Experimentelle Ermittlung mechanischer Kenngrößen von Faserverbundwerkstoffen PD Dr.-Ing. F. Ferber, Dipl.-Wirt.-Ing. I. Koke, Universität Paderborn; Prof. Dr.-Ing. H. Funke; Fachhochschule Dortmund
Kurzfassung Durch die Verwendung faserverstärkter Kunststoffe (FVK) ist eine deutliche Gewichtseinsparung sowie eine erhebliche Leistungssteigerung bei Strukturbauteilen in vielen Anwendungsbereichen möglich. Ein wesentlicher Mangel bei der Auslegung von Faserverbundbauteilen sind jedoch für den Konstrukteur fehlende Unterlagen über Werkstoffkennwerte von faserverstärkten Kunststoffverbunden. Aufgrund der Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten von Faser-Matrixwerkstoffen, Faserablage, Faservolumenanteil und weiteren Parametern, die teilweise zu extrem unterschiedlichen Werkstoffkennwerten führen, ist eine gesamte und übersichtliche Darstellung aller Werkstoffkennwerte für FVK-Verbunde nicht möglich. Somit müssen die Werkstoffparameter für jeden Laminataufbau ermittelt werden. Die klassische Laminattheorie (CLT) gilt als allgemeine Theorie zur Bestimmung entsprechender Parameter. Das vorgestellte Berechnungstool LamiCens ermöglicht auf einfache Weise unter Anwendung der Berechnungsalgorithmen der CLT die Berechnung entsprechender Laminatkennwerte. Zur Erstellung des Laminataufbaus greift LamiCens auf datenbankunterstützte Halbzeugdaten sowie Erfahrungswerte zurück, die wiederum einen wesentlichen Einfluss auf die zu ermittelnden Werkstoffkennwerte haben. Eine wesentliche Lücke besteht hierbei in der Abschätzung des Faservolumenanteils als Eingangsgröße. Ziel der hier vorgestellten Untersuchungen war es, für gängige am Markt verfügbare Faserhalbzeuge charakteristische Faservolumenanteile zu ermitteln, die in verschiedenen Fertigungsverfahren typischerweise erzielt werden. Dabei wurden Laminatproben händisch erstellt und mittels experimenteller Methoden, wie der Photogrammetrie, erste mechanische Parameter ermittelt.
1. Laminatberechnungen nach der klassischen Laminattheorie (CLT) Die CLT ist hinreichend bekannt und stellt das gängige Verfahren zur Berechnung mehrschichtiger inhomogener Laminataufbauten dar. Sie beinhaltet die Grundlagen der Verformungs- und Spannungsanalyse unter Einbeziehung spezieller Beanspruchungen von Faserverbundlaminaten wie auch spezielle Versagenshypothesen.
Bei der Verformungsanalyse von Laminaten nach der CLT handelt es sich um die Lösung eines statisch unbestimmten Systems, so dass neben den Gleichgewichtsbedingungen zusätzlich Stoffgesetze wie auch die Passbedingung zu berücksichtigen sind. Es wird von folgenden Voraussetzungen ausgegangen. Die Einzelschicht (ES) ist die kleinste Berechnungseinheit des Laminates. Die Eigenschaften der inhomogenen ES werden über die ES als verschmiert betrachtet und somit homogenisiert. Bei der Laminatberechnung werden die Einzelschichten zu einem Laminat gestapelt. Dabei werden die Einzelschichten als fest miteinander gekoppelt angenommen (Passbedingung). Während die vollständige CLT auch Wölbungen, Verdrillungen und Biegungen mitberücksichtigt, die bereits bei ebener Belastung nicht orthotroper Laminataufbauten auftreten, werden beim sogenannten Scheibenproblem lediglich ebene Zustände berücksichtigt [1, 2]. Die CLT basiert auf empirischen Studien mit glasfaserverstärkten Kunststofflaminaten in den siebziger Jahren. Mit ihrer Hilfe lassen sich die Steifigkeiten von faserverstärkten Kunststofflaminaten für beliebige Orientierungswinkel berechnen. Das anisotrope Werkstoffverhalten spiegelt sich in den unterschiedlichen E-Moduln für die jeweilige Raumrichtung, unter der die Belastung stattfindet, wieder. Der Berechnungsablauf der vollständigen CLT erfolgt in 10 Schritten, wobei nach 4 Schritten, wie in Bild 1 dargestellt, der E-Modul, Schubmodul und die Querkontraktionszahl ermittelt werden können.
Bild 1: Berechnungsschritte nach der klassischen Laminattheorie [1]
Für alle Einzelschichten des zu berechnenden Laminates sind die folgenden Ingenieurkonstanten zu ermittelt:
E1,k:
E-Modul der Einzelschicht „k“ in Faserrichtung
E2,k:
E-Modul der Einzelschicht „k“ quer zur Faserrichtung
G12, k:
Schubmodul Einzelschicht „k“
ν12, k:
Querdehnzahl Einzelschicht „k“
Die Berechnung der Konstanten erfolgt nach der Mischungsregel in folgender Form:
E1 = ϕ ⋅ EF + (1 − ϕ ) ⋅ EH
Während die Werte des Längsmoduls und der Querkontraktion gut mit Messungen übereinstimmen, ergeben sich Unter-
E2 =
EH ⋅ EF 2 ϕ ⋅ EH + (1 − ϕ ) ⋅ EF 2
GF ⋅ GH G12 = ϕ ⋅ GH + (1 − ϕ ) ⋅ GF
ν12 = ϕ ⋅ ν F + (1 − ϕ ) ⋅ ν H
schiede beim Quermodul und beim Schubmodul. So gibt [3] folgende modifizierte Parameter an:
E2 = G12 =
(
E H* ⋅ 1 + 0,85ϕ 2
)
ϕ ⋅ E / E F + (1 − ϕ )
1, 25
* H
(
G H ⋅ 1 + 0,6ϕ 0,5
mit:
E H* =
EH 1 − υ H2
(
)
)
ϕ ⋅ G H / G F + (1 − ϕ )1, 25
Ferner ist für jede Einzelschicht die Laminatstärke tk zu ermitteln. Dabei werden die Faserhalbzeuge gegebenenfalls in mehrere Einzelschichten aufgeteilt.
2. Berechnungsprogramm LamiCens LamiCens ist ein menügeführtes Programm zur Ermittlung der mechanischen Eigenschaften faserverstärkter Kunststofflaminate (FVK), das auf der Basis der CLT beruht. Es handelt sich dabei um eine makrogestützte Excel-Anwendung [7]. Die Vorgehensweise bei der Erstellung beliebiger Laminataufbauten orientiert sich dabei an der Arbeitsweise bei der Herstellung von FVK. Aus einer Auswahltabelle werden die Faserhalbzeuge in beliebiger Reihenfolge gestapelt. Zu jeder Halbzeuglage lassen sich die gewünschten Orientierungswinkel und der Faservolumenanteil angeben und es werden folgende Eigenschaften ermittelt:
Produktionsspezifische Kennwerte (Laminatstärke, Harz- und Fasergewichtsanteile, Faservolumenanteile), Kostenkennwerte und Mechanische Kennwerte (richtungsabhängige Elastizitäts- und Schubmoduln sowie Querdehnzahlen). Mit Hilfe von LamiCens lassen sich wichtige Eigenschaften von Laminataufbauten in Faserverbund-Kunststoffbauweise ermitteln. Die ersten vier Schritte der klassischen Laminattheorie werden für die Bestimmung der Elastizitätsmoduln, Schubmoduln und Querkontraktionszahlen genutzt.
Die Eigenschaften faserverstärkter Kunststofflaminate hängen sehr stark von weiteren, insbesondere produktionstechnischen Faktoren ab, die sich mit der Laminattheorie alleine nicht reproduzierbar beschreiben lassen. Die Erstellung faserverstärkter Kunststoffbauteile erfordert spezifische Kenntnisse hinsichtlich der Gestaltung, Herstellung und Handhabung der verwendeten Rohmaterialien [4, 5]. Die Eingangsdaten des Berechnungsprogramms sind der Matrixwerkstoff, die Faserwerkstoffe, die zu einem Laminat aufgebaut werden und der zugehörige Faservolumenanteil einer jeden Einzelschicht (siehe Bild 2).
Bild 2: Auswahl der Faserhalbzeuge
Der Matrixwerkstoff wird über ein Pull-Down-Menü ausgewählt, in dem die möglichen Kombinationen von Harz und Härter hinterlegt sind. Die Faserauswahl findet der Anwender in einem Auswahlmenü vor, in dem der Befehl Gewebelage hinzufügen erteilt wird. Es kann eine Faserart im Laminat verwendet werden und demzufolge gleich für mehrere Lagen gewählt oder für jede Gewebelage variiert werden. Ob es sich dabei um ein Gewebe oder Gelege handeln soll, ist ebenfalls im Aufbau der Gewebelagen zu wählen wie auch das verwendete Faserhalbzeug anhand seines nominellen Flächengewichts. Abschließend ist der Faservolumenanteil einer jeden Gewebelage festzulegen, wobei dem Benutzer ein Vorschlag unterbreitet wird.
3. Ermittlung mechanischer Kenngrößen Das wesentliche Ziel der hier vorgestellten Untersuchungen ist die experimentelle Ermittlung der mechanischen Kenngrößen, und das ganz speziell unter alltagspraktischen Bedingungen. Auf die Bestimmung der realen Faservolumenanteile, die als elementare Bestandteile in
die Dimensionierung eines Bauteils einfließen, wird besonders Wert gelegt, da zur Auslegung von Bauteilen nicht zuletzt das tatsächliche Gewicht entscheidend ist. Wesentlich für die Festigkeit des FVK ist die Faser, die in einen Matrixwerkstoff eingebettet ist. Die Matrix sorgt für den Zusammenhalt bzw. die räumliche Verteilung der Fasern, determiniert jedoch ebenso das Gesamtgewicht. Daher ist entscheidend, welche Harzmenge zur vollständigen Benetzung sämtlicher Fasern benötigt wird. Die Steifigkeits- und Festigkeitsparameter von Faserverbunden sind durch die innere Packungsgeometrie der Fasern und das grundlegende Verhalten von Fasern und Matrix bestimmt, deren quantitatives Zusammenwirken über den Faservolumengehalt oder auch Faservolumenanteil ausgedrückt wird. Die Faservolumenanteile ϕ werden im Rahmen der Untersuchungen mittels Wägung bestimmt, wobei das exakte Flächengewicht des Gewebes bzw. der Laminatfläche sowie der jeweiligen Dichte des Halbzeuges bekannt sein muss. Vor der Laminatherstellung erfolgt die exakte Bestimmung des Flächengewichts [6].
Bild 3: Produktionsspezifische Kennwerte sowie Kostenkennwerte des Laminataufbaus
Die herstellerseitigen Angaben zu Faservolumenanteilen streuen recht weit. So gibt der Werkstofflieferant R&G Faserverbundwerkstoffe GmbH in Waldenbuch als Richtwert 43% Faservolumenanteil [8] im Laminat an, spezifiziert die Herstellbedingungen aber nicht weiter. Die Aufsätze von Funke in [8] verweisen auf 35 bis 40% Faservolumenanteil für ungepresste Laminate. In Bild 3 ist eine Ansicht der Eingaben von LamiCens nach Wahl eines Faservolumenanteils von 55% zu sehen, wie er experimentell bei gepressten Laminaten aus Kohlefasergewebe mit 245 g/m² Flächengewicht des gleichen Aufbaus ermittelt wurde. Darunter ist diese Ansicht abgebildet für ein Kohlefasergewebe mit 360 g/m² Flächengewicht und 44% FVA sowie für ein Kohlefasergelege mit 252 g/m² Flächengewicht und 51% Faservolumenanteil.
Bild 4: Richtungsabhängige mechanische Kenngrößen für Faservolumenanteil 55% bei 245 g/m²-Gewebe-Laminat (gepresst bei 0,7 bar)
Bild 5: Richtungsabhängige mechanische Kenngrößen für Faservolumenanteil 44% bei 360 g/m²-Gewebe-Laminat (unverpresst)
Bild 6: Richtungsabhängige mechanische Kenngrößen für Faservolumenanteil 51% bei unidirektionalem 252 g/m²-Gelege-Laminat (unverpresst)
Das Bild 4 zeigt die Richtungsabhängigkeit der mechanischen Kenngrößen für einen Faservolumenanteil von 55% bei einem Gewicht von 245 g/m²-Gewebe-Laminat, welches während des Anhärtevorgangs bei 0,7 bar gepresst wurde. Die Abbildungen 5 und 6 geben die richtungsabhängigen mechanischen Kenngrößen für Faservolumenanteile von 40% bzw. 51% bei einem Gewebegewicht von 360 g/m² bzw. Gelegegewicht von 252 g/m², jeweils unverpresst, wieder. In der Photgrammetrie rekonstruiert man aus Abbildungen z.B. der perspektivischen Abbildung einer fotografischen Aufnahme eines Objektes seine räumliche Lage bzw. dreidimensionale geometrische Form. Durch geeignete Verarbeitung von Bildaufnahmen zu unterschiedlichen Zeit- oder Beanspruchungszuständen lassen sich Veränderungen d.h. Verformungen von Strukturen berührungslos erfassen. Diese Verfahren sind lange bekannt.
Laminatprobe
Rasterstruktur zur Photogrammetrie
Bild 7.: Exemplarische Darstellung der Versuchstechnik
Innerhalb der Methoden der experimentellen Werkstofftechnik hat sich in den letzten Jahren die Photogrammetrie als eine optimale Methode herauskristallisiert, mittels der sich Verformungs- und Dehnungsfelder auf der Oberfläche von mechanisch oder auch thermisch belasteten Strukturen zerstörungsfrei und berührungslos erfassen bzw. flächenhaft auswerten lassen. Eine Fragestellung, die im Bereich der neuen Werkstoffe, wie Verbundwerkstoff und Grenzflächenanalysen zunehmenden Stellenwert erlangt. Im Zusammenhang mit den hier vorgestellten Untersuchungen wurde das Verfahren der Photogrammetrie zur Bestimmung der Dehnungen eingesetzt und mit den von LamiCens vorgeschlagenen bzw. aus Standardzugversuchen ermittelten Werten gegenüber gestellt [9]. In Bild 7 sind der Versuchsaufbau
und eine typische gerissene Laminatprobe dargestellt. In Bild 8 sind exemplarisch die Dehnungen in Zugrichtung als Ergebnis photogrammetrischer Auswertungen der zwei Belastungszustände 2kN und 34kN gezeigt. Die Abbildung 9 gibt die experimentellen Ergebnisse von Zugversuchen für unterschiedliche Laminatstrukturen wieder.
Bild 8: Dehnung in Zugrichtung bei Belastung eines unidirektional aufgebauten Laminats bestehend aus 8 Lagen Kohlefasergelege 252 g/m² mit 2 kN (links) und 34 kN
Bild 9: Spannungs-Dehnungs-Diagramme aus Extensiometer- sowie photogrammetrischen Untersuchungen
5. Zusammenfassung Es wurden hier die Ergebnisse zu Kohlefaserverbundproben vorgestellt und zwar erstellt aus Faserhalbzeug mit einem Flächengewicht von 245g/m², als gepresster Verbund, und 360g/m², als ungepresster Verbund. Bei der gezeigten dritten Verbundprobe handelt es sich um ein unidirektional abgelegtes Kohlefasergelege mit einem Flächengewicht von 252 g/m². Für diese 3 Probentypen sind die jeweiligen Berechnungen mit LamiCens angeführt worden
und die produktionsspezifischen Kennwerte bzw. Kostenparameter sowie die richtungsabhängigen Prognosen für die mechanischen Kenngrößen angegeben worden (siehe dazu die Bilder 3 bis 6). Für die drei exemplarisch ausgewählten Probentypen sind die sich ergebenden Elastizitätsmoduln als Ergebnis aus Dehnungsmessungen mittels Extensiometer und die Gegenüberstellung mit Werten aus photogrammetrischen Untersuchungen im Bild 9 bzw. der Tabelle 1 angeführt. Die experimentell gewonnenen Ergebnisse liegen gut zusammen. Demgegenüber liegen die simulierten Werte rundweg zu hoch, was mit der unzureichenden Berücksichtigung der realen d.h. alltagspraktischen Parameter im Simulationsprogramm LamiCens zusammenhängt, die es zukünftig zu ermitteln und zu implementieren gilt.
Tabelle 1: Gegenüberstellung der ermittelten E-Moduln für Kohlefaserverbundkunststoffe Gewebe
Gelege (unidirektional)
Verpresst bei 0,7 bar
unverpresst
Faser im CFK
245 g/m²
360 g/m²
252 g/m²
LamiCens
70,3 GPa
56,6 GPa
123,0 GPa
Extensiometer
63,7 GPa
41,9 GPa
99,1 GPa
Photogrammetrie
63,9 GPa
37,7 GPa
64,7 GPa
Literatur
[1]
Michaeli, W.; Huybrechts, D.; Wegener, M.: Dimensionieren mit Faserverbundkunststoffen. München: Carl Hanser Verlag, 1995
[2]
Funke, H.: Leichtbau mit Faserverbundwerkstoffen. Skript zur Vorlesung, Universität Paderborn, 2002
[3]
Puck, A.: Einführen in das Gestalten und Dimensionieren, Beiheft zur Fachzeitschrift „Kunststoffberater“, 1969
[4]
Funke, H.: LamiCens, R&G GmbH, Version 0.9., 2004
[5]
Koke, I.: Diplomarbeit. Universität Paderborn, 2005
[6]
Carlsson, L. A.; Pipes, B. R.: Experimental Characterization of Advanced Composite Materials. Englewood Cliffs, New Jersey, United States of America: Prentice-Hall, Inc., 1987
[7]
Funke, H.: Systematische Entwicklung von Ultra-Leichtbaukonstruktionen in Faserverbund-Wabensandwichbauweise am Beispiel eines Kleinflugzeuges. Dissertation. Universität Paderborn, 2001
[8]
Firmenunterlagen: Faserverbundwerkstoffe. Handbuch Firma R&G Faserverbundwerkstoffe Edition 8, 2003
[9]
Weddige, R.: Studienarbeit. Universität Paderborn, 2005