Auszüge aus: aus: Hilary Putnam, Why Reason can’t be naturalized. In: Putnam, Realism and Reason. Philosophical Papers. Volume 3. Cambridge: Cambridge University Press1983; S. 229-247; Übersetzung aus dem Amerikanischen von Holm Tetens; das Original der übersetzten Auszüge findet sich auf den Seiten 236-238; Ich werde mein Argument in Analogie zu einem wohlbekannten Argument gegen den methodologischen Solipsismus entwickeln. Der methodologische Solipsist – man denke an Carnaps „Der logische Aufbau der Welt“ oder Machs „Analyse der Empfindungen“ – hält unsere gesamte Rede für reduzierbar r eduzierbar auf die Rede über Empfindungen und logische Konstruktionen aus solchen Empfindungen. Genauer gesagt hält er alles, was er einzusehen und zu erkennen vermag, für identisch mit dem einen oder anderen Komplex eigener Empfindungen. Was ihn zu einem methodologischen Solipsisten im Gegensatz zu einem realen Solipsisten macht, ist, dass er freundlicher Weise hinzufügt, dass auch du, lieber Leser, das „Ich“ einer solchen Konstruktion bist, falls du sie ausführst: Er sagt, dass jedermann ein methodologischer Solipsist ist. Die Schwierigkeit, die offensichtlich sein sollte, besteht darin, dass seine zwei Perspektiven haarsträubend un vereinbar miteinander sind. Seine eigene solipsistische Perspektive impliziert eine gewaltige Asymmetrie zwischen Personen: mein Körper ist eine Konstruktion aus meinem Empfindungen, aber dein Körper ist keine Konstruktion aus deinen Empfindungen. Er ist eine Konstruktion aus meinen Empfindungen. Und deine Empfindungen – betrachtet innerhalb des Systems meiner Empfindungen – ist eine Konstruktion aus deinem körperlich Verhalten, das wiederum, wie gerade gesagt, eine Konstruktion aus meinen Empfindungen ist. Meine Empfindungen sind grundsätzlich verschieden von denen einer anderen Person, in der sie das sind, woraus alles konstruiert ist. Aber diese transzendentale Einstellung des methodologischen Solipsisten soll ganz symmetrisch sein: das „du“, an das er seine Bemerkung höherer Stufe adressiert, kann dann freilich nicht das empirische „du“ seines Systems der Empfindungen sein. Doch wenn das „du“ seines Systems der Empfindungen das einzige „du“ sein soll, das er erkennen kann, dann ist seine transzendentale Bemerkung selber unverständlich. Die Moral: Sei kein methodologischer Solipsist, solange du nicht auch ein realer Solipsist bist. Betrachte jetzt die Position eines kulturellen Relativisten, der sagt: „Wenn ich etwas Wahres sage, meine ich, dass es gemäß der Normen meiner Kultur korrekt ist“. Fügt er hinzu „Wenn ein Mitglied einer anderen Kultur sagt, dass etwas wahr sei, dann meint er, dass es im Einklang steht mit den Normen seiner Kultur“, dann ist er genau in derselben Notlage wie der methodologische Solipsist. Solipsist. Um das auszuführen, nehmen wir an, R.R., ein kultureller Relativist, sagt, Wenn Charles sagt „Snow is white“, dann ist das, was Charles meint, dass Schnee weiß ist, so wie es determiniert ist durch die Normen seiner Kultur
(wir nehmen an, dass es die amerikanische Kultur ist). „Schnee ist weiß, so wie es determiniert ist durch die Normen der amerikanischen Kultur“ ist jetzt selber ein Satz, den R.R. gebrauchen muss, nicht nur erwähnen, um zu sagen, was Charles sagt. Was R.R. nach seiner eigenen Erklärung mit diesem Satz meint ist ‚Schnee ist weiß, so wie es determiniert ist durch die Normen der amerikanischen Kultur’ ist wahr auf- grund der Normen der Kultur Kultur von R.R.
(von der wir annehmen, dass es die deutsche d eutsche Kultur ist). Wendet man das auf die zuerst zuerst aufgeführte Äußerung an, so erhält erhält man Wenn Charles sagt ‚Snow is white’, dann ist, was Charles meint, dass es aufgrund der Normen der deutschen Kultur wahr ist, dass es aufgrund der Normen der amerikanischen Kultur wahr ist, dass Schnee weiß ist.
Es gilt ganz allgemein: Wenn R.R. irgendeine Äußerung p, die er gebraucht, immer gemäß der Bedeutung „es ist aufgrund der Normen der deutschen Kultur wahr, dass p“ versteht, dann muss er seine eigenen hermeneutischen Äußerungen, also die Äußerungen, die er gebraucht, um andere zu interpretieren, auch auf diese Weise verstehen, gleichgültig mit wie vielen Einschränkungen des Typs „aufgrund der Normen der amerikanischen Kultur“ oder mit wie vielen Fußnoten, Anmerkungen, Kommentaren über kulturelle Differenzen oder was auch immer er sie versieht. Andere Kulturen werden gewissermaßen zu logischen Konstruktionen aus den Vorgehensweisen und Praktiken seiner deutschen Kultur. Wenn er dann hinzuzufügen versucht, dass die Situation vom Standpunkt der anderen Kultur aus betrachtet genau umgekehrt sei, landet er in demselben Dilemma, in dem sich der methodologische Solipsists wiederfindet: Die transzendentale Behauptung einer symmetrischen Situation kann gar nicht verstanden werden, falls die relativistische Doktrin zutreffen sollte.
Gerade so wie ein methodologischer Solipsist in realer werden kann, kann ein Kulturrelativist zu einem Kulturimperialisten werden. Er sagen sagen: „Nun denn, Wahrheit – der einzige Begriff von Wahrheit, der für mich verständlich ist – ist durch die Normen meiner Kultur definiert“. („Schließlich“, so kann er hinzufügen, „auf welche Normen sollte ich mich verlassen? Auf die Normen der Kultur von irgendjemand anderen?“) Eine solche Sichtweise ist überhaupt nicht mehr relativistisch. Sie postuliert einen objektiven Begriff von Wahrheit, obwohl einer, der das Produkt unserer Kultur sein soll und der durch Kriterien unserer Kultur zu definieren ist (ich unterstelle hier, dass der Kulturimperialist einer unserer Leute ist). Wie ein konsistenter Solipsismus vom Realismus ununterscheidbar wird (wie Wittgenstein im Tractatus sagt), genauso wird auch der konsistente Kulturrelativismus ununterscheidbar vom Realismus. Doch kulturimperalistischer Realismus ist eine besondere Spezies des Realismus. Er ist realistisch insofern, als er einen objektiven Unterschied akzeptiert zwischen dem, was wahr ist, und dem, was bloß für wahr gehalten wird. (Ob er widerspruchsfrei diesen Unterschied erklären kann, steht freilich auf einem anderen Blatt.) Der kulturimperialistische Realismus ist kein metaphysischer oder transzendentaler Realismus, weil für ihn Wahrheit nicht über das hinausgeht, was zu Recht behauptet werden kann, während das gerade im metaphysischen Realismus der Fall ist. Aber der Begriff der gerechtfertigten Behauptbarkeit ist durch ‚Kriterien’ in einem positiven Sinne festgelegt: etwas ist lässt sich gerechtfertigter Weise nur dann behaupten, wenn die Normen der eigenen Kultur beinhalten, dass es so ist; diese Normen werden gewissermaßen als operationale Definitionen der gerechtfertigten Behauptbarkeit angesehen. Ich weiß nicht, ob irgendein Philosoph die Dinge tatsächlich so sieht, obwohl viele Philosophen sich manchmal zu Formulierungen haben hinreißen lassen, als ob sie es täten. […] Wie auch immer, die Sicht des Kulturimperialismus widerlegt sich jedenfalls selbst, zumindest in unserer Kultur. Ich habe das an anderer Stelle diskutiert; das Argument dreht sich um die Tatsache, dass unsere Kultur, anders als totalitäre oder theokratische Kulturen, keine ‚Normen’ kennt, die philosophische Fragen entscheiden. […] Daher lässt sich der Satz Ein Satz ist nur dann wahr (oder lässt sich nur dann gerechtfertigt behaupten), wenn er sich gemäß der Normen der modernen europäischen und amerikanischen Kultur behaupten lässt
weder behaupten noch widerlegen auf eine Weise, die jedermann Zustimmung abnötigt, der nicht von den Normen der modernen europäischen oder amerikanischen Kultur abweicht. Deshalb gilt: Wenn der Satz wahr ist, so folgt daraus, dass er nicht wahr ist (oder nicht zu Recht behauptet werden kann). Also ist er nicht wahr. Quod erat demonstrandum.
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