. 26 Die andere Erklärung, der ich den Vorzug geben möchte, wäre mit dem Stichwort "Generalität" zu kennzeichnen. Generalität bezieht sich nicht auf ein "Ideal", sondern auf ein allgemeines Menschenbild. Zwischen beidem gilt es sorgfältig zu unterscheiden. Ein allgemeines Menschenbild ist sozusagen der gemeinsame Nenner, wenn nicht aller Menschen, so doch der ägyptischen Oberschicht. Ein Ideal dagegen impliziert Vorstellungen von Vollkommenheit, die einen gewissermaßen utopischen Charakter haben. Sie sind immer nur annäherungsweise, und auch das nur von wenigen, erreichbar.27 Das Problem stellt sich übrigens ebenso auf der textlichen Ebene, und scheint mir hier ebenso schwer entscheidbar. Ist das ,.Tun der Maat", in dem die "Idealbiographien" konvergieren, ein Ideal? Oder ist dies die allerallgc26
27
Bis in jüngste Zeit war eine Theorie sehr einflußreich, dcrzufolge sich manche Grabherren der 5. Dyn. zwei Statuen, eine im realistischen, eine im .. idealistischen" alterslosen bzw. besser altersabstrakten Stil aufgestellt hätten. Ausgangspunkt dieser Deutung war die Annahme. im Grabe eines Kaaper sei außer der unter dem Namen .. Dorfschulze" bekannten Holzstatue von äußerst realistischer Lebendigkeit noch eine weitere gefunden worden, die mit der ersten keinerlei Ähnlichkeit aufweist und einen Mann in altersloser Vitalität darstellt (z.B. Wildung!Seidel, a.a.O. n.22- 226). Man hat dann auch die beiden Statuen des Ranofer (Wildung!SeideiTf. 133 a+b) in diesem Sinne deuten wollen, die Statue ohne Perücke als .. realistisch". die Statue mit Perücke als .. idealisierend". Die Gesicher beider Statuen sind jedoch. woraufWildung!Seidel mit Recht hinweisen, identisch. Inzwischen hat sich auch die Ansicht über die Fundumstände der .. idealisierenden Kaaperstatue" als grundlos herausgestellt. Sie könnte ebensogut aus einem ganz anderen Grab stammen und jemand anderen darstellen (vgl. Saleh/Sourouzian, a.a.O.- n.l3- Nr. 42). Wir müssen uns daher von dem Gedanken trennen, es habe in der Grabplastik ein Nebeneinander von .. Individual-" und •.Ideal-Porträt" bestanden in Entsprechung zu den beiden Gattungen biographischer Inschriften, der Laufbahn- und der ldealbiographie. Der hier mit den Begriffen .. Generalität" und ,.Idealität" bezeichnete Unterschied entspricht genau der bekannten Kantischen Unterscheidung von "Normalidee" und .. Vernunftidee". vgl. z.B. Gadamer (1960) 44f. Die Darstellung der Normalidee gefällt, nach Gadamers Worten, "nicht durch Schönheit, sondern bloß, ,weil sie keiner Bedingung, unter welcher allein ein Ding dieser Gattung schön sein kann, widerspricht' (Kant). Sie ist nicht das Urbild der Schönheit, sondern bloß der Richtigkeit".
VI. Das Bildnis in der Kunst
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meinste Forderung, die an jeden Menschen unabhängig von seinen je persönlichen Möglichkeiten gestellt werden kann? 28 Was die Bilder angeht, möchte ich für die allgemeine Formel plädieren, die ein generelles Menschenbild formuliert. Hier handelt es sich meiner Ansicht nach um nicht viel anderes als um eine dreidimensionale Hieroglyphe der Bedeutung "Mensch", die nur nach Geschlecht differenziert ist. Für die Herstellung des individuellen Bezugs und die Gewährleistung von Unverwechselbarkeit genügt die Namensbeischrift (Abb. 20). Nach verbreiteter Ansicht steht die hieroglyphische Formel in Ägypten am Anfang der Entwicklung; in sie seien dann immer differenziertere individuelle Züge eingetragen worden. 29 Ich möchte das Bild der Entwicklung umkehren: am Anfang steht ein die individuellen Einzelzüge erfassender Realismus; die .,allgemeine Formel" mußte erst gefunden werden. Nachdem sie jedoch gefunden wurde (wobei das Königsbild der 5. Dyn. offenbar starke Impulse gegeben hat), wurde sie sozusagen .,in Serie gegeben". Eine geradezu explosionsartige Vermehrung der Produktion ist die Folge. Die Grabplastik, vorher das Vorrecht weniger Höchstgestellter durchweg prinzlichen Ranges, wird nun auch weiteren Kreisen der Beamtenschaft zugänglich. Der Verlust an "Porträthaftigkeit", der die ägyptische Bildniskunst der späteren 5. und 6. Dyn. kennzeichnet, die Abschwächung des Realismus in der Wiedergabe individueller physiognomischer Merkmale zugunsten einer Uniformierung der Gesichtszüge und des Ausdrucks (Abb. 21 ), ist meiner Ansicht nach weniger auf ein Schönheitsideal, als auf die Routinisierung und Rationalisierung, also gewissermaßen ,,Industrialisierung" des Herstellungsverfahrens zurückzuführen. Dem sprunghaft anwachsenden Bedarf an Grabplastik konnten die königlichen Werkstätten nur noch durch eine Art Serienfabrikation nachkommen. 30 Diese Erklärung mag manchem allzu materialistisch erscheinen. Zu ihren Gunsten spricht aber, daß auch in den späteren Epochen der ägyptischen Kunst die großen Meisterwerke immer eher "realistisch" sind, während die schwächeren Werke oder Kunstepochen mehr ein allgemeines "Zeitgesicht" aufweisen. Generalität ist in Ägypten ein negatives Qualitätsmerkmai.31 Allerdings steht und fällt diese Deutung mit einer klaren Unterscheidung von Generalität und Idealität. Beiden gemeinsam ist die Abschwächung rea28
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Das Prinzip Maat wird in Wendungen erläutert wie .. Den Hungrigen speisen, den Durstigen tränken, den Nackten kleiden, den Schifflosen übersetzen, den Grablosen begraben, sich der Witwen und Waisen annehmen". Wer solches von sich behauptet, bekennt sich damit, nach ägyptischer Auffassung, zu einem normgemäßen Verhalten und nicht etwa zu einem utopischen Ideal selbstaufopfernder Wohltätigkeit. Vgl. z.B. Buschor (1960). Auch Wildung ( 1982), 8-10, spricht von "Kunst vom Aießband" und ,.in Serie hergestellten" Bildern. Vgl. hierzu besonders D. Wildung. a.a.O. (n.30). llf.
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Menschenbild und Lebensformen
listischer Ähnlichkeit. Im Falle der Idealität geschieht dies mit Rücksicht auf bestimmte überindividuelle Ausdruckswerte wie z.B. die göttliche Würde des Königsamtes, oder ein bestimmtes SchönheitsideaL Im Falle der Generalität geschieht dies im Hinblick auf die Routinisierung und Standardisierung des Herstellungsverfahrens. Damit wird ein gewisses Qualitätsniveau bei gleichzeitiger Steigerung der Produktion und Vermehrung der Werkstätten, auch in der Provinz, sichergestellt. Generalität erfordert ein hohes Abstraktionsvermögen. Dies war den Ägyptern jedoch schon von ihrem Schriftsystem her anerzogen. Die Hieroglyphenschrift basiert auf dem Prinzip generalisierter Ikonizität. Sie stellt niemals Individuen, sondern immer Klassenbegriffe dar, also z.B. nicht einen bestimmten Mann, sondern den "Mann an sich", diesen aber mit einer Bildhaftigkeit und Detailliertheit, die sich gegebenenfalls in nichts von einem echten Bild unterscheidet. Schriftzeichen und Bilder unterliegen denselben Herstellungsregeln. 32 Daher ist die Hieroglyphenschrift eine Schule der (generalisierenden) Abstraktion.
3. Idealporträt und Schönheitssinn in der 18. Dynastie 33 Wenn es eine Tradition innerhalb der ägyptischen Bildniskunst gibt, der man den Charakter der Idealität- und zwar im Hinblick auf Schönheit- zuerkennen möchte, dann ist es die Bildniskunst der späteren 18. Dynastie (ca. 14~ 1300 v. Chr.). Am eindeutigsten tritt diese Tendenz zur Idealisierung in der Flachkunst der Vor- und Nachamarnazeit zutage. Hier werden die individuellen Züge des Dargestellten ganz eindeutig nicht einem generellen, "hieroglyphisch" formulierten Menschenbild, sondern einem Schönheitsideal untergeordnet. Die Gesichtszüge verlieren das Nüchterne und Trockene einer entweder generalisierten oder realistischen Wiedergabe und werden weich. schwellend, lieblich, zart und jugendlich. Die schräggestellten mandelförmigen Augen, die kleinen Nasen und vollen Lippen geben diesen Gesichtern einen zweifellos beabsichtigten Ausdruck höchster Anmut und sinnlicher Lebendigkeit (Abb. 22). Die Amarnakunst mutet zwar in ihrer ersten Phase mit dem geradezu ins Groteske und Karikaturhafte verzerrten Königsbild wie eine Revolte gegen den überfeinerten Schönheitskult der vorhergehenden Flachkunst an (Abb. 23). In der zweiten Phase ist es dann aber die Rundplastik, die vor allem in den Porträts der Königin Nofretete und ihre Töchter das Bildnis am eindeutigsten auf ein Schönheitsideal hin idealisiert und innerhalb der ägyptischen Kunst den Gipfelpunkt dieser Tendenz darstellt. Die in der Werkstatt des Bildhauers Thutmose in Amarna gefundenen mehr oder weniger stark überarbeiteten Gipsmasken zeigen aber, daß man 32 33
Vgl. Vernus (1985), 45-69. Auf diese Bildtradition gehe ich näher ein in Assmann (1988d).
VI. Das Bildnis in der Kunst
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auch hier nicht von der allgemeinen hieroglyphischen Formulierung des menschlichen Gesichts ausging, sondern von den konkreten individuellen Zügen, die dann im Hinblick auf das Schönheitsideal der Zeit stilisiert wurden. 34 Das Erstaunliche an diesem Schönheitsideal ist freilich gerade seine Zeitlosigkeit. Das zeigt sich nicht nur an der ungeheuren, weltweiten Resonanz, die besonders die Berliner Porträtbüste der Nofretete aus bemaltem Kalkstein gefunden hat, sondern auch an dem Symbolwert, der diesem Kopf in der Sprache der Werbung zugekommen ist. Er steht hier genau für das Ideal weiblicher Schönheit und die Verheißungen seiner Erreichbarkeil durch die Künste der Kosmetik und der HauteCoiffure. Hier tritt in der Rezeptionsgeschichte etwas zutage, was in der ägyptischen Kultur angelegt ist, in der späten 18. Dynastie kulminiert und im Berliner Porträtkopf der Nofretete seinen symbolischen Ausdruck findet (Abb. 24a und b). Was ich meine, ist die bedeutende Rolle. die in der altägyptischen Kultur Kosmetik und Körperpflege gespielt haben. In der Verfremdung oder Stilisierung des natürlichen Aussehens durch Farb- und Duftstoffe, Epilition, Rasur und Perücken ist wohl- wenn man einmal von gewissen "Naturvölkern" absieht, bei denen solche Stilisierung aber eine ganz andere Funktion und Bedeutung hat35 - keine Kultur so weit gegangen wie die ägyptische. Der Hinweis auf Kosmetik mag im Zusammenhang der Frage nach Idealität in der Bildniskunst befremden. Aber die Abschwächung der individuellen Züge, die Stilisierung des natürlichen Aussehens, setzt eben nicht erst in der Kunst, sondern bereits im Leben an. 36 Wir müssen damit rechnen, daß der vornehme Ägypter sich der Nachwelt nicht anders präsentieren wollte als der Mitwelt, und daß die Vorstellungen von Vornehmheit, Würde und Schönheit, die seine täglichen Bemühungen um Aussehen und Auftreten im Leben leiteten, auch bei der Herstellung seiner Grabplastik maßgeblich waren. Im Leben geht die Unterdrückung von Individualität (in Form natürlichen Haarwuchses, Hautfarbe, individueller Kleidung) einher mit der Betonung personaler Amts-, Standes- und Rollenidentität. Es gibt Ämter, mit denen sich eine besondere Tracht und Perücke verbinden, die also eine "Amtsgestalt" produzieren, in der sich der Träger eines solchen Amtes darstellen lassen kann. 37 Darüber hinaus gibt es auf einer allgemeineren Ebene der Stilisierung 14 1~
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S. hierzu bes. Schäfer (1931). Allgemein zur Amarna-Kunst s. Wenig (1973). Man muß natürlich unterscheiden zwischen Kosmetik und Körperpflege einerseits, und Körpersymbolik (in Form von Tätowierung, Bemalung, Deformationen, Schmuck und Tracht) andererseits, die, dem Ethnologen E.W. Mühlmann zufolge, vornehmlich abgrenzende, d.h. Stammesoder andere Zugehörigkeilen markierende Funktion hat. Mühlmann spricht in diesem Zusammenhang von einer .,limitischen Struktur", s. (1985), 1S-22. Zur Bedeutung kosmetischer, mimischer und gestischer Selbstinszenierung für die Frage nach der Sichtbarmachung von Identität im Leben und in der Kunst s. Gombrich (19n), 10-60. Amtstrachten verbinden sich mit den Ämtern des Wesirs (seit dem Mittleren Reich), des Vorlesepriesters (griechisch nach diesem Trachtelement ,.Stolist" genannt) und des Sem-Priesters (im PantherfeU), vgl. Staehelin (1973), 230f.
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Menschenbild und Lebensformen
die "Standesgestalt" des gepflegten Beamten in leuchtend weißen Kleidern, dessen Erscheinung sich strahlend abhebt von dem ruppigen Aussehen der Unterschichten, deren Vertreter in den Wandbildern aller Epochen durch Abweichungen nicht nur von dem Schönheitsideal, sondern bereits von dem hieroglyphischen Menschenbild gekennzeichnet werden: z.B. Stoppelbärte, Stimglatzen, Schmerbäuche. Schon die Ausbildung eines normalen, merkmallos-allgemeinen ägyptischen (und das heißt nach ägyptischen Begriffen zugleich: menschlichen) Aussehens ist nur mit den Mitteln der Kosmetik und daher nur der Oberschicht erreichbar. Ein Schönheitsideal in diesem ganz allgemeinen Sinne ist daher zu allen Epochen der pharaonischen Geschichte Ägyptens maßgeblich. Die späte 18. Dyn. geht aber darüber noch einige entscheidende Schritte hinaus. Jetzt geht es nicht nur um Schönheit im Sinne sozialer Sichtbarkeit, im Gegensatz zur Unscheinbarkeit der Unterschichten, sondern um Schönheit im Sinne der Augenweide und der körperlichen Attraktivität (Abb. 25a und b). Dieser sinnlich verfeinerte Schönheitssinn gibt sich in dem gesamten ästhetisch hochgezüchteten Lebensstil der Epoche, in der Kleidung, dem Mobiliar, dem Kunstgewerbe zu erkennen, dieser Atmosphäre von "luxe. calme et volupte", die den Geist der späten 18. Dyn. ausmacht.
4. Expressiver Realismus: die Bildniskunst des Mittleren Reichs In der Geschichte der ägyptischen Kunst hebt sich das Mittlere Reich als eine Epoche von eigenständigem Gepräge heraus, die ihren Höhepunkt in der späten 12. Dyn., zur Zeit der Könige Sesostris 111. und Amenemhet I li. (ca. 1880-1790 v. Chr.) erlebt. Was hier auf der Ebene der Bildniskunst geschieht, ist von den bisher behandelten Prinzipien des Realismus, der Generalisierung und der Idealisierung gleichweit entfernt. Diese Epoche ist zu Recht als Gipfel der ägyptischen Bildniskunst überhaupt eingeschätzt worden, und zwar nicht erst von der modernen Ägyptologie, sondern bereits von den Ägyptern selbst. Denn es ist genau diese Tradition, an die die ägyptische Bildniskunst nach ihrem Niedergang in der Ramessidenzeit und ihrem völligen Verlöschen in der 21. Dyn. anknüpft, und die neue Blüte der Porträtkunst in der 25.-27. Dynastie ist in kunstgeschichtlicher Hinsicht eine Renaissance des späten Mittleren Reichs. 373 37•
Zur Bildniskunst der ägyptischen Spätzeit s. Bothmer ( 1960) und Kaiser ( 1966). Leider verbietet es sich aus Platzgründen, hier auf diese höchst bedeutende Tradition der ägyptischen Bildnis· kunst einzugehen, in der sich die vier beschriebenen Stilrichtungen (Realismus, Generalität, Idealität und Expressivität) mit verschiedenen Formen des Rückgriffs (Usurpation, Kopie, allgemeine stilistische Nachahmung, eklektizistischer Archaismus) verbinden.
VI. Das Bildnis in der Kunst
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Berühmt sind vor allem die Bildnisse der Könige Sesostris III (Abb. 26a und b) und Amenemhet II I. 38 Innerhalb der üblichen Dichotomie von Realismus und Idealität rechnet man sie der realistischen Tendenz zu. "Niemals, so scheint es, hat ein ägyptischer Bildhauer die Augen und den Blick eines Menschen mit soviel Wahrheit und Natürlichkeit wiedergegeben" (Vandier). 39 Diese Bildnisse beziehen sich nicht nur vollkommen zweifelsfrei und unverkennbar auf konkrete Gesichter mit ihren individuellen Zügen, sondern auch auf ganz bestimmte Altersstufen. Die Bildnisse geben das königliche Antlitz in den jeweils zeitgenössischen Stadien seines Alterungsprozesses wieder. Nicht nur der Blick, auch der Knochenbau und die Gesichtsmuskulatur (besonders der Mundpartie) sind in einer in der ägyptischen Kunst einzigartigen Genauigkeit erfaßt. Darüber hinaus aber- auch das ist immer wieder hervorgehoben wordenhaben diese Gesichter einen unverkennbaren, sprechenden Ausdruck. Daher geht bei ihrer Analyse die Sprache vom Vokabular der Mimesis- Porträtähnlichkeit, Exaktheit und Detailliertheil der Wiedergabe, ,.verite" und ,.naturel"- in das Vokabular der Expression über, wo es nicht darum geht, Sichtbares abzubilden sondern Unsichtbares sichtbar zu machen. Diese Porträts "expriment", wie denn auch Vandier, der entschiedenste Vertreter der Realismusthese, hinzusetzt, "avec une verite extraordinaire, Ia vie interieure" .40 Allerdings ist dieses "innere Leben", das in den Königsbildnissen zum Ausdruck kommt, äußerst vielfältig. Man sieht sich einer ganzen Ausdruckssprache, einer großen Mannigfaltigkeit physiognomischer Ausdrucksformen gegenüber, deren Skala von "kraftvoller Entschlossenheit" und "männlichem Tatendrang" 41 bis zu ,.Resignation" und "Melancholie"42 reicht. Das ist, wie gesagt, kein Spektrum möglicher Deutungen- davon ist bisher noch gar nicht die Rede - sondern soll im Rahmen der konventionellen Deutung das Ausdrucksspektrum der Porträts selbst charakterisieren. Natürlich spielt bei dieser Differenzierung des Ausdrucks auch die altersmäßige Differenzierung der Königsporträts eine wichtige Rolle. Mit steigendem Alter verstärkt sich jener Ausdruck, den man gewöhnlich mit den Begriffen der Resignation, der Bitterkeit und der Melancholie kennzeichnet (Abb. 27a und b). 43 38
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Vgl. bes. Evers, Staat aus dem Stein (1929), 76-113; Lange (1954); Aldred (1956); Wildung (1984). Vandier (1958), 184-195. Zitat: S. 184. Vandier, a.a.O. 186. Vor allem mit Bezug auf die Kamak-Kolosse: Vandier, a.a.O. 187 ("force et puissance", "les portraits ... les plus brutaux"). Vor allem mit Bezug auf die Porträts aus Medamud (Vandier, a.a.O., 185; ,.mepris dedaigneux", "lassitude"). Nur D. Wildung macht hier eine Ausnahme. Er wendet sich energisch gegen ,.die angebliche Tragik und Melancholie dieser Herrscher, wie sie immer wieder von den Statuen abgelesen wurden" und sieht in allen Statuen nichts als ,.machtpolitische Entschlossenheit und ungetrübtes Selbstbewußtsein" (S. 203), verallgemeinert also das, was man bisher vor allem in den Kamak-Köpfen
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Menschenbild und Lebensformen
Man hat immer wieder versucht, diese physiognomischen Botschaften zu entschlüsseln. Dabei hat man mehr oder weniger intuitiv auf so etwas wie zeitlose Universalien der menschlichen Ausdruckssprache zurückgegriffen. Denn biographische Inschriften, die wie im Falle der Privatbildnisse ein komplementäres Medium monumentaler Selbstthematisierung dargestellt hätten, gibt es eigentümlicherweise auf königlicher Ebene nicht. 44 In ihren Inschriften werden die ägyptischen Könige sehr viel weniger als Personen geschweige denn als Individuen- greifbar als die hohen Beamten. 45 Es gibt aber ein Literaturwerk, das man immer wieder herangezogen hat, um den resignierten oder melancholischen Gesichtsausdruck der Altersbildnisse vor allem Sesostris'III. zu erklären: die "Lehre König Amenemhets I. " 46 Sie gibt sich als die väterliche Unterweisung des verstorbenen Königs, die dieser seinem Sohn und Thronfolger aus dem Jenseits zuteil werden läßt, ist aber nach ägyptischer Überlieferung von einem Dichter namens Cheti verfaßt. Dieser Cheti galt auch als Autor einer "Berufssatire" und eines "Nilhymnus" _47 Alle drei Texte standen in Ägypten in höchsten Ehren, wurden als "Klassiker" im Schulunterricht einer 500 Jahre späteren Epoche verwendet und sind in zahlreichen, meist unglaublich verballhornten Abschriften auf uns gekommen. 48 Die "Lehre König Amenemhets I." ist also nicht irgendein Text. Es handelt sich um ein Literaturwerk, das jeder Gebildete kannte und von dem eine gewisse prägende Kraft ausgehen konnte. In diesem Text äußert sich nun der verewigte König (nach Andeutungen des Textes ist er einer Haremsverschwörung zum Opfer gefallen) in schonungsloser und desillusionierter Weise über die Schlechtigkeit der Menschen, über die Vergeblichkeit von Vertrauen und Wohltat: Vertraue keinem Bruder, kenne keinen Freund, schaffe dir keine Vertrauten, denn das führt zu nichts. Wenn du schläfst, hüte dir selbst dein Herz, denn ein Mann hat keine Anhänger am Tage des Unglücks.
erkennen wollte, auf die gesamte Porträtplastik Sesostris'III. Er beruft sich dabei auf Hymnen, die diesen Herrscher im Glanz und Schrecken seiner Göttlichkeit preisen. Aber diese Hymnen sind nun gewiß alles andere als realistische literarische Porträts Sesostris'III. Es sind Kultlieder. die sich auf die institutionelle Rolle des Königs beziehen, ebensogut auch auf jeden anderen König gesungen werden könnten und sich zufällig in einer Redaktion auf Sesostris 111. erhalten haben. Sie verfolgen daher ein Anliegen, das dem der Porträts in ihrem individualisierenden Realismus genau entgegengesetzt ist. 44 Die Hymnen, auf die Wildung (1984) und vor ihm schon H.G. Evers verweisen (1929, § 800) haben keinerlei biographischen Bezug. •s Vgl. hierzu Assmann, (1987c). 46 S. zuletzt Blumenthai (1984) 85-107 und (1985), 104-115; Brunner (1988a), 169-1TI. 47 Zu diesem berühmtesten Dichter Altägyptens Posener (1980) 55-59. 48 Vgl. hierzu Kap. XII.
VI. Das Bildnis in der Kunst
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Ich gab dem Armen, ich zog die Waise groß, ich ließ den etwas erreichen, der nichts hatte, wie den, der etwas hatte. Der meine Speise gegessen hatte, machte Aufruhr, Der, dem ich meine Arme gereicht hatte, schmiedete Ränke dabei. Die sich in mein feines Leinen gekleidet hatten, sahen mich wie Gras an. Die sich mit meinen Myrrhen gesalbt hatten, schlugen Wasser ab. 49
In derTat kann man sich zu der Bitterkeit, die aus diesen Sätzen spricht, keine bessere Illustration wünschen als die Altersbildnisse Sesostris'III. Nach Wilson betont die Lehre "die Einsamkeit und schwere Bürde des Königsamtes, sowie die Notwendigkeit unablässiger Wachsamkeit. Diese selbe schlaflose Wachsamkeit erscheint auf den Gesichtern der Bildnisstatuen dieser Könige. " 50 Lange spricht von "abgründiger Einsamkeit"' "lllusionslosigkeit"' "Enttäuschung und Überdruß". 51 Aldred nennt den König "somewhat disillusioned". 52 Wolf verspürt im "Heroismus" der "auf sich selbst gestellten Einzelpersönlichkeit" gar "einen Hauch protestantischen Wesens". 53 Jedenfalls verrät sich in fast jeder ägyptologischen Beschreibung und Deutung der Altersbildnisse Sesostris 111. implizit oder explizit der Bezug zur Lehre Amenemhets I. 54 und der Verdacht liegt nahe, daß der König selbst bereits den Bezug zu diesem zweifellos schon damals berühmten Text hergestellt hat. Das würde bedeuten, daß sich der greise König nicht nur mit den Merkmalen seines Alters und seines individuellen Aussehens, sondern darüber hinaus als Träger einer Weisheit darstellen lassen wollte, wie sie in der Lehre Amenemhets I. gültig und vorbildlich niedergelegt ist. Ich halte diesen Bezug für legitim, würde ihn nur ausweiten wollen: einerseits vom Königsbildnisse auf sämtliche, auch die Privatporträts dieser und der folgenden Zeit, andererseits von der Lehre Amenemhets I. auf die gesamte sog. "pessimistische" Literatur der Zeit. Die Lehre Amenemhets I. gehört zu einer breiten Strömung, von der uns noch eine gute Reihe höchst eindrucksvoller Werke erhalten sind wie die "Lehre für Merikare", die "Klagen des Oasenbewohners", "das Gespräch eines Mannes mit seinem Ba", die "Mahnworte des Ipuwer", die "Prophezeiungen des Neferti", die "Klagen des Chacheperreseneb" und das "Lied des Harfners im Grab des Antef". 55 Einige dieser Werke galten den Ägyptern späterer Jahrhunderte als der Inbegriff von Dichtung und Weisheit. Das Gefühl der Vereinsamung, die Un49
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Blumenthai (1984), 94. Wilson (1951 ) , 132. Lange (1954), 8f. Aldred (1956), 47 Wolf (1957), S. 328. Vgl. z.B. auch Vandiers Beschreibung der Medamud-Porträts: "on sent que Je roi, energique et lointain, eprouve, apres un long exercice du pouvoir, devant l'ingratitude des hommes, plus de m~pris d~daigneux que de d~couragement, mais on devine aussi une certaine lassitude, due fi I' age plutöt que au caractere" (a.a.O., 185). AlleTexte sind ausgezeichnet übersetzt in Lichtheim (11973).
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Menschenbild und Lebensformen
möglichkeit von Freundschaft und Vertrauen, die Wandelbarkeit des menschlichen Herzens und der menschlichen Welt, die Bedrohung durch Gewalt und Willkür, die Brüchigkeit der Kultur gegenüber der wölfischen Natur des Menschen - das sind ganz einfach die großen Themen der Zeit 56 , die die Lehre Amenemhets I. lediglich auf ihre Weise zur Geltung bringt, aber keine spezifisch königliche Sicht der Dinge. DieseTexte versuchen einen neuen Begriff von Weisheit zu formulieren und zu füllen, im Sinne eines Wissens, das sich nicht nur auf die positive kosmo-sozio-politische Ordnung der Dinge bezieht, sondern darüber hinaus um ihre grundsätzliche Gefährdetheil weiß; eines Wissens, das seine eigene Begrenztheit sowie die grundsätzliche Offenheit der letzten Fragen in den Blick bekommen hat. 57 Die Frage, die sich uns stellt, ist, ob sich nicht nur die Könige, sondern auch die hohen Beamten als Träger solcher Weisheit haben darstellen lassen wollen. Die Privatplastik der späten 12. Dynastie ist gekennzeichnet durch eine eigentümliche Doppelreferenz oder Ambiguität: in den Gesichtszügen dieser Statuen ist nicht nur der dargestellte Beamte, sondern offensichtlich auch König Sesostris 111. gegenwärtig (Abb. 28a und b). Die Züge, die die besten dieser Werke mit der Königsplastik gemein haben, sind etwa die weiche, realistische Modeliierung des über den tiefliegenden Augen deutlich heraustretenden Jochbeins, die plastische, stark gewölbte Behandlung der Augäpfel, die Richtung des Blicks durch Senkung der Oberlider, Tränensäcke und Wangenknochen und vor allem die Angabe der Mundmuskulatur, die dem geschlossenen Mund jenen charakteristischen Ausdruck von Ernst, Bitterkeit und Entschlossenheit verleiht. Man hat hinsichtlich solcher Anleihen bei der Königsplastik treffend von einer "geborgten Persönlichkeit" gesprochen. sx In derTat scheinen diese Bezugnahmen auf das Königsbildnis sehr viel weiter zu gehen als jene Gemeinsamkeiten zwischen königlicher Physiognomie und dem "Zeitgesicht" der jeweils kontemporären Beamtenbildnisse, wie man sie etwa in der 5.-{). und dann vor allem in der 18. und 19.-20. Dynastie beobachten kann. Die eigentümlich kindliche, konkav geschwungene Nasenform Amenophis'III. wird von allen seinen Beamten ebenso nachgeahmt, wie die konvex gebogene Adlernase Sethos'I. und Ramses'II. von den ihren. Die Bezugnahme der Privatplastik des späten Mittleren Reichs auf das Königsbildnis gehen weiter, weil sie sich auf jene Gesichtspartien konzentrieren, die man zu recht als Ausdrucksträger eines "inneren Lebens" gedeutet hat: Augen und Mund. Von Nasenformen wird man entsprechendes nicht behaupten wollen. Hier geht es offenbar nicht um äußere physiognomische Ähnlichkeit mit dem König, sondern um eine Art innere WesensähnlichkeiL 56 51
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Vgl. hierzu Junge (19n). Zur Geistesgeschichte des Mittleren Reichs und der sie kennzeichnenden .,Auseinandersetzungsliteratur" vgl. bes. Fecht (1972), sowie meinen Beitrag zu S.N. Eisenstadt (1991). F. Junge, (1985a), 122.
VI. Das Bildnis in der Kunst
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Die Bildnisse der Beamten bekennen sich zu derselben Weisheit und Weltsicht, wie sie in den Altersbildnissen Sesostris'III. ihren explizitesten, gültigsten und daher modellhaften Ausdruck gefunden hat. Die Altersbildnisse dieses Königs spielen in der Kunst dieselbe Rolle, wie die Lehre Amenemhets I. in der Literatur: sie wirken als Ausgangspunkt einer Reihe sich an ihnen orientierender Werke. Diese Werke zitieren also nicht die Person Sesostris'III., sondern die allgemeinen Persönlichkeitswerte, die in seinen Bildnissen für alle und für alle Zeit gültig formuliert werden {Abb. 29a-b). Auf den ersten Blick scheint sich dieses Verfahren am ehesten mit dem Begriff der Idealisierung kennzeichnen zu lassen. Die individuellen Züge der Dargestellten werden stilisiert im Hinblick, nicht auf ein Schönheitsideal, aber auf ein "Persönlichkeitsideal", das sich durch Werte und Eigenschaften auszeichnet wie etwa Weisheit, Verantwortungsbewußtsein, Selbstkontrolle und Zurückhaltung, und für das sich im Gefolge und nach dem Vorbild der Altersbildnisse Sesostris'III. eine künstlerische Ausdruckssprache entwickelt hat. Der Begriff der Idealisierung geht aber vollkommen vorbei an den künstlerischen Intentionen, die an den Bildwerken selbst eindeutig ab lesbar sind und die allesamt klar in die Richtung realistischer Individualisierung weisen. Hier wird die Sprache des Realismus gesprochen. Nicht das alterslose, durch Schminkstriche vereinheitlichte Antlitz wird dargestellt, sondern die natürlichen Formen eines gealterten Gesichts. Die Stilisierung der natürlichen individuellen Formen hat nichts mit jener Schönung zu tun, wie sie auch im Leben der Ägypter mit den vielfältigen Mitteln der Kosmetik angestrebt wird. Sie bezieht sich vielmehr auf den Gesichtsausdruck, genauer: den inneren Menschen, die Persönlichkeit, die in ihm zum Ausdruck kommen soll. Für diese Richtung der ägyptischen Bildniskunst möchte ich den Begriff "expressive Identität" vorschlagen. Der Begriff der Expression legt sich nahe durch die offensichtliche Bezugnahme auf Innerliches, Unsichtbares wie Persönlichkeitswefte und Charaktereigenschaften. Der Begriff der Identität bezieht sich auf das Persönlichkeitsideal, mit dem der so Dargestellte sich "identifiziert". Identität ist nicht notwendigerweise gleichzusetzen mit Individualität im radikalen Sinne der Einzigartigkeit, Unverwechselbarkeit, Unersetzbarkeit, Eigenheit. Identität ist ein Selbstbild, das sich durch Identifikation und Interaktion mit anderen im Rahmen eines kulturellen Sinnhorizonts gemeinsamen Handeins und Erlebens aufbaut. 59 Identität ist immer sozial vermittelt und kulturell geprägt. Die vereinheitlichende Prägekraft der Kultur kann verschieden stark sein. Im Mittleren Reich war sie, nach allem was wir den literarischen und inschriftlichen Quellen entnehmen können, sehr stark. Eine solche innere Prägung ist keine Sache des äußeren Lebens-
59
Ich folge hier besonders Luckmann (1983). (1980), (1979).
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Menschenbild und Lebensformen
stils (zu dem in Ägypten, wie oben betont, die Kosmetik sehr zentral dazugehört), sondern der Ethik. Das Mittlere Reich ist die Blütezeit der ägyptischen Ethik. Brennpunkte der moralischen Reflexion sind einerseits der Hof mit seinen Konzeptionen loyalistischer Königsgefolgschaft und zivilisierter Lebensregeln, und andererseits die Osirisreligion mit ihrer Konzeption des Totengerichts als eines Tribunals, vor dem sich jeder Verstorbene für die Moralkonformität seiner Lebensführung verantworten muß. Die biographischen Grabinschriften verlieren im Mittleren Reich sehr weitgehend den narrativen Charakter eines Berichts von Handlungen, Taten, Leistungen zugunsten einer zeitabstrakten Wesensbeschreibung, die sich an den in der zeitgenössischen Ethik entfalteten Persönlichkeitswerten orientiert. Thema der Biographien sind jetzt der "Charakter" (qd, bj3), die "Tugend" (nfrw), das "Herz", kurz: der innere Mensch in seinen Thgenden, Charakterzügen, Eigenschaften und Kompetenzen.60 OberstelUgenden sind Weisheit und "Zucht" (im Sinne von sobrietas), also Klugheit, Weitsicht, Wissen, Zuverlässigkeit, Geduld, Gelassenheit. Verschwiegenheit, Zurückhaltung, Selbstkontrolle, Bescheidenheit, Unterordnung, Freundlichkeit, Festigkeit. Das Ideal der Zeit ist der "Schweiger". der sich einfügt, "seinen Platz kennt", "sein Herz (d.h. seinen Eigensinn) untertaucht", "die Hitze (d.h. die Leidenschaft) bezwingt". 61 Der Antityp dieses Menschenbildes ist der "Gewaltherzige" (sljm-jb), der "Habgierige" und der "Prahlhans". 1Hebhaftigkeit, Selbstherrlichkeit und Rücksichtslosigkeit sind aufs äußerste verpönt. In den Kategorien der Zivilisationstheorie von N. Elias läßt sich diese Wandlung als ein Schub im Zivilisationsprozeß verstehen, der mit gesellschaftlichen und politischen Wandlungen einhergeht. 62 Ägypten wandelt sich in der 2. Hälfte der 12. Dynastie in eine straff organisierte, zentralistische höfische Bürokratie. Die selbstherrliche Feudalmacht der Gaufürsten wird gebrochen, die Staatsgewalt durchdringt und kontrolliert das gesamte System. "Nie wird in Ägypten so viel vom ,Großen Gefängnis' geredet wie in dieser Zeit. "63 Hier haben wir die klassischen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die Entstehung jenes resignativen Pessimismus64 vor uns, wie er uns aus den literarischen Texten der Epoche im Sinne eines "Zeitgeists" entgegentritt. Die Könige machen in dieser allgemeinen Stimmung sozialer Melancholie nicht nur keine Ausnahme, sondern gehen sogar Ieitbiidhaft voran. Denn es ist das Amt und die damit verbundene Verantwortung, die dem Weisen zur Bürde wird, der der Schlechtigkeit und Wandelbarkeit der Menschen auf den Grund geschaut hat: und das Königsamt ist das schwerste Amt von 60 61
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Zur Biographie des Mittleren Reichs als Porträt des "inneren Menschen" s. Lichtheim 1988. S. hierzu Assmann (1984c). Elias (sl978). Helck (1986), 39. Vgl. dazu, mit Bezug auf das Frankreich des 17. Jh., Lepenies (1969).
VI. Das Bildnis in der Kunst
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allen. Ein Amt heißt Verantwortung für andere, Zwang zum planenden Blick in eine verschlossene Zukunft, was höchste Konzentration und geistige Anstrengung erfordert, heißt Einsamkeit und Exponiertheit. 65 Davon reden nicht nur die Texte, sondern auch die Bildnisse. Läßt sich die geistige Anstrengung planender Weitsicht sinnfälliger ausdrücken als in der gerunzelten Stirn? So möchte man auch den herabgezogenen Mundwinkeln ein Bewußtsein von der "Bitterkeit" des Amtes66 , dem Blick unter halbgeschlossenen Lidern ein Bewußtsein von der Schwere der Aufgabe und dem Ernst der Verantwortung ablesen. 668 Eine Identität bildet sich nicht im luftleeren Raum. Sie wächst nicht von innen nach außen, als allmähliche Entfaltung ureigenster Anlagen, sondern vielmehr von außen nach innen, als sukzessive Identifikation mit kulturellen Normen und Werten, die dem Individuum im Laufe seines Sozialisationsprozesses prägend entgegentreten. 67 Anders als durch solche Identifikation innerhalb einer symbolisch, gesellschaftlich und politisch strukturierten Sinnwelt ist Identität nicht zu haben. In diesem Sinne ist Identität, auch personale Identität, immer ein soziokulturelles Phänomen. Es ist diese soziokulturelle Identität, das Menschen- und Persönlichkeitsbild des Mittleren Reichs, das den allgemeinen Sinnrahmen abgibt, innerhalb dessen sich die einzelnen Inhaber von Bildnisstatuen identifizieren und darstellen. Daher bringt das Bildnis des späteren Mittleren Reichs, zugleich mit der individuellen Physiognomie des Dargestellten, auch den "inneren Menschen" im Sinne einer soziokulturell geprägten personalen Identität zum Ausdruck. Man darf also nicht davon ausgehen, daß ein Porträt um so individualistischer, einzigartiger und unverwechselbarer ausfalle, je mehr es über die Wiedergabe der äußeren physiognomischen Züge auch vom inneren Wesen des Dargestellten zum Ausdruck bringt. In seinem inneren Wesen kann der Mensch im Gegenteil seinen Mitmenschen sehr viel ähnlicher sein als in seiner äußeren Erscheinung. Das hängt von dem Entfaltungsspielraum und der Prägungsintensität der Gesellschaft ab, zu der er gehört. Im Mittleren Reich wurde offenbar der Entfaltungsspielraum zunehmend verengt, die Prägungsintensität verstärkt. So wurden die Bildnisse einander (bzw. den modellhaften Bildnissen des Königs Sesostris III.) in dem Maße ähnlicher, wie es ihnen gelingt, etwas von der Persönlichkeit des Dargestellten zum Ausdruck zu bringen. Dazu heißt es in dem als .. Amtseinsetzung des Wesirs" bekannten Text (hg. v. Faulkner 1955): ,.Siehe, der hohe Beamte. der in der Öffentlichkeit Gericht hält, Wasser undWind berichten von allem, was er tut." 116 .,Bitter wie Galle" wird das Wesirsamt in dem in n.65 zitierten Text genannt. 66a Giuliani ( 1986) nennt solche mimischen Ausdruckschriftren. in freier Verwendung eines von Aby Warburg geprägten Begriffs, ,.Pathosformeln". Zur Pathosformel der gerunzelten Stirn als Ausdruckschiffre zunächst fürlrauer und Sorge, dann für philosophische Weisheit in der griechi· sehen Bildniskunst s. Giuliani ( 1986), 134 ff. (Pathosformeln im Porträt: die Miene der Klugen). 67 Vgl. die in n.59 zitierten Arbeiten vonTh. Luckmann.
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Die mit dem Begriff "expressiver Realismus" gekennzeichnete Stilrichtung gehört in den Zusammenhang dessen, was ich "biographische Repräsentation" genannt habe. 68 Hier geht es um die Darstellung eines Individuums alsTrägervon Amt und Status. In den Gräbern der 25. und 26. Dyn. geht diese Funktion einher mit der Entfaltung besonders hochstehender stilistischer und handwerklicher Qualität ("Prunkstil"). Ganz offensichtlich waren diese Darstellungen dazu bestimmt, mögliche Grabbesucher- die Gräber blieben ja zugänglich- zu beeindrucken. Fragt man nun nach der Funktion der Porträtplastik des Mittleren Reichs, dann zeigt sich, daß sich der Aufstellungskontext gegenüber dem Alten Reich in einer Richtung verändert hat, die sehr gut mit dem Funktionskomplex der biographischen Repräsentation in Verbindung gebracht werden kann. Zunächst ist festzustellen, daß die Statuen in den zugänglichen Bereich der Grabanlage hinausgetreten sind. Den "Serdab", die hermetisch abgeschlossene Statuenkammer des Grabes des Alten Reichs gibt es jetzt nicht mehr. Mit dem Aufstellungskontext des Serdabs haben wir die Funktion des "Ersatzkörpers" verbunden. Diese Statuen waren nicht auf Sichtbarkeit angelegt, sollten keine Besucher beeindrucken sondern vielmehr dem Totengeist zur Einwohnung dienen. Sie waren gewöhnlich aus Kalkstein, bemalt und äußerst realistisch gearbeitet, bis sich dann später, ungefähr ab Mitte der 5. Dyn., im Zuge einer protoindustriellen Rationalisierung der Werkverfahren ein "Generalismus" durchsetzte. Für die Porträtstatue des Mittleren Reichs kommt eine "Ersatzkörper"Funktion nicht in Betracht. Sie ist niemals in einer verschlossenen Kammer gewissermaßen "beigesetzt", sondern immer sichtbar aufgestellt, und zwar nicht nur in der Kultkapelle des Felsgrabes, sondern- das ist ein jetzt neu hinzutretender Aufstellungskontext für Porträtplastik- im Tempel. Hochgestellte Beamte konnten als eine königliche Vergünstigung Statuen von sich in Tempeln aufstellen, und zwar in äußeren Bereichen, wo sie zwar am "Festduft'· und .,Opferumlauf" der Gottheit teilhaben konnten, gleichzeitig aber auch von den (an läßlich größerer Feste bis in den Vorhof zugelassenen) Besuchern gesehen werden konnten. Im Mittleren Reich sind die Privatstatuen durchweg von kostbarem Hartgestein (Schist, Diorit, Granit, Quarzit u.a.) und kleinformatig. Die typische Familiengruppe des Alten Reichs ist so gut wie verschwunden zugunsten der Einzelstatue( tte). Das Typenrepertoire ist um zwei neue Formen erweitert, die das Feld sehr weitgehend beherrschen: Würfelhocker und Mantelstatue. Beiden gemeinsam ist das umschließende Gewand und die damit verbundene blockhafte Geschlossenheit und Abstraktion der Körperforrnen. Diese neuartige Bedeutung des Gewandes kennzeichnet aber jetzt auch einen großen Teil der in den traditionellen Typen des Sitzbilds und der Schreiberstatue gearbeiteten Bildnisse. Auch das Gewand scheint nun- anders als im Alten Reich- in das Ausdruckssystem der Bildnis68
Assmann (1973a), 41-43.
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statue einbezogen, wenn wir auch derzeit nicht mit Sicherheit sagen können, was mit solcher Verhüllung ausgedrückt werden soll.
5. Individualismus der Unsterblichkeit Das Hauptproblem, mit dem uns die ägyptische Bildniskunst konfrontiert, ist die zentrale Bedeutung, die Individualität und Realismus in ihr einnehmen. Man ist darauf nicht gefaßt und verbindet mit den frühen orientalischen Hochkulturen die Vorstellung eines undifferenzierten, kollektivistischen Menschenbildes. Das Individuum steht, nach unseren Begriffen, am Ende zweierbewußtseinsgeschichtlicher Entwicklungen von evolutionärem Rang: der jüdisch-christlichen Religion einerseits, die den einzelnen unmittelbar auf Gott bezieht und zum Partner einer individuellen Beziehung macht, und der griechischen Philosophie andererseits mit ihrer Bestimmung menschlicher Freiheit und Verantwortlichkeit. Wir können den Weg verfolgen, der in Israel und Griechenland zu je besonderen Formen von Individualismus geführt hat. Deshalb sind wir unserer Sache sicher, wenn wir davon ausgehen, daß vor diesen Epochenschwellen von Individualität und Individualismus nicht die Rede sein kann. Das ägyptische Porträt stört dieses Bild; daher werden seine frühen Bemühungen um eine realitätsnahe Wiedergabe des individuellen Aussehens als "zufallsnahe Stadien des Werkvorgangs" (Buschor) weginterpretiert. In Wirklichkeit ist die ägyptische Kultur von enormen individualisierenden Kräften geprägt, die in dieser Form in Mesopotamien, Israel und Griechenland fehlen. Es ist oft gesagt worden und bestätigt sich immer wieder, daß das Gesicht der ägyptischen Kultur von der Erfahrung des Todes und dem Wunsch nach seiner Überwindung geprägt ist. Der ägyptische Totenglaube bildet die Mitte der ägyptischen Welt. Er ist es, der die ägyptischen Begriffe von Person und Individuum geprägt und gefüllt hat. Der ägyptische Totenglauben ist von zwei Vorstellungen bestimmt: der Fortdauer im sozialen Gedächtnis und dem ewigen Leben der im Totengericht Gerechtfertigten. Beide Ideen beherrschen die ägyptischen Lebensdeutungen mit gleich starker Strahlkraft, und beide Ideen betonen gleichermaßen das Individuum. Das Individuum ist es, das auf Grund seiner ganz persönlichen Taten und Eigenschaften Unvergeßlichkeit im sozialen Gedächtnis beanspruchen darf, und das Individuum ist es. das sich vor einem Totengericht für seinen persönlichen Lebenswandel verantworten muß. Weder vor dem Forum der Nachwelt, noch vor dem des Totengerichts, helfen dem einzelnen vornehme Abkunft, Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder sonstige kollektivistische Kennzeichnungen. Nur der erworbene Status, nur die persönliche Leistung zählen. 69 Der ägyptische Tote geht mit allen Titeln und Würden fll
Zum Prinzipder Fortdauer im sozialen Gedächtniss. Assmann ( 1984b); ( 19R7c); hier Kap. VII.
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ins Jenseits ein. Sein Jenseits ist kein gleichmachendes Schattenreich, in das jeder, König und Tagelöhner, unterschiedslos hinabsinkt, sondern eine Götterwelt, deren Ordnungen die diesseitigen Ordnungen fortsetzen und bestätigen, und in der ein Toter als Person und Individuum erhalten bleibt. 70 So ist der ägyptische Totenglauben, und damit die ägyptische Religion, und damit das ägyptische Denken und Weltverständnis überhaupt, zentral bestimmt von ausgeprägt individualisierenden Vorstellungen. Was den Menschen nach ägyptischer Auffassung individuiert, ist 1. die individuelle Gestalt und Veranlagung- wir würden sagen: das genetische Programm. Hierfür ist der Gott Chnum verantwortlich, der das Kind auf der Töpferscheibe formt. Nach ägyptischer Auffassung hat jeder Mensch seinen eigenen Chnum als Inbegriff seiner angeborenen, mit der Geburt gegebenen lndividualität11 ; 2. das individuelle Schicksal als Inbegriff der besonderen (widrigen und günstigen) Widerfahrnisse, die einen individuellen Lebenslauf bestimmen: hierfür ist die Göttin Meschenet verantwortlich, dargestellt als Personifikation des Geburtsziegels, die bei der Geburt auftritt und das Schicksal des Kindes vorhersagt n; 3. das individuelle Wachstum in körperlicher, geistiger und materieller Hinsicht: hierfür steht die Göttin Renenet (der Begriff bedeutet soviel wie "Aufzucht" und "Ernte") 73; 4. die individuelle Lebensfrist sowie das individuelle Todesschicksal: hierführ steht der Gott Schai ("Bestimmung"). 74 Die Gottheiten Chnum und Meschenet treten vor und bei der Geburt 75 , die Gottheiten Meschenet, Renenet und Schai beim Totengericht auf. Dort ist ihre Aufgabe, den individuellen Aspekt des Toten- seine je besonderen Möglichkeiten und Behinderungen- gegenüber der überindividuellen Norm der Maat zur Geltung zu bringen. 76 Wie anderswo auch, konzentriert sich in Ägypten der sichtbare Ausdruck der individuellen Identität im Gesicht. Dafür gibt es auch außerhalb der Porträtkunst Hinweise: 1. Zusammensetzungen mit ~r "Gesicht" spielen sowohl in Ausdrücken für menschliche Eigenschaften und Fähigkeiten, als auch in Götterepitheta und Dämonennamen eine große Rolle: im Gesicht zeigt sich das Wesen einer Gottheit am eindrückliebsten n; S. hierzu Assmann (1974c). Vgl. hierzu Assmann (1972a) 61 mitAnm. 39; (1980), 5f. mitAnm. 19 und 19 mitAnm. 87; Quaegebeur ( 1975), 88ft. 72 Quaegebeur, a.a.O., 92ff. 73 Broekhuis (1971); Quaegebeur (1975), l52ff. u Quaegebeur (1975). 7 ~ S. dazu Brunner (21986). 76 Quaegebeur (1975), 147-149. 77 Vgl. Assmann (1969), 205. 70
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2. der körperlos-seelenartige Personen-Aspekt des Verstorbenen wird in Ägypten dargestellt als ein Vogel mit Menschenkopf (äg. "Ba"). Dabei steht der Vogelleib für die himmlische Natur des Seelenwesens, der Menschenkopf für seine personale Identität als ein Wesen, das ein Erdenleben geführt hat und seine darin ausgebildete Persönlichkeit im Jenseits bewahrt. 78 Der deutlichste Hinweis auf diese Anschauung findet sich in einem Hymnus der 20. Dyn. Dort wird der Schöpfergott gepriesen: "Du hast alles Seiende gebaut mit deiner Hände Arbeit; du bist es, der ihre Gestalten erschuf, indem jedes einzelne Gesicht von ihnen unterschieden war von seinem nächsten ..79
Der ägyptische Individualismus und die ihn zum Ausdruck bringende Bildniskunst leiten sich von der Erfahrung des Todes her. Es gibt einen Individualismus der Gottesunmittelbarkeit, und einen Individualismus der politischen Freiheitsrechte und Verantwortungen - und offenbar gibt es auch einen Individualismus der Unsterblichkeit. Dies ist die ägyptische Form von Individualismus. Von den beiden Brennpunkten individualisierender Unsterblichkeitsgedanken, der Fortdauer im sozialen Gedächtnis und dem Totengericht, bezieht sich die Bildniskunst auf das soziale Gedächnis. Sie ist gleichsam visualisierte Erinnerung. Sie soll die Erinnerung an das individuelle Aussehen und vor allem an das persönliche Wesen, den Charakter, die Vortrefflichkeit des Verstorbenen wachhalten. Sie soll der einmaligen, unverwechselbaren Form Dauer verleihen, zu der ein Individuum sich in seiner irdischen Existenz entwickelt hat.
78 79
S. 2:abkar (1968). S. Assmann (1983b), 203-209, spezieU 206 (p), wo auch die Bedeutung dieser SteUe für das Verständnis der ägyptischen Porträtkunst hervorgehoben wird. Vgl. hierzu ausführlicher Brunner (1984), 277-79.
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VII. Schrift, Tod und Identität. Das Grab als Vorschule der Literatur
Jedes Graphem ist seinem Wesen nach testamentarisch. J. Derrida (1974), 120 Der Tod ist die Sanktion von allem, was der Erzähler berichten kann. Vom Tode hat er seine Autorität geliehen. W. Benjamin (19n). 396
1. Schrift und Unsterblichkeit - allgemeine Vorüberlegungen Man hat oft als die entscheidende Leistung der Schrift hervorgehoben, daß sie die Grenzen menschlicher Kommunikation in Zeit und Raum erheblich erweitere. So wie der Gebrauch der Sprache den Menschen aus derTierweit heraushebt und zum Leben in komplexeren Gemeinschaftsformen befähigt, so ermöglicht ihm der Gebrauch der Schrift die Ausbildung großer politischgesellschaftlicher Organisationsformen und deren Korrelat in der Zeitdimension: ein Dasein in historischen Räumen. In diesem Sinne können wir von vielen hochkulturellen Institutionen als einer "Geburt aus dem Geiste der Schrift" reden, neben Staat und Geschichte auch Recht, Wissenschaft, Buchreligion und, natürlich und vor allem: Literatur. Inzwischen ist unser Blick geschärft worden für die vielfältigen Formen, in denen es verwandte Phänomene auch "avant (und: acöte de) Ia lettre" gibt, so daß die Wirkungen der Schrift weniger kreativ als transfonnativ zu bestimmen sind. Auch den Status dieser Wirkungen hat man gelernt vorsichtiger zu beurteilen: nicht als Konsequenzen, die sich mit Notwendigkeit überall einstellen müssen, wo eine Kultur zum Gebrauch der Schrift übergeht, sondern als Implikationen, deren Grad des Zumtragenkommens ganz von den jeweiligen Umständen abhängt. Die Frage nach den Wirkungen der Schriftlichkeil ist nicht pauschal zu beantworten, sie stellt sich z.B. für die Dichtung anders als für das Geschichtsbewußtsein, und für Ägypten anders als für Griechenland. Obwohl das alte Ägypten ganz sicher eine reiche mündliche Überlieferung besaß, haben wir hier das vermutlich reinste Beispiel einer aus dem Geiste der Schrift geborenen Literatur vor uns. Diese These soll im folgenden begründet werden. In Ägypten bezieht sich der transformierende Zugriff der Schrift, lange bevor er die mündlich überlieferte Dichtung erfaßt, auf die Gräber. Das Grab ist das "Zeichen" (sema) einer Personalität; durch die Inschrift entfaltet sich das Zeichen zum Text, zur Erzählung. Dieser Prozeß, in dem sich die sepulchrale Selbst-Thematisierung von der bloßen Zeichen-Setzung zum
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Text entfaltet, ist in Ägypten schon im Alten Reich, d.h. von 2700-2150 sehr weit vorangetrieben worden, bis zu anspruchsvollen, poetisch geformten Lebensbeschreibungen im Umfang (wenn wir altägyptische Maßstäbe anlegen) eines kleinen Buches. Es sind nicht diese Texte selbst, die ich als Literatur einstufe: aber sie gehen der Literatur voraus, nicht nur zeitlich, sondern auch in dem Sinne, daß das, was dann nach dem Zusammenbruch des Alten Reiches an Literatur im engeren Sinne aufkommt, ohne den genannten Prozeß einer sich in den biographischen Grabinschriften immer differenzierter entfaltenden Identitätspräsentation (Lübbe 1979) nicht zu denken wäre. Bei diesen frühen Grabinschriften ist es die Grenze der Zeit, und nicht die des Raumes, die mit Hilfe der Schrift überschritten werden soll. Die ortsgebundene Inschrift will die Botschaft nicht transportieren, sondern bewahren. Auf Bewahrung kommt es freilich auch dem Gedächtnis an. Sogar der Gegenstand solcher Bewahrung kann derselbe sein, in der Grabinschrift wie im Helden- oder Siegeslied: das zur rühmenden Geschichte entfaltete "Zeichen" einer Tat, eines Lebens: ... in rühmlichen Gesängen dauert langhin die Leistung (areta). Wenigen aber nur ist es zu erreichen gegeben. (Pindar. nach Hölscher 1962, 58)
Der "rühmliche Gesang" ist aber ein Denkmal, das der Sänger der "areta" eines einzelnen setzt, nicht eines, das dieser sich selbst setzen kann. Daher ist es "Wenigen nur zu erreichen gegeben". "Mündliche Unsterblichkeit" ist ein sehr exklusives Schicksal. Genaugenommen ist es nicht der Sänger, der dem Helden ein Denkmal setzt, sondern die Gemeinschaft, in deren Auftrag der Sänger handelt. Das hat aber von der Intention her nichts mit individueller Unsterblichkeit zu tun: das Denkmal, das die Gemeinschaft dem Helden setzt, ist kein Grabmal. Es soll nicht den Tod des Helden überwinden. sondern unter den Überlebenden Gemeinschaft stiften. Die mündliche Überlieferung entspringt nicht dem Wunsch einzelner, sich unsterblich zu machen. sondern der Angewiesenheil der Gemeinschaft auf Konstitution und Bewahrung einer kollektiven Identität. Daraus bemißt sich die Bedeutsamkeit, die die einzelne Tat und das einzelne Leben vor dem Vergessen bewahrt. Der Wunsch des einzelnen nach Fortdauer im Gedächtnis der Gemeinschaft, und der Wunsch der Gemeinschaft, das Gedächtnis an Namen und Taten bedeutsamer Toter nicht untergehen zu lassen, begegnen sich im Ausnahmefall der "wenigen", aber sie haben eine verschiedene Wurzel. Wenn das Grabmal ein Zeichen ist und als solches "Sender" und "Empfänger" hat, dann werden im Normalfall die Rollen so verteilt sein. daß der einzelne, das Subjekt der zu bewahrenden Identität, als Sender und die Gemeinschaft als Empfänger auftritt, während es beim Heldenlied der mündlichen Überlieferung die Gemeinschaft ist, diebeideRollen spielt, da es ja auch um
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die Bewahrung ihrer kollektiven Identität, d.h. der für sie konstitutiven Überlieferung geht. Nun gibt es natürlich Gräber, die nicht der Sorge eines einzelnen für seine Fortdauer nach dem Tode entspringen, sondern der Sorge der Gemeinschaft, ihre Toten, sei es: nicht zu vergessen, sei es: in angemessener Form aus dem Wege zu schaffen. Im alten Ägypten ist das aber seit den Anfängen der pharaonischen Kultur, jedenfalls in den oberen Schichten der Gesellschaft, in einer sehr ausgeprägten Weise nicht der Fall. Das ägyptische Grab legt der einzelne für sich selbst an, und zwar schon zu Lebzeiten. Bereits um die Mitte der ersten Dynastie, zu Anfang des 3. Jahrtausends v. Chr. also, wird das Prinzip der monumentalen Grabarchitektur entwickelt, das Grab schon zu Lebzeiten im Unter- und Oberbau fertigsteilen und trotzdem nach der Bestattung den Unterbau hermetisch abschließen zu können. Für den ägyptischen Grabgedanken ist es konstitutiv, daß der Grabherr als Sender und die Nachwelt als Empfänger auftreten. Dieser Diskurs vollzieht sich über die Jahrtausende hinweg in steinernen Grabanlagen von einer Aufwendigkeit und Monumentalität, die schon antike Ägyptenreisende in Erstaunen versetzt haben. Auf die erstaunte Frage, warum die Ägypter so unendlich viel größere Aufwendungen der Anlage ihrer Gräber als ihren Wohnhäusern widmeten, verweist man z.B. Hekataios v. Abdera, der um 300 v. Chr. in Ägypten reiste auf den Unterschied zwischen der Zeit hier und der Ewigkeit dort, einer Ewigkeit, die allerdings von "Arete" und Gedächtnis abhängt vgl. Kap. 1, S. 16 f. Das Grab hat dem Verstorbenen zur ewigen Wohnstatt zu dienen, es hat aber vor allem diese Ewigkeit zuallererst zu ermöglichen, indem es dasAndenken an den Verstorbenen wachhält. Zu diesem Zwecke muß es seine "Leistung", die andenkenswürdigen Resultate des Lebens, zur Darstellung bringen. Das ist der Punkt, wo die bildende Kunst und die Schrift ins Spiel kommen. Das ägyptische Grab ist nicht nur so angelegt, daß es zu Lebzeiten des Grabherrn fertiggestellt werden konnte; und nach allem, was wir darüber wissen, begann manin Ägypten sehr früh, sobald man die dafür notwendige gesellschaftliche Position erreicht hatte, damit, sich ein steinernes Grab anzulegen. Es war in seiner Anlage auch darauf abgestellt, von der Nachwelt besucht zu werden. Auch dafür sei, auszugsweise, ein Text zitiert, eine Grabinschrift des 7. Jh. v. Chr., einer Zeit also, die, was die Grundlagen dieser inzwischen jahrtausendealten Praxis betrifft, reflektierter und expliziter geworden ist: Der Fürst etc. etc, lbi spricht zu den Nachgeborenen: 0 ihr auf Erden Lebenden, ihr Gottesdiener, Gottesväter, niedere Priester, Vorlesepriester und Schreiber, die ihr die Palette genommen habt, eingeweiht in die Hieroglyphen, kundig der Schrift,
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die ihr die Geheimnisse der Bibliothek aufschließen könnt, ( ... )die ihr vorbeigehen werdet an diesem Grab und diese Kapelle betrachtet: Möge euer Stadtgott für euch leben, möge der König eurer Zeit euch begünstigen ( ... )wenn ihr euch vertieft in diese Stele, eintretet in die Inschriften, die auf ihr sind, wenn ihr die Verklärungen der Vorfahren betrachtet an ihrem Ort in unübertroffener Fülle, wenn ihr die Streitenden hört, die mit ihren Genossen laute Worte wechseln, wenn ihr das Singen der Musiker hört und das Klagen der Trauernden. wenn ihr den Namen eines jeden Mannes über ihm in jedem seiner namentlich genannten Ämter findet, das Herdenvieh, den Baum und die Kräuter mit ihren Namen darüber( ... )! Kopiert davon, soviel ihr wollt, auf leerem Papyrus, damit mein Name hervortrete für die Zukunft, aus Vorliebe für eines davon. Was ihr davon bevorzugt, das schreibt auf leeren Papyrus, damit ein Mund es dem anderen weitergebe: was im Papyrus zerstört, das kann man dort finden als Vorlage für spätere Zeiten. (Kuhlmann 1973, vgl. Schenkel 1975)
Die ägyptischen Gräber enthielten zugängliche Kapellen, die von den Späteren besucht und bewundert wurden. Eine der wichtigsten Funktionen des ägyptischen Grabes bestand darin, auf diese Weise den Namen des Grabherrn im Munde der Lebenden lebendig zu erhalten. Die Grabinschrift erzählt seine Lebensgeschichte als Appell an das kollektive Gedächtnis. Denn im Gedächtnis, nicht im Grabe leben die Toten weiter; das Grab ist nur die .,Außenstabilisierung" dieser sozialen Fortdauer und als solche ein soziales Phänomen. Die sonstigen Funktionen des ägyptischen Grabes und vor allem die sonstigen Aspekte des sehr vielschichtigen ägyptischen Seelen- und Jenseitsglaubens können hier nicht dargestellt werden. Ich beschränke mich auf den einen hier relevanten Aspekt der Fortdauer kraft sozialer Einbindung in die Gemeinschaft, wo Ewigkeit sich bemißt nach der Erinnerung an die Leistung und somit Unsterblichkeit als Rezeptionsschicksal erscheint. Dieser Gedanke ist sehr alt, älter jedenfalls als die Ausbildung von Seelen- und Jenseitsglauben, und er bleibt bis in die Spätzeit der zentrale Aspekt des Grabes, wie der Bericht des Hekataios lehrt und wie es ähnlich aus zahlreichen zeitgenössischen Inschriften hervorgeht (Otto 1954, 57ff.). Dieser Aspekt ist es, der in Ägypten literatur-zeugend gewirkt hat. Denn was ist der literarische Text anderes als ein Appell an das kollektive Gedächtnis, und was die Unsterblichkeit des Autors anderes als ein Rezeptionsschicksal? Nur das Buch hat einen
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Autor, den es unsterblich macht. Das Lied verewigt den Helden, aber das Buch den Autor wie das Grab den Grabherrn. Meine These, die ich zunächst mit Bezug auf den ägyptischen Befund formuliere, aber als Hinweis auf tieferliegende und allgemeinere Zusammenhänge verstehe, geht dahin, daß die Analogie zwischen Grab und schriftlichem Kunstwerk enger ist als die zwischen mündlicher und schriftlicher Literatur. Nicht in der mündlichen Tradition, sondern in der Institution des Grabes hat im alten Ägypten die schriftliche Literatur ihre entscheidenden Parallelen. Die Schriftlichkeit scheint also für diese Analogie konstitutiv. Ohne die Schrift wäre der Text Allgemeingut, und an die Stelle des einen, abwesenden Sprechers, den er gegenwärtig hält, träten die vielen je gegenwärtigen Sprecher, die ihn in je eigener Weise verlautbarten. Ohne die Schrift wäre andererseits der Grabherr kein "Sprecher", wäre nicht der Erzähler seiner eigenen Lebensgeschichte. Ohne die Schrift würde sich das "Zeichen" des Grabmals nicht zur differenzierten Identitätspräsentation entfalten. Schrift (und Flachbildkunst) machen das Grab zu einem Ort der Selbst-Thematisierung nicht der Gesellschaft, sondern des Individuums; sie ermöglichen die Aufzeichnung biographischer Bedeutsamkeit, die den Grabherrn vor dem Vergessenwerden bewahren soll. Daher ist das Grab in Ägypten die Vorschule einer spezifisch schriftlichen, d.h. aus dem Geist der Schrift geborenen Literatur. Lange bevor die "Autoren" in der Form von Büchern den Diskurs mit der Mit- und Nachwelt aufnahmen, hatten die Gebildeten einen solchen tod-überdauernden Diskurs schon als Grabherren eingeübt. Aus diesen ursprünglichen Zusammenhängen von Grabinschriften und Literatur erklärt sich auch, daß die altägyptische Literatur überhaupt so etwas wie den Begriff des "Autors" kennt. Von Autoren ist nämlich im Hinblick auf Selbstverewigung und Unsterblichkeit die Rede: sie haben sich, im Vergleich mit den Gt:abherren, das bessere Los erwählt, da sie sich ein unvergängliches Grabmal geschaffen haben 1 in Gestalt ihrer Bücher. Jene gelehrten Schreiber aber seit der Zeit derer, die nach den Göttern kamen, jene Zukunfts-Wahrsager, sie sind zu solchen geworden, deren Name in Ewigkeit bleibt, obwohl sie dahingegangen sind, nachdem sie ihre Lebenszeit vollendet hatten und alle ihre Zeitgenossen vergessen sind. Sie haben sich keine Pyramiden aus Erz geschaffen und keine Stelen dazu aus Eisen; sie haben es nicht verstanden, Erben zu hinterlassen in Gestalt von Kindern, ihre Namen lebendig zu erhalten. Doch sie schufen sich Bücher als Erben und Lehren, die sie verfaßt haben. 1
Zum "aere perennius"-Motiv bei Horaz und dessen ägyptischen Bezügen vgl. etwa H. Fuchs (1962); L. Borzsak (1964); I. Trencsenyi-Waldapfel (1964).
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Sie setzten sich die Schriftrolle zum Vorlesepriester ein und die Schreibtafel zum ,Liebenden Sohn'. Lehren sind ihre Pyramiden, die Binse ihr Sohn, die geglättete Steinfläche ihre Ehefrau. Groß und Klein wurden ihnen zu Kindem gegeben; der Schreiber, er ist das Oberhaupt von allen. Man machte ihnen Tore und Kapellen -sie sind zerfallen; ihre lbtenpriester sind davongegangen, ihre Altäre sind erdverschmutzt. ihre Grabkapellen vergessen. Aber man nennt ihre Namen auf ihren Schriften, die sie geschaffen habm, da sie kraft ihrer Vollkommenheit fortdauern. Man gedenkt ihrer Schöpfer in Ewigkeit. Werde ein Schreiber, nimm es dir zu Herzen: dann wird dein Name ebenso. Wertvoller ist ein Buch als ein Grabstein mit Inschrift. als eine festgefügte Grabkammer(?). Diese Bücher handeln als Grab und Pyramide, um ihre Namen lebendig zu erhalten. Es ist gewiß etwas Wertvolles im Jenseits: ein Name im Munde des Menschen. Der Mensch ist vergangen, sein Leib ist zu Staub geworden, alle seine Zeitgenossen sind zur Erde gegangen. Die Schrift aber ist es, die bewirkt, daß man sich an ihn erinnert und ein Mund es dem anderen weitergibt. Wertvoller ist eine Schriftrolle als ein gemauertes Haus, als Grabkapellen im Westen; besser ist sie als ein wohlgegründetes Schloß, als ein Denkstein im Tempel. Gibt es hier einen wie Hordjedef? Oder einen anderen wie lmhotep? Unter unseren Zeitgenossen ist keiner wie Nefer(t)i oder Cheti, der Größte unter ihnen. Ich nenne dir nur die Namen des Ptahemdjehuti und Chacheperreseneb. Gibt es einen anderen wie Ptahhotep oder wie Kaires? Diese Weisen, die die Zukunft vorhersagten, was sie sagten ist eingetroffen. Man fand es als Spruch, aufgeschrieben in ihren Büchern. Anderer Leute Kinder wurden ihnen zu Erben gegeben wie eigene Kinder. Zwar sind sie verborgen, aber ihr Zauber erstreckt sich auf alle, die in ihren Büchern lesen.
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Sie sind gegangen, ihre Namen (wären längst?) vergessen, aber ihre Schriften halten ihr Andenken wach. (Pap. Chester Beatty IVvso 2,5-3,11, nach Brunner 1957, 177f.)
Die "klassischen Autoren", die dieser Text aufzählt 2 und für deren Verehrung in der Ramessidenzeit wir auch sonst Zeugnisse besitzen (Wildung 19TI, 2032), sind "Weise". Die Weisheitsliteratur ist die einzige, wenn auch bei weitem prominenteste Textgruppe der ägyptischen Literatur, die den Text einem namentlich genannten Sprecher in den Mund legt. So ergibt sich die strukturelle Analogie zwischen dem Grabherrn als Sprecher seiner Grabinschrift und dem Autor als Sprecher seiner Unterweisung: beide appellieren an das kollektive Gedächtnis, das ihre Worte bewahren und ihren Namen lebendig erhalten soiJ.3 Der Unterschied liegt darin, daß die Grabinschrift eine SelbstThematisierung darstellt, die literarische Unterweisung jedoch nicht, jedenfalls nicht im gleichen Sinne. In den Grabinschriften tritt der Grabherr als Zurechnungssubjekt einer Identität, d.h. als "Persönlichkeit" auf4, in den literarischen Texten bezeichnet der Eigenname das Zurechnungssubjekt einer Weisheit. Was hier der Vergänglichkeit entrissen werden soll, ist nicht die eigene Personalität eines "Autors", sondern ein kollektiver Schatz von Erfahrungen und Lebensweisheiten, den es an kommende Generationen weiterzugeben gilt. Auch diese Erfahrungen und Lebensweisheiten bedürfen aber nach ägyptischer Auffassung eines "Zurechnungssubjekts" und einer assertierenden Instanz, d.h. der literarischen Fiktion eines "Weisen", der über den Schatz an Weisheit und Erfahrung verfügt und für den Akt seiner Weitergabe die kommunikative Regreßpflicht übernimmt. Daher ist in Ägypten der" Wei2
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Vgl. hierzu auch Brunner (1966); Bergman (1979b) sowie Wildung (1977). 25-27 mit Bibliographie. Das, worauf es eigentlich ankommt, ist nicht das Lesen, sondern das Behalten und Weitererzählen des Gelesenen .•,Lebendig" wird der Name erst in der mündlichen Überlieferung und in der memoire collective, für die ihn die Schrift nur zur jederzeitigen Reaktivierung aufbewahn. Vgl. ähnlich in dem Pap. Chester Beatty (Zeile 34 des Zitats) und besonders die Errnent-Stele König Thutmosis' 111.; danach bezweckt die Niederschrift, "daß man von seinen Taten sprechen soll noch in Millionen von Jahren, die kommen." Zum ägyptischen Begriff der Persönlichkeit als Zurechnungssubjekt einer Identität, die aufgrundihrer besonderen biographischen Bedeutsamkeil Anspruch auf kollektives Gedenken und damit Unsterblichkeit erhebt, s. Assmann (1983c). Mit dieser Bindung ägyptischer Unsterblichkeitshoffnungen an die soziale Kategorie der Unvergeßlichkeit im Sinne biographischer Bedeutsamkeil soll nicht gesagt sein, daß die Ägypter nicht auch Vorstellungen einer Existenz jenseits diesseitiger sozialer Einbindungen, als "unsterbliche Seele", ausgebildet hätten. Das ist im Gegenteil sogar in sehr ausgeprägter Form der Fall. Sie spielen nur für die Geschichte der Autobiographie in dem uns interessierenden Zeitraum keine Rolle und haben auch später die dieser zugrunde liegenden Idee einer sozial bedingten Unsterblichkeit nicht zurückgedrängt. In der von R.J. Lifton (1976), 23ft. entworfenen Typologie von ,.five generat modes of immortality" ent1pricht der Komplex "Leistung" (arete) dem dritten Modus.
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se", und nicht der Sänger oder Erzähler, der Prototyp des "Autors". Was dem Literaturbetrieb der Ramessidenzeit als "klassische Autoren" galt, war eine Mischung aus literarischen Fiktionen (z.B. Neferti) und wirklichen Autoren (z.B. Cheti: hier wird einmal zwischen Autor und Zurechnungssubjekt, nämlich König Amenemhet I, unterschieden). 5 Normalerweise war dem Ägypter diese Unterscheidung fremd. Was er im Blick hatte, war die Verbindung von Text und Name 6 : der Text als Denkmal eines Namens, der Name als Zu rechs Die im Pap. Chester Beatty IVvso. herausgestellte Achtheil von "Weisen" der Vergangenheit ist zwar anderwärts nicht als solche belegbar, aber der darin zum Ausdruck kommende Kanonisierungsprozeß ist für den Schul- und Literaturbetrieb der Ramessidenzeit kennzeichnend. Aus einem ramessidischen Beamtengrab in Saqqara stammen 2 Reliefblöcke mit 38 in 3 Registern zu 12, 13 und 13 angeordneten Figuren. Das oberste Register enthält Könige, die beiden anderen Beamte der Vergangenheit mit beigeschriebenen Namen, dazu 8 weitere Namen in der waagerechten Trennungszeile, so daß insgesamt 34 Berühmtheiten der memphitischen Region aus dem Alten, Mittleren und Neuen Reich erwähnt werden, darunter auch einige der klassischen Autoren. S. hierzu Wildung (19'n), 28f. mit Bibliographie sowie Kap. XII §2. Zur Autor-Probierotik s. auch Brunner (1966), 31, sowie, mit Bezug auf Neferti, Posener (1956), 34. 6 Aufdiesen Zusammenhangzielt auch die anregende Skizze von J. Bergman ( 1979b ), bes. 93-102. Um die verschiedenen Formen einer Zuordnung von Text und Name beschreiben zu können, unterscheide ich vier Funktionen der mit dem Eigennamen bezeichneten Person: real-weltlich 1.) Verfasser 2.) Assertor text-weltlich 3.)Sprecher 4.) Zurechnungssubjekt Der .,Verfasser" versteht sich von selbst. In der Regel ist er mit dem "Assertor" identisch, wir sprechen dann von einem "Autor". Ein sog. Ghostwriter aber ist z.B. ein Verfasser, der kein Autor ist, weil er nicht mit seinem Namen als Autor zeichnet und dadurch den Text "assertiert". Darunter verstehe ich, in Anlehnung an Klaus Heger, die .. Übernahme der kommunikativen Regreßpflicht". Der "Assertor" zeichnet mit seinem Namen für den Inhalt verantwortlich. Beide, Verfasser und Assertor, sind notwendigerweise realweltliche Instanzen außerhalb des Textes. Anders die beiden folgenden: sie stehen innerhalb des Textes, auch wenn sie referenzsemantisch mit Personen der Realwelt identisch sein können. Mit "Sprecher" meine ich das, was man gewöhnlich den "Erzähler" nennt, bin aber auf einen allgemeineren Ausdruck angewiesen, weil in den Texten, mit denen wir es zu tun haben, nicht nur erzählt, sondern auch und vor allem berichtet, beschrieben, argumentiert, befohlen, geklagt, geweissagt, gebannt ... wird. Unter dem "Zurechnungssubjekt" verstehe ich den Träger der erzählten Geschichte, der berichteten Leistung, des entfalteten Wissens, der beschriebenen Gesinnung usw. Es handelt sich um eine textsemantische Rolle, im Gegensatz zum Assertor als einer text-pragmatischen. Bei den "Weisen" des Papyrus Chester Beatty handelt es sich um .,Sprecher" (und als solche um literarische Fiktionen), die in der Rolle von .,Assertoren" auftreten und daher für Verfasser gehalten werden, selbst dort, wo der Sprechakt, als dessen Niederschrift sich das Buch gibt, noch in eine Rahmenerzählung eingekleidet ist, wie z.B. bei Neferti. Ihr Ruhm und ihre Unsterblichkeit gründet sich, nach der Darstellung des ramessidischen Papyrus, aber weniger auf ihre Verfasserschaft, sondern darauf, daß das, was sie geweissagt haben, eingetroffen ist, wobei sowohl an wirkliche (wenn auch natürlich faktisch ex eventu-) Prophezeiungen gedacht ist wie bei Neferti, als auch an die vielfältige Applizierbarkeit des Weisheitsspruchs, der sich in wechselnden historischen Situationen bewährt hat. Sie interessieren also vornehmlich als Zurechnungssubjekte der in den Büchern niedergelegten Weisheit, d.h. Einsicht und Voraussicht. Daher ist es auch allein das Weisheitsbuch, das, nach der Meinung des Papyrus Chester Beatty, seinen "Autor" verewigt: weil nur diese literarische Gattung auf Unvergänglichkeit, d.h. Wahrheit im Sinne immerwährender Gültigkeit angelegt ist.
VII. Schrift, Tod und Identität
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nungssubjekt und assertierende Instanz eines Textes. Daraufberuht die Analogie zwischen Grab und Buch: hier die Grabinschrift und der Name des Grabherrn als Zurechnungssubjekt der Biographie, dort die Lehre (usw.) und der Name einer fiktiven oder historischen Persönlichkeit als Zurechnungssubjekt der "Weisheit". In beiden Fällen vergegenwärtigt der Text ein Subjekt, das der Welt der Toten als einer fernen und verborgenen Sphäre angehört. Diese Abwesenheit des Subjekts gehört, wie besonders J. Derrida gezeigt hat, zu den konstitutiven Merkmalen der Schriftlichkeit. Die Schrift ist die Rede eines abwesenden Sprechers und der "Autor" (im oben entwickelten Sinne der assertierenden Instanz) ist der abwesende Sprecher eines aufgezeichneten Textes. Der Tod ist die paradigmatische Form solcher Abwesenheit. Der Sprecher, der zur Feder (oder welchem Schreibgerät immer) greift, stirbt gleichsam als Sprecher, um als "Autor" zu leben; indem er seiner Rede die materielle Präsenz der Schrift verleiht, tritt er selbst in die Distanz der Abwesenheit, aus der die Schrift ihn ver-gegenwärtigen und der Text ihm zum Denkmal werden kann: sie sind zwar verborgen, aber ihr Zauber erstreckt sich auf alle, die in ihren Büchern lesen. (Pap. Chester Beatty IV, vso 3,9-10)
Nun vergegenwärtigt eine Grabanlage, darin liegt ja ihre hauptsächlichste Aufgabe, einen Grabherrn in viel intensiverer und massiverer Weise als ein Weisheitsbuch seinen "Autor". Hier scheint sich doch ein wesentlicher kategorialer Unterschied zwischen Grab und Buch anzuzeigen. Die Besucher des Grabes sollen aus den Inschriften ja nicht nur Belehrung und ästhetisches Vergnügen empfangen, sie sollen ihrerseits das Wort ergreifen und im Sprechen eines Opfergebetes den Namen des Grabherrn lebendig erhalten: Der Hauch des Mundes ist für den Verklärten wertvoll, er ist nichts, wodurch man müde wird, es tut euch nicht weh, es geht nicht ab von eurem Vermögen, es ist nicht schwierig, das Gute zu sagen. Der es tut ist einer, für den (es) getan wird. Ein Denkmal ist es, das Gute zu tun. (Vernus 1976, Nr. 13)
Der im Grab institutionalisierte Diskurs zwischen Lebenden und Toten fand nach ägyptischem Verständnis nicht zwischen Anwesenden und Abwesenden statt: jedenfalls glaubte man den Verstorbenen anwesend genug, daß ihn der "Hauch des Mundes" erreichen konnte. Der Besuch der Gräber war mit Formen eines jedenfalls angedeuteten Kultes verbunden. Das Überraschende ist nun, daß für die literarische Kommunikation in Ägypten ganz Analoges gilt. Unter den Schreibern gab es die Sitte, dem Imhotep als dem ältesten der klassischen Autoren und sozusagen dem Gründungsheros der ägyptischen Lite-
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Menschenbild und Lebensformen
ratur von dem Rest des Wassernapfs eine Libation darzubringen mit den Worten (Wildung 1977, 19--21): Für deinen Ka, Imhotep! 7
Der Papyrus Chester Beatty, aus dem wir oben zitiert haben, beschließt seine Lehren sogar mit einem regelrechten Opfergebet für den Dichter Cheti (Brunner 1957, 178): Leben und Anblick der Sonne dem Schreiber Cheti, ein Totenopfer aus Brot und Bier vor Osiris, Libationen, Wein und Linnen für seinen Ka und seine Schülerschaft, für ihn, den trefflichen, dessen Sprüche erwählt sind.
Die "Prophezeiungen des Neferti", einer der berühmtesten "Klassiker" des Mittleren Reichs, schließen mit den Worten: Ein Weiser wird mir Wasser sprengen, wenn er sieht, daß das, was ich gesagt habe, geschehen ist.
Man darf also annehmen, daß unter den Schreibern, d.h. in der literarisch gebildeten und produktiven Beamtenschicht, die literarische Kommunikation auch rituelle Formen umfaßte, die - in wie immer andeutungsweiser und spielerischer Form- doch deutlich am Totenkult orientiert waren. Auch dieser Kult basiert auf der strukturellen Analogie zwischen Grab und Buch: in beidem begegnete man einer abwesenden und auf geheimnisvolle Weise vergegenwärtigten Persönlichkeit, die zu ritueller Huldigung herausforderte.
2. Die biographische Grabinschrift im Alten Reich Die autobiographische Grabinschrift entwickelt sich in Ägypten aus verschiedenartigen Ansätzen etwa um 2500 v. Chr. zu einer Gattung, die bis zum Ausgang der ägyptischen Kultur in nachchristlicher Zeit in Blüte stand. 8 Es handelt sich wohl um die charakteristischste Textgattung der altägyptischen Kultur. Die wandlungsreiche Geschichte dieser Gattung zeigt, daß die Sitte, sein Grab mit einem derartigen Text zu beschriften, nie zur bloßen Routine erstarrte, und verweist auf die Intensität und Lebendigkeit dessen, was in dieser Form seinen eigentümlichen Ausdruck findet und was man mit Andre 7
8
Vgl. zu dieser Sitte auch Brunner ( 1966), 32 mit weiterer Literatur. An diese Sitte haben dann die Grabherren wiederum anzuknüpfen versucht. So hat sich ein Wassernapf des Paser erhalten mit der Aufschrift: Was jeden Schreiber betrifft, der mit diesem Wassernapf schreiben und aus ihm libieren wird mit den Worten: ,Ein Opfergebet ... für den Ka des Paser", ihn wird Thoth loben und Seschat lieben, wenn ich (es) höre"s. dazu Wildung (19n), 20. S. hierzu Edel (1944); Janssen (1946); Otto (1954); Lichtheim (1988).
VII. Schrift. Tod und Identität
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Jolles deren spezifische "Geistesbeschäftigung" nennen kann. Die ägyptische Autobiographie hat zwei Wurzeln (vgl. zum folgenden E. Schott 1977). Die eine und wichtigste ist die Namensinschrift. Sie taucht zugleich mit den frühesten Schriftdenkmälern auf Grabstelen auf und wird schon in der Frühzeit gelegentlich zu langen Titelreihen erweitert, aus denen sich die Beamtenlaufbahn des Grabinhabers rekonstruieren läßt. Die andere Wurzel ist das Grabmal selbst. Hier finden sich seit der 4. Dynastie (ab ca. 2700 v. Chr.) Inschriften, die das Grab zum Thema haben: Widmungsinschriften des Sohnes oder eines anderen Hinterbliebenen, der dem Grabinhaber das Grab "gemacht" hat, Drohungen gegen Grabschänder und, in Verbindung damit, Aussagen, die das Grab gleichsam legitimieren sollen: daß das Vermögen rechtmäßig erworben, daß kein anderes Grab verletzt, daß die Handwerker zu ihrer Zufriedenheit entlohnt wurden, daß der Grabherr ein gerechtes Leben geführt und bei seiner Mitwelt in hoher Gunst gestanden habe. Ihre Funktion als eine Art Kommentar ihres Textträgers, der Grabanlage, zeigen diese Texte im Gebrauch der Deiktika: (a) Sein ältester Sohn ... ist es, der ihm dieses gemacht hat, als er begraben wurde im Westen, entsprechend dem, was er (der Vater) ihm darüber angeordnet hatte, als er noch auf seinen beiden Beinen lebte. (Urk I, 8. 14-17) (b) Das Krokodil gegen ihn zu Wasser, die Schlange gegen ihn zu Lande, der etwas tun wird gegen dieses. Niemals habe ich etwas gegen ihn getan. Der Gott ist es, der richten wird. (Urk I, 23. 11-16) (c) Ein jeder, der dies für mich errichtet hat, der war niemals böse (auf mich). (Ein jeder) mein( er) Handwerker in der Nekropole, den habe ich zufriedengestellt. (Urk I, 23. 6--9)
Mit Recht bemerkt Erika Schott, daß "die Autobiographie in Ägypten ursprünglich nicht der Fortdauer der Person, sondern vielmehr der Fortdauer des Grabes gedient hat". Dadurch, "daß der Grabinhaber versichert, er habe nie etwas Böses getan ... , weist er sich als ,trefflichen Verklärten' aus, dem Opfergaben zu spenden den Grabbesuchern großen Nutzen bringen kann, wie sie andererseits strenge Strafen zu erwarten haben, wenn sie sein Grab beschädigen. " 9 ' Darüber hinaus finden sich in den Gräbern gerade der älteren Zeit (4. und 5. Dyn.) auch oft Aufzeichnungenvon juristischen Dokumenten, die sich auf das Grab beziehen: Stiftungsurkunden. Verfügungen über den Totenkult, königliche Dekrete u.a. Aktenstücke. vgl. dazu Helck ( 1972). !0-13. Der .. resultative Umschlag", der einen Prozeß in einen auf Dauer ge!>tellten Vorgang
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Sehr bald aber, schon während der 5. Dynastie (ca. 2500 v. Chr.) verschieben sich die Akzente zugunsten personaler Selbstverewigung und Identitätspräsentation. Die Titelreihe wächst sich zur "Laufbahnbiographie" aus, die die beruflichen Erfolge des Grabherrn als Beförderungen im Königsdienst aufzählt (Urk I, 51-53): Ein Kind, geboren von seiner Mutter unter König Mykerinos; er wurde aufgezogen unter den Königskindem im Palast des Königs, in der Residenz, im königlichen Harim: Höher geschätzt beim König als jedes andere Kind, Ptahschepses. Ein Knabe, der die Binde knüpfte unter König Schepseskaf; er wurde aufgezogen unter den Königskindem im Palast des Königs in der Residenz, im königlichen Harim: Höher geschätzt beim König als jeder andere Knabe, Ptahschepses. Dann lobte ihn Seine Majestät; Seine Majestät gab ihm die älteste Königstocher Chai-Maat zur Frau, da Seine Majestät lieber wollte, daß sie mit ihm zusammen sei als mit jedem anderen Manne, Ptahschepses. Zugehörig zu Userkaf: Hohepriester von Memphis, höher geschätzt beim König als jeder andere Diener; er stieg ein in jedes Schiff des Palastes, er betrat die Wege des oberägyptischen Gottespalastes an allen Festen des Erscheinens, Ptahschepses. Zugehörig zu Sahure: Höher geschätzt beim König als jeder andere Diener als Geheimrat aller Bauarbeiten, deren Ausführung Seine Majestät wünschte; der das Herz seines Herrn täglich beglückte, Ptahschepses. Zugehörig zu Neferirkare: Höher geschätzt beim König als jeder andere Diener; als Seine Majestät ihn wegen einer Sache lobte, ließ Seine Majestät ihn ihren Fuß küssen, nicht ließ Seine Majestät zu, daß er die Erde küsse: Ptahschepses. Zugehörig zu Neferefre: Höher geschätzt beim König als jeder andere Diener; er stieg ein in das Schiff "Götterträger" überführt, ist in der juristischen Sphäre besonders ausgeprägt und dort dem "testamentarischen'" Wesen der Schrift besonders nahe.
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an allen Festen des Erscheinens, von seinem Herrn geliebt, Ptahschepses. Heute unter Niuserre, der ewig lebt, sein Schutzbefohlener, verbunden dem Herzen seines Herrn, geliebt von seinem Herrn, versorgt von Ptah, der tut, was sein Gott liebt, der alle Handwerker unter dem König florieren läßt, Ptahschepses.
Das wirkt als Identitätspräsentation eigentümlich einseitig. Wir erfahren nichts von den Taten, Leistungen, Eigenschaften des Ptahschepses, sondern nur von der ihm dafür zuteil gewordenen königlichen Anerkennung. Diese Anerkennung, die Nähe zum König, ist die Sinn-Dimension, auf die hin die Titulatur des Grabherrn kommentiert wird. Das ist in den anderen biographischen Inschriften dieser Zeit- der 5. Dynastie bis Asosis- genauso. Wenn die ägyptische Biographie das überlieferungswürdige und erinnernswerte Bild eines Menschen, seine "Persönlichkeit" oder, mit dem griechischen Ausdruck, seine "arete" aufzeichnen will als den Inbegriff dessen, was von ihm übrigbleiben und im Andenken der Nachwelt bewahrt werden soll, dann ist klar, daß für diese die Titulatur kommentierenden Biographien der König in vollkommen ausschließlicher Weise das Sinn-Zentrum eines überlieferungswürdigen Lebens darstellt: nur der König ermöglicht durch seine Anerkennung dem einzelnen Lebensvollzug den Übergang ins Resultative, Bleibende, Aufzeichnungs- und Überlieferungswürdige. Der König verleiht seinen Beamten ihre Biographie und ihre "Persönlichkeit". Persönlichkeit- im Sinne eines denkbaren Gegenstands der Erinnerung künftiger Geschlechter- ist einer nur nach Maßgabe seiner Nähe zum König. Der König personifiziert die Kategorie der sozialen Anerkennung, die einen zur Person, und damit zum "Grabherrn", und damit "unsterblich" macht. Diese Einseitigkeit erklärt sich aber bis zu einem gewissen Grad aus der eingeschränkten Funktion des Texttyps. Noch haben wir es nicht mit "der" ägyptischen Autobiographie zu tun, sondern mit der einen ihrer beiden Wurzeln: der kommentierten Titulatur. In ihrer Funktion einer Identitätspräsentation wird sie ergänzt durch die andere Wurzel, den Kommentar der Grabanlage. Auch dieser Texttyp verlagert im Laufe der 5. Dynastie seinen thematischen Schwerpunkt von der Grabanlage auf die Person des Grabherrn. Die Sinn-Dimension, auf die hin das Grab und sein Inhaber hier kommentiert werden, ist eine andere als bei den die Titulatur kommentierenden Laufbahnbiographien (Urk I, 46-47): Ich bin aus meiner Stadt gekommen, ich bin aus meinem Gau herabgestiegen, nachdem ich die .Maat' darin gesagt habe, nachdem ich die ,Maat' darin getan habe. Möge es euch wohl ergehen, ihr Nachfahren mögt ihr gerechtfertigt sein. ihr Vorfahren!
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Was ihr tun werdet gegen ,dieses', desgleichen wird gegen das Eure getan werden von seiten eurer Nachkommen Niemals habe ich einen Prozeß angestrengt gegen jemand, niemals habe ich verursacht, daß einer die Nacht verbrachte im Zorn gegen mich wegen irgend etwas, seit meiner Geburt. Ich bin einer, der Opfer darbringt und Totenversorgung gewährleistet, ein Geliebter seines Vaters, geliebt von seiner Mutter, geehrt von denen, die mit ihm zusammen sind, freundlich zu seinen Brüdern, geliebt von seinen Dienern, der niemals Streit anfing mit irgendeinem Menschen. (es folgt die hier nicht zur Laufbahn-Biographie expandierte 14-teilige Titulatur und der Name des Grabherrn)
Ebenso wie bei den Laufbahn-Biographien die Sinn-Dimension der Kommentierung sich in einem einzigen ägyptischen Begriff zusammenfassen läßt: ~zwt "Lob", die Anerkennung des Königs, vermag der ägyptische Begriff Ma'at die Sinn-Dimension für die Kommentierung der Grabanlage zu bezeichnen. Maat bedeutet die "Wahrheit" dessen, was man sagt, und die "Gerechtigkeit" dessen, was man tut, das Prinzip, das dem einzelnen vorschreibt und ermöglicht, handelnd und redend im Einklang mit der Gesellschaft zu bleiben. Maat bezeichnet ziemlich genau "Solidarität" im Sinne E. Durkheims10 als ein das Soziale ins Kosmische integrierendes Ordnungsgefüge (vgl. Assmann 1990a). Diesen aus der Kommentierung der Grabanlage hervorgegangenen Typus biographischer Inschriften nennen wir die "Idealbiographie", weil das darin entworfene Bild des einzelnen vollkommen an der überindividuellen Norm der Maat orientiert ist. In der Identitätspräsentation der "ldealbiographie" erscheint der einzelne nicht als Individuum, sondern als vollkommener Baustein in jenem Ordnungsgefüge, das mit dem Begriff Maat gemeint ist. Beide Prinzipien, ~zwt "Lob" und ma'at "Gerechtigkeit" stellen die vollkommene Außenbestimmtheit dieses frühen Personbegriffs heraus 11 • Der einzelne bemißt die Überlieferungswürdigkeit seines Lebens nach dem Grade seines Aufgehens in einer überindividuellen Norm und der ihm in seiner beruflichen Laufbahn zuteil gewordenen königlichen Gunst. Das ändert sich in einem gewichtigen Punkt unter Asosis, dem vorletzten Königder 5. Dynastie. Jetzt erfahren wir erstmals und gleich in einer ungewöhnlich prononcierten Form, für welche Leistungen der Grabherr das Lob des Königs erworben hat. Leistung und Lob zusammen machen nun das resultative, überlieferungswürdi10
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In Durkheims Theorie entspricht die Ausbildung einer ausgeprägten Solidaritäts-Ideologie der fortschreitenden Arbeitsteilung (Durkheim 1977). Ägypten bietet hierfür ein klassisches Bei· spiel. S. hierzu ausführlicher Assmann (1983c); zu "Lob" und "Einklang" s. auch Assmann (1976), 20-
29.
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ge Ereignis aus, dessen Schilderung in den Biographien zugleich wesentlich farbiger und ausführlicher gerät. Diese Form erlebt in der 6. Dynastie ihre Blütezeit. Als repräsentatives Beispiel einer solchen die berufliche Laufbahn nach Leistung und Königsnähe kommentierenden Biographie kann die Inschrift des Weni gelten. Wir wollen sie uns etwas näher betrachten, müssen allerdings ihrer ungewöhnlichen Länge von ca. 200 Versen wegen darauf verzichten, sie in extensozu übersetzen (Urk I, 98-110; Lichtheim 1973, 18-23). Weni hatte unter Merenre das hohe Amt eines Vorstehers von Oberägypten inne, nachdem er sich unter Phiops I als eine Art Sonderbeauftragter in verschiedenen militärischen Missionen bewährt hatte. Vorher war er Richter im Rang eines Unterdomänenverwalters des Palastes gewesen, und die Anfänge seiner Karriere gehen bis in seine Jugend unter KönigTeti zurück. Damit setzt die Inschrift ein- "Ich war ein Knabe, der die Binde knüpfte unter der Majestät des Teti" -zählt die ersten 2 oder 3 Beförderungen bis zur Einsetzung ins Richteramt auf und erzählt dann etwas ausführlicher das erste ,.Ereignis": Ich erbat von der Majestät meines Herrn, daß mir ein Sarkophag aus Kalkstein von Thra gebracht werde. Seine Majestät ließ einen Gottessiegelbewahrer überfahren zusammen mit einer Mannschaft von Matrosen unter seinem Befehl, um mir diesen Sarkophag zu bringen aus Tura. Er kam mit ihm zurück, in einer großen Barke der Residenz, und zwar zusammen mit seinem Deckel, einer Scheintür, einem Türsturz, zwei Pfosten und einer Opferplatte. Niemals zuvor war etwas Gleiches irgendeinem Diener getan worden, weil ich ohne Tadel war im Herzen Seiner Majestät, weil ich ,verwurzelt' war im Herzen Seiner Majestät, weil das Herz Seiner Majestät mit mir erfüllt war.
Aus dieser Stelle erfahren wir auch etws über den Ort, an dem alles, was mit der Grabanlage zusammenhängt, in der ,.Wertvorzugsordnung" der damaligen Gesellschaft rangierte. Die erste bedeutendere Amtsstellung wird dazu benutzt, mit der Grabanlage zu beginnen, die ebenso vom König ausgeht wie alles, was das Bild der in diesem Grabe zu verewigenden "Persönlichkeit" konstituiert. Man muß davon ausgehen, daß das Grab nicht nur zu Lebzeiten, sondern schon sehr früh im Leben des hochgestellten Ägypters eine erstrangige Rolle spielte und ihm im Sinne einer "Außenstabilisierung" die zentralen Prinzipien der Königsgunst und des sozialen Einklangs, mit anderen Worten, der Leistung und der Gerechtigkeit, symbolisierte, auf denen die Sinnkonstruktion seiner Identität beruhte und seine Hoffnungen auf Bestand über den Tod hinaus gegründet waren. Nach dem Bericht einer Rangerhöhung zum "Einzigen Freund" und Palast-Domänenvorsteher erzählt der Text ein zweites Ereignis. Es besteht in
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dem Auftrag, einen geheimen Haremsprozeß durchzuführen. Eine solche Aufgabe, so wird als Abschluß dieser Episode hervorgehoben, war noch niemals einem Manne seines (vergleichsweise niederen) Ranges anvertraut worden. Nicht "kraft Amtes", so soll man schließen, sondern aufgrundeines ungewöhnlichen persönlichen Vertrauens von seiten des Königs ist ihm diese Aufgabe übertragen worden. Nicht weniger als fünfmal kommen Vertrauensformeln, wie sie auch das oben zitierte Textstück beschließen, in dieser Inschrift vor, besonders in ihrem ersten Teil, bevor weitere Beförderungen die Diskrepanz von Amt und Aufgabe nivelliert haben. Offenbar kommt es Weni gerade auf diese Diskrepanz an: nicht das hohe Amt und der damit verbundene Tätigkeitsbereich, sondern das persönliche Vertrauen des Königs und die einzelnen daraus ent~pringenden Sonderbeauftragungen empfindet er als das Bedeutsame und Uberlieferungswürdige seiner Biographie. Der zweite Teil der Inschrift, der, wenn ich richtig einteile, ebensoviel Verse umfaßt wie der erste (64), ist militärischen Aktionen gewidmet. Weni wird beauftragt, die Aushebung, Ausrüstung, Instruktion einer Armee und die Durchführung wohl weniger eines Feldzugs als eines Einfalls zu leiten, also eine mehr organisatorische als strategische Aufgabe. Vom Feldzug selbst ist auch weniger die Rede als von den Vorbereitungen (36 Verse) und der erfolgreichen Rückkehr, deren Schilderung einen höheren Grad poetischer Geformtheit erhält. Die sieben Verspaare mit konstantem ersten und variablen zweiten VersDieses Heer kehrte wohlbehalten heim nachdem es das Land der Beduinen zerhackt hatte; dieses Heer kehrte wohlbehalten heim, nachdem es das Land der Beduinen zertreten hatte ...
ahmen offenbar als eine Art Siegeslied die Form des Wechselgesangs von Chor (konstante Elemente) und Vorsänger (variable Elemente) nach. Dieses ungefähr in der Mitte der gesamten Inschrift angebrachte Lied bezeichnet den Höhepunkt nicht nur der biographischen Komposition, sondern wohl auch des Lebens, von dem sie berichtet. Weitere fünf militärische Expeditionen, mit denen Weni nach diesem Erfolg beauftragt wurde, werden in der Schlußstrophe des Mittelteils nur summarisch erwähnt, wohingegen die erste durch die Breite der Erzählung den Rang nicht nur eines "Ereignisses", sondern des bei weitem wichtigsten Ereignisses der ganzen Laufbahn erhält (50 Verse). Der dritte Teil, etwas länger als die beiden ersten, hebt an mit der zweifellos spektakulären Berufung Wenis in das hohe Amt des Vorstehers von Oberägypten unter dem neuen König Merenre, wieder mit der dreigliedrigen Vertrauensformet und ausdrücklichen Belobigung für seine als Kammerherr und Sandalenträger geleisteten Dienste. "Nie zuvor wurde ein so hohes Amt einem Diener dieses Ranges verliehen." Weni beschreibt zunächst seine all-
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gemeine Amtstätigkeit, dann drei Expeditionen, die er in dieser Zeit durchführte: 1. die Beschaffung eines Sarkophags und eines Pyramidions aus "Ibha" und verschiedener Bauteile aus Granit aus Elephantine ("niemals zuvor waren lbha und Elephantine in einer einzigen Expedition gemacht worden"), 2. die Beschaffung eines großen Opfertisches aus Hatnub und 3. eine große Transportunternehmung in Untemubien, bei der es um die Anlage von fünf Kanälen und das Bauen von Schiffen ging. Besonders diese Abschnitte geben einen Einblick in das, was an Ehrgeiz und Engagement einzelner hinter den ungeheuren Organisations- und Ingenieurleistungen des Alten Reichs steht. Der Schluß des Textes deutet sogar etwas von der Motivation solcher Höchstleistung an: 12 weil so viel erhabener, soviel eindrucksvoller(?) soviel verehrungswürdiger ist die Macht König Merenres - er lebe ewig als die aller anderen Götter
eine Aussage, die in der Dreigliedrigkeit ihrer Formulierung deutlich auf die dreigliedrige Vertrauensformel Bezug nimmt weil ich so ohne Tadel war im Herzen Seiner Majestät, weil ich so verwurzelt war im Herzen Seiner Majestät, weil das Herz Seiner Majestät so erfüllt war von mir
und dadurch die Gegenseitigkeit des König-Diener-Verhältnisses herausstellt. Dieses gegenseitige und persönliche Verhältnis, das man wohl mindestens in gleichem Maße als ein religiöses wie als ein politisches Phänomen zu verstehen hat, bildet eine gegenüber den ältesten Biographien neuartige Sinn-Dimension, auf die hin nun die Beamtenlaufbahn kommentiert wird. Zwar in einem weniger äußerlichen, aber darum um nichts weniger ausschließlichen Sinne ist der König nach wie vor das Sinn-Zentrum, von dem aus sich die Bedeutsamkeil des Einzeldaseins bemißt. 13 Es verwundert nicht, daß bei derartiger religiöser Überhöhung des Königsdienstes - wir bezeichnen sie als "Loyalismus" 14 und beobachten sie in verschiedenen Epochen der ägyptischen Geschichte immer wieder - die andere Grundlage biographischer Bedeutsamkeil zum bloßen Postskript verkümmert: Ich war wahrhaftig einer, den sein Vater liebte und seine Mutter lobte, ( ... ),freundlich zu seinen Brüdern. 12
13 14
Das ist eine Ausnahme in diesen Inschriften, die sich aus der besonderen "loyalistischen" Tendenz dieses Textes erklärt. Vgl. n. 14. Vgl. treffend G. Misch (1931), 16: "Nicht der betreffende Mensch, sondern der König, an dessen Unternehmungen und Gnadenerweisungen er Anteil hatte, steht im Mittelpunkt des Berichts." Zum Loyalismus im Alten Reichs. Kaplony (1968), für spätere Epochen Posener (1956), Ders. (1976); Assmann (1979c).
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Übrigens verfahren andere biographische Inschriften der Zeit in diesem Punkte auch durchaus anders. Auch die "Idealbiographie" erlebt eine Entfaltung, indem etwa das Prinzip "Gerechtigkeit üben, Wahrheit sagen" spezifiziert wird (Urk I, 121-123; Lichtheim 1973, 24): Ich gab dem Hungrigen Brot und Kleider dem Nackten, ich setzte den Schifflosen über ( ... ) Niemals sagte ich etwas Böses über jemand zu irgendeinem Machthaber, weil ich wollte, daß es mir gut erginge beim Großen Gott. Niemals richtete ich zwei Prozeßgegner ( ... ) in einer Weise, daß ein Sohn des Erbes seines Vaters beraubt wurde.
Nach wie vor gehen aber hier keine spezifischen biographischen Handlungen ein, bleibt die "Idealbiographie" des Alten Reichs verhältnismäßig kurz, allgemein und phraseologisch gebunden (s. Edel1944). Das entspricht ihrer Bezogenheit auf das Prinzip "Maat" als eines überindividuellen Aspekts. unter dem das einzelne Leben hier zusammengefaßt wird. Dabei ist es, auch dieser Bezug geht während des Alten Reichs nicht verloren, weniger das ,.Leben'· als vielmehr das Grab. das auf das Prinzip Maat hin kommentiert wird. Nach ägyptischer Anschauung ist Maat sozusagen das Fundament des Grabes. "Für den Habgierigen- d.h. den, der in seinem Handeln der Maat als dem Prinzip der gesellschaftlichen Solidarität entgegenarbeitet - gibt es kein Grab" heißt es in der "Lehre des Ptahhotep" (Fecht 1958, 43f.) und .,Baue dein Grab, indem du Gerechtigkeit übst" liest man (sinngemäß) in der "Lehre für Merikare" (127 bis 128 s. Assmann 1977a, 75 n. 43; 71 n. 33). Das Grab dessen, der nach der Maat gelebt hat, ist sakrosankt. Daher ist das Grab der gegebene Aufzeichnungsort für eine Identitätspräsentation des Grabherrn als "Gerechter". Bis zum Ende des Alten Reichs bleiben Idealbiographie - die Kommentierung des Grabes- und Laufbahnbiographie- die Kommentierung der Titulatur- zwei distinkte Formen, die sich auf "Gerechtigkeit" und "Dienst" (oder: "Leistung") als zwei verschiedene Sinn-Dimensionen des Handeins beziehen, und die zwei getrennten Diskurswelten angehören. Man könnte sie als den "weisheitlichen" und den "historischen Diskurs" bezeichnen. Der weisheitliehe Diskurs hat es in Ägypten mit der Explikation und Applikation des Prinzips Maat zu tun, mit der Erklärung und Einübung dessen, was in wechselnden historischen Situationen "Einklang" und "Bestand" gewährleistet. Die Verschriftung dieses Diskurses im Zusammenhang der Grabanlage und ihrer Kommentierung erklärt sich, wie oben gezeigt, aus dem Zusammenhang von Maat und Grab. Unter dem Begriff des "historischen Diskurses" seien alle Formen der Rede von "Geschichte" zusammengefaßt, worunter der Ägypter nahezu ausschließlich das Handeln des Königs verstand. Die Laufbahnbiographie als Form des historischen Diskurses weist den Anteil des ein-
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zeinen an der "Geschichte", d.h. an den Handlungen des Königs auf. Die Verschriftung dieses Diskurses im Zusammenhang der Grabanlage, als Expandierung der Titulatur, erklärt sich aus der Vorstellung, daß dem Einzeldasein nur durch die Teilhabe an der "Geschichte" überlieferungswürdige Bedeutsamkeit zukommt. Das Bemerkenswerte an den Laufbahnbiographien des späten Alten Reichs, wenn man sie als Verschriftungsforrnen des historischen Diskurses betrachtet, liegt darin, daß es Vergleichbares beim Königtum, also dem Zentrum und "Generator" der Geschichte, erst viel später gibt. "Historische Inschriften" vergleichbarer Länge und Durchdetailliertheit des Berichts treten hier erst nach dem Ende des Mittleren Reichs, also um 1700 v. Chr. auf. 15 Diese königlichen Berichte beziehen sich aber fast nie auf die Vergangenheit. Um so erstaunlicher erscheint in diesem Licht das Auftreten umfangreicher Berichte in Privatinschriften bereits um 2400 v. Chr. , die, wie im Falle des Weni, 50 Jahre und mehr umspannen. Was mag der Grund dafür sein, daß die Beamten in ihren Gräbern ausführliche, z.T. weit in die (freilich immer eigene) Vergangenheit zurückgreifende Tatenberichte ablegen, die Könige aber erst in viel späterer Zeit und so gut wie nie in zusammenfassender, das gesamte Wirken resümierender Form, von ihren Leistungen berichten? Ich glaube, daß diese Frage dem Kern des Phänomens nahekommt, und möchte, bevor ich versuche, diese Zusammenhänge etwas expliziter darzulegen, in der Formulierung einer These gewissermaßen einen Vorposten sichern: Vergangenheit gibt es nur, wo es Resultativität gibt, und Resultativität nur, wo es den Tod gibt. Ein ägyptischer König hat keine Vergangenheit. Und ich will nun versuchen, ohne allzu tief in die altägyptische Vorstellungswelt einzudringen, wenigstens das Notwendigste zur Erläuterung dieser These beizubringen. Nach dem Dogma kam ein ägyptischer König als Gott und Sohn des höchsten Gottes zur Welt und vereinigte sich nach dem Tod, zum Himmel aufsteigend, wieder mit seinem Vater. 16 Diese Entfernung wurde offenbar nicht als Ende empfunden, von dem aus eine Summe gezogen, Rechenschaft abgelegt, ein Resultat festgestellt werden mußteY "Persönlichkeit" als Inbegriff dessen, :s Ich denke an die große Neferhotep-lnschrift (Helck 1975, 21-29) und natürlich vor allem an die Kamose-Stelen (Helck 1975, 82-97), die die Gattung der Königsinschriften des Neuen Reichs gleich mit einem Höhepunkt eröffnen. :6 Vgl. die brillanten Bemerkungen von Berlev ( 1981) zur ägyptischen Königs-Theologie. -:~ Die Tatenberichte der Pharaonen legen gewöhnlich nur von gegenwärtigen Ereignissen Rechenschaft ab, nicht von ganzen Regierungszeiten. Nur ausnahmsweise wird im Neuen Reich der Skopus der Berichterstattung erweitert, z.B. in denAnnalenThutmosis'lll. (mit dem Rückblick in die Vergangenheit Urkunden IV 647 .12-M8. 7) und vor allem natürlich im "Historischen Abschnitt" des Großen Pap. Harris I. Weitere Beispiele resümierender "Rückblenden" sind etwa die Restaurationsstele des Tutanchamun, die Krönungsinschrift Haremhabs, der Denkstein Sethos' I. für seinen Vater Ramses 1., die "inscription dedicatoire" Ramses' II. Die Vergangenheit tritt hier aber immer nur im Sinne eines Exkurses in die Vorgeschichte des allein interessierenden gegenwärtigen Ereignisses oder Zustandes in den Blick.
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was, im Grabe aufgezeichnet, von einem Menschen der Nachwelt überliefert werden soll, ist eine bürgerliche, keine königliche Kategorie: denn nur der Tod fordert zu dieser Identitäts-Konstitution heraus. Den König glaubte man der Erfahrung des Todes enthoben und damit der Aufgabe, sich als "Persönlichkeit" der Nachwelt zu überliefern. Daher ist auch die Geschichtsschreibung, insofern sie der Überlieferung von Persönlichkeiten dient und dem Wunsch nach individueller Fortdauer entspringt, zunächst eine bürgerliche Literaturgattung. Der König ist zwar nicht selbst eine Persönlichkeit in diesem Sinne, weil seinem zeitenthobenen Wesen die Kategorie des Resultativen fremd ist und er daher nicht Thema einer biographischen Selbst- Thematisierung im ägyptischen Sinne werden kann, aber er verleiht Personalität, er eröffnet anderen die Möglichkeit, Persönlichkeit zu werden. Denn eine überlieferungsfähige Geschichte erwirbt man sich nur im Königsdienst. Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich, warum die Aufzeichnung eines historischen Diskurses zuerst in Beamtengräbern und in autobiographischer Form auftritt. Was die Beziehung von Tod, Geschichte und Vergangenheit angeht, so haben wir es hier, meine ich, mit der typisch ägyptischen Kategorie der Resultativität zu tun, die nicht nur im Tempussystem der ägyptischen Sprache eine zentrale Rolle spielt, sondern sich auch in der Zeitbegrifflichkeil des Ägyptischen ausprägt. 18 Eines der beiden Wörter, mit denen der Ägypter die gesamte "kosmische" Fülle der Zeit bzw. Ewigkeit unter einem Doppelaspekt, als "duale Einheit", zum Ausdruck bringt, bedeutet soviel wie ,.unwandelbare Dauer": die Dauer dessen, was in geschichtlichem Wandel zu einer Endgestalt ausgereift nun abgeschlossen und weiterem Wandel enthoben ist. Der in Bildern denkende und formulierende Ägypter pflegte sich diesen Aspekt der Zeit/Ewigkeit, den er djet nennt (das entsprechende Schriftbild findet sich, vielleicht als Anspielung auf besondere Haltbarkeit, als Signet der Firma Bahlsen auf Kekspackungen), am Gestein zu verdeutlichen, so wie er den anderen Aspekt, neheh, die Zeit als periodische Wiederkehr, an den Kreisläufen der Gestirne veranschaulichte. Mit der Kategorie djet verbindet sich in Ägypten der Steinbau, die Plastik, die Mumifizierung und die Schrift. Alle Formen monumentaler Selbst-Thematisierung entspringen dem Wunsch nach resultativer Fortdauer. Auch die "Verewigung" der eigenen Persönlichkeit in Form ihrer Geschichte und deren Aufzeichnung als autobiographische Grabinschrift 19 leitet sich aus dem Konzept djet her. Es hat nicht nur volkswirtschaftliche Gründe, daß die Steinbruchsarbeit im alten Ägypten königliches Monopol war, sondern entspricht dem Weltbild 18
19
Zum einzelnen s. Assmann (1975). Auf die Kategorie der ,.Resultativität" gehe ich ausführlicher in Kap. II ein. Den engen Zusmmenhang von Schriftverwendung und Ewigkeilsvorstellung in Ägypten betont auch Helck (1972).
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des Alten Reichs. Der König verwaltet die "Ewigkeit" des Steines und läßt sie seinen Beamten und Getreuen durch Stiftungen steinerner Grabteile zuteil werden. Zugleich liefern seine Aufträge und Belohnungen den Stoff zu einer im Stein aufzeichnungswürdigen Lebensgeschichte. Nur im Königsdienst reift einer zur "Persönlichkeit", nur durch Königsgunst wird dieser die Verewigung im Stein zuteil. Der Königsdienst ist das einzige Sinn-konstituierende Sozialsystem, in dem sich biographische Bedeutsamkeil und Resultativität denken läßt.
3. Biographie und Literatur Unsere bisherigen Untersuchungen haben sich im Vorfeld der Literatur bewegt. Zweifellos lassen sich die biographischen Inschriften des Alten Reichs in keinem theoretisch fundierten Sinne - die Eigenbegrifflichkeil der ägyptischen Kultur läßt uns, zumal für diese frühe Zeit, ohnehin völlig im Stichals "Literatur" einstufen, trotzihrer teilweise hochgradigen stilistischen Gefonntheit.20 Sie sind nicht "situationsabstrakt", sondern- über die normale, wohl für alleTexte einer alten Kultur vorauszusetzende, Situations-Bezogenheil ("Sitz im Leben") hinaus -geradezu situations-determiniert (vgl. den Gebrauch der Deixis in der die Grabanlage kommentierenden ldealbiographie); sie sind nicht "meta-praktisch", sondern "empraktisch" in die mit der Anlage von Gräbern und dem Totenkult verbundenen Handlungszusammenhänge einbezogen; sie lassen wenn man Goethes Begriff "Weltliteratur" zugrunde legen will, in der eingeschränkten Spezifik ihres Bezugs - als Kommentierungen der Grabanlage und der Titulatur- kaum einen "Aspekt allgemeinen Menschentums" sichtbar werden. Sie stehen aber auch nicht einfach außerhalb einer wie immer gearteten literarischen Kommunikation. Zunächst muß man berücksichtigen, daß es sehr wahrscheinlich im Alten Reich eine schriftliche Literatur und damit die für spätere Epochen typische Dichotomie von "schöner" Literatur und Gebrauchsliteratur - bzw., unter Einbeziehung der natürlich auch im Alten Reich vorauszusetzenden Formen mündlicher literarischer Kommunikation, die Trichotomie von "schöner" Literatur, Gebrauchsliteratur und Folklore ( Assmann 1974b)- überhaupt nicht gegeben hat. 21 Daher lassen sich diese Texte nicht in Relation zu einer ausdif20 21
Zum Literaturbegriffs. Assmann (1974b). Damit rechnet auch Helck (1972). Gewöhnlich setzt man dagegen zumindest diejenigen Lehren ins Alte Reich. als deren Zurechnungssubjekte Weise des Alten Reichs auftreten. Daß diese Zurechnung literarische Fiktion ist, erscheint mir sicher. Die z.T. früh einsetzende kultische Verehrung einzelner Weiser, z.B. Kagemni (der in der Einkleidung der nach ihm benannten Lehre als Adressat und nicht als Lehrautorität auftritt!), zeigt, daß sich um solche Leute Legenden, d.h. mündliche Überlieferungen gebildet haben, vielleicht in Gestalt mündlicher Logien-Sammlungen, aus denen dann später die schriftlichen "Lehren" hervorgegangen sind. Vgl. hierzu auch Brunner (1966) und besonders Wildung (1977).
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ferenzierten literarischen Kommunikation als außer-literarisch einstufen. Sie bilden das Vorfeld der Literatur, und zwar sowohl im Sinne prä- als auch paraliterarischer Phänomene. Ein Blick auf die weitere Geschichte der Gattung vermag das deutlich zu machen. Das Ende des Alten Reichs wird durch einen Zusammenbruch der königlichen Zentralgewalt markiert. Man kann sich leicht vorstellen, was für eine Katastrophe der Zufall der mit der politischen Institution verbundenen symbolischen Sinnwelt für das Welt- und Menschenbild der damaligen Zeit bedeutete.22 Zu erwarten ist, daß der Zerfall des Königtums jeder biographischen Sinn-Konstitution den Boden entzogen hat, daß es also nach dem Ende des Alten Reichs keine biographischen Inschriften -oder allenfalls nur noch Ideal-Biographien- gibt. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die Gattung erlebt einen ungeheuren Aufschwung. Die Negationen des vorhergehenden Systems, d.h. die von der biographischen Sinn-Konstitution des Königsdienstes ausgeschlossenen Alternativen, erscheinen nun positiviert an zentraler Stelle. 23 Ich möchte das an einem Beispiel erläutern. Man erinnert sich, daß in den älteren Biographien des Alten Reichs nie von der Leistung des Grabherrn, sondern nur von der ihm vom Königzuteil gewordenen Anerkennung die Rede war. Ab der späten 5. Dynastie ist es dann gerade die persönliche Leistung, die, zusammen mit der königlichen Anerkennung, im Zentrum der biographischen Berichte steht. Auch dies deutet bereits auf eine tiefgreifende Verschiebung im System. Weiterhin ungesagt bleibt aber die Innenseite dieses Handelns: Motivation, Initiative, Charakter. Der Beamte handelt nicht aus sich heraus, aus eigenem Antrieb, sondern bildet den verlängerten Arm des Königs, der allen Willen und alle Initiative verkörpert. Die Leistung besteht in der Genauigkeit der Befehlsausführung. Deshalb ist in diesen Inschriften immer vom "Herzen" des Königs die Rede: es ist die einzige Innenseite, die hier zählt. Königtum und Maat, die Normen der gesellschaftlichen "Solidarität", bilden die beiden Instanzen einer vollkommenen Außenbestimmung des Individuums. Ihr Zerfall- denn mit der königlichen Zentralgewalt zerbricht auch die gesellschaftliche Solidarität- eröffnet die Möglichkeit privater Innenwelten: Eigenverantwortung, Initiative, Planung, Vorsorge machen nun zusammen mit der Leistung die bedeutsame, überlieferungsfähige Lebensgeschichte aus. Der selbstbestimmte, vom eigenen Herzen geleitete Mensch wird zum Inbegriff der Persönlichkeit. 22
23
Was man sich historisch unter der ,.Ersten Zwischenzeit'" vorzustellen hat. ist in letzter Zeit sehr kontrovers behandelt worden. Die einen halten die in den literarischen Texten gegebenen Schilderungen für reine Fiktion (Lichtheim 1973; Junge 1977), die anderen für getreue Widerspiegelungen tatsächlicher Vorgänge (Barta 1975n6). Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte: ir· gend etwas muß passiert sein, um derartige Fiktionen zu provozieren. Hierfür genügt der Zu· sammenbruch der königlichen Zentralgewalt und der damit im Sinne einer ,.symbolischen Sinnwelt" (Berger-Luckmann 1970) verbundenen Vorstellungswelt (Assmann 1983c). Ich formuliere in Anlehnung an Niklas Luhmann (1971) und die historische Anwendung dieser Theorie durch H.U. Gumbrecht (1980).
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Das sind keine Taten, die man von anderen Oberhäuptern getan finden kann, die in diesem Gau gewesen waren, wegen meiner vortrefflichen Planung, wegen der Beständigkeit meiner Anordnungen, wegen meiner Vorsorge bei Tag und bei Nacht. Ich bin der Held ohnegleichen. (Schenkel 1965, 48f.)
Die strophisch gebaute Biographie des Gaufürsten Anchtifi, bei der der Satz "Ich bin der Held ohnegleichen" den strophenabschließenden Refrain bildet, ist gewiß ein extremes Beispiel für das neue Persönlichkeitsgefühl, heißt es doch darin geradezu Ich bin der Anfang und das Ende der Menschen, denn ein mir Gleicher ist nicht entstanden und wird niemals entstehen; ein mir Gleicher ist nicht geboren und wird niemals geboren werden. Ich habe die Taten der Vorfahren übertroffen und keiner nach mir wird erreichen, was ich getan habe in diesen Millionen Jahren. (Schenkel, 47)
Mit der Vorstellung einer vollkommenen Außenbestimmtheit der Person ist auch die strenge Dichotomie von "Gerechtigkeit" und "Leistung", weisheitliebem und historischem Diskurs, Ideal- und Laufbahnbiographie aufgehoben. Der selbstbestimmte Mensch verwirklicht Gerechtigkeit in seinem individuellen biographischen Handeln. Entsprechend werden nun die alten Formeln um individuelle Aussagen erweitert: Ich gab Brot dem Hungrigen und Kleider dem Nackten; ich salbte den Kahlen, ich beschuhte den Barfüßigen, ich gab dem eine Frau, der keine hatte. Ich beschaffte Mocana und Her-mer den Lebensunterhalt (bei jeder Hungersnot) als der Himmel bewölkt und die Erde ausgedörrt war, als jedermann Hungers starb auf dieser ,Sandbank des Apopis'. Der Süden kam an mit seinen Leuten, der Norden traf ein mit seinen Kindern und brachten dieses erstklassige Öl für Getreide. Ich ließ mein oberägyptisches Getreide eilen: südwärts erreichte es Unternubien, nordwärts erreichte es This, während sonst ganz Oberägypten Hungers starb und jedermann seine Kinder aufaß. Ich aber ließ nie zu, daß in diesem Gau einer verhungerte. (Schenkel, 53f.)
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In dem Maße, wie der weisheitliehe Diskurs der Idealbiographie sich mit historischen Details füllt bzw. der historische Tatenbericht weisheitlieh motiviert und interpretiert wird, werden die Texte reicher, anspruchsvoller, bedeutender und kommen dem näher, was man in einem vorwissenschaftliehen und ahistorischen Sinne "literarisch" nennt. Literarisch wirken sie auch in einem anderen Sinne: ihrer Abhängigkeit von Formeln und Topoi. Die "Sandbank desApopis" ist so eine Trope, nämlich für Dürre und Hungersnot, und die ganze Topik der Hungersnot findet sich immer wieder in diesen Inschriften als Folie für die Großtaten der Grabherren. Die Fülle der Metaphern, stehenden Wendungen und Topoi bezieht sich auf das ungeheure Neuland des selbstbestimmten Handeins und seiner inneren Determinanten und stellt den Versuch seiner begrifflichen Artikulation dar. Auch die kleineren Leute, die keine Großtaten zu berichten haben, beziehen die Bedeutsamkeit ihres Lebens und Handeins aus inneren Faktoren wie Gesinnung und Charakter, die in den thematischen Bereich des weisheitliehen Diskurses gehören. So bringt die Inschrift eines gewissen Megegi aus Theben z.B. eine bemerkenswert philosophische Wertschätzung der Zeit zum Ausdruck: (Kap. VII, S.219) Die Restauration der königlichen Zentralgewalt und des damit verbundenen Sinnsystems, das die individuellen Handlungsspielräume wieder von der Initiative, Beauftragung und Anerkennung des Königs abhängig macht, setzt der renaissanceartigen Selbstherrlichkeit des Individuums - jeder ein Phönix24- ein Ende. Entsprechend verlagert sich das Schwergewicht biographischer Bedeutsamkeil von außen nach innen, von den historischen Kategorien Handlung und Leistung zu den weisheitliehen, aus dem Prinzip Maat abgeleiteten Kategorien Gerechtigkeit, Tugend, Charakter, Wissen und Können. Der "literarische" Eindruck derTexte wird dadurch nur noch stärker. So liest man etwa in der Inschrift eines Mentuhotep aus dem Anfang der 12. Dynastie: {Ich bin) ein Lehrer der Kinder in ruhigem Reden, ein Geduldiger, einer, der nicht mit einem Geringen streitet, es gibt ja keinen hochmütigen und (zugleich) geliebten Vorgesetzten; der sein Herz neigt, bis er (der Bittsteller) seine Sorgen ausgesprochen hat, bis er sein Inneres ausgefegt hat; 24
Bottral (1958). Die entsprechende Passage aus John Donne's ,.Anatomy of the World. The first Anniversary" (Verse 213-218) liest sieb wie die versifizierte Übersetzung einer ägyptischen Klage: ,This all in pieces, all coherence gone; All just supply, and all relation: Prince, subject, father, son, are things forgot, For every man alone thinks he has got Tobe a phoenix, and that tben can be Noneofthat kind, of which he is, but he.
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der seinen Fall anhört, der einen Mann nach Gebühr bescheidet, (frei) von Übertreibung, ein Schweiger, der sein Herz ,untertaucht', zuvorkommend gegen jedermann, der sein Gesicht nicht verhüllt gegen den Hungernden. Eine freundliche Hand ist das, was geliebt wird. Die Menschen sind grundsätzlich eines Wesens. Es gibt keine Auflehnung gegen einen Beauftragten oder irgendeinen Beamten des Palastes, sondern vielmehr wird gesagt : "Neige dein Herz, sei nicht voreingenommen gegen einen Bittsteller, bis er gesagt hat, weswegen er gekommen ist." ( ... )Der gute Charakter eines Mannes taugt ihm mehr als Tausende von Gaben in Taten. Das Zeugnis der Menschen liegt in jenem Ausspruch im Munde der Geringen: "Des Menschen Denkmal ist seine Vollkommenheit, der Charakterlose wird vergessen." Wenn es nach dem Sprichwort geht, wird mein guter Name in meiner Stadt fortdauern, und mein Denkmal wird niemals untergehn. (Schenkel1964, llf.)
Das ist die Sprache der Weisheit, typischer weisheitlicher Diskurs, der nicht nur mit volksläufigen Sprichwörtern, sondern auch mit literarischen Zitaten arbeitet. So heißt es in der Lehre des Ptahhotep: Wenn du einer bist, dem Anliegen vorgebracht werden, dann halte dich ruhig und höre zu, was der Bittsteller sagt. Bescheide ihn nicht, bevor er sein Inneres ausgefegt hat, bis er gesagt hat, weswegen er gekommen ist. Ein Bittsteller liebt mehr, daß sein Spruch beachtet wird, als die Sorge, derentwegen er gekommen ist. (Zaba 1956, 36f.) 25
In diesen Inschriften bewegen wir uns im unmittelbaren Umfeld der eigentlichen literarischen Kommunikation. Das merkt man nicht nur an den mannigfachen literarischen Zitaten, sondern auch und vor allem an dem anspruchsvollen stilistischen und gedanklichen Niveau dieser Texte. Dafür ein letztes Beispiel, die Inschrift auf der Grabstele eines Antef im Britischen Museum: Ich war einer, der gegenüber dem Zornigen schweigt und geduldig istgegenüberdem Unwissenden, um der Aggression zu wehren. Ich war einer, der ,kühl' ist, frei von Übereilung weil er den Ausgang kennt und die Zukunft bedenkt.
25
Derselbe Grundsatz begegnet auch in dem als .,Einsetzung des Vezirs" bekannten Text, der in Vezirsgräbem der 18. Dyn. überliefert ist, aber wohl aus dem Mittleren Reich stammt. Dieser Text steht auf der Grenze zwichen .,Gebrauchs-" und "schöner" Literatur und zeigt, wie fließend man sich diese Grenze, vor allem auf dem Gebiet des weisheitliehen Diskurses, vorzustellen hat.
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Ich war einer, der das Wort ergreift am Ort des Streits, der den (richtigen) Spruch kennt für das, worüber man zornig ist. Ich war einer, der milde war, wenn ich meinen Namen hörte, zu dem, der mir sagte, was in meinem (lies: seinem?) Herzen war. Ich war einer, der sich zusammennimmt, der sich umwendet, milde ist, der die Tränen stillt durch ein gutes Wort. Ich war einer mit hellem Gesicht zu seinen Klienten, der seinesgleichen Wohltaten erwies. Ich war einer, der korrekt ist im Hause seines Herrn, der zu dienen weiß mit schmeichelhafter Rede. Ich war einer mit hellem Gesicht und ausgestreckter Hand, ein Herr der Versorgung, frei von ,Gesichtsverhüllung'. Ich war ein Freund der Geringen, von zuvorkommender Liebenswürdigkeit gegen den Bedürftigen. Ich war einer, der den Hungrigen versorgt, der nichts hat, der den Armen die Hand ausstreckt. Ich war ein Wissender für den, der nicht(s) weiß, der einen Mann darüber belehrte, was gut für ihn ist. Ich war ein Unterwiesener des Königshauses, der wußte, was in jeder Behörde zu sagen ist. Ich war ein Hörender, wenn ich die Wahrheit zu hören bekam, der aber das Geschwätz am Herzen vorbeiziehen ließ. Ich war angenehm für das Haus meines Herrn, einer, dessen man gedenkt wegen seiner Erfolge. Ich war einer, der vollkommen war im Verkehr mit den Behörden, geduldig, frei von Widersetzlichkeit. Ich war ein Vollkommener ohne Übereilung, der niemals einen Mann festnahm (nur) wegen eines Ausspruchs. Ich war genau wie das Zünglein an der Waage, wahrhaft korrekt wie (der Gott) Thoth. Ich war einer mit ,bleibendem Fuß' (beständig) und vortrefflichem Rat, der sich an den Weg dessen hielt, der ihn vervollkommnete. Ich war einer, der den kennt, der ihn wissen lehrt, der Rat einholt von dem, der Rat zu geben versteht und bewirkt, daß man (seinerseits) ihn um Rat fragte. Ich war einer, der spricht in der Halle der Wahrheit, gerüsteten Mundes am Orte der Herzensbeklemmung. (Grapow 1936, Tf.3; Lichtheim 1988, llOf.)
Die strenge sprachliche Form des Textes wird von der schriftlichen Aufzeichnung genau widergespiegelt: die 20 mit "Ich bin/war" beginnenden Verspaare stehen in zwei Reihen von je 10 senkrechten Zeilen untereinander. Die ornamentalisierte Aufzeichnungsform weist als ästhetischer Blickfang auf die "schöne" Form des Textes hin und stellt, als Rezeptionsvorgabe verstanden, dessen ästhetische Qualitäten in den Vordergrund (s. Grapow 1936). In der Tat stellt diese Form, und zwar vor allem deren inhaltlicher Aspekt, eine bemerkenswerte poetische Leistung dar: die thematische Beschränkung auf
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reine Wesens-Charakterisierungen, unter Ausblendung von allem, was mit Handlung und Leistung zusammenhängt, dann aber, innerhalb des so verengten Rahmens, dieser einzigartige Reichtum an charakterisierenden Aussagen. Der poetische Aufwand dieses Verfahrens wird deutlich, wenn man versuchen wollte, es aus dem Kontext einer "sinn-reimenden" Poetik wie der altägyptischen in unsere laut-reimende zu übertragen: man müßte, wenn nicht 40 gleiche Reimwörter, dann zumindest weitere Einschränkungen auf phonematischer Ebene finden wie z.B. das Vokalspiel in Walther von derVogelweides "Diu weit was gelf, rot unde bla". Die sprachlichen Ressourcen, auf deren Erschließung und Ausbeutung eine sinnreimende Poetik basiert, sind andere als bei lautreimender Dichtung: sie liegen auf dem Gebiet derbegrifflichen Artikulation und Aufgliederung von Sinnbezirken. In den Biographien des Mittleren Reichs ist es der Sinn-Bezirk der Gesinnung, der inneren Werte der Persönlichkeit, der Beamtentugenden wie Korrektheit, Unbestechlichkeit, Unparteilichkeit, Ausgeglichenheit, Geduld, Freundlichkeit, Zurückhaltung, Bescheidenheit, Belehrbarkeit, Großzügigkeit usw. usw., der so "feinmaschig" aufgegliedert wird, daß die entsprechenden Epitheta, so konventionell sie, für sich genommen, auch sein mögen (vgl. bes. Janssen 1946), in ihrer jeweiligen Komposition doch ein individuelles Porträt ergeben. Was früher, im Rahmen der Idealbiographie, der es auf "Porträtähnlichkeit" nicht ankam, mit 3 oder 4 summarischen Pinselstrichen angedeutet wurde, wird hier z.B. in 40 und mehr Strichen durchdetailliert. Diese Erschließung und Kultivierung einer ethischen Begriffswelt ist ein literarisches Phänomen, und zwar deshalb, weil sie nicht nurdem "biographischen Diskurs" zugrunde liegt, den man in seiner Orts- und Zweckgebundenheit weiterhin zur Gebrauchsliteratur rechnen wird, sondern auch und ganz besonders einem weder orts- noch zweckgebundenen, und in diesem in Ägypten ganz neuartigen Sinne, literarischen Diskurs, der sich gleichzeitig mit dem Aufschwung der biographischen Gattung nach dem Ende des Alten Reichs entfaltet. Dieser literarische Diskurs läßt sich nach seiner thematischen Ausrichtung wohl am treffendsten als "moralistisch" kennzeichnen (im Sinne von Balmer 1981 ). Den Trägerkreis dieser Literatur bildet eine neue Beamtenelite, deren Aufbau und Ausbildung zu den dringendsten innerpolitischen Anliegen der 12. Dynastie gehört (Posener 1956). Solche litterati, die sich selbst als "Weise" oder "Gelehrte" bezeichnen (äg. rlj jl]t, vgl. dazu Brunner 1966, 32-35) sind es auch, die sich zu der hochgezüchteten und hochdifferenzierten Ethik bekennen, wie sie den biographischen Grabinschriften zugrunde liegt. Der moralistische Diskurs, der aus der Notwendigkeit einer umfassenden Neuorientierung erwächst, wird aufbreiter Basis in den Grabinschriften geführt sowie gleichzeitig, und in Wechselwirkung damit, auf einer sehr viel schmaleren Ebene, deren Enthobenheil von traditionellen Funktions-Determinanten aber einen wesentlich umfassenderen, die Zusammenhänge und ihre Grundlagen reflektierenden Skopus ermöglicht: der Literatur.
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Auf die Literatur dieser Epoche hier näher einzugehen, verbietet sich aus Raumgründen. Übersetzungen der wichtigsten Texte sind in neueren Anthologien leicht auffindbar. Es handelt sich vor allem um (alle in Anführungszeichen gesetzten1itel sind modern!): A "Klagen und Prophezeiungen" 1. "Die Mahnworte des Ipuwer", Papyrus Leiden J 344, Lichtheim (1973), 149-163 2. "Die Prophezeiungen des Neferti", Papyrus Leningrad 1116B, Lichtheim, 139-145 3. "Die Klagen des Chacheperresenb", Schreibtafel BM 5645, Lichtheim, 145-148
B Dialoge 1. "Das Gespräch eines Lebensmüden mit seinem Ba", Papyrus Berlin 3024, Lichtheim (1973), 163-169 2. "Die Klagen des Bauern", Papyri Berlin 3023, 3025 und 10499, Lichtheim. 169-184 3. "Die Rede des Sisobek", Papyrus Ramesseum I, Bams (1956), 1-10 C Unterweisungen a) Königslehren 1. "Die Lehre für Merikare", Papyrus Leningrad 1116A u.a., Lichtheim (1973), 97-109 2. "Die Lehre Amenemhets I.", Papyrus Millingen, Lichtheim, 135-139 b) Beamtenlehren 1. Die Lehre des Ptahhotep, Papyrus Prisse und 2Londoner Papyri, Lichtheim, 61-80 2. Die Lehre des Cheti (Berufssatire), Papyrus Sallier li und Anastasi VII im BM, Lichtheim, 184-192 c) Loyalistische Lehren 1. Die" Loyalistische Lehre", Papyrus Louvre E 4864 u. v.a .. Posener ( 1976). vgl. Lichtheim, 125-129 2. Die Lehre eines Mannes für seinen Sohn, verschiedene kleinere Quellen, vgl. Posener(1979),308-316 D Erzählungen 1. "Die Erzählung des Sinuhe", Papyrus Berlin 3022 und 10499 u.a .. Lichtheim ( 1973), 222-235 2 . .,Die Erzählung des Schiffbrüchigen", Papyrus Leningrad 1115, Lichtheim, 211-215 3. "Wundererzählungen am Hofe des Cheops", Papyrus Westcar (= Berlin 3033), Lichtheim, 215-222
Ich halte alle diese Texte im großen und ganzen für Werke des Mittleren Reichs 26 (für A2-3, C a2, b2, cl-2 und D 1 ist dieser Ansatz ohnehin gesichert, währendA 1, B 1-3, C a1 und zuweilen auch D 2 in die Übergangszeit davor, C b1 sogar in das Alte Reich und D 3, von einigen auch A 1, in die Übergangszeit nach dem Mittleren Reich gesetzt werden), rechne aber nicht 26
Ähnlich Helck (1972). Zur Literatur des Mittleren Reichs und ihren historischen Rahmenbedingungen s. Posener (1956).
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mit einer creatio ex nihilo, sondern mit einer längeren, die Übergangszeit nach dem Ende des Alten Reichs umfassenden Vorgeschichte, die in vielen dieserTexte (besonders A 1, B 1-3, C al) auch textkritisch noch greifbar ist. Ich gehe also davon aus, daß die Entstehung dieses neuartigen literarischen Diskurses zeitlich zusammenfällt mit, und historisch erklärbar ist aus dem Ende des Alten Reichs. Das Alte Reich hatte auf die Frage nach Sinn und Bestand der menschlichen Existenz und das Streben nach Unsterblichkeit in wie auch immer gearteten Formen postmortaler Fortdauer, den "dur desir du durer" 27 , eine grandiose Antwort gefunden, die wir an den eindrucksvollen Überresten der aus dem Alten Reich erhaltenen Steinarchitektur und Plastik bewundern, die sich aber auf die Dauer als illusionär erweisen und weniger "steinzeitlichen" oder ,.megalithischen" Konzeptionen weichen mußte. 28 Der Zusammenbruch der symbolischen Sinnwelt des Alten Reichs, die den einzelnen sowohl als Baustein in das Ordnungsgefüge der Maat, der gesellschaftlichen Solidarität einfügte wie als ausführendes Organ des königlichen Willens verstand, legte die Frage wieder offen. Auf der Suche nach neuen Antworten wurden neuartige Wege beschritten. Als einer davon etabliert sich die Frühform einer im engeren Sinne literarischen Kommunikation. Andere Wege sind etwa das Aufkommen eines Seelen-Glaubens, der einzelnen Fortdauer aus eigener Kraft verheißt, und die Ausbreitung der Osiris- Religion mit der Vorstellung vom Totengericht, die eine ethische und religiöse Fundierung dieser Frage propagieren. Die Entstehung der Literatur aus den Trümmern der Sinnwelt des Alten Reichs und als Folge der Vertreibung des Menschen aus der Geborgenheit des patriarchalischen, im König zentrierten Sozial- und Ordnungsgefüges, in der jeder einzelne zur "Person" nur alsTeil eines Ganzen werden konnte, dieser Zusammenhang ergibt sich sehr klar, wenn man sich die Thematik der literarischen Texte vergegenwärtigt. Die "Klagen" und die "Dialoge" beklagen den Zerfall der gesellschaftlichen Solidarität, wobei die politisch-historische Dimension des Problems, die Zentriertheit der sozialen und ethischen Ordnung im Königtum, in den Texten A 1 und 2 sehr klar herausgestellt wird. Die Erzählungen, vor allem D 1 und 2, kreisen in ganz anderer Form um dasselbe Thema, denn sie behandeln die Isolation des Flüchtlings und des Schiffbrüchigen als Paradigma der Vereinsamung des auf sich
27
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Mit dieser Wendung Paul Eluards kennzeichnet Steiner ( 1972), 100 einen .. persistenten, ja zentralen Bestandteil westlicher Kultur". der aber gewiß nicht das Proprium .,westlicher" Kultur darstellt und etwa für die altägyptische Kultur in ganz besonders ausgeprägter Weise zutrifft. Die Kritik der Steinarchitektur als Realisierung von Ewigkeit gehört zu den Themen der neuen Literatur, vgl. besonders den Berliner Papyrus 3024 (B 1 der obigen Liste) und das .. Anteflied" (die Stellen bei Assmann 1977). In der Tradition dieser Kritik steht auch der eingangs zitierte Pap. Chester Beatty IV, vgl. auch Kap. I, S. 27 ff.
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selbst gestellten, aus dem gesellschaftlichen Einklang herausgefallenen Menschen. Die Freilegung dieser Probleme durch den Zusammenbruch des vorhergehenden Sinn-Systems hat sie einer tiefgreifenden und umfassenden Reflexion ausgesetzt. Daß der durch diese Sinnkreise herausgeforderte weltbildreflektierende Diskurs in Form von "Literatur.. auftritt, daß also die Entstehung literarischer Kommunikation durch eine umfassende Sinnkrise provoziert wird, dürfte in der Geschichte kein Einzelfall sein, wenn auch das Aufblühen einer Kunst im Zusammenhang mit dem Zerfall politischer Macht ein bemerkenswertes und in der Sozialgeschichte der Kunst sonst nicht leicht zu belegendes Faktum darstellt. Der ägyptische Befund, wie ich ihn interpretieren möchte, als Entstehung von Literatur aus den Trümmern einer vorangegangenen Sinnwelt und dem Zusammenbruch der sie tragenden Gesellschaft, entspricht aber in geradezu paradigmatischer Weise dem Zusammenhang von Literatur und Revolution, wie ihn Helmut Kuhn in seiner "phänomenologischen Skizze" (1981) aufzeigt. Das gilt für die beiden von H. Kuhn hervorgehobenen Punkte: für den Zusammenbruch einer Sinnwelt, der Offenheit schafft für neue Sinnerschließungen, und für den Zusammenbruch von Verständigungsgemeinschaften und Verständigungstraditionen, der Öffentlichkeit schafft als das neue Forum der entstehenden Literatur. Die allgemeine Betroffenheit von der Inkohärenz und der Unverständlichkeit des Ganzen führt zu einem allgemeinen, funktional unfestgelegten Bedarf an Texten, wie er sich in dem umfassenden thematischen Skopus der erhaltenen Werke widerspiegelt, die von Gott und Welt und von den Grundlagen der menschlichen Existenz handeln. Die Rede von der "Entstehung der Literatur", aus was für historisch belegbaren Ermöglichungs- und Rahmenbedingungen auch immer, hat etwas, das zum Widerspruch herausfordert, weil es uns trotz allem die Annahme einer creatio ex nihilo zumutet. Sollte es eine literarische Kommunikation nur deswegen vorher nicht gegeben haben, weil uns keine datierten literarischen Handschriften dieser Zeit erhalten sind? Selbst wenn dieser Schluß e silentio legitim wäre, ließe sich immer noch argumentieren, daß dieser "literal-literarischen" Kommunikation eine "oral-literarische" sowohl vorausgehen als auch nebenherlaufen könnte, was der auf schriftliche Texte fixierte Philologe bekanntlich allzu leicht übersieht. Diese Möglichkeit wenigstens läßt sich, wenn nicht geradezu ausschließen (vgl. n. 21), so doch als sehr unwahrscheinlich einstufen. Diese Texte machen einen ausgesprochen artifiziellen Eindruck, den man als Zeichen schriftlicher Kommuniktion werten möchte. Vor allem thematisieren sie selbst ihre Distanz zur Folklore, indem sie rekonstruierbare mündliche "Sprechsitten" (Seibert 1967) umdeutend zitieren. Man kann sich auch kaum "Brauchtumsgestalten" vorstellen, in die diese Texte in ihrer Komplexität, ihrer schwer überschaubaren Länge, ihrer vielschichtigen
VII. Schrift, Tod und Identität
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und höchst anspruchsvollen "philosophischen" Thematik passen würden. Was diesen Texten an Formen mündlicher Kommunikation außer den schon erwähnten Legenden und Sprüchen berühmter "Weiser" möglicherweise vorausliegt und worauf in einigen von ihnen (vor allem B 2, C a1, b1) sehr explizit Bezug genommen wird, ist die "Kunst" (scil. der Rede), d.h. eine höfische, forensische, juristische und didaktische Rhetorik. Vor allem aber liegt ihnen eine Form schriftlicher Kommunikation voraus: die autobiographische Grabinschrift. Die bedeutendste Erzählung der altägyptischen Literatur, die "Geschichte des Sinuhe" (D 1), gibt sich als Kopie einer autobiographischen Grabinschrift. Durch diese Einkleidung macht sie sich die in der Gattung der Grabbiographie liegenden literarischen Möglichkeiten zunutze. Es sind Möglichkeiten nicht des Erzählens, sondern des schriftlichen Erzählens, der motivierten, bedeutungsvollen Aufzeichnung von Erzählung. Schreiben heißt: auf Dauer stellen, bewahren, verewigen. In der biographischen Grabinschrift wird das Leben unter dem Gesichtspunkt der Resultativität aufzeichnungsfähig: als "ausgereifte Endgestalt" und als die Geschichte ihres Gewordenseins. Es ist diese Perspektive, die Perspektive des Todes, die für den Ägypter, wie wir gesehen haben, Vergangenheit, Geschichte und Identität thematisierbar und aufzeichnungsfähig macht. 29 Diese Perspektive macht sich die literarische Erzählung zunutze, um die Aufzeichnung zu motivieren. Bedarf es eines stärkeren Hinweises auf den durch und durch schriftlichen Charakter dieses Werkes? Der testamentarische Charakter der schriftlichen Aufzeichnung entspricht dem Wesen nicht nur des historischen, sondern auch des weisheitliehen Diskurses. Die ägyptische Weisheitslehre gibt sich als eine Art Abschiedsrede, die der greise ( C b 1), in einigen Fällen sogar der tote Vater (C a1-2) an seinen Sohn richtet. 30 Sie versteht sich selbst als eine" Unterweisungzum Gespräch mit der Nachwelt" (Ptahhotep: Zaba 1956, 57.517-519): Sie (die Lehren) sind eine Unterweisung, wie ein Mann zur Nachwelt sprechen soll. Wer sie hört, wird selber zu einem Experten, der gehört wird. Gut ist es, zur Nachwelt zu sprechen: sie ist es, die es hören wird.
Die Grabherren nehmen das Gespräch mit der Nachwelt auf. Daher wird der weisheitliehe Diskurstyp wiederum von den biographischen Grabinschriften vor allem des Mittleren Reichs nachgeahmt. Literatur und Grabinschrift entfalten sich, nach dem Ende des Alten Reichs, in Wechselwirkung aufeinander. Die Literatur wird in vieler Hinsicht zum Vorbild der Grabinschrift. Das Grab aber ist, in Ägypten, die Vorschule der Literatur. 29
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Vgl. Benjamins Essay über Lesskow, aus dem das zweite Motto stammt und auf den mich Aleida Assmann hingewiesen hat: Benjamin (19n), 396f. Diesen Zusammenhang hat Bergman (1979a) und (1979b) sehr deutlich herausgearbeitet.
VIII. Der schöne Tag. Sinnlichkeit und Vergänglichkeit im Altägyptischen Fest A. Die Form des Festes
1. Gesellige Feste: die Gastmahlszene in den Beamtengräbern der 18. Dynastie (1500--1300 v. Chr.) a) Die Bilder Im Neuen Reich, in der Regierungszeit der Königin Hatschepsut und ihres Neffen Thutmosis 111., die für das pharaonische Ägypten sowohl in politischer wie in kultureller Hinsicht eine Blütezeit heraufführte, tauchen in den Felsgräbern, die sich die Großen des Reiches in der Nekropole der Hauptstadt Theben anlegten, Szenen eines festlichen Gastmahls auf, die mit der Amamazeit wieder aus dem Dekorationsprogramm eines Beamtengrabes verschwinden. Diese Szenen vermitteln in ihrer Verbindung von Bild und Text und ihrer vielfigurigen Komplexität einen einzigartig dichten und farbigen Eindruck vergangeocr Wirklichkeit. Wir dürfen sie, bestimmte ikonologische Regeln hinsichtlich des Wirklichkeitsbezugs ägyptischer Grabbilder gebührend in Rechnung gestellt 1, durchaus als ethnographische Quellen betrachten, die uns für die Festkultur der Zeit und der Klasse - der höchsten Oberschicht - kostbare Aufschlüsse geben können. Die typische Gastmahlzeit ist zunächst zweiteilig aufgebaut: auf der einen Seite der Grabherr und seine Gemahlin als Gastgeber vor einem Tisch mit Speisen, auf der anderen Seite, ihnen gegenüber, die Gäste. In den frühen Darstellungen prunkt man mit der Fülle der Geladenen. Man stellt sie in drei oder vier Registern übereinander dar, alle in gleicher Haltung und Blickrichtung.2 1
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Für das Verständnis der Wandbilder in den ägyptischen Beamtengräbern ist vor allem der Umstand entscheidend, daß die dekorierten Teile der Grabanlage nach der Beisetzung zugänglich blieben. Alles, was sich im unzugänglichen Teil an Ausstattung findet, ist eine Beigabe für den Grabherrn, alles, was im zugänglichen Bereich steht, eine Botsclulft an die Nachwelt, und zwar tritt dieser Aspekt um so dominierender hervor, je weiter außen ein Wandbild angebracht ist und je besser es beleuchtet ist. Bei den Kultszenen im hinteren Grabteil tritt dieser Aspekt zurück. Die Gastmahlsszenen stehen in der Regel in der vorderen .,Querhalle" an gut beleuchteter Stelle und dienen im Sinne einer Botschaft an die Nachwelt der biographischen Repräsentation des Grabherrn. Sie beziehen sich also nicht auf Fiktionen jenseitigen Festgelages, sondern auf eine typische Form seines diesseitigen Lebens, die ihn im Glanz seines Standes zu charakterisieren vermag. Zu den Gastmahlsszenen vgl. zuletzt M. V. Fox (1982), S. 268-316, mit einer Liste der Szenen 302-304. Vgl. Wegner (1933), 38-164, hier: 72f.
VIII. Der schöne Tag
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Die einzige Abwechslung bieten die verschiedenen Handlungen, die die jugendlichen Dienerinnen und Diener3 an den Gästen ausführen: Darreichen von Wein und Speisen, von Salbgefäßen und Handwaschbecken und Blumen, Umlegen von Schmuckkragen und Blütenkränzen, Auftragen von Duftsalben usw. Die ganze Szene wirkt wie ein Ritual 4 . Der Eindruck zeremonieller Steifheit verliert sich jedoch sehr schnell in den Gräbern der Folgezeit. Ganz offensichtlich geht er weniger zu Lasten der Feier selbst als der künstlerischen Gestaltungsmittel, die sich gerade an der Arbeit an dieser Szene enorm verfeinern. Das Motiv der Gastmahlsszene wird zu einer Schule malerischen Raffinements. Die Anzahl der dargestellten Gäste wird reduziert: Dadurch verliert die Szene den listenartigen und ritualistischen Charakter und gewinnt an Geschlossenheit. Auf die einzelnen Figuren, auf Details ihrer Körperformen, Schmuckstücke und Haartracht wird nun mit viel größerer Liebe und Sorgfalt eingegangen 5 . Vor allem variieren Gestik und Blickrichtung. Die einzelnen Figuren werden dadurch zu anmutigen Gruppen aufeinander bezogen 6 • Am deutlichsten läßt sich der Wandel- die "Entritualisierung" und Verlebendigung der Festszene- an der Darstellung des Grabherrn zeigen. In den frühen Belegen sitzt er mit seiner Gemahlin vor einem Opfertisch, nicht anders als in zahllosen anderen Darstellungen des rituellen Totenopfermahls. Die Gastmahlsszene wirkt wie eine bloße Erweiterung der traditionellen Totenopferszene. In der späteren Zeit aber weicht der rituelle Speisetisch vor dem Grabherrn und seiner Gemahlin einem zierlichen, mit Girlanden bekränzten Gestell, und an die Stelle des Totenpriesters im PantherfeH treten anmutige Mädchen. Darin spiegelt sich ein grundlegender Bedeutungswandel der Szene wider. Der Grabherr empfängt nun nicht mehr den Totenkult, während seine Gäste sich den Freuden des Festes hingeben, sondern er wird selbst, genau wie seine Gäste, mit Trank, Schmuck und Salben. also den Gaben der Festfeier, versorgt?. Vor allem bekommt die Szene nun einen neuen Mittelpunkt. War sie vorher zweigeteilt: auf der einen Seite 3
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Dabei gilt für die frühen Darstellungen, daß Frauen von Mädchen und Männer von Knaben bedient werden. Männerund Frauen sitzen auch getrennt in besonderen "Registern". Vp. als ein besonders typisches Beispiel die Gastmahlsszene im Grab des Wesirs Rechmire: Davics (1943), Tafel64--67. Sc findet sich z.B. der früheste Beleg für die Angabe aller 5 Zehen beim zurückgestellten Fuß im G'ab des Djeserkareseneb (Theben, Grab Nr. 38, Amenophis 11/Thutmosis IV) im Zusammenhcng der Gastmahlsszene bei einem bedienenden Mädchen und bei zwei Töchtern des Grabhtrrn, also im thematischen Zusammenhang "jugendliche Schönheit". Vgl. Russmann (1980), 57-81. V~. hierzu Assmann (1975c) und (1983d), 21-27. V~. Schott (1953), 837 (73). Schott bemerkt dazu, daß dieser Bedeutungswandel nicht die Feier sebst betrifft, sondern ihre Darstellungsform auf der Grabwand, und schließt eine interessante Stabachtung an: "doch bleibt weiter die Würde des Grabherrn gewahrt. Er nimmt Trunk und Kagen nie durch Ausstrecken einer Hand entgegen wie Speisen oder Sistren oder mit beiden Hmden wie die heiligen Sträuße. Er wird nie beim Gesalbtwerden dargestellt wie seine Gäste."
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Menschenbild und Lebensformen
der Grabherr und seine Gemahlin beim Totenmahl, auf der anderen Seite die Gäste mit Musik und Bedienung beim festlichen Gelage, so nimmt sie jetzt eine dreiteilige Struktur an. Zwischen den Gruppen des Grabherrn und seiner Frau auf der einen und den wenigen, durch Dienerinnenfiguren akzentuierten Gästegruppen auf der anderen Seite tritt jetzt als bewegte Mitte zwischen ruhigen Polen eine Gruppe hervor, die von den ihre Eltern bedienenden Töchtern des Grabherrn und vor allem von der Gruppe der Tänzerinnen und Musikantinnen gebildet wird. Dieser Gruppe, die dadurch zum Herzstück der gesamten Szene wird, gilt ganz offensichtlich die besondere Liebe und Sorgfalt der Künstler. Diese unverkennbare Schwerpunktbildung scheint mir darauf hinzuweisen, daß das entsprechende Gegenstück in der Wirklichkeit, also die musikalisch-tänzerischen Darbietungen während einer Festfeier, im Mittelpunkt solcher Veranstaltungen standen und den Inbegriff der zeitgenössisch-ägyptischen Vorstellungen von Festlichkeit bildeten. Zum Verständnis dieser so zentralen Musikszene muß man sich vor Augen führen, daß es sich dabei um ein äußerst intensives, komplexes und viele Sinne zugleich in Anspruch nehmendes Ereignis handelt. Da ist zunächst der Klang, der durch die verschiedenen Instrumente erzeugt wird. Die typische Besetzung eines ägyptischen Ensembles sind Flöte, Laute und Harfe, dazu auch Lyra und Tamburin. Zum Klang der Zupfinstrumente wird oft gesungen; es gibt aber auch reine Vokalisten, die ihren Gesang durch Klatschen begleiten. Der Gesang fügt dem Klang die Sprache hinzu. Das dritte Element in dieser Darbietung bildet der Tanz. Einerseits treten zur Musik zierliche und offenbar sehr junge Mädchen auf, die (geradezu akrobatisch anmutende) Tanzbewegungen ausführen, andererseits bewegen sich manche Instrumentalistinnen im Takt ihrer Musik. DerTanz gibt dem Ganzen nicht nur eine optische Gestaltung im Sinne eines Einklangs von Ohren- und Augenweide. Es ist auch vollkommen unverkennbar, daß es bei dieser "Augenweide" vornehmlich um erotische Ausstrahlung geht. Die Musikantinnen tragen entweder durchsichtige Gewänder, die mehr zeigen als verhüllen und in Ägypten als erogen galten 8 , oder sie sind überhaupt nur mit Schmuckstücken "bekleidet" (dazu gehören ein schmaler perlenbestickter Hüftgürtel, der oberhalb der Scham getragen wird, ein Blütengebinde im Haar, Schmuckkragen und
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So wünscht sich z.B. König Snofru für eine Lustfahrt als Ruderer .. zwanzig Mädchen mit makellosem Körper und (junger) Brust und mit Zopffrisur und die noch nicht geboren haben. Man hole mir weiter zwanzig Perlennetze und gebe diese Netze den Mädchen anstelle ihrer Kleider" (Pap. Westcar, nach Übers. v. E. Brunner-Traut (11986, 14). Vgl. dazu die Tabuhu-Episode im 1. Setna-Roman (E. Brunner-Traut, ebd.: "da erhob sich Thbubu und zog ein Gewand von feinstem Königsleinen an, so daß Seton alle ihre Glieder hindurch sah und sein Verlangen noch größer wurde ... " Zu Nacktheit und Bekleidung vgl. auch Schott (1939), lOOff.
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Armbänder) und dadurch im Zustand "festlicher Nacktheit" dargestellt 9 . Das Bemühen der Künstler, etwas von der sinnlichen Ausstrahlung des Festgeschehens im Bilde wiederzugeben, ist unverkennbar und oft beschrieben worden 10 • Denn die Körperformen der Dienerinnen und Musikantinnen werden nicht nur sichtbar gemacht, sie werden auch mit einer Sinnlichkeit darge·stellt, die der ägyptischen Kunst mit ihrer "hieroglyphischen", d.h. schriftartig klaren und nüchternen Formgebung eigentlich fremd ist. Ohne Zweifel geht es dem Künstler darum, nicht einfach "Mädchen", sondern "schöne Mädchen" darzustellen, d.h. das Schönheitsideal der Zeit (wie es etwa die Liebeslieder einer etwas späteren Epoche in Worten beschreiben) im Bilde darzustellen 11 • Erotische Ausstrahlung, soviel läßt sich zusammenfassend festhalten, ist ein zentrales Ingrediens der in diesen Szenen dargestellten Festlichkeit, und sie verbindet sich in erster Linie mit der musikalisch-tänzerischen Darbietung. Wenn man sich an den bildliehen Darstellungen orientiert, dann gehören Musik und erotische Ausstrahlung aufs engste zusammen. Musik und Liebe sind in Ägypten Sache derselben Göttin: Hathor, die die Griechen der Aphrodite gleichsetzten. Hatbor ist zugleich auch die Göttin der Trunkenheit. Sie verkörpert den Akkord von "Wein, Weib und Gesang", der offenbar auch in Ägypten das Zentrum des Festes bildet. Die Maler versuchen gelegentlich sogar, auch den Rausch darzustellen 12 . Im übrigen ist dieser Aspekt des Festes jedoch vor allem Sache der Texte, auf die wir unter (c) eingehen wollen. Eine ganz besonders auffallende Rolle spielt schließlich der Wohlgeruch, den einerseits die Fülle der Blumen, andererseits balsamische Essenzen ausströmen. Die zahllosen Blütenkränze und Girlanden, mit denen die Gäste, die Tische und Stühle, Weinkrüge und alles mögliche geschmückt sind, müssen vor allem fürs Auge gedacht gewesen sein, aber die Lotusblüten in den
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Diese Kategorie habe ich als Deutung für die Nacktheit einer Statue aus der 5. Dyn. (um 2350 v. Chr.) vorgeschlagen, die einen Mann mit dem Tttel .. Vorsteher der königlichen Herzensvergnügungen" darstellt: Ruperto Carola 69 ( 1983), 133-134. Dieser Snofru-nefer war Musiker und von Berufs wegen für die höfischen Feste zuständig. Vgl. z.B. Wolf (1957), 495: "Alle diese Züge verraten eine unverkennbare Neigung, sich malerischer Gestaltungsmittel zu bedienen, um die Reize des schönen Scheins einzufangen." Vgl. auch Assmann (1988d). Vgl. hierzu Assmann (1988d). Das drastische Motiv des Gastes, der des Guten zuviel genossen hat und sich von dem ihm dargebotenen Becher ab- und dem Spucknapf zuwenden muß, wobei, je nach dem Geschlecht des Gastes, ein Diener oder eine Dienerio ihm den Kopf stützt, kommt m. W. in fünf Gräbern vor: Theben, Grab Nr. 22 (unveröffentlicht);Theben, Grab Nr. 38;Theben, Grab Nr. 53 (Schott 1953, Tafel XI);Theben, Grab Nr. 84 und Theben, Grab Nr. 49 (N. de G. Davies, The Tomb of Nefer-horep, Tafel XVIII, 27 m. Anm. 29). Dazu W. Wreszinski, Atlas zur ägyptischen Kulturgeschichte I, 329 (Brüssel E 2877) und 179.
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Händen der Gäste sind ihres Duftes wegen geschätzt 13 • Den intensivsten Wohlgeruch werden jedoch die Salben und balsamischen Öle verbreitet haben, mit denen sich die Festteilnehmer buchstäblich durchtränkt haben. Im Bilde werden sie in Form eines Kegels dargestellt, den die Festteilnehmer auf dem Kopf tragen (der sogenannte Salbkegel). Man nimmt an, daß dieser Salbkegel in der Hitze des Festverlaufs schmolz und sich nach unten über Körper und Kleider verbreitete. Dies zog eine Verfärbung der Kleider nach sich, die in Gelb- und Orangetönen dargestellt wird. Auch diese Verfärbung der weißen Gewänder ist ein Symptom der Festlichkeit, auf das die Maler Wert legen. Nehmen wir zu alledem noch den Wohlgeschmack der erlesenen Speisen und Getränke, die ebenfalls auf den Wandbildern mit liebevoller Detailfreude ausgebreitet werden, so ist in der Tat, wie A. Hermann einmal treffend bemerkte, bei diesen Festen "für alle Sinne gesorgt" 14 • Und es ist erstaunlich, zu sehen, wie die Kunst im Bemühen, dieses Thema wiederzugeben, selbst in einer für Ägypten neuartigen Weise "sinnlich" wird. Diese Entwicklung nimmt in der Festszene ihren Anfang, aber sie bleibt nicht darauf beschränkt. Das heißt, daß die ägyptische Kunst insgesamt in der späteren 18. Dyn. eine Sinnlichkeit gewinnt, die ihrem Ursprung nach festlich ist. Wir können dieser interessanten Entwicklung hier nicht nachgehen. Worauf wir aber in diesem Zusammenhang eingehen müssen, ist dieses eigenartige Zwwmmenspiel von Kunst und Leben. Diesem den Wandbildern so deutlich abtesbaren Bemühen um die Veranschaulichung von Schönheit entspricht in der Realität eine multimediale und .,multi-sensorische" Inszenierung von Schönheit, die ihrerseits einen hochkünstlerischen Charakter besitzt. Das fängt mit Künsten an, die auch wir als solche anerkennen: Musik, Tanz, Lyrik; und es setzt sich fort in den ungewöhnlicheren Künsten der Salbenbereiter, der Blumenbinder, der Köche und Trankmischer, der Goldschmiede und Toreuten, der Weber und Tischler, der Perückenmacher und der Kosmetiker und wer immer sonst an dieser Verwirklichung von Schönheit beteiligt ist. Auch die "Schaffnerei", die anmutige Bedienung der Gäste, ist eine Kunst, die gelernt sein will. Alle diese Künste werden aufgeboten, um eine Festfeier zu realisieren. Das heißt: Sie wirken dem Alltag entgegen. Sie dienen der "Entalltäglichung" des Lebens, und zwar durch eine gezielte Intensivierung von Sinnenreizen. Das Fest, das Lieblingsthema der Flachbildkunst, ist in sich ein Kunstwerk, und zwar- was die beteiligten Medien, Künste und Sinne angeht, ein "Gesamtkunstwerk''. Das Fest ist der Ort, wo das Leben in Kunst übergeht, und es ist auch innerhalb der ägyptischen Kunst der Ort, wo sie in einem engeren und eigentlicheren Sinne "Kunst" ist. 13
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Es gibt einen Gott der Lotusblume, Nefertem, der zugleich der Gott der Salben und des Wohlgeruchs ist. Nefertem ist "die Lotusblüte an der Nase des Sonnengottes" (Pyr § 266). Hermann (1959), 50f. Auch A. Hermann spricht von einer "erotisch gespannten Atmosphäre".
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b) Die ,.Auratisierung" des Augenblicks: Stimmung und Atmosphäre.
Wir haben im ersten Abschnitt die bildliehen Darstellungen von Gastmählern in den Beamtengräbern der 18. Dyn. behandelt. Wir wollen sie nun auf die Eigenart der in ihnen dargestellten Festsitten hin auswerten. Wir wollen dabei in zwei Schritten vorgehen. Zunächst wollen wir uns eng an die Bilder halten und die in ihnen veranschaulichte sichtbare und sinnliche Außenseite des Festes. Erst dann wollen wir die Texte hinzunehmen, die uns etwas über den Sinn des Festes und seinen religiösen Hintergrund mitteilen 15 • Die dargestellten Festaktivitäten und -Ingredienzien haben als gemeinsamen Nenner den sinnlichen Genuß, wobei eine Fülle von Sinnen zugleich angesprochen wird. In vorderster Linie stehen bei dieser Inszenierung gemeinsamen Genusses als die zentralen und unverzichtbaren Elemente und Ingredienzien des Feierns Duft und Geschmack 16 • Lotusblüten, Salbkegel, Trinkschalen und Speisetische bilden sozusagen die "Grundausstattung" der Feiernden. Schmecken und Riechen, die H. Tellenbach 17 unter dem Begriff des "Oralsinns" zusammenfaßt, gelten als "niedere Sinne". Diese Hierarchisierung der sinnlichen Wahrnehmung hängt mit der kognitivistischen Vereinseitigung unserer Kultur zusammen. Für Kant etwa wächst dieses Untere mit dem Grade der Affizierbarkeil, die in umgekehrtem Verhältnis zum Vermögen des Erkennens steht. "Je stärker die Sinne bei ebendemselben Grade des auf sie geschehenden Einflusses sich afficiert fühlen, desto weniger lehren sie." (Anthropologie§ 20). Die "höheren" Sinne bringen Subjekt undWeit in erkennende Distanz, die "niederen" Sinne verbinden Subjekt und Welt in affektiver Verschmelzung. "Im Tätigsein des Geruchsinns wie des Geschmacksinns verschmilzt das Subjekt mit der im Duft und Geschmack sich präsentierenden Welt. " 18 Genau auf solche affektive Verschmelzung von Subjekt und "Welt" kommt es beim ägyptischen Festgeschehen an. Was das für eine "Welt" ist, mit der das "afficierte" Subjekt im Vollzug der sinnlichen Wahrnehmung verschmilzt- darüber geben die Texte zumindest Andeutungen. Wir werden darauf zurückkommen.
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Wir wollen es allerdings vermeiden, allzu tief in den religiösen Hintergrund dieser Feier, d. h. des thebanischen "Talfests", einzudringen. Hierfür können wir auf die meisterhafte Monographie von Schott (1953) verweisen, sowie Graefe (1985) und besonders Wiebach (1986). Uns geht es vielmehr um eine allgemeine Struktur geselligen und privaten Feiems, ein Festmahl im (erweiterten) häuslichen Kreise, wie es sich vermutlich mit verschiedenen Götterfesten und sonstigen Anlässen verbunden hat, aber aus bestimmten Gründen besonders in Verbindung mit dem Talfest in den Gräbern dargestellt wurde (wenn auch keineswegs ausschließlich, wie Fox 1982 mit Recht gegen Schott 1953 geltend macht). Vgl. hierfür die vorzüglichen Analysen von Teilenbach (1968). Ebd., 13ff. Ebd., 27.
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Damit Riechen und Schmecken zum Medium affektiver Verschmelzung werden können, müssen sie stilisiert werden. Essen und Trinken, im Alltag die Befriedigung leiblicher Bedürfnisse, werden im Fest als Geschmackserlebnis zelebriert. Dies ist der Punkt, an dem- schon auf der Ebene des Lebens selbst (und nicht erst bei seiner Abbildung)- die Kunst ins Spiel kommt. Die Stilisierung der Speisen und Getränke, durch erlesene Waren, kostbare Gewürze, sorgfältigste Zubereitung und Darreichung in besonderen Gefäßen, sowie die Stilisierung der Gerüche durch Blumen, Salben, Räucherwerk und duftende Öle bewirkt jene "Umschaltung" der sinnlichen Wahrnehmung von "erkennender Distanz" auf "affektive Verschmelzung", die ein zentrales Merkmal des Festlichen ist. Affektive Verschmelzung, wir werden darauf gleich noch näher eingehen, können wir uns nämlich im Alltag nicht leisten; sie wäre ohnehin als Dauerzustand undenkbar. Statt die Sinne einzuteilen in solche der distanzierenden Erkenntnis und solche der affektiven Verschmelzung, nehmen wir an, daß jedem Sinn beide Optionen offenstehen. So unterscheidet etwa Teilenbach beim "rezeptiven Oralsinn" ein "stimmend-empfindendes" und ein "prüfend-bestimmendes Riechen und Schmecken". Dadurch ergibt sich bereits auf der Ebene des Oralsinns die "Alternative zwischen ästhetischer und theoretischer Einstellung" 19 • Der Begriff der "Stimmung" oder "Atmosphäre", wie ihn Teilenbach entwickelt, ist in diesem Zusammenhang zentral. Teilenbach versteht darunter eine Emanation, und zwar in erster Linie die Emanation einer Person 20 . In unserem Zusammenhang wird sich anband der Texte zeigen lassen, daß die Quelle der atmosphärischen Emanation nicht in einer anwesenden Person verkörpert, sondern im Vollzug des Feierns kreiert wird. Für uns ist wichtig, daß sich diese Stimmung oder Atmosphäre allen Festteilnehmern mitteilt. An der "affektiven Verschmelzung" von Subjekt und Welt haben alle gleichermaßen Anteil, d.h. der einzelne Festteilnehmer "verschmilzt" nicht nur "mit der in Duft und Geschmack sich präsentierenden Welt'', sondern auch mit der Gruppe, die Teil dieser Welt ist. "Man genießt das Mahl miteinander, doch zugleich auch die, mit denen man das Mahl teilt. " 21 . Riechen und Schmecken sind die soziogenen Sinnepar excellence. Daher ist das gemeinsame festliche Essen, d.h. Geschmackserlebnis, eine Kommunion, in der sich die Gruppe ihrer Gemeinsamkeit und der einzelne seiner Zugehörigkeit zur Gruppe vergewissert. Der Geschmack ist "soziogen" im doppelten Sinne: er beruht auf, und stiftet, Gemeinschaft. Diese Struktur der Gegenseitigkeit tritt beim Riechen noch viel klarer hervor. "Riechen" hat bekanntlich eine transitive und eine intransitive Bedeutung. Man "riecht" den ande19
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Ebd .. 2fr37. Ebd., 4fr53. Ebd., 44. Teilenbach fügt hinzu: .,Nichts ist aufschlußreicher für Geist und Geschmack von Individuen wie von Kulturen als Mahlszene und Mahlgespräch" und verweist dafür auf Platos Symposion und Kierkegaards "In vino veritas" (in den "Stadien").
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ren, und man "riecht" selbst. Diesen Doppelsinn müssen wir im Zusammenhang der "ästhetischen Einstellung" auf festlich stilisierte Gerüche mit dem Begriff des Duftens verbinden. Selbst duftend, erfreut man sich am Wohlgeruch, den die anderen im Verein mit der Blumenpracht ausströmen. Der Oralsinn, wie H. Teilenbach ihn beschreibt, bringt den Menschen in eine besondere Beziehung sowohl zum Raum als auch zur Zeit, die auffallende Entsprechungen zum Festlichen zeigen. Was den Raum angeht, handelt es sich um einen sozialen Raum 22 • Für ihn gilt: "Der Oralsinn ist ein Sinn der Nähe" (Ebd., S. 27). Der Oralsinn stiftet Gemeinschaft, Intimität, Vertrauen, und zwar durch die Gemeinsamkeit und Reziprozität des Genießens, die gemeinsame Teilhabe an einer alle verbindenden Stimmung und Atmosphäre. Die Parallele zum Festlichen ist evident. Nicht anders steht es mit dem, was Teilenbach zum Zeitbezug des Oralsinns ausführt. Das Besondere am Oralsinn im Gegensatz zum Sehen und Hören (weniger zum Tasten) ist die Dominanz der "Leerform" 23 • Die meiste Zeit vergeht ohne Riechen und Schmecken. Weiter "ist für das Wesen dieses Sensoriums bezeichnend, daß selbst ein Wohlgeruch nur dann genußvoll erlebt wird, wenn er nur eine bestimmte Zeit lang verspürt wird" 24 • So ist diese Sinneswahrnehmung zwar einerseits ganz auf den flüchtigen Augenblick fixiert; andererseits wohnt ihr aber auch eine vergegenwärtigende Kraft inne. Duft und Geschmack vermögen in eine andere Zeit zu versetzen bzw. den Augenblick der sinnlichen Wahrnehmung mit Erinnerung oder auch mit dem Bewußtsein einer anderen Zeitlichkeit und Erlebnissphäre zu erfüllen, für die z.B. der australische Begriff der "Traumzeit" 25 eine nicht unangemessene Bezeichnung sein könnte. Was wir hier, im engen Anschluß an H. Tellenbach, für Riechen und Schmecken ausgeführt haben, läßt sich nun mühelos in den Bereich des Optischen und des Akustischen ausdehnen. Alle Sinne werden bezaubert: das Ohr durch die Klänge der Stimmen und Instrumente, das Auge durch den Liebreiz der jungen Dienerinnen, Tänzerinnen, Musikantinnen. Was dies betrifft, müssen wir den Geschlechtssinn hinzunehmen. Denn auch bei dem, was Ohr und Auge wahrnehmen, geht es in erster Linie nicht um distanzierendes Erkennen, sondern um "affektive Verschmelzung", d.h. um eine Sinn Dem eigentlichen Raum gegenüber verhält sich der Oralsinn indifferent: .,Es gibt kein Hier und Dort" (Ebd., 27). n Teilenbach zitiert hierfür E. Straus, Die Ästhesiologie und ihre Bedeutung für das Verständnis der Halluzinationen, in Archiv f. Psychilltr. u. Nervenkr. 182, 1949, 301: "Jeder Sinn hat eine ihm eigentümliche Form der Leere." Und er fährt erläuternd fort: "Wie sehen, solange Licht ist; wir hören fast ständig, wenngleich wir dem Hörbaren- wie übrigens auch dem Sichtbaren- nicht immer offenstehen. Wir fühlen selten, fühlen z.B. die Kleidung nicht, wenn sie uns paßt. Noch seltener geschieht es, daß wir riechen und schmecken. Die Leere (oder Indifferenz) ist hier im selben Maße dominierend, als sie im Sehen nahezu fehlt." 24 Teilenbach (1968), 29f. "Der Genuß durch diesen Sinn", schreibt Kant, "kann immer auch nur flüchtig und vorübergehend sein, wenn er vergnügen soll" (Anthropologie,§ 21). 25 Vgl. Stanner 1979; Koepping 1981.
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nesdarbietung, die darauf angelegt ist, das wahrnehmende Subjekt im höchsten ~laße zu affizieren. Nimmt man nunalldas zusammen: die Geruchs- und Geschmackserlebnisse, die musikalische Einstimmung und die optische und olfaktorische Affizierung des Geschlechtssinns26 , dann bekommt man einen Eindruck von der "atmosphärischen Überflutung" 27 des Festgeschehens. An diesem Punkt gerät unsere Analyse zu einem Balanceakt. Denn auf der einen Seite dürfen wir die erotische Intensität dieser Veranstaltungen nicht unterschätzen, auf der anderen Seite aber dürfen wir uns darunter wohl auch keine Orgien vorstellen. Das Orgiastische 28 , nach allgemeiner religionsgeschichtlicher Vorstellung ein Kennzeichen vorderasiatischer Fruchtbarkeitskulte und ihrer Feste, scheint den Ägyptern von Grund aus fremd gewesen zu sein. Wir haben es bei diesen Festen offenbar mit einer Ästhetisierung auch des Geschlechtssinns zu tun. Ebenso wie Essen und Trinken werden im Fest auch die jungen Mädchen zum "ästhetischen Objekt". Um das zu verstehen, müssen wir vorgreifend eine literarische Quelle zu Hilfe nehmen. Der Pap. Westcar erzählt von einer ähnlichen Inszenierung 29 • König Snofru ist von Schwermut befallen. Als Therapie wird ihm eine Lustfahrt anempfohlen. Also läßt er zwanzig Ruder aus Ebenholz bringen, die mit Gold beschlagen sind, die Griffe aus weißgoldbeschlagenem Sandelholz. Weiter läßt er zwanzig Frauen kommen "von schönem Körper und Brüsten, mit Zopffrisur, die noch nicht geboren haben" und mit Perlennetzen anstatt der Kleider bekleidet. "Sie ruderten auf und ab", heißt es dann, "und dem Herzen Seiner Majestät tat es wohl, sie rudern zu sehen." Wenn der melancholische König zur Gemütserheiterung seinem Harem einen Besuch abgestattet und sich mit den jungen Damen auf handgreifliebere Weise vergnügt hätte, dann hätte es sich um Alltag gehandelt. Der König zieht es aber vor, ein Fest zu veranstalten, d.h. eine ästhetische Inszenierung, um sich vom Anblick des Schönen heilen zu lassen. Als ästhetische Inszenierung steht die ganze Unternehmung einem Ballett oder einer Oper wesentlich näher als einem Striptease. König Snofru ist kein Voyeur, ebensowenig wie die Teilnehmer des thebanischen Gastmahls. Die erotische Animation ist kein Zweck in sich, zu dessen Erzielung entsprechende Darbietungen als Mittel eingesetzt werden, sondern sie ist ihrerseits nur ein Mittel unter anderen. Das Zielliegt auf einer ganz anderen Ebene; es wäre in ägyptischer Begrifflichkeit etwa als "Belebung des Her26 27
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Den Zusammenhang von Duft und Erotik in der ägyptischen Liebesdichtung hebt A. Hermann (1959), 93--95, hervor. Teilenbach (1968), 90. Für Teilenbach dient diese Kategorie der Kennzeichnung des Pathologischen als eines Ausnahmezustands gegenüber dem Normalen. Sie eignet sich m.E. aber auch zur Kennzeichnung des Festlichen als eines Ausnahmezustands gegenüber dem Alltag. Vgl. hierzu Maffesoli (1982). Die Hs. stammt aus der Hyksoszeit (15. Dyn., 17.-16. Jh.), der Text mag etwas älter sein ( 12. Dyn., 19.-18. Jh. ?). Für eine Übersetzung vgl. Brunner-Traut ('1986), 11-24. Zum Fest als Therapie der Melancholie vgl. A. Assmann (1989), bes. § 1.2 und das Zitat aus R. Burton.
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zens" zu umschreiben. Wir werden unter B. 2 darauf eingehen. In der Snofru-Geschichte ist das angestrebte Ziel die Heilung eines Anfalls von Schwermut. c) Das Zeugnis der Texte: Der ,,schöne Tag"
Im Zusammenhang der Gastmahlsszene treten auch Texte auf30. Kommentierende Beischriften wie z.B. Das Herz erfreuen, etwas Schönes sehen, Gaben empfangen im Hause 31 In der Halle genießen, von Dingen genießen, Speisen empfangen ... 32 In der Halle sitzen, sich zu vergnügen in der Weise des Auf-Erden-Seins33
geben den dargestellten Szenen eine zusammenfassende Überschrift und ordnen sie dem allgemeinen Bereich des "Vergnügens" (ägyptisch sljmlj jb, wörtl.: "das Herz vergessen lassen" 34) zu. Trinksprüche wie etwa: Für deinen Ka! Trinke den schönen Rauschtrunk! Feiere den schönen TagP5
nötigen zu unablässigem Trinken und heben die Einheit von Rausch und Fest, Trinken und Feiern hervor. "Man trank bei diesen Festen und trank bis zur Trunkenheit, wobei man im Anbieten des Rauschtrunks nicht einhielt" (Schott 1953, 76) 36 . Besonders deutlich aber kommt der Geist des Festes in Liedern zum Ausdruck, die ein blinder Harfner37 oder ein Sängerchor oder eine Musikantin singen und die oft mit den Worten "0 schöner Tag!" anheben38. Daß mit diesem Ausdruck die Festfeier gemeint ist, wird aus diesen beigeschriebenen Texten überwältigend deutlich. Die Texte drücken in Worten aus, was wir bereits den Bildern abgelesen 30
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Schott (1953) hat dieseTexte im Anhang zusammengestellt. Im folgenden werden dieTexte nach der Numerierung dieses Anhangs zitiert. Schott Nr. 107: Grab 345, Zeit der Hatschepsut. Schott, Nr. 110: Grab 74, Zeit Thutmosis' IV. Schott, Nr. 111: Grab 38 aus derselben Zeit. Fox (1982), 269f. Schott, Nr. 123: Theben, Grab Nr. 21; Nr. 124: Theben, Grab Nr. 85, sowie unendlich oft in sinnentsprechender Abwandlung. Vgl. Die Rede eines Gastes im Grab des Paheri: "Gib mir 18 Maß Wein. Siehe, ich liebe ihn bis zurTrunkenheit": Montet (1946), 101. Die Blindheit des Harfners wird damit erklärt, daß sein "Arbeitsplatz" der "Intimbereich" des ägyptischen Hauses, der Harem, ist. Aber natürlich spielt auch die bekannte Häufigkeit musikalischer und Gedächtnisbegabung bei Blinden eine RoUe. Auch der ägyptische Gott des Harfenspiels ist blind, vgl. dazu Schott (1943), 457ft. Schott Nr. 137,139,141,143, 147.
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Menschenbild und Lebensformen
haben: die alle Sinne ansprechende Festatmosphäre, die "Schönheit". Sie nennen einzeln die "schönen Dinge", ganz im Sinne der Definition des ästhetischen Objekts, die von Mikel Dufrenne stammt: "L'objet esthetique, c' est d'abord l'irresistible et magnifique presence du sensible" 39 : Sein Herz erfreuen, Schönes sehen, Tanze und Gesänge, Myrrhen auflegen, sich mit Öl salben, eine Lotusblüte an der Nase, Brot, Bier, Wein, Süßigkeiten und alles andere vor sich 40 •
Im Sehen, Hören, Riechen, Schmecken ereignet sich "die unwiderstehliche und großartige Gegenwart des Wahrnehmbaren", die sich wie eine Paraphrase des ägyptischen Begriffs der "Schönheit" liest (nfrw). Feiern: d.h. sich selbst schön machen und das sich einem darbietende Schöne genießen: Weiß seien deine Kleider, Öl sei auf deinen Schultern, Kränze um deinen Hals ... 41
Die Lieder fordern die Gäste auf, sich der "überwältigenden Gegenwart des Wahrnehmbaren" hinzugeben und durch den Genuß der sich ihnen darbietenden Schönheit in die Festatmosphäre einzutauchen: ... genießt Öl und Myrrhen, legt Kränze um euren Hals! Eure Tische sind voll von Schönem, an allen süßen Früchten, an Dingen von vielerlei Geschmack, an Festduft ... 42
Soweit bewegen sich die Texte ganz in der Sphäre von Sehen und Hören, Riechen und Schmecken. Aber sie gehen auch darüber hinaus. Ein häufiger vorkommendes Lied bezieht sich auf die festliche Zeiterfahrung, auf das "Verweilen im Augenblick" 43 , in den die Ewigkeit einströmt: Du gesellst dich der unendlichen Zeitfülle, du befreundest dich mit der unwandelbaren Dauer, sie fächeln Luft an deine Nase! 44
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Aus: phenomenologie de Ia perception esthetique; ich entnehme das Zitat dem Vorwort von F. J. J. Buytendijk zu TelJenbach (1968). Schott Nr. 125, Grab 100. Schott, Nr. 129, Grab 181. Schott, Nr. 141, Grab 53. Vgl. hierzu Tellenbach, ebd., 30. Schott, Nr. 139 vgl. 893 n. 1: Gräber 82; 24; 53. Dasselbe Lied wird auch sonst öfters zitiert, vgl. Assmann (1975b), 69 m. n. 105.
VIII. Der schöne Tag
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Mit diesen Versen scheint etwas von der veränderten Zeitwahrnehmung des Festes, der Verräumlichung der Zeitlinie und dem Einströmen von "Ewigkeit" in das geweitete Bewußtsein und den stillgestellten Augenblick eingefangen. Die Lieder geben dem Begriff der Schönheit aber auch noch eine andere Ausdeutung, die das Bild ebensowenig darstellen kann: 0 schöner Tag, der vom Himmel kam! Ihr Männer, greift nach ihm! Die herrliche Göttin ruht entblößten Gesichts dem, der kommt ... 45
Diese Worte erinnern an den Anlaß des Festes. Sie nennen das Götterfest nicht beim Namen, aber sie spielen auf ein Ereignis auf götterweltlicher Ebene an, eine heilige Hochzeit. Sie zitieren eine Episode des im Fest vergegenwärtigten Mythos46 • Sie machen klar, daß die Schönheit, die es im Festzugenießen gilt, nichts anderes als die "Emanation"47 des im Fest erschienenen Gottes ist. Die im Fest inszenierte sinnliche Schönheit ist eine "Atmosphärisierung" der göttlichen Gegenwart und Ausstrahlung. 0 schöner Tag, da man der Schönheit Amuns gedenkt -wie freut sich das Herzund bis zur Höhe des Himmels dir lobpreist. ,Herrlich!' sagen unsere Herzen zu dem, was sie sehen 48 • Wie schön ist das Gesicht des Amun. Er kam in Frieden, sein Herz ist froh 49 . Wie stark ist Amun, der geliebte Gott! Er leuchtet auf in Karnak, seiner Stadt, der Herrin des Lebens50 • [Hathor ist erschienen] als Sonne. [wir schütteln] unsere Sistren vor ihrem geliebten Gesicht 51 .
Die Schönheit, die im ägyptischen Gelage "inszeniert" wird, ist zunächstauf "weltlicher" Ebene- die Schönheit der Getränke und Speisen, der prächtigen Gefäße, des Blumenschmucks, der Wohlgerüche, der Klänge und Bewegungen, der anmutigen Dienerinnen, der jugendschönen Musikantinnen •s Schott Nr. 141, Grab 53. ~ Eigentümlicherweise erfahren wir erst aus Diodor, daß das thebanische Talfest, bei dem Amun von Kamak in festlicher Prozession über den Nil setzte, um dem Tempel von Der el Bahari und dort vor allem dem Hatbor-Heiligtum einen Besuch abzustatten, den Charakter einer Heiligen Hochzeit hatte: 197.9, vgl. Foucart (1924), 1-209, bes. 9-43. "' Vgl. oben, S. 206 . .4ß Schott, Nr. 147, Grab 38. #I Schott, Nr. 146, Grab 90. 50 Schott, Nr. 140, Grab 241. SI Schott, Nr. 146, Grab 90.
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Menschenbild und Lebensformen
und Tänzerinnen, der erklingenden Worte, der geschmückten und gesalbten Gäste selbst ... , und sie ist sodann, auf "geistlicher" Ebene, die Präsenz der im Fest erschienenen Gottheit, die um nichts weniger sinnlich ist als die Schönheiten, die die im Fest zusammenwirkenden Künste auf "weltlicher" Ebene aufgeboten haben. Dieser Punkt ist entscheidend. Wenn wir hier in einer für das alte Ägypten völlig anachronistischen Terminologie zwischen "weltlich" und "geistlich" unterschieden haben, dann nur, um für unsere Begriffe deutlich zu machen, daß es im ägyptischen Fest um die Verschmelzung zweier Sphären geht, der menschlichen und der göttlichen. Statt von "weltlich" und "geistlich" würde der Ägypter von "Erde" und "Himmel" reden, die im Alltag getrennt sind und die sich im Fest wieder vereinen. Im Festduft senkt sich, nach ägyptischer Vorstellung, der Himmel auf die Erde herab 52 . So heißt es in einem ägyptischen Liebeslied: Es sinkt der Himmel herab auf Luft, die ihn nicht trägt, und er bringt dir seinen Duft, einen betäubenden Wohlgeruch, der trunken macht, die gegenwärtig sind 53 .
Was die Lieder beschreiben, ist die sich im Fest ereignende Verschmelzung von Himmel und Erde 54 . In der Feststimmung wird die Präsenz der Gottheit sinnlich erfahrbar, wird "atmosphärisiert". Die "Schönheit", die die Herzen mit Entzücken und Freude erfüllt, wird als Emanation der Gottheit erlebt. Der Inbegriff von Schönheit ist für den Ägypter das Licht der Sonne, das "schöne Antlitz des Amun": "die Menschen betrachten es bis zur Trunkenheit, bis zu jeder Form von Glückseligkeit" 55 .
Er wird nicht müde, es zu preisen. Schönheit ist für ihn also in erster Linie eine Ausstrahlung, eine alles erfüllende Präsenz, strahlende, "unwiderstehliche", überwältigende Anwesenheit. Die Sonne ist Inbegriff und Urbild der Schönheit, weil sie die ganze Erde in das blendende Licht ihrer Anwesenheit taucht, weil man ihre Ausstrahlung- in Ägypten zumal- bis ins innerste
Vgl. das Formular der Besucherinschriften, die gebildete Schreiber in den von ihnen besuchten Denkmälern der Vergangenheit hinterlassen haben: .. Der Schreiber So-und-so ist gekommen, um das Denkmal des So-und-so zu besichtigen. Er fand es vollendet schön, schöner als jeden anderen Tempel, als wäre der Himmel in ihm, wenn der Sonnengott in ihm aufstrahlt. Er sagt: ... möge der Himmel Weihrauch und duftende Myrrhen regnen auf das Dach des Denkmals des So und so ... "; vgl. Yoyotte (1960), 53. 53 Aus dem Pap. Chester Beatty I (20. Dyn.), vgl. Schott (1950), 62 Nr. 2; Fox (1985), 71 Nr. 42. Zum Fest als Verschmelzung von Himmel und Erde vgl. Assmann, (1969), 250-262. s.c Wie bei vielen Völkern - vgl. Staudacher ( 1942)- galt auch den Ägyptern die Trennung von Himmel und Erde als Ende der mythischen Urzeit, die also im Fest wiederhergestellt wird. 55 Ostrakon Kairo 12202 vO, ed. Posener (1975), 202. 52
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Mark spürt 56 . Schönheit ist "Sonnenhaftigkeit". Im Fest wird diese Schönheit inszeniert: dadurch, daß man weiße Kleider anlegt, sich salbt und schmückt und sich in "affektiver Verschmelzung" dem Genuß des Schönen in Gestalt von Speisen, Getränken, Düften, optischen und akustischen Lustbarkeiten hingibt.
2. Das Intimfest Wir haben das festliche Gastmahl und seine Bezeichnung kennengelernt: "Schöner Tag" bzw. "den schönen Tag begehen, einen schönen Tag machen"57. Gehen wir den sonstigen Vorkommen dieser Wendung nach, dann stoßen wir noch auf ganz andere Anlässe und Formen des Feierns58 . Nach Aussage der überwältigenden Fülle der Belege handelt es sich bei dem typischen "Schönen Tag" um ein "Intimfest" zwischen Liebenden. In der erzählenden Literatur der Ägypter kommen solche Feiern auffallend oft vor, z.B. im schon mehrfach zitierten Pap. Westcar: der Priester Rawoser "setzt sich mit seiner Frau zum ,schönen Tag' nieder" im festlich geschmückten Hause, um nach ihrer Niederkunft das Ende ihrer Reinigungszeit zu feiern 59 , die ehebrecherische Frau des Uba-oner verbringt mit ihrem Geliebten einen "schönen Tag" im Lusthaus ihres Mannes60 . Der König Snofru verbringt den Tag im Fest (wörtl.: "beim Einen-schönen-Tag-Machen") zwar "mit seinem gesamten Hause", aber eben doch im häuslichen Kreis. Man bleibt beim "schönen Tag" unter sich61 • Im Pap.d'Orbiney verbringt der König einen "schönen Tag" mit der Königin. "Sie schenkte Seiner Majestät Wein ein, und man (Pharao) war sehr, sehr gut mit ihr" 62 • Der "Schöne Tag" ist in solchen Fällen gleichbedeutend mit der Inszenierung oder Vorbereitung eines Liebesspiels. Im Setna-Roman verbringen Nanoferkaptah und Ahwere vor ihrer Hochzeitsnacht einen "schönen Tag", ebenso Setna und Tabuhu vor der dann freilich sich als zauberisches Blendwerk entpuppenden Liebesnacht63 . Der "homosexuellen Daher wird in der Amarna-Religion, die den Sonnenkult zur einzigen Religion verabsolutiert, das Fest zum Hauptthema der offiziellen Ikonographie. Unzählige Bilder stellen die königliche Familie unter dem "Strahlenaton" beim Feiern des "Schönen Tages", d.h. beim "Gedenken der Schönheit des Gottes" dar. Gleichzeitig verschwindet das durch die neue offizielle Religion monopolisierte Festthema aus dem Szenenrepertoire der Beamtengräber. 51 Beachte die gleiche Wendung im Hebräischen: jom tov, (jiddisch: jon-tev) "schöner Tag", ist die geläufige Bezeichnung für die Festfeier. ss Lorton (1975) hat die wichtigsten Belege zusammengestellt. Dabei hat er allerdings in seinem Bemühen um den Nachweis, der "schöne Tag" sei nicht mit "sexual intercourse" verbunden, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und dem Ausdruck auch seine erotischen Konnotationen absprechen wollen. 59 E. Brunner-Traut {'1986), 23 oben. 60 Ebd., 12. 61 Ebd. , 15 unten. 62 Ebd., 38. 63 Ebd., 176, 187-189.
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Menschenbild und Lebensformen
Episode" im "Streit zwischen Horus und Seth" (Pap.Chester Beatty I) geht ein .. ~chöner Tag" voraus, den die feindlichen Brüder gemeinsam verbringen64. Diese und viele andere in der Literatur erwähnten "Schönen Tage" haben übrigens keinen festgelegten Anlaß. Irgendein freudiges Ereignis, irgendein Grund zur Freude kann den Anlaß zum Feiern geben. So feiert Chonsemheb mit seinen Arbeitern die gelungene Restaurierung des Grabes des Nut-bu-semech65 • Der typische "Schöne Tag" ist nicht nur ein lntimfest, sondern auch ein Spontanfest. Solche "Intimfeste" gehören schon zum Bildrepertoire der Gräber des Alten Reichs. Einerseits sieht man hier den Grabherrn allein oder in Begleitung seiner Gemahlin 66 im Festgewand sich der "Herzenserheiterung" und dem "Anblick des Schönen" hingeben, das in Gestalt von Speisen vor ihm aufgehäuft, von Blumen ihm dargereicht und von Tänzen und Liedern ihm dargeboten wird, andererseits sieht man auch das Paar im intimen Beieinander, so etwa im Grab des Mereruka, wo beide auf eineQI Bett sitzen und sie für ihn auf der Harfe musiziert 67 • Die Thematik der festlichen Intimität durchzieht die gesamte ägyptische Kunst und feiert Triumphe in der Amarnazeit. Der berühmte Goldschrein im Grabschatz des Thtanchamun entfaltet in nicht weniger als 17 Szenen die Idee eines "Schönen Tages" im intimen Beieinander des jugendlichen Paares, das sich nicht nur aneinander, an Wein und Wohlgeruch, an Blumen und Salben, erfreut, sondern auch an den Freuden der Fisch- und Vogeljagd, die im Ägyptischen ganz zentral zum Begriff nicht nur des "Schönen", sondern auch des "Festlichen" dazugehören 68 . Der Begriff des "Schönen Tages" weitet sich immer mehr aus. Wenn man sich die ägyptischen Grabbilder vor allem des Neuen Reichs aufmerksam betrachtet, wird man feststellen, daß der Grabherr sehr oft mit dem "Salbkegel", d.h. in festlicher Aufmachung und in Gesellschaft seiner ebenfalls durch Salbkegel und Blütengewinde geschmückten Gemahlin dargestellt ist. Dabei ist die Tendenz zunehmend: in der Ramessidenzeit, der 19. Dyn., wird das Paar fast nur noch in festlicher Aufmachung dargestellt. Wir haben es offensichtlich ebensosehr mit einer Fest- wie mit einer Mußekultur zu tun. Diese Darstellungen bezie64
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Für diesen Abschnitt läßt uns Frau Brunners schöne Übersetzung, aus begreiflichen aber dennoch beklagenswerten Gründen, im Stich. Für eine engl. Übersetzung der Stelle (pChester Beatty I, recto 10, 11-11,4) vgl. z.B. Lichtheim (1976), 289. Brunner-Traut (11986 ), 170.'JYpischer Anlaß zur Veranstaltung eines "Schönen Tages" ist die Belohnung des Grabherrn durch den König, z. B. in den Gräbern Theben, Grab Nr. 100 ( Rechmire) und 49 (Neferhotep), vgl. Fox (1982), 273. z.B. Grab des Nebk.auhor in Sak.kara: Altenmüller ( 1978), 2ft. Abb. I; weitere Belege: Altenmüller, ebd., 8 n. 15-17. Vgl. auch Vandier (1964), 216ft. unter "repas non funeraires". Duell (1938), Tafel94f.; dieselbe Szene im Grab des Pepi in Meir: Vandier (1964), 187 fig. Tl. Vgl. hierzu Assmann ( 1988d); der Goldschrein des Thtanchamun wurde unlängst publiziert von Eaton-Krauss und Graefe (1985). Unter den Titel der "Herzenserheiterung" werden in den ägyptischen Wanddekorationen nicht nur Gastmahlsszenen, sondern auch Szenen der Fisch- und Vogeljagd gestellt.
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hen sich nicht auf spezifische Anlässe, sondern auf eine Lebensform. Man darf vermuten, daß sich in diesen Bildern eine doppelte Abgrenzung widerspiegelt: einmal die zwischen Fest und Alltag, und zum anderen die zwischen Muße und Arbeit, d .h. zwischen der Lebensform einer dem "Schönen Tag" in allen seinen Formen und Anlässen gegenüber offenen Oberschicht und der Lebensform einer arbeitenden Unterschicht, der diese Welt der Schönheit und des Genusses verschlossen war.
B. Die Weisheit des Festes
1. Die Harfnerlieder69 Es gibt eine Gattung, die wir- ungenau 70 - "Harfnerlieder" nennen und die ihre typische Aufführungssituation, ihren "Sitz im Leben" in der geselligen oder intimen Festfeier des "Schönen Tages" hat. Diese Gattung ist Ausdrucksform einer ganz spezifischen LebensweisheiL Der bedeutendste Text steht (und zwar höchst bezeichnenderweise mitten unter Liebesliedern) im Londoner Pap. Harris 500. Es handelt sich um das "Antef-Lied", das höchstwahrscheinlich als Vorbild aller anderen Harfnerlieder71 gedient hat, die sich wie Variationen dazu lesen 72 • Das Lied, das im Hause (König) Antefs, des Seligen, steht, vor dem (Bilde des) Sängers zur Harfe. Glücklich ist dieser gute Fürst, nachdem das gute Geschick eingetreten ist! Geschlechter vergehen, andere bestehen(/kommen73 ) seit der Zeit der Vorfahren. Die Götter, die vordem entstanden, ruhen in ihren Pyramiden. Die Edlen und Verklärten desgleichen sind begraben in ihren Pyramiden. Die da Häuser bauten - ihre Stätte ist nicht mehrwas ist mit ihnen geschehen? Die grundlegende Untersuchung zur Gattung der ägyptischen Harfnerlieder stammt von Lichtheim (1945), 178-212, mit Ergänzungen durch Wente (1962), 118-127; Assmann (1977a); (1977b); (1979); Fox (1977); (1982). ·o Es gibt auch "Harfnerlieder", die zur Laute gesungen werden, z.B. die Lieder im Grab des Neferhotep (Theben, Grab Nr. 50) und die neuentdeckten, diesen weitgehend parallelen Lieder im Grab desThutmose, Theben, Grab Nr. 32. ' 1 Die sonstigen Harfnerlieder stehen in Gräbern als Beischrift zum Bild eines Harfners (seltener: Lautenspielers), genau wie es die Überschrift der Papyrusfassung beschreibt. "'2 Vgl. zu diesem Text Assmann ( 1977a), 55ff. und v. a. Fox (1977). "'3 Spätere Liederwie Paser, Z. 6-7; Neferhotep 1, z. 5-6;1beben, Grab Nr. 359,3-4 haben anstelle von "bleiben" "kommen", was zweifellos besser ist; vgl. auch Urk IV 2114.
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Menschenbild und Lebensformen
Ich habe die Worte gehört des Imhotep und Hordedef, deren Sprüche in aller Munde sind. Wo sind ihre Stätten? Ihre Mauern sind verfallen, sie haben keinen Ort mehr, als wären sie nie gewesen. Keiner kommt von dort, von ihrem Ergehen zu berichten, ihren Bedürfnissen zu erzählen, unser Herz zu beruhigen, bis auch wir gelangen, wohin sie gegangen sind. Du aber erfreue dein Herz und denke nicht daran! Gut ist es für dich, deinem Herzen zu folgen, solange du bist. Tu Myrrhen auf dein Haupt, kleide dich in weißes Leinen, salbe dich mit echtem Öl des Gotteskults, vermehre deine Schönheit, laß dein Herz dessen nicht müde werden! Folge deinem Herzen in Gemeinschaft deiner Schönen, tu deine Dinge auf Erden, kränke dein Herz nicht, bis jener Tag der Totenklage zu dir kommt. Der ,Müdherzige' hört ihr Schreien nicht, und ihre Klagen holen das Herz eines Mannes nicht aus der Unterwelt zurück. Refrain: Feiere den Schönen Tag, werde dessen nicht müde! Bedenke: Niemand nimmt mit sich, woran er gehangen, niemand kehrt wieder, der einmal gegangen 74 .
Der Text ist zweigeteilt. Die beiden Hauptstrophen umfassen je 14 Verse 75 . Die erste beklagt die Vergänglichkeit alles Irdischen, die zweite fordert zum Festgenuß auf. Das Vergänglichkeitsthema wird in zwei Aspekten entfaltet: das Kommen und Gehen der Generationen und das Los der Toten. Das Vergänglichkeitsthema wird in einem der nachfolgenden Lieder ausführlicher behandelt: Generationen vergehen seit der Zeit des Gottes, neue treten an ihre Stelle. Re zeigt sich am Morgen, Atum (die Abendsonne) geht unter im Westberg.
,.. Den gereimten Schluß, zugleich eine wörtliche Übersetzung, übernehme ich von der poetisch anspruchsvollen Übertragung dieses Harfnerlieds von R. Jacobi, bei E. Brunner-Traut (19i8), 92f. 75
Eine Analyse des Textes nach den von G. Fecht rekonstruierten Regeln der ägyptischen Metrik ergibt einen streng symmetrischen Aufbau.
VIII. Der schöne Tag
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Männer zeugen, Weiber gebären, jede Nase atmet Luft. Wenn es tagt, gebären sie alle und gelangen an ihre Stätte. 76
Auch das Thema vom beklagenswerten Los der Toten wird in den anderen Liedern variierend aufgegriffen und mit einer desillusionierten Skepsis ausgemalt, die in dem Lande des Totenkults nicht genug verwundem kann. 71 Der zweite Teil fordert zum Festgenuß auf. Zwei Elemente sind uns vertraut: der hier als "Refrain" 78 eingeführte Trinkspruch jrj hrw nfr "feiere den schönen Tag", und die Aufforderung, sich durch weiße Kleidung, duftende Salben und Öle und die Gemeinschaft der "Schönen" dem Fest hinzugeben. Diese Elemente stammen unmittelbar aus der Festsituation. Es scheint mir evident, daß das "Anteflied" eine literarisch-poetische Elaboration solcher Lieder und Trinksprüche darstellt, wie sie in der mündlichen Überlieferung des Festes seit alters ihren Ort haben. Diese Elaboration geschieht in zwei Richtungen. Die eine stellt das Vergänglichkeitsthema dar, die dem Fest-Thema scharf kontrastiert. Der Aufbau des Textes bringt diesen Kontrast klar heraus. Die andere hängt enger mit dem Fest-Thema zusammen. Es handelt sich um eine Ermahnung zum rechten Umgang mit seinem Herzen. In den folgenden beiden Abschnitten wollen wir diese beiden Themen, das "Herz" und die "Vergänglichkeit", etwas genauer betrachten.
DerText wirkt kryptisch und gewinnt Sinn erst im Licht einer späten Variante, die Kohelet 1,4-7 zu lesen steht: Ein Geschlecht geht dahin, ein anderes kommt; aber die Erde, sie bleibt ewig stehn. Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter und strebt zurück an ihren Ort, wo sie wiederum aufgeht. Der Wind weht gen Süden. er dreht gen Norden, immerfort kreisend weht der Wind, und in seinem Kreislauf kehrt er zurück. Alle Flüsse gehen zum Meere, und doch wird das Meer nicht voll; an den Ort, wohin die Flüsse gehen, dahin gehen sie immer wieder. 77 Von diesem Widerspruch handelt Assmann (19na). Die entsprechenden Stellen habe ich 71-73 zusammengestellt. 111 Das entsprechende Wort, ein hapax legomenon, ist in der Hs. rot geschrieben und dadurch als metatextuell, eine Art Rezitationsanweisung, gekennzeichnet.
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Menschenbild und Lebensformen
2. Das Herz: Vergessen und Vergnügen Das Stichwort Herz kommt in den beiden Anfangsversen der zweiten GroßStrophe nicht weniger als dreimal vor: Du aber erfreue dein Herz, um dein Herz es vergessen zu lassen! Gut ist es für dich, deinem Herzen zu folgen, solange du bist!
Mit dem Stichwort Herz schloß auch die vorhergehende Strophe, und die folgenden Verse greifen es immer wieder auf: Laß dein Herz dessen nicht müde werden, kränke dein Herz nicht, der ,Müdherzige' (Osiris, und jeder Tote), die Totenklage holt das Herz nicht zurück. Vom Herzen ist auch in den Festliedern und lrinksprüchen die Rede 79 . Der ganze Bereich der festlichen Mußekultur, wie ihn die Wandbilder der Beamtengräber vom Alten Reich bis in die Spätzeit entfalten, steht unter einem Oberbegriff, der in den Beischriften unendlich oft vorkommt und sich ebenfalls auf das Herz bezieht: sl]ml] jb, "das Herz vergessen lassen", "sich vergnügen". Dazu gehören, neben der intimen oder geselligen Festfeier, auch Jagd, Vogelfang, Weinernte und Bootsfahrten im Papyrusdickicht. Hier geht es um den "Anblick des Schönen", der das Herz erfreut (w. "es vergessen läßt"). "Das Herz erfreuen, etwas Schönes Sehen" lautet der Standardtitel der Festszenen in den Gräbern 80 . Die Harfnerlieder gehen aber noch einen Schritt weiter. Die Wendung "seinem Herzen folgen" kommt in den Festbeischriften nicht vorn. Hierwird vielmehr ein Stück ägyptischer "Weisheit" zitiert, und zwar eine Maxime aus der "Lehre des Ptahhotep": Folge deinem Herzen in der Zeit deines •Erden->Daseins und vermehre nicht die Geschäfte. Vermindere nicht die Zeit des Dem-Herzen-Folgens: Der Abscheu des ,Ka' ist, wenn man seinen Augenblick verkürzt. Beeinträchtige nicht die Bedürfnisse eines jeden Tages über das Bestellen deines Hauses hinaus. Die Sache dessen, der seinem Herzen folgt, gelingt, aber nichts wird vollendet, wenn es (das Herz) beleidigt wird 82 •
Das Thema dieser Maxime ist der rechte Gebrauch der Zeit, die dem Menschen auf Erden gegeben ist. Worauf es ankommt, ist, diese Zeit so zu nutzen, daß "Herz" und "Ka" nicht beschädigt werden. Die Gefahr solcher Beschä79
&~ 81
82
Wiebach (1986), 267 Nr. 26 hat die einschlägigen Belege nach Schott, Wüstental, zusammengestellt. Schott (1953), 107 zitiert die Gräber 345, 112, 85, 88, 72. Die Wendung ,.das Herz erfreuen" kommt auch in den sonstigen Beischriften der Festszene passim vor. Das wird von Wiebach ( 1986) 267, nicht berücksichtigt, die das Herz-Thema in den Festbeischriften unter dem Begriff ,,fms-jb (d.h. ,seinem Herzen folgen') etc." zusammenfaßt. Ptahhotep 186-193, pPrisse 7.9-10 vgl. o., S. 35.
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digung geht von den "Geschäften" aus83 . Man darf sie nicht vermehren. Man darf nicht mehr tun, als zur Bestellung des Hauses unabdingbar ist. Nicht etwa Muße, sondern im Gegenteil übermäßige Betriebsamkeit wird hier als Zeitverschwendung angeprangert! Ein verantwortungsvoller Gebrauch der Erdenzeit verlangt, daß man die "Zeit des Ka" nicht "beschädigt". Die "Zeit des Ka" ist der Ge nuß, die Hingabe an das Schöne, der "Schöne Tag". Begriffe wie "Ka" und "Herz" umschreiben das Konzept eines inneren Selbst, das sich während des Erdenlebens in Muße und Arbeit, Geselligkeit und Intimität entfaltet. Die Sinnenkultur des "Schönen Tages" dient der Kultivierung des inneren Selbst. Ein anderer ägyptischer Weisheitstext bringt diesen Zusammenhang von Fest und Erwerbsstreben auf die denkbar kürzeste Formel: "Der Habgierige hat keinen ,Schönen Tag' " 84 •
Der Habgierige, äg. "Gier-herzige", ist in seinem inneren Selbst beschädigt und daher unfähig zum Fest und zur Muße85 • Das Fest bzw. die Muße ist die intensivste Form der Zeitverwendung, weil sie dem inneren Selbst in derbeschränkten Zeit seiner irdischen Existenz zu vollster Entfaltung verhilft. Ptahhotep mahnt zur Muße im Interesse einer verantwortungsvollen Verwendung der kurzbemessenen Lebenszeit. Ein gewisser Megegi aus Theben hat sich diese Philosophie zu eigen gemacht. In seiner biographischen Grabinschrift beschreibt er sich selbst als einen, "der das Schöne liebt und das Schlechte haßt, der den Tag verbringt gemäß dem, was er erfordert86 . Ich habe keine Zeit vom Tage abgezogen, ich habe eine schöne Stunde nicht beschädigt. Ich habe meine Jahre auf Erden verbracht und habe die Wege der Nekropole betreten, nachdem ich mir jegliche Grabausstattung bereitet habe, die für einen versorgten Grabherrn gemacht wird. Ich war einer, der seinen Tag verbrachte und seiner Stunde folgte im Verlauf eines jeden Tages87 •
Man könnte auf den Gedanken kommen, daß hier ein puritanischer Bürger spricht, der sich rühmt, keine Stunde müßig vergeudet, sondern ein von rastloserTatigkeit erfülltes Leben geführt zu haben. Aber genau das Gegenteil ist Das Wort. das der Text hier verwendet, ist der Plural des Wortes für .. Rede". das auch (wie hebr. dabar, d•barim) "Angelegenheit" bedeutet, freilich niemals ,.Arbeit". Das äg.Wort .. Arbeit" (k3t) ist so positiv besetzt, das seine Verwendung in dieser Warnung vor "zuviel" sich verbietet. 84 Vogelsang (1913), 225: pBerlin 3025 (B2), llOf. ss Sein Geiz macht ihn unfähig zu jeder ,.unproduktiven Verausgabung" (M. Maffesoli) und sein Egoismus unfähig zu jeder Geselligkeit. Eine ägyptische Lehre mahnt: .. Du sollst dein Fest nicht ohne deine Nachbarn feiern. Dann werden sie dich umgeben zur Totenklage am Begräbnistag." 86 Vgl. damit die Mahnung des Ptahhotep: Beeinträchtige nicht die Bedürfnisse eines jeden Tages. 81 Schenkel (1965), 108f.
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Menschenbild und Lebensformen
gemeint, wenn diese Selbstcharakteristik unter das Zeichen der "Schönheitsliebe" gestellt wird. Hier spricht kein Puritaner, sondern ein Aristokrat, der sich eines Lebens im Dienste der vollen Entfaltung seines inneren Selbst rühmt. Das heißt für den Ägypter, seine Zeit wahrhaft zu nutzen. Die beste Ausnutzung der Zeit ist diejenige, bei der der Mensch mit allen Sinnen beteiligt ist, d.h. am intensivsten lebt. Nur die Schönheit, nicht die Arbeit vermag die Sinne des Menschen und damit sein inneres Selbst in seinem ganzen Umfang anzuregen und zur Entfaltung zu bringen. Daher sind Feste und Muße, der Genuß des "Schönen Tages", die beste, intensivste, verantwortungsvollste Ausnutzung der Zeit. Über tausend Jahre nach Megegi entstand die Inschrift auf der Würfelstatue des Priesters Nebneteru 88 , die zeigt, wie lebendig diese Lehren geblieben sind: Ich machte festlich meine Tage mit Wein und Myrrhe, ich merzte die Müdigkeit in meinem Herzen aus. Denn ich wußte, daß Finsternis im Tal
3. Memento mori Dies ist der Punkt, an dem die Brücke zu dem Vergänglichkeitsthema geschlagen wird. Denn warum muß die Zeit mit größtmöglicher Intensität genutzt werden? Weil sie kostbar ist. Und sie ist kostbar, weil sie knapp ist. Der "Habgierige", Ehrgeizige hat das vergessen. Er lebt im Zustand der Todesvergessenheit und ist sich nicht "bewußt, daß im Tal der Toten Finsternis herrscht". Im Glauben, daß alles immer so weiter geht, lebt er nicht in der Gegenwart, sondern in der Zukunft, die ihm ein Immer-mehr an Besitz und Macht zu verheißen scheint. Aus diesem Alltagstrott versucht ihn die Erinne88 89
Jansen-Winkeln (1985), 122. Wörtlich: des Herzen-Fischens. Der Ausdruck ist sonst nicht bekannt.
VIII. Der schöne Tag
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rung an das Sterbenmüssen herauszureißen. Sie entlarvt das blinde Zukunftsvertrauen als illusorisch. Angesichts der radikalen Zukunftslosigkeit des Lebens ist es allein der Augenblick, den es zu nutzen gilt. Und man nutzt ihn, indem man mit möglichster Intensität lebt, d.h. mit allen Sinnen dabei ist. Wem aufgeht, daß sein Leben begrenzt und seine Erdenzeit kostbar ist, der vergißt die Alltags-Sorge um eine illusionäre Zukunft und öffnet sich der Gegenwart. Er tut Myrrhen auf sein Haupt, legt weißes Leinen an und verbringt seine Tage in der "gelassenen Ausgelassenheit" (Jacob Taubes) des Fests. Wem diese Einsicht wirklich aufgegangen ist, der öffnet sich dem "Schönen Tag" 90 • Als Gilgamesch seinen Freund Enkidu sterben sieht, wird ihm diese Wahrheit erstmals klar. Aber anstatt sich ihr zu öffnen, bäumt sich alles in ihm gegen diese Einsicht auf. Er macht sich auf die Suche nach Unsterblichkeit und muß sich von der Göttin Siduri (vergeblich) zur Besinnung rufen lassen: "Gilgamesch, wohin läufst du? Das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden! Als die Götter die Menschen erschufen, teilten den Tod sie der Menschheit zu und nahmen das Leben für sich in die Hand. Du, Gilgamesch- dein Bauch sei voll, ergötzen magst du dich Tag und Nacht! Feiere täglich ein Freudenfest! Tanz und spiel bei Tag und bei Nacht! Deine Kleidung sei rein, gewaschen dein Haupt, mit Wasser sollst du gebadet sein! Schau den Kleinen an deiner Hand, die Gattin freu sich auf deinem Schoß! Solcherart ist, was den Menschen zu tun bleibt. 91
Das ist, so würde ich vermuten, ein Stück sumerischer Gelagepoesie, das hier an entscheidender Stelle in den Zusammenhang der mythischen Erzählung eingefügt ist. Und als Stücke orientalischer Gelagepoesie sind wohl auch jene Abschnitte aus dem biblischen Buch des Predigers zu verstehen, die sich wie Übersetzungen ägyptischer Harfnerlieder lesen. Einen dieser Abschnitte 'II:·
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Herodot erzählt von König Mykerinos, daß diesem ein Orakel eröffnete, er habe nur noch sechs Jahre zu leben: .,Als er dies vernommen hatte, wußte Mykerinos, daß sein Schicksal besiegelt war. Er ließ sich zahlreiche Lampen kommen, zündete sie, sooft es Nacht wurde, an, um zu trinken und sich zu amüsieren (eupatheein); weder bei Tag noch in der Nacht habe er das unterlassen und sei im Deltaland, in den Hainen und wo immer er die lauschigsten Vergnügungsstätten ausgemacht habe, umhergeschweift." Herodot fügt eine Erklärung hinzu, die ein wenig gezwungen wirkt: "So beabsichtigte er, weil er das Orakel Lügen strafen wollte, zwölf Jahre aus den sechs Jahren herauszuschlagen, indem er die Nacht zum Tage machte." ln Wirklichkeit ist die Handlungsweise des Königs auch ohne dieses Zeitkalkül vollkommen sinnvoll und in Übereinstimmung mit der FestPhilosophie der Harfnerlieder. Das Gilgamesch-Epos, übers. v. A. Schott, Stuttgart 41970, 75.
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Menschenbild und Lebensformen
haben wir bereits angeführt92 • Einen anderen wollen wir uns hier vor Augen führen 93 : So geh denn hin, und iß dein Brot mit Freuden, und trink deinen Wein mit gutem Mut. .. Laß deine Kleider immer weiß sein und deinem Haupte das Salböl nicht mangeln. Genieße das Leben mit deinem geliebten Weibe, ... solange dein eitel Leben währt, denn das ist dein Teil ... unter der Sonne. Alles, was dir vorHanden kommt zu tun, das tu frisch, denn bei den Toten, dahin du fährst, ist weder Schaffen und Planen noch Erkenntnis und Weisheit mehr.
Das Buch Kohelet ist voller solcher ägyptisch-orientalischer Festpoesie, und es mag wohl sein, daß hier manches "Harfnerlied" ägyptischer, mesopotamischer oder kanaanäischer Herkunft einen ähnlichen Unterschlupf gefunden hat wie die Liebespoesie im Hohelied. Der Hinweis auf Gilgamesch und Kohelet vermittelt uns einen Eindruck von der Verbreitung dieser Topik. Dabei handelt es sich offenbar um eine Verbreitung von Festsitten samt der zugehörigen Dichtung und Weisheit. Denn wir haben es hier mit einer spezifischen Weisheit des Festes zu tun. Die Verbreitung dieser Topik, in Ägypten von der Wende zum 2. Jt. bis in die griechisch-römische Zeit94 und außerhalb Ägyptens bis Israel, Mesopotamien und (worauf wir noch eingehen werden) Rom, erklärt sich nicht aus literarischer Abhängigkeit, sondern aus der Verbreitung von Festsitten. Die Verbindungslinien zwischen den in Raum und Zeit weitverstreuten Texten verlaufen nicht auf der Ebene der Literatur, sondern des Brauchtums. 92
93
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Koh. 1,4-7 vgl. Neferhotep-Lied: Lichtheim ( 1945) Tafel VII. Vgl. o., S. 216f. Koh 9.8--10, vgl. zu der Gegenüberstellung dieser Passage mit ägyptischen Harfnerliedern Assmann ( 1977a), bes. die Tabelle auf 72. Ich beschränke das Zitat auf die einschlägigen Passagen und lasse die eindeutig israelitischen Akkomodationen des Topos weg. Der jüngste dieser Texte, aus dem 1. Jh. v. Chr., ist vielleicht der ergreifendste. Es handelt sich um eine Grabstele, in deren Inschrift sich die Verstorbene an ihren hinterbliebeneo Ehemann wendet: 0 mein Liebster, mein Gatte und Freund, Hoherpriester, ermüde nicht, zu trinken und zu essen, trunken zu sein und zu lieben. Feiere den Schönen Tag, folge deinem Herzen Tag für Tag! Gib keine Sorge in dein Herz. Was sind Jahre, die man nicht auf Erden verbringt! Der Westen ist ein Land des Schlafs, dichter Finsternis, ... die dort sind, erwachen nicht, ihre Geschwister zu sehen, sie sehen Vater und Mutter nicht. Ihre Herzen vergessen ihre Frauen und Kinder. (Es folgen viele weitere Strophen bitterster Klage über das Schicksal der Toten.) Vgl. Schott (1950), 144f. Nr. 114.
VIII. Der schöne Tag
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In diesem Zusammenhang bekommt nun das einzige ethnographische Zeugnis einen ganz besonderen Wert, das uns etwas über ägyptische Festsitten berichtet. Es steht bei Herodot: "Beim Gastmahl, wie es die Reichen halten, trägt nach der Tafel ein Mann ein hölzernes Bild einer Leiche, in einem Sarge liegend, herum. Es ist aufs beste geformt und bemalt und ein oder zwei Ellen lang. Er hält es jedem Zechgenossen vor und sagt: ,Den schau an und trink und sei fröhlich! Wenn du tot bist, wirst du, was er ist.' " 95 Auf dieser Ebene orientalisch-mediterraner Festsitten laufen die Linien auch nach Rom, zum Gastmahl des Trimalchio, wo zum hundertjährigen Falernerwein ein silbernes Skelett aufgetragen wird96 , zu den "Skelettbechern", die dem Zecher zugleich mit dem Emblem seiner Vergänglichkeit auch die an Ptahhotep gemahnende Devise ktö chrö ("Erwirb- genieße") vor Augen führen 97 , und zum carpe diem des Horaz98 .
4. Das Fest als "Heterotop" In Ägypten bekommt dieser Gedanke freilich eine ganz besondere Schärfe. Denn wir befinden uns im Lande des Totenkults und einer ungeheuren Verewigungsindustrie, in deren Pyramiden und Mastabas, Mumien und Sarkophage, Stelen, Statuen und Totenbücher eine ewigkeilsbesessene Oberschicht über 3000 Jahre alle verfügbaren Mittel investierte. Auch darüber gibt es nicht nur die überwältigende archäologische Evidenz, sondern auch ein ebenso unverächtliches ethnographisches Zeugnis wie das des Herodot. Hekataios von Abdera, der Ägypten um 300 v. Chr. bereiste, berichtet: von den "Ewigkeitshäusern", in die die Ägypter all ihre Mittel und Mühe investieren.99 ,.Die Einheimischen geben der im Leben verbrachten Zeit einen ganz geringen Wert. Dagegen legen sie das größte Gewicht auf die durch das Gedächtnis an ihre ,Arete' ausgezeichnete Zeit nach ihrem Ende, und die Behausungen der
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Herodot II Kap. 78; Plutarch, De /side et Osiride, cap. 17; Ders., Conv. sept. sap. 2, 148 a-b; Lukian, De Luctu, 21; Zum archäologischen Nachweis entsprechender Figurinen vgl. Montel (1946), 100f.
Cap. 34, vgl. Nauerth (1980), 119f. Derartige silberne und bronzene Miniaturskelette sind tatsächlich gefunden worden und beweisen, daß Petronius auf eine real praktizierte Festsitte Bezug nimmt (Nauerth, 119 Anm. 4). "' Ebd .. 117-120. Das Skelett mit der Beischrift ktö chrö findet sich auch auf einem Bodenmosaik, das aus dem Triclinium einer pompeianischen Villa stammen wird, vgl. ebd. 117 n. 2. Die anspruchsvolleren Aspekte dieser Philosophie des Festes erscheinen auf den Silberbechern von Boscoreale (Ebd., 119 n. 2). 98 Weber ( 4 1922).
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Menschenbild und Lebensformen
Lebenden nennen sie ,Herbergen' (katalyseis), da wir nur kurze Zeit in ihnen wohnten. Die Gräber der Verstorbenen aber bezeichnen sie als ,ewige Wohnungen', da sie die grenzenlose Zeit im Hades verbrächten. " 99 Das trifft zweifellos den Kern altägyptischer Grundüberzeugungen. Keine Texte bringen das klarer zum Ausdruck als die "aus dem Geiste des Festes geborenen" Harfnerlieder, Weisheitslehren, Grabinschriften usw. Denn dies genau ist der Grund, warum sie- im Gegensatz zu den mesopotamischen, israelitischen und römischen Variantennicht nur auf der Vergänglichkeit des Lebens, sondern auch, und mit noch viel größerem Nachdruck, auf der Vergänglichkeit und Vergeblichkeit auch der monumentalen Jenseitszurüstungen beharren. Schon der älteste Beleg dieser Fest-Philosophie im "Gespräch eines Mannes mit seinem ,Ba' "ruft zum Schönen Tag mit dem Argument nicht der Vergänglichkeit des Lebens, sondern der Vergeblichkeit der Grabanlagen 100 : "Die da bauten in Granit, die schöne Pyramiden bauten in vollendeter Arbeit sobald die Bauherrn gestorben sind, blieben die Opfersteine leer... Hör du auf mich! Folge dem schönen Tag! Vergiß die Sorge!
Das Ewigkeitsbegehren, die von Hekataios sehr scharfsichtig diagnostizierte Geringschätzung der im Leben verbrachten Zeit zugunsten ungeheurer Aufwendungen für die "Ewigkeit": das ist die spezifisch ägyptische Form von Todesvergessenheit. Daher muß dem Ägypter, und nur ihm, sein Pyramidenglauben ausgeredet werden, damit ihm auch diese Zukunft und Sorge abgeschnitten und sein Herz im radikal zukunftslosen Horizont des Festes offen wird für den "Schönen Tag". Nun steht die Weisheit des Festes aber in eklatantestem Widerspruch nicht nur zu dem, was man als das heiligste Sinnzentrum der altägyptischen Welt betrachten muß, dem Glauben an die Ewigkeit der Gräber, sondern ebenso auch zu den zentralen ägyptischen Lebensregeln. Diese besagen nämlich gerade nicht, daß man "dem Herzen folgen", sondern, daß man das Herz "untertauchen" und "bezwingen" soll 101 . Die Sinnlichkeit, ZU deren Animation das Fest alle Künste aufbietet, war in Ägypten nicht gefragt. Da galt es vielmehr, "die Hitze zu bezwingen" 102 • "Kühle", "Herzensruhe" und "Schweigen", d.h. äußerste Zurückhaltung und Selbstkontrolle, sind die ägyptischen Kardinaltugenden. 103 Die Forderung "Folge deinem Herzen" schlägt alledem genau ins Gesicht. Abersie ist kein Lebensprinzip, kein kategorischer Impera-
99 Bei
Diodor I 51; vgl. Morenz (1969), 46f., o., Kap. I§ 2a. 3024,55-68, vermutlich aus dem Ende des 3. Jt. v. Chr. 101 Diese Forderungen kommen in derselben Lehre des Ptahhotep vor (618 und 67), die empfiehlt, "dem Herzen zu folgen"! Für weitere Belege vgl. Assmann (1983c), 976 n. 49. 1o2 Assmann (1984c), 195m. Anm. 8. 1°3 Vgl. Brunner (1957); Assmann (1983c); (1984c). 100 pBerlin
VIII. Der schöne Tag
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tiv. 104 Sie gilt nicht schlechthin, sondern nur für die ihr eigene Geltungs- und Wahrheitsdimension des Festes und für das Leben nur insoweit, als das Leben das Fest als das gegenüber dem Alltag ganz andere einschließen muß und sich nicht auf die Eindimensionalität der Alltagssorge verkürzen lassen darf. Ich meine, daß solcher Widerspruch zum Wesen des Festlichen gehört. Das Fest ist ein "Heterotop" in der Sinnwelt einer Kultur. Es stellt sich der Homogenisierung des Sinns und der Wahrheit entgegen. Die Wahrheit, die hier ihren Ort hat, gilt nicht immer, nicht überall und nicht für jeden. Das Fest ist Ausdruck der menschlichen Mehrdimensionalität 105 , seiner Fähigkeit, vielleicht sogar Angewiesenheit, zu einem Leben in verschiedenen Welten. Was wir in unserer komplex gewordenen Welt als ein Spezifikum der Kunst betrachten, nämlich eine gegenüber der Alltagserfahrung antagonistische Dimension zu verwirklichen, scheint im alten Agypten, in dem von "Kunst" in unserem Sinne keine Rede sein kann, das Kennzeichen des Festlichen gewesen zu sein. Wenn diese Deutung zutrifft, wenn das Fest also nicht lediglich ein "Sitz im Leben" ist für bestimmte Sitten, Gedanken und Texte wie andere Lebenssitze", d.h. institutionalisierte Situationen kommunikativen Handeins auchz.B. Gericht, Audienz, Markt usw. -,zwischen denen zu wechseln zur alltäglichen kommunikativen Kompetenz gehört, sondern eine Welt für sich mit einem eigenen Wahrheits- und Wertsystem, eben ein "Heterotop", dann darf man sich den Übergang von der einen zur anderen Welt nicht zu einfach vorstellen106. Man kann diese Schwelle nicht überschreiten, ohne sich gleichfalls zu verwandeln. Dieser Verwandlung dienen Selbstverschönerung (Waschen, Salben, Kleiden, Schmücken), Rausch und Vergessen. Vergessen kann man freilich nicht auf Befehl. Man kann nur- unter dem Eindruck der überwältigenden Evidenz einer anderen Wahrheit - die im Alltag leitenden Axiome und Motivationen hintansetzen. Das ist offenbar der Sinn des memento mori. Man vergißt die im Alltag gültigen Orientierungen, wenn man sich der im Alltag vergessenen Wahrheit des Todes erinnert. Diese Erinnerung ist offenbar notwendig, damit das Herz sich der Alltagssorge entledigt und sich dem Fest öffnet. Die von Herodot für Ägypten geschilderte und in Rom sowohl literarisch wie archäologisch nachgewiesene Festsitte des geEs ist daher nur halb richtig, wenn man die Weisheit des Festes als "Hedonismus" und "Skeptizismus" bezeichnet: Sie ist gar kein "-Ismus", der irgendeine Geltung über die Grenzen des Festes hinaus beanspruchte. Das muß v. a. auch D. Lorton gegenüber betont werden, der die Weisheit des Festes mit der ägyptischen "AIItagsethik" der Anpassung und Selbstkontrolle in Einklang bringen will. Genau dieser Einklang ist hier nicht gefragt. Er ergibt sich aus der falschen Prämisse einer eindimensionalen Sinnwelt, die zwar möglicherweise die moderne, aber nicht die altägyptische Wirklichkeit kennzeichnet. Vgl. zur modernen Situation aber Schütz (1945/1971). 105 Marcuse (1967). Marcuse lokalisiert den entscheidenden Antagonismus zwischen Kunst und Leben bzw. ,.Hohe Kultur" und ,.AIItagserfahruog". Für das alte Ägypten sind das anachronistische Begriffe; und doch stoßen wir auch hier auf einen entsprechenden Antagonismus. 106 Zum Problem des Übergangs und zur Kategorie der "Liminalität" vgl. Thrner (1967).
104
226
Menschenbild und Lebensformen
zeigten Skeletts steigert diese Erinnerung bis zum Schock, um den Übergang von der Alltags- in die Festwelt zu befördern. 107 In dieser Festkonzeption stehen sich Fest und Alltag als zwei Welten mit nicht nur verschiedenen, sondern geradezu entgegengesetzten Werten und Wahrheiten gegenüber, und es ist der in beiden Welten lebende Mensch, der ein unbeschädigtes Dasein führt. Für uns ist das Ausmaß dieser Differenz zwischen Fest und Alltag schwer nachzuvollziehen, ist es doch gerade diese Grenze, deren Verwischen -sei es durch die Veralltäglichung des Festes im Zeichen der Moderne, sei es durch die Verfestlichung des Alltags im Zeichen der Postmoderne 108 - unsere Welt "eindimensional" erscheinen läßt. Wir dürfen aber auf der anderen Seite nicht übersehen, daß wir in einer in anderer Hinsicht gegenüber der ägyptischen Welt unvergleichlich differenzierteren Wirklichkeit leben, wie sie etwa A. Schütz unter dem Stichwort der multiplen Realitäten analysiert und Th. Luckmann als Ausgangslage des modernen Identitätsproblem dargelegt hat 109 • Mit dieser Form von Differenzierung verglichen mutet die altägyptische Kultur kompakt und monolithisch an. Wahrscheinlich kommt aber keine Kultur ohne ein gewisses Maß an Vielfalt, Differenzierung, Heterotopie aus. In den frühen Hochkulturen, in denen keine Grenzen verlaufen zwischen Recht und Moral, Religion und Herrschaft, Staat und Gesellschaft, Kunst und Handwerk, sind es die Grenzen zwischen Alltag und Fest 110 , die hier die Eindimensionalität aufsprengen. Im kulturellen Prozeß der Ausdifferenzierung kultureller Teilsysteme und "multipler Realitäten", wie Schütz ihn beschreibt und wie er die Ausbildung personaler Identität in der Moderne zum Problem werden läßt, geht auf anderer Ebene eine Homogenisierung der Wirklichkeit einher. Von diesem Einreißen von Grenzen und Einebnen von Schwellen scheint das Fest in besonderem Maße betroffen.
Zum Übergangsschock beim Wechsel zwischen einer Realität zur anderen vgl. Schütz (1945/ 1971), 266; Goffman (1980), 12. 108 Auf dieses Programm läuft die Botschaft hinaus, die Maffesoli (1982) vermitteln möchte. 109 Luckmann ( 1979). 110 Auf diese archaische Funktion des Festlichen verweist nachdrücklich, auch wenn sie eine andere Zielsetzung hat, die Karneval-Theorie M. Bakhtins. 107
VIII. Der schöne 'Dlg
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Abbildung 30: Gastmahl (Ausschnitt). Theben, Grab Nr. 100 des Wesirs Rechmire (um 1450 v. Olr.). Männerund Frauen sitzen getrennt und werden von Dienern je gleichen Geschlechts bedient. Abbildung 31: Gastmahl. Fragment einer Wandmalerei aus einem thebanischen Grab, London, British Museum (um 1380 v.
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Menschenbild und Lebensformen
I1\ I
Abbildung 32: Gastmahl (Ausschnitt). Theben, Grabder Bildhauer Nebamun und lpuki (um 1400 v. Cllr. ). Geschleduer sitzen getrennt, aber auch die Männer werden von -allerdings bekleideten Dienerinnen bedient.
VIII. Der schöne Tag
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Abbildung 33: Gastmahl (Ausschnitt: Schmuck anlegen). Theben, Grab Nr. 38 des Ojeserkareseneb (um 1420v. Cllr.). Abbildung 34: Gastmahl (Ausschnitt. Musikantinnen undlanzerin): Theben, Grab Nr. 78 des Haremhab (um 1400 v. Chr.).
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'-tenschenbild und Lebensformen
Abbildung 35: Gastmahl (Ausschnitt: Musikantinnen): Theben, Grab Nr. 52 des Nacht (um 1420 v. Cu.).
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VIII. Der schöne Thg
I
I
Abbildung 36: Lautenspielerin. Fayenceschale, Leiden, Rijksmuscum van Oudheden (um 1200 v. Olr.). Das Thnkgefäß versinnbildlicht den Akkord von "Wein, Weib und Gesang", der für den ägyptischen Begriff des "Schönen Thgs" zentral ist.
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Menschenbild und Lebensformen
Abbildung 37: "lntimfest". Der Grabherr und seine Frau: Relief im Grab des Wesirs Mereruka in
Saqqara (6. Dynastie. 23. Jh. v. Olr.)
VIII. Der schöne Tag
Abbildung 38: Skelettbecher mit Aufschrift xtw XQW; Berlin, Antiquarium (um Chr. Geb.)
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Menschenbild und Lebensformen
Abbildung 39: Skelett mi. Festgerät. Fußbodenmosaik aus einem pompcianischen liiclinium; Nea pcl, Musco Nazionale (l.Jb. n. Cbr.).
Dritter Teil
Staat und Geschichte Geschichte kann man definieren als die Verbindung von Handeln und Erinnerung. Sie entsteht einerseits mit der Herausbildung strukturierter Handlungsräume, andererseits mit der Herausbildung erinnerungswürdiger bzw. -pflichtiger Bedeutung und der Fixierung solcher Erinnerung. Geschichte wandelt ihre Struktur nach Maßgabe der Wandlungen, denen einerseits die Handlungs- und Möglichkeitsräume, andererseits die Formen und Funktionen, Institutionen und Organe der Erinnerung unterworfen sind. Geschichte wird also nicht nur anders geschrieben, sie wird auch anders erlebt und "gemacht", je nach den soziokulturellen Rahmen des Handeins und der Erinnerung. Die Kapitel des dritten Teils betreffen beide Seiten dieses Syndroms: die "Welt" als Handlungsspielraum 1 und den "Staat" als Träger sowohl des Handeins als auch der sich an das Handeln knüpfenden und das Handeln leitenden Erinnerung. Kapitel IX behandelt die Wandlungen dessen, was man den "Möglichkeitsraum" politischen Handeins nennen kann. Dieser Möglichkeitsraum ist keine Sache "objektiver", z.B. geopolitischer oder ökonomischer Determinanten, sondern eine Sache der gesellschaftlichen Institution und Sinnkonstruktion, der "sozialen Semantik" .2 Er wird begrenzt und gebändigt durch "Rituale" und "Dogmen". Möglichkeiten des Handeins ergeben sich aus der Erschließung von Alternativen. Erst wo es etwas zu entscheiden gibt, können wir von politischem Handeln sprechen. 3 Die ägyptische Welt ist vor allem durch die Vorstellung gekennzeichnet, unablässig in Gang gehalten werden zu müssen. Aus dieser Grundüberzeugung ergibt sich die Prävalenz des Rituellen im alten Ägypten (wie etwa auch im alten China). 4 Wir haben schon im II. Kapitel gezeigt, daß die ägyptischen Zeitvorstellungen geprägt sind von dem Modell einer "virtuellen Apokalyptik". Dieses Modell prägt auch und vor allem die Vorstellungen von Ge-
1
2 3
4
Vgl. hierzu Tenbruck (1989). Im Sinne von N. Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik 1-111, Frankfurt 1980-89. S. hierzu N. Luhmann, Macht, Stuttgart 1975, der S. 29 f. kurz die Problematik früher bzw. orientalischer Hochkulturen streift. Vgl. hierzu besonders Balandier (1988).
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Staat und Geschichte
schichte und Gesellschaft. Das wird im X. Kapitel anband jener Texte gezeigt, die die Vorstellungen vom Chaos beschwören. Die Ma'at, jener ägyptische Zentralbegriff für Ordnung, Gerechtigkeit und Solidarität, ist kein selbstregulierendes System, das sich von selbst einstellt und "autopoietisch" reproduziert, wenn man den Dingen nur ihren Lauf läßt. Im Gegenteil: Nach ägyptischer Auffassung endet auf Erden jede sich selbst überlassene Entwicklung - im gesellschaftlichen wie im kosmischen Leben - notwendigerweise im Zusammenbruch. Ordnung, Leben und Harmonie sind nur durch unablässige Bemühung aufrecht zu erhalten. 5 Dieses Wissen von der Gefährdung der Ordnung wird eingeschärft durch Chaos-Fiktionen, in denen eine historische Erinnerung - die Erinnerung an Zustände der Ersten Zwischenzeit, als der Staat desAlten Reichs tatsächlich zusammengebrochen war- kodifiziert wird. Natürlich ist diese Erinnerung nicht in unserem Sinne "objektiv", sie entspringt nicht einem reinen Interesse an der Vergangenheit. Die Vergangenheit wird vielmehr gebraucht, um die Gegenwart zu fundieren. 6 Die Vorstellung der Anarchie als Gegenbild zur Herrschaftsform des pharaonischen Königtums läßt sich viel wirkungsvoller als historische Erinnerung darstellen denn als theoretische Fiktion. Im XI. und XII. Kapitel möchte ich zeigen, daß die außenpolitischen Verflechtungen der sich in der Bronzezeit herauskristallisierenden Staatenwelt, die Genese der "Alten Welt" und des "Ökumenischen Zeitalters" 7 , einen Strukturwandel der Geschichte bewirkt haben, d.h. nicht nur der Handlungsspielräume, sondern auch der Erinnerung, jener Erinnerung nämlich, die an die Selbstverpflichtung auf langfristiger Bündnisse und die Geltung hochverbindlicher Verträge und Gesetze geknüpft ist. Die Bindungen. denen die Menschen mit der Herausbildung staatlich organisierter Gemeinwesen nach innen und außen unterworfen wurden, nahmen die Zukunft in Anspruch und schufen. zusammen mit dem sich herausbildenden Handlungsraum "Welt", auch die sozial verfaßte Zeit, in der sich erinnerte Geschichte ereignet. Früher unterschied man zwischen Völkern "mit" und solchen "ohne Geschichte". Diese Unterscheidung hat der französische Anthropologe C. Levi-Strauss ersetzt durch die zwischen "kalten'· und "heißen" Gesellschaften, um klarzumachen, daß der Unterschied nicht darin besteht, daß die einen etwas besitzen, was den anderen abgeht, sondern darin, daß beidesich an ganz verschiedenen Modellen orientieren. Kalte Kulturen entwickeln Techniken zur Vermeidung von Veränderung (und damit Geschichte), heiße ~ 6 7
Vgl. hierzu ausführlicher Assmann (1990a). Zu ägyptischen Vorstellungen und Verwendungen der Vergangenheit vgl. bes. Baines 1989. Eric Voegelin, Order and History IV, The Ecumenic Age, 1974. Bereits Polybios- worauf F. Tenbruck S. 436 aufmerksam macht- hat den Prozeß dieser wachsenden Verflechtung der Ereignisse in der Einleitung seines Geschichtswerks identifiZiert und den Zusammenhang von "Ökumene" und "Geschichte" hergestellt.
Staat und Geschichte
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Kulturen entwickeln Techniken zur Erinnerung (Uvi-Strauss sagt: Verinnerlichung) von Veränderung, "um sie zum Motor ihrer Entwicklung zu machen". 8 Demgegenüber hat R. Schott {1968) so etwas wie einen "historischen Sinn" stark machen wollen, der eine anthropologische Universalie sei. 9 Alle Gesellschaften gründen, so Schott, ihr Bewußtsein von Einheit und Eigenart auf Ereignisse in der Vergangenheit. Am Beispiel Ägyptens läßt sich nun zeigen, daß von einem "historischen Sinn" in diesem universalen Sinne keine Rede sein kann (vgl. dazu bes. Redford 1986). Vielmehr ist evident, daß auch hier, im Kontext einer komplexen Gesellschaft, alle kulturellen Techniken wie Schrift, Zeitrechnung, Steinbau, bildende Kunst usw., im Dienste der Vermeidung, und nicht etwa der Erinnerung, von Veränderung stehen. Genau dies meint die Formel "Geschichte als Fest" (Hornung 1966). Zugleich läßt sich aber auch zeigen, daß sich diese Grundeinstellung oder Mentalität im Laufe der Zeit grundlegend verändert. Geschichte "bricht ein", Vergangenheit wird "entdeckt". Geschichtsbewußtsein ist nicht in der Grundausstattung des Menschen angelegt, sondern entwickelt sich in Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Entwicklung und im Respons auf spezifische Herausforderungen.
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Uvi-Strauss (1962), 309 = (1973), 270. Vgl. (1960), 39. Vgl. auch Leitner (1987), bes. S. 102 ff.
IX. Politik zwischen Ritual und Dogma. Spielräume politischen Handeins A. Solidarität von Heil und Herrschaft: die, Göttlichkeit' königlichen Handeins 1. Allmachtswahn und Despotismus: Pharao von außen gesehen Von außen gesehen gilt der ägyptische König seit jeher, von Ezechiel und Herodot bis Wittfogel, als Inbegriff uneingeschränkter monarchischer Machtanmaßung, orientalischer Despotie. Die Legenden, die sich um die großen Pyramiden rankten, und die Überlieferungen vom Frondienst des Volkes Israel verbanden sich zur geläufigen Vorstellung von der Knechtung ganzer Völker zum Zwecke sinnloser Riesenbauten, die nur dem persönlichen Ewigkeilsdrang der Herrscher dienten 1• Zum Vorwurf tyrannischer Versklavung der Massen gesellt sich, zumal im Alten Testament, der Vorwurf eines hybriden Allmachtswahns in bezug auf die Natur. "Mein ist der Nil", sagt Pharao bei Ezechiel, "ich habe ihn gemacht. " 2 Wenn man sich nun, geleitet von diesem Image, das Pharao in der außerägyptischen Überlieferung genießt, mit der Frage nach seinem Handlungsspielraum den ägyptischen Quellen selbst zuwendet, dann darf man wohl erwarten, hier auf den grandiosesten Spielraum zu stoßen, der jemals politischem Handeln verfügbar war. In der Tat bestätigen die ägyptischen Quellen dieses Bild. Der König ist einer, von dem gilt: "Will er, so tut er"\ sein Plan und sein Befehlswort verwirklichen sich auf der Stelle. Seine Macht wird als numinose Aura erlebt 4 • Wenn er in der Öffentlichkeit erscheint, ruft man: "Hüte dich, Erde: der Gott kommt. " 5 Ein Beamter des Alten Reichs glaubte sich in Lebensgefahr, als er von einem Szepter des Königs zufällig berührt wurde. Nur das sofort gesprochene Königswort "Du bist heil!" konnte ihn vor dem sicheren Tode retten 6 . Die Spitzen der Beamtenschaft rechneten es sich zur höchsten Ehre an, wenn der König ihnen erlaubte, anstau des Erdbodens seinen Fuß zu küssen 7 • Im Sinuhe-Roman fällt der Held vor heiligem 1 2 3 4
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Vgl. hierzu Oral (1986), sowie allg. Engel (1979). Ez. 29, 3. Pyr. § 412b. Belege bei Posener (1960), 43.48-49. WB III, 416.8; Kees (1926), 381. Urk. I, 232. Ebd. 41.53.
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Schrecken in Ohnmacht, als er zur Audienz vor den König geführt wird 8 . "Wenn er zürnt", heißt es in einer Lehre, "verstopfen die Nasen, erst wenn er gnädig wird, atmet man wieder." 9 Noch in der Ramessidenzeit, die man sich gern als eine vergleichsweise aufgeklärte Epoche vorstellt, liest man in einem Musterbrief: "Denk an den Tag der Tributlieferung, wenn du durchgelassen wirst zur Gegenwart (des Königs) unter das Erscheinungsfenster, die hohen Beamten zu beiden Seiten aufgestellt vorS. M., die Häuptlinge und Gesandten aller Fremdländer stehen staunend und schauen die Tribute Du aber hast Angst und taumelst, deine Hand ist schlaff, du weißt nicht, ob Leben oder Tod vor dir liegt. Du kannst nur noch deine Götter anflehen: Rettet mich, bringt mich in Sicherheit, dies eine Mal!" 10
"Wer vor dem Pharao steht", heißt es in einem Gebet, "sagt: ,Gib Luft, Amun!"' 11 • Das alles atmet die beklemmende Atmosphäre der totalen Despotie. Auch die Hybris gegenüber der Natur findet sich in den ägyptischen Texten hundertfach bestätigt. ,.Du bist es, der diesen Horizont verhüllt" ,.die Sonne geht auf dir zuliebe. Das Wasser im Fluß- nur wenn du es willst, wird es getrunken; die Luft im Himmel- nur wenn du es sagst, wird sie geatmet. "12
Von Ramses II. heißt es in einem ramessidischen Text: ,.Wenn du zum Wasser sprichst: ,Komm heraus auf den Gebel! Dann tritt der Urozean eilends hervor auf dein Wort. " 13
Die ägyptischen Quellen bestätigen demnach das Bild despotischer Allmacht, das sich die Umwelt von Pharao gemacht hatte. Sie sind aber nicht kritisch, sondern panegyrisch gemeint. Ihnen kann der Pharao gar nicht mächtig genug sein, für sie kann und darf es keine Grenzen seiner Macht ge-
Sinuhe 8 250-265, übers. von Blumenthai (1983), 20-23. Posener (1960) 65; ders. (1976), 22 f. 10 pKoller 5.1-4, hrsg. von Gardiner (1937), 120. Vgl. die Furcht des Expeditionsleiters in der .,Geschichte des Schiffbrüchigen", Goedicke (1974), bes. 12. 11 Cerny und Gardiner (1957), Tf. 5, 1.3-4. Vgl. auch die vorwiegend lexikographisch orientierte Untersuchung von Morenz (1968b), 113-137. 12 Sinuhe 8 232-234, vgl. zu dieser Topik Assmann (1980), bes. 16-19. n ÄHG Nr. 237, 29-31.
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ben. Denn nach ägyptischer Anschauung ist der König ein Gott. Von diesem Dogma müssen wir bei der Frage nach dem Handlungsspielraum des ägyptischen Königs ausgehen.
2. Göttlichkeit des Herrschens: Pharao von innen gesehen a) Grundlagen des Göttlichkeitsdogmas: Verkörperung und Sohnschaft Zunächst gilt es daher, das Dogma von der Göttlichkeit des Königs in seinen Grundzügen zu umreißen 14 . 1) Der ägyptische König gilt als eine Erscheinungsform des Gottes Horus. Die Identität eines ägyptischen Gottes hat keine klar abgegrenzten Konturen: Ein Gott kann in vielerlei Wesen Gestalt annehmen, z. B. in heiligen 1ieren15. Nach dem späten Totenglauben werden alle Menschen mit dem Tode und durch den Vollzug der Totenriten zu einer Erscheinungsform des Gottes Osiris, der in ihnen Gestalt annimmt. Der Gott Horus, ein Himmels- und Sonnengott mit der symbolischen Gestalt des Falken, nimmt in den jeweiligen Trägern des ägyptischen Königtums Gestalt an, die den Gottesnamen wie einen Titel vor ihren Personennamen setzen. Diese Konzeption ist so alt wie das ägyptische Königtum selbst. Der Gott existiert unabhängig von dem König, der ihn verkörpert, aber auch der König geht nicht ganz in dem Gott auf, der in ihm zur Erscheinung kommt, da er ja seinen individuellen Eigennamen beibehält. Hier liegen die Ansätze zu einer Zweinaturenlehre, die in verschiedenen Epochen verschiedene Ausprägungen erfahren hat 16 • 2) Jünger, zuerst greifbar gegen Ende der 4. Dynastie, ist das Dogma von der Sohnschaft des Königsam Sonnengott Re, das sich mit der 5. Dynastie allgemein durchsetzt. Es tritt nicht ersetzend an die Stelle, sondern ergänzend neben das Horus-Dogma. Als Horus ist der König Glied der dynastischen Kette und gleichsam genealogisch legitimiert, als Sohn des Re aber hat er einen Auftrag und eine Verantwortlichkeit: Hier steht er in einer spezifischen Konstellation mit einem bestimmten Gott, aus der sich eine Rolle, d.h. ein Programm von Handlungen, herleitet. Das erinnert (und sicher nicht zufällig) an die doppelte Legitimation Christi: als Sproß Davids (Glied der dynastischen Kette) und geistgezeugter Sohn Gottes. Gemeinsam ist beiden Dogmen, dem Horus-Dogma und dem Sohn-desRe-Dogma, der Gedanke der Sohnschaft 17 . Auch als Horus ist der König in 14
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Grundlegend Posener (1960). Blumenthai (1970); Barta (1975); Hornung (1960); ders. (1982) bes. 500 ff. Für das Alte Reich vgl. bes. Goedicke (1960). Zur "Symbolstruktur des Heiligen", die hier ins Spiel kommt, vgl. Assmann (1976), 760-765; s. auch Posener (1960), 15-22. Vgl. bes. Goedicke (1960); Sonnet (1952), 380 f. Vgl. Posener (1960), 34 f.; Assmann (1982), 13-61; vgl. auch Kap. V, bes. S. 126 ff.
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erster Linie Sohn: einmal als legitimer Erbe des Königtums und jeweils jüngstes Glied der dynastischen Kette, die ihn mit den Göttern verbindet, zum anderen als Erscheinungsform eines Gottes, dem die Mythologie die Rolle eines prototypischen Sohnes zuschreibt. Als Sohn von Isis und Osiris ist Horns der Sohn schlechthin. Die Göttlichkeit des ägyptischen Königs ist daher geprägt vom Bild des Sohnes: er ist der "Sohn auf Erden", dem die Fülle des ägyptischen Pantheons als seine Väter und Mütter im Himmel gegenübersteht, vor allen anderen aber und in anderer Weise sein himmlischer Vater, der Sonnengott. b) Wandlungen des Göttlichkeitsdogmas: identitäre und repräsentative Theokratie
Im Lichte dieser beiden Dogmen 18 läßt sich unsere Ausgangsthese von der Göttlichkeit des königlichen Handeins präzisieren: Der König handelt als Träger göttlichen Wesens (Horns) und als Partner in einer götterweltlichen Konstellation (Sohn des Re). Die jüngere Konzeption ergänzt die ältere: Schon auf der Ebene dieser Basis-Thesen kommen wir um die historische Dimension nicht herum und bekommen die Ansätze eines evolutiven Prozesses ins Bild. Die "partnerschaftliche" Interpretation der Göttlichkeit des Königs, nicht als Wesen, sondern als Rolle, und zwar als Sohnes-Rolle, setzt sich im Laufe der Geschichte immer dominierender durch. Ich möchte diese beiden Göttlichkeitskonzeptionen als "identitäre" und "repräsentative" unterscheiden. Die identitäre Göttlichkeit sieht im König den leibhaftigen Gott, die repräsentative dagegen den Vertreter des Göttlichen auf Erden, dessen Göttlichkeit als eine von ihm gespielte Rolle in seinen Handlungen in Erscheinung tritt 19 • Für unsere Frage nach dem königlichen Handlungsspielraum ergibt sich aus diesen Vorüberlegungen eine These, die ich anband der im folgenden dargestellten Befunde erhärten möchte: daß es sich hier weniger um ein politisches als ein bewußtseinsgeschichtliches oder kognitives Problem handelt. Die Wandlungen des königlichen Handlungsspielraums basieren weniger auf Veränderungen in der politischen Machtkonstellation als auf Wand18
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Auch Bonnet (1952) unterscheidet Verkörperungs- und Sohnschaftsdogma in der ägyptischen Königstheologie, vgl. auch Hornung (1982), 503. Die Unterscheidung als solche wird nicht berührt von der Frage, ob der christliche Begriff der Inkarnation in diesem Zusammenhang angemessen ist, vgl. dazu Junge, in: LÄ II, s. v. Inkarnation. Die Handlungsgebundenheit bzw. Rollenhaftigkeit der Göttlichkeit Pharaos hat vor allem Hornung hervorgehoben, s. ( 1982). Hornung unterscheidet drei Formen und zugleich Entwicklungsstufen des pharaonischen Gottkönigstums: "1. Pharao ist ein Gott; 2. Pharao ist Sohn eines Gottes; 3. Pharao ist Bild eines Gottes" (ebd. 503). Aber die mit dem Neuen Reich aufkommende Bild-Terminologie ist wohl eher als begriffliche Ausarbeitung und Klärung der im Sohnschaftsdogma bereits angelegten repräsentativen Göttlichkeit zu sehen, d. h. als eine Verstärkung dieses Aspekts gegenüber dem identitären.
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Iungen des Weltbilds, auf das hin sich- als eine Art In-Gang-Haltung der Welt -dieses Handeln entwirft. Man kann sich von diesen Wandlungen ein anschauliches Bild machen, wenn man sich an jener Form königlichen Handeins orientiert, die im Ägypten des 3. und 2. vorchristlichen Jahrtausends als die wichtigste und vornehmste zu gelten hat: das monumentale Bauen. Nicht von ungefähr stehen jedem von uns die großen Pyramiden von Giza wie ein Emblem des ägyptischen Staats- bzw. (was dasselbe ist) Königsgedankens vor Augen. Auch der Ägyptologe kann dieses Emblem durchaus gelten lassen; er wird es lediglich in dem Sinne historisieren, daß er es in seiner Gültigkeit auf die Jahrhunderte der eigentlichen "Pyramidenzeit" einschränkt. Und er wird nach jenen Bauformen fragen, in denen sich der Geist der folgenden Epochen ausdrückt. Denn an der zentralen Bedeutung und entsprechenden "Emblemfunktion" der königlichen Monumentalarchitektur ändert sich auf Jahrtausende nichts. Der König ist immer in erster Linie Bauherr, nur baut er nicht immer Pyramiden. 1) Die eigentliche Pyramidenzeit beschränkt sich auf die dritte und vierte Dynastie (2778-2563 v. Chr.). In diesen Jahrhunderten konzentriert sich die königliche Bautätigkeit in derTat vollständig auf die Pyramide(n), die jeder König für sich selbst als Grabmal anlegt. Staatskult ist Pyramidenkult, zu Lebzeiten des regierenden Königs gestiftet und über seinen Tod hinaus wei· tergeführt. Freilich dienen die Pyramiden nicht der persönlichen (und in diesem Sinne "despotischen") Verherrlichung des Königs, sondern der Verehrung des in ihm verkörperten Staatsgottes. Insofern sind die Pyramiden ein sinnfälliges Symbol "identitärer" Göttlichkeit, als Grabmal und Tempel eines Königs, der "aus eigener Kraft" Gott ist und sich, nach dem Tode, zum Himmel aufschwingt 20 • 2) Die Könige der 5. Dynastie (2463-2423) bauen neben ihren auffallend bescheidener gewordenen Pyramiden nun bereits Göttertempel, und zwar Sonnenheiligtümer für den Sonnengott Re von Heliopolis21 • Klarer kann man sich den architektonischen Ausdruck des neuen Dogmas von der Sohnschaft des Königsam Sonnengott nicht wünschen. Dieselben Könige leben im Mythos bzw. der Legende fort als Sprößlinge des Sonnengottes, von ihm mit einer sterblichen Frau zur Welt gebracht, damit sie den Göttern Tempel bauten 22 • Aber das neue Sohnschaftsmodell der königlichen Göttlichkeit trägt noch stark identitäre Züge: denn jeder König baut sein eigenes Sonnenheiligtum, statt dem Gott, wie es ab dem Mittleren Reich Sitte wird, in seiner Stadt einen Tempel zu errichten bzw. den vorhandenen zu erneuern, erwei20
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Zur Geschichte und Bedeutung der Pyramiden s. Stadelmann (1985); vgl. auch, mit einigen Einschränkungen hinsichtlich der Interpretation, Teichmann (1978}, 19-114. Vgl. Kaiser (1956); Winter (1957); Martin (19n}, 18-27. pWestcar, vgl. dazu Assmann (1982), 28-31.
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tern und auszustatten. Noch immer ist Staatskult Königskult, auch wenn jetzt der im König verehrte Staatsgott der Sonnengott Re ist. 3) Die folgende Zeit ist eine Zwischenstufe. Sie baut dem Sonnengott keine Sonnenheiligtümer mehr, jedenfalls nicht als individuelles Parallel-Bauwerk zur Pyramide. Vielleicht verlagert sich jetzt bereits die Bautätigkeit der Könige auf die Ortskulte; archäologisch ist wenig greifbar, aber wir haben aus dieser Zeit eine Reihe königlicher Schutzdekrete für Göttertempel, die zeigen, daß jetzt die regionalen Kulte an Bedeutung für königliches Handeln gewinnen23. 4) Ab ca. 2050 v.Chr. (11. Dynastie) tritt neben den königlichen Grabanlagen nun auch eine bedeutende monumentale Bautätigkeit der Könige an den regionalen Kultzentren hervor. Der Götterkult wird Staatskult, der König zum allgemeinen Bau-, Kult- und Opferherrn der Götter, auch wenn erTeile dieser Rolle den lokalen Priesterschaften delegiert. Die Göttlichkeit des Königs wird nun rein repräsentativ ausgelegt. In seiner Bautätigkeit erweist er sich nicht als Gott, sondern als Sohn, Statthalter, Repräsentant und Diener der Götter auf Erden, der ihre irdische Ortsansässigkeil zu sichern und zu vermehren bestrebt ist 24 • 5) Die Riesenbauten des Neuen Reichs (1562-1085) zeugen nur scheinbar von einer wieder gesteigerten Göttlichkeitsvorstellung des Pharao. In Wirklichkeit handelt es sich um die Kulissen einer gigantischen Inszenierung. Abgesehen von den nubischen Felstempeln, die eine Sonderstellung einnehmen, sind alle Großbauten Festarchitektur: der Luxortempel Amenophis' III., die Hypostyle Halle Sethos' I. in Karnak, der Osiristempel Sethos' I. in Abydos und die großen Totentempel in Theben-West wie Ramesseum und Medinet Habu. Die Göttlichkeit Pharaos wird zu einem heiligen Drama, das gelegentlich der großen Götterfeste, zu denen Zehntausende von weither zusammenströmen, mit unglaublichem Pomp zelebriert wird, eine Mischung aus Volksfest und Mysterienspiel. So läßt sich an der hier emblematisch gerafften Geschichte der ägyptischen Monumentalarchitektur eine klare Linie ablesen, die hinsichtlich der Göttlichkeit Pharaos von "Wesen" zu "Rolle", von Identität zu Repräsentation, und von einer Göttlichkeit aus eigener Kraft zu einer solchen der Beziehung, der kommunikativen Einbindung in die Götterwelt führt. Es wäre aber gewiß unangemessen, diesen Prozeß als eine Minderung königlicher Macht und eine Einschränkung des königlichen Handlungsspielraums zu interpretieren25. Man wird davon ausgehen müssen, daß sich an der Macht des Königs in diesen Jahrtausenden nichts Entscheidendes geändert hat; geändert hat sich 23
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Goedicke (1967). Vgl. Blumenthai (1970) 112-147. Dies richtet sich vor allem gegen Morenz (1964), der diese historischen Linien zwar sehr scharf herausgearbeitet, aber zu einseitig im Sinne einer Minderung zugunsten göttlicher Macht interpretiert hat.
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vielmehr der Sinn, den man dem Handeln des Königs beigemessen, die Deutungsmuster, auf die hin sich dieses Handeln ausgelegt hat. Freilich hat es zunächst den Anschein, als haben die Könige anfänglich nur "für sich selbst" und im Laufe der Geschichte immer mehr für die Götter als eine ihnen übergeordnete Instanz gehandelt ( = gebaut). Aber dieses "Selbst" ist eine anachronistische Kategorie. Die Pyramidenbauten gelten ebenso dem "Heiligen" wie die Tempel des Neuen Reichs, und diese wiederum gelten ebenso der "Selbst"-Verewigung des Pharao wie die Pyramiden des Alten Reichs. Wenn sich dieser die Staatsidee und zugleich das höchste Göttliche verkörpernde Sinnkomplex, der in der Pyramidenzeit noch ausschließlich in der Gestalt des Königs präsent war, im Laufe der Geschichte immer mehr zu einer Konstellation entfaltet, in der Pharao, der Staatsgott und die Götter die Partner sind, dann wäre doch nichts verkehrter, als diesesAuseinandertreten schismatisch, im Sinne von "Staat" und "Kirche", zu interpretieren. Die Tempel werden zum vornehmsten Medium königlicher Selbst-Thematisierung. Nicht der Umfang, sondern die Selbstauslegung der königlichen Macht ändert sich. Was sich von einem politologischen Standpunkt aus als Gottkönigtum darstellt und als ein Formenwandel innerhalb dieser Konzeption, das wäre von einem mehr religionsgeschichtlich orientierten Standpunkt als Theokratie zu bezeichnen. Die Pyramidenzeit, in der Pharao als Gott herrscht bzw. Gott als Pharao, verwirklicht eine "identitäre Theokratie", die folgenden Epochen, in denen Gott sich auf Erden als Herrscher durch Pharao vertreten läßt, dagegen eine "repräsentative Theokratie". Am Ende des Neuen Reichs schlägt das Pendel dann wieder in die Gegenrichtung um: Die 21. Dynastie errichtet in Theben eine "identitäreTheokratie", den Gottesstaat, den der Gott Amun durch Orakel regiert. Damit ist nun in der Tat das pharaonische Königtum seiner geistlichen Sinnfülle beraubt und verkümmert zu einem säkularen Kommando, in das sich jetzt bequem mehrere Dynastien nebeneinander teilen26. Der weltliche Herrscherneuen Typs vereinigt in seiner Hand die Ämter eines Generals, eines Gebietsgouverneurs und eines Hohenpriesters 27 • Auch diese Konzeption findet in der zeitgenössischen Monumentalarchitektur ihren Ausdruck, und zwar im Typus des Königsgrabes im Tempelhof28. Das 26
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Der Verfall oder, besser, das Verblassen der Institution des Zentralkönigtums zugunsten partikularer Herrschaftsformen ist ein gemeinsames Kennzeichen der 1. und der 3. Zwischenzeit. Charakteristisch für die 3. Zwischenzeit aber ist die Tatsache, daß dieser Zerfall nicht wie in der I. Zwischenzeit als eine Sinnkrise erlebt wird. Das hängt wohl mit der Verlagerung der Heilserwartung aus der politischen in die religiöse Sphäre zusammen, vgl. hierzu Kap. X. Siehe Meyer (1928); Kitchen (1973), bes. 243-333. Das Hohepriesteramt des Fürsten zeigt, daß auch jetzt noch an der Untrennbarkeil von Religion und Politik festgehalten wird. Das Herrscheramt wird nicht eigentlich verweltlicht, sondern vielmehr entgöttlicht. Übrigens tragen die Pharaonen, mit der charakteristischen Ausnahme Echnatons, keine HohepriestertiteL Stadelmann (1971).
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Königsgrab symbolisiert nun nicht mehr Göttlichkeit, sondern nur noch Gottesnähe, in derselben Form, in der die Beamtengräber ("Mastabas") in den Residenzfriedhöfen der Pyramidenzeit kraft ihrer Lage Königs- und damit Gottesnähe symbolisierten. Die im Laufe der Geschichte "konstellativ" und repräsentativ entfaltete Instanz des Heils und der Herrschaft hat sich nun ganz auf die Seite der Götter und in die Tempel verlagert. Entscheidend ist aber, daß sie noch immer als Einheit empfunden und nicht im Sinne einer Gewaltenteilung auf "Staat" und "Kirche" verteilt wird. Erst die Konzeption eines Reiches, das nicht von dieser Welt ist (Job. 18, 36), macht diese Gewaltenteilung und damit die Säkularisierung der Macht denkbar. Für die pharaonische Geschichte Ägyptens gilt die Solidarität von Heil und Herrschaft und bildet durch alle Wandlungen der geschichtlichen Verwirklichungen hindurch den konstanten Sinnrahmen. Die Formel von der "Solidarität von Heil und Herrschaft" verweist nachdrücklich auf den Sinn-Kern, der den verschiedenen Konzeptualisierungen von Gottkönigtum und Theokratie als gemeinsamer Nenner zugrunde liegt. Das Herrschen ist das eigentlich Heilige und Göttliche. Von seinem Tun also, zu dem er berufen und bevollmächtigt ist, wächst dem König seine Göttlichkeit zu. Wir wollen im folgenden dieses Tun, das wir bisher nur als Bautätigkeit behandelt haben, etwas eingehender betrachten und uns dabei auf jene Epochen "repräsentativer Göttlichkeit" des Pharao beschränken, die seinen Charakter als "Handeln vor bzw. für" und nicht "als Gott" stärker in den Vordergrund stellen.
B. Routine und Ritual: die Struktur königlichen Handeins 1. Allgemeinverbindlichkeit und Überindividualität Der ägyptische König ist alles andere als ein -ltnor; avf)Q, dessen Göttlichkeit sich in mirakulösen, die routinemäßigen Ordnungen des Daseins durchbrechenden und erschreckenden Handlungen erweist 29 . Die ägyptische Religion ist keine Religion des Übernatürlichen. Heilig sind die Ordnungen, nicht ihre Durchbrechung. So sind es gerade die routinemäßigen, voll erwartbaren Handlungen des Königs, die als göttlich gelten. Vom König werden keine Zauberkunststücke, keine Wunderheilungen und sonstigen Außeralltäglichkeiten erwartet. Fürall das gibt es Spezialisten, die dem König jederzeit zu Gebote stehen 30 • Seine Göttlichkeit beruht vielmehr darauf, daß ihm alles 29 .JO
Bieter (1976) . Dies muß v. a. gegen Posener (1960), 47-76, betont werden, der das Fehlen solcher Phänomene als Einschränkung der Göttlichkeit Pharaos interpretiert. Derartige Wunder werden nicht als Hierophanien gewertet, vgl. z. B. die Wundererzählungen des pWestcar: Erman (1890); Brunner-Traut {'1986), 19-24.
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Handeln in allseiner arbeitsteiligen Spezialisierung zu Gebote steht. Die Beamtentitel bereits der allerfrühesten Epochen der pharaonischen Gesellschaft zeugen von einer hochspezialisierten Arbeitsteilung 31 • Der König verkörpert die Instanz, die alle diese Fäden in der Hand hält, alles spezialisierte Handeln erst in Bewegung setzt, auf deren Gebot hin alles Handeln geschieht und von daher von den einzelnen als sinnhaft gemeint, vollzogen und verstanden werden kann. Der König verkörpert die Solidarität und Integration der arbeitsteilig spezialisierten Gesellschaft, ihren Willen, ihre Initiative und damit in gewisser Weise ihre Identität. Er ist, in ägyptischer Metaphorik gesprochen, das Herz, das alle Hände in Bewegung setzt 32 • Die Göttlichkeit des Königs beruht demnach auf dieser kollektiven Bevollmächtigung, für alle zu denken und zu handeln, mit anderen Worten: auf einer Monopolisierung des Handelns. Wenn unter Handeln ein Geschehen verstanden werden soll, das von einem ,Ich-Pol' aus auf ein Ziel hin entworfen und in Gang gesetzt ist 33 , dann trifft diese Definition im Ägypten des Alten Reichs nur auf den König zu. Alles andere Handeln geschieht auf Geheiß des Königs, nicht in selbstbestimmter Initiative und Zielsetzung34 . Am Kriterium der Selbstbestimmung gemessen, ist der ägyptische König des Alten Reichs die einzige Person, der einzige Träger einer Ich-Identität in der altägyptischen Gesellschaft. Seine Identität ist aber nicht individuell, sondern kollektiv: in seinem Willen ist der allgemeine Wille gebündelt, in seiner Person die Gesellschaft personifiziert, in seinem Handeln das Handeln aller zusammengefaßt. Die gewaltige Distanz, in die die Gestalt des Königs aufgrund dieses Willens- und Handeinsmonopols zu der von ihm regierten, repräsentierten und gewissermaßen verkörperten Gesellschaft gerät, wird als Göttlichkeit ausgelegt.
2. Partner und Objekte Königlichen Handeins Ein so mächtiger, alle Einzelwillen brennglasartig bündelnder Wille verwirklicht sich unmittelbar und widerstandslos. Das meinen die häufigen Formeln wie "Will er, so tut er" oder "Er spricht, und es geschieht". Die auf solchem Wollen und Handeln basierende Göttlichkeit ist daher keine Göttlichkeit "an sich", sondern gewissermaßen intentional, ziel- und partnerbezogen. Als eine Göttlichkeit des kommunikativen Handeins bestimmt sie sich im Bezug auf andere: auf die Götter, die Menschen, die Feinde, die Welt.
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Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Kaplony (1963--1964); ders. (1966). Posener (1960), 56. Schütz und Luckmann (1984), Bd. 2, 11-135. hierzu Assmann ( 1983c) sowie Kap. VII.
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a) in bezugauf die Götter: Hier ist es die Ausübung des Kults, die als göttliches Handeln interpretiert wird. Denn nach ägyptischer Auffassung ist Kult nicht Kommunikation zwischen Mensch und Gott, sondern kann sich nur auf götterweltlicher Ebene, zwischen Gott und Göttern vollziehen 35 . Nur im Rahmen einer götterweltlichen Rolle, einer "Konstellation", eröffnet sich die Chance eines rituell institutionalisierbaren Kontakts mit den Göttern. Diesen Kontakt aufrechtzuerhalten ist die Hauptaufgabe des Königs. Er tritt den Göttern als Gott gegenüber 36 , und zwar im Rahmen einer Konstellation, in der er die Rolle des Sohnes spielt. In seinem auf die Götterwelt bezogenen Handeln verkörpert der König den Gott Horus, den Sohn des Osiris und zugleich den Sohn schlechthin, der der gesamten Götterwelt als seinen Vätern und Müttern gegenübersteht. Im Hinblick auf die zentrale Rolle des Königs kann man die ägyptische Religion als eine Religion nicht des "Vaters im Himmel", sondern des "Sohnes auf Erden" kennzeichnen 37 • Das Institut der Gottessohnschaft, als welches sich das ägyptische Königtum mit Bezug auf die Götterwelt darstellt, sichert die Bedingung der Möglichkeit jedweden Kontakts zwischen Götterwelt und Menschenwelt. b) in bezugauf die Menschen: Hier ist es die Ausübung der Herrschaft, die man als das Handeln eines Gottes interpretiert. Der Institution des Gottkönigtums scheint die Vorstellung zugrunde zu liegen, daß eine bestimmte Form der Herrschaft einzig dem Gott zusteht: die Globalherrschaft38 , die sich auf die ganze geordnete und ungeordnete Welt bezieht. Wie viele andere archaische Gesellschaften auch haben die Ägypter sich einfach schlechthin als "Menschen" bezeichnet und ihr Land, das vereinigte Doppelreich der beiden Ägypten, der geordneten Welt gleichgesetzt, außerhalb derer sich das Chaos ausdehnte. Pharao war über das Ganze gesetzt: Sein Anspruch manifestierte sich nach "außen" als Macht, als die Macht nämlich, das Chaos in Schach und draußen zu halten; nach "innen" aber manifestierte sich dieser Anspruch als Herrschaft, worunter im Sinne Max Webers die Chance zu verstehen ist, für bestimmte Befehle bei einem angehbaren Personenkreis Gehorsam zu finden. Wenn dieser Personenkreis sich als Menschheit versteht, wird die Herrschaft über ihn als Globalherrschaft verstanden und als solche vergöttlicht. 35
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JA
Vgl. dazu Assmann (1984a), Kap. 2. § 3.2. Man wird daher auch, anders als Hornung ( 1982). nicht scharf zwischen "Pharao vor Gott" und "Pharao als Gott" unterscheiden, da Pharao nur als Gott in der Lage ist, vor Gott zu agieren. Seine Göttlichkeit ist Vorbedingung jedes Kontakts mit der Götterwclt. Vgl. hierzu Kap. V, 126ff. So besser als .,Weltherrschaft", da es sich in keiner Weise um ein imperialistisches Konzept handelt. Globalherrschaft wird ägyptisch als Hemchaft über .,die beiden Länder·• ausgedrückt, ein Begriff, der in der Form der Zweiheit die Idee einer umfassenden Ganzheit zum Ausdruck bringt, vgl. hierzu Otto (1938), 10-35. Der in den ägyptischen Texten erst seit dem Neuen Reich greifbare Gedanke einer Weltherrschaft dagegen wird als Hemchaft über "alle Länder" bzw. ,.alles, was die Sonne umkreist" u. ä. Wendungen ausgedrückt, s. dazu Hornung (1957).
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c) in bezug auf die Feinde: Hier ist es das Bezwingen oder Niederwerfen, das als göttliches Handeln interpretiert und in der Form eines heraldischen Emblems unendlich oft dargestellt wird: Der Pharao holt weit ausschreitend mit der Rechten zum Schlag aus, um die mit der Linken am Schopf gepackten Feinde zu zerschmettem 39 . Die Feinde sind als Angehörige des Chaos kein denkbares Objekt der Herrschaft, sondern lediglich einer gleichsam apotropäischen Machtdemonstration. Sie gelten als bezwungen und unterworfen, wenn sie die Grenzen respektieren und draußen gehalten werden können. So kann der Ägypter, dank dieser ausgeprägten Innen-Außen-Differenzierung, das Wissen davon, daß die Welt jenseits seiner Grenzen weitergeht und von allen möglichen Völkern und Stämmen bewohnt wird, mit der Vorstellung globaler Beherrschung in Einklang bringen 40 . Die Globalität des pharaonischen Herrschafts- und Machtanspruchs ist sein entscheidendes Merkmal, denn eben darauf basiert seine Göttlichkeit. Herrscher gibt es viele, aber nur einer herrscht über das Ganze: der Gott nämlich, der die Welt geschaffen hat, bzw. der Gottessohn, den er zum Herrscher über seine Schöpfung bestimmt und eingesetzt hat. Schöpfungstheologie und Königstheologie gehören im ägyptischen Denken sehr eng zusammen. Für den Ägypter ist die legitimste Form der Herrschaft die des Schöpfers über seine Geschöpfe; sie übt der ägyptische König aus, indem er, wie Hornung sehr treffend bemerkt hat, die Rolle des Schöpfergottes spielt. Davon weiß auch Ezechiel, wenn er das ägyptische Königtum mit dem Satz zitiert: "Mein ist der Nil: ich habe ihn gemacht." Daß der Schritt von partikularer zu globaler Herrschaft, vom "König" zum "Kaiser", als ein qualitativer empfunden und religiös interpretiert wurde, dafür dürften sich in der Geschichte vermutlich viele Parallelen beibringen lassen. Im Ägyptischen wird dieser Schritt über das Partikulare hinaus auf eine höhere Stufe umfassender Ganzheit durch das Bild von der Vereinigung der beiden Länder zum Ausdruck gebracht. Jeder ägyptische Herrscher nennt sich König von Ober- und Unterägypten und feiert bei seiner Thronbesteigung die Vereinigung der beiden Länder. Indem er beide Ägypten unter seiner Herrschaft vereinigt, herrscht er über das Ganze und führt die Herrschaft des Schöpfergottes weiter, spielt eine göttliche Rolle. Der Ägypter hat es im Laufe der Geschichte mehrmals erlebt, daß diese Einheit zerbrach und sich mehrere Herrscher in das Land teilten. Jedesmal ging damit eine Verweltlichung des Königsamtes einher41 , jedesmal mußte dann bei erneuter Herstellung einer Zentralherrschaft auch die Göttlichkeit der Institution wieder neu begründet (legitimiert) werden. Das zeigt vielleicht am deutlich-
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Siehe Schoske (im Druck). Vgl. a. Assmann (1983/84), 175-231, bes. 177-180, 208-211. Vgl. z. 8. Brunner (1955), 4-11, sowie o. Anm. 27.
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sten, daß sich Göttlichkeitsdogma und Weltherrschaftsutopie gegenseitig bedingen. d) In bezugauf die Welt als die Ganzheit dessen, wofür der König zuständig ist, handelt er als Gott, indem er sie, zusammen mit den anderen Göttern, gewissermaßen in Gang hält. Ein ägyptischer Text, vermutlich des Mittleren Reichs, umschreibt die Rolle des Königs in der Welt folgendermaßen: Re (der Sonnengott) hat den König eingesetzt auf der Erde der Lebenden für immer und ewig, um den Menschen Recht zu sprechen und die Götter zufriedenzustellen, um die Maat zu verwirklichen und die Isfet ("Unrecht") zu vernichten; Er (der König) gibt den Göttern Gottesopfer und den Verklärten (Toten) Totenopfer"2.
Der König ist für Kult, Versorgung und Rechtsprechung, für Götter, Menschen und Tote zuständig, und zwar so, daß die Maat verwirklicht und die Isfet beseitigt wird. Der Begriff Maat wird gewöhnlich mit "Weltordnung" übersetzt, im Sinne des Idealzustands, in dem Gott die Welt erschaffen hat und in den sie der König zurückversetzen muß. Diese Deutung ist nicht unrichtig, erfordert aber zwei Präzisierungen, die mir wichtig erscheinen. Zunächst muß gegenüber der eingebürgerten Interpretation von Maat als "Weltordnung" festgestellt werden, daß Maat von Haus aus, im engeren, eigentlichen Sinne kein kosmischer, sondern ein sozialer Begriff ist. Der "kategorische Imperativ" der ägyptischen Ethik lautet: Sage die Maat, übe die Maat. Maat ist die Wahrheit, die man sagen, und die Gerechtigkeit, die man üben soll, und zwar, damit die Menschen in Eintracht und Harmonie leben können. Er wäre zu paraphrasieren: "Handle stets so, daß deine Worte und Taten den Einklang zwischen dir und der Gesellschaft und zwischen den Menschen untereinander befördern." Nach ägyptischer Auffassung ist Leben nur im Rahmen solchen Einklangs möglich, da sich der einzelne nur in der Gemeinschaft entfalten und nur in den ihm darin zugewiesenen Bindungen und Rollen verwirklichen kann. Maat ist Leben, Isfet- das antagonistische Prinzip der Entzweiung, Isolation, Dissonanz- ist Tod43 . Zweitens bezieht sich der ägyptische Begriff von Wirklichkeit weniger auf einen Zustand als auf einen Prozeß44 . Das Handeln des Königs ist immer schon in diesen Prozeß hineingestellt. Es geht nicht - wie man immer wieder lesen kann - darum, einen Zustand wiederherzustellen, sondern den Prozeß der Ordnung, d. h. der Kohärenz und der Kontinuität der Wirklichkeit, in Gang zu halten und den Bewegungen nach dem Verfall zu, der Gravitation des Chaos, entgegenzuwirken. Das 42 43 44
Siehe Assmann (1970). Für den ersten Teil dieses Textes s. Kap. III § 3. Vgl. dazu Kap. V, 110-112. Siehe hierzu Kap. II, bes. SOff.; Assmann (1990a). Kap. 6.
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Modell oder Urbild dieses Prozesses ist der Sonnenlauf. In ihm sieht und erlebt der Ägypter die fortwährende Realisierung von "Ewigkeit" , von Kontinuität und Kohärenz, eine creatio continua, in der das Chaos nicht im Sinne eines vorgängigen Urzustands, sondern im Sinnhorizont der virtuellen Apokalyptik als gegenstrebige Gravitation des Stillstands und Zerfalls fortwährend überwunden wird. Wir müssen uns, wenn wir die ägyptische Weltsicht verstehen wollen, vom Begriff einer Schöpfung freimachen, die am siebenten Tag beendet ist und dann in einen Zustand umschlägt, der zerstört und wiederhergestellt werden kann. Für den Ägypter ist die Schöpfung das "erste Mal" die "Initialzündung" eines Prozesses, der in den kosmischen Vorgängen des "Sonnenlaufs", der Nilüberschwemmung, der Gestirnsbewegungen, der Vegetation usw. als gegenwärtig erlebt und der als Wirkungszusammenhang einer Götterwelt, d.h. als System kommunikativen Handelns, interpretiert wird 45 • Das Handeln des Königs ist also nicht nur in einen Prozeß, sondern in einen Handlungszusammenhang hineingestellt. Sein Handeln hat mitwirkenden Charakter.
3. Rollenkonformität Über die ägyptische Vorstellung der creatio continua, der Welt als Handlungszusammenhang einer Götterwelt, sind wir durch die Fülle religiöser Texte sehr gut unterrichtet. Die ursprüngliche Konzeption dieses Handeins läßt sich als Rollenkonformität kennzeichnen: Die Götter handeln in festen Konstellationen und sind nichts anderes als das, was sie im Rahmen solcher Konstellationen in bezugaufeinander sind46 • Die Möglichkeit eines Handlungsspielraums, und damit Personalität als Instanz von Wille und Entscheidung, sind hier weitestgehend ausgeblendet. Insofern das Handeln des Königs als Mitwirken an diesem fortwährenden Schöpfungswerk (der Erzeugung von Kosmos und Ewigkeit im Gravitationsfeld von Chaos und Vergänglichkeit) verstanden wird, unterliegt es derselben Rollenkonformität, ist rituell festgelegt und kennt keinen Handlungsspielraum. Damit hat uns die Betrachtung des ägyptischen Königsdogmas zu einem Handlungsbegriff geführt, der in doppeltem Sinne in Gegensatz steht zur Möglichkeit eines Handlungsspielraums: Die Vorstellung unumschränkter Allmacht und widerstandsloser Willensverwirklichung negiert die Existenz der Grenzen, die mit dem Begriff eines Spielraums gesetzt sind, die Vorstellung absoluter Rollenkonformität dagegen negiert die Freiheit, die der Begriff des Spielraums impliziert. Das Dogma von der gewissermaßen zeitenthobenen Globalherrschaft des Königs, der als Sohn und Statthalter des 4S 46
Vgl. bes. Hornung (1977), 411-449. Vgl. Assmann (1969), 333-359; ders. (1983a), 54-95; ders. (1984a), Kap. 4, § 4.
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Schöpfergottes "immer schon" Herr der ganzen Welt ist, steht der Ausbildung eines echten Handlungsbegriffs entgegen, der eine perspektivisch bezogene und begrenzte raum-zeitliche Dimension erfordert. Handeln im Sinne der Setzung von Zielen und der Durchführung von Maßnahmen, die zu ihrer Erreichung notwendig sind, erfordert Planung; Planung aber bedeutet die Erschließung begrenzter Zeithorizonte im Wissen um eine immer nur partielle Verfügbarkeil der Zukunft und der Kontingenz. DasAllmachtsdogma, das solche Begrenztheit leugnet, schließt auf der anderen Seite auch Handlungsfreiheit und Willkür aus. Denn das Dogma von der rituellen Rollenkonformität des königlichen Handeins steht der Ausbildung eines Handlungsbegriffs entgegen, der auf persönlicher Identität als Instanz von Wille, Entscheidung, Erfahrung und Schicksal beruht. Der König, der den Prozeß der Wirklichkeit in Gang hält, verkörpert den Willen der Gemeinschaft und besitzt eine kollektive Identität. Es mag uns seltsam erscheinen, daß die Ägypter ein rollenkonformes, rituell gebundenes Handeln gleichwohl als göttlich interpretiert haben. Für die Gottesvorstellung des ägyptischen Polytheismus gilt jedoch eine genau entsprechende Handlungskonzeption. Auch die Götter erscheinen in den Texten nicht als Träger eines persönlichen, im Grenzfall gar unerforschlichen Willens, sondern einer Rolle in festen Konstellationen. Von einem Handlungsspielraum kann auch hier nicht eigentlich die Rede sein. Hier liegt, was die Gottesvorstellung angeht, der Grund dafür, daß sich Mythen in Ägypten nur zögernd entfalten, im gleichen Maße nämlich, wie sich einzelne Götter aus dieser rituellen Rollenkonformität emanzipieren und in dem durch solche Distanz ermöglichten Handlungsspielraum Willen und Personalität entwickeln, ohne die sich von ihnen nicht erzählen ließe 47 • Entsprechende Emanzipationsbestrebungen, wie sie sich in bezugauf die Götterwelt in der Mythenbildung ausdrücken, lassen sich nun auch immer wieder in bezug auf das Königtum beobachten.
C. Ansätze eines Handlungsspielraums im politischen Denken des Mittleren und Neuen Reichs Diese "Standardversion" des ägyptischen Königsdogmas hat nun im Lauf der ägyptischen Geschichte mehrere Krisen durchgemacht, die zu verschiedenen Formen einer Reflexion und Neuinterpretation seiner Grundlagen führten. Zwei, die mir besonders charakteristisch erscheinen, möchte ich in aller gebotenen Kürze an ausgewählten Beispielen vorführen. Es handelt sich 1) um eine Rhetorik der Motive 48 , die das Königtum des frühen 2. Jt. v. Chr. entwik47
48
Zur Rollenkonformität der ägyptischen Götter gehört auch das, was B. Gladigow "Bereichkompetenz" nennt (1979), 41-62, bes. 42-45. Vgl. Burke (1969).
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kelt, aus dem neuartigen Bewußtsein einer Begründungs- und Legitimationsbedürftigkeit heraus, das sich in der Folge des Zusammenbruchs des Alten Reichs zu Ende des 3. Jt. v. Chr. ausgebildet hat, und 2) um das ramessidische Historien bild, in dem sich, in der zweiten Hälfte des 2. Jt., ein neuartiger Sinn für das historische Ereignis ausprägt. Die Ägyptologie teilt die pharaonische Geschichte Ägyptens in drei "Reiche" ein, das "Alte Reich" im 3. Jt. v. Chr., das "Mittlere Reich" in der ersten und das "Neue Reich" in der zweiten Hälfte des 2. Jt. Die "Reiche" sind charakterisiert als Zeiten gesicherter Zentralherrschaft, die sie trennenden Intervalle dagegen als Phasen partikularer Herrschaft. Diese klare Gliederung, auf der übrigens unsere Einteilung der Bronzezeit in Alt-, Mittel- und Spätbronze beruht, geht auf die altägyptische Geschichtsüberlieferung zurück, die die drei "Reichseiniger", denen die Errichtung bzw. Wiedererrichtung der Zentralherrschaft geglückt war, göttlich verehrten. Aus diesem eigentümlichen Geschiehtsahlauf, der den Ägyptern des ,.Neuen Reichs" bis zu einem gewissen Grad bewußt war-49 , ergibt sich bereits, daß die Ideologie des göttlichen Königtums sowohl mehrfach radikal in Frage gestellt wurde als auch niemals ganz aufgegeben werden durfte, da sie ja untrennbar mit der als Globalherrschaft interpretierten Zentralherrschaft über beide Ägypten, also mit der staatlichen Identität des pharaonischen Ägypten, verbunden war. Die Quellen, die ich im folgenden behandeln möchte, fallen in solche Phasen einer Reinterpretation der fragwürdig gewordenen Ideologie. Das Mittlere Reich hat die Erfahrung des ersten Zusammenbruchs hinter sich, die Ramessidenzeit die Erfahrung des religiösen Umsturzes der Amarnazeit.
1. Das Mittlere Reich: Rhetorik der Motive Nach dem Zusammenbruch des Alten Reichs gegen Ende des 3. Jt. ist die Möglichkeit partikularer Herrschaft ohne Gottkönigtum und Globalitätsanspruch erfahrbare Wirklichkeit geworden. DerVersuch der 12. Dynastie, dieses Königtum mit allen Vollmachten einer noch nicht geschiedenen religiösen und politischen und insofern geradezu allumfassenden Handlungssphäre zu restaurieren, sieht sich daher unter Begründungszwang gestellt 50 . Königliches Handeln ist konsensbedürftig geworden; entsprechend gilt jetzt als oberste Tugend des Königs, daß er zu überzeugen versteht. So liest man in einer Königslehre dieser Zeit: Sei ein Künstler in der Rede, damit du siegst, denn siehe: Der Schwertarm eines Königs ist seine Zunge. Stärker ist das Wort als alles Kämpfen 51 • 49
Vgl. Kap. XII.
so Zur königlichen Propaganda im Mittleren Reichs. Posener (1956). ~1
Lehre für Merikare, hrsg. von Helck (19TI), 17 f., vgl. zu diesem Text zuletzt Blumenthai (1980), 5-41.
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Die offiziellen Königsinschriften der Zeit tragen diesem Anspruch Rechnung: Sie sind nicht nur Proklamationen, sondern auch Begründungen königlicher Handlungen. Die beiden Texte, an denen ich das zeigen möchte, beziehen sich auf die beiden vornehmsten Aufgaben des Königs, das Bauen und den Krieg. Text 1: Berliner Lederhs. 302952 Der Text handelt vom Bau eines Tempels für den Sonnengott in Heliopolis. Um dieses königliche Handeln nicht nur zu proklamieren, sondern auch zu begründen, ist er in eine Form gebracht, die für derartige offizielle Verlautbarungen typisch wird und für die A. Hermann den Terminus "Königsnovelle" geprägt hat: 53 Der König trägt im Rahmen einer Rats-Sitzung seinen Räten die fragliche Handlung als Plan vor und begründet sie ausführlich; die Räte akklamieren dieser Rede in Form einer Eulogie, in der sie auf die Göttlichkeit, d. h. die Rollenkonformität der geplanten Handlung abheben. Dann wird abschließend deren Vollzug berichtet. In unserem Text geht der König Sesostris I. in seiner 50 Verse umfassenden und damit für ägyptische Verhältnisse ungewöhnlich langen Rede zunächst auf die Vorgeschichte der geplanten Handlung ein und beginnt wahrhaft ab ovo: Schon im Ei-d. h. im Mutterleib- war Sesostris machtvoll, schon als neugeborenes Kind erwies er sich als geborener Herrscher, schon als Knabe war er ein Führer54 , und in alldem realisierte sich derWille des Sonnengottes, der ihn, wie es heißt, zur Welt gebracht hatte, um sein eigenes schöpferisches Handeln weiterzuführen, um seine Anordnungen ausführen zu lassen und um seine eigene Herrschaft auf Erden zu erweitern. In dieser Perspektive erscheint nun der geplante Tempelbau als die krönende Ausführung des göttlichen Willens. Wer könnte daran zweifeln, daß es sinnvoll, ja notwendig ist, als Sohn zu handeln gegenüber einem Gott, der sich in der Person und Lebensgeschichte des Königs so eindeutig als Vater erwiesen hat? Solchem Zweifel gibt der Text in einer rhetorischen Frage Ausdruck: "Wozu soll es gut sein, für meinen Schöpfer zu schaffen und den Gott zufriedenzustellen mit dem, was er selbst gegeben hat?" 55
Darauf folgt eine doppelte Begründung. Zunächst hebt der König noch einmal darauf ab, daß er nur das Instrument von Gottes eigenem Willen ist, der durch ihn, den König, seine irdische Existenz erweitern (swsl]), d. h. seine Altäre mit Opfern ausstatten lassen möchte 56 . Dann aber folgt ein eigenartiges Kalkül: Goedicke (1974), 87-104; ei-Adly (1984). Hermann (1938). S4 Zu dieserTopik s. Blumenthai (1970), 35-37. s~ Zur Übersetzungs. Seibert (1967), 86. 56 Vgl. zu dieser Aufgabe des Königs Assmann (1982), 28 f. s2
53
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Meine Vollkommenheit wird erinnert werden in seinem Hause, mein Name ist die Pyramide, mein Denkmal ist der heilige See. Ewigkeit bedeutet es, das Wertvolle zu tun. ( ... )Was zur Ewigkeit gehört, vergeht nicht. Was gemacht wurde, ist das, was ist. Es bedeutet, das (wahrhaft) Wertvolle ausfindig zu machen. Der Name ist der beste Lebensunterhalt. Er wird dadurch erworben, daß man aufmerksam ist gegenüber den Belangen der Ewigkeit.
Das Handeln des Königs bewegt sich in einem Zeithorizont und in einer Sinndimension, die dem Uneingeweihten unzugänglich sind. DerText umschreibt sie mit "Ewigkeit", "unendliche Dauer" und dem unübersetzbaren Begriff "ACH", den wir allzu blaß mit "(wahrhaft) Wertvolles" wiedergegeben haben. Der König forscht nach dem, was "ACH" ist, um sich einen unvergänglichen Namen zu machen und damit zugleich Seiendes zu schaffen und Ewigkeit zu realisieren in einer Weise, die- das muß man wohl unterstellenirgendwie auch für die Gemeinschaft erstrebenswert ("ACH") ist. Dieselbe Begründung liest sich in einer etwas späteren Inschrift des Mittleren Reiches folgendermaßen: Ich will mir die Belange der Ewigkeit ins Herz setzen und forschen nach dem, was "wertvoll" ist für die ZukunftY
Dieser Text schließt mit dem Wunsch: Möge er (Gott) mir den Lohn geben für diese meine Denkmäler, (in Gestalt) einer Lebenszeit von Millionen Jahren. Denn der Lohn dessen, der handelt, liegt darin, daß für ihn gehandelt wird: Das hält Gott für .,Maat" 58 .
Deswegen ist es nicht sinnlos, für den Schöpfer zu schaffen: Denn Gott hat die Welt so eingerichtet (das meint "Maat"), daß alles Handeln eine Antwort darstellt und eine Antwort provoziert und in diesem Sinne .,kommunikativ" ist. Das Handeln des Königs kommuniziert mit den Göttern: Indem er das vorgängige Handeln des Schöpfers mit Tempelbauten beantwortet und dadurch in eine kommunikative Sinndimension stellt, wird ihm das zukünftige Handeln Gottes- die Ewigkeit- als Lohn zuteil. Die Räte heben in ihrer bewundernden Antwort auch diesen Gesichtspunkt noch einmal besonders hervor:
57 58
Inschrift des Königs Neferhotep aus Abydos, hrsg. von Helck (1975), 28. Ebd. 29.
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Wahrhaft erhaben ist es, auf das Morgen zu blicken als das, was wertvoll ist (schon) für die Lebenszeit. Die Menge kann nichts vollbringen ohne dich: Deine Majestät hat die Augen für alle 59 .
Die gewöhnlichen Menschen sind "Tageswesen" (Pindar), ihr Blick reicht nicht über das Heute und das Bestehen des täglichen Überlebens hinaus. Nur wer "auf das Morgen blickt" und "sich die Ewigkeit vor Augen stellt", vermag im großen Stil zu handeln, indem er das Wahrhaft-Wertvolle als Ziel zu Gesicht bekommt und über die Mittel zu dessen Erreichung verfügt. Hier wird mit Blindheit und Sehen argumentiert, um klarzumachen, daß der König nicht nur unendlich mehr Macht hat als andere, seinen Willen durchzusetzen, sondern daß er, was viel entscheidender ist, aufgrund seines unendlich größeren Überblicks viel mehr zu wollen vermag als die anderen. Daß er, wie der Text es ausdrückt, die Augen hat für alle, bedeutet zugleich, daß er den Willen für alle verkörpert. Nur er "sieht", worauf es ankommt, und alle anderen haben sich dieser Zielsetzung unterzuordnen. Mit diesen Zielen ist genau das gemeint, was A. Gehlen "die Bewegung nach der Größe, dem Anspruchsvollen und Kategorischen hin" nennt, die seiner Meinung nach stets "erzwungen, mühsam und unwahrscheinlich" sind und der natürlichen Gravitation des Chaos, des Zerfalls und der Mutabilitas des Irdischen abgerungen werden müssen60 • Für den Ägypter gipfelt dieses Handeln im Großen Stil, im Sinne der "Bewegungen nach der Größe hin", im Bauen. Text 2: Grenzstele Sesostris' 111. aus Semnah 61 Die Handlungsbegründung, um die es in diesem Text geht, betrifft den Sinn der Errichtung und Verteidigung einer weit vorgeschobenen Grenze, also die Sphäre des Krieges als der Außendemonstration der königlichen Allmacht und neben der Sphäre des Bauens die wichtigste Domäne königlichen Handelns. Dort heißt es: Ich habe meine Grenze errichtet, indem ich über meine Vorfahren hinaus nach Süden vorgedrungen bin, indem ich hinausgegangen bin über das, was mir aufgetragen wurde. Ich bin ein König, der spricht und handelt, was mein Herz plant, das geschieht durch meine Hand. ( ... )Einer, der den Angreifer angreift und schweigt, wenn Ruhe herrscht, der eine Rede beantwortet entsprechend ihrem Resultat.
59
60
Wörtlich: Deine Majestät- Leben, Heil, Gesundheit- ist die Augen von jedermann, vgl. damit den Sonnenhymnus im GrabTheben 157, hrsg. von Assmann (1983b), Text 151, S. 194 f .• Vers 26: "Du bist die Augen, man sieht durch dich." Gehlen (1961), 59.
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Und nun folgt die Begründung solcher Handlungsweise: Denn zu schweigen, nachdem man angegriffen wurde, heißt, den Feind zur Gewalttätigkeit herauszufordern. Angriff ist Stärke, Zurückweichen aber bedeutet Schwäche. Ein Feigling ist, wer sich von seiner Grenze verdrängen läßt. Denn der Nubier horcht, um schon auf das Wort hin zu fallen; ihm antworten heißt: ihn zurückzutreiben. Greift man ihn an, dann zeigt er den Rücken, weicht man zurück, dann wird er aggressiv. Denn es sind keine Menschen, die Respekt einflößen, sondern Elende mit ,zerbrochenem Herzen'.
Was hier begründet wird, ist eine aggressive Außenpolitik- was wir heute als .,Politik der Stärke" oder "der Abschreckung" bezeichnen -, die sich etwa dem Vorwurf ausgesetzt fühlt: "Wozu soll es gut sein, die Grenzen auszudehnen in eine Wildnis hinaus, über die man nicht herrschen kann?" (-weil Herrschaft nämlich nur innerhalb der geordneten Welt möglich ist). Zwar geht es im Grunde um die nubischen Rohstoffe, allen voran das Gold, deren ungestörten Abbau man mit diesen vorgeschobenen Grenzposten sichern möchte; argumentiert wird aber mit der natürlichen Disposition des Feindes- d. h. des Chaos- zur Aggressivität, angesichtsderer jede Zurückhaltung auf ägyptischer Seite einer Preisgabe der Ordnung und einer Herausforderung zu Gewalt und Zerstörung gleichkommt. Auf ein in dieser Weise begründungsbedürftiges oder geradezu rechenschaftspflichtiges Handeln ist der Begriff der Rolle -und gar der Rollenkonformität - nicht mehr anwendbar. Gerade die hier aufscheinenden Grenzen der Handlungsmöglichkeiten eines sein Handeln verantwortenden Königs lassen den Begriff des Handlungsspielraums allererst anwendbar werden. Ein Rollenspiel bedarf keiner Rechenschaft, weil der Vorwurf der Willkür von vornherein ausgeschaltet ist. Ebensowenig bedarf die schiere Willkür der Rechtfertigung. Nur ein Handeln in der Freiheit und in den Grenzen eines Spielraums bedarf einer Rhetorik der Motive, wie sie in den Inschriften und in der zur gleichen Zeit aufkommenden Literatur jener Epoche entfaltet wird 62 •
61
62
Stelen Berlin 14753 und 1157, s. Sethe (1959), 83-85, vgl. auch Janssen (1953), 51-55. Ein paralleles Phänomen ist das Aufkommen der Theodizee, der Rechtfertigung des Handeins Gottes in der Literatur des Mittleren Reichs, vgl. dazu Otto ( 1951); Assmann ( 1984a), Kap. 7-8.
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2. Das Neue Reich: Semistik des Ereignisses Die dritte Epoche des ägyptischen Königtums und der mit ihm verbundenen Handlungskonzeption, auf die wir nicht mehr als einen abschließenden Ausblick werfen können, ist gekennzeichnet von dem immer stärker durchgreifenden Bewußtsein einer Unverfügbarkeit der Zukunft. Immer mehr verbindet sich nun die überlieferte Vorstellung eines Planens und Handeins aus dem Blick auf das Morgen und die Ewigkeit heraus mit dem Begriff eines transzendenten Gottes, dem Zeit und Ewigkeit vor Augen stehen, der die Jahre und die Geschicke in Händen hält und der in Orakeln und Wunderzeichen in die Geschichte eingreift und seinen verborgenen Willen kundtut63 . Auch hier manifestiert sich die gewandelte Vorstellung vom Königtum, seinem geschichtlichen Auftrag und seinem Handlungsspielraum im Aufkommen einerneuen Gattung. Im Unterschied zum Mittleren Reich, wo sich das Neue im Sprachlichen ausdrückte, im Aufkommen einer politischen Rhetorik und auf literarischer Ebene eines handlungsreflexiven "weisheitlichen Diskurses", gehört im Neuen Reich die neue Ausdrucksform ins Gebiet der Bildenden Kunst. In der Entwicklung des ramessidischen Historienbildes wird die Tendenz greifbar, das kriegerische Handeln des Königs immer weniger als die Ausübung einer vorgeschriebenen Rolle und immer mehr als das Vollbringen einer einmaligen geschichtlichen Tat darzustellen, dadurch nämlich, daß das Handeln des Königs nicht mehr raum- und zeitabstrakt dargestellt wird, als "Handlung an sich", wie in dem traditionellen Bildtyp des ausschreitenden Königs, der ein Bündel am Schopf gepackter Feinde weit ausholend mit der Keule erschlägt, sondern hineingestellt wird in eine konkrete landschaftliche Szenerie. Diese Entwicklung gipfelt unter Ramses II. in den Darstellungen der Schlacht von Kades, wo die Aktionen des Königs und der Truppen eingebettet sind in eine landkartenartige Projektion der Örtlichkeit64. Aber auch die begleitende sprachliche Darstellung dieser Schlacht bricht mit allem Herkommen. Hier wird nicht nur erzählt, wie der nach dem Dogma allwissende König nichtsahnend in den Hinterhalt geht, den ihm die Hethiter gelegt haben, es wird auch das unglaubliche Versagen der ägyptischen Truppen geschildert, die in wilder Flucht ihren König im Stich lassen, und damit etwas verewigt, das der Maat kraß entgegenstand. Nur Gott, der in höchster Not Herbeigerufene, vermag seinen Sohn, den König, zu erretten. Das macht deutlich, wie gründlich diesem Zeitalter das Gefühl einer Geborgenheit in der letztlich wißbaren Ordnung der Maat geschwunden ist und in welchem Maße sich auch der König der Gnade Gottes und der Kontingenz der geschichtlichen Umstände ausgesetzt gefühlt hat. Positiv gesehen setzt dieses Zurücktreten des Glaubens an die Maat und damit auch der Rollen63 64
Vgl. Brunner(1963),103-120; Morenz(1964);Assmann (1975b),6~;ders. (1983a), 264-286. Siehe hierzu ausführlich Assmann (1983/84).
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konformität göttlichen und königlichen Handeins neue Möglichkeiten der Wirklichkeitserfahrung frei. Ramses II. scheint der erste ägyptische König zu sein, der die Diplomatie als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln entdeckt, mit den Hethitern einen förmlichen Bündnisvertrag schließt, dieses Bündnis noch durch eine politische Heirat untermauert und an die Stelle der unhaltbar gewordenen dogmatischen Fiktion der Globalherrschaft etwas für Ägypten ganz und gar Neues setzt: einen vertraglich geregelten und bis zum Ende seiner langen Regierungszeit nicht mehr gebrochenen Friedenszustand. Der Handlungsspielraum des ägyptischen Königs, soviel mag dieser geschichtliche Überblick deutlich gemacht haben, war weniger eine Frage interner Machtkonstellationen und der "Regierbarkeit" des ägyptischen Staates als vielmehr eine Frage der ägyptischen Wirklichkeitskonstruktion und ihrer Handlungskonzeptionen. Maximale Reduktion des subjektiven Anteils und absolute Rollenkonformität in der Konzeption göttlichen und königlichen Handeins bestimmen die Ausgangssituation, fortschreitender Abbau der Dogmen, die sozusagen die Sicht auf das politische Handlungsfeld verstellen, setzt Möglichkeiten persönlicher Entscheidung in einem Handlungsspielraum frei, der im gleichen Maße zunimmt wie die Vision und die begriffliche Erfassung der politischen Realität. Ebenso wächst aber auch der Handlungsspielraum der Götter, vor allem des verborgenen Gottes, von dem schließlich alles ausgeht und abhängt, was geschieht. So schlägt die Entwicklung am Ende um in die Theokratie des thebanischen Gottesstaates, der vom Gott durch Orakel beherrscht wird. Das Königtum verfällt zu politischer Bedeutungslosigkeit, und ebenso bezeichnend wie das Aufkommen des Historienbildes zu Beginn der Ramessidenzeit ist sein völliges Verschwinden am Ende dieser Epoche. Der König hört auf, ein Vollbringer einmaliger Großtaten zu sein, und wird wieder zum Träger einer Rolle, nun allerdings einer Nebenrolle. Das allgemeine ideologische Schema von der Gottessohnschaft des Königs und der Göttlichkeit des königlichen Handeins ist aber, allen Einbrüchen neuartiger Wirklichkeitserfahrung zum Trotz, nie aufgegeben worden. Wenn man in den Tempelreliefs der Spätzeit noch römische Kaiser als Gottessöhne mit dem In-Gang-Halten der Wirklichkeit beschäftigt sieht, muß man feststellen, daß das Königsdogma sich über alle geschichtlichen Erfahrungen und Wandlungen hinweg als unverzichtbar erwiesen hat. Allerdings hat es sich im Laufe unablässiger Reinterpretationen zu einem weitgehend fiktiven sakralen Amt, einer leeren Rolle entwickelt, die immer weniger mit Formen lebensweltlicher Wirklichkeit in Beziehung zu bringen ist; bis dann endlich Christus Pantokrator das immer weltferner gewordene Amt übernahm und mit neuem Sinn erfüllte. Der beispiellose Siegeszug des Christentums in Ägypten mag sich u. a. aus dem beziehungslosgewordenen und doch unaufgebbaren Dogma der Gottessohnschaft erklären.
X. Königsdogma und Heilserwartung Politische und kultische Chaosbeschreibungen Geschichte als Fest - die Negation der Eschatologie Eine Welt, die "Geschichte als Fest" (Hornung 1966) versteht, in der jeder König schon mit seiner Thronbesteigung alle Chaosmächte überwunden und das Land in den Urzustand des Heils zurückgeführt hat, in der sogar jeder Sonnenaufgang den Feind niederwirft und die Schöpfung erneuert, lebt fortwährend im Heilszustand einer realisierten Eschatologie 1• Jeder König ist kraftAmtesfast ein Messias: bis auf den Umstand, daß er nie Gegenstand der Erwartung ist 2 • Unheil gibt es in dieser Welt nur im Sinne einer dogmatischen Fiktion und kommt nur im Modus der Behobenheit, des Überwundenseins zur Sprache, um der Rolle des Königs als Heilbringer zum Objekt zu dienen. Schlechte Könige, Könige, die ihre Macht mißbrauchen, den Willen der Götter mißachten und das Volk unterdrücken, kann es in dieser Welt nicht geben, denn der König ist selbst Gott auf Erden, und seine dogmatische Rolle ist so festgelegt, daß auch persönliche Schwäche oder gar Bosheit nichts anrichten kann; sie funktioniert sogar noch unter spätrömischen Kaisern, die wahrscheinlich wenig gewußt haben von den rituellen Triumphen, die sie im fernen Philae oder Esna über die Chaosmächte feierten 3 . Natürlich ist diese Welt, in der jede Heilserwartung immer schon erfüllt, jede Verheißung immer schon realisiert ist, die Welt der offiziellen Königsinschriften und formuliert ein Begriffssystem von dogmatischen Fiktionen, das weit entfernt sein 1
2 3
Hornung 1966, vgl. auch Otto l966b. Wenn hier für Ägypten die Existenz einer .,Eschatologie" bestritten wird, dann ist damit eine politische Eschatologie gemeint, die sich im Geschichtsbild einer Kultur ausdrückt. Eine Individualeschatologie hat es in Ägypten natürlich gegeben, und zwar in einer ungewöhnlich elaborierten und differenzierten Form. Ich würde aber vorschlagen, mit Bezug auf diese so vollkommen anders gearteten Vorstellungen vom Leben nach dem Tode den Terminus Eschatologie zu vermeiden und dafür von .,Jenseitsvorstellungen" zu reden. Enger mit dem Geschichtsbild verbunden ist die kosmische Ebene. Hier läßt sich die Existenz eschatologischer Spekulationen nicht bestreiten, vgl. unten l.b. Aber die Ansätze zu einer .,Kosmotelie"- auch hier empfiehlt es sich, Weltbild und Geschichtsbild auseinanderzuhalten und für die Vorstellungen vom Weltende einen anderen Terminus zu verwenden - finden sich nur im Kontext der Osirisreligion, während die dominierende Sonnenreligion auf der kosmischen Ebene das Gegenstück zur .. realisierten Eschatologie" der Königsideologie darstellt: Indem ihr jeder Sonnenaufgang als neue Weltschöpfung und Erneuerung der Zeit gilt, ist hier der Begriff einer Kosmotelie im Sinne gerichteter, auf ein Ende hin ablaufender Welt-Zeit ebenso negiert wie auf der politischen Ebene. Zandee 1971, der allerdings diese notwendige Einschränkung übersieht. Wie zurückhaltend sich Inschriften ausdrücken, wenn die Bezugnahme auf .. schlechte Könige" unvermeidbar erscheint, zeigt die Restaurationsstele des Thtanchamun, die zwar die Mißstände der Amamazeit in Form einer Chaosbeschreibung schildert, die verantwortlichen Könige aber nicht mit Namen nennt: .,,Sie' haben die Schöpfung zerstört" (vgl. S. 279 mit n. 95).
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kann von der Art, wie das Volk seine Geschichte erlitten und verarbeitet hat. Das Königsbild der profanen Literatur ist denn auch von dem der Königsinschriften in vielen Zügen verschieden5 • Bei dieser Sicht der Dinge liegt der Schluß nahe, daß auch die umfangreichen Chaosbeschreibungen, die uns die Literatur des "Mittleren Reichs" (ca. 2000-1700 v. Chr.), und die kürzeren Unheilsschilderungen, die uns gewisse Königsinschriften des Neuen Reichs" (ca. 1550-1100 v. Chr.) überliefert haben, nichts anderes als besonders ausführliche Formulierungen der dogmatischen Fiktion vom vertriebenen Unheil sind, rituelle Beschwörungen einer glücklich gebannten und ausgeschlossenen Gegenwelt, apokalyptische Angstträume eines übersteigerten Ordnungsdenkens ohne jeden Bezug auf reale Ereignisse und genuine Unheilserfahrung6. Diese schon von Luria (1929) vorgetragene Deutung wird neuerdings von M. Lichtheim (1973) und F. Junge (1977) vertreten 7 • Wir wollen uns dieTexte selbst ein wenig näher ansehen.
1. Die Klagen des "Mittleren Reichs" a) Die ,,Admonitions": das Gott zum Vorwurf gemachte Böse
Der längste und komplexeste Text dieser Gruppe, die sog. Admonitions oder Mahnworte des Jpw-wr, ist nur auf einem Papyrus der 19. Dynastie (um 1250 v. Chr.) überliefert; die Vorlage ist aber mindestens 400 Jahre älter und stellt die Endredaktion einer noch weitere 400 Jahre zurückreichenden Überlieferung dar8 . Der Text ist zweigeteilt: Auf die Chaosbeschreibung der Klagen, die uns hier besonders zu beschäftigen hat, folgt das Gespräch mit dem 4
Posener 1960.
s So erwähnt etwa eine aus dem 17. Jh. v. Chr. (Pap. Westcar) überlieferte Legende, die erzählt,
6
7
8
wie der Sonnengott selbst in die Thronfolge eingriff und die drei ersten Könige der 5. Dynastie zeugte, damit diese den Göttern Tempel bauen und Opfer darbringen sollten. mit keinem Wort, daß die Könige der vorangehenden Dynastie solches offenbar nicht getan haben. Die Gottlosigkeit der Pyramidenerbauer steht nur zwischen den Zeilen, als logische Präsupposition des göttlichen Eingriffs. Ebenso zwischen den Zeilen stehen die hemdesartigen Absichten des Cheops in bezugauf diese Sonnenprinzen. Erst der Grieche Herodot scheut sich nicht, derartige CheopsLegenden in aller Ausführüchkeit wiederzugeben (Posener 1956, 10-13). Nur wenn man, wie z. B. Hornung 1966, diese Chaosbeschreibungen auf eine Stufe stellt mit emphatischen Heilsbekundungen, wie sie sich gelegentüch in Inschriften finden (Urk VII 27; Israelstele s. u., 3.d; Taharqa-lnschrift Macadam 1949, Text 24, 4), kann man sie problemlos im Geschichtsbild der "reaüsierten Eschatologie" unterbringen. Mir scheinen hier aber doch zwei verschiedene Topoi und entsprechende gedankliche Zusammenhänge vorzuüegen. die man sorgfältig auseinanderhalten sollte. Vgl. von anderer Seite her auch Schenkel1975, 29-31 und Assmann (1990a), Kap. 7. Edition: Gardiner 1909; beste Übersetzung Lichtheim 1973, 149-163. ZurTextgeschichte s. bes. Fecht 1972, dessen Auffassung wir uns anschüeßen, gegen van Seters 1964.
X. Königsdogma und Heilserwartung
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Schöpfergott, das leider durch große Lücken weitgehend unklar bleibt 9 . Die Klagen wiederum sind durch das Prinzip gleicher Spruchanfänge in Serien eingeteilt: Die jw-ms-("es-ist-doch-so:")-Serie mit ca. 60 erhaltenen Sprüchen und die mrn-("seht:")-Serie mit ca. 50 Sprüchen bilden die bei weitem umfangreichsten Korpora, dann folgen zwei kürzere Abschnitte, deren Sprüche mit "zerstört ist" und "zerstört die Feinde der erlauchten Residenz!" beginnen. In den beiden ersten großen Serien dominieren Aussagen des 'JYps "die Letzten sind die Ersten, die Ersten sind die Letzten geworden": Arme sind zu Reichen geworden, wer sich keine Sandalen leisten konnte, häuft jetzt Schätze auf. Die Edlen klagen, die Armen jubeln, jede Stadt sagt: ,Laßt uns die Herren aus unserer Mitte vertreiben!' Die Roben trugen, gehen in Lumpen, die nicht einmal für sich selbst nähten, tragen feines Leinen. Köche haben jetzt Butler, Boten senden jetzt andere aus 10 •
In der Art einer Überschrift faßt der längste dieser Abschnitte diese Thematik zusammen: "Seht die Verwandlungen der Menschen" 11 • Es geht um die verkehrte Welt im Bereich der Gesellschaft, in der Herren und Sklaven die Plätze getauscht und die Güter ihre Besitzer gewechselt haben; und das in einer hochstilisierten Redeform, die gewiß nicht wie der authentische Augenzeugenbericht historischer Ereignisse anmutet. Luria hat an einer Fülle ethnologischen Vergleichsmaterials von z. T. verblüffender Ähnlichkeit zeigen können, daß derartige Redeformen oft in rituellen, quasi karnevalistischen Inszenierungen der verkehrten Welt verankert sind, wo für die Zeit des Festes die gewohnten Ordnungen auf den Kopf gestellt und die Normen des Alltagslebens außer Kraft gesetzt sind. Andere Texte wie z. B. das Lied der Annamiter anläßlich der französischen Eroberung Indochinas zeigen, wie aus demselben ausgeprägten Ordnungsdenken heraus eine Störung gleich als totale Verkehrung der Ordnung gesehen wird, die das Obere zuunterst, das Unterste zuoberst kehrt:
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Nur diesem 2. Teil gilt die umfangreiche Monographie von Fecht 1972; für die ,.Klagen" ist eine entsprechende Untersuchung dringend erwünscht. Einstweilen bietet die Arbeit von Herrmann 1957, S-32, noch immer die eingehendste Analyse. Adm 2, 4-5, 7-8; 7, 11-12; 8, 2-3. Hier und im folgenden verwende ich aus Raumgründen diese Form des freien Zitats, das charakteristische Sätze aus längeren Passagen zusammenstellt, um einen Eindruck von Thema und Tenor zu vermitteln. Der Leser ist hier wie in den anderen Fällen auf die glänzenden Übersetzungen M. Lichtheims verwiesen, um sich einen Überblick über den Zusammenhang zu verschaffen. Adm 7, 9 mit Lichtheim 1973. 156 n. 18.
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Le ciel est bas, Ia terre est baute ... Ceux qui n'avaient pas de culotte ont aujourd'hui des souliers ... Ies filles publiques sont devenues des grandes dames ... Les vauriens sont tout puissants ... usw. 12 •
Genau dieselbe Entsprechung oder besser Entfernung zwischen historischer Erfahrung und stilisierter Ausdrucksform möchte man auch in den entsprechenden Sprüchen der Admonitions vermuten. Was aber die Stilform dieser Sprüche angeht, so ist sie in Ägypten zwar nicht in Liedern zu festlichen Chaosinszenierungen des "karnevalistischen" 'JYps nachzuweisen 13 , wohl aber, wie P. Seibert gezeigt hat, in derTotenklage 14 : Der (sonst) zu trinken liebte, ist (jetzt) im Land, das ohne Wasser ist. Der sich (sonst) in reiche Stoffe zu kleiden liebte, schläft (jetzt) im abgelegten Gewand von gestern.
Auch der Tod erscheint in diesen Klagen als eine Verkehrung der gewohnten Ordnung, als eine "Verwandlung der Menschen". In den Admonitions wird die Totenklage über ganz Ägypten angestimmt. Nicht auf die Einzelaussagen kommt es an, sondern auf die Gesamtstimmung der "Todesbefallenheit" (Seibert), die sie evozieren. "Leben ist den Lebenden genommen", sagt ein später Text 15 , "man lebt in der Nekropole", diagnostiziert Neferti 16 . So löst sich auch der eklatante Widerspruch auf, der zwischen diesen Sprüchen von der verkehrten Welt und jenen anderen zu bestehen scheint, die von einer allgemeinen Notlage handeln, wo dem Sturz der Reichen kein Aufstieg der Armen korrespondiert, sondern allesamBoden liegt 17 : 12
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Luria 1929,415. Luria wendet sich übrigens nur gegen die Deutung dieser Topik als historisch getreue Schilderung einer sozialen Revolution, nicht gegen jeden Wirklichkeitsbezug. Das Lied der Annamiterbezieht sich auf die französische Eroberung lndochinas. Er leugnet nicht, daß hinter derartigen Liedern und hinter den Admonitions geschichtliche Ereignisse stehen können. "Die Übertreibung aber und die Zurückführungall dieser Ereignisse auf ein und dieselbe Scha· blone - ,Das Untere oben' das Obere unten"- ist eine literarische Erscheinung, eine Erscheinung des Stils." Darin ist ihm unbedingt recht zu geben: nur daß das Problem für den Literaturwissenschaftler damit nicht erledigt ist, sondern überhaupt erst beginnt. Wie etwa in Mesopotamien, s. Luria 1929, 420. Damit soll nicht bestritten werden, daß es derartige Feste möglicherweise auch in Ägypten gegeben hat; nur hat sich bisher nichts nachweisen lassen, auch nicht das "inszenierte Chaos" nach dem Tod eines Königs in Form einer befristeten Anarchie, mit dem Koenen 1957, 36 unter Hinweis auf Meuli 1943, 51 n. 8 rechnet. Die Apokalyptikforschung wird sich aber mit den von Luria aufgezeigten Zusammenhängen beschäftigen müssen: Als ein möglicher Sitz im Leben ,.protoapokalyptischer" Formen ist der von ihm herausgearbeitete Begriff des Festes als innerkulturell inszeniertes Chaos von größter Bedeutung. Seibert 1967, 20 ff.; Junge 19TI, 278 f.; Lüddeckens 1943, Nr. 64 u. 65a; zur .,Sonst-jetzt" Stilform s. Schenkell984b. S. u., § 4.a. Helck 1970, 46 §XII. d. Die eingeklammerten Zahlen geben die genauen Nachweise im pap. Leiden J 344. Zu dem Motiv "der Flußist voll Blut, man kann nicht von ihm trinken" hat bereits Luria 1929,414 auf die Parallelen in der Elias-Apokalypse, der Asclepius-Apokalypse (Lactanz div. inst. VII. 16. 6) und AT(Ex 7, 21) hingewiesen.
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Groß und klein sagt: ,Ach wären wir tot', Kinder: ,Ach wären wir nie geboren'. (4, 2-3) Alles Getier weint mit seinem Herzen, das Herdenvieh betrauert den Zustand des Landes. (5, 5) Korn fehlt überall, man hat weder Kleider noch Salben, jedermann sagt: ,Es gibt nichts'; die Magazine sind leer, die Wächter erschlagen. (6, 3--4) Die Herzen sind gewalttätig, Pest herrscht im Land, Blut ist überall, kein Mangel an Tod. (2, 5-6) Der Auß ist voll Blut, man kann nicht von ihm trinken, (2, 10) Die Toten werden im Auß begraben, der Fluß ist ein Grab, das Grab ein Fluß. (2, &-7)
Aus diesem Widerspruch, daß einmal beklagt wird, daß die Reichen arm und die Annen reich geworden sind, das andere Mal und im selben Atemzug aber, daß alle gleichermaßen Not leiden und niemand mehr etwas zu essen hat, hat Luria auf die Fiktivität der ganzen Darstellung schließen wollen 18 • Gewiß: Wörtlich - als einfache Widerspiegelungen historischer Tatbestände - darf man diese Schilderungen nicht nehmen. Wir haben es mit den Stilformen der Klage zu tun, in deren Topoi und Formulierungsmustern die "Todesbefallenheit" der ägyptischen Welt dargestellt wird, und mit der "Chaosbeschreibung" als einer literarischen Fonn 19 • Mit der "Literarizität" dieser Chaosbeschreibung ist jedoch keineswegs jeder Wirklichkeitsbezug auszuschließen. Fiktion- gewiß, aber nicht als Verkehrung, sondern als Modell der (ideologisch gefilterten) Realität. Es gibt keine "müßigen" Fiktionen. Auch wenn sie nicht Geschichtsschreibung sind, sind sie doch geschichtlich: Sie entspringen einer historischen Situation und haben einen Ort und eine Funktion in der Gesellschaft, die sie überliefert. Dazwischen gibt es nun zwei in sich geschlossene Abschnitte, die nicht so sehr allgemeine Mißstände, sondern vielmehr einzelne Vorkommnisse beschreiben oder vielmehr anprangern in dem Sinne "Was nie hätte geschehen dürfen, ist passiert" 20 . Der erste handelt davon, daß Ämter geplündert, Gesetze und Urkunden zerstört, Steuer- und Besitzstandslisten vernichtet und geheime Zaubersprüche profaniert wurden, kurz- mit F. Junges treffender Formulierung: Die Mauern um das Wissen sind niedergerissen 21 . Der zweite behandelt Übergriffe gegen das Königtum: Der tote König ist von Räubern aus dem Grab gerissen, die Pyramide ist leer, das Land des Königtums be18
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Bes. 417 f.: ,.es lassen sich demnach ganz sicher zwei selbständige, einander ausschließende Schilderungen sondern". So auch Junge 1977, bes. 178-180, vgl. auch Junge 1973174,271 f. Das muß vor allem gegenüber Barta 1974n5 betont werden, der diese Texte immer noch als einen "Spiegel" historischer Zustände versteht. So formuliert Neferti (Helck 1970, 32 nach oCairo 25224): tmt /Jpr /Jprtj. Vgl. Junge 1977, 283. Es handelt sich um Adm 6,5-12.
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raubt (oder: arm gemacht) durch wenige Unwissende, die Krone des Sonnengottes ist gestohlen, die Schlange aus ihrer Höhle genommen 22 • Ich möchte darin eine Art "historischen Abschnitt" im Ganzen der Klage erblicken. Wir werden noch sehen, daß auch die anderen auf geschichtliche Situationen Bezug nehmenden Chaosbeschreibungen konkrete historische Details, an deren Authentizität zu zweifeln kein Anlaß besteht, einbetten in die Topik allgemeinen Unheils, weil es in einer wohlgeordneten Welt, in der alles miteinander zusammenhängt und in harmonischem Gleichgewicht steht, keine isolierbaren Störungen gibt und jeder Eingriff in die Lebenszentren dieser Welt wie etwa Götterkult und Königtum das allgemeine Chaos heraufführt. Gerade im Hinblick auf die anderen Chaosbeschreibungen aber fällt eines auf: Das Unheil wird hier nicht ins Kosmische ausgeweitet. Es ist keine Rede davon, daß die Sonne sich verdunkelt, der Fluß austrocknet- im Gegenteil heißt es vielmehr: "Hapi fließt über, aber man pflügt nicht für ihn" 23 -, daß die Winde verkehrt wehen und die Erde unfruchtbar wird. Die Katastrophe wird strikt eingegrenzt auf den Bereich der vom Menschen zu verantwortenden Mißstände. Im Zentrum stehen Dinge wie Bosheit, Gewalt, Respektlosigkeit, Habgier, Verbrechen wie Raub, Wegelagerei, Mord und Totschlag selbst unter engsten Familienangehörigen, Mißachtung aller Bindungen des Rechts und Gemeinsinns, Angst und Terror- "Das Gesicht ist bleich, der Schütze bereit; man nimmt sich den Schild zum Pflügen mit" 24 -. Die Einschränkung des Unheils auf das Böse im Menschen ergibt sich aus dem besonderen Darstellungsinteresse dieser Schrift und wird erst verständlich, wenn man den zweiten Teil, den "Vorwurf an Gott" hinzunimmt. Alles was die Klagen in ihren schier endlosen Spruchreihen auffahren, dient dazu, das menschliche Böse in seinen zahllosen Manifestationen auszubreiten, um es dem Schöpfergott zum Vorwurf zu machen. Warum läßt er das Böse zu? Er hat kein Organ dafür, er kann es gar nicht wahrnehmen, sich nicht dagegen erzürnen; er scheint über Gerecht und Ungerecht, behandelt alle gleich und läßt den Dingen ihren Lauf, der notwendig zur Unterdrückung der Schwächeren durch die Stärkeren führen muß. Hätte er das Böse erkannt, er hätte seine Schöpfung sofort widerrufen, anstau sie qualvoller Selbstzerfleischung preiszugeben2.~. Leider bleiben uns die Antwort des Schöpfergottes und der
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Adm 7, 1-8. In diesem sich durch seine politische Thematik deutlich aus dem Kontext heraushebenden Abschnitt möchte Fecht 1972, 172-186 den mehr oder weniger wörtlichen Nachklang der als "Prophezeiung der Residenz" (Merikare E 71 vgl. E 108-110} bekannten .,Lehre" bzw. Rechtfertigungsschritt Achthoes' 1., des Gründers der Herakleopolitendynastie, erblicken. Adm 2, 3. Adm 2, 1; vgl. Nefeni 39-41; Töpferorakel pOxy. 2332, 21-22, pRainer 9-10. Fecht 1972, 54-119.
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Fortgang des Gesprächs verborgen 26 • Lediglich zwei Gedichte, die den Vorwurf an Gott einrahmen, lassen noch erkennen, wo der Sprecher das Heil sieht: nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit: Erinnert euch des Räucherns mit Weihrauch, der lfankspende mit dem Krug zur Dämmerung! Erinnert euch der Ro-, Terep- und Set-Gänse und der Opferdarbringung für die Götter! Erinnert euch des Aufrichtens der Fahnenmasten, der Beschriftung von Opferstelen, wenn der Priester die Kapellen säubert und den Tempel reinigt mit Milch 27 ! Es ist aber doch schön, wenn die Schiffe stromauf segeln, ( ... ) wenn das Netz eingezogen wird und Vögel aufgebunden werden, ( ... ) wenn die Wege zum Gehen da sind, ... wenn die Hände der Menschen Pyramiden bauen, wenn Teiche gegraben und Gärten angelegt werden für die Götter, ... wenn man in feines Leinen gekleidet ist, ... wenn Betten gerichtet und die Kopfstützen der Fürsten wohlverwahrt sind28 .
Zugleich wird deutlich, daß es nicht die Welt schlechthin ist, deren Untergang hier beklagt wird, sondern die ägyptische Kultur des Alten Reichs. Auch das wird durch alle ägyptischen Chaosbeschreibungen bis hin zur AsklepiusApokalypse immer wieder deutlich werden: daß die Welt, deren Todesbefallenheit gezeigt wird, den Begriff Ägyptens von seiner Kultur umschreibt. Das Chaos, das diese Welt ständig von innen und außen bedroht, entspricht der Auffassung eines Hobbes vom Naturzustand: homo homini Iupus.
b) Exkurs: die .,Kosmotelie" von Totenbuch Kap. 175 und ihr Vorläufer In äußerster Prägnanz wird dieser Begriff der Welt als kultureller Schöpfung in einem den Admonitions ungefähr zeitgenössischen Text formuliert, worin der Schöpfergott selbst das Weltende voraussagt:
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ZurThese von Otto und Fecht, in einem Abschnitt des Sargtexts Spruch 1130 (s. dazu n. 30) die in den Adm selbst nicht erhaltene Antwort des Schöpfergottes zu sehen, vgl. die Kritik von Junge 1973n4, 271. In derTat scheint mir in diesem Text aus der Sicht des Schöpfers gerade das assertiert, was ihm die Adm zum Vorwurf machen: Er hat die Menschen alle gleich erschaffen und fühlt sich für das von ihnen gegen seinen Willen angerichtete Unrecht nicht verantwortlich. Die eigentliche Antwort erfolgt in einem späteren Abschnitt: .,Ich richte den Armen und den Reichen, ich gehe gleichermaßen vor gegen die, die Unrecht tun"; vgl. Assmann 1984a, 204-208. Adm 10, 1~11. 4. Adm 13, 9-14, 2.
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Die Hügel werden zu Städten werden, die Städte zu Hügeln. Ein Haus wird das andere auslöschen 29 .
Hier ist nicht von Feuer und Wasser, sondern von Ruinenhügeln, Tells, die Rede, von dem, was übrig bleibt, wenn eine Kultur untergegangen ist. Ausserdem illustriert dieser Text noch einmal die Stilform der Umkehrung. Hügel und Städte tauschen ihre Rollen wie Grab und Strom, Fluß und Ufer, Herren und Diener. Die Sätze, die vielleicht die einzige Spur einer Eschatologie in ägyptischen Texten darstellen, sind hier in den Zusammenhang einer Rede geraten, in der der Schöpfergott seine Schöpfung rechtfertigt (Cf 1130); man hat diesen Text seit langem mit dem Vorwurf der Admonitions zusammengebracht und in ihm so etwas wie eine Antwort gcsehen 30 • Im Zusammenhang meines Themas muß ich darauf verzichten, näher auf ihn einzugehen, und kann dies um so eher, als das uns interessierende eschatologische Fragment hier sicher nicht an seinem ursprünglichen Platz ist. Es geht um den Gott Osiris und die "Millionen Jahre", die der Schöpfer zwischen sich und dem Totengott eingerichtet hat 31 • Mit der Präposition ,.zwischen" ist die Idee der Trennung gemeint zwischen Himmel und Unterwelt 32 und mit den Millionen Jahren die Frist, die dieser so eingeteilten, differenzierten und geordneten Welt gegeben ist33 • "Danach" wird diese Trennung zwischen Himmels- und Totengott wieder aufgehoben und die Welt in die Ureinheit zurückgenommen werden: "Dann aber werde ich mit ihm zusammenbleiben an einer Stelle; die Hügel werden zu Städten werden ... usw." Erst im 175. Kapitel des Totenbuchs im NR erscheint diese Eschatologie, wo sie hingehört, nämlich im Rahmen eines Gesprächs zwischen Osiris und Atum über die Seinsform, die Osiris als gestorbener Gott im Jenseits zu erwarten hat. Die Vorstellung vom Weltende wird hier absolut - und nicht als Ende der geschichtlichen Kultur- formuliert, zugleich aber die Frist ins Unabsehbare verlängert: 29
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Cf VII (ed. de Buck 1961 ), 468a-b; Lichtheim 1973, 132 versteht die Stelle anders: ,.while hills became towns and towns hills, for dwelling destroys dwelling"; eine solche Darstellung der vergehenden Zeit wäre aber, soviel ich sehe, ein Unikum in der ägyptischen Literatur, setzt sie doch ein Denken in Zeithorizonten voraus, die nicht nur das Schwinden alter, sondern auch das Entstehen neuer Städte umgreifen. Demgegenüber fügt sich die Stelle, als Darstellung des Weltendes verstanden, vollkommen in die Tradition ein und entspricht vor allem der späteren Fassung des Topos im Totenbuch 175. Zur Form des "Kehrspruchs"s. Westendorf 1955. Vgl. n. 26. Ein typisches Beiwort des Osiris lautet "Der Millionen Jahre verbringt als seine Lebenszeit"; die Vorstellung einer wenn auch unabsehbar groß bemessenen Zeitspanne scheint das Wesen dieses Gottes zu charakterisieren. Trennung des Ungeschiedenen ist nach ägyptischer Vorstellung der kosmogonische Akt par excellence, vgl. Morenz 1960, 182 f.; Hornung 1971, 1~166, 170 ff.; Fecht 1972, 73 und 74 m. n. 33 zu Adm 12, II. Assmann 1975b, 22-26.
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(Osiris): ,Wie steht es mit der Lebenszeit?' (Atum): ,Du wirst Millionen von Millionen Jahren verbringen, eine Lebenszeit von Millionen. Ich aber werde alles, was ich geschaffen habe, zerstören. Dieses Land wird wieder in das Urwasser zurückkehren, in die Flut wie in ... seinem Urzustand. Nur ich bin es, der übrigbleibt, zusammen mit Osiris, nachdem ich mich wieder in eine Schlange verwandelt habe, die die Menschen nicht kennen und die Götter nicht erblicken. ' 34
Hier ist zwarvom Weltende die Rede, aber kaum im Sinne einer Apokalypse. Die Idee des Endes hat hier einen rein theoretischen Sinn; es ist in so weite Ferne gerückt, daß es immer gleich weit entfernt scheint: man kann ihm nie spürbar näherkommen 35 • Daher hat es auch für das ägyptische Geschichtsbewußtsein keine Relevanz; es kann nicht Gegenstand der Erwartung sein. Es geht dem Text um ganz andere Fragen als die einer Sinngebung, der Geschichte, von Heil und Unheil ist hier nicht die Rede 36 . Es war nötig, auf diesen Text einzugehen, weil er zu Mißverständnissen hinsichtlich der Bedeutung eschatologischer Vorstellungen im ägyptischen Geschichtsbild verleiten könnte 37 ; im folgenden aber braucht er uns nicht weiter zu beschäftigen. c) Chacheperreseneb: die Chaos-Klage als Ausdruck pessimistischer Weltsicht
Bevor ich mich dem für unser Thema bedeutendsten Text des MR zuwende, den Prophezeiungen des Neferti, möchte ich kurz auf einigeTexte eingehen, die Chaos-Beschreibungen in der Stilform der Klage vortragen. Die Klagen des Chacheperreseneb, erhalten auf einer Schreibtafel der frühen 18. Dynastie, werden aus der Zeit Sesostris' II. stammen, mit dessen Pränomen der 34
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Zu diesem Text und seiner Überlieferungsgeschichte s. Otto 1962, 249-256; Assmann 1975b, 22 bis 26; Hornung 1971, 157 f.; Hornung 1978; Luft 1978, 168 f. Eine entsprechende Struktur hat die Vorstellung von einer mythischen Urzeit: Es handelt sich um eine "absolute Vergangenheit" (Frankfort), von der man sich nicht weiter entfernen kann, sondern immer gleich weit entfernt ist. Im Hinblick darauf möchte ich das Zeitbewußtsein, wie es sich in diesen Vorstellungen von Urzeit und Endzeit äußert, "mythisch" nennen und es einem .. geschichtlichen" Zeitbewußtsein gegenüberstellen, das sich in einem in Erinnerung und Erwartung vergegenwärtigten Zeithorizont selbst in Bewegung denkt, z. B. am Anfang oder Ende eines Zeitalters. Soviel aber darf man wohl als ein notwendiges, wenn auch noch nicht hinreichendes Merkmal eines als "apokalyptisch" einzustufenden Phänomens fordern. Selbst Hornung, der diesem Text eine zentrale Bedeutung für das ägyptische Weltbild einzuräumen geneigt, rechnet mit einem ausgeprägt uneschatologischen Geschichtsbild (s. bes. Hornung 1966), während ich gerade deshalb diesen Text auch für das Weltbild für eher peripher halte, um nicht eine so scharfe Trennung zwischen Welt- und Geschichtsbild in Kauf nehmen zu müssen.
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Name des "Autors" gebildet ist, also mitten aus einer Epoche wohlgesicherter Ordnung und Ruhe; nicht einmal der Fiktion nach weisen sie auf die 1. Zz. zurück 38 • Die Klage über das Unheil Ägyptens ist inzwischen zur literarischen Gattung geworden, in der sich der Autor versucht; übrigens nicht, ohne sich eingangs zu wünschen, daß ihm neue Worte zur Verfügung stünden. neue Rede, die nicht schon vorgekommen ist, frei von Wiederholungen, keine Aussprüche der Vergangenheit, die von den Vorfahren gesagt wurden 3~.
Die folgende Unheilsklage gibt sich, wie bei Neferti und natürlich nach dessen Vorbild, als prophetische Vision: Ich habe dies gesagt entsprechend dem, was ich geschaut habe, von der ersten Generation bis zu denen, die in Zukunft kommen werden 40 •
Die Mißstände Ägyptens werden in sehr allgemeinen Formeln beschworen: Alles wandelt sich, nichts ist mehr wie im vorigen Jahr, ein Jahr lastet schwerer als das andere. Das Land ist aufgewühlt, zerstört, verwüstet. Maat ist hinausgeworfen, Isfet herrscht in der Ratsversammlung; die Pläne der Götter werden mißachtet, ihre Opferversorgung vernachlässigt. Das Land ist in schwerer Krankheit (znj-mnt) 41 , Jammer überall, Städte. Bezirke schreien laut, alle sind gleichermaßen mit Unheil beladen. Man achtet keine Würde mehr, die Herren des Schweigens sind gestört. ( ... ) Das ganze Land ist in großem Unheil, keiner ist frei von Verbrechen, Herzen sind gierig; der Befehle empfing, gibt Befehle, und beide finden sich damit ab 42 •
Die Aspekte des Unheils sind hier sehr anders gewichtet als in den Admonitions. Die Darstellung eines sozialen Umschwungs in der Stilform der Toten38
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DerText ist auf der hölzernen Schreibtafel BM 5645 überliefert, die Gardiner 1909, 95 ff. als Appendix zu seiner Edition des Pap. Leiden J 344 (Adm) veröffentlicht hat und die wie der Leningrader Pap. des Neferti aus der 1. Hälfte der 18. Dynastie stammt. Einige Zeilen davon finden sich auf einem unveröffentlichten Ostrakon im Museum von Kairo, worauf Gardiner und Posener hinweisen, das aber auch in der Neubearbeitung des Textes durch Kadish 1973 unberücksichtigt geblieben ist. DerText gehörte demnach, ähnlich wie die Prophezeiungen des Neferti, aber anders als die Admonitions, der "Lebensmüde" (n. 49) und die "Klagen des Bauern", zu den im Schulunterricht des Neuen Reichs verwendeten "Klassikern". Recto 2-3. Recto 6-7. Vgl. n. 69. Recto 10-12 Verso 2.
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klage- "die Ersten sind die Letzten geworden und die Letzten die Ersten"fehlt hier-43 . Vor allem fehlt alles, was sich einem historischen Aspekt der Klage zuordnen ließe. DieserText macht es wirklich unmöglich zu sagen, was eigentlich- und ob überhaupt etwas- geschehen ist. Aber er beansprucht auch gar keinen besonderen historischen Bezug. "Was ich gesehen habe" bedeutet nicht Augenzeugenschaft konkreter historischer Ereignisse, sondern visionäre Schau allgemeinen menschlichen Schicksals "von der ersten bis in zukünftige Generationen". Die Gattung der politischen Klage ist hier ins Allgemeine gewendet und zum Ausdruck einer pessimistischen Weltsicht umfunktioniert worden 44 • Während die Admonitions dem Schöpfergott vorwerfen, angesichtsdes Unrechts zu schweigen, macht Chacheperreseneb den Menschen, die es tun und erleiden, diesen Vorwurf: "jeder schweigt darüber" 45 heißt es einmal, und weiter unten "beide finden sich damit ab" 46 , und zum Schluß ganz deutlich: Keiner ist weise genug, es zu erkennen, keiner zornig genug, seine Stimme zu erheben.( ... ) Es schmerzt, zu schweigen zu dem, was man hört, es ist vergeblich, dem Unwissenden zu antworten. Einer Rede zu entgegnen, schafft Feindschaft, das Herz nimmt die Wahrheit nicht an; man kann den Vortrag eines Sachverhalts nicht ertragen, der Mensch liebt nur seine eigenen Worte. Jedermann baut auf Heimtücke, aufrichtige Rede hat man fallengelassen 47 •
Die Klagen des Chacheperreseneb sind auch an sein eigenes Herz gerichtet ("zu dir sprach ich, mein Herz, daß du mir antwortest! Ein angeredetes Herz darf nicht schweigen" 48 ) als das Selbstgespräch eines Vereinsamten, der unter seinen Mitmenschen keine Zuhörer findet.
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Es kommt außerhalb der Adm überhaupt nur bei Neferti vor, der es aber-unterder Überschrift: .,ich zeige dir das Unterste zuoberst" -sehr viel knapper und allgemeiner behandelt. In diesem Verlust an Anschaulichkeit und Verblassen des Themas ins Allgemeine darf man wohl ein Kennzeichen dafür sehen, daß der Text ans Ende einer Tradition gehört, ganz im Gegensatz zu den Adm, die das Chaos in einer Fülle konkreter Einzelsymptome darstellen. Verso 3, Lichtbeim 1973, 148. /bid. Verso 3-5, Lichtheim 1973, 148. Verso 5-6 (Ende des auf der Londoner Schreibtafel erhaltenen Textes).
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d) Das Selbstgespräch des "Lebensmüden": das Verstummen zwischenmenschlicher Verständigung Dem "Gespräch eines Mannes mit seinem Ba" 49 1iegt dieselbe Situation völliger Vereinsamung zugrunde; das zweite Gedicht des Mannes, dessen 16 Strophen alle mit der Frage beginnen "Zu wem kann ich heute reden?" hat diesen Verlust mitmenschlicher Verständigung zum alleinigen Thema50 : Die Brüder sind schlecht, die Freunde von heute lieben nicht ... Herzen sind gierig, jedermann raubt die Habe seines Nächsten .. Freundlichkeit ist geschwunden, Gewalttätigkeit wendet sich gegen jeden . 0. Man ist mit dem Übel zufrieden, das Gute ist überall zu Boden geworfen . Man hilft dem nicht, der geholfen hat ... Jeder wendet sein Gesicht ab von seinen Brüdern . 0. Keines Menschen Herz kann man vertrauen ... Ich bin mit Kummer beladen. uswo weil mir ein Freund fehlt 0
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Wo die Sprache aufhört, setztdie Gewalt ein, und es gilt: homo homini Iupus: Die Menschen plündern, jeder beraubt seinen Nächsten . 0. Das Land ist Verbrechern überlassen . Unheil zieht durchs Land, und ein Ende ist nicht abzusehen 51 • 0
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Setzen wir hier, im Vorgriff auf eine nähere Betrachtung des Textes, die Verse ein, in denen Neferti dieses Thema behandelt: Dieses Land wird zerstört, aber niemanden kümmert es, keiner spricht, keiner vergießt eine Träne: ,Was ist aus dem Land geworden!' 52 Man gibt nur mit Haß, um den Mund, der spricht, zum Schweigen zu bringen, um ein Wort zu beantworten, fährt der Arm mit dem Stock heraus. man spricht durch Totschlag. Rede wirkt auf das Herz wie Feuerbrand, man kann das Wort eines Mundes nicht ertragen 53 0
Zum Thema des "Zuhörens" könnte man zahllose weitere Texte anführen. Das beliebteste Sprichwort der Ägypter lautet: "Gut ist es für die Menschen,
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Papo Berlin 3024; die neueste Edition des Textes mit Verweisen auf die ältere Literatur stammt von Ho Goedicke 19700 Goedicke 1970, 155-172, I. 103-130; Lichtheim 1973, 16frl68; Assmann 1990a, 82 ffo I. 105 f.' 122 f., 129° Neferti Pet. 24, Helck 1970, 21; Lichtheim 1973, 141. Neferti 48-50, He Iek 1970, 39-42; Lichtheim 1973, 1420 Zu w/jd .,ertragen" So Gardiner 1909, 104
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zu hören" 54 • Vor allem abermuß man sich bewußt halten, daß die ägyptischen Grundbegriffe für Ordnung und Chaos, maatund isfet, eigentlich Wahrheit und Lüge bzw. Gerechtigkeit und Unrecht heißen und sich auf Sprache und Handeln als die Grundkategorien sozialen Verhaltens beziehen 55 • Noch einmal wird deutlich, daß es in diesen Klagen zumindest in erster Linie weder um Naturkatastrophen, noch um politische Machtkämpfe geht, sondern um die Gefährdung der Kultur als einer Ordnung menschlichen Zusammenlebens und die Angst vor dem Rückfall in die Barbarei des Naturzustands. Noch in der koptischen Asklepius-Apokalypse ist an bedeutsamer Stelle von dem "Fehlen guter Worte" die Rede 56 . Es ist aber kennzeichnend für archaische Gesellschaften, daß der Begriff einer auf der Sprache, d. h. den Ordnungen gegenseitiger Verständigung beruhenden Gemeinschaft (und das bedeutet "Kultur" in diesem Zusammenhang), nicht bei den Menschen haltmacht, sondern die Götter, und das heißt: den als beseelt gedachten Kosmos umfaßt 57 • Jeden Morgen und Abend redet der Ägypter mit der Sonne 58 • Der ganze Kult ist ein Diskurs mit der Natur, der die Welt kraft der Sprache zusammenhält. Wenn der Mensch die Sprache verlernt, schweigen auch die Götter (omnis vox divina ... mutescet) und ziehen sich aus der Welt zurück ( dolenda secessio )59 .
2. Politische Prophezeiungen a) Neferti
Dies vorausgeschickt wird man die Prophezeiungen des Neferti recht verstehen, deren Chaosbeschreibung die Natur einbezieht. Dieser Text60 , der auf einem Pap. der 18. Dynastie und einer Reihe von ramess. Ostraka überliefert, also im NR der bekannteste und einflußreichste Text unserer Gruppe war, stellt die Darstellung der gestörten Naturordnung gleich an den Anfang seiner Chaosbeschreibung: 54
Schiffbrüchiger, 182; Lebensmüder, 67 f. u. a.
~5 Die Grundbedeutung von Maat würde ich eher im sozialen als im kosmischen Bezug sehen, als
Richtigkeit sozialen Verhaltens in Wort ("Wahrheit") und Tat ( .. Gerechtigkeit"), wobei freilich die Korrespondenz zwischen kosmischem und sozialem Bereich (s. dazu n. 57) zu beachten ist. H. H. Schmid 1968 stellt m. E. den kosmischen Bezug zu stark in den Mittelpunkt, s. dazu Assmann 1990a. 56 Nag Hammadi Codex VI, 8:73, 21-22 ed. Krause-Labib 1971, 199. ~ 1 Vgl. Frankforts Begriff der "integration of society and nature", s. dazu Assmann 1990a, Kap. I. 58 Zur Bedeutung des Sonnenkults und Sonnenhymnik in Ägyptens. Assmann 1975a mit weiterer Lit. 59 Asclepius XIII, 25 ed. Nock-Festugiere 1960,329. Zur äg. Auffassung des Kults s. u. a. Derchain 1962a; 1965; Otto 1964. 60 Helck 1970; lichtheim 1973, 139-145 mit weiterer Lit.; bes. Poscner 1956. Der Vollständigkeit halber sei auch die sehr eigenwillige Studie von Goedicke 1977 erwähnt.
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Staat und Geschichte
Die Sonne ist verhüllt und strahlt nicht, daß die Menschen sehen können, man kann nicht leben, wenn (sie) Wolken verhüllen ... der Fluß von Ägypten ist ausgetrocknet, man quert das Wasser zu Fuß. Die Flut wird zum Ufer, das Ufer zur Flut. Der Südwind wird mit dem Nordwind streiten, und der Himmel in einem einzigen ( = ununterscheidbaren) Windsturm sein61 •
Die Schilderung folgt der Dreiheit der "lebenspendenden Elemente" Sonne, Nil und Wind62 • Was dieser Störung der natürlichen Ordnungen zugrunde liegt, wird gegen Ende der Chaosbeschreibung am Beispiel der Sonne aufgezeigt: Re wird sich von den Menschen trennen: Es gibt zwar noch die Stunde seines Aufgangs, aber niemand kann mehr wissen, wann Mittag ist, denn man kann keinen Schatten mehr unterscheiden. Kein Gesicht wird mehr geblendet sein, das (ihn} sieht63 .
Wenn die Götter sich von den Menschen zurückziehen, dann geht zwar alles scheinbar seinen gewohnten Lauf weiter, aber die Kraft, der Segen und das Gedeihen fehlen. Eingebettet in diese theologisch begründete Naturklage sind nun längere Abschnitte, die das Chaos im Bereich menschlicher Ordnungen beschreiben. Der erste Abschnitt, den man als den historischen Kern ansprechen möchte, handelt von der Infiltration von Asiaten im Ostdelta und der damit verbundenen Zerstörung der alimentären Ressourcen: Dann werden jene schönen Dinge zugrunde gehen, die Fischteiche voller Fischaufschlitzer, überquellend von Fischen und Vögeln. Alles Glück ist dahin, das Land vom Elend zertreten dadurch, daß die Asiaten sich daran mästen, die das Land durchziehen 64 •
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Neferti 24-25; Helck 1970, 21-25. S. hierzu Assmann 1979b, passim. Neferti 51-53; Helck 1970,42 f. Das im ersten Zitat rein kosmisch dargestellte Symptom der gestörten Ordnung wird nun theologisch gedeutet: Re hat sich von den Menschen getrennt. Dabei hat man aber diese lrennung nicht als Ursache der irdischen Mißstände aufzufassen, wie es der späteren Geschichtstheologie entspräche (3.d.), sondern vielmehr als Folge: Der Sonnengott erträgt das Unrecht nicht, das auf Erden geschieht. Dieser Gedanke liegt auch dem wahrscheinlich aus der gleichen Zeit stammenden Mythos von der Vernichtung des Menschengeschlechts zugrunde (Brunner-Traut 4 1976,69-72, 266-268). Die engste Parallele zu Neferti findet sich aber im griechischen Töpferorakel (s. n. 81). Neferti 30-32; Helck 1970,27.
X. Königsdogma und Heilserwartung
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Die folgenden Abschnitte behandeln das bekannte Thema: der Schwund an gemeinschaftlicher Ordnung und Verständigung und das Vorherrschen von Raub und Totschlag: Man wird Waffen des Krieges ergreifen ... und Brot mit Blut fordem 65 • (vgl. Adm: "man nimmt sich den Schild zum Pflügen mit")
Selbst die engsten Familienbande sind zerstört: Ich zeige dir den Sohn als Gegner, den Bruder als Feind, einen Menschen, der seinen Vater tötet 66 •
Der Verlust an Gemeinsinn, der allgemeine Egoismus ("Des Menschen Herz ist auf sich selbst gerichtet") äußert sich auch in der Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod: Man wird über den Tod nicht mehr weinen und kein Trauerfasten halten wegen eines Todesfalls. Des Menschen Herz ist nur auf sich selbst gerichtet .... Es gibt keine Klage mehr, die Menschen haben sie ganz aufgegeben. Ein Mann sitzt still und kehrt den Rücken, während einer einen anderen umbringt 67 .
Und schließlich stimmt auch Neferti, aber sehr viel kürzer und in allgemeineren Ausdrücken, das Lied von der Verkehrten Welt der sozialen Verhältnisse an: Ich zeige dir das Land in schwerer Krankheit (znj-mnt): Der Schwacharmige ist jetzt stark-armig, man grüßt den, der (sonst) grüßte. Ich zeige dir das Unterste zuoberst, was auf dem Rücken lag, hat jetzt den Bauch unten. Man wird auf dem Friedhof leben. Der Bettler wird Schätze aufhäufen, ( ... ) die Geringen werden Brot essen, die Dienstboten werden erhoben sein68 •
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Neferti 39-40; für die Par. in Adm und Töpferorakel s. n. 24. Neferti 44--45; Helck 1970, 35; vgl. Adm 2, ß-14: "Der seinen Bruder erschlägt, ist überall"; 5, 10: "Gewalt dringt ein bei jedermann; ein Mann erschlägt seinen Vollbruder." Der erste Satz des letzten Zitats ist ein Zitat aus dem "Lebensmüden" (Goedicke 1970, 159 f.), der das Thema der zerstörten Familien- und Freundschaftsbindungen ausführlich behandelt. Vgl. auch Töpferorakel Pap. Oxy. 24-25, Pap. Rainer, 11: ,.Ruchloser Kampf und Mord wird herrschen zwischen Geschwistern und Eheleuten." Neferti 41-44. Vgl. Adm 9, 3: "Seht, ein Mann wird erschlagen zu seitenseines Bruders, und der sagt nur: ,Greif ihn nur an!'. um seine eigene Haut zu retten." Mit ,.Jeder denkt nur an sich selbst" vgl. Töperorakel Pap. Rainer 23-24, Pap. Oxy. 38-39: "Jeder beweint nur sein eigenes Leid, auch wenn es geringer als das der anderen ist". Neferti 54-56; Helck 1970,46 f.
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Staat und Geschichte
Die Technik der Chaosbeschreibung, die auch den anderen Texten eigentümlich ist, läßt sich bei Neferti am deutlichsten beobachten. Sie besteht im Wechsel von ganz konkreten und ganz allgemeinen Ausdrücken, die die Funktion von Symptomen und Diagnose haben. Neferti kommt es vor allem auf die Diagnostik an. Die Kategorie der "Todesbefallenheit", die die konkreten Schilderungen der Admonitions durch die Stilform der Totenklage vermitteln, wird hier geradezu als nomen ipsum in Wendungen wie "Man lebt auf dem Friedhof'' und "Ich zeige dir das Land in znj-mnt" so direkt wie möglich zum Ausdruck gebracht. znj-mnt muß ein Wort für sehr schweres Leiden oder Krankheit sein, es kommt in Heilungszaubertexten vor, wird aber auch in den Chaosbeschreibungen des Chacheperreseneb und Tutanchamun im Sinne der Diagnose des Unheils gebraucht, das Ägypten befallen hat 69 • Neferti ist darin Vorbild für alle späteren politischen Chaosbeschreibungen geworden bis hin zum TöpferorakeL Auch die Ausweitung ins Kosmische steht nicht im Dienst rhetorischer Hyperbolik, sondern des Bemühens um eine möglichst umfassende Diagnose der vielfältigen Erscheinungsformen des Unheils. Neferti will den Untergang der Kultur, die auf Maat gegründet ist, deutlich machen und folgt diesem Begriff in alle seine semantischen Dimensionen kosmischer, kultischer und sozialer Ordnung70 • Was "Kultur" in diesem Zusammenhang bedeutet, haben wir bereits gezeigt: Es ist die Schöpfung schlechthin, deren Untergang Neferti als die umfassendste Diagnose an den Anfang seiner Chaosbeschreibung stellt: Was geschaffen war, ist zerstört. Re kann mit der Schöpfung von vorn anfangen. Das Land ist ganz zugrunde gegangen ohne einen Rest, nicht einmal das Schwarze unter dem Fingernagel ist übriggeblieben von dem, was er (Re) bestimmt hat 71 •
Das Unheil, das in konkreten Symptomen dargestellt wird wie Asiateneinfälle, Bürgerkrieg, viele gleichzeitige Herrscher, Hungersnot und überhöhte Steuern läßt sich auf keinen isolierten Problembereich eingrenzen, weil alles mit allem zusammenhängt im empfindlichen Gleichgewicht der Maat, das immer neu hergestellt werden muß. Der zweite Teil der Prophezeiung schildert die Wiederherstellung der Maat als das Werk eines Heilkönigs,
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Neferti 38 und 54; Chacheperreseneb Recto 11; Urk IV2027.11 s. § 3.a; Sode Behague f22ff. s. § 4.a. Zum Begriff Maats. o., n. 55; dazu Bergman 1972. Zu den drei semantischen .,Dimensionen" des Begriffs- Kosmos, Kult, Geschichte/Gesellschafts. u., § 4.3. Neferti 22-23; Helck 1970, 19. Vgl. ibid., 46-47; Helck 37-38: ..Zerstörung ist im Geschaffenen, Ausfall im Gefundenen, was geschaffen war, ist ungeschaffen."
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der aus dem Süden kommen wird, Ameni mit Namen, der Sohn einer Frau aus Ta-Seti, ein Kind von Oberägypten 72 .
Er wird die heiligen Kronen des legitimen Königtums tragen, wird die Rebellen im Lande unterwerfen und die Asiaten und Libyer vertreiben. Dann wird Maat auf ihren Platz zurückkehren, während Isfet vertrieben ist'3 .
Man weiß, daß mitAmeniAmenemhet I. gemeint ist, derGründerder 12. Dynastie74. Ameni ist eine geläufige Kurzform des Namens, die hier gewählt ist, um auf Menes, den ersten Reichsgründer anzuspielen. Der Text ist demnach eine Propagandaschrift in Form einer ex-eventu-Prophezeiung, die die umstrittene Legitimität dieses Usurpators auf einer höheren Ebene als derjenigen legaler Erbfolge rechtfertigen soll. Als ein neuer Menes ist dieser Ameni der langersehnte Heilbringer, der das Schöpfungswerk der Kultur noch einmal zu vollbringen vermag75 . Die dogmatische Fiktion von der vertriebenen Isfet und verwirklichten Maat wird in ihm geschichtliches Ereignis, das vor aller Augen und Ohren geschehen ist. Nach Jahrzehnten der Unheilserfahrung ist er der König, der die Heilserwartungen einlöst: Das ist seine Legitimation. So mündet auch diese apokalyptische Vision in die dogmatische Deutung der Gegenwart als erfüllter Heilszeit und verwirklichter Eschatologie. Was als Weltuntergang dargestellt wurde, läßt das Erneuerungswerk des Königs in seiner ganzen umfassenden Bedeutung einer Neuschöpfung deutlich werden. Das ist gewiß eine sehr tendenziöse Deutung der Geschichte. Aber es scheint mir verkehrt zu bestreiten, daß hier überhaupt geschichtliche Erfahrung im Hintergrund steht76 . n Neferti 57-59; Helck 1970, 49.
Neferti 68-69; Helck 1970,57. Vgl. zu diesem Topos die Belegsammlung bei Hornung 1966,64 f. m. n. 74. 74 Posener 1956,23 ff. Daß gerade für Amenemhet I. die Kurzform Ameni inschriftlich nicht belegt ist, ist kein stichhaltiger Einwand, denn es kommt der Prophezeiung ja gerade darauf an, den König nicht eindeutig beim Namen zu nennen, sondern in einer beziehungsvollen Weise auf ihn anzuspielen. Der Name Ameni läßt sich auch als .,der Verborgene" auffassen. 75 Amenemhet I. bzw. die von ihm angeregte Prophezeiung nimmt damit auf eine Situation mangelnden Königtums Bezug, in der der König, d. h. ein wirklicher König, tatsächlich Gegenstand der Erwartung war... Mangel an Königtum" ist genau der Ausdruck, den die Adm verwenden, und zwar im Zusammenhang dessen, was ich ihren "historischen Abschnitt" nennen möchte: "Seht, es kommt soweit, daß das Land arm gemacht wird an Königtum durch ein paar Leute, die keine Gesetze kennen." Die (nicht erhaltene) .,Prophezeiung der Residenz" (s. n. 22) muß sich auf diese Situation beziehen (Posener 1956, 28). Das besondere "messianische" Sendungsbewußtsein Amenemhets I. kommt auch in dem Horus- und Nebti-Namen des Königs, whm mswt, "der die Geburt wiederholt", zum Ausdruck (Posener 1956, 58). 76 Dabei scheint es sich mehr um eine ideologische als um eine politische Erneuerung zu handeln, denn die Reichseinigung war bereits der vorangehenden Dynastie gelungen. Wie sehr das Königtum jedoch nach dem Alten Reich verweltlicht war, geht besonders deutlich aus den von Bruoner 1955 dargelegten Zusammenhängen hervor. Die ideologischen Zielsetzungen der XII. Dynastie hat Posener 1956 aufgezeigt; vgl. dazu jetzt auch Blumentha11970.
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Staat und Geschichte
b) Töpferorakel und demotische Texte
Es ist lehrreich, diesem Text, zwei Jahrtausende vorgreifend, das Töpferorakeln gegenüberzustellen, das nicht aus dem Bewußtsein erfüllter Eschatologie heraus entstanden und überliefert ist, sondern das eine echte Prophezeiung darstellt. Trotzdem sind die Übereinstimmungen frappant1 8 . Der griechische Text, der auf drei Pap. aus dem 2. und 3. Jh. n. Chr. überliefert ist und sich als Übersetzung eines ägyptischen Originals ausgibt, scheint aus dem 2. Jh. v. Chr. zu stammen. Die Prophezeiung ist wie bei Neferti in eine Rahmenerzählung gekleidet, auf die wir hier ebensowenig wie bei Neferti eingehen können. Die Chaosbeschreibung verbindet wie bei Neferti konkrete historische Anspielungen auf die zonophoroi genannten Griechen, das alsparathalassios polis umschriebene Alexandria und bestimmte Ereignisse, die L. Koenen auf das Jahr 130 v. Chr. beziehen wollte 79 , mit traditionellen Elementen der Unheilstopik, unter denen selbst hier noch- in einem Text, der gewiß nicht der Oberschicht entstammt- das Motiv des sozialen Umschwungs auftaucht: Krieg wird zwischen Geschwistern und Eheleuten herrschen. die Menschen werden sich gegenseitig umbringen. Not macht egoistisch: Jeder hält sein Übel für das schlimmste. Die Bauern haben nichts zu ernten und müssen versteuern, was sie nicht gesät haben; die Not treibt sie mit Waffen gegeneinander. Die Sklaven werden frei werden und ihre Herren Mangel leiden. Der Vater wird der Tochter den Gatten abspenstig machen und Söhne die Mutter heiraten80 .
Auch diese Prophezeiung beginnt wie Neferti mit einer Schilderung der gestörten Naturordnungen: Der Nil wird niedrig sein, die Erde unfruchtbar, die Sonne wird sich verfinstern. weil sie das Unheil in Ägypten nicht sehen will; die Winde werden Schäden auf der Erde anrichten 81 •
Gegen Ende der Unheilszeit aber werden die Gürtelträger sich selbst zerfleischen und wie Herbstlaub vom Baum Ägyptens abfallen 82 . Dann werden die
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ZumText s. Koenen 1968 und 1974, zur Deutung Koenen 1970und Dunand 1979, dieden Text sowohl in der älteren ägyptischen (Neferti) als auch der zeitgenössisch jüdisch-hellenistischen Tradition verankert. Mme. Dunand hat mir, durch Vermittlung von G. Posener, ihre Übersetzung des Textes zur Verfügung gestellt; beiden sei herzlich gedankt. S. a. die Übersicht bei Dunand 1979, 48 f. Koenen 1968, vgl. dagegen Dunand 1979. Oxy. 2~25 vgl. Rainer ll; Oxy. 38-39 vgl. Rainer 23-24; Rainer 24-25; Oxy. 20-22 vgl. Rainer 8-9; Oxy. 45-46; Oxy. 46-48. Oxy. 13-20; vgl. Rainer 1-8. Ich gebe eine Zusammenfassung. Rainer 31 f. = Oxy. 53 f. Vgl. zur Symbolik der Entblätterung und Begrünung Koenen 1974, 317 f.; 1968, 181 m. n. 6.
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Götterbilder (agalmata) zurückkehren 83 . Ein Herrscher und Heilbringer (agathon doter), der 55 Jahre regiert, wird von der Sonne gesandt und von Isis auf den Thron gesetzt84 • Dann wird Ägypten gedeihen, der Nil wieder Hochwasser führen, Sommer und Winter in richtigem Zyklus kommen 85 , die Winde mild und wohlgeordnet wehen und die Sonne wieder aufstrahlen und die Bestrafung der Bösen und das Elend der Gürtelträger sichtbar machen86 . Die Topoi der Chaosbeschreibung sind dieselben wie in den 2000 Jahre älteren Klagen, die Störungen der beseelten Natur, die von der Depravation der Kultur in Mitleidenschaft gezogen ist, sind die gleichen wie in der Darstellung des Neferti, und das Wirken des Heilskönigs, der die Welt wiederherstellt, entspricht in allen Details dem traditionellen Königsdogma. Dahinter steht weniger literarische Tradition als das gleiche Weltbild, das im Rahmen des Kults und des Königtums über die Jahrtausende tradiert wurde. Jetzt aber ist der Heilskönig nicht mehr mit irgendeinem König der herrschenden Dynastie gleichzusetzen, sondern reiner Gegenstand der Erwartung geworden. Das Dogma der verwirklichten Heilszeit ist umgeschlagen in eschatologische Heilserwartung87 • Das Töpferorakel steht darin nicht allein. Das Orakel des Lammes, ein demotischer Text etwas früherer Zei t88 , auf den sich das Töpferorakel ausdrücklieh beruft, sieht in dem König Bokchoris der 24. Dynastie (718-12) den letzten legitimen König und sieht alles folgende als eine Unheilszeit an, wobei auch hier die Verschleppung der im Töpferorakel erwähnten Götterbilder eine bedeutsame Rolle spielt. 900 Jahre wird das Unheil währen, bis wieder ein legitimer König das Heil zurückbringt. Darin sind nicht nur, dem immer weiter tradierten Dogma zum Trotz, Perser, Makedonen und Römer inbegriffen, sondern auch noch die Intervalle einheimischer Dynastien. Auch die sog. demotische Chronik 89 , die den Heilskönig aus Herakleopolis erwartet, formuliert einen an die deuteronomistische Geschichtsschreibung erinnernden Begriff des schlechten Königs, der nicht auf Gottes Wegen wandelt und 83
s.&
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88 8'1
Rainer 34-35 = Oxy. 57-58; vgl. das Orakel des Lammes (n. 88) und Asclepius XIII, 27 (Krause 1969, 55 n. 59). Rainer 38-41 = Oxy. 63-67; vgl. Koenen 1968, 180, Dunand 1979, 54 f. mit Verweisen auf Parallelen zum sonnengesandten König im 111. Buch der Sibyllinen und in der Elias-Apokalypse. Rainer 45-46 = Oxy. 75-n. Koenen 1970, 253, denkt hier an eine Anspielung auf die Verschiebung des um 114 Tag zu kurzen Wandeljahres im Laufe einer Sothis-Periode und deren Neubeginn um 139 n. Chr.; aber diese Verschiebung scheint man in Ägypten nie als ein Chaosphänomen empfunden zu haben, ebensowenig wie sich mit ihrer Aufhebung irgendwelche Heilserwartungen verbunden zu haben scheinen; so möchte ich auch in dem geordneten Wechsel der Jahreszeiten mehr einen bildhaften Topos der Heilszeit im Sinne von Assmann 1975a, Text 239, 15-20, als eine konkrete kaiendansehe Anspielung vermuten. Die Solhis-Periode spielt im pharaonisch-ägyptischen Denken eine denkbar geringe Rolle. Rainer 46-49; Oxy. n-79. Koenen 1970; Dunand 1979. Krall1898; Janssen 1954; Bresciani 1969; Zauzich 1979. Spiegelberg 1914; Meyer 1915; Johnson 1974.
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das "Gesetz" verläßt90 , und wendet ihn auf einige Könige der einheimischen 30. Dynastie an. Das Geschichtsbild des Volkes hat sich vom Dogma der offiziellen Inschriften weit entfernt. Selbst in den Tempelinschriften findet sich eine Spur dieses veränderten Zeitbewußtseins. Die Topik der Heilszeit, in der Maat auf Erden weilt, das Land überschwemmt und die Leiber gefüllt sind, erscheint jetzt nicht nur in der Vergangenheitsform als Beschreibung der Zeit der Urgötter, sondern wird noch um Merkmale einer verkehrten Welt mit paradiesischem Vorzeichen ergänzt, die ihre Unwiederbringlichkeit und Unauffindbarkeil in der Gegenwart außer Zweifel stellen: "die Mauem fielen noch nicht ein, der Dom stach noch nicht in der Zeit der Urgötter" 91 • Hier manifestiert sich, aus dem Bewußtsein einer depravierten Gegenwart, dasselbe eschatologische Denken sozusagen in der Gegenrichtung, dem auch die politischen Prophezeiungen der Zeit entspringen. Dieser Umschlag in Mythos und Apokalyptik ist im ägyptischen Königsdogma angelegt. Was sich in Zeiten des Unheils, in denen das Dogma außer Kraft gesetzt ist, in Mythen und Prophezeiungen ausdrückt, ist im Dogma der erfüllten Heilszeit vorgeprägt.
3. Königsinschriften des Neuen Reichs a) Tutanchamun und die Amarnazeit Das muß in älteren Zeiten nicht unbedingt anders gewesen sein. Es muß doch auffallen, daß die erhaltenen Beispiele politischer Chaosbeschreibungen immer auf Krisenzeiten realer Gefährdung Bezug nehmen. Um rein rituelle Beschwörungen des Chaos im Rahmen des Festes "Geschichte" kann es sich nicht handeln. Die politische Literatur der 1. Zz., die "Prophezeiung der Residenz" und die "Lehre Achthoes' I.", des Gründers der HerakleopolitenDynastie, die in der "Lehre für Merikare" zitiert werden 92 , die ältesten Teile der Admonitions und was es sonst noch gegeben haben mag an Klagen und Prophezeiungen, entspringt genau wie 2000 Jahre später die politische Prophetie der Spätzeit dem außer Kraft gesetzten Dogma eines "messianischen" Königtums, das in Apokalyptik umschlägt. Auch im NR tauchen politische Chaosbeschreibungen immer nur nach Krisenperioden auf. In seinem Restaurationsedikt benutzt Tutanchamun diese Topik, um die vorangegangene Episode von Amama als Unheilszeit und sich selbst als Wiederhersteller der Ordnung darzustellen, der "die lsfet vertrieben hat in Ägypten und Maat eingesetzt hat auf ihren Sitz und der die Lüge zum Abscheu gemacht hat, so daß 90 91
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Meyer 1915. KAkosy 1964; Otto 1969; Otto 1964, 62 ff. S.o., n. 22 und 75; Posener 1956, 28,48 f.; Krause 1969, 53 m. n. 48.
X. Kl• ,jgsdogma und Heilserwartung
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das Land wieder ist wie am ersten Schöpfungstag" 93 • Die eigentliche Chaosbeschreibung verbindet wieder konkrete Symptome mit verallgemeinernden Formulierungen im Sinne einer Diagnose: Die Tempel der Götter und Göttinnen von Elephantine bis zum Delta waren im Begriff, einzustürzen, ihre Kapellen vom Verfall bedroht, zu Hügeln geworden, bewachsen mit Unkraut, ihre Götterwohnungen, als wären sie nie gewesen, ihre Hallen ein öffentlicher Weg~.
Als Diagnose verwendet Tutanchamun dieselbe Formel wie Neferti und Chacheperrenseneb: Das Land war in znj-mnt. Und als Begründung: Die Götter hatten sich von diesem Land abgewendet. Wenn man ein Heer ausschickte nach Palästina, hatte es keinen Erfolg, wenn man einen Gott oder eine Göttin anrief, kam sie nicht. Denn "sie"- damit können nur die Verantwortlichen gemeint sein - "hatten die Schöpfung zerstört". "Zerstörung ist im Geschaffenen", heißt es bei Neferti, "Verfall im Gefundenen " 95 • Die Chaosbeschreibung des Thtanchamun hält sich strikt im Rahmen des Tatsächlichen: Weder ist hier von Bürgerkrieg und allgemeinem Blutvergiessen, noch von sozialem Umschwung und Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden die Rede. Die Aufkündigung der göttlichen Einwohnung auf Erden ist ein so schweres Unheil, daß es weiterer Ausmalung der lsfet nicht bedarf. Unter Echnaton waren nicht nur die Tempel geschlossen und die Opfer gesperrt, sondern die Götter, allen voran Amun, mit ikonoklastischen Zerstörungen verfolgt worden. Die gewaltsame Vertreibung der Götter aus dem Lande muß auf die Rechtgläubigen einen furchtbaren Eindruck gemacht haben. "Mein Herz sehnt sich danach, dich zu schauen" , heißt es in einem Klagepsalm dieser Zeit an Amun. Du läßt mich eine Finsternis sehen, die du gibst; leuchte mir, daß ich dich schauen kann 96 !
Die Prophezeiung des Neferti hat sich noch einmal erfüllt: Das Licht göttlicher Einwohnung, das den Kosmos beseelt, hat sich verdunkelt, und es herrscht, wie die Formellautet, "Finsternis am Tage" 97 . b) Sethos I. und der Beginn der 19. Dynastie
Die Zustände der Amamazeit kommen noch einmal in einem Königstext zur Sprache: dem Denkstein Sethos' I. für seinen Vater Ramses I., den Gründer Urk. IV, 2026, 17 f. ,.. Nach Urk. IV2027, 1-10 (gekürzt). ~ Vgl. o., n. 71. jrjjt in ähnl. Sinn auch Urk. IV 390, 8: vgl. Mimnjjt in Totenbuch 175. Zu znj mnt s.o., S. 274 n. 69. 96 Assmann 1975a, Nr. 147 vgl. 1984a, 258 ff. "' Zu dieser Deutung der Wendung s. Assmann 1969,296 n. 58.
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der 19. Dynastie, in Abydos98 • Leider ist die entsprechende Passage äußerst zerstört. Die einzigen klaren Sätze der Chaosbeschreibung lauten: Die Nekropole, keiner kümmerte sich um sie, wie Wasser, das (gleichgültig) am Ufer vorbeieilt. Die Unterwelt und ihre Verfassung war unbekannt geworden Durch (Vergessen)99 •••
Das ist ein Aspekt der Amamazeit, der im Heiligtum des Totengottes Osiris von besonderer Bedeutung gewesen sein muß 100 . Er läßt sich ebenfalls in den Amamatexten belegen, die die traditionellen Jenseitsvorstellungen nicht kennen und das Wort "Unterwelt" vermeiden 101 • Die folgende Passage lautet in der Ergänzung von Schott: (Da befahl der Allherr im Rat der Göttter, meinen Vater zum Herrscher zu bestimmen), ihre Stätten (wiederherzustellen). Schicksal vor ihnen und Erfüllung verfuhren, wie es befohlen war. Sie taten wie geheißen. Da aber begann mein Vater mit dem Königtum des Re und saß auf dem Thron wie dieser 102 .
Man wüßte freilich gerne, ob überhaupt und wie genau ein göttliches Eingreifen in die Thronfolge in diesem Text formuliert war 103 • Man erinnert sich, daß bei Neferti davon keine Rede war. "Ein König wird kommen aus dem Süden", heißt es einfach. Auch Tutanchamun erwähnt mit keinem Wort ein Einschreiten der Götter. Das Töpferorakel dagegen läßt den Heilskönig vom Sonnengott gesandt und von Isis inthronisiert sein. c) Pap. Harris I und der Beginn der 20. Dynastie
Aber auch dieser Zug entspricht älterer ägyptischer Tradition, wie sich spätestens aus jenen Chaosbeschreibungen ergibt, die sich auf die Unruhen im ZuEd. Schott 1964. Schott 1964, 18. 100 Vgl. Otto 1966, 45 ff. 101 Die traditionelle Vorstellung eines nächtlichen desceruus des Sonnengottes in die Unterwelt als das Reich derToten wird in den Amarnahymnen ersetzt durch die aus Ps. 104 vertraute Schilderung der diesseitigen Nacht, s. Assmann 1975a, 59 f. 102 Schott 1964, 19. 103 Die im Pap. Westcar überlieferte Legende (vgl. o., n. 5) führt den Wechsel von der 4. zur 5. Dynastie auf göttliches Eingreifen zurück (Posener 1956, 10-13), im Unterschied zu Neferti und auch noch Thtanchamun. Aber bereits die Orakel-Interventionen in der umstrittenen Thutmosiden-Sukzession sowie die Anbringung des Zyklus von der göttlichen Zeugung des Königskindes aufTempelwänden durch Hatschepsut und Amenophis III. zeigen, daß der göttlichen Initiative in der offiziellen Königstheologie und Geschiehtsauffassung gegenüber dem Handlungsspielraum des Königs im Neuen Reich größeres Gewicht gegeben wird.
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sammenhang des nächsten Dynastie-Wechsels von der 19. zur 20. beziehen. Vgl. im pHarris I: Das Land Ägypten war ,hinausgeworfen', jedermann lebte nach seinem eigenen Recht; und sie hatten viele Jahre keine Führer bis als später das Land Ägypten aus Magnaten und Bürgermeistern bestand und einer den anderen umbrachte unter Großen und Geringen. Dann folgte eine Zeit aus ,leeren Jahren', als Ir-su, der Asiat, als Oberhaupt bei ihnen war, nachdem er sich das ganze Land unterworfen hatte. Jeder plünderte seinen Nachbarn aus, und die Götter behandelten sie nicht besser als die Menschen, so daß niemand Opfer darbrachte in ihren Heiligtümern. Aber die Götter wendeten sich wieder in Gnade um, um das Land in seinen normalen Zustand zu bringen entsprechend seiner eigentlichen Verfassung, und sie setzten ihren Sohn ein, der aus ihrem Leibe hervorkam 104 ,
nämlich Sethnacht, den Gründer der 20. Dynastie, der die Aufrührer tötete, den "Großen Thron Ägyptens reinigte .. und wieder ein legitimer König auf dem Thron Atums war 105 • Hier wird nicht die Abwendung der Götter- die natürlich impliziert ist-, sondern ihre Wieder-Zuwendung zu Ägypten ausgedrückt, die ähnlich wie die Rückkehr der Götterbilder im Orakel des Lammes und im Töpferorakel die Wende zum Heil markiert. d) Die Israelstele des Merenptah
Das Motiv begegnet bereits in der etwas älteren Israelstele des Merenptah 106 , deren Darstellung des'lliumphs das Ausmaß der abgewendeten Katastrophe andeutet: Licht, der die Wolke vertrieb, die über Ägypten hing, und Ägypten das Licht der Sonne wieder sehen ließ; der den Berg von Erz entfernte vom Nacken des Volkes, um dem gefangenen Volk Luft zu verschaffen ... Der die Tore von Memphis öffnete, die verschlossen waren, und den Tempeln wieder ihre Nahrung zukommen ließ 107 • I
Darstellung des Pap. Harris I. wird jetzt in einigen entscheidenden Zügen bestätigt durch die neugefundene Stele des Sethnacht aus Elephantine, s. Bidoli 1972. Natürlich ist der Pap. Harris I kein Stück objektiver Geschichtsschreibung, sondern eine traditionelle und daher in überlieferten Topoi gehaltene Chaosbeschreibung, die mit der Realität nur indirekt zusammenhängt. Wer aber jeden derartigen Zusammenhang bestreiten will, muß erklären, warum die überaus zahlreich erhaltenen Zeugnisse offizieller Geschichtsdarstellung von dem Mittel der Chaosbeschreibung so selten Gebrauch machen. 106 Kitchen 1968, 12-19; Lichtheim 1976, 73 ff. 107 Kitchen 1968, 13, 10-14, I.
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Staat und Geschichte
Nach einer Darstellung des erfolgreichen Abwehrkampfs gegen die Liby~r wird eine längere Rede des Allherrn zitiert, der dem König den Sieg Zlspricht: Gebt das Schwert meinem Sohn, dem aufrichtigen, gütigen, mildtätigen Merenptah, der für Memphis sorgte und Heliopolis rächte, der die Dörfer öffnete, die versperrt waren. Er hat Viele befreit, die überall eingeschlossen waren, er hat den Tempeln Opfer gegeben, er hat den Göttern Weihrauch darbringen lassen. Er hat die Großen ihre Besitztümer behalten lassen und die Armen ihre Städte besuchen lassen 108 • Am Ende folgt eine sehr eindrucksvolle Schilderung der eingetretenen Hei szeit des Friedens, in der man schreitet frei aus auf den Wegen, weil keine Furcht mehr in den Herzen der Menschen herrscht. Festungen sind sich selbst überlassen, Brunnen sind offen für die Boten; Wälle und Mauem sind friedlich, nur das Licht der Sonne weckt ihre Wachmannschaften ... Soldaten liegen schlafend ausgestreckt ... Da gibt es kein Rufen mehr in der Nacht ,Bleib wo du bist' mit der Stimme eines Fremden. Man kommt und geht mit Gesang. Re hat sich Ägypten wieder zugewendet, der Sohn ist bestimmt zu ihrem Schützer 109 • Re hat sich Ägypten wieder zugewendet: Diese Vorstellung, daß der freie Wille der Götter und speziell des Sonnengottes die Geschicke des Landes bestimmt, scheint eine Neuerung der ramessidischen Geschiehtsauffassung zu sein, die sich in der Spätzeit allgemein durchsetzt: Anch-Scheschonqy V, 2-3: Wenn Re einem Lande zürnt, wird dessen Herrscher das Gesetz mißachten. Wenn Re einem Lande zürnt, wird es das Gesetz dahin aufhören lassen 110 •
Kitchen 1968, 16, 10-17, 1. Kitchen 1968, 18, 5-19, 1. 110 Pap. BM 10508, V. 2-3 ed. Glanville 1955. Der entscheidende Satz der Israel-Stele kommt, mit Ersetzung des Re durch Amun, auch in einer Hymne auf Ramses VI. vor, s. Condon 1978, 12 I. 4, 20 oben und 30 z. St.: Siehe, Amun hat sich Ägypten wieder zugewendet: Die arm (nmhw) waren, sind jetzt angesehen. lOS
109
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4. Chaosbeschreibungen in Magie und Kult der Spätzeit a) Metternichstele: Krankheit und kosmisches Unheil
Der Große pHarris scheint nach dem zufälligen Befund des Erhaltenen das letzte Glied in der Reihe politischer Chaosbeschreibungen zu sein, bis diese dann in den demotischen und griechischen Prophetien der Spätzeit wieder auftauchen. Inzwischen aber kommen Chaosbeschreibungen in religiösen Texten auf, die zur Spätzeit hin ein immer "apokalyptischeres" Gepräge annehmen. Schon in Zaubertexten des NR drohen Zauberer damit, die Sonnenbarke "auflaufen zu lassen auf der Sandbank des Apopis" m. Spätere Zaubertexte malen die Folgen in der Form einer Chaosbeschreibung aus: Die Sonnenbarke steht still und fährt nicht weiter, die Sonne ist noch an ihrer Stelle von gestern. Die Nahrung ist schifflos, die Tempel versperrt, die Krankheit dort (znj-mnt) wird die Störung zurückwenden auf ihre Stelle von gestern. Der Dämon der Finsternis geht umher, die Zeiten sind nicht geschieden, die Figuren des Schattens lassen sich nicht mehr beobachten. Die Quellen sind versperrt, die Pflanzen verdorren, das Leben ist den Lebenden genommen, bis Horus gesundet für seine Mutter lsis und bis der Patient ebenso gesundet 112 •
Im Sonnenkult werden, um dieses Unheil abzuwenden, "dien Schriftrollen rezitiert auf der Schlachtbank des Apopis, Tag fürTag" 113 , um "der Sonnenbarke freie Fahrt zu geben" 114 und "den Ansturm des Wildgesichtigen abzuwehren"115. Der Sonnenlauf erscheint in diesen Texten vom Stillstand bedroht und kultischer Mitwirkung bedürftig. Jeder Sonnenaufgang wird jubelnd und aufatmend als ein Sieg über die Chaosmächte gefeiert, die ständig gegenwärtig sind und den Weltlauf gefährden 116 • Wir stoßen hier auf dieselbe Struktur einer permanent realisierten Eschatologie wie beim Königsdogma, das sich auch immer explizit auf den Sonnenlauf als sein Urbild bezieht: Die Erde wird hell, Re erstrahlt über seinem Land, er hat gesiegt über seine Feinde 117 ! Assmann 1969, 295-298, bes. 296 n. 56; Borghouts 1978, 55 Nr. 58. Klasens 1952, 31 f., 57, 96. 113 Assmann 1975a, Nr. 17,6-7. 114 Jbid., Nr. 54, Vers. 3. 115 /bid., Vers 4 vgl. allg. Assmann 1969,210 f.; 1970,68 f. Ein spätes Exemplar solchen kosmischen Abwehrzaubers ist uns im Pap. BM 10188,22-32 (Pap. Bremner Rhind) erhalten, ed. Faulkner 1933, 42-88. 116 S. Assmann 1969, 379 s. v. ,.Behobene Krisis". 117 Pap. Brooklyn 47.218.50 II, 10, ed. Goyon 1972,58.
111
112
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Staat und Geschichte
beginnt ein Lied zur Salbung des Königsam Stufenthron. Das Chaos wird immer neu besiegt, die Schöpfung jeden Morgen wiederholt. b) Pap. Salt 825 u. a. Texte: kultische Unheilsbannung
Hinter dieser Vorstellung, der Heil und Unheil, Ordnung und Chaos ständig gegenwärtige Möglichkeiten sind, steht ein Zeitbegriff, der das genaue Gegenstück zu einem eschatologischen Denken darstellt: Denn dieses sieht die Zeit auf eine vorbestimmte Katastrophe und Erneuerung zutreiben, während für den Ägypter die Zeit sich fortwährend erneuert in den Zyklen des Tages und des Jahres. Das Unheillauert an den Übergangszonen, und die Rituale bewirken, daß sich ein Zyklus nahtlos an den anderen schließt, um die Kontinuität zu gewährleisten 118 • Auf der Ebene des Königtums ist uns ein solches Kontinuitätsritual in einem Papyrus aus Brooklyn erhalten 119 , während Ph. Derchain ein funktionell entsprechendes Ritual aus dem Osiriskult im Pap. Salt 825 erschlossen hat 120 . Beide Texte stammen aus der Spätzeit. Das ist kein Zufall der Überlieferung, denn zahllose Einzelheiten weisen darauf hin, daß dieses Bewußtsein einer ständig imminenten Katastrophe zur Spätzeit hin einen immer dominierenderen Zug ägyptischen Denkens darstellt 121 . Das Ritual des Pap. Salt 825 ist in unserem Zusammenhang besonders interessant, weil es mit einer apokalyptischen Chaosbeschreibung anfängt: Die Erde ist verwüstet, die Sonne geht nicht auf, der Mond zögert, es gibt ihn nicht mehr, der Ozean schwankt, das Land kehrt sich um, der Auß ist nicht mehr schiffbar, Alle Welt klagt und weint. Götter und Göttinnen, Menschen, Verklärte und Tote, Klein- und Großvieh weinen laut 122 •.•
Was geschehen ist, stand im verlorenen Anfang des Textes, aber Seth muß der Urheber des Eingriffs in die Weltordnung sein, denn er wird im folgenden bcstraft123. Seth wird zum Inbegriff des Unheilbringers. In den Sprüchen, die man rezitiert, um sein Kommen abzuwehren, wird das Chaos, das er verkörpert, ausgemalt: Derchain 1965; Assmann 1975b, 28-30. Für die Epagomenen, die fünfTage .,zwischen den Jahren", gibt es besondere Schutzsprüche, s. Stricker 1948. 11 9 Pap. BrookJyn 47.218.50 ed. Goyon 1972. 120 Derchain 1965, bes. I, 24-28 mit einer Fülle weiterer Beispiele. 121 Derchain 1965, 28 mit Verweis auf Morenz 1960,215-223. 122 Pap. Salt 825, I. 1-6; Schott 1959 übersetzt den 5. Vers: .,Das Wasser fließt nicht mehr stromab", was sprachlich nicht ausgeschlossen ist. Vgl. aber Neferti 26-28 und Töpferorakel Rainer 1-2; Oxy. 13-14. 123 1V. 6-9. Der Eingriff besteht jedenfalls in der Ermordnung des Osiris, s. Derchain 1965, 31-3-4, der allerdings zu dem Schluß kommt, daß in diesem Fall Schu der Schuldige ist. 118
X. Königsdogma und Heilserwartung
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Weiche zurück, damit die Sonne sich nicht verfinstere auf der Sandbank des Zweimessersees! Damit der Himmel den Mond nicht verschlucke am Vollmondtag in Heliopolis. Damit die Schildkröte nicht den Nil schlürfe und die Gewässer austrocknen, damit nicht eine Flamme aus dem Ozean hervorkomme und Aamme durch Flamme verbrenne, damit nicht bekannt würde das Nord- und Südwärtsfahren der Sonne, der an Wegen reichen beim Befahren des Himmels, damit sich nicht die beiden Himmel auf einmal drehen und der Himmel sich mit der Erde vereine, damit nicht die Lade in Heliopolis geöffnet werde und das, was in ihr ist, gesehen wird, damit nicht das Gewand in Memphis gelöst werde und der Arm des So und So betrachtet wird, damit nicht die Lampe in der Nacht des Bösen verlösche in jener Zeit, die nicht geschehen soll, damit nicht der Ozean süß werde und von seinem Wasser getrunken wird usw. usw. 124 •
Die Sprüche betreffen teils kosmische Katastrophen, teils die Enthüllung von Kultgeheimnissen. Beides hängt aufs engste zusammen: damit nicht die vier Sprüche in Heliopolis bekannt werden und der Himmel herabstürzt, wenn er sie hört 125 •
c) Kultvollzug und kosmische Sympathie Die Idee des Zusammenhangs, einer Sympathie aller Elemente des Kosmos, beherrscht vor allem die spätzeitliche Theorie des Opfers und Kultvollzugs. Besonders aufschlußreich ist hierfür ein Abschnitt des Pap. Jumilhac: Wenn wenig Opferbrote auf ihren Altären sind, dann geschieht das Gleiche im ganzen Land, und wenig Leben wird für die Lebenden sein. Wenn dieser Ort seiner Libationen beraubt wird ... , dann wird die Nilüberschwemmung niedrig sein in ihrem Quelloch und der Mund der Schildkröte versiegelt. Ein Jahr der Hungersnot herrscht im ganzen Land, es gibt weder ,Lebensbaum' noch Gemüse. Wenn man die Osiris-Zeremonien vernachlässigt zu ihrer Zeit an diesem Ort ... , dann wird das Land seiner Gesetze beraubt sein, der Pöbel (hwrw) wird seine Herrschaft im Stich lassen, und es gibt keine Befehle für die Menge ... 124
I2S
l"rk. VI =Schott 1929, 122-125. lbid .• 127' ~-
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Staat und Geschichte
Wenn man den Feind nicht köpft, den man vor sich hat aus Wachs, auf Papyrus oder aus Holz nach den Vorschriften des Rituals, dann werden sich die Fremdländer gegen Ägypten empören und Bürgerkrieg und Revolution im ganzen Land entstehen. Man wird auf den König in seinem Palast nicht hören, und das Land wird seiner Schutzwehr beraubt sein 126 .
Die Sonne ist von Stillstand bedroht, der Kult von Vergessen und Habgier und der König von äußeren und inneren Feinden. Die drei Ordnungen des Kosmos, des Kults und des Staats sind drei Aspekte ein und derselben Ordnung, die, von permanenter Gefährdung bedroht, immer wieder bestärkt, bewahrt und hergestellt werden muß. Im Sieg der Sonne über den Finsternisdrachen siegt Pharao über seine Feinde, die Fülle der Opfergaben auf den Altären und die metikulöse Observanz der Rituale garantieren Fülle, Wohlstand und soziale Ordnung im Lande, und die Gerechtigkeit des Königs sichert den Segen der Natur 127 • Die Kohärenz dieses von mutueller Sympathie zusammengehaltenen Kosmos läßt sich an einem triangulären Modell veranschaulichen, dessen Ecken von Kosmos, Kult und Königtum besetzt sind 128 . Jeder Eingriff an einem der drei Pole: Kusmos
z.
n.
Edfu:
Königtum
zieht die anderen beiden in Mitleidenschaft. Das Prinzip der Maat-Verwirklichung, das diese Welt im Innersten zusammenhält, verlagert sich immer mehr von der politischen Ebene des Königtums auf die religiöse Ebene des Kults. Demgegenüber verblaßt das Königsamt immer mehr zu einer priesterlichen Funktion, was sich in den zahlreichen Priestertiteln ausdrückt, mit denen es in den Tempeln umschrieben wird 129 • Oft sind die Kartuschen in diesen InPap. Jumilhac XVII, 19-XVIII. 11; Vandicr 1961, 129 f. (gekürzt). Zum Zusammenhang der Begriffe .,Gerechtigkeit" (Maat) und .. Fülle" im ägyptischen Denken s. Otto 1969 und Assmann 1970, 58-65, vgl. darüber hinaus auch Schmid 1968. 128 Es handelt sich um dieselbe Dreiheit, die sich, auf die Götterwelt bezogen, als Kult, Kosmos und Mythos darstellt, vgl. Assmann 1969, 143 n. 22 und 271 f. sowie 1976, 765-nl. Die ,.mythische" Dimension der Götterwelt entspricht dem mit .,Königtum" bezeichneten Pol, weil sich Mythos auf das geschichtliche Sein der menschlichen Gesellschaft bezieht, dessen Exponent der König ist. Vgl. ein griechisches Ostrakon aus Edfu, ed. Yoyotte 1969, das den Gott dieses Tempels als Helios, Hierax und Basileus anruft. Der Gott, der als .,Falke" im Tempel gegenwärtig und dem kultischen Umgang zugänglich ist, ist zugleich die Sonne auf der kosmischen und der König auf der politisch-sozialen Ebene der umfassenden Ordnung. 129 0tto 1964,63-83. 126
127
X. Königsdogma und Heilserwartung
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schritten leer gelassen: "Pharao" wird ein fiktives kirchliches Amt, das die Priester stellvertretend ausüben. Durch diese Fiktion ließ sich der" Weltlauf" auch in den Zeiten der griechisch-römischen Fremdherrschaft noch eine Weile in Gang halten; aber das Bewußtsein des drohenden Endes, der immer dünner werdenden Kulturschicht, muß ständig gewachsen sein. Dieses Wissen findet seinen Ausdruck in der Asklepios-Apokalypse 130 • In diesem griechischen Text, von dem außer einem Zitat bei Laktanz nur Übersetzungen in koptischer und lateinischer Sprache erhalten sind, laufen die beiden Traditionen der politischen und der rituellen Chaosbeschreibung zusammen. Was hier prophezeit wird, ist der Untergang der ägyptischen Kultur = Religion als der Erkenntnis und zugleich Ins-Werk-Setzung jener Sympathie von Kosmos, Kult und staatlich-moralischer Gemeinschaft, die Ägypten zum "Abbild des Himmels und Tempels der ganzen Welt" machte 131 • Wenn die Götter ihre Einwohnung in diesem Lande aufkündigen (dolenda secessio), wird der entgöttlichte Kosmos aufhören, ein Gegenstand der Anbetung und Verehrung zu sein, aber auch Ägypten wird untergehen, denn mit der Gottesfurcht schwinden Gerechtigkeit, Gehorsam und Gemeinsinn (vgl. o., Kap. 111, S. 76 f.). Die Heilserwartung, die von einem König nichts mehr weiß und auf den Demiurgen selbst hofft, der die vergreiste Welt mit Wasser und Feuer, Krieg und Seuchen zerstören wird, um eine neue, heile Welt zu erschaffen: Diese Erwartung hat den Boden der ägyptischen Tradition bereits verlassen. Die Unheilserfahrung aber ist ganz in den alten ägyptischen Kategorien von Maat und Isfet, göttlicher Einwohnung und Abwendung zum Ausdruck gebracht, und macht am Ende dieser jahrtausendelangen Tradition noch einmal in ergreifenden Wendungen deutlich, worum es im Grunde immer ging: um die hauchdünne und von ständigem Untergang bedrohte Schicht der Kultur über dem nie ganz zu bändigenden Treibsand der Barbarei.
130 Dem
131
Folgenden liegt die kopt. Fassung in Codex VI (VI. 865, 15-78, 43) der Bibliothek von Nag Hammadi zugrunde, ed. Krause-Labib 1971, 187-206 (hier 194-200); vgl. zum Text auch Fowden 1987. 38 ff. Zu dieser für das Verständnis der äg. "Apokalyptik" zentralen Konzeptions. Junge 1978.
XI. Der Einbruch der Geschichte. Wandlungen des Welt- und Gottesbegriffs in der 18. Dynastie
Vorbemerkung Wann beginnt die Geschichte und endet die Vorgeschichte? Im Fächerkanon der Universität wird die Schrift als Kriterium verwendet. Geschichte scheint undenkbar ohne die Möglichkeit ihrer Aufzeichnung und die Schrift eigens zum Zweck solcher Aufzeichnung erfunden. Also gilt die These, mit der der Sumerologe S. N. Kramerein Buch überschrieb: History begins at Sumer, die Geschichte beginnt in Sumer, mit der Erfindung der Schrift Ende des 4. Jahrtausends, und greift bald auf Ägypten über, wo die frühesten Schriftquellen um 3000 v. Chr. einsetzen. In Wirklichkeit haben die beiden Phänomene jedoch, zunächst wenigstens, kaum etwas miteinander zu tun. Die Schrift gehört ihrem Ursprung nach in das Gebiet der Wirtschaft, und weder hat der Anbruch der Geschichte (was immer man darunter verstehen mag) ihre Erfindung nach sich gezogen, noch ist umgekehrt durch die Schrifterfindung die Geschichte in Gang gesetzt worden. 1 Daher hat es an Versuchen nicht gefehlt, den Anbruch der Geschichte mit Phänomenen zusammenzubringen, die ihr weniger äußerlich sind. Geschichte hat nicht das Volk, das schriftliche Quellen seiner Existenz hinterlassen hat, sondern jenes, das sich der Geschichte als einer Sinndimension seines Daseins bewußt geworden ist. Geschichte ist eine Sache des Bewußtseins, nicht der Technologie. Diese These ist zwar nicht zuerst, aber am eindringlichsten und wirkungsvollsten von K. Jaspers (1949) vertreten worden. Er hat für die Schwelle zwischen Vorgeschichte und Geschichte den Terminus "Achsenzeit" geprägt. Vor ihm hatte Alfred Weber (1935) genau dieselbe Theorie entwickelt, aber auf den weniger zündenden Begriff des .,synchronistischen Weltzeitalters" gebracht. Geschichte ist dieser Anschauung zufolge die Sache eines bewußtseinsgeschichtlichen Durchbruchs, eines Prozesses menschlicher Bewußtwerdung, der mit Phänomenen wie Individualität, Seele, Reflexivität, persönlicher Religiosität, Transzendenz, Askese, Autonomie des Geistigen usw. einhergeht. Dieser Durchbruch soll Weber und Jaspers zu folge (die ihrerseits einen bis ins 18. Jh. zurückzuverfolgenden Gedanken aufgriffen) weltweit im 1. Jt. v. Chr. erfolgt sein. Die bei weitem gründlichste historische Ausarbeitung dieser Ansätze stammt von dem Politologen Eric Voegelin, der in einem fünfbändigen Monumentalwerk (1956-87) die Genese des historischen Bewußtseins von Me1
Vgl. Schmandt- Besserath 1982a und b; zu Ägyptens. Kapitel IV.
XI. Der Einbruch der Geschichte
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sopotamien bis Rom zu beschreiben unternommen hat. Inzwischen haben sich diese Vorstellungen einer bewußtseinsgeschichtlichen Wasserscheide auch in den historischen Einzeldisziplinen durchzusetzen begonnen, die sich in verschiedenen Sammelbänden mit der Achsenzeit beschäftigt haben (Schwarz 1975; Eisenstadt 1987; 1991). Allen diesen Ansätzen gemeinsam ist die Vorstellung einer Schwelle, die die frühen Hochkulturen von den späteren, den "Kulturen der Achsenzeit" (Eisenstadt) trennt. Das Mißliche an dieser Vorstellung einer Wasserscheide ist, daß sie die "vorachsenzeitlichen" Schwellen und Durchbrüche nivelliert und eine spannungsreiche Entwicklung von mehreren tausend Jahren Menschheitsgeschichte in das relative Dunkel der "Vorgeschichte", des Noch-nicht, rückt. In der Überbetonung dieser Grenze liegt die Gefahr einer Schwarz-WeißMalerei, die zugunsten einer einzigen, alles fundierenden Dichotomie alle feineren Grenzen und Unterschiede abdunkelt. Der plakative Dualismus der Achsenzeit ergibt sich aus der Distanz kulturphilosophischer Reflexion. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß Prozesse "achsenzeitlicher" Richtung und Tragweite allenthalben und immer wieder stattfanden. In diesem Sinne beschäftigt sich das folgende Kapitel mit dem Neuen Reich. Was sich hier beobachten läßt, ist zwar kein "Anbruch" der Geschichte im Sinne einer achsenzeitlichen Epochenschwelle, aber doch ein wetterleuchtendes "Einbrechen" von Geschichte in ein Weltbild, das darauf angelegt war, Veränderung zu vermeiden und Geschichte auszublenden.
1. Die Genese der Alten Welt Mit Beginn des Neuen Reiches, um ca. 1550 v. Chr., greift Ägypten, das das Joch der Fremdherrschaft (der "Hyksos") abgeschüttelt hat, über seine traditionellen Grenzen hinaus nach Syrien und Palästina über. Das bedeutete zwar nicht "Weltherrschaft", aber doch "Weltmacht" in dem Sinne, daß Ägypten nun eintrat in eine Konstellation größerer und kleinerer Mächte, die ein die gesamte damalige Welt umfassendes politisches Spannungsfeld bildete. Die ägyptische Geschichte nahm dadurch eine andere Qualität an. Kein Geringerer als der griechische Historiker Polybios hat diesen Zusammenhang zwischen außenpolitischer Verflechtung und einem Strukturwandel der Geschichte bereits um 130 v. Chr. am Beispiel der hellenistischen Geschichte in aller Schärfe demonstriert: "In den vorangehenden Zeiten lagen die Ereignisse der Welt gleichsam verstreut auseinander ... (Dann) aber wird die Geschichte ein Ganzes, gleichsam ein einziger Körper, es verflechten sich die Ereignisse in Italien und Libyen mit denen in Asien und Griechenland,
2
Polybius (1961 ), Bd. I, 3, nach Tenbruck ( 1989), 436.
290
Staat und Geschichte
und alles richtet sich auf ein einziges Ziel. " 2 Genau diesen Prozeß globaler Ereignisverflechtung beobachten wir in der späten Bronzezeit. Die Geschichte nimmt einen neuen Aggregatzustand an. Sie wird Weltgeschichte, in dem Sinne, daß sich jetzt eine "Welt", ein Horizont aufeinander bezogener Mächte herausbildet. der von Spanien bis zum lndus, von der Ägäis bis Äthiopien reicht und innerhalb dessen kein Volk mehr damit rechnen kann, unbetroffen und isoliert nur seiner eigenen Geschichte zu leben. Es handelt sich um die Genese der "alten Welt", den Anbruch dessen, was Eric Voegelin, allerdings mit Bezug auf eine viel spätere Zeit, "The Ecumenic Age", das "ökumenische Zeitalter", genannt hat. 3 Voegelin meinte damit das Zeitalter der weltumspannenden Großreiche: der Perser, Alexanders des Großen, der Römer. Soweit sind wir in der späten Bronzezeit noch nicht. Aber es ist bereits dieselbe "Welt", die jetzt entsteht: noch nicht als zentral organisierter Herrschaftsbereich, aber als ein polyzentrisches politisches Spannungsfeld miteinander konkurrierender Staaten. Darin besteht der neue Aggregatzustand von Geschichte, und in dem Maße, wie Ägypten in diese "Welt", dieses Spannungsfeld, eintritt, hat es nicht mehr nur seine eigene Geschichte, sondern hat auch Teil an der "Weltgeschichte''. Für Ägypten bedeutet das in gewisser Weise den Einbruch von Geschichte überhaupt. Damit möchte ich sagen, daß die Ägypter bis dahin mit der Geschichte als einer Sinndimension menschlichen Daseins nicht viel anfangen konnten, ja im Gegenteil alles darangesetzt haben, sich gegen die Geschichte im Sinne von Wandel, Veränderung, Fortschritt usw. abzuschotten. 4 Hornung (1966) hat für diese Einstellung die Formel "Geschichte als Fest" geprägt. Aber das ist ein Paradox: Fest ist das Gegenteil von Geschichte. Geschichte als Fest bedeutet die Abwesenheit, die Aussperrung der Geschichte. Jetzt brechen diese Dämme. Die .,Weltgeschichte" läßt sich nicht aussperren. Das alles wäre hier nicht weiter erwähnenswert, wenn es sich nur um eine Frage der wissenschaftlichen Terminologie handeln würde. Ob und ab wann und in welchem Sinne wir von "Geschichte" und von "Weltgeschichte" sprechen können, ist eine Frage, die nur die Fachgenossen angeht. Was die Sache aber in einem viel höheren Grade interessant macht, ist die Tatsache, daß den Ägyptern selbst offenbar dieser Wandel aufs deutlichste bewußt geworden ist, daß sie einen ganz neuen Begriff von Geschichte ausgebildet haben und daß dieser neue Begriff in den Quellen einen reichen Niederschlag findet. Geschichte wird nun nicht mehr lediglich als ein Ritual oder Fest zelebriert. nach zeitenthobenen, ewig wiederholten Grundmustern, sondern als ein unvorhersehbares, bedeutungsvolles, Entscheidungen forderndes Geschehen erlebt.
3 4
Voegelin (1956--87), Bd. IV(1974). Zum ägyptischen Geschichtsbewußtsein s. Redford (1986).
XI. Der Einbruch der Geschichte
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2. Theologie des Willens Dieses neue Geschichtsbewußtsein äußert sich zum einen, bei Königen und Privatleuten, in emphatischen Bekundungen der Neuheit, Erstmaligkeit, Niedagewesenheit von Taten, Ereignissen, Erfindungen und Errungenschaften. Zum anderen erscheint aber nun die Geschichte erstmalig auch als ein Aspekt oder eine Dimension göttlichen Wesens und Wirkens. Die Götter manifestieren ihren Willen und ihre Macht in der Geschichte. Diese Neuerung erscheint mir entscheidend. "Der Einbruch der Geschichte": Das stellt sich für Ägypten dar als der Anbruch einer neuen Dimension religiöser Erfahrung. Neben den Kosmos, den Kult und den Mythos als die traditionellen Dimensionen, in denen der Ägypter das Wirken der Götter erfahren, ihr Wesen erfassen und mit ihnen in Verbindung treten konnte, tritt nun als eine vierte die historische Dimension. Das heißt: Die Götter intervenieren in der Geschichte, sie tun in Ereignissen und Orakeln ihren Willen kund, sie bestimmen Wohlfahrt und Unheil, Gelingen und Scheitern. 5 Vor allem aber bildet sich jetzt die Vorstellung eines Höchsten Wesens heraus, das die Geschichte ersinnt und dessen planender Wille die Zeit und das, was sich in ihr ereignet, hervorbringt. Diese Vorstellung verbindet sich u. a. mit dem Gott Amun-Re 6 , einer komplexen Gestalt, die vier Dinge in einem ist: 1. Ur- und Schöpfergott 2. Sonnengott 3. Vater des Königs und als solcher "Staatsgott" 4. Stadtgott von Theben. Nun kommt, im Zusammenhang mit dem Einbruch der Geschichte als einerneuen Dimension göttlichen Wesens, ein fünftes hinzu: Planer und Lenker der Geschichte. Der erste Text, der uns Kunde gibt von einer solchen neuartigen Offenbarung des Gottes Amun-Re, ist der Bericht, den die Königin Hatschepsut von ihrer Krönung und Thronbesteigung aufzeichnen ließ: 7 Danach: Orakelauszug seiner Majestät (=des Gottes Amun), ohne aber sein Orakel zu geben an den "Herrenstationen" des Königs. ~
6
7
In Mesopotamien hat das alles schon sehr viel früher eingesetzt. Hier wird die Vorstellung von der Intervention der Götter in die menschliche Geschichte schon in Texten des 3. Jt. v. Chr. greifbar. Und hier zeigt sich besonders klar, in welcher Weise diese .. Theologie des Willens" mit außenpolitischen Verflechtungen verbunden ist: Es sind vornehmlich Texte, die von Verträgen und sonstigen zwischenstaatlichen Verbindungen handeln, in denen von göttlichen Interventionen berichtet wird. Denn diese Verträge werden bei Göttern beschworen. Dadurch werden die Götter in die Geschichte hineingezogen. Vgl. das Material bei Albrektson ( 1967), der freilich diesen Zusammenhang nicht gesehen hat. Zur Amun-Re-Theologie der 18. Dynastie s. Assmann (1983a), Kap. 4; (1984a), 221-232. Lacau-Chevrier (I9n). 97 ff. Vgl. dazu Römer (1987). Meine Übersetzung trägt Römers Kritik Rechnung.
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Das ganze Land verfiel in Schweigen. "Man weiß nicht", sagten die Königsedlen, die Großen des Palasts senkten das Gesicht, sein (des Gottes) Gefolge sagte "Warum?". Die "Sattherzigen" wurden zu "Leerköpfen", ihre Herzen erzitterten bei seinen Orakeln.
Der Gott gelangte zum "Kopf des Flusses" und gab ein sehr großes Orakel am Doppeltor des Palastes, das an der Seite der Opfertischstraße liegt. Danach wandte man sich nach Norden, ohne daß man wußte, was er tun würde.( ... ) Dann neigte die Majestät des Allherrn (Amun) sein Gesichtgen Osten und gab ein sehr großes Orakel am westlichen Doppeltor des Palastes der Halle namens "Ich will mich nicht von ihm entfernen", das an der Seite des "Kopfes des Flusses" liegt. Die Herrin der beiden Länder kam aus dem Inneren der Heiligkeit ihres Palastes und ging dem Herrn der Götter in Lobpreisungen entgegen. Danach warf sie sich nieder vor Seiner Majestät und sprach: "Wieviel größer ist dies, als es die Gewohnheit Deiner Majestät ist, du mein Vater, der alles Seiende ersinnt! Was ist es, von dem du wünschst, daß es geschehe? Ich werde gewiß nach deinen Plänen handeln!"
Was wird hier beschrieben? Man feiert wie gewohnt das Opet-Fest, bei dem in feierlicher Prozession die Barke des Gottes Amun von Karnak nach Luxor getragen wird. Bei dieser Gelegenheit übersteigt nun aber der Gott den Rahmen "seiner Gewohnheit" und fängt an, "sehr große Orakel zu geben", d. h. in spontanen Bewegungen (und nicht etwa sprachlich!) seinen Willen kundzutun. Dadurch wird der Prozessionszug zum Wohnpalast der Prinzessin Hatschepsut umgeleitet. Der göttliche Wille zielt auf die Erwählung und Erhebung der Königin Hatschepsut zum König. Das war ein Schritt, der auch in der politischen Sphäre den Rahmen des Gewohnten überstieg und nur durch göttliche Intervention zu rechtfertigen war. Deshalb hat man bisher auch immer angenommen, daß sich die ganze Geschichte aus dem ungewöhnlichen Legitimitätsbedürfnis der Königin Hatschepsut heraus erklärt. Um ihre Thronbesteigung als Frau zu rechtfertigen, habe sie dieses Erwählungsdrama inszeniert und inschriftlich verewigt. Diese Erklärung greift aber gewiß zu kurz. Denn wenn sie recht hätte, wäre man später wieder zur Normalität zurückgekehrt. In Wirklichkeit häufen sich aber von jetzt an solche göttlichen Interventionen, nicht nur in die Thronfolge, sondern allgemein in den Lauf der Geschichte. Die neue Seite der Götter und ganz besonders des Gottes Amun, die Hatschepsut hier erfahren haben will, tritt in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten immer beherrschender hervor. Dasselbe gilt auch für einen anderen Eingriff des Gottes Amun in den Lauf der Geschichte, dessen erste Aufzeichnung wir der Königin Hatschepsut ver-
XI. Der Einbruch der Geschichte
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danken. Ich meine den berühmten Zyklus von Bildern und Texten in ihrem Totentempel von Deir el-Bahari, der die mythenhafte Fiktion ihrer göttlichen Zeugung, Geburt und Aufzucht verewigt. 8 Hier gibt der Gott Amun nicht nur in Gestalt seines Prozessionsbildes ein Orakel zugunsten der Thronfolge Hatschepsuts, sondern er steigt leibhaftig zur Erde herab, um sich mit der Königin-Mutter Ahmose geschlechtlich zu vereinigen und ein neues Königskind in die Welt zu setzen. Auch die Ausgestaltung und Aufzeichnung dieses Mythos hängt natürlich mit dem besonderen Legitimationsbedarf der Königin Hatschepsut zusammen. Aber auch hier zeigt sich, daß die Idee eines solch unmittelbaren göttlichen Eingriffs in die Geschichte nicht auf Hatschepsut beschränkt blieb. Andere Könige, Amenophis 111. und Ramses II., greifen sie auf, und schließlich weitet sich der Königsmythos zu einem Götterfest, das alljährlich in allen Tempeln des Landes gefeiert wird und nicht mehr dem Königs-, sondern dem Götterkind gilt. Auch hier nimmt also etwas bei Hatschepsut seinen Anfang, was dann eine immer größere Strahlkraft entfaltet und zuletzt die Struktur der ägyptischen Religion verändert. Auch der Mythos von der göttlichen Zeugung des Königskindes basiert auf einer neuartigen Sinngebung der Geschichte. Auch hier geht es darum, daß der Gott über die gewohnten kosmischen und kultischen Bahnen seines Wirkens hinausgeht und in den Lauf der Geschichte eingreift, indem er die dynastische Kette verändert und selbst ein Kind in die Welt setzt. Ein Kind, auf dem- wie es die Texte hervorheben- die Segnungen der Götter und die Hoffnungen der Menschen ruhen. Die Pointe dieser Geschichte ist die Idee der Heilswende, die durch den göttlichen Eingriff in die dynastische Kette herbeigeführt wird. Das Hauptproblem ist das Alter dieser Vorstellung. Natürlich stammt sie nicht aus der Zeit der Hatschepsut. Man legitimiert sich nicht mit ad-hoc-Fiktionen, sondern nur durch Rekurs auf allgemeine bekannte und akzeptierte Wirklichkeitsmuster. In derTat besitzen wir einen Papyrus aus älterer Zeit, der eine Vorstufe dieses Mythos enthält. Der Papyrus stammt aus der 17. Dynastie, aus dem Ende der Fremdherrschaft der .,Hyksos", die von dem thebanischen Geschlecht vertrieben werden, das dann als 18. Dynastie den Thron besteigt und die Glanzzeit heraufführt, der diese Ausstellung gewidmet ist. Er erzählt- unter anderen- eine Geschichte, die im Übergang von der 4. zur 5. Dynastie, also im Alten Reich, um 2500 v. Chr.- 1000 Jahre vor Hatschepsut -,spielt und diesen Dynastiewechsel ebenfalls mit einem göttlichen Eingriff in Verbindung bringt. 9 Unter der Regierungszeit des Königs Cheops wird die Frau eines Priesters des Sonnengottes mit drei Kindern schwanger, als deren Vater der Gott selbst gilt und die dann nacheinander als die ersten drei Könige der
8 9
Vgl. dazu Brunner (21986); Assmann (1982); Brunner-Traut (196111988). Für eine neue Edition des Textes s. Blackman (1988); Übersetzung bei Brunner-Traut C1986).
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5. Dynastie den Thron besteigen werden. Das Element der Heilswende ist auch hier präsent. Es wird betont, daß die neuen, gottgezeugten Könige den Göttern Tempel bauen und Opfer darbringen würden: Offenbar haben die Könige der 4. Dynastie dies vernachlässigt. Außerdem wird Cheops als ein tyrannischer Despot geschildert, der den neugeborenen Königskindern nach dem Leben trachtet. Wir haben es hier bereits mit der typischen Pyramidenlegende zu tun, die aus der alle Kräfte des Landes in Anspruch nehmenden Riesengröße der Pyramiden auf eine gottvergessene Selbstbesessenheit der Bauherrn rückschließt. 10 Diese Geschichte paßt nicht in die Cheops-Zeit, in der sie spielt. Sie würde aber sehr gut in die Hyksos-Zeit passen. In diesen Jahrhunderten der Unterdrückung und der Fremdherrschaft können sich die Erinnerungen an das legitime pharaonische Gottkönigtum sehr wohl zu der gewissermaßen messianischen Idee eines Heilsbringers verdichtet haben, den der höchste Gott selbst mit einer irdischen Jungfrau zur Welt bringt. Der Zusammenhang von Unterdrückung und Messianismus hat sich durch Forschungen der letzten Jahrzehnte als geradezu universell nachweisen lassen. 11 Der Papyrus Westcar bezeugt, daß solche Ideen im Volke lebendig waren. Hatschepsut ist aber die erste, die diese Idee, wenn man so will, in "propagandistischer" Absicht, in das offizielle Königsdogma integriert und ihr dadurch zu ungeheurer Strahlkraft verhilft. Einen letzten Abglanz davon bekommen auch wir noch allweihnachtlich zu Gesicht. Denn über noch unbekannte Zwischenglieder laufen die Verbindungslinien bis zur Weihnachtsgeschichte im Lukas-Evangelium. 12 Den gemeinsamen Nenner dieser beiden schicksalswendenden Eingriffe Am uns in die Geschichte, auf die Hatschepsut ihren Anspruch auf das Königtum gründet, bildet die Vorstellung vom göttlichen Willen. Die Ereignisse entspringen göttlicher Planung und Entscheidung. Hatschepsut bringt diesen neuartigen Gottesbegriff auf die denkbar prägnanteste Formel, wenn sie Amun anruft als "du mein Vater, der alles Seiende ersinnt!" 13
Der Wille Gottes bezieht sich nicht etwa lediglich auf diese oder jene Einzelheit, z. B. daß niemand anderes als Hatschepsut den Thron besteigen soll, sondern schlechthin auf "alles, was ist". Die" Welt als Wille und Vorstellung", so könnte man mit Schopenhauer dieses Weltbild etikettieren: als Wille und 10 11
12 13
Vgl. Posener (1956), 10--13. Assmann (1982), 30m. n. 84. S. Laotemari (1960). Brunner-Traut (1961/1988). Lacau-Chevrier (1977), 99: jtj.j pw kJjw ntt nbt/ jst-pw mrt.n.k l)prl jrjj.j stiJ!t wfl..n.k .. 0 mein Vater, der alles Seiende ersinnt, was ist es, von dem du willst, daß es geschehe? Ich will es tun gemäß deinem Befehl!" Nach dem Denkmlll memphitischer Theologie sind die Schöpferwone "vom Herzen erdacht" (lcJj) und von der Zunge "befohlen" (wd.), s. Junker (1941) Z. 56 und 57. Vgl. auch Assmann (1983a), 227m. n. 121 und 230 n. 131.
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Vorstellung aber nicht des Menschen, sondern des Gottes. Die Welt entspringt dem Willen Gottes, und sein planendes Denken und Entscheiden hält sie in Gang und bestimmt ihren Lauf. Was wir hier vor uns haben, ist der Prozeß einer Emanzipation der Gottesidee aus den Bindungen des Kults und des Kosmos. Morenz (1964) sprach von der "Herabkunft des transzendenten Gottes", Brunner (1963) vom "freien Willen Gottes". Worauf es mir ankommt, ist der geschichts- und schicksalstheologische Aspekt dieses Prozesses. Die Geschichte und das persönliche Schicksal werden nun als Willensbekundung Gottes erfahren. Worauf es mir weiter ankommt, ist die Tatsache, daß dieser Prozeß in dieselben Jahrhunderte fällt, in denen auch die Geschichte Ägyptens eine andere Qualität und Bedeutung gewinnt. In demselben Maße, wie der Gott die gewohnten Dimensionen seines Wirkens überschreitet und in die Geschichte eingreift, überschreitet auch die ägyptische Geschichte ihre gewohnten Dimensionen und gewinnt einen "ökumenischen" Sinn- und Aktionshorizont. Meine These ist nun, daß dies beides zusammengehört und sich gegenseitig bedingt: der Einbruch der Geschichte als einerneuen Dimension der Gottesnähe in das ägyptische Gottes- und Weltbild auf der einen Seite und das Ausgreifen politischen Denkens und Handeins über die ägyptischen Grenzen hinaus in einen neuen Welt-Horizont auf der anderen Seite. Die Frage erscheint müßig, was hier Ursache und was Wirkung ist. Man kann die Auffassung vertreten, daß die Geschichte als eine Folge der Hyksos-Vertreibung "ökumenisch" wird und sich als solche mit einerneuen religiösen Bedeutung erfüllt. Ebensogut kann man aber auch die Auffassung vertreten, daß die Geschichte im Zusammenhang einer sich wandelnden Gottesvorstellung eine neue Bedeutung gewinnt und als solche expansiv wird und einen ökumenischen Horizont annimmt.
3. Der Mensch vor Gott Ich möchte nun zeigen, wie sich dieser neue Gottesbegriff, den die Inschriften der Königin Hatschepsut propagieren, auch in der Welt der normalen Menschen Bahn bricht. Nicht nur die Geschicke des Landes und der regierenden Dynastie, sondern auch das Schicksal des einzelnen hängen ab von Willen und Entscheidung der Gottheit. Ein Zeitgenosse der Hatschepsut, der Rekrutenschreiber Intef, bringt das auf die Formel: "(Gott ist) Vater und Mutter für den, der sich ihn ins Herz gibt, aber er kehrt sich ab von dem, der an seiner Stadt achtlos vorübergeht. Nicht kann in die Irre gehen derjenige, den er führt. " 14
14
ÄHG Nr. 75; Assmann (1983b), Nr. 165.
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Das ist ein ganz neuer Ton, der hier angeschlagen wird. Schauen wir uns diese neuartigen Wesensbestimmungen Gottes genauer an: "Vater und Mutter für den, der ihn sich ins Herz gibt": Gott ist alles, "Vater und Mutter" 15 , schlechthinnige Führung und Geborgenheit, aber nicht immer schon, als das schlechthin Gegebene, Umgreifende, dem man sich gar nicht entziehen kann, sondern als ein Partner, der gesucht, erforscht, "beherzigt" werden will und der durchaus verfehlt werden kann. Gott beherzigen, d. h. sich für Gott entscheiden und dieser Entscheidungtreu bleiben. Von solcher "Gottesbeherzigung" redet ein Ostrakon aus der Zeit Amenophis' II.: "Ich habe dich in mein Herz gegeben, weil du stark bist, ... (du) Beschützer, siehe, ich habe keine Angst mehr ... " 16
DerText ist zerstört, aber aus dem Erhaltenen wird deutlich, daß es sich bei solcher Gottesbeherzigung um eine Wirksamkeit, eine "Stärke" der Gottheit handelt, die nicht in Kult und Kosmos, sondern in der eigenen Existenz erfahren wird, als Schutz und Befreiung von Angst. 17 Ein anderer Zeitgenosse der Hatschepsut preist den Gott mit den Worten: "Er gibt Atemluft dem, der ihn anbetet, und macht trefflich die Lebenszeit dessen, der ,auf seinem Wasser handelt'. " 111
"Auf dem Wasser Gottes handeln": Mit dieser Formel beschreibt man die Handlungsweise und Lebensform dessen, der sich Gott ins Herz gegeben hat. Dem neuen Begriff des schicksalsbestimmenden Gottes, der sich dem einzelnen in freier Willensentscheidung zuwendet, entspricht der ebenso neue Begriff des Frommen, der sich für Gott entscheidet und für ein Leben "auf seinem Wasser", d. h. im Gehorsam gegenüber seinem überlegenen Willen.19 Dieser Begriff impliziert die Möglichkeit, sich auch gegen Gott zu entscheiden bzw. die Notwendigkeit dieser Entscheidung gar nicht zu Gesicht zu bekommen. Davon redet der nächste Vers: .,er kehrt sich ab von dem, der an seiner Stadt achtlos vorübergeht". Von den "Gottlosen" spricht auch Hatschepsut in einer anderen ihrer Inschriften und meint damit die Hyksos-Herrscher:
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Vgl. Kap. V, S. 100m. n. 25. oCairo 12 217 ed. Posener (1975), 206 f. Vgl. ähnlich das Bekenntnis des Kiki: "ich habe mir keinen Beschützer unter den Menschen gesucht, Gott (Amun, Mut usw.) ist mein Schützer" (ÄHG 173.12-13, vgl. ibd. 42 f., 62 f., 102 ff. und dazu Vemus (1978), ähnlich ÄHG tn, 5-11). ÄHG Nr. 83.~7; Assmann (1983b), Nr. 13. Zur Phraseologie der "Persönlichen Frömmigkeit" s. Assmann (1979c).
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"Ich habe wiedererrichtet, was abgerissen war von Anfang an, seit der Zeit, als die Asiaten in Avaris im Delta waren und ihre streunenden Horden das Geschaffene verwüsteten. Sie herrschten ohne Re, und er handelte nicht durch Gottesbefehl bis zu meiner Zeit." 20
Hier haben wir dieselbe Vorstellung einer Gegenseitigkeit menschlichen und göttlichen Handelns: Die Hyksos herrschen ohne Re, und Re handelt nicht durch Gottesbefehl, d. h. greift nicht in die Geschichte ein. Der Gottlose geht an Am uns Stadt achtlos vorüber, und Amun kehrt sich von ihm ab, d. h. greift nicht als Vater oder Mutter schützend, segnend, leitend in sein Lebensschicksal ein. Von solcher Leitung redet der letzte Vers: "nicht kann in die Irre gehen derjenige, den du (Gott) führst". Gott als Hirte, der den einzelnen leitet- ihn kennen auch die Gebetsostraka der Zeit: .,Amun-Re, du Hirte von jedermann, der da elend ist, er hat mein Leid aufgehoben, als er in Prozession auszog. " 21 .,Amun, du Hirte, der das Leiden des Elenden heilt." 22
Am Ende dieser Entwicklung faßt der großartige Hymnus der "Verbanntenstele" die "Theologie des Willens" in folgende Verse: Gewaltig an b3w, mächtiger ist er als Sachmet, wie in Feuer im Sturm; hoch an Gnade, der für den sorgt, der ihn preist, der sich umwendet, das Leid zu heilen, denn er blickt auf die Menschen, keiner ist, den er nicht kennt, und er hört auf Millionen von ihnen. Wer vermag deinem Zorn zu widerstehen, wer das Rasen deiner Gewalt abzuwenden? (ÄHG S. 70).
So kristallisiert sich aufbeiden Ebenen, der Ebene der königlichenTexte und der Ebene der Privatinschriften, ein neues Konzept von Geschichte bzw. Schicksal heraus, als eine Sphäre, in der göttliches und menschliches Handeln eng aufeinander bezogen sind. In dieser Sphäre handelt der Mensch vor Gott und muß sich vor Gott für sein Handeln verantworten; er muß seinen Willen darauf richten, "auf Gottes Wasser zu handeln", und muß darauf achten, diese Richtschnur nicht zu verfehlen. Das gelingt nur dem, der sich für Gott entschieden, sich "Gott ins Herz gesetzt hat". In dieser Sphäre handelt Gott, indem er den Menschen, der ihn sich ins Herz gesetzt hat, sicher geleitet, ihn wie Vater und Mutter behütet, sein Weinen hört, sein Leid wendet,
2o
21 22
Urk IV290; Gardiner (1946). Posener (1975), 202 f. Tf. 20. Posener (1975), 205 f. Tf. 20.
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seine Frömmigkeit belohnt und den Gottlosen straft. 23 Auch der König handelt in dieser Sphäre vor und für Gott, weiß sich von Gott beauftragt, geführt, belohnt und Gott gegenüber verantwortlich. 24
4. Einstieg in die Geschichte Wir haben es also nicht nur mit einem neuen Geschichts-, sondern auch mit einem neuen Gottes-, Königs- und Menschenbild zu tun. Das sind vier Aspekte ein und desselben Phänomens, das wir "den Einbruch der Geschichte" genannt haben. Man könnte auch von einem "Einstieg in die Geschichte" sprechen. Der Gott steigt in die Geschichte ein, indem er aufvielfältige Weise der Intervention Geschichte macht: Thronfolger zeugt, Orakel gibt, Siege verleiht, den Frommen belohnt. Der Mensch steigt in die Geschichte ein, indem er sie nicht als blinden Zufall, gegen den es sich zu schützen, sondern als eine Sphäre göttlichen Planens, Waltensund Entscheidens erkennt, in der es sich zu bewähren gilt. So macht er Geschichte, indem er sich in seinem Handeln als der Fromme erweist, der sich Gott ins Herz gegeben hat, Gottes Willen befolgt und sich "auf seinem Wasser", d. h. an seine Weisungen hält. Das bedeutet nicht nur eine Emanzipation Gottes, der aus den kultischen und kosmischen Eingebundenheiten heraustritt: Es bedeutet ebenso auch eine Emanzipation des Menschen. Als Partner der Gottheit in einer auf Willen. Entscheidung und Gegenseitigkeit beruhenden Handlungssphäre gewinnt er eine neuartige Bedeutung und Individualität. Es handelt sich um einen Vorgang allgemeiner Horizont- und Bewußtseinserweiterung. 23
24
Zur Vorstellung einer strafenden Intervention Gottes s. die ausgezeichnet dokumentierte Untersuchung von Borghouts (1982). Zu diesem Gottesbild vgl. etwa pLeiden 1344 vso V, 1-4 in der Übersetzung von Zandee (1975), 175 f.: Der sich nähert, der erhört, der freundlich ist, wenn man zu ihm ruft ... der kommt auf die Stimme dessen, der zu ihm spricht, der den Schwachen rettet vor dem Gewalttätigen. der die Waise aufzieht, ... Er verabscheut das Böse, er, der Rechtschaffene. der die Übeltäter vernichtet in jenem seinem Namen "Herr der Maat". Vgl. hierfür besonders den großen Hymnus Ramses' 111. ÄHG Nr. 196. Vgl. auch den Text der Stele KRI V, 239: Auf deinen Großen Namen vertraue ich, mit deinen Ratschlüssen erfülle ich mich und vollbringe dir Wohltaten mit liebendem Herzen. Du bist ein großer Herr, dem man vertrauen kann, ein Schützer, dem man sich nähern kann. Luft, Wasser und Leben sind in deinem Griff, Heil und Gesundheit stehen bei dir. Im pHarris bittet Ramses 111. den Gott: "sei mein Schützer!" (ÄHG Nr. 197, 15).
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Damit ist das Stichwort gefallen, das uns auf die Ausgangsthese zurückverweist: auf die These vom Strukturwandel der Geschichte zu Beginn der 18. Dynastie bzw., allgemeiner gesprochen, zu Beginn der jüngeren Bronzezeit, von der Entstehung der "Welt-Geschichte". Denn der Horizont dieses neuen Geschichtsbildes ist nicht mehr, wie früher, Ägypten als "die beiden Länder", die es zu vereinigen gilt, um auf Erden Frieden, Ordnung und gottgefällige Herrschaft einzurichten, sondern "die Welt", ägyptisch ausgedrückt durch Formeln wie "alle Flachländer und Bergländer" oder "alles, was die Sonne umkreist" 25 • Die anderen Länder bilden jetzt nicht mehr, wie früher, das Chaos, das außerhalb der geordneten Welt liegt und draußen gehalten werden muß, sondern sie bilden Partner und Konkurrenten der pharaonischen Herrschaft in einem gemeinsamen und umfassenden Horizont von-Götternbestimmter Geschichte. An dieser Stelle- spätestens- drängt sich jedoch eine Frage auf, der wir nicht länger ausweichen dürfen. Kannten die Ägypter überhaupt einen Begriff, den wir mit unserem Wort und Begriff "Geschichte" in Verbindung bringen dürfen? Dieser Begriff- und gar der Begriff "Weltgeschichte- ist ja auch bei uns erst verhältnismäßig neuen Datums. Wenn wir das nicht berücksichtigen, machen wir uns mit Recht des Vorwurfs einer unerlaubten Rückprojektion moderner Kategorien in die altägyptische Welt schuldig. Einen Begriff, den wir mit "Geschichte" übersetzen dürfen, kannten die Ägypter nicht. Es gab aber ein Wort, das soviel heißt wie "das Geschehende", "das, was sich ereignet". 26 Er bezeichnet freilich etwas ziemlich anderes als das, was unser Wort "Geschichte" besagt. Vor allem bezieht er sich mehr auf die Zukunft als auf die Vergangenheit. Es läßt sich aber an ihm genau jener Bedeutungswandel konstatieren, auf den es mir hier ankommt. Für die ältere Zeit ist "das Geschehende" eine Sphäre blinden Zufalls, deren Grenzen man nicht bestimmen kann, auf die jede Vorbereitung zwecklos ist. Allerdings hat Gott den Menschen den Zauber gegeben, um sich dagegen zu schützen, um wie es heißt, "den Arm des Geschehenden abzuwehren. " 27 Und in derTat hat man in dieser älteren Zeit magische Praktiken auch in der "Außenpolitik" eingesetzt. Unsere wichtigsten Quellen zum außenpolitischen Weltbild dieser Periode sind Tonscherben und Figurinen mit den Namen ausländischer Orte, Stämme und Fürsten, die man rituell gebannt und vernichtet hat. Für das Neue Reich aber ist "Das Geschehende" eine Sphäre göttlichen Planens und Wollens, es liegt, wie die Texte sagen, "in Gottes Hand", entspringt seinem
2~
26
27
Zibelius ( 1988). 126-28. Die Phraseologie ist älter als das NR. aber sie setzt sich erst jetzt in den offiziellen lnschrihen durch und gewinnt erst jetzt eine imperialistische Bedeutung. Vgl. Kemp (1978) und (1989), 183 ff. Vgl. Fecht (1972), 95 und 217. Merikare P 13fr37 vgl. Derchain ( 1987).
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Ka = seinem planenden Willen. "Dein Ka ist alles, was geschieht. " 28 Da kommt es nicht auf magische Praktiken an, sondern darauf, den Willen Gottes zu erkennen und zu erfüllen. Und dieserWille bezieht sich nicht auf Ägypten, sondern auf die ganze Welt. Denn dieser planende Gott ist kein anderer als derWeltschöpfer, der seine Schöpfung in Gestalt der Sonne umkreist, belebt, beleuchtet, gangbar macht und in Gang hält. Dieser Gott, der die Welt in ihrer Gesamtheit überblickt, verkörpert gewissermaßen den neuen welthistorischen Horizont. Er ist es, von dem sich die Könige des Neuen Reiches über die überkommenen Grenzen hinausgeführt wissen. So begründet z.B. Hatschepsut ihre Expedition nach Punt, sozusagen an den "Südpol" der damaligen Welt, mit dem Orakelgebot des Gottes: "Suche die Wege nach Punt! Erschließe die Wege zur Myrrhenterrasse! Führe das Heer auf dem Wasser und zu Lande!" Und er selbst macht ihr Mut mit folgenden Worten: "Ich gebe dir alle Länder und alle Fremdländer, worüber dein Herz froh ist. Ich habe es dir seit langer Zeit vorausgesagt, denn ich habe vorausbedacht, daß du mir Wohlgefälliges tun würdest. Ich gebe dir ganz Punt bis hin zu den Ländern der Götter, das Gottesland, das niemals betreten worden war, die Myrrhentcrrasse, die die Menschen bisher nicht gekannt hatten. Es ist zwar so, daß man hört, was von Mund zu Mund ging in den Gesprächen der Vorfahren, daß man Wunderdinge brachte von dort unter deinen Vätern, den Königen, aber es hat sie keiner erreicht außer deinen Kundschaftern. Ich aber werde sie von deinem Heer betreten lassen, nachdem ich es auf dem Wasser und zu Lande geführt und die geheimen Wege für es erschlossen habe. Ich habe die Myrrhenterrasse betreten; es ist ein besonderes Gebiet des Gotteslandes, denn es ist mein Platz der Erheiterung. Ich habe es für mich geschaffen. um mich zu erfreuen zusammen mit deiner Mutter Hathor, der Herrin von Punt. " 29
Was hier in aller Deutlichkeit hervortritt, ist der Begriff eines göttlichen Bewußtseins und Gesichtskreises, der sowohl .,alles Geschehende" von Ewigkeiten her, als auch alle Länder und Grenzen umfaßt. 30 Das entspricht zwar nicht unserem Begriff der Weltgeschichte, aber es ist die als solche durchaus neuartige Vorstellung eines Totalhorizonts in Raum und Zeit, auf den auch unsere Begriffe "Welt" und "Geschichte" abheben. Dies ist es, was ,.Ägyptens Aufstieg zur Weltmacht" geistes-. bewußtseins- und religionsgeschicht-
28
29 JO
Theben, Grab 23 = ÄHG 98; Assmann (1983b), Nr. 17. S. 18-23 vgl. KRI II. 346.8 (Luxorin· schritt Ramses' 11.): k.J.f wnnt nbt "Sein Ka ist alles, was existiert"; pLeiden J 350, V, 17: k3.f wnnt nbt jmj r3.f "Sein Kaistalles Seiende als Ausspruch in seinem Munde". In der Heiratsstele Ramses' II. heißt es .. wd..n.k pw I.Jprwt nbwt .. Was du befohlen hast, ist alles, was geschieht" = "Alles, was geschieht, geschieht auf deinen Befehl" (KRill, 249.10). Urk IV 342. "Die Ewigkeit steht vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist". lesen wir in zwei ägyptischen Texten, in Vorwegnahme von Psalm 90 Vers 4 ("Tausend Jahre sind vor dir wie der Tag. der gestern vergangen ist"), vgl. hierzu Assmann (1975b). 67-9.
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lieh entspricht. Ohne einen solchen bewußtseinsgeschichtlichen Aufschwung hätte auch der politische Aufstieg kaum gelingen können. Wir sehen also, daß dem politischen Universismus, der nicht mehr in den Grenzen Ägyptens, sondern in den Grenzen der Ökumene denkt, ein religiöser Universismus entspricht, nämlich die Vorstellung eines Gottes, dessen Schöpfung und Herrschaftsgebiet die ganze Erde ist und der auch dort herrscht, wohin nie eines Ägypters Fuß gedrungen ist. Das ist der Sonnengott, von dem Thutmosis Ill. sagt, daß er "Himmel und Erde kennt, und die Erde in ihrer Gesamtheit überblickt in einem Augenblick". 31 Diesen Gott läßt Thutmosis 111. nun folgendermaßen zu sich sprechen: "Ich bin dein herrlicher Vater, der Herr der Götter. Ich habe den Kriegsruf deiner Majestät in alle Fremdländer getragen und verbreite deinen Ruhm und die Furcht vor dir in allen Ländern und den Schrecken vor dir bis hin zu den vier Stützen des Himmels. Ich habe den Respekt vor dir in jedem Leib groß gemacht. Die Neunbogenvölker verbeugen sich vor dir dort, wo du bist, und die Fürsten jeden Fremdlandes sind zusammengefaßt in deiner Faust. Sie kommen demütig, weil die Angst vor dir so groß ist. Ich bringe dir die Barbaren Nubiens zu Zehntausenden und Tausenden und die Asiaten zu Hunderttausenden als Gefangene, durch die Macht Amuns, deines herrlichen Vaters. Ich lasse deine Widersacher unter deine Sohlen fallen. Du hast die Aufsässigen niedergeschlagen, weil ich dir die Erde in ihrer Weite und Breite zugewiesen habe. " 32
Diese Worte können uns einen Eindruck davon vermitteln, daß die Welt mit dem "Einbruch der Geschichte" nicht unbedingt friedlicher geworden ist. Zwischen Universismus und Imperialismus gibt es Zusammenhänge. Noch in der späten Bronzezeit sind wir aber weit entfernt vom Zeitalter des Imperialismus im eigentlichen Sinne, dem Zeitalter der wirklich weltumspannenden Großreiche. Dieses Zeitalter beginnt erst in der Eisenzeit und zwar mit dem neuassyrischen Reich des 9.-7. Jh. v. Chr. Dann erst verbindet sich der Begriff eines ökumenischen Welthorizonts, noch immer religiös bestimmt als Gesichtskreis und Herrschaftsbereich eines Gottes, mit dem Imperativ zur Unterwerfung, Eroberung, Weltherrschaft. In der Zeit der Hatschepsut undThutmosis' Ill. begnügt man sich noch mit der Fiktion weltweiter Anerkennung der Oberhoheit Amuns und seines irdischen Statthalters Pharao. Handelsbeziehungen, Geschenke, diplomatische Heiraten usw. lassen sich mühelos in die Terminologie der Unterwerfung übersetzen und als Tributzahlungen und Gnadengesuche deklarieren. Erst der Aufstieg der Neuassyrer zur Weltmacht bringt einen ganz neuen Stil zur Geltung. Im Zeichen des Gottes Assur und seiner Weltherrschaft werden jetzt ganze Länder
31 32
Urk IV 751. Urk IV 620 f.
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verwüstet, Stadt um Stadt zerstört, alte heilige Zentren ausgelöscht, Völker ausgerottet oder deportiert oder gewaltsam unterworfen und mit Terror, Massenhinrichtungen und schweren Tributen unterdrückt. 33 Das Signum dieser aggressiven Reichsideologie, die sich von den Assyrern auf die Babylonier, Perser, das Alexanderreich und das Römische Reich vererbt, ist die Paradoxie eines brutalen Militarismus im Zeichen des Friedens. Das Fernziel dieser gewalttätigen Eroberungspolitik ist die Errichtung eines Friedensreiches, in dem alle Völker die Weltherrschaft des einen Gottes und seines irdischen Statthalters anerkennen und in dem es keine Außenpolitik, sondern nur noch Innenpolitik geben wird. In diese nicht abreißende Kette aggressiver Weltreiche gehört Ägypten noch nicht hinein. Die Weltmacht, zu der Ägypten im Neuen Reich aufsteigt. bedeutet nicht Herrschaft über die Welt, sondern Herrschaft innerhalb einer Welt, die nun nicht mehr einfach Ägypten gleichgesetzt, sondern als ein Erdkreis vieler Völker und Länder konzipiert wird: Schauplatz der Geschichte und zugleich Gesichtskreis eines Gottes, der das alles in seiner Vielheit und Verschiedenheit erschaffen hat und mit seinem erhaltenden Willen in Gang hält. Aber wenn Ägypten in seinem Aufstieg zur Weltmacht nicht verwechselt werden darf mit den oppressiven Weltreichen der Antike und ihren bis heute nachwirkenden Reichsideologien, so ist doch nicht zu verkennen, daß hieretwas seinen Anfang nimmt, das- nach zahlreichen Verschiebungen und Wandlungen- auf die spätere Reichsideologie hinführt. Gerade das macht diese Epoche so interessant und ihre Erforschung so wichtig. Denn erst wenn man die Ursprünge und Anfänge einer Idee versteht, wird man auch Wege finden. sie zu überwinden und endgültig zu verabschieden. Und daran dürfte wohl kein Zweifel bestehen, daß die imperialistische Idee zur Verabschiedung ansteht. Der Weg zum Weltfrieden kann weder über die Bekehrung oder Auslöschung, noch über die Einschüchterung und Abschreckung des anderen führen. Wir sind heute am Ende dieser Art von Geschichte angekommen. Da mag es hilfreich sein, sich auf die Anfänge zu besinnen.
33
Vgl. hierzu Röllig (1986).
XII. Die Entdeckung der Vergangenheit Innovation und Restauration in der ägyptischen Literaturgeschichte 1. Kinder und Greise- das "Vergangenheitsbewußtsein" der ägyptischen Sp~~zeit im Spiegel der griechischen Oberlieferung Als Hekataios von Milet Ägypten Endes des 6. Jhs. v. Chr. bereiste, so berichtet Herodot im 143. Kapitel seines Ägyptenbuchs, sei er auch nach Theben gekommen und habe den dortigen Priestern seinen Stammbaum aufgezählt. Der 16. Ahn, so behauptete er, sei ein Gott gewesen. Daraufhin haben die Priester ihm im Tempel 345 Statuen gezeigt von Hohepriestern, die alle, der Sohn auf den Vater, einander im Amt gefolgt seien. 345 Generationenund doch kein Gott am Anfang! 1 Eine ähnliche Erfahrung mit dem ägyptischen Anciennitätsbewußtscin hat, Platons berühmter Erzählung im limaios zufolge, Solon im ägyptischen Sais gemacht. Um die dortigen Priester dazu zu bringen, ihm ihr geschichtliches Wissen mitzuteilen, habe er sie mit griechischen Urzeitgeschichten unterhalten und anhand genealogischer Berechnungen das Alter der Flut, Deukalions und Pyrrhas zu bestimmen versucht. Da habe ein Priester ausgerufen: "0 Solon, Solon, ihr Hellenen bleibt doch immer Kinder, und einen alten Hellenen gibt es nicht!" Und er erklärt dem erstaunten Griechen, daß sich in Ägypten die urälteste Überlieferung ungestört erhalten habe, während überall sonst auf der Erde durch periodische Katastrophen das Wissen vernichtet worden sei und die Kultur immer wieder von vorn beginnen mußte; darauf folgt der Mythos von Atlantis, als ein in Ägypten bewahrtes Stück griechischer Vorgeschichte, das in Griechenland selbst untergegangen ist. 2 Für uns beginnt zwar Geschichtsschreibung - und damit doch auch ein entsprechendes Geschichtsbewußtsein - erst mit den Griechen. Die Griechen selbst aber empfanden sich im Vergleich zu den Ägyptern als ein geschichtsloses Naturvolk, dessen kurzes Gedächtnis mythisch geprägt war, während ihnen die Ägypter mehrere Jahrtausende schriftlich fixierter mythcnfreier Geschichte vorweisen konnten. 3 1
1
Vgl. hierzu Kaiser, W. (1967), bes. S. 107; Kaiser. M. ( 1969); zu Herodot und Hekataios s. Lloyd, A. 8. ( 1975). Plato, lim. 22 de; vgl. zur Rekonstruktion des platonischen Geschichtsbildes und seiner Katastrophentheorie Bollack, J. {1971), S. 90-93. Zur Genealogie als Grundform des ,.Geschichtsbewußtseins schriftloser Völker" vgl. Schott, R. {1968). Die Darstellung des Alters der ägyptischen Geschichte in den Kapiteln 142-144 seines Ägyptenbuches ist auch von Herodot deutlich als Herausforderung zur Entmythologisierung des griechischen Geschichtsbewußtseins gemeint.
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Auf 10000Jahre- "und zwar ganzgenau, und nicht wie man so sagt, 10000 Jahre"- beziffert Platon in einer anderen seiner "ägyptischen Geschichten" das Alter der pharaonischen Kultur. 4 In diesen 10 000 Jahren habe sich dort der künstlerische Stil nicht im mindesten verändert, weil man es rechtzeitig verstanden habe, "alles, was zur Musenkunst gehört" (also Dichtung, Malerei, Skulptur, Baukunst, Gesang, Tanz usw.) auf Regeln zu bringen und diese Regeln zum Gesetz zu erheben. Neuerungen waren bei Strafe verboten. Im gleichen Zuge also, in dem er der ägyptischen Kultur das höchste Alter zuerkennt, spricht Platon ihr eine eigentliche Geschichte ab (Piaton, Legg. 656 de). Vom ägyptologischen Standpunkt aus mutet das alles höchst fabelhaft an. Weder gab es in Theben 345 Generationen von Hohenpriestern -wenn auch tatsächlich der Vorhof des Amuntempels von Statuen aller Art übervölkert war5 -, noch wird man inSaisetwas von Ur-Athen und Atlantis gewußt haben.6 Auch kann keine Rede davon sein, daß der ägyptische Proportionskanon {hierzu: Iversen, E., 1975; Müller, H. W., 1973) auf einer staatlich verordneten Gesetzgebung beruht. Aber das soll uns hier auch gar nicht interessieren. Entscheidend ist für uns nur die Frage, ob sich in solchen Anekdoten nicht etwas vom genuinen Eigenverständnis der spätzeitliehen ägyptischen Kultur widerspiegelt, das Geschichts-, oder sagen wir vorsichtiger: das Vergangenheits- und Spätzeitbewußtsein eines Volkes, das inmitten einer von uralten Monumenten und Traditionen überfrachteten Welt lebte und seine sorgfältig redigierten Königslisten lückenlos bis in die Reichsgründung um 3000 v. Chr. zurückführte und darüber hinaus über vorgeschichtliche Herrscher in die mythischen Regionen von Halbgöttern und Göttern bis zur Weltschöpfung. Diese Frage aber müssen wir uneingeschränkt bejahen. Das Bewußtsein von ungeheurer Vergangenheit spielte in der spätägyptischen Mentalität in derTat eine zentrale Rolle. Man durchforschte die Archive, kopierte jahrtausendealte Denkmäler und Texte, und das alles im Bestreben, an die Normen des Ursprungs anzuknüpfen und möglichst nah an die Schöpfung heranzukommen; man könnte auch sagen: aus der Angst heraus, den Kontakt mit der uralten Tradition und damit eine kulturelle Identität zu verlieren, die in den Jahrhunderten der Fremdherrschaft naturgemäß immer gefährdeter war (vgl. hierzu Brunn er, H., 1970; Nagy, I., 1973). Die spätzeitliche Kunst ist regeltreuer, stereotypisierter, ja: ritualisierter als jede Kunst vorher. Auch das religiöse Leben ist von einem in dieser Form früher unbekannten Ritualismus 4
5 6
Bei Herodot umfaßt die ägyptische Geschichte einen Zeitraum von 341 Generationen, den er auf 11 340 Jahre berechnet (11142, 1-3). Ca. 800 Statuen und Statuetten verschiedenen Typs hat Georges Legrain 1903/4 in der .. Ca· chette" vor dem VII. Pylon gefunden. Eine Darstellung des Atlantis-Problems aus ägyptologischer Sicht gab zuletzt Griffiths, J. Gw. (1983).
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geprägt. Gewiß lebten diese Menschen im Bewußtsein, die "Vertäuung ihres Seins zu modifizieren" (J. Lacan, zit. nach N. W. Bolz in: Nassen, U., (Hg.), 1979, S. 79), wenn sie etwas änderten an den Formen, die ihnen von den vergangeneo Jahrtausenden überkommen waren. In der Mentalität des spätzeitliehen Ägypten verband sich auf paradoxe Weise die mythische "Sehnsucht nach dem Ursprung" und Aversion gegen die Geschichte (vgl. hierzu v. a. Eliade, M., 1966, bes. S. 34-45) mit einem in der damaligen Welt einzigartigen Überblick über eine ganz unmythische historische Vergangenheit. Ein treffendes Beispiel sind die Bauinschriften der ptolemäischen Tempel. Da konnte etwa höchst exakt angegeben sein, daß dieser Neubau an der Stelle eines "Vorfahren" aus der Zeit Thutmosis III. (um 1450 v. Chr.) steht, der seinerseits einen Tempel aus der Zeit des Cheops (um 2650 v. Chr.) erneuerte (vgl. Teichmann, F., 1978, S. 192). Andererseits erfährt man aber auch, daß der Tempel auf dem "Urhügel" steht, dem Ort, der am Anbeginn der Welt zuallererst aus den Fluten auftauchte, und daß das vom Schöpfergott selbst errichtete Gotteshaus sich in einer lückenlosen Kette wiederholter Erneuerungen bis hin zum heutigen Tempel erhalten habe, dem nach wie vor der heilige, in den Archiven verwahrte und von den Göttern in der Urzeit geoffenbarte Bauplan zugrunde liegt (für den Tempel von Edfu ausführlich aufgearbeitet von Reymon~. E. A. E., 1969). Im "Aitertumskult" dieser Epoche verbanden sich historisches und mythisches Wissen, verbanden sich eine eklektizistische Rückwendung zu verschiedenen Formen und Stilen der Vergangenheit mit einer mythischen Nostalgie nach dem Goldenen Zeitalter, die zuletzt sogar in Apokalyptik umschlagen konnte. 7
2. Ramessidische Geschichtskodifikationen Sicher trifft die herkömmliche Deutung das Richtige, die diese Vergangenheitsfixierung des spätzeitliehen Ägypten mit der Erfahrung der Fremdherrschaft, d. h. dem Leiden unter einer defizienten Gegenwart, in Verbindung bringt. Fragen wir aber nach den Ursprüngen dieses retrospektiven Geschichtsbewußtseins, dann werden wir auf eine Epoche verwiesen, in der Ägypten auf dem Höhepunkt seiner politischen Macht stand und seinerseits weite Gebiete außerhalb seiner angestammten Grenzen beherrschte. Ich meine die Ramessidenzeit, genauer die Jahrzehnte von ca. 13~1220 v. Chr. Aus dieser Zeit stammen die großen Versuche einer umfassenden Kodifizierung der Geschichte: der Turiner Königspapyrus sowie die monumentalen Königslisten aus Karnak, Abydos und Saqqara (Gardiner, A. H., 1959; Wildung, D., 1969; 1974). Aus dieser Zeit stammen Zeugnisse einer Verehrung der drei "Reichsgründer" Menes, Mentuhotep und Ahmose, die auf eine 7
Vgl. Kakosy, L. (1964a); (1964b); Otto, E. (1969); hier, Kap. X.
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Epochengliederung der ägyptischen Geschichte verweisen, wie wir sie noch heute in den drei "Reichen", dem Alten, Mittleren und Neuen Reich, verwenden und von da auf die gesamte vorderasiatisch-mediterrane Chronologie ausdehnen mit ihrer Einteilung in eine Frühe, Mittlere und Späte Bronzezeit (Ranke, H., 1931; Wildung, D., 1969, S. 12 mit weiterer Literatur). In dieser Zeit wird man sich der jahrtausendealten Denkmäler bewußt8 , in deren Mitte man bis dahin gelebt hatte, offenbar ohne besondere Notiz von ihnen zu nehmen (vgl. Hornung, E., 1982c). Jetzt werden in einer umfangreichen Aktion die memphitischen Denkmäler des Alten Reiches restauriert, geleitet von dem königlichen Prinzen Chaemwese, dem ersten Archäologen und Denkmalspfleger, den die Geschichte kennt (Gomaa, F., 1973, bes. S. 61-69). Und aus dieser Zeit stammen schließlich auch zwei Denkmäler, die man als Kodifikationen speziell literaturgeschichtlicher Überlieferung ansprechen kann. 9 Das erste Denkmal ist eine Weisheitslehre, die uns das Verso des Papyrus Chester Beatty IV aus der 19. Dynastie überliefert hat. Es handelt sich um eine Werbeschrift zur Erlernung des Schreiberberufs, die sich an die fortgeschritteneren Adepten der Schreibkunst wendet. Bücher, so wird dort argumentiert, eröffnen einen wesentlich sichereren Weg zur Unsterblichkeit als bronzene Pyramiden und eherne Grabstelen. Acht Namen alter Autoren, paarweise angeordnet, sollen diese These einer literarischen Unsterblichkeit belegen: Gibt es hier einen Djedefhor? Gibt es einen zweiten Imhotep? Unter uns lebt kein Neferti oder Cheti, ihr aller Oberhaupt. Ich nenne dir nur Ptahemdjehuti und Chacheperreseneb. Gibt es einen zweiten Ptahhotep oder Kaires?
Diese Achtheit, deren Namen der ägyptische Schüler bei der Gelegenheit auswendig lernen mußte, nennt die Gründungsheroen der ägyptischen Weisheitsliteratur. Drei Punkte frappieren an dieser literaturgeschichtlichen Konzeption: 1. Die Konfrontation von Altertum und Gegenwart. Zwar ist eine gewisse Orientierung am Alten für die ägyptische Kultur typisch. Wenn etwas Ungewöhnliches vorgekommen ist, befragt man die Annalen nach Präzedenzfällen in der Vergangenheit. Wenn etwas Neues begonnen werden soll, durchforscht man die Archive, um an möglichst alte, der Schöpfung nahestehende 8
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Das geht v. a. aus den zahlreichen Besucherinschriften, die sich seit dieser Zeit in ägyptischen Denkmälern finden, hervor; s. dazu Helck, W. (1952). Vgl. hierzu Assmann, J. (1985). Für alle Einzelheiten der folgenden Argumentation, die deren ägyptologische Materialbasis betreffen, wird der interessierte Leser auf diese Arbeit verwiesen. Dort gegebene Quellenverweise werden hier nicht wiederholt.
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Vorbilder und Modelle heranzukommen. Hier aber wird das Alte in die Distanz einer uneinholbaren Vergangenheit gerückt, mit der das Neue dem Vergleich nicht standhält. Darin äußert sich ein neuartiges Epochenbewußtsem. 2. Die ausgeprägte Individualisierung der literarischen Überlieferung in "Werke" und "Autoren", die der grundsätzlichen Anonymität der ägyptischen Literatur und Kunst kraß entgegensteht. Hier allerdings bildet die Weisheitsliteratur schon immer eine Ausnahme. Lehren verbinden sich in Ägypten schon immer mit namentlich genannten Autoritäten, um die moralische Verbindlichkeit der Weisheit zu verbürgen. 3. Die Denkmalfunktion des literarischen Werkes. Dieses horazische "aere perennius" überrascht in einem ägyptischen Text. Bislang waren die Möglichkeiten individueller Verewigung auf das Grab beschränkt. Jetzt wird die Institution des monumentalen Grabes als des einzigen Weges zur Unsterblichkeit übertrumpft, ja entwertet durch die Literatur. Gräber, so heißt es, verfallen und verschwinden. 10 Einzig das literarische Werk macht seinen Autor unsterblich (vgl. Kap. VII, S. 173 ff.). Das zweite Denkmal ramessidischer Literaturgeschichte besteht aus zwei reHefierten Kalksteinblöcken aus einem Grab in Saqqara, derselben Nekropole, in der auch eine der berühmten Königslisten gefunden wurde. Es gehört zur selben Gattung retrospektiver Geschichtskodifizierung wie diese, listet aber anstelle von Königen berühmte Beamte und Priester der Vergangenheit auf: Wesire und Hohepriester in der oberen Reihe, Priester niederen Ranges im unteren Register. Unter diesen finden wir vier der acht im Papyrus erwähnten Namen wieder, Kaires und Imhotep unter den Wesiren, Chacheperreseneb und Cheti unter den Priestern. Dazu kommt hier noch in einer horizontalen Trennzeile der Name des Sängermeisters I pu-Wer, der angebliche Autor einer unter dem Namen "Admonitions" bekannten politischen Klage. Beide Quellen illustrieren den typisch ramessidischen Zugang zur Geschichte: Kodifizierung und Kanonisierung. Kodifizierung, die gegliederte Liste, ist die spezifisch schriftliche Form der Wissensverwaltung (im Sinne von Goody, J., 1977). Kanonisierung, die Personifizierung der Vergangenheit, ist die selektive Personalisierung dieses Wissens in Gestalt eines Pantheons von Unsterblichen. Dadurch wird die Tradition nicht einfach weitergeführt, sondern gleichsam auf einen Sockel gestellt. In der Verehrung, mit der diese Zeit sich der Vergangenheit zuwendet, äußert sich zugleich ein Bruch und das Bewußtsein des Abstands. Die Präsenz des Vergangenen ist nicht eine Folge ungebrochener Weiterführung und Fortsetzung, sondern einer be-
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Dasselbe Thema findet sich in der ., Vergänglichkeitsklage" der zeitgenössischen Harfnerlieder; vgl. dazu Assmann, J. ( 1977a), sowie Kap. 8.
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wußten selektiven Wiederaufnahme und Nachfolge. 11 Diese "Piedestalisierung" der Vergangenheit nennen wir Klassizismus. Eine Epoche wird zur Klassik durch den klassizistischen Rückgriff einer späteren Periode. Der Klassizismus der Späteren hebt das Ältere auf das Piedestal der Klassik.
3. Klassik als Zweitsprachen-Lehrstoft Darum spricht man gerne von einer "Klassik" mit Bezug auf jene Literatur, die von der Ramessidenzeit kanonisiert und piedestalisiert wurde. Läßt sich nun aber auch die Ramessidenzeit als Klassizismus verstehen? Dafür wollen wir einen Blick auf die literarische Praxis dieser Zeit werfen. Fragen wir zunächst nach den spezifischen Formen, in denen die alten Texte in der Ramessidenzeit bekannt waren. Zwei Überlieferungsformen lassen sich klar unterscheiden: 1. Das vereinzelte, wenn auch nicht notwendig einmalige Vorkommen eines alten Textes auf einem Papyrus oder einer Schreibtafel des Neuen Reichs, und 2. Das mehr oder weniger massenweise Vorkommen eines alten Textes auf Papyrus und vor allem Ostraka der Ramessidenzeit. Die erste Form ist schon für die 18. und auch nach der 20. Dynastie bezeugt, während die zweite auf die 19. und 20. Dynastie beschränkt ist. Die erste Form zeichnet sich durch eine überdurchschnittliche Textqualität aus. Hier handelt es sich um getreue Kopien schriftlicher Vorlagen, fast ohne jene typischen Korruptelen, die sonst das untrügliche Kennzeichen eines verständnislosen oder eigenmächtigen Umgangs mit dem Text darstellen. Die zweite Form überliefert einen einzelnen Text in mehreren Papyri und ca. 70-150 Ostraka von durchweg schlechter bis hoffnungsloser Textqualität. Wir haben es mit Schreibübungen im Schulunterricht zu tun. Einzelne Abschnitte bekannter Texte wurden ohne Rücksicht auf Sinnzusammenhang auswendig gelernt und aus dem Gedächtnis niedergeschrieben. Der Traditionsbruch ist hier unverkennbar. Er besteht in der Umfunktionierung alterTexte zur praktischen Verwendung im Schreibunterricht. Die Kinder haben aber an diesen Texten offenbar noch etwas anderes gelernt als schreiben: eine Sprache, nämlich das spezifische Idiom, das wir heute als "literarisches Mittelägyptisch" bezeichnen. Die Ramessidenzeit ist die erste Epoche in der ägyptischen Kulturgeschichte, die bewußt zweisprachig ist ( vgl. hierzu Junge, Fr., 1985b). Die Diskrepanz zwischen Schriftsprache 11
Der Begriff der •• Nachfolge" gilt aber nur, wie gleich zu zeigen sein wird, mit erheblichen Einschränkungen. Überhaupt scheint hier eine Dialektik im Spiel, die eine vergleichende Untersuchung lohnen würde. DieTradition wird im gleichen Maße als .,Vergangenheit" interessant, wie man sich von ihr löst.
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und Umgangssprache ist zwar langsam gewachsen und war vermutlich schon während der 18. Dynastie nicht wesentlich geringer als unter der 19. Bis dahin aber ist dieser Abstand nicht als Zweisprachigkeit realisiert worden. Die Umgangssprache galt als Dialekt, als vulgäre Variante der Schriftsprache, die als Literatur- und Inschriftensprache nach wie vor die einzig denkbare und insofern lebendig war. Erst die revolutionäre Amarnazeit am Ende der 18. Dynastie hat mit ihrem Versuch, die Umgangssprache zu verschriften, die Wende zur Zweisprachigkeit eingeleitet, die die Ramessidenzeit dann bewußt vollzogen hat. Mit der Anerkennung des Neuägyptischen als Schriftsprache neben dem Mittelägyptischen werden beide Sprachstadien als eigenständige, wenn auch natürlich verwandte Sprachen aufgefaßt. Ihr Unterschied wird jetzt nicht mehr als "hoch" und "niedrig" beziehungsweise "gebildet" und "vulgär" interpretiert, sondern als die alte und die neue Sprache, ähnlich wie Latein und Italienisch im Hohen Mittelalter. Nicht durch einen langsamen Verknöcherungsprozeß, sondern durch einen reformatorischen Eingriff des Schul- und Bildungswesens wird das Mittelägyptische zur Zweitsprache und der Übergang zur Zweisprachigkeit ruckartig, in der Form eines Traditionsbruchs, vollzogen. Diese bildungsreformatorische Aufspaltung der Kultur in das Alte und das Neue, in "Klassik" und "Moderne", bestimmt die Ramessidenzeit in all ihren Äußerungen. Im Gefolge ihrer Zweisprachigkeit entwickelten die Ramessiden eine Art ZweiZeitigkeit, die Unterscheidung von Altertum und Gegenwart. Im Laufe der fortgesetzten Anstrengung, das Mittelägyptische als zweite Sprache zu lehren und zu lernen, erwarben sie sich ein ganz neues Epochen- und Geschichtsbewußtsein. Diese Epoche hat sich erstmals als ein neues Zeitalter in Gegenüberstellung zum Altertum gesehen und aus diesem Eigenverständnis heraus ihre Ansätze zu einer kodifikatorischen Geschichtsverarbeitung und restaurativen Vergangenheitspflege entwickelt.
4. Der Modernismus der ramessidischen Literatur Solche Kanonisierung macht eine Epoche aber noch nicht zu einem Klassizismus. Entscheidend dafür ist, in welchem Maße sie die kanonisierte Tradition zur maßgeblichen Norm ihrer eigenen Kunst erhebt. Wie steht es nun mit der literarischen Produktion der Ramessidenzeit? Folgt sie dem Vorbild der kanonisierten Klassiker, oder geht sie eher eigene Wege? Die ramessidische Literatur läßt sich - und dies zum ersten Mal in der ägyptischen Literaturgeschichte- grob einteilen in edukative, unterhaltende und lyrische Texte. Von diesen Gruppen führt nur die edukative Literatur traditionelle Modelle fort. Der unterhaltende Zweig dagegen erschließt sich ganz neue literarische Möglichkeiten. Die Literatur der "klassischen" Epoche des Mittleren Reiches hatte noch keine eigentlich unterhaltenden Gat-
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tungen entwickelt. Sogar die erzählenden Texte hatten vornehmlich moralistischeAnliegen zu vermitteln. 12 Nach dem Mittleren Reich läßt sich zwar ein unverkennbares Crescendo der unterhaltenden Komponente beobachten, aber erst die Ramessidenzeit führt zu einer geradezu explosiven Entfaltung dieses Elements. Ich möchte die charakteristischen Merkmale dieses neuen Erzählstils kurz charakterisieren. 13 Alle weisen sie auf eine besondere Nähe zur mündlichen Überlieferung hin: 1. Das Vorherrschen typisch oraler Gattungen wie Mythos und Märchen; 2. Die Ubiquität der Motive und Stoffe; 3. Die Kongruenz von Handlungschronologie und Erzählabfolge; 4. Die Sorglosigkeit der Ausformulierung; 5. Die Kunstlosigkeit der Sprache; 6. Formelhaftigkeit und Repetition; 7. Seltener und erratischer Gebrauch temporaler und lokaler Spezifizierung; 8. Das Fehlen von Paralleltexten, woraus hervorgeht, daß diese Texte eher nach dem Gedächtnis als nach der schriftlichen Vorlage niedergeschrieben werden; 9. Die Existenz von Illustrationen zu ungeschriebenen Texten, die auf ihren Ort in der mündlichen Überlieferung verweist. Alle diese (und viele andere) Merkmale stehen in schärfstem Gegensatz zur älteren Literatur. Die Texte des Mittleren Reiches sind arm an folkloristischen Zügen und ganz aus dem Geiste der Schrift geboren. Ich kann das hier nicht eingehend erörtern 14 und verweise nur, um den Kontrast zu verdeutlichen, auf einige charakteristische Merkmale: 1. Kunstvolle Rahmen, die den Text dramatisch situieren und sein Zur-Sprache-Kommen, teilweise sogar seine schriftliche Aufzeichnung motivieren; 2. Wortschatz und Formenreichtum; 3. Realistische, zumindest detaillierte Spezifizierung der Vorgänge in Raum und Zeit; 4. Das daseinsreflexive Niveau, die Zugehörigkeit sämtlicher, auch der erzählenden Texte, zum "moralistischen Diskurs". Auch für die dritte Gruppe der ramessidischen Literatur, die Lyrik, gilt die Verankerung in Sprechsitten und Brauchtumsgestalten der Folklore. 15 Die Liebeslieder, die an das Hohelied Salomonis, und die Harfnerlieder, deren pessimistischer Klang an Kohelet erinnert. haben eine gemeinsame Wurzel in der Gelagepoesie. Die verschiedenen Typen lyrischer Gebete der "Persönlichen Frömmigkeit" haben einen gemeinsamen Fundus von Phrasen, Aus12
13
14 15
Moralistik im Sinne von Balmer, H. P. ( 1981 ), der aufS. 30 f. eine sehr treffende Charakteristik der ägyptischen Literatur des Mittleren Reiches gibt. Zum Einzelnen vgl. Assmann. J. ( 1985). Ich verweise für alle Einzelheiten nochmals auf Assmann, J. (1985). Vgl. hierzu Kap. VII. Die beste Anthologie dieser Lyrik: Schott, S. (1950). Zur Liebeslyrik vgl. ferner Hermann, A. (1959); zu den Harfnerliedern s. Kap. VIII, A.2.
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drücken und Vorstellungen, der auch für diese Texte einen Ursprung in der mündlichen Überlieferung nahelegt. Allgemein und zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Literatur der Ramessidenzeit sich in gleichem Maße stilistisch und thematisch der Volksüberlieferung annähert, wie sie sprachlich der Umgangssprache nahesteht. Damit aber hebt sie sich scharf gegen die ältere literarische Tradition ab.Dieselbe Epoche, die die traditionelle Literatur kanonisierend auf das Piedestal einer Klassik hebt, verhält sich in ihrer eigenen Produktion keineswegs klassizistisch, sondern geht entschieden eigene Wege. Dasselbe gilt bekanntlich für die bildende Kunst. Auch auf diesem Gebiet ist die Ramessidenzeit die am wenigsten traditionelle oder, positiv ausgedrückt, die modernistischste Periode der ägyptischen Kunstgeschichte. Der "Modernismus" der Ramessidenzeit wird erst dann ganz deutlich, wenn man die folgende Entwicklung einbezieht. Das kann hier natürlich nur andeutungsweise geschehen. Aus der 21. Dynastie (11. Jh. v. Chr.), einem theokratischen Intermezzo, das der dritten Zwischenzeit voranging, sind uns drei sehr bedeutende Texte erhalten. Sie ähneln in vieler Hinsicht der Literatur des Mittleren Reiches und bewegen sich auf dem gleichen Niveau gedanklicher Reflexion und literarischer Raffinesse. Der Bericht des Wenamun ist eine fiktionale Erzählung im realistischen Gewand des Reiseberichtes eines Kommissionärs gegenüber seiner vorgesetzten Behörde. Der Moskauer literarische Brief ist eine politische Klageschrift in der Form eines echten Briefes. Mit der Lehre des Amenemope haben wir den Gipfel des moralistischen Diskurses in Ägypten erreicht. Wenn man diese Texte aus dem Corpus der ramessidischen Literatur herausnimmt, dem sie bislang immer zugeschrieben werden, und der Zeit zuweist, aus der die überlieferten Handschriften tatsächlich stammen, dann zeigt sich, daß die literarischen Innovationen der Ramessidenzeit von der folgenden Epoche nicht aufgegriffen wurden, noch übrigens von irgendeiner anderen Periode der ägyptischen Geschichte. Dasselbe gilt auch für die Bildende Kunst. So hebt sich die Ramessidenzeit sehr deutlich als eine eigenständige Epoche aus der ägyptischen Literaturgeschichte heraus. Sie ist einerseits gekennzeichnet durch eine kanonisierende Hinwendung zur Vergangenheit, andererseits aber alles andere als ein Klassizismus. Im Gegenteil versucht diese Periode sich soweit wie möglich von den gewissermaßen einprogrammierten Traditionsbindungen der ägyptischen Kultur freizumachen, sich nach außen zu öffnen und sich auf Einflüsse und Wandlungen einzulassen. Wie kühn ihre Neuerungen sind, ergibt sich nicht nur aus dem Vergleich mit dem Älteren, sondern vor allem auch aus der Tatsache, daß die Folgezeit sie nicht weiterführt. In der Bildenden Kunst sind es dcr"JYpus des Historienbildes und eine moderne, expressive Stilrichtung in der Flachbildkunst, in der Dichtung etwa die Liebes- und Gebetslyrik sowie die Harfnerlieder, die nach der 20. Dynastie nicht mehr vorkommen. Die Ramessidenzeit hat innovativ, aber nicht
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inaugurativ gewirkt. Auch der eklektizistische Archaismus späterer Epochen nimmt sich nie den Zeitstil der Ramessidenzeit zum Vorbild.
5. Memphis und die Entdeckung der Vergangenheit Die Ramessidenzeit hat als erste Epoche der ägyptischen Geschichte die Tradition nicht bruch-und fraglos fortgesetzt, sondern sie in der Form kodifizierender und kanonisierender Aufarbeitung als Vergangenheit, als "Altertum", bewußtgemacht. Dieser Traditionsbruch ist verankert im neuartigen Bewußtsein einer Zweisprachigkeit, die zu einer Aufspaltung der Kultur in alt und neu geführt und dadurch sowohl den ausgeprägten Modernismus der Ramessidenzeit, als auch die archaisierenden Tendenzen der Spätzeit möglich gemacht hat. 16 Mit der Ramessidenzeit beginnt das spezifisch ägyptische Kulturbewußtsein einzigartig hohen Alters, das die Griechen so beeindruckt hat und das in dem für die ramessidische Kultur maßgeblichen "memphitischen Milieu" beheimatet ist (vgl. hierzu Bergman, J., 1968, bes. S. 44ff; ferner: Morenz, S., 1975, bes. S. 1tXr172). Das prägt sich auch in der Theologie aus. Ptah, der Gott von Memphis, wird jetzt dem traditionellen Schöpfergott Re, dem Sonnengott, vorangestellt. Ptah, der Gott der Erde, des Urhügels und des Handwerks ist älter als der Gott des Himmels, des Lichts und der Zeit. Noch bevor Re sich zum Himmel erhob und durch sein Licht und seine Bewegung alle Dinge schuf und ordnete, schuf Ptah, der memphitische Urgott, indem er das All in seinem Herzen ersann. In alldem prägt sich eine Besinnung auf die eigene Geschichte und die eigenen Ursprünge aus. Memphis ist die erste Hauptstadt Ägyptens, die Stätte der ältesten Denkmäler, die jetzt restauriert und in höchsten Ehren gehalten werden. Memphis wurde zum Inbegriff einer Vergangenheit, die nun erstmals als etwas Ganzes, Großes und von der Gegenwart Abgesondertes sichtbar gemacht wurde. ein Ort auf der Landkarte der Seele, die Stadt eines Goldenen Zeitalters, in die- und in das- man aus der sich verfinsternden Gegenwart auswanderte. Um diesen Beitrag mit einigen zusammenfassenden Thesen abzuschließen, möchte ich zunächst festhalten, daß die Epochenschwelle, um die es hier ging und die zeitlich um die Wende zum 13. Jh. v. Chr. angesetzt werden kann, keine Kategorie stilgeschichtlicher Klassifikation darstellt, sondern eine bewußtseinsgeschichtliche Stufe. Das veränderte Bewußtsein. mit dem die Ägypter jenseits dieser Stufe auf ihre Vergangenheit zurückblickten und ihre Gegenwart als eine neue Epoche erlebten, das Heraustreten aus einem 16
Es wäre wohl die Überlegung von Kennern wert, ob sich nicht im alexandrischen Hellenismus Ähnliches wiederholt hat: philologisch-restaurative Aufarbeitung der Tradition als Vergangenheit, verbunden mit neuen Formen einer bewußt anspruchslosen Lyrik (Kallimachos) im Kontext intensiver interkultureller Kontakte. Vgl. hierzu E. A. Schmidt in A. u. J. Assmann ( 1987)
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mythischen Geschichtsbild in eine zukunftsoffene und vergangenheitsbewußte Gegenwart, prägt sich in einer Vielfalt kultureller Manifestationen aus. Die Gestalt der Zeit - die Ausprägung der chronologischen Struktur in den Hervorbringungen einer Kultur (nach Kubler, G., 1962, 1982; vgl. hierzu auch: Assmann, J., 1983b)- erhält dadurch einen Knick oder Bruch. Die kontinuierliche Entwicklungskurve unvermeidlichen, aber auch den Zeitgenossen unmerklichen Wandels bricht dort ab, wo dieser Wandel ins Bewußtsein durchschlägt. Der paradigmatische Fall dieser evolutiven Struktur ist der SprachwandeL Er vollzieht sich in fast schon natürlicher Gesetzmäßigkeit außerhalb des Bewußtseins einer Sprachgemeinschaft, bis dann der Unterschied des gesprochenen Idioms zu dem in altüberlieferten Texten bewahrten Sprachstadium evident, d. h. den Sprechern bewußt wird. Es erscheint mir alles andere als zufällig, daß die bewußtseinsgeschichtliche und in ihren Ausprägungen in vieler Hinsicht kulturrevolutionäre Epochenschwelle im Ägypten des 13. Jhs. v. Chr. mit genau diesem sprachgeschichtlichen Ereignis korreliert ist. Zugleich mit dem Sprachwandel und damit unablösbar verknüpft scheint mir hier ein umfassender kultureller Wandel ins Bewußtsein der Kultur durchgedrungen. Damit will ich nicht sagen, daß der Sprachwandel alle anderen kulturellen Wandlungen bedingt habe: Die kausale Frage nach den vorbereitenden Triebkräften und auslösenden Faktoren, auf die ganz andere Antworten möglich wären (politische Situation, religiöse Krise ... ) bleibt hier vollkommen ausgeklammert. Ich meine lediglich, daß für die Selbstinterpretation einer Kultur der Sprachwandel paradigmatischen Rang besitzt und der Ubergang in die Zweisprachigkeit daher als "Zweikultürlichkeit" realisiert weflien kann, d. h. als Neu- oder Spätzeitbewußtsein in Abhebung zu einer als geschichtliche Vergangenheit ablösbar gewordenen Tradition.
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Abbildungsverzeichnis 1 Neheh und Djet als Himmelsträger. Darstellung auf einem vergoldeten Schrein des Thtanchamun (um 1320 v. Chr.), nach: A. Piankoff, N. Rambova, The Shrines ofTht-Ankh-Amon (Bollingen Series XL.2) NewYork 1955, Abb. 47 2 De Sonnenlauf. Wandmalerei im Grab des Nefersecheru, Theben Nr. 296 (um 1250 v. Chr.), nach: E. Feucht, Das Grab des Nqersecheru, Mainz 1985, Tf. XXIX (Zeichnung Aleida Assmann). 3 Re und Osiris als .. Vereinigter Ba". Wandmalerei im Grab der Nefertari (um 1250 v. Chr.), nach: a. Piankoff, The tomb of Ram.ses VI (Bollingen Series XL. 1), NewYork 1954, S. 34. 4 Das Sonnenkind im Uroboros. Papyrus der 21. Dyn. (um 1000 v. Chr.), nach A. Piankoff, Mythological Papyri, S. 22 Abb. 3
5 "Nature revolves but man advances". William Blake, entwurfeiner Illustration zu E. Young, Night Thoughts (Zeichnung Aleida Assmann). 6 Schminkpalette des Königs Nanner (Kairo, um 3000 v. Chr.). Nach: A. Schlott, Schrift und Schreiber im Altem Ägypten, München 1989, Abb. 48. 7 Feldarbeiten. Wandrelief im Grab des Fürsten Paberi (EI Kab, um 1450 v. Chr. ). Nach: J. J. Thylor, F. L. Griffith, The Tomb of Paheri a/ EI-Kab, in E. Naville, Ahnas el Medineh and Paheri, London Pl894, Tf. III. 8 Dasselbe, mit Übersetzung der Hieroglyphentexte. 9 Saqqara, GrabdesTI(5. Dyn.) 10 a uns b "Ersatzköpfe" eines Mannes und einer Frau, aus Giza Mastaba 4440 (Boston; 4. Dyn., um 2550 v. Chr.) 11 Rahotep und Noferet. Bemalte Kalksteinstatuen aus Medum (Kairo, 4. Dyn., um 2600 v. Chr.) 12 Hemiunu. Kalkstein, aus Giza Mastaba 4000 (Hildesheim, 4. Dyn .• um 2550 v. Chr.) 13 Kai. Schreiberstatue, Kalkstein, aus Saqqara (Paris, Louvre, 4./5. Dyn., um 2500 v. Chr.) 14 Anch-haf. Büste, Kalkstein, aus Giza Mastaba 7510 (Boston, 4. Dyn., um 2550 v. Chr.) 15 Kaaper. Holz, aus Saqqara (Kairo, 5. Dyn., um 2450 v. Chr.) 16 Serdab mit Statuetten. Giza Mastaba 1009 (5. Dyn., um 2450 v. Chr.) 17 Mykerinos. (Boston, 4. Dyn., um 2500 v. Chr.) 18 a und b Mykerinos (Kairo) 19 Chephren. Diorit, au!: Giza (Kairo, 4. Dyn., um 2550 v. Chr.) 20 Kaemheset und Frau. Kalkstein, aus Saqqara (Kairo, 5. Dyn., um 2400 v. Chr). 21 Tu. Kalkstein, aus Saqqara (Kairo 5. Dyn., um 2400 v. Chr.) 22 Der Bruder des Grabherrn und seine Frau. Wandrelief im Grab des Ramose, Theben Nr. 55 (18. Dyn., um 1350 v. Chr.) 23 Echnaton und Nofretete. Kalksteinrelief (Berlin, um 1340 v. Chr.)
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Abbildungsverzeichnis
24a und b Nofretete. Kalkstein (Berlin, um 1340 v. Chr.) 25a Kopf eines Unbekannten. Kalkstein (Kairo, Nachamamazeit, um 1325 v. Chr.) 25b Die Frau des Generals Nachtmin. Kalkstein (Kairo, um 1325 v. Chr.) 26a und b Sesostris 111 (Berlin, um 1850 v. Chr.) 27a Sesostris 111 (Luxor Museum, um 1860 v. Chr.) 27b Sesotoris III (New York, um 1850 v. Chr.) 28a Heqaib (Assuan, Elephantine Museum; um 1850 v. Chr.) 28b Sesostris-Senebefni. Quartzit (NewYork, Brooklyn Museum, um 1850v. Chr.)J 29a Chertihotep. Quartzit (Berlin, um 1850 v. Chr.) 29b lmnei-Jatu. (Assuan, Elephantine Museum, um 1800 v. Chr.) 30 Gastmahl (Ausschnitt). Zeichnung nach Wandmalerei im Grab des Rechmire, Theben Nr. 11)0 (um 1450 v. Chr.9 31
Gastmahl. Fragment einer Wandmalerei aus einem thebanischen Grab (London. British Museum, um 1380 v. Chr.)
32 Gastmahl (Ausschnitt). Wandmalerei im Grab der Bildhauer Nebamun und lpuki, Theben l"r. 181 (um 1400 v. Chr.) 33
Gastmahl (Ausschnitt: Schmuck anlegen). Wandmalerei im Grab des Djeserkarcseneb, Theben Nr. 38 (um 1420 v. Chr.)
34 Gastmahl (Ausschnitt: Musikantinnen und Tänzerin). Wandmalerei im Grab des Haremhab, Theben Nr. 78 (um 1400 v. Chr.) 35
Gastmahl (Ausschnitt: Musikantinnen). Wandmalerei im Grab des Nacht, Theben Nr. 52 (um 1420 v. Chr.)
36 Lautenspielerin. Fayenceschale (Leiden, Rijksmuseum van Oudheden, um 1200 v. Chr.) 37 Der Grabherr und seine Frau. Wandrelief im Grab des Mereruka in Saqqara (6. Dyn .. um 2200 v. Chr.) 38 Skelettbecher mit Aufschrift ktö chrö (Berlin, Antiquarium, um Christi Geburt) 39 Skelett mit Festgerät. Fußbodenmosaik aus einem pompeianischen Triclinium (Neapel, Museo Nazionale, 1. Jh. v. Chr.)
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