Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte
Frühmittelalter ca. 500 - 1180 I. Begriff Der Begriff Mittelalter ging aus der nachfolgenden Epoche, der Renaissance, hervor. Die Humanisten wählten den Begriff für die Zeit zwischen Antike und der Neuzeit.
II. Weltbild Das mittelalterliche Weltbild ist tief von Kirche und Bibel geprägt. Gott ist der Erschaffer der Welt, der Natur und des Menschen und lenkt diese. Die Vertreibung aus dem Paradies wird als Beginn der Geschichte angesehen, die europäischen Königs- und Kaiserreiche - unter Einfluß der Kirche - als Vorläufer des Gottesreichs auf der Erde, nach dem Jüngsten Gericht. Der einzelne Mensch ist Bestandteil dieser Ordnung, er fühlt sich als Teil der Gesellschaft, nicht als Individuum.
III. Historischer Hintergrund Die einsetzende Völkerwanderung und der Zerfall des Römischen Reiches markiert den Beginn des Mittelalters und damit gleichzeitig das Ende der Antike. Die Herrschaftsgewalt zersplitterte sich zunächst in grundherrschaftliche, später in lehensrechtliche Beziehungen bis hin zur Entstehung des Königreiches. Die Macht wurde dabei nicht nur von den Adligen, meistens Lehnsherren, ausgeübt, sondern auch von der Kirche, die eine eigene Machtposition vertrat. Durch Salbung des Königs war dieser auch kirchlich legitimiert. Im Frühmittelalter war die Kirche der Kulturträger der Gesellschaft, denn meist nur der Klerus wußte über das Lesen und Schreiben bescheid. Die Gesellschaft war geteilt in die Stände Adel, Klerus und Bauern. Sie richtete sich auf agrarwirtschaftliche und naturalwirtschaftliche Produktion aus. Das Frühmittelalter wurde von drei bedeutenden Adelsgeschlechtern geprägt: den Karolingern, den Ottonen und den Saliern. Das fränkische Hochadelsgeschlecht beherrschte von 750-900 Westeuropa. Sein bedeutendster Vertreter war Karl der Große (768-814), der im Jahre 800 zum ersten Kaiser vom Papst gekrönt wurde. Nach dessen Tode zerfiel das Karolingerreich; die östlichen Gebiete, dem späteren Heiligen Römischen Reich, wurden von den Ottonen (900-1024) übernommen. Heinrich I. wurde Nachfolger Konrads I. und deutsch-römischer Kaiser. Dessen Sohn, Otto I., folgte ihm auf den Thron und wurde vom Papst zum ersten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt. Mit der Regierungszeit Heinrich II. wurde die kluniazensische Reform in den Klöstern eingeleitet, die vom frz. Kloster Cluny ausging. Erneuerung und Vertiefung des religiösen Lebens sowie Abkehr vom weltlichen Leben bis hin zur Weltverneinung standen dabei im Mittelpunkt. Das Ottonengeschlecht erlosch, als des nach dem Tode Heinrich II. keine männlichen Nachfolger mehr gab. Die Königswürde wurde auf Konrad II., einem Salier, übertragen. Das fränkische Adelsgeschlecht der Salier regierte von 1024-1125. Nach dem Tod des kinderlosen letzten salischen Königs, ging deren Besitztümer an die Staufer über. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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1. Die frühmittelalterliche Dichtung 1.1 Germanische Literaturzeugnisse Die Germanen brachten bei ihrer Völkerwanderung eine eigene Literatur mit. Es entstanden in verschiedenen Gegenden unterschiedliche Sagenkreise: im ostgotischen Gebiet die Hildebrandsage, im burgundischen Gebiet die Nibelungensage und im nordgermanischen Gebiet die Sage von Beowulf. Die Literatur der Völkerwanderungszeit wurde jedoch nur mündlich weitergegeben und ging größtenteils verloren. Überlieferungen aus der Germanischen Literatur sind das Hildebrandslied und die Merseburger Zaubersprüche. Die Merseburger Zaubersprüche wurden erst im 10. Jahrhundert aufgezeichnet, entstanden wahrscheinlich aber noch vor 750. Der erste Spruch dient der Befreiung eines Gefangenen, der zweite Spruch zur Heilung eines verrenkten Pferdefußes. Das Hildebrandslied ist das einzige germanische Heldenlied in althochdeutscher Sprache. Das Hildebrandslied wurde um 830 von zwei Mönchen des Fuldaer Klosters auf die inneren Deckblätter eines Gebetsbuches geschrieben. Entstanden ist es um 770/780. Die 68 erhaltenen stabenden Langzeilen berichten vom Vater-Sohn-Kampf zwischen Hildebrand und Hadubrand, die Handlung bricht aber mitten im Kampf ab. Aus altnordischen Dichtungen geht hervor, daß Hildebrand seinen Sohn erschlägt. Andere germanische Götter- und Heldensagen blieben der Nachwelt durch die Aufzeichnungen des isländischen Schriftstellers Snorri Sturluson um 1250 erhalten.
Merseburger Zaubersprüche: Zweiter Spruch Phol ende uuodon uuorun zi holza. du uuart demo balderes uolon sin uuoz birenkit. thu biguol en sinthgunt, sunna era suister, thu biguol en friia, uolla era suister, thu biguol en uuodan, so he uuola conda: sose benrenki, sose bluotrenki, sose lidirenki: ben zi bena, bluot zi bluoda, lid zi geliden, sose gelimida sin. Phol und Wodan fuhren zu Walde. Da ward dem Fohlen Balders sein Fuss verrenkt. Da besprachen ihn Sinthgund und Sunna, ihre Schwester, da besprachen ihn Frija und Volla, ihre Schwester, da besprach ihn Wodan, wie er's wohl verstand: So Beinverrenkung, so Blutverrenkung, so Gliedverrenkung: Bein zu Beine, Blut zu Blute, Glied zu Glieden, als wenn sie geleimet wären.
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1.2 Althochdeutsche Literatur (760-1060) Unter Karl dem Großen (768-814) wurden die Germanen christianisiert, und die Geistlichen betrachteten es als ihre Aufgabe, den "Bekehrten" die christliche Literatur nahezubringen. Die Lese- und Schreibkunst blieb lediglich den Mönchen vorbehalten. Die althochdeutsche Literatur vereint zwei Traditionsstränge: germanisch-heidnische Elemente und christlich-antike Elemente. Um 760/765 verfaßte der Bischof Arbeo von Freising ein lateinisch-deutsches Wörterbuch, das nach seinem ersten Eintrag benannt wurde: Abrogans. Dieses Werk ist das erste erhaltene Zeugnis der deutschen Sprache. Heidnische Zaubersprüche wurden von den Christen als Segenssprüche übernommen. Die heidnischen Götter wurden dabei ausgelassen und für sie wurde Gott eingesetzt. Eine oberflächliche Christianisierung zeigt sich z.B. im Wiener Hundesegen. Weitere Segenssprüche sind z.B. Bienensegen, Pferdesegen, Segen gegen Fallsucht. Diese Sprüche wurden meist aus dem Gedächtnis niedergeschrieben. Sie wurden oft in lateinischen Handschriften eingetragen, wo zufällig Platz war. 881 entstand das Ludwigslied, ein Fürstenpreis auf den 882 verstorbenen Ludwig III. von Westfranken, der 881 bei Soucourt (Normandie) einen Sieg über die Wikinger errang. Aus der althochdeutschen Zeit sind über die Entstehung und den Untergang der Welt jeweils ein Text überliefert. Ca. 770 entstand das Wessobrunner Gedicht und Gebet. Das in Stabreimen gefaßte Gedicht berichtet von der Entstehung der Welt. Das sich anschließende, in Prosa gefaßte Gebet ist eine Bitte um den rechten Glauben. In der Mitte des 9. Jahrhunderts entstand das in Stabreimen geschriebene Muspilli. Die Herkunft dieses Wortes ist noch nicht genau bewiesen, es handelt sich aber um ein heidnisches Wort für Vernichtung, Zerstörung und Untergang, das auch in anderen Sprachen überliefert ist. Das Muspilli gliedert sich in drei Abschnitte: den Kampf zwischen Himmel und Hölle um die Seele, der Gegenüberstellung zwischen jüngstem Gericht und Weltgericht, und dem Endgericht. Außerdem wird der Kampf zwischen dem Propheten Elias und dem Antichrist gezeigt, wobei Elias unterliegt und die Welt in Flammen aufgeht. Das erste erhaltene geistliche Lied ist das um 880 entstandene Petruslied. Das wichtigste Genre der geistlichen Dichtung im Frühmittelalter war die Evangelienharmonie. Um 830 ist in einer Fuldaer Handschrift die althochdeutsche Übersetzung der Evangelienharmonie Tatians, eines Sysrers aus dem 2. Jh., erhalten. Zur gleichen Zeit entstand der Heliand, der Evangelien in Form eines germanischen Heldenepos enthielt. Für die deutsche Literaturgeschichte ist die um 865 entstandene Evangelienharmonie von Otfrid von Weißenburg von großer Bedeutung. Otfrid führte als erster Dichter den Endreim in die deutschsprachige Literatur ein. Seine Evangelienharmonie, die das Leben Jesu von der Geburt bis zur Auffahrt in den Himmel schildert, ist in vier Handschriften überliefert. Als Übersetzer lateinischer Texte war der Vorsteher der Klosterschule von St. Gallen, Notker III (= Notker der Deutsche = Notker Labeo), tätig, um die Arbeit mit lateinischen Texten für seine Schüler zu erleichtern.
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1.3 Frühmittelhochdeutsche Literatur (1060-1120) Die Paraphrase des Hohen Liedes (um 1060) von Williram von Ebersberg markiert den Beginn der mittelhochdeutschen Dichtung. Darin deutete Williram das Verhältnis Braut - Bräutigam auf das Verhältnis Kirche - Gott um. Eines der frühesten heilsgeschichtlichen Dichtungen ist das 1065 entstandene Ezzolied, das vom Bamberger Domherr Ezzo verfaßt wurde. Es schildert den Verlauf der Welt aus christlicher Sicht, von der Erschaffung des Menschen bis hin zum Tode Jesu. Um 1070 entstand das Memento mori von Noker von Zwiefalten, ein Aufruf zu Weltabkehr im Sinne der kluniazensischen Reform. Das über den Kölner Erzbisch Anno verfaßte Annolied (ca. 1080) ist das erste biographische Werk der deutschen Sprache. Im Annolied wird Anno als Heiliger dargestellt, der gegen die zerstörerischen Folgen weltlicher Taten im Sinne der weltverneinenden Haltung der kluniazensischen Reform wirkt. Das Werk beginnt aber mit einer Abhandlung der Menschheitsgeschichte bis hin zum Römischen Reich. Außerdem enthält es einen Hinweis auf die Krimgoten.
1.4 Vorhöfische Literatur (1120-1180) 1.4.1 Profane Werke geistlicher Autoren Zwischen 1120 und 1140 entstand das Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht. Es ist das erste Werk in der deutschen Literaturgeschichte, das nicht auf eine lateinische Quelle, sondern eine volksprachliche (altfranzösische) Quelle zurückgeht: ein Gedicht von Alberich von Besancon. Zudem ist es das erste weltliche Epos in deutscher Sprache. Das Alexanderlied berichtet über das Leben Alexanders des Großen. Die Kaiserchronik (ca. 1135/55) behandelt die Geschichte vom Römischen Kaiserreich bis zur Gegenwart. Sie hat eine Länge von etwa 17000 Versen und enthält die Lebensläufe der römischen Kaiser und Päpste. Einzelne Geschichten dienen dabei als Belege für das Wirken Gottes in der Welt. Sie wurde Verfaßt von mind. einem, höchstwahrscheinlich aber auch von mehreren Geistlichen in Regensburg. Um 1170 schrieb der Pfaffe Konrad auf Veranlassung Heinrichs des Löwen das etwa 9100 Verse umfassende Rolandslied in Regensburg. Die Quelle ist das altfranzösische Heldenepos Chanson de Roland. Zwischen Mitte und Ende des 12. Jahrhunderts entstand Von des tôdes gehugde Heinrichs von Melk, ein Memento mori gegen das Rittertum und das in der Superbia (Hochmut) den Ursprung aller Sünde sieht. Ein Geistlicher mit dem Titel "Archipoeta" verfaßte um 1160 mehrere Vagantengedichte, in lateinischer Sprache. Er zählt zu den wichtigsten Vertretern der Klerikerdichtung, die sich der Diesseitsstimmung hingaben.
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1.4.2 Profane Werke profaner Autoren / vorhöfische Epen / Spielmannsepen Zu den profanen Werken profaner Autoren zählen die anonym verfaßten, sogenannten Spielmannsepen König Rother (ca. 1150), Salman und Morolf (ca. 1160), Sanct Oswald (ca. 1170), Herzog Ernst (ca. 1180) und Orendel (ca. 1180). Diese waren bisher nur mündlich überliefert und wurden nun von den Autoren am Schreibpult buchmäßig gestaltet. Diesen Werken kam eine Unterhaltungsfunktion zu, ein heilsgeschichtlicher Rahmen war nicht mehr vorhanden. Es gab auch keinen Kampf zwischen Gut und Böse mehr, sondern die Bewährung eines tapferen Helden stand im Mittelpunkt. Man spricht hier von Spielmannsepik im engeren Sinn, da sich die Werke in ihrer Struktur stark ähneln: Brautwerbung, Brautraub und ein Rahmen, der Bezug auf einen Kreuzzug oder den Orient nimmt.
1.4.3 Mystik / Frauenmystik Der Begriff Mystik leitet sich von griech. mystikos ab und meint in der ursprünglichen Bedeutung die Suche nach verborgenen Hinweisen auf Jesu im Bibelwort. Im Mittelalter war mit Mystik die Erkenntnis-Erfahrung von Gott gemeint. Das Ziel war die unio mystica, das Einswerden mit Gott. Frauenmystik trat fast ausschließlich im Christentum auf, da Frauen und Jesus ein spirituelles Verhältnis in der Bibel haben. Bei reformierten Kirchen galt die Mystik als verpönt. Eine der bekanntesten Vertreterinnen der Mystik war Hildegard von Bingen (1098-1179) mit ihrem Werk Liber Scivias (Wisse die Wege, 1141/53), welches den Beginn der deutschsprachigen Mystik markiert.
2. Literarische Formen • • • • • • • • • •
Zaubersprüche Segen Rätsel Gelöbnisse Heldensagen Fürstenpreis/ Fürstenlob Gebete Evangelienharmonien Memento mori Spielmannsepen
Evangelienharmonie: Verschmelzung der vier Evangelien zu einer fortlaufenden Handlung, in der das Leben Jesu geschildert wird.
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3. Vertreter • • • • • • • • • • •
Arbeo von Freising Otfrid von Weißenburg (ca. 800 - ca. 870) Notker III./ der Deutsche/ Labeo von St. Gallen (ca. 950-1022) Williram von Ebersberg Ezzo von Bamberg Notker von Zwiefalten Pfaffe Lamprecht Pfaffe Konrad Heinrich von Melk Archipoeta Hildegard von Bingen
4. Werke • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Merseburger Zaubersprüche (8. Jh.) - anonym Hildebrandslied (ca. 830) - anonym Abrogans (760/765) - Arbeo von Freising Wiener Hundesegen - anonym Ludwigslied (881) - anonym Wessobrunner Gedicht und Gebet (ca. 770) - anonym Muspilli (9. Jh.) - anonym Petruslied (ca. 880) - anonym Übersetzung der Evangelienharmonie Tatians (ca. 830) - anonym Heliand (ca. 830) - anonym Evangelienharmonie (ca. 865) - Ofrid von Weißenburg Paraphrase des Hohen Liedes (ca. 1060) - Williram von Ebersberg Ezzolied (ca. 1065) - Ezzo Memento mori (ca. 1070) - Notker von Zwiefalten Annolied (ca. 1080) - anonym Alexanderlied (ca. 1120/40) - Pfaffe Lamprecht Kaiserchronik (ca.1135/55) - anonym Rolandslied (ca. 1170) - Pfaffe Konrad Von des tôdes gehugde (Mitte-Ende 12. Jh.) - Heinrich von Melk König Rother (ca. 1150) - anonym Salman und Morolf (ca. 1160) - anonym Sanct Oswald (ca. 1170) - anonym Herzog Ernst (ca. 1180) - anonym Orendel (ca. 1180) - anonym Liber Scivias (1141/53) - Hildegard von Bingen
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Hochmittelalter 1170 - 1250 I. Begriff Der Begriff Mittelalter ging aus der nachfolgenden Epoche, der Renaissance, hervor. Die Humanisten wählten den Begriff für die Zeit zwischen Antike und der Neuzeit. Für die hochmittelalterliche Dichtung werden auch die Bezeichungen Höfische Literatur und Stauffische Klassik verwendet.
II. Weltbild Das mittelalterliche Weltbild ist tief von Kirche und Bibel geprägt. Gott ist der Erschaffer der Welt, der Natur und des Menschen und lenkt diese. Die Vertreibung aus dem Paradies wird als Beginn der Geschichte angesehen, die europäischen Königs- und Kaiserreiche - unter Einfluß der Kirche - als Vorläufer des Gottesreichs auf der Erde, nach dem Jüngsten Gericht. Der einzelne Mensch ist Bestandteil dieser Ordnung, er fühlt sich als Teil der Gesellschaft, nicht als Individuum.
III. Historischer Hintergrund Mit der Übernahme der Herrschaftsgewalt der Staufer über die Salier 1125 setzte alsbald das Hochmittelalter ein. Ihren Höhepunkt der Macht erreichten die Staufer unter Friedrich I. - Barbarossa. 1270 erlosch jedoch das Staufergeschlecht und die Macht ging an die Adelhäuser der Luxemburger, Wittelsbacher und Habsburger über. Die Habsburger stellten dann den römisch-deutschen König. In fast allen Lebensbereichen fand ein umfassender Wandel statt. Die Anzahl der Menschen wuchs rasch; durch gestiegenen Nahrungsbedarf verbesserte sich die landwirtschaftliche Produktion. Handwerk und Handel erlebten einen ähnlichen Aufschwung; die Tauschwirtschaft wurde von der Geldwirtschaft verdrängt. Die Kirche erlangte eine geordnete Hierarchie, deren Oberhaupt nun ein Papst war. Das Hochmittelalter war die Blütezeit vieler geistlicher Orden, jedoch kam es häufig zu Konfrontationen geistlicher und weltlicher Herrschaft die im Investiturstreit mündeten. Neben dem wirtschaftlichen Aufschwung setzte auch ein kultureller Aufbruch ein: Schreiben und Lesen blieb nicht mehr dem Klerus vorbehalten; die Literatur richtete sich jetzt an ein adliges Publikum.
1. Die hochmittelalterliche Dichtung Im Hochmittelalter fand der Minnesang seine Blütezeit. Neben diesen Lobgesang entstanden noch das Tagelied und Kreuzlied. Die schönsten Minnelieder stammen von Walther von der Vogelweide, Hartmann von Aue und Heinrich von Morungen. Sie entwickelten auch die Spruchdichtung weiter. Neben dem Minnesang entstand das höfische Epos und Heldenepos. Der bedeutendste Epos des Mittelalters, Parzival, wurde von Wolfram von Eschenbach geschrieben. Auch Gottfried von Straßburg erlangte großen Ruhm, durch seinen © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Epos Tristan und Isolde. Ein weiteres Werk erhielt große Bedeutung: das Nibelungenlied, ein Heldenepos welches jedoch anonym überliefert ist. Die Epen des Hochmittelalters waren Versepen, die aus Reinpaaren aufgebaut waren. Im Hochmittelalter bildete sich das Mittelhochdeutsch heraus. Neben Minne und Epos entstand die Vagantendichtung. Sie stellte Gegenstände des irdischen Lebens dar und stand somit im Gegensatz zu Minnesang und Epos. Die Vagantendichtung wurde in lateinischer Sprache verfaßt, deren berühmtestes Werk die Carmina Burana ist. Rittertum Das Rittertum spielte im Hochmittelalter eine herausragende Rolle. Ursprünglich bezeichnete man mit Rittertum eine militärische Institution im fränkischen Heerwesen. Die ehemals berittenen Krieger im Dienste von Adligen und Königen übernahmen deren Lebensformen. Der Begriff Ritter galt nun als Standesbezeichnung. Es bildete sich ein Rittertum heraus, welches geprägt wurde von Festen, Turnieren, typischen Symbolen (z.B. Wappen) und spezieller Kleidung. Es entstanden drei wesentliche ritterliche Ideale: Dienst für den Herrn (weltliche Ritterideale), Dienst für die Kirche und Christenheit (christliche Ritterideale) und den Frauendienst. Die Wirklichkeit sah jedoch anders aus: Habgier, Hurerei und Todschlag waren typische Sünden der Ritter. Die hochmittelalterliche Dichtung hatte die Aufgabe das ritterliche Ideal darzustellen. Der höfische Epos (Ritterepos) und der Minnesang waren die Hauptformen der ritterlichen Dichtung. Leitbegriffe höfischer Ritter/ ritterliche Tugenden • • • • • • • • • •
mâze: maßvolles Leben, Zurückhaltung zuht: Erziehung nach festen Regeln êre: ritterliches Ansehen, Würde triuwe: Treue hôher muot: seelische Hochstimmung milte: Freigiebigkeit werdekeit: Würde staete: Beständigkeit, Festigkeit güete: Freundlichkeit manheit: Tapferkeit
Leitbegriffe der Mönche • • • •
Beten Hilfsbereitschaft Keuschheit asketische Lebensführung
1.1 Lyrik des Hochmittelalters Die Lyrik des Hochmittelalters läßt sich in drei Gruppen zusammenfassen: dem Lied (Minnesang), dem Spruch (politische und belehrende Inhalte) und dem Leich (religiöser Inhalt). Die wichtigste Rolle spielte der Minnesang. Beispiele für Spruchdichtung findet sich auch bei Walther von der Vogelweide, z.B. dem Reichston. Walthers Der Leich (Got, dîner Trinitâte) dient als Beispiel für das gleichnamige Genre. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Minnesang Minne ist der Begriff für höfische Liebe des Mittelalters und stammt vom althochdeutschen Wort minna ('Liebe'). Die Minnedichtung ist die älteste Liebesdichtung im westeuropäischem Sprachraum. Die Minnesänger kamen aus allen Ständen, standen aber als solche gleichrangig nebeneinander. Man unterscheidet vier Arten von Minnesängern: Berufssänger (z.B. Walther von der Vogelweide), Freizeitdichter (z.B. Friedrich von Hausen), Nachsänger (fahrende Sänger) und Sammler. Die Minnelieder wurden im Auftrag von Adeligen gesammelt und in diversen Büchern festgehalten: so z.B. in der Kleinen Heidelberger Liederhandschrift (13. Jh.) und Großen Heidelberger Liederhandschrift (14. Jh.) oder in der Weingartner Handschrift. (14. Jh.) Die Strophenform eines Minneliedes war die Stollenstrophe. Diese Bezeichnung wurde von Jakob Grimm vom Meistersang auf den Minnesang übertragen. Eine Stollenstrophe bestand aus 3 Stollen. Die ersten beiden Stollen waren melodisch gleich, sie bildeten den Aufgesang und waren die Stützen für den 3. Stollen, den Abgesang.
Aufbau einer Stollenstrophe
Im Minnelied lobte man meist die Gesamtheit der Frauen und nicht nur eine einzelne. Im Zentrum des Minneliedes stand die Liebeserklärung eines Ritters (des Minnesängers) an eine adlige Frau. Er pries ihre Schönheit und Vorzüge, hoffte auf die Erhörung, beklagte aber auch die Unerfüllung. Somit enthielten Minnelieder einen Konflikt zwischen geistiger Liebe und Besinnung. Sie waren Bestandteil des Minnedienstes und wurden vor allem bei Hoffesten vorgetragen. Der Minnedienst war ein Teil der ritterlichen Erziehung und die Minne selbst stellte das Ritterideal dar. Die Bezeichnungen hoch und niedrig in der Minnelyrik stehen nicht für den gesellschaftlichen Rang einer Frau. Die hohe Minne war eine vergeistigte Liebe und in ihr verpflichtete sich der Ritter einer höfischen Dame, die für ihn unerreichbar war. Heinrich von Morungen zählt z.B. zu den Dichtern der hohen Minne. In der niederen Minne reflektierte der Minnesänger über eine ernstgemeinte Beziehung. Die Stimmung ist heiter, und der Schauplatz meist ein Naturidyll. Walther von der Vogelweide war z.B. ein Vertreter dieser Spielart. Die dörperliche Minne wurde von Neidhart von Reuental eingeführt. Der Schauplatz war ein Dorf. Sie ist gekennzeichnet durch eine Bauernthematik und die Verwendung parodistischer, komischer oder obszöner Darstellungsmittel. Man unterscheidet 6 Phasen des Minnesangs: • • •
1150/60-1170: Donauländischer Minnesang: Kürnberger 1170-1190/1200: Rheinischer Minnesang: Friedrich von Hausen 1190-1210/20: Heinrich von Morungen, Hartmann von Aue, Reinmar
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte • • •
1190-1230: Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach 1210-1240: Neidhart von Reuental 1210-1300: Späthöfischer Sang
1.2 Epik des Hochmittelalters 1.2.1 Artusepik Mit Erec (ca. 1180) schuf Hartmann von Aue den ersten deutschen Artusroman. Dieser geht auf Chretien de Troyes (ca. 1135 - ca. 1190) Erec (um 1160) zurück. Erec vergißt bei seinen ehelichen Vergnügungen mit Enite seine ritterlichen Pflichten. Nach einem ersten Abenteuerblock erlangt er sein ritterliches Ansehen zurück, nach einem zweiten Abenteuerblock findet er auch den Sinn seiner Ehe wieder. Um 1195/1215 entstand der Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven. Lanzelet, als Kind von einer Meerfrauenkönig entführt, von Frauen erzogen, muß sich in der Welt der Ritter bewähren, um seinen Namen zu erhalten, der ihm verschwiegen wurde. Nach einer weiteren Abenteuerepisode kehrt er als König in seine Heimat zurück. Dieser Artusroman ist im Vergleich zu anderen seiner Zeit in der Struktur und durch die fehlende Episode des Ehebruchs mit Artus' Frau Ginover einzigartig. Hartmanns zweiter Artusroman, Iwein, entstand um 1200 und geht auf Chretien des Troyes Yvain zurück. Er ist das Gegenstück zum Erec, da Iwein bei seinen Abenteuern die Liebe zu seiner Frau vergißt. Wie im Erec, gewinnt Iwein in einem ersten Abenteuerblock sein ritterliches Ansehen zurück, in einem zweiten Abenteuerblock, da Ansehen bei seiner Frau. Wolfram von Eschenbach schrieb um 1200/10 den höfischen Epos Parzival. In 16 Büchern und etwa 25000 Versen verband Wolfram die Artussage mit der Gralssage. Eine der wichtigsten Quellen für dieses Werk war Chretien de Troyes Li Contes del Graal (ca. 1190). Parzival lebt als Junge allein bei seiner Mutter. Eines Tages bricht er auf, um Ritter zu werden. Daheim stirbt seine Mutter vor Kummer. Sein Onkel lehrt ihm die ritterlichen Ideale. Dann bricht er wieder auf und begibt sich zum Schloß des Königs Amfortas. Dieser ist sichtlich krank, doch Parzival fragt ihn nicht nach seinem Leiden, und entgegnet ihm kein Mitleid. Am nächsten Morgen ist die Burg verlassen und Parzival begibt sich zu König Artus und den Rittern der Tafelrunde. Dort wird er verflucht und zieht dann allein im Land herum. Er trifft auf einen Einsiedler, welcher ihm die Kraft des Grals erläutert. Nach vielen Abenteuern auf der Suche nach dem Gral gelangt er wieder zur Burg von König Amfortas und erfährt, daß es sich dabei um die Gralsburg handelt. Nach Erblicken des Grals stellte er dem König die Frage der Bekümmertheit und Anteilnahme, wie es ihm geht. Parzival stellt dadurch seine Ehre wieder her.
1.2.2 Heldenepik Um 1200 war das anonym verfaßte Nibelungenlied entstanden. Es ist in 11 vollständigen Handschriften und 23 Fragmenten überliefert. Die drei wichtigsten Handschriften sind: A - Hohenems-Münchener Handschrift (Ende 13. Jh.), B - St. Galler Handschrift (Mitte 13. Jh.) und C - Donaueschinger Handschrift (erste Hälfte 13. Jh.). Das Nibelungenlied umfaßt etwa 2400 Strophen, die sich in 39 Aventiuren gliedern. Es setzt sich aus zwei Teilen zusammen: die Werbung Siegfrieds um Kriemhild, seine Verlobung und seine Ermordung (Aventiure 1-19) und der Rache Kriemhilds und der Untergang der Burgunder (Aventiure 20-39). Die © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Nibelungenstrophe besteht aus vier paarweise reimenden Langzeilen, die sich jeweils aus zwei durch eine Zäsur getrennten Halbzeilen zusammensetzen. Die Anverse (erste Halbzeilen) sind vierhebig und haben eine weibliche Kadenz, die Abverse (letzte Halbzeilen) schließen mit einer männlichen Kadenz und sind dreihebig, der letzte Abvers ist vierhebig. Im Nibelungenlied wird das Lieben und Werben Siegfrieds um Kriemhild geschildert. Kriemhild ist die Tochter des burgundischen Königs Gunther. Siegfried wird jedoch von Hagen getötet. König Gunther heiratet währenddessen Brünnhild. Kriemhild rächt sich mit Hilfe des Hunnenkönigs Etzel und führt den Untergang von Burgund herbei. In einigen Handschriften schließt sich dem Nibelungenlied die sogenannte Nibelungenklage an, in der die Geschehnisse, die zum Tode Siegfrieds führen, bewertet werden, eine Beklagung aller Figuren stattfindet und eine Schuldfrage gestellt wird. Eingangsstrophe des Nibelungenlieds Uns ist in alten mæren wunders vil geseit von helden lobebæren, von grôzer arebeit, von fröuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen, von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen.
Das um 1230/40 entstandene Heldenepos Kudrun basiert auf einem nordischwikingischem Lied. Es gliedert sich in drei Teile: einer Vorgeschichte, in der Hagen als Knabe von einem Greifen entführt wird; einem zweiten Teil, der sogenannten Hilde-Dichtung; einem dritten Teil, der sogenannten Kudrun-Dichtung.
1.2.3 Legendendichtungen In Hartmanns Gregorius (1187/89), einer Legendendichtung, wird das Leben Gregors beschrieben, der, trotz eines Mutter-Sohn-Inzests, zum Papst ernannt wird. 1195 entstand das Trostbuch Der arme Heinrich von Hartmann von Aue. Ein sich an weltlichen Dingen labender Ritter wird vom Aussatz befallen. Nur eine freiwillige Selbstopferung einer Jungfrau kann ihn von dieser Krankheit heilen. Im letzten Moment erkennt Heinrich seinen Fehler, er legt sein Leben in Gottes Hände und will lieber selbst sterben, als den Freitod des Bauernmädchens zu verantworten. Heinrich wird durch ein Wunder Gottes geheilt und heiratet das Mädchen.
1.2.4 Weitere höfische Epen Zwischen 1170 und 1190 verfaßte Heinrich von Veldeke seinen Eneid. Er war das erste deutsche höfische Epos, das einen antiken Stoff vollständig auf den deutschen mittelalterlichen Zustand übertrug. Er umfaßt etwa 13500 Verse und geht zurück auf die französische Quelle Le Roman d'Enéas (ca. 1160). Um 1210 schrieb Gottfried von Straßburg sein höfisches Epos Tristan und Isolde, das allerdings unvollendet blieb, und den Dreieckskonflikt zwischen Tristan und den beiden Isolden nicht löst. Ulrich von Türheim und Heinrich von Freiberg setzten das Werk fort.
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2. Literarische Formen • • • • • • • • •
Heldenepos höfischer Epos Artusepik Minnesang Spruchdichtung Tagelied Kreuzlied Leich Vagantendichtung
höfischer Epos: im Mittelpunkt steht meist ein adliger Ritter, der viele Abenteuer bestehen und seine Ideale beweisen muß, damit er die höchste Ritterwürde erhält: die Aufnahme in die Tafelrunde am Hofe des Königs Arthus. z.B. Parzival, Erec oder Iwein Der Höfische Epos zeigt die Vorstellung des Lebensideals und der ritterlichen Tugenden. Heldenepos: im Mittelpunkt steht das Bestehen eines Abenteuers Spruchdichtung: unterscheidet sich zwischen "Sprechspruch", mit belehrendem Inhalt, und dem lyrischen "Sangspruch", mit religiösen, politischen oder moralischen Inhalten. Ein bedeutender Vertreter des Sangspruchs war Walther von der Vogelweide. Der Sangspruch löste sich später in den Meistersang auf. Tagelied: ein Minnelied, das die Verabschiedung zweier Liebender nach einer gemeinsamen Liebesnacht, den Schmerz des Abschieds und die Furcht der Aufdeckung der Liebe zum Thema hat. Herausragende Tagelied-Dichter sind Walther von der Vogelweide (z.B. Friuntlichen lac), Heinrich von Morungen (z.B. Owê, - Sol aber mir iemer mê) und Wolfram von Eschenbach. Kreuzlied: Form des Minnesangs, in der der Minnesänger vor der Entscheidung steht, sich einem Kreuzzug anzuschließen oder den Minnedienst für seine Herrin fortzuführen. Kreuzlieder schrieben z.B. Friedrich von Hausen (z.B. Min herze und min lip die wellent scheiden) und Albrecht von Johannsdorf (z.B. Ich und ein wîp).
3. Vertreter • • • • • • • • • •
Albrecht von Johannsdorf Dietmar von Aist Friedrich von Hausen (ca. 1150 - 1190) Gottfried von Straßburg (ca. 1170 - ca. 1215) Hartmann von Aue (ca. 1170 - ca. 1210) Heinrich von Morungen (Ende 12. Jh. - 1222) Heinrich von Veldeke (Mitte 12. Jh. - Anfang 13. Jh.) Konrad von Würzburg (ca. 1220 - 1287) Kürenberger Neidhart (ca. 1180 - ca. 1240) © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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Reinmar (ca. 1160 - ca. 1210) Rudolf von Ems (ca. 1200 - ca. 1250) Tannhäuser (ca. 1200 - ca. 1270) Ulrich von Lichtenstein (ca. 1200 - 1275) Ulrich von Zatzikhoven (um 1200) Wirnt von Grafenberg Walther von der Vogelweide (ca. 1170 - ca. 1230) Wolfram von Eschenbach (ca. 1170 - ca. 1220)
4. Werke • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Falkenlied - Kürenberger Lieder (1170) - Kürenberger Lieder (ca. 1170) - Dietmar von Aist Reichston - Walther von der Vogelweide Minnelieder (1170-1190) - Heinrich von Veldeke Minnelieder (1170-1190) - Friedrich von Hausen Minnelieder (seit 1180) - Albrecht von Johannsdorf Minnelieder (seit 1180) - Heinrich von Morungen Minnelieder (seit 1185) - Reinmar der Alte Minnelieder (1200/05) - Wolfram von Eschenbach Erec (ca. 1180) - Hartmann von Aue Iwein (ca. 1200) - Hartmann von Aue Gregorius (1187/89)- Hartmann von Aue Der arme Heinrich (1195) - Hartmann von Aue Lanzelet (1195/1215) - Ulrich von Zatzikhoven Eneid (ca. 1170 - ca. 1190) - Heinrich von Veldeke Servatius-Legende - Heinrich von Veldeke Parzival (1200/10) - Wolfram von Eschenbach Tristan und Isolde (ca. 1210) - Gottfried von Straßburg Nibelungenlied (ca. 1200) - anonym Wigalois (ca. 1205) - Wirnt von Grafenberg Willehalm (ca. 1215) - Wolfram von Eschenbach Titurel (ca. 1215)- Wolfram von Eschenbach Der Gute Gerhard (1215/25) - Rudolf von Ems Kudrun (ca. 1230/40) - anonym Frauendienst (1255) - Ulrich von Lichtenstein Weltchronik (1250/54) - Rudolf von Ems Herzmaere und Der Schwanritter (1255/57) - Konrad von Würzburg Engelhard (ca. 1260) - Konrad von Würzburg Der Welt Lohn (ca. 1267) - Konrad von Würzburg
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte
Spätmittelalter 1250 - 1500 I. Begriff Der Begriff Mittelalter ging aus der nachfolgenden Epoche, der Renaissance, hervor. Die Humanisten wählten den Begriff für die Zeit zwischen Antike und der Neuzeit.
II. Weltbild Das mittelalterliche Weltbild ist tief von Kirche und Bibel geprägt. Gott ist der Erschaffer der Welt, der Natur und des Menschen und lenkt diese. Die Vertreibung aus dem Paradies wird als Beginn der Geschichte angesehen, die europäischen Königs- und Kaiserreiche - unter Einfluß der Kirche - als Vorläufer des Gottesreichs auf der Erde, nach dem Jüngsten Gericht. Der einzelne Mensch ist Bestandteil dieser Ordnung, er fühlt sich als Teil der Gesellschaft, nicht als Individuum.
III. Historischer Hintergrund In den Ländern Westeuropas errungen die Könige stetig an Macht. In Deutschland hingegen nahm die Macht ab, die der Reichs- und Kurfürsten hingegen stieg. Die Kurfürsten hatten nun das Recht einen König zu wählen. Die Städte erhielten große politische und wirtschaftliche Macht und wurden zu neuen Bildungszentren neben den Höfen. Durch den Niedergang des Rittertums nach dem Ende der Stauferzeit gewann das aufsteigende Bürgertum zunehmend mehr politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Einfluß. Das bürgerlich geprägte Spätmittelalter orientierte sich am höfischen Hochmittelalter. Es kam zu einer Blüte des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Einen dunklen Einschnitt hinterließen jedoch die Pestepidemien um 1350 in ganz Europa. Die Naturwissenschaften waren in einem großen Aufschwung und die Anzahl der Schulen und Universitäten nahm rasch zu. Die Leserschaft des Spätmittelalters bekam durch Erfindung des Buchdrucks von Johannes Gutenberg und Rückgang des Analphabetismus ebenfalls einen großen Zuwachs. Die Pestepidemien, Hungersnöte und zahlreiche Bauernaufstände brachten eine Krisenstimmung hervor. Die Menschen waren nun auf der Suche nach direkter Gotteserfahrung. Dieser Prozeß endete mit der Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Sie markiert das Ende des Mittelalters.
1. Die spätmittelalterliche Dichtung Der Minnesang veränderte sich stark: einerseits entwickelte er sich zum Meistersang, andererseits löste er sich im Volkslied auf. Der höfische Epos und der Heldenepos bestanden weiterhin, aber wichen der Erzählprosa zurück. Johannes von Tepl schuf das wichtigste spätmittelalterliche Prosawerk: Der Ackermann aus Böhmen. Im 13. Jahrhundert entstand das erste deutschsprachige Schauspiel. Vorausgegangen waren viele geistliche Spiele und es folgten darauf später die Fastnachtspiele. Nach © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Überwindung der Pestepidemien besann man sich wieder mehr auf geistliche Literatur. Es bildeten sich Geißlerlieder und Totentänze heraus. Daneben traten aber auch die bekannten Schwankdichtungen zum Vorschein. Die geistliche Dichtung im Spätmittelalter war geprägt vom geistlichen Drama, zu dem Osterspiele, Weihnachtsspiele, Passions- und Marienspiele zählten. Diese Spiele hatten eine große Zuschauerschaft: nämlich das Volk, da sie meist auf großen Plätzen aufgeführt wurden. Sie blieben also nicht nur den hohen Schichten des Volkes vorbehalten. Im Spätmittelalter entwickelte sich das Frühneuhochdeutsch heraus, allerdings nicht durch spätmittelalterliche Dichtung, sondern durch die beginnende Entfaltung der Fachliteratur. Diese wurde nämlich weiter verbreitet als die Dichtung und war für die Menschen aller Stände auch bedeutsamer. Ein Hinweis darauf gibt auch die Anzahl der heutigen Überlieferungen: von der mittelalterlichen Fachliteratur existiert um ein Vielfaches mehr Überlieferungen als die mittelalterlichen Dichtungen.
2. Literarische Formen • • • • • • • •
Schwank Totentanz Volksbuch Volkslied Meistersang Fastnachtspiel Geistliches Drama Legenden
Schwank: bedeutet Streich oder lustiger Einfall und stammt vom mittelhochdeutschen Wort swanc. Der Schwank ist eine komische, belehrende manchmal auch groteske Erzählung einer lustigen Begebenheit. Totentanz: Der Totentanz ist eine sinnbildliche Darstellung von Menschen die mit Toten (meist Skelette) tanzen. Die Abbildung wird meist mit Versunterschriften kommentiert. Der Totentanz weist auf die Vergänglichkeit hin, fordert zur Reue auf und stellt die Unausweichbarkeit des Todes dar. Er beruht auf einem mittelalterlichen Aberglauben, daß Tote als Skelette aus ihren Gräbern steigen und die Lebenden mit einem Tanz verlocken um sie zu sich zu holen. Volksbuch: verschiedene Gattungen von Texten, wie Sagen, Legenden, Gedichten, Balladen und Fabeln. Das Volksbuch verband Unterhaltung mit Lehrreichem. Meistersang: Der Meistersang entstand aus der Spruchdichtung. Die Meistersänger organisierten sich in Schulen. Der bekannteste von ihnen ist Hans Sachs aus Nürnberg. Der Meistersang bestand aus 3 Strophen, die ähnlich einem Minnelied aufgebaut waren: die ersten bedien Strophen bildeten den Aufgesang, die dritte den Abgesang. Fastnachtspiel: ist eine frühe Form des späteren Dramas. Es besteht meist aus Streitszenen. Das Fastnachtspiel wurde durch die Meistersinger zur Verspottung des dritten Standes, denn sie höhnten über die Dummheit der Bauern. Das Fastnachtspiel hatte eine belehrende Funktion: neben dem lustigen Spiel hatte es © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte eine ernste, moralisierende Absicht. Außerdem sollte es politische und religiöse Ziele propagieren. Der bekannteste Vertreter der Fastnachtspiele ist Hans Sachs.
3. Vertreter • • • • • • • • • • • • • •
Wernher der Gartenaere Hugo von Trimberg (ca. 1230 - ca. 1315) Heinrich von Meißen (ca. 1250-1318) Johannes Tepl (ca. 1350-1414) Oswald von Wolkenstein (ca. 1377-1445) Mechthild von Magdeburg (1208-1282/97) Gertrud von Hefta (2.1.1256-13.11.1302) Meister Eckhart (ca. 1260-1328) Heinrich Seuse (ca. 1295-1366) Johannes Tauler (ca. 1300-1361) Michael Beheim (1416-ca. 1474) Hans Folz (ca. 1435-1513) Heinrich von Mügeln (ca. 1325-ca. 1395) Ulrich Füetrer (t ca. 1500)
4. Werke • • • • • • • • • • •
Meier Helmbrecht (1280) - Wernher der Gartenaere Das fließende Licht der Gottheit (1282) - Mechthild von Magdeburg Lohengrin (1280/90) - anonym Mystische Schriften (1295/1327) - Meister Eckhart Der Renner (1300) - Hugo von Trimberg Das Büchlein der ewigen Weisheit (1327/34) - Seuse Der Meide Kranz (1361) - Heinrich von Mügeln Gedichte (1400/45) - Oswald von Wolkenstein Der Ackermann aus Böhmen (ca. 1400) - Johannes von Tepl Das Buch von den Wienern (1462/65) - Michael Beheim Das Buch der Abenteuer (1473/83) - Ulrich Füetrer
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte
Renaissance und Humanismus 1500 - 1600 I. Begriff Humanismus kommt vom lateinischen Wort humanitas und bedeutet 'Menschlichkeit'. Die Epoche des Humanismus erstreckte sich vom 15. bis 16. Jahrhundert in allen westlichen Ländern Europas. Die Gelehrten besonnen sich auf den HumanitasBegriff der Antike zurück. Renaissance stammt aus dem Französischen und heißt Wiedergeburt. Sie war eine europäische Bewegung mit der Wiederentdeckung der antiken Kultur. Die Reformation stellt die Erneuerung der katholischen Kirche durch Martin Luther dar.
II. Historischer Hintergrund Im Jahre 1453 wurde Konstantinopel durch die Türken eingenommen und zwang viele byzantinische Gelehrte zur Flucht nach Italien. Johannes Gutenberg entwickelte 1455 den Buchdruck mit beweglichen Lettern und beschleunigte damit die Verbreitung von Büchern. 1492 wurde Amerika von Christoph Kolumbus wiederentdeckt. Durch Kopernikus setzte sich das heliozentrische Weltbild durch. Johannes Kepler entdeckte die Planetenbewegung. Durch Martin Luthers Thesen wurde die Reformation ausgelöst. Im Reichstag zu Worms 1521 wurde er daraufhin geächtet. Seine Bibelübersetzung trug wesentlich zur Durchsetzung der neuhochdeutschen Sprache bei. 1555 kam es zum Religionsfrieden, doch dieser konnte die Gegenreformation nicht aufhalten.
1. Die Dichtung der Renaissance Der Humanismus ging von Italien aus, wo sich Schriftsteller wie Dante Alighieri und Giovanni Boccaccio einen Namen als Humanisten machten. Er wurde auch von byzantinischen Gelehrten beeinflußt, die nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken nach Italien kamen. Klerus und Adel beschäftigten sich mit der Übersetzung und Erhaltung klassischer Werke. Durch die Erfindung des Buchdrucks wurde die Verbeitung dieser Werke beschleunigt. Der Humanismus breitete sich auch in den anderen Ländern Europas aus, wo er sich nicht nur auf Kunst und Literatur wie in Italien bezog. Deutsche Gelehrte schufen Programme zu einer humanistischen Erziehung und Theologie. Damit legten sie den Grundstein für die Reformation. Herausragende Vertreter des deutschen Humanismus waren Erasmus von Rotterdam, Ulrich von Hutten und Johannes Reuchlin. Letzter war Herausgeber der Dunkelmännerbriefe, welche Kritik an der Kirche aufwiesen.
2. Literarische Formen • • •
Schwank Fastnachtspiel Volksbuch
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte • • • • •
Meistersang Helden-, Ritter- und Abenteuerroman Fabel Streitgespräche Narrenliteratur
Schwank: bedeutet Streich oder lustiger Einfall und stammt vom mittelhochdeutschen Wort swanc. Der Schwank ist eine komische, belehrende manchmal auch groteske Erzählung einer lustigen Begebenheit. Fastnachtspiel: ist eine frühe Form des späteren Dramas. Es bestand meist aus Streitszenen. Es wurde durch die Meistersinger zur Verspottung des dritten Standes, denn sie höhnten über die Dummheit der Bauern. Das Fastnachtspiel hatte eine belehrende Funktion: neben dem lustigen Spiel hatte es eine ernste, moralisierende Absicht. Außerdem sollte es politische und religiöse Ziele propagieren. Der bekannteste Vertreter der Fastnachtspiele ist Hans Sachs. Volksbuch: verschiedene Gattungen von Texten, wie Sagen, Legenden, Gedichten, Balladen und Fabeln. Das Volksbuch verband Unterhaltung mit Lehrreichem. Der Begriff Volksbuch wurde von Herder erschaffen, und bezeichnete volkstümliche, lehrhafte Dichtungen. Z.B. Historia von D. Johann Fausten. Meistersang: Der Meistersang entstand aus der Spruchdichtung und dem Minnesang. Die Meistersänger organisierten sich in Schulen. Der bekannteste von ihnen ist Hans Sachs aus Nürnberg. Der Meistersang bestand aus 3 Strophen, die ähnlich einem Minnelied aufgebaut waren: die ersten beiden Strophen bildeten den Aufgesang, die dritte den Abgesang.
3. Vertreter • • • • • • • • • • • • • • • •
Dante Alighieri (1265-1321) Giovanni Boccaccio (1313-1375) Sebastian Brant (1457-1521) Erasmus von Rotterdam (1469-1536) Martin Luther (1483-1546) Ulrich von Hutten (1488-1523) Johannes Reuchlin (1455-1522) Hans Sachs (1494-1576) Johann Fischart (ca. 1546-1590) Johann Geiler von Kaysersberg (1445-1510) Thomas Murner (ca. 1475-1537) Jakob Wimpfeling (t 1528) Jörg Wickram (1505-1562) Hermann Bote (1460-1520) William Shakespeare (1564-1616) Adam Puschmann (1532-1600)
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte
4. Werke • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Das Narrenschiff (1494) - Sebastin Brant Thyl Ulenspiegel (Till Eulenspiegel, 1510/11) - Hermann Bote Das Lob der Torheit (1511) - Erasmus von Rotterdam Dunkelmännerbriefe (1515/17) - Johannes Reuchlin Gesprächsbüchlein (1521) - Ulrich von Hutten Neues Testament (1522) - übersetzt von Martin Luther Reformationsschriften - Martin Luther An den christlichen Adel deutscher Nation - Martin Luther Lucretia (1527) - Hans Sachs Etliche Fabeln aus dem Esopo verdeutscht (1530) - Luther Das Narrenschneiden (1536) - Hans Sachs Der schwangere Bauer (1544) - Hans Sachs Der fahrende Schüler im Paradies (1550) - Hans Sachs Das Kälberbrüten (1551) - Hans Sachs Die ungleichen Kinder Evae (1553) - Hans Sachs Tristant und Isalden (1553) - Hans Sachs Rollwagenbüchlein (1555) - Wickram Der hürnen Sewfried (1557) - Hans Sachs Gründlicher Bericht des deutschen Meistergesangs (1571) - Puschmann Historia von D. Johann Fausten (1587) - anonym Die Schiltbürger (1598) - anonym
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte
Barock 1600 - 1720 I. Begriff Das Wort Barock kommt vom Portugiesischen "barroca" und bedeutet 'schiefrunde Perle'. Die Bezeichnung für barock als Adjektiv wurde daher zunächst abwertend gebraucht. Der Begriff Barock als Epochenbezeichnung setzte sich erst um Mitte des 19. Jahrhunderts durch.
II. Weltbild Das Weltbild des Barock ist geprägt von der Antithetik in allen Lebensbereichen, zerrissenen Lebensgefühlen, Vergänglichkeitsbewußtsein, Todesangst durch den Dreißigjährigen Krieg, mystisch-religiöse Schwärmerei und fanatischen Glauben.
III. Historischer Hintergrund Mit dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) erlebte das Deutsche Reich einen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verfall. Etwa ein Drittel des deutschen Volkes kam dabei um. Doch waren nicht hohe Kriegsverluste dafür verantwortlich, sondern das Wüten der Pest in fast allen großen und kleinen Städten. Mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges bildetet sich in Deutschland der Territorialabsolutismus heraus, bei dem sich Territorien neue Befugnisse verschafften. Die Einflußnahme des Staates griff auf alle Lebensbereiche, wie Erziehung, Bildung, Wirtschaft und Kirche und machte klare Vorgaben. Das Leben an den absolutistischen Fürstenhöfen hatte den französischen Absolutismus in Versailles zum Vorbild. Luxuriöse Bauten wurden errichtet und ein verschwenderisches Leben geführt. Im 17. Jahrhundert prägten nicht nur äußere Einflüsse das Deutsche Reich nachhaltig, sondern auch innere Konflikte. Auf dem Lande brachen Bauernaufstände und Bauernkriege aus, in den Städten kam es zu sozialen Unruhen: die Juden- und Hexenverfolgungen wurden weit ausgebreitet.
1. Die Barockdichtung 1.1 Reform der deutschen Dichtung Während in der Renaissance die Dichtungen noch vorwiegend in Lateinisch geschrieben worden waren, so wurden sie im Barock allmählich von der Deutschen Sprache abgelöst. Für die Literaturreform an sich steht Martin Opitz mit seinem Werk Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Es war die erste deutschsprachige Poetik und enthielt Vorschriften für Verse und Textverfassungen für beinahe alle Gattungen. Sie war eine Regelpoetik: "Damit aber die syllben vnd worte in die reime recht gebracht werden / sind nachfolgende lehren in acht zue nehmen." (Kapitel 7). Opitz' Intention © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte war es, eine Anleitung für regelgerechtes Dichten aufzustellen, nach der sich deutsche Dichter richten sollten. Opitz ging dabei deduktiv vor. Am bedeutendsten ist der Abschnitt, welcher die metrischen Vorschriften für Sonette, Epigramme und Lieder erläutert. Zum Beispiel sollte der Alexandriner nur in Sonetten und Epigrammen verwendet werden. Martin Opitz lehnte in seiner Poetik das silbenzählende (quantitierende) Versprinzip der antiken griechischen und lateinischen Dichtungen ab, und setzte sich für die Verwendung des alternierenden Versprinzips (Jambus und Trochäus) ein, das der deutschen Sprache am besten entspreche. Für Opitz war die Einteilung der Inhalte an Genres gebunden, d.h. bestimmte Genres eigneten sich für die Darstellung bestimmter Inhalte. Da für Opitz die Poesie an den Vers gebunden war, erklärt dies auch, warum Prosaformen, wie der Roman, fehlen. Opitz stellte eine Hierarchie der Gattungen auf, bei der an erster Stelle das Epos als höchste Form der Dichtung stand, gefolgt vom Drama an zweiter Stelle und der Lyrik an letzter Stelle. Lyrik war für Opitz weniger heroisch als Epos und Drama, und zeichnete sich durch ihre Kürze gegenüber der Länge beim Epos aus. Lyrik wurde von Opitz jedoch nicht als Gattungsbegriff, sondern als Genrebezeichnung gebraucht. Die Barockdichter hielten sich auch meist an die Vorgaben, denn der barocke Leser erwartete von ihm, daß das Werk einer bestimmten Gattung den Vorgaben entsprach. Nur selten wurden bestimmte Vorgaben ein wenig abgeändert. Die Dichtungen des Barock sind daher keine Erlebnisdichtungen, da Formen als auch Themen vorgegeben wurden. Die deutsche Sprache setzte sich überall in der Dichtung durch. Doch die politische und religiöse Trennung des Reiches führte dazu, daß es auch bald in der Literatur und im kulturellen Leben zu einer Spaltung kam: viele katholische Dichter kannten die protestantische Literaturreform nicht an und so wurden in katholischen Gebieten weiterhin hauptsächlich lateinische Dichtungen betrieben.
1.2 Motive der Barockdichtung Antithetik: Diesseits
Jenseits
Ewigkeit
Zeit
Schein
Sein
Spiel
Ernst
Lebensgier
Todesbewußtsein
Aufbau
Zerstörung
Blüte
Verfall
carpe diem
in memento mori
Erotik, Wollust
Tugend, Askese
Wohlstand
Armut
Gesundheit
Krankheit
Die starken Gegensätze und Spannungen ließen ein Vergänglichkeitsbewußtsein aufkommen, das sogenannte Vanitas-Motiv. Dieses führte in vielen barocken Werken zur Hinwendung zu Gott oder zur Weltflucht. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte
1.3 Lyrik im Barock In der Lyrik waren Sonett, Elegie, Epigramm und Ode die vorherrschendsten Formen. Beliebt waren auch die Figurengedichte. Mit seinen Oden und Gesängen (1618/19) schuf Georg Weckherlin den Beginn einer neuhochdeutschen lyrischen Kunstdichtung.
1.3.1 Figurengedichte Kreuzgedicht - Catharina Regina von Greiffenberg Seht der könig könig hängen! und uns all mitt blutt besprängen auss der dörner wunden bronnen ist All unsser heyl geronnen seine augen schliest Er sacht! und den Himmel uns aufmacht Seht Er Streket Seine Hend auss uns freundlichst Zuentfangen! Hatt an sein Liebheisses Herz uns zu drüken brünst verlangen! Ja Er neigt sein liebstes haubt uns begihrlichest zu küssen All Sein Sinn gebärd und werk seyn zu unser Heyl geflissen! Seiner seitten offen stehen Macht seyn güttig Herze sehen! Wann Wir schauen mitt den Sinnen Sehen Wir uns selbst darinnen! So Viel striemen so Viel Wunden Alss an seinen leib gefunden So Viel Sieg und Segen kwellen Wollt' er unser seel bestellen, Zwischen Himel und der Erden wollt' Er auf geopfert werden Dass Er gott und uns verglihen uns Zu sterken Er Verblihen Ja sein sterben hatt das Leben Mir und Aller Weltt gegeben! Jesu' Christ dein Tod und schmerzen Leb' und schweb' mir stett im Herzen!
1.3.2 Liebeslyrik Der herausragendste Liebeslyriker war Paul Fleming. Seine Liebesgedichte hatten die Schönheit der Liebe, deren Wesen und Wirkung zum Thema. Formal richteten sie sich jedoch streng nach den von Martin Opitz vorgegebenen Normen und Stilen. Die Formen der Liebeslyrik waren entweder Sonett oder Lied/ Ode. Im Sonett konnte die Antithetik gut umgesetzt werden, doch wurden auch volksliednahe Lieder und Oden geschrieben, die sich einem größeren Gesellschaftskreis durchsetzten konnten.
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1.3.3 Die Sonettdichtung des Andreas Gryphius Im Mittelpunkt des Werkes von Andreas Gryphius stehen Vergänglichkeit (Vanitas) und Leid der Welt. Auch seine Gedichte richten sich nach den Normen von Martin Opitz. Gryphius' bekanntestes Sonett ist Thränen des Vaterlandes Anno 1636, in welchem er den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges und die Qualen und Plagen der Menschen beschreibt. Die Leiden und Vergänglichkeit des Menschen werden in seinem Sonett Menschliches Elende besonders deutlich. Mit grotesken Worten beschreibt er darin den Zustand des Menschen und der Gesellschaft. In seinen scheinbaren Naturgedichten entpuppen sich die Naturgegenstände als Metaphern, die erst erschlossen werden müssen, so auch in seinem Sonett An die Welt.
1.3.4 Kirchenlied Beim Kirchenlied unterscheidet man zwischen dem Protestantischen und dem Katholischen Kirchenlied. Der berühmteste Vertreter des protestantischen Kirchenliedes war Paul Gerhardt (z.B. Abendlied). Er setzte, auch wie andere Dichter, Evangelien und Passionen in Verse um. Das Katholische Kirchenlied ähnelte mehr dem deutschen Volkslied. Ein bedeutender Vertreter dieser Gattung war Friedrich Spee. Auch einige katholische Lieder waren Übersetzungen lateinischer Texte. Die v.a. süddeutschen katholischen Lieddichter lehnten die Neuerungen der Protestanten ab, und behielten größtenteils ihre alten Formen bei.
1.3.5 Epigramme Zu den wichtigsten Epigrammdichtern des Barock gehört Friedrich von Logau. Jedoch sind ein Teil der von ihm stammenden Epigramme Übersetzungen Lateinischer und er hielt sich nicht streng an die Vorgaben der opitzschen Poeterey. Logaus Epigramme erschienen 1654 unter dem Titel Deutscher Sinn-Gedichte drey Tausend. Die Sammlung enthält aber etwa 500 Gedichte mehr, als ihr Titel angibt.
1.3.6 Lyrik im Spätbarock - Hoffmannswaldau Der herausragendste Vertreter der spätbarocken Lyrik war zweifelsohne Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau. Sein Werk übte eine aufklärerische Kritik und stellte somit einen Gegensatz zur den vorigen Lyrikern dar. Die Leser wurden so in Verblüffung und Verwunderung versetzt. Hoffmannswaldau verwendete auch gerne Sinn- und Wortspiele, die Concetti. Bekannt wurde Hoffmannswaldau auch durch seine erotischen Dichtungen, die von den Grundthemen "Carpe diem" (Nutze den Tag) und "Memento mori" (Gedenke zu sterben) durchzogen waren; Vergänglichkeit der Schönheit ist eines der bekanntesten davon.
1.3.7 Wandel in der Barocklyrik Gegen Ende des Barocks kam es zu einem Wandel in der barocken Lyrik. Bezeichnend für diese Änderung steht Johann Christian Günther, dessen Werke teils autobiographische, teils schon aufklärerische Züge zeigten. Er stellt in der Lyrik somit das Bindeglied zwischen Barock und Aufklärung dar. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte
1.4 Das Theater im Barock Das Theater im Barock wurde von den meisten Dramaturgen als Welttheater angesehen, ausgehend davon, daß "die Welt ein Theater ist". Allerdings konnten die deutschen Theaterdichter den Europäischen, wie Shakespeare, Moliere, Corneille oder Monteverdi, kaum etwas entgegensetzen, da es in Deutschland kein Nationaltheater gab. Zum Theater des Barock in Deutschland zählten daher nur Laienspiel, Wandertheater, Ordensdramen, Schultheater, Hoftheater und die Oper. Eine der wichtigsten Neuerungen im deutschen Theater war, daß die Frauenrollen nicht mehr von den Männern gespielt wurden. Die Ständeklausel blieb im Barock fest bestehen: die Tragödie handle von hochgestellten, adligen Personen; die Komödie handle von niederen Menschen.
1.4.1 Das Jesuitendrama Das Jesuitendrama ist ein katholisches Drama, welches nach dem Jesuitenorden benannt wurde. Die Jesuiten waren Anhänger der Gegenreformation. Deutlich wird dies schon in der Sprache, in welcher sie die Dramen verfaßten: Lateinisch. Die Grundthemen der Jesuitendramen sind die Suche nach dem wahrem Glauben und Kampf gegen die Ketzer. Der bedeutendste Jesuitendramaturg war Jakob Bidermann (z.B. Cenodoxus (1602)). Vor allem in seinen Dramen findet man den Abwendung von den humanistischen Idealen und die Zuwendung zum Individuum. Die wichtigsten Typen des Jesuitendramas sind Heiligen- und Märtyrerdrama.
1.4.2 Deutsches Kunstdrama Die Entwicklung eines deutschen Kunstdramas ging von Martin Opitz aus, der an die Ständeklausel wieder erinnert: die Komödie handle von Menschen der unteren Schichten, die Tragödie von hohen Persönlichkeiten der oberen Schichten; und antike, humanistische Dramen, z.B. Sophokles, übersetzte. Andreas Gryphius schuf das erste Kunstdrama: Leo Armenius / Oder Fürsten-Mord. Dabei handelt es sich um ein Märtyrerdrama, in welchem Vergänglichkeit und Nichtigkeit des Menschen dem Märtyrer gegenüberstehen. Gryphius' bekanntestes Drama ist Catharina von Georgien, Oder Bewährte Beständigkeit. Nach Gryphius ist es Lohenstein, der zum wichtigsten Barockdramaturg avanciert. Das Thema des Dramas wechselt von Heiligen- und Märtyrerdrama zum heidnischen Drama. In Cleopatra von Lohenstein wird z.B. die Konfrontation der Römer mit den Afrikanern dargestellt. Lohensteins Werke sind auch durchstreift von politischen Auseinandersetzungen. Die verwendete Versform im Kunstdrama war der Alexandriner.
1.4.3 Schuldrama Beim Schuldrama muß man eine Unterteilung vornehmen: zum einen wurden in Gymnasien Dramen von Lohenstein oder Gryphius aufgeführt, die mit ihren komplexen Texten und Versen nicht leicht verständlich waren; zum anderen gab es noch das Schuldrama im eigentlichen Sinne. Solche Dramen wurden eigens für die Schule geschrieben, um die Schüler in ihrer ethischen und religiösen Bildung zu fördern. Ein krasser Unterschied besteht im Schuldrama gegenüber anderen Theaterformen: die Ständeklausel verlor ihre Bedeutung, komische und tragische © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Elemente waren in einem Drama miteinander verbunden. Einer der wichtigsten Schuldramaturgen war Christian Weis.
1.4.4 Oper Im Barock entstand aus dem Kunstdrama die Oper. Um 1600 wurde in Italien die erste Oper geschrieben. Sie war eine Zusammensetzung aus einem Kunstdrama und Musik. Die Rolle der Musik bei einer Aufführung eines Kunstdramas nahm weiterhin zu, bis die erste Oper entstand: Dafne von Octavio Rinuccini. Diese wurde von Martin Opitz und Heinrich Schütz übersetzt und nach etwa 30 Jahren nach Entstehung des italienischen Originals in Deutschland zum ersten Mal aufgeführt.
1.4.5 Komödie Während die Tragödie von Protagonisten höherer Stände schildert, geht es in der Komödie um Menschen der niederen Stände. Der Hof stellt in der Tragödie den zentralen Ort der Handlung dar, in der Komödie aber verkörpert er die gesellschaftlichen Normen und steht somit im Gegensatz zu den sich fehlverhaltenden Personen der unteren Schichten. Der Widerspruch zwischen dem Fehlverhalten und der gesellschaftlicher Norm ist das Komische an sich. Die Funktion der Komödie ist die Belustigung der oberen Schichten und diese sehen darin eine Bestätigung ihrer Weltanschauung. Berühmte deutsche Komödien sind Horribilicribrifax und Peter Squentz von Andreas Gryphius.
1.5 Die Prosa im Barock Die Prosa im Barock hatte eine Vielzahl an Formen: vorherrschend waren vor allem Reisebeschreibungen, Predigten, wissenschaftliche und journalistische Werke - also die nichtfiktionale Literatur - und daneben die bestehenden literarischen Gattungen wie Roman, Schwank, Satire, Sprüche und andere Erzählformen.
1.5.1 Der Barockroman Der Barockroman unterteilt sich in drei wesentliche Gattungen: der höfischhistorische Roman, der Schäferroman und der niedere Roman, zu welchem der Schelmenroman (oder Pikaroroman) gehört. a) Der höfisch-historische Roman Eigene deutsche höfisch-historische Romane erschienen erst im Spätbarock. Im Frühbarock wurden viele europäische Romane ins Deutsche übersetzt. Höfischhistorische Romane wurden von höfischen oder hochangesehenen bürgerlichen Dichtern verfaßt. Außerdem orientierten sich die Romane am absolutistischen Herrschaftsbild der Zeit. Auch historische Romane handeln von dem Wirken absolutistischer Fürsten. Der höfisch-historische Roman war kompliziert und verwirrend in seinem Aufbau, waren doch die sich überschneidenden Lebensgeschichten der handelnden Personen kaum noch zu Überblicken. Oft kam es vor, daß solch ein Roman auch einige Bände einnahm. Aus dem höfischhistorischen Roman entwickelte sich später der Galante Roman, der formal seinem Vorgänger noch sehr ähnelte, inhaltlich aber Liebesthemen in den Mittelpunkt rückte. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte b) Der Schäferroman Während sich der höfisch-historische Roman aus Übersetzungen europäischer Romane entwickelte, entstanden deutsche Schäferromane aus eigenständigen kleinen Romanen, deren Themen persönliche Liebeskonflikte waren. Nur selten wurden große Schäferromane verfaßt. Ein berühmter Schäferroman ist Die Kunstund Tugend-gezierte Macarie von Heinrich Arnold Stockfleth und Maria Katharina Stockfleth. c) Der Niedere Roman Der Niedere Roman unterscheidet sich sehr vom höfisch-historischen Roman. Die Hauptpersonen im Niederen Roman kommen aus den unteren Gesellschaftsschichten, beim höfisch-historischen Roman aus den oberen. Im Schelmen- oder Pikaroroman stammte der Held aus niederen sozialen Verhältnissen. Die Welt wird von unten, aus einem niederen Stand, betrachtet; die Hauptpersonen sind meist Unterdrückte. Die meisten Schelmenromane bauen sich aus einer fiktiven Autobiographie auf, so auch im Simplicissimus von Grimmelshausen. Im Pikaroroman ist die rückblendende Erzählweise vorherrschend und steht damit in Kontrast zum höfisch-historischen Roman. Der Schelmenroman ist geprägt von satirischen Elementen und wendet sich dadurch von der klassizistischen Romanstruktur ab. Eine weitere Gattung des Niederen Romans ist der Politische Roman. Dieser setzte sich erst im Spätbarock durch und trug lehrhafte und frühe aufklärerische Tendenzen. Politische Romane zielten auf Erfahrungssammlung und Selbsterkenntnis des Menschen in seiner Welt. Auch Abenteuerromane gehörten dem Niederen Roman an. Der berühmteste deutsche Vertreter dieser Gattung ist Johann Gottfried Schnabel mit seinem Werk Insel Felsenburg, daß dem Buch Robinson Crusoe von Daniel Defoe sehr ähnelt.
2. Literarische Formen • • • • • •
Sonett Emblem Epigramm Jesuitendrama Schäferdichtung Kirchenlied
Sonett: Das Sonett ist eine Lyrikform bestehend aus 14 Zeilen. Diese lassen sich in zwei Quartette und in zwei Terzette unterteilen. Die Versform der Sonette ist der Alexandriner (6 Hebungen). Der wohl bekannteste Sonettdichter des Barock war Andreas Gryphius. Emblem: Das Emblem setzt sich aus einem Bild und Text zusammen und ist in drei Teile untergliedert: die Überschrift, das Motto (inscriptio); das Bild (pictura); und die Bildunterschrift (subscriptio).
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Epigramm: Das Epigramm ist eine oft lustige literarische Kurzform, die in Versen geschrieben ist. Der bedeutendste Epigrammatiker war Angelus Silesius mit seinem Hauptwerk, dem Cherubinischen Wandersmann. Jesuitendrama: ist eine Theaterform des Jesuitenordens. Es wurden meist biblische Stoffe behandelt. Der Hauptvertreter des Jesuitendramas ist Jakob Bidermann. Das Jesuitendrama ist das Bindeglied zwischen lateinischem Humanistendrama und dem barocken Trauerspiel. Schäferdichtung: ist eine Dichtungsform, die ein unwirkliches Bild vom Leben eines Hirten berichtet. Sie existierte schon im 3. Jahrhundert v. Chr., wurde aber erst im Barock auch in Deutschland angewendet.
3. Vertreter • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Johann Valentin Andreae (1586-1654) Jakob Bidermann (1578-1639) Sigmund von Birken (1626-1681) Jakob Böhme (1575-1624) Anton Ulrich von Braunschweig (1633-1714) Paul Fleming (1609-1640) Paul Gerhardt (1607-1676) Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694) Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1622-1676) Andreas Gryphius (1616-1664) Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658) Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679) Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635) Friedrich Freiherr von Logau (1604-1655) Daniel Casper von Lohenstein (1635-1683) Johann Michael Moscherosch (1601-1669) Martin Opitz (1597-1639) Johann Rist (1607-1667) Justus Georg Schottelius (1612-1676) Angelus Silesius (Johann Scheffler) (1624-1677) Georg Rudolf Weckherlin (1584-1653) Christian Weise (1642-1708) Diederich von dem Werder (1584-1657) Philipp von Zesen (1619-1689)
4. Werke • • • • • • •
Cenodoxus (1602) - Bidermann Oden und Gesänge (1618/19) - Weckherlin Buch von der Deutschen Poeterey (1624) - Opitz Dafne (1627) - Opitz Schäferei von der Nymphen Hercinie (1630) - Opitz Trostgedichte in Widerwärtigkeit des Kriegs (1633) - Opitz Sonn- und Feiertagssonette (1639) - Gryphius
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Wunderliche und wahrhaftige Geschichte Philanders von Sittewald (1640-43) Moscherosch Deutsches Helicon (1640/41) - Zesen Deutsche Vers- und Reimkunst (1645) - Schottelius Ritterholds von Blauen Adriatische Rosemund (1645) - Zesen Teutschen Poemata (1646) - Fleming Das Friede wünschende Teutschland (1647) - Rist Poetischer Trichter (1647-53) - Harsdörffer Leo Armenius oder Fürstenmord (1650) - Gryphius Ibrahim (1650) - Lohenstein Catharina von Georgien oder Bewährte Beständigkeit (1651) - Gryphius Deutscher Sinn-Gedichte drey Tausend (1654) - Logau Carolus Stuardus oder Ermordete Majestät (1657) - Gryphius Cardenio und Celinde oder Unglücklich Verliebte (1657) - Gryphius Cherubinischer Wandersmann (1657) - Angelus Silesius Herr Peter Squenz oder Absurda Comica (1658)- Gryphius Cleopatra (1661) - Lohenstein Horribilicribrifax (1663) - Gryphius Anleitung zur deutschen Poeterei (1665) - Buchner Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch (1669) - Grimmelshausen Der teutsche Bauer - Grimmelshausen Deutsche Rede-, Bind- und Dichtkunst (1679) - Birken
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Aufklärung 1720 - 1790 I. Begriff Die Aufklärung ist eine seit dem 17. Jahrhundert vorherrschende, gesamteuropäische Bewegung der Rationalität und Humanität. Der Begriff Aufklärung steht als Epochenbezeichnung der deutschen Literaturgeschichte, die Empfindsamkeit und Sturm und Drang mit einschließt.
II. Weltbild Im 18. Jahrhundert spricht man vom Anbruch der Modernen Zeit. In den Städten bildete sich ein neues Bürgertum heraus, welches Handel betrieb und Besitz und Kapital anhäufte. Der Feudalismus wurde dadurch allmählich verdrängt. Spannungen zwischen dem Bürgertum und dem Adel wuchsen. Das Bürgertum akzeptierte nicht mehr die gottgegebene Vorherrschaft der Adligen, sondern stellte einen eigenen Selbstbestimmungsanspruch. Die Bürgerlichen beriefen sich auf die Vertreter der Aufklärung, die für eine Herrschaft der Vernunft eintraten.
III. Historischer Hintergrund Nach dem Dreißigjährigen Krieg war das Deutsche Reich in viele Territorien zersplittert. Es existierten über 300 souveräne Einzelstaaten. Das "Heilige Römische Reich deutscher Nation" hatte nur symbolischen Charakter, da die wesentlichen Entscheidungen in Politik, Wirtschaft, Gesetzgebung, etc. von den Einzelstaaten selbst getroffen wurden. Das luxuriöse Hofleben vieler Kleinstaatenfürsten wurde meist zu Lasten des Volkes gezahlt. Wichtig waren auch einige Kriege, wie die Schlesischen Kriege (1740-1742 und 1744-1745), der Siebenjährige Krieg (1756-1763), nachdem Preußen zur Großmacht aufsteigt, und der amerikanische Unabhängigkeitskrieg gegen England (1775-1783).
IV. Philosophischer Hintergrund Die Philosophen der Aufklärung waren es, welche den Beginn der Moderne eigentlich einläuteten. Sie wirkten auf die Dichter vieler europäischer Länder und prägten diese. Der wichtigste Philosoph in Deutschland war Immanuel Kant mit seinem kritischen Idealismus. In seinem Werk Was ist Aufklärung? beschreibt er die Ideen und Ideale dieser Zeit. Daraus ein Auszug: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude!" Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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1. Die Dichtung der Aufklärung 1.1 Wandel in der Dichtung Die Dichtung des 18. Jahrhunderts wandelte sich stark: im Mittelpunkt stand nicht mehr das Lob der Fürsten und die Unterhaltung der höfischen Gesellschaft, sondern das bürgerliche Leben und die Aufklärung des Bürgertums. Die Leserschaft aufklärerischer Dichtung war zunächst gering, da die meisten Menschen weder lesen noch schreiben konnten. Doch auch die Bürgerlichen, die lesen konnten, befaßten sich meist mit religiöser Dichtung. Es mußte darum erst eine literarisch interessierte Gesellschaft und eine breite Leserschaft geschaffen werden. Moralische Wochenschriften, die eine Aufklärung des Bürgertums zum Ziel hatten, und Lesegesellschaften förderten eine literarisch interessierte Öffentlichkeit. Die Abkehr von der höfischen Dichtung bewirkte auch eine Ablösung der Hofdichter. An ihre Stelle trat nun der freie Schriftsteller. Doch dieser hatte es im 18. Jahrhundert nicht leicht, war er zwar finanziell von fürstlichen und kirchlichen Gönnern unabhängig, doch konnte er kaum von den geringen Auflagen seiner Werke leben. Durchschnittliche Auflagen eines Werkes oder einer Zeitschrift von einem bekannten Dichter lag etwa bei 2000 Exemplaren. Die meisten Schriftsteller verbesserten ihre finanzielle Lage durch Nebeneinkünfte, z.B. als Beamter. Eine wichtige Rolle bei der literarischen Veröffentlichung spielte die Zensur. Das beste Beispiel hierfür ist der Streit zwischen dem orthodoxen Pastor Goeze und Gotthold Ephraim Lessing. Dieser endete damit, daß der Herzog von Braunschweig über Lessing eine Zensur verhängte, seine religionskritischen Arbeiten nicht zu veröffentlichen. Den Aufklärern gelang es jedoch nicht, die Zensur abzuschaffen. Im Gegenteil, nach der Französischen Revolution 1789 wurde sie noch verschärft. Es gab allerdings noch einen Faktor, der den Buchmarkt des 18. Jahrhunderts prägte: die Gründung von Verlagen und Buchhandlungen. Die Leser konnten nun Bücher besser beziehen, jedoch gerieten viele Schriftsteller in Abhängigkeit ihrer Verleger. Auch der Konkurrenzdruck der Autoren untereinander erschwerte die Situation. Es konnten nur die Schriftsteller sich auf dem Markt behaupten, deren Werke sich der Leserschaft angepaßt hatten.
1.2 Literaturtheorien der Aufklärung Mit der Ablösung der höfischen Dichter folgte auch eine Ablösung der höfischen Dichtung. An ihre Stelle trat eine Literatur, welche die Ideen der Aufklärung vertrat: Vernunft, Humanität und Nützlichkeit. Die aufklärerischen Ideale wurden auf sämtliche literarische Gattungen übertragen.
1.2.1 Gottscheds Literaturtheorie In seiner Literaturtheorie Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen (1730) verurteilte Gottsched die Barockdichtung aus der Sicht der Aufklärer. Er widersetzte sich der Normen- und Regelpoetiken des Barock und trat für eine Verbreitung der aufklärerischen Ideen in der Deutschen Dichtung ein. Kern der Poetik Gottscheds war der aristotelischer Grundsatz von der Nachahmung der Natur und eine Forderung von Horaz, daß die Aufgabe der Dichtung die Verbindung von Vergnügen und Nutzen sei. Gottsched setzte die Gesetze der Natur mit den Regeln der Vernunft gleich. Unter "Nachahmung" verstand er jedoch nicht die © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte wirklichkeitsgetreue Wiedergabe, sondern eine Ähnlichkeit des Erdichteten. Gottsched forderte zudem die Einhaltung von Zeit, Ort und Handlung im Drama, wie auch schon Aristoteles. Diese Forderung wurde später von Lessing kritisiert. Nach Gottsched sollte auch der literarische Schaffensprozeß nach den Regeln der Vernunft geschehen. Der Dichter sollte sich einen moralischen Lehrsatz zu Grunde legen und darauf eine Handlung aufbauen. Gottsched vertrat weiterhin die Ständeklausel: Adlige und Fürsten sollten nur in Tragödien und Heldendichtungen auftreten, Bürger und Leute mit geringem sozialen Status nur in Komödien und Romanen. Der Dichter sollte bei Gottsched ein Erzieher der Leserschaft im Sinne der Aufklärung sein.
1.2.2 Lessings Literaturtheorie Gottscheds Literaturtheorie war der des Barock zwar weit voraus, doch hinderte sie die Weiterentwicklung der bürgerlichen Literatur: durch Festlegung des literarischen Schaffensprozesses, Einhaltung der Ständeklausel und der drei Einheiten des Dramas und den aristotelischen Grundsatz von der Nachahmung der Natur. Seine Literaturtheorie wurde von Lessing heftig kritisiert. Dieser lehnte alle Forderungen Gottscheds ab, ohne aber von den aufklärerischen Ideen abzuweichen. Lessings Standpunkt überwand die feudalen Literaturtheorien endgültig. Die Überwindung der Ständeklausel von Lessing wurde dadurch ermöglicht, daß der Mensch nicht mehr nach seinem sozialen Status handelt, sondern darüber hinausgeht. Lessing gab der Literatur eine neue Funktion: sie sollte das Leserpublikum sittlich läutern, und es nicht moralischen belehren wie Gottsched. An die Tragödie stellte Lessing besondere Forderungen: Angst, Furcht und Mitgefühl sollten beim Leser und Zuschauer erweckt werden. Der Leser sollte sich mit den Protagonisten auseinandersetzen können, mit ihnen mitfühlen und sich davor fürchten, das gleiche Schicksal zu erleiden. Der Held durfte deswegen keine ideale Figur darstellen, sondern er mußte ein reale Person darstellen. Lessing fordert, im Gegensatz zu Gottscheds Nachahmung der Natur, eine poetische Nachahmung, d.h. die Dinge sollen vom Dichter nicht naturalistisch wiedergegeben werden, sondern Unwichtiges und Nebensächliches soll weggelassen werden, damit nur das Wichtigste übrigbleibt. Lessing schrieb seine Gedanken zur Dramentheorie in der Hamburgischen Dramaturgie (1767/1768) nieder.
1.3 Das Drama in der Epoche der Aufklärung Das Drama spielte in der Aufklärung eine besondere Rolle. Hier hoffte man die Zuschauer und Leser besser erziehen und verändern zu können, als in anderen literarischen Gattungen. Im 18. Jahrhundert versuchten viele Bürgerliche sich als Schauspieler zu bewerben, um Rollen zu spielen, die ihnen im wirklichen Leben versagt blieben.
1.3.1 Gottscheds Dramen Weder das Wandertheater noch das Hoftheater konnte für die aufklärerischen Ideen genutzt werden. Gottsched versuchte allerdings das Wandertheater für ein bürgerliches Publikum interessant zu machen, indem er ihr Niveau hob. Er arbeitete mit einigen Schauspielertruppen zusammen, darunter Caroline Friederike Neuber (1697-1760), eine Schauspielerin und Leiterin einer eigenen Theatergruppe. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Gottsched hatte das klassizistische französische Theater zum Vorbild. In seinen eigenen Dramen versuchte er es mit Einhalt von Zeit, Ort und Handlung, Ständeklausel, usw. zu realisieren. Die erste Umsetzung seiner Dramentheorie war das Trauerspiel Sterbender Cato (1732). Gottsched versuchte ein Dramenmodell aus englischen und französischen Dramen zu schaffen, welches zum Vorbild für andere Dramaturgen dienen sollte. Doch seine Orientierung am französischen Klassizismus brachte ihm bald viel Kritik ein, v.a. Lessing war es, der Gottscheds Dramen stark verurteilte, denn die Dichter wurden mit zu vielen Regeln eingeengt.
1.3.2 Idee vom Deutschen Nationaltheater Lessing, der Gottscheds Dramentheorie und -praxis stark kritisierte, hatte die Idee von einem deutschen Nationaltheater. Dieses Theater sollte nicht von anderen Ländern beeinflußt werden und mußte aktuell sein. Lessings Forderungen konnten nur in einem bürgerlichen Theater umgesetzt werden. Mit der Idee eines Deutschen Nationaltheaters verband Lessing auch die Vorstellung von der Schaffung eines bürgerlichen Dramas. In Hamburg wurde 1765 eine stehende Bühne gegründet, doch geriet sie schnell in finanzielle Schwierigkeiten. Die Idee wurde bald auch von den Fürsten getragen, so wurde 1776 die Weimarer Hofbühne von Joseph II. zum Nationaltheater erklärt; 2 Jahre später wurde das Mannheimer Nationaltheater gegründet.
1.3.3 Lessings Dramen In der Hamburgischen Dramaturgie verfaßte Lessing seine Gedanken zur Dramentheorie. Er brachte die Entwicklung des bürgerlichen Dramas weit voran. Mit Minna von Barnhelm, Emilia Galotti und Nathan der Weise schuf Lessing Werke, die bis heute noch zum Standartrepertoire vieler Bühnen gehören. Seine wohl wichtigste Tragödie ist der Nathan. In diesem Drama bricht Lessing mit der bisherigen Theatertradition, daß Juden nur als lächerliche Darsteller auf der Bühne waren. Außerdem kämpft er damit gegen antisemitische Vorurteile. Während des Nationalismus in Deutschland, 1933 bis 1945, wurde es verboten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Drama wieder auf deutschen Bühnen gespielt. Die Bürgerlichen Dramen waren im eigentlichen Sinne gar nicht "bürgerlich", denn die handelnden Personen stammten weiterhin aus dem Adel. Doch verkörperten einige Adlige bürgerliche Tugenden und Vorstellungen, wie Toleranz, Humanität, Gerechtigkeit, Sittlichkeit, Warmherzigkeit und eine Fülle an Gefühlen. In Lessings Emilia Galotti, beispielsweise, stammt Emilia aus dem niederen Adel, verkörpert aber bürgerliche Ideale. Erst in Schillers Kabale und Liebe stammte eine Hauptperson aus dem Bürgertum.
1.4 Der Roman in der Aufklärung Der Roman erlebte, ähnlich dem Drama, eine Blütezeit in der Aufklärung. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde diese literarische Gattung jedoch als unbedeutend und verachtenswürdig abgetan. Man hielt zunächst nichts von Abenteuer-, Liebes-, Schäfer- oder Schelmenromanen. Erst die Aufklärer erkannten das Potential des Romans und machten sich an dessen Weiterentwicklung heran. Doch dies konnte nur geschehen, indem der höfische Roman durch den bürgerlichen Roman abgelöst wurde. Die Forderungen an den bürgerlichen Roman ähnelten den Ansprüchen an © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte das bürgerliche Drama. Der adlige Held sollte durch einen bürgerlichen Protagonisten ersetzt werden. Auch die Art des Erzählens sollte geändert werden: die schwülstige Erzählart im höfischen Roman mußte abgeschafft werden. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren die meisten deutschen Romane Übersetzungen ausländischer Werke. Bereits um 1770 waren alle anderen Romanformen vom bürgerlichen Roman verdrängt. Christoph Martin Wieland galt als erster Epiker mit seinem Werk Agathon (1766-1767). Er enthielt schon einige Neuerungen, aber er galt noch als Nachahmung ausländischer Dichter. Einen weiteren wichtigen Schritt in der Entwicklung des Romans machten Christian Fürchtegott Gellert und Sophie von La Roche. Gellerts Leben der schwedischen Gräfin G (1747-1748) und La Roches Geschichte des Fräuleins von Sternheim (1771) trugen zwar bürgerliche Züge und verkörperten bürgerliche Ideale, doch gelang der Durchbruch mit einem "echten" bürgerlichen Roman erst Goethe mit seinem Werther (1774). Neben bürgerlichen Romanen spielten auch autobiographische Romane und satirische Formen eine bedeutsame Rolle. Georg Christoph Lichtenberg verfaßte in seinen Sudelbüchern unzählige Aphorismen über Politik, Staat, Religion, Gesellschaft, Literatur und Philosophie. Er gilt als der bedeutendste deutsche Aphoristiker überhaupt.
1.5 Lyrik der Aufklärung Die höfische Dichtung wurde in der Lyrik schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts und damit viel eher abgelöst, als in der Epik oder im Drama. Die Lyrik der Aufklärung besaß eine große Formenvielfalt: sie reichte von Gedankenlyrik, Lehrgedichten über Oden und Hymnen bis zu Balladen. Die Aufklärungslyrik war von Subjektivität und teils starken Gefühlsregungen bestimmt. Eine ungewöhnliche Dichterin der Aufklärung war Anna Luise Karsch (1722-1791), denn sie stammte nicht aus dem Bildungsbürgertum sondern einer sozial tieferen Schicht. Doch ihre Gedichtsammlung Auserlesene Gedichte (1764) beeindruckte viele zeitgenössische Dichter. Aus einer erst in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts veröffentlichter Briefsammlung ging hervor, wie intensiv sie sich mit ihrer Zeit und der Literatur auseinander setzte.
1.6 Die Fabel Neben den Höhepunkten von Roman und Drama erlebte auch die Fabel im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt, obwohl ihre Geschichte schon über 2000 Jahre alt ist. Der Grieche Äsop schrieb im 6. Jahrhundert vor Christus die ersten Fabeln, welche später zum Vorbild für viele andere Fabeldichter wurden. Im Mittelalter wurden in Deutschland die ersten Fabeln geschrieben. In der Reformation wurde sie zum politisch-religiösen Diskussionsmittel, besonders von Martin Luther, genutzt. Von den Dichtern des Barock wurde sie allerdings kaum geachtet. Erst in der Aufklärung blühte sie wieder auf. Lessing faßte sogar eine eigene Fabeltheorie (1759) ab. Er hatte die Absicht, das Selbstwertgefühl des Menschen zu stärken, indem er die Schwächen des Menschen aufzeigte. Die Entwicklung der Fabel im 18. Jahrhundert läßt sich in drei Stufen einteilen: zu Beginn des Jahrhunderts wurden in der Fabel v.a. die Ideen der Aufklärung und moralische Lehren veranschaulicht; ab 1750 stellte man zunehmend die soziale Kritik an der Gesellschaft dar; gegen Ende des 18. Jahrhunderts übte man politische Kritik, besonders an den feudalen Herrschern und ihrer Lebensweise. Die Struktur der Fabel unterscheidet sich von einem Dichter zum anderen. Eines © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte haben sie aber alle gemeinsam: das menschliche Handeln und Denken sowie Andeutungen von gesellschaftlicher und sozialer Probleme wurde auf die beseelte und unbeseelte Natur übertragen. Veranschaulicht wurde dies durch satirische Elemente und durch eine erzieherische und belehrende Erzählweise. Viele Fabeldichter hatten antike Fabeln (z.B. von Äsop) zum Vorbild. Einen wichtigen Einfluß auf die deutschen Fabeldichter übte der französische Dichter La Fontaine (1621-1695). Beispiel einer Fabel: Gotthold Ephraim Lessing - Der Tanzbär Ein Tanzbär war der Kett' entrissen, Kam wieder in den Wald zurück, Und tanzte seiner Schar ein Meisterstück Auf den gewohnten Hinterfüßen. "Seht", schrie er, "das ist Kunst; das lernt man in der Welt. Tut es mir nach, wenn's euch gefällt, Und wenn ihr könnt!" - "Geh", brummt ein alter Bär, "Dergleichen Kunst, sie sei so schwer, Sie sei so rar sie sei, Zeigt deinen niedern Geist und deine Sklaverei." Ein großer Hofmann sein, Ein Mann, dem Schmeichelei und List Statt Witz und Tugend ist; Der durch Kabalen steigt, des Fürsten Gunst erstiehlt, Mit Wort und Schwur als Komplimenten spielt, Ein solcher Mann, ein großer Hofmann sein, Schließt das Lob oder Tadel ein?
2. Literarische Formen • • •
bürgerliches Trauerspiel Fabel Lehrgedicht
bürgerliches Trauerspiel: ist eine Form des Dramas im 18. Jahrhundert, das mit den bestehenden Poetiken brach, doch wichtiger war, daß die Helden des Dramas nun bürgerliche Züge trugen und die Ideen des Bürgertums vertraten. Ein Beispiel für ein Trauerspiel ist Lessings Emilia Galotti. Fabel: ist eine kurze epische Erzählung in Vers- oder Prosaform mit lehrreichem Inhalt. Am Ende der Fabel steht die "Moral" der Fabel, oft eine Lebensweisheit. Das menschliche Handeln und Denken sowie Andeutungen von gesellschaftlicher und sozialer Probleme wird auf die beseelte und unbeseelte Natur übertragen. Veranschaulicht wird dies durch satirische Elemente und durch eine erzieherische und belehrende Erzählweise. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Lehrgedicht: ist Gedankenlyrik mit aufklärendem, lehrhaftem und moralischem Inhalt. Es kann alle Wissensgebiete behandeln, von Religion bis Naturkunde. Z.B. Der Frühling von Christian von Kleist.
3. Vertreter • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Johann Jakob Bodmer (1698-1783) Barthold Heinrich Brockes (1680-1747) Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769) Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) Johann Christoph Gottsched (1700-1766) Friedrich von Hagedorn (1708-1754) Albrecht von Haller (1708-1777) Immanuel Kant (1724-1804) Anna Luise Karsch (1722-1791) Christian Ewald von Kleist (1715-1759) Luise Adelgunde Kulmus (1713-1762) Sophie von La Roche (1730-1807) Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) Gottlieb Konrad Pfeffel (1736-1809) Johann Elias Schlegel (1719-1749) Christian Felix Weiße (1726-1804) Christoph Martin Wieland (1733-1813)
4. Werke •
Irdisches Vergnügen in Gott, bestehend in physikalisch- und moralischen Gedichten (1721) - Brockes • Versuch einiger Gedichte oder erlesene Proben poetischer Nebenstunden (1729) - Hagedorn • Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen (1730) - Gottsched • Sterbender Cato (1732) - Gottsched • Versuch Schweizerischer Gedichten (1732) - Haller • Pietisterey im Fischbein-Rocke (1736) - Luise Adelgunde Kulmus • Versuch in poetischen Fabeln und Erzählungen (1738) - Hagedorn • Kritische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie (1740) - Bodmer • Deutsche Schaubühne nach den Regeln der alten Griechen und Römer eingerichtet (1740/45) - Gottsched • Sammlung neuer Oden und Lieder (1742-52) - Hagedorn • Hermann (1743) - J. E. Schlegel • Versuch in scherzhaften Liedern (1744-58) - Gleim • Fabeln und Erzählungen (1746-48) - Gellert • Leben der schwedischen Gräfin G (1747-1748) - Gellert • Grundlegung einer deutschen Sprachkunst (1748) - Gottsched • Der junge Gelehrte (1748) - Lessing • Der Triumph der guten Frauen (1748) - J. E. Schlegel • Die stumme Schönheit (1748) - J. E. Schlegel • Der Frühling (1749) - Chr. v. Kleist • Die Juden (1749) - Lessing © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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Die verwandelten Weiber oder Der Teufel ist los (1752) - Chr. Weiße Miß Sara Sampson (1755) - Lessing Auserlesene Gedichte (1764) - Karsch Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie (1766) - Lessing Die Geschichte des Agathon (1766/67) - Wieland Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück (1767) - Lessing Hamburgische Dramaturgie (1767-1768) - Lessing Geschichte des Fräuleins von Sternheim (1771) - Sophie von La Roche Emilia Galotti (1772) - Lessing Nathan der Weise (1779) - Lessing Oberon (1780) - Wieland Gedichte (1792) - Karsch
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Empfindsamkeit 1740 - 1790 I. Begriff Der Begriff Empfindsamkeit leitet sich von Lessings Verdeutschung "empfindsam" zum englischen Wort sentimental ab.
1. Literatur der Empfindsamkeit Die Empfindsamkeit stellt keine Gegenbewegung zur Aufklärung dar, sondern ist eine Ergänzung der reinen Rationalität der Aufklärer mit Empfindungen. Das Bildungsbürgertum suchte eine Flucht vor der Unterdrückung durch die Obrigkeit und fand sie in der Welt der Empfindungen. Die Literatur der Empfindsamkeit ist geprägt von Pietismus, Gefühlsbetontheit, Insich-Gekehrtheit, Freundschaft und Naturnähe. Den Höhepunkt in der empfindsamen Dichtung stellt Klopstocks Epos Der Messias (1748-1773) dar. Die 20 Gesänge des biblischen Epos sind in Hexametern verfaßt. Bevorzugt wurden v.a. lyrische Formen. Die Hymnendichtung fand hier ihren Höhepunkt. Es entstanden auch viele Oden, die bekanntesten davon stammten von Klopstock, so z.B. Die frühen Gräber, Die Frühlingsfeier, Der Zürchersee, Das Wiedersehn und An meine Freunde, und erschienen 1771 als Gesamtausgabe. Die frühen Gräber (1764) Friedrich Gottlieb Klopstock
Willkommen, o silberner Mond, Schöner, stiller Gefährt der Nacht! Du entfliehst? Eile nicht, bleib, Gedankenfreund! Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin. 5
Des Mayes Erwachen ist nur Schöner noch, wie die Sommernacht, Wenn ihm Thau, hell wie Licht, aus der Locke träuft, Und zu dem Hügel herauf röthlich er kömt. Ihr Edleren, ach es bewächst
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Eure Maale schon ernstes Moos! O wie war glücklich ich, als ich noch mit euch Sahe sich röthen den Tag, schimmern die Nacht.
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2. Literarische Formen • • • • •
Epos Roman Ode Hymne Idylle
Hymne: (griech.: Festgesang) ist ein feierlicher Lob- und Preisgesang, der oft in freien Rhythmen verfaßt wurde. Idylle: kommt vom griechischen eidyllon und steht für Bildchen. Sie ist meist eine idealisierte harmonische Darstellung vom Land- und Volksleben in Prosa- oder Versform.
3. Vertreter Viele Vertreter der Empfindsamkeit kommen aus Literaturkreisen oder -bunden, so z.B. aus dem Göttinger Hainbund. • • • • • • •
Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) Matthias Claudius (1740-1815) Johann Heinrich Voß (1751-1826) Ludwig Heinrich Hölty (1748-1776) Samueal Gotthold Lange (1711-1781) Immanuel Jakob Pyra (1715-1744) Johann Martin Miller (1750-1814)
4. Werke • • • • • • • • •
Thirsis' und Damons freundschaftliche Lieder (1745) - Lange, Pyra Messias (1748-1773)- Klopstock Hermanns Schlacht (1769) - Klopstock Oden (1771) - Klopstock Der Wandsbecker Bothe (1771/75) - Matthias Claudius Siegwart, eine Klostergeschichte (1776) - Miller Der siebzigste Geburtstag (1781) - Voß Gedichte (1782/83) - Hölty Luise (1783/84) - Voß
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Sturm und Drang 1767 - 1790 I. Begriff Der Begriff des Sturm und Drang ist von Klingers gleichnamigen Drama Sturm und Drang (1776) hergeleitet. Der Beginn der Epoche wurde mit dem Erscheinen der Herderschen Fragmente 1767 markiert. Der Sturm und Drang endet mit dem Wandel Goethes und Schillers zu Klassikern, ausgelöst durch Goethes Bildungsreise in Italien und Schillers Kant-Studien.
1. Literatur des Sturm und Drang 1.1 Geniekult Im Mittelpunkt neuer ästhetischer Betrachtungen steht nun das Genie, nicht mehr die Regelpoetik. Die Zeit des Sturm und Drangs wird auch als Geniezeit bezeichnet, die viele Genies hervorbrachte, und in welcher der Dichter gegenüber anderen Menschen herausgehoben wurde. Starke Impulse erhielten die Genies durch Shakespeare. Während Gottsched ihn wegen seiner "Regellosigkeit" ablehnte, fand er bei den Stürmern und Drängern große Anerkennung. Somit konnte nun die Ablösung der französischen klassizistischen Dichtung ermöglicht werden. Shakespeare avancierte bei den Stürmern und Drängern zum Vorbild als genialer Dichter. Ein Entstehungsgrund für den Geniekult war auch der hinzugekommene starke Konkurrenzdruck auf dem literarischem Markt. Die neue Literatur ist einerseits durch Genialität, andererseits durch Subjektivität geprägt worden. Die Elemente des Geniedaseins standen jedoch im Gegensatz zur aufklärerischen Rationalität. Jedoch darf der Sturm und Drang nicht als Kampf gegen die Aufklärer gesehen werden. Mit dem Sturm und Drang trat die Aufklärung in eine neue Phase ein. Die aufklärerische Rationalität wurde durch die Gefühlsregungen der Stürmer und Dränger erweitert. Verstand und Gefühl bildeten nun eine Einheit. Die Literaturauffassung der Stürmer und Dränger besagt, daß die Literatur für größere Volksteile zugänglich werden sollte, und nicht mehr nur für Intellektuelle. Der Dichter stellte sich also in den Dienst des Bürgertums.
1.2 Das Drama im Sturm und Drang Die bevorzugte literarische Form der Stürmer und Dränger war das Drama, ihm wurde eine erzieherische und bildende Rolle zugeschrieben. Die Idee vom Nationaltheater und vom bürgerlichen Drama, wie sie auch Lessing hatte, setzten die Stürmer und Dränger fort. Mit Werken wie Die Räuber (1781) und Kabale und Liebe (1784) von Schiller und den Götz von Berchlingen (1773) von Goethe wurde das deutsche Theater mit dem französischen und englischem Theater ebenbürtig. Bei den Räubern von Schiller sind, mehr als in einem anderen Drama jemals zuvor, revolutionäre, antifeudale Elemente ausgebildet. Außerdem zeigt es die Wirklichkeit des 18. Jahrhunderts, das von organisiertem Bandenwesen und Pauperismus © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte (Massenarmut) geprägt wurde. Die Behandlung aktueller Gesellschaftsprobleme ist eine Neuerung des Dramas des Sturm und Drang gegenüber anderen Epochen. In vielen Dramen des Sturm und Drang findet man das Motiv der "verführten Unschuld", das durch die Stürmer und Dränger in ein neues Licht gerückt wurde. Von der Kritik am Feudalismus, bei welcher der Feudalherr als Verführer der bürgerlichen Unschuld dargestellt wird, übt man jetzt Kritik an der bürgerlichen Moral, welche dies regungslos hinnimmt. Eines haben die Dramen des Sturm und Drang alle gemeinsam: am Ende scheitert der Held an den gesellschaftlichen Verhältnissen und kann seine Identität nur durch Mord, Freitod oder Selbstverstümmelung bewahren. Wichtige Themen der Dramen im Sturm und Drang waren Freiheitskampf gegen die Gesellschaft (z.B. Schiller: Kabale und Liebe, Die Räuber; Goethe: Goetz von Berchlingen; Klinger: Die Zwillinge) und gesellschaftliche Geschlechterauffassungen (z.B. Lenz: Die Soldaten).
1.2.1 Das bürgerliche Drama Merkmale des bürgerliche Dramas sind die Einhaltung von Tugenden, wie Humanität, Toleranz, Sittlichkeit und Gefühlsbetontheit. Die Vertretung dieser Tugenden dient als Abgrenzung gegenüber der höfischen Gesellschaft. Der erste "richtige" bürgerliche Held in einem Drama ist Luise, die Tochter eines Stadtmusikanten, aus Schillers Kabale und Liebe. Auch der Handlungsort des bürgerlichen Dramas spielt nun in Deutschland, und nicht wie bisher im Ausland. In Kabale und Liebe wird versucht, die Standesschranken zu überwinden, doch fordert dies das Opfer von Luise durch eine Intrige (=Kabale) der höfischen Gesellschaft.
1.2.2 Dramen von Lenz Die Dramen von Lenz zeichneten sich durch eine bedeutsame Änderung aus: der Vermischung von Komödischem und Tragischem. Lenz schuf somit eine neue Dramenform, in der sich Tragisches mit Komischen und Satirisches mit Ernstem verband. In seiner Komödie Die Soldaten (1776) wird dies besonders deutlich. Die Ständeklausel wird nicht eingehalten, da Figuren niederen Standes (z.B. Wesener, Stolzius, Marie) neben Figuren des adligen Standes (z.B. Desportes, Gräfin De La Roche) auftreten. Der Stoff handelt von etwas Alltäglichem (Liebe), jedoch ist er nicht frei erfunden. Das Kriterium des Redestils ist auch nicht eingehalten, da verschiedene Redestile nebeneinander stehen. Der Ausgang des Werkes entspricht nicht dem einer Komödie im klassischen Sinne. Es findet zwar eine glückliche Versöhnung am Ende zwischen Marie und Wesener als Happy-End statt, jedoch steht dies neben dem tragischen Tod von Stolzius und Desportes. Die Soldaten ist keine Komödie nach aristotelischen Kriterien, sondern eine Mischform, eine Tragikkomödie. Bedeutend ist Lenz auch wegen seinen Dramenfiguren. Er schuf zwiespältige Charaktere, deren Verhalten von den sozialen Verhältnissen bestimmt wurde, in dem sie lebten. Sie stellten also keine Tugendgestalten, wie Nathan bei Lessing, oder Heldenfiguren wie Karl Moor bei Schiller.
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1.3 Der Roman im Sturm und Drang Der bürgerliche Roman hatte vor der Epoche des Sturms und Drangs das gleiche Problem, wie das bürgerliche Drama. Beide standen sie noch in ihren Kinderschuhen. Erst mit Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werthers (1774) erschien der erste bürgerliche Roman. Die Form des Briefromans ist eine Möglichkeit, das Gefühlsleben durch unkonventionelle Sprache zu artikulieren. Werther ist ein junger, bürgerlicher Intellektueller, der am Eingliederungsversuch eines bürgerlichen Individuums in die feudale Ordnung (Ständegesellschaft) scheitert und darauf Selbstmord begeht. Werther war ein Außenseiter der Gesellschaft und nicht angepaßt und integriert wie Albert. Werther behauptete für sich das Recht auf Selbstbestimmung, Selbstfindung und Selbstverwirklichung. Dies war jedoch nicht bei der Arbeit möglich, da er sich als Sekretär auch unterordnen muß. Einzig die Liebe bot ihm einen Ausweg aus der Subordination (Unterordnung), weil sie eine Gleichstellung zwischen zwei Liebenden ermöglichen kann. Der bürgerliche Roman gilt als Vorläufer des späteren modernen Romans in Deutschland.
1.4 Die Lyrik im Sturm und Drang Die Lyrik des Sturm und Drangs war bestimmt von Liebes-, Natur- und lehrhaften Gedichten. Die Empfindungslyrik spielte eine wesentliche Rolle, da auch sie, wie der Briefroman, das Gefühlsleben zum Ausdruck bringen konnte. Einige Beispiele sind Willkommen und Abschied (1771) von Goethe oder Der Bauer an seinen durchlauchtigen Tyrannen (1773) von Gottfried August Bürger. Der Bauer an seinen durchlauchtigen Tyrannen Gottfried August Bürger Wer bist du, Fürst, daß ohne Scheu Zerrollen mich dein Wagenrad, Zerschlagen darf dein Roß? Wer bist du, Fürst, daß in mein Fleisch Dein Freund, dein Jagdhund, ungebleut Darf Klau und Rachen haun? Wer bist du, daß durch Saat und Forst Das Hurra deiner Jagd mich treibt, Entatmet wie das Wild? Die Saat, so deine Jagd zertritt, Was Roß und Hund und du verschlingst, Das Brot, du Fürst, ist mein. Du Fürst hast nicht bei Egg und Pflug, Hast nicht den Erntetag durchschwitzt. Mein, mein ist Fleiß und Brot! Ha! du wärst Obrigkeit von Gott? Gott spendet Segen aus; du raubst! Du nicht von Gott, Tyrann!
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1.5 Die Anfänge der Balladendichtung Anstöße für Entwicklung der Kunstballade waren aus England gekommen: 1760 Macphersons Ossian und 1765 Percys Reliquies of Ancient Poetry (Sammlung von engl. Volksballaden, Verserzählungen, Liedern und Gedichten ab 15. Jh.). Percys Sammlung löste in Deutschland eine Sammlertätigkeit nach einheimischen Volksliedern aus (Herder, Goethe). Die ersten Balladen stammten von Hölty: 1771 Ebenteuer und 1773 Die Nonne. Im selben Jahr wie Höltys Nonne entstand darauf Bürgers Lenore. Bürger versuchte mit seiner volksmäßigen Literatur alle Volksschichten gleichmäßig anzusprechen. Er gebrauchte dabei eine nicht rationale und nicht logische Darstellung, sowie rein rhapsodischen Stil (Lebendigkeit, Unmittelbarkeit, Leidenschaftlichkeit, Volksmäßigkeit). Bürgers Pfarrers Tochter von Taubenhain war eine Mischung von Gespenstermotiv und Motiv der Kindsmörderin. Im Jahr 1771 beschäftigte sich auch Goethe mit dem Sammeln von Volksballaden im Elsaß. Mit Goethes Fischer 1778 und Erlkönig 1782 begründete er die naturmagische Ballade. Der Erlkönig - Goethe Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind; Er hat den Knaben wohl in dem Arm, Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm. Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? Siehst Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. "Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schöne Spiele spiel ich mit dir; Manch bunte Blumen sind an dem Strand, Meine Mutter hat manch gülden Gewand." Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht, Was Erlenkönig mir leise verspricht? Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; In dürren Blättern säuselt der Wind. "Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn? Meine Töchter sollen dich warten schön; Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn Und wiegen und tanzen und singen dich ein." Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort Erlkönigs Töchter am düstern Ort? Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau: Es scheinen die alten Weiden so grau. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte "Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt." Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an! Erlkönig hat mir ein Leids getan! Dem Vater grauset's, er reitet geschwind, Er hält in den Armen das ächzende Kind, Erreicht den Hof mit Mühe und Not; In seinen Armen das Kind war tot.
2. Literarische Formen • • •
bürgerliches Drama bürgerlicher Roman Empfindungslyrik
3. Vertreter • • • • • • • • • •
Gottfried August Bürger (1747-1794) Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) Friedrich von Schiller (1759-1805) Johann Gottfried von Herder (1744-1803) Friedrich Maximillian Klinger (1752-1831) Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) Johann Georg Hamann (1730-1788) Heinrich Wilhelm von Gerstenberg (1737-1823) Heinrich Leopold Wagner (1747-1779) Karl Philipp Moritz (1756-1793)
4. Werke • • • • • • • • • • • • • • •
Gedicht eines Skalden (1766) - Gerstenberg Über die neuere deutsche Literatur. Fragmente (1767) - Herder Ugolino (1768) - Gerstenberg Willkommen und Abschied (1771) - Goethe Wanderers Sturmlied (1772) - Goethe Von deutscher Art und Kunst, einige fliegende Blätter (1773) - Herder Lenore (1773) - Bürger Der Bauer an seinen durchlauchtigen Tyrannen (1773) - Bürger Götz von Berchlingen mit der eisernen Hand (1773) - Goethe Ganymed (1773) - Goethe Prometheus (1773, Dramenfragment) - Goethe Clavigo (1774) - Goethe Die Leiden des jungen Werthers (1774) - Goethe Mahomets Gesang (1774) - Goethe Der neue Menoza oder Geschichte des umbanischen Prinzen Tandi (1774) Lenz • Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung (1774) - Lenz • Das leidende Weib (1775) - Klinger © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte • • • • • • • • • • • • • •
Pandämonium Germanikum (1775) - Lenz Die Soldaten (1776) - Lenz Sturm und Drang (1776) - Klinger Die Zwillinge (1776) - Klinger Mailied (1776, späte Fassung) - Goethe Stella. Ein Schauspiel für Liebende (1776) - Goethe Die Kindsmörderin (1776) - Wagner Gedichte (1778) - Bürger Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet (1784) - Schiller Die Räuber (1781) - Schiller Die Verschwörung des Fiesko zu Genua (1783) - Schiller Kabale und Liebe (1784) - Schiller Prometheus (1785) - Goethe Anton Reiser (1785/90) - Moritz
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Klassik 1786 - 1832 I. Begriff Das Wort klassisch stammt vom lateinischen classicus mit dem man Angehörige der höchsten Steuerklasse bezeichnete. In der Bedeutung erstrangig wurde dieses Wort bald auf andere Bereiche übertragen. Heute meint man mit klassisch etwas zeitlos gültiges, überragendes und vorbildhaftes. Im schöpferischen Sinne bedeutet es die Orientierung an antiken Stil- und Formmustern. Mit Klassik verbindet man allgemein die Epoche des kulturellen Höhepunktes eines Landes. In Deutschland spricht man speziell von der Weimarer Klassik, da in Weimar der Höhepunkt im Schaffensprozeß Goethes und Schillers lag. Das Jahr 1786 sieht man mit Goethes Italienreise als den Beginn der Epoche an, das Ende 1832, mit dem Tod Goethes.
II. Historischer Hintergrund Im Jahre 1789 fand die große Französische Revolution statt. Es kommt zum Zusammentreten der Generalstände. Der Dritte Stand wählt eine Nationalversammlung. Am 14. Juli 1789 wird die Bastille gestürmt. Einen guten Monat später werden die Menschen- und Bürgerrechte erklärt. 1791 unternimmt Ludwig XVI. einen Fluchtversuch. 1792 wird die königliche Familie festgesetzt. Die Herrschaft der Jakobiner bricht an und gleichzeitig auch die Zeit des Terrors. Die Hinrichtung Ludwigs XVI. durch die Guillotine löst Empörung und Bestürzung zugleich in fast allen anderen europäischen Nationen aus. Die Monarchie in Frankreich wird durch die Schreckensherrschaft Robespierres abgelöst. Terrorgesetze, Todesurteile und zahllose Todesvollstreckungen prägen die Jahre 1793 und 1794, bis 1794 Robespierre gestürzt wurde. Zwischen 1795 und 1799 ist in Frankreich eine Direktorialregierung eingesetzt. Durch einen Staatsstreich gelangt Napoleon Bonaparte 1799 an die Macht in Frankreich, er wird zum ersten Konsul. 1804 wird Napoleon zum französischen Kaiser. Das bürgerliche Gesetzbuch, der Code civil, wird zum Vorbild für die juristische Entwicklung in allen europäischen Nationen. In der Schlacht von Austerlitz 1805 besiegt Napoleon die österreichischen und russischen Truppen. 1806 wird mit der Errichtung einer Kontinentalsperre zur Ausgrenzung Englands begonnen. Im selben Jahr kommt es auch zur Gründung des Rheinbundes, der Schutzherrschaft Napoleons über die rheinischen Staaten, und zur Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. In den Schlachten bei Jena und Auerstedt werden die preußischen Truppen 1806 vernichtend geschlagen. Zwischen 1807 und 1814 werden in Preußen wichtige Reformen vollzogen, die einen großen Einfluß auf die Gesellschaft hatten: Bauernbefreiung, Selbstverwaltung der Städte, Gewerbefreiheit, Judenemanzipation, Bildungsreform und Heeresreform. 1812 zieht Napoleon gegen Russland in den Krieg. Da der erhoffte Sieg ausbleibt, tritt er den Rückzug an. 1813 setzen die Befreiungskriege gegen Frankreich ein. Mit der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 wurde den französischen Truppen ein vernichtender Schlag zuversetzt. In der Schlacht bei Waterloo 1815 wird Napoleon endgültig besiegt. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte 1815 regelt der Wiener Kongress die Neuordnung Europas. Es kommt zur Gründung der Heiligen Allianz, zwischen Russland, Österreich und Preußen, und der Gründung des Deutschen Bundes. Damit wird das europäische Gleichgewicht wieder hergestellt und eine langfristige Sicherung des Friedens gewahrt. Die Prinzipien der Neuordnung Europas, wie Restauration, Legitimität und Solidarität, bestimmen die nächsten Jahrzehnte in Deutschland.
III. Philosophischer Hintergrund Wichtig für die Herausbildung des Idealismus war die Philosophie Immanuel Kants. In seiner Kritik der reinen Vernunft (1781-87) untersuchte er die Erkenntnisfähigkeit des Menschen. In der Kritik der praktischen Vernunft (1788) versucht er Gründe für das sittliche Handeln zu finden, das nicht nur auf Konventionen und Geboten beruhen kann, sondern aus einem sittlichen Willen resultiert. In der Kritik der Urteilskraft (1790) beschäftig sich Kant auch mit der Ästhetik. Schöne Kunst ist für ihn Kunst eines Genies, denn sie ist exemplarisch.
1. Literatur der Klassik Die Dichtung der Klassik war sehr vom Idealismus geprägt. Sie zielte auf eine geschlossene Form, auf Vollendung, auf Humanität, auf Sittlichkeit und auf Harmonie. In Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) forderte er eine Wahrnehmung der Kunst, die auch die Gesellschaft befördert. Durch die ästhetische Erziehung wurde die Natur durch die Kunst überwunden, die aber wieder Natur ist, um Harmonie zu erreichen. Ziel der klassischen Dichtung war nicht Abbildung oder Nachahmung der Natur, sondern das Wesen der Dinge zu erfassen.
1.1 Klassikverständnis Das Klassikverständnis ging auf die Betrachtung antiker Bildkunst zurück. Von ihr wurde z.B. durch Winkelmann abgeleitet, was das Schönheitsideal ausmachte. Für Winkelmann war das Menschenbild geprägt durch "edle Einfalt und stille Größe". Edle Einfalt meint die Simplizität des behandelten Stoffes, stille Größe eine große Geisteshaltung. Das Verständnis der Tragödie ging auf Sokrates, der Epik auf Homer und der Politik auf die polis zurück. Winkelmann war Verwalter der Kunstsammlung des Vatikans. Dadurch wurden antike Bilder in Rom zugänglich. Eine Italienreise wurde so zu einer Bildungsreise, um die Kunstschätze der Antike mit eigenen Augen rezipieren zu können.
1.2 Goethe und Schiller als Dichtungstheoretiker 1.2.1 Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil (1789, Goethe) Diese Schrift stellt das Ergebnis Goethes Kunstlebens in Italien dar: des Studiums des Natur- und Volkslebens und dem Römischen Karneval. Goethe war selbst als Zeichner tätig. Goethe entwickelte eine Theorie am Beispiel der Bildenden Kunst, da sie am anschaulichsten ist und den Menschen zum Gegenstand hat. In dieser Theorie unterscheidet er zwischen drei Methoden des Kunstschaffens mit Stil als Höhepunkt. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Nachahmung: Nachahmung (Mimesis) ist die empirische, natürliche Erfassung der Natur. Sie führt zu Realismus und Naturalismus. Nachahmung zeigt aber nur Äußerlichkeiten und Oberflächlichkeiten. Bis zum 18. Jahrhundert galt in der Dichtung die Mimesis der Natur als Grundprinzip des Schaffens. Erst mit Herder und Lenz wurde dies abgeschafft. Manier: Durch den Gebrauch der Phantasie gelangt man zu Phantasievorstellungen, die nicht auf den Wesen der Dinge beruhen. Die Dinge werden benutzt, um die eigenen Ansichten darzustellen. Manier ist also der Ausdruck des individuellen Sicht der Dinge. Das freie Kunstschaffen des Sturm und Drang beruht auf diesem Dichtungsprinzip. Stil: Das Wesen der Dinge und der Gesetze, die es bestimmt, gilt es zu erfassen und darzustellen. Grundlage für Stil ist Mimesis (Realität, empirische Beobachtung) und Manier (Subjektivität). Die drei Dichtungsprinzipien bilden somit eine Synthese. Der Stil ist jedoch das höchste Mittel der Darstellung. Die Gesetzmäßigkeit in den Dingen der Natur ist bestimmt durch Metamorphose. Sie führt zur Höherentwicklung bis hin zur Vollkommenheit. Dadurch ergibt sich eine harmonische Kontinuität. Durch Mannigfaltigkeit und Polarität in den Dingen wird eine harmonische Einheit geschaffen. 1.2.2 Einführung in die Propyläen (Goethe) Die Zeitschrift "Die Propyläen" wurde nach dem Eingangstor der Akropolis benannt. Sie vollzieht den Übergang von Naturwirklichkeit zur Kunstwahrheit. Sie wendet sich an Künstler, um diese zu bilden Stil zu erreichen. Handwerk ist nur ein Teil der Kunst, hinzu kommen geistiges Wissen und Empfindungen. Bezieht der Künstler sich nur auf sein Talent, kommt es zum Problem der Vereinseitigung. Mit der Darstellung der Schönheit des Menschen soll Vollkommenheit des Rezipienten erreicht werden. Das Stilkunstwerk stellt eine Möglichkeit dar, den schönen Menschen hervorzubringen und Harmonie zu schaffen. 1.2.3 Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795, Schiller) Die Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen stellen den Versuch dar, das Schöne zu bestimmen und die Frage nach der Funktion der Kunst innerhalb der Kulturentwicklung des Menschen zu klären, besonders in der Zeit nach der Französischen Revolution. Für Schiller ist eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft, wie die Französische Revolution, zum Scheitern verurteilt. Politische Veränderungen können erst erreicht werden, wenn der Mensch seine Harmonie wiedergefunden hat. Schiller fordert eine Erziehung hin zur Wahrnehmung der Kunst, die aus Phantasie und Vernunft das Ideal des selbstbestimmenden Menschen hervorbringt, der immer auch die Sache der Gesellschaft befördert. 1.2.4 Über naive und sentimentale Dichtung (1795/96, Schiller) Schiller versucht in dieser Schrift Voraussetzungen und Merkmale moderner Kunst zu zeigen. Der moderne Dichter befindet sich in einer Welt, die ihm fremd ist: Trennung zwischen Mensch und Natur, Sinnlichkeit und Vernunft stehen der harmonischen Einheit der Antike gegenüber. Für den Dichter der Antike zeigte sich © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte das Ganze seiner Natur in der Wirklichkeit, deshalb konnte der diese Wirklichkeit "naiv" nachahmen. Der moderne Dichter hingegen muß das durch Kultur und Zivilisation verlorene, ursprüngliche Ideal darstellen - sentimentalisch. 1.2.5 Über Bürgers Gedichte (1791, Schiller) Als literaturtheoretische Schrift zu Lyrik der Klassik kann Schillers Über Bürgers Gedichte, eine Rezeption zu Bürgers Gedichten, gelten. Schiller unterscheidet zwischen einem Volkssänger, der zum Volk herabsteigt, und einem Volksdichter, der eine Verbindung zwischen Bildungs- und Massenpublikum herstellen muß. Um Interessen der Bildungselite und der Volksmassen zu treffen, benötigt es nach Schiller nach einer "Idealisierkunst", die den richtigen Stoff mit einfacher Darstellung verbindet. Kennzeichnend für den Volksdichter ist "glückliche Wahl des Stoffs und höchste Simplicität in Behandlung desselben". Der "Volkssänger" macht Popularität zu seinem höchsten Gesetz, wie Bürger. Der Abstand zwischen Bildungs- und Massenpublikum kann nur durch Rückgang aufs allgemein-menschliche, Klarheit und Einfachheit überbrückt werden. Schiller kritisiert Bürger darin, daß er der Popularität die höchste Schönheit aufgeopfert hat. Schiller spielt dabei auch auf den Unterschied zwischen volkstümlicher und kunstvoller Sprache an. Durch die ideelle Ordnung des Weltbildes kommt es zur Entfernung von der Volkstümlichkeit.
1.3 Beförderung der Humanität am Beispiel Goethes Hermann und Dorothea (1797) Die bedeutendste Gattung für den Klassiker Goethe ist die Epik. Es soll daher in dieser Gattung versucht werden, die Beförderung der Humanität zu klären. Stoff: Der Stoff beruht auf der Flucht linksrheinischer Deutscher vor eindringenden französischen Revolutionstruppen zur Zeit der Revolutionskriege, als französische Truppen 1793 ins Ruhrgebiet einfielen. In Hermann und Dorothea wurde damit der Versuch unternommen, die jüngste Vergangenheit (nahe der Gegenwart) zu schildern. Thema: Das Thema greift die chaotische Zeiten durch den ersten Koalitionskrieg auf, in dem sich die Ordnung in Auflösung befindet. Der Einzelne ist den Massen unterworfen, das Harmonie-Ideal ist verletzt. Das harmonische Ideal kann nur durch Anteilnahme am Schicksal der anderen bewahrt werden. Die Anteilnahme des Einzelnen am Schicksal aller zeigt sich im Beistehen der Mitmenschen, z.B. durch das Schenken von Kleidern. Das Schicksal führt den Einzelnen wieder zur Gemeinschaft: der Revolutionskrieg ist der Auslöser für das Zusammenfinden Hermanns und Dorotheas und der Wiederherstellung der Harmonie durch Ehe der beiden am Ende. Das Engagement des Einzelnen für das Gemeinwesen ist Ausdruck von Humanismus und der Vollkommenheit des Menschen. Das natürliche Verhalten des Menschen wird in existentiellen Grundsituationen, wie Ehe, Geburt oder Tod gezeigt. Dauer, Beständigkeit und Festigkeit sind wichtig, um der Auflösung der Ordnung entgegenzuwirken.
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Form: In der Form ähnelt Hermann und Dorothea einem Epos, das sich an der Ilias Homers orientiert, aufgrund der Verwendung klassischer Hexameter und die Unterteilung in Gesänge. Die Musenbezeichnungen für Gesänge ersetzen die Anrufung einer Muse zu Beginn eines Gesangs. Die Vollkommenheit des Inhalts kann nur durch die Vollkommenheit der Form gelingen. Die Handlung ist nicht chronologisch, sondern rückblickend. Die Mißverständnisse sind konstruiert. Die Dialoge sind keine dramatische Dialoge, da keine Zielstrebigkeit und keine gegensätzlichen Standpunkte auftauchen. Die Dialoge tendieren zum Ausgleich, sie sind epische Dialoge. Hermann und Dorothea fehlt jedoch das Heroische, wie z.B. Achilles in der Ilias, daher wäre die Verwendung der Genrebezeichnung Epos falsch. Da Hermann und Dorothea etwas Alltägliches behandelt und sich um Ausgleich bemüht, ist es besser von einer Idylle, als von einem heroischen Epos, zu sprechen. Herder versucht in seinen Briefen zur Beförderung der Humanität auf theoretische Weise zu klären, wie Humanität befördert werden kann. Goethe zeigt es praktisch z.B. an Hermann und Dorothea. Ehe, Freundschaft, geistige Übereinkunft führen zu einer harmonischen Menschengemeinschaft. Revolution wirkt sich darauf auflösend aus. Die Vervollkommnung des Menschen soll durch den Tatgedanken und vollkommene Menschen bewirkt werden, z.B. "und es versetze darauf die kluge verständige Hausfrau". Die Figuren repräsentieren das Ideal des Individuums. Sie sind tugendhaft, besitzen Modellcharakter, haben eine Rolle in der Gemeinschaft und sind Ausdruck des allgemeinen, wesenhaften, charakteristischen => Stil. Die Figuren wirken verallgemeinernd und zeigen Grundzüge des menschlichen Verhaltens (z.B. "Geben ist Sache des Reichen").
1.4 Die klassische Ballade Um den Abstand zwischen Bildungselite und Volksmassen zu verringern, benötigt es nach Schiller nach einer "Idealisierkunst", die richtige Stoffwahl und höchste Simplizität der Darstellung vereint. Schillers Balladen sind der Versuch, den Abstand zwischen Bildungs- und Massenpublikum durch Rückgang aufs allgemeinmenschliche, Klarheit und Einfachheit zu überbrücken. Die Balladenproduktion der Klassiker im Jahr 1797 waren Werkstatterfindungen. Die klassische Ballade beschränkt sich auf die Arbeiten Schillers und Goethe in den Jahren 1797 und 1798, die in den "Musenalmanach für das Jahr 1798" und "Musenalmanach für das Jahr 1799" veröffentlicht wurden. Im sog. "Balladenjahr" 1797 machten Schiller und Goethe die Ballade zum Gegenstand eines "bewußten Kunstwillens und ästhetischen Experiments". Im "Musenalmanach für das Jahr 1798" erschienen Goethes Der Zauberlehrling, Die Braut von Korinth, Der Gott und die Bajadere sowie Schillers Der Ring des Polykrates, Der Handschuh, Ritter Toggenburg , Der Taucher und die Kraniche des Ibykus. Im "Musenalmanach für das Jahr 1799" erschienen Schillers Der Kampf mit dem Drachen und Die Bürgschaft. Schillers Balladenproduktion fällt ganz in die klassische Phase, während sich Goethes Balladenproduktion über seine gesamte Schaffensperiode erstreckt. Die klassische Ballade hält Distanz zur volkstümlichen-germanischen, antik-klassischen, christlich-mittelalterlichen und orientalischen Welt.
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Der Handschuh Friedrich von Schiller
Vor seinem Löwengarten, Das Kampfspiel zu erwarten, Saß König Franz, Und um ihn die Großen der Krone, Und rings auf hohem Balkone Die Damen in schönem Kranz. Und wie er winkt mit dem Finger, Auf tut sich der weite Zwinger, Und hinein mit bedächtigem Schritt Ein Löwe tritt Und sieht sich stumm Rings um, Mit langem Gähnen, Und schüttelt die Mähnen Und streckt die Glieder Und legt sich nieder. Und der König winkt wieder, Da öffnet sich behend Ein zweites Tor, Daraus rennt Mit wildem Sprunge Ein Tiger hervor. Wie der den Löwen erschaut, Brüllt er laut, Schlägt mit dem Schweif Einen furchtbaren Reif, Und recket die Zunge, Und im Kreise scheu Umgeht er den Leu Grimmig schnurrend, Drauf streckt er sich murrend Zur Seite nieder. Und der König winkt wieder; Da speit das doppelt geöffnete Haus Zwei Leoparden auf einmal aus, Die stürzen mit mutiger Kampfbegier Auf das Tigertier; Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen, Und der Leu mit Gebrüll Richtet sich auf - da wird's still; Und herum im Kreis, Von Mordsucht heiß, Lagern sich die greulichen Katzen. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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Da fällt von des Altans Rand Ein Handschuh von schöner Hand Zwischen den Tiger und den Leun Mitten hinein. Und zu Ritter Delorges spottender Weis', Wendet sich Fräulein Kunigund: "Herr Ritter, ist Eure Lieb' so heiß, Wie Ihr mir's schwört zu jeder Stund, Ei, so hebt mir den Handschuh auf." Und der Ritter in schnellem Lauf Steigt hinab in den furchtbarn Zwinger Mit festem Schritte, Und aus der Ungeheuer Mitte Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger. Und mit Erstaunen und mit Grauen Sehen's die Ritter und Edelfrauen, Und gelassen bringt er den Handschuh zurück. Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde, Aber mit zärtlichem Liebesblick Er verheißt ihm sein nahes Glück Empfängt ihn Fräulein Kunigunde. Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht: "Den Dank, Dame, begehr ich nicht!" Und verläßt sie zur selben Stunde.
2. Literarische Formen • • •
Bildungsroman Ideendrama Charakterdrama
bevorzugte Formen der Lyrik: • • • • • •
Ode Hymne Sonett Distichon Stanze Ballade
Ode: (griech. Lied, Gesang) = feierliches Gedicht, aber gedämpfter als Hymne; reimlos; festgelegte Strophenformen: Antike Odenmaße: alkäische Ode, sapphische Ode und asklepiadeische Ode; geprägt von Erhabenheit und Würde Hymne: (griech. Festgesang) = feierlicher Lob- und Preisgesang; meist freie Rhythmen © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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Sonett: Festgelegt sind: Versmaß, Reim, Strophenform und Länge. Ein Sonett besteht aus 14 Verse und hat als Versform den Alexandriner. Unterschieden wird zwischen Italienischem Sonett (Petrarca Sonett), das sich aus 2 Quartetten und 2 Terzetten zusammensetzt, und dem Elisabethanischem Sonett (Shakespeare Sonett), bestehend aus 3 Quartetten und einem abschließendem Reimpaar. Distichon: Kombination von Hexameter und Pentameter; meist reimlos Stanze: Strophenform zu acht Versen, mit fünfhebigem Jambus und weiblicher Kadenz; Reimschema: ab ab ab cc
3. Vertreter • • •
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) Friedrich von Schiller (1759-1805) Johann Friedrich Herder (1744-1803)
4. Werke • • • • • • • • • • • • • • •
Iphigenie auf Tauris (1787) - Goethe Don Carlos, Infant von Spanien (1787) - Schiller Der Geisterseher (1787/89) - Schiller Egmont (1788) - Goethe Die Götter Griechenlands (1788) - Schiller Torquato Tasso (1790) - Goethe Faust, ein Fragment (1790) - Goethe Der Groß-Cophta (1791) - Goethe Der Bürgergeneral (1793) - Goethe Über Anmut und Würde (1793) - Schiller Vom Erhabenen (1793) - Schiller Briefe zur Beförderung der Humanität (1793-97) - Herder Reineke Fuchs (1794) - Goethe Römische Elegien (1795) - Goethe Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen (1795) - Schiller • Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795) - Goethe • Elegien (1795) - Goethe • Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) - Goethe • Über naive und sentimentale Dichtung (1795/96) - Schiller • Das Lied von der Glocke (1797) - Schiller • Hermann und Dorothea (1797) - Goethe • Xenien (1797) - Goethe/ Schiller • Balladen (1797/98) - Schiller • Balladen (1798) - Goethe • Wallenstein (1798/99) - Schiller • Maria Stuart (1800) - Schiller • Die Jungfrau von Orleans (1801) - Schiller • Die Braut von Messina oder Die feindlichen Brüder (1803) - Schiller • Wilhelm Tell (1804) - Schiller © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte • • • • • • • • • •
Demetrius (1804/05) - Schiller Faust I (1808) - Goethe Die Wahlverwandtschaften (1809) - Goethe Pandora (1809) - Goethe Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit (1811/14) - Goethe Aus meinem Leben. Zweiter Abteilung erster und zweiter Teil (1816/17) Goethe West-östlicher Divan (1819) - Goethe Urworte. Orphisch (1820) - Goethe Wilhelm Meisters Wanderjahre (1821) - Goethe Faust II (1831/32) - Goethe
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte
Romantik 1798 - 1835 I. Begriff Der Begriff Romantik stammt vom altfranzösischen romanz, romant oder roman ab, welche alle Schriften bezeichneten, die in der Volkssprache verfaßt worden. Romantik stellt nicht nur eine Epochenbezeichnung dar, sondern wird auch als epochenübergreifende Bezeichnung für Strömungen gegen klassische und realistische Literaturtheorien verwendet. Von "Roman" oder "Romanze" wurde das Wort romantisch abgeleitet. Romantisch bedeutet etwas Sinnliches, Abenteuerliches, Wunderbares, Phantastisches, Schauriges, Abwendung von der Zivilisation und Hingabe zur Natur. Die Romantik als Epoche zeichnete sich durch romantisches Denken und romantische Poesie aus, z.B. Kritik an der Vernunft, Aufhebung der Trennung zwischen Philosophie, Literatur und Naturwissenschaft, Naturnähe, Erleben des Unbewußten.
II. Philosophische Grundlagen Die Philosophischen Grundlagen der Romantik sind eine Gegenposition zur Rationalität der Aufklärung. Ein Vorläufer war in Deutschland die Gefühlsbetontheit der Empfindsamkeit. Eine wichtige Bedeutung erhielt die Romantik auf in Bezug auf die Orientierung an der mittelalterlichen Lebensweise und Kultur und der Hinwendung zur Volkspoesie. Die Philosophie der Romantik war geprägt von einer subjektiven Weltanschauung. In Fichtes Wissenschaftslehre (1794) stand ein von Sittlichkeit befreites und schöpferisches Ich im Mittelpunkt. Außerdem wurde die Einheit von Natur und Geist betont, die z.B. in Schellings Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797) zum Ausdruckt kam.
III. Geschichtsbezug und Historischer Hintergrund Die Romantik entstand in einem Wechsel von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft und verstärkte die Entwicklung eines bürgerlichen Selbstbewußtseins. Jedoch gab es in der Romantik kaum gesellschaftskritische Stimmen. 1806 kam es zur Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und zur Gründung des Rheinbundes. 1807-1814 wurden die Preußischen Reformen eingeleitet (Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit, Städteordnung, Heeresreform, Bildungsreform, Judenemanzipation). 1812 zog Napoleon in den Krieg gegen Rußland. In der Zeit zwischen 1813-1815 fanden die Befreiungskriege statt. Vom 16.19.10.1813 fand die Völkerschlacht bei Leipzig statt. Am 18.06.1815 unterlag Napoleon in der Schlacht bei Waterloo. 1815 wurde der Wiener Kongreß eingeleitet, bei dem die Neuordnung Europas geregelt wurde. Es entstand die "Heilige Allianz" zwischen Preußen, Österreich und Rußland zur Sicherung der Prinzipien der Neuordnung.
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1. Literatur der Romantik Die ersten romantischen Werke waren Wackenroders Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1797) und Tiecks Franz Sternbalds Wanderungen (1798). Sie zeigten unterschiedliche Betrachtungsweisen vom Wesen der Kunst. Der eigentliche Beginn der Romantik wird allerdings mit der Vereinigung der Brüder Schlegel, Novalis, Humboldts und Schellings in Jena datiert. Eine tragende Rolle in diesem Literatenkreis hatten auch die Frauen Dorothea Veith und Caroline Böhmer.
1.1 Epochen der Romantik Anders als in anderen Epochen, wechselten in der Romantik die literarischen Zentren. Das erste wichtige Zentrum war Jena, zur Zeit der Frühromantik. Heidelberg war das Zentrum der Hochromantik, und Berlin wurde zum Zentrum der Spätromantik.
1.1.1 Frühromantik / Jenaer Romantik (1798-1804) Das Zentrum der Frühromantik war Jena mit dem Freundeskreis um die Brüder Schlegel, Novalis, Schelling, Humboldt, Veith und Böhmer. Es entstanden hier erste programmatische Dichtungen. Einen großen Einfluß auf die Verbreitung des romantischen Denkens übte A.W. Schlegel mit seinen Vorlesungen aus. Eine große Bedeutung kommt den Jenaern Romantikern zu Gute: sie setzten sich für die Förderung der Weltliteratur ein, z.B. A.W. Schlegel mit seinen Dramenübersetzungen von Shakespeare. Es entstanden auch Literaturzeitschriften (z.B. Athenäum, 17981800), in welchen sie ihre Schriften publizierten.
1.1.2 Hochromantik / Heidelberger Romantik (1804-1818) Das Zentrum der Hochromantik war Heidelberg mit den Dichterkreis um Joseph von Eichendorff, Joseph von Görres, Arnim, Brentano. Nebenzentren waren München und Berlin, wo Schelling und Schleiermacher tätig waren. Die besondere Leistung der Hochromantiker war die Förderung der Volkspoesie (Sagen, Märchen, u.ä.), z.B. von Arnim und Brentano mit Des Knaben Wunderhorn oder Kinder- und Hausmärchen und Deutsche Sagen der Gebrüder Grimm. Diese Werksammlungen wurde als Gegenposition zum zersplitterten Deutschland und der zunehmenden Entfremdung durch die moderne Zivilisation. Einen großen Anteil an der Märchenproduktion hatten auf die Frauen Bettina und Gisela von Arnim und Sophie Tieck.
1.1.3 Spätromantik / Berliner Romantik (1816-1835) Berlin, mit den Salon der Rahel Levin-Varnhagen, war das Zentrum der Spätromantik. Im Mittelpunkt dieses Dichterkreises standen Ludwig Tieck, Heinrich von Kleist, E.T.A. Hoffmann, Adam von Müller, Bettina von Arnim und Friedrich de la Motte Fouqué. Im Salon fanden zahlreiche Begegnungen, Diskussionen und Debatten unter den Spätromantikern statt. Nebenzentren waren Wien (Eichendorff, A.W. Schlegel), Schwaben (Uhland, Mörike) und München (Schelling, Görres). © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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1.2 Literaturtheorie der Romantik Die Hauptgedanken der romantischen Weltanschauung waren Universalität und Assimilation. Man betrachtete den Künstler als einen Menschen, der sämtliche Stimmungen, Gefühle und Ereignisse der Welt in sich hineinsog und sie in einer großen Vielfalt in seinem poetischen Schaffensprozeß neu entstehen ließ. Daran band man die Vorstellung, die getrennten Gattungen (Epik, Drama und Lyrik) wieder zu vereinen. Im Vordergrund romantischer Dichtungen standen Stimmungen, Gefühle und Erlebnisse. Mit Fragmentarischen Ausdrucksformen drückten die Dichter das Unbewußte in ihrer Schaffensweise und Wirklichkeitssicht aus. Der Roman als Prosaform konnte dem Anspruch der Universalität zwar gerecht werden, doch wurde von ihm aber kaum Gebrauch gemacht. Die Dramatik blieb in der Epoche der Romantik nur gering ausgeprägt, da ihr die Vermischung von Epik, Drama und Lyrik schwere Sorgen bereitete. Die vorherrschende literarische Gattung war die Lyrik. Von der Romantischen Dichtung gingen starke Impulse auch an Kunst und Musik aus, wichtige Motive waren dabei die Natur, das Mittelalter und Märchenmotive. Einen erheblichen unterschied zwischen Romantikern und Aufklären gab es in der Mythologie. Während die Aufklärer die Mythologie zweifelnd betrachteten, setzten sich v.a. die Frühromantiker dafür ein, die Poesie mit der Mythologie zu verbinden. Dazu schrieb F. Schlegel in seinem Gespräch über die Poesie (1800) folgendes: "Denn das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne Verwirrung der Phantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen, für das ich kein schöneres Symbol bis jetzt kenne, als das bunte Gewimmel der alten Götter." Die Romantik darf als ganzes jedoch nicht bloß als Gegenbewegung zur Aufklärung gesehen werden, sondern sie stellt auch eine Ergänzung dar. Die Aufklärer versuchten das Individuum von der innerlichen und äußerlichen Natur des Menschen abzugrenzen. Die Romantiker brachten deshalb Triebe und Wunschvorstellungen deutlicher zum Ausdruck. Entscheidend dafür waren Erfahrungen wie Sinnlichkeit, Schwärmerei, Müßiggang aber auch Krankheit und Wahnsinn.
1.2.1 Friedrich Schlegel: 116. Athenäums-Fragment Im 116. Athenäums-Fragment, das 1798 mit anderen Fragmenten in der Zeitschrift Athenäum erschien, faßte Friedrich Schlegel die wichtigsten Merkmale romantischer Literatur zusammen: "Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie". Progressivität bedeutet Fortschritt, niemals vollendet oder abgeschlossen zu sein und offen für neue Formen und Inhalte zu sein. Die Universalität der Form steht für die Aufhebung der Grenze zwischen den Gattungen und den Künsten. Diese Position widerspricht den Aufklärern wie Lessing, die, um eine bestimmte Wirkung zu erreichen, für eine Abgrenzung der Gattungen eintraten. Friedrich Schlegel forderte eine Vermischung von Poesie (an den Vers gebundene Sprache) und Prosa (Alltagssprache), von Genialität (Künstler) und Kritik (Publikum) und von Kunstpoesie und Naturpoesie (Volkspoesie). Freundschaft und Liebe sind das Ideal für die zwischenmenschlichen Beziehungen. Poetische Individuen sind harmonische Individuen, die auf Liebe und Freundschaft eingehen können. Die Funktion der Poesie ist die Poetisierung, d.h. die Harmonisierung, der Gesellschaft.
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1.2.2 Friedrich Schlegel: Brief über den Roman Das Gespräch über die Poesie (1800) war eine der wichtigsten ästhetischen Schriften der Frühromantik. Der darin enthaltene Brief über den Roman beschäftigt sich mit der Form des Romans und der neuen Sentimentalität. Die ideale Form eines Romans sei eine fantastische und arabeske Form bzw. eine Mischform: "Ja ich kann mir einen Roman kaum anders denken, als gemischt aus Erzählung, Gesang und anderen Formen." Cervantes' Don Quixote, eine Mischform aus Novellen und Gedichten, galt dabei das Vorbild. Der Brief über den Roman war außerdem Teil eines Streits mit einer Freundin über die Sentimentalität in der Dichtung Jean Pauls. Die Sentimentalität war bisher durch "Plattheit" und Rührung zu Tränen geprägt. Die neue Sentimentalität sollte nach Friedrich Schlegel nicht sinnlich, sondern geistig sein. Das Kunstwerk müsse von der geistigen Liebe durchdrungen sein. Diese findet sich z.B. in der Musik, die ein Symbol für die Harmonie des Universums ist.
1.3 Lyrik Die romantische Lyrik war geprägt von einer volksliedhaften Einfachheit und einem Höchstmaß an sprachlicher Kunst sowie der von Goethe eingeleiteten Natur- und Erlebnislyrik. Eine volkstümlich orientierte Lyrik ging von Eichendorff Uhland, Wilhelm Müller, Mörike und Chamisso hervor. Zu den bedeutendsten romantischen Lyrikern zählt Novalis mit seinen Geistlichen Liedern (1799) und die in rhythmisierter Prosa verfaßten Hymnen an die Nacht (1800). In den Hymnen an die Nacht steht die Nacht für eine Zwischenwelt zwischen ein von "unseliger Geschäftigkeit" geprägtes Leben und dem Tod, der den Beginn für das Leben im Jenseits markiert. Die Liebe ist das Ideal der zwischenmenschlichen Beziehung. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Musik, die sich in der regelmäßigen Rhythmik und dem Wechsel von Prosaform zur Versform bei der Preisung, sowie bei einer Anspielung auf Orpheus ("Von ferner Küste, unter Hellas' heiterm Himmel geboren, kam ein Sänger nach Palästina..."), zeigt und die Sphären zwischen Leben und Tod verbindet. Mondnacht Joseph Freiherr von Eichendorff
Es war, als hätt' der Himmel Die Erde still geküßt, Daß sie im Blüthenschimmer Von ihm nun träumen müßt'. Die Luft ging durch die Felder, Die Aehren wogen sacht, Es rauschten leis die Wälder, So sternklar war die Nacht. Und meine Seele spannte Weit die Flügel aus, Flog durch die stillen Lande, Als flöge sie nach Haus. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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1.4 Drama Im Drama versuchte man die Verschmelzung mit epischen und lyrischen Formen. Vorbilder der romantischen Dramen waren die Antike und Shakespeare. Trotz der schlechten Ausprägung des Dramas gelang Heinrich von Kleist mit seinen Werk Der zerbrochene Krug die Schaffung eines der ersten modernen Lustspiele. Andere Dichter stellten Ereignisse der deutschen Geschichte oder Themen der germanischen Vorzeit dar.
1.5 Prosa Als Vorbild der romantischen Erzählprosa betrachtete man Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre. In der Frühromantik wurden meist Bildungs- und Entwicklungsromane geschrieben, z.B. Novalis' Heinrich von Ofterdingen. Doch auch der romantische Roman verlor, ähnlich dem romantischen Drama, an Bedeutung, da eine zunehmende Vermischung mit Gedichten, Liedern, etc. stattfand.
1.6 Der Schauerroman - eine Sonderform Während die romantische Erzählprosa mehr und mehr an Bedeutung verlor, wuchs das Interesse am, meist in trivialer Form auftretenden, Schauerroman. Als bekanntester Deutscher Dichter von Schauerroman gilt E.T.A. Hoffmann. Eines seiner bekanntesten Werke ist Elixiere des Teufels, welches phantastische Züge trägt. Andere Künstler hatten das Volksmärchen zum Vorbild, so z.B. Der blonde Eckbert Tiecks oder Eichendorffs Aus dem Leben eines Taugenichts.
1.7 romantische Schriftstellerinnen Die Romantik konnte zwar die gesellschaftlichen Schranken ihrer Zeit nicht aufheben, doch ließ sie genügend Freiraum, um den Frauen die Teilnahme am literarischen Leben zu ermöglichen. Ob als Lyrikerinnen, Dramatikerinnen oder Prosaistinnen machten sich viele Frauen einen Namen: Sophie von Albrecht, Christine Westphalen, Karoline von Günderrode, Caroline Schlegel, Caroline Michaelis-Böhmer, Dorothea Veith, Sophie Mereau, Bettina Brentano, Sophie Tieck, Henriette Herz und Rahel Levin. Viele Frauen veröffentlichten ihre Dichtungen anonym, oder ließen sie von ihren Männern publizieren. Sophie Mereau veröffentlichte bald jedoch unter ihrem eigenen Namen, z.B. 1803 den Roman Amanda und Eduard, welcher heftig von Schiller und Goethe kritisiert wurde. Sie ging aber noch weiter, indem sie eine Literaturzeitschrift für Frauen gründete (Kalathiskos). Rahel Levin-Varnhagen war eine Jüdin und litt deshalb doppelt unter den gesellschaftlichen Normen. Doch in zahllosen Briefen konnte sie ihr Bedürfnis an Mitteilung und Beachtung ausdrücken.
2. Literarische Formen • • • • •
Bildungs- und Entwicklungsroman Schauerroman Volkslied Sage Märchen/ Kunstmärchen © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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3. Vertreter • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Novalis (1772-1801) Joseph Freiherr von Eichendorff (1788-1857) Ludwig Tieck (1773-1853) Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773-1798) E.T.A. Hoffmann (1776-1822) Friedrich Schlegel (1772-1829) August Wilhelm Schlegel (1767-1845) Achim von Arnim (1781-1831) Clemens Brentano (1778-1842) Heinrich von Kleist (1777-1811) Ludwig Uhland (1787-1862) Friedrich de la Motte Fouqué (1777-1843) Zacharias Werner (1768-1823) Jakob Grimm (1785-1863) Wilhelm Grimm (1786-1859) Wilhelm Müller (1794-1827) Bettina von Arnim (1785-1859) Dorothea Veith (1767-1839) Joseph Görres (1776-1848) Adalbert von Chamisso (1781-1838) Karoline von Günderrode (1780-1806) Johann Peter Hebel (1760-1826) Rahel Levin-Varnhagen Ernst Moritz Arndt Sophie Mereau Adam von Müller Caroline Böhmer
4. Werke • • •
Die Geschichte des Herrn William Lovell (1795/96) - Tieck Volksmärchen, herausgegeben von Peter Lebrecht (1797) - Tieck Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1797) Wackenroder • Der gestiefelte Kater (1797) - Tieck • Ritter Blaubart (1797) - Tieck • Der blonde Eckbert (1797) - Tieck • Franz Sternbald Wanderungen (1798) - Tieck • Über Goethes Meister (1798) - F. Schlegel • Athenäum-Fragmente (1798) - F. Schlegel • Brief über den Roman (1798) - F. Schlegel • Die Christenheit oder Europa (1799) - Novalis • Lucinde (1799) - F. Schlegel • Hymnen an die Nacht (1800) - Novalis • Leben und Tod der heiligen Genoveva (1800) - Tieck • Gespräch über die Poesie (1800) - F. Schlegel • Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter (1801) - Brentano • Florentin (1801) - Dorothea Veith © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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Ion (1802) - A.W. Schlegel Geistliche Lieder (1802) - Novalis Die Lehrlinge zu Sais (1802) - Novalis Heinrich von Ofterdingen (1802) - Novalis Wunderbilder und Träume in elf Märchen (1802) - Sophie Tieck Alarcos (1802) - F. Schlegel Runenberg (1802) - Tieck Über die schöne Kunst und Literatur (1802-1805) - A.W. Schlegel Alemannische Gedichte (1803) - Hebel Die Familie Schroffenstein (1803) - Kleist Amanda und Eduard (1803) - Sophie Mereau Ponce de Leon (1804) - Brentano Kaiser Oktavianus (1804) - Tieck Hildgund (1805) - Günderrode Des Knaben Wunderhorn (1806-1808) - Arnim, Brentano Geist der Zeit (1806-1818) - Arndt Reden an die deutsche Nation (1807-1808) - Fichte Teutsche Volksbücher (1807) - Görres Amphitryon (1807) - Kleist Das Kätchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe (1808) - Kleist Der zerbrochene Krug (1808) - Kleist Der Held des Nordens (1808/10) - Fouqué Der vierundzwanzigste Februar (1809) - Werner Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores (1810) - A. v. Arnim Erzählungen (1810/11) - Kleist o Michael Kohlhaas (1810) o Die Verlobung in San Domingo (1811) o Das Bettelweib von Locarno (1811) o Der Findling (1811) Undine (1811) - Fouqué Kinder- und Hausmärchen (1812) - Gebrüder Grimm Phantasus (1812/16) - Tieck Der Rhein, Deutschlands Strom und Deutschlands Grenze (1813) - Arndt Fantasiestücke in Callots Manier (1813/15) - Hoffmann Geharnischte Sonette (1814) - Körner, Schenkendorf, Rückert Peter Schlemihls wundersame Geschichte (1814) - Chamisso Ahnung und Gegenwart (1815) - Eichendorff Gedichte (1815) - Uhland Die Gründung Prags (1815) - Brentano Die Elixiere des Teufels (1815/16) - Hoffmann Die Gründung Prags (1815) - Brentano Das Galgenmännlein (1816) - Hoffmann Deutsche Sagen (1816) - Gebrüder Grimm Nachtstücke (1816) - Hoffmann Die Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl (1817) Brentano Das Marmorbild (1819) - Eichendorf Das Fräulein von Scuderi (1819) - Hoffmann Die Serapionsbrüder (1819/21) - Hoffmann
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Lebensansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern (1820/22) Hoffmann Europa und die Revolution (1821) - Görres Die schöne Müllerin (1821) - W. Müller Lieder der Griechen (1821/24) - W. Müller Meister Floh (1822) - Hoffmann Die Winterreise (1824) - W. Müller Aus dem Leben eines Taugenichts (1826) - Eichendorff Der letzte Held von Marienburg (1830) - Eichendorff Gedichte (1831) - Chamisso Die Freier (1833) - Eichendorff Goethes Briefwechsel mit einem Kinde (1835) - B. v. Arnim Gedichte (1837) - Eichendorff Gedichte (1838) - Mörike Rheinischer Merkur (Literaturzeitschrift) - Görres Berliner Abendblätter (Literaturzeitschrift) - Kleist
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Biedermeier 1815 - 1848 I. Begriff Der Begriff Biedermeier wurde zunächst von den Realisten abwertend zur Kritik der Literatur der Restaurationszeit verwendet. Zuerst erschien das Wort in Ludwig Eichrodts und Adolf Kußmauls Gedichten des schwäbischen Schullehrers Gottlieb Biedermeier und seines Freundes Horatius Treuherz (1850, in: Fliegende Blätter; 1865, in Biedermeiers Liederlust). Diese Gedichte waren eine Parodie auf die "biederen" Reimversuche des dilettantischen Dichters Samuel Friedrich Sauter. In der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert wandte sich die Bedeutung des Begriffs ins Positive. Man verband damit Vorstellungen von der "guten alten Zeit", jenseits aller politischen Wirren, sowie Häuslichkeit, Geselligkeit im kleinen Kreis und die Zurückgezogenheit ins Private. Biedermeier als Stilbezeichnung wurde von der Literatur auch auf die Innenarchitektur und die Malerei (Spitzweg, Schwind, Richter, Waldmüller) der Restaurationszeit bezogen. Eine rein positive Bedeutung des Biedermeier-Begriffs trifft jedoch nicht auf die Autoren und die entstandene Literatur dieser Zeit zu. Die biedermeierlichen Autoren waren, wie die Dichter des Vormärz und Jungen Deutschlands, nicht zufrieden mit ihrer damaligen Situation. Daher ist Zerrissenheit ein typisches Merkmal für den biedermeierlichen Schriftsteller.
II. Historischer Hintergrund 1815 wurde der Wiener Kongreß eingeleitet, bei dem die Neuordnung Europas geregelt wurde. Es entstand die "Heilige Allianz" zwischen Preußen, Österreich und Rußland zur Sicherung der Prinzipien der Neuordnung, zur Verteidigung des christlichen Glaubens, zur Erhaltung der Herrschaftshäuser und zur Wiederherstellung der vorrevolutionären Ordnung. Die Zeit zwischen 1815 und 1848 war geprägt von dem Interessenskonflikt zwischen den deutschen Fürsten, welche sich für eine Restauration einsetzten, und dem "Jungen Deutschland" (Studenten und Professoren), das nach Freiheit und einer politischen Einheit strebte. 1815 wurde der Deutsche Bund aus 39 Einzelstaaten gegründet. Burschenschaften entstanden, zuerst in Jena, später auch in anderen deutschen Städten. 1817 fand das Wartburgfest statt. 1819 wurden die Karlsbader Beschlüsse gefaßt, welche die Burschenschaften verboten, die Überwachung von Universitäten einleiteten, eine Buch- und Pressezensur einführten und den Einsatz von Spitzeln erlaubten. Die Folge war der Rückzug vieler Deutscher ins Privatleben. 1832 fand das Hambacher Fest statt. 1834 kam es zur Gründung des Deutschen Zollvereins, der die innerdeutschen Zollschranken beseitigte und somit eine wirtschaftliche Einheit herstellte. Aufgrund schlechter sozialer und wirtschaftlicher Verhältnisse der schlesischen Weser kam es 1844 zu einem Aufstand. Die Enttäuschung über die unerfüllten Hoffnungen des "Jungen Deutschlands" und das Festhalten an der alten Ordnung deutscher Fürsten führte 1848 schließlich zur Märzrevolution.
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III. Philosophischer Hintergrund Der philosophische Hintergrund der Restaurationszeit war v.a. von der Philosophie Friedrich Hegels (1770-1831) und seinen Schriften Phänomenologie des Geistes (1806), Wissenschaft der Logik (1812/16), Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817) und Grundlinien der Philosophie des Rechts (1831) geprägt.
1. Literatur des Biedermeier Die Biedermeierdichtung versuchte dem Konflikt zwischen Wirklichkeit und Ideal sowie den politischen Spannungen eine heile poetische Welt mit dem Ziel der Harmonisierung entgegenzusetzen. Der Entstehung biedermeierlicher Literatur ging kein theoretisches Programm, wie in anderen Strömungen, voraus. Daher traten häufig verschiedene Formen der Darstellung und die Neigung zur Vermischung der Gattungen auf. Bevorzugt wurden kleine literarische Formen. Die wichtigste literarische Leistung erreichte das Biedermeier im Volkslustspiel. In der biedermeierlichen Literatur wurde das sittliche Ideal der Zeit - genügsame Selbstbescheidung, Zähmung der Leidenschaften, Unterordnung unter das Schicksal, politische Haltung des Mittelwegs, Schätzung des inneren Friedens und kleinen Glücks, Bedacht auf Ordnung, Hang zum Quietismus, Interesse für Natur und Geschichte - dargestellt. Dabei kamen oft die biedermeierlichen Lebensgefühle, wie Resignation, Weltschmerz, Schwermut, Stille, Verzweiflung und Entsagung zum Ausdruck, die nicht selten zu Hypochondrie und Selbstmord führten. Grillparzer, Lenau und Mörike z.B., litten in ihren letzten Lebensjahren an Hypochondrie, Stifter und Raimund dagegen gingen in den Freitod. Sprachliche Kennzeichen biedermeierlicher Literatur sind besonders die Schlichtheit in Form und Sprache, Volkstümlichkeit, Detailgenauigkeit und Bildlichkeit.
1.1 Lyrik im Biedermeier Die biedermeierliche Lyrik zeichnet sich sowohl in ihrer Form, als auch in ihrem Inhalt vor allem durch Einfachheit und Volksliedhaftigkeit aus. Wichtige Themen waren: Liebe, Religion, Vergänglichkeit, Entsagung und häusliches Glück. Wie schon in der Romantik, traten auch im Biedermeier häufig Gedichtzyklen auf, z.B. bei DrosteHülshoff (Heidebilder (1841/42)), Grillparzer, Lenau und Mörike. Annette von Droste-Hülshoffs Gedichte zeigen typische Merkmale für biedermeierliche Literatur: die Gebundenheit an ihre Heimat (Westfalen) und ein mythisches Moment, das die Geborgenheit der Heimat bedroht. Diese Merkmale zeigen sich z.B. in ihren Heidebildern (1841/42), besonders in ihrer Ballade Der Knabe im Moor. Dort steht die Natur nicht für Geborgenheit oder eine Rückzugsmöglichkeit, sondern für Bedrohlichkeit und Gefahr.
1.1.1 Ballade Anstelle des Irrealismus des Sturm und Drangs oder des ideellen Gehaltes der Klassik, tritt im Biedermeier eine abgemilderte Rationalität der Aufklärung hervor. Rational sind die Balladen des Biedermeier dadurch, weil sie keine Sprünge darstellen, oder durch Rhetorik und Pathos wirken wollen. Deshalb kommt im © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Biedermeier auch eine Tendenz zur Episierung anstelle von Dramatik in den Balladen zum Ausdruck. Auffallend ist auch, daß Naturgeister und Dämonen vermenschlicht werden. Die Balladen des Biedermeier unterteilt man allgemein in zwei Gruppen: die eine, die zur Rührung anregen soll, und die andere, die einen Schauer auslösen soll. Ein typisches Beispiel für eine Schauerballade ist DrosteHülshoffs Der Knabe im Moor. Weitere bekannte Balladen sind Mörikes Der Feuerreiter und Die Geister am Mummelsee. Droste-Hülshoff - Der Knabe im Moor (1842) O, schaurig ists, übers Moor zu gehn, Wenn es wimmelt vom Heiderauche, Sich wie Phantome die Dünste drehn Und die Ranke häkelt am Strauche, Unter jedem Tritte ein Quellchen springt, Wenn aus der Spalte es zischt und singt O, schaurig ists, übers Moor zu gehn, Wenn das Röhricht knistert im Hauche! Fest hält die Fibel das zitternde Kind Und rennt, als ob man es jage; Hohl über die Fläche sauset der Wind Was raschelt drüben am Hage? Das ist der gespenstige Gräberknecht, Der dem Meister die besten Torfe verzecht; Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind! Hinducket das Knäblein zage. Vom Ufer starret Gestumpf hervor, Unheimlich nicket die Föhre; Der Knabe rennt, gespannt das Ohr, Durch Riesenhalme wie Speere; Und wie es rieselt und knittert darin! Das ist die unselige Spinnerin, Das ist die gebannte Spinnlenor', Die den Haspel dreht im Geröhre! Voran, voran! nur immer im Lauf, Voran, als woll' es ihn holen! Vor seinem Fuße brodelt es auf, Es pfeift ihm unter den Sohlen Wie eine gespenstige Melodei; Das ist der Geigenmann ungetreu, Das ist der diebische Fiedler Knauf, Der den Hochzeitheller gestohlen! Da birst das Moor, ein Seufzer geht Hervor aus der klaffenden Höhle; Weh, weh, da ruft die verdammte Margret: "Ho, ho, meine arme Seele!" Der Knabe springt wie ein wundes Reh; Wär nicht Schutzengel in seiner Näh, Seine bleichenden Knöchelchen fände spät Ein Gräber im Moorgeschwele. Da mählich gründet der Boden sich, Und drüben, neben der Weide, Die Lampe flimmert so heimatlich, Der Knabe steht an der Scheide. Tief atmet er auf, zum Moor zurück Noch immer wirft er den scheuen Blick: Ja, im Geröhre war's fürchterlich, O, schaurig war's in der Heide!
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1.2 Epik im Biedermeier In der Epik waren im Biedermeier kurze Erzählformen, wie z.B. Novelle und Kurzgeschichte, beliebt.
1.2.1 Novelle Die wichtigste epische Kleinform in der Biedermeierzeit war die Novelle. Die Judenbuche Annette von Droste-Hülshoffs, Die schwarze Spinne Jeremias Gotthelfs und Der arme Spielmann Franz Grillparzers gelten als die bekanntesten Beispiele von ihr.
a) Droste-Hülshoff: Die Judenbuche (1842) Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen beruht auf einer wahren Begebenheit, von der Droste-Hülshoff durch ihren Onkel erfahren hatte. Dieser, August von Haxthausen, veröffentlichte 1818 sein Wissen darüber in der Geschichte eines Algierer Sklaven. Die Handlung in Droste-Hülshoffs Erzählung spielt in einem abgelegenen westfälischen Dorf im 18. Jahrhundert, deren Hauptperson Friedrich Mergel ist. Mergel, Mitschuldiger am Mord eines Försters, bringt aus verletztem Ehrgefühl und wegen Geldschulden den Juden Aaron um. Mergel flieht und kann daher nicht des Mordes angeklagt werden. Nach 28 Jahren kehrt Mergel aus türkischer Gefangenschaft unter falschem Namen in seine Heimat zurück. Obwohl der Mord an Aaron längst verjährt ist, begeht Mergel Selbstmord, indem er sich an der Judenbuche aufhängt, unter welcher er einst Aaron ermordete. In der Judenbuche bringt Droste-Hülshoff die ständige Bedrohung des Menschen in seiner scheinbar gesicherten Realität zum Ausdruck. Der Natur kommt in diesem Werk eine besondere Funktion zu: sie übernimmt die Rolle des Zeugen und Richters und ist nicht nur Kulisse.
b) Gotthelf: Die schwarze Spinne (1842) Gotthelfs Novelle Die schwarze Spinne erschien in der Sammlung Bilder uns Sagen aus der Schweiz. Das Dingsymbol des schwarzen Fensterpfostens verbindet die äußere Rahmenhandlung mit den Binnenhandlungen und ist zugleich der Auslöser der Geschichte. Während eines Tauffestes wird der Großvater gefragt, warum in dem schönen Haus, ein alter, schwarzer Fensterpfosten stehen gelassen wurde. Der Erzähler blickt weit in die Vergangenheit zurück, in der ein Ritter seine Untertanen zwingt einen Schattengang aus 100 Buchen zu pflanzen. Der Teufel bietet seine Hilfe für den Preis eines ungetauften Kindes an. Christine schließt geht auf den Pakt des Teufels ein und der Bau des Schattengangs geht schnell voran. Eine Geburt steht bevor, doch der Priester tauft das Kind. Das Mal des Teufelskusses auf Christines Wange schwillt zu einer Kreuzspinne an. Nach einer zweiten Taufe platzt das Mal und unzählige schwarze Spinnen kommen hervor, die Tod und Verderben über die Bauern bringen. Christine verwandelt sich selbst in eine, und bringt über viele Menschen den Tod. Die schwarze Spinne wird durch das Opfer einer Frau mit Hilfe einer Zapfe in einem Loch im Fensterpfosten eingesperrt. Jahrhunderte später wird die Spinne befreit und bringt erneut den Tod über die Menschen. Durch ein weiteres Opfer kann sie jedoch wieder eingesperrt werden. Die Erzählung schließt damit ab, daß mit dem Erhalt des schwarzen Fensterpfostens der Sinn der © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte eingesperrten Spinne - ungetaufte Kinder könnten vom Teufel befallen werden erhalten bleibt.
1.2.2 Studie/ Skizze Die wichtigsten Werke dieses Genres stammen von Adalbert Stifters Erzählsammlungen Studien und Bunte Steine. Die bekanntesten Studien der Studien sind Brigitta und Der Hochwald. Eines der wichtigsten Werke der Bunten Steine ist die Erzählung Bergkrystall.
1.2.3 Verserzählung Bei den biedermeierlichen Dichtern war das Genre der Verserzählung sehr beliebt. Einige versuchten auch eigenständige Formen zu entwickeln. Die bekanntesten Verserzählungen stammen von Lenau (Die Albigenser, Don Juan, Savonarola), Immermann (Tulifäntchen (1830)) und Droste-Hülshoff (Das Hospiz auf dem Großen St. Bernhard (1823/24), Die Schlacht im Loener Bruch (1837/38)).
1.2.4 Roman Trotz der Tendenz zu kleinen Formen in der Biedermeierzeit, entstanden auch größere epische Dichtungen, die ebenso einflußreich waren. Die von Karl Immermann verfaßten Romane Die Epigonien. Familienmemoiren in neun Büchern (1836) und Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken (1838/39), Mörikes Maler Nolten (1832) und Stifters Der Nachsommer (1857) gelten als die wichtigsten ihres Genres.
1.3 Biedermeierliches Drama Die drei bedeutendsten Dramatiker des Biedermeier stammen aus Österreich: Grillparzer, der in der Tradition des Wiener Burgtheaters stand, und die beiden Volksbühnenautoren Nestroy und Raimund. Eine melancholische und pessimistische Einstellung zur Welt prägt die Werke aller drei Autoren. Franz Grillparzer erlangte schon früh im Gebiet des Dramas großen Ruhm mit seinem Trauerspiel Die Ahnfrau (1817). Weitere bekannte Stücke von ihm sind die Komödie Weh dem, der lügt (1838) und das Geschichtsdrama Ein Bruderzwist in Habsburg (1848). Johann Nestroy schrieb zahlreiche Volkspossen und Komödien. Seine Komödien tragen oft groteske Züge, und üben so eine verstärkte Zeitkritik. Als typisch biedermeierlich gilt die Komödie Der Zerrissene (1844). Viele Stücke Nestroys tragen Doppelbezeichnungen, wie die am meisten aufgeführte Komödie Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt (1832). Ferdinand Raimund führte die Tradition des im 18. Jh. entstandenen Wiener Volkstheaters fort. Das Grundthema seiner Stücke ist sowohl inhaltlich, als auch formal von Zerrissenheit geprägt. Eines seiner bekanntesten Dramen ist Der Alpenkönig und der Menschenfeind (1828).
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2. Literarische Formen • • • • • •
Balladen Novellen Kurzgeschichten Studien/ Skizzen (bes. Stimmungsbilder) Verserzählungen Volkslustspiele, wie Possen, Komödien und Zauberstücke
Skizze/ Studie: Ein Skizze/ Studie ist ein selbständiger, jedoch formal und stilistisch bewußt unausgestalteter Prosatext. Diese Erzählform überschneidet sich häufig mit anderen, z.B. der Erzählung, der Kurzgeschichte oder dem Bericht. Zauberstück: Ein Zauberstück ist eine Spielvorlage, die übernatürliche Requisiten und Personal beinhaltet. Man unterscheidet zwischen Zauberspiel (z.B. Raimund: Die gefesselte Phantasie), Zaubermärchen (z.B. Raimund: Der Verschwender), Zauberposse (z.B. Nestroy: Der böse Geist Lumpazivagabundus; Raimund: Der Barometermacher auf der Zauberinsel) und Zauberoper (z.B. Schikaneder: Die Zauberflöte).
3. Vertreter • • • • • • • • •
Annette Freiin von Droste-Hülshoff (1797-1848) Jeremias Gotthelf (1797-1854) Franz Grillparzer (1791-1872) Karl Leberecht Immermann (1796-1840) Nikolaus Lenau (1802-1850) Eduard Mörike (1804-1875) Johann Nestroy (1801-1862) Ferdinand Jakob Raimund (1790-1836) Adalbert Stifter (1805-1868)
4. Werke • • • • • • • • • • • •
Die Ahnfrau (1817) - Grillparzer Sappho (1818) - Grillparzer Die Prinzen von Syrakus (1821) - Immermann Das goldene Vließ (1822) - Grillparzer Trauerspiele (1822) - Immermann Gedichte (1822) - Immermann Der Barometermacher auf der Zauberinsel (1823) - Raimund Der Diamant des Geisterkönigs (1824) - Raimund König Ottokars Glück und Ende (1825) - Grillparzer Das Mädchen aus der Feenwelt oder Der Bauer als Millionär (1826) Raimund Die gefesselte Phantasie (1826) - Raimund Das Kloster bei Sendomir. Nach einer als wahr überlieferten Begebenheit (1827) - Grillparzer
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Das Trauerspiel in Tyrol (1827) - Immermann Moisasurs Zauberfluch (1827) - Raimund Ein treuer Diener seines Herrn (1828) - Grillparzer Die Verkleidungen (1828) - Immermann Der Alpenkönig und der Menschenfeind (1828) - Raimund Die Schule der Frommen (1829) - Immermann Die unheilbringende Zauberkrone (1829) - Raimund Gedichte (1830) - Immermann Tulifäntchen. Ein Heldengedicht in drei Gesängen (1830) - Immermann Des Meeres und der Liebe Wellen (1831) - Grillparzer Alexis (1832) - Immermann Merlin. Eine Mythe (1832) - Immermann Gedichte (1832) - Lenau Maler Nolten (1832) - Mörike Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt (1832) Nestroy Die Familien Zwirn, Knieriem und Leim oder Der Weltuntergangs-Tag (1832) Nestroy Miß Jenny Harrower (1833) - Mörike Der Traum ein Leben (1834) - Grillparzer Lucie Gelmeroth (1834) - Mörike Der Verschwender (1834) - Raimund Die Epigonen. Familienmemoiren in neun Büchern (1836) - Immermann Faust. Ein Gedicht (1836) - Lenau Der Schatz (1836) - Mörike Der Bauernspiegel oder Lebensgeschichte des Jeremias Gotthelf, von ihm selbst beschrieben (1837/39) - Gotthelf Savonarola. Ein Gedicht (1837) - Lenau Das Hospiz auf dem Großen St. Bernhard (1838) - Droste-Hülshoff Des Arztes Vermächtnis (1838) - Droste-Hülshoff Die Schlacht im Loener Bruch (1838) - Droste-Hülshoff Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken (1838/39) - Immermann Weh dem, der lügt! (1838) - Grillparzer Neuere Gedichte (1838) - Lenau Dursli der Branntweinsäufer oder Der heilige Weihnachtsabend (1839) Gotthelf Der Bauer und sein Sohn (1839) - Mörike Memorabilien (1840-1843) - Immermann Der Talisman (1840) - Nestroy Der Condor (1840) - Stifter Das Haidedorf (1840) - Stifter Tristan und Isolde (1841) - Immermann Heidebilder (1841/42) - Droste-Hülshoff Die Hand der Jezerte (1841) - Mörike Einen Jux will er sich machen (1841) - Nestroy Der Hochwald (1841) - Stifter Feldblumen (1841) - Stifter Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen (1842) Droste-Hülshoff Die schwarze Spinne (1842) - Gotthelf Die Albigenser. Freie Dichtungen (1842) - Lenau
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Elsi, die seltsame Magd (1843) - Gotthelf Geld und Geist oder Die Versöhnung (1843/44) - Gotthelf Wie Anne Bäbi Jowäger haushaltet und wie es ihm mit dem Doktern geht (1843/44) - Gotthelf Der Spiritus Familiaris des Roßtäuschers (1844) Gedichte (1844) - Droste-Hülshoff Der Zerrissene (1844) - Nestroy Das alte Siegel (1844) - Stifter Die Narrenburg (1844) - Stifter Brigitta (1844) - Stifter Der Waldsteig (1845) - Stifter Bergkrystall (1845) - Stifter Der Hagestolz (1845) - Stifter Uli der Knecht. - Uli der Pächter. Ein Volksbuch (1846 und 1849) - Gotthelf Idylle vom Bodensee (1846) - Mörike Fischer Martin und die Glockendiebe (1846) - Mörike Der beschriebene Tännling (1846) - Stifter Der Waldgänger (1847) - Stifter Der arme Spielmann (1848) - Grillparzer Ein Bruderzwist in Habsburg (1848) - Grillparzer Die Freiheit von Krähwinkel (1848) - Nestroy Der arme Wohltäter (1848) - Stifter Prokopus (1848) - Stifter Granit (1849) - Stifter Die Schwestern (1850) - Stifter Das geistliche Jahr (p. 1851) - Droste-Hülshoff Don Juan. Ein dramatisches Gedicht (1851) - Lenau Der Pförtner im Herrenhause (1852) - Stifter Selbstbiographie (1853) - Grillparzer Bunte Steine (1853) - Stifter Das Stuttgarter Hutzelmännlein (1853) - Mörike Mozart auf der Reise nach Prag (1855) - Mörike Der Nachsommer (1857) - Stifter Esther (1863) - Grillparzer Die Mappe meines Urgroßvaters (1864) - Stifter Nachkommenschaften (1864) - Stifter Witiko (1865-67) - Stifter Der Kuß von Sentze (1866) - Stifter Erzählungen (1869) - Stifter Die Jüdin von Toledo (1872) - Grillparzer Libussa (1872) - Grillparzer
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Junges Deutschland und Vormärz 1825 - 1848 I. Begriff Der Begriff Vormärz als Epochenbezeichnung bezeichnet den Zeitraum zwischen 1815 und 1848. Die Literatur des Vormärz wird unterteilt in Junges Deutschland und den eigentlichen Vormärz. Die Bezeichnung Junges Deutschland wurde zuerst 1834 in Ludolf Wienbargs Ästhetischen Feldzügen verwendet. Als "literarische Schule" wurden das Junge Deutschland erst 1835 in einem Beschluß des Bundestages angesehen, der dessen Schriften verboten hatte. In Wirklichkeit bildeten die Vertreter des Jungen Deutschlands keine Schule. Sie verband aber die Ablehnung der Restauration und des Adels und das Einsetzen für Presse- und Meinungsfreiheit. Die literarische Bewegung des Jungen Deutschlands hatte ihren Höhepunkt zwischen 1830 bis 1835. Mit dem Verbot der Schriften am 10. Dezember 1835 endete sie schließlich, da die meisten jungdeutschen Autoren ihre gesellschaftspolitisch-kritische Arbeit einstellten. Folgende Autoren wurden im Bundestagsbeschluß vom 10.12.1935 namentlich genannt: Heinrich Heine, Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Ludolf Wienbarg und Theodor Mundt. Die literarische Strömung des eigentlichen Vormärz setzte 1840 ein und endete 1848 mit der gescheiterten Märzrevolution. Mit der Rheinkrise und der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms von Preußen 1840 kam ein neues Nationalgefühl auf. Es traten zahlreiche neue Autoren hervor, wie Georg Herwegh, Ferdinand Freiligrath, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Georg Weerth. Die Autoren des Vormärz verband, daß sie eine bestimmte Zeit im Exil verbrachten bzw. nur im Exil publizieren konnten.
II. Historischer Hintergrund 1815 wurde der Wiener Kongreß eingeleitet, bei dem die Neuordnung Europas geregelt wurde. Es entstand die "Heilige Allianz" zwischen Preußen, Österreich und Rußland zur Sicherung der Prinzipien der Neuordnung, zur Verteidigung des christlichen Glaubens, zur Erhaltung der Herrschaftshäuser und zur Wiederherstellung der vorrevolutionären Ordnung. Die Zeit zwischen 1815 und 1848 war geprägt von dem Interessenskonflikt zwischen den deutschen Fürsten, welche sich für eine Restauration einsetzten, und den "Jungem Deutschland" (Studenten und Professoren), das nach Freiheit und einer politischen Einheit strebte. 1815 kam es zur Gründung des Deutschen Bundes zwischen 39 Einzelstaaten. Es kam außerdem zur Gründung von Burschenschaften, zuerst in Jena, später auch in anderen deutschen Städten. 1817 fand das Wartburgfest statt. 1819 wurden die Karlsbader Beschlüsse gefaßt, welche die Burschenschaften verboten, die Überwachung von Universitäten einleiteten, eine Buch- und Pressezensur einführten und den Einsatz von Spitzeln erlaubten. Die Folge war der Rückzug vieler Deutscher ins Privatleben. 1832 fand das Hambacher Fest statt. 1834 kam es zur Gründung des Deutschen Zollvereins, der die innerdeutschen Zollschranken beseitigte und somit eine wirtschaftliche Einheit herstellte. Aufgrund schlechter sozialer und © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte wirtschaftlicher Verhältnisse der schlesischen Weser kam es 1844 zu einem Aufstand. Die Enttäuschung über die unerfüllten Hoffnungen des "Jungen Deutschlands" und das Festhalten an der alten Ordnung deutscher Fürsten führte 1848 schließlich zur Märzrevolution.
III. Philosophischer Hintergrund Der philosophische Hintergrund der Restaurationszeit war v.a. von der Philosophie Friedrich Hegels (1770-1831) und seinen Schriften Phänomenologie des Geistes (1806), Wissenschaft der Logik (1812/16), Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817) und Grundlinien der Philosophie des Rechts (1831) geprägt.
1. Literatur des Jungen Deutschlands 1.1 Zensur 1819 wurde für alle Staaten des Deutschen Bundes eine Vorzensur eingeführt. Sie betraf alle Texte unter 20 Bogen (entspricht 320 Seiten). Damit fielen alle Schriften darunter, die für ein breites Publikum zugänglich waren, wie Zeitungen, Zeitschriften und viele Bücher. Ab 1830 versuchten immer mehr Schriftsteller und Verleger die Zensurmaßnahmen zu umgehen, indem sie ihre Werke entweder im Ausland drucken ließen oder ihren Umfang auf 21 Bogen ausweiteten. Dieser Widerstand führte unweigerlich zu einer Verschärfung der Zensur. Zur Vorzensur kamen jetzt auch die Ausweitung der Zensur auf alle Werke, das Verbot einzelner Autoren und Verlage und die Zerschlagung von Vereinen hinzu. Verboten war vor allem die Kritik an den herrschenden politischen Verhältnissen, wie an der Regierung oder an dem Adel. Ein Werk konnte auf zwei verschiedene Weisen zensiert werden: die betreffenden Textstellen wurden entweder durch die Zensoren korrigiert oder gestrichen. Die Streichungen waren anfangs noch als Zensurstriche sichtbar, später wurden auch diese verboten. Im 12. Kapitel von Ideen. Das Buch Le Grande parodierte Heine die deutschen Zensoren. Ideen. Das Buch Le Grande (1827) Heinrich Heine
Kapitel 12 -----------
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Die deutschen Zensoren -- -- -- --- -- -- -- -- -- -- -- --- -- -- -- -- -- -- -- --- -- -- -- -- -- -- -- --- -- -- -- -- -- -- -- --- -- -- -- -- -- -- -- --- -- -- -- Dummköpfe -- --- -- -- -- -- -- -- -- --- -- -- -- -- -- -- -- --- -- -- -- -- -- -- -- --- -- -- --
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1.2 Lyrik des Jungen Deutschlands 1827 erschien Heines Buch der Lieder, in dem seine frühen Gedichte zusammengefaßt sind. Es besteht aus fünf Zyklen: Junge Leiden, Lyrisches Intermezzo, Die Heimkehr, Aus der Harzreise und Die Nordsee. Besonders die Gedichte der Zyklen Lyrisches Intermezzo und Die Heimkehr prägten Heines literarischen Ruhm. Sie zeichneten sich durch Liedhaftigkeit und metrische Einfachheit aus und trugen keine Überschriften. Die am häufigsten anzutreffende Strophenform ist die Volksliedstrophe. Das Thema dieser Gedichte war meist eine unerfüllte oder unerreichbare Liebe.
1.3 Epik des Jungen Deutschlands Die Epik erschien den jungdeutschen Schriftstellern als die geeignetste Gattung für ihre Werke, da sie durch ihre Regelfreiheit sich am besten ihren verschiedenen Inhalten anpassen konnte.
1.3.1 Reiseberichte/ Reisebilder Die Reiseliteratur hatte mit Heinrich Heine einen Höhepunkt im 19. Jahrhundert. Neben ihrer informierenden und unterhaltenden Funktion, kam ihr mit Heine vor allem eine politisch aufklärende Funktion zu. Seine Reisebilder-Sammlung erschien in vier Teilen zwischen 1826 und 1831. Band I (1826) enthielt Die Heimkehr, Die Harzreise und Die Nordsee, 1. und 2. Abteilung; Band II (1827) Die Nordsee, 3. Abteilung, Ideen. Das Buch Le Grand und Neuer Frühling; Band III (1830) Italien 1828. I. Reise von München nach Genua, II. Die Bäder von Lucca; Band IV (1831) Italien 1828. III. Die Stadt Lucca. - Englische Fragmente. Der wohl bedeutendste Reisebericht dieser Sammlung war Die Harzreise (1826), die nach Heines Wanderung durch den Harz im Sommer 1824 entstand und 1826 veröffentlicht wurde. In diesem Reisebild verarbeitete Heine durch satirisch-witzige Elemente die aktuellen politischen Verhältnisse in Deutschland. Die Gesellschaft steht in einer Polarität zur Natur. Durch die Hingabe an die Natur tritt zugleich eine Befreiung vom Studentenleben und Philistertum ein. Als Gegenbild zu den entfremdeten Stadtmenschen werden mit der Natur im Einklang lebende Menschen, wie Bergleute oder ein Hirtenknabe gezeigt. Die Komik in der Harzreise wird vor allem durch Kontraste von Einfachem und Erhabenem erreicht. Neben Satire, runden realistische und schwärmerische Naturbeschreibungen, sowie die Einbindung lyrischer Passagen, die Harzreise als Reisebild ab.
1.3.2 Flugschriften 1834 erschien die wohl bekannteste Flugschrift des Jungen Deutschlands, Der Hessische Landbote von Georg Büchner und Friedrich Ludwig Weidig, auf ca. 1000 Exemplaren anonym und unter einer fingierten Ortsangabe. Im Hessischen Landboten werden die hessischen Bauern zur Revolution gegen die Obrigkeit aufgerufen. Büchner und Weidig schildern sehr detailliert die Ausbeutung und Unterdrückung der Bauern. Die Zahlenbelege basieren auf einer Statistik des Großherzogtums Hessen von G. W. J. Wagner aus dem Jahre 1831.
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1.3.3 Romane Der wohl wichtigste Roman des Jungen Deutschlands, Gutzkows Wally, die Zweiflerin (1835), war einer der Gründe, weshalb sein Werk, neben den von anderen Autoren, durch den Bundestagsbeschluß 1835 verboten wurde. Außerdem brachte der Roman Gutzkow 1836 eine einmonatige Gefängnisstrafe ein. Das zentrale Thema des Romans ist der Zweifel am religiösen Glauben, der die Ursache für den Untergang Wallys und ihren Freitod ist.
1.4 Dramatik des Jungen Deutschlands Als einer der wichtigsten Dramatiker trat Christian Dietrich Grabbe hervor, der v.a. das Geschichtsdrama bevorzugte. Bereits als Gymnasiast entstand seine erste Tragödie Herzog Theodor von Gothland, die allerdings erst 1827 veröffentlicht wurde. In seinem bekanntestem Werk Napoleon oder Die hundert Tage, das 1831 erschien, legte Grabbe wichtige Grundsteine für die Entwicklung des epischen Dramas. Seine Dramen sind von Pessimismus bestimmt, enden aber nicht im Weltschmerz sondern kritisieren stark das Wirklichkeitsverständnis seiner Zeit. Georg Büchner wurde von seinen Zeitgenossen kaum beachtet, mit Ausnahme Karl Gutzkows, der sich für die Veröffentlichung seiner Werke einsetzte. Die literarische Qualität seines Werkes wurde erst nach seinem Tode anerkannt. 1835 erschien das in nur fünf Wochen geschriebene Drama Dantons Tod, das aber erst 1902 uraufgeführt wurde. Das Drama schildert die letzten Wochen vor der Hinrichtung Dantons in Paris. Es hat, im Vergleich zu anderen Dramen, einen modernen Aufbau. Die Handlungen der einzelnen Figuren tritt hinter deren Reden und Reflexionen zurück. Das herkömmliche System zum Aufbau der Spannung durch Willkür und Zufall wird nicht verwendet. Statt dessen sind die Ereignisse durch den Zwang der Verhältnisse bestimmt. 1836 entstand das erste soziale Drama der deutschen Literatur, Büchners Woyzeck. Darin wird zum ersten Mal einer aus der untersten gesellschaftlichen Schicht stammender Mensch zum Helden einer Tragödie. Dieser war durch den Druck seiner sozialen Stellung gezwungen, seine Geliebte zu töten. Das Fragment gebliebene Drama ist in vier nur schwer lesbaren Handschriften überliefert und erschien 1878 und wurde erst 1913 in München uraufgeführt. Es hatte einen wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung des Dramas in Deutschland, besonders auf die Dramen des Naturalismus, in denen die Unterdrückung sozial niederer Schichten im Mittelpunkt stand. Die Quellen für Büchners Woyzeck waren ein Gutachten über den realen Mordfall Woyzeck, der seine Geliebte aus Eifersucht umbrachte und dafür später hingerichtet wurde, und Beiträge aus der Zeitschrift für Staatsarzneikunde, die sich mit dem Gemütszustand des Mörders befaßten. Woyzeck entspricht seinem Aufbau nach einem offenen Drama. Die einzelnen Szenen sind aneinandergereiht, für sich inhaltlich abgeschlossen und miteinander austauschbar. Woyzeck, ein armer und besitzloser Soldat, ist verliebt in Marie, mit der er ein uneheliches Kind hat. Da sein geringer Sold für das Überleben der Familie nicht ausreicht, arbeitet er als Barbier und stellt sich für medizinische Experimente zur Verfügung. Diese sind die Ursache für seinen schwachen körperlichen und seelischen Zustand, da er z.B. sich eine Zeit lang nur von Erbsen ernähren muß. Die sozialen Ungerechtigkeiten, wie die ständigen Demütigungen und die Behandlung als Versuchstier, erträgt Woyzeck nur durch seine Beziehung zu Marie. Als diese jedoch eines Tages von einem Tambourmajor verführt wird, sieht sich Woyzeck © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte seiner tragenden Stütze im Leben beraubt. Er kauft sich ein Messer, lädt Marie zu einem Waldspaziergang ein und ersticht sie. Ob Woyzeck am Ende selbst stirbt, bleibt jedoch offen.
2. Vertreter des Jungen Deutschlands • • • • • • • • • •
Georg Büchner (1813-1837) Christian Dietrich Grabbe (1801-1836) Karl Gutzkow (1811-1878) Heinrich Heine (1797-1856) Heinrich Laube (1806-1884) Theodor Mundt (1809-1861) Ludolf Wienbarg (1802-1872) Ernst Willkomm (1810-1886) Ludwig Börne (1786-1837) Friedrich Ludwig Weidig (1791-1837)
3. Werke des Jungen Deutschlands • • • • • • • • •
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Reisebilder. Erster Teil (1826) - Heine o Die Heimkehr; Die Harzreise; Die Nordsee Reisebilder. Zweiter Teil (1827) - Heine o Die Nordsee; Ideen. Das Buch Le Grand; Neuer Frühling Buch der Lieder (1827) - Heine Herzog Theodor von Gothland (1827) - Grabbe Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (1827) - Grabbe Marius und Sulla (1827) - Grabbe Don Juan und Faust (1829)- Grabbe Kaiser Friedrich Barbarossa (1829) - Grabbe Reisebilder. Dritter Teil (1830) - Heine o Die Reise von München nach Genua o Die Bäder von Lukka Napoleon oder Die hundert Tage (1831) - Grabbe Briefe aus Paris (1832/34) - Börne Maha Guru (1833) - Gutzkow Bernhard, Herzog von Weimar (1833) - Willkomm Das junge Europa (1833) - Laube Der Hessische Landbote (1834) - Büchner Dantons Tod (1835) - Büchner Hannibal (1835) - Grabbe Wally, die Zweiflerin (1835) - Gutzkow Madonna. Unterhaltungen mit einer Heiligen (1835) - Mundt Woyzeck (1836) - Büchner Die Romantische Schule (1836) - Heine Leonce und Lena (1838) - Büchner Die Hermannsschlacht (1838) - Grabbe Die Europamüden (1838) - Willkomm Lenz (1839) - Büchner Leonce und Lena (1842) - Büchner
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4. Literatur des Vormärz Mit dem Beginn der 40er Jahre spitzte sich die Politisierung der Literatur radikal zu und fand ihre Rechtfertigung erstmals auch in der Programmatik, in welcher der Versuch einer Begründung der Politik als Gegenstand der Literatur unternommen wurde.
4.1 Lyrik des Vormärz Die Lyrik war für die Autoren des Vormärz die wichtigste Gattung, in der sie ihre politischen Absichten ausdrücken konnten. Mit der Veröffentlichung der Sammlung Gedichte eines Lebendigen (1841) wurde Georg Herwegh trotz Zensurverbots zu einem weit bekanntem Dichter. In seiner politischen Lyrik ging er mit der Politisierung der Literatur sogar soweit, die Überparteilichkeit des Dichters aufzugeben und für ein Parteinehmen einzutreten (Herwegh: Die Partei, 1842). Der Gebrauch der Lyrik als politisches Instrument, wie sie z.B. von Herwegh, Freiligrath und Fallersleben eingesetzt wurde, fand jedoch nicht bei allen Schriftstellern Zustimmung und führte zu heftigen Diskussionen. Eine besonders heftige Kritik und Distanzierung davon kam von Heinrich Heine, der an einer langen Wirkung politischer Lyrik zweifelte, da er die angewandten Techniken der politischen Lyriker auf die Realität nicht für angemessen hielt (Heine: An Georg Herwegh, 1841; An einen politischen Dichter, 1841; Die Tendenz, 1842). Die politische Lyrik des Vormärz wurde daher oft als Tendenz- bzw. Gelegenheitsdichtung kritisiert. Jedoch stand dazu die Veröffentlichung von Heines Gedicht Die schlesischen Weber 1844, in welchem die sozialen Mißstände der Weber angeklagt wurden, in einem Gegensatz. Die schlesischen Weber (1844) Heinrich Heine Im düstern Auge keine Träne, Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne: "Deutschland, wir weben dein Leichentuch, Wir weben hinein den dreifachen Fluch Wir weben, wir weben! Ein Fluch dem Götzen, zu dem wir gebeten In Winterskälte und Hungersnöten; Wir haben vergebens gehofft und geharrt, Er hat uns geäfft, gefoppt und genarrt Wir weben, wir weben! Ein Fluch dem König, dem König der Reichen, Den unser Elend nicht konnte erweichen, Der den letzten Groschen von uns erpreßt Und uns wie Hunde erschießen läßt Wir weben, wir weben! Ein Fluch dem falschen Vaterlande, Wo nur gedeihen Schmach und Schande, Wo jede Blume früh geknickt, Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt Wir weben, wir weben!
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht, Wir weben emsig Tag und Nacht Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch, Wir weben hinein den dreifachen Fluch Wir weben, wir weben!"
4.2 Epik - am Bsp. Heines Deutschland. Ein Wintermärchen (1844) Das Versepos Deutschland. Ein Wintermärchen entstand nach Heines Deutschlandreise im Jahr 1843 von Paris nach Hamburg. In dem 27 Kapitel umfassenden versifizierten Reisebilden beschrieb und parodierte Heine die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland, wie z.B. das Zoll-, Zensur- oder Militärwesen oder die Monarchie. Die Motive für die Reise sind Heimweh und Wiedersehen mit der Mutter. Im ersten Kapitel schildert das lyrische Ich seine Eindrücke, Gefühle und Gedanken beim Betreten Deutschlands nach langer Abwesenheit. Mit dem Entsagungslied wird Kritik am Alten und an der Kirche geübt. Im neuen Lied wird eine Vision vom zukünftigen Deutschland hergestellt. Den dichterischen Höhepunkt des Werkes bildet die Auseinandersetzung mit der Barbarossa-Sage in den Kapiteln 14 bis 17. In dem fiktiven Gespräch des lyrischen Ichs mit der Barbarossa-Gestalt findet eine Konfrontation des Barbarossas mit der aktuellen politischen Realität statt. Das Ergebnis des Gesprächs ist eine Absage an den volkstümlichen Barbarossa-Mythos.
4.3 Dramatik des Vormärz Karl Gutzkow schrieb in der Zeit des Vormärz eine Vielzahl von Tragödien, die aber kaum Nachwirkungen hinterließen und rasch auf den Spielplänen wieder verschwanden. Seine Lustspiele jedoch gehörten auf vielen Bühnen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zum festen Repertoire. Sein wohl bekanntestes Lustspiel, Das Urbild des Tartüffe wurde 1844 in Oldenburg uraufgeführt und erschien 1847. Anhand der Intrigen, die zur Verschiebung der Uraufführung von Molieres Tartuffe führte, stelle er die Zensurmaßnahmen seiner Zeit satirisch dar.
4.4 Beginn der sozialistischen Literatur In der Revolution von 1848 war das Bürgertum die führende Kraft. Doch in dieser Zeit kam es auch zur Herausbildung der Arbeiterklasse als eigenständige politische Kraft. Zu den ersten Theoretikern gehörte Wilhelm Weitling (1808-1871) mit seinen Schriften Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte (1838/39) und Garantien der Harmonie und Freiheit (1842). Die wichtigsten Theoretiker waren jedoch Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) mit ihren gemeinsamen Werken Die deutsche Ideologie (1845/46), Das Elend der Philosophie (1847) und Manifest der Kommunistischen Partei (1848), in denen sie die Theorie vom historischen Materialismus entwickelten. Bedeutende sozialkritische Autoren des Vormärz waren Karl Beck (Lieder vom armen Mann, 1846), Ernst Dronke (Berlin, 1846; Polizeigeschichten, 1846), Ernst Willkomm (Eisen, Gold und Geist, 1843; Weiße Sklaven, 1845) und Wilhelm Wolff (Die Kasematten, 1843). Der wichtigste Vertreter war Georg Weerth mit seinen Studien und Skizzen über die sozialen Verhältnisse in England, wie das englische Arbeiterleben (Das Blumenfest der englischen Arbeiter, 1845/46) und den Liedern © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte aus Lancashire (1845/46). Formen der sozialkritischen Literatur waren Arbeiter- und Industrieromane, Reportagen, Skizzen und Berichte.
5. Vertreter des Vormärz • • • • • • • • •
Heinrich Heine (1797-1856) Georg Herwegh (1817-1875) Ferdinand Freiligrath (1810-1876) August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) Georg Weerth (1822-1856) Karl Beck (1817-1879) Ernst Dronke (1822-1891) Ernst Willkomm (1810-1886) Wilhelm Wolff (1809-1864)
6. Werke des Vormärz • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Unpolitische Lieder (1840/41) - Fallersleben Das Lied der Deutschen (1841) - Fallersleben Gedichte eines Lebendigen (1841) - Herwegh Aufruf (1841) - Herwegh Atta Troll. Ein Sommernachtstraum (1843) - Heine Eisen, Gold und Geist (1843) - Willkomm Die Kasematten (1843) - Wolff Neue Gedichte (1844) - Heine Die schlesischen Weber (1844) - Heine Struensee (1844) - Laube Ein Glaubensbekenntnis (1844) - Freiligrath Das Urbild des Tartüffe (1844) - Gutzkow Zopf und Schwert (1844) - Gutzkow Deutschland. Ein Wintermärchen (1844) - Heine Weiße Sklaven (1845) - Willkomm Das Blumenfest der englischen Arbeiter (1845/46) - Weerth Lieder aus Lancashire (1845/46) Lieder vom armen Mann (1846) - Beck Berlin (1846) - Dronke Polizeigeschichten (1846) - Dronke Uriel Acosta (1846) - Gutzkow Der Karlsschüler (1846) - Laube Gedichte (1846) - Weerth An Bord des Glen Albyn (1847) - Weerth Humoristische Skizzen aus dem deutschen Handelsleben (1847/48) - Weerth Prinz Friedrich (1848) - Laube Skizzen aus dem sozialen und politischen Leben der Briten (1848) - Weerth Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski (1848/49) - Weerth Proklamation an die Frauen (1849) - Weerth Ritter vom Geist (1851) - Gutzkow Romanzero (1851) - Heine Zauberer von Rom (1858) - Gutzkow Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (1863) - Herwegh © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte
7. Literarische Formen • • • • • • •
politische Lyrik Reisebericht/ Reisebild Skizze Zeit- und Gesellschaftsroman Geschichtsdrama soziales Drama Novelle
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Realismus 1848 - 1890 I. Begriff Realismus ist abgeleitet von lat. res - Ding, Sache, Wirklichkeit. Der Realismusbegriff ist äußerst vielschichtig und mehrdeutig. So tritt er in der Literatur z.B. als Stilmerkmal, in Form eines kritischen Realismus' und sozialistischen Realismus', oder als Bezeichnung für eine Literaturperiode, als poetischer Realismus, auf. Der Begriff des poetischen Realismus' wurde von Otto Ludwig 1871 auf den deutschen Realismus der 2. Hälft des 19. Jahrhunderts angewandt. Der kritische Realismus ist ein Gegenbegriff zu Strömungen des beginnenden 20. Jahrhunderts wie z.B. der Expressionismus, dem sich Autoren wie Döblin oder H. Mann verschrieben. Diese Form des Realismus wird als "kritisch" bezeichnet, da die Sozialkritik an der Gesellschaft deutlicher zum Ausdruck kam, als im poetischen Realismus. Der Begriff sozialistischer Realismus ist eine Bezeichnung für eine Methode, die von Autoren angewandt wurde zur Darstellung der Realität, die im Einklang mit dem Sozialismus einhergehen sollte. Beabsichtigt war eine Erziehung des Lesers zum Sozialismus. Ausgehend von den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in der UdSSR wurde der sozialistische Realismus bald in vielen sozialistischen Ländern zur vorgeschriebenen Methode in der Literatur, so auch ab den 50er Jahren in der DDR.
II. Historischer Hintergrund Ausgelöst durch die Februarrevolution 1848 in Frankreich, begann im folgenden Monat in Wien, Berlin und anderen Staaten des Deutschen Bundes die sogenannte Märzrevolution. Am 18. Mai 1848 tagte in der Frankfurter Paulskirche das erste deutsche Nationalparlament und arbeitete eine Verfassung aus. Im März 1849 lehnte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die ihm vom Parlament angebotene Kaiserwürde ab. Das Parlament wurde vom Militär aufgelöst, Aufstände in einzelnen Kleinstaaten blutig niedergeschlagen. Damit war das Scheitern der Nationalversammlung besiegelt. 1861 wurde Wilhelm I. König von Preußen, 1862 Otto von Bismarck preußischer Ministerpräsident. 1864 kam es zum Deutsch-dänischen Krieg, in dem die ehemaligen dänischen Herzogtümer Schleswig und Holstein an die Siegermächte Preußen und Österreich abgetreten wurden. Im Streit um die deutsche Hegemonie begann 1866 der Preußisch-Österreichische Krieg, der zugunsten der Preußen entschieden wurde und die Auflösung des Deutschen Bundes zur Folge hatte. 1867 wurde der Norddeutsche Bund gegründet. Zwischen 1870 bis 1871 fand der Deutsch-französische Krieg, der durch die Emser Depesche von deutscher Seite gegenüber Frankreich provoziert wurde, statt. Bismarck war durch ein vorher geschlossenes Bündnis mit dem Norddeutschen Bund und süddeutschen Staaten gestärkt. Die deutschen Staaten fügten Frankreich zwei schwere Niederlagen zu, nach denen es kapitulierte. Die restlichen süddeutschen Staaten traten nun dem Norddeutschen Bund bei. Am 18. Januar 1871 kam es in Versailles zur Reichsproklamation. Damit wurde die deutsche Einheit vollendet. Der preußische © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte König wurde zum deutschen Kaiser, Bismarck zum Reichskanzler. Da die Reichseinigung nur durch einige Kriege zustande kam, spricht man von einer "Blutund Eisenpolitik" Bismarcks. Die Innenpolitik des Deutschen Reichs wurde vor allem durch die sogenannte "Zuckerbrot- und Peitschenpolitik" Bismarcks bestimmt. Mit der "Zuckerbrotpolitik" meint man die Schaffung der Sozialgesetze, um die durch Industrialisierung und Wirtschaftskrise verschärften sozialen Gegensätze zu bekämpfen. Die "Peitschenpolitik" bezeichnet vor allem Bismarcks Streit mit den liberalen Parteien und den Sozialdemokraten, der im sogenannten "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" 1878 gipfelte. Eine entscheidende Rolle spielte auch der Kulturkampf zwischen Staat und Kirche von 1871 bis 1878, der durch die Kampfgesetze des Staates (Kanzelparagraph, Schulaufsichtsgesetz, Verbot der Jesuitenorden, Maigesetze, Brotkorbgesetze, Klostergesetz, Expatriierungsgesetz) entschieden wurde. Bismarck strebte nach der Reichsgründung eine friedliche Außenpolitik mit der Isolation Frankreichs an, die sich in seiner Bündnispolitik zeigt. 1873 kam es zum Dreikaiserabkommen zwischen Deutschland, Rußland und Österreich-Ungarn. 1879 entstand der Zweibund zwischen Deutschland und Österreich, der 1882 zum Dreibund mit Italien erweitert wurde. Nach Konflikten zwischen Rußland und Österreich-Ungarn scheiterte die Dreikaiserpolitik. 1887 ging das Deutsche Reich mit Rußland einen Rückversicherungsvertrag ein. Mit Bismarcks Rücktritt 1890 setze in der deutschen Außenpolitik unter Wilhelm II. ein Kurswechsel zu Aufrüstung und Kolonialpolitik ein.
III. Philosophischer Hintergrund Die Philosophie der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts war stark geprägt vom Positivismus und dem historischen Materialismus. Positivisten vertraten die Meinung, daß Erkenntnis nur aus empirischer Beobachtung der Natur und aus Erfahrung abgeleitet werden könne. Die Hauptvertreter dieser Richtung waren Auguste Comte (1798-1857) und Hippolyte Taine (1828-1893). 1848 wurde das Kommunistische Manifest von Marx und Engels veröffentlicht. Der historische Materialismus, z.B. von K. Marx (1818-1883) oder L. Feuerbach (1804-1872) vertreten, betrachtet die gesellschaftliche Entwicklung des Menschen materialistisch. Wichtig ist dabei, daß das Sein über das Bewußtsein dominiert.
1. Literatur des Realismus Diskussionen über Inhalte und Formen von Literatur fanden hauptsächlich in literarischen Zirkeln, wie z.B. in dem 1827 gegründeten "Tunnel über der Spree" in Berlin, statt, als in einer breiten Öffentlichkeit. Da viele Autoren auf den Druck ihrer Werke zwecks Sicherung ihres Lebensunterhalts angewiesen waren, sank dadurch häufig das Niveau des literarischen Gehalts. Literarische Werke, die gesellschaftliche Verhältnisse realistisch darstellen, wurden von vielen Redakteuren abgewiesen, da das Publikum sich mehr für Unterhaltung und Ablenkung von der Wirklichkeit interessierte. Daher ist in vielen Texten des Realismus keine Kritik an den sozialen Mißverhältnissen der Gesellschaft zu finden. Es bleibt die Frage, worin realistische Autoren ihre Aufgaben sahen, da sie häufig einfache Menschen zum Gegenstand ihrer Werke machten. G. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Freytag hatte in seinen Romanen, so z.B. in Soll und Haben (1855), das Ziel, das Bürgertum zu idealisieren.
1.1 Merkmale realistischer Literatur Realistische Literatur durfte nicht bloß eine Wiedergabe der Wirklichkeit sein, sondern mußte mit literarischen Mitteln die Realität verarbeiten. Die Dichter des Realismus kombinierten dabei eine genaue Realitätsbeschreibung mit einer subjektiven Erzählhandlung. Häufig wurde die Wirklichkeit mit Humor und Ironie verklärt. Ein weiteres Merkmal ist die formale, inhaltliche und stoffliche Einfachheit in oft breiter Ausgestaltung. Auf drastische Stilmittel wurde weitestgehend verzichtet. Durch eine harmonische Verbindung der inneren und äußeren Räumlichkeiten in vielen Werken und durch die breite Ausgestaltung wurde beim Leser der Eindruck der Realität und die unmittelbare Anteilnahme daran erweckt. In Fontanes Aufsatz Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848 von 1853 gibt er folgende Definition zum Realismus: "Er ist die Widerspiegelung alles wirklichen Lebens, aller wahren Kräfte und Interessen im Elemente der Kunst, er ist, wenn man uns diese scherzhafte Wendung verzeiht, eine Interessenvertretung auf seine Art. Er umfängt das ganze reiche Leben, das Größte wie das Kleinste, den Kolumbus, der der Welt eine neue zum Geschenk machte, und das Wassertierchen, dessen Weltall der Tropfen ist, den höchsten Gedanken, die tiefste Empfindung zieht er in sein Bereich, und die Grübeleien eines Goethe wie Lust und Leid eines Gretchen sind sein Stoff. Denn alles das ist wirklich. Der Realismus will nicht die bloße Sinnenwelt und nichts als diese, er will am allerwenigsten das bloß Handgreifliche, aber er will das Wahre. Er schließt nichts aus als die Lüge, das Forcierte, das Nebelhafte, das Abgestorbene - vier Dinge, mit denen wir glauben, eine ganze Literaturepoche bezeichnet zu haben."
1.2 Lyrik im Realismus Nach 1848 setzte im Grenzboten eine heftige Kritik an der Metaphernüberladenheit der Restaurationslyrik, wie sie z.B. teilweise in den Gedichten Droste-Hülshoffs zu finden ist, ein, um der Entfernung der Lyriksprache von der Alltagssprache entgegenzuwirken. Dies zeigt sich z.B. in Hebbels Gedichten Ich und Du (1843), Ein Bild aus Reichenau (1848), Herbstbild (1852) und Liebesprobe (1854). Die Lyriker im Realismus wollten in ihren Gedichten nicht etwas Realistisches darstellen, sondern eine poetische Welt zur Realität schaffen. Bedeutende deutschsprachige Lyriker im Realismus waren Storm, Fontane, Meyer, Keller und Ferdinand von Saar. Die lyrischen Werke dieser Autoren treten heute oft in den Schatten ihrer epischen Werke oder geraten fast in Vergessenheit.
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Hebbel - Ich und Du (1843) Wir träumten voneinander Und sind davon erwacht, Wir leben, um uns zu lieben, Und sinken zurück in die Nacht. Du tratst aus meinem Traume, Aus deinem trat ich hervor, Wir sterben, wenn sich eines Im andern ganz verlor. Auf einer Lilie zittern Zwei Tropfen, rein und rund, Zerfließen in eins und rollen Hinab in des Kelches Grund.
1.2.1 Dinggedicht C. F. Meyer verband in seinen Gedichten (Der römische Brunnen, Zwei Segel, Der schöne Tag, Auf dem Canal Grande) eine genaue Sinnliche Darstellung der Wirklichkeit mit einer symbolischen und subjektiven Deutung. Solche Gedichte werden auch Dinggedichte bezeichnet und treten z.B. auch später bei Rilke häufig auf. Charakteristisch für sie ist, daß das Ding objektiv und distanziert betrachtet wird und alles Unwesentliche dabei vernachlässigt wird. C. F. Meyer - Der römische Brunnen Aufsteigt der Strahl und fallend gießt Er voll der Marmorschale Rund, Die, sich verschleiernd, überfließt In einer zweiten Schale Grund; Die zweite gibt, sie wird zu reich, Der dritten wallend ihre Flut, Und jede nimmt und gibt zugleich Und strömt und ruht.
1.2.2 Ballade Kritik an den sozialen Mißständen der Gesellschaft ist auch in den Balladen vergebens zu suchen. Stattdessen steht oftmals ein Held im Mittelpunkt, der sich nicht für gesellschaftliche Veränderungen, sondern sich für die Erhaltung bestehender Verhältnisse einsetzt. Dies zeigt sich z.B. in der Opferbereitschaft des Steuermanns in Fontanes John Maynard. Der Ausschnitt aus der Wirklichkeit ist sehr klein und auf die Ursache für den Feuerausbruch auf dem Schiff gibt es keinen Hinweis. Im Realismus sind auch viele historische Balladen entstanden, in denen weniger © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte große Helden und ihre Taten als vielmehr unbedeutende Personen mit großer Willensstärke im Mittelpunkt standen. Balladen von solchem Typus sind zahlreich bei C. F. Meyer zu finden, z.B. Die Füße im Feuer, Bettlerballade, Mit zwei Worten, Der gleitende Purpur aber auch bei Fontane, z.B. Herr Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.
1.3 Epik im Realismus 1855 erschien Gustav Freytags Roman Soll und Haben, der zum Vorbild für die ganze Epoche wurde. Einer der wichtigsten Vertreter der Epik im Realismus war Fontane. Seine ersten Werke waren zunächst noch frei von Gesellschaftskritik oder Aufklärung bestehender Mißverhältnisse, diese kamen erst in seinen späteren Werken, meist aber versteckt, zum Ausdruck. Die Novelle fand in der Zeit des Realismus ihren Höhepunkt. Es entstanden zahlreiche Novellenzyklen und Novellen, wie in noch keiner anderen Epoche zuvor. Noch heute sehr bekannt ist z.B. Kellers Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla oder Storms Novellen Der Schimmelreiter und Immensee. Aber auch viele andere Autoren waren als Novellisten tätig, so z.B. C. F. Meyer, A. Stifter, Th. Fontane, J. Gotthelf, F. Grillparzer, W. Raabe, Ferdinand v. Saar und Marie von Ebner-Eschenbach.
1.3.1 Roman a) Entwicklungsroman Auf zwei unterschiedliche Weisen wurde die Wirklichkeit der bürgerlichen Welt in den Entwicklungsromanen des Realismus gezeigt: in einer optimistischen und in einer pessimistischen Darstellung. Kellers Grüner Heinrich und Freytags Soll und Haben stehen beispielhaft für viele andere Romane von diesem Typus.
Keller: Der grüne Heinrich (1854-55/79-80) 1854 bis 1855 erschien die erste Fassung des Grünen Heinrichs von Keller. Bei der Entwicklung des Helden Heinrich Lee zeigt er deutlich das Scheitern des Künstlers, der als Außenseiter endet. Enttäuscht von der Liebe und mitgenommen vom Tod seiner Mutter findet er schließlich selbst den Tod. In der zweiten Fassung von 1879/80 wird der Roman stark verändert. Nicht mehr der Tod, sondern Resignation kommt am Ende des Romans über Heinrich. Das Scheitern des Künstlers wird in beiden Fassungen nicht nur als selbstverschuldet hingestellt. Auch Heinrichs Umfeld und die Gesellschaft hat einen Anteil dazu beigetragen. Keller bringt im Grünen Heinrich eine pessimistische Weltanschauung zum Ausdruck.
Freytag: Soll und Haben (1855) Im Roman Soll und Haben entwickelt Freytag sein Ideal des Bürgertums im Helden Anton Wohlfahrt, der sich, trotz Fehler und Rückschläge, gegenüber dem Adel und Judentum durchsetzen kann. Adel und Judentum werden als Gegenbilder des Bürgertums gezeigt, die sich in der Welt nicht durchsetzen können. Damit wurde aber nicht die Wirklichkeit des Bürgertums dargestellt, sondern eine Idealisierung vorgenommen, die einen optimistischen Ausblick gibt. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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b) Gesellschaftsroman Fontane: Effi Briest (1895) In Effi Briest übte Fontane, wenn auch verhalten, Kritik an den Konventionen und Normen der preußischen Gesellschaft und ihrem Ehrenkodex und zeigt die Unfähigkeit des Adels ihr zu entkommen. Der Roman basiert auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1886, bei der sich ein preußischer Offizier mit einem Amtsrichter um eine Liebesaffäre dessen mit seiner Frau duellierte. Der Roman trägt den Titel seiner Hauptfigur, Effi Briest, deren Eltern Vertreter des reichen Landadels sind. Sie heiratet den über 20 Jahre älteren Baron von Instetten auf Rat ihrer Eltern, ohne zu wissen, was auf sie zukommt. Von ihrem Mann oft allein gelassen, wird sie von ihrem bisherigen Leben zunehmend gelangweilt. Auch die Geburt ihrer Tochter kann nicht viel an der Situation ändern. Einzig die kurze Liebesbeziehung mit dem Bezirkskommandanten Crampas bringt ihr etwas Abwechslung. Als Instetten versetzt wird, finde die Liebesbeziehung ein Ende. Nach einigen Jahren findet Instetten aber die Briefe von Crampas, die er an Effi schrieb. Um die Verletzung seiner Ehre zu bereinigen und sein Ansehen wiederherzustellen, fordert er Crampas zu einem Duell, wobei dieser stirbt. Danach kommt es zur Scheidung von Effi, die Tochter bleibt beim Vater. Nach einem Wiedersehen Effis mit ihrer Tochter, die sie nicht mehr als ihre Mutter erkannte, bricht Effi zusammen. Ihre Eltern nehmen die im Sterben liegende Effi bei sich wieder auf, die nach kurzer Zeit schließlich stirbt. Die Handlung des Romans wird ruhig und kritiklos erzählt. Die Frage nach der Schuld am Tode Effis wird nicht direkt gestellt.
c) Historischer Roman Fontane: Vor dem Sturm. Roman aus dem Winter 1812 auf 13 (1878) Vor dem Sturm war Fontanes erster Roman und sollte ein Gesellschaftsbild vor den Befreiungskriegen gegen Napoleon geben. Der wichtigste Handlungsstrang beschäftigt sich mit der Hauptfigur Lewin von Vitzewitz, dessen persönliche Probleme von geschichtlichen Geschehnissen überlagert werden, wobei er einmal nur sehr knapp dem Tode entrinnen konnte. Schauplatz der Handlung ist meist das Schloß Hohen-Vietz, neben Schloß Guse und Alt-Berlin. Der historische Roman Vor dem Sturm zeichnet sich durch eine Vermischung von Geschichtlichem mit Privatem sowie vielen Informationen über das bäuerliche, bürgerliche und adlige Milieu aus.
1.3.2 Novelle Die wichtigsten Novellendichter im Realismus waren Keller (Romeo und Julia auf dem Dorfe, Kleider machen Leute), Meyer (Der Schuß von der Kanzel), Storm (Der Schimmelreiter, Immensee), Fontane (Schach von Wuthenow), Stifter (Der Hochwald), Raabe (Zum wilden Mann), Gotthelf (Die schwarze Spinne), Grillparzer (Der arme Spielmann), M. von Ebner-Eschenbach (Das Schädliche), F. von Saar (Ginevra) und Heyse (L' Arrabbiata). Die bekanntesten Novellen Kellers erschienen im Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla. Romeo und Julia auf dem Dorfe erschien im ersten Band 1856, Kleider machen Leute im zweiten Band 1874. C. F. Meyer konnte mit seinen Novellen © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte ebenso viel Ansehen erringen, wie sein Landsmann Keller. Mit etwa 80 Novellen, darunter Der Schimmelreiter, Immensee, Ein Doppelgänger, Pole Poppenspäler, Aquis submersus u.a. schuf Storm die meisten deutschsprachigen Novellen im Realismus.
a) Keller: Romeo und Julia auf dem Dorfe (Die Leute von Seldwyla, 1856) Die Thematik dieser Novelle ist an Shakespeares Drama Romeo und Julia angelehnt und auf das Dorfleben übertragen. Die Freundschaft zwischen den Bauern Manz und Marti wandelt sich rasch zu Feindschaft. Die Kinder der verfeindeten Bauern, Sali und Vrenchen, schließen aber Freundschaft und finden auch bald Zuneigung zueinander. Ihre Liebe leben sie an einem Tag aus, da sie in der dörflichen Gemeinschaft keine Zukunft hätte. Ehrlos, nur um des Lebens willen, wollen sie nicht weiterleben und begehen darauf Selbstmord.
b) Keller: Kleider machen Leute (Die Leute von Seldwyla, 1874) Durch ein Mißverständnis wird der Schneidergeselle Wenzel Strapinski bei einer seiner Wanderungen in einem Nachbardorf als Graf empfangen. Strapinski, der aus Furcht seine wahre Identität nicht preisgeben kann, geht auf dieses Mißverständnis ein, an dem er nicht allein schuldig war und spielt mit. Auf einem Ball kommt es zur Entlarvung und Flucht Strapinskis. Einzig seine Geliebte, Nettchen, folgt und unterstützt ihn weiterhin und heiratet ihn trotz des Unmutes vieler Bürger, da sie seine Unschuld an dem Vorfall erkannt hatte.
c) Storm: Der Schimmelreiter (1888) Die Novelle zeichnet sich durch eine Vermischung von Mystischem, Unerklärbarem mit dem technischen Verständnissen des Deichbaus aus und verweist auf die Gefahren des Fortschritts. Hauke Haien, ein technisch-begabter Knecht eines Deichgrafen, widmete seine Arbeit und Zeit dem Deichbau. Nach dem Tod des Grafen, heiratete er dessen Tochter und wurde selber zum Deichgrafen. Gegenüber den anderen Dorfbewohnern faßte er den Plan, einen neuen Deich zu bauen, in dem er alle seine Kräfte steckte und dabei seine Familie vernachlässigte. Doch nach einiger Zeit ließen seine Arbeitsbemühungen nach. Eine schwere Sturmflut brachte den Deich zum Einsturz und riss Haukes Familie und ihn selbst in den Tod.
1.3.3 Dorfgeschichten In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlangten die Dorfgeschichten ein erstaunlich großes Ansehen. Dies kam daher, da sich die Autoren der Dorfgeschichten stark an Idyllen anlehnten. Der Gegensatz Dorf - Stadt wurde häufig thematisiert, wobei das Dorfleben weitestgehend idealisiert wurde. Probleme des Dorflebens wurden nicht dargestellt. Auch fand die Thematik Fortschrittsangst und Flucht in Natur oder Heimat Eingang in viele Dorfgeschichten. Das Anliegen der Dorfgeschichten war häufig die Erziehung des Lesers zum Ideal der zwischenmenschlichen Beziehungen des Dorflebens. Einer der erfolgreichsten © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Autoren von Dorfgeschichten seiner Zeit war Berthold Auerbach mit seinen Schwarzwälder Dorfgeschichten (1843-54). Autoren weiterer Dorfgeschichten sind z.B. J. Gotthelf, M. von Ebner-Eschenbach, P. Rosegger und L. Anzengruber. Storm, Keller und Stifter lehnten eine Idealisierung des Dorflebens ab. Die Figuren ihrer Werke müssen sich auch mit den Problemen des Dorflebens auseinandersetzen.
1.3.4 Reiseliteratur Mit Heine erreichte die Reiseliteratur einen ersten Höhepunkt an kritischer Betrachtung der Gesellschaft. Schon vor dem Realismus ist die Reiseliteratur zur kritiklosen Betrachtung verkommen, die aber beim Publikum sehr beliebt war und durch die ab 1850 entstandenen Journale rasch verbreitet werden konnte. Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg (1862, 1863, 1873, 1882) wurden deshalb von einem großen Teil des Publikums missverstanden und nicht als Kritik aufgefaßt. Über das Leben in Amerika berichtete v.a. Friedrich Gerstäcker in seinen Reiseromanen wie Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten (1844), Die Regulatoren in Arkansas (1846) und Die Flußpiraten des Mississippi (1848).
1.4 Realistisches Drama Das Drama trat im Realismus weit hinter Epik und Lyrik zurück. Von den Dramatikern dieser Zeit sind lediglich Hebbel, Grillparzer und Anzengruber besonders hervorgetreten und populär geworden. Für Hebbel sollte die Auflösung der Konflikte auch in den Individuen zum Ausgleich gebracht werden. Seine Vorbilder waren Kleist, Lessing und Schiller, mit denen er sich häufig auseinander setzte. Hebbel hatte mit seinen Werken zwar große Erfolge erzielt, doch wurde er öfters missverstanden. Hebbels Dramen weisen nur wenig Individualismus auf, da er sich vor allem beim Sprechstil seiner Stücke an die Tradition des Wiener Burgtheaters hielt. Dramatische Spannung wurde vor allem durch den Gegensatz Individuum - Gesellschaft erzeugt. Hebbel wollte auf der Bühne keinen Realitätsausschnitt zeigen, sondern eine künstlerisch geformte Welt darstellen. Bedeutende, noch heute gespielte, Dramen Hebbels sind Judith (1843), Maria Magdalene (1843) und Agnes Bernauer (1851). Grillparzer wurde v.a. durch Die Ahnfrau (1817), die Dramentrilogie Das goldene Vließ (1821), Weh dem, der lügt! (1838) und die drei posthum veröffentlicht und aufgeführten Dramen Die Jüdin von Toledo (1872), Ein Bruderzwist in Habsburg (1872) und Libussa (1872) berühmt. Anzengruber orientierte sich stark an Nestroy. Seine Stücke greifen oft religiöse Themen auf und spielen im bäuerlichen Milieu, z.B. Meineidbauern (1871).
2. Literarische Formen • • • • • •
Dinggedicht Entwicklungsroman Gesellschaftsroman Historischer Roman Novelle Dorfgeschichte
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Dinggedicht: In einem Dinggedicht wird ein Ding objektiv und distanziert betrachtet. Alles Unwesentliche entfällt bei der Betrachtung. Das Ding wird daher nicht nur symbolisch, sondern auch subjektiv erfaßt. Häufig werden Gegenstände der bildenden Kunst zum Thema eines Dinggedichtes und werden somit neugeschaffen. Dinggedichte sind z.B. bei Mörike, C.F. Meyer und Rilke zu finden. Entwicklungsroman: Ein Entwicklungsroman zeigt den Entwicklungsprozeß einer Figur, die oft zum Ideal einer Gesellschaftsschicht heranreift, in Korrespondenz mit ihrer Umwelt. Gesellschaftsroman: Ein Gesellschaftsroman beschreibt die zeitgeschichtlichen Verhältnisse einer Gesellschaft genau und übt meist Kritik an ihren Mißständen aus. Historischer Roman: Ein historischer Roman lehnt sich an historisch authentische Ereignisse und Personen an. Wie nah dabei die Anlehnung an die Realität ist, hängt vom jeweiligen Autor ab. Dorfgeschichte: Merkmale einer Dorfgeschichte sind Klarheit und Einfachheit, die durch Volkstümlichkeit bewirkt werden, und eine Erzählperspektive aus bäuerlicher Sicht.
3. Vertreter • • • • • • • • • • • • • • • • •
Theodor Fontane (1819-1898) Gottfried Keller (1819-1890) Theodor Storm (1817-1888) Wilhelm Raabe (1831-1910) Adalbert Stifter (1805-1868) Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898) Friedrich Hebbel (1813-1863) Franz Grillparzer (1791-1872) Jeremias Gotthelf (1797-1854) Gustav Freytag (1816-1895) Paul Heyse (1830-1914) Otto Ludwig (1813-1865) Friedrich Gerstäcker (1816-1872) Ferdinand von Saar (1833-1906) Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916) Peter Rosegger (1843-1918) Ludwig Anzengruber (1839-1889)
4. Werke • • • • • • •
Judith (1840) - Hebbel Die schwarze Spinne (1842) - Gotthelf Genoveva (1843) - Hebbel Maria Magdalene (1844) - Hebbel Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten (1844) - Gerstäcker Die Regulatoren in Arkansas (1846) - Gerstäcker Gedichte (1846) - Keller © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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Die Flußpiraten des Mississippi (1848)- Gerstäcker Herodes und Mariamne (1849) - Hebbel Immensee (1850) - Storm Neuere Gedichte (1851) - Keller Agnes Bernauer (1852) - Hebbel Gedichte (1852) - Storm Bunte Steine (1853) - Stifter L' Arrabbiata (1854) - Heyse Der grüne Heinrich (1854/55; 1879/80) - Keller Soll und Haben (1855) - Freytag Gyges und sein Ring (1856) - Hebbel Die Leute von Seldwyla (erster Band, 1856) - Keller o Pankraz, der Schmoller o Romeo und Julia auf dem Dorfe o Frau Regel Amrain und ihr Jüngster o Die drei gerechten Kammacher o Spiegel, das Kätzchen Zwischen Himmel und Erde (1856) - O. Ludwig Der Nachsommer (1857) - Stifter Die Chronik der Sperlingsgasse (1857) - Raabe Die Nibelungen (1861) - Hebbel Demetrius (1864) - Hebbel Der Hungerpastor (1864) - Raabe Zwanzig Balladen (1864) - C. F. Meyer Verlorene Handschrift (1864) - Freytag Abu Telfan oder Die Heimkehr vom Mondgebirge (1868) - Raabe Der Schüdderump (1869/70) - Raabe Shakespeare-Studien (1871) - O. Ludwig Deutscher Novellenschatz (1871) - P. Heyse/ H. Kurz Meineidbauern (1871) - Anzengruber Huttens letzte Tage (1871) - C. F. Meyer Die Ahnen (1872) - Freytag Ein Bruderzwist in Habsburg (1872) - Grillparzer Sieben Legenden (1872) - Keller o Eugenia o Der schlimmheilige Vitalis o Dorotheas Blumenkörbchen o Die Jungfrau und der Teufel o Die Jungfrau als Ritter o Die Jungfrau und die Nonne o Das Tanzlegendchen Das Amulett (1873) - C. F. Meyer Die Leute von Seldwyla (zweiter Band, 1874) o Kleider machen Leute o Der Schmied seines Glückes o Die mißbrauchten Liebesbriefe o Dietegen o Das verlorne Lachen Georg Jenatsch (1874) - C. F. Meyer Zum wilden Mann (1874) - Raabe Pole Poppenspäler (1874) - Storm
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Gedichte (1875) - Fontane Züricher Novellen (1876-78) - Keller Aquis submersus (1877) - Storm Vor dem Sturm (1878) - Fontane Der Heilige (1880) - C. F. Meyer Gedichte (1882) - C. F. Meyer Cecile (1886) - Fontane Irrungen, Wirrungen (1887) - Fontane Das Gemeindekind (1887) - Ebner-Eschenbach Der Schimmelreiter (1888) - Storm Stine (1890) - Fontane Stopfkuchen (1891) - Raabe Frau Jenny Treibel (1892) - Fontane Effi Briest (1895) - Fontane Akten des Vogelsangs (1896) - Raabe Der Stechlin (1898) - Fontane
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Naturalismus 1880 - 1900 I. Begriff Naturalismus allgemein bezeichnet eine Stilrichtung, bei der die Wirklichkeit exakt abgebildet wird, ohne jegliche Ausschmückungen oder subjektive Ansichten. Als gesamteuropäische, literarische Strömung wird der Naturalismus als erste Phase innerhalb der europäischen Literaturrevolution, der Moderne, angesehen. Der Naturalismus gilt auch als Radikalisierung des Realismus.
II. Historischer Hintergrund Zu Beginn der 1880er Jahre kam es zu großen Fortschritten und Weiterentwicklungen in den Wissenschaften. Z.B. 1884 wurde die Dampfturbine, 1887 die Schallplatte und 1893 der Dieselmotor erfunden. Bestimmend für die innen- und außenpolitische Entwicklung war Reichskanzler Bismarck. 1878 schuf der das Sozialistengesetz. 1879 ging er den Zweibund mit Österreich ein, 1882 wurde dieser mit der Mitgliedschaft Italiens zum Dreibund erweitert. 1887 wurde der Rückversicherungsvertrag mit Rußland geschlossen. Im Deutschen Reich und in Europa wurde dadurch eine gewisse Stabilität geschaffen, die erst wieder abnahm, als Bismarck 1890, wegen politischen Differenzen mit dem neuen Kaiser Willhelm II., zurücktreten mußte. Seit 1891 begann die deutsche Aufrüstung des Heeres und der Flotte, damit die Grundlage für den Erwerb von Kolonien geschaffen. 1905/06 kam es schließlich zur ersten Marokkokrise.
III. Grundlagen des Naturalismus Der Naturalismus beruhte nicht allein auf den Erkenntnissen der Naturwissenschaften, z.B. Charles Darwins Evolutionstheorien, er wurde auch stark von der Philosophie des Positivismus beeinflußt. Die wichtigste Bedeutung hatte aber die Milieutheorie Taines. Er faßte den Menschen als ein von Milieu und Rasse (Erbanlagen und soziale Verhältnisse) abhängiges Wesen auf.
1. Literatur des Naturalismus Wie in meist jeder anderen Epoche, sind auch im Naturalismus alle Gattungsarten vertreten: Lyrik, Epik und Dramatik. Jedoch unterscheiden sich deren Anteile literarischer Schöpfungen in verschiedenen Zeitperioden. Zwischen 1880 bis 1885 dominierten neben Theorien und Proklamationen vor allem die Lyrik, von 1885 bis 1890 v.a. Prosatexte und seit de 90er Jahren Dramen und Romane.
1.1 Herausbildung des Naturalismus Die Strömung des Naturalismus läßt sich in drei wesentliche Abschnitte gliedern: den Frühnaturalismus (1880-1889), den Hochnaturalismus (1889-1895) und den Zerfall © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte des Naturalismus (1895-?). Es ist jedoch zu beachten, daß die Perioden ineinander überfließen und die Strömung insgesamt schließlich ganz zerfließt. Im Deutschland bildeten sich zwei Zentren heraus: München und Berlin. Zwei Jahre geben in der Entwicklung des Naturalismus einen entscheidenden Einschnitt: 1885 und 1889. 1885 wurde die Münchener Zeitung Die Gesellschaft gegründet, Arno Holz veröffentlichte seine Gedichtsammlung Buch der Zeit und die Lieder eines Modernen, außerdem wurde die Lyrikanthologie Moderne Dichter-Charaktere, ein Projekt vieler naturalistischer Autoren, veröffentlicht.. 1889 wurde in Berlin die "Freie Bühne" gegründet, Hauptmanns Vor Sonnenaufgang hatte Premiere und Anfang 1890 wurde die Berliner Zeitschrift "Freie Bühne für modernes Leben" gegründet. Beide Zentren, München und Berlin, gerieten mit ihren Vorstellungen aneinander, ein Hinweis, daß auch der Naturalismus keine einheitliche Gesamtbewegung darstellt. Seit den 1890er Jahren kam es zu einer Überlagerung von naturalistischen und gegennaturalistischen Tendenzen. Ein genauer Abschluß der Epoche läßt sich somit nicht mehr klar feststellen. In den Zentren Berlin und München bildeten sich bestimmte Gruppierungen von naturalistischen Schriftstellern heraus. In Berlin sammelten sich um die Zeitschrift "Kritische Waffengänge" von den Brüdern Hart, Bölsche, Holz und Schlaf. In München bildete sich 1885 eine Gruppe um die Zeitschrift Die Gesellschaft von Conrads, der auch Hermann Conradi angehörte. Zwischen beiden Gruppierungen gab es starke Kontraste. 1886 entstand in Berlin der Verein "Durch!". Neben den großen Gruppierungen änderte sich auch die Verwendung der Gattungen. Konzentrierte man sich zunächst am Anfang der 80er Jahre auf Lyrik, so wendete man sich später der Prosa zu. In den neunziger Jahren dominierte schließlich das Drama. Die Herausbildung des Naturalismus wurde durch viele Theoretische Schriften begünstigt: da wären Zolas Experimentalroman, Bölsches' Naturwissenschaftliche Grundlagen der Poesie, Holz' Revolution der Lyrik sowie verschiedene Einzeltexte aus Moderne Dichter-Charaktere. Die Selbstbezeichnung der Epoche besaß eine große Vielfalt: so sahen sich die Anhänger der Strömung als "jüngere Stürmer und Dränger", "jüngstes Deutschland", Realismus, Naturalismus und Moderne. Die Bezeichnung Naturalismus gilt erst in unserer Zeit, als die Bezeichnung für die Strömung. Naturalismus als "die Moderne" verstanden sich die Mitglieder des Literaturverein "Durch!". Dieser Name wurde von ihnen in ihren 1886 veröffentlichen Thesen zum ersten Mal gebraucht. Damit einher geht die Abwendung des klassischen Kunstideals der Antike, und die Hinwendung zum Modernen. Für die Entwicklung des Naturalismus trugen außerdem Auguste Comte und Hyppolite Taine einen entscheidenden Anteil. Comte kam mit Beobachtungen und Experimenten zu einer "positiven" Methode der Analyse, anstatt auf Spekulationen zu vertrauen. Taine sah als Basis für positivistische Experimente die Einheit aus Rasse, Milieu und Moment, d.h. biologische Herkunft, ethnologische Zusammenhänge und die jeweilige Zeitumstände. Er formulierte diese Aspekte in seiner Milieutheorie. Inhaltlich kommen in naturalistischen Werken Themen wie Vererbungslehre, Kampf ums Dasein oder Auslese zum Ausdruck. Arno Holz fand 1891 in seinem Werk Die Kunst. Ihr Wesen und ihre Gesetze. eine Gesetzmäßigkeit in allen Ereignissen. Von ihm stammt die mathematische Formel "Kunst = Natur - x". Das "x", die Differenz aus Natur und Kunst, müsse dabei so klein wie möglich sein, damit die Literatur die Realität möglichst exakt abbildet. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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1.2 Lyrik des Naturalismus Bereits die Brüder Hart kritisierten in ihren Schriften, die um 1880 entstandene Vielzahl von lyrischen Werken seien ohne Inhalt, verlogen und eine Überschwemmung des Marktes. Gegen diese Art von Lyrik richteten sich die Naturalisten mit ihrer "Revolution der Lyrik". Dabei ging es lediglich um die Erneuerung dieser Gattung. Dies konnte z.B. 1885 teilweise mit der Anthologie Moderne Dichter-Charaktere erreicht werden. Mit dem Bruch der traditionellen Lyrikauffassung sollte jedoch auch ein Verfall der gesamten Gattung verhindert werden. Die wesentlichsten Probleme, die von der naturalistischen Lyrik behandelt wurden, lauten "Soziale Frage" und Großstadt. Obwohl die Großstadtlyrik z.B. schon zur Hälfte des 19. Jahrhunderts in Paris (mit Baudelaire) auftrat, wurde das Sujet erst von den Naturalisten lyrisch erfaßt. Viele Dichter erlebten das Großstadtleben hautnah, als sie von der Provinz in größere Metropolen zogen. Die Probleme der urbanen Lebensweise drücken sich in einer Reizüberflutung aus, die bis weit in den Expressionismus hineinreicht. Dabei wird die Großstadt meist als Ort des Elends und Schmutzes wahrgenommen, ein Ort, an dem alle Aspekte der Natur verloren gegangen sind. Dies zeigt sich z.B. im Großstadtmorgen (1886) von Arno Holz. In der Großstadt liegt eine Spannung zwischen Anreiz und Fluch. Die Erfassung von Modernem und Technik in der Großstadt bleibt im Naturalismus im großen und ganzen aus. Erst später wird das komplexe Großstadtbild, z.B. durch Montage, als Ganzes bewußt. Anonymität und Tempo ließen sich mit den naturalistischen Mitteln nur schwer darstellen. Die soziale Lyrik tauchte meist gemeinsam mit der Großstadtlyrik auf. Ihr Inhalt war meist mit scharfer Sozialkritik geprägt. Als bedeutendster Lyriker des Naturalismus zählt Arno Holz, mit seinem Buch der Zeit (1886). Wichtige Merkmale seiner Lyrik sind Mittelachsenzentrierung, Verzicht auf Reim und Metrik, die den Rhythmus eines literarischen Werkes entscheidend beeinflussen. Holz zeigt uns das an einem Beispiel: "Ich schreibe als Prosaiker einen ausgezeichneten Satz nieder, wenn ich schreibe: 'Der Mond steigt hinter blühenden Apfelbaumzweigen auf.' Aber ich würde über ihn stolpern, wenn man ihn mir für den Anfang eines Gedichtes ausgäbe. Er wird zu einem solchen erst, wenn ich ihn forme: 'Hinter blühenden Apfelbaumzweigen steigt der Mond auf.' Der erste Satz referiert nur, der zweite stellt dar. Erst jetzt fühle ich, ist der Klang eines mit dem Inhalt. Und um diese Einheit bereits deutlich nach außen zu geben, schreibe ich: 'Hinter blühenden Apfelbaumzweigen steigt der Mond auf.' Dies ist meine ganze 'Revolution der Lyrik'."
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1.3 Naturalistische Prosa Die Hinwendung zu Romanen ging mit einer gravierenden Veränderung des literarischen Marktes einher. So erreichten die Romane von Emile Zola eine sehr hohe Auflage im Jahr. Doch der große naturalistische Roman blieb meist nur ein Schatten realistischer Romane von Fontane, H. und Th. Mann. Jedoch in den epischen Kleinformen, wie Skizze, Studie, Novelle, Kurzerzählung, usw. konnten sich die Naturalisten durchsetzen. Thema der Prosaformen waren u.a. Auseinandersetzungen mit der Beziehung zwischen Dichter und Proletariat, Großstadt und Industrialisierung. Eine vollkommen neue Erzähltechnik, die erstmals von den Naturalisten verwendet wurde, ist der Sekundenstil. Mit Hilfe dieser Technik wurde Sekunde für Sekunde Raum und Zeit geschildert, mit dem Ziel der Wiederspiegelung der Realität. Begünstigt wurde der Sekundenstil durch Erfindung des Phonographen und die Entwicklung in der Photographie. Die Bezeichnung Sekundenstil wurde 1900 von Hanstein erfunden. Er erläutert ihn anhand eines Beispiels eines fallenden Blattes: "Die alte Kunst hat von einem fallenden Blatt weiter nicht zu melden gewußt, als daß es im Wirbel sich drehend zu Boden sinkt. Die neue Kunst schildert diesen Vorgang von Sekunde zu Sekunde; sie schildert, wie das Blatt jetzt auf dieser Stelle, vom Lichte beglänzt, rötlich aufleuchtet, auf der anderen Seite schattengrau erscheint, in der nächsten Sekunde ist die Sache umgekehrt; sie schildert, wie das Blatt erst senkrecht fällt, dann zur Seite getrieben wird [...]. Eine Kette von einzelnen, ausgeführten, minuziösen Zustandsschilderungen, geschildert in einer Prosasprache, die unter Verzicht auf jede rhythmische oder stilistische Wirkung der Wirklichkeit sich fest anzuschmiegen sucht, in treuer Wiedergabe jeden Lauts, jeden Hauchs, jeder Pause - das war es, worauf die neue Technik abzielte."
Die Technik des Sekundenstils fand z.B. bei Bahnwärter Thiel von Hauptmann, oder Papa Hamlet von Holz/Schlaf Anwendung. Gestaltungsmittel des Sekundenstils: • • • •
photographische und phonographische exakte Wiedergabe der Wirklichkeit kaum auktoriale Erzählweise, vorwiegend personale Erzählweise und Dialoge exakte Darstellung der Dialoge mit allen Wörtern, Wortfetzen, Pausen, Dialekt, etc. annähernd zeitdeckende Erzählung (Erzählzeit = erzählte Zeit) bis hin zum Zeitlupeneffekt (Erzählzeit länger als erzählte Zeit).
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Eine weitere Technik, die man häufig in naturalistischer Prosa antrifft, ist der innere Monolog, der häufig mit den Gestaltungsmitteln des Sekundenstils übereinstimmt. Der innere Monolog wurde z.B. bei Dujardin Geschnittener Lorbeer 1888 oder Schnitzler Leutnant Gustl (1900) angewendet.
1.4 Naturalistisches Drama In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde das Drama zum wichtigsten Mittel literarischer Schöpfungen. Die schon in naturalistischer Prosa eingesetzten Techniken, wie Dialekt, Jargon, Milieuschilderung und Sekundenstil, kamen auch im Drama zum Ausdruck. Dialekt, Soziolekt und idiomatische Wendungen fanden häufig Gebrauch, auf dramatische Kunstsprache verzichtete man hingegen. Jenes findet man z.B. bei Hauptmanns De Waber, der Urfassung der Weber im schlesischen Dialekt. Das Drama im Naturalismus wurde von vielen Seiten zur damaligen Zeit kritisiert. Hauptmanns Vor Sonnenaufgang, z.B., sah man als Vermischung von Epik und Dramatik an, ebenso die Berliner Studie (1890) von Holz/Schlaf. Im letzteren wurden die Gattungsgrenzen sogar ganz überschritten: Erzählpassagen standen kleingedruckt als Regieanweisung zum normal gesetzten Dialog. Auch auf der Bühne versuchte man Taines menschenbeeinflussende Faktoren, Rasse, Milieu und Moment, umzusetzen. Die Handlung im naturalistischen Drama wurde reduziert, im Zentrum stand die Darstellung der Charaktere. Dies zeigt sich in der Familie Selicke von Holz/Schlaf besonders deutlich. Im Drama des Naturalismus ist die Einheit von Ort, Handlung und Zeit der einzelnen Akte eingehalten. Sie soll die Authentizität des Dargestellten verwirklichen. Die meisten Bühnenstücke haben einen offenen Anfang und offenen Ausgang. Der Zurückgang des Dramatischen, die Reduzierung der Handlung, die Konzentration auf bestimmte Objekte war er Ausgangspunkt für die Entwicklung des epischen Theaters für Brecht. Das Epische war notwendig, um das Soziale darzustellen. Jedoch gibt es eine klare Trennung zwischen naturalistischen Drama und dem epischen Theater Brechts. Die Naturalisten wollten keine Desillusionierung und Verfremdung, im Gegenteil sie verstärkten die Wirkung der Illusionierung noch. Das soziale Drama des Naturalismus bleibt aber auch für andere Theaterformen des 20. Jahrhunderts als Grundlage. In den konsequenten Formen naturalistischer Dramen herrscht oft Unveränderlichkeit und Unveränderbarkeit des exakt abgebildeten Milieus. Die Helden können an ihrer Situation nichts ändern, sondern müssen sie so hinnehmen, wie sie ist. Eine große Popularität genossen auch die Dramen von Ibsen in Deutschland.
2. Literarische Formen •
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experimentelle Prosa: Dialekt und Alltagssprache, Zeitdeckung, Sekundenstil, genaue Darstellung kleinster Bewegungen und des Mienenspiels im Drama: ausführliche Regieanweisungen "Revolution" der Lyrik: geprägt von Arno Holz, äußerlich Zentrierung der Verse auf eine gedachte Mittelachse, z.B. Phantasus (Holz)
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Phantasus Arno Holz
Rote Dächer! Aus den Schornsteinen, hier und da, Rauch, oben, hoch, in sonniger Luft, ab und zu Tauben. Es ist Nachmittag. Aus Mohdrickers Gartern her gackert eine Henne, die ganze Stadt riecht nach Kaffee. Ich bin ein kleiner, achtjähriger Junge und liege, das Kinn in beide Fäuste, platt auf den Bauch und kucke durch die Bodenluke. Unter mir, steil, der Hof, hinter mir, weggeworfen, ein Buch. Franz Hoffmann. Die Sclavenjäger. Wie still das ist! Nur drüben in Knorrs Regenrinne zwei Spatzen, die sich um einen Strohhalm zanken, ein Mann, der sägt, und dazwischen, deutlich von der Kirche her, in kurzen Pausen, regelmäßig, hämmernd, der Kupferschmied Thiel. Wenn ich unten runtersehe, sehe ich grade auf Mutters Blumenbrett: ein Topf Goldlack, zwei Töpfe Levkoyen, eine Geranie und mittendrin, zierlich in einem Zigarrenkistchen, ein Hümpelchen Reseda. Wie das riecht? Bis zu mir rauf! Und die Farben! Jetzt! Wie der Wind drüber weht! Die wunder, wunderschönen Farben! Ich schließe die Augen. Ich sehe sie noch immer.
3. Vertreter • • • • • • •
Wilhelm Arent (1864-?) Leo Berg (1862-1908) Karl Bleibtreu (1859-1928) Wilhelm Bölsche (1861-1939) Michael Georg Conrad (1846-1927) Hermann Conradi (1862-1890) Heinrich Hart (1855-1906)
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte • • • • • • • • • • • • •
Julius Hart (1859-1930) Gerhart Hauptmann (1862-1946) Karl Henckell (1864-1929) Arno Holz (1863-1929) Henrik Ibsen (1828-1906) John Henry Mackay (1864-1933) Johannes Schlaf (1862-1941) August Strindberg (1849-1912) Hermann Sudermann (1857-1928) Leo Tolstoi (1828-1910) Bruno Wille (1860-1928) Ernst von Wolzogen (1855-1934) Emile Zola (1840-1902)
4. Werke • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Experimentalroman (1879) - Zola Nora oder Ein Puppenheim (1879) - Ibsen Nana (1880) - Zola Gespenster (1882) - Ibsen Moderne Dichter-Charaktere (1885) Revolution der Litteratur (1886) - Bleibtreu Die Macht der Finsternis (1886) - Tolstoi Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie (1887) - Bölsche Vater (1887) - Strindberg Bahnwärter Thiel (1888) - Hauptmann Meister Timpe (1888) - Kretzer Vor Sonnenaufgang (1889) - Hauptmann Papa Hamlet (1889) - Holz/Schlaf Familie Selicke (1889) - Holz/Schlaf Zwölf Artikel des Realismus (1889) - Alberti Fräulein Julie (1889) - Strindberg Die Ehre (1890) - Sudermann Die Kunst. Ihr Wesen und ihre Gesetze (1891) - Holz Mittagsgöttin (1891) - Bölsche De Waber (1891) - Hauptmann Hedda Gabler (1891) - Ibsen Die Weber (1892) - Hauptmann Meister Oelze (1892) - Schlaf Der Biberpelz (1893) - Hauptmann Die Mütter (1896) - Hirschfeld Florian Geyer (1896) - Hauptmann Fuhrmann Henschel (1898) - Hauptmann Revolution der Lyrik (1899) - Holz Rose Bernd (1903) - Hauptmann Die Ratten (1911) - Hauptmann
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Moderne 1890 - 1920 I. Entstehung der Moderne In den neunziger Jahren wurde der Naturalismus allmählich abgelöst. An seine Stelle traten viele gegen- und nachnaturalistische Strömungen bzw. Ismen: Ästhetizismus, Impressionismus, Jugendstil, Symbolismus und Neuromantik. Dieser Stilpluralismus setzte zunächst in Österreich ein, weitete sich aber schnell auf Deutschland aus. Die naturalistische Objektivität wurde verdrängt, stattdessen besann man sich wieder auf das "Ich", Individualität und Subjektivität. Damit war die naturalistische Moderne überwunden. Die Entwicklung der Ismen wurde durch die zunehmende Nietzsche- und StirnerRezeption weiter voran getrieben. Davon entfernten sich wieder ab 1910 die Expressionisten. Neue Errungenschaften in den Naturwissenschaften, z.B. Einsteins Relativitätstheorie, führen die Physik zu Beginn des 20. Jahrhunderts in eine Krise. Darin wird ein Verlust traditioneller Werte gesehen. Ein weiterer wichtiger Punkt in der Entwicklung der Moderne war die Sprachkrise der Jahrhundertwende, in welcher die Möglichkeiten und Grenzen von Sprache diskutiert wurden (z.B. im Brief des Lord Chandos von H. v. Hofmannsthal). Die Relativierung von Wahrnehmung und Erkenntnis jedoch führte zu einer "Ichlosigkeit" in der Moderne. So sagte Bahr: "'Das Ich ist unrettbar.' Es ist nur ein Name. Es ist nur eine Illusion. Es ist ein Behelf, den wir praktisch brauchen, um unsere Vorstellungen zu ordnen. Es gibt nichts als Verbindungen von Farben, Tönen, Wärmen, Drücken, Räumen, Zeiten."
1. Literatur der Moderne 1.1 Ismen der Jahrhundertwende Bei den zahlreichen Stilrichtungen der Jahrhundertwende ist es schwer, alle untereinander begrifflich exakt zu erläutern und voneinander zu trennen. Hinzu kommt noch, daß die Autoren dieser Zeit, sich zu vielen Strömungen zuordnen lassen. Deshalb ist es besser, die einzelnen Ismen zusammenzufassen, um diesen Dilemma zu entgehen. Man greift deshalb auf den Begriff "die Moderne" zurück, den schon die antinaturalistischen Schriftsteller zu ihrer Zeit auf sich bezogen.
1.2 Impressionismus Der Begriff Impressionismus entstammt aus den Bildenden Künsten und meint 'Eindruckskunst'. Dazu lassen sich Liliencron, Peter Hille, Peter Altenberg, Max Dauthendey, Arthur Schnitzler, Marcel Proust, Maurice Maeterlinck und der junge Rilke zählen. Der Impressionismus ist aber mehr als eine Stilrichtung. Er charakterisiert auch eine Lebenshaltung, und zwar eine solche, in der ein Mensch zu irgendeiner Art von Bindung nicht mehr fähig ist. Diese Haltung zeigt sich z.B. besonders deutlich in den Theaterstücken von Schnitzler.
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1.3 Jugendstil Der Begriff Jugendstil entstammt aus der Bildenden Kunst. Auf die Literatur übertragen, bezieht sich Jugendstil vor allem auf die Lyrik. Merkmale des Jugendstils sind Verwendung mythologischer Elemente, Sagenhaft-Mittelalterliches, FeierlichSymbolisches, Ungewöhnliches, Skandalöses, Bewegungsmotive, Naturschwärmerei, Blumenmotive und Dionysisches. Werke von folgendem Autoren lassen sich dem Jugendstil zuordnen: Wolzogen, Dehmel, Hart, Mombert, Stucken, Stadler, z.T. Rilke, George und Hofmannsthal, Wilde und Maeterlinck.
1.4 Symbolismus Der Symbolismus ging von Frankreich aus und beeinflußte alle europäischen Literaturen. Der Begriff wurde von J. Moreas geprägt und bezeichnet die seit 1860 entstandene europäische Lyrik. Der Symbolismus lehnt die gesellschaftsbezogene Wirklichkeit, den Imperialismus, Kapitalismus und den Positivismus ab. Damit nimmt er eine antinaturalistische Haltung ein, denn eine getreue Wiedergabe der Wirklichkeit wird abgelehnt. Die Elemente der realen Welt werden in Symbolen wiedergegeben. Symbolistische Werke weisen Abstraktion, Entdinglichung und Sprachmagie (Alliterationen, Assonanzen, Lautmalereien, Synästhesien) auf, die den Werken eine gewisse Musikalität verleiht. Der Franzose Charles Baudelaire beeinflußte mit seiner Lyrik George und Hofmannsthal. Weitere Vertreter sind Maeterlinck, Wilde, Rilke und Trakl.
1.5 Neuromantik In der Neuromantik finden sich thematische Rückgriffe auf die Romantik: z.B. Märchen, Mythen, Träume, historische und religiöse Stoffe. Dieser Stilrichtung lassen sich z.B. Hauptmanns Hanneles Himmelfahrt (1893) und Versunkene Glocke (1897) zuordnen. Um die Jahrhundertwende entstand eine Vielzahl von Kunstmärchen, die auf die Orientierung an der Romantik zurückgeht.
1.6 Fin de siècle Mehr als kein anderer Begriff drückt Fin de siècle das Lebensgefühl und die Epoche um die Jahrhundertwende aus. Es unterscheidet sich stark von Stimmungen anderer Strömungen, wie dem Naturalismus, und drückt eine Niedergangs- und Endstimmung aus, "ein Gefühl des Fertigseins, des Zu-Ende-Gehens" (aus dem Essay "Fin-de-siècle" von Marie Herzfeld). Wörtlich ins Deutsche übertragen, bedeutet Fin de siècle 'Ende des Jahrhunderts'.
1.7 Dekadenz Der Begriff Dekadenz steht für eine Radikalisierung des Fin des siècle. Er drückt eine Niedergangs- und Verfallsstimmung aus. Jedoch lassen sich zwischen den Begriffen keine klaren Grenzen ziehen. In einigen Teilen der Dekadenz findet man auch Unterschiede: ein selbstreflexives und selbstkritisches Bewußtsein. Einen entscheidenden Einfluß auf den Begriff hatte auch Nietzsche mit Fall Wagner, in welchem wichtige Merkmale der Dekadenz zum Ausdruck kommen: Verlust des Ich © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte und des Daseins, Schaffung einer künstlichen Welt und die Herrschaft der Kunst über die Natur. Auch Bahr prägte den Begriff der Dekadenz entscheidend mit: "Hang nach dem Künstlichen" und "Entfernung vom Natürlichen", "Hingabe an das Nervöse" und "Fiebrische Sucht nach dem Mystischen". Zur Dekadenzdichtung lassen sich Oscar Wilde, Maurice Maeterlinck und Th. Mann zuordnen. Vor allem Thomas Mann griff das Problem des Kulturverfalls immer wieder in seinen Werken auf.
1.8 Ästhetizismus Der Begriff Ästhetizismus entstammt nicht der Jahrhundertwende. Er wird vielmehr als Oberbegriff für die antinaturalistischen Strömungen dieser Zeit gesehen. Dem Ästhetizismus liegt eine "ästhetische Weltanschauung", d.h. eine zweckfreie Kunstauffassung und eine Autonomie der Kunst zugrunde.
2. Sprache - Sprachlosigkeit - Sprachkrise Die Dichtungen der Jahrhundertwende waren, wie kaum zuvor, sprachgewaltig: Metaphern, Symbole, Bilder, Alliterationen, Assonanzen, Synästhesien durchzogen sie in großem Maße. Den Ästhetizisten ging es dabei nicht um einen Realitätsbezug, wie bei den Naturalisten, sondern einer Loslösung davon. Die Kunst war niemandem anders mehr verpflichtet als sich selbst. Einige Autoren plädierten sogar für eine Geheimsprache, die nur Eingeweihte kennen sollten. Mit der Jahrhundertwende kam es zu einer zunehmenden Selbstkritik der modernen Autoren. Am deutlichsten zeigst sich diese im Chandos-Brief von Hugo von Hofmannsthal, der ihn im Alter von 19 Jahren verfaßte. In diesem fiktiven Brief an Francis Bacon bedauert Lord Chandos den "gänzlichen Verzicht auf literarische Betätigung". Chandos ist "die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken und zu sprechen". "Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen." Doch es gibt ein neues Denken "in einem Material, das unmittelbarer, glühender ist als Worte". Für Lord Chandos ist Denken und Sprechen nur noch in einer Sprache möglich, die es so noch nicht gibt, und "in welcher ich vielleicht einst im Grabe vor einem unbekannten Richter mich verantworten werde". Dieser Brief ist nur Fiktion, auch wenn er die Sprachkrise der damaligen Zeit behandelt. Hofmannsthal selbst, wendete sich von der Dichtung nicht ab, der Brief ist also nicht als persönliche Sprachkrise zu sehen. Der Chandos-Brief ist zum einen Sprachkritik, da er sich gegen die konventionellen Sprachgewohnheiten stellt. Zum anderen ist er ein grundsätzlicher Zweifel daran, in wiefern sich die Realität mit Sprache wiedergeben läßt. Hofmannsthals Sprachkritik hat einen weitreichenden Einfluß gehabt: so auf den jungen Wittgenstein in seinem Tractatus logico philosophicus, in dem es heißt: "Die Gegenstände kann ich nur nennen. Zeichen vertreten sie. Ich kann nur von ihnen sprechen, sie aussprechen kann ich nicht. Ein Satz kann nur sagen, wie ein Ding ist, nicht was es ist." (3.221); "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." (5.6); "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen." (7.).
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3. Literarische Formen • • • • • • • • • •
Lyrik Prosagedicht Studie Skizze Brief Kunstmärchen Einakter Essay Aphorismus Novelle
4. Vertreter • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Hermann Bahr (1863-1934) Max Dauthendey (1867-1918) Richard Dehmel (1863-1920) Paul Ernst (1866-1933) Stefan George (1868-1933) Gerhart Hauptmann (1862-1946) Hermann Hesse (1877-1962) Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) Maurice Maeterlinck (1862-1949) Thomas Mann (1875-1955) Agnes Miegel (1879-1964) Christian Morgenstern (1871-1914) Börries Freiherr von Münchhausen (1874-1945) Marcel Proust (1871-1922) Rainer Maria Rilke (1875-1926) Arthur Schnitzler (1862-1931) Lulu von Strauß und Torney (1873-1956) Eduard Stucken (1865-1936) Frank Wedekind (1864-1918) Oscar Wilde (1854-1900) Stefan Zweig (1881-1942)
5. Werke • • • • • • • • •
Kritik der Moderne (1890) - Bahr Hymnen (1890) - George Überwindung des Naturalismus (1891) - Bahr Erlösungen (1891) - Dehmel Frühlings Erwachen (1891) - Wedekind Kinder und Narren (1891) - Wedekind Der Tod des Tizian (1892) - Hofmannsthal Ultra-Violett (1893) - Dauthendey Hanneles Himmelfahrt (1893) - Hauptmann
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Anatol-Zyklus (1893) - Schnitzler Der Tor und der Tod (1894) - Hofmannsthal Erdgeist (1895) - Wedekind Wie ich es sehe (1896) - P. Altenberg Das Liebeskonzil (1896) - Panizza Das Jahr der Seele (1897) - George Versunkene Glocke (1897) - Hauptmann Leutnant Gustl (1900) - Schnitzler Balladen (1901) - Münchhausen Buddenbrooks (1901) - Th. Mann Balladen und Lieder (1902) - Lulu von Strauß und Torney Ein Brief [sog. Chandos-Brief] (1902) - Hofmannsthal Das Buch der Bilder (1902) - Rilke Zwei Menschen (1903) - Dehmel Ausgewählte Gedichte (1903) - Hofmannsthal Elektra (1903) - Hofmannsthal Tonio Kröger (1903) - Th. Mann Tristan (1903) - Th. Mann Ritterliches Liederbuch (1903) - Münchhausen Peter Camenzind (1904) - Hesse Galgenlieder (1905) - Morgenstern Das Bergwerk zu Falun (1906) - Hofmannsthal Der siebente Ring (1907) - George Balladen und Lieder (1907) - Miegel Brunhild (1909) - Ernst Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910) - Rilke Erstes Erlebnis (1911) - Zweig Der Rosenkavalier (1911) - Hofmannsthal Jedermann (1911) - Hofmannsthal Das Herz im Harnisch (1911) - Münchhausen Der Tod in Venedig (1912) - Th. Mann Winterballade (1917) - Hauptmann Der Ketzer von Soana (1918) - Hauptmann Die weißen Götter (1918-22) - Stucken Komödianten- und Spitzbubengeschichten (1920) - Ernst Duineser Elegien (1923) - Rilke Die Sonette an Orpheus (1923) - Rilke Der Turm (1925) - Hofmannsthal
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Expressionismus 1910 - 1925 I. Begriff Der Begriff Expressionismus stammt vom lat. Wort expressio (=Ausdruck) und bedeutet 'Ausdruckskunst'. Er wurde bereits 1911 von Kurt Hiller von der Bildenden Kunst, in der er schon am Ende des 19. Jahrhunderts existierte, auf die Literatur übertragen. In der Bildenden Kunst wurde der Begriff hauptsächlich verwendet, um gegenimpressionistische Strömungen abzugrenzen. Viele Autoren gebrauchten den Begriff Expressionismus als Selbstbezeichnung. Der Expressionismus läßt sich in drei Phasen einteilen: den Frühexpressionismus 1910-14, den Kriegsexpressionismus 1914-18 und den Spätexpressionismus 191825. Der Frühexpressionismus, der Anfang expressionistischer Schreibpraxis, endete mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914, der mit einer Verschärfung der Zensur verbunden war und auch die Literaturrezeption im Allgemeinen erschwerte. Der Kriegsexpressionismus wurde 1918 mit der Novemberrevolution abgelöst. Der Expressionismus ging dann in seine Spätphase über und läuft um die Mitte der zwanziger Jahre allmählich aus.
II. Historischer Hintergrund Das wichtigste historische Ereignis während des Expressionismus war der Erste Weltkrieg. Sein Auslösen hatte vielfältige Ursachen. Mit dem Rücktritt Bismarcks 1890 und der Machterlangung Kaiser Wilhelms II. änderte sich die europäische Politik schlagartig. Im Konkurrenzkampf um die noch freien Gebiete der Welt griff nun auch das Deutsche Reich ein, um sich Kolonien für einen "Platz an der Sonne" zu sichern. Dieser Imperialismus führte zum gegenseitigen Wettrüsten der Großmächte. Mit der Abkehr von Bismarcks Bündnispolitik kam es zu einer Destabilisierung des europäischen Kräftegleichgewichts. England, Frankreich und Rußland verbündeten sich, während das Deutsche Reich neben seinen Bündnispartner Österreich-Ungarn isoliert wurde. Das Deutsche Reich mischte sich außerdem in mehrere Krisen ein, z.B. die Marokkokrisen 1905/06 und 1911 oder die Balkankriege 1912 und 1913. Der Anlaß des Ersten Weltkriegs war die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gemahlin am 28. Juni 1914 in Sarajewo. Die Kriegsschauplätze lagen vor allem im Osten und Westen Deutschlands, an denen die Fronten jedoch bald erstarrten und es zum Stellungskrieg kam. Aber auch in den Kolonien wurde Krieg geführt. Besonders die Kriegsschauplätze im Westen waren von Materialschlachten bestimmt. Die erfolglosen Offensiven führten 1918 zu verstärkten Friedensbemühungen. Am 11. November 1918 wurde ein Waffenstillstand vereinbart, am 22. Juni 1919 der Friedensvertrag von Versailles angenommen. Die Novemberrevolution 1918 in Deutschland beseitigte die Monarchie und führte zur Errichtung einer parlamentarischen Republik. Am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann vor dem Reichstagsgebäude in Berlin die Deutsche Republik, zwei Stunden später Karl Liebknecht vom Balkon des Berliner Schlosses die Freie Sozialistische Republik aus. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Januar 1919 ging Friedrich Ebert als erster Präsident der Weimarer Republik hervor. Am 11. August 1919 wurde von der Mehrheit der Nationalversammlung die Weimarer Verfassung angenommen.
III. Ideologischer Hintergrund Auf die expressionistischen Schriftsteller wirkten drei wichtige Einflüsse: der Darwinismus, der Kulturpessimismus Nietzsches und die Psychoanalyse Freuds.
1. Expressionistische Literatur Die Expressionisten lehnten alle Arten des Denkens ab, die auf Logik und Erklärbarkeit basierten. Die Betrachtung des menschlichen Individuums rückte hinter die Erfassung des Wesens der Dinge. In der Sprache hoben sich die Expressionisten deutlich von anderen Stilrichtungen und Epochen ab. Die expressionistische Sprache war extrem subjektiv und durch Ekstase und Pathos gekennzeichnet, grammatische Normen wurden dabei oft gebrochen. Alle Gattungen des Expressionismus weisen zudem einen hohen Metapherngebrauch und eine große Farbsymbolik auf.
1.1 Programm, Vereine, Zeitschriften Der Expressionismus verfügte kein einheitliches Programm, statt dessen entstanden viele einzelne Grundsatzerklärungen. Die erste expressionistische Literaturvereinigung, der Neue Club, wurde 1909 von Kurt Hiller und Erwin Loewenson gegründet. 1911 spaltete sich davon das Literarische Cabaret Gnu ab. Viele junge Autoren nutzten diese öffentlichen Foren für eine erste Veröffentlichung ihrer Werke. Die expressionistische Literatur wurde meist in expressionistischen Zeitungen veröffentlicht, wie Der Sturm (1910-32), Die Aktion (1911-32), Das neue Pathos (1913-20), Die weißen Blätter (1913-21) und Der Orkan (1917-20). Einen großen Einfluß hatten vor allem die in Berlin erschienen Zeitschriften Der Sturm, gegründet von Herwart Waldens, und Die Aktion, herausgegeben von Franz Pfemfert.
1.2 Lyrik im Expressionismus Am Anfang des Expressionismus war die Lyrik die dominierende Gattung. Die ersten expressionistischen Gedichte waren Weltende (1905) von Else Lasker-Schüler und Weltende (1910) von Jakob van Hoddis. Die Anthologie Menschheitsdämmerung, Symphonie jüngster Dichtung (1920), herausgegeben von Kurt Pinthus, stellte eine der wichtigsten Sammlungen expressionistischer Lyrik von 23 Autoren dar. Die expressionistische Lyrik ist gemischt von Traditionsbruch und der Beibehaltung traditioneller lyrischer Formen. Außerdem betrieben viele Expressionisten Experimente in der Form. So entstanden z.B. sich über mehrere Zeilen erstreckende Verse, oder Verse, die nur aus einem oder zwei Wörtern bestanden und sich dadurch zu hohen Säulen auftürmten. Der grammatische Satzbau der Verse wurde oft gebrochen. Viele expressionistische Gedichte waren von einer großen Metaphorik, Bildlichkeit und Farbsymbolik gekennzeichnet. Häufig fanden auch hässliche oder schockierende Elemente in ihnen ihren Platz, wie z.B. in den Gedichten Gottfried Benns. Die ästhetische Ausgrenzung des Hässlichen, wie in anderen Strömungen, © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte wurde aufgegeben. Manche Autoren verwendeten oft Neologismen. (Wortneuschöpfungen). Die expressionistische Lyrik war durch zwei Strömungen geprägt: den Messianismus und die Simultaneität. Messianische Lyrik löste die äußere Form von Gedichten auf, um das Wesen der Dinge erfassen zu können. Thematisch war diese Lyrik v.a. von einer Aufbruchstimmung, von einem Wandlungsprozeß oder dem Bild eines "neuen Menschen" bestimmt. Vertreter dieser Lyrik waren z.B. Johannes Becher und Franz Werfel. Die Lyrik der Simultaneität wahrte hingegen die äußere Form und löste die innere Form auf. Sie versuchte verschiedene Sinneseindrücke gleichzeitig nebeneinander darzustellen, wie es bei der Wahrnehmung in einer Großstadt der Fall ist. Dies gelang ihr v.a. durch den Gebrauch von Zeilenstil und Parataxe. Die Thematisierung der Großstadt stand bei dieser Lyrik daher häufig im Mittelpunkt. Die ambivalente Wahrnehmung der Großstadt, sowohl positiv als auch negativ, unterschied die expressionistischen Lyriker von den italienischen Futuristen, welche die positiven Seiten der Großstadt verherrlichten. Die simultane Darstellungsweise in der Lyrik wurde z.B. von Alfred Lichtenstein und Jakob van Hoddis gebraucht. Die wichtigsten expressionistischen Lyriker waren Else Lasker-Schüler, Jakob van Hoddis, Franz Werfel, Alfred Lichtenstein, Gottfried Benn, Johannes Becher, Ernst Stadtler, August Stramm sowie Georg Trakl.
1.3 Expressionistisches Drama Im Spätexpressionismus wurde das Drama zur dominierenden Gattung. Den Beginn des expressionistischen Dramas datiert man auf 1912, mit dem Erscheinen Reinhard Sorges' Der Bettler. Der Typus des Stationendramas eignete sich hervorragend, um die traditionelle Dramenform aufzubrechen. Der Gang der Handlung verläuft nicht in einer geordneten Reihenfolge, sondern setzt sich aus einzelnen, meist unverbundenen Elmenten, Stationen oder Bildern zusammen. Damit wurde das Simultanitätsprinzip der Lyrik auf das Drama übertragen. Es gab nur wenige Ausnahmen, welche an der Einheit von Handlung, Ort und Zeit festhielten. Charakteristisch für die Thematik vieler Dramen war ein Wandlungsprozeß des Protagonisten, wie er programmatisch in Tollers Die Wandlung (1919) gezeigt wird. Nach der freiwilligen Kriegsbeteiligung des Protagonisten findet dieser bald die wahren Hintergründe des Krieges heraus. Er wandte sich von ihm ab und der Revolution zu, die er zu verbreiten versucht. Dramen mit messianischem Charakter wurden auch als Verkündigungsdramen bezeichnet. Das expressionistische Drama richtete sich jedoch am Illusionstheater aus, das den Spieler vom Publikum strikt trennte. Weitere wichtige Dramatiker des Expressionismus neben Ernst Toller (Masse Mensch, 1920) waren Georg Kaiser (Von morgens bis mitternachts, 1916), Carl Sternheim (Die Hose, 1911), Reinhard Sorge (Der Bettler , 1912) sowie Walter Hasenclever (Der Sohn, 1914). Brechts dramatisches Frühwerk, Baal (1919) und Trommeln in der Nacht (1922), sind ebenso in die zeit des Expressionismus einzuordnen.
1.4 Epik im Expressionismus Das epische Werk des Expressionismus fand bei der Nachwelt nur wenig Beachtung, trotz des Vorhandenseins zahlreicher und umfangreicher epischer Texte. Zu den wichtigsten Prosaautoren gehörten Alfred Döblin (Die Ermordung einer Butterblume, 1910) und Carl Einstein (Bebuquin, 1912), sowie Autoren, deren Zuordnung © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte umstritten ist, wie Heinrich Mann, Robert Walser und Franz Kafka. Ein Teil der expressionistischen Prosa, deren Erzählen auf Reflexion und Selbstreflexion gerichtet ist, wird als Reflexionsprosa zusammengefaßt. Dazu gehört z.B. Carl Einsteins Bebuquin oder Gottfried Benns Gehirne (1915). Ein anderer Teil der Prosa stand im Zeichen des Messianismus und versuchte eine aktive Weltverbesserung zu erreichen. Die Romane Heinrich Manns, wie z.B. Der untertan (1918), waren geprägt von Kritik am wilhelminischem Bürgertum. Ein exemplarisches Beispiel für expressionistische Prosa ist die 1910 erschienene Erzählung Die Ermordung einer Butterblume von Alfred Döblin. Die sinnlose Ermordung einer Butterblume des Protagonisten während eines Spaziergangs, zwingt ihn zur Buße und ändert sein Verhältnis zur Natur. Die Buße reichte von der Eröffnung eines Kontos bis hin zur Einpflanzung einer jungen Butterblume in einem goldenen Blumentopf. Döblins Ermordung einer Butterblume war eine Satire auf das Bürgertum, daß an eine harmonische Mensch-Natur-Beziehung glaubte. Die Erzählung zeichnete sich v.a. durch Zerstörung der realistischen Wahrnehmung, fehlende Psychologisierung des Helden und Darstellung neurotischer Verhaltensweisen aus.
2. Literarische Formen • • •
traditionelle Formen und Traditionsbruch in der Lyrik Stationendrama, Verkündigungsdrama Prosa (Roman, Erzählung, Novelle, u.a.)
3. Vertreter • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Ernst Barlach (1870-1938) Johannes R. Becher (1891-1958) Gottfried Benn (1886-1956) Theodor Däubler (1876-1934) Alfred Döblin (1878-1957) Carl Einstein (1885-1940) Walter Hasenclever (1890-1940) Georg Heym (1887-1912) Jakob van Hoddis (1887-1942) Franz Kafka (1883-1924) Georg Kaiser (1878-1945) Karl Kraus (1874-1936) Else Lasker-Schüler (1869-1945) Alfred Lichtenstein (1889-1914) Heinrich Mann (1871-1950) Alfred Mombert (1872-1942) Robert Musil (1880-1942) Reinhard Johannes Sorge (1892-1916) Ernst Stadler (1883-1914) Carl Sternheim (1878-1942) August Stramm (1874-1915) Ernst Toller (1893-1939) Georg Trakl (1887-1914) Fritz von Unruh (1885-1970) © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte • •
Robert Walser (1878-1956) Franz Werfel (1890-1945)
4. Werke • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen (1905) - H. Mann Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906) - Musil Äon (1907/11) - Mombert Die Wupper (1909) - Lasker-Schüler Das Nordlicht (1910) - Däubler Die Ermordung einer Butterblume (1910) - Döblin Der ewige Tag (1911) - Heym Die Hose (1911) - Sternheim Die Kasette (1911) - Sternheim Offiziere (1911) - Unruh Der Weltfreund (1911) - Werfel Bebuquin (1912) - C. Einstein Der Bettler (1912) - Sorge Der tote Tag (1912) - Barlach Erde (1912) - Becher Morgue und andere Gedichte (1912) - Benn Das Urteil (1913) - Kafka Wir sind (1913) - Werfel Gedichte (1913) - Trakl Bürger Schippel (1913) - Sternheim Die Dämmerung (1914) - Lichtenstein Der Sohn (1914) - Hasenclever Die Bürger von Calais (1914) - Kaiser Der Aufbruch (1914) - Stadler Die Troerinnen (1914) - Werfel Gesänge an Berlin (1914) - Lichtenstein Gehirne (1915) - Benn Die Verwandlung (1915) - Kafka Du (1915) - Stramm Sebastian im Traum (1915) - Trakl An Europa (1916) - Becher Von morgens bis mitternachts (1916) - Kaiser Antigone (1917) - Hasenclever Ein Landarzt (1917) - Kafka Die Koralle (1917) - Kaiser Die gesammelten Gedichte (1917) - Lasker-Schüler Ein Geschlecht (1917) - Unruh Der arme Vetter (1918) - Barlach Der Untertan (1918) - H. Mann Weltende (1918) - Hoddis Die letzen Tage der Menschheit (1918/19) - Kraus Baal (1919) - Brecht In der Strafkolonie (1919) - Kafka Die Wandlung (1919) - Toller Opfergang (1919) - Unruh
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte • • • • • • • • • • •
Der Gerichtstag (1919) - Werfel Die echten Sedemunds (1920) - Barlach Menschheitsdämmerung, Symphonie jüngster Dichtung (1920) - Pinthus Masse Mensch (1920) - Toller Spiegelmensch (1920) - Werfel Arbeiter, Bauern, Soldaten (1921) - Becher Trommeln in der Nacht (1922) - Brecht Die Maschinenstürmer (1922) - Toller Der deutsche Hinkemann (1923) - Toller Berge, Meere und Giganten (1924) - Döblin Das Schwalbenbuch (1924) - Toller
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Avantgarde/Dadaismus 1915 - 1925 I. Begriff Die Bezeichnung Avantgarde, ein ursprünglich militärischer Begriff, stammt aus dem Französischen und bedeutet 'Vorhut'. Avantgardistische Schriftsteller traten mit einem progressiven Programm und mit ihren Werken inhaltlich und formal in Opposition zu bestehenden literarischen Strömungen. Als avantgardistische Bewegungen verstanden sich der Futurismus, der Dadaismus und der Surrealismus. Der Dadaismus entstand 1916 in Zürich als Synthese aus futuristischen und expressionistischen Elementen. Als Gründungsdatum für den Dadaismus wird die Eröffnung des ersten Dada-Abends in Zürich von Hugo Ball am 14.04.1916, dem Jahrestag der Französischen Revolution, betrachtet. Mit dem Begriff Dada, das einem kindlichen Ausdruck gleicht, wollte man sich gegen alles abgrenzen, wie z.B. geschlossene Werke, Bürgerlichkeit und klassische Weltbilder. Dada sollte Ausdruck einer Antikunst und Protesthaltung sein.
II. Historischer Hintergrund Das wichtigste historische Ereignis während des Dadaismus war der Erste Weltkrieg. Sein Auslösen hatte vielfältige Ursachen. Mit dem Rücktritt Bismarcks 1890 und der Machterlangung Kaiser Wilhelms II. änderte sich die europäische Politik schlagartig. Im Konkurrenzkampf um die noch freien Gebiete der Welt griff nun auch das Deutsche Reich ein, um sich Kolonien für einen "Platz an der Sonne" zu sichern. Dieser Imperialismus führte zum gegenseitigen Wettrüsten der Großmächte. Mit der Abkehr von Bismarcks Bündnispolitik kam es zu einer Destabilisierung des europäischen Kräftegleichgewichts. England, Frankreich und Rußland verbündeten sich, während das Deutsche Reich neben seinen Bündnispartner Österreich-Ungarn isoliert wurde. Das Deutsche Reich mischte sich außerdem in mehrere Krisen ein, z.B. die Marokkokrisen 1905/06 und 1911 oder die Balkankriege 1912 und 1913. Der Anlaß des Ersten Weltkriegs war die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gemahlin am 28. Juni 1914 in Sarajewo. Die Kriegsschauplätze lagen vor allem im Osten und Westen Deutschlands, an denen die Fronten jedoch bald erstarrten und es zum Stellungskrieg kam. Aber auch in den Kolonien wurde Krieg geführt. Besonders die Kriegsschauplätze im Westen waren von Materialschlachten bestimmt. Die erfolglosen Offensiven führten 1918 zu verstärkten Friedensbemühungen. Am 11. November 1918 wurde ein Waffenstillstand vereinbart, am 22. Juni 1919 der Friedensvertrag von Versailles angenommen. Die Novemberrevolution 1918 in Deutschland beseitigte die Monarchie und führte zur Errichtung einer parlamentarischen Republik. Am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann vor dem Reichstagsgebäude in Berlin die Deutsche Republik, zwei Stunden später Karl Liebknecht vom Balkon des Berliner Schlosses die Freie Sozialistische Republik aus. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 ging Friedrich Ebert als erster Präsident der Weimarer Republik hervor. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Am 11. August 1919 wurde von der Mehrheit der Nationalversammlung die Weimarer Verfassung angenommen.
1. Dadaistische Literatur Der Dadaismus verstand sich als neue Kunstrichtung, darüber hinaus jedoch auch als eine neue Geistesrichtung. Dadaistische Werke zeichnen sich einerseits durch die Beibehaltung traditioneller Kunstformen aus. Andererseits proklamierten die Dadaisten Kunstbruch und -verweigerung. Jedoch wäre die Interpretation eines dadaistischen Textes, die allein auf die Frage nach Sinn oder Unsinn ausgerichtet ist, unzureichend und falsch. Viele dadaistische Werken waren von allgemeinen Grundtendenzen, wie v.a. die ablehnende Haltung gegenüber Krieg, Bürgerlichkeit und traditioneller Kunstprogrammatiken, sowie die Zuwendung zu einer Radikalisierung und Destruktion, bestimmt. Die abwertende Haltung wurde in der Literatur nicht durch einfache Negation erreicht, sondern durch Brüche in der Logik des Textes, indem vorher getroffene Aussagen später wieder aufgehoben wurden. Formale Gemeinsamkeiten in dadaistischen Werken waren die Dekonstruktion von Sätzen und Wörtern, die Schaffung von Collagen und Montagen und das Prinzip der Simultaneität. Eine wichtige Neuerung, die bei der Literaturproduktion eingesetzt wurde, war das Zufallsprinzip. Zufällig gefundene Textelemente sind dadurch zu einem Teil der Kunst geworden. Das wichtigste Gattungsmerkmal dadaistischer Werke war die Dekonstruktion von Sätzen und Wörtern zur Hervorhebung einzelner Buchstaben und Laute. Die Bedeutungsseite der Wörter wurde dabei vernachlässigt, die Ausdrucksseite hervorgehoben und eröffnete bei der Rezeption zahlreiche Assoziationsmöglichkeiten. Die Entstehung eines dadaistischen Gedichtes wird von Tristan Tzara in seinem 1920 erschienenem Manifest Um ein dadaistisches Gedicht zu machen sehr anschaulich gezeigt. Dabei wird ersichtlich, daß der künstlerische Schaffensprozeß den Dichter nicht mehr von anderen Menschen heraushebt, sondern daß es für jeden möglich ist, Kunstwerke zu schaffen.
1.1 Zentrum und Nebenzentren Das Zentrum des Dadaismus war das Züricher 'Cabaret Voltaire' mit seinen Vertretern, wie Hans Arp, Hugo Ball, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco und Tristan Tzara. In Deutschland kam es bald zur Herausbildung einzelner dadaistischer Gruppierungen, wie dem Berliner Dadaismus, dem Kölner Dadaismus und dem Privat-Dadaismus Kurt Schwitters. Zu den Berliner Dadaisten gehörten Johannes Baader, Georg Grosz, Raoul Hausmann, die Brüder Herzfelde, Huelsenbeck und Walter Mehring. Der Kölner Dadaismus wurde v.a. durch Hans Arp, Johannes Baargeld und Max Ernst geprägt.
1.2 Programm Im Dadaismus entstanden zahlreiche Programmatiken, die jedoch nicht auf eine einheitliche Richtung ausgerichtet waren. Oft widersprachen sie sich sogar. Eines der wichtigsten dadaistischen Programme ist das 1918 auf einem Flugblatt erschienene Dadaistische Manifest von Huelsenbeck u.a., indem eine Selbstbestimmung vorgenommen wurde. Das Manifest wurde von den wichtigsten Vertretern des © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Züricher und Berliner Dadaismus unterschrieben. Das Prinzip der Aufhebung vorher getroffener Aussagen wurde im letzten Satz dieses Manifestes angewandt: Gegen dies Manifest sein, heißt Dadaist sein!
1.3 Lautgedichte und Buchstabengedichte Zu den bekanntesten dadaistischen Werken zählen die Laut- und Buchstabengedichte. Das Ausgangsmaterial für Lautgedichte sind Wörter, die dekonstruiert und zerstört werden, bis nur noch einzelne Laute übrig bleiben. Der Schwerpunkt der Lautgedichte ist die Akustik. Die wichtigsten Lautgedichte stammen von Hugo Ball, wie Karawane und Seepferdchen und Flugfische. Buchstabengedichte sind v.a. auf den optischen Ausdruck ausgerichtet. Das Ausgangsmaterial für Buchstabengedichte sind auch Wörter, die jedoch nicht zu Lauten, sondern zu graphischen Zeichen dekonstruiert werden. Zu den wichtigsten Verfassern von Buchstabengedichten gehört Raoul Hausmann. Karawane - Hugo Ball jolifanto bambla o falli bambla großiga m'pfa habla horem egiga goramen higo bloiko russula huju hollaka hollala anlogo bung blago bung blago bung bosso fataka ü üü ü schampa wulla wussa olobo hej tatta gorem eschige zunbada wulubu ssubudu uluw ssubudu tumba ba- umf kusagauma ba - umf
1.4 Merzdichtung Die Merzdichtung ist ein Teil der von Kurt Schwitters geschaffenen Merzkunst. Die Bezeichnung Merz entnahm er den Wort Kommerz. Seine Werke veröffentlichte Schwitters in 24 Heften der zwischen 1923 bis 1932 erschienenen Zeitschrift Merz. Die Merzdichtungen sind abstrakte Dichtungen. Sie wurden aus Teilen fertiger Sätze aus Zeitschriften, Katalogen, Plakaten u.a. gebildet. Schwitters berühmtestes Merzgedicht ist An Anna Blume (1919), dessen wichtigste Ordnungsprinzipien Körper, Farben, Sinne und Grammatik sind.
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2. Literarische Formen • • • •
Collage Lautgedicht Buchstabengedicht Zufallsgedicht
3. Vertreter • • • • • • • • • • • • • • • •
Hans Arp (1886-1966) Johannes Baader (1875-1955) Johannes Baargeld (1892-1927) Hugo Ball (1886-1927) Max Ernst (1891-1976) Georg Grosz (1893-1959) Raoul Hausmann (1886-1971) Emmy Hennings (1885-1948) Helmut Herzfelde/ John Heartfield (1891-1968) Wieland Herzfelde (1896-1988) Richard Huelsenbeck (1892-1974) Marcel Janco (1895-1984) Walter Mehring (1896-1981) Hans Richter (1888-1976) Kurt Schwitters (1887-1948) Tristan Tzara (1896-1963)
4. Werke • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Cabaret Voltaire (1916) - Hugo Ball Phantastische Gebete (1916) - Huelsenbeck Dadaistisches Manifest (1918) - Huelsenbeck u.a. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (1919) - Hugo Ball Die Karawane - Hugo Ball An Anna Blume (1919) - Kurt Schwitters Der Vogel selbdritt (1920) - Arp Kaspar ist tot (1920) - Arp Die Wolkenpumpe (1920) - Arp Dada-Almanach (1920) - Huelsenbeck En Avant Dada. Geschichte des Dadaismus (1920) - Huelsenbeck Chronique zurichoise 1915-1919 (1920) - Tzara Um ein dadaistisches Gedicht zu machen (1920) - Tzara Das politische Cabaret (1920) - Mehring Das Ketzerbrevier. Ein Kabarettprogramm (1921) - Mehring Auguste Bolte (1923) - Schwitters Der Pyramidenrock (1924) - Arp Europäische Nächte (1924) - Mehring Sept Manifestes Dada [übersetzt: Sieben dadaistische Manifeste] (1924) Tzara
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte • • • • • •
L'homme approximatif (1925/31) - Tzara Die Flucht aus der Zeit (1927) - Hugo Ball Arche Noah SOS (1931) - Mehring Die Ursonate (1922/32) - Schwitters Tenderenda der Phantast (1967) - Hugo Ball Am Anfang war DADA (1972) - Hausmann
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Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit 1919 - 1932 I. Begriff Der Begriff Neue Sachlichkeit ist eine Stilbezeichnung für die Malerei und Literatur in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Er wurde erstmals vom Kunsthistoriker Gustav Friedrich Hartlaub auf einer Ausstellung 1925 verwendet und wurde später auch auf die Literatur übertragen. Die Neue Sachlichkeit war eine Reaktion auf subjektiv und irrational betonende Strömungen, wie v.a. der Expressionismus. Die Autoren der neuen Sachlichkeit legten Wert auf eine objektive Darstellung der sozialen und ökonomischen Wirklichkeit. Während in der Anfangsphase der Weimarer Republik noch Expressionismus und Dada die vorherrschende Strömungen waren, konnte sich die Neue Sachlichkeit als die dominierende Strömung in der Hauptphase der Weimarer Republik durchsetzen.
II. Historischer Hintergrund Zu den wichtigsten historischen Einflüssen auf die Autoren der Weimarer Republik gehörte der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 und die Entstehung der Republik. Die Geschichte der Weimarer Republik wird in drei Phasen eingeteilt: Krisenjahre 1919 bis 1923, die Goldenen Zwanziger von 1924 bis 1928, sowie die Weltwirtschaftskrise und der Untergang von 1929 bis 1933. Am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann vor dem Reichstagsgebäude in Berlin die Deutsche Republik, zwei Stunden später Karl Liebknecht vom Balkon des Berliner Schlosses die Freie Sozialistische Republik aus. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 ging Friedrich Ebert als erster Präsident der Weimarer Republik hervor. Am 11. August 1919 wurde von der Mehrheit der Nationalversammlung die Weimarer Verfassung angenommen. Die erste Phase der Weimarer Republik, von 1919 bis 1923, war geprägt von zahlreichen Krisen, wie dem Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920, dem Hitler-Putsch 1923, dem Ruhrkampf 1922/23 und der Inflation. Die noch junge Republik hatte viele Bewährungsproben zu bestehen. Die Putschversuche blieben erfolglos. Jedoch führte der Ruhrkampf zu einem raschen Anstieg der Inflation. Diese konnte erst mit dem Abbruch des Ruhrkampfes und der Durchführung wirtschaftspolitischer Maßnahmen wieder gebremst werden. Die zweite Phase der Weimarer Republik, von 1924 bis 1928, ging als die Zeit der Goldenen Zwanziger in die Geschichte ein. Es kam zu einem wirtschaftlichem Aufschwung, zur Erlangung von bedeutenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und einem sozialen Fortschritt. Für das Aufblühen des kulturellen Lebens spielten die Schallplatte und der Rundfunk eine wichtige Rolle. Der Dawes-Plan erzeugte durch seine Verringerung der Reparationsleistungen Deutschlands und durch ausländische Kredite nur eine Scheinstabilität. Mit dem "Schwarzen Freitag" am 24.10.1929 und dem Beginn der Weltwirtschaftskrise wurde die dritte Phase und der Untergang der Weimarer © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Republik eingeleitet. Mit dem Abzug amerikanischer Kredite aus der deutschen Wirtschaft kam es zu einem Investitionsrückgang, zum Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft, zu Massenarbeitslosigkeit, zum Anstieg rechtspolitischer Interessen und schließlich am 30. Januar 1933 zur Machtübernahme der Nationalsozialisten durch Hitler und die NSDAP.
1. Literatur der Weimarer Republik 1.1 Literatur als Ware Durch die Verfilmung von Büchern kam es häufig zu Verfälschungen. Die Autoren mußten so viel wie möglich schreiben, um die Aufträge von Verlagen zu erfüllen.
1.2 Schriftstellerorganisationen Die Organisation von Schriftstellern war eine Gegenreaktion auf die Richtlinien der Verlage. 1909 entstand der Schutzbund deutscher Schriftsteller (SDS), der Rechtsschutz gegen staatliche Eingriffe in die Literaturschöpfung seiner Mitglieder gewährte. 1921 wurde der PEN-Club gegründet, der sich für Weltfrieden und Antirassismus einsetzte. Außerdem kam es noch zur Gründung des Bundes proletarisch revolutionärer Schriftsteller (BPRS).
1.3 Zensur Meinungsfreiheit und das Nichtvorhandensein einer Zensur waren nur auf dem Papier stehende Behauptungen. In Wirklichkeit wurde eine unzensierte Veröffentlichung jedoch gestört, z.B. durch das Schund- und Schmutzgesetz. Dieses führte zu zahlreichen Verboten von Büchern. Mit der Presse-Notverordnung 1931 fand ein noch größerer Eingriff statt: den Behörden wurde das Aussprechen von Verboten, die Beschlagnahmung von Schriften und Verhaftungen von Schriftstellern ermöglicht. Der Schutzbund deutscher Schriftsteller konnte nun keine Rechtssicherheit mehr gewähren.
1.4 Prosa Die Prosa schien den Autoren der Neuen Sachlichkeit als angemessenste Gattung, um ihre Vorstellungen zu verwirklichen. Sie unterliegt keinen Formkonventionen und ist die offenste Gattung für Experimente. Die dabei am häufigsten verwendeten literarischen Formen waren Dokumentationen, Reportagen, Sachberichte und Romane. Das Erzählen ist dabei geprägt von philosophischen, historischen, soziologischen und psychologischen Momenten. Zentrale Themen der Romane der Neuen Sachlichkeit waren Großstadt, Technik, Wirtschaft und Industrie, Arbeit und Arbeitslosigkeit, sowie Lebensumstände und Alltag. So werden z.B. häufig Angestellte gezeigt, die von der Arbeitslosigkeit bedroht sind, und versuchen sich davor zu schützen. Neben dem Themenkomplex Großstadt, Industrie und Arbeitslosigkeit spielten auch Kriegsdarstellungen eine wichtige Rolle. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues (1928).
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte
1.4.1 Remarque: Im Westen nichts Neues (1929) Der 1929 veröffentlichte Antikriegsroman Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque hat die "verlorene Generation" zum Thema, die unter falschen Vorstellungen von Lehrern und Eltern völlig unvorbereitet in den Krieg getrieben wurde. Die Handlung des Romans erstreckt sich von 1916 bis 1918 und setzt ohne Einleitung direkt im Soldatenleben ein. Die jungen Männer wurden schnell mit dem Alltag der Front, Materialschlachten und Stellungskriege, konfrontiert. Trotz gegenseitiger Kameradschaft sind die Soldaten oft allein und hilflos. Dies wird durch den Gegensatz zwischen dem kleinen Soldaten und dem weiten Himmel, Sternen und Wäldern deutlich gezeigt. Der Krieg läßt sich für die Soldaten nur ertragen, indem sie ihr Denken ausschalten und sich mit der Situation abfinden, sonst würden sie zugrunde gehen. Im Oktober 1918 stirbt schließlich auch die Hauptfigur des Romans, Paul Bäumer. Der Heeresbericht für diesen Tag beschränkt sich lediglich auf den Satz, daß es im Westen nichts Neues zu melden gibt. 1.4.2 Döblin: Berlin Alexanderplatz (1929) Mit Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf schuf Döblin einen der wichtigsten Großstadtromane des 20. Jahrhunderts, neben den Romanen Manhatten Transfer von Dos Passos, Petersburg von Belyj und dem Ulysses von Joyces. Franz Biberkopf nimmt sich nach der Entlassung aus seiner Haft vor ein anständiges Leben zu führen. Er wird jedoch schnell wieder abhängig von den falschen Menschen. Als er in gefährliche Verbrechen hineingezogen und von seinen angeblichen Freunden verraten wird, verliert er einen Arm und den Glauben, daß ein anständiges Leben nicht lohnend sei. Biberkopf betreibt nun selbst dunkle Geschäfte und wird Zuhälter. Als seine Geliebte von seinem ehemaligen Freund entführt und ermordet wird, beschuldigt man Biberkopf als Täter und macht ihm den Prozeß. Nachdem sich die Wahrheit herausgestellt hat kommt er frei und erhält eine Stelle als Hilfsportier in einer Fabrik. Biberkopf ergreift nun seine neue Chance und versteht, daß man ein Leben nicht mit guten Vorsätzen beginnt, sondern mit Erkenntnis und den richtigen Freunden. Die Besonderheiten der Form des Romans liegt im Gebrauch neuer Erzähltechniken, wie dem inneren Monolog, dem Bewußtseinsstrom und der erlebten Rede, die im gesamten Roman durchgängig verwendet werden. Ein weitere Neuerung stellt die häufige Verwendung der Montagetechnik dar, durch die einzelne Szenen aneinandergereiht und andere Texte in den Roman eingebaut sind. 1.4.3 Th. Mann: Mario und der Zauberer (1930) In der 1930 erschienen Novelle Mario und der Zauberer, die auf den Erinnerungen Thomas Manns an den Ferienaufenthalt seiner Familie 1926 in Italien basiert, wird das Heraufziehen des drohenden Faschismus deutlich. Das Badeerlebnis in Torre di Venere wird zur ersten Schlüsselszene. Die Nacktheit der achtjährigen Tochter bedeutet für die Einheimischen eine Verletzung der Ehre ihres Landes. Die Aufführung des Zauberers Cipolla steht im Mittelpunkt der Novelle. Durch seine Zaubertricks und Hypnotisierungen bricht der den Willen der Zuschauer und erlangt Macht über sie. Als Cipolla den Kellner Mario dazu bringt, ihn zu küssen, kommt es © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte zum Wendepunkt. Mario fühlt sich in seinen Gefühlen so verletzt, daß er Cipolla erschießt. 1.4.4 Fallada: Kleiner Mann - was nun? (1932) Die Arbeiten am Roman Kleiner Mann - was nun? nahm Fallada 1930 auf, angeregt durch die Studie Die Angestellten (1930) von Siegfried Kracauer. Der Roman schildert die Lebensverhältnisse einer kleinbürgerlichen Familie vom der Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges bis hin zum Aufstieg der Nationalsozialisten. Die sozialen und ökonomischen Verhältnisse des Angestelltenlebens werden dabei sehr wirklichkeitsnah wiedergeben. Für Pinneberg ist die Gefahr des Verlustes seiner Anstellung ständig gegeben. Als die Arbeitslosigkeit schließlich eintritt fühlt er sich von der Gesellschaft ausgestoßen. Die Geborgenheit und Integrität der Familie jedoch helfen ihm wieder auf.
1.5 Lyrik Das wichtigste Kriterium der Lyrik der Neuen Sachlichkeit war die Orientierung am Gebrauchswert. Man spricht daher auch von Gebrauchslyrik. Mithilfe lyrischer Gebrauchsanweisungen konnten die Autoren die Rezeption ihrer Werke steuern, z.B. tat dies Brecht in seiner Hauspostille mit einer Anleitung zum Gebrauch der einzelnen Lektionen. Neben Brecht produzierten auch Kästner (z.B. Herz auf Taille, 1928; Gesang zwischen den Stühlen, 1932), Tucholsky (z.B. Ideal und Wirklichkeit) und Ossietzky Gebrauchslyrik. Gegen Ende der Neuen Sachlichkeit vollzog sich ein Wandel. Viele Autoren kehrten zum Gebrauch traditioneller Formen, wie Sonetten, Oden, Elegien und Liedern, zurück. Kurt Tucholsky - Ideal und Wirklichkeit In stiller Nacht und monogamen Betten denkst du dir aus, was dir am Leben fehlt. Die Nerven knistern. Wenn wir das doch hätten, was uns, weil es nicht da ist, leise quält. Du präparierst dir im Gedankengange das, was du willst - und nachher kriegst das nie ... Man möchte immer eine große Lange, und dann bekommt man eine kleine Dicke C'est la vie -! Sie muß sich wie in einem Kugellager in ihren Hüften biegen, groß und blond. Ein Pfund zu wenig - und sie wäre mager, wer je in diesen Haaren sich gesonnt ... Nachher erliegst du dem verfluchten Hange, der Eile und der Phantasie. Man möchte immer eine große Lange, und dann bekommt man eine kleine Dicke Ssälawih -! Man möchte eine helle Pfeife kaufen Und kauft die dunkle - andere sind nicht da. Man möchte jeden Morgen dauerlaufen und tut es nicht. Beinah ... beinah ... Wir dachten unter kaiserlichem Zwange an eine Republik ... und nun ists die! Man möchte immer eine große Lange, und dann bekommt man eine kleine Dicke Ssälawih -!
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1.6 Drama Die wichtigsten Theaterformen der Neuen Sachlichkeit waren das politische Theater, das Dokumentartheater, das Epische Theater und das Volksstück. Zu den wichtigsten Volksstückautoren gehörte Carl Zuckmayer mit Werken wie Der fröhliche Weinberg (1925) und Der Hauptmann von Köpenick (1931). Mit der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny gelang Brecht ein großer Erfolg als Bühnenautor. Die Oper wurde am 9. März 1930 in Leipzig uraufgeführt. Die Musik zum Text von Bertolt Brecht schuf Kurt Weill. 1.6.1 Episches Theater Das Epische Theater ist eine Theaterform, die den Zuschauer nicht in eine Illusion einhüllt, sondern versucht diese durch bestimmte Verfremdungseffekte zu brechen. Brecht schuf damit eine moderne Theaterform, die mit der Tradition des Dramas nach Aristoteles oder Lessing radikal brach. Epische Dramen weisen keinen strengen Aufbau, wie die Einteilung in Akte und Szenen, auf, sondern haben die Form von Episoden. Das Ende ist meist offen, damit dem Zuschauer selbst. Die Wirkungsabsicht besteht nicht mehr in der Einfühlung des Zuschauers in den Protagonisten. Statt dessen soll eine Distanzierung vom Dargestellten erreicht werden, die dem Zuschauer eine Interpretation ermöglicht und ihn zu Veränderungen erkannter Mißstände anregt. Der Zuschauer soll empfinden, daß das Dargestellte auch in einer anderen Form möglich ist. Das ist jedoch nur möglich, wenn die Handlung nicht in einer Illusion dargestellt wird. Die Distanzierung vom Dargestellten ermöglicht dem Zuschauer einen Blick aus einer anderen Perspektive auf die Handlung. Die Theaterform nennt man episch, da außerhalb der Handlung ein Erzähler vorkommt. Verfremdungseffekte • • • • •
Erzählerkommentare zum Publikum Spruchbänder Plakate Songs Chöre
1930 unternahm Brecht einige der ersten theoretische Überlegungen zum Epischen Theater. Diese schrieb er in den Anmerkungen zur Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny nieder. Darin stellte Brecht u.a. die dramatische Form des Theaters der epischen Form gegenüber.
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Dramatische Form des Theaters • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
handelnd verwickelt den Zuschauer in eine Bühnenaktion verbraucht seine Aktivität ermöglicht ihm Gefühle Erlebnis Der Zuschauer wird in etwas hineinversetzt Suggestion Die Empfindungen werden konserviert Der Zuschauer steht mittendrin, miterlebt Der Mensch als bekannt vorausgesetzt Der unveränderliche Mensch Spannung auf den Ausgang Eine Szene für die andere Wachstum lineare Handlung evolutionäre Zwangsläufigkeit Der Mensch als Fixum Das Denken bestimmt das Sein Gefühl
Epische Form des Theaters • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
erzählend macht den Zuschauer zum Betrachter, aber weckt seine Aktivität erzwingt von ihm Entscheidungen Weltbild er wird gegenübergesetzt Argument bis zu Erkenntnissen getrieben Der Zuschauer steht gegenüber, studiert Der Mensch ist Gegenstand der Untersuchung Der veränderliche und verändernde Mensch Spannung auf den Gang Jede Szene für sich Montage in Kurven Sprünge Der Mensch als Prozeß Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Denken Ratio
Brecht, Bertolt: Schriften zum Theater, Frankfurt am Main 1957
1.6.2 Zuckmayer: Der Hauptmann von Köpenick (1931) Zuckmayers wohl bekanntestes Volksstück wurde am 5. März 1931 in Berlin uraufgeführt. Eine Anregung mag wohl ein Zeitungsbericht aus dem Jahre 1906 gewesen sein, in welchem von einem als Hauptmann verkleideten Menschen berichtet wird, der Soldaten den Befehl gab, den Bürgermeister von Köpenick zu verhaften, dann die Gemeindekasse ausraubte und floh. Voigt, dem Helden des Stückes, wird nach seiner Gefängnisentlassung Pass und Aufenthaltsgenehmigung verweigert. Um sich Anerkennung zu verschaffen sieht er als einzigen Ausweg das Tragen einer militärischen Uniform. Als Hauptmann verkleidet läßt er den Bürgermeister von Köpenick verhaften und die Gemeindekasse beschlagnahmen. Da es in Köpenick jedoch keine Paßstelle gibt, kann er sein eigentliches Ziel nicht erreichen. Von der Polizei gesucht stellt er sich in der Berliner Paßabteilung. Zur Belohnung wird ihm ein Paß versprochen. Als er von den Beamten noch einmal gebeten wird, die Uniform anzuziehen und Voigt sich in einem Spiegel betrachtet, überkommt ihn ein Lachen. Ihm wurde bewußt, daß er das starre System mit seinen eigenen Waffen geschlagen hatte, um schließlich das zu bekommen, was er von Anfang an wollte: einen Paß. Das Stück endet mit einem happy end und hält damit die Formvorschrift im Untertitel, © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Ein deutsches Märchen, ein. Weitere wichtige Märchenelemente, wie Volkstümlichkeit, Aufhebung der Gesetze durch ein Zaubermittel, sowie Belohnung des Helden sind vorhanden. Volkstümlichkeit ist durch den Gebrauch des Dialekts gegeben. Die Aufhebung der gesellschaftlichen Gesetze gelang Voigt durch die Militäruniform. Als Belohnung wird Voigt am Ende ein Paß zugesprochen.
2. Literarische Formen • • • • • • •
Roman Reportage Dokumentation Sachbericht Zeitroman Montage Gebrauchslyrik
3. Vertreter • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Bertolt Brecht (1898-1956) Hermann Broch (1886-1951) Alfred Döblin (1878-1957) Hans Fallada (1893-1947) Lion Feuchtwanger (1884-1958) Marieluise Fleißer (1901-1974) Ernst Glaeser (1902-1963) Hermann Hesse (1877-1962) Ödön von Horvath (1901-1938) Franz Jung (1888-1963) Franz Kafka (1883-1924) Erich Kästner (1899-1974) Martin Kessel (1901-1990) Hermann Kesten (1900-1996) Thomas Mann (1875-1955) Robert Musil (1880-1942) Erich Maria Remarque (1898-1970) Ludwig Renn (1889-1979) Erik Reger (1893-1954) Joseph Roth (1894-1939) Kurt Tucholsky (1890-1935) Robert Walser (1878-1956) Carl Zuckmayer (1896-1977)
4. Werke • • • • •
Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend (1919) - Hesse Siddharta (1922) - Hesse Der Zauberberg (1924) - Th. Mann Juarez und Maximilian (1924) - Werfel Verdi, Roman der Oper (1924) - Werfel
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Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Der fröhliche Weinberg (1925) - Zuckmayer Der Prozeß (1925) - Kafka Das Schloß (1926) - Kafka Die Hauspostille (1927) - Brecht Der Steppenwolf (1927) - Hesse Die Flucht ohne Ende (1927) - Roth Sternstunden der Menschheit (1927) - Zweig Gequältes Volk (1927) - Jung Erfolg (1927/30) - Lion Feuchtwanger Die Dreigroschenoper (1928) - Brecht Herz auf Taille (1928) - Kästner Aufstand der Fischer von St. Barbara (1928) - Seghers Jahrgang 1902 (1928) - Glaeser Krieg (1928) - Renn Im Westen nichts Neues (1929) - Remarque Berlin Alexanderplatz (1929) - Döblin Narziß und Goldmund (1930) - Hesse Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (1930) - Brecht Die heilige Johanna der Schlachthöfe (1930) - Brecht Der Mann ohne Eigenschaften (1930) - Musil Hiob (1930) - Roth Aus dem Lesbuch für Städtebewohner (1930) - Brecht Geschichten aus dem Wiener Wald (1931) - Ödön von Horvath Fabian (1931) - Kästner Der Hauptmann von Köpenick (1931) - Zuckmayer Union der festen Hand (1931) - Reger Die Schlafwandler (1931/32) - Broch Kleiner Mann - was nun? (1932) - Fallada Vor Sonnenuntergang (1932) - Hauptmann Radetzkymarsch (1932) - Roth Herrn Bechers Fiasko (1932) - Kessel
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Exilliteratur 1933 - 1945 I. Begriff Das Wort Exil leitet sich vom lateinischen exilium = Verbannung ab. Die Exilliteratur wird auch als Emigrantenliteratur bezeichnet. Darunter faßt man sämtliche Werke, die meist durch politische Verfolgung im Exil entstanden sind. Emigrant (Auswanderer) zu sein bedeutet allgemein, sein Land wegen politischer oder religiöser Verfolgung verlassen zu müssen. Als Exil bezeichnet man demzufolge ein Land, in das jemand flieht, der aus politischen Gründen aus seiner Heimat vertrieben wurde. Wichtig ist noch, eine Trennung der Begriffe Emigranten und Exilierte vorzunehmen. Zu den Emigranten (Ausgewanderte) gehörten v.a. eine große Menge von Juden, zu den Exilierten (Vertriebene) zählt man Schriftsteller, Künstler und Politiker.
II. Historischer Hintergrund Aufgrund der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise, von der auch Deutschland stark betroffen war, wurden ab 1930 Notverordnungen erlassen. Die NSDAP gewann immer größeren Zuwachs, bis sie schließlich mit ihrem Vorsitzenden Adolf Hitler am 30.1.1933 die politische Macht in den Händen hielt. Am 27.2.1933 ereignete sich der Reichstagsbrand, auf den eine riesige Verhaftungs- und Verfolgungswelle folgte. Mit dem Erlaß des Ermächtigungsgesetzes setzte in allen Stufen der Gesellschaft die Gleichschaltung ein. Am 10.5.1933 fand eine große Bücherverbrennung unter dem Motto "Wider dem deutschen Geist" statt, bei der Werke von über 250 Autoren vernichtet worden. Danach begann eine erste große Auswanderungswelle. 1935 wurden die Nürnberger Gesetze gegen die Juden erlassen. In der Reichskristallnacht vom 9.11.1938 wurden jüdische Friedhöfe geschändet und Synagogen in ganz Deutschland zerstört. Am 1.9.1939 setzt der Zweite Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen ein. 1942 werden auf der Wannsee-Konferenz die Richtlinien zur Endlösung der Judenfrage festgelegt. Politische Gegner und Millionen von Juden wurden in den Kriegsjahren in Konzentrationslagern hingerichtet. Erst am 8.5.1945 werden die Kriegshandlungen mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands eingestellt. Aus Deutschland sind seit 1933 bis zum Zweiten Weltkrieg etwa 2000 Künstler ausgewandert.
1. Literatur des Exils 1.1 Emigrationen im 19. Jahrhundert Die Exilliteratur ging nicht erst als Erscheinung hervor, als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland die Macht übernahmen. Bereits 1872 gebrauchte ihn Georg Brandes, für die Werke französischer Schriftsteller, die nach der Revolution 1789 aus Frankreich geflohen waren. Im 19. Jahrhundert gibt es drei wichtige Emigrationswellen. Die erste begann um 1819 nach den Karlsbader Beschlüssen zur Überwachung der Presse und Kontrolle © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte kritischer Autoren. Die zweite große Welle ist nach dem Scheitern der Revolution in Deutschland in den 40er Jahren zu verzeichnen. Eine letzte Emigrationswelle im 19. Jahrhundert ist um 1878, nach dem Erlaß des Sozialistengesetzes. Auch am Anfang des 20. Jahrhunderts, mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges, wanderten noch viele Schriftsteller aus (z.B. in die Schweiz).
1.2 Isolation im Exil Das Leben im Exil stellte sich schon bald als alles andere, als leicht heraus. Die Exilierten wurden dabei mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert: die Hoffnung von einer raschen Auflösung der Nationalsozialisten mußte vergraben werden, jegliche Kontakte zum Heimatland waren abgetrennt, das Leben in der fremden Umgebung (meist fremde Sprache, Mißtrauen der Einwohner, Schikanen der Behörden und schlechte finanzielle Lage) wurde zudem erschwert. Nur ein kleiner Teil der emigrierten Autoren, konnten mit ihrer schriftstellerischen Arbeit genügend Geld verdienen, um einen konstanten sozialen Status aufrechterhalten zu können. Der Großteil jedoch, war auf Spenden und Unterstützung anderer Schriftsteller angewiesen. Nicht alle Exilautoren waren in ihrer neuen, aufgezwungenen Heimat sicher. Die, welche z.B. nach Österreich flohen, mußten nach dessen Anschluß 1938 an Deutschland erneut fliehen. Auch zu Kriegsbeginn mußten die Schriftsteller erneut fliehen, die schon nach Frankreich (Benjamin, Roth), Belgien, Niederlande oder Dänemark geflohen waren. In Rußland wurden einige Opfer der stalinistischen Herrschaft. England (Alfred Kerr) galt zwar als sicher, doch wurden nur Emigranten aufgenommen, die über entsprechend hohe finanzielle Mittel verfügen. So blieb den meisten Autoren nur der Weg über den Atlantik - nach Amerika (Brecht, Feuchtwanger, Th. Mann, H. Mann, Zuckmayer, Remarque, Toller). Diese Flucht allerdings fiel vielen nicht leicht, denn die Trennung von der europäischen Kultur vergrößerte die Isolation. Einige Autoren verschlug es sogar bis nach Mexiko (Anna Seghers, Ludwig Renn, Bodo Uhse) und Südamerika (Stefan Zweig). Als die Nationalistische Herrschaft Stabilität zeigte, und keinesfalls zerfiel, mußten Überlegungen zu einem gemeinsam orientierten Widerstand gemacht werden.
1.3 Gemeinsame Bemühungen im Kampf gegen den Nationalsozialismus Die Exilautoren waren zwar weit um Deutschland verstreut, doch sahen sie bald ein, daß sie nur gemeinsam gegen den Nationalsozialismus protestieren können. 1933 wurde in Prag eine Zeitschrift mit dem Titel "Neuen Deutschen Blätter" von Seghers, Graf, Petersen und Hertzfelde herausgegeben. Sie versuchte dem Nationalsozialismus allein durch Kraft des "dichterischen und kritischen Wortes" entgegenzutreten, hatte aber nur zwei Jahre Bestand. Auch die von Klaus Mann herausgegebene Zeitschrift "Die Sammlung" hatte zum Zweck, antifaschistisch eingestellte Schriftsteller zu vereinen. Brecht und Becher setzten sich hingegen für ein internationales Antifaschismus-Bündnis ein. Heinrich Mann nahm mit seinen Appellen, Aufsätzen und Reden eine zentrale Rolle der Volksfrontbewegung ein, doch scheiterte diese in Deutschland. In Spanien unterstützen viele Exilautoren die Volksfrontregierung, die durch den Putsch von General Franco gefährdet war, z.B. Bertolt Brecht: Die Gewehre der Frau Carrar. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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1.4 Antifaschistische Literatur Heinrich Mann war der Auffassung, daß in Wirklichkeit nur antifaschistische Literatur die einzige deutsche Literatur sei. Viele seiner Kollegen waren der gleichen Auffassung. Man sah in den Exilierten "die Stimme des stumm gewordenen Volkes". Die antifaschistische Literatur hatte demnach zwei Aufgaben: sie sollte die Welt über Nationalsozialisten aufklären und den Widerstand in Nazi-Deutschland unterstützen. Einige Autoren wendeten sich dem historischen und Gesellschaftsroman zu, der in der Weimarer Republik große Beachtung genoß. Sie waren der Meinung, durch die Nationalsozialisten sei die Entwicklung dieser Gattung unterbrochen worden und wollten so wieder an sie anknüpfen. Als bedeutungsvollster historischer Roman des Exils gilt Henri Quatre von Heinrich Mann. Andere Schriftsteller versuchten direkt gegen das Dritte Reich zu kämpfen, in dem Sie Radioreden, Manifeste, Flugblätter oder Tarnschriften veröffentlichten. Die Exilautoren galten im weiten Sinne als politische Schriftsteller, wie es sie vorher kaum gegebenen hat (Ausnahme: Vormärz). Der Großteil der Exilliteratur besaß einen politischen Charakter. Einige Autoren hatten auch Heimweh. Aus diesem Grund entstanden Naturgedichte und Liebeslyrik.
1.5 Anna Seghers: Das siebte Kreuz Anna Seghers Roman entstand 1941 in Mexiko, erschien 1942 in englischer Sprache und wurde erst 1947 ins Deutsche übersetzt. In ihm spiegelt sich das alltägliche Leben im Dritten Reich wieder. Da Anna Seghers bereits 1933 ins Exil ging, ist es bemerkenswert, wie genau sie die Situation schildern konnte. Ihre meisten Quellen stammen aus Gesprächen mit geflohenen Häftlingen, ebenso der Bericht von den in einem Konzentrationslager aufgestellten sieben Kreuzen für sieben Häftlinge. In ihrem Werk nehmen die sieben Kreuze eine wichtige Rolle ein: werden zur Hinrichtung für sieben entflohene Häftlinge aufgestellt. Doch das siebte Kreuz bleibt frei - und wird damit zum Symbol des Widerstandes in Deutschland. Von den sieben Entflohenen, kann nur einer (Georg Heisler) entfliehen. Wichtig für das Buch sind die politischen und persönlichen Einstellungen all derer, mit denen Heisler in Kontakt kommt.
1.6 Exilzeitschriften In den zwölf Jahren (1933-1945) sind über 400 Exilzeitschriften erschienen. Während die antifaschistische Exilliteratur mehr und mehr einheitliche Züge annahm, in Bezug auf den Kampf gegen das Dritte Reich, herrschte bei den Zeitschriften eine große Unübersichtlichkeit. Tucholsky beklagte: "Anstatt ein gutes Journal zu gründen, gründet sich jeder seins, und natürlich werden sie alle miteinander eingehen. Es ist sehr schade." Nichts desto trotz halfen die Exilzeitschriften der Isolation im Exil entgegenzuwirken. Die Trennung zum Heimatland konnte so überwunden werden. Bedeutende Exilzeitschriften sind Die neue Weltbühne, die von Kurt Tucholsky und Ossietzky herausgegeben wurde, Sammlung von Klaus Mann, Neuen Deutschen Blätter von Seghers, Graf, Hertzfelde und Petersen, Wort von Brecht, Feuchtwanger und Bredel. Einen politischen Erfolg konnte die Vielzahl der Zeitschriften jedoch nicht erringen. Die Aufklärung der Welt und Unterstützung des Widerstandes blieb fast erfolglos. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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1.7 Bertolt Brecht als Exilautor Für die Exilliteratur nahm Brecht eine wichtige Bedeutung als Lyriker, Prosaist, Dramatiker und Literaturtheoretiker ein. Doch zu seiner stetiger Produktion auch nach 1933 trugen die Frauen um ihn herum eine große Rolle: Helene Weigel, Ruth Berlau, Margarete Steffin und Elisabeth Hauptmann. Brecht zeichnete sich durch eine überlegene Einschätzung des Dritten Reiches gegenüber anderen Exilautoren und durch die Entwicklung neuer literarischer Formen aus. Brecht verstand den Nationalsozialismus als deutsche Form des Faschismus: "Der Faschismus ist eine historische Phase, in die der Kapitalismus eingetreten ist." "Der Kapitalismus existiert in faschistischen Ländern nur noch als Faschismus und der Faschismus kann nur bekämpft werden als nacktester, frechster, erdrückendster und betrügerischster Kapitalismus." Der Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus kommt in seinem Lehrstück Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui noch einmal zum Ausdruck. Brecht sieht jedoch bald schon die Grenzen des Lehrstückes erreicht. Ihm kommt es jetzt nicht mehr so sehr auf historische Zusammenhänge an, sondern auf die sozialpsychologischen Wirkungen des Faschismus, wie er in alle Lebensbereiche eindringt und die zwischenmenschlichen Beziehungen stört. Seine Lehrtheater Der gute Mensch von Sezuan, Mutter Courage und ihre Kinder und Leben des Galilei begründen seinen Weltruhm. Brechts Theorie des epischen Theaters formuliert er 1949 im Kleinen Organon für das Theater, in dem er den Gegensatz zwischen Lehrund Vergnügungstheater noch einmal deutlich hervorhebt. Die Theatertheorie Brechts stellt etwas Besonderes dar, denn er entwickelte seine Stücke nicht nach der Theorie sondern umgekehrt. Höhepunkt seines Lehrtheaters ist der Galilei. In Brechts erster Fassung von 1938 wird er als listiger Kämpfer gegen die Inquisition dargestellt. Mit dem Widerruf seiner Schriften soll nicht die Untergebenheit gegenüber den Machthabern gezeigt werden, sondern der fortwährende Widerstand gegen sie. Brechts Absicht bestand darin, zu zeigen, daß die Verbreitung der Wahrheit auch in einer Diktatur möglich ist. Nach Abwurf der ersten Atombomben über Hiroshima und Nagasaki beschließt Brecht eine Überarbeitung. Wichtig für das Stück ist jetzt die Verantwortung des Wissenschaftlers für die Folgen seiner Forschungen.
2. Literarische Formen • • • • • • • • •
historischer Roman Gesellschaftsroman Zeitroman Flugblatt Manifest Radioreden Tarnschriften Zeitschriften Lehrstück
Tarnschrift: Druckerzeugnis, daß mit falschem Umschlagtitel und fingiertem Impressum (Verlag, Drucker, Druckjahr) zur Unterstützung der Widerstandsbewegung ins Dritte Reich eingeschleust wurde, zum Schutz antifaschistischer Leser und Verbreiter und vor polizeilichem Zugriff. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte z.B. wurde Brechts Aufsatz Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit unter dem Titel "Satzungen des Reichsverbands Deutscher Schriftsteller" nach Deutschland eingeschleust.
3. Vertreter • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Walter Benjamin (1892-1940) Bertolt Brecht (1898-1956) Ferdinand Bruckner (1891-1958) Alfred Döblin (1878-1957) Lion Feuchtwanger (1884-1958) Oskar Maria Graf (1894-1967) Walter Hasenclever (1890-1940) Wieland Hertzfelde (1896-1988) Heinrich Mann (1871-1950) Thomas Mann (1875-1955) Robert Musil (1880-1942) Erich Maria Remarque (1898-1970) Ludwig Renn (1889-1979) Joseph Roth (1894-1939) Nelly Sachs (1891-1970) Anna Seghers (1900-1983) Ernst Toller (1893-1939) Kurt Tucholsky (1890-1935) Franz Werfel (1890-1945) Carl Zuckmayer (1896-1977) Stefan Zweig (1881-1942)
4. Werke • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Die Rassen (1933) - Ferdiand Bruckner Joseph und seine Brüder (1933-43) - Thomas Mann Die Rundköpfe und die Spitzköpfe (1934) - Bertolt Brecht Henri Quatre (1935-38) - Heinrich Mann Pardon wird nicht gegeben (1935) - Alfred Döblin Die Gewehre der Frau Carrar (1937) - Bertolt Brecht Konflikt in Assysrien (1938) - Walter Hasenclever Lotte in Weimar (1938) - Thomas Mann Der gute Mensch von Sezuan (1938-42) - Bertolt Brecht Das Leben des Galilei (1938-53) - Bertolt Brecht Mutter Courage und ihre Kinder (1939) - Bertolt Brecht Svendborger Gedichte (1939) - Bertolt Brecht Abschied (1940) - Johannes Becher Herr Puntila und sein Knecht Matti (1940) - Bertolt Brecht Exil (1940) - Lion Feuchtwanger Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui (1941) - Bertolt Brecht Das siebte Kreuz (1942/47) - Anna Seghers Adel im Untergang (1944) - Ludwig Renn Transit (1944) - Anna Seghers Doktor Faustus (1947) - Thomas Mann © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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Nachkriegsliteratur 1945 - 1950 I. Begriff Die Nachkriegsliteratur wird oft auch als "Trümmerliteratur" und "Kahlschlagliteratur" bezeichnet. Mit Trümmer sind nicht nur die in Schutt und Asche liegenden Städte gemeint, sondern auch die zerstörten Ideale und Utopien, die Wirklichkeit des Krieges und die Erfahrungen zwischen Tod und Überleben innerhalb der Trümmer. Die Bezeichnung Kahlschlagliteratur weist auf den Bruch mit der bisherigen Traditionen der Schriftsteller der Inneren Emigration und einen sprachlichen und konzeptionellen Neubeginn hin. Dichtungen der Kahlschlagliteratur sind sowohl durch eine Entpolitisierung und Enthistorisierung, als auch durch eine Zeitlosigkeit bestimmt. Die poetischen Forderungen der Kahlschlagliteratur konnten jedoch nur in Ausnahmefällen verwirklicht werden.
II. Historischer Hintergrund Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. Nach dem Abwurf der amerikanischen Atombomben am 6. und 9. August 1945 auf Hiroshima und Nagasaki kapitulierte auch Japan. Mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches war das Leben in Deutschland bestimmt von Hungersnot und Lebensmittelrationierung, zerstörten Städten und Wohnungsmangel, sowie zahlreichen Flüchtlingsströmen. Auf der Potsdamer Konferenz im August 1945 beschlossen die Siegermächte die Aufteilung Deutschlands und Berlins in vier Besatzungszonen (Sowjetische, Englische, Amerikanische und Französische Besatzungszone), die Entmilitarisierung (Entwaffnung, Abrüstung) und Entnazifizierung (Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse), die Demokratisierung (durch Alliierten Kontrollrat Neueinrichtungen der Medien, Presse und Parteien) und Umsiedlung Deutscher z.B. aus Schlesien, aus Ostpreußen und aus dem Sudentenland. In der Sowjetischen Besatzungszone wollte die UdSSR eine Zentralisierung nach sowjetischem Muster. Die KPD und SPD wurden gezwungen, sich zur SED zu vereinigen. Industriebetrieben und landwirtschaftliche Betriebe wurden enteignet und verstaatlicht. Reparationen mußten an die UdSSR geliefert werden. Mit der Währungsreform 1948 wurde die Mark eingeführt. 1948 versuchte die UdSSR mit der Berlin-Blockade die Kontrolle über die gesamte Stadt zu erlangen. Die Blockade wurde 1949 mit dem Austritt der UdSSR aus dem Alliierten Kontrollrat beendet. Ein Volksrat, unter dem Vorsitz Otto Grotewohls, wurde beauftragt eine Verfassung auszuarbeiten. Am 7. Oktober 1949 wurde die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik mit Genehmigung der UdSSR verkündet. Der erste Staatspräsident wurde Wilhelm Pieck, erster Ministerpräsident Otto Grotewohl. Die Westzonen Deutschlands sollten nach westlichem Vorbild demokratisiert werden und ein eigenständiger wirtschaftlicher Neubeginn geschaffen werden. Nach den Parteiengründungen der SPD, CDU, FDP und CSU wurden die Landesregierungen der einzelnen Bundesländer gewählt. 1947 trat der Marshall-Plan in Kraft. Für den Wiederaufbau und für die Abwendung des Kommunismus erhielt Westdeutschland © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte amerikanische Kredite. Mit der Währungsreform wurde die DM eingeführt. Während der Berlin-Blockade unterstützten die Amerikaner und Engländer die Einwohner Westberlins über eine Luftbrücke mit Nahrungsmitteln und anderen Gütern. Mit dem Zusammenschluß der Englischen und Amerikanischen Besatzungszone kommt es zur Bildung der Bizone. Aus der Vereinigung der Bizone mit der Französischen Besatzungszone entstand die Trizone. Ein parlamentarischer Rat, gebildet aus den Ministerpräsidenten der einzelnen Länder, wurde mit der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfes beauftragt. Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz mit Genehmigung der Westmächte verkündet. Am 07. September 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Konrad Adenauer wurde erster Bundeskanzler, Theodor Heuß erster Bundespräsident. Mit der Etablierung der beiden deutschen Einzelstaaten 1949 war die politische Teilung Deutschlands vollzogen.
1. Nachkriegsliteratur Die Nachkriegsliteratur war auf vielfache Weise gespalten: ein Teil der Autoren bemühten sich um eine Verarbeitung der NS-Diktatur, ein anderer Teil um die Verdrängung; es bestand eine Kontroverse zwischen Innerer Emigration und Exilliteratur; bald vollzog sich auch eine politische Trennung mit der Etablierung der beiden deutschen Einzelstaaten. In der Sowjetischen Besatzungszone fand die Verarbeitung der Vergangenheit von vielen zurückgekehrten Exilautoren eine breite Öffentlichkeit. Zu ihnen gehörten u.a. Bertolt Brecht, Anna Seghers, Johannes Becher, Arnold Zweig, Stephan Hermlin, Stefan Heym, Erich Arendt und Ernst Bloch. Die Veröffentlichung von Sammlungen von Werken der Inneren Emigration, wie die Moabitter Sonette (1945) Alfred Haushofers oder der Gedichtband In den Wohnungen des Todes (1947) von Nelly Sachs, waren ein anderer Weg den Nationalsozialismus zu verarbeiten. Thomas Mann lehnte die von Walter von Molo angebotene Rückkehr nach Deutschland mit der Begründung ab, sich nach der Zeit der NS-Diktatur von seiner Heimat entfremdet zu haben. Dies war der Auslöser für einen Streit zwischen Exilliteratur und Innerer Emigration. Exilautoren, die wie Alfred Döblin in die westlichen Besatzungszonen zurückgekehrt waren, mußten bald feststellen, daß sich ihr Engagement zur Aufarbeitung der Vergangenheit nicht sehr erwünscht war. Statt dessen setzten sich allmählich konservative Autoren durch, die jüngste Vergangenheit verdrängte man. Aus Enttäuschung gingen viele der nach Westdeutschland zurückgekehrten Exilautoren daraufhin erneut ins Exil oder siedelten in die Osthälfte Deutschlands über. Die konservativen Autoren, wie Werner Bergengruen, Gertrud von Le Fort oder Ernst Wiechert, genossen ein größeres Ansehen als die Autoren der Zeitschrift Der Ruf oder der Gruppe 47. Eine endgültige Spaltung der Nachkriegsliteratur trat mit der Etablierung der beiden deutschen Einzelstaaten ein. Nicht mehr Innere Emigration und Exilliteratur, sondern die politischen Überzeugungen der Autoren trennte die Literatur in eine konservativbürgerliche Literatur und in eine sozialistisch-orientierte Literatur. Die Differenz der politischen Ideologien der Siegermächte spielte dabei eine wichtige Rolle. In der Sowjetischen Besatzungszone begann mit dem Aufbau des Sozialismus auch der staatliche Eingriff auf das kulturelle Leben der Gesellschaft. In den westlichen Besatzungszonen hingegen legte man Wert auf eine antikommunistische Haltung der Autoren. Eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen der Buch- und © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Zeitschriftproduktion in Ost- und Westdeutschland war die Kontrolle durch die jeweiligen Besatzungsmächte.
1.1 Der Ruf. Unabhängige Blätter der jungen Generation Die Zeitschrift Der Ruf wurde 1945/46 von Alfred Andersch und Hans Werner Richter gegründet. Sie war eine der wichtigsten neugegründeten Zeitschriften und konzentrierte sich v.a. auf kulturelle und politische Inhalte. Nach einer heftigen Kritik an der amerikanischen Besatzungsmacht verbot diese 1947 die weitere Veröffentlichung der Zeitschrift. Erst mit der Ablösung der Herausgeber durch Eric Kuby konnte Der Ruf wieder erscheinen. Jedoch verlor die Zeitschrift damit auch an Bedeutung und wurde 1949 eingestellt.
1.2 Gruppe 47 Nach dem Verbot der Zeitschrift Der Ruf gründete Hans Werner Richter die Gruppe 47. Die Gruppe 47 war ein Netzwerk von Autoren und Verlegern, die sich einmal jährlich für 3 Tage zu einer Versammlung trafen. Eingeladene Nicht-Mitglieder konnten dabei ihre noch nicht veröffentlichte Werke vorstellen. Die erste Lesung wurde von Wolfdietrich Schnurre mit seiner Erzählung Das Begräbnis eröffnet. Die Gruppe 47 galt auch als Talentschmiede, da viele der vorlesenden Autoren später große Bekanntheit erlangten, z.B. Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Paul Celan, Günter Eich, Günter Grass, Wolfgang Hildesheimer, Uwe Johnson, Wolfdietrich Schnurre und Martin Walser. Die Vereinigung besaß jedoch weder einen Vorstand noch eine Satzung und verfolgte kein literarisches Programm. Problematiken wie Antisemitismus und Judentum wurden dabei nicht behandelt. Ebenso wenig fand eine Diskussion über den verlorenen Krieg oder die Teilung Deutschlands statt. Aktuelle politische Probleme wurden nicht behandelt. Die vorgetragenen Texte bildeten allein den Schwerpunkt der Diskussionen. Der Auftritt Peter Handkes 1966 und seine Beschimpfung der Gruppe 47 leitete deren Ende ein. 1967 fand die letzte Zusammenkunft der Vereinigung statt.
1.3 Lyrik Die Lyrik wurde in der Nachkriegsliteratur aus dem folgenden Grund zur wichtigsten Gattung: die Prosa erschien vielen Autoren durch die nationalistische Sprache als verunglimpft und unglaubwürdig. Viele Autoren sahen daher in der Lyrik die beste Möglichkeit, ihre Empfindungen und Erfahrungen auszudrücken. Wie die gesamte Nachkriegsliteratur war auch die Lyrik geprägt von der Spannung zwischen Aufbruchsstimmung und Untergangsstimmung. Die bekanntesten Lyriker waren Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Günter Eich, Karl Krolow, Elisabeth Langgässer und Hans Erich Nossack. Die Lyrik Johannes R. Bechers zeichnet sich v.a. durch Formtradition aus. Die häufige Verwendung der Sonettform brachte ihm bei anderen Autoren, z.B. Stephan Hermlin, jedoch scharfe Kritik ein. Ein poetischer Neubeginn in der Lyrik gelang keinem Autor. Denn dieser erforderte den Verzicht auf Ausschmückungen jeglicher Art um die Wirklichkeit möglichst unverfälscht darzustellen. Eine Ausnahme für diese Kahlschlagliteratur ist das Gedicht Inventur von Günter Eich, das 1945 in einem Gefangenenlager entstand. Dieses Gedicht blieb jedoch die Ausnahme in seinem Gesamtwerk. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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1.4 Prosa Die Verunglimpfung und Unglaubwürdigkeit der Prosa im Nationalsozialismus bereitete vielen Autoren der Nachkriegszeit Probleme, ihre Empfindungen in Prosa auszudrücken. Autoren der Inneren Emigration, wie Werner Bergengruen oder Gertrud von Le Fort, setzten ihre konservativen Dichtungen fort, die teilweise religiöse Tendenzen enthielten. Einige Exilromane, wie Hesses Glasperlenspiel (1943) oder Thomas Manns Doktor Faustus (1947) genossen eine breite Rezeption. Der poetische Neubeginn in der Prosa geschah durch den Anspruch des "Einfachwerdens". Die wichtigste Prosaform in der Nachkriegszeit war die Kurzgeschichte. Sie wurde von vielen Autoren, besonders von Borchert und Schnurre, genutzt. Als Vorbild hatten sie die amerikanische short story sowie die Autoren William Faulkner, Ernest Hemingway und Edgar Allan Poe. Zu den bekanntesten Kurzgeschichten Borcherts gehören: Die Küchenuhr, An diesem Dienstag und Die Kirschen.
1.5 Drama Auf den Bühnen der Nachkriegszeit gab es ein unterschiedliches Bild in in der Sowjetischen Besatzungszone und den westlichen Besatzungszonen. Während im Osten Werke von Exildramatikern ein großes Publikum fanden, wurden im Westen Lessings Nathan und Goethes Iphigenie wieder aufgeführt. Von den in der Nachkriegszeit entstandenen Theaterstücken gab es nur wenige, die ein großes Publikum fanden: Borcherts Draußen vor der Tür (1947), Zuckmayers Des Teufels General (1946) und Weisenborns Die Illegalen (1946). Diese wurden jedoch nicht in der Sowjetischen Besatzungszone aufgeführt. Borcherts Draußen vor der Tür galt als Generationenstück, da sich hier die junge Generation der Heimkehrer mit der Figur Beckmann identifizieren konnte, die von Erinnerungen des Krieges geplagt ist, diese aber von den Mitmenschen verdrängt wurden. Zuckmayers Des Teufels General beschäftigte sich mit der Thematik des Militärs im Nationalsozialismus. Weisenborns Die Illegalen griff die Problematik der Widerstandsbewegungen auf. Brecht, dem die Einreise nach Westdeutschland verweigert wurde, übersiedelte 1949 nach Ostberlin, wo er zusammen mit Helene Weigel das Berliner Ensemble gründete. Mutter Courage wurde im gleichen Jahr uraufgeführt.
2. Literarische Formen •
Kurzgeschichte
Kurzgeschichte: ist eine leicht überschaubare epische Kurzform, die selten länger als 5 DIN A4 Seiten ist. Sie zeigt einen Ausschnitt aus einer Handlung oder einem Raum und gibt einen wichtigen Lebensabschnitt eines Menschen wieder. Die handelnden Figuren werden nur gezeigt, sie können nicht entwickelt werden. Eine Einleitung fehlt häufig, das Ende ist meist offen.
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3. Vertreter • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Alfred Andersch (1914-1980) Johannes R. Becher (1891-1958) Bertolt Brecht (1898-1956) Werner Bergengruen (1892-1964) Heinrich Böll (1917-1985) Wolfgang Borchert (1921-1947) Paul Celan (1920-1970) Günter Eich (1907-1972) Rudolf Hagelstange (1912-1984) Albrecht Haushofer (1903-1945) Walter Kolbenhoff (1908-1993) Hermann Kossack (1896-1966) Karl Krolow (1915-1999) Elisabeth Langgässer (1899-1950) Gertrud von Le Fort (1876-1971) Hans Erich Nossak (1901-1977) Hans Werner Richter (1908-1993) Nelly Sachs (1891-1970) Reinhold Schneider (1903-1958) Arno Schmidt (1914-1979) Wolfdietrich Schnurre (1920-1989) Günther Weisenborn (1902-1969) Wolfgang Weyrauch (1904-1980) Ernst Wiechert (1877-1950) Carl Zuckmayer (1896-1977)
4. Werke • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Venezianisches Credo (1945) - Hagelstange Moabitter Sonette (1945) - Haushofer Heimkehr (1946) - Becher An diesem Dienstag (1946) - Borchert Die Illegalen (1946) - Weisenborn Des Teufels General (1946) - Zuckmayer Das ist unser Manifest (1947) - Borchert Draußen vor der Tür (1947) - Borchert Jeder stirbt für sich allein (1947) - Fallada Von unserem Fleisch und Blut (1947) - Kolbenhoff Doktor Faustus (1947) - Th. Mann In den Wohnungen des Todes (1947) - Nelly Sachs Volk, im Dunkeln wandelnd (1948) - Becher Kalendergeschichten (1948) - Brecht Interview mit dem Tode (1948) - Nossack Der Zug war pünktlich (1949) - Böll Kleines Organon für das Theater (1949) - Brecht Die Geschlagenen (1949) - Hans W. Richter Leviathan oder Die beste der Welten (1949) - Arno Schmidt © Claudio Mende www.literaturwelt.com
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Tausend Gramm (1949) - Weyrauch Märkische Argonautenfahrt (1950) - Langgässer Mißa sine nomine (1950) - Wiechert Der Gesang im Feuerofen (1950) - Zuckmayer Träume (1951) - Eich Sie fielen aus Gottes Hand (1951) - Hans W. Richter Der letzte Rittmeister (1952) - Bergengruen Mohn und Gedächtnis (1952) - Celan
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Literatur der DDR 1950 - 1990 I. Begriff Die Abkürzung DDR steht für 'Deutsche Demokratische Republik'.
II. Historischer Hintergrund Am 7. Oktober 1949 wurde die DDR auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone gegründet. Hauptstadt wurde der östliche Teil Berlins. Der erste Staatspräsident war Wilhelm Pieck, erster Ministerpräsident Otto Grotewohl. Beide waren Vorsitzende der 1946 aus SPD und KPD hervorgegangenen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Der eigentliche Machthaber war der Generalsekretär des Sekretariats des 1950 eingerichteten Zentralkomitees (ZK). Das ZK war das höchste Gremium der SED. Erster Generalsekretär war Walter Ulbricht von 1950 bis 1971. Am 4. Juni 1950 wurde der DDR-Schriftstellerverband gegründet. 1952 kam es zur Auflösung der 5 Länder, die durch 15 Bezirke ersetzt wurden. Am 17. Juni 1953 kam es Protesten und Aufständen in der DDR wegen der verschärften Arbeitspolitik, die jedoch durch in der DDR stationierte sowjetische Truppen niedergeschlagen wurden. Am 28. Januar 1956 trat die DDR in den Warschauer Pakt ein. 1959 fand die erste Bitterfelder Konferenz statt, auf der eine engere Verbindung zwischen Kunst und Arbeiterschaft beschlossen wurde. Durch die starke Abwanderung von fast drei Millionen Menschen begann am 13. August 1961 der Mauerbau in Berlin, um weitere Abwanderungen zu verhindern. 1964 fand die II. Bitterfelder Konferenz für Kultur und Politik statt, auf der das Programm der sozialistischen Kulturrevolution in der DDR vertieft und der sozialistische Realismus zur verpflichtenden ästhetischen Norm erklärt wurde. Die neue Verfassung von 1968 schrieb die DDR als sozialistischen Staat unter Führung der SED fest. Im gleichen Jahr fand der Prager Frühling mit der Intervention des Warschauer Pakts statt. Erich Honecker löst 1971 Walter Ulbricht als Erster Sekretär ab. 1976 wurde Wolf Biermann unter großen Protest zahlreicher Schriftsteller und Intellektuelle ausgebürgert. Da einige Autoren ihre Unterschrift nicht von der Biermann-Petition zurückziehen wollten, wurden diese aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen. Mitte der achtziger Jahre geriet die DDR in zunehmende wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im August 1989 setzte eine Massenflucht ein. Vom 7. Oktober bis zum 9. November kam es zu gewaltlosen Demonstrationen. Die Maueröffnung in Berlin erfolgte am 9.11.1989. Am 1. Juli 1990 wurde die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion eingeleitet, die schließlich zur Einheit Deutschlands am 3. Oktober 1990 führte.
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1. Literatur der DDR 1.1 Aufbauliteratur (1950-1961) Eine der wichtigsten gemeinsamen Grundhaltungen in den Anfängen der DDRLiteratur war der Antifaschismus. Viele junge Autoren wandten sich gutgläubig dem Sozialismus zu, um den Faschismus endgültig auszulöschen. Die aus dem Exil zurückgekehrten Schriftsteller spielten in der DDR eine größere Rolle als in der BRD: 1952 wurde Anna Seghers Vorsitzende des DDRSchriftstellerverbandes, 1954 Johannes R. Becher erster Kulturminister. Bertolt Brecht kehrte mit seiner Frau Helene Weigel nach Ostberlin zurück und baute das "Berliner Ensemble" auf, doch wurde er nie Bürger der DDR, da er 1950 die Staatsbürgerschaft Österreichs auf eigenen Antrag erhielt. Die Literatur der DDR sollte beim Aufbau des Sozialismus von Anfang an eine große Rolle spielen und die Menschen zum Sozialismus zu erziehen. Viele Autoren der DDR wirkten daran auch überzeugt mit. Freie und selbstständige Literaturproduktion und -rezeption existierte praktisch nicht: den Autoren wurde vorgeschrieben, worüber diese zu schreiben hatten, den Lesern, was sie lesen durften und was nicht. Die DDR-Literatur war somit stark geprägt von einer sozialistischen Ideologie und Zensur. Was in der Literatur nicht verarbeitet werden durfte, wurde verboten, so z.B. Stefan Heyms 5 Tage im Juni, das den Prager Frühling thematisierte. Die Lyrik in der Phase der Aufbauliteratur zeigte noch eine große Vielfalt, sie trug noch keinen einheitlichen sozialistischen Grundton wie etwa die Prosa. In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre entstanden Hymnen auf Ulbricht und Stalin. Brechts Spätlyrik, Kinderlieder und Buckower Elegien, hoben sich deutlich von seiner Lyrik aus der Exilzeit ab. Weitere wichtige Lyriker der fünfziger Jahre waren Erich Arendt, Johannes Bobrowski und Günter Kunert. Das Theater in der Zeit der Aufbauliteratur ist formal noch stark an Brecht ausgerichtet, inhaltlich jedoch schon stark am sozialistischen Arbeitsleben. Der Einfluß Brechts zeigte sich z.B. noch sehr stark in den frühen Stücken von Heiner Müller und Peter Hacks. Seinen ersten erfolgreichen Durchbruch auf der Bühne erzielte Heiner Müller mit seinem Stück Der Lohndrücker (1956). Außer Hacks und Müller stachen in den fünfziger Jahren jedoch keine weiteren großen Theaterdichter hervor.
1.2 Sozialistischer Realismus Der Sozialistische Realismus war eine Stilrichtung, die in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts in der Sowjetunion entstand und für alle Kunstformen verbindlich war. Diese Stilrichtung wurde auch in der DDR aufgegriffen. In der Literatur stand oft ein positiver Held im Mittelpunkt, der Vorbild für eine sozialistisches Idealgesellschaft war. In diesem Sinne war der sozialistische Realismus überhaupt nicht realistisch, sondern stellte eine verklärte, utopische Wirklichkeit dar. Die frühe Hinwendung zum sozialistischen Realismus sollte einer formalistischen Literatur entgegenwirken. Die Formalisten, die ein Kunstwerk nach seiner Form und nicht nach seinem Inhalt bewerten, betrachtete man als Gefahr. Das Konzept des Formalismus, bei dem die entscheidende Bedeutung eines Werkes nicht in seinem © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Inhalt liegt, betrachtete man als Gegenposition zur Ideologie der sozialistischen Literaturproduktion.
1.3 Bitterfelder Weg Mit dem Bitterfelder Weg sollte eine neue Programmatik mit engen ästethischen und thematischen Vorgaben in der Kulturpolitik und Literaturproduktion der DDR eingeläutet werden. Die Trennung zwischen Künstler und Volk, sowie zwischen Kunst und gesellschaftlicher Realität wollte man aufheben. Auf der 1. Bitterfelder Konferenz im April 1959 wurde beschlossen, daß sich die Literatur nicht mehr mit historischen Themen, sondern mit dem sozialistischen Aufbau und der Arbeiterwelt der Gegenwart beschäftigen solle. Die Schriftsteller sollten dazu Betriebe aufsuchen, um die Arbeitsbedingungen besser kennenzulernen, was jedoch nur wenige verwirklichten. Die Arbeiter selbst wurden auch aufgerufen, sich als Schriftsteller zu versuchen und die Probleme und Schwierigkeiten beim Produktionsprozeß festzuhalten. Auf der 2. Bitterfelder Konferenz 1964 wurde jedoch das Scheitern des Bitterfelder Weges eingeräumt.
1.4 Ankunftsliteratur (1961-1971) Der Mauerbau zwischen Ost- und Westberlin hatte große Auswirkungen auf die Literatur des nächsten Jahrzehnts. Viele Autoren wandten sich nun den eigenen alltäglichen Lebensbedingungen in der DDR zu. Erste kritische Tendenzen machten sich bemerkbar, Druck- und Aufführungsverbote wurden ausgesprochen. So kam es zu der paradoxen Situation, daß viele Schriftsteller über die DDR schrieben, aber nur in der BRD veröffentlichten und nur dort gelesen wurden. Charakteristisch für die Romane der Ankunftsliteratur ist ein junger Held, der mit den sozialistischen Lebensverhältnissen in Konflikt gerät, sich aber schließlich diesen doch wieder zuwendet und im Sozialismus ankommt. Beispielhaft für die Ankunftsliteratur ist der Roman mit dem programmatischen Titel Ankunft im Alltag (1961) von Brigitte Reimann. Die Ankunftsromane sind Entwicklungs- und Bildungsromane. Die Probleme bei der Erziehung zu einer sozialistischen Persönlichkeit, die Entwicklung einer sozialistischen Produktionsweise und Bewußtseins und Konflikte zwischen Individuum und Gesellschaft standen dabei oft im Mittelpunkt. Das Thema Nationalsozialismus spielte auch in den sechziger Jahren noch eine wichtige Rolle in der Prosa. Jurek Becker konnte mit seinem ersten Roman Jakob der Lügner (1968) einen großen Erfolg erzielen. In den sechziger Jahren war ach der Beginn des schriftstellerischen Schaffens von Christa Wolf. Mit dem Roman Der geteilte Himmel (1963), der vom Mauerbau und der Teilung Deutschlands handelte, schaffte sie den Durchbruch und wurde schlagartig bekannt. Auch ihr Roman Nachdenken über Christa T. (1969) erregte große Aufmerksamkeit. Für die Lyriker und Theaterdichter der DDR, z.B. für Volker Braun, Günter Kunert, Peter Hacks und Heiner Müller, hatte die Antike einen hohen Stellenwert mit ihren mythologischen Gestalten. Diese wurden instrumentalisiert für politische Bestandsaufnahmen, geschichtsphilosophische Analysen und poetische Reflexionen. Die antiken Mythen dienten als versteckte Wahrheit, um Probleme und Widersprüche der Gegenwart aufzuzeigen. Häufig anzutreffende mythologische Figuren stammen vor allem aus der Antike, wie z.B. Atlas, Ikaros, Odysseus, Orpheus, Prometheus und Sisyphos. © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte Zu den wichtigsten Vertretern der Lyrik der sechziger Jahre gehörten Wolf Biermann, Volker Braun, Sarah Kirsch, Günter Kunert, Reiner Kunze und Karl Mickel.
1.5 Kritik am Sozialismus (1971-1990) Das Ende der Ära Walter Ulbricht, der 1971 von Erich Honecker abgelöst wurde, läutete eine Wende in der Literatur der DDR ein. Im Mittelpunkt stand nun das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, das z.B. in Ulrich Plenzdorfs Die neuen Leiden des jungen W. thematisiert wurde. Autoren, die Kritik am Sozialismus übten, wurden ihrerseits stark öffentlich kritisiert. Diesen wurde vorgeworfen, eine spätbürgerliche Gesinnung zu haben oder den Sozialismus nicht genügend zu feiern. Der Liedermacher Wolf Biermann setzte sich konsequent kritisch mit der DDR auseinander und erhielt dafür auch öfters Aufführungsverbote. Zum Eklat kam es, als Biermann 1976 ein in Köln offiziell genehmigtes Konzert gab und ihm die Rückkehr in die DDR verweigert wurde. Dies führte zu großem Potest bei vielen DDRSchriftstellern, die sich daraufhin mit Biermann solidarisierten. In einem offenen Brief forderten zahlreiche Schriftsteller vergebens, die Ausbürgerung Biermanns zurückzunehmen. Viele Autoren verließen in der Folgezeit die DDR und übersiedelten in den Westen, z.B. Sarah Kirsch und Günter Kunert. Andere Autoren wurden vom DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen oder traten selbst aus. Die Abwanderung von Schriftstellern hielt bis zum Ende der DDR an. Die Lenkung und Kontrolle der Literatur lockerte sich erst mit dem X. Schriftstellerkongreß im Jahre 1987, auf dem vor allem Christoph Hein die Zensurmaßnahmen öffentlich angriff und als volksfeindlich bezeichnete. Ihre Erfahrungen als Schriftsteller in der DDR und den damit verbundenen Schwierigkeiten verarbeiteten viele Autoren nach Wende, z.B. Reiner Kunze in Deckname Lyrik (1990) oder Erich Loest in Der Zorn des Schafes (1990).
2. Literarische Formen • •
Aufbauroman Ankunftsroman
3. Vertreter • • • • • • • • • • • • • •
Bruno Apitz (1900-1979) Erich Arendt (1903-1984) Johannes R. Becher (1891-1958) Jureck Becker (1937-1997) Wolf Biermann (*1936) Johannes Bobrowski (1917-1965) Volker Braun (*1939) Bertolt Brecht (1898-1956) Günter de Bruyn (*1926) Peter Hacks (1928-2003) Stephan Hermlin (1915-1997) Stefan Heym (1913-2001) Peter Huchel (1903-1981) Hermann Kant (*1926) © Claudio Mende www.literaturwelt.com
Epochenüberblicke zur Deutschen Literaturgeschichte • • • • • • • • • • • • • • • • •
Sarah Kirsch (*1935) Günter Kunert (*1929) Reiner Kunze (*1933) Erich Loest (*1926) Monika Maron (*1941) Karl Mickel (*1935-2000) Irmtraud Morgner (1933-1990) Heiner Müller (1929-1995) Erik Neutsch (*1931) Ulrich Plenzdorf (*1934) Brigitte Reimann (1933-1973) Rolf Schneider (*1932) Anna Seghers (1900-1983) Erwin Strittmatter (1912-1994) Christa Wolf (*1929) Friedrich Wolf (1888-1953) Arnold Zweig (1887-1968)
4. Werke • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Wegschilder und Mauerschriften (Gedichte, 1950) - Günter Kunert Kinderlieder (Gedichte, 1950) - Bertolt Brecht Buckower Elegien (Gedichtzyklus, 1953) - Bertolt Brecht Tinko (1954) - Erwin Strittmatter Der Lohndrücker (1956) - Heiner Müller Die Korrektur (1957) - Heiner Müller Nackt unter Wölfen (1958) - Bruno Apitz Ankunft im Alltag (Roman, 1961) - Brigitte Reimann Schattenland Ströme (Gedichte, 1962) - Johannes Bobrowski Ole Bienkopp (Roman, 1963) - Erwin Strittmatter Der geteilte Himmel (Erzählung, 1963) - Christa Wolf Der Bau (Schauspiel, 1964) - Heiner Müller Die Aula (Roman, 1965) - Hermann Kant Spur der Steine (Roman, 1964) - Erik Neutsch Levins Mühle (Roman, 1964) - Johannes Bobrowski Die Drahtharfe (1965) - Wolf Biermann Deutschland Ein Wintermärchen (1965) - Wolf Biermann Ödipus Tyrann (Schauspiel, 1967) - Heiner Müller Wetterzeichen (Gedichte, 1967, posthum) - Johannes Bobrowski Jakob der Lügner (Roman, 1968) - Jurek Becker Nachdenken über Christa T. (Roman, 1968) - Christa Wolf Sensible Wege (Gedichte, 1969) - Reiner Kunze Die neuen Leiden des jungen W. (1972) - Ulrich Plenzdorf Hinze und Kunze (Schauspiel, 1973) - Volker Braun Franziska Linkerhand (Roman, 1974) - Brigitte Reimann Unvollendete Geschichte (Erzählung, 1975) - Volker Braun Die wunderbaren Jahre (1976) - Reiner Kunze Schlaflose Tage (Roman, 1978) - Jurek Becker Kein Ort. Nirgends. (1979) - Christa Wolf Störfall. Nachrichten eines Tages (1987) - Christa Wolf
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