Die wundersame Wandlung einer missratenen Tochter Teil 1 Für ihre 18 Jahre war Monika schon ein rechtes Miststück: Rauchen wie ein Schlot, ungehemmter Alkoholgenuss, wegen Drogenmissbrauch und Diebstahl mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, Kiffen war für sie so selbstverständlich wie das Stehlen im Elternhaus. Schule und Ausbildung hatte sie abgebrochen, oder besser gesagt, war rausgeflogen, und hatte nichts Besseres zu tun, als die meiste Zeit des Tages mit ziemlich fragwürdigen Typen herumzuhängen. Wie kann ein junges Mädchen nur so tief sinken? Bis zu ihrem 16. Lebensjahr war sie ein fröhlicher Teenager, sportlich veranlagt mit einer tollen Figur. Jetzt, mit 18 Jahren, waren die Folgen von Drogenund Alkoholexzessen schon deutlich sichtbar, dunkle Ringe unter den Augen, und ihr Körper fing an etwas schwammig zu wirken. Dr. Erich Heinemann und seine Frau Helga konnten es nicht verstehen, Monika hatte es nie an irgendwas gefehlt, an der Erziehung konnte es auch nicht liegen, schließlich hatten ihre zwei älteren Brüder Schule und Ausbildung/Studium mit sehr gutem Erfolg durchlaufen und waren in ihren Berufen erfolgreich. Doch trotz allem hielten Heinemanns zur ihrer Tochter, ihr ganzes Bestreben war darauf gerichtet, Monika auf einen vernünftigen Lebensweg zu bringen. Es war Anfang April, als es zur Mittagzeit an der Haustür schellte, Erich Heinemann, der zur Mittagspause nach Hause gekommen war, ging zur Tür und machte sie auf. Draußen stand ein Postbote, der einen Einschreibebrief für Monika in der Hand hielt. Herr Heinemann rief seiner Frau zu, sie solle ihrer Tochter Bescheid sagen, dass sie den Empfang eines Briefes zu quittieren hätte. Frau Heinemann ging nach oben und scheuchte ihre Tochter aus dem Bett: „Da ist ein Einschreibebrief für Dich, komm bitte sofort herunter und nimm den Brief in Empfang.“ Monika quälte sich verkatert aus dem Bett und ging, nur mit einem Sleepshirt an, die Treppe hinunter zum Postboten hin. „Unsere Tochter war gestern auf einer Feier, da ist es wohl etwas spät geworden.“ versuchte Erich Heinemann das Aussehen seiner Tochter zu entschuldigen. „Das kommt bei jungen Leuten ja mal vor.“ sagte der Postbote, dem aber anzusehen war, dass er die Lebensgewohnheiten von Monika kannte. Er ließ sich den Brief quittieren, wünschte noch einen schönen Tag und ging seiner Arbeit nach. Monika wollte schon wieder nach oben, um sich noch einmal ins Bett zu legen, doch ihre Eltern wollten wissen, was es mit dem Brief auf sich hätte, es blieb ihr nichts anders übrig als das Schreiben gleich zu lesen. Kaum hatte sie den Brief geöffnet und die ersten Zeilen überflogen, als sie auch schon anfing zu fluchen, das Schreiben auf den Boden warf und wieder ins Bett ging. Erich Heinemann hob ihn auf und las ihn durch, worauf er seine Frau ansah und sagte: „Jetzt haben wir den Salat, Monika muss, weil sie die ihr auferlegten Sozialstunden nicht abgearbeitet hat, für 3 Wochen in die Vollzugsanstalt.“ „Das darf doch nicht wahr sein,“ rief Helga Heinemann entsetzt, „lässt das Mädchen denn nichts aus, um sich selbst fertig zu machen? Auf keinen Fall darf sie in eine Vollzugsanstalt, Erich, du musst etwas unternehmen, der Staatsanwalt ist doch im gleichen Golfclub wie Du.“ „Du hast vielleicht Nerven,“ meinte er, „was soll ich ihm denn sagen? Hallo, wir kennen uns doch und ist es vielleicht möglich, unserer Tochter die Strafe zu erlassen? „Natürlich nicht, aber vielleicht gibt es einen Weg ihr einen Gefängnisaufenthalt zu ersparen, solche Leute wie der Staatsanwalt kennen möglicherweise noch andere Wege, versuchen könntest Du es doch einfach mal.“ „Was glaubst Du wohl, wie peinlich mir das Ganze ist, aber wahrscheinlich ist das der einzige Weg, den
wir in dieser Situation überhaupt noch gehen können, ich werde heute Nachmittag bei ihm im Büro vorbeifahren.“ Erich Heinemann hielt Wort, am Nachmittag kurz vor Dienstschluss ging er zum Gericht und bekam tatsächlich einen Termin bei Staatsanwalt. Nach dem Austausch allgemeiner Höflichkeiten kam Heinemann dann auch schnell zum Thema und wollte von seinem Golffreund wissen, ob es noch einen Ausweg gäbe. Der überlegte eine ganze Weile, sah Heinemann mit festem Blick an und sagte: „Ja, es gibt eine Möglichkeit die Haftstrafe abzuwandeln, aber sie ist mehr als hart, hätte aber den großen Vorteil, dass Eure Monika keinen Kontakt mehr mit ihrem Umfeld hat, außerdem keinen Zugriff mehr auf Drogen, Alkohol und Nikotin. Der Nachteil dieser Aktion wäre, dass sie mindestens ein Jahr dauert, und Ihr in dieser Zeit keinen Kontakt mit ihr hättet, auch die monatlichen Kosten mit ca. 1500 Euro sind nicht unerheblich. Dazu kommt, dass Eure Tochter sich schriftlich damit einverstanden erklären müsste, sonst geht es nicht, schließlich ist sie volljährig. „Für die Einverständniserklärung sorge ich, worauf Du Dich verlassen kannst, auch die Kosten sind in Ordnung, denn es wäre wirklich eine Chance ihr Leben wieder in Ordnung zu bringen, doch wäre es jetzt nicht an der Zeit, mir etwas Genaueres zu erzählen?“ Nachdem der Staatsanwalt Herrn Heinemann schwören ließ, nichts von der folgenden Unterhaltung weiterzuverbreiten, fing er an zu erzählen. Über eine halbe Stunde zog sich der Bericht hin, und nachdem der Staatsanwalt geendet hatte, sagte Erich Heinemann überwältigt: „Das es so etwas bei uns in Deutschland gibt, hätte ich nicht für möglich gehalten, die Idee ist zwar fremdartig, aber ich bin begeistert. Innerhalb von 2 Tagen hast Du das schriftliche Einverständnis meiner Tochter hier auf dem Schreibtisch liegen, wie lange wird es dann bis zum Beginn der Aktion dauern?“ „Ein paar Dinge muss ich noch abklären, aber von heute an in einer Woche, ja, das müsste hinhauen. Stell Dich also auf eine Woche ein, Deine Tochter braucht weiter nichts mitzunehmen als die Kleidung, die sie auf dem Leib hat, für alles andere wird dort gesorgt.“ und gab ihm noch einen Vordruck für die Einverständniserklärung mit.
Teil 2 Erich Heinemann fuhr auf dem direkten Weg nach Haus, um sich dort gleich mit seiner Frau zu unterhalten. Nun durfte er ihr nicht genau erklären, um was es dabei ging, nur soviel konnte er ihr sagen: Sie würden mindestens ein Jahr lang keinen Kontakt mit Monika haben, doch sie wäre an einem Ort, der ihr helfen würde, zu einem ordentlichen und geregeltem Leben zurückzufinden. Anfangs war das Vorhaben für Helga Heinemann etwas dubios, doch in Anbetracht der Möglichkeiten, die sich da auftaten, ließ sie sich nach einiger Zeit für den Plan gewinnen. Jetzt bestand die größte Schwierigkeit darin, von ihrer Tochter eine Einverständniserklärung zu bekommen. Die Beiden überlegten lange und beschlossen, sich noch einmal vernünftig mit Monika zu unterhalten, ob sie nicht aus freien Stücken bereit wäre, etwas für ihr weiteres Leben zu unternehmen. Es war schon wieder dunkel, als Monika endlich aus ihrem Zimmer kam um noch auf Tour zu gehen. Als sie die Treppe heruntergegangen war, wurde sie von ihren Eltern aufgefordert ins Kaminzimmer zu kommen, da sie mit ihr noch etwas zu besprechen hätten. Ziemlich widerwillig folgte sie der Aufforderung und setzte sich auf eine Sessellehne. „Monika,“ fing ihr Vater an, „wir müssen unbedingt über Deine Zukunft reden, so geht es nicht mehr weiter.“ „Jetzt hört doch mal auf mich ständig zu nerven,“ erwiderte sie aufgebracht, „ich kann die alte Leier nicht mehr hören: Mach was aus Deinem Leben, nimm Dir ein Beispiel an Deinen Brüdern, Du bist ständig mit den
verkehrten Leuten zusammen, Du solltest nicht rauchen und keinen Alkohol trinken, und, und, und. Meine Güte, von Euern gutgemeinten Ratschlägen habe ich die Fresse endgültig voll, das könnt ihr mit glauben.“ „Und was ist mit der Haftstrafe, die Du in einigen Tagen antreten musst?“ fragte ihre Mutter. „Ach du heilige Scheiße,“ sagte Monika, „an die verdammte Haftstrafe habe ich überhaupt nicht mehr gedacht, Papa, Du musst mir helfen.“ „Sieh mal an, jetzt auf einmal werde ich wieder gebraucht, aber nur weil Fräulein Tochter ganz dick in der Patsche sitzt.“ knurrte Heinemann verbittert. „Aber ich habe Dich noch nie im Stich gelassen, und da ich mir vorstellen konnte, dass so etwas in dieser Richtung passiert, habe ich mich bereits erkundigt, was man unternehmen könnte.“ Damit sagte er zwar nur die halbe Wahrheit, aber kurzfristig hatte er einen Plan geschmiedet, um an die Unterschrift seiner Tochter heranzukommen. „Es ist so,“ fing er gerade an zu erzählen, „wenn Du einen Tag bevor Du die Haftstrafe antreten musst Dich bei einer bestimmten Adresse meldest, könnte es sein, dass Du um die JVA herumkommst. Dazu bräuchtest Du nur eine Einwilligungsbestätigung zu unterschreiben, die ich bereits besorgt habe.“ Im gleichen Augenblick war von draußen ungeduldiges Hupen zu hören, Monika sagte sie müsse sofort los, ihr Bekannter würde schon warten, ihr Vater solle einfach tun, was er für richtig hielte. Mit diesen Worten sprang sie auf und wollte zur Haustür, doch ihr Vater rief sie noch einmal zurück und hielt ihr einen Kugelschreiber hin. „Unterschreib das schnell, dann kann ich alles in die Wege leiten, und Du kannst von mir aus zu Deinen Freunden gehen.“ „Dann gib den Wisch doch her,“ gab sie schnodderig zurück und setzte ihre Unterschrift unter das Dokument, einen Augenblick später war sie auch schon durch die Haustür verschwunden. „Das lief ja besser als ich dachte,“ seufzte Heinemann erleichtert und sah seine Frau an, die inzwischen Zweifel an der Richtigkeit des geplanten Unternehmens bekommen hatte. Ihr Mann beruhigte sie aber schnell, denn sie hätte ja auch nun wieder gesehen, dass ihre Tochter vollkommen uneinsichtig wäre und es keinen anderen Weg geben würde, als die geplante Aktion in Angriff zu nehmen. Gleich am nächsten Tag fuhr Heinemann mit der Erklärung seiner Tochter zu dem Staatsanwalt, der sich von ihm schriftlich bestätigen ließ, dass sie die Unterschrift freiwillig geleistet hätte. Das tat er nur zu gerne und bekam die Order, sich in fünf Tagen am Vormittag zusammen mit seiner Tochter in der Hafenstadt Lauwersoog in den Niederlanden einzufinden. Er solle den Wagen möglichst weit entfernt parken und dann zum Fischereihafen kommen, bei den vier Energiewindmühlen würde jemand auf ihn warten, alles andere würde er dort erfahren.
Teil 3 Einen Tag vor der Abfahrt nach den Niederlanden bat Erich Heinemann seine Tochter, den Abend zu Hause zu verbringen, da sie am nächsten Tag zeitig wegfahren müssten. Monika versprach ihrem Vater, dass sie nicht lange wegbleiben würde, sie wolle nur kurz zur einer Freundin gehen. Natürlich hielt sie sich nicht an ihre Zusage, erst am nächsten Morgen um 6.00 Uhr kam sie wieder nach Hause, blau wie ein Veilchen. Ihr Vater hatte in dieser Nacht vor lauter Sorge, dass sie überhaupt nicht auftauchen würde, so gut wie nicht geschlafen und war dementsprechend sauer. Er ließ ihr weder Zeit zum Umziehen noch zum Frühstücken, sondern verfrachtete sie hinten in den Wagen und fuhr los Richtung Niederlande. Während der ganzen Fahrt schlief Monika auf der Rückbank, ein säuerlicher Geruch von ihrem Alkoholatem verpestete die Luft im Wageninneren. Nach fast vier Stunden Autofahrt kamen sie endlich in Lauwersoog an, Heinemann parkte seinen Wagen verabredungsgemäß am Stadtrand, von da aus hatten sie eine Viertelstunde zum Alten Hafen zu laufen.
Monika war unterwegs nur am meckern, sie wollte einen Kaffee trinken, außerdem müsste sie unbedingt mal auf die Toilette, doch Heinemann war absolut nicht in der Stimmung, auf die Wünsche seiner missratenen Tochter einzugehen. Im Fischereihafen wurden sie bereits von einem deutschen Rechtsanwalt erwartet, der sich mit dem Namen Rolf Meyerdirks vorstellte. Er erkundigte sich nach dem Verlauf der Fahrt, und Heinemann bestätigte ihm, dass es unterwegs keine Probleme gegeben habe, bei der Grenze hätten sie durchfahren können, auch hätten sie unterwegs nicht einen Stopp eingelegt. Anwalt Meyerdirks führte sie zu einem Fischkutter, dessen Diesel leise brummte. Nun wurden sie aufgefordert an Bord zu kommen, doch jetzt wurde Monika die Sache unheimlich, sie fragte ihren Vater was sie auf einem dreimal verfluchten, stinkenden Fischkutter zu suchen hätten. Ihr Vater gab ihr zu verstehen, dass es an Bord zumindest eine Toilette geben würde. Bei dem Druck, den sie auf der Blase hatte, hetzte sie geradezu auf das Schiff und verschwand auf der Toilette. Auch Meyerdirks und Heinemann gingen nun an Bord, und noch während Monika auf der Toilette saß, wurden Vor- und Achterleine und die Springs losgeworfen, der Kutter schob sich langsam von der Kaimauer weg und nahm Fahrt auf , verließ den Hafen auf dem Zoutkamperlaag, um dann über das Westgat zwischen Ameland und Schiermonnikoog die Nordsee zu erreichen. Als Monika von der Toilette zurückkam ging sie auf den Steuerstand um zu erfahren, wohin die Reise gehen sollte. Da ihr Vater und sie kein Gepäck mitgenommen hatten, konnte es nach ihrer Meinung nicht allzu weit sein. Auf dem Steuerstand angekommen wurde ihr ein Becher Kaffee angeboten, den sie dankbar annahm, auch gab es frisches holländisches Weißbrot, dick mit Butter bestrichen und mit Ham (gekochter Schinken) belegt. Nachdem sie herzhaft gegessen hatte und von dem starken Kaffee wieder klar im Kopf war, wollte sie nun endlich wissen, was es mit dieser Reise auf sich hatte. Das war nun für Erich Heinemann der schwierigste Moment, und etwas hilflos sah er Anwalt Meyerdirks an. „Vielleicht sollten wir das Gespräch unten in der Messe weiterführen.“ schlug er vor und so begab man sich in den Mannschaftsraum, der im Moment verlassen war. Nachdem die Drei sich an einen Tisch gesetzt hatten fragte Monika nach einer Zigarette, die ihr auch bereitwillig angeboten wurde, sie konnte zu diesem Zeitpunkt auch nicht wissen, dass es die letzte ihres Lebens war. „Ja, Monika,“ hob Meyerdirks an, „es ist einfach so, dass Du im Moment große Probleme hast, so wie mir gesagt wurde. Du hast Schule und berufliche Ausbildung abgebrochen, bist mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, solltest sogar für einige Wochen ins Gefängnis kommen, es sieht also wirklich nicht gut aus mit Dir. Wenn Du so weitermachst wie bisher, hast Du in Deinem Leben keine Chance.“ „Was ist hier eigentlich los,“ giftete Monika Anwalt Meyerdirks an, „sind sie vielleicht mit meinem senilen Vater in eine Schulklasse gegangen und schon genauso bescheuert wie er? Ich will sofort wieder an Land, aber augenblicklich, diesen Käse hier mache ich nicht mit.“ „Liebe Monika, sie werden an Land kommen, aber Ihr Weg führt nicht nach Hause zurück, sondern für Sie geht es in eine Art neue Welt, in eine Welt, in der nur ein Mensch zählt, der sich in eine Gemeinschaft einfügen kann, der bereit ist, für seinen Lebensunterhalt hart zu arbeiten.“ „Ihr könnt mich mal alle Beide kräftig am Arsch lecken, aber hochkant, Ihr Spinner. Ich gehe nirgendwo hin, ich fahre sofort zurück nach Hause. Also dreht diesen gammeligen Fischeimer um und bringt mich zurück, aber sofort, sonst zeige ich Euch wegen Freiheitsberaubung an, das schwöre ich Euch.“
„Nein, da hättest Du wahrscheinlich wirklich keine Hemmungen,“ sagte ihr Vater, „aber die einzige Möglichkeit, Dir die Schande eine Gefängnisaufenthalts zu ersparen, ist dieser Weg. Die rechtlichen Möglichkeiten hast Du mir doch selbst gegeben, erinnerst Du Dich daran, wie Du mir den Vordruck unterschrieben hast, es ist gerade eine Woche her. Damit hast Du Dich einverstanden erklärst, für mindestens ein Jahr die Verantwortung für Dein Leben in unsere Hände zu legen, und glaube mir, wir wollen nur das Beste für Dich.“ „Jetzt begreife ich erst, was hier gespielt wird,“ brüllte Monika die beiden Männer an, „ich passe nicht in Euer so perfektes Familienleben hinein, also schiebt man mich einfach ab, verschwunden in der Versenkung. Aber damit kommt Ihr nicht durch, das könnt ihr mit mir nicht machen. Ich weiß zwar nicht, was Ihr vorhabt und wo Ihr mich hinbringen wollt, aber das kann ich Euch jetzt schon sagen, egal wo das sein soll, da werden mich keine 10 Pferde halten.“ Nach diesen Worten sprang sie auf und wollte zur Tür hinauslaufen, doch hatte sie nicht mit den Matrosen rechnen können, die vorsichtshalber vor der Tür postiert waren. Die fackelten nicht lange, packten Monika und drehten ihr die Arme auf den Rücken, um sie dort mit einem Tau zusammenzubinden. Monika fing an zu treten, aber auch das hatte keinen Sinn, mit einem zweiten Ende Tau wurden ihr nun auch noch die Fußgelenke zusammengebunden. Völlig wehrlos wurde sie wieder auf die Bank in dem Mannschaftsraum verfrachtet, wollte gerade wieder anfangen zu brüllen, als Anwalt Meyerdirks aufstand und ihr eine Ohrfeige verpasste. Niemals in ihrem Leben war sie geschlagen worden, und jetzt schlug sie ein fremder Mann im Beisein ihres Vaters. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihren Vater an, der aber setzte einen abweisenden Gesichtsaufdruck auf. „Jetzt hörst Du ganz genau zu, Du kleines Luder,“ schrie Meyerdirks sie an, „ab sofort machst Du keine Schwierigkeiten mehr, denn ich entscheide nach einem Jahr, ob Du Deine Lektion gelernt hast oder nicht, wenn Du nicht mitspielst kann es sein, dass Du Deine Eltern für Jahre nicht mehr siehst, haben wir uns jetzt verstanden?“ In so einem rauhen Ton hatte noch keiner mit ihr geredet, allmählich fing sie an zu begreifen, dass sich in ihrem Leben einiges ändern würde, ob sie wollte oder nicht.
Teil 4 Inzwischen hatte der Kutter Lauwersoog weit hinter sich gelassen und fuhr durch das friesische Zeegat zwischen Ameland und Schiermoonikoog auf die offene Nordsee zu. Die Matrosen hatten die immer noch gefesselte Monika an Deck gebracht, der es inzwischen vollkommen egal war was passierte, sie war derartig seekrank, so dass sie nur noch über einer Pütz (Schiffseimer) kniete und sich die Seele aus dem Leib kotzte. So bekam sie es überhaupt nicht mit, dass der Kutter bei einer Tjalk längseits ging, und sich die beiden Mannschaften herzlich begrüßten. Auf einmal wurde sie gepackt und von dem Kutter auf die Tjalk befördert, sie sah ihren Vater noch einmal winken, doch dann forderte Neptun wieder sein Recht, denn die Tjalk schaukelte in dem Moment noch mehr als der Kutter. Erst als die Segel gesetzt wurden war es mit der wilden Schaukelei der Tjalk vorbei, sie hatte zwar etwas Schräglage, aber schaukelte nicht mehr wie blöd hin- und her sondern glitt ruhig und majestätisch durch die Wellen. Langsam wurde Monika bewusst, dass ihr Vater sie allein gelassen hatte, nur der verhasste Meyerdirks war an Bord. Einer der Männer kam zu ihr und löste die Fesseln, gab ihr dabei zu verstehen, dass sie keinen Ärger machen und ruhig an Deck sitzen bleiben solle.
Nach einer Weile fing sie an zu frieren, im April ist es auf dem Meer immer noch sehr kalt. Wie ein Häufchen Elend saß sie zusammengekauert auf dem Deck und klapperte mit den Zähnen, als einer der Männer ihr einen dicken Rollkragenpullover brachte, den sie sich überziehen sollte. Kaum hatte sie den Pullover in den Händen, als ihr ein seltsamer Geruch daran auffiel, es war eine Mischung von Körperschweiß, feuchten Räumen und altem Fisch. „So einen Lumpen ziehe ich nicht an, den Gestank kann doch kein normaler Mensch aushalten, mit besten Dank zurück!“ giftete sie den Seemann an und warf ihm den Pullover vor die Füße. Der zuckte nur mit den Schultern, hob den Pullover auf und nahm ihn wieder mit unter Deck. Langsam fing sie an ihre Umgebung aufmerksamer zu beobachten, als erstes fiel ihr die altmodische Kleidung der drei Männer auf, die das Schiff führten. „Das sind doch bestimmt Leute von einem dieser historischen Segelvereine.“ dachte sie bei sich. Mit einem Mal sah sie Meyerdirks den Niedergang hochkommen, sie konnte sich ein lautes Lachen nicht verkneifen, denn jetzt trug er einen Anzug, der vielleicht vor 100 Jahren mal modern gewesen war. Meyerdirks sah sie nur stumm an, sagte weiter nichts und ging auf das Achterschiff zur Besatzung, um sich dort mit ihnen zu unterhalten. Mit einem Mal sah Monika von ihrem Platz in Fahrtrichtung der Tjalk ein weiteres Segel, scheinbar kam ihnen ein anderes Segelschiff entgegen. Falls das nicht auch so ein dreimal verdammter Schlickrutscher von diesem bescheuertem Segelverein war, konnte das ihre Rettung bedeuten. Wenige Minuten später konnte sie das andere Schiff gut erkennen, es war eine moderne Segelyacht, die jetzt direkt auf die Tjalk zukam. Als beide Schiffe auf gleicher Höhe waren, sprang sie auf und fing mit beiden Armen an zu winken und um Hilfe zu rufen, doch bevor die Besatzung der Segelyacht ihr Winken und Rufen begreifen konnte, stand einer der Seeleute neben ihr und winkte ebenfalls der Yacht zu, dabei packte er mit seiner Hand Monikas Oberarm und drückte ihn so fest, dass ihr die Hilferufe im Hals stekkenblieben. Auch die Besatzung der Segelyacht winkte nun und rief Grußworte herüber, keiner hatte ihre Notlage bemerkt, Sekunden später waren die Schiffe aneinander vorbeigefahren und der Abstand vergrößerte sich zusehends. Der Seemann hielt Monikas Arm immer noch fest und führte sie zu dem Niedergang hin. „Runter mit Dir, Du Miststück, ich hab Dir doch gesagt, dass Du keinen Ärger machen sollst.“ Untern angekommen hatte sie sich auf eine Bank zu setzten, ihr Aufpasser öffnete eine Kiste und holte eine kurze Kette heraus. Mit den Worten: „Wer nicht hören kann, muss fühlen!“ legte er das eine Ende der Kette um ihren Hals und sicherte es mit einem Vorhängeschloss, das andere Ende wurde an einer Öse angeschlossen, die in den Boden der Schiffsmesse eingelassen war. Monika ließ es ruhig mit sich geschehen, es kam keinerlei Gegenwehr von ihr, doch als sie richtig begriffen hatte, was man mit ihr gemacht hatte, stieg ihr die Wut von den Zehenspitzen bis zum Kopf hoch. „Du verdammter Hurensohn, was fällt Dir ein, sofort machst Du die Kette los, wessen Geistes Kind glaubst Du eigentlich zu sein, Du primitives Arschloch.“ Der Seemann sah sie an und gab ihr den Rat, sich ab sofort ruhig zu verhalten, für ihre Beschimpfungen und Flüche würde sie später ihre Strafe bekommen, sollte er jetzt noch auch nur einen Ton von ihr hören, würde er ihr die Hände zusammenbinden und seine alten Socken als Knebel für sie gebrauchen. Nach diesen Worten drehte er sich um und ging wieder an Deck, fest in dem Glauben, Monika ruhig gestellt zu haben. Doch die gab nicht so schnell auf, sie sprang auf und riss an der Kette, versuchte das einfache Schloss zu zerstören, aber alle ihre Bemühungen waren vergeblich. Sie sah sich in der Messe um, hier müsste es doch etwas geben, mit dem die Schlösser zu öffnen wären, doch ihre Kette war so kurz, dass sie nirgends
ankam. Entmutigt ließ sie sich auf die Bank zurückfallen, im Moment konnte sie nichts ausrichten, doch irgendwann würde die Bootsfahrt ja wohl ein Ende haben, und dann würde sie mit Sicherheit einen Weg finden, ihren Aufpassern zu entkommen.
Teil 5 Allmählich wurde Monika etwas ruhiger und fing an, über ihre neue Lage nachzudenken. Ihre Eltern sah sie als Verräter an, zumindest ihr Vater war zu 100 Prozent an der Entführung beteiligt. Wieder kam Wut in ihr auf: Was wollte der Alte damit erreichen? Während sie noch Rachepläne schmiedete, hörte sie jemanden den Niedergang herunterkommen, Anwalt Meyerdirks kam zu ihr in die Messe. Wieder musste sie lachen, als sie seinen altmodischen Anzug sah, Meyerdirks jedoch sah sie ganz ruhig an und fragte sie höflich, ob sie noch eine Ohrfeige haben wolle. Schlagartig war Monika still, so langsam bekam sie es mit der Angst zu tun. Der Anwalt wollte von ihr wissen, was für ein Gefühl es wäre, angekettet wie ein Hund allein in der Messe zu sitzen. Das war zuviel für ihre Nerven, wie eine Rakete schoss sie hoch und wollte sich auf Meyerdirks stürzen um ihm die Augen auszukratzen, doch nach zwei Schritten wurde sie schmerzhaft durch die Kette gestoppt. Ihr wurde schlecht vor Schmerzen und mit einem Röcheln setzte sie sich wieder auf die Bank. Meyerdirks schüttelte nur mit dem Kopf und meinte: „Sehr unvernünftig von Dir, in der Tat, sehr unvernünftig.“ und setzte sich zu ihr an den Tisch. „Kann ich jetzt vernünftig mit Dir reden oder brauchst Du noch erst eine Stunde, um Dich wieder zu beruhigen?“ „Ich bin ja schon ruhig“ sagte sie leise und rieb sich den Hals, „was bleibt mir denn anders übrig?“ „So gefällt mir das schon wesentlich besser, doch das nächste Mal, wenn du mir antwortest, sagst Du gefälligst: „Ich bin ja schon ruhig, Herr Meyerdirks. Hast Du das verstanden?“ „Ja, das hab ich verstanden.“ „Wie bitte?“ fragte Meyerdirks. „Ja, das habe ich verstanden, Herr Meyerdirks.“ „Na also, bei Dir scheint ja noch nicht alles verloren zu sein, da gibt es durchaus noch Hoffnung, ja, durchaus noch Hoffnung. Nun möchtest Du sicher gerne wissen, in was Du hier hereingeraten bist.“ Monika nickte mit dem Kopf und sah den Anwalt erwartungsvoll an, dachte aber bei sich: „Dich Arschloch mache in auch noch fertig.“ „So wie mir Dein Vater berichtete, hast Du in den letzten 2-3 Jahren eine ganze Menge von Problemen gehabt, Drogen, Alkohol, schlechter Umgang, Gesetzesübertretungen, dazu kommt, dass Du Deinen Eltern nicht den gehörigen Respekt erwiesen hast, das ist unverzeihlich, in der Tat, unverzeihlich.” Monika zog sich bei diesen Worten vor Frust der Magen zusammen, dieses dämliche Gesülze hatte sie sich schon oft genug anhören müssen, und am liebsten hätte sie Meyerdirks den Hals umgedreht, doch sie blieb ruhig sitzen und sah ihn nur erwartungsvoll an. „Nun, meine liebe Monika“ sprach er weiter, „das nächste Jahr Deines Lebens wird bestimmt ganz anders verlaufen, als Du Dir das vorstellen kannst. Es ist nicht unsere Absicht, Dich irgendwo einzusperren, ganz im Gegenteil. Du wirst viel arbeiten, hauptsächlich an frischer Luft, es gibt eine deftige und gesunde Ernährung, und auch Dein Geist wird neu belebt werden, ja, neu belebt werden.“ „Das hört sich sehr gut an, Herr Meyerdirks,“ flötete sie schlangenfalsch, „doch können Sie mir bitte nicht verraten, was da auf mich zukommt, ich möchte mich doch gerne darauf einstellen können, um Sie nicht zu enttäuschen.“
Das war Musik in Meyerdirks Ohren, wohlwollend sah er Monika an und erzählte weiter: „Es gibt in Ostfriesland eine ganze Region, die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, wir haben uns selbst die Bezeichnung „Land der alten Dörfer“ gegeben. In unserem Land gibt es fünf Dörfer, in einem von ihnen wirst Du das nächste Jahr leben.“ „Ich habe noch nie von einem Land der alten Dörfer gehört, Herr Meyerdirks, wo liegt denn dieses Land genau?“ fragte Monika, die sich im Geist schon aus diesem seltsamen Land möglichst schnell verschwinden sah. „Hinter Emden liegt die sogenannte Krummhörn, was auf Hochdeutsch Krummes Horn bedeutet, da dieses Gebiet auf einer Landkarte auch so aussieht.“ Meyerdirks holte Papier und Bleistift und fertigte eine grobe Skizze an. Als er fertig war, schleimte Monika: „Sie haben aber Talent zum Zeichnen, Herr Meyerdirks, das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.“ Anwalt Meyerdirks blähte sich auf wie ein Pfau und wehrte das Kompliment halbherzig ab: „Aber nein, meine liebe Monika, so gut ist es nun auch wieder nicht geworden, in der Tat, nicht geworden.“ Bevor Monika, die den Anwalt schon so schön um den Finger gewickelt hatte, ihn noch weiter ausfragen konnte, wurde vom Deck aus runtergerufen: „Meyerdirks, kumm no boben, we bünt dor, dat Wicht kann glicks nokommen.“ Monika verstand kein Wort und fragte: „Was hat er gesagt, Herr Meyerdirks, ich habe kein Wort verstanden.“ „Ich soll nach oben, wir sind jetzt am Ziel, und wirst auch gleich nach oben gebracht. Das war übrigens unserer Plattdeutsch, je eher Du es lernst, umso besser, bei uns wird fast nur Platt gesprochen.“ Kaum war der Anwalt verschwunden, als der Seemann von vorhin in die Messe kam und Monikas Kette an der Öse löste, sie an ihrer Kette an Deck führte und dort ihre Hände hinter dem Rücken zusammenband. Die Tjalk hatte inzwischen kurz vor der Küste geankert und die Segel geborgen. Das Beiboot wurde zu Wasser gelassen, Meyerdirks und 2 Seeleute stiegen ein, zum Schluss wurde Monika hineinbugsiert. Mit kräftigen Riemenschlägen ruderten sie auf den Strand zu, als der Bug im Sand knirschte und das Boot am Strand lag, wurde Monika herausgehoben. Einer der Männer blieb als Wache beim Beiboot zurück, der andere nahm das lose Ende der Kette und zog Monika in Richtung Deich, Meyerdirks stapfte mühsam hinterher. Oben auf der Deichkrone blieben sie stehen um auf Meyerdirks zu warten, der nur mühsam hinterher kam, Monika schaute sich um und ihr Blick fiel auf ein kleines Dorf, das dicht unter dem Deich lag. Sie schaute etwas näher hin, konnte nicht glauben, was sie dort sah und sagte nur: „Ach du heilige Scheiße, das darf doch nicht wahr sein.“
Teil 6 Als Meyerdirks auch endlich auf der Deichkrone angekommen war, ruckte der Seemann an der Kette und die Drei gingen den Deich hinunter auf das Dorf zu. Auf dem Weg zur Dorfmitte begegneten sie einigen Leuten, die zwar kurz und freundlich grüßten, aber von einer jungen Frau mit einer Kette um den Hals kein Aufhebens machten. Monika verstand die Welt nicht mehr, am frühen Morgen war sie von ihrem Vater ins Auto verfrachtet worden, nach einer scheinbar längeren Autofahrt, von der sie nichts mitbekommen hatte, wurde sie auf einen Fischkutter verfrachtet, von da aus wurde sie gefesselt auf ein altes Segelboot gebracht, und das scheinbar mit Einverständnis ihrer Eltern.
Nicht nur, dass sie von diesem verfluchten Meyerdirks geschlagen worden war, nein, sie wurde auch noch wie ein wildes Tier an eine Kette gelegt. Dann wurde sie, immer noch mit der Kette um den Hals und die Arme auf dem Rücken gefesselt, über den Deich in ein armseliges Dorf gebracht, und nicht einen Menschen schien zu interessieren, dass sie ganz offensichtlich gekidnappt worden war. Auf dem Dorfplatz wartete schon ein älterer Mann auf sie, der Meyerdirks und den Seemann herzlich begrüßte, von Monika nahm er weiter keine Notiz. Der Alte pfiff einmal auf den Fingern, kurze Zeit später kamen zwei Frauen aus einem der Häuser und gingen auf Monika zu. Der Seemann übergab den Frauen das lose Ende der Kette, und diese führten Monika an das andere Ende des Dorfes auf eine Art Schuppen zu. Erst als die Frauen Monika ins das Gebäude gebracht hatten, wurde sie direkt angesprochen: „Hab keine Angst, Mädchen, wir wollen Dir nicht weh tun, aber Du musst jetzt vernünftig sein und das machen, was wir Dir sagen.“ und lösten ihre Handfesseln. Nun war sie diesen beiden Frauen in den altmodischen Kleidern ausgeliefert, die machten zwar einen ziemlich normalen Eindruck, doch mochte der Satan persönlich wissen, was die mit ihr vorhatten. „Zieh Dich aus, Mädchen, wir müssen Dir erst mal anständige Kleidung geben, bei uns darf keine Frau in Hosen herumlaufen.“ „Wo lebt ihr denn, Ihr Suppenhühner, seit wann darf eine Frau keine Hosen tragen? Und überhaupt, wieso laufen hier alle in historischen Kostümen herum, Karneval ist doch schon lange vorbei!“ „Du armes Kind, hat Dir denn keiner gesagt, wo Du hier bist?“ fragte Kea, die Ältere von den Beiden. „Doch sicher, im Land der alten Dörfer, irgendwo in Ostfriesland, wo es scheinbar normal ist, mit einer Eisenkette um den Hals herumzulaufen. Was läuft hier ab, ist es die Sendung „Vorsicht, Kamera“ oder „Verstehen sie Spaß?“ Die jüngere der Beiden, Thekla war ihr Name, meinte ganz ruhig: „Draußen in der Welt gibt es viele Dinge, die wir hier nicht kennen, aber die kannst Du auch vergessen, die brauchen wir hier nicht. Aber darüber können wir uns später noch unterhalten, zieh jetzt bitte deine Sachen aus.“ „Ich werde mich mit Sicherheit nicht ausziehen, ihr könnt mich mal an die Füße fassen, ich bin weder lesbisch noch andersartig veranlagt, wisst Ihr, was ich jetzt machen werde? So schnell wie möglich werde ich aus Eurem bescheuertem Dorf verschwinden.“ und wollte zur Tür herausrennen. Doch den Aufstand hätte sie sich sparen können, Kea hatte das Ende ihrer Kette fest in der Hand und hielt sie fest. „Mädchen, mach Dir das Leben nicht unnötig schwer, gegen uns kommst Du doch nicht an.“ Nun hatte Monika schon bei Meyerdirks gelernt, dass offener Widerstand ziemlich zwecklos war, also nickte sie mit dem Kopf und meinte, dass sie nun keine Schwierigkeiten mehr machen wolle. Gehorsam zog sie sich aus und legte ihre Kleidung auf einem Schemel ab. Thekla öffnete ein Wäschebündel und gab Monika eine Unterhose, beim Anziehen bemerkte sie, dass der Schritt der Hose offen war, was eine ungutes Gefühl in ihr aufkommen ließ. Es gab bei diesem seltsamen Kleidungsstück noch nicht einmal ein Gummizug im Bund, dafür war eine Art Kordel eingearbeitet, die Thekla ihr strammzog und mit einer Schleife verschloss. Das nächste Teil war ein Unterhemd, dass scheinbar aus einer groben Wolle gestrickt worden war, denn schon nach wenigen Augenblicken fing es an, auf ihrer Haut zu jucken. Sie bekam noch ein paar dicke Stricksocken, dann gab Kea ihr ein Kleid, das sie anzuziehen hatte. „Wenn alte Kartoffelsäcke als Kleider mal modern werden, bekommt dieser Lumpen bestimmt den ersten Preis.“ dachte Monika bei sich, hielt aber wohlweislich den Mund. Das Kleid, das ihr fast bis zu den Knöcheln reichte, wurde von Kea mit einem Band mittels einer Schleife im Nachen zugemacht. Als letztes bekam
sie noch ein Paar Klumpen (Holzschuhe), die ihr zwar etwas zu groß waren, aber das schien die beiden Frauen nicht zu interessieren. Während Thekla die alte Kleidung in einen Sack stopfte, hatte Monika sich auf den Schemel zu setzen, Kea holte einen Kamm aus der Tasche, scheitelte ihre Haare und flocht ihr zwei Zöpfe, um dessen Enden sie ein einfaches Stück Bindfaden wickelte und verknotete, anschließend wurde ihr eine Haube aufgesetzt und unter dem Kinn verknotet. „Jetzt siehst du manierlich aus, so können wir Dich unseren Dorfvorsteher vorstellen, sein Name ist übrigens Mimke de Groot. Vergiss ja nicht einen tiefen Knicks zu machen, wenn er Dich anspricht, und reden darfst Du nur, wenn Du gefragt wirst. Außerdem hast Du jede Antwort, die Du gibst, mit: „Ja, Herr de Groot“ zu beenden, außerdem hast du Herrn de Groot nicht anzusehen, sondern deinen Blick keusch nach unten zu halten, außer er spricht gerade mit Dir, kannst Du Dir das merken?“ „Ich denke schon,“ meinte Monika, „aber könnt Ihr mir nicht sagen, was nun weiter mit mir passieren wird?“ „Das weiß nur der Vorsteher, wir Frauen werden in die Pläne der Männer nicht eingeweiht.“ meinte Kea und nahm das Ende der Kette in die Hand und führte Monika zu den Männern auf den Dorfplatz.
Teil 7 Auf dem Weg zum Dorfplatz sah Monika sich neugierig um, es war wirklich nur ein kleines Dorf. Links und rechts der scheinbar einzigen Straße, die aus kleinen Findlingen gebaut war, standen niedrige Bauerngehöfte, dazwischen wieder ganz kleine Häuser. Auf allen Fenstern standen Blumenkästen, und jedes Gebäude hatte einen großen Garten mit Blumen, aber auch Gemüse und Salat wurden angebaut. Beim Dorfplatz angekommen sahen sie den Vorsteher und Anwalt Meyerdirks in ein Gespräch vertieft zusammenstehen, der Seemann war wohl schon wieder auf das Schiff zurückgegangen. Mimke de Groot nahm Monika erst mal genauer in Augenschein, auch Meyerdirks begutachtete ihre neue Kleidung. „Nun, mein gutes Kind,“ sagte Meyerdirks, „mich deucht, diese Kleider stehen Dir viel besser als die anderen, ja, in der Tat, viel besser. Wie dem auch sei, Vorsteher de Groot, ich muss nun wieder los, aber wie ich Ihnen schon sagte, sehe ich bei diesem Mädchen Aussicht auf Besserung.“ Nun sah Meyerdirks wieder Monika an und meinte wichtigtuerisch: „Ich hoffe, Du wirst Dich hier schnell einleben und Dich zu einem guten Menschen entwickeln, ich werde Deine Fortschritte genau beobachten, ja wirklich, genau beobachten.“ „Alte w***ser!“ dachte Monika, sagte aber zu ihm nur: „Ich werde bestimmt mein Bestes tun, Herr Meyerdirks, ja, in der Tat, mein Bestes tun.“ Das brachte ihr zwar einen Ruck mit der Kette ein, doch das war ihr der Spaß wert, den Anwalt wütend abrauschen zu sehen. Pech allerdings war es, dass Vorsteher de Groot so gar keinen Sinn für Humor hatte, er sah Monika streng an und meinte: „Solange das Mädchen meint, dass es erwachsene Männer veralbern kann, wird es auch die Folgen dafür zu tragen haben. Kea, heute Nacht bleibt sie in Eurem Haus, morgen nach dem Melken soll Dein Mann sie nach Hohedörp bringen, Du weißt schon zu wem, der soll sie anschließend beim Bürgermeister abliefern. Wenn Dein Mann mit seiner Arbeit fertig ist, soll er noch eben bei mir vorbeikommen, ich muss ihm noch zwei Schreiben mitgeben.“ Damit drehte er sich um und ging ohne zu Grüßen seiner Wege. „Oh Mädchen, was bist Du nur für eine dumme Gans, kaum bist Du hier, da hast Du Dich auch schon bei zwei wichtigen Leuten unbeliebt gemacht. Wenn ich das richtig sehe, wirst Du schon morgen die Folgen davon spüren. Aber Du musst ja selbst wissen, was Du tust, und jetzt müssen wir uns beeilen, die Sonne steht schon tief und ich habe noch nicht mit dem Melken angefangen.“ Monika konnte wegen der Holzschuhe nicht so schnell laufen wie Kea, die immer wieder ungeduldig an der Kette zog. Außerdem taten ihr schon jetzt von beiden Füßen der Spann weh, denn das richtige Gehen
in Klumpen will gelernt sein. Nun bogen sie von der Straße ab und gingen auf einen Bauernhof zu, der sauber und gepflegt aussah. „Hier ist mein Zuhause,“ sagte Kea stolz, „vor acht Jahren habe ich hier eingeheiratet, nun lebe ich hier mit meinem Mann, den beiden Kindern und meinen Schwiegereltern.“ „Das sieht ja richtig gemütlich aus,“ meinte Monika, „ich bin schon gespannt auf Deine Familie.“ Apruppt blieb Kea stehen und sah Monika an: Für meinen Mann und meine Schwiegereltern gilt das Gleiche wie für Vorsteher de Groot, halt bloß Deinen Mund und gib keine Widerworte, denn solltest Du Dich schlecht benehmen wird mir die Schuld daran gegeben, weil ich Dich dann angeblich nicht richtig eingewiesen habe. Also tu mir den Gefallen und reiß Dich die paar Stunden zusammen, übrigens hast Du mich im Beisein meiner Familie mit „Sie“ und Frau Schilling anzureden, vergiss das bloß nicht.“ „Ist schon in Ordnung,“ sagte Monika nun doch etwas kleinlaut, „ich möchte nicht, dass Du wegen mir Schwierigkeiten bekommst.“ und ließ sich widerstandslos an der Kette ins Haus führen. Als sie die Küche betraten war die ganze Familie um den Küchentisch versammelt, es war gerade Verperzeit (Tee und Brote am Nachmittag). „Habt Ihr für mich noch eine Tasse Tee übriggelassen?“ wollte Kea wissen. „Aber natürlich, mein Kind, wir werden Dich doch nicht verdursten lassen.“ gab ihre Schwiegermutter freundlich zurück. „Warum hast Du das Mädchen mitgebracht?“ fragten die Kinder, für die es scheinbar ganz normal war, dass jemand mit einer Kette um den Hals ins Haus gebracht wurde. Sie bleibt nur heute Nacht bei uns, morgen soll Euer Vater sie nach Hohedörp bringen. Bevor ich es vergesse,“ sagte sie zu ihrem Mann, „der Vorsteher lässt Dich grüßen und Du möchtest nachher noch zwei Briefe bei ihm abholen.“ „Das geht in Ordnung,“ sagte er, ging zu einem Schrank, aus dem er ein Vorhängeschloss nahm und nahm seiner Frau die Kette ab. „Ich werde mich um das Mädchen kümmern und bring sie in den Stall, trink Du erst mal in Ruhe Deinen Tee.“ „Na, dann komm mal mit,“ sagte er freundlich zu Monika, „Du brauchst keine Angst zu haben, die Tiere tun Dir nichts.“ Gehorsam folgte sie ihm in den Stall, wo er sie zu einer freien Stelle an der Wand führte, und verschloss das freie Ende der Kette mit dem Vorhängeschloss an einem Eisenring in der Wand, der sonst dazu diente die Kühe anzubinden. Nun fing er an die Kühe zu melken, Kea kam etwas später und half ihm, dann wurde der Stall ausgemistet und frisches Stroh auf die gereinigten Flächen verteilt, zum Schluss wurden die Tiere mit Futter versorgt, und als die Arbeit nach anderthalb Stunden erledigt war, wurde es schon dunkel in dem Stall Monika stand die ganze Zeit über da und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, war es denn wirklich möglich, dass sie heute Morgen noch zu Hause bei ihren Eltern war? Nun stand sie neben diesen grässlichen Kühen, die sie aus großen Augen blöde anschauten und dabei muhten, als wenn ihnen die Gesellschaft von ihr nicht gefallen würde. Außerdem hatte sie ein unbändiges Verlangen nach einer Zigarette, von Hunger und Durst ganz zu schweigen. Während der Bauer wieder in die Küche ging, holte Kea eine große Ladung Heu und breitete es bei Monika aus. „Auf kalten Steinen schlafen ist nicht gesund, Mädchen,“ erklärte sie ihr, „aber auf dem Heu wirst Du prima schlafen, eine Decke hole ich Dir auch noch.“ „Soll ich wirklich die ganze Nacht hier bei den Viechern verbringen? Bitte tu mir das nicht an, ich hab schon immer Angst vor so großen Tieren gehabt.“ „Nun stell Dich mal nicht so an,“ meinte sie, „die Kühe werden Dir nichts tun, außerdem sind sie genau wie Du angebunden. Ich komme nachher mit der Decke wieder und bring Dir etwas zu Essen mit.“ Nach einer Stunde kam sie zurück, eine Decke über dem Arm und brachte auch einen Becher Tee und
einen Holzteller mit belegten Broten mit. Mit den Worten: „Ich komme nachher noch mal wieder und hol das Geschirr ab.“ ließ sie Monika alleine, die sich mit Heißhunger über Tee und Brote hermachte. Inzwischen war es stockdunkel im Stall, die Geräusche der Tiere wurden ihr immer unheimlicher, da ging die Küchentür auf und Kea kam, mit einer Laterne in der Hand, in den Stall. „Hat es Dir geschmeckt, Mädchen?“ „Ja, es war wirklich gut, vielen Dank, aber ich habe eine Bitte, sag doch nicht immer Mädchen zu mir, mein Name ist Monika.“ „Die Auszeichnung, mit dem Namen angeredet zu werden, musst Du Dir erst verdienen, solange bist Du für alle nur das Mädchen, doch wenn Du fleißig bist und Dich ordentlich verhältst, wirst Du auch mit Deinem Namen angesprochen werden. Jetzt leg Dich hin, es wird Zeit zum Schlafen, Gute Nacht.“
Teil 8 Monika schlief tatsächlich wie eine Tote, sie hörte weder die Geräusche von den Tieren noch störte sie sich an der Kette, sie war einfach total fertig. Nach einem, wie sie meinte, viel zu kurzem Schlaf hörte sie eine Stimme: “Hallo Mädchen, Zeit zum Aufstehen.” Im erstem Moment wusste sie überhaupt nicht wo sie war, doch schnell wurde sie sich ihrer traurigen Lage wieder bewusst. Kea hatte ihr einen Eimer mit kaltem Wasser hingestellt, auch ein Stück Seife und ein Handtuch lagen bereit. “Du hast aber wirklich einen festen Schlaf, wir haben die ganze Stallarbeit schon fertig und Du hast nichts davon mitbekommen. Mach Dich jetzt frisch, gleich wird mein Mann Dich nach Hohedörp bringen.” Nachdem sie sich so gut wie möglich gewaschen hatte, fragte sie Kea: “Kannst Du mich nicht von der Kette losmachen, ich muss dringend auf die Toilette.” “Dann hock Dich doch hin und lass es laufen, wir sind hier schließlich in einem Stall.” Monika ließ sich das nicht zweimal sagen und hob das Kleid hoch, um das Band der Unterhose zu öffnen, Kea schüttelte amüsiert mit dem Kopf: “Was glaubst Du, wozu der Schlitz in der Unterhose ist? Aber so seid Ihr Frauen aus der anderen Welt, unpraktisch bis zum Abwinken.” Kea ging wieder zur Küche, um für Monika etwas zu Essen zu holen, doch als sie wiederkam und ihr eine Schale mit Buttermilchbrei mit einer trockenen Scheibe Schwarzbrot und einen Becher Tee hinstellte, drehte sich der fast der Magen um. “Mir genügt das Brot und der Tee.” meinte sie, und war froh, dass sie den stinkenden Brei nicht essen musste. Kurz darauf kam der Bauer und öffnete das Schloss an dem Eisenring, führte sie vor die Stalltür und ließ sie auf einen Ackerwagen klettern, der mit Milchkannen beladen war, die er vorher im Dorf bei den anderen Bauern eingesammelt hatte und nach Hohedörp bringen musste. Kea kam aus der Scheune und brachte die Decke, unter der Monika die letzte Nacht geschlafen hatte, zu dem Ackerwagen. “Die leg Dir mal lieber um die Schultern, im Moment ist es doch noch ziemlich frisch.” Schon knallte die Peitsche und der Wagen ruckte an, langsam ging es durch das kleine Dorf. Monika schaute sich gründlich um, schließlich konnte jede Kleinigkeit, die sie von dieser Gegend wusste, bei der Flucht von Hilfe sein. Im Dorf herrschte geschäftiges Treiben, nirgendwo konnte sie Leute faul herumstehen sehen, sogar die Jüngsten der Dorfbewohner packten mit an, wo sie nur konnten. Die kleine Ortschaft war schnell durchfahren, jetzt gingen es über eine gepflasterte Straße in Richtung Hohedörp. Auf beiden Seiten der Straße konnte sie nur Felder und Äcker sehen, auf dem die Menschen am Arbeiten waren. Auf einem der Felder, dicht bei der Strasse, sah sie zwei junge Mädchen, die ebenso hässlich
gekleidet waren wie sie selbst. Die Beiden schauten noch nicht mal auf, als der Ackerwagen an ihnen vorbeirumpelte, sondern arbeiteten in einem Stück weiter. Monika sah noch mal genauer hin, sie war sich nicht ganz sicher, aber vom Ackerwagen aus meinte sie sehen zu können, dass den beiden Mädchen eine Kette vom Hals herunterbaumelte. “Ich muss hier weg,” dachte sie, “und zwar noch heute, es muss doch möglich sein in die Zivilisation zurückzukommen, hier würde ich bescheuert werden.” Wütend zog sie an ihrer Kette, so langsam kamen ihre Lebensgeister wieder zurück und ihr Widerstand gegen dieses unwürdige Leben wuchs mit jedem Kilometer, den der Ackerwagen zurücklegte. Wenn sie die Lage richtig beurteilte, blieb ihr nur eine Möglichkeit: Sobald man am Zielort das Schloss der Kette öffnete, würde sie sich losreißen und abhauen. Auch die Fluchtrichtung stellte für sie kein Problem dar, sie wollte einfach in der Richtung, in der jetzt der Ackerwagen fuhr, weiterlaufen, da auf der anderen Seite bekanntlich die Küste war, bei der es kein Entkommen gab. Nach einer, wie es ihr schien, halben Ewigkeit drehte der Bauer sich um und meinte: “Jetzt sind wir gleich da, Hohedörp ist der größte Ort hier bei uns, immerhin leben hier fast 200 Leute.” Der Wagen fuhr in den Ort hinein, jeder der Einwohner, der dem Wagen sah, grüßte mit einem kurzen “Moin”. Endlich hielt Bauer Schilling an, um vom Wagen zu steigen und in ein kleines Gebäude zu gehen, kurze Zeit später kam er in Begleitung eines anderen Mannes wieder heraus. Dieser Mann trug eine dicke Lederschürze, hatte die Figur eines Kleiderschrankes und sah nicht so aus, als ob er viel Humor besitzen würde. Die Beiden kamen auf den Ackerwagen zu, Schilling öffnete das Schloss und übergab das Ende der Kette dem Mann mit der Lederschürze mit den Worten: “So, Schmiedemeister, ich habe meine Pflicht getan, nun bist Du für das Mädchen verantwortlich.”, stieg auf seinen Ackerwagen und fuhr weiter, ohne sich noch einmal um Monika zu kümmern.
Teil 9 So hatte Monika sich das nicht vorgestellt, diesem Schmiedemeister würde sie die Kette bestimmt nicht aus der Hand reißen können, doch war sie noch lange nicht bereit, ihren Fluchtplan aufzugeben. Der Schmied zog sie an der Kette in das Gebäude hinein, hier war es jedenfalls angenehm warm. „Dass ich hier der Schmied bin, hast Du ja sicher mitbekommen, du kannst mich mit Meister Düring ansprechen. Monika nickte mit dem Kopf. „Ich habe nichts gehört,“ sagte Düring zu Monika, „wurde Dir noch nicht beigebracht, wie Du Dich zu verhalten hast?“ „Entschuldigung, ja, Meister Düring.“ und machte einen tiefen Knicks, um nicht sein Missfallen zu erregen. „Na also, es geht doch. Dann will ich mal an die Arbeit gehen und Dich ein wenig ausstaffieren. So wie der Vorsteher von Texlum in seinem Brief schreibt, hast Du Dich gegenüber Advokat Meyerdirks schlecht benommen, bei mir brauchst Du solche Scherze gar nicht erst probieren, ist das klar.“ „Jawohl, Herr Düring“ und wieder einen dämlichen Knicks. „Gut, dann sind wir uns soweit einig. Als erstes werde ich Dir die Kette abnehmen, die brauchen wir nicht mehr.“ Mit diesen Worten holte er einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete das Vorhängeschloss an ihrem Hals, um ihr die Kette abzunehmen. Als er sich zur Feuerstelle umdrehte um einen Metallstift in die Glut zu legen, reagierte Monika sofort. Leise zog sie die Klumpen aus und bewegte sich vorsichtig in Richtung Tür. Kaum hatte sie ein paar Meter Abstand zum Schmied, war sie mit zwei großen Sprüngen bei der Tür und riss sie auf.
In diesem Moment wollte dummerweise die Frau des Schmieds hereinkommen, und Monika lief geradewegs in sie hinein. Frau Düring packte sie fest am Arm und meinte: „Das ist die falsche Richtung, Mädchen, der Amboss steht da hinten.“ „So ein kleines Luder,“ sagte Meister Düring kopfschüttelnd, „erst spielt sie hier die Lammfromme, kaum drehe ich ihr für einen Moment den Rücken zu, will sie uns ausreißen. Halt sie gut fest, Frau, mit den Späßen ist es gleich sowieso vorbei.“ Mit einem Stück Band wurde Monikas Halsumfang gemessen, der Schmied ging in einen Raum, der hinten im Gebäude lag, und kam mit einem Halseisen, an dem eine Kette befestigt war mit einem großem Ring am Ende, wieder. Während Frau Düring Monika mit eisernem Griff festhielt, legte der Meister ihr das Schmückstück probeweise an. „Passt ganz genau,“ meinte er zufrieden und holte mit einer Zange den rotglühenden Eisenstift aus dem Feuer. „Wenn Du rumzappelst kann es sein, dass Du vom heißen Eisen verbrannt wirst, also halt Dich still, damit ich meine Arbeit erledigen kann.“ Vor Angst wurde Monika ganz schlecht, sie rührte sich nicht vom Fleck. Dann ging alles recht schnell, Meister Düring ließ den Eisenstift von oben in die Scharniere gleiten, hielt einen Hammer unter das Halseisen, und mit einem anderen Hammer schlug er das herausstehende Ende des Stiftes platt, das untere Ende des Stiftes wurde ebenso bearbeitet. Monika brüllte vor Schmerzen, denn durch das Hämmern waren Funken auf ihrer Haut gelandet, doch Düring war unerbittlich, erst als er seine Arbeit beendet hatte, kippte er einen Krug Wasser über ihren Nacken, was ihr im ersten Moment einen großen Teil der Schmerzen nahm. „Jetzt hast Du das Schlimmst hinter Dir,“ meinte Frau Düring tröstend, „der Rest ist dagegen nur noch ein Kinderspiel, dass wir Frauen unter uns ausmachen.“ Frau Düring schickte ihren Mann vor die Tür mit der Anweisung, kein männliches Wesen in die Schmiede hereinzulassen. Nachdem sie die Tür von innen verschlossen hatte, forderte sie Monika auf, ihr Kleid auszuziehen. Nur widerwillig gehorchte die, doch im Moment war es vielleicht besser, den Anordnungen nachzukommen. Nun wurde die Kette des Halseisen an einem Ring angeschlossen, der in dem Steinboden der Schmiede eingelassen war. Dann ging sie, wie vorher ihr Mann, in den hinteren Raum des Gebäudes, um etwas zu holen. Nach wenigen Minuten kam sie zurück, in der Hand hielt sie einen Gegenstand, der ebenfalls aus Metall gearbeitet war. Im ersten Moment konnte Monika nicht erkennen, um was es sich dabei handelte, doch als sie den Gegenstand erkannte, wich sie, soweit es ihre Kette zuließ, vor Frau Düring zurück rief entsetzt: „Nein, niemals, nur über meine Leiche.“
Teil 10 „Nun stell Dich mal nicht so an, was sein muss, muss sein.“ Vor Wut fletschte Monika die Zähne, schrie Frau Düring an: „Ihr habt doch alle einen Sockenschuss, ihr verrücktes Volk, wir leben doch nicht mehr im Mittelalter, ich will sofort einen Anwalt sprechen.“ Wie ein in die Enge getriebenes Tier sah sie sich mit wilden Blick um, griff sich eine schwere Zange, die in ihrer Reichweite lag, hielt sie kreisend über dem Kopf. „Bleib mir bloß von den Hacken, sonst zieh ich Dir mit diesem Ding einen neuen Scheitel, Du alte Seekuh.“ „Schön ruhig bleiben, nicht aufregen, es wird alles gut.“ versuchte die Düring Monika zu beruhigen. Da klopfte es an die Tür, der Schmied wollte wissen, was in Gottes Namen los wäre. Seine Frau gab ihm den Auftrag, schnell zwei Nachbarinnen herzuschicken, das Mädchen wäre nicht bei sich. Während Monika immer noch die Zange über den Kopf hielt, kamen nach kürzester Zeit zwei Frauen in den Raum. „Leg die Zange weg, aber sofort.“ befahl die Eine, während die Andere langsam in Richtung
von Monikas Rücken ging. Im gleichen Augenblick, als Monika sich umdrehte und die Gefahr von hinten bannen wollte, machte Frau Düring einen Sprung auf Monika zu und entriss ihr die Zange. Sekunden später waren ihre Hände auf dem Rücken gefesselt, als erste Quittung für Ihr schlechtes Benehmen fing sie sich ein paar Ohrfeigen ein. Die zwei Frauen zogen ihr die Unterhose aus, trotz der verzweifelten Gegenwehr mit den Füssen, und Frau Düring legte ihr den schweren Keuschheitsgürtel um, nicht ohne rufen: „Ich hoffe, Du kommst den Rest Deines Lebens nicht mehr aus dem Tugendwächter heraus.“ Anfangs konnte sie den Taillengürtel nicht schließen, doch als sie den Frauen befahl, Monika mit dem Rücken auf den Fußboden zu legen, schaffte sie es schließlich doch. Das Schrittblech wurde ohne große Vorsicht zwischen den Beinen hindurchgezogen und vorne im Taillengurt eingerastet. „Haltet sie gut fest.“ warnte sie die anderen und holte das größte Vorhängeschloss, das sie finden konnte. Mit größter Befriedigung hängte sie das Schloss ein und drehte den Schlüssel um. Auf das Kommando:„Stellt sie auf die Beine und zieht ihr die Unterhose an.“ wurde sie unsanft hochgerissen. „Wag es nicht noch einmal, irgendwelche Mätzchen zu machen.“ wurde sie gewarnt, doch da ihr von der Enge des Keuschheitsgürtels übel war, dachte sie im Moment nicht mehr an Gegenwehr. Ihre Hände wurden losgebunden, ohne zu Mucken ließ sie sich die Hose anziehen, die Kette wurde vom Boden gelöst und sie hatte das Kleid anzuziehen. Jetzt durfte auch der Schmied wieder hereinkommen, der solange draußen bleiben musste wie Monika nicht ordentlich angezogen war, schließlich waren sie eine anständige Gemeinde. „Ich gebe Dir einen guten Rat,“ sagte Frau Düring aufgebracht zu ihrem Mann, „je kürzer ihre Fußkette wird, umso besser ist es für uns alle.“ Der Schmied ließ sich das nicht zweimal sagen, holte zwei Fußschellen, probierte sie kurz an und verband sie mit einer kurzen Kette. Kaum hatte er das heiße Eisen im Wasser abgelöscht, als die Fesseln auch schon um Monikas Knöchel festgemacht wurden. „Jetzt kann dieses liederliche Weibsbild zum Bürgermeister gebracht werden“ sagte Meister Düring erleichtert, ich werde mich sofort auf den Weg machen. Komm her, Mädchen, nun wollen wir mal sehn, was der Bürgermeister von Deinen Frechheiten hält.“ Er zog leicht an der Kette, Monika blieb nichts anderes übrig als ihm mit trippelnden Schritten durch das ganze Dorf zu folgen. Auch wenn es nur ein 200-Seelen-Dorf war, Monika kam der Gang zum Bürgermeister endlos lang vor: Mit den Fußfesseln ließ es sich fast nicht laufen, auch die Holzklumpen an den Füßen taten ihr weh, die kleinen Brandstellen im Nacken brannten, und der Keuschheitsgürtel schnürte ihr den Leib zusammen, wobei auch noch das Schrittblech fürchterlich scheuerte. Immer wieder kamen Ihnen Leute entgegen, die den Schmied freundlich grüßten, für Monika hatte keiner ein Wort übrig. Endlich kamen sie auf den Dorfplatz, an dem eine überraschend große Kirche angrenzte. In die Mitte des Platzes hatte man Bäume gepflanzt, die bestimmt schon sehr alt waren, die mächtigen Kronen ragten weit in den Himmel hinauf. Unter diesen Bäumen saßen drei alte Männer, ein vierter, ganz in schwarzer Kleidung, kam von der Seite auf die Gruppe zu. Die Turmuhr schlug gerade 11,00 Uhr, als sie bei den Männern ankamen, der Schmied grüßte mit einem knappen: „Moin“ und sagte: „Bürgermeister, hier bringe ich das neue Mädchen, seid vorsichtig bei ihr, uns hat sie jedenfalls schon genug Ärger gemacht.“ Er zog Monika weiter zu einem dicken, viereckigem Pfahl, der in den Dorfplatz eingelassen war und in dem an jeder Seite ein Eisenring befestigt war. Er kettete Monika an den Pfahl, ging zu den Männern zurück und gab dem Bürgermeister den Brief vom Vorsteher in Texlum. „Nehmt es mir nicht übel, doch ich habe meinen Teil erledigt und würde gern in der Schmiede weiterarbeiten, wenn es recht ist.“ Der Schmied wurde mit Dank für seine Bemühungen entlassen und war sichtlich erleichtert, die kleine Teufelin zurücklassen zu können.
Nachdem der Bürgermeister den Brief vom Vorsteher laut vorgelesen hatte, wandte er sich an die Männer: „Herr Pastor, meine beiden Herren vom Gemeinderat, ich bitte um Vorschläge, wie wir in diesem Fall am Besten verfahren können.“ Die Gemeinderatsmitglieder waren Beide dafür, dieses aufsässige Mädchen nach Moorum zu schicken, von Morgens bis Abends Torfstechen und Soden aufstucken würde sie bald zur Vernunft bringen. Der Pastor stimmte den Beiden im Prinzip zu, gab aber zu bedenken, dass auf dem Hof von Wattjes innerhalb des letzten halben Jahres die beiden Alten verstorben waren, so dass der Bauer den Hof mit seiner Frau und den vier Kindern, von denen eines noch ein Säugling war, alleine bewirtschaften müsse. „Ist es nicht unsere Christenpflicht, zuerst an das wohl unserer Gemeindemitglieder zu denken?“ fragte er salbungsvoll. „Ein Mann, der so stark im Glauben ist wie unser Bruder Wattjes, hat er nicht unser Wohlwollen verdient? Ja, liebe Brüder im Glauben, es wird kommen der Tag des jüngsten Gerichtes, dort werden wir alle über unser Tun Rechenschaft ablegen müssen.“ Bevor der Pastor noch weiter ausholen konnte, sagte der Bürgermeister schnell: „Herr Pastor, ich kann Ihnen nur zustimmen.“ Auch die Gemeinderatsmitglieder gaben sofort ihr Einverständnis, denn sie alle kannten ihren Seelsorger gut genug um zu wissen, dass er stundenlang in einem Stück reden konnte. Nun stellte sich die Frage, wer diese aufsässige Maid nach Andersum bringen solle, doch wurde die Lösung dieses Problems auf die Zeit nach dem Mittagessen verschoben. Die Herren begaben sich in ihre Häuser, um zusammen mit ihren Familien das Mittagsmahl einzunehmen, Monika wurde der Einfachheit halber am Pfahl stehen gelassen, dort konnte sie jedenfalls keinen Unsinn anstellen. Zu einem Mittagessen gehörte im Land der alten Dörfer auch ein kleines Mittagsschläfchen, danach wurde in aller Ruhe Tee getrunken, mindestens drei Tassen pro Person, wie es die Tradition verlangt. Während dieser ganzen Zeit stand Monika am Pfahl, sie konnte sich noch nicht einmal hinsetzen, weil der Schmied in seinem Ärger auf sie die Kette so kurz wie möglich angeschlossen hatte.
Teil 11 Es war schon fast 14.30 Uhr, als sich Bürgermeister, Gemeinderatsmitglieder und Pastor wieder auf dem Dorfplatz versammelten. Die Vier fingen an zu beraten, wem die zusätzliche Arbeit des Mädchentransports aufgebürdet werden könne, als ein Ackerwagen über den Dorfplatz fuhr, war es doch ausgerechnet Wilko de Fries, der Nachbar von Bauer Wattjes. Der Bürgermeister winkte ihm zu, Wilko de Fries lenkte sein Gespann auf den Dorfplatz. “Moin, die Herren,” rief er fröhlich, was gibt es Wichtiges?” “Gut Dich zu sehn,” sagte der Bürgermeister, “Du könnest uns einen Gefallen tun, wir haben beschlossen das neue Mädchen bei Deinem Nachbarn Eiso Wattjes unterzubringen, würdest Du uns den Gefallen tun und sie dort abliefern?” “Aber gerne, das ist kein Problem, außerdem freue ich mich über diese Entscheidung, Herr Bürgermeister, denn Wattjes können wirklich Hilfe gebrauchen.” “Nun,” meinte der Pastor, “bevor dieses Mädchen eine richtige Hilfe wird, wird wohl noch einige Zeit vergehen, da bedarf es noch einer strengen Erziehung.” “Eiso Wattjes wird das hinbekommen, Herr Pastor, da bin ich mir ganz sicher. Na, dann mal her mit der Deern, es gibt schließlich noch viel Arbeit heute.” Wilko stieg vom Wagen und ließ sich von dem Bürgermeister den Schlüssel geben, ging zu dem Pfahl und öffnete das Schloss. “Mach mir keinen Ärger, Mädchen, dann hast Du auch nichts zu befürchten.” und zog sie an der Kette zu seinem Wagen, hob sie hinauf und befestigte die Kette wieder mit dem Schloss. Nachdem der Bürgermeister ihm noch die Schlüssel für die Fußfesseln gegeben hatte, schwang er sich leichtfüßig auf den Bock, schnalzte mit der Zunge und ließ seine Pferde anziehen.
“Was für ein Glück, dieses verdorbene Kind sind wir erst mal los, aber gleich nächsten Sonntag, Herr Pastor, soll sie den ersten Teil ihrer wohlverdienten Strafe bekommen, das Maß zu bestimmen überlasse ich wie immer Ihnen.” sagte der Bürgermeister. Der Wagen von Wilko de Fries rumpelte genau so wie der von Bauer Schilling, Monika saß hinten auf der Ladefläche, doch diesmal wurde jedes Schlagloch zur Strafe, der Keuschheitsgürtel saß derartig stramm um die Taille, dass ihr jede Bewegung zuviel war. Anderthalb Stunden rumpelten sie auf der schlechten Straße dahin, auch jetzt waren rechts und links des Weges nur Felder und Äcker zu sehen, ab und zu stand mal eine Hütte, aber das war auch schon alles. Mit einem Mal wurde die Strasse besser, sie waren endlich in Andersum angekommen. Auch hier standen saubere Bauernhäuser, und die Gärten waren wie überall in diesem Land gut gepflegt. Sie waren schon fast am Ende des Dorfes angelangt, als Wilko de Fries ?Hoooo? rief und seine Pferde zum Stehen brachte. Er stieg vom Wagen herunter, löste die Kette, hob Monika von der Ladefläche und stellte sie auf die Straße. “Dann komm mal mit, Mädchen, das hier ist Dein neues Zuhause.” rief er und führte sie an der Kette zu einem schmuck aussehenden Bauernhaus mit vielen Blumen im Garten und auf den Fensterbänken. Eine gutaussehende Frau kam ihnen entgegen, freundlich grüßte sie ihren Nachbarn: “Hallo Wilko, wen bringst Du uns da mit?” “Auftrag vom Bürgermeister,” meinte er, “das neue Mädchen ist Euch zugeteilt worden.” “Guten Tag, Mädchen, sei willkommen in unserem Haus, ich hoffe, wir werden gut miteinander auskommen.” Monika sah ihr in die Augen, machte den vorgeschriebenen Knicks und antwortete: “Vielen Dank, Frau Wattjes.” Frau Wattjes wandte sich wieder zu Wilko: “Das scheint mir ja eine ganz Liebe zu sein,” meinte sie zu ihm. “Da bin ich mir nicht so sicher,” gab er zurück und erzählte ihr grinsend, wie sie sich gegenüber Advokat Meyerdirks und dem Schmied und seiner Frau verhalten hatte. Das hatte ihm der Bürgermeister zwar verschwiegen, aber im Land der alten Dörfer verbreiteten sich neue Nachrichten schnell wie der Wind. “Mädchen, Du machst ja Sachen, da kommt bestimmt noch ein dickes Ende hinterher.” rief Swantje Wattjes. Nachbar de Fries gab seiner Nachbarin die Schlüssel, verabschiedete sich, wünschte noch viel Spaß und fuhr in Richtung seines Hofes davon. Während Monika noch immer mit gesenktem Blick in der Hofeinfahrt stand, kamen die Kinder von Familie Wattjes nach draußen, um das neue Mädchen zu betrachten, keines der Kinder schien sich über Fußeisen und Halskette zu wundern. “So, Mädchen, jetzt lernst Du erst mal meine Kinder kennen: Das hier ist die Älteste, Fenna ist ihr Name, im Herbst wird sie 14 Jahre alt, dieser kleine Pummel hier ist gerade 12 geworden und hört auf den Namen Wilma, und das hier ist unserer Stammhalter, der ist jetzt mal gerade 8 Jahre alt und heißt Wübbi, aber das sind noch nicht alle, in der Wiege im Haus liegt Jan, unser Jüngster, der nun 4 Monate alt ist.” Sie gingen in die Küche, die gemütlich und aufgeräumt aussah. In der großen, offenen Feuerstelle loderten die Flammen eines Torffeuers, die Küchengeräte aus Messing glänzten um die Wette, die Blumen auf dem Tisch und auf der Fensterbank gaben dem Raum ein freundliches Aussehen. Scheinbar hatte Monikas Ankunft gerade die Vesper gestört, auf dem Tisch lag ein dunkles Brot, Wurst, Schinken und Käse waren zu sehen, auch an Butter fehlte es nicht, für die kleineren Kinder gab es frische Milch und für die anderen einen starken Tee. Monika wurde aufgefordert sich mit an den Tisch zu setzen, doch irgendwie traute sie dem Frieden nicht
und blieb unbeholfen in der Küche stehen. Frau Wattjes sah sie mitfühlend an und fragte, wie lange sie denn schon im Land der alten Dörfer wäre. “Seit gestern, Frau Wattjes” und machte wieder einen Knicks. “Das mit dem Knicks ist gut gemeint, den brauchst Du aber nicht bei jeder Antwort machen, nur bei Begrüßungen anderer Leute.” Sie wandte sich an ihre älteste Tochter und gab ihr den Auftrag, die lange Laufkette zu holen. Fenna stand sofort auf, kam mit dem losen Ende einer nicht zu dicken Kette und einem Schloss wieder, mit dem Vorhängeschloss verband sie die Enden der Laufkette und die 1,2 Meter lange Kette des Halseisens, um ihrer Mutter dann den Schlüssel zu geben. Nachdem sie ihr dann die Fußfesseln abgenommen hatte fragte sie Monika. “Hat man Dir vor dem Verschließen keine Salbe an die Knöchel gegeben?” “Nein, Frau Wattjes.” Und was ist mit dem Keuschheitsgürtel und dem Halsreif, da hat man die Stellen vorher auch nicht eingesalbt?” “Nein, Frau Wattjes, dafür habe ich die Leute in der Schmiede wohl zu sehr geärgert,” gab sie ziemlich zerknirscht zu. Sie sah sich die Haut am Halsreif an und sagte ganz erschrocken: “Was hat der Schmied denn angestellt, du hast im Nacken überall kleine Brandblasen, da werde ich Dir sofort Buttermilch draufgeben, dass nimmt Dir die Schmerzen.” Als Monika gegessen hatte, wurde sie von Frau Wattjes verarztet, die Buttermilch wirkte wahre Wunder, und auch die Salbe an den Fußknöcheln tat richtig gut. Nur bei dem Keuschheitsgürtel konnte sie nichts ausrichten, (der Schmied hatte entweder vergessen, den Schlüssel mitzugeben, oder es absichtlich unterlassen) da er so eng anlag, dass sie nicht zwischen Eisen und Haut kommen konnte, was sie missbilligend zur Kenntnis nahm, dabei wäre es möglich gewesen, in ein oder zwei Löcher weiter zu schließen. Kurz darauf sah Frau Wattjes durch das Fenster ihren Mann von der Feldarbeit zurückkommen. “Euer Vater ist wieder zurück von der Arbeit.” sagte sie zu ihren Kindern, die gleich nach draußen liefen. Der Sohn nahm dem Vater Hacke und Spaten ab, Wilma die Feldflasche, und Fenna brachte ihrem Vater die Pantoffeln. “Mein Mann ist ein guter Mensch,” sagte Frau Wattjes zu Monika, “und wenn Du vernünftig bist, wirst Du ihm in allen Punkten ohne Widerspruch gehorchen. Lügen und Faulheit sind ihm verhasst, halte Dich daran, sonst könnte es sein, dass Dir eine schlechte Zeit bevorsteht.” Monika nickte nur mit dem Kopf und hatte schon jetzt Angst vor dem Hausherrn.
Teil 12 Die Tür ging auf und Eiso Wattjes betrat die Küche, er war ein großer Mann mit dunklen Haaren und hellblauen, stahlharten Augen. Er begrüßte seine Frau zärtlich, die für ihn schon Brote aufgeschmiert und Tee eingeschenkt hatte. Monika war schon vorher vom Tisch aufgestanden, hielt den Blick nach unten gerichtet und wartete mit bangem Herzen darauf, von ihm angesprochen zu werden. „Lass Dir in die Augen sehen, Mädchen, ich möchte wissen, mit wem ich es hier zu tun habe.“ Ängstlich sah sie auf, Eiso Wattjes sah sie mit abschätzendem Blick an. „Von Deinen Schandtaten habe ich schon gehört, doch will ich die Deiner Unerfahrenheit zu Gute halten, schließlich ist auch ein junges Pferd oft ungestüm. und muss erst lernen zu gehorchen. Wenn wir heute Abend mit dem Melken fertig sind, werden wir uns über verschiedene Dinge unterhalten, damit beide Teile wissen, woran sie sind.“ Nachdem Wattjes seine Vesper beendet hatte ging die gesamte Familie in den Stall, um die abendliche
Arbeit zu verrichten, nur Wilma blieb in der Küche, um aufzuräumen und abzuwaschen. „Kann ich nicht irgendwas helfen?“ fragte Monika, die sich ziemlich überflüssig vorkam und außerdem einen höllischen Respekt vor Bauer Wattjes hatte. Wilma zeigte ihr, wie sie sich nützlich machen konnte, Monika war froh, nicht mehr dumm herumstehen zu müssen. Sie half Wilma beim Abräumen des Tisches, wusch mit ab und bereitete mit ihr zusammen das Abendessen vor. Langsam wurde es in der Küche dunkel, Wilma steckte zwei Petroleumlampen an, die ein warmes Licht verbreiteten. Sobald die Familie vom Stall in die Küche zurückkam, setzte Wilma eine große Pfanne auf, legte reichlich gestreiften Räucherspeck hinein, briet ihn kurz aus und schlug jede Menge Spiegeleier in die Pfanne. Ein herrlicher Duft durchzog die Küche, Monika, der das Wasser im Mund zusammenlief, fragte sich, ob sie davon wohl etwas abbekommen würde. Die Familie setzte sich an den gedeckten Tisch, und zu ihrer großen Freude durfte sich Monika dazugesellen. Fenna stellte die große Pfanne mit dem Speck und Spiegeleiern auf einen Untersetzer, der in der Tischmitte lag. „Wir wollen beten,“ sagte Bauer Wattjes, und alle falteten die Hände und nahmen den Kopf nach unten. Obwohl Monika mit der Kirche nichts am Hut hatte, wollte sie keine Ausnahme bilden und schloss sich den Anderen an. Nach einem schier endlos langen Gebet sagte der Bauer: „Amen“, worauf sich jeder mit der Gabel direkt aus der Pfanne bediente, nur Monika traute sich nicht. „Magst Du keine Spiegeleier?“ wollte der Bauer wissen. „Doch, schon, aber ich weiß doch nicht, ob ich auch davon nehmen darf, Herr Wattjes.“ „Solange das Essen auf dem Tisch steht, darfst Du Dir soviel nehmen, wie Du essen kannst, schließlich musst Du ab morgen schwer genug dafür arbeiten.“ meinte Wattjes durchaus nicht unfreundlich. Ihr Leben lang hatte sich Monika vor Speck geekelt, doch dieser hier war gut ausgebraten und knusprig, dazu das etwas grobe Brot, mit dem in kleinen Stücken das Fett aus der Pfanne aufgetunkt wurde, es war herrlich. Als auch der Letzte mit dem Essen fertig war, stand Monika von selbst auf und fing an, den Tisch abzuräumen. Fenna und Wilma wollten auch aufstehen, um ihr zu helfen, doch ihr Vater gab ihnen einen Wink, also blieben sie auf ihren Plätzen und alle sahen ihr bei der Arbeit zu. Monika war sich bewusst, dass ihr auf die Finger gesehen wurde, ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen, zumindest brachte sie ihre Arbeit zu Ende, ohne etwas fallen zu lassen oder zu zerbrechen. Swantje sah ihren Mann an und lächelte leise, flüsterte ihm zu: „Ich glaube, das Mädchen ist nicht so schlecht, wie allgemein erzählt wird.“ „Wie ich vorhin schon sagte, sie ist wie ein junges wildes Fohlen, dass gezähmt werden muss.“ gab er zurück. Jetzt durften auch endlich die Kinder vom Tisch aufstehen, die sich in eine Ecke setzten um gemeinsam etwas zu spielen, während Monika sich bei den Wattjes an den Tisch zu setzen hatte. „Bisher machst Du einen ganz ordentlichen Eindruck“ fing Bauer Wattjes an, „wenn Du so weitermachst, gehörst du bald zur Familie. (Monika dachte: „Guter Mann, das ist ja nett von Dir, aber so lange werde ich bestimmt nicht hier bleiben.) „Du wirst Dich bestimmt schon gefragt haben, warum Dir Halseisen und Keuschheitsgürtel umgelegt wurden, richtig?“ Monika nickte nur mit dem Kopf und ließ Bauer Wattjes weiterreden: „Seid vielen Jahren werden immer wieder junge Leute aus der großen Welt zu uns gebracht, die dort nicht klargekommen sind. Nun ist es früher schon mehrmals passiert, dass manche mit dem Leben hier auch nicht zurechtkamen und bei Nacht und Nebel verschwinden wollten. Aus diesem Grund sind die Mädchen innerhalb des Hauses an einer Fußfessel oder an einer langen Kette zu sichern, wobei sich das Halseisen als sehr praktisch erwiesen hat. Sobald ein Mädchen das Haus verlässt, allerdings nur in Begleitung und niemals allein, muss es die Fußfesseln tragen, um der Begleitperson nicht ausreißen zu können. Alle Mädchen haben einen
Keuschheitsgürtel zu tragen, damit ihnen nicht in den Sinn kommt, einen unserer jungen Männer zu verführen und ihn sich für eine Flucht gefügig zu machen, was es schon einmal gegeben hat, auch wenn aus der Flucht nichts wurde.“ „Hast Du das soweit verstanden?“ „Jawohl, Herr Wattjes.“ „Nun gut,“ sagte er, kommen wir zum nächsten Punkt. In der Welt, aus der Du zu uns gekommen bist, gibt es viele Sachen, von denen vor allen unsere Kinder nicht wissen, und das soll auch so bleiben, denn alles, was sie wissen müssen, erfahren sie von uns. Niemals wirst Du über Dein vorheriges Leben erzählen, ist das vollkommen klar?“ „Jawohl, Herr Wattjes.“ sagte Monika, die unruhig auf der Bank hin- und herrutschte, denn der Keuschheitsgürtel tat beim Sitzen auf der harten Bank ganz schön weh. Nun wollte Frau Wattjes wissen, wie es denn um ihre christliche Gesinnung bestellt wäre. Monika druckste herum und sagte zögernd: Mit 14 Jahren bin ich konfirmiert worden, aber seit dem habe ich keine Kirche mehr von innen gesehen, wenn ich ehrlich sein soll.“ „Und was haben Deine Eltern dazu gesagt?“ wollte der Bauer wissen. „Nichts, die gehen doch auch nicht in die Kirche, das ist doch bei den meisten Leuten so.“ „Kein Wunder, dass es in der großen Welt soviel Sünde und Verderbnis gibt. Aber ich bin davon überzeugt, dass Du Dich über kurz oder lang bei uns mit der Kirche anfreunden wirst, Mädchen.“ „Ja, indem ich diesen Pastor in die Eier trete,“ dachte sie, sagte aber: „Das wäre sicher möglich, Herr Wattjes.“ Fenna kam an den Tisch und fragte ihre Mutter, ob sie jetzt den Tee fertig machen solle (kurz vor dem Schlafengehen wird noch einmal Tee getrunken) die schaute auf den Regulator (Uhr) und meinte, dass es ja schon unverschämt spät sei, sie solle sich mit dem Tee beeilen. Während Fenna der Tee aufbrühte, fordere Frau Wattes Monika auf, sich mit dem Nacken ins Licht zu drehen und zeigte ihrem Mann die Brandstellen. „Der Schmied ist wohl verrückt geworden.“ schimpfte er, „warum hat er keinen Lederlappen auf die Haut gelegt, dann wäre das nicht passiert.“ „Es kommt noch besser,“ sagte seine Frau und holte die Fußfesseln hervor. „Wie soll das Mädchen mit so einer kurzen Kette laufen können, das ist doch wohl ein Witz.“ polterte er los. „Sobald ich Zeit habe, werde ich zum Schmied gehen und ein ernstes Wort mit ihm reden.“ „Wenn Du schon zu ihm gehst, dann bring doch bitte auch die Schlüssel von ihrem Keuschheitsgürtel mit, abgesehen davon, dass ihre Haut nicht eingefettet wurde, sitzt der Gürtel viel zu eng.“ Bauer Wattjes war zwar ein harter Mann, aber so eine Quälerei ging ihm gegen den Strich: „Gleich morgen reite ich nach Hohedörp, dann soll der Schmied mir mal erklären, wie er das mit seiner christlichen Überzeugung und Nächstenliebe vereinbaren kann.“ Wattjes hatte genau so reagiert, wie seine Frau sich das vorgestellt hatte, er musste nur ein wenig angestoßen werden, um in die richtige Richtung zu kommen. Leise lächelnd meinte sie: „Nun sei aber nicht zu hart mit dem Schmied, wer weiß, was für Gründe er gehabt hat.“ Die Teetassen wurden abgeräumt und Wattjes brummte: „Feierabend, alle sofort ins Bett, morgen ist ein neuer Tag voller Arbeit.“ Die Kinder gingen gehorsam in die Melkkammer, um sich dort an der Pumpe zu waschen, während Monika in Richtung Stall ging. „Mädchen, was willst Du denn jetzt im Stall?“ fragte Wattjes ganz verdutzt, „zum Melken ist es wohl noch viel zu früh.“ „Ich wollte schlafen gehen, Herr Wattjes.“ „Und warum willst Du im Stall schlafen?“ „Das habe ich letzte Nacht auch, Herr Wattjes.“ „Sind die Leute in Texlum denn von allen guten Geistern verlassen? Bei uns schläft niemand im Stall, Du teilst Dir mit Fenna eine Buzze (in der Wand eingelassenes Doppelbett mit Flügeltüren davor), die anderen gehen zusammen in die andere. „Vielen Dank, Herr Wattjes,“ rief Monika, und fing sie an, ihn etwas zu mögen.
Die Kinder zeigten ihr, wo die Seife lag und wie sie mit der Handpumpe umzugehen hätte. Während die Kinder ihre Kleider auszogen und die Nachthemden überstreiften, kam Swantje in die Melkkammer, löste die Halskette, ließ sie das Kleid aus- und das Nachthemd anziehen, um sie danach wieder an die Kette anzuschließen. „Wir müssen sehen, dass wir praktische Kleidung für Dich bekommen, die Du trotz der Kette anziehen kannst, so ist das zu umständlich.“ meinte Frau Wattjes, „aber in einer der Truhen werden wir bestimmt etwas für Dich finden.“ Kurz darauf war auch Monika gewaschen, hatte die Zöpfe geöffnet und die Haare gebürstet und ging zurück in die Küche . Fenna lag schon hinten in der Buzze und rückte noch etwas zur Seite, als Monika hineinkletterte. Kaum hatte sie sich mit der blau-weiß-kariertem Bettdecke zugedeckt, als Frau Wattjes an die Buzze kam und Fenna einen Gutenachtkuss auf den Mund gab. Auch Monika bekam von ihr einen Kuss auf die Stirn, und als sie ihnen eine gute Nacht wünschte, strich sie ihr noch einmal über die Haare. Lächelnd schaute sie auf die Beiden hinab und schloss die Flügeltüren. Monika hatte einen Kloß im Hals, der Kuss auf die Stirn hatte in ihr eine zarte Saite zum Klingen gebracht, sie konnte sich nicht daran erinnern, wann ihr zum letzten Mal so liebevoll eine „Gute Nacht“ gewünscht worden war. Noch beim Einschlafen nahm sie sich vor, der Familie Wattjes so wenig Ärger wie möglich zu bereiten.
Teil 13 Mit dem ersten Hahnenschrei war die Nachtruhe vorbei, die beiden Mädchen stiegen aus der Buzze und Fenna begann mit den wichtigsten Arbeiten: Feuerholz und Torf nachlegen, Wasser aufsetzen, Katzenwäsche, Zöpfe flechten, Arbeitskleidung anziehen, Tee aufbrühen, sobald der fertig war, den Eltern und Geschwistern je eine Tasse in die Buzze bringen, Teetassen wieder abholen, die Geschwister aus dem Bett in die Melkkammer zum Waschen schicken. Bis dahin konnte Monika mithelfen oder sich zumindest ansehen, was gemacht werden musste, doch anziehen konnte sie sich erst, als Frau Wattjes die Kette wieder aufgeschlossen hatte. Danach wollte auch Monika in den Stall, um bei den Arbeiten zu helfen, doch die Kette war nicht lang genug, um sich dort vernünftig bewegen zu können. „Heute brauchst Du im Stall noch nicht zu helfen,“ meinte Swantje Wattjes, „das kommt noch früh genug, aber Du kannst Jan aus der Wiege nehmen, falls er schon wach werden sollte.“ Also ging Monika in die Küche zurück, sah den noch nicht abgeräumten Tisch und fing an, das Teegeschirr zu spülen. Sie war gerade dabei die letzte Tasse abzutrocknen, als der kleine Jan wach wurde und zu weinen anfing. Vorsichtig, da sie im Umgang mit kleinen Kindern nicht die geringste Ahnung hatte, nahm sie ihn aus der Wiege und hielt ihn im Arm, schaukelte ihn sanft und sang ihm ein längst vergessengeglaubtes Kinderlied vor. Dem Kleinen schien das gut zu gefallen, er gluckste vor Freude, nur jedes Mal wenn sie aufhörte zu Singen, verzog er das Gesicht, es blieb ihr nichts übrig, als das Lied von vorne zu beginnen. Eiso Wattjes hatte seinen Teil der Stallarbeit beendet, er machte sich auf den Weg in die Küche, um Monika Fußfesseln zu holen und nach Hohedörp mitzunehmen. Bevor er die Tür öffnete, sah er vom Stall aus durch die kleine Scheibe in der Tür in die Küche hinein, zog seine Hand von der Türklinke weg und holte seine Frau her, die nun ebenfalls durch die Scheibe zu Monika hinsah. „Warum sagen alle, dass sie ein missratenes Mädchen ist?“ wollte sie von ihrem Mann wissen. „Ich weiß es nicht, vielleicht wurde sie nur zu hart angefasst und wollte sie auf ihre Art wehren, aber wir werden ja sehn, wie sie sich weiterentwickelt, bisher bin ich ganz zufrieden mit ihr.“ „Das meine ich auch,“ stimmte seine Frau ihm zu, „sie ist zwar erst den zweiten Tag hier, aber ich finde, sie hat sich eine kleine Belohnung verdient.“ „Belohnung wofür, etwa nur weil sie bisher keine Dummheiten gemacht hat, das sind ja ganz neue Sitten.“ brummelte Wattjes, der schon wieder Kosten
auf sich zukommen sah. „Ich dachte dabei eher an etwas Kleidung, schließlich braucht sie Wäsche zum Wechseln, und willst Du sie am Sonntag wirklich in ihren Arbeitslumpen mit in die Kirche nehmen? Ich kann jetzt schon hören, was die Anderen sagen werden: Eiso Wattjes ist zu geizig, um dem armen Mädchen Kleidung zu kaufen.“ „Ich bin nicht geizig,“ schnaubte er, seine Frau hatte genau seinen wunden Punkt getroffen, „ich würde ihr ja etwas mitbringen, aber ich gehe doch nicht in den Kramerladen und kaufe Weiberkleidung, nein, das kannst Du nicht von mir verlangen.“ „Mein lieber Mann,“ sagte sie lächelnd zu ihm, „das würde ich auch nie von Dir verlangen, darum habe alles was sie braucht auf diesem Zettel aufgeschrieben. Sobald Du in Hohedörp ankommst, gibt Du den Zettel im Laden ab, gehst zum Schmied, und auf dem Rückweg holst Du das Paket beim Krämer ab.“ „Na gut,“ gab er klein bei, steckte den Zettel ungelesen in die Tasche, hatte dabei aber das unbestimmte Gefühl, von seiner Frau irgendwie aufs Kreuz gelegt worden zu sein. Wattjes nahm die Fußkette in die Hand und stieg auf sein Pferd, um dem Schmied in Hohedörp einen Besuch abzustatten. Er ließ das Pferd ruhig laufen, besah sich in aller Ruhe die Felder am Wegesrand, ja, auch ein Kerl wie Eiso Wattjes verdrückte sich gern mal von der Arbeit. Am Ziel angekommen suchte er zuerst den Kramerladen auf. „Meine Frau hat mir eine Bestellung mitgegeben, unser neues Mädchen braucht ein paar Sachen, schließlich muss sie ja anständig aussehen.“ meinte er selbstbewusst und gab der Krämerfrau den Zettel. Die faltete ihn auseinander, überflog ihn kurz und sagte: „Du bist aber wirklich ein großzügiger Mann, Eiso Wattjes, das muss ich schon sagen. Willst Du warten, bis ich die Sachen zusammengepackt habe? „Ich habe noch beim Schmied zu tun, in einer halben Stunde bin ich zurück und hole die Sachen dann ab.“ Mit einem ungutem Gefühl verließ er den Laden, was, um Gottes Willen, hatte seine Frau wohl alles aufgeschrieben? Sie schaffte es doch immer wieder, ihren Willen durchzusetzen, und der war meist mit Kosten verbunden, was er nun gar nicht mochte. Diese Gedanken brachten ihn auf dem Weg zum Schmied jedenfalls in die richtige Stimmung für das bevorstehende Gespräch. Wenig später band er sein Pferd bei der Schmiede an und ging hinein. „Moin, Eiso Wattjes, was führt Dich hierher, brauchst Du vielleicht ein Paar Handfesseln für Dein neues Mädchen?“ Eiso sah ihn an, ging zur Tür und schloss sie von innen, um dann ein klärendes Gespräch mit dem Schmied zu führen. Die Tür hätte Eiso aber ruhig auflassen können, denn seine Stimme war bis auf die Straße zu hören, so dauerte nur wenige Minuten, bis sich vor der Schmiede mehr als 20 Leute eingefunden hatten, die dem meist sehr einseitigen Gespräch lauschten. Die Zuhörerschaft, unter denen sich auch der Pastor befand, grinste sich an: Endlich wurde dem selbstherrlichen Schmied mal der Marsch geblasen. Mit einem Mal flog die Tür auf, Eiso Wattjes kam heraus, die verlängerte Fußfessel in der Hand, grüßte die Gruppe auf der Straße mit einem „Moin, zusammen.“, stieg auf sein Pferd und ritt höchstbefriedigt zum Kramerladen zurück. Seine Bestellung lag fertig verpackt auf dem Tresen, und so ungern er sich sonst von seinem Geld trennte, diesmal machte ihm das Bezahlen nichts aus. Frohgelaunt stieg er wieder auf sein Pferd und ritt zurück nach Andersum, in dem guten Gefühl, seine Christenpflicht mehr als erfüllt zu haben.
Teil 14 Im Haus von Wattjes war die Arbeit inzwischen erledigt, die Kinder ein zweites Mal zum diesmal gründ-
lichem Waschen geschickt worden, anschließend wurde gemeinsam gefrühstückt und die Kinder um kurz vor 8.00 Uhr zur Schule geschickt, die sich am Dorfrand von Andersum befand. Nachdem auch der kleine Jan versorgt worden war, kümmerte sich Frau Wattjes um ein paar ordentliche Kleidungsstücke für Monika. Sie sah in verschieden Truhen nach, die in der Küche ebenso standen wie in der „Guten Stube“, die nur an Feiertagen wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten, oder auch bei hohem Besuch, benutzt wurde. Immerhin wurden Socken und Strümpfe, Nachtkleidung, Hauben, Arbeits-, Tages- und Sonntagsschürzen, auch Röcke und Blusen, teils neuer, teils älter, aus den Tiefen der Truhen hervorgezaubert. Manche Sachen passten, viele mussten geändert werden, aber immerhin bekam Monika jetzt eine anständige Ausstattung, in der sie sich sehen lassen konnte. Swantje Wessels war gerade dabei in einer der Truhen für Monikas Sachen Platz zu schaffen, als die Tür aufging und die Nachbarstochter Hanna, die Schwester von Wilko de Fries, der sie hierher gebracht hatte, kam herein, um ein bisschen zu klönen (sich unterhalten). Hanna sah genau so gut aus wie ihr Bruder, nach Monikas Schätzung müssten sie gleich alt sein, auch wenn sie in der althergebrachten Kleidung etwas älter aussah. „Du bist also das neue Mädchen, von dem die Leute im Moment alle reden. Der Frau vom Schmied hast Du einen schönen Schrecken eingejagt, Tränen habe ich gelacht, als Wilko mir die Geschichte erzählte.“ Mit rotem Kopf stand Monika da, nicht nur, dass sie schon zum Dorfgespräch geworden war, nein, sie schämte sich vor der Gleichaltrigen für ihr Halseisen und die Kette, an der sie angeschlossen war. „Aber Hanna,“ sagte Frau Wattjes streng, „über solche Sachen darf man doch nicht lachen, das gehört sich nun wirklich nicht.“ Im Land er alten Dörfer wurden die Erwachsenen respektiert, nun war es an Hanna, einen roten Kopf zu bekommen. „Endschuldige bitte, Swantje, das ist mir nur so herausgerutscht.“, sagte aber gleich hinterher: „Ich wäre trotzdem gern dabei gewesen, so etwas wird einem nicht jeden Tag geboten.“ Nun wurde erst mal wieder, wie bei jedem Besuch, egal zu welcher Uhrzeit, Tee aufgebrüht. Während Monika die Tassen, Kluntjes und Sahne auf den Tisch stellte, sahen die Frauen die Kleidungsstücke durch. Die Sachen, die nicht geändert werden brauchten, wurden gleich in einen Teil der Truhe gelegt, die für Monika freigeräumt worden war. Die anderen Kleidungsstücke wurden auf die Truhe gelegt, darum würde im Laufe des Tages kümmern, erst mal wurde Tee getrunken. Sie waren noch bei der ersten Tasse, da hörten sie Eiso Wattjes zurückkommen. Der sattelte sein Pferd ab, brachte es auf die Koppel und kam in die Küche. „Moin, zusammen.“ rief er, immer noch in bester Laune, gab seiner Frau das Paket und die neue Fußfessel und erstattete Bericht von seinem Ausflug. Die Frauen konnten zu ihrem Leidwesen nicht herausbekommen, was genau er dem Schmied gesagt hatte, er meinte nur, das würde keine Rolle spielen, das Wichtigste wäre, dass das Mädchen sich durch die neue Fußfessel besser laufen könne. „Dann wollen wir das Mädchen doch von der langen Kette befreien.“ bestimmte Frau Wattjes, worauf Monika die Socken herunterziehen wollte. „Die Socken kannst Du oben behalten,“ meinte Bauer Wattjes, „die Fußeisen sind so weit, dass Du sie über den Socken tragen kannst.“ Swantje Wattjes legte ihr die Fußeisen um und verschloss sie, anschließend wurde sie von der langen Kette befreit. „Jetzt lauf doch mal ein paar Schritte.“ forderte Hanna sie auf. Tatsächlich konnte sie jetzt fast normale Schritte machen, das war doch ein ganz anderes Laufen als vorher, auch tat ihr jetzt das Eisen der Fessel an den Knöcheln nicht mehr weh. „Vielen, vielen Dank, Herr Wattjes, ich weiß nicht, wie ich das wieder gutmachen kann.“ Sekunden später fragte sie sich selbst ob sie wohl noch bei Verstand wäre, hatte sie sich eben tatsächlich dafür
bedankt, eine Fessel an den Beinen tragen zu dürfen? Na ja, immerhin war diese jetzt wesentlich angenehmer zu tragen als die Fessel vorher, mit der sie anstatt laufen nur trippeln konnte, und der Bauer hatte sich wirklich für sie eingesetzt. Es waren schon seltsame Menschen hier, auf der einen Seite wurde sie wie ein Kettensträfling gehalten, auf der anderen Seite waren die Leute warmherzig und nett, und ganz gegen ihren Willen merkte sie, dass ihr die Menschen hier immer sympathischer wurden. Wattjes stand vom Tisch auf und meinte zu den Frauen, dass sie das mitgebrachte Bündel alleine auspacken könnten, das wäre schließlich Weibersache. Er kramte noch in seinen Taschen, wurde nach einer Weile fündig und zog einen Schlüssel heraus, gab ihn seiner Frau und sagte: „Der Schmied meinte, er hätte nur vergessen den Schlüssel vom Keuschheitsgürtel mitzugeben, aber ich sage Euch, das war Absicht.“ Nach diesen Worten verließ er die Küche, um seiner Arbeit nachzugehen, außerdem konnte er sich vorstellen, was seine Frau jetzt als nächstes machen würde, und dabei wäre er nur im Weg. Ja, Wattjes kannte seine Swantje genau, kaum war ihr Mann zur Tür hinaus forderte diese Monika und Hanna auf, mit in die Melkkammer zu kommen, sie wolle erst mal die Sache mit dem Keuschheitsgürtel kontrollieren. In der Kammer zog Monika sich aus, zwar genierte sie sich zuerst etwas vor Hanna, aber die würde bestimmt schon mehr Mädchen in solch einem Gürtel gesehen haben. Im gleichen Moment, in dem ihre Kleidung herunter war und Swantje und Hanna den ersten Blick auf den Keuschheitsgürtel geworfen hatten, sahen die Beiden sich stirnrunzelnd an, was sie da sahen, gefiel ihnen überhaupt nicht.
Teil 15 „Das wollen Christenmenschen sein? regte Hanna sich auf, „am Sonntag in der Kirche einen Heiligenschein tragen, aber keine Hemmungen haben, um ein Mädchen zu quälen, Pfui, sage ich nur.“ Swantje sagte erst mal nichts, nahm den Schlüssel und öffnete das Schloss des Gürtels. Sie nahm das Schloss ab und löste vorsichtig das Schrittblech, um dann ebenso behutsam den Taillengurt zu öffnen und Monika den Keuschheitsgürtel abzunehmen. Monika stöhnte vor Erleichterung, die ganze Zeit über hatte dieses Instrument sie gequält, bei jeder Bewegung hatte sie Schmerzen gehabt, doch wollte sie sich nichts anmerken lassen. Nun aber war es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei, Tränen der Erleichterung kullerten ihre Wangen hinab. „Kind, Kind, warum hast Du mir nicht gesagt, was für Schmerzen Du hast, ich hätte Dir doch schon eher helfen können,“ sagte sie leise zu Monika. „Ich hab mich doch nicht getraut, ich dachte, das soll so sein.“ gab Monika zurück und fing an zu heulen. Swantje nahm sie fest in den Arm, strich ihr zärtlich über Kopf und flüsterte: „Was bist Du nur für ein dummes Mädchen, hast Du denn gar kein Vertrauen zu mir?“ Schon rollten auch bei ihr die Tränen, doch das war zuviel für Hannas Nerven, nun fing auch sie an zu heulen wie ein Schlosshund. Swantje fasste sich als Erste wieder: „Hanna, steh hier nicht zu heulen, damit ist uns nicht geholfen, geh sofort rüber zu Nachbarin ten Broek, die soll Dir sofort etwas von ihrer Spezialsalbe geben. Hanna lief los wie ein geölter Blitz, Swantje begann damit Monikas Taille und Schritt vorsichtig zu reinigen. Wenige Minuten später war Hanna wieder da, Nachbarin Meike ten Broek war gleich mitgekommen und wollte sich von der Misshandlung, die dem Mädchen angetan wurde, selbst überzeugen. Sie musste zugeben, dass Hanna mit ihrem Kurzbericht nicht übertrieben hatte, die Haut, die unter dem Taillenband gesessen hatte, war zum Teil aufgescheuert und entzündet, die Innenseiten der Schenkel waren durch das Scheuern an dem Schrittblech ebenfalls verletzt, das Mädchen musste die ganze Zeit über starke Schmerzen gehabt haben. Sie ließ sich von Swantje den Keuschheitsgürtel zeigen, ihr Verdacht bestätigte sich: Hier handelte es
sich mit Sicherheit um einen sogenannten Strafgürtel, der nur bei schweren Vergehen eingesetzt werden durfte, keinesfalls war so ein Teil dazu geeignet, dauerhaft getragen zu werden, dafür war alleine das Gewicht solch eines Gürtels viel zu groß. Meike ten Broek hatte einen Korb mit einigen Tiegeln Salbe mitgebracht, von denen sie jetzt einen heraussuchte, öffnete und Monikas kaputte Stellen mit einer seltsam riechenden Salbe gründlich einstrich. Kaum hatte sie ihre Arbeit beendet, als sie auch schon wieder ihren Korb packte und verschwand. Die Salbe hatte sie Swantje dagelassen mit dem Auftrag, die Stellen an dem geschundenen Körper zweimal täglich einzustreichen. Monika fühlte sich schon besser, die Salbe kühlte die entzündeten Stellen und ließ sie schnell die Schmerzen vergessen. Swantje holte ihr neue Kleidung aus der Küche (aber nicht die Unterwäsche, die hatte sie ja erst den dritten Tag an) und kurze Zeit später saßen die Drei bei frisch aufgebrühtem Tee zusammen. Kurze Zeit später ging Hanna nach Hause, und auch im Haus von Wattjes musste man sich sputen, die Familie würde pünktlich zum Essen hier sein. Monika stellte Suppenschalen auf den Tisch, holte Löffel, Brot und Butter, während die Bäuerin die Erbsensuppe abschmeckte, die mit einem guten Stück getrocknetem Bauchfleisch und gepökelten Schweinepfoten gekocht worden war. Die Suppe stand schon auf dem Tisch, als Kinder von der Schule zurückkamen, auch Bauer Wattjes ließ nicht auf sich warten. Nach dem wieder ewig langen Tischgebet wurde zugelangt, und als Monika sich zum drittenmal aus dem Topf bediente, konnte sich Wattjes ein Grinsen nicht verkneifen: Die Landluft schien dem Mädchen gut zu bekommen. Nach dem Essen nahm Swantje ihren Mann an die Seite und erzählte ihm von Monikas Blessuren und dem viel zu schweren Gürtel. Er machte ein ernstes Gesicht, denn jetzt gab es ein Problem: Die Mädchen hatten den Keuschheitsgürtel immer zu tragen, das einzige Ausnahme war das wöchentliche Bad am Samstag. Andererseits hatte der Schmied einen groben Fehler gemacht, denn er hätte keinen Strafgürtel verwenden dürfen. Aus diesem Grund sagte er seiner Frau, dass das Mädchen solange, wie die Haut nicht abgeheilt sei, keinen Gürtel tragen brauche, erst nach vollständiger Genesung würde sie wieder sicher verwahrt werden, aber diesmal in einem normalen Keuschheitsgürtel, für den er dann schon sorgen wolle. Sicherheitshalber setzte er zwei kurze Schreiben auf, in denen er die Sachlage erklärte. Die beiden Briefe würden morgen von dem Milchkutscher mit nach Hohedörp genommen werden, den einen würde der Bürgermeister erhalten, den anderen der Pastor, so konnte ihm keiner vorwerfen, heimlich gegen Bestimmungen verstoßen zu haben. Die Salbe wirkte wahre Wunder, schon am Donnerstag war von den Entzündungen nichts mehr zu sehen, und so war es an der Zeit, das Mädchen wieder verschließen zu lassen. Diesmal aber würde dem Schmied und seiner Frau nicht mehr freie Hand gelassen werden, Eiso Wattjes hatte sich schon einen Plan zurechtgelegt.
Teil 16 Als am Freitag die morgendliche Arbeit erledigt war, nahm Swantje ihre Arbeitsschürze ab, band sich die sogenannte Tagesschürze um und setzte eine frisch gestärkte Haube auf. Monika, die natürlich wusste was auf sie zukommen sollte, stand schon fertig angezogen neben ihr, allerdings mit klopfendem Herzen und einem Flattern im Bauch, sie hatte panische Angst vor dem Schmied und seiner Frau. Einer Eingebung folgend fragte sie die Bäuerin, ob sie sich im Garten ein paar Blumen pflücken dürfe.
Swantje hatte nichts dagegen, packte den kleinen Jan in einen Tragekorb und ging mit ihr in den Garten, wo sie Monika half, einen Strauß zusammenzustellen. Sie waren fast fertig mit ihrem Blumenstrauß, als Eiso mit der Kutsche um das Haus herumkam. Swantje stieg ein, Eiso gab ihr den Korb mit Kind auf den Schoß, hob Monika, die wegen der Fußfesseln nicht alleine einsteigen konnte, hoch und setzte sie hinten in die Kutsche. Da kamen aus den Nachbarhäusern auch schon Hanna de Fries und Meike ten Broek, die ebenfalls einstiegen. Wattjes kletterte auf den Kutschbock und ließ die Pferde antraben, langsam fuhr die Gesellschaft in Richtung Hohedörp, und mit jedem Kilometer, der sie weiter ans Ziel brachte, wuchs die Angst in Monikas Herzen. In Hohedörp angekommen stiegen alle aus, Swantje trug den Korb mit dem kleinen Jan, Hanna führte Monika an der Kette neben sich her. Der erste Weg führte zu der Frau Bürgermeister, die gebeten wurde als Zeuge mitzukommen, als Zweite wurde die Frau Pastor um Begleitung gebeten. Auf dem Weg zum Schmied wurde den beiden Frauen erzählt, wie es Monika ergangen war und welche Schmerzen sie wegen der Schmiedeleute ertragen musste. „Das ist nicht richtig,“ meinten die Beiden, „aber wer weiß, was das Mädchen angestellt hat.“ Wattjes marschierte stramm auf das Wohnhaus der Schmiedeleute Düring zu, klopfte an die Tür. Nach wenigen Augenblicken öffnete die Frau des Schmieds die Tür, sah verwundert auf die Gruppe, die sich bei ihr versammelt hatte. Als ihr Blick auf Monika fiel verdüsterte sich ihr Gesicht, die Erinnerung an das zangenschwingende Mädchen lösten in ihr keine guten Gefühle aus. Hanna ließ die Kette des Halseisens los, Monika holte die Blumen hinter dem Rücken hervor und ging mit gesenktem Blick auf Frau Düring zu, machte einen tiefen Knicks und sagte: „Frau Düring, bitte entschuldigen Sie mein schlechtes Benehmen, als ich vor ein paar Tagen bei Ihnen in der Schmiede war, inzwischen weiß ich, dass sie nur ihre Arbeit machen wollten. Würden Sie als Zeichen der Entschuldigung diese Blumen von mir annehmen?“ Frau Düring sah sie einen Moment nachdenklich an, warf einen kurzen Blick in die Gesichter der anderen Anwesenden und meinte dann: „Scheinbar bist Du zur Vernunft gekommen, in diesem Fall will ich das Geschehne vergessen und Dir verzeihen.“ und nahm die Blumen aus Monikas Hand an, die wieder zu Hanna zurückging, um sich von ihr an der Kette halten zu lassen. „Meta Düring, wir hätten da noch ein Anliegen, wir glauben dass dieses Mädchen einen falschen Keuschheitsgürtel bekommen hat.“ sagte Eiso Wattjes und holte den Strafgürtel aus dem Jutesack.. „Kann es sein, dass Du das Mädchen aus Versehen in einen Strafgürtel gesteckt haben?“ Die Düring wurde erst blass, dann rot, jeder der Anwesenden konnte merken an ihrer Reaktion merken, dass sie dem Mädchen den schweren Gürtel mit voller Absicht umgelegt hatte. „Na, so etwas,“ sagte sie, „das ist mir überhaupt nicht aufgefallen, das ist tatsächlich nicht der richtige Gürtel. Aber wieso tragt Ihr den Gürtel im Jutesack spazieren, es ist Vorschrift, dass die Mädchen die Gürtel ständig zu tragen haben.“ „Das war leider nicht möglich,“ mischte sich Swantje jetzt ein, „da der Gürtel so eng von Dir verschlossen wurde, dass die Haut verletzt wurde und sich schon entzündet hatte, und um die Vorschriften mach Dir mal keine Sorgen, der Bürgermeister und der Pastor wissen beide Bescheid.“ Meta Düring wurde langsam etwas unruhig, sie hatte sich, als sie Monika den Gürtel umlegte, in ihrem Zorn zu etwas hinreißen lassen, was das Missfallen der Gemeindemitglieder erregte. Im Moment hatte sie nur zwei Möglichkeiten: Die getroffene Maßnahme verteidigen, oder den Fehler eingestehen. Sie entschied sich für die zweite Möglichkeit und sagte: „Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht, jetzt ist es ist wohl an mir, mich zu entschuldigen. Lasst uns in die Schmiede gehen, dann will ich dem Mädchen einen anderen Keuschheitsgürtel anpassen.
So gingen die Frauen in die Schmiede, schickten Meister Düring nach draußen und verschlossen die Tür von innen. Monika musste sich ausziehen und Meta ging in den Lagerraum und kam mit einem Gürtel wieder, den die Frauen begutachteten, erst dann durfte Meta ihn Monika umlegen. Als Monika das kalte Metall spürte fing sie unwillkürlich an zu zittern, die Angst vor den Schmerzen war einfach zu groß. Meta ging unter den Augen der versammelten Frauen vorsichtig zu Werk, schloss das Taillenband nicht zu fest, auch mit dem Schrittblech passte sie auf. Als die Teile alle richtig saßen wurden sie mit einem, diesmal nur kleinen Schloss gesichert. „Du brauchst nicht zu zittern, es ist doch schon alles erledigt.“ sagte Meta und wollte ihr die Wange streicheln, doch als Monika die Hand auf sich zukommen sah, hob sie schützend die Arme vor ihr Gesicht und ließ sich auf die Knie fallen. Für die Anwesenden war es klar, dass Meta das Mädchen schon einmal geschlagen haben musste, sonst hätte sie nicht so panisch reagiert. „Meta, Meta, was hast Du nur mit dem Mädchen gemacht, dass sie solch eine Angst vor Dir hat?“ Ziemlich verlegen gab die zu, dass ihr beim letzten Mal die Hand ausgerutscht wäre, was sie jetzt aber sehr bedauern würde. „Das war allein meine Schuld,“ sagte Monika, „schließlich bin ich mit einer großen Zange in der Hand auf Frau Düring losgegangen, da brauchte ich mich nicht zu wundern als ich ein paar Ohrfeigen bekam, ich hatte sie ja auch verdient.“ Frau Düring sah sie dankbar an, kaum zu glauben, dass ausgerechnet dieses Mädchen ihr den Rücken deckte, das rechnete sie ihr hoch an. Nachdem Frau Wattjes den Schlüssel des Gürtels in Empfang genommen hatte rückte die ganze Gesellschaft wieder ab, während Wattjes mit Frau und Kind, den Nachbarinnen und Monika zur Kutsche gingen, unterhielten sich die Frau des Pastoren und des Bürgermeisters noch eine Weile. Den Gesprächstoff bildete das neue Mädchen von Wattjes, das auf die beiden Frauen einen tiefen Eindruck hinterlassen hatte.
Teil 17 Eiso Wattjes lenkte die Kutsche in seine Hofeinfahrt, bedankte sich bei seinen Nachbarinnen für die Unterstützung, half seiner Familie aus dem Fahrzeug und spannte die Pferde aus, während Swantje und Monika zusammen mit dem kleinen Jan in die Küche gingen, es wurde höchste Zeit das Mittagessen vorzubereiten. Während Wattjes nach dem Essen wieder auf um Zäune zu richten, kümmerte der Rest der Bewohner sich um Haus und Garten: Hofplatz fegen, Unkraut jäten, Blumen gießen, Torf und Brennholz ins Haus bringen, Hühner und Kaninchen füttern, usw., die Arbeit wurde nur von einer Teepause unterbrochen. Kaum waren diese Arbeiten erledigt, als es im Stall weiterging, immer der gleiche Ablauf: Melken, Ausmisten, frisches Stroh verteilen, Füttern. Für Monika war es der erste richtige Arbeitstag, körperliche Anstrengungen waren für sie zwar ungewohnt, doch ließ sie sich keine Schwäche anmerken und gab ihr Bestes. Die viele frische Nordseeluft und die Arbeit gingen nicht ohne Wirkung an ihr vorbei, beim Abendessen langte sie zu wie ein Fuhrknecht beim Bier. Nach dem Essen las Eiso Wattjes eine halbe Stunde aus der Bibel vor, um die Familie auf den Sonntag einzustimmen. Während Wattjes vorlas (worauf Monika als Atheistin gerne verzichtet hätte) sah sie sich nacheinander die Familienmitglieder an, alle schienen diese Lesestunde zu genießen, in den Gesichtern der Anderen konnte sie Ausgeglichenheit und Ruhe erkennen, wobei sie selbst eher erleichtert war, als Wattjes die Bibel schloss. Auch den Rest des Abends saßen alle am Tisch, während Swantje mit ihren Töchtern die Kleider von
Monika abänderte, wobei Monika wirklich keine Hilfe war, denn alleine schon das Einfädeln des Fadens in die Nadel war für sie ein Riesenproblem, übte Wattjes mit seinem Sohn Rechenaufgaben. Ab und zu stimmte irgendjemand ein Lied an und alle sangen mit, teilweise hochdeutsch, doch meist im Plattdeutscher Sprache: “Dat du mien Leevste büst, dat du woll west, kumm bi de Nacht, kum bi de Nacht, sech wo du heest (Das du mein Liebster bist, das weißt du, komm in der Nacht, komm in der Nacht, sag wie du heißt.” Aber es gab noch viele andere Lieder, z.B.: “Int Fischerhus, dor wohnt de Not, denn seven Kinner willen Brot, oder: Trina , kumm mol vor de Dör, kieg mol bitje rut.” Etwas später brachte Fenna ihren Bruder Wübbi ins Bett, während Monika sich um Wilma kümmerte, kaum lagen die Beiden in der Buzze, als auch Fenna und Monika sich bettfertig machten. Monika wurde wieder an die Laufkette angeschlossen, die Fußfesseln wurden ihr abgenommen, nur Minuten später war sie eingeschlafen. Am nächsten Tag wurde bereits am frühen Nachmittag der große Kessel angeheizt, der sich in einem separaten Raum hinter dem Backhaus befand. In diesem Kessel wurde sonst das Schweinefutter gekocht, doch gut gereinigt diente er jetzt zum Aufbereiten des Badewassers. In einer Scheune stand ein Holzbottich, den Fenna und Monika mit kaltem Wasser aus der Pumpe in der Melkkammer auffüllten, erst zum Schluss kam heißes Wasser, das Eimer für Eimer aus dem Kessel geholt werden musste, dazu. Gebadet wurde der Reihe nach, Swantje fing an, der nächste war Eiso, dann waren Fenna, Wilma und Wübbi an der Reihe, zwischendurch wurde zwar immer wieder mit einem in den Trog eingelassenen Hahn Wasser abgelassen und durch neues, heißes Wasser ersetzt, aber sehr vertrauenserweckend sah das Bad nicht gerade aus. Trotzdem stieg auch Monika, nachdem ihr Frau Wattjes den Keuschheitsgürtel abgenommen hatte, zum Schluss in den Bottich, sie lechzte geradezu nach einem Bad, und auch wenn dieses nicht mit einem Duftschaumbad im Haus ihrer Eltern vergleichbar war, so fühlte sie sich danach durchaus sauber. Während sie noch badete, ging Swantje Wattjes mit dem Gürtel in die Melkkammer, um ihn zu reinigen und die Innenseiten reichlich mir Salbe einzustreichen. Monika war gerade aus dem Bottich gestiegen und hatte sich abgetrocknet, als sie mit dem Gürtel zurückkam. Der neue Tugendwächter hatte bei Monika keine Spuren hinterlassen, so legte sie ihr den Gürtel wieder um. Durch die großzügig aufgetragene Salbe fühlte sich der Gürtel noch besser an als vor dem Bad, nun gab es auch noch frische Wäsche und Kleidung, was ihr Wohlbefinden noch beträchtlich steigerte. Fenna kam in die Scheune zurück, und die beiden Mädchen stecken die ganze getragene Wäsche von der Familie in den Bottich, um sie bis Montag einzuweichen, was Monika schon ahnen ließ, welche Arbeit auf sie zukommen würde. Nach Erledigung der Stallarbeit und des Abendbrots verlief der Abend wie der vorherige, die Zeit wurde zusammen in der Küche verbracht. Auch am Sonntagmorgen wurde erst gemolken, ausgemistet und den Tieren Futter gegeben, doch dann ging es mit der gesamten Familie in der Kutsche nach Hohedörp, um dort an dem sonntäglichen Gottesdienst teilzunehmen. Auf dem Weg dorthin wandte sich Swantje an Monika: “Mädchen, zwei Sachen muss ich Dir noch erzählen, bevor wir gleich ankommen. Es ist so, dass alle neuen Mädchen hinten in der Kirche bleiben müssen, erst wenn sie es sich verdient haben, mit ihrem eigenen Namen angesprochen werden, weil sie sich als ordentlich und tüchtig erwiesen haben, dürfen sie bei ihren Familien sitzen.” “Das ist schon in Ordnung, Frau Wattjes, machen Sie sich keine Sorgen.”
“Der zweite Punkt wird Dir bestimmt nicht gefallen,” fuhr Frau Wattjes fort, “aber da können mein Mann und ich nichts dran ändern, sondern haben uns dem Beschluss der Gemeinde unterzuordnen: Jeden Sonntag vor dem eigentlichen Gottesdienst verließt der Pastor eine Liste, in der alle Mädchen aufgeführt sind, die sich nicht ordentlich betragen haben. Er verließt die Namen der Familien, bei der die Mädchen untergebracht sind und gibt auch gleich das Strafmaß bekannt.” Monika hatte schon wieder dieses Flattern im Bauch als sie Frau Wattjes fragte: “Um was für eine Art von Strafe handelt es sich dabei, Frau Wattjes?” “Die Mädchen werden nach dem Gottesdienst in das Spritzenhaus geführt, dort hat sich jede die vom Pastor festgelegte Anzahl Hiebe, die mit einer Art Lederriemen auf den blanken Hintern gegeben werden, abzuholen.” Monika wurde still, im Geist zählte sie ihre Missetaten der ersten Tage zusammen, und sagte zu der Bäuerin: “Frau Wattjes, muss ich unbedingt mit zur Kirche, ich habe solche Angst!” “Ja,” sagte Frau Wattjes, “das kann ich gut verstehen, denn die Hiebe werden von Frau Düring gegeben, der Frau vom Schmiedemeister.”
Teil 18 Je dichter sie auf Hohedörp zukamen, umso mehr Kutschen waren zu sehen, die alle in Richtung Kirche fuhren. Bei der Kirche angekommen, stieg Familie Wattjes aus, Monika wurde vom Bauern heruntergehoben und Frau Wattjes nahm den Eisenring an ihrer Halskette in die Hand. Eiso Wattjes fuhr die Kutsche auf einen schattigen Platz und band die Pferde an, während der Rest der Familie damit beschäftigt war, Bekannte und Verwandte zu begrüßen, die man meist nur einmal in der Woche sah. Da Monika als namenloses Mädchen Luft für die Leute war, sah sie sich unauffällig auf dem Dorfplatz um, und entdeckte an dem Pfahl, an dem auch sie schon einmal angekettet war, ein Mädchen, das wütend an ihrer Kette riss und wüste Beschimpfungen aussties. Scheinbar störte sich keiner an den Flüchen des Mädchens, doch dann gingen zwei Männer auf sie zu, fesselten ihr die Hände auf dem Rücken, stecken ihr einen Knebel in den Mund, und sicherten den mit einem Stück Tuch, dass hinter ihrem Kopf verknotet wurde. Mehr bekam Monika auch nicht mehr mit, denn Frau Wattjes zog vorsichtig an ihrer Kette, um sie auf ihren Platz in der Kirche zu führen. Durch den niedrigen Glockenturm ging es in das Kirchenschiff, gleich links und rechts von dem Eingang, also im hintersten Winkel des Raumes, saßen auf der schmalen Bank acht Mädchen in schlichten Kleidern, alle mit der Kette ihres Halseinsen an Ringen in der Rückwand des Kirchengebäudes eingelassenen Eisenringen. Keine von ihnen blickte auf, als Frau Wattjes auch Monika anwies, sich auf die Bank zu setzen und auch ihre Kette an einen Eisenring anschloss. Leise sagte sie noch zu ihr: „Denk daran, immer den Blick nach unten halten, auch wenn der Pastor Dich aufruft und Du aufstehen musst. Sei ein liebes Mädchen und mach uns keinen Kummer.“ sagte sie noch, bevor sie ihr mit einem Lächeln über die Haare strich und sie in der Gesellschaft der anderen Mädchen zurückließ. Noch war die Kirche nicht gefüllt, in den 5 Reihen vor den Mädchen saß zur Zeit niemand, es war ja auch noch eine gute Viertelstunde bis zum Beginn des Gottesdienstes. Das Mädchen auf ihrer rechten Seite fragte leise: „Seit wann bist Du hier?“ „Noch nicht mal eine Woche.“ gab Monika ebenso leise zurück, doch bevor die Andere noch eine Frage stellen konnte, wurden die nächsten Mädchen hereingebracht und angekettet, auch die Reihen vor ihnen füllten sich jetzt, so dass jede Unterhaltung unmöglich wurde. Während die Kirchenglocken zu läuten anfingen, zählte Monika die angeketteten Mädchen: Mit ihr saßen hier insgesamt 20 Mädchen und junge Frauen (ohne diejenigen, die bei ihren Familien saßen), die alle den Blick nach unten gerichtet hielten. Das Mindestalter schätzte Monika auf 18, die Älteste von
ihnen schien aber auch schon über 25 Jahre alt zu sein. Das Glockengeläut wurde leiser, um dann ganz zu verstummen, der Pastor trat hinter dem Altar hervor und stellte sich vor die Gemeinde. „Liebe Anwesenden, bevor wir unseren Gottesdienst beginnen können, habe ich wieder die traurige Pflicht, einige der unserer Gemeinde anvertrauten Mädchen zur Abstrafung zu bringen.“ Er zog einen Zettel aus der Tasche und begann: „Ich rufe auf das Mädchen der Familie Bültena.“ Eines der Mädchen aus Monikas Reihe stand auf, den Blick nach unten gerichtet, die Hände wie zum Gebet vor dem Schoß gefaltet. Der Pastor las nun der Gemeinde die „Verbrechen“ des Mädchens vor, es wurde ihr vorgeworfen schlampig gearbeitet zu haben, außerdem hätte sie zweimal geflucht und es an Gehorsam und Respekt fehlen lassen. Da sie aber erst seit einem Monat in der Gemeinde wäre, würde er noch einmal Milde walten lassen und sie lediglich zu 15 Schlägen verurteilen. „Wirst Du diese Strafe in Dankbarkeit und Demut annehmen, auf dass Du Dich in Zukunft wohl verhältst?“ Als Antwort machte sie einen tiefen Knicks, der solange anzuhalten hatte, bis der Pastor die Nächste aufgerufen hatte. Nachdem der Pastor fünf Mädchen abgeurteilt hatte, kam er scheinbar zum Schluss, denn er steckte den Zettel wieder ein. Monika fiel ein dicker Stein vom Herzen, hatte sie sich doch ganz umsonst Sorgen gemacht. „Ich rufe auf das Mädchen der Familie Wattjes.“ dröhnte die gewaltige Stimme des Pastors zum Entsetzen von Monika durch die Kirche, mit weichen Knien stand sie auf und hatte eine erbärmliche Angst vor dem, was da kommen musste. Wie es sich gleich darauf zeigen sollte, war ihre Angst durchaus berechtigt: Nichts wurde vergessen, jede ihrer Beschimpfungen und jeder Fluch waren dem Pastor mitgeteilt worden, am schlimmsten aber wohl war, dass sie die Schmiedefrau mit einer großen Zange tätlich bedroht hatte. Aus Angst vor dem Urteilsspruch würde Monika fast übel, ihre Knie zitterten jetzt wie Espenlaub, dann war der fürchterliche Moment gekommen: Der Pastor verlas sein Urteil.
Teil 19 „Wehret den Anfängen,“ rief der Pastor durch das Kirchschiff, „und wollt Ihr das Unkraut vernichten, so müsset Ihr die Wurzel mit hinausziehen. Darum verurteile ich das Mädchen der Familie Wattjes dazu, heute und an den drei folgenden Sonntagen jeweils 30 Schläge in Empfang zu nehmen.“ Ein leises Raunen ging durch die Reihen, so ein hartes Urteil hatte der Pastor selten gefällt. „Wirst Du diese Strafe in Dankbarkeit und Demut annehmen, auf dass Du Dich in Zukunft wohl verhältst? fragte er Monika, die nichts anderes zu tun wusste als einen tiefen Knicks zu machen und in dieser Stellung zu verharren. Nach einer Viertelminute fing er wieder an zu sprechen: Mädchen der Familie Wattjes, Du hast in dieser Gemeinde Fürsprecher, die Schmiedeleute Düring haben ein Wort für Dich eingelegt, auch die Frau Bürgermeister und meine eigene Frau haben mir von deinem Wohlverhalten berichtet, dass auf Einsicht und Besserung schließen lässt. Da Du erst knapp eine Woche hier in unserer Gemeinde bist, sich Familie Wattjes zufrieden über Dich äußerst und Du sonst keine Schandtaten mehr begangen hast, ändere ich das Urteil um und setze die Strafe von 30 auf 5 Schläge herunter, die Du jede der nächsten vier Wochen lang bekommen wirst, es sei denn, Du lässt Dir heute 20 Hiebe geben, dann bist Du von der Strafe ab. Du darfst Dich wieder setzen, wir beginnen jetzt endlich mit dem Gottesdienst.“ Monika setzte sich wieder auf die Bank, einerseits erleichtert von der harten Strafe abgekommen zu sein, doch andererseits war die Aussicht auf die Abstrafung nach dem Gottesdienst ein schrecklicher Gedanke.
Der Pastor erzählte irgendwas von einem jungen Baum, der sich bei Wind biegen muss um nicht zu brechen, um später einmal zu einem großen, festen Stamm zu werden. Monika hörte nur halbherzig zu, der Keuschheitsgürtel, der sich auf dieser schmalen Holzbank schmerzhaft bemerkbar machte, lenkte sie von der Predigt ab. Ein Blick auf ihre Leidensgenossinnen ließ sie aber etwas Trost empfinden, alle 20 Frauen und Mädchen rutschen unruhig mit ihren Hintern auf der Bank hin- und her. Erst als die Orgel einsetzte wurde sie von Schmerzen und Angst abgelenkt, mindestens fünf Jahre war es her, dass sie dem Klang der Orgel gelauscht hatte. Sie hatte sich nie etwas aus dieser Musik gemacht, doch diesmal berührte sie der Klang des mächtigen Instruments auf eine seltsame Weise. Über anderthalb Stunden zog sich der Gottesdienst hin, das Sitzen wurde unerträglich, dann endlich sprach der Pastor seinen Segen, die Gemeine verließ nach und nach die Kirche und die Mädchen wurden von den Eisenringen losgeschlossen, um an ihren Halsketten nach draußen geführt zu werden. Die Fußketten klirrten, als sie über die Steinfliesen nach draußen gingen, die Glücklichen unter ihnen konnten gehen, doch die sechs verurteilten Mädchen wurden zum Spritzenhaus gebracht, um ihre Strafe zu empfangen. Während die Gemeinde sich noch auf dem Dorfplatz versammelte um miteinander zu klönen, waren die Mädchen beim Spritzenhaus angekommen, wo Frau Düring schon auf sie wartete. In der gleichen Reihenfolge, wie sie auch verurteilt worden waren, wurden sie jetzt in das Spritzenhaus hereingerufen. Die erste war das Mädchen mit den 15 Schlägen Strafe, ihre Begleiterin über gab Frau Düring das Ende der Kette, die führte das Mädchen hinein und schloss die Tür von innen. Kurze Zeit später war ein jämmerliches Geheule zu hören, das nach jedem Klatschen des Riemens ausbrach. Monika machte sich vor Angst fast ins Hemd, doch Hanna nahm sie in den Arm und meinte: „So schlimm wird es schon nicht werden, die Mädchen heulen alle so laut, weil sie dann hoffen, dass die Düring nicht so fest zuschlägt.“ Das war nun auch nicht der richtige Trost für Monika, die nach diesen Worten schon wieder zu zittern anfing. Jetzt legte Frau Wattjes den Arm um sie, sprach beruhigend auf sie ein, wie das nur eine Frau kann, die selbst Kinder hat. Langsam entspannte Monika sich etwas, doch als sie dann das Spritzenhaus betreten musste, war es mit ihrer Fassung vorbei, ihre Augen waren schon etwas feucht, als Frau Wattjes das Ende ihrer Kette in die Hände von Frau Düring legte. Monika machte den vorgeschriebenen Knicks, ließ sich an widerstandslos in das Gebäude bringen, wo sie einen mit Leder gepolsterten Bock mit Lederriemen an der Seite sah, dessen Bedeutung sie sofort verstand. Frau Düring fragte sie, ob sie alle vier Wochen die 5 Schläge haben wolle, oder ob sie das ganze Strafmass mit einem Abwasch erledigen wolle. Monika entschied sich für die 20 Schläge, zog den Rock hoch und die Unterhose herunter, um sich dann auf den Strafbock zu legen. Als Frau Düring die Lederfesseln anlegen wollte, meinte sie, dass das nicht notwendig wäre, sie hätte ihre Strafe verdient und würde sich nicht wehren. Der erste Schlag kam wie aus heiterem Himmel, doch sie verbiss sich ihren Schrei, der zweite Schlag löste ein leises Stöhnen bei ihr aus, doch nach dem dritten Hieb brüllte sie genauso laut wie ihre Vorgängerinnen. Die Düring sagte leise zu Monika: „Das war der richtige Schrei, jedes Mal, wenn der Riemen klatscht, will ich diesen Schrei hören“ und schlug mit dem Riemen auf das Lederpolster, worauf Monika, die schnell verstanden hatte, dass die Frau es gut mit ihr meinte, ein fürchterliches Gebrüll ausstieß. Fast wäre die Sache aufgeflogen, denn nach dem elften Schlag auf das Lederpolster fingen beide Frauen an zu lachen, Monika hätte fast keinen Schrei mehr herausgebracht. In der Zwischenzeit standen die
Frauen der Familie Wattjes draußen vor dem Spritzenhaus, und bei jedem Gebrüll von Monika zuckten sie zusammen. „Wenn die Düring jetzt schon wieder übertreibt, werde ich mehr als ein ernstes Wort mit ihr reden.“ regte sich Frau Wattjes auf. Während Monika sich wieder anzog, wurde sie von Frau Düring angesprochen: „Mädchen, ich möchte mich bei Dir bedanken, dass Du beim letzten Mal, als Du bei uns in der Schmiede warst, die Schuld auf Dich genommen hast, damit hast Du meinem Mann und mir große Schwierigkeiten erspart. Wenn Du jetzt nach draußen gehst, erzähl bitte keinem von unserer „besonderen“ Strafaktion, sonst habe ich nämlich schon wieder ein Problem.“ „Wenn Sie sich nicht für mich eingesetzt hätten, wäre meine Strafe viel höher ausgefallen, es ist also an mir, mich zu bedanken.“ meinte Monika. Frau Düring öffnete die Tür und führte Monika hinaus, Frau Wattjes kam sofort an um die Kette zu übernehmen und ihre Schutzbefohlene zu fragen: „Na, Mädchen, alles in Ordnung?“ „Ja, Frau Wattjes, es ist alles in Ordnung, vielen Dank.“ Dass die Augen des Mädchens noch feucht waren konnte sie gut verstehen, nur ahnte sie nicht, dass es Lachtränen waren. So wunderte sie sich doch, als Monika sich von Frau Düring mit einem Knicks und den Worten: „Vielen Dank für alles, Frau Düring.“ verabschiedete. Noch seltsamer kam ihr aber vor, dass die Frau vom Schmied das Mädchen in den Arm nahm und zu ihr sagte: „Wer weiß, vielleicht werden wir noch die besten Freundinnen.“ Auf dem Weg zur Kutsche fragte Monika nach dem Mädchen, dass vorhin an den Pfahl gefesselt war. „Auch dieses Mädchen ist jetzt bei einer Familie untergekommen,“ meinte Swantje Wattjes, „ich bin davon überzeugt, dass Du sie in nächster Zeit noch öfters sehen wirst.“
Teil 20 Nun kam der schönste Teil des Sonntags, zuerst wurde das Mittagessen gemacht: Salzkartoffeln standen schon fertig geschält in einem Kochtopf, ebenso wie die Bohnen. In noch einem anderen Topf lag ein Stück Pökelfleisch, dass in Abwesenheit der Familie richtig schön gargezogen war. Vom Sud des Pökelfleischs wurde eine Sauce gezogen, und sobald die Kartoffeln gar waren, konnte gegessen werden. Fenna stellte noch eine Schüssel mit Roten Beten auf den Tisch, während Swantje das Pökelfleisch in Scheiben schnitt. Sobald der Abwasch fertig war, durften die Kinder zum Spielen nach draußen gehen, sogar Fenna mit ihren 14 Jahren war nicht mehr zu halten. Nachbarin Hanna de Fries kam vorbei, nach dem üblichen Teetrinken fragte die, ob sie mit Monika durch das Dorf gehen dürfe, sie hätte ja noch nicht viel davon gesehen. Wattjes hatten nichts dagegen einzuwenden, also nahm Hanna den Ring an Monikas Halskette in die Hand und die Beiden spazierten durch das Dorf. Überall spielten die Kinder, Mädchen vertrieben sich die Zeit meist mit Seilspringen, während die Jungs mit Murmeln spielten oder einen aus Weideruten geflochtenen Reifen über die Straße trieben. Hanna hatte Monika soviel zu erzählen, dass sie sich nur einen Teil merken konnte, bei jedem Haus wurden ihr die Namen der Bewohner genannt, wo die Frau des Bauern herkam, wie sie mit Mädchennamen hieß, wie viel Kühe und Schweine sie im Stall hätten, wie viel Land sie bewirtschafteten, und, und, und. Jetzt sah Monika auch andere Mädchen, die an einer Kette durch das Dorf geführt wurden, leise fragte sie Hanna, ob sie mit diesen Mädchen sprechen dürfe, doch Hanna erklärte ihr, dass das nicht gern gesehen würde, es sei denn, sie würden zusammen eine Arbeit verrichten und müssten sich darüber verstän-
digen. Zumindest hatte sie im Vorbeigehen Blickkontakt mit den anderen Mädchen, aber keine wagte ein Wort zu sagen, die Augen zu Boden gerichtet gingen sie aneinander vorbei. Nur bei einer schien es anders zu sein, das Mädchen/die Frau an der Kette, Monika schätzte sie um die 22 Jahre, wurde auch von den Dorfbewohnern begrüßt und in die Gespräche mit eingebunden. „Warum wird sie so anders behandelt als die anderen Mädchen?“ wollte sie von Hanna wissen. „Weil sie sich ihren Namen verdient hat, außerdem ist ihre Zeit in vierzehn Tagen abgelaufen, dann kann sie gehen wohin sie auch immer will.“ Sie kamen zu dem kleinen Dorfplatz, liefen die Strasse weiter bis zum letzten Hof, drehten dann wieder um und gingen zurück. Aus der Richtung Hohedörp kam ein Ackerwagen angerumpelt, die Mädchen wichen an den Straßenrand aus, um den Wagen vorbei zu lassen. Vier junge Männer befanden sich auf dem Wagen, zwei von ihnen saßen vorn, der eine war der Bruder von Hanna, Nachbar Wilko de Fries, die anderen Beiden saßen auf der Ladefläche, zwischen ihnen ein wütendes Mädchen, deren Arme und Beine gefesselt waren. Die Vier riefen Hanna ein fröhliches: „Moin.“ zu, die ebenso munter zurückgrüßte. „War das nicht das Mädchen, dass heute auf dem Dorfplatz angebunden war?“ fragte Monika. „Ganz genau,“ gab Hanna zurück, „keine Familie wollte sie nehmen, allen war sie zu wild und unbeugsam, jetzt kommt sie in unser Haus, unsere Eltern glauben, dass sie das Mädchen zur Vernunft bringen können.“ „Darum hat Frau Wattjes heute gesagt, ich würde das Mädchen noch öfters sehen, als ich sie danach fragte, was mit ihr passiert wäre. Aber warum habt Ihr sie nicht gleich nach der Kirche mit hierher gebracht, so musste der Weg doch zweimal gefahren werden.“ Das haben wir ja auch probiert, aber das Mädchen versuchte zu treten und zu beißen, fing an zu fluchen und zu spucken, da wollten meine Eltern sie nicht mit in der Kutsche haben. Wilko brachte sie an den Pfahl zurück, wo sie bis vorhin darauf warten musste, von ihm abgeholt zu werden.“ Inzwischen waren sie wieder auf dem Dorfplatz angekommen, nachdem Hanna sich noch mit einigen Leuten unterhalten hatte, gingen sie wieder nach Hause zurück. Kaum beim Wattjes angekommen hörten sie schon aus Hannas Elternhaus eine wütende Mädchenstimme, die sich in den wildesten Flüchen und Verwünschungen erging. „Ich denke, es ist besser, wenn ich Dich wieder zu Wattjes zurückbringe und meinem Bruder zu Hilfe komme, das neue Mädchen scheint wirklich nicht bei Verstand zu sein.“ Eiso und Swantje Wattjes saßen auf einer Bank vor dem Haus, genossen die noch schwache Aprilsonne. „Setzt Euch zu uns.“ bot Swantje den Mädchen an, doch Hanna meinte, sie würde lieber nach Hause gehen. „Eiso Wattjes grinste sie an und sagte: „Da habt Ihr Euch ja ein schönes Wildpferd eingefangen, bin mal gespannt, wie Ihr das zähmen wollt.“ „Bisher sind doch noch alle vernünftig geworden,“ gab Hanna zurück, „und was wir selbst nicht zurechtbiegen können, das macht Frau Düring Sonntags mit dem Lederriemen.“ „Da bin ich mir nicht so sicher,“ sagte Swantje und sah Monika an, „es gibt Mädchen, die bekommen 20 Hiebe mit dem Lederriemen, denen tut anschließend noch nicht einmal der Hintern weh, bedanken sich nach der Prügel noch bei der Zuchtmeisterin, die darauf antwortet, dass sie vielleicht noch die besten Freundinnen werden würden, schon sehr seltsam, finde ich.“ Monika tat, als wenn sie den Flug der Vögel beobachten würde, während Eiso meinte: „Ja, das muss ich schon sagen, unser Mädchen ist härter als ich dachte, nicht jede würde eine tüchtige Tracht Prügel so einfach wegstecken, und dass sie sich anschließend auch noch dafür bedankt, ist doch ein Zeichen von Charakterstärke und gutem Willen.“
Teil 21 Am Montag wurden die Kühe auf die Weide gebracht, zwei Tage lang wurde der Stall geschrubbt und gewienert, bis nicht ein Fleck oder Hälmchen mehr zu sehen war. Monika war froh, als diese Arbeit beendet war, die ganze Zeit mit der Bürste auf den Steinen herumkriechen war nun wirklich nicht ihr Ding. Nun brauchten die Kühe zwar nicht mehr gefüttert werden, auch das Stallausmisten fiel weg, aber dafür ging es jetzt jeden Morgen und Spätnachmittag hinaus auf die Weide zum Melken. Monika glaubte gerade, sich an die Arbeit gewöhnt zu haben, als Wattjes meinte, dass man am nächsten Tag mit dem Mistfahren anfangen würde. Die Bauern machten diese Arbeit immer zu zweit, in diesem Jahr sollte erst der Misthaufen von Nachbar de Fries weggefahren werden. Wattjes spannte die Pferde vor den Wagen, ließ Monika aufsteigen und fuhr zu seinem Nachbarn. Nun wurde zuerst der Wagen von Wattjes mit Mist beladen, Monika hinten am Wagen mit einer Kette festgemacht, Wattjes nahm die Zügel und lief neben dem Wagen her, bis sie auf einem Acker von de Fries angekommen waren. Der Bauer ließ die Pferde halten, ging zum Ackerrand, holte eine schwere Eisenkugel mit einer langen Kette daran, löste Monikas Kette vom Ackerwagen und befestigte sie an der Kette mit der Eisenkugel. Jetzt ließ er die Pferde langsam weiterlaufen, Monika und er zogen mit Hacken den Mist vom Wagen herunter, immer gleiche Mengen in gleichen Abständen, wobei Monika mit ihrer Kette aufpassen musste, mehrere Male unterbrach sie das Abladen und schleppte die Eisenkugel ein Stück weiter. Als der Wagen entladen war, zeigte Wattjes ihr wie der Mist mit der Forke zu verteilen ist. Sobald er merkte, dass das Mädchen verstanden hatte, führte er die Pferde zurück zu dem Hof von de Fries, während Monika alleine auf dem Acker zurückblieb. Sie hatte noch nicht mal die Hälfte des stinkenden Düngers verteilt, als auch schon Wilko de Fries seinen Ackerwagen mit der nächsten Fuhre brachte, auch er hatte ein Mädchen hinten am Wagen angekettet, es war die Neue, die sie am Sonntag bereits gesehen hatte. Auch Wilko ließ die Pferde halten, holte eine Eisenkugel mit Kette und befestige sein Mädchen daran, zeigte ihr was sie zu machen hätte und ließ die Pferde langsam laufen. Doch sein Mädchen dachte nicht im Traum daran, den stinkenden Mist vom Wagen abzuladen, sondern stand da mit verschränkten Armen vor der Brust und sah ihm bei der Arbeit zu. Monika konnte gut sehen, dass Wilko mehr als sauer war, also steckte sie ihre Forke in die Erde, nahm die Eisenkugel hoch und ging zu Wilko, um ihm zu helfen. Der lächelte sie an und meinte: „Mädchen, Du bist wirklich in Ordnung, schade dass Du bei Wattjes bist, Dich hätte ich gern bei mir im Haus.“ Sie wurde ganz verlegen, sagte aber nichts und arbeitete dafür nur noch härter. „Dieser Wilko ist ein ganz feiner Kerl,“ dachte sie bei sich, „irgendwie finde ich ihn ganz symphatisch.“ Sobald der Wagen abgeladen war, drücke Wilko seinem Mädchen eine Forke in die Hand und wies sie an, sich von Monika zeigen zu lassen, was gemacht werden solle. Dann führte auch er das Gespann wieder auf seinen Hof zurück. „Wie heißt Du?“ wollte Wilkos Mädchen wissen. „Monika, und Du?“ „Ich heiße Anja, sag mal, wie lange bist Du denn schon hier bei den Verrückten?“ „Ungefähr anderthalb Wochen, aber jetzt nimm die Forke, erst mal dürfen wir nur über Sachen reden, die mit der Arbeit zu tun haben, und dann müssen wir sehen, dass wir den Mist verteilt haben, bevor mein Bauer wiederkommt, sonst könnte das derbe Ärger geben.“ „Dich haben die aber schon gut in den Griff bekommen,“ meinte Anja, „mit mir können die das nicht
machen, und arbeiten werde ich hier mit Sicherheit nicht.“ „Mach lieber, was Dir gesagt wird, solange Du Dich ordentlich verhältst hast Du auch nichts zu befürchten, doch wenn Du Widerstand leistest, wirst Du dementsprechend behandelt.“ „Was wollen diese Primitivlinge denn schon mit mir machen, schließlich gibt es auch noch Menschenrechte, ich brauch mir so etwas nicht gefallen zu lassen, mein Vater ist schließlich kein unbedeutender Mann in der Öffentlichkeit.“ „Genau der wird Dich auch hierher gebracht haben, nehme ich an, wie alt bist Du denn?“ „Ich bin neunzehn, aber was hat das damit zu tun?“ „Hast Du in den letzten Tagen vielleicht irgendetwas unterschrieben, irgendein Formular?“ „Nein,“ meinte Anja, sich dabei auf die Forke stützend, „ich glaube nicht, doch Moment, meine Mutter hat mir einen Wisch hingehalten, den ich eben schnell unterschreiben sollte, was ich auch gemacht habe ohne näher hinzusehen, weil ich es eilig hatte.“ „Damit hast Du Dich selbst ausgeliefert, genau so ist es mir auch ergangen, und Du hast nicht die geringste Möglichkeit etwas daran zu ändern, hat Dir das Anwalt Meyerdirks nicht gesagt?“ fragte Monika und fing an noch schneller zu arbeiten, weil sie ihren Bauern schon mit der nächsten Fuhre kommen sah. Sogar Anja fing jetzt an zu arbeiten, sie wollte nicht von Monika getrennt werden, jede Information, die sie von ihr erhielt, könnte vielleicht zu verwerten sein. Auch beim Abladen der Fuhre Mist half sie mit, und solange Wattjes in der Nähe war, arbeitete sie stramm durch. Kaum war der Bauer mit seinem Ackerwagen wieder vom Acker herunter, als Anja die Forke auf die Erde warf und Monika fragte: „Hast Du auch diesen seltsamen Anwalt Meyerdirks kennen gelernt?“ „Natürlich,“ gab sie zurück, „aber solange Du nicht mitarbeitest, spreche ich kein Wort mehr mit Dir, ich habe nicht die geringst Lust, wegen Dir Ärger zu bekommen.“ „Was für einen Ärger kannst Du Dir hier denn schon einhandeln, bei mir steht höchstens der Bauer vor mir und sagt: „Mädchen, Mädchen, Du machst Dich selbst unglücklich“. Nun sag doch mal selbst, die haben doch wirklich einen an der Marmel hier.“ „Du hast doch mit Sicherheit schon mit Frau Düring Bekanntschaft gemacht, richtig?“ „Hör bloß auf,“ knurrte Anja, „das verrückte Weib hat mir einen Keuschheitsgürtel verpasst.“ „Das ist nur eine ihrer Aufgaben,“ sagte Monika, „ihre andere Arbeit besteht da drin, jeden Sonntag die Mädchen, die sich nicht ordentlich benommen haben, mit einem dicken Lederriemen zu verprügeln.“ „Das ist nicht Dein Ernst,“ sagte Anja. „Worauf Du Dich verlassen kannst, ich spreche aus Erfahrung, und jetzt halt endlich die Klappe und fang an zu arbeiten.“ „Puh,“ sagte die bloß und setzte sich auf eine Stelle des Ackers, auf dem noch kein Mist lag. Monika blieb nichts anderes übrig als Anjas Arbeit mitzumachen, sie schuftete wie eine Wilde, kaum hatte sie den Mist verteilt, als auch schon Eiso Wattjes mit der nächsten Fuhre kam. Anja war clever genug um aufzustehen, sich die Forke zu nehmen und den Eindruck von Arbeitsamkeit zu verbreiten, doch Wattjes wachem Auge war nicht entgangen, dass Monika die Arbeit allein gemacht hatte. Die half ihm nun auch wieder den Wagen abzuladen, während Anja sinnlos mit der Forke herumfuchtelte. „Nachher schicke ich dir Fenna, die wird Dir wohl eine größere Hilfe sein als dieses Mädchen von de Fries.“ meinte er. Kaum war abgeladen, als er auch schon wieder zurückfuhr um die nächste Fuhre zu holen. Monika forderte Anja noch einmal auf, endlich die Forke zu nehmen und mitzuarbeiten, doch die störte sich nicht darum. Nun kam Wilko de Fries wieder mit seinem Wagen an, doch anstatt abzuladen ging er auf Anja zu. „Dir scheint es auf dem Acker nicht zu gefallen.“ meinte er, „wahrscheinlich würde Dir ein kleiner Spaziergang besser gefallen, stimmt es?“
„Das könnte sein,“ meinte Anja ziemlich keck, „noch schlimmer als hier auf dem stinkenden Acker herumstehen kann es ja nicht werden.“ Wilko grinste sie an und sagte: „Wenn das so ist, dann darf ich die Dame bitten, mich zu begleiten.“
Teil 22 Wilko löste die Kette mit der Eisenkugel, führte Anja hinter den noch beladenen Ackerwagen, befestigte dort die Kette ihres Halseisen an den Ackerwagen. Die Kette war so kurz angeschlossen worden, dass sie Anja höchstens einen halben Meter Spielraum gab. Die hatte noch nicht begriffen, was dieses erneute Anketten bedeuten sollte, doch als Wilko die Pferde weiter vorwärts trieb, dämmerte es bei ihr: Der verfluchte Kerl wollte sie hinter diesem Scheißhaufentransporter hinterherlaufen lassen. Als der Wagen an der richtigen Stelle stand, begannen Monika und Wilko mit dem Abladen, wobei es auch mal passierte, das Spritzer in Anjas Gesicht flogen. Wieder wurde der Ackerwagen ein paar Meter weitergefahren und ein Teil der Ladung heruntergezogen, so ging es mehrere Male, bis der Wagen leer war. Bevor Wilko wieder zurückfuhr, sagte er zu Monika: „Du brauchst Dich nicht zu beeilen, Fenna kommt gleich zu Hilfe, dann hast Du es etwas leichter. Ich muss jetzt wieder los, die junge Dame hinter dem Ackerwagen wartet auf ihren Spaziergang, also bis später.“ Er schnalzte mit der Zunge und ließ die Pferde loslaufen. Anja, die nicht aufgepasst hatte, wurde unsanft nach vorne gerissen, was bestimmt ziemlich schmerzhaft war. Wütend wie ein Raubkatze brüllte sie: „Du Hirni, du verdammter, sobald ich von dieser Kette loskomme reiß ich Dir den Arsch auf, ich mach Dich fertig, Du Arsch mit Ohren.“ Wilko drehte sich um, lächelte ein wenig und meinte: „Ich werde Dich heute Abend noch an diese Worte erinnern.“ Da es ihr ziemlich dumm erschien, allein und untätig auf dem Acker herumzustehen, nahm Monika sich die Forke und machte mit ihrer Arbeit weiter, inzwischen hatte sie auf den richtigen Dreh heraus, und die Arbeit ging ihr flott von der Hand. Mit einem Mal sah sie Fenna auf den Acker kommen, einen Weidekorb in der Hand haltend. „Hallo Mädchen, Schluss mit Arbeit, jetzt ist Pause.“ rief sie schon von weitem, stellte den Korb an den Wall, half Monika dabei, die schwere Kugel mit der Kette an den Wall zu bringen. Monika setze sich hin, stöhnte vor Erleichterung, sie konnte jeden ihrer Knochen einzeln spüren. Fenna packte den Korb aus: Eine Tonflasche mit noch heißem Tee, Brote dick mit Butter bestrichen, belegt mit Schinken, Leberwurst, Mettwurst und Käse. Beim Anblick dieser Sachen fing Monikas Magen an zu knurren, Fenna lachte und meinte: „Warum fängst Du nicht an zu essen, wenn Du so einen Hunger hast, das ist schließlich alles für Dich.“ Das brauchte sie kein zweites Mal sagen, mit Heißhunger biss Monika in die Brote. Tatsächlich verdrückte sie alles, bis auf den letzten Krümel Brot und Tropen Tee, selten hatte ihr etwas so gut geschmeckt, aber sie hatte bisher auch noch nie so schwer körperlich gearbeitet. Normalerweise hätte Eiso Wattjes schon lange mit der nächsten Fuhre hier sein müssen, doch auch der machte eine Pause, wie Fenna ihr erklärte. So lagen die beiden Mädchen am Wall und genossen den Moment der Ruhe. Die Pause war viel zu schnell vorüber, denn nun kam Wattjes wieder angefahren. Diesmal ging das Abladen schnell als vorher, denn Fenna legte für ihre 14 Jahre ein ganz schönes Tempo vor. Auch das Verteilen des Dungs über den Acker war jetzt flott erledigt, und so konnten sie sich noch einige Minuten hinsetzen, bevor Wilko de Fries wieder angefahren kam. Sie konnten ihn zwar noch nicht sehen, aber zu hören war sein Gespann ganz deutlich, denn Anjas Stimme war nicht zu überhören. Sie fluchte und zeterte was das Zeug hielt, doch Wilko schien das nicht zu stören. Als er bei den Mädchen auf dem Acker anhielt, fingen die sofort an zu lachen: Beim Aufladen
hatte man scheinbar keine Rücksicht auf die angekettete Anja genommen, sie war übersät von Spritzern. Bis zum Nachmittag wurde Wagen für Wagen gebracht, und während Fenna und Monika ihre Arbeit verrichteten, hatte Anja die ganze Zeit über dem Ackerwagen zu folgen. Mit jeder Fuhre, die sie unfreiwillig begleiten musste, wurde sie ruhiger, zum Schluss sagte sie überhaupt nichts mehr. Endlich brachte Wattjes den letzten Wagen für diesen Tag, sobald der Dung verarbeitet war, wurde Monika von der Eisenkugel befreit und Fenna nahm den Ring ihrer Halskette in die Hand, im gemütlichen Tempo spazierten die Mädchen nach Hause. Nachdem sie sich unter der Pumpe gewaschen hatten, gab es Vesper, bei dem Monika schon wieder einen Riesenappetit an den Tag legte. Danach wurde es auch Zeit, die Sachen fürs Melken zusammenzustellen: Eimer mit Wasser, Melkeimer, Bürsten, Stofftücher zum Filtern und natürlich die Melkeimer wurden auf den Wagen geladen, ein Pferd vorgespannt, und schon ging es zum letzten Arbeitsgang des Tages. Dann endlich gab es Abendbrot, Monika ließ sich erleichtert auf die Bank fallen, wobei sie aber schmerzhaft an ihren Keuschheitsgürtel erinnert wurde. Seltsamerweise hatte sie jetzt kaum noch Hunger, sie fühlte sich etwas seltsam. Wattjes fragte sie, ob der Tag vielleicht doch etwas zuviel für sie gewesen wäre, doch Monika sagte: „Bauer Wattjes (zum ersten Mal hatte sie unbewusst die Anrede „Herr“ weggelassen), das hat mir überhaupt nichts ausgemacht, von mir aus hätten wir noch 20 Fuhren verarbeiten können.“ Keine 15 Sekunden später fielen ihr die Augen zu, sie lehnte den Kopf an Fennas Schulter und fing an, leise zu schnarchen. Wie ein kleines Kind wurde sie von Swantje und ihren Töchtern in die Buzze gebracht, die sie auszogen, ihr das Nachthemd überstreiften, die Fußfessel abnahmen und sie an der Laufkette festmachten. So bekam sie leider auch nicht mit, wie Swantje sich auf den Buzzenrand setzte, ihr die Wange streichelte, einen Kuss auf die Stirn gab und flüsterte: „Kleine Monika, Du wirst bestimmt noch ein ganz liebes Mädchen, davon bin ich fest überzeugt.“
Teil 23 Als am nächsten Morgen der Hahn krähte und Monika aus der Buzze kletterte, um ihre morgendlichen Pflichten zu erledigen, glaubte sie den Tag nicht überleben zu können, kein Muskel und kein Knochen in ihrem Körper, der ihr nicht schmerzte, doch als sie erst etwas in Bewegung gekommen war, wurde es besser. Nach dem Tee erst wieder zum Melken, als sie danach zusammen beim Frühstück saßen wollte Wattjes wissen, wie Monika geschlafen hätte. „Danke, sehr gut, Herr Wattjes.“ Monika stutzte, alle am Tisch grinsten sie an, was war denn los? Sie ging den gestrigen Tag und Abend noch mal im Geist durch, ja, zum Kuckuck, wie war sie den ins Bett gekommen? „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich ins Bett gegangen bin.“ meinte Monika. „Kein Wunder,“ sagte Frau Wattjes, „du bist uns ja am Tisch eingeschlafen.“ „Und wie bin ich dann ins Bett gekommen?“ „Du warst so fest am schlafen, dass du überhaupt nicht gemerkt hast, wie Fenna und ich Dich ins Bett gebracht haben, meine Güte, musst Du müde gewesen sein.“ Die Kinder gingen zur Schule, Frau Wattjes räumte die Küche auf, Monika wurde die Fußfessel angelegt und die Laufkette abgenommen, dann ging es wieder hinaus zum Mistfahren. Als Wattjes mit seinem Wagen beim Nachbarn de Fries angekommen war, hatte der seinen Ackerwagen schon beladen, Anja war wieder, genau wie am Vortag, mit kurzer Kette an dem Gefährt angebunden worden. Wilko de Fries fuhr los, eine inzwischen schweigsame Anja trottete missmutig hinterher. Nun machte Wattjes sich an das Beladen des Ackerwagens und kurze Zeit später liefen auch zogen auch seine Pferde den Wagen Richtung Acker. Nach einer Weile kam ihnen de Fries entgegen, fröhlich vor sich hinpfei-
fend und grinsend, von Anja war nichts zu sehn. Die Wagen fuhren aneinander vorbei und de Fries blinzelte entgegen allen Vorschriften Monika, die wieder hinten an dem Wagen angekettet war, freundlich zu, die sofort einen roten Kopf bekam. Dumme Kuh, schimpfte sie mit sich selbst, wieso wirst du verlegen, wenn einer dir nur mal zublinzelt, wollte sie sich doch selbst nicht eingestehen, dass ihr der Nachbar Wilko de Fries mehr als nur gut gefiel. Schon aus weiter Entfernung sahen Wattjes und Monika, dass Anja richtig am Arbeiten war. „Hat es dieser Wilko doch geschafft.“ brummelte Wattjes anerkennend vor sich hin. Nachdem Monika an der Eisenkugel angekettet war, half sie dem Bauern beim Abladen des Wagens und machte sich sofort an das Verteilen des Dungs. Wattjes war gerade vom Acker weg, als Anja zu ihr sagte: „Lass uns abhauen, und zwar jetzt sofort.“ „Du bist ja verrückt,“ gab Monika zurück und verteile den Mist mit inzwischen geübten Schwung, „mit der Eisenkugel an der Kette hätten Sie Dich doch sofort wieder geschnappt, und ich möchte nicht wissen, welche Strafen dann auf Dich zukommen würden.“ „Die Eisenkugeln können wir tragen, das ist kein Problem, außerdem sind wir heute so gut wie alleine hier, unsere Flucht würden die erst später merken, dann können wir schon eine ganze Ecke weit weg sein. Also was ist, kommst Du mit?“ „Nein,“ sagte Monika, „und Du kannst auch jeden Gedanken an eine Flucht vergessen, was glaubst Du denn passiert mit mir, wenn ich nicht versuche Dich zurückzuhalten, dann werden alle glauben, dass ich mit Dir unter einer Decke stecke, auf den Ärger kann ich gut verzichten.“ „Dann würdest Du also Krach schlagen, wenn ich versuchen sollte abzuhauen?“ wollte Anja wissen. „Worauf Du Dich verlassen kannst.“ sagte Monika und arbeitete weiter. Anja sagte nichts mehr, nahm ihre Forke und verteilte den Mist auf dem Acker, so gut sie konnte. Kurze Zeit später war de Fries mit der nächsten Fuhre zurück, gehorsam half Anja ihm beim Abladen. „Na, Mädchen,“ meinte er, „jetzt scheinst Du ja vernünftig zu werden, wenn Du so weitermachst bin ich zufrieden mit Dir.“ „Ich werde mir Mühe geben, Herr de Fries.“ gab sie zur Antwort und nahm die Forke wieder in die Hand, worauf de Fries befriedigt nickte und sein Gespann zum Hof zurückführte. Kaum war de Fries außer Sichtweite als Anja die Forke noch fester in die Hand nahm, sich hinter Monika stellte und ihr die flache Forke mit voller Wucht auf den Kopf schlug. Monika spürte nur den Schlag, sonst merkte sie nichts mehr und lag ohnmächtig in dem Mist, den sie kurz vorher noch selbst verteilt hatte, während Anja sich die Eisenkugel über die Schulter legte und die lange Kette hinter sich herziehend vom Acker lief.
Teil 24 Schon von weitem konnte Wattjes sehen, dass auf dem Acker etwas nicht stimmte: Von den beiden Mädchen war nichts zu sehen. Diesem neuen Mädchen von de Fries hatte er nicht über den Weg getraut, aber von dem Mädchen, dass bei ihnen im Haus lebte, hatte er eine bessere Meinung gehabt, nach dem ersten Gefühl der Enttäuschung stieg Wut in ihm auf, er würde dafür sorgen, dass sie eine schwere Strafe bekommen würde. Da er genau wusste, dass die Mädchen nicht so einfach entkommen konnten, führte er sein Gespann auf den Acker, um den Wagen zu entladen, dort fand er dann die immer noch bewusstlose Monika, die ausgestreckt auf dem Acker lag. Die Zügel fallen lassend lief er zu ihr, und sah das Blut auf ihrem Hinterkopf, dass ihre Haube schon rot verfärbt hatte. Er spannte eines der Pferde aus, legte Monika über den Pferderücken, stieg selbst auf, nahm Monika jetzt wie ein Kind in die Arme und ritt nach Hause. Dort angekommen wurde Monika vorsichtig vom Pferd
heruntergehoben und ins Haus gebracht. Nun wurde sie von Swantje und Hanna ausgezogen und in ihre Buzze gelegt, die Fußfesseln abgenommen, ein feuchter Lappen auf ihre Stirn gelegt und Nachbarin Meike ten Broek verständigt, die sich mit Verletzungen wie keine andere im Dorf auskannte. So langsam kam Monika wieder zu sich, sie schaute sich irritiert um, konnte nicht verstehen, dass sie schon wieder ohne ihr Wissen in der Buzze gelandet war. „Was ist denn passiert?“ fragte sie mit schmerzverzerrtem Gesicht, denn ihr Kopf tat ihr unheimlich weh. „Ruhig liegen bleiben und nicht reden.“ sagte Swantje zu ihr und legte ihr einen feuchten Lappen auf die Stirn, was Monika erleichtert aufstöhnen ließ. Schon kamen auch die Nachbarinnen Hanna de Fries und Meike ten Broek in die Küche, Meike hatte wieder ihren Arzneimittelkorb dabei, aus dem sie sofort ein Pulver holte, dass sie in einen Becher mit Wasser gab und umrührte. Monika wurde aufgefordert, das Gebräu in einem Zug zu trinken, was sie auch gehorsam tat. Die Medizin von Meike hatte es in sich, schon nach einer kleinen Weile flackerte Monika mit den Augenliedern und sie sank in einen tiefen Schlaf, nun erst wurden die Wunde gereinigt und verbunden, Monika merkte nichts von alledem. In der Zwischenzeit waren Eiso und Wilko auf ihre Pferde gestiegen, um das flüchtige Mädchen zu suchen, wobei sie von einigen Nachbarn unterstützt wurden. Die Männer ritten zu dem Acker, auf dem Monika gearbeitet hatte und verteilten sich dort, um eine fächerförmige Suche zu starten. Sie ließen es ruhig angehen, das Land der alten Dörfer hatte ringsherum einen breiten und tiefen Kanal, niemals würde das flüchtige Mädchen dieses Hindernis überwinden können, nicht mit dem Halseisen, der Fußfessel und der Eisenkugel mit der langen schweren Kette an ihrem Körper. So dauerte es auch nicht lange bis sie das Mädchen entdeckt hatten, vollkommen ausgelaugt lag sie am Kanalrand, unfähig, auch nur noch einen Meter weiterzulaufen. Wilko stieg vom Pferd, band ihr die Hände auf dem Rücken zusammen, legte ihr die Kette der Eisenkugel um den Körper und beförderte sie unsanft bäuchlings auf den Pferderücken. Nachdem er selbst wieder aufgesessen hatte ging der Ritt zurück nach Andersum, wo er sich bei seinen Nachbarn für die Unterstützung bedankte. Anja wurde in den Stall verfrachtet, ihre Halskette gerade so lang gelassen, dass sie sich auf die nackten Steine legen konnte. Ohne mit ihr zu sprechen oder ihr die Hände loszubinden, verließ Wilko den Stall, und machte sich auf den Weg zu seinem Nachbarn Wattjes, um dort nach der verletzten Monika zu schauen, auch wenn sie auch nur eines der Mädchen war, scheinbar hatte sie einen guten Charakter, und schlecht aussehen tat sie auch nicht. Als er zu Wattjes kam gab es noch nichts Neues, Monika schlief tief und fest. Meike ten Broek meinte, dass sie keine schwere Verletzung hätte, ein, zwei Tage der Ruhe und sie würde wieder hergestellt sein. Bei den üblichen drei Tassen Tee überlegte man gemeinsam, was mit dem Mädchen von de Fries anzufangen wäre. Auf jeden Fall, darüber war sofort Einigkeit, müsse sie schwer bestraft werden, und am besten wäre es der Obrigkeit sofort Bescheid zu geben, bevor die es von anderen hören würden. Da bis zum Mittag noch zwei Stunden Zeit waren schwang sich Wilko de Fries auf sein Pferd und ritt zum Bürgermeister nach Hohedörp, den er zusammen mit dem Pastor auf dem Dorfplatz antraf. Wilko erzählte nun den Beiden die ganze Geschichte von dem Mädchen, und als er an die Stelle kam, wo sein Mädchen mit der Forke niedergeschlagen worden war, konnte der Pastor nicht mehr an sich halten und sagte zornig mit erhobenen Zeigefinger: „An diesem unglückseligem Mädchen werden wir ein Exempel statuieren, so etwas darf bei uns nicht passieren.“ Wilko erzählte seine Geschichte zu Ende, und bekam den Auftrag das Mädchen am nächsten Vormittag um 10.00 Uhr zum Schmied zu bringen, sie würden in der Zwischenzeit mit dem Schmied sprechen und alles Nötige veranlassen.
Wilko ritt zurück, und Bürgermeister und Pastor diskutierten darüber, welche Strafen für das Mädchen angebrachte wären, konnten sich aber nicht einig werden. Also einigten die Beiden sich darauf, die Unterhaltung am Nachmittag weiterzuführen, erst mal ein deftiges Mittagessen, dann ein kleines Mittagschläfchen, anschließend Tee trinken, dann hätte man auch den notwendigen innerlichen Abstand gefunden und würde sich nicht von Gefühlen leiten lassen, wobei die Beiden aber nichts anderes im Sinn hatten, als ihren Frauen die Geschichte zu erzählen und diese um Rat zu fragen.
Teil 25 Auch Wilko de Fries freute sich aus das Mittagessen, dass er zusammen mit seiner Schwester Hanna und seinen Eltern einnahm. Da im Land der alten Dörfer der Spruch galt: Bit Eten word nich snakt (Beim Essen wird nicht gesprochen), wurde erst beim anschließenden Teetrinken darüber geredet, was mit dem Mädchen passieren sollte. Hanna, die schon immer eine mitfühlende Seele war, wollte dem Mädchen gern die Hände wieder losbinden, doch Wilko meinte, dass er das nachher selbst übernehmen würde, denn diesem Wildpferd könne man nicht über den Weg trauen, auch zu Essen oder Trinken würde er ihr lieber selbst bringen. Dann sollte er berichten, was Pastor und Bürgermeister von dem Fall halten würden, doch außer, dass er das Mädchen am nächsten Vormittag zum Schmied bringen solle, konnte er nichts berichten. Jetzt drängte Hanna ihren Bruder, dem Mädchen doch endlich die Hände zu befreien, ihr würden womöglich noch die Arme absterben, was Wilko dazu veranlasste in den Stall zu gehen und nach dem Mädchen zu sehen. Anja saß auf den Steinen, mit dem Rücken an die Wand gelehnt und sah den Jungbauern hasserfüllt an. „Steh auf,“ befahl er, „ich werde Dir die Hände losbinden, auch wenn Du es nicht verdient hast.“ Er zog sie an der Kette des Halseisens hoch, löste den Knoten des Tauendes und warnte sie: „Solltest Du auch nur versuchen irgendwelchen Mist zu bauen, wird es Dir bitter Leid tun.“ Anja war clever genug um die Ausweglosigkeit ihrer Situation zu begreifen, sie ließ sich die Arme losbinden und setzte sich wieder auf den Boden, wobei sie Wilko aber nicht aus den Augen ließ. „Bis heute Abend bleibst Du erst mal hier, dann werden sich ein paar Frauen um Dich kümmern. Du kannst Dich aber schon auf morgen freuen, wir werden einen kleinen Ausflug unternehmen, und zwar zum Schmied, der bestimmt etwas Schönes für Dich finden wird.“ Wilko ging zurück an seine Arbeit, wegen dem Mädchen war heute schon genug Zeit verloren gegangen, und es war nicht sicher, wie lange das Wetter noch hielt. Als der nach draußen kam sah er außer Wattjes noch zwei seiner Nachbarn, die ihren Mist bereits verfahren hatten und ihm zu Hilfe kamen, so schaffte er es jedenfalls noch an diesem Tag den Rest des Misthaufens auf den Acker zu bringen. Nun konnte er jedenfalls am morgigen Tag in Ruhe mit dem Mädchen nach Hohedörp fahren, und mit Nachbar Wattjes machte er ab, ab Montag bei ihm zu helfen. Nachdem auf dem Hof die Arbeit erledigt und das Abendbrot gegessen war, brachte Hanna einen Eimer mit kaltem Wasser, eine harte Bürste und ein Stück Seife in den Stall, in dem Anja angekettet war, gleich darauf kamen die Nachbarinnen Swantje und Meike dazu. Misstrauisch sah Anja die drei Frauen an, egal was die vorhatten, sie würde sich zur Wehr setzen. „Zieh Dich aus.“ sagte Swantje zu ihr. „Einen Scheißdreck werde ich tun.“ giftete Anja die Frauen an. „Du sollst Dich doch nur waschen,“ versuchte Hanne sie zu beruhigen, „an Dir hängt ja noch der halbe Misthaufen dran.“ Doch Anja dachte nicht im Traum daran der Anordnung zu folgen, im Gegenteil, mit aller Kraft trat sie trotz ihrer Fußfessel gegen den Wassereimer, so dass der durch den Stall flog. Hanna hob den Eimer auf und ging in die Waschküche, um ihn dort an der Pumpe wieder aufzufüllen, während Meike sich im Stall zwei kurze Stricke suchte.
Nochmals wurde Anja aufgefordert sich auszuziehen, doch als sie sich diesmal weigerte ging Meike auf sie zu und sagte: „Mädchen, mach Dir das Leben doch nicht selbst so schwer.“ und verpasste ihr links und rechts eine kräftige Ohrfeige. Anja, die noch nie geschlagen worden war, stand wie betäubt da, und die Frauen zogen ihr innerhalb von wenigen Sekunden die Kleider aus. Als Meike ihr die Arme auf den Rücken drehte und Swantje ihr die Hände zusammenband, kehrten ihre Lebensgeister wieder: „Ihr blöden Kühe, lasst mich in Ruhe.“ schrie sie die Frauen an und begann nach ihnen zu treten, was ihr allerdings nur ein paar weitere Ohrfeigen einbrachte. Immerhin bewirkten die letzten Ohrfeigen, dass sie sich ohne weiteren Widerstand von den Frauen waschen ließ, obwohl die harte Bürste rote Striemen auf ihrer Haut hinterließ. Mit einem groben Tuch wurde sie abgetrocknet, ihre Arme wieder befreit und Hanne hielt ihr eine Art Sackkleid hin, in das sie von oben einsteigen musste. Das Kleid, das unwahrscheinlich viel Ähnlichkeit mit einem alten Kartoffelsack hatte, wurde im Nacken mit mehreren Knoten kräftig zusammengebunden. „Soll sie denn keine Unterwäsche bekommen?“ fragte Hanna, die solch eine harte Behandlung überhaupt nicht leiden mochte. „Nein, wozu denn, das vereinfacht die Sache morgen beim Schmied nur.“ meinte Meike. Damit ließen sie Anja alleine im Stall zurück, die sich langsam Sorgen darüber machte, was der Schmied mit ihr anstellen würde. Die Frauen saßen zusammen mit Familie de Fries in der Küche beim üblichen Tee, als Hanna ihren Bruder fragte: „Wilko, hast du etwas dagegen, wenn ich dem Mädchen etwas zum Essen bringe?“ „Von mir aus mach das, aber sei bloß vorsichtig, die ist zu allem fähig.“ warnte er sie. Hanna machte ein paar Scheiben Brot und einen Becher mit Tee fertig, stellte die Sachen auf einen Holzteller, nahm sich eine der Laternen und ging in den Stall. Anja saß zusammengekauert an der Wand, zitternd vor Kälte, was auch kein Wunder war, denn ein Stall ohne Tiere kann an einem Aprilabend sehr kalt sein, vor allen Dingen, wenn man auf den kalten Steinen sitzen muss. So sah Hanna das auch und holte ein großen Haufen Heu, auf den Anja sich setzen oder legen konnte, auch eine Decke ließ sich im Stall finden, dann stellte sie ihr vorsichtig die Brote und den Tee in Reichweite. Anja sah sie nur an, sagte nichts. Hanna ließ sie gewähren und ging zurück in die gemütliche, warme Küche. Erst am nächsten Morgen ging Hanna wieder in den Stall um nach Anja zu sehen. Die hatte sich das Heu ausgebreitet und sich darauf schlafen gelegt, die Decke fest um sich gezogen. Hanna nahm das leere Geschirr wieder mit zur Küche und meinte zu ihrer Familie: „Ich glaube, das Mädchen hat sich beruhigt, gegessen und getrunken hat sie, und sie schläft tief und fest, den größten Ärger mit ihr haben wir hinter uns.“ „Dein Wort in Gottes Ohr,“ sagte ihr Vater, „hoffentlich behältst Du recht.“ Nach dem Melken brachte Hanna Frühstück in den Stall. Anja war inzwischen wach und hatte sich aufgesetzt, die Decke um die Schultern gezogen. „Möchtest Du etwas frühstücken?“ fragte sie Anja, die nur mit dem Kopf nickte, aber nichts sagte. Also stellte sie ihr das Frühstück hin und ging zurück an ihre Arbeit. Als sie später noch einmal in den Stall ging um das Geschirr abzuholen, fragte Anja: „Was hat man mit mir vor, was für eine Strafe erwartet mich?“ „Das weiß ich auch nicht genau,“ meinte Hanna nicht ganz wahrheitsgemäß, „das musst Du auf Dich zukommen lassen, davor ausreißen kannst Du nicht.“ Zu weiteren Erklärungen kam sie auch nicht mehr, weil Wilko jetzt mit einem Strick in der Hand in den Stall kam. „Nimm die Hände auf den Rücken und dreh Dich um!“ befahl er ihr. Erst zögerte sie, doch als Hanna ihr beruhigend zunickte gehorchte sie. Wilko fesselte ihre Arme auf den Rücken, löste die Halskette von der Wand und führte sie nach draußen, setzte sie auf den Wagen und kettete sie dort an. Dann stieg er selbst auf, nahm die Zügel in die Hand und ließ den Wagen anfahren.
Es war ein kalter, leicht regnerischer Morgen, Anja fror wie ein Schneider und die stramm gefesselten Hände taten ihr weh, doch lieber hätte sie sich die Zunge abgebissen als zu klagen. In Hohedörp angekommen fuhr Wilko bis zur Schmiede, hielt an und holte sie von dem Wagen herunter. Er zog sie an der Halskette zur Schmiede hin und sagte zu ihr: „So, Mädchen, jetzt bekommst Du den ersten Teil Deiner Strafe, an den Du Tag und Nacht denken wirst.“ „Bitte nicht,“ rief sie voller Angst, als sie die düsteren Gesichter der Schmiedeleute sah, „ich will da nicht hineingehen!“, doch unbarmherzig zog Wilko sie weiter.
Teil 26 Dank der guten Medizin von Meike erholte Monika sich rasch, auch die liebevolle Pflege der Familie Wattjes tat ein übriges sie schnell wieder auf den Damm zu bringen, entweder saßen Fenna, Wilma oder Wübbi bei ihr an der Buzze, oder Swantje brachte mal wieder eine Tasse mit Fleischbrühe, die sie zu essen hatte. Schon am Freitagabend fühlte sie sich so gut, dass sie wieder aufstehen wollte, doch die Bäuerin befahl ihr energisch in der Buzze liegen zu bleiben. Dafür musste sie genau berichten, was den Tag auf dem Acker vorgefallen war. Monika war erst drauf und dran Anja in Schutz zu nehmen, erzählte dann aber ehrlich, was sich abgespielt hatte. „Hättest Du dem Mädchen nicht gesagt, dass Du sie am Fortlaufen hindern würdest, hätte sie Dich nicht mit der Forke niedergeschlagen. Nun sag mir ehrlich, warum Du sie am Fortlaufen hindern wolltest.“ fragte Bauer Wattjes ernst. „Weil ich nicht wollte, dass Sie wegen mir Ärger bekommen.“ gab Monika leise zur Antwort. Doch mit der Antwort war Wattjes noch nicht zufrieden, und so fragte er weiter: „Warum sollte es dich kümmern, ob wir Ärger wegen Dir haben oder nicht, schließlich bist du nicht freiwillig hier, sondern hast Halseisen, Keuschheitsgürtel und Fußfesseln zu tragen, arbeiten musst Du von Morgens bis Abends, und das alles nur für Dein tägliches Essen, jetzt sag mir einen Grund, warum wir Dir nicht egal sein sollten.“ „Weil, weil ich sie alle gut leiden kann,“ stotterte Monika, „und weil Sie alle gut zu mir gewesen sind, und das ist doch das erste Mal, dass ich in einer richtigen Familie leben darf, und, und,..“ Doch dann versagten ihr die Worte und sie fing an fürchterlich zu heulen. Swantje sprang auf, setzte sich zu ihr auf den Buzzenrand und nahm sie in den Arm, wiegte sie sanft hin und her. „Ist doch schon gut, mein liebes Kind, sei ganz ruhig.“ blickte dabei ihren Mann mit vorwurfsvollen Augen an. Der kannte diesen Blick seiner Frau nur zu genau und kratzte sich verlegen am Kopf, stand auf und ging auch zur Buzze. Sanft drückte er Monikas Hand und sagte zu ihr: „Ich wollte Dir nicht wehtun, Mädchen, ich wollte nur wissen, aus welchem Grund Du so gehandelt hast. Du bist wirklich ein gutes Kind, egal was die anderen von Dir gesagt haben, und solange Du hier bist gehörst Du mit zur Familie, das verspreche ich Dir.“ Nun fing Monika erst recht an zu flennen, Swantje nahm sie noch fester in den Arm und fragte sie: „Was ist denn mit Deiner eigenen Familie, die haben Dich doch auch bestimmt lieb.“ „Die haben keine Zeit für mich,“ schluchzte sie, „mein Vater arbeitet den ganzen Tag in seinem Büro, meine Mutter ist dauernd unterwegs, die meiste Zeit war ich alleine zu Haus, und da habe ich mir einfach nur Freunde gesucht, ich habe doch nicht gewusst, in was ich da hineingeraten bin.“ Durch Swantjes Zuneigung wurde Monika schnell wieder ruhig, es dauerte nicht lange und sie war eingeschlafen. Auch die anderen Kinder der Wattjes gingen nun ins Bett, nur die Alten saßen noch am Tisch und unterhielten sich leise. „Was sind das nur für Eltern in der anderen Welt, lassen so ein Kind allein seinen Weg gehen.“ meinte Bauer Wattjes. „Ja,“ meinte seine Frau, „so etwas könnte bei uns nicht pas-
sieren, wir sind unser ganzes Leben mit den Kindern zusammen, Gott sei Dank. Aber sag mal, hast Du aus ihren Worten das Gleiche wie ich herausgehört? Wir sind eine Familie für sie, sie scheint uns wirklich zu mögen, darum hat sie auch das andere Mädchen an der Flucht hindern wollen. Sie ist wirklich ein gutes Kind, ich liebe sie inzwischen wie eine eigene Tochter.“ „Nun wirklich, ich muss schon sagen, ich mag sie auch, sie ist fleißig und ordentlich, gibt keine Widerworte und ist mit allem zufrieden, auf jeden Fall ist sie das beste Mädchen, dass wir jemals bei uns im Haus gehabt haben, und wenn ich ganz ehrlich sein soll, ich mag sie auch wohl leiden.“ Als Monika am nächsten Morgen wach wurde, fühlte sie etwas um ihrem Körper liegen, es war Fenna, die sie die ganze Nacht über den Arm um sie gelegt hatte. Vorsichtig legte sie Fennas Arm auf die Strohmatratze und stand auf, um endlich wieder ihre Arbeit zu erledigen. Zwar hatte sie noch leichte Kopfschmerzen, aber das machte ihr nichts aus. Irgendetwas war an diesem Morgen anders als sonst, erst konnte sie sich keinen Reim darauf machen, doch dann wusste sie, woran es lag: Sie hatte weder Fußfesseln an noch war sie an der Laufkette befestigt. Das war nun der Moment, auf den sie solange gewartet hatte, jetzt würde einer erfolgreichen Flucht nichts mehr im Wege stehen. Teil 27 Wilko übergab das Ende von Anjas Halskette dem Schmied, der sie gleich zum Amboss hinzog und ihr befahl sich hinzuknien. Der hintere Rand des Halseisens kam auf dem Amboss zu liegen, mit Hammer und Meisel entfernte er den oberen flachgeschlagenen Teil des Eisenstifts und schlug ihn mit einem Körner nach unten heraus. Nun brachte Frau Düring, die Frau des Schmieds, einen andern Halsreif, gearbeitet aus dickem Eisen und ungefähr 8 cm hoch, an dem vorn ein großer Ring befestigt war. An dem Halsreifring war, wie bei dem alten Halsreif auch schon, eine Kette mit einem großen Ring am Ende angearbeitet, nur war diese Kette wesentlich schwerer als die alte. Der wurde von innen mit einer Salbe eingestrichen, ihr um den Hals gelegt und zugedrückt, worauf der Schmied den Halsreif wieder mit einem glühenden Eisenstift verschloss und die herausstehenden Enden des Stifts flachschlug. Auf Anjas Stirn bildeten sich Schweißperlen, die ungewohnte Enge des Halseisen bereitete ihr Übelkeit, auch konnte sie kaum noch den Kopf drehen. Nachdem ihre Arme losgebunden wurden, bekam sie nun Armreifen angepasst, ebenfalls aus dickem und 6 cm breiten Eisen und wie das Halseisen jeweils mit einem Ring versehen. Die wurden genau so verschlossen wie der Halsreif, ohne Werkzeug gab es keine Möglichkeit sie wieder zu öffnen. Doch damit nicht genug, nun wurden ihr auch noch Fußfesseln angepasst, genau so gearbeitet wie die Armreifen. Als diese verschlossen waren, wurde das Ende ihrer Halskette an einer sich im Boden eingelassen Öse angeschlossen. Die Männer verließen nun die Schmiede, und Anja, die diese Prozedur ja schon einmal erlebt hatte, konnte sich gut vorstellen, was auf sie zukam. Frau Düring sagte zu ihr: „Ich werde jetzt Deinen Keuschheitsgürtel aufschließen und ihn Dir abnehmen, aber freu Dich nicht zu früh, Du bekommst sofort einen anderen Gürtel umgelegt.“ Da klopfte es an der Tür und zwei Nachbarinnen von Frau Düring kamen herein, sie waren bereits darin geübt, widerspenstigen Mädchen den Keuschheitsgürtel umzulegen. „Heb Dein Kleid hoch!“ wurde Anja befohlen, die zwar erst etwas zögerte, dann aber dem Befehl nachkam. Frau Düring öffnete das Schloss des Keuschheitsgürtels und nahm ihn ihr ab. Eine der Nachbarinnen nahm einen Tiegel mit Salbe und strich Anjas Haut an allen Stellen, die nachher von dem Keuschheitsgürtel bedeckt sein würden, dick mit der Salbe ein.
Sich die Taille einsalben zu lassen machte Anja nichts aus, doch als die Frau die Salbe auch in ihrem Intimbereich auftragen wollte, presste sie die Beine zusammen, das Zeug stank derartig, das wollte sie nicht an ihren empfindlichen Körperstellen haben. „Sieh an, nun wird sie schon wieder aufsässig, das kleine Luder.“ sagte Frau Düring, kniff Anja so fest ins Ohrläppchen, dass sie vor Schmerz in die Knie ging, wobei sie automatisch die Knie etwas auseinander nahm. Im gleichen Augenblick klatsche eine ganze Ladung von der Salbe in ihren Schambereich und wurde von der Frau mit kräftiger Hand eingerieben. Die Augen wurden ihr feucht vor Wut und Erniedrigung, doch das schlimmste stand ihr erst noch bevor: Frau Düring ging nach hinten und kam mit einem Monstrum von Keuschheitsgürtel zurück. „Seht Euch dieses Prachtstück von einem Keuschheitsgürtel an,“ rief sie, „den ganzen Tag hat mein Mann gestern daran gearbeitet.“ Noch die hatten die Nachbarinnen einen Gürtel gesehen, der aus so dickem Eisen geschmiedet worden war, auch das Schrittblech war ungewöhnlich stabil. Anja, die schon ihren alten Keuschheitsgürtel für ein Marterinstrument gehalten hatte, fing vor Angst an zu keuchen, nein, in diesen Gürtel wollte sie sich nicht verschließen lassen. Zum ersten Mal, seit sie in dem Land der alten Dörfer war, fluchte und schimpfte sie nicht, sondern verlegte sich aufs Betteln. „Bitte nicht diesen Gürtel, das würde ich nicht aushalten, kann ich nicht den alten Gürtel behalten, ich verspreche auch in Zukunft keine Schwierigkeiten mehr zu machen.“ „Das hättest Du Dir früher überlegen müssen, für eine wie Dich, die andere Mädchen mit der Forke besinnungslos schlägt, gibt es kein Pardon, also zieh Dein Kleid wieder hoch und leg Dich auf den Boden.“ Anja zögerte, um keinen Preis der Welt wollte sie sich dieses Eisenteil umlegen lassen und suchte krampfhaft nach einem Ausweg. „Wird’s bald oder müssen wir erst nachhelfen?“ wollte Frau Düring wissen. Anja gab auf, gegen die drei Frauen hatte sie eh keine Chance und so legte sie sich auf den Boden. Frau Düring streifte ihr den Gürtel über die Beine und legte den breiten Taillengurt über ihre Hüfte. Das kalte Metall jagte Anja Schauer durch den Körper, doch richtig schlimm wurde es erst, als der Taillengurt geschlossen wurde, die Düring wandte alle ihre nicht unbeträchtliche Körperkraft auf, um den Gürtel so eng wie nur möglich zu machen. Scheinbar saß der Taillengurt jetzt nach ihren Vorstellungen an der richtigen Stelle, denn nun hatte Anja die Beine zu spreizen, was sie schon fast willenlos sofort tat. Das Schrittblech, besser gesagt das Schritteisen, wurde durch ihre Beine gezogen und nur mit Mühe konnte die Düring das Eisen in den Taillengurt einrasten lassen, so stramm lag dieses Teil an ihrem Körper. Nachdem der Keuschheitsgürtel mit einem großen Schloss gesichert war, durfte Anja aufstehen. Kaum war sie wieder auf den Beinen, als sie sich an der Werkbank festhalten musste, mühsam schnappte sie nach Luft. Nicht nur, dass der Halsreif so hoch und eng am Hals saß, das sie meinte nie wieder schlucken zu können, nein, noch weit fürchterlicher war dieser überschwere Keuschheitsgürtel, der ihren Unterleib umklammerte wie eine eiserne Faust, am schlimmsten dabei war der Druck auf ihre Scham. „Wenn ich nicht gleich frische Luft bekomme, kippe ich hier noch um.“ dachte Anja, doch bevor es nach draußen ging wurde an ihren Fußreifen noch eine Spreizstange befestigt. Ein kurzes Ende Kette wurde durch den Ring des Halsreifens gezogen und die Enden jeweils an den Ringen der Armreifen angeschlossen, so dass sie kaum Bewegungsfreiheit für die Arme hatte. Erst dann wurde die Halskette von der Öse im Fußboden gelöst und sie von Frau Düring nach draußen geführt. Vor der Schmiede wartete de Fries schon darauf Anja wieder in Empfang zu nehmen. Die Düring gab ihm das Kettenende mit dem Ring sowie die Schlüssel und meinte: „Wir haben unser Bestes getan, nun liegt es an Dir, das Mädchen zu erziehen, weglaufen aber wird es mit Sicherheit nicht mehr.“ Wilko de Fries bedankte sich bei den Schmiedeleuten und zog Anja hinter sich her in Richtung Dorfplatz, wo er seine Pferde bei der Tränke angebunden hatte. Das Laufen mit der Fußkette war für sie schon
schlimm genug gewesen, doch mit der Spreizstange wurde jeder Schritt zur Qual, mühsam machte sie Schritt für Schritt. Auf dem Dorfplatz angekommen wurde sie von Wilko auf den Wagen gesetzt, das Anketten wäre normalerweise jetzt überflüssig gewesen, doch Vorschrift ist Vorschrift. Langsam ging es über die holprigen Wege in Richtung Andersum, bei jedem kleinen Schlagloch stöhnte Anja leise auf, das Sitzen in dem schweren Keuschheitsgürtel war unerträglich. Da der Wagen keine Federung besaß ruckelte er die ganze Zeit, dadurch wurde ihr Schambereich durch das Schrittblech unentwegt stimuliert, was sie zusätzlich noch an den Rand des Wahnsinns trieb. Sie konnte sich trotz der kurzen Armkette wohl mit einer Hand im Schritt berühren (dafür saß die andere Hand direkt am Halseisen), doch ihr Unterleib fühlte sich wie ein Fremdkörper an. Wieder auf dem Hof angekommen wurde sie von Wilko vom Wagen gehoben und auf die Füße gestellt, Hanna, die inzwischen herausgekommen war, führte sie an der Halskette in den Stall und befestigte ihre Kette wieder an der Wand. Anja ließ alles ruhig mit sich geschehen, sie versuchte nicht einmal sich zu wehren oder aufzubegehren, stumm setzte sie sich auf ihr Heulager. Kaum war Hanna, die sie noch mitleidsvoll angeblickt hatte, wieder gegangen, als Anja sich so gut es ging hinlegte, das Halseisen tat ihr weh, der Keuschheitsgürtel drückte ihr den Leib zusammen, die Hand- und Fußfesseln, vor allen Dingen die Spreizstange, ließen sie jede unnötige Bewegung vermeiden. Zu Mittag brachte Hanna warmes Essen und Tee in den Stall, sie wollte Anja nicht unnötig leiden lassen. „Komm Mädchen, setz Dich auf, hier hast Du etwas zu essen.“ Mühsam kam Anja hoch, es war ihr deutlich anzumerken, dass ihr der Eisenschmuck ziemlich zusetzte. Hanna gab ihr Teller und Becher in die Hand, und wollte gerade wieder gehen, als Anja leise sagte: „Vielen Dank, Frau de Fries.“ Hanna blieb stehen, drehte sich wieder um, sah Anja mit einem leisen Lächeln an und sagte: „Gern geschehen, lass es Dir schmecken.“ Den Rest des Tages und die Nacht verbrachte Anja alleine in dem Stall, noch nie war sie so einsam gewesen. Sollte sie wirklich ein Jahr in schweren Eisenfesseln verbringen, immer nur alleine in diesem dunklen Stall? Am Samstag wurde sie wieder von Hanna mit Frühstück und Mittagessen versorgt. Als Hanna das Mittagesgeschirr abholen wollte, sagte Anja: „Darf ich sie etwas fragen, Frau de Fries?“ „Ja sicher, was möchtest Du wissen?“ „Wissen Sie, wie der nächste Teil meiner Strafe aussieht, was wird mit mir gemacht werden?“ „Ja Mädchen, ich fürchte, der morgige Tag wird für Dich nicht ganz einfach werden.“ sagte sie und setzte sich neben ihr ins Heu und erzählte ihr, wie sie sich in der Kirche zu verhalten hätte, wer das Strafmaß bekannt gab, und wie es mit der Bestrafung ablaufen würde. Anja sah sie mit traurigen Augen an, und gerade als Hanna aufstehen wollte fing sie an zu weinen. „Weine ruhig, Mädchen,“ sagte Hanna, „das erleichtert das Herz“ und nahm sie vorsichtig in den Arm. „Ich habe Angst, Frau de Fries, gibt es denn keinen Ausweg?“ „Nein,“ sagte Hanna, „da musst Du durch, das hilft nichts, die Suppe hast Du Dir selbst eingebrockt, aber wenn Du Dich in Zukunft ordentlich verhältst, kann es nur besser werden:“
Teil 28 Leise öffnete Monika die Tür und ging ins Freie, lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer und schaute den Vögeln nach, die am Himmel dahinzogen. Frei sein wie ein Vogel, dachte sie, das muss herrlich sein, aber war sie nicht die letzten Jahre auch immer frei gewesen? Zumindest hatte sie nur das gemacht, wozu sie Lust hatte, aber was hatte ihr das gebracht: Entweder hing sie mit ihrer Clique herum, oder sie
war allein zu Hause, niemand interessierte sich richtig für sie. Doch was hatte Bauer Wattjes gestern Abend zu ihr gesagt: „Solange Du hier bist, gehörst Du zur Familie.“ Unbewusst fing sie an zu lächeln, als sie dann noch daran dachte, wie Swantje sie in den Arm genommen und getröstet hatte, und auch Fenna, die ganze Nacht über hatte sie den Arm um sie gelegt wie bei einer eigenen Schwester. Sollte sie wirklich weglaufen? Gewinnen würde sie bei einer Flucht nichts, aber verlieren würde sie die Liebe und das Vertrauen der Menschen, die ihr inzwischen ans Herz gewachsen waren. Immer noch überlegend stand sie an der Wand, als ihr die Entscheidung aus der Hand genommen wurde: Der kleine Jan war wach geworden und lag weinend in seiner Wiege. Monika ging zurück in die Küche und schloss leise die Tür, ging zur Wiege und nahm Jan auf den Arm, der sie glücklich anstrahlte. „Ich bin zu Hause, kleiner Jan, und ich werde bei Euch bleiben, wenn ich das darf.“ und wiegte den Kleinen glücklich in ihren Armen. Eiso Wattjes, der durch einen kleinen Spalt in der Buzzentür alles beobachtet hatte, zog die Tür leise wieder zu und fing an zu lächeln, dieses Mädchen hatte nun auch seine Liebe und sein Vertrauen restlos gewonnen. Nachdem sie ihre Fußfesseln wieder umgelegt bekommen hatte, ging es mit der Arbeit los, auch dieser Samstag lief genauso ab wie der letzte: Melken, Haus und Hof reinigen, Badewasser heißmachen, der einzige Unterschied war, dass Swantje ihr den Keuschheitsgürtel schon kurz nach dem Mittagessen abnahm, noch drei Stunden vor der Badezeit. So hatte Monika Gelegenheit ihren Gürtel selbst zu reinigen, was ihr auch wesentlich lieber war. Erst nach dem Abendbrot wurde ihr der Gürtel wieder umgelegt, Swantje nahm sie mit in die Melkkammer, Monika machte den Unterkörper frei, doch bevor Swantje den Gürtel umlegte, bestrich sie Monikas Haut reichlich mit Salbe, seltsamerweise machte es ihr auch nichts aus, von der Bäuerin auch zwischen den Beinen eingecremt zu werden. Danach wurde ihr der Keuschheitsgürtel umgelegt, wobei Swantje feststellte, dass Monika wohl abgenommen haben müsse, jedenfalls hätte sie den Taillengurt jetzt im letzten Loch einrasten lassen, trotzdem würde er nicht allzu fest anliegen. „Das mag Dir im Moment wohl angenehm vorkommen,“ meinte sie, „doch das kann auch zu Scheuerstellen auf der Haut führen, aber das werden wir im Auge behalten, besser wäre es auf jeden Fall, wenn der Taillengurt enger anliegen würde, glaub mir ruhig, ich spreche aus Erfahrung.“ Für Monika war es das erste Mal seit längerer Zeit gewesen, dass sie für mehrere Stunden vom Keuschheitsgürtel befreit war, den Gürtel jetzt wieder zu tragen löste zwiespältige Gefühle in ihr aus: Sie hatte sich ohne den Tugendwächter wohl gefühlt, doch als sie den Gürtel wieder umgelegt bekommen hatte, fühlte sie sich auf eine unbestimmte Weise sicher und beschützt. Am Sonntagmorgen machte sich die Familie fertig, um mit der Kutsche nach Hohedörp in die Kirche zu fahren. Die Mädchen hatten über ihre Festtagskleider weiße Schürzen anzuziehen, die vom allen Mädchen getragen werden mussten, vom der kleinsten bis zur erwachsenen Frau, wenn die noch nicht verheiratet war, nur verheiratete Frauen und Witwen waren davon befreit. Für Monika gab es eine schlichte graufarbene Schürze, die das Zeichen eines Kettenmädchens war. Auch die Nachbarn de Fries saßen schon in ihrer Kutsche, Wilko und seine Schwester Hanna vorn, die Eltern der Beiden dahinter, ganz hinten saß Anja, den Blick nach unten gerichtet. An die 15 Kutschen waren es, die ruhig hintereinander nach Hohedörp fuhren, und bis auf Anja machten alle einen glücklichen und zufriedenen Eindruck, der Sonntag war ja auch der schönste Tag der Woche, auf den man sich immer freute. In der Kirche angekommen ließ Monika sich bereitwillig anketten, diesmal freute sie sich richtig auf den Gottesdienst, vor allem auf den Klang der Orgel. Die Gemeinde war vollzählig versammelt, als Anja als letzte hereingeführt wurde, für sie war ein Platz direkt am Mittelgang vorgesehen, da sie mit der
Spreizstange Mühe hatte, auf ihren Platz zu kommen. Diesmal wurden nur zwei Mädchen zur Abstrafung aufgerufen, die erste hatte es am nötigen Respekt fehlen lassen und bekam eine Strafe von 10 Schlägen, die zweite, die an diesem Tag aufgerufen wurde, war Anja.
Teil 29 Unheilvoll tönte die Stimme des Pastors durch die Kirche: “Ich rufe auf das Mädchen der Familie de Fries!” Anja stand auf, den Blick nach unten gerichtet stand sie mit bangem Herzen da, wissend, dass eine harte Strafe auf sie zukommen würde. Der Pastor nahm sich viel Zeit um der Gemeinde ihre Verfehlungen in allen Einzelheiten zu schildern, und obwohl fast alle schon die Geschichte kannten kam ein unruhiges Raunen in der Kirche auf. Den Pastor bestärkte das in seiner Ansicht eine wirklich harte Strafe verhängen zu müssen und so sagte er: “Jeden Sonntag soll dieses Mädchen der Familie de Fries 25 Schläge empfangen, erst wenn sie Zeichen der Besserung erkennen lässt, wird die Strafe gemildert.” Anja merkte wie ihr vor Angst die Übelkeit hochkam, doch als der Pastor fragte: “Wirst Du diese Strafe in Dankbarkeit und Demut annehmen, auf dass Du Dich in Zukunft wohl verhältst?” machte sie einen tiefen Knicks, in dem sie so lange verharrte, bis der Pastor sagte: “Nun, dann können wir jetzt mit dem Gottesdienst beginnen.” Panik kam in Anja auf, als sie nach dem Gottesdienst zum Spritzenhaus geführt wurde, wo das andere Mädchen bereits seine Strafe erhielt und laute Schmerzenschreie ausstieß. Nach kurzer Zeit ging die Tür auf und die Bestrafte kam heraus, nicht ohne sich bei Frau Düring höflich mit einem Knicks für die Prügel zu bedanken. Hanna zog leicht an der Anjas Kette und flüsterte ihr ermahnend zu: “Du darfst nachher nicht vergessen Dich zu bedanken, so wie Du es gerade bei dem anderen Mädchen gesehen hast.” Anja nickte nur, sie war unfähig auch nur ein Wort zu sagen, ließ sich von Frau Düring in das Spritzenhaus bringen und sich widerstandslos über den Strafbock legen, wo ihre Arme, obwohl sie noch mit der Kette miteinander verbunden waren, mit Lederriemen fixiert wurden. Nachdem auch die Beine festgebunden waren zog Frau Düring ihr das Kleid hoch, nahm den schweren Lederriemen in die rechte Hand, holte aus und ließ ihn auf den nackten Hintern klatschen. Anja stöhnte, biss aber die Zähne zusammen, der zweite Schlag, der dritte, inzwischen liefen ihr vor Schmerz die Tränen hinunter, nach dem vierten Schlag konnte sie nicht mehr, sie schrie ihren Schmerz laut hinaus. Unbarmherzig schlug die Düring weiter, einen Schlag auf die linke, dann wieder auf die rechte Pobacke, bis alle 25 Riemenschläge auf dem Hintern ein Muster gezeichnet hatten. “Das war’s doch schon.” meinte die Zuchtmeisterin fröhlich und löste die Lederfesseln, half Anja vom Strafbock herunter und führte sie vor das Spritzenhaus, wo sie Hanne die Kette des Halseisens gab. Mit schmerzverzehrtem Gesicht machte Anja den vorgeschriebenen Knicks und bedankte sich bei Frau Düring für die erhaltene Tracht Prügel, wobei ihr die Tränen aus den Augen und die Rotze aus der Nase lief. Hanna gab ihr ein Taschentuch, in das Anja sich kräftig ausschnäuzte, führte sie zur Kutsche und ließ ihren Bruder das Mädchen hineinheben. Erschöpft ließ Anja sich auf die Holzbank fallen, was sich sofort als ein fataler Fehler erwies, der Schmerz in ihrem Hintern ließ sie fast ohnmächtig werden. Für Anja war die Rückfahrt die reinste Tortur, die Schmerzen waren fast nicht auszuhalten, dazu kam gemeiner weise auch noch die Stimulierung ihres Schambereichs durch das Schrittblech des Keuschheitsgürtels, so dass sie abwechselnd vor Schmerzen und vor Geilheit jammerte.
In Andersum angekommen wurde Anja wieder im Stall angekettet, doch Hanna, die mitfühlende Seele, kam zu ihr, einen Tiegel in der Hand haltend. “Heb Dein Kleid hoch, dreh dich um und bück Dich.” sagte sie zu Anja, der inzwischen so ziemlich alles egal war. Behutsam bestrich Hanna das misshandelte Hinterteil mit einer kühlenden Salbe, was von Anja mit einem dankbaren Stöhnen quittiert wurde. Am Nachmittag ging Hanna wieder in den Stall, um Anja für eine Weile an die frische Luft zu führen. Den Ring am Ende der Kette gut festhaltend führte Hanna das Mädchen zur Straße hin, um von dort in Richtung Dorfplatz zu gehen, was sie zwangsläufig an dem Hof von Wattjes vorbeiführte. Die hatten sich alle in den Garten gesetzt, die Kinder gingen ihren Spielen nach, während sich Monika mit dem kleinen Jan beschäftigte, der ihr inzwischen ans Herz gewachsen war. Neidisch schaute Anja zu diesem Bild des Friedens hinüber, was hatte sie sich mit ihrer vergeblichen Flucht nur für einen Ärger eingehandelt. Einer Eingebung folgend fragte sie Hanna: “Frau de Fries, könnten Sie mich nicht zu den Wattjes gehen lassen, ich hätte Ihnen etwas zu sagen.” Hanna schaute sie misstrauisch an und meinte: “Solltest Du die Leute vor den Kopf stoßen, kannst Du mit viel Ärger rechnen.” “Das habe ich ganz bestimmt nicht vor.” gab sie zurück und so führte Hanna sie auf den Hof. “Wir bekommen Besuch.” rief Wattjes und alle sahen Hanna und Anja entgegen, die langsam auf sie zukamen. Nach der Begrüßung meinte Hanna: “Unser Mädchen wollte hierher, weil sie Euch angeblich etwas zu sagen hat.” “Na, Mädchen, dann lass mal hören, was Du uns Wichtiges mitzuteilen hast.” Anja sah Wattjes fest in die Augen und sagte: “Ich möchte mich bei Ihnen allen für mein schlechtes Benehmen entschuldigen, es tut mir sehr leid.” Zu Monika gewand meinte sie: “Das ich Dich mit der Forke niedergeschlagen habe, werde ich wohl nie wieder gutmachen können, aber ich würde alles dafür geben, um es ungeschehen zu machen.” Alle warteten gespannt auf Monikas Reaktion: Sie stand auf, gab den kleinen Jan in Swantjes Arme und ging auf Anja zu. Die schloss die Augen, denn dass sie sich jetzt ein paar saftige Ohrfeigen einhandeln würde, stand außer Frage. Doch Monika legte den Arm um sie und meinte: “Ist ja noch mal alles gut gegangen, mach Dir keine Sorgen, ich bin Dir nicht mehr böse.” Anja machte die Augen auf, sah Monika mit großen Augen an und sagte leise: “Danke, Du bist wirklich in Ordnung.” “Es wird Zeit, dass wir zum Teetrinken nach Hause kommen,” meinte Hanna und führte Anja wieder auf den eigenen Hof zurück. Auch Familie de Fries saß draußen vor dem Haus und genoss den Sonnenschein, als Hanna mit Anja zurückkam. “Hat sich das Mädchen anständig benommen?” wollte Hannas Vater wissen. Hanna erzählte ihnen von der freiwilligen Entschuldigung, die vor allem von Wilko de Fries gut aufgenommen wurde. Bevor Hanna sie in den Stall zurückbrachte, machte sie vor Wilko einen Knicks und fragte ob es möglich sei, dass sie ab morgen wieder arbeiten dürfe. Der rieb sich nachdenklich das Kinn und meinte, er würde es sich überlegen. Als sie wieder auf ihrem Schlafplatz angekettet war meinte Hanna zu ihr: “Wenn Du das, was Du heute Nachmittag gesagt hast, wirklich ernst meinst, auch in Bezug auf die Arbeit, kann es sein, dass Du es beweisen musst, enttäusche meinen Bruder lieber nicht, denn er hat schon mit dem Gedanken gespielt Dich nach Moorum zu schicken, und das möchte ich Dir wirklich nicht wünschen.”
Teil 30 Inzwischen war es Mitte Mai geworden, zu Monikas großer Freude waren die Misthaufen abgefahren, auf dem Land verteilt und untergepflügt, nun war man dabei, die erste Maat Heu einzubringen. Wattjes und seine Frau fingen an das lange Gras (40 cm) mit der Sense zu mähen, während Monika das Gras mit dem Holzrechen zu Wiersen (lange Streifen) zusammenharkte. Stunde um Stunde ging es so, bis die ganze Weide, auf der bisher noch keine Kühe geweidet hatten, abgemäht war. Inzwischen war es
später Nachmittag geworden, und normalerweise wären sie jetzt auf den Hof zurückgekehrt, doch nach einem Blick in den Himmel meinte Wattjes, dass es vielleicht Regen geben würde, so mussten nun noch alle Wiersen zu Oppers (kleine Haufen) zusammengeharkt werden, da Regen sonst die Maat verdorben hätte. Am nächsten Morgen wurden die Oppers dann wieder zu Wiersen verteilt, damit das Gras richtig trocknen konnte. Auch die Nachbarn de Fries waren mit der Heuernte beschäftigt, unterstützt von Anja, die wirklich ihr Bestes gab und fleißig arbeitete. Allerdings hätte Anja mehr schaffen können, doch war sie durch die Handkette, die ja auch noch durch den Ring des Halseisens lief und zusätzlich durch die Spreizstange an den Fußgelenken stark in ihren Bewegungen eingeschränkt, gar nicht zu reden von dem breiten Halseisen, dass sie nur ungelenkte Bewegungen machen ließ. Sobald das Heu von der ersten Maat eingefahren war, setzte sich Wilko de Fries auf sein Pferd und ritt nach Hohedörp, um Bürgermeister und Pastor davon zu überzeugen, dass sein Mädchen keine große Hilfe sein könnte, wenn sie nur so wenig Bewegungsfreiheit hätte. Schließlich einigte man sich darauf die Handkette wegzulassen und die Spreizstange durch eine Kette zu ersetzen, auch sollte sie, weil sie sich bis jetzt gut geführt hatte, ein leichteres Halseisen bekommen. Anja ahnte nichts davon, de Fries sagte ihr nur, dass er sie am nächsten Morgen zum Schmied bringen würde, weil der an ihren Fesseln einige Veränderungen vornehmen würde. Sie sagte nur: „Jawohl, Herr de Fries.“, wagte aber nicht zu fragen, um was für Veränderungen es sich dabei handeln würde. So verbrachte sie eine unruhige Nacht in ihrer Buzze, in der sie seit einigen Tagen wegen ihrer guten Führung schlafen durfte. Gleich nach dem Frühstück wurde sie von de Fries auf den Wagen gehoben und zum Schmied gebracht. Wieder beschlich sie ein Angstgefühl, als sie an ihrer Kette zum Amboss geführt wurde, doch als der Schmied meinte, dass ihr seine Änderungen sicher gefallen würden, wurde sie ruhiger. Als erstes wurde das Halseisen entfernt, jeder Schlag mit Hammer und Meißel auf die flachgeschlagenen Enden des Eisenstiftes taten wegen der Enge des Halseisens weh, doch die Schmerzen waren auszuhalten, dafür war es um so schöner, als ihr das schwere Teil abgenommen wurde, zum ersten Mal seit Wochen konnte sie ihren Kopf wieder unbeschwert bewegen. Nun wurde ihr von der Frau des Schmieds der Hals mit einer Salbe eingerieben und ein anders Halseisen umgelegt, das wesentlich leichter und etwas weiter war als das vorher. Nachdem der neue Reif mit einem glühendem Eisenstift verschlossen war, wurde ihr die Armkette abgenommen und die Spreizstange tauschte man gegen eine Kette. Wilko de Fries wurde von den Schmiedeleuten aufgefordert mit ihnen den Vormittagstee zu trinken, was er auch gern annahm. Anja wurde solange an einem Eisenring in der Schmiede angekettet, für sie galt die Einladung zum Teetrinken natürlich nicht. Gelangweilt schaute sie sich in der einfachen Werkstatt um, viel zu sehen gab es für sie hier wirklich nicht. Da fiel ihr Blick auf eine kleine Feile, die auf der Werkbank lag, sie wollte sie sich etwas näher ansehen, doch zu ihrem Leidwesen war ihre Halskette zu kurz, sie kam nicht an die Feile heran. „Ich muss diese Feile haben.“ dachte sie sich und merkte dabei, wie ihr Trieb nach Freiheit wieder die Oberhand gewann. Ihr Blick fiel auf eine neue Hacke, die der Schmied wohl für jemanden fertiggemacht hatte, mit der zog sie die Feile auf der Werkband vorsichtig an sich heran. Die Hacke stellte sie wieder an den gleichen Platz zurück und überlegte krampfhaft, wie sie das Werkzeug aus der Schmiede herausschmuggeln könnte. Da sah sie ein Stück Bindfaden, zwar nur ein kurzes Ende, doch für ihre Zwecke würde es genügen. Das eine Ende des Bindfadens befestigte sie an der Feile, das andere Ende zog sie durch die Öse des Vorhängeschlosses, mit dem ihr Keuschheitsgürtel gesichert war. Nun baumelte die Feile zwischen ihren Beinen, kein Mensch würde etwas merken.
Kurz darauf kamen die Schmiedeleute und de Fries wieder zurück, Anjas Kette wurde gelöst, sie bedankte sich bei dem Schmied artig mit einem Knicks und wurde wieder auf den Wagen gehoben, nicht ohne dass ihre Halskette wieder sicher befestigt wurde. In Andersum auf de Hof angekommen suchte sie als erstes ein sicheres Versteck für das Werkzeug, im Stall entdeckte sie einen Holzbalken mit einem tiefen Riss, gerade groß genug, um die Feile darin zu verstecken.
Teil 31 Was Anja nicht ahnen konnte: Schmiedemeister Düring war ein ordentlicher Handwerker, jeden Abend räumte er sein Werkzeug wieder weg, alles hatte seinen festen Platz. Als er nun an diesem Abend wieder Ordnung geschaffen hatte, vermisste er seine kleine Feile. Überall suchte er, konnte sie aber nicht finden. Nach einer Weile gab er auf, schloss die Schmiede zu und machte Feierabend, seine Frau wartete schon mit dem Abendbrot. Während des Essens fragte er seine Frau, ob sie vielleicht wissen würde, wo die Feile abgeblieben sein könnte. Das hätte er besser bleiben lassen können, denn Frau Düring polterte sofort los: „Habe ich nicht schon genug Arbeit hier im Haus, soll ich mich vielleicht jetzt auch noch um Deine Schmiede kümmern? Seit die Kinder aus dem Haus sind bin ich hier allein mit der Arbeit, keine Hilfe im Garten oder sonst irgendwie, aber der Herr Schmiedemeister besteht natürlich darauf, pünktlich seine Mahlzeiten einzunehmen. Mein lieber Mann, wenn Du nicht in der Lage bist auf Dein Werkzeug aufzupassen, dann kann ich Dir auch nicht helfen.“ „Ist ja schon gut, war ja auch nur eine Frage.“ brummelte der Schmiedemeister und fragte sich zum zehntausendsten Mal, warum der Herr ihn mit einer so dominanten Frau gestraft hatte. Doch ging dem Schmiedemeister die Sache mit der Feile nicht aus dem Kopf, er hatte die Werkstatt wirklich gründlich durchsucht, doch nirgends war das Werkzeug zu finden. Auch würde keiner der Gemeindemitglieder sich an seinen Sachen vergreifen, da war er sich absolut sicher. Auch als er schon im Bett lag überlegte er immer noch, wohin das Teil verschwunden sein könnte. Er ließ den Tag Revue passieren, wer war alles bei ihm in der Werkstatt gewesen? Es fiel im wie Schuppen von den Augen: Hatten sie nicht das Mädchen alleine in der Schmiede gelassen, um Tee zu trinken? Nun war es mit seiner Nachtruhe vorbei, im Geiste stellte er sich vor, wie dieses Mädchen der de Fries sich mit Hilfe seiner Feile von der Kette befreite und flüchtete. Welchen Ärger würde er bekommen, wenn sich sein Verdacht bestätigen würde! Er rüttelte seine Frau wach, die ihn ungnädig anfauchte: „Düring, büst Du nu malle worn, mi midden in de Nacht wockertomoken, so sacht worst Du wohl braigenklütterig (Düring, bist Du nun verrückt geworden, mich mitten in der Nacht zu wecken, so langsam verlierst Du wohl Deinen Verstand). Doch diesmal ließ sich Düring nicht von seiner Frau einschüchtern und erzählte ihr von seinem Verdacht. Die meinte, dass sie dem Mädchen so etwas durchaus zutrauen würde, gleich am Morgen solle er de Fries eine Nachricht zukommen lassen, damit er die Sache im Auge behalten könne. Der Schmied verbrachte eine unruhige Nacht, gleich nach dem Frühstück schrieb er einen Brief an de Fries, in dem er seinen Verdacht aussprach und ihn darum bat, die Ketten des Mädchens zu kontrollieren. Ein Bewohner aus Andersum, der die Milch nach Hohedörp gefahren hatte, brachte den Brief am Vormittag zu de Fries. Der wunderte sich zunächst sehr einen Brief vom Schmied zu bekommen, doch schnell wurde ihm die Wichtigkeit des Schreibens klar. Sollte dieses Mädchen wirklich so hinterlistig und falsch sein, wie der Schmied vermutete, würde er die weitere Verantwortung für sie ablehnen und sie zurück nach Hohedörp bringen.
Wilko de Fries passte auf wie ein Luchs, doch nichts deutete darauf hin, dass sie versuchte, mit einer Feile die Kette zu durchtrennen. Im Gegenteil, sie verhielt sich ordentlich, erledigte die ihr übertragenen Aufgaben zuverlässig, auch ihr übriges Verhalten gab keinen Grund zur Klage. Die Aufmerksamkeit von de Fries ließ langsam aber unaufhörlich nach, der Schmied würde seine Feile bestimmt selbst verlegt haben, vermutete er. Die Vorsicht von Anja wurde belohnt, natürlich hatte sie mitbekommen, dass der Bauer, seit dem er einen Tag nach dem Diebstahl einen Brief bekommen hatte, immer wieder ihre Ketten kontrollierte, was für ein Glück, dass sie nicht gleich am ersten Tag die Feile benutzt hatte, sonst hätte sie mal wieder ein dicke Problem gehabt. So war sie weiterhin fleißig, verhielt sich freundlich und gewann langsam das Vertrauen der gesamten Familie. Auch hatte sie sich nun schon zum zweiten Mal ihre sonntägliche Prügel abholen müssen, diesmal brauchte sie noch nicht einmal angebunden zu werden, freiwillig legte sie sich über den Strafbock und ertrug die Schläge, die ihr Frau Düring mit scheinbar großer Genugtuung verabreichte. Doch ein Ding war sicher: Zum dritten Mal würde sie sich nicht mehr auf den Strafbock legen, es wurde Zeit, sich von den Ketten und von diesem Dorf auf Nimmerwiedersehen zu verabschieden. So begann Anja jetzt, in jedem Augenblick, in dem sie sich unbeobachtet fühlen konnte, die Kettenglieder anzufeilen, doch nur soweit, dass bei jedem bearbeitetem Kettenglied zwei dünne Stege stehen blieben, die sie innerhalb von Minuten ganz durchtrennen konnte. Zuerst bearbeitete sie die Fußkette, anschließend die Kette des Halseisens. In die ausgefeilten Spalten der Kettenglieder schmierte sie eine Mischung aus Kuhdung und Harz, wer nicht genau hinsah konnte die Veränderungen an der Kette nicht sehen. Drei Tage später war es soweit: Wilko de Fries und seine Schwester Hanna waren auf einem Acker am Arbeiten, die alten de Fries waren kurz zu einem Nachbarn gegangen. So kam es, dass Anja nur die Kette des Halseisens durchtrennen musste, da sie im Haus nur an der Laufkette angeschlossen war, die Arbeit mit den Fußfesseln hätte sie sich schenken können. Sie ging durch den Stall und spähte nach draußen, nur vereinzelt in weiter Ferne konnte sie Leute auf den Feldern arbeiten sehen, vorsichtig und in gebückter Haltung lief sie über die Felder in die entgegengesetzte Richtung von Hohedörp, sie musste so schnell wie möglich durch den Kanal schwimmen, der dieses ganze Land umgab, dann wäre sie endlich wieder in der Freiheit. Immer weiter lief sie, die halbe Strecke, und das waren immerhin rund 6 Kilometer, war schon fast geschafft, da traf sie ein Missgeschick, mit dem sie niemals gerechnet hätte. Es war das nur das Eingangsloch von einer Wildkaninchenhöhle, in dem ihr linker Fuß stecken blieb, aber es reichte aus, um sie der Länge nach hinfallen zu lassen. Sie rappelte sich auf und wollte weiterlaufen, doch hatte sie sich den Knöchel verstaucht. Aber das sollte sie nicht daran hindern, in die Freiheit zu entkommen, mit zusammengebissenen Zähnen humpelte sie ihrem Ziel langsam, aber stetig, entgegen. Nur noch 300 Meter trennten sie von ihrem Ziel, dem Kanal, als sie von vorne Reiter kommen sah. Sie schmiss sich flach auf den Boden, noch immer in der Hoffnung, von ihren Häschern nicht entdeckt zu werden, doch unaufhaltsam kamen die Reiter näher. Jetzt hörte sie die Männer sich gegenseitig etwas zurufen, zwei Minuten später war sie von ihnen umzingelt, nun war auch ihre zweite Flucht gescheitert, an das, was jetzt auf sie zukommen würde, mochte Anja lieber gar nicht erst denken, was auch besser war, denn für sie begann nun die härteste Zeit ihres ganzen Lebens.
Teil 32
Der Sommer ging langsam dahin, die zweite Maht Heu war in die Scheune gebracht, auch Gerste, Hafer, Weizen und Roggen waren gemäht und gedroschen, und das Stroh in die Scheunen geschafft worden. Dafür hatten sie alle aber auch von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeiten müssen, nur gut, das in dieser Zeit die Kinder nicht zur Schule mussten und mit anfassen konnten. Der einzige freie Tag in der Woche war wirklich nur der Sonntag, die Fahrten nach Hohedörp und der Kirchgang waren fast die einzige Abwechslung die sie hatten. So stand die Familie Wattjes auch diesem letzten Sonntag im Juli nach dem Kirchgang auf dem Dorfplatz, um Neuigkeiten auszutauschen. Für Monika, die als Kettenmädchen nicht beachtet werden durfte, war es ziemlich langweilig, meist von Fenna oder Swantje an der Kette festgehalten, immer mit den Fußfesseln versehen, stand sie mit gesenktem Blick dabei und durfte nichts sagen, nur diesen dämlichen Knicks musste sie bei jedem machen, der Familie Wattjes grüßte. Während die Unterhaltungen der Leute kein Ende zu nehmen schien, gab es auf einmal vom Dorfweiher her ein Geschrei: „He is int Woter falln, he suppt glicks of (Er ist ins Wasser gefallen, er wird gleich ertrinken). Monika traute ihren Augen nicht, ein kleiner Junge war ins Wasser gefallen, doch keiner sprang in den Weiher um ihn zu retten, die Männer brüllten nur, dass sie sofort Taue oder einen langen Stock brauchen würden. Monika riss Swantje das Ende der Halseisenkette aus der Hand, lief so schnell es die Fußfesseln zuließen auf den Weiher zu und stürzte sich mit einem Hechtsprung in das Wasser hinein. Mit wenigen Schwimmstößen war sie bei der Stelle, an dem der Junge untergegangen war, holte noch einmal Luft und tauchte nach ihm. In der trüben Brühe konnte sie ihn zuerst nicht finden, doch dann fühlten ihre Hände einen Körper. Fest packte sie zu und zog den leblosen Jungen an die Oberfläche, um ihn an das Ufer zu bringen. Dort wurde ihr der Kleine abgenommen und ins Gras gelegt, er rührte sich nicht mehr. Die Mutter des Jungen fiel neben ihm auf die Knie und schrie: Mien lüttje Jung is versoopen, he levt nich mehr, mien lüttje Jung is dod (Mein kleiner Junge ist ertrunken, er lebt nicht mehr, mein kleiner Junge ist tot). Auch Monika hatte inzwischen wieder festen Boden unter den Füssen, ging zu der Mutter des Jungen und schob sie rücksichtslos zur Seite, um mit Wiederbelebungsmaßnahmen zu beginnen. Sie pumpte durch die Bewegungen mit seinen Armen das Wasser aus seinen Lungen, zwischendurch beatmete sie ihn, pumpte weiter. Mit einem Mal spuckte der Kleine eine ganze Ladung Wasser aus, das Leben strömte zurück in seinen kleinen Körper. Überglücklich nahm die Frau ihr Kind in den Arm, das jetzt fürchterlich zu weinen anfing, während die Anderen, die bei dem Unglück nur zugesehen hatten, anerkennende Worte wechselten. Nass wie eine Katze ging Monika zurück zur Familie Wattjes, gab Swantje das Ende ihrer Halskette in die Hand und sagte: „Entschuldigen Sie bitte, Frau Wattjes, aber es ging nicht anders.“ Swantje sah sie lächelnd an und meinte: „Dafür, mein Kind, brauchst Du Dich nicht zu entschuldigen, was Du eben gemacht hast, war mehr als mutig.“ und nahm sie, obwohl das bei einem Kettenmädchen nicht erlaubt war, liebevoll in den Arm. „Jetzt aber schnell nach Hause, in den nassen Klamotten holt das Mädchen sich sonst noch eine Lungenentzündung.“ befahl Bauer Wattjes und wollte alle in die Kutsche einsteigen lassen, doch die Schmiedeleute hielten sie auf. „Warum kommt Ihr nicht bei uns vorbei, dann könnte ich dem Mädchen ein Kleid von meiner Tochter geben, dass bei uns noch immer in der Truhe liegt, obwohl sie schon lange ihre eigene Familie hat.“ sagte Frau Düring. Eiso Wattjes sah seine Frau an, die nickte zustimmend und so machten sich alle auf in das Haus der Dürings. Dort angekommen ging Frau Düring erst an den Herd, um den Wasserkessel für den Tee aufzusetzen, zeigte Fenna, wo das Geschirr stand und verschwand mit Monika und Swantje in den hinte-
ren Räumen. Dort öffnete Frau Düring eine Truhe und holte ein Kleid heraus, hielt es an Monikas Rücken und meinte, dass es perfekt passen würde, ihre Tochter würde es sowieso nicht mehr tragen können. Doch jetzt legte Swantje Protest ein, das Kleid wäre zwar sehr schön, aber würde es keinen Ärger mit dem Gemeindevorstand geben, wenn sie gekleidet wäre wie ein freies Mädchen. „Ärger?“ fragte die Düring, „wer vom Gemeindevorstand will Ärger machen, vielleicht die Vorstandsmitglieder, die selbstlos in den Weiher gesprungen sind um meinem Enkelsohn das Leben zu retten? Hier macht keiner Ärger, und wenn das Mädchen von uns das Kleid geschenkt bekommt, hat da niemand reinzureden.“ Selbst Swantje Wattjes kapitulierte vor der aufgebrachten Schmiedefrau, Monika wurden die nassen Kleider ausgezogen, mit einem Handtuch wurde sie trockengerubbelt und von Frau Düring komplett neu ausgestattet. Nicht nur ein neues Kleid, nein, auch alles was eine unverheiratete Frau tragen durfte, holte Frau Düring aus der Truhe: Unterwäsche, die richtig angenehm zu tragen war und nicht kratzte, feingestrickte lange Strümpfe, einen aus einem guten Stoff gearbeiteten Unterrock, selbst ein Schultertuch zauberte sie aus der Truhe hervor. Monika fühlte sich so gut wie schon lange nicht mehr, gern hätte sie sich in einem Spiegel betrachtet, doch zu ihren großen Bedauern gab es im Land der alten Dörfer keine Spiegel, weil das ein Ausdruck von Selbstgefälligkeit und Eitelkeit gewesen wäre. Zurück in der Küche wurde Monika gebührend bewundert, was ihr aber sichtlich peinlich war, mit hochrotem Kopf blickte sie verschämt zu Boden, so ein Aufhebens um ihre Person war sie nun wirklich nicht mehr gewohnt. Auch die anschließenden Lobreden machten sie verlegen, und so war sie froh, als es nach Andersum zurückging.
Teil 33 Die Woche verging wie gewohnt mit viel Arbeit, von Monikas Rettungsaktion wurde nicht mehr gesprochen, doch am nächsten Sonntag bemerkte sie Veränderungen: Sie waren mit der Kutsche zum Gottesdienst gefahren und auf dem Dorfplatz ausgestiegen, Fenna hielt die Kette von ihrem Halseisen und die Familie Wattjes ging geschlossen zur Kirche. Wie immer grüßten die anderen Leute, auch jetzt wurde Monika nicht von den anderen angesprochen, aber immerhin wurde ihr nun manchmal zugelächelt. Auf ihrem Platz in der Kirche angekettet hörte Monika dem Pastor zu, der gerade damit angefangen war, einigen der Mädchen ihr Strafmass zu verkünden. Da sie ein reines Gewissen hatte, traf sie fast der Schlag als der Pastor rief: „Ich rufe auf das Mädchen der Familie Wattjes!“ Sich keiner Schuld bewusst stand sie auf, den Blick nach unten gerichtet und die Hände vor dem Leib gefaltet, trotz ihres reinen Gewissens überkam sie ein ungutes Gefühl. „Liebe Gemeinde,“ begann der Pastor, „seht Euch dieses Mädchen an, nicht nur, dass sie sich in der ganzen letzten Zeit vorbildlich verhalten hat, nein, liebe Gemeinde, sie wurde sogar, als sie ein Mädchen an der Flucht hindern wollte, wegen ihres vorbildlichen Verhaltens hinterrücks niedergeschlagen, war aber auch noch großherzig genug, ihrer Peinigerin zu verzeihen, das, liebe Gemeinde, nenne ich eine aufrichtige, christliche Gesinnung. Was sie aber letzten Sonntag getan hat, war mehr als nur selbstlos: Mutig hat sie sich in den Weiher geworfen und einem kleinen Jungen das Leben gerettet. Aus diesem Grund hat der Rat beschlossen, dieses Mädchen zu belohnen. In Zukunft soll sie mit ihrem Namen angesprochen werden, auch soll sie beim Gottesdienst bei Ihrer Familie sitzen dürfen.“
Der Pastor sah Bauer Wattjes an und sagte: „Eiso Wattjes, gehe hin und hole Monika in den Kreis Eurer Familie.“ Das ließ Wattjes sich nicht zweimal sagen, er stand auf, ging zur hinteren Bank, befreite Monika von der Kette und führte sie zu der Bank, in der seine Familie saß. Für Monika war dass ein so überwältigendes Erlebnis, dass ihr beim Einsetzen der Orgelmusik Tränen der Dankbarkeit in die Augen stiegen, selten war sie so glücklich gewesen. Nicht ganz so glücklich war der Rest der Gemeinde, denn diese Ereignisse beflügelten den Pastor bei seiner Predigt derartig, so dass er kein Ende finden konnte und der Gottesdienst diesmal rund zwei Stunden dauerte. Nach dem Kirchgang standen Wattjes und Monika auf dem Dorfplatz, als der Bürgermeister von Hohedörp zu ihnen kam. Auch er sprach noch mal Lobesworte aus und meinte, dass der Rat noch eine weitere Überraschung für Monika hätte, sie solle Anfang der Woche in die Schmiede kommen, dann würde sie schon sehen. Sonst war Monika das Getratsche auf dem Dorfplatz ziemlich auf die Nerven gegangen, doch nun, wo sie in die Gespräche mit einbezogen wurde, hätte sie am liebsten den ganzen Tag hier verbracht. Inzwischen verstand sie auch schon einigermaßen Plattdeutsch und versuchte es auch zu sprechen, doch das war nicht so ganz einfach, denn Plattdeutsch ist kein Dialekt, sondern eine eigenständige Sprache. Doch das Meiste, was sie von sich gab, wurde von den Anderen verstanden, über Fehler wurde hinweggesehen, wichtig war nur, dass sie es versuchte. Spät ging es diesen Sonntag nach Andersum zurück, während der ganzen Zeit überlegte Monika, was Schmiedemeister Düring wohl mit ihr anstellen würde. Doch da es sich um eine Belohnung handelte, konnte es ja nichts Schlimmes sein. Erst am Mittwoch fand Wattjes Zeit, um mit Monika nach Hohedörp zum Schmied zu fahren. In der Schmiede angekommen wurde ihr als zunächst die Fußfessel abgenommen und durch eine leichtere Kette ersetzt, diese Kette war so lang, dass Monika zur ihrer großen Freude ohne Probleme große Schritte machen konnte. Nun wurde ihr das Halseisen abgenommen, so vorsichtig der Schmied auch arbeitete, die Schläge mit Hammer und Meißel auf die Verschlussstellen des Halseisens dröhnten ihr im Kopf. Dafür war es für sie aber auch ein herrliches Gefühl, als ihr das schwere Eisen vom Hals genommen wurde. „Ja, Monika,“ sagte Meister Düring, „wenn es nach mir ginge würdest Du kein Halseisen mehr tragen müssen, aber jedenfalls hat der Rat nicht vorgeschrieben, wie das Eisen aussehen muss, und so habe ich für Dich als Dank für die Rettung unseres Enkels ein ganz besonderes Teil angefertigt, von dem ich hoffe, dass es Dir gefallen wird.“ Nach diesen Worten ging er vor die Schmiede und rief nach seiner Frau, die gleich darauf in die Werkstatt kam, in der einen Hand hielt sie einen Gegenstand, der in ein Tuch eingeschlagen war. Sie legte das Teil auf die Werkbank und forderte Monika auf es selbst auszupacken, schließlich wäre es ja auch für sie gemacht worden. Neugierig wickelte sie das neue Halseisen aus, sah ungläubig auf das, was da nun auf der Werkbank lang: Das war kein Halseisen, sondern ein wunderschöner Halsreif, in dem altfriesische Verzierungen eingearbeitet waren. „Das ist ein wunderschöner Halsreif,“ sagte Monika, „aber das ist doch ein richtiges Schmuckstück und kein Halseisen, soll der wirklich für mich sein.“ „Natürlich ist der für Dich,“ sagte Düring, „aber sehe ihn Dir erst mal genauer an, das Beste hast du noch nicht gesehen.“ Monika betrachtete den Halsreif von allen Seiten: Während das alte Halseisen aus einem breiten Eisenband gearbeitet worden war, hatte dieser Halsreif eine runde Form, wie ein großer Ring, zwar war auch an ihm vorne eine Kette befestigt, doch war diese Kette um vieles leichter als die alte. Aber das war noch nicht alles, denn dieses Teil schien aus einem ganz anderem Material hergestellt wor-
den zu sein. Als Monika den Schmiedemeister darauf ansprach, grinste er nur und meinte: „Auch da gibt es vom Rat keine Vorschriften, darum habe ich diesen Halsreif aus Silber bearbeitet. Aber sieh noch mal genau hin, es gibt noch einen weiteren Unterschied.“ „Nun spann Monika doch nicht auf die Folter.“ schimpfte Frau Düring gutmütig mit ihrem Mann, worauf der einen kleinen Schlüssel aus der Tasche holte. „Dieser Halsreif wird nicht angeschmiedet,“ erklärte er, „sondern ist hinten durch einen Schlüssel zu verschließen, und natürlich auch jederzeit zu öffnen.“ Aber nun wollen wir erst mal sehen, ob das gute Stück auch passt oder ob Du doch das alte Halseisen wieder umgelegt bekommen musst.“ scherzte Düring und wollte ihr den Halsreif umlegen, doch da protestierte seine Frau: „Das lass mich lieber machen, Du bist wohl geschickt im Umgang mit Eisen und Amboss, aber an Monika lasse ich Dich nicht heran.“ Düring grinste nur und gab seiner Frau den inzwischen geöffneten Halsreif. „Dann komm mal her, mein Kind, mal sehn, ob mein Mann das richtige Maß genommen hat und legte den Halsreif vorsichtig um Monikas Hals, drückte ihn sanft zu und drehte den Schlüssel um. „Wie fühlt es sich an,“ fragte sie, „sitzt er auch nicht zu eng?“ „Aber nein,“ rief Monika, „da drückt überhaupt nichts, und es fühlt sich viel angenehmer an als das alte Halseisen, es ist einfach nur schön.“ „Das freut uns wirklich,“ sagte der Schmiedemeister, „vor allen Dingen mich selbst, denn was glaubst Du wohl was meine Frau mir erzählt hätte wenn der Halsreif zu eng gewesen wäre.“ nahm dabei aber seine Frau in den Arm und lächelte sie an, es war den Beiden anzusehen, dass sie sich darüber freuten, Monika so angenehm überrascht zu haben. Nun schickte Frau Düring ihren Mann und Bauer Wattjes aus der Werkstatt hinaus, bei der letzten Sache könnten sie die Männer hier nicht gebrauchen. Kaum waren die Beiden verschwunden, als Frau Düring eine kurze, dünne Kette holte und zu Monika meinte: „So schön die lange Fußfessel auch ist, wir werden sie etwas hochbinden müssen, sonst wirst Du ständig auf die Nase fallen, weil die Kette sich irgendwo verhakt.“ Monika hatte den Rock hochzuheben und Frau Düring wollte gerade die Kette an ihrem Keuschheitsgürtel festmachen, als sie feststellte, dass Monika wohl abgenommen haben müsse, auf jeden Fall sei ihr Keuschheitsgürtel zu weit geworden, was ihr im Laufe der nächsten Zeit bestimmt Probleme bereiten würde, weil dadurch die Haut unter dem Gürtel aufgescheuert werden würde. Sie holte eine ganze Kiste voll kleiner Schlüssel und probierte solange, bis sie einen passenden Schlüssel für Monikas Keuschheitsgürtel gefunden hatte. Nachdem das Schloss entfernt war, nahm sie ihr den Gürtel ab, ging in den Lagerraum und kam mit einem neuen Keuschheitsgürtel wieder, den sie ihr gleich umlegte. „Dieser Gürtel passt wesentlich besser.“ meinte sie und nahm ihn wieder ab, um die Innenseiten des Tugendwächters reichlich mit Salbe zu bearbeiten. Sie legte ihn Monika wieder um und verschloss ihn, nicht ohne zu fragen, ob sie ihn vielleicht zu eng gemacht hätte. Doch Monika meinte, dass er perfekt passen würde, empfand den jetzt wieder stärkeren Druck auf Hintern und Schambereich als durchaus angenehm. Jetzt konnte das eine Ende der kurzen Kette am KG befestigt werden, die Fußkette wurde angehoben und das andere Ende an ihr befestigt, so dass die Kette der Fußfesseln beim Laufen nicht mehr über den Boden schleifen musste. Damit hatte Frau Düring genau das erreicht, was sie vorgehabt hatte: Auf der einen Seite war den Vorschriften Genüge getan, auf der anderen Seite konnte Monika jetzt fast unbeschwert laufen. „Das wäre es dann,“ meinte Frau Düring und wollte die Werkstatt verlassen, wurde aber von Monika noch aufgehalten. „Frau Düring,“ sagte Monika, „ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen danken soll, das kann ich doch nie wieder gutmachen.“, fiel der Schmiedefrau um den Hals und drückte ihr einen dicke
Kuss auf die Wange. Arm in Arm kamen die Beiden ins Freie, nachdem sich Monika auch bei Meister Düring in aller Form bedankt hatte drängt Wattjes zur Eile, ihm knurrte schon wieder der Magen. Auf der Rückfahrt wurde nicht viel gesprochen, Monika saß auf dem Wagen und lächelte still vor sich hin. Bauer Wattjes führte das auf ihren neuen Halsreif zurück, konnte er doch nicht ahnen, dass Monika in ihrem neuen, engen Keuschheitsgürtel durch die Vibrationen des Ackerwagens auf das Herrlichste stimuliert wurde.
Teil 34 Anja in Moorum 1 „Steh auf“ befahl einer der Reiter, der vom Pferd abgestiegen war. Anja rappelte sich hoch und ließ sich widerstandslos die Hände auf dem Rücken fesseln, auch ihre Füße wurden zusammengebunden, danach wurde sie wie ein Kartoffelsack bäuchlings auf das Pferd von Wilko de Fries gelegt. Auf der Straße angekommen trennte sich die Reiterschar, die meisten kehrten nach Andersum zurück, nur einer der Reiter begleitete de Fries, der den Weg mach Moorum eingeschlagen hatte. Es war ein langer Weg, vor allen Dingen für Anja, der Strafkeuschheitsgürtel tat ihr in dieser ungewohnten Haltung fürchterlich weh, auch dass sie die ganze Zeit mit dem Kopf nach unten auf dem Pferderücken hing, machte ihr ziemlich zu schaffen. Nach einem endlos langem Ritt kamen die beiden Reiter in einem kleinen Dorf an, dass einen schon fast ärmlichen Eindruck machte: Die Häuser waren klein und gedrungen, hier waren keine gepflegten Gärten zu sehen, nein, Moorum konnte dem Vergleich mit Hohedörp oder Andersum nicht standhalten. Doch auch hier gab es einen Dorfplatz, und auch auf diesem Platz war ein dicker Eichenpfahl in die Erde gerammt worden. Dort wurde Anja vom Pferd gehoben, die gefesselten Füße wurden befreit und sie mit einem Tau so kurz an den Pfahl angebunden, dass sie nur gebückt stehen konnte, ohne Rücksicht auf ihren schmerzenden Fuß. Die beiden Männer gingen in ein Haus, hielten sich dort aber nur kurz auf, denn schon nach einigen Minuten kamen sie wieder heraus, stiegen auf ihre Pferde und ritten davon, ohne Anja auch nur noch einmal anzusehen. Stundenlang war sie an den Pfahl gefesselt, ihr Fuß schmerzte genau so wie ihr Rücken. Es kamen zwar immer wieder Leute vorbei, doch keiner kümmerte sich um sie, für die Dorfbewohner war sie Luft. So langsam wurde ihr klar, dass sie sich mit ihrem zweiten Fluchtversuch selbst keinen Gefallen getan hatte. Dieses Moorum gefiel ihr nicht, es war ihr geradezu unheimlich an diesem Ort. Erst am Abend kümmerte sich ein Mann um sie, er löste das Tau von dem Pfahl und zog Anja in eine kleine, kümmerliche Hütte ohne Fenster. Dort nahm er den Strick ab, befestigte dafür mit einem Vorhängeschloss eine in dem Boden verankerte Kette an ihrem Halseisen, ging hinaus und schloss die Tür. Anja war erst mal froh, ihren Rücken durchstrecken zu können, jeder einzelne Muskel tat ihr weh. Sie versuchte sich in der Hütte umzusehen, doch es war so dunkel, dass sie nichts erkennen konnte, nur ein kleiner Lichtstrahl vom letzten Tageslicht fiel unter der Tür hindurch, aber auch der war mit der einsetzenden Dunkelheit bald verschwunden. Die schwere Eisenkette war so kurz, dass sie die Tür nicht erreichen konnte, es blieb ihr nichts anderes übrig als sich auf den nackten Boden zu setzen. Die Zeit schien stillzustehen, kein anderes Geräusch als das ihres eigenen Atems war zu hören. Langsam aber stetig wuchs ihre Angst, sie hatte nicht die geringst Ahnung, was auf sie zukommen würde, aber viel Gutes würde sie wohl nicht erwarten können.
Trotz Hunger und Durst wurde sie müde und streckte sich auf dem Boden aus, langsam fiel sie in einen leichten Schlaf. Mit einem Mal spürte sie, dass etwas über ihren Körper lief, mit einem Satz sprang sie auf die Füße, da hörte sie auch schon das Fiepen einer Ratte. Verzweifelt riss sie an der Kette, schrie um Hilfe, doch niemand kam, um nach ihr zu sehen, so blieb ihr nichts anderes übrig als die ganze, scheinbar endlose Nacht stehend zu verbringen. Endlich kroch wieder ein leichter Lichtstrahl unter der Tür hindurch, diesen Alptraum von einer Nacht hatte sie im wahrsten Sinn des Wortes überstanden, jetzt konnte sie sehen, dass sich keine Mäuse oder Ratten mehr in dem Raum befanden. Erschöpft legte sie sich auf den Boden um jetzt endlich etwas zu schlafen, doch da wurde die Tür aufgestoßen und eine Frau brachte ihr schweigend eine Holzschüssel mit einem Brei, eine trockene Scheibe Schwarzbrot und einen Becher dünnen, ungesüßten Tee. Angewidert löffelte Anja den undefinierbaren Brei in sich hinein, wenn es auch noch so ekelig schmeckte, ihr Körper verlangte nach Nahrung. Außerdem musste sie bei Kräften bleiben, denn das war ihr jetzt schon klar: Hier würde sie niemals bleiben, bei der ersten Gelegenheit würde sie auch den dritten Fluchtversuch unternehmen. Lange Zeit kümmerte sich niemand um die Gefangene, erst am frühen Nachmittag wurde die Tür der Hütte wieder geöffnet, zwei Frauen kamen herein und forderten sie auf, sich auszuziehen. Anja blieb nichts anderes übrig als zu gehorchen, sie zog das Kleid über den Kopf und streifte es über die Kette, auch die Wäsche hatte sie auszuziehen. Eine der Frauen gab ihr ein Kleid, für das der Ausdruck „Lumpen“ noch schmeichelhaft war, vergleichbar mit einem Sack, in den Löcher für Kopf und Arme hineingeschnitten sind. Die Frauen banden ihre Hände auf dem Rücken zusammen, öffneten das Schloss am Halseisen, nahmen ihr die im Boden befestigte Kette ab, schlossen aber gleich darauf wieder eine kurze Kette an das Halseisen an und führten sie an der Kette vor die Tür. Wieder wurde sie auf den Dorfplatz geführt, und wie auch schon am Tag vorher an dem Pfahl angekettet, immerhin war die Kette so lang, dass sie aufrecht stehen konnte. Über eine Stunde lang passierte nichts, Dorfbewohner kamen und gingen, selbst die Kinder zogen achtlos an ihr vorüber. Von fern sah sie einen geschlossenen Wagen mit zwei Pferden davor auf das Dorf zukommen, als das Gefährt näher kam konnte sie den Mann auf dem Kutschbock erkennen, im gleichen Augenblick wusste sie, dass dieser Mann wegen ihr hierher kam, dieser Mann war nun wirklich der Letzte, den sie im Moment gebrauchen konnte.
Teil 35 Der größte Teil der Feldarbeiten war für dieses Jahr erledigt, die dritte Maht Heu lag in der Scheune, im September waren die Rüben vom Acker geholt worden, und auch die Kartoffelernte im Oktober war endlich vorbei. Dafür waren jetzt die Kühe wieder auf dem Stall, also ging es wieder los mit Ausmisten und Füttern, doch das war nicht weiter schlimm, denn jetzt ging es über Tag gemütlicher zu. Je kürzer die Tage wurden, umso weniger brauchten sie alle zu arbeiten. An einem Sonntag kam unverhoffter Besuch, Familie Wattjes saß gerade beim Nachmittagstee und Butterkuchen, als ein Reiter auf den Hof kam. Neugierig schaute auch Monika aus dem Fenster, den Mann kannte sie: Es war der Rechtsanwalt Meyerdirks, der nun auf das Haus zukam. Bauer Wattjes ging nach draußen, um den Gast zu begrüßen und ins Haus zu bitten, während Monika sich fragte, ob dieser Besuch des Rechtsanwalts etwas mit ihr zu tun haben würde, und wenn, ob er etwas Gutes oder Schlechtes zu bedeuten hätte.
Anwalt Meyerdirks wurde von der ganzen Familie hochachtungsvoll begrüßt, jeder von ihnen wusste, was für ein wichtiger Mann er für das Land der alten Dörfer war. Auch Monika verhielt sich diesmal vorschriftsmäßig, machte einen tiefen Knicks vor ihm und verharrte in der Stellung solange, bis sie von ihm angesprochen wurde. „Nun Mädchen,“ sagte er, „mir scheint, dass Du Dich gut eingelebt hast, auch hörte ich gute Dinge von Dir, ja, in der Tat, gute Dinge. Inzwischen wirst Du ja auch schon mit Deinem Namen angesprochen, das ist ein gutes Zeichen für Dein Wohlverhalten. Die ersten sechs Monate im Land der alten Dörfer sind nun vorbei, nun noch einmal die gleiche Zeit und Du kannst zu Deinen Eltern zurückkehren.“ Meyerdirks redetet und redete, was ihn aber nicht daran hinderte, sich zwischendurch vier Stücke Butterkuchen einzuverleiben. Irgendwie waren alle erleichtert als er wieder ging, sein ständiger Redefluss war auf die Dauer doch ziemlich nervig. Normalerweise hätte Monika sich jetzt freuen müssen, die Hälfte der Zeit ihres Zwangsaufenthalts war vorbei, und wie es im Moment aussah, würde einer Entlassung in einem halben Jahr nichts entgegenstehen. Einerseits freute sie sich auf ihren alten Bekanntenkreis, endlich mal wieder auf eine Party gehen, sich vielleicht mal wieder einen Joint gönnen, anderseits war ihr die Familie Wattjes ans Herz gewachsen, aber darüber konnte sie sich immer noch Gedanken machen, sechs Monate waren noch eine lange Zeit. Später am Nachmittag nahm Fenna sie an ihrer Halskette, die Beiden wollten noch etwas im Dorf spazieren gehen. Langsam liefen sie die Strasse entlang, Monika genoss es noch immer von den Dorfbewohnern mit ihrem Namen begrüßt zu werden, wären Fußkette, Halseisen und Keuschheitsgürtel nicht gewesen, hätte sie sich als vollwertiges Mitglied der Gemeinde fühlen können, aber auch so war sie nicht unzufrieden. An diesem Sonntag sprach Fenna zum ersten Mal von ihrer im April bevorstehenden Schulentlassung und von der Zeit in der Fremde. Monika sah sie verwundert an und fragte, was sie denn mit der Zeit in der Fremde meinen würde. Erst wollte Fenna nicht mit der Sprache heraus, doch als sie Monika das Versprechen abgenommen hatte, nichts von ihrer Unterhaltung weiterzuerzählen, klärte sie Monika auf. „Alle Mädchen und Jungen,“ erklärte sie ihr, „die aus der Schule entlassen worden sind, müssen für mindestens ein halbes Jahr in eine andere Gemeinde, aber nicht innerhalb von dem Land der alten Dörfer, sondern ins Ausland.“ Monika sah sie verwundert an und Fenna berichtete weiter: „Es gibt noch mehr Gemeinden, in denen die Menschen so leben wie wir. Eine Gemeinde befindet sich in Süddeutschland, aber wir haben auch Kontakt mit Dänemark, Holland und Frankreich. Wohin man geschickt wird entscheidet der Rat, sich selbst ein Land aussuchen, das geht nicht.“ „Weißt Du schon, wann und wohin Du geschickt wirst?“ wollte Monika wissen. „Nein, eine Woche vor der Abreise kommt ein Bescheid ins Haus, erst dann weiß ich, wohin die Reise geht.“ „Ist es nicht schlimm für Dich, wenn Du alleine in die Fremde gehen musst, weg von den Eltern, Geschwistern und Bekannten? Wer weiß, zu was für Leuten Du kommst, ob Du Dich überhaupt mit ihnen verstehst, und ob es Dir da gefällt.“ „Danach fragt keiner, während dieser Zeit muss man sich eben anpassen, darum wird es ja auch Bewährungszeit genannt. Aber Angst habe ich nicht, ganz im Gegenteil, denn während dieser Zeit kann ich mich auch nach einem zukünftigen Ehemann umsehen, das ist auch einer der Gründe, warum eine bestimmte Zeit im Ausland verbracht werden muss.“
„Was ist denn, wenn du dort einen jungen Mann kennen lernst und ihn heiraten möchtest, musst du dann für immer ins Ausland?“ „Nicht unbedingt, es kommt darauf an, ob er den Hof seiner Eltern eines Tages übernimmt, dann würde ich für immer dort hinziehen, es kann aber auch sein, das hier ein Hof frei wird, dann wäre es möglich hier zu leben.“ „Aber was ist, wenn Du dort einen netten Jungen kennen lernst und Du von ihm schwanger wirst?“ „Wie soll das denn möglich sein?“ fragte Fenna ganz verwundert. „Ach du meine Güte,“ dachte Monika, „wie soll ich ihr das nur erklären, vielleicht mit der Geschichte von den Blumen und den Bienen?“ Ganz vorsichtig versuchte sie Fenna aufzuklären: „Weißt Du, Fenna, wenn ein Mädchen und ein Junge sich ganz lieb haben, und sehr zärtlich miteinander sind.......“ Weiter kam sie nicht, denn Fenna schüttelte sich vor Lachen, was Monika nun gar nicht verstehen konnte. „Ach, Monika, Du bist vielleicht ein Schaf, meinst Du im Ernst ich weiß nicht, warum die Kuh zum Bullen gebracht wird? Um sie zu decken, selbstverständlich.“ Leicht eingeschnappt fragte Monika. „Wenn Du das weißt, dann erkläre mir bitte mal, wieso es nicht möglich sein soll, dass Du von einem Jungen schwanger wirst.“ „Oh Monika,“ rief Fenna, „was bei der Kuh geht, funktioniert bei mir mit Sicherheit nicht.“ „Und wieso?“ wollte sie wissen. Fenna liefen die Lachtränen nur so herunter als sie zu Monika sagte: „Weil die Kuh im Gegensatz zu mir keinen Keuschheitsgürtel trägt, du Dummerchen.“
Teil 36 Anja in Moorum 2 Schmiedemeister Düring hielt seinen Wagen auf dem Dorfplatz an, sah kopfschüttelnd einmal zu Anja herüber und ging in das Haus, in dem gestern auch Wilko de Fries und sein Begleiter gewesen waren. Über eine halbe Stunde dauerte es, bis der Schmied in Begleitung eines Mannes wieder aus dem Haus herauskam, mit Sicherheit hatten die Beiden erst wieder Tee getrunken. Bei Anja angekommen sagte der Mann: „Hör zu, Mädchen, ich erzähle Dir das nur einmal: Ich bin Jan Siefkes, der Ortsvorsteher von Moorum. Warum Du hierher gebracht worden bist, wirst Du selbst am besten wissen. Ein Ding sage ich Dir gleich: Von hier aus gibt es keine Flucht, das ist noch keiner gelungen. Was Deine Zukunft anbelangt hast Du drei Möglichkeiten: Du machst was man Dir sagt, dann könnte es sein, dass der Rat Dich nach ein oder zwei Jahren wieder gehen lässt, wenn nicht, wirst Du so lange Torf stechen, bis Du alt und grau bist, und falls Dir das nicht gefallen sollte, kannst Du Dich immer noch im Moor versenken, niemand wird Dir eine Träne nachweinen. Hast Du das verstanden was ich Dir gesagt habe?“ Anja sah ihn nur hasserfüllt an und sagte nichts, im gleichen Augenblick zog Siefkes ihr einen Streich mit der Reitgerte über, die er bisher hinter dem Rücken gehalten hatte. „Ob du mich verstanden hast, will ich wissen?“ brüllte er sie an und hob die Gerte ein zweites Mal hoch. „Jawohl, Herr Siefkes.“ rief Anja schnell, und machte auch instinktiv den vorgeschriebenen Knicks, einen zweiten Schlag wollte sie sich nicht einfangen, dafür war die Handschrift dieses Ortvorstehers viel zu kräftig. Düring fing an seine fahrbare Schmiede aufzubauen, es hatte alles dabei, was er für seine Arbeit benötigte. Einer der Dorfbewohner brachte eine Schaufel mit glühenden Kohlen, das Feuer in der Esse brauchte nicht lange, um die erforderliche Temperatur zu erreichen. Als erstes befreite Düring sie von dem Halseisen, aber nur um ihr ein anderes, viel schwereres Eisen, wie sie es vorher auch schon tragen musste, wieder umzulegen und mit einem glühenden Eisenstift zu verschließen, auch dieses Halseisen hatte wieder eine kurze Kette, an der sie geführt werden konnte. Das Tau, dass ihre Hände auf dem Rücken zusammenhielt, wurde gelöst, um die Armreifen an ihren Handgelenken mittels einer Kette zu verbinden, die aber auch noch durch den den Ring des Halseisens
lief. Nun wurde auch noch eine schwere Kette an den Fußreifen befestigt, nicht wie die Armkette nur mit Schlössern, sondern die Kette wurde angeschmiedet. Anja meinte schon die Prozedur endlich überstanden zu haben, als Düring zu seinem Wagen ging und eine Eisenkugel mit einer 3 Meter langen Kette herausholte, die wurde an dem Ring, der sich in der Mitte der Fußkette befand, angeschmiedet. Jetzt kamen die beiden Frauen, die sie auf den Dorfplatz gebracht hatten, wieder zu ihr, die Eine nahm das Ende der Halseisenkette, forderte Anja auf, die Eisenkugel zu tragen und zog sie zu der Hütte, in der sie die letzte Nacht verbracht hatte, zurück. Zweimal musste Anja trotz des relativ kurzen Weges die Kugel ablegen, sie war zu schwer. In der Hütte wurde sie wieder an den Ring im Boden angeschlossen und alleine gelassen. Am Abend brachte eine Frau eine dünne Suppe und ein Stück Brot zu der Gefangenen, auch einen Becher mit Tee und einen Krug mit Wasser stellte sie ihr hin. Wieder kam die Dunkelheit, wieder stand ihr eine lange Nacht bevor, aus Ekel und Angst vor den Ratten legte sie sich erst überhaupt nicht hin, die ganze Zeit über stand sie in dem Raum. Früh am Morgen öffnete sich die Tür, eine Frau löste die Kette von den Bodenring, ließ Anja die Eisenkugel hochnehmen sie vor der Hütte in eine hölzerne Schubkarre legen. „Auf was wartest Du noch,“ sagte die Frau, „pack die Karre an und schieb sie in Richtung Moor.“ und zeigte mit dem Arm in die Richtung, die Anja einzuschlagen hatte. Kaum hatten sie das Dorf verlassen als von einer Straße nichts mehr zu sehen war, auf einem vom Regen der letzten Nacht aufgeweichtem Feldweg schob sie mühsam die Karre vor sich her. Eine Stunde waren sie schon gelaufen, Anja war am Ende ihrer Kräfte, doch jedes Mal, wenn sie langsamer wurde, bekam sie einen Schlag mit einer Peitsche auf den Rücken. Vor Erschöpfung torkelnd schob sie die Karre weiter, hier gab es nicht einmal mehr Feldwege, es war nur ein schmaler Pfad, auf dem sie entlang gingen. „Anhalten!“ befahl die Frau, erleichtert stellte Anja die Karre ab, ihre Finger waren schon verkrampft. „Ich werde Dir mal etwas zeigen,“ sagte die Frau und holte einen Stein aus der Karre, den sie auf das Land neben dem Pfad warf. Als der Stein auf das Land fiel hörte Anja ein ihr fremdes, fast schmatzendes Geräusch, verwundert sah sie zu wie der Stein in dem Land versank. „Das hier ist Moor,“ erklärte die Frau, „falls Du wirklich noch einmal versuchen solltest zu fliehen, ergeht es Dir genau wie dem Stein.“ Schon musste Anja die Karre wieder weiterschieben, immer weiter auf dem Pfad entlang in dieser unwirklichen Gegend. Endlich sah sie ein paar Hütten stehen, und tatsächlich waren sie am Ziel angekommen. Neben der einen Hütte lag ein großer Findling (Stein), in dem ein Eisenring eingelassen war, an dem wurde sie angekettet. Die Frau nahm wortlos die Schubkarre und ging zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Körperlich und seelisch am Ende ließ Anja sich auf den Boden fallen, zwei Nächte ohne Schlaf waren einfach zuviel, so dauerte es nicht lange, bis sie in einem festen Schlaf versank. Die Ruhezeit war aber nur kurz, unsanft wurde sie geweckt, und noch ehe sie selbst wusste, wo sie war, wurde sie von einer Art Mannweib angeschrieen: „Komm auf die Füße, Du Miststück, hier wird über Tag nicht geschlafen.“ Zwar mühsam aber so schnell wie sie nur konnte, stand sie auf, sie merkte sofort, dass mit dieser Frau nicht zu spaßen war. „Du wirst mich mit Frau Bültena ansprechen, aber nur, wenn Du etwas gefragt wirst, sonst hast Du den Mund zu halten. Namen gibt es hier für Euch nicht, Du bist die Nummer Acht, merk Dir das.“ Damit drehte sie sich um und ging in eine der Hütten, während Anja einsam und verlassen an dem Findling stand. Es dauerte nicht lange, als eine ganze Gruppe langsam auf die Hütten zukam, Anja glaubte in ihrem ganzen Leben noch nie so etwas Trauriges gesehen zu haben.
Teil 37 „Du trägst doch überhaupt keinen Keuschheitsgürtel.“ sagte Monika verwundert. „Noch nicht,“ klärte Fenna sie auf, „doch nach der Schulentlassung im nächsten April kommt mein großer Tag, dann werde ich in den Kreis der jungen Frauen aufgenommen.“ „Jetzt verstehe ich aber immer noch nicht, was das mit einem Keuschheitsgürtel zu tun hat.“ meinte Monika. „Alle jungen Frauen tragen bis zum Tag ihrer Hochzeit einen Tugendwächter, so war das bei uns schon immer, hier hat noch keine Frau vor der Eheschließung ein Kind bekommen.“ „So gesehen macht das Sinn,“ gab Monika zurück, „aber dann könnte es doch sein, dass du den Gürtel viele Jahre tragen musst.“ „So schlimm wird es nicht werden, die meisten heiraten doch schon mit 18 Jahren, dann ist es ja überstanden. Außerdem brauche ich den Gürtel nicht im Haus zu tragen, das macht die Sache dann noch leichter, trotzdem sehe ich etwas dagegen an, in einen Eisengürtel eingeschlossen zu werden, wie kommst du eigentlich damit klar?“ „Inzwischen habe ich mich so an den Gürtel gewöhnt, dass ich ihn meistens schon nicht mehr merke, manchmal kommt es mir vor, als hätte ich ihn schon mein Leben lang getragen. Mach dir also keine Sorgen, so schlimm ist es wirklich nicht.“ Auf dem Weg nach Hause begegneten sie der Nachbarstochter Hanna de Fries, die sich ihnen anschloss. Hanna wollte von den Beiden wissen, über was sie sich eben so angeregt unterhalten hätten, so kam man wieder auf das Thema Keuschheit zu sprechen. Monika konnte sich nicht vorstellen, dass auch Hanna einen Keuschheitsgürtel trug, doch die forderte Monika auf sie an der Taille anzufassen, wo sie das Metall fühlen konnte. „Wer kontrolliert eigentlich, ob ihr wirklich den Gürtel tragt oder nicht?“ wollte Monika wissen. „Das kann eine Nachbarin sein, oder die Frau vom Ortsvorsteher, aber auch jede andere Frau aus dem Dorf, sie fühlen einfach, genau wie du eben gerade, kurz an der Taille und merken sofort, ob ein Mädchen verschlossen ist oder nicht. Aber keiner von uns würde es einfallen unverschlossen aus dem Haus zu gehen, schließlich haben wir in der Kirche vor der ganzen Gemeinde Versprechen abgelegt, den Keuschheitsgürtel immer zu tragen, wenn wir aus dem Haus gehen.“ „Sag mal, Hanna, hast du Deine Bewährungszeit eigentlich schon hinter dir?“ fragte Monika. „Nein,“ meinte die, „ich hätte das schon längst hinter mir haben müssen, aber wer soll bei uns im Haus die Arbeit machen, meiner Mutter geht es gesundheitlich nicht so gut, als das sie die Arbeit alleine schaffen könnte, also ist es bei mir immer wieder aufgeschoben worden. Aus diesem Grund ist uns ja auch vor einiger Zeit das neue Mädchen zugeteilt worden, aber was aus der geworden ist, das weißt du ja selbst. Nun muss ich solange warten, bis der Rat ein neues Mädchen zu uns schickt, doch wer weiß, wann das sein wird. Das Schlimme an der Geschichte ist, dass es in Hohedörp einen Jungen gibt der mir gut gefällt und der mich auch gerne leiden mag. Wir können aber nicht zusammenkommen, weil ich meine Bewährungszeit noch nicht hinter mir habe, und ich habe Angst davor, dass er sich doch nach einer anderen Braut umsehen könnte.“ „Wenn ich aus der Schule entlassen bin, kommt Monika zu euch, dann kannst du Deine Bewährungszeit hinter dich bringen.“ rief Fenna. „Davon wird wohl nichts werden, Fenna, du wirst im April aus der Schule entlassen, und im gleichen Monat hat Monika ihre Zeit bei uns um und wird uns alle verlassen, das war zwar gut gemeint von dir, aber leider klappt es nicht, ich werde wohl noch warten müssen.“ „Dann muss Monika einfach länger bleiben,“ meinte Fenna, „dann würde es doch klappen.“ „Aber Fenna,“ sagte Hanna, „du weißt doch, dass das nicht geht, wenn Monikas Jahr um ist, dann muss sie
gehen, das war schon immer so.“ „Ich will aber nicht, dass Monika geht,“ sagte Fenna mit leiser Stimme, „warum kann sie denn nicht bei uns bleiben?“ „Weil es das noch nie gegeben hat, oder hast du schon mal von einem Mädchen gehört, dass nach ihrer Zeit bei uns geblieben ist?“ „Nein,“ antwortete Fenna traurig, „das stimmt wirklich, davon habe ich auch noch nie etwas gehört.“
Teil 38 Anja in Moorum 3 Sieben Frauen und Mädchen in Ketten, zweimal zu zweit und einmal zu dritt aneinandergeschlossen, kamen langsam daher, vier von ihnen schoben eine Karre, in der jeweils zwei, bzw. drei der Halseisenketten mit den Eisenkugeln lagen. Allesamt waren sie in Lumpen gekleidet, ihre Haare hatten sie scheinbar seit Wochen nicht gewaschen, genau so wenig wie den Rest ihrer Körper. Schwankend vor Müdigkeit kamen sie langsam näher, das Klirren der Ketten spielte eine traurige Melodie dazu. Da trat auch schon die Frau Bültena aus ihrer Hütte heraus. „Stehen bleiben!“ brüllte sie mit lauter Stimme, die einem Feldwebel zur Ehre gereicht hätte. Sie ging zu der Dreiergruppe, löste eines der Mädchen davon, ließ sie ihre Kugel aus der Karre nehmen und zog sie zu Anja hin, um dort die Halskette des Mädchens an Anjas Halseisen zu verschließen. Beide Mädchen hatten jetzt ihre Kugeln aufzunehmen und sich hinter der Gruppe einzuordnen. Ein scharfer Befehl von Bültena ließ die Mädchen sich wieder in Bewegung setzten, bei einer Hütte wurden die Karren abgestellt, die Eisenkugeln in die Hände genommen und die Gruppe betrat eine der Hütten. Links und rechts in dem Raum standen mit Stroh gefüllte, flache Holzkisten, das waren die Betten, bei jedem dieser Betten stand ein Holzeimer mit einem Deckel darauf. In der Mitte befand sich ein langer Tisch, an beiden Seiten standen grob zusammengezimmerte Holzbänke ohne Rücklehnen. Außerdem gab es an der Stirnwand noch einen gusseisernen Ofen, ansonsten hingen noch drei Petroleumlampen von der Decke herunter, das war die gesamte Ausstattung. Schweigend blieben die Mädchen hinter den Holzbänken stehen, erst als zwei ältere Frauen einen Topf und eine Schale auf den Tisch stellten und das Essen auf die Holzteller verteilt hatten, durften sie sich hinsetzen. Pro Person gab es zwei grüne Heringe, dazu reichlich Pellkartoffeln, aus den Krügen konnten sie sich selbst dünnen, ungesüßten Tee einschenken. Während des Essens wurde kaum ein Wort gesprochen, dafür schienen alle viel zu müde zu sein. Anja hätte gern gewusst, was genau auf sie zukommen würde, doch traute sie sich nicht ein Gespräch anzufangen. Nach dem Essen wurde gemeinschaftlich aufgestanden, die jeweils zu zweit aneinander geketteten Mädchen legten sich auf ihre Schlafplätze. Vor jedem der Schlafplätze lagen zwei Ketten, die an einem im Boden verankerten Eisenring befestigt waren. Kaum lagen die Mädchen, als die Bültena hereinkam und jedes Mädchen einzeln eine der Ketten an der Fußfessel befestigte. Noch bevor sie alle Ketten angeschlossen hatte, kamen die beiden älteren Frauen wieder und holten das Geschirr ab, danach verließ auch Bültena die Hütte und verriegelte die dicke Holztür von außen. Durch die kleinen, vergitterten Fenster fiel nur wenig Licht, doch es war noch hell genug, um etwas sehen zu können. Als Anja sah, dass sich einige der Mädchen leise unterhielten, traute sie sich ihre Kettengenossin anzusprechen: „Ich bin Anja, wie ist Dein Name?“ fragte sie leise. „Mein Name ist Ilona,
aber hier bin ich Nummer 5, pass auf, dass du in Gegenwart von der Bültena niemanden mit Namen ansprichst, das würde Ärger ohne Ende geben.“ „Du hör mal,“ sagte Anja, „ich muss mal ganz dringend pullern, wo kann ich denn hier?“ „Was glaubst du wohl, wofür die Holzeimer da sind?“ Anja wollte schnell aufstehen und sich auf den Eimer setzen, doch Ilona bremste sie ab: „Mach mal ein bisschen langsamer, schließlich muss ich mit aufstehen.“ Tatsächlich war die Kette ihrer Halseisen so kurz, dass wenn die Eine den Eimer benutzen wollte, die andere mit aufzustehen hatte. Als sie sich wieder hingelegt hatten wollte sie von Ilona wissen, wie lange sie schon hier wäre und warum, ob schon jemanden die Flucht gelungen war, und wie überhaupt hier alles ablaufen würde. Obwohl Ilona vor Müdigkeit die Augen schon fast zufielen erzählte sie von dem Leben, das jetzt auf sie zukommen würde, und je mehr Anja hörte, um so banger wurde ihr.
Teil 39 Winter war es geworden im Land der alten Dörfer, es war eine trübe Jahreszeit, die einem auf das Gemüt schlagen konnte. Die einzige Abwechslung war das Weihnachtsfest, das Backen der Kekse und die Vorbereitungen für das Festessen vertrieben die Zeit. Ansonsten waren alle im Haus beschäftigt, jetzt war Zeit sich um Wäsche und Kleidung zu kümmern, während Eiso Wattjes kleinere Reparaturen an den Gebäuden und dem Arbeitsgerät erledigte. Doch auch Januar und Februar gingen vorüber und im März gab es schon die ersten wärmeren Sonnenstrahlen. Es war am einem Dienstagmorgen, als eine Kutsche auf den Hof der Wattjes gefahren kam. „Das ist doch der Anwalt Meyerdirks!“ stellte Bauer Wattjes verwundert fest. Meyerdirks kam mit ernstem Gesicht ins Haus, nach der Begrüßung forderte er die Eheleute Wattjes zu einem Gespräch unter 6 Augen auf. Die drei gingen in die gute Stube, während der Rest der Familie mit einem unguten Gefühl in der Küche blieb. Nach wenigen Minuten kam Frau Wattjes in die Küche, nahm Monika in den Arm und führte sie zu den Männern in die Stube. „Es gibt schlechte Nachrichten für dich,“ sagte sie leise zu Monika, „Du musst jetzt tapfer sein.“ Monika setzte sich mit klopfenden Herzen auf einen Stuhl, während Meyerdirks sich räusperte und zu reden anfing: „Nun, meine liebe Monika, heute bin ich aus einem sehr unerfreulichen Grund hier, ja, in der Tat, sehr unerfreulichen Grund, denn ich habe dir eine sehr schlechte Nachricht zu überbringen.“ „Ja, es tut mir sehr leid dir sagen zu müssen, dass es einen schweren Unfall gegeben hat, von dem Deine Eltern betroffen worden sind. „Sind sie verletzt?“ wollte Monika wissen. „Viel schlimmer,“ sagte Meyerdirks, „sie sind bei dem Unfall ums Leben gekommen.“ Wie versteinert saß Monika auf dem Stuhl, im erstem Moment konnte sie noch nicht realisieren, was der Anwalt ihr gesagt hatte. Die Eltern tot? Von einem Augenblick auf den anderen zur Vollwaise geworden? Was sollte jetzt passieren, hatte sie nun kein Zuhause mehr, wo sollte sie hin? Das waren die ersten Fragen, die ihr durch den Kopf gingen, langsam kam ihr Schmerz hoch, auch wenn sie in den letzten Jahren nicht den besten Kontakt zu ihren Eltern gehabt hatte, dieser Schicksalsschlag traf sie hart. Ihre Augen wurden feucht, langsam stand sie auf und wandte sich zu Frau Wattjes. Die nahm sie in den Arm, mit einer Handbewegung schickte sie die beiden Männer aus dem Zimmer. Jetzt brach der Schmerz aus Monika heraus, weinend lag sie in den Armen der Bäuerin.
Nach einer ganzen Weile war der erste Schock vorüber, Meyerdirks kam in die Stube zurück und hatte mit Monika zu reden. Er sagte ihr, dass die Beerdigung ihrer Eltern bereits in drei Tagen stattfinden würde, aus diesem Grund müsse sie sofort mit ihm kommen, damit er sie zu ihren Brüdern bringen könne, die sich weiter um sie kümmern würden. Von Frau Wattjes und Fenna wurde sie in die Melkkammer gebracht, nach dem Auskleiden wurden ihr die Armreifen- und Fußreifen abgenommen, doch den Halsreif wollte sie gern umbehalten, den empfand sie als Schmuckstück und nicht als Strafe, auf war dieser Halsreif ja ein Geschenk der Schmiedeleute Düring. Auf Anraten von Frau Wattjes behielt sie den Keuschheitsgürtel um, draußen in der großen Welt sei es viel zu gefährlich, da wäre es besser, wenn sie verschlossen blieb, doch sie wollte ihr für alle Fälle den Schlüssel zu dem Gürtel mitgeben. Wenig später stand sie frisch gewaschen und mit ihrem besten Kleid angezogen in der Küche, eine Tasche mit ein paar Habseligkeiten war schon gepackt worden. Meyerdirks drängte zum Aufbruch, doch bevor Monika sich verabschiedete fragte sie den Anwalt, ob sie die Familie Wattjes wiedersehen würde. Das konnte er ihr zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, so wurde es auf beiden Seiten ein tränenreicher Abschied, am schlimmsten war es für Fenna, die in Monika eine Schwester gefunden hatte. Still und in sich gekehrt saß Monika in der Kutsche, die schnell in Richtung Texlum fuhr. Dort angekommen ging es zu Fuß über den Deich, wo schon zwei Männer mit einem Ruderboot warteten. Meyerdirks und Monika stiegen in das Boot, die Männer schoben es vom Strand und ruderten mit kräftigen Schlägen auf die Tjalk zu, die sie vor fast einem Jahr hierher gebracht hatte. Auf der Hinfahrt waren sie erst mit einem Kutter ausgelaufen, dann hatte man sie auf hoher See auf die Tjalk gebracht, doch diesmal fuhr die Tjalk direkt in den Hafen von Lauwersoog, von wo aus Meyerdirks sie selbst zu ihrer Heimatstadt fuhr. Obwohl der Anwalt sich an die Geschwindigkeitsvorschriften hielt hatte Monika das Gefühl in einem Geschoss zu sitzen, immerhin war sie schon fast ein Jahr lang nur zu Fuß gegangen oder Sonntags mit der Kutsche mitgefahren, an das Autofahren würde sie sich erst wieder gewöhnen müssen. Unterwegs erzählte Meyerdirks ihr von seinem Dilemma, einerseits war ihr Aufenthalt im Land der alten Dörfer für ein Jahr im Voraus bezahlt worden, doch anderseits könne er ihr nicht verdenken, wenn sie nicht zurückgehen würde, schließlich wäre sie jetzt für ihr Leben selbst verantwortlich. Er brachte Monika bis zu Haustür, gab ihr noch seine Visitenkarte und verabschiedete sich. Einen Haustürschlüssel hatte sie nicht mehr, also klingelte sie wie eine Fremde an der Tür ihres Elternhauses. Sie hörte Schritte und die Tür wurde von Knut, ihrem älteren Bruder, geöffnet. Es war gab keine herzliche Begrüßung, sie hatte sich mit ihren Brüdern Knut und Erich noch nie gut verstanden. Stattdessen sagte er: „Wo hast du dich schon wieder herumgetrieben, es wird langsam Zeit, dass du hier erscheinst.“ Sie ging ins Wohnzimmer um den Rest der Familie zu begrüßen: Ihren Bruder Erich mit seiner Frau Sabrina und ihre Schwägerin Helga. Auch bei denen hielt sich die Freude über das Wiedersehen in Grenzen, im Gegenteil, ihre Schwägerinnen fingen gleich an zu lästern, was sie für seltsame Kleidung tragen würde, bestimmt wäre das wieder mal ein neuer Spleen von ihr. Ihre Brüder wollten wissen, wo um Himmels Willen sie die ganze Zeit über gewesen wäre, doch Monika meinte nur, dass sie auf dem Land gewesen wäre um zu arbeiten, vom Land der alten Dörfer würde sie ihrer Verwandtschaft bestimmt nichts erzählen. Nachdem sie einmal durch das Haus gegangen war, ging sie in ihr Zimmer. Sie legte sich auf ihr Bett, sie hatte schon ganz vergessen, wie gut es sich auf einer Matratze liegen lässt. Dann schaute sie in die
Kleiderschränke, um sich etwas passende Kleidung für die nächsten Tage herauszusuchen. Doch bevor sie sich umzog, gönnte sie sich noch einen lange vermissten Luxus: Sie ließ die Badewanne einlaufen, nahm reichlich von dem Badezusatz und genoss das frische, heiße Wasser, das sie nach einem Jahr endlich mal wieder für sich allein hatte. Später ging sie zurück ins Wohnzimmer, wo ihre Brüder schon dabei waren die Papiere der Eltern zu durchforschen, schließlich wollten sie wissen, wie hoch ihr Erbe ausfallen würde. „Hat das nicht Zeit bis die Eltern beerdigt sind?“ wollte Monika wissen, doch es wurde ihr zu verstehen gegeben, dass sie sich da heraushalten solle. Die Zeit bis zur Beerdigung verging für sie nur langsam, und irgendwie war sie erleichtert, als endlich alles vorbei war, denn nun konnte sie wieder nach vorne sehen. Als erstes würde sie sich wohl eine kleine Wohnung und einen Job besorgen müssen, denn die Brüder gaben ihr zu verstehen, dass das Elternhaus verkauft werden solle, man würde aber erst noch die Testamentseröffnung abwarten, solange könne sie hier wohnen bleiben. Es waren schlimme Tage für Monika, das Zusammenleben mit ihren Brüdern und deren Frauen war für sie eine Strafe, vor allem nachdem sie einmal vergessen hatte vorm Duschen die Badezimmertür abzuschließen und ihre Schwägerin Helga sie in dem Keuschheitsgürtel gesehen hatte, jeden Tag konnte sie sich nun hämische Bemerkungen anhören. Dann kam endlich der Tag der Testamentseröffnung, langsam verlas der Notar den letzten Willen der Eltern. Monika hatte überhaupt nicht richtig zugehört, erst als ihre Brüder und Schwägerinnen anfingen zu protestieren, konzentrierte sie sich auf die Ausführungen des Notars. Der erklärte das Testament noch mal in kurzen Worten: Das Vermögen ihrer Eltern war größer als sie das vermutet hätten, den Hauptanteil sollte Monika bekommen, weil die Söhne beide ein teures Studium und eine nicht unbeträchtliche Starthilfe für ihre Firmen von den Eltern bekommen hätten. Ziemlich sauer verließ Monikas Verwandtschaft die Kanzlei, während sie sich noch mit dem Notar unterhielt, um sich noch mal nach den Einzelheiten zu erkundigen. Der erklärte ihr noch mal geduldig den Testamentsinhalt: Ab sofort könne sie über ein Konto mit einer Einlage von 40 000 Euro verfügen, außerdem würde sie durch eine Kapitalanlage der Eltern eine monatliche Zahlung von 1800 Euro erhalten, so dass sie den Rest ihres Lebens versorgt wäre. Nachdem sie sich bei dem Notar bedankt hatte (gewohnheitsmäßig machte sie zur Überraschung des Notars einen Knicks), verließ auch sie die Kanzlei, setze sich in einem nahegelegenen Park auf eine Bank und dachte nach. Über zwei Stunden saß sie dort, betrachtete ihr Leben von allen Seiten, bis sie endlich eine Entscheidung getroffen hatte. Zum ersten Mal seit Tagen frohen Herzens stand sie auf, sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Sie ging zurück in das inzwischen verwaiste Elternhaus, nahm ein Branchenbuch und suchte eine Telefonnummer heraus, rief dort an, bekam die Auskunft die sie sich erhofft hatte und machte für den übernächsten Tag einen Termin ab.
Teil 40 Anja in Moorum 4 „Sobald der erste Hahn kräht müssen wir aufstehen,“ erzählte Ilona, „als erste kommt die Bültena und löst die Fußbodenketten, anschließend haben wir uns aufzustellen und vor die Hütte zu gehen, eine von uns muss sich einen Schubkarren nehmen, beide legen ihre Eisenkugeln hinein und dann geht es ins Moor zum Torfstechen. Die härteste Arbeit ist es, wenn die Torfsoden ausgestochen und hochgeworfen werden müssen, da ist es viel besser, oben an der Abbaustelle zu stehen und die Soden zum Trocknen nebeneinander hinzulegen. Der dritte Arbeitsgang besteht darin, die schon getrockneten Stücke in kleine Haufen aufzustapeln, die
vierte Gruppe hat den schon getrockneten Torf zu großen Haufen aufzuschichten, die werden dann mit Grassoden abgedeckt werden, damit sie bei Regen nicht wieder nass werden. Aber immerhin wird jede Stunde die Arbeit gewechselt, so dass jedes Kettengespann auch jede Arbeit machen muss.“ „Nach vielleicht zwei Stunden bekommen wir das erste Mal etwas zu essen, dann gibt es Tee, Schwarzbrot, sogar Butter, Käse und Wurst, ohne vernünftiges Essen wäre es auch nicht auszuhalten. Danach geht es ohne Pause bis zum Mittag weiter, und du kannst mit ruhig glauben, dass wir nicht eine Sekunde mit der Arbeit nachlassen dürfen, immer ist eine von Bültenas Aufseherinnen da, die keine Hemmungen haben, uns eins mit der Peitsche zu verpassen.“ Anja konnte nicht glauben was sie da hörte, ließ Ilona aber ohne Unterbrechung weiter berichten. „Zum Mittag gibt es immer einen Eintopf, mal Bohnen,- Erbsen,- Graupen- oder Linsensuppe, mal aber auch durchgestampfte Kartoffeln mit Möhren oder Steckrüben, mit Glück findest du sogar ein kleines Stück Speck darin. Dazu gibt es wieder dünnen Tee, manchmal aber sogar Milch.“ „Auch am Nachmittag gönnt man uns eine kleine Pause, dann gibt es wieder Schwarzbrot mit Belag und etwas zu Trinken, anschließend geht es weiter mit der Arbeit bis die Dämmerung hereinbricht. Danach werden wir in die Hütte zurückgebracht, essen noch einmal und werden dann an den Betten angekettet, aber das hast du ja schon selbst gesehen.“ „Gibt es denn nicht einen freien Tag in diesem verfluchten Moor?“ wollte Anja wissen. „Aber sicher, Sonntags darf nicht gearbeitet werden, das ist aber auch der einzige Tag in der Woche. Jedenfalls dürfen wir uns am Sonntag waschen, doch danach kommt schon die Abstrafung.“ „Was soll das denn nun wieder bedeuten, was für eine Abstrafung?“ „Na hör mal, du wärst doch nicht hier, wenn du nicht mindestens einen Fluchtversuch unternommen hättest, also hat dir der Pastor doch bestimmt für jeden Sonntag eine Prügelstrafe verhängt oder nicht?“ „Doch, das stimmt, dieser Himmelskomiker hat mir für jeden Sonntag 25 Schläge aufgebrummt.“ „Tja,“ meinte Ilona, „und was sonst die Düring gemacht hat, erledigt hier die Bültena, und ich kann dir sagen, sie schlägt verdammt hart zu.“ „Und ich hatte schon gehofft endlich von den Schlägen abzukommen.“ stöhnte Anja. „Was passiert denn nach der Abstrafung?“ wollte sie von Ilona wissen. „Nichts, wir haben den ganzen Tag in der Hütte zu bleiben, das ist alles.“ „Wie lange machst du das schon mit?“ „Ich bin nun schon fast 10 Monate hier, wenn ich weiterhin keinen Ärger mache, könnte ich in ungefähr 2 Monaten hier wegkommen.“ „Hast du ein Glück, dann bist du ja bald wieder zu Hause.“ „Du hast wirklich keine Ahnung, wenn ich hier wegkomme, habe ich erst noch ein ganzes Jahr bei einer Familie zu arbeiten, erst dann, und auch nur bei guter Führung, darf ich das Land der alten Dörfer verlassen.“ „Dann lass uns doch gemeinsam abhauen.“ schlug Anja vor, doch Ilona wollte davon nichts wissen, es wäre noch nie jemand gelungen durch das Moor zu entkommen, das zu versuchen wäre der reinste Selbstmord. Während Ilona die Augen zufielen konnte Anja noch nicht schlafen, sie musste das Gehörte erst einmal verarbeiten. Für den nächsten Tag nahm sie sich vor alles genau zu beobachten, irgendwas würde ihr schon einfallen, um dieser Sklaverei zu entgehen. Früh am nächsten Morgen begann ihr erster Arbeitstag, er lief tatsächlich genau so ab, wie Ilona ihr es erzählt hatte. Niemals hätte sie gedacht, dass die Arbeit im Moor so schwer sein würde, als sie am Abend zurück in der Hütte waren hätte sie am liebsten auf das Essen verzichtet und sich gleich hingelegt, doch musste sie sich wohl oder übel zusammen mit Ilona auf die Bank setzten, schließlich wollte die nicht auf ihr Essen verzichten.
Auch die Vorhersage, dass die Bültena einen Lederriemen mit harter Hand führen konnte, bewahrheitete sich zu Anjas großem Leidwesen, dagegen waren die Schläge von der Düring die reinsten Streicheleinheiten gewesen. Schon nach wenigen Tagen hatte sie begriffen, dass es aus dem Moor keine Flucht geben würde, ihre einzige Möglichkeit, dieses Elendslager wieder zu verlassen lag darin, nicht aufzufallen und keinen Ärger zu machen. Lang zogen sich die Wochen dahin, endlich gab es den ersten Frost und das Torfstechen wurde eingestellt, doch das bedeutete nicht, dass die Mädchen nicht mehr arbeiten mussten. Jetzt von ihnen bekam ein hölzernes Gestell auf den Rücken, dass mit Torf beladen wurde, zusätzlich hatten sie eine bis oben hin mit Torf voll gepackte Karre zu schieben. Dreimal am Tag fand dieser Torftransport statt, wobei das Wetter keine Rolle spielte, ob Regen oder Schnee, immer wurde der Torf in das Dorf gefahren. Auch wenn sie in der ersten Zeit dachte, dass sie diese Tortur nicht überstehen würde, Anja hielt sich tapfer. Inzwischen verfluchte sie ihre Dummheit mit den beiden Fluchtversuchen, sie hatte es bei dem Bauern de Fries wirklich nicht schlecht gehabt. Falls sie eines Tages wirklich mal aus dem Moor herauskommen sollte, war es auch noch nicht sicher, ob sie in einer guten Familie unterkommen würde, aber so schlimm wie hier war würde es dort bestimmt nicht werden.
Teil 41 Die nächsten zwei Tage verbrachte Monika damit, ihre alten Freunde und Bekannten aufzusuchen. Sie wurde überall mit großem Hallo begrüßt und sollte natürlich berichten, wo sie die ganze Zeit gesteckt hätte, aber sie erzählte immer nur, dass sie auf dem Land gearbeitet hätte, um sich von Nikotin und Alkohol zu entwöhnen. Wenn es auch keiner ihrer Freunde laut sagte, so gingen sie doch alle davon aus, dass Monika eine Entziehungstherapie mitgemacht hatte, es jetzt aber nicht zugeben wollte. Für Monika waren diese Besuche etwas seltsam, die Begrüßung war überall herzlich, doch nach kurzer Zeit ging ihr der Gesprächsstoff aus, sie hatte eben doch fast ein Jahr in einer ganz anderen Welt gelebt, in der fetzige Klamotten und irgendwelche Musikgruppen keine Rolle spielten. Viel wichtiger war gewesen, wie das Korn steht oder wie viel Mich die Kühe gaben, damit konnten ihre Bekannten aber nun wirklich nichts anfangen. Doch die Zeit verging schnell, pünktlich zur abgesprochenen Uhrzeit traf sie zu ihrem Termin ein, nach einigen Voruntersuchungen und Blutproben wurde die von ihr gewünschte Operation durchgeführt. Bereits nach drei Tagen konnte sie die Klinik wieder verlassen, fuhr in ihr Elternhaus zurück und rief von dort aus Anwalt Meyerdirks an. Der Anwalt hatte nicht damit gerechnet jemals wieder von Monika zu hören, so war er doch mehr als überrascht, als sie ihm mitteilte, dass sie für den Rest der abgemachten Zeit ins Land der alten Dörfer zurückkehren wolle. Es wurde vereinbart, dass sie sich in drei Tagen in Lauwersoog einfinden würde, die Tjalk würde dann bereits auf sie warten. Die Wartezeit nutzte Monika, um noch einmal den Notar aufzusuchen und ihm ihre finanziellen Belange anzuvertrauen, auch sollte er sich um den Verkauf des Elternhauses kümmern. Drei Tage später ging Monika, die jetzt wieder die gleichen Kleider trug wie auf der Hinreise, an Bord der Tjalk, auch Anwalt Meyerdirks war da und begrüßte sie ausgesprochen herzlich. Kaum hatte das Schiff den Hafen verlassen, als Monika den Anwalt um eine Unterredung bat. Meyerdirks machte den Vorschlag, sich unten in die Messe zu setzen, dort wären sie ungestört, außerdem wäre es dort wesentlich wärmer als an Deck.
Zwei Stunden dauerte das Gespräch, von dem Meyerdirks einerseits sehr angetan war, anderseits sah er fast unlösbare Probleme auf Monika und sich selbst zukommen, jedenfalls war die Situation für ihn vollkommen neu. Immerhin versprach er, sein Bestes zu tun, um Monika bei ihrem Vorhaben behilflich zu sein. Am frühen Nachmittag ankerte die Tjalk, wie auf der ersten Hinfahrt wurde das Beiboot ausgesetzt und zwei Männer der Besatzung ruderten Monika und Meyerdirks an den Strand, von wo aus sie über den Deich gingen und den Ortvorsteher von Texlum aufsuchten. Der ließ sofort die Pferde vor Meyerdirks Kutsche anspannen und die Beiden machten sich auf den Weg nach Andersum. Endlich auf dem Hof von Wattjes angekommen gab es eine stürmische Begrüßung, die Kinder kamen aus dem Haus gerannt und fielen Monika um den Hals, Fenna, die Älteste der Kinder, wollte sich gar nicht mehr beruhigen und rief lautstark: „Moder, Moder, kum flink no buten, Monika is wer terug (Mutter, Mutter, komm schnell nach draußen, Monika ist wieder da). Auch Frau Wattjes war die ehrliche Freude über das Wiedersehen anzumerken, kräftig schloss sie Monika in ihre Arme und sagte: „Ich habe es doch gewusst, dass du wiederkommen würdest.“ Erst jetzt wurde Meyerdirks von Frau Wattjes mit reichlichen Entschuldigungen begrüßt, über die Wiedersehensfreude habe sie jedes gute Benehmen vergessen, meinte sie. Doch Meyerdirks meinte: „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, liebe Frau Wattjes, schließlich sieht man nicht alle Tage eine so herzliche Begrüßung, in der Tat, nicht alle Tage.“ Selbstverständlich wurde nun erst einmal nach Friesenart Tee getrunken, und da es sowieso Vesperzeit war, wurde der Tisch (nicht zuletzt wegen Meyerdirks, dessen gesegneter Appetit bekannt war) reichlich gedeckt: Frisches Brot, hausgemachte Butter, Wurst, Käse und Schinken. Der Anwalt ließ sich auch nicht lange nötigen und langte kräftig zu, während Monika kaum zum Essen kam, sie musste von ihrer Fahrt in die Welt berichten. Mit einem Mal ging die Tür auf und Bauer Wattjes kam herein, Monika sprang auf und fiel auch ihm um den Hals. „Da hat meine Frau doch mal wieder recht behalten, sie hat die ganze Zeit über gesagt, dass du wiederkommen würdest, und ich freue mich, dass sie recht behalten hat.“ lachte er sie an. Nachdem Meyerdirks sich den Bauch vollgeschlagen hatte, machte er sich auf den Rückweg, hatte aber zum Abschluss noch eine gute Nachricht für Monika: „Nun, meine liebe Monika,“ sagte er salbungsvoll wie immer, „ich denke, in Deinem speziellen Fall können wir auf Fußfesseln und Laufkette verzichten, wer freiwillig hierher zurück kommt, hat an einer Flucht ja wohl kein Interesse.“ Monika bedankte sich herzlich bei dem Anwalt, der sich jetzt verabschiedete und von Wattjes zu seiner Kutsche gebracht wurde. Bevor er losfuhr sagte er zu dem Bauern: „Diese Monika ist in der Tat ein sehr beachtenswertes Mädchen, ja, in der Tat, sehr beachtenswert, und ich glaube, sie hat noch einige Überraschungen für uns parat.“ Nach diesen rätselhaften Worten ließ er die Pferde antraben, Wattjes stand auf seinem Hof, kratzte sich am Kopf und fragte sich, was um aller Welt der Anwalt damit andeuten wollte.
Teil 42 Am gleichen Abend, die kleineren Kinder lagen schon in der Buzze, saßen die beiden Wattjes, Fenna und Monika am Küchentisch. Inzwischen hatte Monika schon ihre Geschenke verteilt, Buntstifte und Schokolade für die Kleinen, für Fenna und Swantje jeweils ein Seidentuch und für Eiso Wattjes ein neues Taschenmesser. Nun berichtete sie ausführlich über die Fahrt zur Beerdigung ihrer Eltern, von dem Verhalten ihrer Verwandtschaft, vom ehemaligen Freundeskreis, doch von der Erbschaft erwähnte sie vorläufig nichts. Auch wurde darüber gesprochen, dass Monikas Zeit im Land der alten Dörfer fast vorüber war, Mitte
April würde sie ihre Zeit abgedient haben. Fenna sah sie traurig an und fragte: „Warum bleibst du nicht einfach hier?“ Doch Swantje Wattjes meinte, dass das nicht so einfach wäre, so einen Fall hätte es ihres Wissens bisher noch nicht gegeben, da würde der Rat sich bestimmt weigern. Monika ließ vorsichtig anklingen, dass sie sich auf der Fahrt hierher mit Meyerdirks über dieses Thema unterhalten hätte, unmöglich wäre es nicht, wenn auch nicht einfach. „Hast du wirklich vor, hier im Land der alten Dörfer zu bleiben?“ fragte Swantje Wattjes überrascht. „Wenn alle damit einverstanden sind, dann möchte ich das wirklich.“ gab sie zurück. „Was hat Anwalt Meyerdirks denn nun genau gesagt?“ wollte Eiso Wattjes wissen. So gut sie es behalten hatte wiederholte Monika die Ausführungen des Anwalts: „Also, erst mal müsste ich schriftlich bestätigen, dass es mein eigener Wunsch ist, hier zu leben, ist die Erklärung unterschrieben, gibt es kein Zurück mehr, dann muss ich nachweisen, dass ich noch Jungfrau bin („Was ich ja jetzt nach der Operation glücklicherweise wieder kann.“ dachte sie bei sich), ebenso habe ich mich von den Lehrern und dem Pastor prüfen zu lassen, ob ich das Wissen einer Schulabgängerin habe. Wenn dann die Frage der Mitgift geklärt ist, muss ich noch eine Familie finden, die bereit ist mich zu adoptieren.“ „Eiso Wattjes sah seine Frau an und meinte: „Das mit dem Adoptieren ist wohl das kleinste Problem, oder was meinst du, Frau?“ „Das sehe ich genau so, Monika ist für uns doch schon jetzt wie eine eigene Tochter, dann soll sie es auch auf dem Papier werden.“ Zu Monika gewandt meinte sie: „Also, auf uns kannst du zählen, wir würden uns alle freuen, wenn du zur unserer Familie gehören würdest.“ Doch noch bevor Monika sich bei den Wattjes bedanken konnte, kratzte Eiso sich am Kopf und meinte: „Die Sache mit der Mitgift bereitet mir allerdings Kopfzerbrechen, wo bekommen wir die her?“ Doch seine Tochter Fenna meinte seelenruhig: „Dann teilen wir die Mitgift für Wilma und mich einfach durch drei, dann gibt es doch kein Problem.“ Diesmal ließ Monika die anderen nicht zu Wort kommen und sagte: „Ich habe doch etwas geerbt, die Verwaltung von dem Geld übertragen wir Anwalt Meyerdirks, der hat sich bereit erklärt, sich darum zu kümmern.“ „Ja dann,“ sagte Eiso Wattjes, dem jetzt ein dicker Stein vom Herzen gefallen war, sah er doch seine kostbaren Ersparnisse bereits den Bach hinunterschwimmen, „dann ist doch alles klar, nun müssen wir nur noch mit dem Rat sprechen, ob auch der seine Einwilligung dazu gibt, aber darum werde ich mich gleich morgen selbst kümmern. Wattjes hielt Wort, gleich am nächsten Vormittag ritt er nach Hohedörp und sprach mit dem Rat. Anfangs war der Rat nicht begeistert, auf den anderen Seite hatte sich Monika im Land der alten Dörfer einen guten Namen gemacht. Man verblieb so, dass die Ratsherren sich die Sache wohlwollend durch den Kopf gehen lassen sollten, die Entscheidung über die Aufnahme von Monika würde am kommenden Sonntag in der Kirche verkündet werden. Wattjes war mit dem Erreichten zufrieden und ritt nach Andersum zurück, während sich die Ratsherren jeder für sich nach Hause zum Mittagessen zurückzogen. Allerdings ging es ihnen nicht nur um das Essen, wie inzwischen bekannt, holten sie sich bei ihren Frauen Ratschläge ein, wie sie in einer solch schwierigen Lage entscheiden sollten, was sie öffentlich natürlich nie zugeben würden. Familie Wattjes lebte den Rest der Woche in gespannter Erwartung: Würden die Ratsherren den Antrag von Monika annehmen oder sich darauf berufen, dass es so einen Fall in den ganzen Jahren noch nicht gegeben hatte? Der Rat hielt gerne am althergebrachten Regeln fest, neue Sitten und Gewohnheiten mochten sie absolut nicht leiden. Am Sonntagmorgen war die Spannung im Haus der Wattjes schon fast greifbar, und auch wenn Eiso Wattjes behauptete, ihn könne das nicht aufregen, so hatte er doch schon eine Viertelstunde vor der Zeit die Pferde angespannt und drängte zum Aufbruch. Als sie auf dem Dorfplatz von Hohedörp ankamen, wurden gerade die ersten Kettenmädchen in die
Kirche geführt und angebunden, das Geklirre ihrer Fußketten wurde von dem beginnenden Glockengeläut übertönt. Nun kamen auch schon andere Gemeindemitglieder, teils zu Fuß, teils mit Kutschen, auf dem Dorfplatz an. Langsam und feierlich schritten die Leute in ihren alten friesischen Trachten in das Kirchenschiff, um auf den Bänken Platz zu nehmen. Die Glocken wurden leiser und die Orgel stimmte einen Choral an. Der Pastor stieg auf die Kanzel, begrüßte die Gemeinde, verkündigte wie immer, welche Mädchen zur Abstrafung gebracht werden sollten. Doch anstatt danach mit dem Gottesdienst zu beginnen, hielt er noch eine Ansprache: „Liebe Gemeinde, heute ist ein ganz besonderer Tag, denn zum ersten Mal in der Geschichte im Land der alten Dörfer hat eines der uns anvertrauen Mädchen den Wunsch geäußert, für immer bei uns bleiben zu wollen.“ Während der Pastor der Gemeinde die Angelegenheit erklärte, klopfte Monika das Herz bis zum Hals, vor Nervosität war ihr ganz schummerig und sie konnte der Rede des Pastors kaum folgen, doch auch dem erwachsenen Rest der Familie Wattjes erging es nicht viel besser. Was sollte mit ihr werden, wenn die Gemeindemitglieder sie nicht in ihre Reihen aufnehmen wollten, innerhalb von kürzester Zeit würde sie ihr neugefundenes Zuhause verlassen müssen, und wo sollte sie dann hin, sie hatte doch niemanden mehr! „Ich rufe auf das Mädchen der Familie Wattjes!“ dröhnte die gewaltige Stimme des Pastors durch die Kirche, jetzt war der Moment der Entscheidung gekommen, langsam erhob sie sich und stand mit gesenktem Kopf da, ihren Schicksalsspruch erwartend. „Monika, Mädchen der Familie Wattjes, der Rat und die Gemeinde haben Deinen Antrag zur Kenntnis genommen, und wir sind zu einer Entscheidung gekommen.“
Teil 43 Anja in Moorum 5 Alle acht der ins Moor verbannten Frauen hatten den Winter mehr oder weniger gut überstanden, die ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres lösten langsam die Kälte, die ihnen tief in den Knochen saß. Sie bauten zwar selbst den Torf ab, bekamen aber für ihre Hütte nur wenig Brennmaterial zugeteilt. In dem letzten halben Jahr hatte sich in der Strafkolonie einiges verändert, so waren jetzt auf dem Weg in das Dorf, der einzige schmale Zugang zu Moorum, zwei scharfe Schäferhunde an einer langen Laufleine postiert worden, dadurch wurde jeder Gedanke an eine Flucht schon im Keim erstickt. Man hätte jetzt durchaus auf die Ketten und Eisenkugeln bei den Frauen verzichten können, denn sie waren, bis auf diesen einen Weg, von dem undurchdringlichen Moor eingeschlossen, aber es gehörte mit zur Strafe, die Frauen leiden zu lassen. Selbst Anja dachte nicht mehr daran einen Fluchtversuch zu unternehmen, inzwischen sah die Ausweglosigkeit eines solchen Unternehmens ein, vielmehr dachte sie jetzt oft an die Familie de Fries, bei der sie die erste Zeit im Land der alten Dörfer verbracht hatte. Die ersten Gedanken gingen immer zu dem knusprig gebratenen, geräuchertem Bauchspeck mit Spiegeleiern, oder auch an das frischgebakkene, noch warme Rosinenbrot, dick mit Butter bestrichen. Aber noch mehr fehlte ihr die Zuneigung, die Hanna de Fries ihr entgegengebracht hatte, die hatte es wirklich gut mit ihr gemeint, und sie war so dumm gewesen, die gesamte Familie zu enttäuschen, was für ein verdammtes Leben hatte sie sich dafür nur eingehandelt. Doch für Anja wurde es nur noch schlechter anstatt besser: Ilona wurde aus der Strafkolonie entlassen und hatte jetzt nur noch ein Jahr bei einer Bauernfamilie zu arbeiten.
Da es in der Zwischenzeit keinen Neuzugang gegeben hatte, waren auch nach Ilonas Entlassung noch 7 Frauen als Kettensträflinge in der Hütte, das hatte für Anja zur Folge, dass sie an ein bestehendes Zweiergespann angekettet wurde. Nicht nur sie selbst, auch die anderen Frauen waren davon nicht begeistert. Alleine schon zu zweit angekettet sein war eine harte Sache, nun mussten sie zu Dritt auf einem Lager schlafen, und genauso mussten alle zusammen aufstehen, wenn sich eine erleichtern wollte. Das Wetter wurde besser, also ging es wieder los mit dem Torfstechen. Die Aufseherin Bültena war mit dem Dreiergespann nicht zufrieden, was aber weniger an der Arbeitsbereitschaft der drei zusammenkettenden Frauen, sondern mehr als an ihrer Unbeweglichkeit lag. Kurz entschlossen änderte Bültena die Arbeitseinteilung, eine der drei Frauen wurde jeweils von dem Gespann erlöst, musste dafür aber im bei der Hütte bleiben und sämtliche Arbeiten erledigen, zu dem das Kochen der Mahlzeiten genau so gehörte wie das Entleeren der Fäkalieneimer, von anderen Arbeiten gar nicht erst zu sprechen. Jedenfalls wurde das Essen nun besser, jede von den Dreien gab sich die größte Mühe, aus dem vorhandenen Material das Beste zu machen. Baute eine von ihnen mal Mist, hatte sie den Ärger und Zorn der anderen sechs Verurteilten zu fürchten. Die Bültena war mit dieser Lösung auf jeden Fall zufrieden, sparte sie sich doch die Entlohnung für die beiden alten Frauen, die sonst die Arbeit gemacht hatten. Ausgerechnet Anja, die in früheren Zeiten mal gerade eine gefrorene Pizza aufbacken konnte, entwikkelte sich zu einem richtigen Kochtalent. Sie schaffte es immer öfter, aus den ihr zugeteilten Lebensmitteln ein richtig leckeres Essen zu kochen. Ihre Kochkunst entwickelte sich soweit, dass sogar die Bültena sich am Essen beteiligte, was zur Folge hatte, dass sich die Zutaten für alle vermehrten, denn die Aufseherin wollte auf ein tüchtiges Stück Fleisch nicht verzichten, also wurde das eine oder andere Huhn geschlachtet, oder es gab auch mal ein Hauskaninchen. Anja war clever genug, gut für ihre Leidensgenossinnen zu sorgen, die es ihr damit dankten, dass sie ihr soviel Arbeit wie möglich abnahmen. Nach weiteren zwei Monaten brauchte Anja nicht mehr in das Moor um Torf zu stechen, sie hatte sich nur noch um das leibliche Wohl von Bültena und ihrer Leidensgenossinnen zu kümmern, was ihr wesentlich besser gefiel als die schwere körperliche Arbeit. So hatten sich die Verhältnisse in dem Lager für alle um einiges verbessert, sogar die sonst sprichwörtlich schlechte Laune der Bültena lockerte sich etwas auf. Als die Aufseherin nach einem (jedenfalls für sie) reichlichen Essen zufrieden gerülpst hatte, wagte Anja es, sie anzusprechen: „Entschuldigen Sie bitte, Frau Bültena, dürfte ich Ihnen eine Frage stellen?“ „Was willst du wissen?“ fragte sie zurück. „Können Sie mir sagen, bei welcher Familie Ilona jetzt arbeitet?“ „Natürlich weiß ich, wo sie untergekommen ist, dass werde ich dir aber nicht auf die Nase binden, nicht nur, weil es dich nichts angeht, sondern weil du dann vor Neid zerfressen werden würdest, und schließlich brauche ich dich hier noch, wer sollte denn sonst kochen.“
Teil 44 „Die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen, denn einen ähnlichen Fall haben wir noch nie gehabt. Nun, liebe Gemeinde, werdet Ihr Euch fragen: Kann es überhaupt gut gehen, wenn ein Mädchen aus der Welt Mitglied in dieser unserer Gemeinde sein möchte? Ist sie nicht schon zu sehr den Verlockungen erlegen gewesen, kann sie auf Dauer ein bescheidenes und gottesfürchtiges Leben führen, ja, liebe Gemeinde, was für Beweggründe kann sie haben?“ In der Kirche wurde es etwas unruhig, denn damit hatte der Pastor genau den Punkt angesprochen, den viele nicht verstehen konnten, denn zuerst hatte sich dieses Mädchen mit Händen und Füßen gewehrt,
hatte sogar Frau Düring tätlich bedroht. Sollte sie sich in diesem Jahr wirklich so geändert haben, oder was waren ihre wahren Gründe, um im Land der alten Dörfer leben zu wollen? Der Pastor sah sich durch das Raunen in seiner Ansprache gestört und blickte streng auf die Kirchenbesucher, die sofort wieder still wurden. Erst da setzte der Seelsorger seine Ansprache fort: „Der Rat, der Bürgermeister und ich haben beschlossen, dem Mädchen Monika ein Probejahr einzuräumen. In dieser Zeit hat sie den bei uns gültigen Schulabschluss nachzuholen, auch wird sie im Falle einer Aufnahme genau wie alle unsere Mädchen und Jungen eine Probezeit außerhalb unserer Gemeinde absolvieren müssen. Die Familie Wattjes hat sich bereit erklärt, Monika zu adoptieren, so ist also auch für ihre Unterkunft und Verpflegung gesorgt. Und nun, liebe Gemeinde, beginnen wir mit unserem Gottesdienst.“ Nach dem Kirchgang stand Familie Wattjes zusammen mit Monika auf dem Dorfplatz, um noch, wie jeden Sonntag, Neuigkeiten auszutauschen, doch diesmal sollten sie nicht viel erfahren, denn dauernd kamen Leute, um Monika zu ihrem Entschluss zu gratulieren, allen voran die Schmiedeleute Düring, gefolgt von den Nachbarn de Fries, der Frau des Bürgermeisters und vielen anderen mehr. Wieder auf dem Hof der Wattjes angekommen, kümmerten sich die Frauen um das Mittagessen, anschließend wurde besprochen, was nun als erstes zu tun wäre. Schnell wurden sie sich darüber einig, dass Monika sich als erstes um die Schulprüfung kümmern sollte. Fenna holte ihre Schulbücher hervor und gab sie Monika, damit sie sich einen Überblick verschaffen konnte. Bei den meisten Fächern hatte Monika keine Bedenken, für die Prüfungen in Deutsch und Rechnen brauchte sie ganz bestimmt nichts tun, auch was das Fach Geschichte anbelangt sah sie keine Probleme, da sich der Stoff, der überwiegend von der Entwicklung vom Land der alten Dörfer selbst und von den befreundeten Gemeinden handelte, schnell zu lernen war. Wesentlich schwieriger war für sie das Fach Religion, auf das hier großen Wert gelegt wurde, bevor sie hierher kam, hatte sie sich (außer in der Schule) mangels Interesse überhaupt nicht mit dem Thema beschäftigt. Die schulischen Leistungen würden vom Lehrer geprüft werden, doch die Kenntnisse der Religion würden vom Pastor hinterfragt werden, der in dieser Angelegenheit ziemlich streng war. Es wurde beschlossen erst die schulische Prüfung abzulegen, dann hätte sie die erste Hürde hinter sich und könnte sich voll auf die Religion konzentrieren. Zur Feier des Tages bereitete Swantje am Abend noch Mehlpüt zu, einen Hefekloß, der in einem Leinentuch über Wasserdampf gargezogen wird, dazu gab es Zucker und zerlassene Butter. Später am Abend lagen Fenna und Monika in ihrer Buzze und unterhielten sich noch leise, Fenna erzählte ihr Geschichten von Mädchen, die ihre Bewährungszeit bereits hinter sich hatten und ihr von dem Erlebten berichtet hatten. Für manche war es eine schwere Zeit gewesen, andere schwärmten in den höchsten Tönen von der schönen Zeit, die sie dort verbracht hätten. Irgendwann schliefen die Beiden ein und träumten von der Zukunft. Am nächsten Vormittag, die Kinder waren zur Schule und Eiso Wattjes reparierte Zäune auf einer Weide, kam wie immer um die gleiche Zeit der Milchwagen mit den leeren Kannen von Hohedörp zurück. Bei jedem Haus hielt er an und stellte die Milchkannen in die Hofeinfahrt, so auch bei Wattjes. Swantje und Monika kamen gleich aus der Küche heraus um die Kannen hereinzuholen, da sahen sie auf der Ladefläche des Ackerwagens ein Kettenmädchen sitzen. Als der Wagen bei dem Hof der de Fries hielt, lud der Kutscher erst die Kannen ab, löste die Halskette des Mädchens und führte sie zu dem Haus. Da kam auch schon Hanna aus der Tür, der Kutscher grüßte und übergab die Kette des Mädchens mit folgenden Worten: „Da ihr mit dem letzten Mädchen kein Glück hattet, wurde vom Rat beschlossen, euch dieses Mädchen anzuvertrauen. Sie war über ein Jahr in Moordorf und hat noch mindestens ein Jahr zu arbeiten, bei der kleinsten Verfehlung wird sich ihre Zeit verlängern, so soll ich es euch vom Rat ausrichten.“ Er grüßte noch mit einem kurzen „Moin“ und ging zu seinem Gespann zurück, um auch die
restlichen Kannen noch im Dorf zu verteilen. Das Mädchen stand mit gesenkten Augen vor ihrer neuen Herrin, sie wagte nicht aufzublicken, bevor sie angesprochen wurde. Hanna, die seit ihrer schlechten Erfahrungen mit Anja nicht mehr ganz so vertrauensselig war, sagte zu ihr: „Mein Name ist de Fries, wie du dich zu verhalten hast, dürftest du, wenn du schon in Moordorf gewesen bist, wohl wissen.“ „Ja, Frau de Fries.“ sagte sie und machte den vorgeschriebenen Knicks. Hanna forderte sie auf, die Eisenkugel an ihrer Fußfessel hochzunehmen und zog das Mädchen an der Kette in den Stall, befestige die Kette mit einem Schloss an einem in der Wand eingelassenen Eisenring und meinte: „Deine Ankunft war nicht angemeldet worden, darum habe ich im Moment auch keine Zeit für dich, aber hier im Stall bist du ja gut aufgehoben.“ Eine Antwort nicht mehr abwartend drehte sie sich um, und ließ das Mädchen alleine im Stall zurück. Wieder am Herd stehend (heute mittag sollte es „Döörstamt Wuddels un pökelt Isbeen“ (durchgestampfte Karotten und Kartoffeln mit gepökeltem Eisbein) geben, und sie hatte schon Bedenken gehabt, das ihr das Essen angebrannt wäre, doch ihre Mutter hatte ein wachsames Auge auf den Eintopf gehabt. „Der Rat hat uns ein neues Mädchen schicken lassen, der Milchkutscher hat sie gerade bei uns abgeliefert.“ erzählte sie ihren Eltern. Wir haben dich mit ihr am Fenster vorbeilaufen sehen, weißt du, wo sie herkommt?“ wollten die Alten wissen. Das einzige, was ich euch sagen kann ist, dass sie das letzte Jahr in Moordorf verbracht hat, mehr weiß ich im Moment auch nicht.“ Ihr Vater rieb sich nachdenklich das Kinn und meinte: „Hoffentlich haben wir mit der etwas mehr Glück als mit der letzten.“ Ihre Mutter aber meinte: „Keines der Mädchen, das zur Strafe in den Torf musste, hat sich danach noch einmal schlecht benommen, warum sollte es bei dieser hier anders sein.“ „Wollen wir es hoffen,“ sagte Hanna, „sonst ende ich hier noch als alte Jungfer, weil ich nie Gelegenheit bekomme, meine Bewährungszeit hinter mich zu bringen.“ Währenddessen saß das Mädchen nachdenklich im Stall, hier war es durch die Tiere zwar angenehm warm, dafür war der Empfang bei dieser Bauernfamilie aber auch ziemlich kalt gewesen. „Das ist allein Anjas Schuld,“ dachte sie Ilona bei sich, „die Leute hier sind jetzt bestimmt sauer auf alle Kettenmädchen, und wenn diese Frau de Fries, die mich hier in den Stall gebracht hat, die nette und verständnisvolle Hanna sein soll, von der Anja mir erzählt hat, möchte ich ihren Bruder Wilko de Fries lieber gar nicht erst kennenlernen!“ Am späten Nachmittag kam der Jungbauer von der Arbeit zurück, aber erst nach der Vesper wurde ihm von dem neuen Mädchen erzählt, schließlich wollte ihm keiner den Appetit verderben. „So, so, sieh mal einer an, der Rat ist ja richtig tüchtig.“ meinte er nur, stand auf und ging in den Stall, um sich das neue Mädchen einmal anzusehen. Ilona war durch die ungewohnte Wärme in dem Stall in einen leichten Schlaf gefallen, so hatte sie nicht mitbekommen, dass Bauer Wattjes mit einem Mal vor ihr stand. Wach wurde sie erst, als der laute Befehl: „Aufstehen!“ kam. Trotz ihrer Ketten sprang sie wie ein Wiesel auf ihre Füße, mit klopfendem Herzen und gesenktem Blick wartete sie auf weitere Befehle, doch de Fries brummte nur: „Na, ja!“ und ging in die Küche zurück, um mit seiner Familie die nächsten Schritte abzuklären, die wegen des neuen Mädchen unternommen werden mussten.
Teil 45 Wie überall, wurde auch bei de Fries in aller Herrgottsfrühe gefüttert und gemolken, wobei Hanna und Wilko das neue Mädchen, dass immer noch im Stall angekettet war, nicht beachteten. Erst nach der mor-
gendlichen Arbeit brachte Hanna Tee und belegte Brote in den Stall, Familie de Fries hatte sich vorgenommen, mit dem neuen Mädchen wesentlich strenger umzugehen als mit ihrer Vorgängerin. Für Ilona waren der starke Tee und die gut belegten Brot das reinste Festmahl, wenn sie da an den schlabberigen Tee und das alte Brot im Torflager dachte, hatte sich ihre Lage doch wesentlich verbessert, auch wenn ihr der Jungbauer ziemlich Angst einjagte. Später am Morgen kam Hanna de Fries mit einer anderen Frau in den Stall, ihre Kette wurde gelöst, sie hatte wieder ihre Eisenkugel hochzunehmen und wurde in die Melkkammer geführt. Während die Jungbäuerin mit zwei Eimern in die Küche ging, fing die andere an, ihr das Kleid, wenn ein verdreckter Putzlumpen so genannt werden kann, auszuziehen. Frau de Fries kam zwei Eimern heißem Wasser zurück und meinte zu der anderen Frau: „So, Monika, dann wollen wir aus diesem Moorhuhn erst mal wieder ein sauberes Mädchen machen. Während Ilona von den Frauen mit Wasser, Seife, Lappen und Bürste bearbeitet wurde, bis ihre Haut schon fast rot war, überlegte sie, ob diese Monika das Kettenmädchen war, von der Anja gesprochen hatte, aber das konnte nicht sein, denn sie trug außer einem wunderschönen Halsreif, der aber nur Schmuck sein konnte, keine Fessel. Auch legte sie nicht das unterwürfige Verhalten, dass einem Kettenmädchen eigen war, an den Tag, im Gegenteil, diese Monika und die Frau de Fries schienen eher Freundinnen zu sein. Nachdem auch die Haare gewaschen und mit einem Handtuch einigermaßen getrocknet waren, bekam sie ein einfaches Kleid übergezogen, in dem sie sich aber wie eine Königin vorkam. Alleine schon das Gefühl der Sauberkeit löste Dankbarkeit in ihr aus, doch als sie dann in die Küche geführt, den alten de Fries vorgestellt und sich zur Vormittagsvesper mit an den Tisch setzen durfte, fühlte sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder als ein Mensch. Sie fing gerade an sich etwas zu entspannen, als Wilko de Fries in die Küche kam. Mit einem Satz sprang sie von der Bank hoch, senkte ihren Blick auf den Boden und wagte kaum zu atmen. Wilko blieb einen Meter vor ihr stehen und sagte: „Sieh mich an!“ Ilona schaute in die Augen des Bauern und wartete stumm. „Jetzt hör gut zu, Mädchen. Wir sind keine Unmenschen, wir wollen dir auch nichts Böses, aber wir erwarten von dir, dass du dich anständig verhältst und hart arbeitest. Wenn du dich daran hältst, sollst du es bei uns gut haben, wenn du uns aber wie Deine Vorgängerin enttäuschst, bist du schneller als der Blitz zurück in Moorum, ist das klar?“ „Jawohl, Herr de Fries!“ und wieder der tiefe Knicks, „ich verspreche Ihnen, dass ich mich anständig führen werde, sie können sich darauf verlassen.“ „Wenn das so ist, „sagte er aufgeräumt, „dann lass uns jetzt mit der Vesper anfangen.“ Ilona zögerte noch, aber Hanna gab ihr ein Zeichen, dass sie sich ruhig hinsetzen dürfe. Beim Anblick der auf dem Tisch liegenden, deftigen Köstlichkeiten, wie geräucherten Schinken, Käse, Mett- und Pümmelwurst, (Pümmelwurst ist eine ostfriesische Spezialität) Leber- und Rotwurst, eingelegte Gurken und Kürbisse, eine große Schale mit Butter, dazu dann Schwarz,- Weiß- und Graubrot, und lief Ilona zwar das Wasser im Mund zusammen, aber sie zu ängstlich, um sich von diesen Herrlichkeiten etwas zu nehmen. Erst als der alte de Fries sagte: „Jetzt fang aber an zu essen, Mädchen, ohne etwas im Bauch kannst du schließlich auch nicht arbeiten.“ und Wilko de Fries ihr aufmunternd zunickte, fing sie an, sich zu bedienen. Das Beste für sie war frisches Weißbrot, dick mit Butter bestrichen und mit Käse belegt, das sie so andächtig aß, als wenn ein Meisterkoch ein Deichlammbraten im Kräutermantel für sie zubereitet hätte. Wieder fing sie gerade an sich etwas wohler zu fühlen, als Wilko meinte, dass es nun Zeit wäre nach Hohedörp zum Schmied zu fahren. Bei Ilona klingelte sofort eine innere Alarmglocke, den Schmied hatte
sie in keiner guten Erinnerung. Schon zehn Minuten später hatte der Bauer die Pferde vor den Wagen gespannt und Hanna kam mit Ilona nach draußen. Nachdem Wilko erst die Eisenkugel und dann Ilona auf den Wagen gehoben hatte, befestigte er ihre Halskette an einem Ring, währenddessen Hanna es schon wieder nicht lassen konnte, fürsorglich zu werden und dem Mädchen eine Decke umzulegen. Schweigend verlief die Fahrt nach Hohedörp, während Wilko daran dachte, dass es für ihn so langsam Zeit würde sich eine Braut zu nehmen, fragte Ilona sich, was der Schmied diesmal mit ihr anstellen würde. Zum Glück regnete es an diesem Tag im April nicht, so kamen sie trocken in Hohedörp an. Die Kette lösen und das Mädchen von dem Wagen herunterheben war eine Sache von wenigen Sekunden, und ehe Ilona sich versah, stand sie schon wieder einmal in der ihr so schlecht in Erinnerung gebliebenen Schmiede. In der Werkstatt war außer dem Schmiedemeister Düring auch noch seine Frau anwesend, die Ilona mit einem abschätzenden Blick musterte, sie hatte schon zu viele von den Mädchen erlebt, die während der Behandlung ihres Mannes in Panik geraten waren. Zuerst wurde ihr die Armkette, die auch durch den Halsreif lief, entfernt, dann hatte Ilona sich beim Amboss niederzuknien, wurde aufgefordert ihr Halseisen festzuhalten, und schon begann Düring auch schon damit, den Eisenstift aus dem Halseisenscharnier herauszuarbeiten. Bei jedem Schlag mit dem Hammer dröhnte Ilonas Kopf, der Schmied geriet langsam in Schweiß, dann endlich fiel der Eisenstift aus dem Scharnier heraus. Im gleichen Augenblick war Frau Düring zur Stelle und strich ihren Hals mit einer Salbe ein. Noch ehe Ilona nach über einem Jahr ihren Hals befühlen konnte, wurde ihr schon wieder ein Halsreif umgelegt. Auch jetzt kam wieder die gleiche Prozedur, der Schmied verschloss den Reif mit einem glühenden Eisenstift, aber immerhin legte er ein Stück Leder an ihren Hals, um ihr durch die Funken keine unnötigen Schmerzen zu verursachen. Die fest angeschmiedeten Arm- und Beinreifen wurden entfernt und durch abnehmbare Reifen ersetzt, auch der schwere Strafkeuschheitsgürtel wurde abgenommen und durch einen leichteren Gürtel ersetzt. Als letzte Arbeit wurde wieder eine Kette an die Fußfesseln angeschlossen, auch legte der Schmied noch eine weitere Kette bereit, die im Bedarfsfall an den Handgelenken angeschlossen werden konnte. Nachdem de Fries die Schlüssel für die Fesseln und den Keuschheitsgürtel bekommen hatte, verabschiedete er sich von den Schmiedeleuten, selbst Ilona machte unaufgefordert einen Knicks und ließ sich zu dem Wagen zurückführen. Wieder wurde sie von ihrem Bauern auf den Wagen gesetzt und ihre Kette am Fahrzeug befestigt. Ilona störte das alles nicht, denn im Moment fühlte sie sich richtig gut: Gewaschen, frische Kleidung, ein voller Magen und endlich wieder leichtere Eisenfesseln, vor allen Dingen war sie jetzt die Eisenkugel los, die ihr das letzte Jahr über das Leben so schwer gemacht hatte.
Teil 46 Wieder in Andersum angekommen wurde Ilona an die Laufkette angeschlossen und die Fußfesseln wurden ihr abgenommen. Es war schon ein tolles Gefühl für sie, die Füße ohne das Gewicht von Fesseln und Kette bewegen zu können. Hanna teilte ihr einfache Arbeiten zu, die für Ilona jedoch kein Problem waren, hatte sie vor ihrer Zeit
in Moordorf schon über ein halbes Jahr bei einem anderen Bauern gearbeitet. Sie half Hanna bei der Zubereitung des Mittagessens, deckte den Tisch, ihr brauchte auch nur einmal gesagt werden, wo welche Sachen in den Schränken standen oder wie es gemacht werden sollte, dieses Mädchen erledigt willig alle Arbeiten. Kurz nach dem Mittagessen, doch selbstverständlich erst nach dem Teetrinken, nutzte Hanna die Gunst der Stunde, um eben schnell bei Wattjes hereinzusehen, das konnte sie sich jetzt auch mal erlauben, ihre Arbeit blieb ja nun auch nicht mehr liegen. Als sie zu Wattjes in die Küche kam, sah sie Monika schon wieder über den Büchern sitzen. „Du entwikkelst dich zu einer richtigen Streberin.“ meinte Hanna zu ihr. „Lass man, ich glaube ich bin jetzt soweit, dass ich mich für Schulprüfung melden kann. Aber erzähl doch mal, wie du mit dem neuen Mädchen zurechtkommst.“ „Soviel ich bis jetzt sagen kann, macht sie sich ganz ordentlich, zumindest ist sie willig, hat eine schnelle Auffassungsgabe und redet nur, wenn sie angesprochen wird.“ „Normalerweise müsste sie doch auch Anja kennen, hat sie irgendetwas erzählt?“ „Nein, das nicht, aber ich habe sie auch nicht danach gefragt. Aber lass ihr noch ein paar Tage Zeit, dann werde ich mich mal schlau machen.“ Ein paar Tage später kam für Fenna der große Tag: Sie wurde aus der Schule entlassen und in den Kreis der Frauen aufgenommen. Vorher war Swantje schon mit ihr bei Frau Düring gewesen, um ihr den ersten Keuschheitsgürtel anmessen zu lassen. Zwei Tage vor dem großen Ereignis holte Wattjes stolz den ersten Tugendwächter für seine Tochter beim Schmied ab und brachte ihn seiner Frau, die ihn in eine Truhe legte. Am Sonntagmorgen war es dann soweit: Fenna sollte zum ersten Mal ihren Gürtel umgelegt bekommen. Monika und Fenna waren schon in der Melkkammer, als Swantje den Gürtel hereinbrachte, der nun erst einmal prüfend betrachtet wurde. Doch der Schmied hatte wirklich saubere Arbeit geleistet, es gab nicht die kleinste Stelle zu bemängeln. Während Fenna sich die Wäsche auszog und Swantje sie mit der Salbe einrieb, strich Monika die Innenseiten des KG gründlich ein. Monika legte ihr den Taillengürtel um, Swantje zog das Schrittblech durch die Beine und ließ es in die Halterung einrasten, und hängte dann das Schloss ein, um zum ersten Mal ihre Tochter zu verschließen. Dabei sagte sie die alten Worte, die von den Frauen von Generation zu Generation weitergegeben wurden: Der Gürtel ist ein Zeichen der Fraulichkeit, nun bist auch du dafür bereit, trage ihn stolz und in Ehren, niemals darfst du dich dagegen wehren. Und bist du vermählt und hast einen Mann, der nimmt den Schlüssel für dich an. In der Hochzeitsnacht ist’s dann soweit, dann wirst du von ihm aus dem Gürtel befreit, Was danach passiert, das wirst du schon sehn, folg nur dem Gefühl, du wirst schon verstehn, Bleib immer arbeitsam, fromm, keusch und tüchtig, dann, liebes Kind, machst du uns alle glücklich. Nach diesen Worten drehte Swantje den Schlüssel des Schlosses um, zog ihn ab und steckte ihn in ihre Tasche. Fenna ließ den Rock fallen und Mutter und Tochter schlossen sich in die Arme, dann fiel Fenna Monika um den Hals. „Heut ist der schönste Tag in meinem Leben.“ rief sie ausgelassen. Am liebsten wäre Fenna jetzt durch Andersum gelaufen und hätte jedem erzählt: Ich trage jetzt auch einen Keuschheitsgürtel, doch einmal gehörte sich das nicht, zum anderen wurde es nun Zeit nach
Hohedörp zu fahren, denn die offizielle Zeremonie fand ja während des Gottesdienstes statt. Der Rest der Familie wartete schon bei der Kutsche, als die drei Frauen aus dem Haus kamen. Fenna lief zwar etwas breitbeinig, hätte aber um keinen Preis der Welt zugegeben, dass das Tragen eines Keuschheitsgürtels doch gewohnheitsbedürftig ist. Den ersten Dämpfer bekam sie aber schon, als sie sich nach alter Gewohnheit auf die harte Bank fallen ließ, ein leises „Aua“ konnte sie sich nicht verkneifen. In Hohedörp angekommen ging es gleich in die Kirche, die Familien setzten sich auf ihre angestammten Plätze, nur die schulentlassenen Mädchen und Jungen hatten vor der Kirche zu warten. Der Pastor stieg diesmal nicht auf die Kanzel, sondern blieb vor dem Altar stehen und sagte: „Zu meiner großen Freude ist heute keines der uns anvertrauten Mädchen zur Abstrafung gemeldet worden, wir können gleich mit unserem Gottesdienst beginnen. Als die Orgel anfing zu spielen, wurden beide Kirchentüren weit geöffnet und die Mädchen und Jungen kamen einer nach dem anderen langsam und feierlich in die Kirche, und stellten sich mit dem Gesicht zur Gemeinde in einer Reihe auf. Für den Pastor war das mal wieder eine willkommene Gelegenheit, eine überlange Ansprache zu halten: Über die Unbeschwertheit der Jugend kam er zu den Sorgen der Eltern, sprach von der großen Verantwortung, die diese jungen Menschen ab heute zu tragen hätten, gab viele unnötige und überflüssige Ratschläge. Doch bevor er sich noch weiter auslassen konnte, hörte der Pastor seine Frau sich mehrmals kräftig räuspern, für ihn ein Zeichen, jetzt schnell mit seiner Ansprache ans Ende zu kommen. Doch auch der Bürgermeister ließ es sich nicht nehmen noch ein paar passende Worte zu sagen, allerdings war schon fast alles vom Pastor erwähnt worden, so dass er sich (und die Gemeinde war ihm aufrichtig dankbar dafür) doch kurz fassen konnte. Nach dem Gottesdienst traf sich alles auf dem Dorfplatz um den jungen Mitgliedern der Gemeinde zu gratulieren, bei den Jungs wurde dann die Hand extra stark gedrückt, oder es gab einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter, das musste so sein, denn sie gehörten ja nun mit zu den Männern, außerdem sollten sie diesen Tag in ihrem Leben nie vergessen. Bei den Mädchen ging es wesentlich feinfühliger zu, jede Gratulantin nahm Fenna in den Arm und drückte sie, allerdings fühlte auch jede an ihre Taille, ob sie nun auch wirklich einen Keuschheitsgürtel trug. Das war im Land der alten Dörfer schon immer so gewesen, und Fenna gefiel diese alte Sitte, schließlich hatte sie lange genug auf ihren Keuschheitsgürtel warten müssen und war stolz darauf, ihn endlich tragen zu dürfen. Auf der Rückfahrt nach Andersum war Fenna recht schweigsam, blickte mit verträumten Augen vor sich hin. Während Eiso Wattjes und der Rest der Familie davon ausgingen, dass sie jetzt einfach nur glücklich wäre, wussten Swantje und Monika es besser: Fenna hatte soeben den Vorteil eines eng sitzenden Schrittbandes erkannt.
Teil 47 Nur zwei Sonntage später gab es das nächste große Ereignis im Haus von Wattjes: Monika hatte ihre Strafzeit abgedient und sollte nun als ein Gemeindemitglied aufgenommen werden, wenn auch nur erst mal für ein Jahr auf Probe. Vor ein paar Tagen war Anwalt Meyerdirks mit den Adoptionspapieren gekommen, nachdem er allen Beteiligten noch einmal klar gelegt hatte, dass es von diesem Schritt kein Zurück geben würde, hatten Wattjes und Monika unterschrieben. Nun mussten sie noch darauf warten, dass diese Unterlagen von einem Gericht in der Welt bearbeitet würden und sie eine schriftliche Bestätigung erhielten, doch Meyerdirks meinte, das er alles gut vorbereitet hätte und er ihnen die Bestätigung schnellstmöglichst hereinbringen würde.
Nun war Monikas großer Tag gekommen, die offizielle Aufnahme fand natürlich in der Kirche statt. Der Bürgermeister bestand darauf, als erster eine Ansprache zu halten, diesmal wollte er sich von dem Pastor nicht ausbooten lassen, außerdem war das ja auch mehr eine weltliche Handlung. Je länger der Bürgermeister redete, um so unruhiger wurde der Pastor, was natürlich auch die Gemeinde mitbekam. „Recht so,“ dachten die meisten von ihnen, „jetzt ist der Spieß mal umgedreht.“ Jedenfalls machte der Bürgermeister seine Sache sehr gut, Monika wurde feierlich in die Gemeinde aufgenommen und auch Anwalt Meyerdirks war anwesend, der Wattjes im Beisein der Gemeinde die Adoptionsurkunde überreichte. Jetzt durfte der Pastor, dem das Grinsen seiner Schäfchen nicht entgangen war, endlich seinen Gottesdienst beginnen. Er konnte es sich natürlich nicht verkneifen, sich für die Schadensfreude der Gemeindemitglieder zu rächen und hielt eine ellenlange Predigt, die von den Anwesenden mit manchen Seufzern quittiert wurde. Nach dem Kirchgang versammelten sich die meisten auf dem Dorfplatz, und fast alle kamen, um Monika zu gratulieren und sie in ihrer Gemeinschaft willkommen zu heißen. Eiso Wattjes war froh, als sie endlich zur Kutsche zurückgingen, ihm knurrte schon seit einer Stunde der Magen. In Andersum angekommen forderte Swantje Monika auf, ihre graue Schürze abzulegen, ab jetzt gehöre sie ja nicht mehr zu den Kettenmädchen, also dürfe sie ab sofort eine weiße Schürze tragen. Schon solche kleine Gesten machten die inzwischen bescheiden gewordene Monika restlos glücklich und so sagte sie: „Vielen, vielen Dank, Frau Wattjes.“ „Was heißt denn hier Frau Wattjes, haben wir dich nun adoptiert oder nicht? In Zukunft sagst du einfach Mutter zu mir, und das „Sie“ ist natürlich auch vergessen.“ Ganz einfach war das für Monika am Anfang nicht, schließlich hatte sie ihre neuen Eltern ein Jahr lang förmlich ansprechen müssen, doch nach wenigen Stunden hatte sie sich daran gewöhnt, sie hatte sich ja auch die ganze Zeit über wie eine Tochter der Wattjes gefühlt. Den Rest des Sonntags verbrachte Wattjes in gewohnter Weise, sie ließen es ruhig angehen. Nach dem Teetrinken gingen Fenna und Monika noch etwas spazieren, als sie die Dorfstrasse hinunterliefen kam ihnen Hanna entgegen, das neue Mädchen an der Kette mit sich führend. Die drei unterhielten sich angeregt, während Ilona mit gesenktem Blick danebenstand. Aus den Augenwinkeln sah sie immer wieder zu Monika hin, inzwischen war sie fest davon überzeugt, dass es die Monika war, von der Anja öfters gesprochen hatte. Außerdem hatte sie am Morgen ja noch, genau wie sie selbst, die graue Schürze der Kettenmädchen getragen, und auch wenn sie jetzt eine weiße Schürze trug, so hatte sie doch noch immer den Halsreif um, auch wenn es sich dabei anscheinend um ein edles Teil handelte. Die drei Mädchen führten wirklich ein langes Gespräch, Fenna erzählte erst lang und breit, wie sie mit dem Keuschheitsgürtel klar kommen würde, Monika schilderte ihre Eindrücke von diesem Sonntag, nur Hannas Thema war immer das gleiche: Sie wollte unbedingt ihre Bewährungszeit hinter sich bringen, andere in ihrem Alter wären schon längst verheiratet, inzwischen hatte sie richtig Angst, dass ihr Liebster sich eine andere suchen und sie niemals einen Mann kriegen würde.“ Hanna konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass an ihrem Problem bereits gearbeitet wurde, und auch Monika konnte jetzt noch nicht wissen, dass auch sie unmittelbar an der Problemlösung beteiligt war. Für die Mädchen wurde es langsam Zeit nach Hause zu gehen, schließlich erledigte sich die Stallarbeit nicht von allein, und keine von ihnen würde es auch nur im Traum einfallen sich vor der Arbeit zu drükken, nicht im Land der alten Dörfer. Nach der Stallarbeit und nach dem Abendbrot saß Familie Wattjes gemütlich in der Küche zusammen, jeder ging einer Tätigkeit nach, während die Kleinen noch etwas spielen durften, Wattjes in der Bibel las, waren Swantje und Fenna am Ausbessern der Wäsche, und Monika beschäftigte sich mit dem Lernen
von Gesangsversen. Doch diese gemütliche Runde endete schlagartig, als es an der Tür klopfte und Wattjes: „Nur herein“ rief. Die Tür ging auf und Wattjes meinte. „Das ist doch mal ein netter Besuch, kommt nur herein und setzt euch zu uns.“
Teil 48 Bei dem Besuch handelte es sich um die beiden alten de Fries, den Eltern von Hanna und Wilko. Nachdem die ersten Neuigkeiten ausgetauscht und die erste Tasse Tee getrunken war, kam der alte de Fries auf den Grund des Besuches zu sprechen: „Wie ihr alle wisst, haben wir seit einiger Zeit ein neues Mädchen bei uns im Haus, die sich bisher gut gemacht hat. Sie ist willig, arbeitsam und weiß sich auch zu benehmen. Leider fehlt ihr noch die Erfahrung, um alle Arbeiten im Haus oder im Stall alleine machen zu können. Bevor dieses neue Mädchen selbstständig arbeiten kann, und in der Lage wäre Hanna zu vertreten, würde schon wieder mindestens ein halbes Jahr vergehen, und wir brauchen euch nicht zu erzählen, wir gern Hanna ihre Bewährungszeit hinter sich bringen möchte, auch wenn sie sich nie beklagt, wissen wir doch, wie wichtig ihr das ist.“ „Das ist wohl war,“ meinte Swantje, „alle anderen in ihrem Alter haben diese Zeit schon längst hinter sich, es wird nun wirklich Zeit für sie.“ „Wie wahr, wie wahr,“ sagte Frau de Fries, „und wenn mein Mann und ich noch etwas jünger und kräftiger wären, würden wir sie jetzt in die Bewährungszeit schicken lassen, doch wir beiden Alten sind unserem Sohn keine große Hilfe mehr, und das neue Mädchen ist einfach noch nicht soweit.“ „Können wir euch bei dem Problem irgendwie behilflich sein?“ wollte Eiso Wattjes wissen. Die alten de Fries sahen sich an, es war ihnen anzumerken, dass ihnen ihr Anliegen nur schwer über die Lippen kam. „Tja, also, Eiso Wattjes,“ sagte de Fries sichtlich verlegen, „uns ist da eine Möglichkeit in den Sinn gekommen, aber bevor ich weiterspreche möchte ich euch sagen, dass wir es euch nicht übel nehmen werden, wenn ihr nicht damit einverstanden seid.“ Wattjes sahen ihn nur erwartungsvoll an und so sprach er weiter: „Eure Monika ist eine tüchtige Deern, und normalerweise wäre sie schon nicht mehr bei euch, ihre Zeit hat sie ja abgedient. Darum wollten wir fragen, ob nicht die Möglichkeit besteht, dass sie ein halbes Jahr bei uns arbeiten und wohnen könnte, dann würde Hanna endlich ihre Bewährungszeit hinter sich bringen können.“ „Dat is ja nu watt.“ sagte Eiso Wattjes ziemlich überrascht, auch Swantje sah nicht unbedingt glücklich aus. Monika, die es am meisten anging, saß dabei und sagte nichts, schließlich hatten die älteren Leute zu entscheiden, zu fügen hatte sie sich allemal. „Das kommt nun doch ziemlich überraschend.“ meinte Swantje und wandte sich zu Monika. „Was meinst du denn davon?“ wollte sie von ihr wissen. „Ich halte das für eine gute Idee, damit wäre Hanna geholfen.“ gab Monika zurück, ohne sich anmerken zu lassen, dass sie diese Idee sogar für hervorragend hielt, würde sie dann doch viel in der Nähe von Wilko de Fries sein, auf den sie schon lange ein Auge geworfen hatte. Im Land der alten Dörfer ist Hilfsbereitschaft eine Selbstverständlichkeit, so dauerte es nur wenige Minuten bis die Wattjes sich dazu durchgerungen hatten, auf diesen Vorschlag einzugehen. „Es ist schließlich unsere Christenpflicht zu helfen, wenn Hilfe erforderlich ist.“ meinte Eiso Wattjes salbungsvoll, zu gerne kehrte er den guten Christen hervor, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab. Doch die anderen kannten ihn alle zu gut, um ihm diese Marotte übel zu nehmen. Da der Weg für Hanna nun geebnet war, wurde auch gleich der Rat davon in Kenntnis gesetzt. Nun hatten die Ratsherren in bezug auf Hannas Bewährungszeit schon seit langem ein schlechtes Gewissen,
daher überschlugen sie sich fast vor Eifer, diese Angelegenheit endlich zum Abschluss zu bringen, nach vierzehn Tagen bekamen de Fries den Bescheid, das Hanna sich in genau neun Tagen zur Abfahrt bereit zu halten hätte. Mit einer so schnellen Reaktion hatten weder de Fries noch Wattjes gerechnet, aber im Endeffekt war es auch egal, denn je eher Hanna aufbrach, um so eher würde sie auch wieder zurück sein. Schon einige Tage vor Hannas Abfahrt wurde Ilona gesagt, dass sie in den nächsten Tagen zu Wattjes kommen würde, für Ilona brach fast eine Welt zusammen, weil sie davon ausging, dass man, aus welchen Gründen auch immer, mit ihrer Arbeit oder ihrem Verhalten nicht zufrieden war. Erst als Hanna sie aufklärte, warum sie das nächste halbe Jahr bei Wattjes zu verbringen hätte, beruhigte sie sich wieder. Für die beiden jungen Frauen war der Tausch von den Familien schon eine unterschiedliche Angelegenheit, während Ilona, die sich gerade bei den de Fries etwas eingewöhnt hatte, Angst vor den ihr relativ unbekannten Wattjes hatte, freute sich Monika, nun ständig in der Nähe von Wilko de Fries zu sein. Schnell kam der Tag, an dem für Hanna die große Zeit ihres Leben beginnen sollte, abgeholt wurde sie, wie kann es denn auch anders sein, von dem Advokat Meyerdirks. Der gab zwar vor es sehr eilig zu haben, doch für einen kräftigen Imbiss fand er doch noch Zeit. Nach der siebten Tasse Tee, zu denen er drei Mettwurst,- vier Schinken- und zwei Käsebrote verdrückt hatte, ganz zu schweigen von den eingelegten Gurken und Kürbissen, legte er den Löffel in die Teetasse (überall in Friesland das Zeichen dafür, dass nicht mehr nachgeschenkt werden soll) und meinte: „Nun Hanna, kann es sein, dass ihr in der Schule die Dänische Sprache gelernt habt?“ „Nein, Herr Advokat Meyerdirks, das haben wir nicht.“ „Das macht nichts,“ meinte er, „wenn du wieder zurück bist, wirst du perfekt Dänisch sprechen können.“ Wie es nun an die Verabschiedung ging war doch allen schwer um Herz, am meisten aber wohl Hanna, die noch nie von zu Hause weggewesen war und nun für mindestens ein halbes Jahr in zu unbekannten Leuten in ein ihr fremdes Land fuhr, dessen Sprache sie noch nicht einmal verstehen konnte. Um den Abschiedsschmerz so gering wie möglich zu halten, drängte Meyerdirks jetzt zum Aufbruch, schon rollte die Kutsche vom Hof und fuhr in Richtung Texlum davon, noch ein letztes Winken, dann war Hanna außer Sicht. „So ist das nun mal im Leben,“ seufzte die alte Frau de Fries, „aus Mädchen werden Frauen, da führt kein Weg dran vorbei.“ und wischte sich mit dem Taschentuch noch eine kleine Träne aus den Augen.
Teil 49 Für Monika und Ilona war es nun an der Zeit, die jeweiligen Habseligkeiten zusammenzupacken und umzuziehen. Während Monika noch am Packen war, führte Wilko de Fries sein Mädchen schon an der Kette in die Küche von Wattes hinein. Fenna nahm ihm die Kette ab und schloss Ilona an die inzwischen bereitgelegte Laufkette an, stellte ihr einen Korb mit Kartoffeln und eine Schüssel mit Wasser hin und gab ihr den Auftrag, die Kartoffeln für das Mittagessen zu schälen. Nun war auch Monika soweit, sie klappte den Deckel ihrer Truhe zu und meinte: „Ich bin jetzt soweit, von mir aus können wir losgehen.“ Zum Abschied (obwohl es ja nur zum Nachbarhaus ging) wurde sie von allen noch einmal liebevoll in den Arm genommen, ja es war ein Abschied, als wenn sie nach Amerika auswandern würde. Wilko de Fries nahm die Truhe auf die Schulter, und Monika sagte: „Ich bin ja nicht aus der Welt, ich komme euch jeden Tag besuchen, und wenn es nur für ein paar Minuten sein sollte, oder darf ich das nicht, Bauer de Fries?“ „Natürlich darfst du so oft du willst zu Wattjes gehen, du bist ja schließlich kein Kettenmädchen mehr,
sondern als Jungfer in der Gemeinde, aber tu mir bitte einen Gefallen und sag nicht Bauer de Fries zu mir, wenn du mich einfach beim Vornamen nennen würdest, wäre mir das entschieden lieber.“ „Ja gerne,“ sagte Monika, und strahlte Wilko an, „das mache ich gern.“ Als Monika und Wilko sich auf den Weg gemacht hatten, kümmerte sich Swantje Wattjes erst mal um das neue Mädchen, das inzwischen fleißig am Kartoffelnschälen war. Es waren ungefähr die gleichen Worte, die auch Monika bei ihrer Ankunft zu hören bekommen hatte: „Du bist in unserem Haus willkommen, ich hoffe, dass wir gut miteinander auskommen werden. Wenn du fleißig und ehrlich bist, hast du hier nichts zu befürchten, ganz im Gegenteil.“ „Ich werde mir die größte Mühe geben, Frau Wattjes, ich werde alles tun, was sie mir sagen, ganz bestimmt.“ sagte Ilona und machte den vorgeschriebenen Knicks. „Gut,“ sagte Swantje, „dann sind wir uns einig, lass uns wieder an die Arbeit gehen.“ Während der Empfang für Ilona durchaus freundlich war, war die Aufnahme von Monika bei den de Fries mehr als herzlich. Frau de Fries nahm sie gleich in den Arm und meinte: „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wir sehr wir uns darüber freuen, dass du jetzt eine Zeitlang bei uns bist. Wenn du irgendetwas brauchst oder möchtest, sag es einfach, wir werden es dann schon möglich machen.“ Sobald Monika ihre Sachen eingeräumt hatte, begann sie mit der Arbeit. Sie kümmerte sich als erstes um das Mittagessen, die Wachtelbohnen für den Eintopf hatte Frau de Fries über Nacht schon eingeweicht, so brauchte sie jetzt nur noch das Gemüse zu putzen und schneiden, die Kartoffeln schälen und würfeln und die gepökelten Schweinepfoten mit hineinzugeben. Aus dem Garten holte sie sich noch etwas Bohnenkraut und Liebstöckel, um den Eintopf gehaltvoll abzuschmecken. Als zur Mittagszeit das Tischgebet gesprochen worden war, wurde Monika leicht nervös, ob ihre Art zu kochen bei den de Fries wohl Anklang finden würde? Sie hätte sich aber keine Sorgen zu machen brauchen, die ganze Familie war begeistert von ihren Kochkünsten und lobte sie über alle Maßen. Auch bei der Stall- und Feldarbeit gab sie ihr Bestes, die Arbeit ging ihr sicher und flott von der Hand. Immer öfter merkte sie, dass Wilko sie bei jeder Gelegenheit beobachtete. Schon immer hatte er dieses Mädchen gerne leiden mögen, doch jetzt fing er an, sich in sie zu verlieben, jedes Mal, wenn sie ihn anlächelte, wurde ihm ganz warm ums Herz. Die alten de Fries bekamen das natürlich mit, im Geiste sahen sie Monika schon als ihre Schwiegertochter. Eines Sonntags, Monika war auf einen Sprung zu den Wattjes gegangen, sprachen sie Wilko darauf an: „Die Monika ist doch ein tüchtiges Mädchen,“ meinten sie zu Wilko, „dazu sieht sie auch noch gut aus und hat ein freundliches Wesen. Wer die mal zur Frau bekommt, hat wirklich Glück gehabt.“ „Ich will euch ehrlich etwas sagen,“ meinte Wilko zu seinen Eltern, „ich habe sie von Herzen gern und würde gern um ihre Hand anhalten, aber ich weiß nicht, ob ich mir bei ihr nicht einen Korb holen würde.“ „Wie ist es nur möglich, dass ihr Männer so unsensibel seid.“ schimpfte Frau de Fries, „hast du wirklich noch nicht gemerkt, dass Monika dich gerne leiden mag? Beim Essen sorgt sie immer dafür, dass du die besten Stücke vom Braten bekommst, in die Teetassen gibt sie dir die dicksten Kluntjes, und hast du wirklich noch nicht bemerkt, dass sie dich immer lächelnd ansieht? Mein lieber Sohn, ich rate dir, halte dieses Mädchen fest, bevor ein anderer ihr Herz gewinnt, wir Alten jedenfalls könnten uns keine bessere Schwiegertochter wünschen.“ „Ihr habt gut reden,“ gab Wilko zurück, „ihr wisst genau so gut wie ich, dass ich ihr, solange sie bei uns im Haus lebt, keinen Antrag machen darf, das widerspricht allen Regeln.“ „Das ist richtig, aber warum lädst du sie nicht einfach mal zu einem Spaziergang ein? Oder bring ihr von der Feldarbeit doch mal einen Strauß Blumen mit, die Natur ist doch voll davon.“ Wilko hörte auf den Rat seiner Eltern, gleich am nächsten Sonntag lud er Monika zu einem Spaziergang
durch das Dorf ein. Am liebsten hätte er sie dabei in den Arm genommen, doch das widersprach den guten Sitten. Aber auch so genossen die Beiden den gemeinsamen Spaziergang, und viele, die ihnen begegneten, meinten anschließend, dass sie ein schönes Paar abgeben würden. Ein paar Tage später brachte er wirklich einen Strauß selbstgepflückter Blumen mit. „Die sind für dich,“ meinte er bloß und gab ihr den Strauß. „Das ist ja lieb von Dir,“ rief Monika und gab ihm zum Dank einen Kuss auf die Wange. Der Kuss durchfuhr den bisher vollkommen keuschen Wilko wie ein Blitz, wider besseren Wissens und ohne Rücksicht auf die Sitten nahm er Monika bei der Hand und fragte: „Monika, könntest du es dir vorstellen, für immer bei uns zu bleiben?“ Damit hatte Monika zu diesem Zeitpunkt nicht gerechnet, und sie sah Wilko tief in die Augen, als sie ihm antwortete.
Teil 50 „Wilko, kannst du mir sagen, warum ich für immer bei euch bleiben soll? „Weil ich dich über alles in der Welt liebe und ich dich hiermit frage, ob du meine Frau werden willst.“ Sie lächelte ihn an und meinte: „Seitdem du mich in Ketten gefesselt bei Wattjes abgeliefert hast, wünsche ich mir nichts anderes. Ja, ich will deine Frau werden, ich liebe dich schon seit dem Tag, an dem ich dich zum ersten Mal gesehen habe.“ Wilko wollte sie in den Arm nehmen und küssen, doch Monika sagte ganz ruhig: „Nein, Wilko, dafür ist es noch zu früh, als erstes müssen wir mit deinen Eltern sprechen, ob sie mit mir als Schwiegertochter überhaupt einverstanden sind, schließlich bin ich bisher nur auf Probe hier, muss noch die Schul- und Religionsprüfung ablegen, und die Bewährungszeit steht mir, vorausgesetzt, es läuft alles planmäßig, auch noch bevor. Außerdem wirst du bei meinen Eltern auch noch um meine Hand anhalten müssen, ohne ihr Einverständnis dürfen wir nichts machen. Wilko, dem es sichtlich schwer fiel sich zu beherrschen, musste ihr Recht geben, und so einigten sie sich darauf, noch am gleichen Abend mit den Eltern zu sprechen. Als man am Abend bei de Fries am Küchentisch zusammensaß, sagte Wilko zu seinen Eltern: „Wir haben etwas mit euch zu besprechen, es geht um unsere Zukunft. Kurz gesagt, ich habe Monika einen Antrag gemacht, und sie hat zugestimmt, nun möchten wir gerne wissen, ob ihr uns eueren Segen dazu gebt.“ „Na endlich,“ rief der alte de Fries erleichtert, „ich dachte schon, du würdest niemals in die Hufe kommen.“ Doch Frau de Fries stand auf, ging zu Monika und nahm sie in den Arm. „Ich könnte mir keine bessere Schwiegertochter wünschen, du bist uns von ganzem Herzen willkommen.“ Es wurde noch ein schöner Abend, an dem viel über die Zukunft gesprochen wurde. Die alten de Fries waren ebenso glücklich wie Monika und Wilko, nicht nur, dass ihr Sohn endlich eine Braut hatte, hatte er doch ein Mädchen gefunden, dass aller ihrer Vorstellungen von einer idealen Schwiegertochter entsprach. Am drauffolgenden Sonntag nach dem Gottesdienst fasste Wilko sich ein Herz und bat seine Nachbarn Wattjes um ein Gespräch. Eiso Wattjes meinte, er solle doch am Nachmittag zum Tee kommen, dann hätten sie ausreichend Zeit um sich zu unterhalten. Swantje Wattjes wusste zu diesem Zeitpunkt schon mit Sicherheit, um was es sich bei diesem Gespräch handeln würde, als Frau hatte sie schon längst gemerkt, dass die jungen Leute sich gefunden hatten, wogegen Eiso Wattjes meinte, dass er sich nicht vorstellen könne, was Wilko mit ihnen zu besprechen hätte. Je weiter die Uhr voranschritt, um so nervöser wurde Wilko, er war zwar nicht auf den Mund gefallen, aber um die Hand eines Mädchens anzuhalten und das noch bei seinen besten Nachbarn, war für ihn doch nicht so leicht.
So rückte er zuerst auch nicht mit der Sprache heraus, als er dann zusammen mit Monika bei Wattjes in der Küche saß, erst als Eiso ihn fragte, was für ein Anliegen er denn nun hätte, riss er sich zusammen und sagte: „Also, was ich sagen wollte, nein, ich meine, ich wollte etwas fragen, es ist ganz einfach so, na ja, es hat sich einfach so ergeben, dabei muss man wissen, es fing ja alles schon eher an, nun, nicht so, wie es jetzt den Anschein erweckt, aber das ist nun mal so, nicht, dass ihr jetzt was verkehrtes denkt, nein, nein, in allen Ehren, ja, und darum sind wir jetzt hier.“ Während Swantje und Monika sich gegenseitig angrinsten, meinte Eiso Wattjes zu dem armen Wilko: „Ich versteh kein Wort von dem, was du uns hier erzählst, was willst du uns eigentlich die ganze Zeit über sagen?“ Endlich fasste Wilko sich ein Herz, stand auf und sagte: „Ich bitte Euch um die Hand eurer Tochter Monika.“ und ließ sich mit einem Seufzer der Erleichterung wieder auf den Stuhl fallen. „Das hättest du doch gleich sagen können.“ meinte Eiso und fing jetzt auch an zu grinsen, hatte ihm die Verlegenheit von Wilko doch richtig Spaß gemacht, Hauptsache war, dass Swantje den anderen nicht verriet, dass es ihm damals, als er um Swantjes Hand angehalten hatte, genau so ergangen war. Doch schnell wurde er wieder ernst, es handelte sich ja schließlich um eine wichtige Angelegenheit. Er schaute kurz zu Swantje herüber, die lächelnd mit dem Kopf nickte und sagte: „Wilko de Fries, wir kennen dich lange genug um zu wissen, dass du ein guter und ehrlicher Mensch bist, und wenn du Monika zur Frau nehmen willst, so hast du hiermit unseren Segen.“ Nun war der Zeitpunkt gekommen, um die nächsten Schritte zu besprechen. Allen Beteiligten war klar, dass es bis zur Rückkehr von Hanna keine Verlobung geben würde, denn solange Monika bei de Fries im Haus war, würde es ja den guten Sitten widersprechen. Also mussten die jungen Brautleute über ihre Zukunftsabsichten noch Schweigen bewahren. Doch wer viel Arbeit hat, dem vergeht die Zeit schnell, inzwischen waren die Kühe wieder auf der Weide, der Misthaufen wurde abgefahren, Heu musste eingefahren werden, die Roggen-, Weizen- und Haferfelder waren zu mähen. Für Monika war das Jahr noch schwerer als das vorangegangene, sie hatte auch noch ihre Schul- und Religionsprüfung abzulegen, die sie aber beide mit Bravour meisterte. Als dann auch die Rüben und Kartoffeln eingelagert und das Vieh wieder im Stall war, kam an einem Nachmittag eine Kutsche auf den Hof von de Fries gefahren, Advokat Meyerdirks brachte Hanna zurück. Allen fiel Hanna um den Hals und hätte vor lauter Freude fast vergessen, den Anwalt Meyerdirks auf eine Tasse Tee ins Haus zu bitten. Doch der nahm das nicht übel, ganz im Gegenteil, er freute sich mit allen Beteiligten, war es doch für ihn immer ein schönes Gefühl, eine Familie wieder vereinigen zu können. Die Einladung zum Tee lehnte er dankend ab, alle hatten sich soviel Neuigkeiten zu erzählen, da wollte er nicht stören, und so fuhr er zurück nach Hohedörp, um dem Bürgermeister seine Aufwartung zu machen.
Teil 51 Nachdem die wichtigsten Neuigkeiten ausgetauscht waren, wobei Hanna sich bei der Vorstellung, dass Monika vielleicht ihre Schwägerin werden würde, vor Freude ganz aus dem Häuschen war, wurde es nun für Ilona und Monika wieder Zeit die Plätze zu tauschen, zum großen Leidwesen von Wilko, der seine zukünftige Braut jetzt nicht mehr ständig sehen konnte. Hanna ließ es sich nicht nehmen Monika nach Hause zu begleiten, Wilko durfte die Kiste schleppen. Im Haus von Wattjes waren Ilonas Sachen schnell gepackt, Swantje befreite sie von der Laufkette und meinte zu ihr: „Du hast dich hier bei uns gut gehalten, Mädchen, mach weiter so, dann wirst du in wenigen Monaten wieder in die Welt gehen können.“ Mit einem Knicks bedankte Ilona sich, und ließ sich bereitwillig von Hanna an der Kette in das Haus von de Fries führen. Fenna freute sich wie eine Schneekönigin, dass Monika nun wieder mit ihr zusammen in einer Butze
schlafen würde, auch der Rest der Familie war froh, sie endlich wieder zurückzuhaben. Nur vier Wochen nach Hannas Rückkehr wurde von der Kanzel aus die Verlobung mit ihrem Liebsten bekannt gegeben, auch die Hochzeit würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Wie gerne hätte Monika zu diesem Zeitpunkt gewusst, ob sie nach Ablauf des Probejahres im Land der alten Dörfer in die Gemeinde aufgenommen werden würde. Auch Wattjes und de Fries überlegten, ob es keinen Weg geben würde, das Probejahr zu verkürzen. Bei einem gemeinsamen Gespräch einigte man sich darauf, am nächsten Sonntag den Pastor nach dem Gottesdienst daraufhin anzusprechen, und bei der Gelegenheit durchblicken zu lassen, dass Monika und Wilko durchaus ernste Absichten hätten. So passierte es auch, der Pastor nahm die Geschichte positiv auf und versprach, beim Rat ein gutes Wort einzulegen. „Dann sollten wir auch sehen, dass Monika ihre Bewährungszeit möglichst schnell hinter sich bringt,“ meinte er noch, „sonst ist der guten Hanna ja immer noch nicht geholfen.“ Doch erst mal passierte gar nichts, Weihnachten kam, auch der Januar war schon fast vergangen, und keiner sprach von einer mehr von einer Verkürzung des Probejahres. Doch am letzten Januarsonntag sagte der Pastor von der Kanzel herab: „Liebe Gemeinde, ich habe noch eine gute Botschaft zu überbringen, der Rat hat beschlossen, Monika Wattjes schon vor Ablauf der Probezeit in die Gemeinschaft der Gemeinde aufzunehmen. Auch soll bereits im März ihre Bewährungszeit beginnen, denn es gibt in unserem Kreis einen jungen Mann, der sie gerne zum Traualtar führen würde.“ Das war nun endlich mal eine gute Nachricht für das junge Paar, hauptsächlich für Wilko, dem der Lebenssaft im Körper immer höher stieg, es war ja auch nicht einfach, seine Braut jeden Tag sehen, aber nicht berühren zu können. Anfang März war es dann soweit, Monika hatte ihre Kiste gepackt und Anwalt Meyerdirks kam mit der Kutsche auf den Hof gefahren, um Monika abzuholen. „Können sie mir sagen, wo ich meine Bewährungszeit verbringen werde, Herr Meyerdirks?“ fragte sie den Anwalt. „Du wirst deine Zeit in Holland abdienen,“ gab er zurück, „das befreundete Land liegt von hier aus gesehen kurz hinter Amsterdam.“ Nach einem tränenreichen Abschied war es dann soweit, die Truhe wurde auf die Kutsche geladen, Meyerdirks nahm die Zügel in die Hand und an ging es nach Texlum. Auf der Fahrt dahin sagte Meyerdirks, dass er sie aus Zeitgründen auf der Fahrt nicht begleiten könne, doch die Mannschaft der Tjalk würde Bescheid wissen und sich um sie kümmern. Zwei Mann der Besatzung warteten in Texlum schon auf sie, den einen kannte Monika von ihrer ersten Fahrt zum Land der alten Dörfer, das war der Mann, der sie damals in der Messe angekettet hatte. Auch jetzt noch schaute er Monika misstrauisch an, doch nachdem er sich leise mit Meyerdirks unterhalten hatte, zuckte er nur mit den Schultern, packte die Truhe mit an und brachte sie über den Teich in das Beiboot, das am Strand lag. Kurze Zeit später war Monika an Bord, der Anker wurde gelichtet und trotz des etwas kräftigem Windes bei herabgelassenen Schwertern sämtliche Segel gesetzt. Majestätisch rauschte die Tjalk durch die Nordsee in Richtung holländische Küste, durch den enormen Druck auf die Segel hatte die Tjalk zwar etwas reichlich Kränkung (Schräglage), lag sonst aber erstaunlich ruhig in der See. Monika stand die meiste Zeit bei den Männern am Ruder, einer hatte ihre eine Öljacke und einen Südwester gebeben, so dass ihr Gischt nichts ausmachen konnte. Zur Mittagszeit fragte sie die Besatzung, ob sie ihnen nicht etwas zu Essen machen sollte, was dankbar angenommen wurde, nur selten war einer ihrer Passagiere bereit, von sich aus etwas zu tun.
Viel Auswahl gab es in der Kombüse nicht, aber zumindest fand Monika Brot, Butter, Mettwurst, Schinken und Käse. Da die vier Mann Besatzung abwechselnd essen mussten, setze Monika zwei Pfannen auf den Herd, gab in jede Pfanne 4 Spiegeleier hinein, würzte sie und legte ein paar Scheiben Käse darüber, um die Pfannen dann mit Topfdeckeln abzudecken. Anschließend bestrich sie pro Person zwei Scheiben Brot dick mit Butter, belegte sie mit reichlich geräuchertem Schinken. Die ersten beiden Bestatzungsmitglieder kamen in die Messe, als sie gerade den Tee in Mucken (Henkeltassen) einschenkte. Nun brauchte sie nur noch die Eier mit dem zerlaufenen Käse auf die Schinkenbrote geben, und konnte das Essen dann zu den Männern bringen. „Was ist das denn für eine seltsame Mahlzeit?“ wollte der eine wissen, probierte aber auch gleich. „Mensch, Mädchen,“ sagte er, „das schmeckt ja richtig lecker, wie heißt denn das Gericht.“ Sie grinste ihn an und meinte: „Das nennt sich „Monika-Spezial“, ich wünsche guten Appetit.“ Als die beiden Seeleute wieder an Deck waren im ihre Macker (Kollegen) abzulösen, fragte der Eine: „Was gibt es denn zu essen?“ „Bestellt euch am besten einen „Monika-Spezial,“ sagte der einer der Männer,“ hat uns jedenfalls gut geschmeckt.“ „Monika-Spezial“? vergewisserte er sich, „wat is dat denn nu wer för en moderen Kram? (Was ist das denn nun wieder für ein moderner Kram)?“ Doch auch bei den Beiden fand Monikas Kreation den gebührenden Anklang, und so hatte sie sich mit diesem einfachen Essen die Sympathie der Besatzung erworben. Am späten Nachmittag erreichten sie die holländische Stadt Den Helder, wo sie über Nacht festmachten. Direkt im Hafen war eine kleiner Stand, an dem es frische Matjesfilet zu kaufen gab. Während Monika einen Topf mit Pellkartoffeln aufsetzte und Speck-Zwiebel-Sauce machte, holte einer der Besatzung für jeden drei Matjes zum Abendbrot. Nach dem Essen saßen sie in gemütlicher Runde in der Messe, und Monika bekam so manches Seemannsgarn vorgesponnen. Als der Skipper dann noch sein Schifferklavier holte und Seemannslieder spielte, bei denen alle Mann mitsangen, wäre sie am liebsten für immer an Bord geblieben.
Teil 52 Anja in Moorum 6 Das Leben ging seinen gewohnten Gang: Sieben der Mädchen mussten jeden Tag ins Moor, während Anja sich um die Hütte, den Garten und das Essen kümmerte. Wären die Eisenfesseln mit der dicken Kette daran nicht gewesen, hätte sie sich allerdings viel wohler gefühlt. Dazu kam, dass sie während der ganzen Zeit in Moordorf nicht mehr aus dem Keuschheitsgürtel herausgekommen war, sie fühlte sich unglaublich schmuddelig. In einem günstigen Augenblick fragte sie die Aufseherin, ob sie die alte Zinkwanne, die dort in einer Hütte stand, nicht am Sonntag, dem einzigen freien Tag in der Woche, als Badewanne gebrauchen dürften. „Macht am Sonntag, was ihr wollt, solange ich keine Arbeit damit habe, ist mir das egal.“ Als die Mädchen am Abend in der Hütte zusammensaßen, erzählte Anja ihnen von dem Gespräch. Die Mädchen waren begeistert, sich endlich wieder einmal baden zu können kam ihnen vor wie ein Hauptgewinn in einer Lotterie. Ja, der nächste Sonntag war wohl für alle der schönste Tag, seitdem sie in Moordorf waren, gemeinschaftlich machten sie das Wasser heiß und füllten die Wanne. Anja durfte sich als erste baden, am liebsten wäre sie den ganzen Tag in der Wanne liegengeblieben, doch nach 15 Minuten war die nächste dran. Trotzdem fühlte sie sich herrlich, endlich einmal wieder rundherum sauber zu sein war ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Anfang März machte Anja der Bültena den Vorschlag, ob es nicht möglich wäre, einen Gemüsegarten anzulegen, außerdem wäre es doch nicht verkehrt, Hühner und Kaninchen zu züchten, so hätte die
Aufseherin doch öfter mal ein ordentliches Stück Fleisch auf dem Teller. Die Bültena, die normalerweise gegen jede Neuerung war, überlegte ein paar Tage und gab dann ihre Zustimmung, allerdings hätten die Gefangenen die Arbeit mit dem Garten zusätzlich zum Torfabbau zu übernehmen. Der Garten wurde tatsächlich angelegt, es wurde nicht nur Grün- Weiß- und Rotkohl angepflanzt, die Bültena besorgte alles, was für den Anbau für andere Gemüse, Salat und Kräutern notwendig war. Auch Hühner und Kaninchen wurden besorgt, außerdem Fallen aufgestellt, um Wildkaninchen fangen zu können. Ein Ding hatte Anja aber bei aller Voraussicht vergessen: Die Kaninchen und Hühner mussten auch geschlachtet werden. Damit waren Anja und die anderen Gefangenen allerdings total überfordert, keine von ihnen hatte bisher ein Tier verletzt, geschweige denn geschlachtet. Doch Bültena blieb hart, und da es Anja gewesen war, von der die Idee mit der Tierhaltung stammte, blieb die Arbeit an ihr hängen. Schweren Herzens fing Anja ein Huhn ein, hielt es an den Beinen fest und legte es mit dem Kopf auf den Hauklotz, der vor der Hütte stand. In dem Moment, wo Anja dem Huhn mit einem Beil den Kopf abgeschlagen hatte, riss das Tier sich los und rannte ohne Kopf mehrmals um den Hauklotz herum. Das war der Moment, an dem Anja fast in Ohnmacht gefallen wäre, doch sie riss sich zusammen und blieb bei Bewusstsein. Endlich fiel das Huhn hin, zuckte noch ein paar mal, dann konnte Anja dem Huhn die Federn lesen und es ausnehmen. Am gleichen Tag wurde aus dem Huhn eine schmackhafte Hühnersuppe, die von allen hochgelobt wurde. Anja war das egal, ihr war der Appetit vergangen und sie verzichtete gern auf ihren Anteil. Ein Jahr war Anja nun schon hier, jeden Tag rechnete sie damit, endlich aus dem Moor herauszukommen, aber die Zeit zog und zog sich endlos hin. Im April wagte sie es, die Frau Bültena zu fragen, wann denn ihre Zeit im Lager vorbei wäre, sie sei doch jetzt schon weit über ein Jahr hier. Doch die Aufseherin zuckte nur mit den Achseln und meinte, dass das eine Entscheidung des Rates wäre, sie hätte keinen Einfluss darauf. In Wahrheit hatte Bültena, die Anja so lange wie möglich behalten wollte, dem Rat mitgeteilt, dass es für das Mädchen besser wäre, wenn sie noch einige Zeit im Lager verbringen würde, sie sei sich nicht sicher, ob das Mädchen nicht vielleicht immer noch Fluchtgedanken hätte. Bisher konnte der Rat dem Urteil der Aufseherin immer blind vertrauen, also wurde beschlossen, das Mädchen vorerst im Moorlager zu belassen. Anja, die von allem nichts wusste, kam so jedenfalls noch in den Genuss ihrer Gartenarbeit, denn als endlich an der Zeit war den Kohl zu ernten, war sie immer noch im Lager. Inzwischen waren zwei Neue dazugekommen, erst eins der anderen Mädchen war entlassen worden. Langsam bekam sie das Gefühl, für immer in das Moor verbannt zu sein, und manche Nacht lag sie auf ihrem Lager und weinte still vor sich hin.
Teil 53 Früh am nächsten Morgen, gerade als das Frühstücksgeschirr abgewaschen war, verließ die Tjalk den Hafen in Richtung Den Over, um dort durch die Schleuse auf das Ijsselmeer zu kommen. Monika hielt sich die meiste Zeit an Deck bei den Männern am Ruder auf, und als die Schleuse hinter ihnen lag, durfte sie unter Aufsicht das Ruder übernehmen. „Immer genau auf 162° halten, dann kommen wir auf direktem Weg nach Enkhuizen.
Zwar hatte sie erst Schwierigkeiten die Tjalk auf Kurs zu halten, doch mit der Zeit klappte es immer besser. Kurz vor der Schleuse in Enkhuizen, von der es aufs Markermeer gehen sollte, übernahm der Skipper wieder. Die Segel wurden eingeholt und kurze Zeit später konnte die Tjalk unter Motorenkraft in die Schleuse fahren. Erst als die regelrecht vollgestopft war, wurde das hintere Schleusentor geschlossen und der eigentlich Schleusungsvorgang begann. In der Schleuse lagen außerdem noch zwei Tjalken der braunen Flotte, ein Fischkutter und reichlich Sportboote. Viele von ihnen sahen verstohlen zu Monika herüber, die in ihrer altmodischen Kleidung (die Öljacke hatte sie inzwischen ausgezogen, da es in der Schleuse windgeschützt war) an Deck stand und sich das bunte Treiben ansah. Eine ziemlich große Segelyacht hatte direkt an der Backbordseite der Tjalk festgemacht, die drei Frauen, die dort an Deck in Monikas unmittelbarer Nähe standen, sahen sie an und fingen an zu tuscheln. Monika, die sich denken konnte, dass gerade über sie hergezogen wurde, lächelte die Frauen freundlich an. Nun war gerade in diesem Moment das vordere Schleusentor geöffnet worden, eine Windbö fegte in die Schleuse hinein und ließ Monikas weiten Rock hochfliegen. Für einen kurzen Augenblick konnten die drei Frauen das Metall des Keuschheitsgürtels sehen, fassungslos starrten sie Monika an. Die aber winkte ihnen nur fröhlich zu und ging zur Seite, um nicht im Weg zu stehen, als die Yacht losgeworfen wurde. Zu gerne hätte sie das Gespräch der drei Frauen verfolgt, was dachten die wohl von einer jungen Frau, die ein Kleid trug, wie es vor 100 Jahren mal modern gewesen sein mochte, und dazu noch in einen Keuschheitsgürtel verschlossen war. Von Enkhuizen ging es weiter Richtung Amsterdam, dort ging es durch eine Schleuse in die Stadt hinein, quer durch Amsterdam hindurch und auf der anderen Seite wieder durch eine Schleuse in die Kanäle. Links und rechts der Kanäle standen schmucke Häuser oder auch große landwirtschaftliche Betriebe, mal war endlos freies Land, dann kam mal wieder eine kleine Ortschaft, in denen viele der Leute zu der Tjalk herüberwinkten. Nach einer Stunde Kanalfahrt drehten sie in einen kleineren Kanal ab, der nur ungefähr einen Kilometer lang war. Das Ende des Kanals war zu einem kleinen Hafen ausgebaut, in dem die Tjalk nun festmachte, das Ziel der Reise war erreicht. Offensichtlich waren sie schon erwartet worden, zwei in Tracht gekleidete Männer standen auf dem Steg, fingen die Leinen auf und belegten sie auf den Pollern. Der Skipper sprang sofort an Land, begrüßte die Beiden mit Handschlag und übergab ihnen einen Umschlag, den der Ältere der beiden einsteckte. Nachdem Monika sich von dem Skipper und der Crew verabschiedet hatte (nicht ohne das Versprechen zu geben, auf der Rückfahrt wieder einen „Monika-Spezial“ zu machen) ging auch sie jetzt an Land „Hartelijk welkom, sagten die Beiden zu ihr, zum Glück wusste sie, dass diese Worte „Herzlich willkommen“) bedeuteten. Sie antwortete in dem Platt, dass sie im Land der alten Dörfer gelernt hatte und stellte zur ihrer großen Freude fest, dass das gelernte Platt sehr viel Ähnlichkeit mit der holländischen Sprache hatte. Die Männer verstauten ihre Kiste in einer offenen Kutsche, Monika winkte noch einmal den Seeleuten zu, und schon ging es los, erst nur über weite Felder, dann kam aber auch bald die erste Ortschaft in Sicht. Langsam fuhren sie durch den Ort, jeder, der auf der Strasse war, rief ein paar Grußworte herüber, die ebenso lautstark wie fröhlich erwidert wurden. Die Männer nutzten die Fahrt, um Monika einiges über ihr Land zu erzählen, wollten aber auch vieles von ihr wissen und was es im Land der alten Dörfer Neues
gab. Die Zeit verging ihr wie im Flug, viel zu schnell wurde das nächste Dorf erreicht. Vor einem schönen Bauernhaus hielten sie an, während einer die Kiste ablud, führte der andere sie in die Küche hinein. Kaum hatten sie den Raum betreten, als eine Frau, die mit dem Gesicht zur Wand stand, sagte: „Na, da ist sie ja endlich.“ Diese Stimme kannte sie doch, so sehr konnte sie sich nicht irren, und als die Frau sich jetzt zu ihr umdrehte und sie lächelnd ansah, wäre Monika vor Überraschung fast ohnmächtig geworden: Diese Frau, die dort in der Küche stand, konnte niemals die Bäuerin sein, nein, das war vollkommen unmöglich!
Teil 54 Wie versteinert stand Monika in der Küche und starrte die Frau an: Vor ihr stand Swantje Wattjes, wie sie leibt und lebt, oder war es nur ihr Geist? Monika machte ein selten dummes Gesicht und sagte ganz verdattert: „Aber das kann doch nicht wahr sein, das glaub ich nicht.“ Die Frau ging auf Monika zu, nahm sie in den Arm und sagte: „Es ist sehr schön, die Adoptivtochter meiner Zwillingsschwester bei mir zu haben.“ „Sie hat nie davon gesprochen, dass sie eine Schwester hat, von einer Zwillingsschwester ganz zu schweigen, ich dachte einem Augenblick wirklich, ich würde ein Gespenst sehen.“ meinte Monika. „Nimm uns den kleinen Spaß man nicht übel, aber wir konnten es einfach nicht bleiben lassen. Doch nun sage ich dir erst mal ein herzliches Willkommen in unserem Haus, ich hoffe, dass du dich bei uns wohlfühlen wirst. Mein Name Liesbeth van de Meer, das hier ist meine älteste Tochter Wiebke, die Kleine daneben ist ihre Schwester Robine, die Männer wirst du erst später kennen lernen, die sind noch bei der Feldarbeit.“ Die beiden Männer, die sie hergebracht hatten, wurden zum Tee aufgefordert, und genau wie im Land der alten Dörfer wurde kräftig aufgetischt. Monika, die sich nützlich machen wollte, musste mit am Tisch Platz nehmen und sich bedienen lassen, was ihr aber überhaupt nicht gefiel. Während die Bäuerin sich mit den Männern unterhielt, sah Monika sich unauffällig in der Küche um. Alles war blitzblank und sauber, strahlte aber trotzdem eine behagliche Atmosphäre aus. Jetzt wurde auch Monika mit in das Gespräch mit einbezogen, zum zweiten Mal an diesem Tag erzählte sie die Neuigkeiten aus ihrem Land, und ihre Erlebnisse von der Fahrt hierher. Kurze Zeit später verabschiedeten die beiden Männer sich, nicht ohne der Bäuerin den ihnen vom Skipper übergebenen Umschlag auszuhändigen, nun konnte Monika erst mal einen Teil ihrer Kleiderkiste auspacken und verstauen. Anschließend zeigten die Mädchen ihr den Hof mit den Stallungen und Scheunen, die im Prinzip auch nicht anders aussahen wie bei Wattjes, doch zum Schluss kamen sie in ein kleines Gebäude, das innen sauber verfließt war. In der Mitte des Raumes stand ein großer Kessel, an den Seiten Arbeitstische und Regale, auf denen große, runde Käse lagen. „Nun sagt bloß, ihr stellt hier selbst Käse her?“ wollte Monika von Wiebke und Robine wissen. „Ja, neuerdings machen wir den Käse selbst, genauer gesagt unsere Mutter, und wir helfen ihr dabei.“ „Das würde mich auch mal interessieren,“ meinte Monika, „ob ich euch dabei wohl mal zusehen darf?“ „Zusehen bestimmt nicht, aber mitarbeiten schon.“ sagte die etwas vorlaute Robine. Nach dem Rundgang ging es zurück in die Küche, nun ließ Monika sich nicht mehr von der Arbeit abhalten. Sie ging in die Melkkammer und zog sich ihre Arbeitskleidung an, kurz darauf kamen auch der Bauer und sein Sohn von der Feldarbeit zurück. Als der Bauer die Küche betrat, machte Monika einen Knicks und sagte: „Guten Tag, Mijnheer van de Meer, mein Name ist Monika Wattjes, vielen Dank, dass
Sie mich in ihr Haus aufgenommen haben.“ „Du bist uns herzlich willkommen, fühl dich hier wie zu Hause. Das hier ist unser Sohn Pietje, der eines Tages mal den Hof übernehmen wird. Ich glaube, wir werden uns alle gut verstehen, oder was meinst du, mein Sohn.“ „Aber sicher, Vater, da haben sie bestimmt recht.“ (Auch heute noch sprechen die Kinder in Holland ihre Eltern mit „Sie“ an). Nach der Stallarbeit und dem Abendessen saßen sie alle um den Küchentisch herum und Monika musste vom Land der alten Dörfer und den Bewohnern erzählen. Auch sprach sie offen darüber, wie sie selbst als Kettenmädchen dahingekommen war, sich gegen Fesseln und Keuschheitsgürtel gewehrt hatte und der Schmiedemeisterfrau Düring fast den Schädel eingeschlagen hatte. Als daraufhin der Bauer meinte, dass es vielleicht besser wäre sie in der Nacht anzuketten, sah sie ihn mit erschrockenen Augen an, doch fing der gleich an zu Lachen und meinte, dass sie sich keine Sorgen machen brauche, sie hätten auch schon viel Gutes von ihr gehört, außerdem wäre sie ja nicht zur Bestrafung, sondern zur Bewährung bei ihnen. Wenig später lag Monika zusammen mit Wiebke und Robina in der Buzze, und obwohl sie noch viele Fragen an die Mädchen hatte, fielen ihr schnell die Augen zu.
Teil 55 Schnell gewöhnte Monika sich in ihr neues Zuhause ein, die Arbeiten waren in gleichen wie in Andersum, auch mit der Familie kam sie gut aus. Zwar wurde auch hier hart gearbeitet, doch irgendwie waren die Leute hier lockerer, es wurde viel gescherzt und gelacht. Extrem war allerdings die Frömmigkeit, nach dem Aufstehen, vor und nach dem Essen, vor dem Schlafengehen, gebetet wurde den ganzen Tag über, aber damit konnte sie leben. Aus dem Keuschheitsgürtel war sie bisher noch nicht herausgekommen, aber dass ging der ältesten Tochter der van de Meer auch nicht besser, auch sie trug die ganze Zeit über ihren Tugendwächter. Wiebke sah das ganz locker, sie meinte: „Höchstens noch drei Jahre, dann bin ich verheiratet, und dann hat sich das Thema mit dem Keuschheitsgürtel doch von selbst erledigt, worüber ich bestimmt nicht böse sein werde. „Na ja,“ gab Monika zurück, „ich habe aber auch schon gehört, dass es Ehemänner gibt, die ihren Frauen den Gürtel auch nach der Hochzeit weiterhin umlegen, vielleicht erwischt du ja gerade so einen.“ „Da bin ich selbst mit dabei, den Kerl möchte ich sehen, der mich nach der Hochzeit noch einmal in den verflixten Gürtel sperrt.“ Überhaupt hatte Monika den Eindruck, dass sich die Frauen in dieser Gemeinschaft besser durchsetzen konnten als in ihrem Dorf. Der Ton untereinander war zwar etwas rauer, aber durchaus herzlich, standen mehrere Frauen zusammen und ein junger Mann kam vorbei, musste der sich derbe Scherzworte gefallen lassen. „Deinen Ehemann musst du dir erziehen.“ wurde ihr gesagt, „und das musst du so langsam machen, dass er es überhaupt nicht merkt.“ „Die können gut reden.“ dachte Monika bei sich, nahm sich aber vor, die Augen offen zuhalten. Es gab einiges zu lernen, wie sie bald feststellte, ob es nun beim Backen oder Kochen war, auch im Garten wurde einiges anders gemacht, als sie es bisher kannte. Am interessantesten jedoch fand sie die Käserei, in der sie jede Woche mithelfen musste. Endlich war es wieder Samstag geworden, in dem großen Kessel der Käserei wurde Wasser heißgemacht und mit Eimern in einen kleinen Baderaum gebracht, in dem eine Wanne stand. Auch hier war der Badeablauf streng geregelt, als erstes badete die Bäuerin, dann der Bauer, danach kam der Sohn an die
Reihe. Da reichlich heißes Wasser vorhanden war, wurde die Wanne frisch gefüllt und als erste durfte dann die kleine Robine baden, dann erst war Wiebke an der Reihe. Zum Schluss war Monika dran, die schon in dem Baderaum war, als Wiebke noch in der Wanne saß. Während Wiebke aus der Wanne stieg und sich abtrocknete, zog Monika schon ihre Kleidung aus, wurde dann von der Bäuerin aufgeschlossen und konnte sich in die Wanne legen. Während sie sich einseifte, wurde die inzwischen trocken gerubbelte Wiebke von ihrer Mutter kräftig mit Salbe eingestrichen und bekam anschließend gleich wieder den gereinigten Keuschheitsgürtel umgelegt. Diese Prozedur blieb auch Monika nicht erspart, sie wurde genau wie die Tochter mehr als reichlich mit Salbe eingestrichen und auch gleich wieder verschlossen. Während die Bäuerin in die Küche zurückging, erkundigte Monika sich, ob sie denn die ganze Zeit über verschlossen sein würden, in ihrem Dorf würden die Mädchen, solange sie das Haus nicht verließen, auch mal vom dem Tugendwächter befreit werden. „Vor einem Jahr ist eines unserer Mädchen aus dem Dorf schwanger geworden,“ erzählte Wiebke ihr leise, „seitdem haben wir den Gürtel ständig zu tragen. Davor war es genau wie bei euch, im Haus durften wir die Gürtel weglassen, aber das ist erst mal vorbei.“ „Mir soll es egal sein,“ sagte Monika, „ich habe schon einen viel schwereren Keuschheitsgürtel tragen müssen, diesen merke ich schon bald nicht mehr.“ Das wollte Wiebke nun wieder ganz genau wissen, doch bevor Monika mit ihrer Geschichte noch richtig angefangen war, wurden sie schon wieder ins Haus gerufen, die Hausarbeit wartete auf sie. Am nächsten Tag ging es mit der Kutsche zum nächsten Dorf, um an dem Gottesdienst teilzunehmen. Auch hier gab es vor der Kirche einen großen Platz, auf dem sich die Leute versammelten. Es wurde zwar freundlich, doch mit einem gewissen sonntäglichen Ernst gegrüßt, kurz vor der vollen Stunde gingen alle mit gemessenem Schritt in das Gebäude hinein. Beim Betreten der Kirche schaute Monika sofort zu den hinteren Bänken, um zu sehen, ob es auch hier Kettenmädchen gab, aber sie sah weder Kettenmädchen noch Vorrichtungen an der Wand, an der die Mädchen hätten angeschlossen werden können. „Das finde ich sehr sympathisch, dass hier keine Mädchen in Ketten gehalten werden.“ dachte sie bei sich. Die Orgel setzte ein, die Gemeinde stimmte das erste Lied an, da war es Monika, als wenn sie Kettengeklirre hören würde. Das Geräusch wurde immer lauter, doch wagte sie es nicht nach hinten zu schauen, weil alle Anderen auch keine Notiz davon nahmen. Das Geräusch wurde immer lauter, nun konnte sie auch die Ursache dafür sehen.
Teil 56 Zwölf Mädchen waren es, die jetzt in die Kirche hineingeführt wurden, alle trugen Hand- und Fußfesseln sowie Halseisen, wie auch Monika sie getragen hatte. Alle waren mit den Führungsketten der Halseisen aneinander gekettet, so mussten sie in einer Reihe hintereinander laufen. Das Geklirre kam von den Fußketten, die sie alle zu tragen hatten, aber auch an den Handgelenken waren sie mit einer kurzen Kette, die durch den Ring des Halseisens lief, in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Sobald die letzte von ihnen im Kirchenschiff war, hatten sie sich hinzuknien, um dort die ellenlange Andacht über sich ergehen zu lassen. Während der ganzen Zeit hatten sie ihren Blick auf den Boden zu richten, auch war nicht ein Geräusch von ihnen zu hören. Aufstehen durften sie erst wieder, als der Gottesdienst vorbei war, sie wurden nach draußen geführt und in ein Gebäude gebracht. Nun trafen sich die Kirchenbesucher auf dem Dorfplatz, um Bekannte zu begrüßen und Neuigkeiten auszutauschen. Monika wurde an diesem Sonntag den Nachbarn vorgestellt und musste dem meisten ver-
sprechen, mal auf einen Besuch vorbeizukommen, was sie auch gerne versprach, denn die Leute machten alle einen sehr netten und gastfreundlichen Eindruck. Bei der Rückfahrt mit der Kutsche ließ Gerrit van de Meer die Pferde etwas schneller laufen als auf der Hinfahrt, was zur Folge hatte, dass die Kutsche mehr vibrierte und schaukelte. Wiebke und Monika genossen die Fahrt in vollen Zügen, herrlich war es, sich so durch das Schrittband des Keuschheitsgürtels an der bewussten Körperstelle massieren zu lassen, nur mussten sie sich beherrschen, um sich ihre Empfindungen nicht anmerken zu lassen. Nach dem Mittagessen schlenderten die beiden Mädchen noch etwas durch den Ort, Monika bekam bei der Gelegenheit erklärt, wer wo wohnt, wie viel Land und wie viel Vieh zu den einzelnen Gehöften gehörte. Auch andere Mädchen und Burschen waren unterwegs, es wurde gescherzt und geschäkert, was das Zeug hielt. Allerdings ahnte Monika zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie bei einigen Burschen einen tiefen Eindruck hinterlassen hatte, so mancher von den jungen Kerlen hätte sie gern etwas näher kennen gelernt, auch der Sohn der Familie van de Meer bildete da keine Ausnahme. So eine Frau wie die Monika wünschte er sich schon seit langem, und er nahm sich vor, ihr Herz zu erobern. Nur stellte er sich dabei derartig ungeschickt und auffällig an, dass die ganze Familie nach kurzer Zeit wusste, dass er sich in Monika verliebt hatte. Manche Nacht, wenn er in der Buzze lag, träumte er davon, neben Monika zu liegen und ihren Körper zu erforschen. Sein großes Pech war, zu oft und zu intensiv von ihr zu träumen, und da die Natur sich nicht aufhalten lässt, hatte er nun öfters mal weiße Flecken in der Unterwäsche. Das blieb seiner Mutter an den Waschtagen natürlich nicht verborgen, und sie hatte den Verdacht, dass er selbst Hand an sich legen würde. Als der Bauer davon erfuhr, war er ziemlich sauer, Selbstberührung war streng verboten, da mussten energische Schritte unternommen werden. So kam es, dass er mit seinem Sohn zum Schmied ging, der ihm einen Keuschheitsgürtel verpasste. Für den Schmied war das ein Kinderspiel, Taillengürtel hatte er immer auf Vorrat, und ein Schrittband war schnell nach den nötigen Massen angefertigt, auch eiserne Hüllen für den Freudenspender hatte er in verschiedenen Größen auf Lager. Nach noch nicht einmal zwei Stunden war Pietje keusch verschlossen, todunglücklich kehrte er mit seinem Vater nach Hause zurück. Allein schon der Weg zurück nach Haus war eine Strafe für sich, der Gürtel saß nach seiner Meinung viel zu eng und das Schrittblech scheuerte an seinen Schenkeln. Es war ihm nun unmöglich sein bestes Stück selbst zu berühren, der Schmied hatte ganze Arbeit geleistet. Auch fand er es unerträglich, ab sofort nur noch im Sitzen urinieren zu können, doch hatte dieser Keuschheitsgürtel noch eine weitere, unangenehme Überraschung für ihn bereit, die er am gleichen Abend noch kennen lernen sollte.
Teil 57 Es war zur Abendbrotzeit, alle saßen bereits an dem großen Küchentisch, als Monika merkte, dass sie vergessen hatte die Butter auf den Tisch zu stellen. Schnell stand sie auf und ging in die Speisekammer, holte den Steintopf mit der Butter. Sie wollte ihn in die Mitte des Tisches stellen, aber Pietje saß ihr etwas im Weg, also stütze sie sich mit einer Hand auf seiner Schulter ab und beugte sich über den Tisch, um die Butter abzustellen. Allein diese direkte Berührung ließ bei Pietje die Körpersäfte steigen, sein bestes Stück wollte schon wieder anschwellen, doch mit einem Mal bekam er genau dort wahnsinnige Schmerzen. Der Schmied hatte
wirklich ganze Arbeit geleistet, in die eiserne Hülle, die seinen Penis umschloss, hatte er spitze Dornen eingearbeitet, die jetzt von allen Seiten in seinen Freudenspender stachen. Der Bauer, der als einziger von den Dornen wusste, grinste schadenfroh und dachte, dass es wohl kein besseres Mittel geben könne, um einen Heißsporn im Zaum zu halten, während die Bäuerin ihren Sohn sorgenvoll ansah und ihn fragte, was ihm denn fehlen würde, er hätte so ein schmerzverzehrtes Gesicht gemacht. Es wäre alles in Ordnung, meinte Pietje, es wäre nur ein kleiner Krampf im Bein gewesen, nicht von Bedeutung. Auffällig aber war, dass er ab sofort etwas Abstand von Monika hielt, mit den plumpen Annährungsversuchen war es schlagartig vorbei. Das führte dazu, dass Monika sich fragte, was sie denn falsch gemacht hätte. Nachdem seine Veränderung schon über eine Woche angehalten hatte, legte sie ihm die Hand auf die Schulter und fragte, ob sie ihn irgendwie unwissentlich verletzt oder beleidigt hätte. Er machte sich aber sofort von ihr los und sagte mit schmerzverzerrtem Gesicht, das mit ihr alles in Ordnung wäre, es läge nur an diesen Krämpfen, die er ab und zu hätte, die würden ihn wohl etwas unleidlich machen. Es dauerte nicht lange, bis auch Wiebke und Monika über den Keuschheitsgürtel Bescheid wussten, zumindest wussten sie, dass er einen Gürtel trug, von den Dornen im Penisrohr mal abgesehen. Auf die Dauer lässt sich das Tragen eines Gürtels im Familienkreis nicht verbergen, vor allen Dingen nicht, wenn ein junger Mann, der sein Wasser abschlagen muss, jedes Mal auf den Abort geht, anstatt sich draußen an den Misthaufen zu stellen. Während Wiebke von ausgleichender Gerechtigkeit sprach, die von ihr aus ruhig für alle jungen Burschen eingeführt werden solle, bekam Monika Mitleid mit dem Verschlossenen und tat das einzig Falsche: Sie versuchte ihn zu trösten und legte den Arm um ihn. Das löste schon wieder einen Krampf aus, und nun war Monika fast am Verzweifeln, sie glaubte schon den bösen Blick oder ähnliches zu haben, die Krämpfe bekam Pietje immer nur in ihrer Nähe. Voller Sorge wandte sie sich an Liesbeth van de Meer, erzählte ihr ihre Befürchtungen. Doch die Bäuerin, die inzwischen auch von den Dornen wusste, erzählte Monika unter dem Siegel der Verschwiegenheit, was es mit den Krämpfen auf sich hätte. Monika, die den Keuschheitsgürtel für Männer so langsam auch als eine gerechte Sache ansah, wurde jetzt richtig neugierig und wollte wissen, wie so ein Gürtel für Männer genau aussehen würde, soviel sie wüsste, würde es so etwas im Land der alten Dörfer nicht geben. Die Bäuerin meinte, dass sie ihr das Teil am nächsten Badetag mal unauffällig zeigen wolle, Pietje müsse ja nicht unbedingt dahinterkommen, das wäre ihm bestimmt zu peinlich. Genau so wurde es gemacht, als sie Pietje am nächsten Badetag den Keuschheitsgürtel aufgeschlossen hatte und er ihn abgelegt hatte, nahm sie ihn unter dem Vorwand, die Salbe vergessen zu haben, mit aus der Badekammer heraus und zeigte ihn Monika, die dort schon auf sie wartete. Sie sah sich den Gürtel genau an, am meisten interessierte sie die Penishülle. Probeweise steckte sie mal einen Finger hinein und fühlte die Dornen. Die wären aber gewaltig spitz, meinte sie zur Bäuerin, nun könne sie auch verstehen, dass er immer Krämpfe bekommen hätte. Das mache überhaupt nichts, gab die zurück, das bewirke jedenfalls, dass er sich jetzt den Frauen und Mädchen gegenüber so benehme, wie es sich gehören würde. Die spitzen Dornen seien übrigens eine Idee der Schmiedemeisterfrau gewesen, erzählte die Bäuerin, es sei noch nicht lange her, dass der Sohn der Schmiedeleute den Mädchen über die Maßen nachtgestellt hätte, doch jetzt lebte er nicht nur keusch, nein, sogar die unkeuschen Gedanken wären ihm im Laufe der Zeit vergangen, und nun sei er im Umgang mit der Weiblichkeit zahm und ordentlich. Während Liesbeth den Keuschheitsgürtel in die Badekammer brachte, ging Monika in die Küche zurück
um ihre Arbeit zu erledigen. Wiebke merkte schnell, dass Monika in Gedanken ganz woanders war und fragte, an was sie denken würde. „Mich lässt der Gedanke an diesen Keuschheitsgürtel für Männer nicht mehr los, das ist wirklich ein optimales Erziehungsmittel, damit macht sich eine Frau jeden Mann gefügig, vorausgesetzt, sie schafft es aus irgendeinem Grund, ihn in einen Gürtel zu verschließen.“ „Na also,“ lachte Wiebke, „das Thema hatten wir doch schon mal: Einen Mann musst du dir erziehen, jetzt scheinst du es kapiert zu haben.“
Teil 58 Nachdem die Weiden das erste Mal gemäht worden waren, wurden die Kühe aus dem Stall geholt und auf die Weide verbracht. Nun kam der gleiche Ablauf wie immer: Stall reinigen, Mist fahren, Heu einfahren, usw., es wurde von Morgen bis Abends geschuftet. Nebenbei hatte Monika sich mir der Käserei zu beschäftigen, was ihr allerdings auch großen Spaß machte. Fast jeden Sonntag war Monika bei einer anderen Familie zu Besuch, sie war gleich zu Anfang von vielen Familien eingeladen worden. Unter anderem besuchte sie eines Tages auch die Schmiedeleute des Ortes und es dauerte nicht lange, bis das Gespräch auf die Keuschheitsgürtel kam, insbesondere auf die Gürtel für Männer. Monika erzählte den Schmiedeleuten, dass Keuschheitsgürtel für Männer im Land der alten Dörfer völlig unbekannt wären, doch sie würde zu Hause bestimmt davon berichten. Es wurde in Holland zwar genau so hart gearbeitet wie im Land der alten Dörfer, doch irgendwie schafften es die Leute, es gemütlicher angehen zu lassen. Auch wurde durchaus mal ein Genever (Spirituose in Holland) getrunken, aber immer mit Maß und Ziel. Schnell vergingen die Wochen und Monate der Bewährungszeit, an einem Septembertag kam überraschend das Schreiben, dass Monika wieder in das Land der alten Dörfer zurückfahren solle, der genaue Termin würde noch mitgeteilt werden, doch innerhalb der nächsten Wochen wäre es soweit. Immerhin hatte sie, als es nun Anfang Oktober auf die Rückreise ging, ihr halbes Jahr Bewährungszeit voll machen können. Einen Tag vor der Abreise, ihre Kiste war schon gepackt, kam noch Besuch auf den Hof: Die Frau des Schmieds machte ihre Aufwartung und gab Monika ein großes Paket, dass sie der Schmiedefrau Düring in Andersum mit schönen Grüssen von ihr überbringen solle. Früh am Morgen wurde sie mit der Kutsche abgeholt, ihre Kiste, das Paket und ein Riesenfresskorb, den Familie van de Meer ihr eingepackt hatte, wurden in die Kutsche verladen. Herzlich verabschiedete sich Monika von allen, bedankte sich für die gute Zeit, die sie bei der Familie und in diesem Land gehabt hatte. Zum Abschluss wurde sie von der ganzen Familie noch einmal in den Arm genommen. Auch Pietje bildete da keine Ausnahme, er nahm sie vorsichtig in den Arm, ohne sie dabei groß zu berühren. Doch Monika meinte zu ihm, dass es ihr wirklich leid täte, dass er wegen ihr nun im Keuschheitsgürtel stekken würde und gab ihm einen dicken Kuss auf den Mund. Pietje war zu einer vernünftigen Antwort nicht mehr fähig, er gab nur ein jammervolles: „ Uuuuhhuuu, auaaua, huuuhuuu“ von sich. „Hast du schon wieder einen Krampf?“ wollte Monika ganz unschuldig von ihm wissen, während die Familie sich vor Lachen nicht mehr halten konnte und der arme Pietje mit hochrotem Kopf dastand. Als sie in der Kutsche saß, rief sie noch einmal: „Vielen Dank für alles, ich werde euch nie vergessen.“ Während die Kutsche anfuhr und alles am Winken war, dachte Pietje bei sich: „Dich werde ich auch nicht vergessen, das war ja nicht zum Aushalten.“ Sobald das Gefährt außer Sicht war, ging Pietje zu seiner Mutter und bat um den Schlüssel für den Keuschheitsgürtel. Im ersten Reflex griff Frau van de Meer in die Schürzentasche, zog dann die Hand aber wieder hervor, ohne den Schlüssel herausgenommen zu haben. „Was willst du denn mit dem Schlüssel?“ fragte sie ihn.
„Na, was wohl? Ich will so schnell wie möglich aus diesem Marterinstrument heraus, was denkt Ihr denn?“ Mit dominanten Blick, doch nicht ohne ein leicht hintergründiges Lächeln auf den Lippen, sagte sie zu ihm: „Nein, du bekommst den Schlüssel nicht, jetzt, wo du gerade gelernt hast, dich uns Frauen gegenüber rücksichtsvoll und höflich zu verhalten, wäre es doch geradezu ein Fehler, dich wieder in alte Gewohnheiten zurückfallen zu lassen.“ „Mutter,“ rief Pietje ganz entsetzt, „das könnt Ihr doch nicht im Ernst meinen.“ Frau van de Meer sah ihre Töchter an und sagte: „Was meint ihr Beiden, soll ich ihn aufschließen oder wollt ihr weiterhin einen wohlerzogenen Bruder haben?“ Wiebke ergriff sofort das Wort: „Ich bin doch auch die ganze Zeit verschlossen, da ist es doch nicht mehr als gerecht, wenn auch Pietje einen Keuschheitsgürtel trägt, gleiches Recht für alle! Dazu kommt, dass er, seitdem er den Gürtel trägt, wirklich sehr nett und lieb geworden ist, warum soll das nicht so bleiben?“ „Pietje soll so bleiben, wie er jetzt ist.“ rief auch die kleine Robine, und somit war sein Schicksal besiegelt. „Wie lange soll ich denn noch eingeschlossen bleiben?“ wollte er von seiner Mutter wissen. „Das liegt ganz an dir,“ meinte sie, „je eher du heiratest, um so ehr kann ich den Schlüssel deiner zukünftigen Frau übergeben.“ Während Pietje wie ein geprügelter Hund seiner Arbeit nachging, fuhr die Kutsche in Richtung Hafen. Monika unterhielt sich mit den beiden Männern in einem fehlerfreien, fließendem friesischen Plattdeutsch, wieder hatten sie viel Spaß während der Fahrt. Dann kam auf schon die Tjalk in Sicht, die in dem kleinen Hafen am Steg festgemacht hatte. Monika sprang aus der Kutsche und lief auf das Schiff, um die Mannschaft zu begrüßen, die sich sehr freute sie wiederzusehen. Schnell waren ihre Sachen an Bord verstaut, die Kutscher nahmen noch einen Postsack in Empfang und verabschiedeten sich, allerdings nicht ohne vorher der Besatzung des Schiffes noch 2 Flaschen Genever zuzustecken, natürlich nur aus medizinischen Gründen, wie ihr erklärt wurde. Kurz darauf legten sie unter Maschinenkraft ab und fuhren über die Kanäle Richtung Amsterdam, dort wieder mitten durch die Stadt und hielten auf dem Markermeer Kurs Richtung Enkhuisen, von dort aus ging des durch die Schleuse auf das Ijsselmeer zu gelangen. Von dort aus ging es nach Makkum, wo sie die Nacht verbrachten. Die Abfahrt am nächsten Morgen verzögerte sich, da noch auf drei Passagiere gewartet werden musste. Mit einer Stunde Verspätung kamen sie endlich an, der eine Passagier war Monika bestens bekannt, doch die beiden Anderen kannte sie nicht, obwohl sie schon eine Ahnung beschlich, was diese Leute an Bord wollten.
Teil 59 Bei den drei Passagieren handelte es sich um Advokat Meyerdirks, einem elegant gekleideten Herrn und um ein junges Mädchen zwischen 18 und 20 Jahren, die in knallenge Jeans und ebenso enge Lederjacke gekleidet war. Die Haare hatte sie sich entweder eingesprayt oder lange nicht gewaschen, abgerundet wurde ihr Outfit durch mehrere Pircings und einem Nasenring. Meyerdirks kam als erster an Bord, begrüßte jeden der Mannschaft mit Handschlag und gab auch Monika die Hand. „Nun, meine liebe Monika, dich auf deiner Heimreise begleiten zu können freut mich außerordentlich, in der Tat, außerordentlich.“ „Vielen Dank, Herr Meyerdirks,“ gab Monika zur Antwort und machte einen Knicks, „auch ich bin sehr froh, dass sie an Bord sind, wenn sie nachher etwas Zeit haben sollten, würde ich mich gerne mit ihnen unterhalten.“ „Das werden wir einrichten können, doch erst muss ich mich um unsere Gäste kümmern.“
Auch der Herr und das Mädchen waren inzwischen an Bord, die Tjalk hatte abgelegt und fuhr Richtung Abschlussdeich auf die Schleuse Kornwerderzand zu. Während Meyerdirks mit seinen Gästen in der Messe saß, leistete Monika den Männern an Deck Gesellschaft. Nach einer halben Stunde war die Schleuse erreicht, die Tjalk brauchte nicht warten und konnte sofort in die Schleusenkammer einfahren. Kaum war das Schleusentor geschlossen, als einer der Besatzung aus einer Kiste eine Kette und zwei Vorhängeschlösser holte und damit in Richtung Messe ging. Als das Schleusentor geöffnet wurde, kam der Herr aus der Messe und ging an Land, während man von unten wütendes Geschimpfe hören konnte. Kurz darauf war das Besatzungsmitglied wieder an Deck, schüttelte mit dem Kopf und meinte: „Was für eine Wildkatze, mit der wird man noch viel Freude haben, ich bin jetzt schon froh, wenn wir sie heute Nachmittag an Land bringen.“ Wenig später kam auch Meyerdirks an Deck, sichtlich genervt von der Unterhaltung mit der jungen Dame. „Dieses Mädchen ist ein schwieriger Fall,“ meinte er, „sie ist störrisch und uneinsichtig, aber wir werden schon mit ihr fertig werden.“ Der Advokat ließ sich einige Minuten den frischen Seewind um die Nase wehen und meinte dann zu Monika: „Nun, mein liebes Kind, du wolltest dich mit mir unterhalten, was hast du auf dem Herzen?“ Doch Monika, die den Anwalt inzwischen gut kannte, sagte zu ihm: „Wenn es ihnen recht ist, würde ich die Unterhaltung lieber auf später verschieben, ich wollte mich gerade um das Mittagessen kümmern.“ „Nun,“ meinte Meyerdirks, „ich muss zugeben, ein kleines Häppchen könnte ich auch vertragen, ich verspüre doch etwas Appetit, in der Tat, etwas Appetit.“ „Möchten sie wirklich nur ein kleines Häppchen anstatt einer richtigen Mahlzeit?“ fragte Monika ihn mit einem unschuldigem Blick. Die Besatzung, die das Gespräch mitbekam, grinste über beide Ohren, war Meyerdirks für seinen Riesenhunger doch überall bekannt. Der Anwalt sah sich in die Enge getrieben, bekam mit, dass die Männer an Deck ihn grinsend ansahen und meinte: „Nun, ich möchte keine Extrawurst gebraten haben, ich nehme die gleiche Portion wie alle anderen auch.“ „Aber gern, Herr Meyerdirks, ganz wie sie wünschen, ihr Wunsch ist mir Befehl.“ lächelte Monika ihn an und ging nach unten in die Kombüse. Wieder einmal war Meyerdirks ratlos: Hatte dieses Mädchen ihn nun veralbert oder nicht? Ja, ja, diese Monika war schon ein höchst bemerkenswertes Mädchen, höchst bemerkenswert. Das „höchst bemerkenswerte Mädchen“ brauchte nicht darüber nachzudenken, was es den Männern zu Essen machen sollte, selbstverständlich würde es wieder einen „Monika-Spezial“ geben, doch diesmal mit frischem Weißbrot, saftigem Kochschinken und einem jungem Käse. Sie setzte den Wasserkessel auf und ging in die Messe, um nach dem Mädchen zu sehen. Wie sie es sich schon gedacht hatte, war die Neue mit einer Kette um den Hals angeschlossen worden. Monika war noch nicht ganz im Raum, als die Neue schon anfing sie anzuschreien: „Was wollt ihr Idioten von mir, habt ihr den Verstand verloren? Du machst mir jetzt sofort die Kette ab, oder ich zeige dich genauso an wie die anderen Volltrottel auf diesem Holzeimer.“ „Du solltest dich lieber beruhigen und dich vernünftig benehmen, sonst bekommst du nicht nur hier an Bord, sondern auch später an Land fürchterlichen Ärger. Es bleibt dir sowieso nichts anders übrig als dich zu fügen, und es liegt nur an dir selbst, wie man dich behandeln wird, also sei friedlich. Ich bin auch nicht gekommen, um mich von dir beschimpfen zu lassen, sondern um zu fragen, ob du etwas essen möchtest.“ „Du kannst dir dein verdammtes Essen sonst irgendwo hinschieben, ich will nur von diesem Kahn runter, und sonst nichts.“ „Na gut,“ sagte Monika, „wer nicht will, der hat schon und ging in die Kombüse zurück. Als sie wenig später in die Messe zurück kam, um schon mal Bestecke und Mucken auf den Tisch zu
stellen, war einer der Matrosen gerade dabei, die Neue an der Kette den Niedergang heraufzuführen, um sie an Deck wieder anzuketten. Als die ersten Zwei der Besatzung zum Essen in die Messe kamen, fragte sie, warum das Mädchen jetzt an Deck angeschlossen wäre. „Wir wollen doch in Ruhe essen, und uns von der Göre nicht stören lassen, außerdem könnte sie ein Messer von Tisch nehmen und damit Blödsinn anstellen, nee, die ist da oben gut untergebracht.“ Monika ging zurück in die Kombüse und machte die nächsten zwei Essen fertig, erst als die Besatzung versorgt war, kam auch Meyerdirks in die Messe. Für den Anwalt machte sie eine Riesenportion, während sie für sich selbst nicht viel mehr als einen Kinderteller machte. Der Anwalt war begeistert von dem „Monika-Spezial“, er ließ auch nicht einen Krümel über. Erst als Monika den Tisch abgeräumt und noch einmal Tee nachgeschenkt hatte, kam sie auf ihr Anliegen zu sprechen: Sie erzählte von ihrer Zeit in Holland, was sie dort erlebt und gelernt hatte. Der Anwalt hörte interessiert zu, und als Monika geendet hatte meinte er: „Dir scheint es richtig gut gefallen zu haben, aber ich habe das Gefühl, dass du mir der Schilderung deiner Erlebnisse etwas Bestimmtes sagen wolltest.“ „Ja, Herr Advokat Meyerdirks, genauso ist es, ich habe nämlich eine Idee.“ „Oh grundgütiger Gott.“ stöhnte Meyerdirks, der mit den Ideen von Monika erfahrungsgemäß immer Arbeit hatte. Doch Monika ließ sich nicht beirren und unterbreitete dem Anwalt ihren Plan.
Teil 60 Lang und ausführlich erklärte Monika dem Anwalt ihre Absicht: Sie wollte im Land der alten Dörfer eine Käserei aufbauen. Die Kosten für das Gebäude sowie für die Einrichtung wollte sie selbst übernehmen, Meyerdirks sollte die Sachen besorgen, aber vor allen Dingen musste sie das Einverständnis des Rates haben, von ihrem zukünftigen Ehemann und dessen Eltern ganz zu schweigen. Wenn Meyerdirks der Sache am Anfang auch etwas skeptisch gegenüberstand, so erwärmte er sich nun mehr und mehr, die Sache mache Sinn, meinte er. Es würde zumindest einen Teil der doch recht aufwendigen Transportkosten für die Milch einsparen, zudem wäre für einen guten Käse auch ein guter Preis zu erzielen. Über eine Stunde lang hatten die beiden sich unterhalten, da kam einer der Matrosen mit dem neuen Mädchen im Schlepptau in die Messe, um sie dort bei der Bank wieder anzuketten. „Tut mir leid, dass ich stören muss, doch der Wind frischt auf und darum muss das Mädchen vom Deck weggebracht werden.“ sagte er entschuldigend. „Das macht nichts,“ gab Meyerdirks zurück,“ wir hatten unsere Unterhaltung gerade beendet.“ Während der Matrose und der Anwalt wieder an Deck gingen, kümmerte sich Monika um die Neue: „Möchtest du jetzt vielleicht eine Muck Tee trinken?“ fragte sie. Doch die sah sie nur mit giftigem Blick an und schwieg. „Nun sei doch nicht so störrisch, es hilft dir doch alles nichts, für mindestens ein Jahr lang hast du dich unterzuordnen, und je eher du dich einfügst, um so schneller hast du es auch überstanden. Aber jetzt werde ich dir doch erst einmal eine heiße Muck Tee bringen, du zitterst ja vor Kälte.“ Die Neue sagte nichts, doch Monika ging in die Kombüse, schenkte eine Muck Tee ein und brachte die Henkeltasse zu dem angekettetem Mädchen. „Trink den Tee, er wird dir gut tun,“ sagte sie zu ihr und ging zurück in die Schiffsküche, um den Rest Geschirr abzuwaschen und aufzuräumen. Als sie nach einer Weile in die Messe zurückkam, fand sie die Henkeltasse zerschlagen am Boden liegen.
„Warum hast du das gemacht, ich habe es doch nur gut gemeint mit dir.“ Doch die Neue riss an ihrer Kette und schrie sie an: „Ihr seid doch alle bescheuert hier, so etwas wie hier kann es nur in einem Horrorfilm geben, aber doch nicht in der Wirklichkeit. Ich will sofort von diesem Scheißschiff runter, ich zeig euch alle an.“ Monika sagte nichts, holte einen Besen und ein Kehrblech und fegte die Scherben zusammen. Als sie dann auch den verschütteten Tee aufgewischt und den Eimer und Feudel wieder zurückgebracht hatte, setzte sie sich neben das neue Mädchen hin. „Pass gut auf, Mädchen, ich werde dir jetzt einmal etwas erzählen.“ „Ich habe einen Namen, du blöde Kuh, hör auf mich mit „Mädchen“ anzusprechen, das kann ich auf den Tod nicht ab.“ „Dein Name wird für mindestens 10 Monate einfach nur „Mädchen“ sein,“ erklärte Monika ihr ganz sanft, „du wirst in ein Land gebracht, in dem sich jemand, der mit seinem Namen angesprochen werden möchte, diese Ehre erst verdienen muss. Außerdem kannst du dich gleich daran gewöhnen, mich mit Jungfer Wattjes anzusprechen, sonst könntest du alleine schon dadurch Ärger bekommen.“ „Ich lach mich tot, „Jungfer Wattjes“ soll ich zu dir sagen, du hast sie doch nicht mehr alle im Gehirnkasten.“ „Für dich bin ich Jungfer Wattjes, und du hast mich zu Siezen, halte dich daran, denn dort wo du jetzt hinkommst, lernt man gutes Benehmen notfalls auch durch die Peitsche.“ „Das glaube ich jetzt nicht, willst du im Ernst behaupten, jemand würde mit einer Peitsch auf mich losgehen?“ Monika stand auf, sah ihr fest in die Augen und verpasste ihr eine deftige Ohrfeige. Das Mädchen schrie überrascht auf, doch Monika sagte ruhig: „Habe ich dir nicht gerade eben erklärt, wie du mich anzusprechen hast?“ „Du hast kein Recht mich zu schlagen, was fällt dir eigentlich ein?“ rief sie wutentbrannt, doch im gleichen Augenblick hatte sie sich die zweite Ohrfeige eingefangen. „Wir können von mir aus gerne so weitermachen,“ meinte Monika, „doch wenn meine Hände anfangen weh zu tun, rufe ich die Mannschaft, die dich an den Mast binden und dann auspeitschen wird.“ Die Neue sah sie mit großen Augen an und begriff ganz langsam, dass es wohl besser wäre sich zu fügen, diese Jungfer Wattjes würde ihre Worte wahr machen und sie tatsächlich an den Mast binden lassen. „Soll ich dir mal was erzählen, Mädchen? Wenn du dich fügst, tust, was man dir sagt, und wenn du dich wirklich ordentlich und anständig benimmst, hast du nichts zu befürchten. Es muss jetzt ungefähr zwei Jahre her sein, da war ich, genau wie du jetzt, hier in der Messe an der gleichen Stelle angekettet, und ich habe mich genau so gewehrt wie du.“ „Das kann ich mir gar nicht vorstellen, Jungfer Wattjes, können Sie mir noch mehr darüber erzählen?“ fragte die Neue, die jetzt überhaupt nicht mehr wusste, was sie von der ganzen Sache halten sollte. Advokat Meyerdirks, der inzwischen wieder in die Messe gehen wollte, dann aber dem Gespräch vom Niedergang her zugehört hatte, dachte mal wieder bei sich: „Diese Monika ist in der Tat eine außergewöhnliche junge Frau, in der Tat, außergewöhnlich! Wenn wir in zwei Stunden die Tjalk verlassen, hat sich die Neue schon mit ihrem Schicksal abgefunden.“ Damit hätte er vielleicht auch Recht gehabt, nur trat auf einmal ein Riesenproblem auf, mit dem keiner gerechnet hatte.
Teil 61 Laute Kommandos waren auf einmal auf dem Deck zu hören: Segel einholen, Sturmsegel setzen, Bullaugen verschalen, usw., auf Monika kapierte schnell, was da auf sie zukommen würde und verstaute alle beweglichen Gegenstände in Kisten und Schubladen.
Einer der Matrosen kam nach unten, ging kurz in die Kombüse und in die Messe, sah, dass alle losen Gegenstände sicher verstaut waren, brummte Monika ein: „Gut gemacht.“ zu und befreite die Neue von ihrer Kette. Meyerdirks, der jetzt auch in der Messe war, meinte: „Ich würde die Kette nicht losnehmen, das Mädchen könnte uns Ärger machen.“ „Kann sein,“ gab der Matrose zurück, „aber wenn ich sie angekettet lasse, hat sie überhaupt keine Überlebenschance, wenn wir absaufen sollten.“ „Sieht es denn wirklich so schlimm aus?“ wollte der Anwalt wissen. „Na ja, unsere Tjalk ist ein Plattbodenschiff, und ist nicht für Sturmfahrten auf offener See gebaut worden, aus diesem Grund müssen wir mit allem rechnen.“ Er wollte den Sachverhalt noch weiter erklären, doch in dem Moment holte das Schiff gewaltig nach Steuerbord über. „Ich muss zurück an Deck, ihr drei bleibt hier unten, sollte es zum Äußersten kommen, sage ich von selbst Bescheid.“ Scheinbar hatte der Skipper die Tjalk in den Wind gedreht, nun schwankte sie zwar nicht mehr, schlug mit dem Bug aber so hart in die Wellen, dass das ganze Schiff zitterte. Selbst Meyerdirks schien sich nicht mehr wohl zufühlen, ständig wischte er sich den Schweiß von der Stirn, aber noch wesentlich schlechter erging es aber der Neuen, die langsam, aber sicher, eine grau-grüne Gesichtsfarbe bekam. In weiser Voraussicht holte Monika einen Eimer aus der Kombüse und stellte ihn unter den Tisch in der Messe, keine Minute zu früh, wie sich schnell herausstellen sollte, denn nach dem nächsten Heben und Senken des Schiffsbugs in der kochenden See ließ die Neue sich auf den Boden sinken, hielt den Kopf über den Eimer und brachte Neptun ihre Opfergaben dar. Nun fing auch noch Anwalt Meyerdirks an, seltsame Geräusche von sich zu geben, scheinbar schien auch er seekrank zu werden. Aber das war ja auch kein Wunder, frische Luft kam nicht mehr in die Messe hinein, dafür wurden der Geruch von Dieselöl, abgestandenem Wasser in der Bilge (tiefster Punkt in einem Schiff) und dem Erbrochenem immer intensiver. Trotz des starken Seegangs turnte Monika noch einmal in die Kombüse, um auch für den Anwalt einen Eimer zu holen. „Das wäre nicht notwendig gewesen, meine liebe Monika, ich stamme von einer alten Seefahrerfamilie ab, bin also absolut seefest, in der Tat, absolut seefest.“ tönte er noch, bevor auch er Sekunden später über dem Eimer hing. Bis Mitternacht hielt der Sturm am, erst dann flaute es etwas ab, die See wurde etwas ruhiger. Nun wurde auch die Luke zum Niedergang wieder geöffnet und frische Luft strömte in das Innere des Schiffes. Ein Matrose kam in die Messe, fragte ob alles in Ordnung wäre, nahm die beiden Eimer und nahm sie mit an Deck, um sie dort zu entleeren und zu reinigen. Als er die gereinigten Eimer zurückbrachte erzählte er, dass die Tjalk sich kurz vor Helgoland befinden würde und sie in weniger als einer Stunde dort im Hafen festmachen würden. Diese Auskunft ließ Meyerdirks nachdenklich werden: „Ich hoffe, wir werden wegen dem neuen Mädchen im Hafen von Helgoland keine Unannehmlichkeiten bekommen, wahrscheinlich kommt doch der Zoll an Bord und wird Fragen stellen.“ „Keine Ahnung,“ sagte der Matrose, „dafür ist unser Skipper zuständig, der wird das schon regeln.“ und ging wieder an Deck. Auch Meyerdirks und die beiden Mädchen brauchten frische Luft und gingen ebenfalls nach oben. Während Meyerdirks nach achtern zum Steuerstand ging, zog es die Mädchen zum Bug, um einen Blick von Helgoland zu erhaschen. Sie waren noch nicht mal vorne angelangt, als sie vom Skipper zurückgerufen wurden: „Sofort weg vom Vorschiff, das ist im Moment noch zu gefährlich.“ Im gleichen Augenblick wurde das Vorschiff der Tjalk von einer hohen Welle emporgehoben, um Sekunden später in ein Wellental einzutauchen. Beide Mädchen wurden durch die Welle, die daraufhin das Deck überspülte, von den Füßen gerissen und nahmen in dem eisigen Wasser ein Vollbad. Sofort kamen zwei der Matrosen zum Vorschiff gelaufen, packten die Beiden und brachten sie unter
Deck. „Das habt ihr von eurer Neugier,“ meinte der Eine, „nun seid ihr nass wie die Katzen, zieht euch lieber sofort trockene Sachen an.“ und verschwand mit seinem Macker wieder an Deck. Monika fackelte nicht lange, ging zur ihrer Kiste, die in einer Ecke der Messe festgelascht war und holte für die Neue und für sich trockene Kleider und Handtücher heraus. „Los,“ sagte Monika, „worauf wartest du noch, runter mit den nassen Sachen.“ Die Neue zögerte erst, doch da ihr fürchterlich kalt war und auch Monika sich jetzt auszog, legte auch sie ihre nassen Kleidungsstücke ab. Sobald Monika sich ganz ausgezogen hatte, rubbelte sie sich mit dem Handtuch trocken, während die Neue wie versteinert dastand und sie ansah. „Was ist los mit dir, warum sieht du mich so seltsam an?“ wollte sie wissen. „Spinn ich jetzt, oder tragen sie wirklich einen Keuschheitsgürtel, und was bedeutet dieser Reif um ihrem Hals?“ fragte sie ganz verdattert. „Natürlich trage ich einen Keuschheitsgürtel, schließlich bin ich noch nicht verheiratet, und dieser Halsreif ist ein Geschenk, auf das ich sehr stolz bin, doch nun sieh zu, dass du dich endlich ausziehst.“ Während Monika sich schon wieder anzog, rubbelte die Neue sich noch trocken und zog anschließend das Kleid an, dass ihr hingelegt worden war. „In den Klamotten kann ich mich doch nicht auf Helgoland sehen lassen.“ jammerte sie. „Darüber mach dir mal keine Gedanken, ich glaube nicht, dass du viel von Helgoland sehen wirst.“ bekam sie von Monika Bescheid, „außerdem wirst du während des nächsten Jahres Kleider tragen, die deinem anspruchvollem Geschmack noch weniger gefallen werden. Kurz darauf kam einer der Matrosen in die Messe, ging zum Tisch und winkte die Neue zu sich heran. „Komm her, Mädchen, es ist wieder Zeit für die Kette.“ Doch die dachte nicht daran, sich wieder wie einen Hofhund anleinen zu lassen, blickte zur Messetür und wollte an Deck flüchten, doch hatte sie in diesem Moment nicht mit Monika gerechnet, die durch die harte Arbeit richtige Muskeln bekommen hatte. Die griff sich den rechten Arm der Flüchtenden, drehte ihn auf den Rücken und führte sie so zu dem Messetisch hin, wo der Matrose ihr die Kette wieder um den Hals legte und verschloss. „Wo wolltest du denn hin, vielleicht in die Nordsee springen, du verrücktes Huhn?“ fragte der Matrose und ging lachend wieder an Deck, während das Mädchen wütend an der Kette riss. „An deiner Stelle würde ich mich ganz schnell beruhigen, ich habe dir doch schon erzählt, dass es keine Flucht gibt, und ein weiteres Auflehnen gegen das, was auf dich zukommen wird, hat nur Nachteile für dich.“ Seufzend ließ das Mädchen sich auf die Bank fallen, sah Monika an und fragte: „Jungfer Wattjes, kann es sein, dass ich auch so einen Keuschheitsgürtel tragen muss?“ „Das wird dir nicht erspart bleiben, aber du kannst mir glauben, das ist das kleinste Übel, da kommen auch noch andere Sachen auf dich zu.“ Auch Monika ging jetzt an Deck, um sich das Einlaufen in den Helgoländer Hafen anzusehen, das Mädchen saß allein in der Messe und überlegte, wie sie im Hafen von dem Schiff herunterkommen könnte. Immerhin macht der Anwalt sich Sorgen, dass der Zoll an Bord kommen und sie sehen könnte, also wurde sie widerrechtlich festgehalten. Wenn es ihr nun gelingen würde sich bemerkbar zu machen, wäre diese Irrsinnsfahrt endlich vorbei. Etwas später setzten sich zwei der Matrosen zusammen mit Monika und Meyerdirks mit an den Messetisch, um eine heiße Muck Tee zu trinken, als sie durch die jetzt wieder geöffneten Bullaugen eine Stimme hörten, die das Schiff anrief. Im gleichen Augenblick sprang die Neue hoch und fing an zu schreien: „Hilfe, Hilfe, ich bin...........!“
Teil 62 Weiter kam die Neue nicht, denn der Matrose, der links von ihr saß, hielt ihr den Mund zu. Der andere holte blitzschnell ein Stück Tau und fesselte dem Mädchen die Hände auf dem Rücken. Dann wurde ihr ein Stück Stoff in den Mund gestopft und mit einem Tuch, das hinter ihrem Kopf verknotet wurde, gesichert.
Währenddessen stand Monika auf, zog sich ihr Kleid in Brusthöhe vom Körper weg und goss ihre Muck Tee darüber, um dann wie ein geölter Blitz an Deck zu laufen und zu jammern: „Was bin ich nur für eine blöde Kuh, kippe ich mir doch die ganze Muck mit dem heißen Tee auf die Brust, wie kann man nur so dämlich sein.“ und wedelte sich die frische Nachtluft auf ihr Kleid. „Hast du dich verbrannt?“ wollte der Skipper wissen, der zusammen mit dem Hafenmeister an Land stand. „Nein, ich glaube nicht, es ist gerade noch mal gut gegangen.“ meinte sie und verzog sich wieder unter Deck.. „Unser Krankenhaus hat einen Notdienst,“ sagte der Hafenmeister, „wenn etwas sein sollte, könnt ihr jederzeit dorthin gehen.“ Der Skipper bedankte sich und ging zurück an Bord, während der Hafenmeister sich wieder in sein Büro verkrümelte, ihm war kalt geworden. Besorgt ging der Skipper in die Messe, doch da sah er (mit einer Ausnahme) nur grinsende Gesichter. „Was ist denn hier so lustig?“ wollte er wissen. Nachdem ihm die Geschichte erzählt worden war, grinste auch er und meinte zu Monika: „Das hast du gut gemacht, ich muss schon sagen, du gefällst mir, von mir aus könntest du sofort an Bord anmustern.“ „Vielen Dank für das Angebot,“ sagte Monika, „aber ich glaube, im Land der alten Dörfer wären ein paar Leute sehr enttäuscht, wenn ich nicht wiederkommen würde.“ Meyerdirks fiel bei diesen Worten ein dikker Stein vom Herzen, das hätte ihm jetzt gerade noch gefehlt, dem Rat und der Familie Wattjes erklären zu müssen, dass Monika jetzt Seemann werden wollte. „Was machen wir denn nun mit der Neuen?“ wollte einer der Matrosen wissen. „Das kann ich dir sagen,“ meinte der Skipper, „aus der machen wir jetzt ein handliches Paket, wenn du weißt, was ich meine.“ Doch der grinste nur und sagte: „Ay, ay, Skipper, geht klar.“ Er befreite die Neue von der Kette, zog sie in eine kleine Kabine, drückte sie dort auf eine Koje und band ihr die Fußgelenke zusammen. Ein weiteres Seil wurde an den auf dem Rücken gefesselten Händen befestigt und an dem Seil der Fußgelenke angeknotet, als letzte Sicherheitsmaßnahme bekam sie eine Kette um den Hals, die an einem Ring in der Bordwand angeschlossen wurde. Kaum hatte der Matrose die Kabine verlassen, als die Neue versuchte sich von ihren Fesseln zu befreien, sie ahnte, dass das hier ihre letzte Möglichkeit war, doch noch die Flucht zu ergreifen. Doch sie konnte versuchen, was sie wollte, die Seemannsknoten saßen fest, ein Entkommen war unmöglich. Der Sturm ließ mehr und mehr nach, am nächsten Morgen gegen 5 Uhr wehte zwar noch eine kräftige Brise, doch der Skipper ließ Leinen und Springs einholen und legte ab. Kaum waren sie aus dem Hafen heraus, als auch schon die Schwerter heruntergelassen und die Segel gesetzt wurden, die Tjalk war auf Heimatkurs. Auch Monika war schon auf den Beinen, ihr erster Gang führte sie zum Skipper, von dem sie sich die Erlaubnis holte, die Neue von ihren Fesseln zu befreien. Da die Tjalk sich jetzt wieder auf Hoher See befand, hatte der nichts dagegen einzuwenden. Als sie die Tür zur Kabine öffnete, kam ihr schon ein gequältes: „Mmmmhhhhhh“ entgegen, scheinbar machte dem Mädchen der Knebel zu schaffen. Monika löste das Tuch und zog ihr den vollgesabberten Stofflappen aus dem Mund. Mehrere Male holte die Neue tief Luft, während Monika anfing, ihre Arme und Beine von den Tauen zu befreien. Auch die Halskette wurde ihr abgenommen und sie durfte sich nach Stunden endlich wieder bewegen. „Du kannst dich nützlich machen und den Tisch decken.“ sagte Monika zu ihr, aber die dachte nicht daran, sich an der Arbeit zu beteiligen sondern rannte an Deck, um dort nach einer Fluchtmöglichkeit zu suchen. Doch die Tjalk war hatte den Helgoländer Hafen schon lange verlassen, weit und breit war auch kein anderes Schiff zu sehen. In ihrem dünnen Kleid wurde ihr schnell kalt und so ging sie zurück in die Messe, um sich aufzuwärmen.
„Willst du dich jetzt nützlich machen oder nicht?“ wurde sie von Monika gefragt. „Den Teufel werde ich tun, wie komme ich dazu hier auch nur einen Handschlag zu tun?“ „Wenn das so ist, brauchst du mir hier auch nicht im Weg zu stehen. Sieh bloß zu, dass du wieder an Deck kommst und lass dich hier unten nicht mehr sehen.“ „Das können sie doch nicht machen, Jungfer Wattjes, da oben ist es eiskalt, da hole ich mir den Tod.“ „Und wen interessiert das?“ fragte Monika, „Jedes Schwein im Stall ist wichtiger als du, also verschwinde endlich.“ Das Mädchen sah Monika an und fragte: „Was soll ich denn machen.“ Als Anwalt Meyerdirks in die Messe kam, wunderte er sich nicht schlecht, die Neue arbeiten zu sehen. „Meinen Respekt,“ sagte er zu Monika, „wie hast du das Mädchen denn ans Arbeiten bekommen?“ „Ich habe sie nur vor die Wahl gestellt zu arbeiten oder an Deck zu gehen, da hat sie sich zur Mitarbeit entschieden, das ist alles.“ „Ich habe es bereits wiederholt gesagt, aber ich muss es an dieser Stelle noch einmal wiederholen, du bist in der Tat eine außergewöhnliche junge Frau, in der Tat, außergewöhnlich.“ „Nur praktisch veranlagt, Herr Advokat, das ist auch schon alles.“ gab sie zurück und nötigte den Anwalt, doch schon mal mit dem Frühstück zu beginnen. Als dann später auch die Mannschaft und sie selbst versorgt war, forderte Monika das Mädchen auf, jetzt auch zu frühstücken. Im ersten Moment schien sie Widerworte geben zu wollen, doch entweder hatte sie nun wirklich Hunger oder wollte im Moment keinen Ärger haben, jedenfalls begann nun auch die Neue zu essen. Nachdem die Messe abgeräumt und die Kombüse aufgeklart worden war, fragte die Neue, ob sie nicht etwas an Deck gehen dürfe. Monika hatte nichts dagegen und gab ihr wegen der Kälte noch ein Öljakke mit. So ausgerüstet stellte sich das Mädchen an den Bug und sah auf die Nordsee hinaus. Über eine Stunde stand die Neue vorne auf dem Schiff, ihr musste inzwischen eiskalt geworden sein, doch das schien sie nicht zu stören, man hätte den Eindruck gewinnen können, als wenn sie auf etwas warten würde. Und tatsächlich, als wenn sie es geahnt hätte, kam ein Schiff von ca. 27 Metern Länge auf die Tjalk zugefahren. Die Neue verhielt sich ganz ruhig, wartete, bis das Schiff näher herangekommen war, erst dann fing sie an zu winken und zu rufen: „Hilfe, Hilfe, ich bin entführt worden.“ Das entgegenkommende Schiff hielt weiter Kurs auf die Tjalk, erst jetzt gingen zwei Matrosen zum Vorschiff und packten sich das Mädchen, um es unter Deck zu bringen. Das andere Schiff kam immer näher, umrundete die Tjalk und kam bis auf 3 Meter Abstand längsseits zu liegen. „Moin“ rief der Schiffsführer des anderen Schiffes dem Skipper der Tjalk zu, „ich habe mal eine wichtige Frage.“ „Was liegt an?“ wollte der Skipper wissen. „Es gibt da ein Problem,“ sagte der Schiffsführer, „und zwar folgendes..........!“
Teil 63 Bei dem Schiff handelte es sich um die „Alfried Krupp“, einem auf Borkum stationiertem Rettungsschiff der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Die Seenotleitstelle hatte den Notruf eines Seglers aufgefangen, konnte das Schiff bisher aber nicht orten. Aus diesem Grunde wollte der Vormann des Rettungsschiffes wissen, ob der Besatzung der Tjalk irgendetwas aufgefallen wäre, möglicherweise hätten sie irgendwelches Treibgut gesichtet. Der Skipper verneinte, versprach aber die Augen aufzuhalten und die „Alfried Krupp“ setzte ihre Suche fort. Währenddessen war das neue Mädchen wieder in der Messe angekettet worden, vor Wut und Enttäuschung über die gescheitere Fluch heulte sie wie ein Schlosshund. „Das hättest du lieber nicht machen sollen,“ sagte Monika zu ihr, „Anwalt Meyerdirks wird über dein Verhalten einen Bericht abgeben, und du kannst mir glauben, er hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Ab jetzt solltest du deine Einstellung lieber ändern, sonst machst du es noch schlimmer und wirst die
Konsequenzen zu spüren bekommen.“ Nach diesen Worten ging auch sie an Deck und ließ die Neue in der Messe allein. Noch am Vormittag kamen sie an der Küste an, die Segel wurden eingeholt und der Anker fallengelassen. Nachdem das Beiboot zu Wasser gelassen war, wurde zuerst das Gepäck eingeladen, dann stiegen Monika und Meyerdirks in das Boot. Nun wurde die Neue an Deck gebracht, immer noch die Kette um den Hals und die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Zwei der Männer ruderten das Boot an den Strand, halfen ihren Passagieren trockenen Fußes an Land zu kommen, und luden die Sachen aus. Meyerdirks und die Männer kümmerten sich um das Gepäck, Monika führte die Neue an der Kette den Deich hoch. Oben auf der Deichkrone angekommen beobachtete sie den Gesichtsausdruck des neuen Kettenmädchens, die sprachlos auf den kleinen Ort heruntersah. „Das darf doch nicht wahr sein,“ rief sie ganz perplex aus, „was ist das denn für ein primitives Nest dort unten?“ „Du bist jetzt im Land der alten Dörfer, der Ort vor dir heißt Texlum, und das mit dem primitiven Nest habe ich jetzt noch einmal überhört. Ich rate dir: Hüte deine Zunge. Und dass du mir nicht vergisst, wie du dich zu benehmen hast: Den Blick hältst auf den Boden gerichtet, nur wenn du angesprochen wirst darfst du aufsehen, und denke ja daran, jedes Mal einen tiefen Knicks zu machen.“ Monika ruckte an der Kette und widerwillig setzte die Neue sich in Bewegung. Kurze Zeit später waren sie auf dem Dorfplatz angelangt und wurden von dem Ortsvorsteher begrüßt und ins Haus gebeten, außer der Neuen, die wurde von zwei Frauen in eine Scheune geführt. Nach einer halben Stunde war die Kutsche von Meyerdirks fahrbereit, die Kiste und das übrige Gepäck wurde aufgeladen, auch das neue Mädchen wurde nun zur Kutsche geführt. Während die übrige Gesellschaft in der warmen Küche gesessen und Tee getrunken hatte, musste die Neue das geliehene Kleid ausziehen und sich die für Kettenmädchen üblichen Sachen anziehen. Wieder mit auf dem Rücken gefesselten Händen wurde sie hinten in die Kutsche gesetzt und die Halskette an dem Wagen angeschlossen. Unterdessen hatte sich Monika und Meyerdirks von der Mannschaft und dem Ortsvorsteher verabschiedet und stiegen ebenfalls in die Kutsche. Während der Fahrt unterhielten sich Meyerdirks und Monika angeregt über die verschiedensten Sachen, das Kettenmädchen aber saß stumm auf ihrem Platz, sah auf die herbstlichen Felder und konnte nicht fassen, was da im Moment mit ihr passierte. Kurz vor der Mittagszeit kamen sie in Hohedörp an und fuhren als erstes zum Bürgermeister, um die Neue dort abzuliefern. Doch der bat Meyerdirks, sie doch gleich zum Schmied zu bringen, der könne dann am Nachmittag die notwendigen Arbeiten durchführen. Meyerdirks war das recht, also fuhr er weiter zum Schmiedemeister Düring. Dort wurde die Neue von der Kutsche geholt und in der Schmiede mit einer sehr kurzen Kette an einem Ring in der Wand wieder befestigt. Monika ging in dieser Zeit zu dem Wohnhaus der Schmiedeleute, um Frau Düring zu begrüßen. Die freute sich aufrichtig, Monika gesund und munter wiederzusehen, stellte Fragen am laufenden Band und erzählte gleichzeitig die neusten Nachrichten. Nur mit Mühe konnte Monika den Redefluss kurzzeitig stoppen, um der Frau Düring mitzuteilen, dass sie von der Schmiedefrau in Holland ein Geschenk an sie mitgebracht hätte. „Tatsächlich, ein Geschenk für mich, na, das ist ja eine Überraschung, was ist es denn?“ Bevor Monika antworten konnte, kamen der Schmied und Advokat Meyerdirks ins Haus. „Hast du das Mittagessen fertig, Frau, unsere Gäste haben Hunger von der Reise.“ „Habe ich in den ganzen Jahren auch nur einmal das Essen nicht fertiggehabt?“ fragte Frau Düring zurück. „Wir wollen euch nicht beim Mittagessen stören, wir fahren jetzt gleich weiter nach Andersum.“ „Nichts davon,“ bestimmte Frau Düring, „erst wird zusammen gegessen, ich habe einen Riesentopf Weißkohl mit Hammelfleisch auf dem Ofen, und jetzt keine Widerrede mehr.
Der ewig hungrige Meyerdirks ließ sich schnell überzeugen, während er und der Schmied sich schon an den Tisch setzten, ging Monika der Schmiedefrau zur Hand und sagte dabei leise zu ihr: „Das Geschenk für sie bringe ich in den nächsten Tagen hierher, es wäre gut, wenn auch die Frau Bürgermeister und die Frau Pastor dabei wären, denn ich habe schon eine Ahnung, was sich in dem Paket befindet, und das ist, wenn ich Recht behalten sollte, reine Frauensache, von der die Männer noch nichts zu wissen brauchen.“ „Jetzt machst du mich wirklich neugierig.“ meinte Frau Düring, war aber mit dem Vorschlag einverstanden.
Teil 64 Nach dem wirklich ausgezeichnetem Hammeleintopf (von dem Meyerdirks vier volle Portionen in sich hineingeschaufelt hatte) und dem anschließendem Teetrinken machten sich Monika und Meyerdirks auf den Weg nach Andersum, der Schmied und seine Frau aber kümmerten sich um das Mädchen in der Schmiede, die musste noch am gleichen Tag ihren neuen Schmuck angepasst bekommen. Beim Anlegen der Armreife war sie noch ganz ruhig, auch gegen die Fußreife mit der Kette dazwischen wehrte sie sich nicht, doch als ihr das Halseisen angelegt wurde, fing sie an Schwierigkeiten zu machen, indem sie sich drehte und wendete, so dass der Schmied nicht arbeiten konnte. Nur wenige Minuten später kamen zwei Nachbarinnen den Schmiedeleuten zur Hilfe, die Neue konnte machen was sie wollte, der Halsreif wurde ihr dauerhaft angelegt. Vor dem letzten Arbeitsgang verließ der Schmied wie immer die Werkstatt, das Anlegen des Keuschheitsgürtels war Frauensache. Nun hatte die Neue schon bei Monika den Keuschheitsgürtel gesehen und konnte sich vorstellen, was auf sie zukommen würde, doch als sie den schweren Eisengürtel sah, den Frau Düring aus dem Lager geholt hatte, regte sich noch einmal ihr Widerstandsgeist, aber eine kräftige Ohrfeige brachte sie schnell zur Besinnung und ehe sie sich versah, stand sie nackt in der Schmiede, wurde mit einer Salbe eingestrichen und in den Tugendwächter gesteckt. Sobald sie ihr Kleid wieder angezogen hatte, kam der Schmied zurück, nahm das lose Ende der Halseisenkette und zog sie hinter sich her zum Dorfplatz. Dort wurde sie, wie schon so viele vor ihr, an dem dicken Pfahl angekettet. Düring ging zum Bürgermeister, gab ihm die Schlüssel des Keuschheitsgürtels und ging in seine Schmiede zurück. Über eine Stunde stand die Neue frierend auf dem Dorfplatz, niemand kümmerte sich um sie, noch nicht einmal die Kinder nahmen Notiz von ihr. Dann endlich kam ein Pferdegespann auf den Platz gefahren, der Kutscher ging in das Haus des Bürgermeisters, ließ sich die Schlüssel geben, befreite das Mädchen von dem Pfahl, setzt sie auf den Wagen, schloss die Kette an und brachte sie nach dem östlichsten Dorf namens Sierum, wo sie für ein Jahr als Kettenmädchen bei einer Bauernfamilie zu leben hatte. Währenddessen waren Monika und Meyerdirks in Andersum angekommen, schon auf der Dorfstrasse wurden sie von allen Seiten begrüßt: „Moin, Herr Advokat, Moin, Monika, schön, dass du wieder zurück bist.“ Die Wiedersehenfreude bei Wattjes war riesig, alles redete durcheinander und keiner hörte richtig zu. Meyerdirks machte sich, sobald das Gepäck abgeladen war, wieder auf die Rückfahrt, er war noch nicht mal zu bewegen, eine Tasse Tee zu trinken, nein, diese Stunden der Freude gehörten alleine der Familie. Schnell wurden bei Wattjes die abendlichen Arbeiten erledigt, und nach dem Abendbrot saß die gesamte Familie um den Tisch herum, selbstverständlich war auch Wilko mit seiner Schwester Hanna gekommen. Monika berichtete von ihren Erlebnissen und Eindrücken, alleine schon die Sache, wie sie das erste Mal das Haus der Familie van de Meer betreten hatte und meinte, einen Geist zu sehen, löste ein Riesengelächter aus. Bis spät in Nacht saßen sie an diesem Abend zusammen, denn als Monika mit ihrem Reisebericht fertig war, wollte sie nun auch erfahren, was es zu Hause an Neuigkeiten gegeben hätte.
Das wichtigste war wohl, dass Hanna im kommenden Frühjahr endlich heiraten durfte. Allerdings brachte das auch Probleme mit sich, denn zu diesem Zeitpunkt würde das de Fries anvertraute Kettenmädchen ihr Jahr umhaben, und da sie sich in der ganzen Zeit nichts zu schulden kommen lassen hat, würde sie zu dem abgemachten Zeitpunkt gehen dürfen. „Vielleicht bekommen wir bis dahin ein anderes Mädchen zugeteilt.“ meinte Wilko, doch sicher konnte er sich darüber nicht sein, auch konnte er seiner alten Mutter nicht zumuten, den ganzen Tag auf ein Kettenmädchen aufzupassen. „Normalerweise wäre das kein Problem, Fenna oder Monika könnten für einige Monate zu euch kommen,“ meinte Swantje Wattjes, „doch höchst wahrscheinlich wird Fenna Anfang nächsten Jahres auch schon ihre Bewährungszeit absolvieren müssen, also fehlt schon wieder jemand. Aber egal, uns wird schon eine Lösung für dieses Problem einfallen, wir lassen es einfach an uns herankommen.“ Für den übernächsten Sonntagnachmittag hatten sich mehrere Frauen zu einem Treffen bei Frau Düring verabredet: Natürlich Monika, die endlich das Geschenk abgeben wollte, Swantje Wattjes, Hanna de Fries, Frau Bürgermeister und Frau Pastor. Pünktlich um 14.00 Uhr trafen sie bei Frau Düring ein. Während des Teetrinkens erzählte Monika von ihrer Bewährungszeit im allgemeinen, kam aber dann aber auch auf den Keuschheitsgürtel von Pietje zu sprechen. In allen Einzelheiten schilderte sie das Verhalten von Pietje, von seinen Annährungsversuchen bis zu seiner totalen Umerziehung, für die es nur wenige Tage bedurft hatte. Die Frauen hörten erst ungläubig, dann aber mehr und mehr begeistert zu, wie schnell und wirkungsvoll sich ein ungestümer Jüngling durch solch einen Gürtel erziehen ließ. Während die Frauen noch diskutierten, ging Monika zur Kutsche und holte das Paket heraus, dass sie Frau Düring im Auftrag der holländischen Schmiedefrau überbringen sollte. „Nun hätte ich doch fast vergessen, ihnen das Paket zu geben, Frau Düring. Schöne Grüße soll ich ihnen noch ausrichten, und das in dem Paket noch ein Schreiben liegen würde.“ Frau Düring schob die Teetassen an die Seite, stellte das Paket auf den Küchentisch und öffnete es. Etwas verwundert schaute sie in das Paket hinein, und zog schließlich einen Keuschheitsgürtel heraus. Im ersten Augenblick sahen alle Frauen keinen Unterschied zu denen ihnen reichlich bekannten Gürteln, doch dann entdeckten sie die Penisröhre, die sie gleich ausgiebig untersuchten. Der Keuschheitsgürtel wanderte von Hand zu Hand, jede von ihnen untersuchte mit dem Finger das Innere der Röhre und besah sich die Konstruktion von allen Seiten. „So etwas sollten wir bei uns auch einführen.“ meinte die Frau Pastor, und erntete sofort die Zustimmung der gesamten Damenrunde. „Was uns fehlt,“ meinte die Frau Bürgermeister, „ist so eine Art Versuchsobjekt, wenn es uns gelingen würde, einen der jungen Burschen in diesem Gürtel zu verschließen, könnten wir uns doch am Besten ein Bild davon machen, wie gut die erzieherische Wirkung des Gürtels wirklich ist.“ „Sie haben ja so recht, liebe Frau Bürgermeister,“ meinte die Düring, „aber wo sollen wir einen jungen Burschen herbekommen, und selbst wenn wir einen hätten, wie stellen wir es an, ihn in den Gürtel zu stecken?“ Noch während die Frauen debattierten, waren auf der Strasse laute Stimmen zu hören, neugierig machten sie das Küchenfenster auf und versuchten herauszubekommen, was in aller Welt denn da draußen wohl los sei. Zwei junge Mädchen standen auf der Strasse und riefen einem Jungen, der gerade Fersengeld gab, einige unfreundliche Worte hinterher. „Was ist denn passiert?“ wollte die Düring wissen. „Wir sind gerade angegrapscht worden, das lassen wir uns doch nicht gefallen.“ „Das braucht ihr auch nicht, wer war der Flegel denn?“ „Das war der Sohn von Heini Tebbens, der Fokke.“
„Das ist doch wohl nicht wahr, das ist doch mein Enkelsohn.“ stöhnte die Bürgermeisterin. „Na warte, Bürschchen, mit dir werde ich schnell fertig.“ Die Bürgermeisterin stand auf, haute mit der Faust auf den Tisch und rief: „Meine Damen, wir gehen jetzt geschlossen zu dem Haus von meiner Tochter und meinem Schwiegersohn Tebbens, dem Treiben von dem Fokke werden wir sofort ein Ende setzen.
Teil 65 Mit festem Schritt und erfüllt von ihrer Mission marschierten die Frauen durch das Dorf. Vornweg gingen Frau Bürgermeister und Frau Pastor, dann folgten Swantje Wattjes und Frau Düring, zum Schluss Monika und Hanna. So etwas hatte man im Land der alten Dörfer noch nie gesehen, zum ersten Mal setzten Frauen sich zur Wehr, das grenzte schon fast an Revolution. Auf dem Weg zu dem Übeltäter schlossen sich immer mehr Frauen an, erst nur aus Neugierde, doch sobald sie von der Schandtat gehört hatten, aus Solidarität. Beim Haus von Tebbens angekommen waren sie eine Gruppe von 22 Frauen, die eine sofortige Bestrafung des Übeltäters forderten. Die Eltern von Fokke waren über dessen Tat genau so entrüstet wie die Streitmacht der Damen, und auch wenn sie es nicht gewesen wären, hätten sie doch keine andere Wahl gehabt, als ihren Sohn selbst zur Schmiede zu begleiten. Dort angekommen gingen Vater und Sohn zu dem Schmied in die Werkstatt, währenddessen Frau Düring den Musterkeuschheitsgürtel aus dem Haus holte und ihn ihrem Mann brachte, um sich anschließend der Damenkampfgruppe anzuschließen. Was sich dann genau in der Schmiede abspielte, konnten die Frauen nur ahnen, jedenfalls waren laute Stimmen und auch einmal das Klatschen einer Ohrfeige mit anschließendem Jammergeschrei zu hören. Jetzt wurden erst mal alle Frauen über die neue Erfindung aus Holland informiert, speziell über die Eisenröhre mit den Stacheln, was bei allen Frauen großen Anklang fand. Nach einer Viertelstunde wurde Frau Tebbens in die Schmiede hereingerufen, kurze Zeit später kehrte sie zu den Damen zurück und berichtete, dass ihr Sohn jetzt im Keuschheitsgürtel verschlossen wäre. Durch diese Sofortmaßnahme befriedigt löste sich die Versammlung auf, nun kamen auch Tebbens und sein Sohn Fokke wieder aus der Schmiede heraus, vorsichtshalber hatten sie doch lieber gewartet, bis die Luft wieder rein war. „So habe ich die Frauen noch nie erlebt,“ sagte der Schmied nachdenklich, als er die beiden Tebbens herausließ, „wenn das zur Gewohnheit wird, dann man Gute Nacht.“ Wie ein Lauffeuer hatte es sich im Dorf verbreitet, dass zum ersten Mal in der Geschichte im Land der alten Dörfer ein Jüngling in einen Keuschheitsgürtel gesteckt worden war, und so war der Gang nach Hause für Fokke das reinste Spiessrutenlaufen. Breitbeinig, weil ihn das Schrittblech so unheimlich störte, da es an den Innenseiten der Oberschenkel scheuerte, ging er an der Seite seines Vaters durch das Dorf. Überall standen die Leute in ihren Vorgärten oder auf der Strasse, um sich den jetzt so keusch verschlossenen Übeltäter anzusehen. Zwar wurden die beiden Tebbens von allen freundlich gegrüßt, doch kaum waren sie ein paar Schritte weitergelaufen, hörten sie die verschiedensten Kommentare: „Der Junge läuft, als wenn er sich in die Hose gemacht hat.“ oder „Ja, ja, nun sind neue Zeiten angebrochen, den Fokke hat es als ersten erwischt, aber da kommen bestimmt noch andere hinterher.“ Wieder andere meinten, dass, wenn alle jungen Burschen verschlossen wären, die Keuschheitsgürtel für die Mädchen abgeschafft werden könnten. Keiner, aber wirklich keiner, ahnte zu diesem Zeitpunkt, welch wichtige Rolle die Keuschheitsgürtel noch spielen würden. Es war fast nicht zu glauben, aber von einem Tag auf den anderen waren die alten und bewährten Gesellschaftsstrukturen in ihren Grundmauern erschüttert, wohin würde das noch führen, welche Veränderungen sollte diese Gemeinschaft in den nächsten Jahren noch erfahren müssen? Nun, die nächste Veränderung sollte nicht lange auf sich warten lassen, denn Monika hat noch immer
ihr ehrgeiziges Projekt der Käseherstellung im Auge, doch war es äußerst schwierig, in so einer konservativen Gesellschaft etwas Neues einzuführen. Monika, die von ihrem Vater eine diplomatische Ader geerbt hatte, erzählte Abends im Kreis der Familie immer wieder von den Vorteilen einer eigenen Käserei: Käse würde einen besseren Verkaufpreis erzielen als die abgelieferte Milch, gleichzeitig würde noch Futter für Schweine und Kälber abfallen, auch wären die Transportkosten für die frische Milch doch sehr hoch, da könne man viel Geld einsparen, usw. Eiso Wattjes, dem Neuerungen immer ein Greuel waren, wollte zuerst nichts davon wissen, aber je öfter Monika das Thema auf den Tisch brachte und immer wieder von den Vorteilen sprach, desto geringer wurde sein Widerstand. Im Gegensatz zu ihrem Mann hatte Swantje Wattjes die Vorteile einer eigenen Käserei schon längst erkannt, auch Monikas Bräutigam war der Sache nicht abgeneigt. Nach und nach konnte Bauer Wattjes umgestimmt werden, und endlich hatten sie ihn soweit, dass er seine Zustimmung gab. Nun fing Monika an, grobe Zeichnungen der geplanten Käserei aufs Papier zu bringen, ein paar Tage später präsentierte sie ihre Skizzen. Geplant hatte sie ein kleines Gebäude, die eine Hälfte sollte der Herstellung dienen, die andere Hälfte hatte sie als Lagerraum geplant. Kaum hatte Wattjes einen Blick auf die Zeichnung geworfen, als er auch schon entschieden sagte: „Nein, da wird nichts von, das würde ja ein Vermögen kosten, wer soll das denn bezahlen?“ Zustimmend nickte der Rest der Familie, ihr Bräutigam Wilko de Fries eingeschlossen, solch eine große Investition konnten sie sich nicht leisten. Doch Monika meinte nur ganz trocken: „Das Gebäude mit Einrichtung würde ich selbst bezahlen, das wäre kein Problem.“ Erst schauten alle verduzt, dann fingen sie wie auf Kommando alle an zu lachen. „Liebe Monika,“ prustete Wattjes los, „das ist ja nett gemeint, aber wo willst Du das Geld hernehmen?“ „Ganz einfach,“ meinte sie, „ich brauche Advokat Meyerdirks nur einen Brief zu schreiben, und schon haben wir das nötige Geld.“ „Mein liebes Kind,“ sagte Swantje lächelnd zu ihr, „du hast bei dem Meyerdirks zwar einen dicken Stein im Brett, aber soweit geht auch sein Wohlwollen nicht, dir soviel Geld zu leihen.“ „Er soll es mir nicht zu leihen, er braucht es nur von meinem Konto abzuheben, das ist alles.“ Nun verstanden die anderen überhaupt nichts mehr, und wollten wissen, woher sie soviel Geld hätte. Bisher hatte nur Meyerdirks von ihrer Erbschaft gewußt, doch nun war es an der Zeit, die Familie und den zukünftigen Ehemann über die Vermögensverhältnisse aufzuklären. Schweigend und voller Staunen hörten sie sich Monikas Erbschaftsgeschichte an, konnten im ersten Moment nicht glauben, was sie da hörten. Als erster fing sich Wilko, ihr Bräutigam, und meinte: „Das ist ja ein Ding, ich habe nicht nur das schönste aller Mädchen zur Braut, nun ist sie auch noch vermögend.“ „Das hätte ich eher wissen müssen,“ beklagte sich Eiso Wattjes, „dann hätte ich einen ganz anderen Brautpreis aushandeln können.“ Doch jetzt stand der schwierigste Teil immer noch bevor, ohne Zustimmung des Rats würde aus dem Plan nichts werden. Leider war Advokat Meyerdirks augenblicklich nicht im Land, so dass auf seine Hilfe momentan verzichtet werden musste, aber Swantje und Monika waren sich schnell darüber einig, wie die Sache am besten vorangetrieben werden könnte, und noch am gleichen Tag wurden Einladungen nach Hohedörp verschickt, in denen um ein Besuch am nächsten Sonntag gebeten wurde. Keine der drei Eingeladenen ließ sich diese Gelegenheit zu einem Besuch bei den Wattjes entgehen, kurz nach dem Mittagessen kam eine Kutsche auf den Hof gefahren und die heimliche Führungselite vom Land der alten Dörfer stieg aus und machte es sich in der Küche gemütlich.
Teil 66 Nachdem auch Eiso Wattjes die Frau Pastor, die Frau Bürgermeister und die Frau Düring begrüßt hatte, wurde er mitsamt den Kindern hinauskomplimentiert. Eiso brummelte etwas vor sich hin, dass sich so anhörte wie: „Jetzt muss ich schon aus meinem eigenen Haus verschwinden.“, doch das konnte die Frauen nicht stören. Außer den schon bereits aufgeführten Damen gehörten auch Nachbarin Hanna de Fries sowie Fenna, Monika und Swantje Wattjes zu dieser Runde. Noch während des Teetrinkens kam die Unterhaltung auf den Punkt, Monika berichtete von ihren Erfahrungen der Käseherstellung, sprach von Kostensenkung und zusätzlichem Verdienst. Sie brauchte nicht lange, um die Damen von den Vorteilen einer eigenen Käserei zu überzeugen, und als sie dann auch noch klarlegte, dass die finanzielle Seite abgesichert wäre, waren alle Frauen Feuer und Flamme für diesen Plan. Es wäre kein richtiges Damenkränzchen gewesen, hätte sich nicht auch noch über andere Sachen unterhalten, so wollte Swantje unter anderem wissen, wie es denn nun mit Fokke Tebbens stehen würde und ob bei ihm, seitdem er in dem Keuschheitsgürtels verschlossen wäre, schon eine Veränderung in seinem Verhalten erkennbar sei. Die Bürgermeisterin, deren Enkel Fokke ja war, rief ganz beigeistert: „Der reinste Musterknabe ist er geworden, ein leuchtendes Vorbild für Anstand, Tugend und Höflichkeit.“ „Das hört sich ja wirklich gut an,“ meinte Hanna, „aber wie verhält er sich jetzt den Mädchen gegenüber?“ „So anständig und respektvoll, wie man es sich nur wünschen kann, er ist in dieser einen Woche direkt schüchtern geworden, wird er von einem Mädchen angesprochen, bekommt er einen roten Kopf und schaut verlegen zu Boden, er ist wirklich nicht mehr wiederzuerkennen!“ Diese Äußerungen der Frau Bürgermeister wurden von allen begeistert aufgenommen, und schon wurde überlegt, ob nicht generell alle jungen Burschen in so ein ausgezeichnetes Erziehungsgerät gesteckt werden sollten. Gerade die Frau Pastor konnte sich für diesen Gedanken sofort erwärmen, aber auch die anderen Damen schienen den Gedanken nicht abwegig zu finden. Als dann die Frau Schmiedemeisterin Düring noch erzählte, dass dem Paket mit dem Musterkeuschheitsgürtel ein Brief beigelegen hätte, in dem der holländische Schmied sich angeboten hatte, die eisernen, stacheligen Röhren zu einem günstigen Preis in verschiedenen Größen liefern zu wollen, wäre es um die körperlichen Freiheit der jungen Burschen fast getan gewesen, so sehr gefiel den Damen die Idee der keuschen Jünglinge. Doch nach der ersten Begeisterungswelle sahen sie ein, dass sie wohl nicht das Recht hätten alle Burschen zu verschließen, allerdings wollte man die Sache durchaus im Auge behalten und im Falle eines Falles genauso verfahren wie bei Fokke Tebbens. Frau Düring versprach, ihren Mann dazu anzuhalten, ein Sortiment dieser hervorragenden Stachelhüllen zu bestellen, so wäre man jederzeit für einen Notfall gerüstet. Hochzufrieden trennten sich die Damen, einstimmig wurde festgestellt, dass es ein wunderschöner Nachmittag gewesen sei, und es wurde abgemacht, so ein Treffen bald, wenn nicht sogar in regelmäßigen Abständen zu wiederholen. Kaum waren Frau Düring, Frau Bürgermeister und Frau Pastor wieder in Hohedörp bei ihren Ehemännern angekommen, als sie auch schon anfingen, von den großen Vorteilen einer eigenen Käserei zu berichten. Nach erster Ablehnung konnten sich die Männer dann doch mit der Idee anfreunden, sahen sie doch einen zusätzlichen Profit in ihre Taschen fließen. Wie nicht anders zu erwarten, verbreitete sich das Gerücht um eine Neuerung wie ein Lauffeuer in ganzen Land, und wie üblich, kamen die unwahrscheinlichsten Gerüchte auf. So blieb es nicht aus, dass am drauffolgenden Sonntag der Bürgermeister noch vor Beginn des Gottesdienstes vor die Gemeinde trat
und über den Plan, eine Käserei zu errichten, genauen Bericht ablegte. Man einigte sich dann darauf, einen Treffen sämtlicher Dorfvorsteher einzuberufen, zu dem zum ersten Mal in der Geschichte auch mehrere Frauen zugeslassen wurden. Schon am kommenden Mittwoch fand die Versammlung statt, die Herren legten klar, dass sie im Grunde nichts gegen eine Käserei einzuwenden hätten, nur müssten sie darauf bestehen, die Fäden selbst in der Hand zu behalten und die Oberaufsicht zu führen. Doch die Damen machten ihnen schnell klar, dass davon nichts werden würde, denn erst mal würden sie kein Geld investieren, und außerdem hätten sie von der Käseherstellung nicht die geringst Ahnung, also würde diese Sache hier eine reine Frauenangelegenheit sein. Nach kurzer Beratung strichen die Männer das Segel und meinten, dass die Frauen doch tun und lassen sollten, was sie wollen. So geschah es auch, während Monika einen genauen Plan des Gebäudes zeichnete und mit Advokat Meyerdirks schriftlich Kontakt aufnahm, um die notwendigen Einrichtungsgegenstände in Holland durch ihn bestellen zu lassen, hatten die anderen schon für Baumaterial und Arbeitskräfte gesorgt, innerhalb kurzer Zeit stand auch schon der Rohbau, auch das Dach war schon gedeckt und so konnte der Bau im Winter trocknen. Diesen Winter gab es noch viel mehr Arbeit als sonst, denn gleich drei wichtige Ereignisse sollten im Frühjahr stattfinden, und die Vorbereitungsarbeiten dafür schienen kein Ende zu nehmen, aber auch der Schmied war gefordert, obwohl seine Arbeit nichts mit der Käserei zu tun hatte.
Teil 67 Hart war der Winter gewesen, sogar im Norden Deutschlands war ungewöhnlich viel Schnee gefallen. In den Häusern von Wattjes und de Fries herrschte zu der Zeit reges Treiben, standen doch bei beiden Familien eine Hochzeit ins Haus, Monika würde ihren Wilko heiraten, Hanna ihren Ubbo. Also halfen die Nachbarinnen bei der Fertigstellung der Aussteuer tüchtig mit, sonst wäre es gerade für Monika auch nicht zu schaffen gewesen. Anfang März heirateten erst Hanna und Ubbo, Ende des Monats Monika und Wilko. Beide Feste wurden gebührlich gefeiert, und manches Huhn und manches Schwein musste sein Leben dafür lassen. Nun war Hanna mit dem Tag ihrer Hochzeit zu ihrem Ubbo gezogen, während Monika als junge Bäuerin in das Haus von de Fries eingezogen war. Für Hanna war die Umstellung nicht so einfach, schließlich musste sie nun bei ihren Schwiegereltern leben. Auch wenn sie gut mit ihnen auskam, war es doch eine Situation, an die sie sich ergewöhnen musste. Mit dem Eingewöhnen hatte Monika nun überhaupt kein Problem, hatte sie doch schon einige Zeit im Haus ihrer Schwiegereltern verbracht und sich dabei sehr wohlgefühlt. Nein, sie hatte ein ganz anderes Problem: Die Arbeit wuchs ihr über den Kopf. Ihre Schwiegermutter versuchte ihr zu helfen, wo sie nur konnte, doch die Gicht machte ihr schwer zu schaffen. Nun hätte Monika die Arbeit auch alleine bewältigen können, aber inzwischen war der Bau der Käserei abgeschlossen und sie fand nicht die Zeit, dort auch zu arbeiten. So stand die Käserei, komplett eingerichtet, verwaist im Dorf, und sofort wurden Stimmen laut, die sagten: „Das kommt davon wenn Neuerungen eingeführt werden, nun steht der Bau und nichts passiert; aber wir waren ja von Anfang an dagegen.“ Auch der Schmied hatte seine Probleme, er hatte sich inzwischen mit seinem Berufskollegen aus Holland in Verbindung gesetzt und bei ihm, auf Anraten seiner Frau, eine ganze Kiste mit den stacheligen Röhren bestellt. In weiser Voraussicht hatte er außerdem den ganzen Winter über vorgearbeitet, sein Lager war gut gefüllt mit Taillengürteln, Schrittblechen, Arm- und Beinfesseln, Halseisen, Spreizstangen und dik-
ken Eisenkugeln mit Ketten daran. Nun darf nicht vergessen werden, dass ein Schmied auf dem Land gerade im Winter viel zu tun hat, weil die Bauern in dieser Zeit ihre Arbeitsgeräte wieder auf Vordermann bringen oder neues Werkzeug anfertigen ließen. „Ich brauche einen Gesellen oder einen Lehrling dazu,“ klagte er, „alleine wird mir die Arbeit zuviel.“ „Das mit einem Lehrling oder Gesellen kannst du vergessen, die Bauern haben selbst zuwenig Leute, ich weiß sowieso nicht, warum du neuerdings ein so großes Lager an Fesseln und Keuschheitsgürtel brauchst, das hast du sonst doch auch nicht gehabt.“ meinte seine Frau. „Das ist richtig, doch aber das erspart mir in nächster Zeit viel Arbeit, sonst hatte ich nur zwei oder drei Keuschheitsgürtel im Lager, und wenn die nicht passten, musste ich extra noch einen anfertigen. Jetzt ist es so, dass ich verschiede Teile liegen habe, aus denen ich im Handumdrehen einen passenden Gürtel zusammenstellen kann.“ „Aber bisher war das doch auch nicht notwendig, bis jetzt hat es doch auch immer so geklappt.“ „Das siehst Du verkehrt,“ beharrte der Schmiedemeister auf seiner Meinung, „nun stell dir vor, es kommen drei Kettenmädchen auf einen Schlag, denen ich ihre Fesseln und Gürtel anlegen soll, soll ich die vielleicht zwei Tage hier in der Schmiede behalten? Wenn dann noch andere Arbeiten anliegen, vergeht noch mehr Zeit, bis die Mädchen verschlossen sind, da spielt der Rat nicht mit.“ „Düring, jetzt fängst du an zu spinnen, es sind noch niemals drei Kettenmädchen auf einen Schlag gekommen, wieso sollte das in Zukunft anders sein?“ „Ich weiß nicht, ich weiß nicht, aber ich habe so ein Gefühl, als wenn auf mich noch eine ganze Menge Arbeit zukommt.“ Der Schmied war nicht der einzige, der händeringend nach einer Hilfskraft suchte, auch einige der Bauern benötigten dringend Arbeitskräfte, von Monika ganz zu schweigen, für die sich fürchterlich darüber ärgerte ihre Käserei nicht betreiben zu können. Auch der Rat hatte das Problem erkannt, aber woher sollten sie zusätzliche Arbeitskräfte nehmen, immerhin waren sie eine geschlossene Gemeinde, in der keine Fremden zugelassen wurden. Die fehlenden Arbeitskräfte waren auch bei dem Damenkränzchen ein wichtiges Thema, diesmal war es Frau Düring, die einen Vorschlag machte, mit dem alle anwesenden Frauen sofort einverstanden waren. Einen Tag später stand das geschlossene Kränzchen vor dem Haus des Bürgermeisters von Hohedörp, um ihm den Vorschlag zu unterbreiten, der ebenso einfach wie genial war. Der Bürgermeister hörte die Frauen an, fand die Idee nicht schlecht und versprach, so schnell wie möglich mit dem Rat darüber zu verhandeln. Sogar die Ratsherren hatten nichts dagegen einzuwenden, und so ging es sofort zur Ausführung des Plans.
Teil 68 Anja in Moorum 7 In Moorum hatte sich nichts verändert, außer dass die Aufseherin Bültena noch fetter geworden war. Gut zwei Jahre war Anja jetzt schon in der Einöde, in dieser Zeit hatte sie mehrere Kettenmädchen kommen und gehen sehen, keine der anderen musste so lange bleiben wie sie. Zwei Jahre im Moor, zwei Jahre mit gefesselten Fuß- und Handgelenken, zwei Jahre den überschweren Halsreif tragen mit der Kette und der Eisenkugel daran, zwei Jahre ohne Unterbrechung in einem Strafkeuschheitsgürtel eingeschlossen, dass sind zwei Jahre, die viele nicht überstanden hätten. Doch Anja war hart und zäh, und vielleicht hätte auch sie aufgegeben, aber dank ihrer Kochkünste war sie von der schweren Arbeit im Moor befreit. Trotzdem waren ihre Arbeitstage nicht einfach: Sie hatte nicht nur zu kochen, sondern sich auch noch um den Gemüse- und Kräutergarten und um das Viehzeug zu kümmern.
Vor einiger Zeit waren alle Kaninchen an einer Krankheit gestorben, und obwohl es nicht Anjas Schuld war, bekam sie den Zorn der Aufseherin zu spüren, die ihr vorwarf, die Ställe nicht ordentlich gereinigt zu haben und somit für den Verlust ihres Sonntagsbratens verantwortlich zu sein. Mehrere Wochen lang musste Anja immer wieder die Schläge mit einer Peitsche ertragen, bis die Bültena sich langsam wieder beruhigte. Jedenfalls war der Winter wieder einmal überstanden, die schlimmste Zeit während der Gefangenschaft. Nun konnte sie auch wieder im Garten arbeiten und in der schon angenehmen Aprilsonne die Sonne auf sich scheinen lassen. Es war kurz nach der Mittagszeit, Anja wollte gerade mit den Vorbereitungen für das Abendessen anfangen, als sie die beiden Schäferhunde, die den Damm bewachten, anschlagen hörte. Im gleichen Moment kam auch die Bültena aus ihrer Hütte heraus, und lief, so schnell es ihr überhöhtes Körpergewicht zuließ, zu den Schäferhunden hin. Neugierig blickte Anja zu dem Damm hinüber, doch zu ihrem Leidwesen konnte sie wegen einiger Sträucher, die am Damm standen, nur die wütend bellenden Hunde sehen, aber sie wusste aus Erfahrung, dass sich, wenn die Hunde so aggressiv meldeten, fremde Menschen in der Nähe sein mussten. „Das wird bestimmt wieder ein neues Kettenmädchen sein, das von Moordorf hierher gebracht wird.“ dachte sie bei sich und fragte sich, ob sie auch dieses Mädchen wieder gehen sehen müsste. Auf das Kommando von Bültena hin waren die Hunde jetzt ruhig und ließen mehrere Personen den Damm passieren. Noch konnte Anja nicht erkennen, um welche Personen es sich dabei handelte, doch sie kamen schnell näher und sie konnte sehen, dass diesmal kein neues Kettenmädchen gebracht wurde. Die Gruppe kam näher und als Anja vorsichtig hinübersah (sie wollte sich nicht schon wieder den Zorn der Bültena zuziehen), erkannte sie die Leute: Die eine war die Frau vom Schmied, der ihr das schwere Eisen angelegt hatte, auch die andere kam ihr bekannt vor, ja, das war eine Frau aus Moordorf, die sie damals über den Damm hier ins Moor gebracht hatte; bei den beiden Männern handelte es sich um den Pastor von Hohedörp und um den Ortsvorsteher von Moorum, deren Gesichter sie wohl nie vergessen würde. Mit einem Mal brüllte die Bültena sie an: „Was gaffst du durch die Gegend, du faules Luder, sieh bloß zu, dass der Tee gleich fertig ist.“ „Jawohl, Frau Bültena!“ sagte Anke gehorsam und machte ihren Knicks. Während Bültena die Delegation in ihre Hütte bat, beeilte sich Anke wie noch nie in ihrem Leben. Wasser hatte sie immer heiß, schnell war der Treckpott (Teekanne) heiß ausgespült, die Teeblätter hineingegeben und mit etwas Wasser aufgefüllt, um dann auf einem Stövchen zu ziehen. Eben so schnell machte sie ein Tablett mit Tassen, Kluntjes und Sahne fertig, goss den Tee auf, nahm das Tablett und ging zur der Hütte. Sie war schon fast bei der Hütte angelangt, als Bültena die Tür aufriss, sie anblöckte: „Das wurde auch langsam Zeit!“ und ihr das Tablett aus den Händen nahm. „Geh an deine Arbeit und lass dich nicht bei meiner Hütte blicken, sonst wird es dir noch leid tun.“ zischte sie ihr noch zu, ging mit dem Tablett in die Hütte und trat die Tür mit dem Fuß zu. So neugierig Anja auch wahr, der Gedanke zu lauschen wäre ihr nie gekommen, dafür hatte sie viel zu viel Angst vor der Aufseherin. Kaum war sie an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt, als Bültena aus der Hütte kam und die Glocke läutete, die auch hinten im Moor gut zu hören war und für die Gefangenen bedeutete, sofort zu ihrer Unterkunft zurückzukommen. Schon rauschte Bültena wieder in die Hütte zurück und schloss die Tür, von dem Gespräch, dass nun dort stattfand, konnte Anja zu ihrem größtem Bedauern nichts mitbekommen.
Nach einer ganzen Weile kamen die anderen Gefangenen auf das Glockenzeichen hin aus dem Moor zurück, und stellten sich wie jedes Mal vor ihrer Hütte zum Appell auf. Zehn Mädchen waren es, die dort immer zu zweit aneinandergekettet dort standen, die Jüngste mit ihren 18 Jahren sah noch aus wie ein Kind, die Älteste mochte 22 Jahre alt sein. Erbärmlich sahen sie aus in ihrer Gefangenenkleidung, dreckig, müde und abgearbeitet. Da gab es kein Kichern oder Herumalbern, dafür hatte sie ihr Schicksal viel zu hart geschlagen. Erst als Anja an ihnen vorbei in die Hütte ging und ihnen zuflüsterte, dass eine Delegation hier im Moor eingetroffen wäre, belebten sich die Gesichtszüge etwas, in jeder von ihnen keimte Hoffnung auf, endlich aus diesem Joch befreit zu werden. Eine der Aufseherinnen, die mit den Gefangenen im Moor gewesen war, ging zur Hütte und meldete die Rückkehr der Kettenmädchen in das Lager, worauf die Delegation zusammen mit der Bültena aus der Hütte herauskam und die Gefangenen in Augenschein nahm. Die Kettenmädchen (auch Anja war jetzt dabei) standen bei dieser Musterung in einer Reihe, den Blick angstvoll zu Boden gerichtet und wagten kaum zu atmen. Schweigend wurden sie betrachtet, nicht ein Wort fiel. Erst als der Pastor der Aufseherin ein Zeichen gab, schickte Bültena alle Mädchen bis auf Anja in die Hütte und schloss die Tür. Anjas Herz klopfte wie wild, sollte sie jetzt endlich aus dieser Hölle erlöst werden? Doch die Bültena schickte sie mit groben Worten an ihre Arbeit zurück, auch von der Delegation wurde sie nicht mehr beachtet. Mit Tränen der Enttäuschung in den Augen kehrte sie an ihren Arbeitsplatz zurück, von dort aus sah sie, wie die Delegation den Heimweg antrat. War ihre Hoffnung wieder vergebens gewesen? War sie nicht schon am längsten von allen Gefangenen hier? Was sollte dieser seltsame Besuch überhaupt bedeuten, ändern würde sich scheinbar doch nichts.
Teil 69 Anja in Moorum 8
Doch da sollte Anja sich irren, denn als sich die Mädchen am nächsten Morgen wieder geschlossen in das Moor gehen wollten, kam Bültena und sonderte ein Kettenpärchen aus, dass in die Hütte zurückgehen musste. Am Vormittag kamen zwei Frauen über den Damm, die eine schob eine Schubkarre vor sich her. Die zwei Mädchen wurden aus der Hütte geholt, mussten ihre Eisenkugeln, die mit Ketten an ihren Halseisen angeschlossen waren, in die Karre legen, eine von ihnen hatte die Karre aufzunehmen und zu schieben, während die andere neben ihr herlief. So wurden sie an den Schäferhunden vorbei auf den Damm in Richtung Moordorf geleitet, die beiden Frauen liefen hinter ihnen. Am nächsten Tag wiederholte sich das gleiche Spiel, wieder brauchten zwei der Mädchen nicht zum Torfabstechen in das Moor gehen, und als ihre Mitgefangenen am Abend von der Arbeit zurückkamen, waren sie nur noch zu siebt. Auch am dritten dieser denkwürdigen Tage wiederholte sich das Ritual, und als auch am vierten Tag noch zwei der Kettenmädchen abgeholt wurden, waren sich die drei übergeblieben Mädchen sicher, auch aus dem Moor befreit zu werden. Tatsächlich wurde am drauffolgenden Tag das letzte Pärchen abgeholt, Anja fieberte dem nächsten Morgen entgegen, an dem sie nun auch endlich dran wäre, abgeholt zu werden, doch nichts passierte. Als auch am übernächsten Tag niemand kam, war sie kurz davor, sich mit einem Küchenmesser die Pulsadern aufzuschneiden, doch bevor sie dazu Gelegenheit bekam, war sie alleine in der Hütte eingeschlossen.
Dann endlich, am nächsten Vormittag, war es auch für Anja soweit, wieder kamen die zwei Frauen in das Moor, jetzt durfte auch Anja ihre Eisenkugel in die Karre packen und über den Damm in Richtung Moorum schieben. Die Bültena konnte es sich nicht verkneifen ihr zum Abschied noch zu sagen, dass es für sie verlorene Mühe wäre nach Moorum zu gehen, in kürzester Zeit wäre sie doch wieder hier. Es war zwar ein langer Weg vom Moor in das Dorf, aber Anja kam es vor, als wenn sie auf Wolken wandeln würde, endlich war auch sie aus diesem grausamen Moor heraus, schlimmer als dort gewesen war könnte es nun nicht mehr kommen. In Moordorf angekommen wurde sie gleich auf einen Wagen gesetzt und nach Hohedörp gebracht, wo sie beim Schmied wieder abgeladen wurde. Allein schon der Anblick der Schmiede trieb ihr den Angstschweiß auf die Stirn, nur widerwillig ließ sie sich in die Werkstatt führen. Trotz aller Angst vergaß sie nicht vor den beiden Schmiedeleuten einen tiefen Knicks zu machen, um nichts in der Welt wollte sie sich irgendwelchen Ärger einfangen. „Dann wollen wir mal,“ meinte Düring und zog sie zum Amboss hin, wo sie sich hinzuknien hatte. Mit einem Dorn und einem schweren Hammer löste er ihren Halsreif, auch die Arm- und Fußfesseln wurden ihr abgenommen, aber nur, um ihr gleich wieder andere Reife anzuschmieden, die allerdings wesentlich leichter waren als die alten. Auch der neue Halsreif war nicht mehr so schwer, er hatte zwar auch eine Kette, aber zum Glück war keine Eisenkugel mehr daran befestigt. Frau Düring frage sie dann, ob sie sich ohne Ärger zu machen einen anderen Keuschheitsgürtel anlegen lassen würde, und Anja, die diese Prozedur schon aus Erfahrung kannte, nickte mit dem Kopf, machte den vorgeschriebenen Knicks und sagte nur: „Jawohl, Frau Düring.“, worauf der Schmiedemeister die Werkstatt verließ und den Rest der Arbeit seiner Frau in die Hände legte. Die öffnete auch gleich das Schloss des Strafgürtels, nahm ihr den Gürtel ab und salbte die entsprechenden Hautteile kräftig ein, obwohl das überflüssig gewesen wäre, dort, wo der Strafgürtel gesessen hatte, war schon fast Hornhaut zu sehen. Ohne sich zu wehren ließ Anja sich jetzt wieder in einen anderen, wesentlich angenehmer zu tragenden Keuschheitsgürtel einschließen und bedankte sich dafür auch noch bei Frau Düring, die das wohlwollend zur Kenntnis nahm. Immer noch einem ungewissen Schicksal entgegensehend, wurde sie nun vom Schmied auf den Dorfplatz geführt und an dem schon bekannten Pfahl auf dem Dorfplatz angeschlossen. Der Schmied ging zum Bürgermeister, übergab ihm die Schlüssel für das Mädchen und ging in seine Werkstatt zurück. Lange Zeit stand Anja dort am Pfahl angekettet, niemand kümmerte sich um sie. Nun fing es auch noch an zu regnen, sie war schon nass wie eine Katze, als endlich ein Fuhrwerk kam. Der Kutscher stieg ab, ging zum Bürgermeister und holte sich die Schlüssel für das Mädchen, befreite sich vom Pfahl und setzte sie auf den Wagen, auf den sie wegen ihrer Fußkette nicht allein aufsteigen konnte. Als sie auf dem Wagen saß wurde sie vom Kutscher angekettet, auch legte er eine wasserfeste Plane über sie. Während sie über die Wege fuhren fragte Anja sich, was für ein Schicksal sie nun wohl erwarten würde. Bestimmt hatte der Bürgermeister für sie eine strenge Bauernfamilie ausgesucht, bei der es mehr Schläge als etwas zu Essen gab. Während das Fuhrwerk über die Wege zog fiel Anja in einen tiefen Schlaf, die Aufregung der letzten Tage, die immer nagende Ungewissheit, was nun mit ihr passieren würde, hatten sie zermürbt. So merkte sie nicht, dass der Regen aufgehört hatte, sie kam noch nicht mal dahinter, dass das Fuhrwerk angehalten hatte. Wach wurde sie erst, als der Kutscher die Plane über ihr wegzog und zu ihr sagte: „Wir sind am Ziel, hier ist die Familie, der du jetzt zu dienen hast.“ Schon war ihre Kette gelöst und sie vom Wagen heruntergehoben, doch als sie dann ihre neue Herrschaft auf sich zukommen sah, stockte ihr der Atem und ein eisiger Schreck durchfuhr ihre Glieder.
Teil 70 „Willkommen in unserem Haus, mein Name ist Bäuerin de Fries, ich hoffe, wir werden gut miteinander auskommen.“ sagte Monika freundlich, während der Bauer sie grimmig anschaute. Anja erhob sich von ihrem Knicks, stammelte ein: „Vielen Dank, Frau de Fries.“ und sah sich hilflos um. Von genau diesem Bauernhof war sie vor zwei Jahren geflohen, was ihr die schlimmste Zeit ihres Lebens beschert hatte. Jetzt war ihre ehemalige Mitgefangene scheinbar Bäuerin auf diesem Hof geworden, das war für Anja schon hart genug zu ertragen, doch dass sie nun wieder unter der Fuchtel von Wilko de Fries stand, macht ihr fürchterlich angst. Monika nahm das Ende ihrer Halskette in die Hand und führte die etwas zögernde Anja in die Küche, wo die beiden alten de Fries sie misstrauisch betrachteten. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich noch einmal wiedersehen würde!“ sagte der alte Bauer de Fries etwas sauertöpfisch, zu gut erinnerte er sich an den Ärger, den dieses Mädchen ihnen gemacht hatte. Doch seine Frau legte ihm die Hand auf den Arm und meinte zu ihm: „Lass es gut sein, immerhin hat sie wegen ihrem Ungehorsam zwei Jahre im Moor verbracht. Ich bin überzeugt, dass sie inzwischen zur Vernunft gekommen ist und sich in Zukunft anständig verhalten wird.“ „Ganz bestimmt, Frau Wattjes, ich werde ihnen bestimmt keinen Ärger mehr machen, es tut mir jetzt sehr leid, was ich damals angestellt habe.“ „Wir werden ja sehen, ob du dich im Moor wirklich verändert hast,“ sagte Wilko mit leicht drohender Stimme, „aber erlebe ich nur einmal einen Anflug von Ungehorsam, Faulheit oder anderer Sachen, bist du innerhalb von wenigen Stunden wieder im Moor, ist das klar?“ „Jawohl, Herr de Fries!“ „Lass man gut sein, Wilko, ich glaube, sie wird sich in dem einen Jahr bei uns nichts zuschulden kommen lassen.“ meinte Monika, schloss Anja an die Laufkette an und wollte ihr die Fußfesseln abnehmen, aber da kannte sie ihren Mann schlecht. „Die Fußfessel bleibt solange dran, bis ich mir sicher bin, dass sie sich wirklich geändert hat.“ befahl er. Dagegen konnte Monika nichts einwenden, es tat ihr um Anja zwar leid, aber schließlich konnte sie ihrem Ehemann nicht in den Rücken fallen, schon gar nicht in der Gegenwart eines Kettenmädchens. Anja gab sich alle Mühe, die ihr übertragenen Aufgaben zur Zufriedenheit ihrer Herrschaft auszuführen, nun war sie ja schon mit allen Arbeiten und dem Haushalt vertraut, so dass ihr die Arbeit nicht weiter schwer fiel, doch saß ihr immer die Angst im Nacken, dass der Jungbauer sie bei dem kleinsten Fehler wieder ins Moor schicken würde, das hatte er ja auch klar und deutlich gesagt, sie hatte das Gefühl, als wenn er nur auf einen Fehler von ihr warten würde. Nach zwei Wochen war Anja so gut eingearbeitet, dass Monika sie mit der Arbeit im Haus alleine lassen konnte, endlich war die Gelegenheit gekommen die Käserei einzuweihen. Doch ohne Hilfe würde sie die Arbeit nicht schaffen, das war ihr klar. Zu ihrem Glück erklärte sich die Nachbarstocher Fenna Wattjes bereit, sie bei ihren ersten Probeläufen zu unterstützen. Am Anfang waren sie nur einmal in der Woche in der Käserei und stellten auch nur kleine Mengen her, denn wie gut der Käse sein würde, ließ sich erst nach der Reifezeit feststellen, außerdem hatten sie auch nicht mehr Zeit, denn es war unumgänglich, dass sie auf ihrem Hof bei der Arbeit mithelfen mussten. An einem Sonntagnachmittag bei dem inzwischen schon fest etablierten Damenkränzchen klagte Monika ihr Leid, so sehr sie sich auch anstrengte, irgendeine Arbeit blieb immer liegen. „Meinen Mann wird die Arbeit auch zuviel,“ stimmte Frau Düring in Monikas Klage ein, „er würde gern einen Lehrling anstellen, aber es gibt von den jungen Burschen keinen, der Zeit oder Interesse dafür hätte.“ „Könnten wir denn keine Arbeitskräfte aus der Welt bekommen?“ wollte Monika wissen, doch das wurde
sofort abgelehnt, damit würde die ganze Gemeinschaft zerstört werden, bekam sie zur Antwort. Monika gab aber noch nicht auf. „Was ist denn mit den Kettenmädchen, die gehören doch auch nicht zur Gemeinschaft und sind trotzdem hier.“ „Ja, das stimmt, aber immer nur für begrenzte Zeit, bei denen wissen wir genau, dass sie nach Ablauf ihrer Zeit wieder gehen, außerdem wird für die Mädchen noch Geld bezahlt, während wir für fremde Arbeitskräfte tief in die Tasche greifen müssten.“ erklärte Frau Bürgermeister. „Die Lösung ist doch ganz einfach, dann müssen wir eben mehr Kettenmädchen zu uns holen.“ rief die Frau Pastor mit entschiedenem Ton. „Damit ist meinem Mann aber auch nicht geholfen,“ klagte nun die Düring, „oder soll er eines der Kettenmädchen im Schmiedeberuf anlernen, damit sie sich und anderen selbst die Ketten abnehmen kann?“ Die Situation war schwierig, und noch schwieriger schien es zu sein, es allen recht zu machen. Sie überlegten hin und her, waren sich darüber einig, dass etwas passieren müsse, konnten aber keine Lösung finden, und so trennten sie sich an diesem Nachmittag in etwas gedrückter Stimmung, das war nun das erste Mal, dass die energischen Damen keine Lösung für ein Problem fanden. Als Frau Düring wieder nach Hause gekommen war, bereitete sie in der Küche schweigend das Abendbrot zu. Ihr Mann sah sie etwas verwundert an, so in sich zurückgezogen hatte er seine Frau selten erlebt. „Was ist los mit dir, hat es bei eurem Treffen Ärger gegeben?“ „Nein,“ gab sie zurück, „Ärger hat es keinen gegeben.“ und erzählte ihrem Mann daraufhin den Verlauf des Gespräches. Der Schmiedemeister hörte sich die Schilderung in Ruhe an, und fing nun selbst an in Gedanken zu versinken und nach einer Lösung zu suchen, doch auch ihm, der übrigens noch nie ein schneller Denker war, fiel spontan eine Lösung dazu ein. Nach dem Abendessen saßen die beiden Schmiedeleute in der Küche, während Frau Düring zur ihrer geistigen Erbauung in der Bibel las, sah der Schmied gedankenverloren in das Kaminfeuer. Nach einer langen Zeit intensiver Denkarbeit meinte er: „Die Frau Pastor hat ganz recht gehabt, der Advokat Meyerdirks muss dafür sorgen, dass mehr Kettenmädchen hierher kommen.“ „So weit waren wir auch schon,“ gab Frau Düring zurück, „aber das ersetzt uns auch keine männlichen Arbeitskräfte, alle, die handwerklich arbeiten könnten, ob nun als Maurer, Zimmermann, Stellmacher oder was weiß ich, haben mit ihrer Landwirtschaft so viel zu tun, dass sie zu nichts anderem mehr Zeit haben, und du hast doch selbst gesagt, dass dir die Arbeit zuviel wird und du einen Lehrling oder Gesellen brauchst.“ „Ein Lehrbursche würde mir schon genügen, ein Geselle würde viel zu teuer werden.“ „Siehst du, nun sind wir genau so weit wie vorher, männliche Arbeitskräfte sind einfach zu teuer.“ Auf einmal ging ein Leuchten über das Gesicht des Schmieds: „Die müssen aber nicht teuer sein,“ grinste er sie an in der festen Überzeugung, ein ebenso einfache wie geniale Lösung gefunden zu haben. „Das, mein lieber Düring, musst du mir jetzt mal genau erklären, willst Du allen Ernstes behaupten, dass es möglich ist, preiswerte Arbeitskräfte zu bekommen. „Aber sicher,“ sagte Meister Düring im Brustton der Überzeugung, die Sache ist doch ganz einfach..........!!!!!
Teil 71 Ausführlich erläuterte der Schmied seiner Frau den Plan, anfangs hielt sie es für ein Hirngespinst, doch je länger sie darüber nachdachte, um so mehr konnte sie sich mit der Idee ihres Mannes anfreunden, vor allem deshalb, weil nicht nur die Gemeinschaft davon profitieren würde, sondern auch die Schmiede. Beim nächsten Damenkränzchen drehte sich das Gespräch mal wieder um die so dringend benötigten Arbeitskräfte. Immerhin standen durch die vorübergehende Auflösung des Torfstraflagers elf
Kettenmädchen mehr zur Verfügung, aber das war nur ein Topfen auf den heißen Stein, denn drei der Mädchen waren nach Hohedörp gekommen, die restlichen acht waren auf die vier anderen Dörfer verteilt worden. Nun war der Rat auch schon an den Advokaten Meyerdirks herangetreten mit der Frage, ob es nicht möglich wäre, die Anzahl der Kettenmädchen zu verdoppeln. Der Advokat versprach sein Bestes zu tun, nur versprechen konnte er auch nichts, es wäre nicht so einfach, von den zur Erziehung überstellten Mädchen im Vorfeld eine eigenhändig unterschriebene Einverständniserklärung zu bekommen, dass sei im allgemeinen nur mit Druck oder einem kleinen Täuschungsmanöver möglich. Trotzdem wollte er seine guten Beziehungen spielen lassen und versuchen, mehr Mädchen als bisher in das Land der alten Dörfer zu vermitteln. Soweit war die Sachlage den Damen von dem Kränzchen auch bekannt, und sie sahen darin zumindest einen kleinen Hoffnungsschimmer; Frau Düring verstand es jedoch hervorragend keine Zufriedenheit aufkommen zu lassen: „Das ist ja alles sehr schön,“ sagte sie, „aber wer weiß, wie lange es dauern wird, bevor sich die Anzahl der Kettenmädchen vergrößert, wir sollten lieber nach einem weiteren Weg suchen. Außerdem hatten wir auch gesagt, dass uns außerdem noch männliche Arbeitskräfte fehlen, also ist uns noch immer nicht geholfen.“ Diese Worte lösten eine heftige Diskussion aus, die aber zu nichts führte, weil keine der Damen einen Vorschlag machen konnte. Als sich die Wogen der Erregung wieder etwas geglättet hatten, meinte Frau Düring ganz beiläufig: „Also, mein Mann und ich haben uns vor ein paar Tagen über dieses Thema unterhalten, und ich glaube, es gibt eine Möglichkeit männliche Arbeitskräfte zu bekommen, für die wir kein Geld bezahlen brauchen.“ Nun wurde das Damenkränzchen mehr als hellhörig und wollte Genaueres hören. Sich sichtlich im allgemeinen Interesse sonnend setzte die Düring zu ihrem Vortrag an: „Nun, wir wissen alle, aus welchem Grund uns die Kettenmädchen anvertraut werden: Wir haben die Aufgabe, aus diesen verkommenen Geschöpfen brauchbare Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft zu machen.“ „Liebe Frau Düring,“ versetzte die Frau Pastor, „dass wissen wir selbst, nun kommen sie doch lieber mal auf den Kern der Sache zu sprechen.“ Leicht pikiert, weil bei ihrer Rede unterbrochen, setzte sie ihre zu Hause wohl vorbereitete Rede fort: „ Nun gibt es draußen in der Welt nicht nur nicht nur Mädchen, die sich nicht einfügen, es wird doch auch genug junge Burschen geben, die mit ihren Eltern oder mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Auch die könnten uns zwecks Erziehung und Läuterung anvertraut werden, so hätte wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Wir haben Arbeitskräfte und unsere Gemeinde bekommt sogar noch Geld dafür.“ Stolz auf diese gute Idee sah Frau Düring die anderen Damen an, Zustimmung und Begeisterung erwartend; doch nach ein paar Sekunden des überraschten Schweigens redeten sie alle durcheinander: Das wäre total verrückt, das könne man nicht machen, so etwas habe es auch noch nie gegeben, Unzucht und Sittenverfall würden Einzug halten, der Rat würde dem nie zustimmen, wer wolle den einen Burschen ins Haus aufnehmen, usw., doch dass konnte die clevere Frau Düring nicht erschüttern, hatte sie mit einer solchen Reaktion doch gerechnet. „Aber meine Damen,“ sagte sie leicht hintergründig lächelnd, „was wollen sie denn noch mehr, oder hat jemand von ihnen einen besseren Vorschlag zu machen?“, worauf das Damenkränzchen sich ratlos ansah. Natürlich konnte niemand einen anderen Vorschlag unterbreiten und so fuhr sie in ihrer Rede fort. „In der letzten Zeit hat es bei uns doch schon einige Neuerungen gegeben, nehmen wir z.B. unsere liebe Monika, ist sie nicht das erste Kettenmädchen gewesen, dass inzwischen Bäuerin in unserer Gemeinde geworden ist? Oder was ist mit der Käserei, auch daran hätten wir alle vor einem Jahr noch nicht mal im Traum gedacht.“ Etwas widerwillig mussten die anderen ihr Recht geben, und Frau Düring frohlockte innerlich, ihre Rede schien Anklang zu finden, zumindest konnten ihre Aussagen nicht einfach vom
Tisch gewischt werden.“ „Selbstverständlich würde es viele Dinge zu bedenken geben,“ räumte sie ein, „aber wenn wir Frauen zusammen halten, sollten die Probleme doch wohl gelöst werden können. Nehmen wir doch mal das Beispiel Unzucht und Sittenverfall, da sehe ich z.B. kein Problem, haben wir doch für die Burschen einen speziellen Keuschheitsgürtel, durch den sie sanft und gefügig gemacht werden können.“ „Das ist wohl wahr,“ gab die Frau Bürgermeister zu, „mein Enkelsohn Fokke ist durch dieses Erziehungsinstrument zu einem richtigen Musterburschen geworden, ein leuchtendes Beispiel für Sitte und Moral.“ Die anwesenden Damen stimmten ihr vorbehaltlos zu, der Fokke hatte sich wirklich zu seinem Vorteil verändert, so ein guterzogener und freundlicher Bursche war er geworden, dass er für die anderen jungen Burschen schon fast zum Vorbild geworden war. „Nun, ich gebe zu, die Bedenken wegen Sitte und Moral wären tatsächlich nicht das größte Problem,“ gab Swantje Wattjes zu, „doch wir hätten bei uns im Haus keinen Platz, um einen Burschen unterzubringen, ich kann ihn ja wohl nicht mit meinen Töchtern in einer Buzze schlafen lassen.“ Allein diese Vorstellung rief schon Empörung und Entsetzen hervor, schon waren die Damen sich einig, dass aus dem Vorschlag von der Düring nichts werden könne, aber klugerweise hatte die sich auch mit dieser Schwierigkeit schon im voraus beschäftigt.“ „Wer hat denn gesagt, dass die Burschen bei den Familien im Haus leben sollen?“ trumpfte sie auf, „davon war doch nie die Rede.“ „Aber wo sollen sie denn untergebracht werden?“ wollte man nun von ihr wissen und wartete gespannt auf ihre Antwort. Die gute Frau Düring verstand es wirklich ausgezeichnet sich in Szene zu setzen. Bevor sie antwortete nahm sie erst noch einen Schluck Tee aus ihrer Tasse, sah noch einmal in die Runde und ließ erst dann die Katze aus dem Sack: „Nun, es gibt doch in der Nähe von Hohedörp noch ein Gebäude, dass schon unsere Altvorderen errichtet haben und von uns seit vielen Jahren nicht mehr gebraucht wird.“ Die Damen sahen sich zuerst etwas ratlos an, doch dann dämmerte es bei ihnen. „Das kann doch nicht ihr Ernst sein, beste Frau Düring, jedenfalls nicht, wenn wir jetzt an das gleiche Gebäude denken.“ „Aber sicher doch,“ gab sie zurück, „ich finde es gar nicht so schrecklich, auch wenn ich selbst nicht darin wohnen möchte.“ Nun flammte die Diskussion von Neuem auf, würde es wirklich möglich sein, Kettenburschen zu bekommen, wäre die Unterbringung in diesem Gebäude wirklich machbar, würden auch ganz bestimmt nicht Unsitte und Sittenlosigkeit Einzug halten, wer sollte auf die Kettenburschen aufpassen, wer sollte für die Verpflegung sorgen und wer sollte sich um die Wäsche der Gefangenen kümmern, die geäußerten Bedenken nahmen kein Ende. Immerhin, eine neue Idee fasste langsam Fuß, und um so wurde beschlossen, sich dieses alte, seit langer, langer Zeit leerstehende Gebäude anzusehen und auf seine Tauglichkeit hin zu überprüfen.
Teil 72 Einige Tage später trafen sich die Frauen verabredungsgemäß bei einem kleinen Wäldchen, dass einsam und verloren zwischen Texlum und Andersum lag. Selten kam jemand hierher, denn das Gebäude war ein Relikt aus alter Zeit, als die Ostfriesen zur Verteidigung ihrer Heimat noch zu den Schwertern gegriffen hatten, heute wollte niemand mehr von den Kämpfen und dem Blutvergießen hören, das passte nicht in eine streng gläubige Gemeinde. Der befestigte Weg durch den kleinen Wald war im Laufe der Zeit dichtgewuchert, nur mit Mühe gelang es den Damen bis zu dem Gebäude vorzustoßen, immer wieder blieben ihre Kleider an Dornenbüschen hängen, umgefallene Baumstämme lagen quer über dem Weg, und als dann noch ein aufgeschreckter
Hirsch durch das Unterholz brach und dicht an ihnen vorbei lief, bekamen sie alle einen derartigen Schrecken, dass sie fast den Rückweg angetreten hätten, aber keine von ihnen als Feigling dastehen wollte, also kämpften sie sich weiter vor und nach einer Weile hatten sie ihr Ziel erreicht. Dicht beieinander standen sie da, die Frau Bürgermeister, Frau Pastor, Frau Düring, Frau Wattjes, Monika und Hanna, und sahen etwas beklommen zu dem alten Wehrturm, der von Efeu und Pflanzen überwuchert, einen düsteren und feindseligen Eindruck machte. „Ach du liebe Güte, das ist ja ein schauerlicher Ort hier,“ meinte Monika, „wann war denn wohl das letzte Mal eine Menschenseele in dem Gebäude?“ „Ewig lange nicht mehr, selbst wir als die Ältesten von uns haben das Gemäuer noch nie von innen besehen. Als Kinder sind wir wohl mal heimlich hierher gekommen, aber hineingegangen sind wir nie, dafür war uns das viel zu unheimlich hier.“ gab ihr die Bürgermeisterin zur Antwort. „Unheimlich hin, unheimlich her, wir sind hier um uns den Turm von innen anzusehen, also los, meine Damen.“ rief die Frau Düring resolut und ging auf die schwere, eisenbeschlagene Eingangstür zu und versuchte sie zu öffnen, was ihr aber nicht gelang, scheinbar waren die Türangeln angerostet. Erst als sie sich mit der Schulter gegen die Tür stemmte, gab die unter fürchterlichem Knarren und Quietschen langsam nach und öffnete sich. Ein ekeliger Modergeruch strömte ihnen entgegen, und nur zögerlich betraten sie den alten Wehrturm. Vorsichtshalber hatten sie zwei Petroleumlampen mitgebracht, die sie jetzt anzündeten. Ohne die Lampen wäre eine genaue Untersuchung des Turms auch nicht möglich gewesen, denn durch die schmalen Schießscharten fiel nur wenig Licht in das Innere des Turms. Erst mal sahen sie sich in dem ebenerdigen Raum gründlich um, überall lag Kot von Vögeln und anderen Tieren, Spinnweben hingen überall und in jeder Ecke. „Das sieht ja fürchterlich aus.“ sagte Hanna leise, und ebenso leise meinte die Frau Pastor: „Das kannst du wohl sagen, ich darf gar nicht daran denken, was uns in den anderen Räumen erwartet.“ „Warum flüstert ihr denn, habt ihr Angst die Toten aufzuwecken?“ scherzte Frau Düring, die um nichts in der Welt zugegeben hätte, dass auch sie sich etwas beklommen fühlte. Die Frauen sahen sich noch weiter um und entdeckten schnell zwei Torbögen, hinter beiden befanden sich Treppen, von denen die eine in den Keller und die andere zu den oberen Stockwerken führte. Schnell wurde man sich darüber einig, erst den oberen Teil zu begutachten, und nacheinander stiegen sie die nur ca. 1 Meter breite, in die Außenwand eingearbeitete Steintreppe hoch. Dieser Raum war ebenso verkommen und verdreckt wie es auch schon der erste gewesen war, nur waren hier in Abständen von 2 Metern Eisenringe an der Wand befestigt. Schweigend sahen die Frauen sich in dem runden Turmzimmer um, um gleich darauf durch einen weiteren Torbogen eine weitere Steintreppe hinaufzusteigen. In dem obersten Bereich des Wehrturms pfiff der Wind durch die etwas größeren Schießscharten, hier war es nicht nur dreckig, sondern auch noch erbärmlich kalt. Der Raum war nackt und leer, auch hier war keine Einrichtung mehr zu finden, von den Eisenringen an der Wand abgesehen. „Wenn die Erzählungen unserer Altvorderen stimmen,“ meinte die Frau Bürgermeister, „dann hat Störtebecker, der Pirat, hier schon Gefangene und Geißeln gefangen gehalten, und wenn ich mir die Eisenringe an der Wand besehe, fange ich an, die alten Geschichten zu glauben.“ „Störtebecker hatte seine Zuflucht doch in Marienhafe,“ gab Frau Wattjes zu bedenken. „Richtig, aber trotzdem hatte er hier auch noch einen Stützpunkt, er war eben vorsichtig.“ „Ja, solange, bis ihm in Hamburg der Kopf abgeschlagen wurde.“ gab Frau Düring ihren Senf dazu. Bevor sie aber Gelegenheit bekam die Geschichte der Hinrichtung des Piraten in aller Ausführlichkeit zu erzählen, machten die Frauen sich im Gänsemarsch wieder auf den Weg nach unten. Im Erdgeschoss angekommen marschierte die Düring nun zielstrebig auf den anderen Torbogen zu, der in das
Kellergewölbe führte. „Müssen wir uns den Keller unbedingt ansehen?“ fragte Hanna, die schon von dem feuchten Modergeruch, der hauptsächlich aus dem Keller zu kommen schien, angewidert war. „Da müssen wir jetzt durch.“ bestimmte Frau Düring und ging als erste die Treppe hinunter, der Rest der Expedition folgte ihr. Unten angekommen hatte Frau Düring, bevor sie den Raum betreten konnte, erst noch mit einer schweren Eisentür, in der in Augenhöhe ein Gitter eingearbeitet war, zu kämpfen, aber auch dieses Mal schaffte sie es, die Tür mit ihrer Schulter aufzudrücken, knarrend drehte sich die Tür in ihren Angeln und gab den Weg frei. Nacheinander betraten die Frauen das Gewölbe, hielten die beiden Lampen hoch, um besser sehen zu können, wobei ihnen aber das, was sie da sahen, überhaupt nicht gefiel. Hier waren nicht nur Eisenringe in die Wand eingelassen, sondern es gab Halseisen, Fuß- und Beinfesseln, die Überreste einer hölzernen Schandgeige, verschiedene Zangen und andere Instrumente, dessen Bedeutung sie lieber gar nicht erst wissen wollten. „Ist euch klar, wo wir hier gelandet sind?“ fragte Frau Pastor und gab gleich, ohne eine Antwort abzuwarten, die richtige Erklärung: „Wir sind hier in einer Folterkammer!“ Allgemeines Entsetzen machte sich breit, niemand hatte auch nur geahnt, dass es so etwas im Land der alten Dörfer jemals gegeben hatte. Während die Frauen sich die schauerliche Einrichtung genauer ansahen, wollte Hanna eine in die Wand eingelassene, auch wieder mit Eisen beschlagene Holztür öffnen, die aber klemmte, weil sich im Laufe der Jahre das Holz verzogen hatte. Erst als eine alte Eisenzange als Hebel angesetzt wurde gelang es die Tür ein Stück zu öffnen. Die Frauen blickten gespannt zu der Tür, Frau Wattjes zog sie mit einem Ruck auf und im gleichem Augenblick stieß das gesamte Damenkränzchen (bis auf Frau Düring) schrille Schreie des Schreckens aus, lief in Panik die Steintreppe hoch und rannte vor die Tür ins Freie.
Teil 73 „Nein, nein,“ rief die Frau Pastor, „das war ja nun wirklich zu gruselig, um nichts in der Welt bringt mich noch jemand in diesen Folterkeller hinein.“ Die anderen Damen gaben ihre volle Zustimmung, es wäre wirklich unerträglich gewesen, so ein fürchterlicher Anblick, einfach scheußlich, davon würden sie noch wochenlang schlechte Träume haben. Was war passiert? Nichts weiter, als das hinter der Tür ein Skelett gestanden hatte, dass durch das Öffnen der Tür nach vorne in die Arme der Frauen gefallen war, die im ersten Reflex automatisch ihre Arme nach vorne gestreckt hatten, um den fallenden Gegenstand aufzufangen. Doch sobald ihnen klar wurde, dass es sich um die sterblichen Überreste eines Menschen handelte, sprangen sie alle zurück und flüchteten aus dem Keller. Immer noch nach Luft schnappend standen sie vor dem Wehrturm, der Schreck stand ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben. Die Lust an weiteren Erforschungen des Turms war ihnen gründlich vergangen, geschlossen traten sie den Heimweg an. Immerhin wurde verabredet, sich einige Tage später wieder zu treffen, dann würde man beratschlagen, ob der Turm als Unterkunft geeignet wäre. Ein glücklicher Zufall fügte es, das gerade beim dem nächsten Treffen auf Advokat Meyerdirks im Land der alten Dörfer war. Die Frau Bürgermeisterin lud ihn höchstpersönlich ein, sich an dem Nachmittag bei dem Damenkränzchen einzufinden. Der gute Advokat war von der Einladung der Damen etwas überrascht, hatte er bisher doch immer nur mit den Männern zu tun gehabt. Als er sich daraufhin beim Schmied erkundigte, was es denn mit die-
ser Einladung auf sich haben könne, meinte der nur, dass die Frauen in letzter Zeit sehr aktiv geworden seinen, und man könne nie wissen, was sie als Nächstes planen würden. Pünktlich zur angegebenen Zeit traf er bei dem Wohnhaus der Dürings ein, wo diesmal das Treffen stattfand. Die Frauen, die genau wussten, was Meyerdirks für ein Schleckermaul war, hatten sich ihren Torten und Kuchen die größte Mühe gegeben, und der Anwalt dankte es ihnen, indem er gewaltig zulangte. Erst als beim ihm auch nicht mehr ein Krümel hineinging, kamen sie zum eigentlichen Grund der Einladung. Die Frauen erzählten ihm von der gewaltigen Arbeitslast, die auf ihren Schultern lag, von dem Mangel gerade an männlichen Arbeitskräften, die für die Landwirtschaft so dringend gebraucht würden. Natürlich waren Meyerdirks diese Probleme zur Genüge bekannt, immer wieder hatte er bei seinen Besuchen mit dem Rat darüber gesprochen, doch eine Lösung war bisher nicht gefunden worden, was er den Frauen auch mitteilte. Das war nun die Stunde von Frau Düring, verschweigend, dass die Idee nicht von ihr, sondern von ihrem Mann stammte, erklärte sie Meyerdirks die Idee mit den Kettenburschen. Der hörte sich den Vortrag an, schüttelte mit dem Kopf und meinte: „Es ist wirklich seltsam, meine Damen, dass sie mir diesen Vorschlag unterbreiten, denn es ist noch keinen Monat her, als eine solche Frage von bedeutenden Leuten in der Welt gestellt wurde. Nun muss ich zugeben, dass ich ein solches Ansinnen abgelehnt habe, dass hat es ja auch noch nie vorher gegeben.“ Diese Äußerung war nun wieder Wasser auf die Mühle von der Düring, die keine der anderen Damen zu Wort kommen ließ, sondern gleich rief: „Mein lieber Herr Meyerdirks, warum ein solches Ansinnen gleich ablehnen, nur weil es das bei uns bisher nicht gegeben hat? Dann muss ich sie im Namen aller Anwesenden darüber aufklären, dass wir bereits die Voraussetzungen für den Einsatz von Kettenburschen geschaffen haben.“ Das war zwar weit übertrieben, imponierte Meyerdirks aber ungemein, trotzdem wollte er nun Genaueres wissen: „Nun,“ gab er zu bedenken, „so einfach ist das alles nicht, da haben wir einmal die Frage der Unterbringung.“ „Kein Problem“ strahlte Frau Düring, „wir haben uns erst vor ein paar Tagen ein passendes Gebäude angesehen, dass alle Voraussetzungen für eine sichere Unterbringung erfüllt.“ „Das zu hören freut mich sehr, ja, in der Tat, freut mich sehr. Doch das größte Problem wäre noch zu lösen: Wie soll man die jungen Burschen keusch halten, es müsste doch jederzeit und immer darauf geachtet werden, dass die Burschen keinen Kontakt zu den Kettenmädchen bekommen, die Folgen davon wären fürchterlich für uns, ja, wirklich fürchterlich.“ Wenn der Anwalt nun gemeint hatte, die Frauen durch seine Überlegungen unsicher gemacht zu haben, irrte er sich gewaltig, denn alle Damen fingen an zu grinsen und es war wieder die Frau Düring, die das Wort ergriff: „Verehrter Herr Meyerdirks, selbstverständlich haben wir auch diesem Problem Rechnung getragen (die anderen Damen schauten sich verwundert an, so salbungsvoll hatten sie die Düring noch nie sprechen hören), und auch dafür haben wir eine Lösung anzubieten, speziell für männliche Geschöpfe haben wir ein sehr probates Erziehungsmittel gefunden.“ Langsam wurde Meyerdirks die Selbstsicherheit der Frauen unheimlich, hatte er sie doch sonst nur als gehorsame Ehefrauen kennen gelernt, nun aber merkte er, dass sich im Land der alten Dörfer etwas geändert hatte, diese Frauen verbreiteten ein Selbstbewusstsein, dass er sonst nur bei Frauen in der Welt kannte. „Um was für ein probates Erziehungsmittel handelt es sich dabei?“ fragte er leicht zweifelnd. Da es sich um ihren Enkelsohn handelte, ließ sich die Frau Bürgermeister das Wort nicht nehmen, erzählte die Begebenheit mit ihrem Enkel Fokke in allen Einzelheiten und lobte die Erfindung aus Holland in den höchsten Tönen. Meyerdirks hörte sich die Schilderung an, fand sie sehr interessant und konnte sich
durchaus vorstellen, junge Burschen durch solch einen Tugendwächter zu disziplinieren. „Nun, meinte er, „es scheint mir in der Tat durchaus möglich, auch junge Burschen zur Umerziehung bei uns aufzunehmen, die Voraussetzungen dafür sind ja offensichtlich gegeben, doch was sagt der Rat dazu, ist er denn damit einverstanden?“ „Lieber Herr Meyerdirks,“ sagte Swantje Wattjes nun ganz diplomatisch, „wir als Frauen hatten ja nur die Idee; ob es nun wirklich etwas wird oder nicht, dass überlassen wir selbstverständlich den Männern.“ Der Anwalt brauchte nicht lange zu überlegen, immerhin würde diese neue Maßnahme eine Vermehrung der so dringend benötigten Einnahmen sowie eine Arbeitserleichterung bedeuten: „Meine lieben Damen, ihre Ausführungen haben mich überzeugt, ich werde diesen Vorschlag in ihrem Sinne dem Rat unterbreiten.“ „Ach bitte, Herr Meyerdirks,“ meldete sich Monika zu Wort, „ein Ding gäbe es vielleicht noch zu bedenken. Verwundert sahen alle zu Monika, konnten sie sich doch nicht vorstellen was es da noch zu bedenken geben würde. „Nun, meine liebe Monika de Fries, was für ein Anliegen wollen sie denn vorbringen?“ erkundigte sich Meyerdirks. „Na ja,“ meinte Monika, „sie haben doch eben selbst gesagt, dass bedeutende Leute aus der Welt sich schon danach erkundigt haben, ob wir nicht auch Burschen zur Umerziehung bei uns aufnehmen wollen.“ „Das ist durchaus richtig, meine liebe Monika, durchaus richtig, aber warum fragen sie?“ „Ganz einfach, Herr Anwalt, scheinbar hat man in der Welt ein großes Interesse daran, auch männliche Personen bei uns umerziehen zu lassen. Aus diesem Grund meine ich, dass wir für diesen Aufwand doppelt so hoch entschädigt werden sollten.“ Meyerdirks sah sie verwundert an, daran hatte er selbst noch nicht gedacht. „Das ist ein wirklich guter Gedanke, wirklich gut, ich vermute dass sich in dieser Richtung wirklich etwas bewegen lassen würde.“ sagte er und dachte mal wieder bei sich: „Diese Monika ist wirklich ein außergewöhnliches Mädchen, in der Tat, ein außergewöhnliches Mädchen.“
Teil 74 Trotz der Fürsprache von Advokat Meyerdirks konnte der Rat sich mit dem Gedanken, auch männliche Personen umzuerziehen, nicht anfreunden. Auch nachdem die Fragen von eventueller Unterbringung und Arbeitseinsatz geklärt worden waren, blieb der Rat mehr als skeptisch. Erst als der Anwalt von den Mehreinnahmen sprach, die durch diese Maßnahme zu erwarten wären, fing der Rat an, die Angelegenheit noch einmal zu überdenken. Nach langer Diskussion wurde dann beschlossen einen Versuch zu wagen, wobei der Rat aber darauf bestand, zum Anfang auf keinen Fall mehr als 10 männliche Kettenburschen zu genehmigen. Des weiteren wurde vereinbart, dass die Burschen ausschließlich in der Landwirtschaft zu arbeiten hätten, um keinesfalls einem Handwerker seine Arbeit wegzunehmen. Das kam auch dem Schmiedemeister Düring zu Ohren, der ja nun gerade durch die neue Maßnahme auf eine kostengünstige Hilfe in seiner Schmiede gehofft hatte. Er beschwerte sich lauthals, was ihm aber auch nichts nützte, gerade in der Schmiede hätte ein Kettenbursche ja wohl nichts zu suchen, das wäre doch wohl den Bock zum Gärtner machen, bekam er zur Antwort. Verständlicherweise war Düring mehr als verärgert, schließlich stammte die Idee mit den Kettenburschen ja von ihm, auch wenn seine Frau das jetzt nicht mehr zugab. In seiner Enttäuschung setzte er sich eines Abends hin und schrieb, wie so oft in letzter Zeit, einen Brief an seinen Berufskollegen in Holland, der ihm auch die Penisröhren mit den Stacheln geliefert hatte.
Nun hatten die beiden Schmiedemeister inzwischen nicht nur geschäftlichen Kontakt, sondern hatten eine Art Brieffreundschaft begründet. Jedenfalls schrieb Düring an diesem Abend einen langen Brief, in dem er sein Leid klagte und seinem Brieffreund schilderte, dass zwar die Arbeit für ihn immer mehr zunehmen würde, er aber keine Hilfe zu erwarten hätte. Nach unglaublich kurzer Zeit (es waren noch nicht einmal drei Wochen vergangen) bekam er ein Antwortschreiben von seinem Kollegen. Als Düring den Brief las konnte er sein Glück nicht fassen: Fragte sein Brieffreund doch an, ob er nicht bereit wäre, eines seiner Kinder, dass auch den Beruf des Schmieds gelernt hatte, nur gegen Kost und Wohnung für ein Jahr bei sich arbeiten zu lassen. Außerdem schrieb er noch, dass er sich für Jan keinen besseren Meister wünschen könne, und er sehr dankbar wäre, wenn Jan ein Gesellenjahr bei ihm verbringen könnte, sei es doch wichtig, dass junge Menschen Erfahrungen sammeln. Am liebsten hätte Düring sofort zurückgeschrieben und sich einverstanden erklärt, doch wollte er sicherheitshalber doch lieber vorher seine Frau fragen, ob die damit einverstanden wäre. Nachdem auch Frau Düring sich den Brief durchgelesen hatte, sah sie ihren Mann an und meinte: „Irgendwie ist das doch sehr ungewöhnlich, dass ein Geselle nur für Kost und Wohnung arbeiten will.“ „Es geht meinem Kollegen doch nur darum, dass eines seiner Kinder in der Fremde Erfahrungen sammeln kann, was kann daran verkehrt sein?“ „Ich weiß nicht, irgendwie habe ich ein seltsames Gefühl bei der Sache, aber immerhin hättest du dann endlich Hilfe in der Schmiede.“ Die gute Frau Düring hatte schon immer ein feines Gespür gehabt, nur wenige Wochen später sollte sich herausstellen, dass der Schmied aus Holland zwar nichts Verkehrtes geschrieben hatte, aber auch nicht mit der ganzen Wahrheit herausgekommen war, zumindest würden die Schmiedeleute noch eine Überraschung erleben. Düring war nun nicht mehr zu bremsen, er holte Feder und Papier und setzte einen Brief an seinen Kollegen in Holland auf, in dem er schrieb, dass Jan bei ihnen willkommen wäre und sobald als möglich anfangen könne. Advokat Meyerdirks hatte Wort gehalten und mit den Behörden in der Welt ins Benehmen gesetzt, schon nach einiger Zeit wurden die ersten Kettenmädchen in das Land der alten Dörfer gebracht. Fünf Mädchen standen auf dem Dorfplatz, allesamt steckten sie schon in den Sackkleidern, die für die Kettenmädchen üblich waren. Jede von ihnen trug eine Eisenkette um den Hals, die mit einem dicken Vorhängeschloss gesichert war, das andere Ende war an dem dicken Eichenpfahl befestigt, der in der Mitte des Dorfplatzes in die Erde gerammt worden war. Nun war die Tjalk, die wie immer die Mädchen nach Texlum gebracht hatte, an diesem Tag durch den ungünstigen Tidenstand erst spät angekommen, und auch der Transport nach Hohedörp hatte noch einige Zeit in Anspruch genommen, so dass es inzwischen schon später Nachmittag geworden war. Nun sah sich der Rat vor ein ungewohntes Problem gestellt: Wohin mit den Mädchen für diese Nacht? Der Schmied würde es heute nicht mehr schaffen, gleich alle der Gefangenen in Ketten zu legen, ja, dazu würde er mindestens den ganzen morgigen Tag brauchen. Außerdem wäre es nicht gut die Mädchen zusammen wegzuschließen, sollten sie doch untereinander so wenig Kontakt wie möglich miteinander haben. So wurden vereinbart sie in verschiedenen Bauernhäusern unterzubringen, dort konnten sie bis zum nächsten Tag im Stall angekettet werden. Den Bauern, deren Höfe am nächsten lagen, wurde Bescheid gesagt, nacheinander wurde eins nach dem anderen Mädchen vom Dorfplatz abgeholt und an der Halskette weggeführt, was nicht ohne Jammern und Tränen abging, da jede sich vor dem fürchtete, was auf sie zukommen würde. Schon mit dem ersten Hahnenschrei war Düring in seiner Schmiede, um das Feuer in der Esse zu entfa-
chen. Kaum glühte die Kohle, als auch schon das erste der Mädchen zu ihm gebracht wurde. Für den Schmiedemeister begann ein langer Arbeitstag, ohne Pause arbeitete er bis zum Abend durch. Auch Frau Düring verbrachte den ganzen Tag in der Werkstatt, schließlich verlangten Sitte und Moral, dass eine Frau bei den Arbeiten anwesend war. Drei der Mädchen ließen alles mit sich geschehen ohne sich zu wehren, bei der Vierten mussten die Nachbarinnen beim Anlegen des Keuschheitsgürtels Hilfestellung leisten, doch richtig schwierig wurde es bei der Fünften, die sich zur Wehr setzte, als ginge es um ihr Leben. Doch auch sie konnte sich der Behandlung nicht entziehen, die Schmiedeleute hatten bisher noch jede in Eisen gelegt. Am Abend schloss Düring seine Schmiede ab, wischte sich den Schweiß von der Stirn und sagte zu seiner Frau: „So geht es nicht weiter, das wird mir zuviel.“ „Ja,“ seufzte seine Frau, „wir könnten wirklich Hilfe gebrauchen, ich bin gespannt, wann der Jan aus Holland bei uns eintreffen wird.“ Doch die Hilfe war schon unterwegs, und genau acht Tage später klopfte es eines Abends an der Küchentür. „Wer kommt denn noch um diese Zeit zu uns?“ brummte Düring, während seine Frau die Tür öffnete. Nach kurzer Zeit kam sie in die Küche zurück und sagte über beide Backen grinsend zu ihrem Mann: „Dein Geselle ist eingetroffen.“ „Das ist ja wunderbar, herein mit ihm!“ sagte Düring und stand auf, um seinen neuen Mitarbeiter zu begrüßen, doch kaum hatte der die Küche betreten, ließ der Schmiedemeister sich erschüttert wieder auf seinen Stuhl fallen und sagte nur noch: „Das kann doch wohl nicht wahr sein!“
Teil 75 „Guten Abend, Meister Düring, ich bin die Janette aus Holland, der neue Geselle.“ begrüßte sie den Schmiedemeister, der sie nur mit einem blöden Gesichtsausdruck ansah und stammelte: „Aber du bist doch eine Frau.“ Das war nun wirklich nicht zu übersehen, denn Janette war mit ihren 1,72 Metern Größe und einem Gewicht von 96 Kilo mehr als üppig gebaut, dazu hatte sie auch noch unerhört viel Holz vor der Hütte, wie eine große Brust so gern umschrieben wird. „Willst du deinen neuen Gesellen nicht anständig begrüßen, wie es sich gehört?“ ermahnte die Düring ihren Mann. Der erholte sich nur langsam von seinem Schrecken, riss sich aber zusammen, stand auf und ging auf Janette zu. Er gab ihr die Hand und sagte: „Dann mal herzlich willkommen in unserem Haus.“ „Vielen Dank, Meister Düring, „ich glaube, wir kommen bestimmt gut miteinander aus.“ und drückte ihm die Hand so fest, dass er vor Schmerz fast in die Knie gegangen wäre. Frau Düring war begeistert von dem weiblichen Gesellen, war es doch mal wieder ein Beweis dafür, dass für Frauen nichts unmöglich ist und sie außer der Arbeit in Haus und Hof auch für handwerkliche Tätigkeiten, die bisher ausschließlich den Männern vorbehalten waren, geeignet sind. Während der Schmiedemeister nach draußen ging, um die schwere Truhe seiner Mitarbeiterin ins Haus zu schaffen, zeigte Frau Düring der neuen Mitbewohnerin die Buzze, in der sie das nächste Jahr schlafen würde. Die inzwischen ins Haus gebrachte Truhe wurde erst einmal in eine Ecke gestellt, darum würde man sich später noch kümmern können. Während der Schmiedemeister am Grübeln war, wie er Janette wieder loswerden könnte, ging seine Frau in ihren Pflichten als Hausfrau auf und sorgte für einen späten Imbiss, das gute Kind solle ja nicht hungrig ins Bett gehen müssen, ließ sie verlauten. Janette hatte, wie sich schnell herausstellte, einen unbändigen Appetit: 6 Spiegeleier, 5 Scheiben Brot, Schinken, Wurst, Käse, Gewürzgurken, eingelegten Kürbis und dazu einen halben Eimer Tee, dabei schaffte sie es auch noch, fast ununterbrochen zu reden. Als sie endlich mit dem Essen fertig war, sagte sie: „Das war lecker, ich hätte gern noch mehr gegessen, aber Abends darf ich nicht soviel, ich muss
schließlich auf meine Figur achten.“ „Ja, ja,“ meinte Frau Düring, wobei sie heftig mit dem Kopf nickte, „wir Frauen haben es nicht leicht, was tut man nicht alles, um den Männern zu gefallen.“ „Was in aller Welt habe ich nur verbrochen, dass ich so hart bestraft werde?“ frage der Schmied sich im Stillen, der befürchtete, in Zukunft weder im Haus noch in der Schmiede Ruhe zu finden. Als das Schmiedepaar später im Bett lag, meinte sie: „Ich glaube, mit der Janette haben wir einen Glücksgriff gemacht.“ „Das wird sich erst noch herausstellen,“ konterte Düring, „erst mal will ich sehen, ob sie etwas von ihrem Handwerk versteht, wenn nicht, ist ihr Aufenthalt hier nicht von langer Dauer.“ „Sie wird ihr Handwerk schon verstehen, sonst hätte dein Kollege aus Holland sie erst gar nicht zu uns geschickt.“ „Ha,“ rief Düring verbittert, „wahrscheinlich konnte er keine andere Stelle für sie finden, er hätte ja auch ehrlich schreiben können, dass es sich um eine Frau handelt. Außerdem frisst sie scheinbar soviel wie ein Pferd, da wären wir mit einem normalen Gesellenlohn ja noch günstiger abgekommen.“ „Hab dich nicht so, Düring,“ schimpfte seine Frau, „ich bin froh, dass endlich wieder Leben im Haus ist, und du wirst dich an sie gewöhnen müssen, auch wenn es dir schwer fällt.“ Damit war die Diskussion beendet, doch Meister Düring überlegte schon, welche schweren Arbeiten er Janette in den Magen drükken könne, damit sie von selbst das Handtuch schmeißen würde. Das Leben im Land der alten Dörfer ging seinen gewohnten Gang, gerade jetzt in dieser Jahreszeit musste von Morgens bis Abends gearbeitet werden. Zwar waren nun 16 Kettenmädchen mehr im Einsatz, aber die waren ja auch auf fünf Dörfer verteilt worden, so dass von einer großen Arbeitserleichterung noch keine Rede sein konnte, also mussten alle genau so hart arbeiten wie bisher, jedenfalls fast alle, denn einen Glücklichen gab es doch, den Schmiedemeister Düring. Der hatte sich zwar geschworen, sich die Janette so schnell wie möglich wieder vom Hals zu schaffen, doch bereits am ersten Arbeitstag zeigte die junge Frau, dass sie ihr Handwerk mehr als verstand. Mochte ihr Meister ihr noch so schwere Arbeit zuteilen, ihr machte das überhaupt nichts aus. Wenn Janette das glühende Eisen mit dem schweren Hammer bearbeitete, flogen die Funken nur so durch Schmiede, doch dass sie sich auch auf ganz spezielle Schmiedearbeiten verstand, sollte Düring erst einige Zeit später merken.
Teil 76 Es war ein sonniger Tag Anfang Mai, als die ersten beiden Kettenburschen in das Land der alten Dörfer geführt wurden. Wie üblich, so waren auch sie mit der Tjalk gebracht worden und wurden mit auf dem Rücken gefesselten Händen sowie der Kette um den Hals auf den Dorfplatz von Texlum geführt. Dort warten bereits der Ortsvorsteher mit zwei anderen Männern, um die Burschen in Empfang zu nehmen. Natürlich war auch Advokat Meyerdirks an diesem denkwürdigem Tag mit von der Partie, schließlich war der für den sicheren Transport der Gefangenen verantwortlich. Die Halsketten der Burschen wurden an Eisenringen, die fest und sicher an dem dicken Eichenpfahl befestigt waren (jeder Dorfplatz verfügte inzwischen über so eine praktische Einrichtung) angeschlossen, erst dann begrüßten sich die Männer und gingen in das Haus des Ortsvorstehers. Die angeketteten Neuankömmlinge sahen sich nun erst einmal gründlich um, konnten erst nicht realisieren, was sie sahen: Ein Dorf mit kleinen Bauernhäusern, Menschen in altmodischen Kleidung und Pferdefuhrwerke, aber nicht ein Auto, keine Straßenlaternen, ja, noch nicht einmal ein Fahrrad war zu sehen. „Wo sind wir hier bloß gelandet?“ jammerte Heinz, dem seine Angst anzusehen war. „In einem gottver-
dammten Nest, das aussieht wie ein Dorf im Mittelalter und wo man keine Hemmungen hat, Leute einfach an einen Pfahl anzuketten.“ gab Werner ziemlich giftig zurück, während er versuchte, seine gefesselten Hände zu befreien. Ab und zu kamen ein paar von den Dorfbewohnern über den Platz, aber wie auch schon bei den Kettenmädchen nahm keiner Notiz von ihnen, außer dass jemand vielleicht mal einen flüchtigen Blick auf die ersten Kettenburschen warf. Es dauerte lange bevor sich wieder jemand um sie kümmerte, die beiden Männer, die bei ihrer Ankunft bei dem Ortsvorsteher gestanden hatten, kamen nun auf sie zu und lösten die Kette, mit der Heinz angeschlossen war und führten ihn in eine Scheune. Die Hände wurden ihm losgebunden, endlich konnte sein Blut wieder zirkulieren. „Zieh dich aus.“ wurde ihm befohlen. Heinz beeilte sich der Aufforderung nachzukommen, mit vor Angst zittrigen Finger legte er Sweatshirt und Hose ab und stand in seiner Unterwäsche da. „Alles ausziehen.“ hieß es. Also entledigte er sich auch seiner Wäsche, und erst als er nackt vor den Männern stand, gaben sie ihm eine grobe Hose und einen Kittel zum Anziehen. Gerade hatte er sich die Sachen übergestreift, als er auch schon aus der Scheune heraus zu einem Bauernhof gebracht wurde, dort wurde sein Kette an einen sich fest an der Wand befestigten Eisenring angeschlossen. Nun wurde Werners Kette von dem Eichenpfahl gelöst und er in die gleiche Scheune gebracht, in der Heinz vorher gewesen war. Auch ihm wurden die Hände losgebunden und der Befehl: „Ausziehen“ erteilt. Doch anstatt zu gehorchen sagte er: „Ihr könnt mich mal!“ Der ältere der beiden Männer sagte ganz ruhig zu ihm: „Du solltest lieber gehorchen, machst du es nicht freiwillig, dann müssen wir Gewalt anwenden.“ Kaum hatte Werner wutentbrannt „Ich schlag euch die Schnauze ein, ihr Bauerntrottel“ gerufen, als er von einem Kinnhaken zu Boden gestreckt wurde und besinnungslos in der Scheune lag. Als er wieder zu sich kam, war er bereits ausgezogen und lag nackt auf dem Scheunenboden. Kaum hatte er die Augen wieder auf, als ihm Kleidung ins Gesicht geworfen wurde. „Anziehen, aber ein bisschen flott, sonst helfe ich etwas nach.“ Werner beeilte sich, in die Hose und den Kittel anzuziehen, ein Kinnhaken hatte ihm voll und ganz gereicht. Auch er wurde jetzt in einen Stall gebracht und dort angekettet, seine Versuche, sich von der Fessel zu befreien, verliefen ohne Erfolg. So konnte er nichts weiter tun als abzuwarten, was als nächstes passieren würde. Erst gegen 8.00 Uhr am nächsten Morgen kamen die beiden Männer vom Vortag wieder zurück und banden Werner erneut die Hände auf dem Rücken zusammen, erst dann wurde er aus dem Stall geführt und auf einen Ackerwagen verladen. Kaum saß der auf der Ladefläche, da wurden mit einem Strick auch seine Füße zusammengebunden und die Halskette an dem Wagen angeschlossen. Nun wurde auch Heinz geholt, mit dem ebenso verfahren wurde, als auch er gut verschnürt und gesichert auf dem Wagen saß, stiegen die beiden Männer auf den Kutschbock und fuhren mit ihrer Fracht nach Hohedörp. Dort angekommen wurden ihnen die Fußfesseln abgenommen und die Halsketten vom Wagen gelöst. Die Männer halfen ihnen vom Wagen herunter und führten sie in die Schmiede, wo sie in einer Ecke gleich wieder an einen Eisenring an der Wand angeschlossen wurden.
Erst jetzt begrüßten die Männer den Schmiedemeister und seine Gesellin, und wie es nun mal Brauch war, gingen sie gemeinsam in das Haus des Schmieds, um in aller Ruhe Tee zu trinken.
Teil 77 Erst jetzt konnten Heinz und Werner sich unterhalten, denn während er Fahrt war ihnen jedes Wort verboten worden. Nachdem er sich in der Schmiede umgesehen hatte, meinte Werner: „Nun sieh dir mal diese Bude hier an, fällt dir dabei etwas auf?“ „Was soll mir hier auffallen, das ist eine Schmiede, weiter nichts.“ „Weiter nichts,“ bohrte Werner weiter, „hast du noch nicht gesehen, dass es hier keinen Strom gibt? Das wir hier in einer Schmiede sind weiß ich selbst, du Blödmann, aber solche Werkstätten gibt es nur noch in Freilichtmuseen.“ „Worauf willst du hinaus?“ fragte Heinz verwundert. „Ist doch ganz einfach, wir sind hier in einem Museum, wahrscheinlich sind hier irgendwo Kameras versteckt, mit denen wir gerade aufgenommen. Irgendjemand hat sich einen dämlichen Witz mit uns gemacht, ich schätze, in ein paar Minuten sind wir aus dem Schlamassel wieder raus.“ „Glaubst du wirklich?“ fragte Heinz voller Hoffnung, dem die Situation mehr als unheimlich war.“ „Na sicher, jede Wette, der Spuk ist gleich vorbei.“ Kurz darauf kamen Meister Düring und Janette in die Schmiede zurück. „Meister, mit welchem von den Beiden wollen wir anfangen?“ erkundigte sie sich. „Nehmen wir zuerst den Kleineren, der andere neigt scheinbar dazu Ärger zu machen.“ Während Düring in sein Lager ging um den ersten Satz Armreifen sowie ein Halseisen zu holen, löste Janette Heinz Kette von der Wand und zog ihn zu dem Amboss hin. „Du brauchst keine Angst zu haben,“ sprach sie ihm beruhigend zu, „wenn du vernünftig bist, wird es dir nicht wehtun, jedenfalls nicht so sehr.“ Heinz, der jetzt davon ausging, dass doch alles mehr oder weniger nur Spaß wäre, nickte mit dem Kopf und folgte gehorsam der Aufforderung, sich neben dem Amboss hinzuknien. Er blieb auch ganz ruhig, als der Schmied ihm lose den Halsreif umlegte, um die Größe zu prüfen. „Das nenne ich Augenmaß.“ sagte Düring befriedigt und ging zur Esse, um mit einer Zange den glühenden Eisenstift zu holen, mit dem der Halsreif verschlossen werden sollte. Janette drückte den Halsreif zu, der Schmied ließ den Eisenstift in das entstandene Loch der Scharniere fallen, schlug mit dem Hammer mehrmals zu und schon war der Halsreif gesichert und ließ sich ohne entsprechendes Werkzeug nicht mehr öffnen. Immer noch nicht hatte Heinz den Ernst der Lage erkannt, so ließ er sich ohne Klagen die Armreifen anschmieden, auch bei der Montage der Fußreifen lächelte er nur leicht dümmlich. Erst als eine kurze Kette durch den Ring seines Halseisens gezogen und die Enden an den Armreifen angeschlossen wurden, schien er sich unbehaglich zu fühlen, und als dann auch die Fußreifen mittels einer weiteren Kette verbunden wurden, konnte man an seinem Gesichtsausdruck Zeichen von Unsicherheit erkennen. „Für den letzten Teil der Arbeit wirst du mich wohl alleine lassen müssen, Janette.“ sagte Düring zu seiner Gehilfin. „Aber Meister, warum denn das? Bei meinem Vater in der Schmiede war ich auch immer dabei, ja, er hat sogar darauf bestanden.“ „Tatsächlich?“ fragte der Schmied verwundert, „aber ist das nicht ungehörig für eine junge Frau? Warum hat dein Vater denn darauf bestanden, dass du immer dabei sein solltest?“ „Das werde ich ihnen gleich zeigen, Meister Düring, lassen sie mich nur machen!“ Schon wandte sie sich an Heinz und sagte: „So, nun lass deine Hose mal fallen.“ „Warum denn, nein, das will ich nicht.“ rief er panisch und trat einen Schritt zurück..
Janette diskutierte gar nicht erst, sondern holte ein Vorhängeschloss, stecke den Bügel durch das erste Kettenglied beim dem linken Armreifen, dann beim rechten Armreifen und zum Schluss durch das oberste Kettenglied des Halseisens. Der nun wehrlose Heinz konnte nichts dagegen tun, dass Janette ihm die Hose öffnete und sie fallen ließ. Jetzt endlich hatte Heinz begriffen, dass diese Angelegenheit hier in der Schmiede nichts mit Spaß zu tun hatte, sondern bitterer Ernst war. Schwer atmend, mit hochrotem Kopf und kurz vor dem Heulen stand er da, sich zu Tode schämend. „So, Meister Düring, jetzt will ich ihnen zeigen, warum mein Vater mich beim Verschließen der Burschen immer dabei haben wollte.“ und fing an, den Schniedelwurz von Heinz zu zärtlich zu streicheln. Gegen seinen Willen wuchs das gute Stück, und die Berührungen von Janette wurden intensiver. Düring glaubte nicht richtig zu sehen: „Janette, bist du von Sinnen, so etwas kannst du doch nicht machen.“ „Aber Meister, wir müssen doch die richtige Größe für die Hülle herausfinden, wie soll das denn sonst gehen.“ gab sie fröhlich und gut gelaunt zurück, denn diesen Teil ihrer Arbeit fand sie immer wieder sehr interessant. Kurz bevor Heinz den enormen Druck in seinem Freudenspender loswerden konnte, nahm Janette einen Zollstock, maß Länge und Dicke, und zum Abschluss ihrer Aktion versetzte sie Heinz seinem besten Stück einen kräftigen Schlag mit dem Zollstock, so dass der arme Kerl nur noch einen jammervollen Schrei ausstoßen konnte. Janette ging in den Lagerraum, um dort eine von ihrem Vater gefertigte, für Heinz passende, stachelbesetzte Penisröhre zu holen, während Düring schon angefangen hatte, einen Keuschheitsgürtel in der richtigen Größe zu herauszusuchen. Schnell war die Penishülle an dem Schrittblech angearbeitet, und schon wollte Janette dem neuen Kettenburschen den Gürtel umlegen, als sie von Düring davon abgehalten wurde. „Willst du ihn vorher nicht mit Salbe einstreichen?“ fragte er verwundert. „Aber Meister Düring, das ist ja der reinste Luxus, soll ich das wirklich machen.“ Düring nickte nur. Janette zuckte mit den Schultern, holte sich den Eimer mit der Salbe und ging zu Heinz. Sie strich ihm erst die Taille ein, griff nochmals in den Eimer und sagte: „Nun mach mal schön die Beine auseinander.“ Heinz sah sie nur mit großen Augen an und presste die Schenkel zusammen. „Hast du nicht gehört, Bengel, du sollst die Beine auseinander machen.“ Heinz schüttelte nur mit dem Kopf und machte nicht die geringsten Anstalten, der Aufforderung nachzukommen. „Meister, ich brauch den Zollstock noch mal, der Bursche ist widerspenstig. Doch der hatte den letzten Schlag damit noch nicht vergessen, gab seinen Widerstand auf und nahm die Beine auseinander. Im gleichen Moment klatschte sie ihm auch schon die Salbe zwischen die Beine und verteilte sie gründlich an den Pobacken und im Schambereich. „Na also, warum denn nicht gleich so.“ strahlte sie Heinz an, dem bei den Berührungen schon wieder der Saft in die Lenden stieg. „Oh, oh, oh, Meister, ich glaube dieser Bursche hat den Gürtel bitter nötig.“ „Das sehe ich auch so, aber gleich wird ihm seine Lüsternheit vergehen.“ gab Düring zurück und legte ihm den Taillengürtel um. Während Janette, die jetzt hinter Heinz stand, den Gürtel an den Hüften soweit es nur ging zusammendrückte, ließ Düring ihn vorne in der vorletzten Lochung einschnappen. Heinz sagte nichts, er ließ alles willenlos mit sich geschehen, aber was hätte er auch machen sollen? Janette legte ihm jetzt das Schrittblech durch die Beine, führte seinen kleinen Freund in die Röhre ein und zog das Blech hoch, ließ es einrasten und mit einem stabilen Vorhängeschloss sicherte sie den Tugendwächter.
Zum Abschluss ihrer Arbeit entfernt sie das Schloss, so dass er seine Hände herunternehmen und seine Hose wieder hochziehen konnte und führte ihn in die Ecke der Schmiede zurück, um dort das Ende seiner Halskette wieder an dem Eisenring zu befestigen. „Wollen wir jetzt auch gleich den zweiten Burschen in Ketten legen, Meister?“ Doch Düring winkte ab und meinte, dass es jetzt wohl an der Zeit wäre, um erst einmal Tee zu trinken und ein Stück Brot zu essen. „Aber für mich nur ein kleines Häppchen, Meister Düring, sie wissen doch, ich muss auf meine Figur achten.“ „Darum isst du immer sowenig.“ sagte Düring in ironischem Ton zu ihr. „Genau, Meister, was meinen sie, wie gern ich mich wieder einmal satt essen würde.“ gab sie zurück und ging schon in Richtung Haus. Kopfschüttelnd folgte Düring und fragte sich mal wieder: „Herr im Himmel, warum strafst du mich so hart?“
Teil 78 „Du bist doch ein blöder Hund,“ sagte unterdessen Werner zu Heinz, „lässt dir alles gefallen und dir Ketten anlegen wie ein Galeerensträfling, und das alles ohne dich zu wehren, so bescheuert kann man doch nicht wirklich sein.“ „Was hätte ich denn machen sollen,“ gab Heinz zurück, „gegen die hatte ich doch keine Chance, oder glaubst du im Ernst, dass du nicht auch gleich in Ketten sein wirst?“ „Mit mir machen die das nicht, das kannst du mir glauben, bevor die noch richtig schnallen, was Sache ist, bin ich schon längst abgehauen.“ „Wenn du dich da mal nicht versiehst.“ zweifelte Heinz und versuchte den Keuschheitsgürtel nach unten abzustreifen. „Warts ab,“ tönte Werner großspurig, „sobald die zurückkommen kannst du sehen, wie ich einen Abgang mache.“ Frisch gestärkt kamen Düring und seine Gehilfin in die Schmiede zurück. „Dann wollen wir uns mal Nummer 2 vornehmen.“ meinte der Schmied unternehmenslustig, ging zu Werner und löste seine Kette von dem Eisenring. Das war der Moment, auf den Werner gewartet hatte, kaum sah er, dass die Kette gelöst war, als er dem Schmied einen Tritt in die Weichteile gab und trotz der auf dem Rücken gefesselten Hände versuchte, aus der Schmiede herauszukommen. Doch auf dem Weg zur Tür gab es noch ein Hindernis: Janette stand da und sah in kampflustig an: „Na, was ist los, ich dachte du wolltest uns verlassen.“ Hektisch sah Werner sich um und suchte nach einem Ausweg. Ein Blick nach hinten sagte ihm, dass der Schmied sich gerade wieder aufrappelte. „Jetzt oder nie!“ sagte er sich und wollte an Janette vorbei ins Freie stürmen, doch die stellte sich ihm in den Weg und verpasste ihm einen Schlag in die Magengrube, dass er sich vor Schmerzen krümmend auf den Boden wiederfand. „Was bist du nur für ein dummer Kerl, für diese Frechheit bekommst du von uns gleich eine schöne Belohnung, wart nur ab.“ sagte Janette und zog ihn an den Haaren hoch. Mit einer Hand nahm sie das Ende der Halskette und brachte ihn zum Amboss, doch Werner gab noch nicht auf und verpasste nun auch noch Janette einen Fußtritt. Die aber war hart im Nehmen, sah den Burschen giftig an und verpasste ihm einen derartig harten Kinnhaken, so dass er durch die halbe Schmiede flog und besinnungslos schon wieder auf dem Boden lag. „Bei dem fangen wir mit den Fußfesseln an, dann ist es mit dem Treten jedenfalls vorbei.“ schnaubte der Schmied und ging in das Lager, um die schwersten Fesseln, die er nur finden konnte, zu holen. Noch bevor Werner wieder richtig bei Besinnung war, hatten die Beiden ihm die Fußfesseln bereits angeschmiedet und mit einer wirklich kurzen Kette miteinander verbunden, so dass er in der in der nächsten,
für ihn selbst nicht absehbaren Zeit, nur kleine Schritte machen konnte. Doch merkte er noch nichts von seiner Fesslung, von dem gnadenlosen Kinnhaken schwebte er noch zwischen Ohnmacht und so am Rande etwas mitbekommen. Was er merkte war, dass er auf einmal einen starken Druck um seinen Hals fühlte, doch bevor er in irgendeiner Weise reagieren konnte, hatten Düring und Janette ihm das dickste Halseisen, dass sich überhaupt auf dem Lager befand, um den Hals gelegt und mit dem glühenden Eisenstift verschlossen, ohne sich die Mühe zu machen, die Haut mit einem Stück Leder zu schützen. Erst als die absplitternden Metallstücke seine Haut verbrannten, kam er mit wilden Schmerzensschrei in die Wirklichkeit zurück. Düring und Janette sahen ihn nur verachtungsvoll an, stellten ihn auf die Beine und befestigen die Kette seines Halseisens an einer weiteren Kette, die von der Decke herunterhing. Erst jetzt lösten sie die Fesslung der Hände hinter seinem Rücken, zur Gegenwehr hatte er keine Möglichkeit, denn durch das lange Binden der Hände mit dem Tau waren seine Arme gefühllos geworden. Dem Schmied war es eine Freude ihm die schwersten Armreifen um die Handgelenke anzuschmieden, während Janette mit wahrer Begeisterung eine kurze Kette heraussuchte, die anschließend durch den Ring des Halseisens von Handgelenk zu Handgelenk führte. „Jetzt fehlt nur noch sein eisernes Höschen.“ meinte Janette und sah den Schmied auffordernd an. „Meine liebe Janette,“ sagte Düring, „da werde ich mir in diesem besonderen Fall richtig Mühe geben, ein geeignetes Teil zu finden.“ „Ach, Meister Düring,“ gab sie zurück, „ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sie das Richtige finden werden.“ Ja, Meister Düring gab sich richtig Mühe als er in seinem Lager war, und suchte nach einem, für diesen aufmüpfigen Burschen geeigneten Keuschheitsgürtel, er kam mit einem Monstrum von Keuschheitsgürtel wieder zurück. „Das ist der schwerste Tugendwächter, den ich jemals geschmiedet habe.“ verkündete er stolz. „Der ist ja wunderbar für diesen Zweck geeignet,“ strahlte Janette ihn an, „so einen schweren Gürtel habe ich noch nie gesehen.“ „Nun fehlt nur noch die passende Röhre mit den Dornen, aber das Maß wirst du doch bestimmt schnell ermittelt haben.“ „Aber ja, mein lieber Meister, das werden wir gleich haben.“ gab Janette zurück und machte sich mit diebischem Vergnügen an die Arbeit. Werner hatte nicht mehr die geringste Möglichkeit, an Flucht oder Gegenwehr zu denken: Die Beine mit der kurzen Kette gefesselt, die Hände nur begrenzt einsatzfähig, um den Hals einen derartig schweren, hohen und engen Halsreif, der ihm einen Blich nach unten unmöglich machte. So musste er es sich gefallen lassen, die Hose von Janette ausgezogen zu bekommen. Kaum war das Kleidungsstück heruntergerutscht, als Janette auch bei ihm mit ihrer Massage anfing. Werner war wild entschlossen, sich um keinen Preis der Welt erregen zu lassen, doch konnte widerstehen. Zwar hatte sie von ihrer Arbeit richtig Hornhaut an den Händen, verstand es aber ausgezeichnet, junge Burschen zu stimulieren. Nach noch nicht mal einer Minute war es mit Werners Selbstbeherrschung vorbei, sein bestes Stück entfaltete sich zur vollen Pracht. Wieder nahm Janette den Zollstock und ermittelte die Maße, ging dann zusammen mit ihrem Meister in das Lager, um eine passende Röhre auszusuchen. Schnell hatte sie ein nach ihrer Meinung passendes Teil gefunden, doch Düring hat starke Bedenken, ob die von ihr ausgesuchte Röhre nicht viel zu klein wäre. Sie sah ihren Meister mit boshaften Lächeln an und sagte: „Aber ja, Meister, selbstverständlich die Röhre für den Kerl zwei Nummern zu klein, darum habe ich sie ja ausgesucht.“ Düring lächelte zurück: „Recht hast du, wenn ich mir das genau überlege, ist das doch das passende Teil für ihn.“ Höchstvergnügt schmiedete er die Röhre an den inzwischen ausgesuchten, extra schweren
Keuschheitsgürtel, es war im anzumerken, dass ihm diese Arbeit mehr als Genugtuung war. Nur flüchtig kühlte er das heiße Eisen mit Wasser ab, besah sich seine Arbeit noch einmal gründlich und meinte selbstzufrieden: „Es ist soweit, schreiten wir zur Tat.
Teil 79 Nachdem bei Werner, wie vorher auch schon bei Heinz, die Hände oben am Hals gesichert waren, holte Janette den Eimer mit der Salbe, bearbeitete seine Taille damit und forderte ihn auf, die Beine zu spreizen. „Ich denke ja nicht daran, du perverse Kuh.“ sagte er und presste, genau wie sein Mitgefangener vorher, die Beine zusammen, wohlwissend, dass er sonst die Kontrolle über seinen Freudenspender für lange Zeit verlieren würde. Janette ballte ihre Faust und wollte ihm gerade den nächsten Schlag in die Magengrube verpassen, als Düring rief: „Warte mal eben, das bekommen wir ganz einfach in den Griff. Ja, der gute Schmiedemeister war nicht auf den Kopf gefallen und hatte schnell gelernt, dass es bei dem Verhalten von Kettenmädchen und Kettenburschen doch Unterschiede gab. Findig, wie er nun einmal war, nahm er eine Eisenstange und steckt sie in die Esse, es dauerte nicht lange, bis das eine Ende rotglühend war. Er nahm das Eisen, ging zu dem Delinquenten und kam mit der glühenden Eisenspitze immer dichter auf die geschlossenen Beine zu. Ganz freundlich, dabei aber boshaft grinsend, sagte er zu Werner: „Du kannst die Beine freiwillig auseinandernehmen, aber wenn du das nicht willst, kann ich gerne etwas nachhelfen.“ Werner spürte schon die Hitze, die von dem Metall ausging, und es war ihm klar, dass der Schmied nicht die geringsten Hemmungen haben würde seine Beine notfalls mit dem Eisen zu öffnen. Sein Widerstand brach, folgsam spreizte er die Beine und Janette konnte ihrer Arbeit nachgehen. Nun kann man nicht behaupten, dass sie mit ihm sehr zärtlich umging, ganz im Gegenteil! Es machte ihr gerade zu Freude, die Salbe mit harter Hand auf seine empfindlichsten Körperstellen aufzutragen. Trotzdem wurde er schon wieder erregt, was Janette gleich zum Anlass nahm, ihm mit der Handkante einen kräftigen Schlag auf seinen Freudenspender zu verpassen. Sein Schmerzensschrei war mitleiderregend, aber schließlich war er selbst schuld, hätte er die Schmiedeleute doch nicht tätlich angreifen sollen. Meister Düring legte ihm den Strafkeuschheitsgürtel um die Taille, Janette drückte den Gürtel so eng wie möglich zusammen, so eng, dass Werner nur noch nach Luft schnappte. Erst als Düring sah, dass es noch enger beim besten Willen nicht mehr ging, ließ er den Verschluss einschnappen. Nun war Janette wieder an der Reihe, sie zog das Schrittblech von hinten durch seine Beine nach vorne, und nahm sein bestes Stück in die Hand, dass jetzt nach dem letzten Schlag allerdings keine Reaktion mehr zeigte. „Du bist ein ganz, ganz böser Junge,“ sagte sie zu ihm (wobei sie aber hintergründig und falsch lächelte), und darum werden wir dir jetzt helfen, ein guter und warmherziger Mensch zu werden.“ Werner schnaubte nur, als sie ihm jetzt sein edelstes Teil in die Stachelröhre steckte, und die erste Vorahnung von Schmerzen bekam er, als sie das Schrittblech mit einem Ruck nach oben zog. „Aber, aber, wer wird denn so empfindlich sein, doch bestimmt keiner, der mit seinen Füßen nach anderen Leuten tritt.“ strahlte Janette ihn an, und auch der Schmied konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Noch einmal zog sie kräftig das Schrittblech nach oben, bis es dann in der richtigen
Position lag und der Schmied den Gürtel mit einem festen Schloss sichern konnte. Noch bevor der Schmied Werners Hände von dem Hals befreien konnte, ließ Janette es sich nicht nehmen, zärtlich Werners Hoden zu kraulen. Die Wirkung war fürchterlich, schon nach wenigen Sekunden fing er vor Schmerzen an zu jaulen wie ein geprügelter Hund. „Meister,“ rief Janette fröhlich, „ich glaube, wir haben genau das richtige Röhrenmaß für diesen Burschen ausgesucht, jetzt schimpft und flucht er nicht mehr, die ersten Zeichen seiner Besserung sind nun schon zu erkennen.“ „Ja, wirklich, liebe Janette, ich muss zugeben, schon jetzt ist bei dem Kerl eine Wendung zum Guten zu erkennen. Nun weiß ich, warum dein Vater beim Verschließen von Burschen auf deine Anwesenheit immer großen Wert gelegt hat, du hast tatsächlich hervorragende Arbeit geleistet.“ Das war schon ein denkwürdiger Augenblick, die ersten Kettenburschen waren erfolgreich verschlossen, auch wenn es einige Schwierigkeiten gegeben hatte. Doch hatte Düring erst jetzt den Wert seiner Gesellin voll erkannt, und seit diesem Zeitpunkt konnte sie noch soviel essen, Janette war ihm ab sofort wie eine Seelenverwandte und eigene Tochter. Kaum war Werner wieder in der Ecke an der Mauer angeschlossen, als von draußen Stimmen zu hören waren. „Nanu,“ wunderte Düring sich, „wer kommt denn jetzt noch so kurz vor der Mittagszeit?“
Teil 80 Unangemeldet, doch durchaus nicht unwillkommen, stand der komplette Rat vom Land der alten Dörfer auf einmal vor der Schmiede, wollte man sich doch einen Eindruck von den ersten Kettenburschen hier im Land verschaffen. Dem Schmied kam das gerade recht, hatte er doch in seinem Innersten den Tritt von Werner noch nicht überwunden. Mit leidvoller Stimme erzählte er von den Mühsalen, die er und seine Gesellin hatten erleiden müssen. Durchaus geneigt hörte der Rat seinen Ausführungen zu, machte aber innerlich Abstriche, da Düring für seine Übertreibungen, zumindest was seine Arbeit angelangt, nicht unbekannt war. Doch als nun auch Janette in das gleiche Horn stieß und erzählte, dass einer der Burschen sich nicht nur widerspenstig, sondern mehr als aggressiv verhalten hätte und auch noch gewalttätig geworden wäre, glaubte man dem Dorfschmied. Schnell wurde allen Beteiligten klar, dass der Umgang mit den Kettenburschen neue Maßnahmen erfordern würde, auf jeden Fall müssten sie strenger gehalten werden als die Mädchen, um Widerstand und Fluchtversuche von vornherein zu verhindern. Der Pastor ließ es sich nicht nehmen, den beiden Burschen einmal kräftig ins Gewissen zu reden und sie zu einem ordentlichen Verhalten zu ermahnen. Während Heinz sich die Ansprache mit gesenktem Blick anhörte, grinst Werner den geistlichen Herrn nur verächtlich an und sagte zu ihm, als der geendet hatte: „Die Rede hättest du dir schenken können, du Himmelskomiker.“ Sämtliche Anwesenden sahen sich empört an, was erlaubte sich dieser Kettenbursche? So eine Unverschämtheit konnte man sich unmöglich bieten lassen, oh nein, man würde den Kerl schon zur Räson bringen. „Meister Düring, „sagte der Bürgermeister, „wir scheinen es hier mit einem besonders verkommenen Objekt zu tun haben, ich halte es für ratsam, wenn ihr den Beiden eine Eisenkugel anlegt.“ Der Vorschlag fand allgemeinen Anklang und Düring und Janette machten sich sofort ans Werk.
Eisenkugeln hatten sie ja immer auf Vorrat liegen, jetzt noch mehr als vorher, weil das Lager in Moordorf ja aufgelöst war. Schnell waren eine mittelschwere und eine schwere Eisenkugel, an denen bereits eine 2 Meter lange Kette angearbeitet war, hervorgeholt an dem Ring am Halseisen mittels eines Vorhängeschlosses angebracht. „Mich können keine Ketten halten, ich bin hier schneller verschwunden als ihr euch das vorstellen könnt, ihr Hirnis.“ schrie Werner wutentbrannt, sah er doch eine Flucht durch die Eisenkugel noch schwieriger werden. Der Rat hatte genug gesehen und verabschiedete sich, beim Hinausgehen sagte der Bürgermeister zum Schmied: „Am liebsten würde ich diesem einen Kerl den Mund stopfen.“ „Herr Bürgermeister,“ rief Janette, die das natürlich mitbekommen hatte, „warum legen wir ihm keinen Knebel an?“ „Das wäre vielleicht nicht das Schlechteste, aber wo bekommen wir einen Knebel her?“ „Lassen sie mich nur machen,“ meinte sie, „das ist schnell erledigt.“ Voll Anerkennung nickte der Bürgermeister mit dem Kopf und meinte zu Düring: „Zu so einem tüchtigen Gesellen kann man nur gratulieren.“ „Das ist wohl wahr,“ entgegnete Düring stolz, „erst heute hat sie wieder bewiesen, wie umsichtig und geschickt sie arbeitet.“ Während Düring den Rat noch zur Strasse begleitete, machte sich Janette schon an die Arbeit: Sie suchte sich ein 3 cm breites, flaches Eisenband, brachte es in ungefähre Kopfform, hielt es an Werners Kopf und markierte zwei Punkte auf dem Eisen. Währenddessen war Düring in die Werkstatt zurückgekommen und sah ihr interessiert bei der Arbeit zu: Nachdem Janette das gebogene Eisenband an beiden Enden etwas gekürzt hatte, legte sie es zusammen mit einem flachen Stück Eisen in die Esse. Aus der Eisenplatte schmiedete sie mit geschickten Händen ein ovales Rohr, holte das Eisenband aus dem Feuer, bog die hinteren Enden um und schlug mit einem Dorn jeweils ein Loch hinein. Nachdem beide Werkstücke in der Esse wieder erhitzt worden waren, schlug sie in der Mitte des Eisenbandes ein Loch hinein, schmiedete das ovale Eisenrohr von innen an und versah das Rohr vorne und hinten rundherum mit kleinen Löchern. Ein passendes, dickes Stück Leder war schnell gefunden, wurde zurechtgeschnitten und um die ovale Röhre gelegt; mit kleinen, glühenden Kopfnägeln, die in die vorbereiteten Löcher geschlagen wurden, war das Leder dann an der Röhre befestigt. Nachdem der Knebel mit Wasser abgekühlt worden war, betrachtete Düring ihn von allen Seiten. „Saubere Arbeit,“ meinte er anerkennend, „dazu noch in dieser kurzen Zeit. Auch der Einfall mit dem Luftloch ist hervorragend, so wird dem Kerl bei der Arbeit jedenfalls nicht die Puste ausgehen.“ Janette ging das Lob ihres Meisters herunter wie Öl, bescheiden meinte sie nur: „Nun müssen wir aber erst mal sehen, ob es auch passt.“ Werner, der den Beiden bei der Arbeit zugesehen hatte und wusste, was da auf ihn zukommen sollte, presste die Lippen zusammen, doch Janette hielt ihm die Nase zu und nach wenigen Sekunden musste er notgedrungen nach Luft schnappen, aber er hatte den Mund nicht weit genug geöffnet, um sich den Knebel hereinschieben zu lassen. „Meister, das Bürschchen will nicht, würden sie den Knebel nehmen und ihn gleich, wenn er den Mund schön weit aufgemacht hat, hineinstecken?“ Düring zuckte nur mit den Schultern, nahm den Knebel in die Hand und fragte sich, was in aller Welt Janette jetzt wieder vorhatte. Die fasste in Werners Schritt, nahm einen seiner Hoden in die Hand und presste ihn so stark, dass Werner nicht anders konnte als vor Schmerz laut aufzuschreien, im gleichen Moment saß der Knebel auch schon bei ihm im Mund. Düring hielt den Knebel fest, während Janette mit einem Schloss die Enden des
Eisenbandes am Hinterkopf sicherte. „Das war’s dann wohl,“ rief der Schmied erleichtert, „jetzt wird es aber auch wirklich Zeit zum Mittagessen, ich hoffe, du hast auch richtig Hunger.“ „Ja, Meister, Hunger hab ich schon, aber sie wissen doch, mehr als ein kleines Häppchen darf ich nicht.“ „Nein,“ sagte Düring und grinste sie kameradschaftlich an, „das ist mit vollkommen klar: Selbstverständlich nur ein kleines Häppchen, wie immer.“
Teil 81 Während sich wohl alle Leute im Land der alten Dörfer zum Mittagessen zurückgezogen hatten, standen Werner und Heinz noch immer angekettet in der Schmiede. Kein Mensch fragte danach, ob sie vielleicht auch Hunger oder Durst hätten. „Was werden die jetzt mit uns machen?“ wollte Heinz vor Werner wissen, doch der gab, bedingt durch seinen Knebel, nur unverständliche Geräusche von sich, so dass jeder Versuch einer Unterhaltung im Vorfeld zum Scheitern verurteilt war. Es dauerte noch bis zum frühen Nachmittag, bis sich endlich wieder jemand um sie kümmerte. Zuerst war das Rumpeln eines Ackerwagens zu hören, dann betraten zwei Männer die Schmiede. Nach einer kurzen Begrüßung der Männer löste Düring bei Werner das Schloss dicht unter dem Halseisen, so dass er seine Arme, jedenfalls in dem kurzen Bereich, den die durch den Halsreifring führende Kette zuließ, wieder bewegen konnte. Auch die Schlösser, die ihre Halsketten an den Eisenringen an der Wand gesichert hatten, wurden geöffnet und die beiden Kettenburschen, die ihre Eisenkugeln aufzunehmen hatten, in Richtung Ackerwagen geführt. Während Heinz einigermaßen laufen konnte, war es für Werner nur mit Trippelschritten möglich, Fuß vor Fuß zu setzen. „Nun sieh zu das du weiterkommst, das geht auch schneller.“ wurde er angebrüllt. Wie Kartoffelsäcke wurden sie auf den Wagen geladen, auf ein zusätzliches Anketten an dem Ackerwagen konnten die Männer in diesem Fall verzichten, denn jede Flucht war ausgeschlossen. Die Männer stiegen auf den Kutschbock, einer nahm die Zügel der beiden Pferde in die Hand, schnalzte mit der Zunge und der Wagen setzte sich in Bewegung. Langsam fuhren sie durch Hohedörp, die Burschen auf der Ladefläche schauten sich um, immer noch nicht richtig verstehend, wo sie sich nun eigentlich befanden. Die Fahrt zu dem entlegenden Wäldchen dauerte an die anderthalb Stunden, nachdem Hohedörp hinter ihnen lag gab es außer Feldern, Wiesen und Äckern nicht mehr viel zu sehen. Nur manchmal sahen die Burschen Leute auf dem Feld arbeiten, ein Teil von denen schienen genau wie sie in Ketten geschlagen zu sein, doch sicher waren sie sich nicht, da die Entfernung meist zu groß war. Nur einmal sahen sie ein Mädchen dicht an dem Feldweg arbeiten, die trug die gleichen Eisenfesseln wie sie selbst. Das Ziel der Fahrt war erreicht, die Männer stiegen von dem Kutschbock herunter und ehe sich die Burschen versahen, standen sie neben dem Ackerwagen. Wieder hatten sie ihre Eisenkugel aufzunehmen und wurden an den Halsketten zu ihrem neuen Zuhause hingeführt. Der Not gehorchend hatte man in der letzten Woche einen schmalen Durchgang zu dem Turm freigemacht, der Rest des Weges war aber immer noch überwuchert und zugewachsen. So konnten die Kettenburschen erst auch nicht sehen, wohin sie gebracht wurden. Doch dann war schon durch das Dickicht die Spitze des Turms erkennbar, kurze Zeit später standen sie vor der geöffneten Turmtür. „Ist jemand zu Hause?“ rief einer der Männer. Nach wenigen Augenblicken kam die neu ernannte Aufsichtsperson für die Kettenburschen heraus, es war niemand anderes als die
Frau Bültena, die schon in Moordorf die Sträflinge unter sich gehabt hatte. Mit einem knappen „Moin“ begrüßte sie die beiden Männer und nahm dann ihre neuen Schutzbefohlenen in Augenschein. „Da habe ich seit Jahren nichts anderes gemacht als Kettenmädchen zu beaufsichtigen, die besten Jahre meines Lebens habe ich dafür geopfert,“ klagte sie, „und wie hat man es mir gedankt? Nun muss ich Kettenburschen beaufsichtigen, und noch dazu in diesem alten Wehrturm leben.“ Sie sah ihre Burschen mit einem bitterbösem Blick an und meinte: „Ich war im Moor immer eine viel zu mitfühlende Seele, konnte vor Sorgen wegen der Mädchen so manche Nacht nicht schlafen, aber das ist jetzt vorbei, nun gibt es kein Mitleid mehr.“ Bei dieser Rede schlug Heinz vor lauter Angst das Herz bis zum Hals, doch Werner sah seine Aufpasserein nur geringschätzig an. Der Bültena, erfahren in dem Mimenspiel von Gefangenen sah, entging der Blick von Werner nicht, sie stellte sich vor ihm hin und meinte: „Kann es sein, dass du mir Ärger machen willst, Bürschchen?“ Bedingt durch den Knebel war er zu keiner verständlichen Antwort in der Lage, so zuckte er als Antwort nur mit den Schultern. „Auf dich werde ich ein ganz besonders scharfes Auge halten.“ sagte sie zu ihm und sah ihn dabei kaltlächelnd an. „Bringt die Burschen in den ersten Stock des Turms.“ befahl sie den Männern, die zwar erst zögerten, weil sie es nicht einsahen sich von der Bültena kommandieren zu lassen, aber der ihnen übertragenen Aufgabe gerecht werden wollten und in diesem Ausnahmefall von ihr einen Befehl annahmen. Bei Heinz war es kein Problem, er ging, mit der Eisenkugel in den Händen, in den Turm hinein und stieg folgsam die Steintreppe hoch. Bei Werner wurde die Sache schon schwieriger, es war ihm gut anzumerken, dass er der Aufforderung zum Abmarsch in den Turm nur widerwillig folgte. Doch sah er ein, dass er die Übermacht von den beiden Männern und der Aufseherin nichts entgegenzusetzen hatte und ging in den Turm hinein. Schwierig wurde es aber, als er die Treppe hinaufsteigen sollte, Schmiedemeister Düring und seine Gesellin Janette hatten die Kette zwischen den beiden Fußeisen so kurz gehalten, dass er es einfach nicht schaffte, einen Fuß nach dem anderen auf die Treppe zu setzten. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als mit der Eisenkugel in den Händen Stufe für Stufe hochzuspringen, selbst einem sportlichen Typ wie ihm ging nach der 10. Stufe die Puste aus, doch unerbittlich wurde er von der Bültena hochgetrieben, wobei ihr die Peitsche, die sie aus dem Moorlager mitgebracht hatte, gute Dienste leistete. Endlich in der ersten Turmkammer angekommen wurde das Ende seiner Halskette gleich an einem Ring in der Wand angeschlossen, das gleiche Schicksal erlitt auch Heinz. Als die Burschen sicher angekettet waren, machten sich die beiden Männer auf den Nachhausweg, länger als unbedingt notwendig wollten sie in dem Gemäuer nicht bleiben. Die Bültena schloss sich den Männern an und ging auf wieder die Treppe hinunter. Die beiden Gefangenen sahen sich nun erst mal in dem Turmzimmer um, und was sie da sahen, gefiel ihnen absolut nicht: Dort gab es nur einen Haufen Stroh, den sie sich teilen konnten, zwei alte Pferdedecken stellte ihr Bettzeug dar, als Krönung gab es noch einen Holzeimer mit einem Deckel darauf, der würde in der nächsten Zeit ihr WC sein. „Ich will hier nicht bleiben,“ rief Heinz weinerlich, „warum tut man uns so etwas an, dass ist doch nicht mehr menschlich!“ Werner versuchte zu antworten, doch hatte er immer noch den Knebel im Mund und so verlief die Unterhaltung ziemlich einseitig.
Teil 82 Während die beiden Kettenburschen noch darüber nachdachten, wie um alles in der Welt sie in eine solche Situation hatten geraten konnten, ging das Leben im Land der alten Dörfer seinen gewohnten Gang. Inzwischen waren weitere Kettenmädchen angekommen und auf die Dörfer verteilt worden, auch Monika war ein weiteres Mädchen zugeteilt worden, da sie mit der Käserei zuviel Arbeit hatte. Als Birgit, das neue Mädchen, gebracht wurde, war nichts mit ihr anzufangen. Schlotternd vor Angst stand sie vor den Bauersleuten de Fries, war vor lauter Heulen unfähig auch nur ein verständliches Wort herauszubringen. Doch Monika wusste mit ihr umzugehen, mit jedem Tag der verging, wurde Birgit ruhiger und vertrauensvoller, nach einem Monat war die Bäuerin wie eine Mutter für sie. Ja, trotz ihrer Fesseln und Ketten himmelte sie Monika geradezu an, denn sie wurde fair und gerecht behandelt und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, einer Familie zugehörig zu sein. Dazu hatte sie von Anja, mit der sie in einer Buzze schlief, schon viel Böses über das Straflager im Moor gehört. Zwar sollte das Lager jetzt angeblich aufgelöst sein, doch wer konnte schon sagen, ob es nicht einfach wieder in Betrieb genommen werden würde, schließlich benötigten die Leute den Torf zum Heizen und Kochen, und wer würde jetzt den Torf abbauen? Doch das sollte Birgits Sorge im Moment nicht sein, sie tat wirklich ihr Bestes, um alle an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen, und sie schaffte es auch, dass man mit ihr zufrieden war. Wäre da doch nur nicht dieser verflixte Keuschheitsgürtel gewesen, früher hatte sie sich jeden Tag mindestens einmal selbst befriedigt, doch nun ging überhaupt nichts mehr. Auch an den Badetagen am Samstag konnte sie sich nicht selbst berühren, weil die Bäuerin sie nicht aus den Augen ließ. Kaum war sie aus dem Bottich heraus, da wurde ihr der Keuschheitsgürtel wieder umgelegt, dabei musste sie auch noch dankbar sein, nicht einen der schweren Strafgürtel tragen zu müssen, von dem Anja ihr aus eigener Erfahrung berichtet hatte. Anja, die ihre Fluchtversuche so teuer hatte bezahlen müssen, war inzwischen ruhig und ausgeglichen. Nicht nur, dass sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden hatte, nein, sie hatte sogar Freude an ihrer Arbeit gefunden. Am meisten liebte sie die Arbeit in der Käserei, schnell war sie mit den meisten Arbeitsschritten vertraut und durchaus in der Lage, selbstständig und alleine die Käseproduktion zu bewältigen, zumindest die erste Zeit, denn immer mehr Bauern wollten ihre Milch zur Käserei liefern, weil die Bezahlung dort einfach besser war, als wenn sie die Milch in gewohnter Weise ablieferten. Auch der Advokat Meyerdirks war in Punkto Käse aktiv geworden und hatte einzelne Käselaibe zur Verkostung mitgenommen. Die Resonanz auf den Käse war mehr als gut, immer öfter klingelte bei Meyerdirks das Telefon und es häuften sich die Anfragen, wo dieser Käse zu bekommen wäre. So kam der Zeitpunkt, dass Monika sich für eine Richtung entscheiden musste: Sollte sie jetzt die vielversprechende Käserei weiter ausbauen oder sich in die Rolle der einfachen Bäuerin einfügen, die sie durch die Eheschließung mit Wilko de Fries eingegangen war. Beides zusammen würde sie nie bewältigen können, das war ihr klar, nur wie sollte sie sich entscheiden? Das Problem löste sich aber ganz von selbst, ihre Monatsblutungen blieben aus, denn Monika war schwanger. Instinktiv fühlte sie, dass es das Wichtigste ist, einem Kind ein Zuhause geben zu können, und so kamen bei ihr Überlegungen auf, die Käserei trotz der sehr guten Erfolge wieder zu schließen. Doch da hatte sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn die Bauern, die ihr bisher die Milch zu einem für sie selbst guten Preis geliefert hatten, legten Protest ein und wollten auf die vermehrte
Einnahme nicht verzichten. Nun war guter Rat teuer, Monika selbst würde nur noch absehbare Zeit in der Käserei mitarbeiten können, ein weiteres Kettenmädchen würde ihr auch nicht zur Verfügung gestellt werden, das war schon mal klar. Doch wer sollte in Zukunft die Käserei weiterführen? Es blieb nichts anderes übrig, als Anja für die Käserei abzukommandieren, denn sie war außer Monika die Einzige, die alle Kniffe und Tricks der Käsezubereitung kannte. So wurde Anja nun jeden Morgen von Monika in die Käserei geführt, um die dort anfallenden Arbeiten zu erledigen. Sie war gerne dort, konnte sie jetzt doch ohne Aufsicht und Bevormundung arbeiten, außerdem war sie in der Lage, sich die Arbeit selbst einzuteilen, Hauptsache, dass bis zum späten Nachmittag die gelieferte Milch verarbeitet war. Der einzige Wermutstropfen dabei waren nur die relativ kurze Fußkette, die ihr größere Schritte unmöglich machten sowie die Laufkette, an die sie jeden Morgen angeschlossen wurde, doch als wirklich störend empfand sie das Klirren der Ketten auf dem Steinfußboden, das bei jedem ihrer Schritte eine traurige Melodie spielte.
Teil 83 Spät am Tag machte sich Bültena die Arbeit, ihren Gefangenen eine Holzschüssel mit Gerstenbrei sowie zwei Holzlöffel in die Kammer zu bringen, auch eine Kanne mit Wasser brachte sie mit. „Glaubt ja nicht, dass ich euch jeden Tag etwas zu Essen bringe, in Zukunft werden ihr für euren Fraß selber sorgen müssen.“ klärte sie die Burschen beim Betreten des Raumes schwer atmend auf, das ungewohnte Treppensteigen hatte ihr schwer zu schaffen gemacht. Sie stellte die Kanne und die Schüssel auf dem Boden ab und wollte schon gerade wieder die Treppe hinuntergehen, als ein Schnaufen von Werner sie zurückhielt. „Nichts als Arbeit habe ich mit diesen Burschen.“ maulte sie schlechtgelaunt, ging zu Werner und öffnete das Schloss seines Knebels und nahm ihm das Marterinstrument ab. Der bewegte seinen Kiefer mehrmals, scheinbar hatte er durch das Tragen des Knebels eine Art Maulsperre bekommen, jedenfalls war es ihm nicht möglich, den Mund zu schließen und so sah er aus wie ein Fisch auf dem Trockenen. Bültena stand immer noch bei ihm und sah ihn fordernd an, doch Werner war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um etwas zu bemerken. Nach zwei Minuten fragte die Bültena: „Na, wird’s bald oder muss ich noch lange warten?“ Er sah sie nur verständnislos und wusste nicht, was von ihm erwartet wurde. „Willst du nicht dafür bedanken, dass ich dir den Knebel abgenommen habe, du Nichtsnutz?“ „Ja, vielen Dank.“ sagte er und bekam im gleichen Augenblick einen Streich mit der Peitsche übergezogen. Während er vor Schmerz noch jaulte, brüllte Bültena ihn an: „In Zukunft heißt es: „Vielen Dank, Frau Bültena,“ außerdem hast du mich nicht anzusehen sondern deinen Blick auf den Boden zu richten, du Wurm. Hast du das begriffen?“ „Jawohl, Frau Bültena, vielen Dank, Frau Bültena.“ beeilte er sich zu sagen, schnell hatte er begriffen, dass mit den Leuten im alten Land nicht zu spaßen war und er mit seiner schnodderigen Art hier nicht weiterkommen würde. Bültena drehte sich befriedigt um, warf noch einen Blick auf Heinz, der sie mit vor Angst aufgerissenen Augen ansah, blaffte ihm noch ein kurzes: „Das gilt auch für dich.“ zu und stieg die Treppe hinunter.
Die Burschen besahen sich misstrauisch ihr Abendbrot, Heinz probierte und verzog das Gesicht. „Das Zeug ist ja ekelig.“ meinte er angewidert, woraufhin auch Werner den Gerstenbrei probierte und seine Meinung bestätigte: „Das ist nicht nur ekelig, das ist auch noch angebrannt, dazu fehlt auch noch jedes Gewürz, noch nicht mal Salz ist an diesem Fraß dran.“ Nur wenig später zog ein Geruch hoch, der ihnen das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Beide schnupperten an den Küchendüften, während ihre Mägen rebellisch knurrten. „Gebratenes Schweinekotelett, dazu Bratkartoffeln mit Speck und viel Zwiebeln.“ sagte Werner selbstsicher. „Gott sei Dank,“ rief Heinz erleichtert, „ich dachte schon, dass diese Pampe unser einziges Essen sein sollte.“ Immer lauter wurde das Magenknurren der Burschen, Heinz meinte: „Mir ist schon ganz schlecht vor Hunger, hoffentlich kommt die Bültena bald.“ Doch nichts geschah, dann nach einer ganzen Weile hörten sie einen langgezogenen Rülpser, der nur von ihrer Aufseherin kommen konnte. „Das war’s dann mit unserem Essen, Kotelett und Bratkartoffeln gibt es hier wahrscheinlich nur für das Aufsichtspersonal.“ knurrte Werner. „Und was ist mit uns, ich sterbe gleich vor Hunger.“ klagte sein Mitgefangener. „Dann solltest du noch etwas von diesem deliziösen Brei essen, wenn du so einen Kohldampf hast, meinen Teil überlasse ich dir gerne.“ Tatsächlich nahm Heinz sich die Schüssel und schlang den Inhalt mit Todesverachtung hinunter, lieber so einen Fraß als verhungern, dachte er sich. Bis zum nächsten Morgen passierte überhaupt nichts mehr, mal davon abgesehen, dass Heinz Durchmarsch bekommen hatte und dreimal auf dem Holzeimer sitzen musste, was die allgemeine Stimmung nun auch nicht steigen ließ. Kurz nach der Morgendämmerung war das Schnaufen von der Bültena zu hören, die mühsam die Treppe heraufkam. Mit einem barschen: „Auf die Beine, ihr Nichtsnutze!“ jagte sie die Burschen hoch. Sie löste die Halsketten von der Wand und schickte sie die Treppe hinunter. Für Heinz kein Problem, aber bei Werner war es schon fast ein akrobatischer Akt, mit der schweren Eisenkugel in den Händen Stufe für Stufe hinunterspringen zu müssen. Untern angekommen wurden sie vor die Tür geschickt, ihre Aufseherin nahm das Ende einer langen Kette und befestigte mit einem Vorhängeschloss die Enden der Halsketten mit an der langen Kette. „Ihr fangt jetzt an die Zufahrt zu dem Turm freizumachen, und zwar bis der Wald zu Ende ist. Links und rechts der Straße will ich es gerade geschnitten haben, das abgesägtes Holz und die Zweige bringt ihr hier zum Turm.“ Sie drückte jedem eine Säge in die Hand, schickte sie an die Arbeit und ging zurück in die Turmkammer, um sich ein reichhaltiges Frühstück zu gönnen. Nach einer halben Stunde war wieder mal ein tierisches Rülpsen zu hören, kurz darauf kam die Bültena vor die Tür, um nach dem rechten zu sehen. „Mehr habt ihr noch nicht geschafft, ihr Tagediebe!“ brüllte sie die Burschen an, die daraufhin an Tempo zulegten. Kaum war ihre Sklaventreiberin wieder im Turm verschwunden, als Werner es wieder ruhig angehen ließ, warum auch sollte er sich hier ein Bein ausreißen? Doch da kam die Bültena schon wieder an, in der einen Hand hielt sie einen Hammer, in der anderen einen Stock. Nichts Gutes ahnend sahen die Burschen die Bültena auf sich zukommen, und beide fragten sich, was für eine Teufelei diese Frau wohl jetzt wieder mit ihnen vorhatte.
Teil 84 Bei Monika riss die Arbeit nicht ab, zwar war ihr Anja in der Käserei eine große Hilfe, auch Birgit mach-
te sich gut, aber wie sollte es werden, wenn die Schwangerschaft sich richtig bemerkbar machen würde und sie nicht mehr voll mitarbeiten könnte. In ihrer Not hatte sie ihren Mann nach Hohedörp zum Rat geschickt, dort sollte er ein weiteres Kettenmädchen beantragen. Doch kam er unverrichteter Dinge wieder zurück, denn laut Statuten durften im Land der alten Dörfer je Haus höchstens zwei der Mädchen gleichzeitig aufgenommen werden. Wilko überbrachte seiner Frau die schlechte Nachricht nur ungern, doch Monika verstand es, aus jeder Situation das Beste zu machen. „Die Lösung liegt doch auf der Hand,“ sagte sie zu Wilko, „Anja wohnt ab sofort in der Käserei, dann ist hier wieder ein Platz frei und der Rat kann uns ein weiteres Mädchen schicken.“ „Anja alleine in der Käserei? Nein, Monika, jetzt gehst du aber wirklich zu weit, mit dem Plan wirst du wohl kein Glück haben.“ „Das ist doch ganz einfach,“ gab sie zurück, „in der Käserei ist doch noch eine Kammer frei, die richten wir einfach für Anja ein. „Und wer passt auf sie auf, wir können sie doch nicht alleine lassen, du weißt genau, dass ich ihr immer noch nicht traue.“ „Mach dir keine unnötigen Sorgen, mein Lieber, erst mal hat sie jeden Fluchtgedanken aufgegeben, außerdem wird sie Tag und Nacht an einer Laufkette angeschlossen sein.“ Wilko kratzte sich am Kinn, dachte eine Weile nach und meinte: „Du schaffst es doch immer wieder deinen Willen durchzusetzen, aber egal, wir können es ja mal versuchen, ich werde nächste Woche noch einmal mit dem Rat sprechen.“
Anja hatte von dem, was da auf sie zukommen sollte, noch keine Ahnung, wunderte sich aber, als auf einmal Tischler Bruns in der Käserei auftauchte und zusammen mit ihrer Bäuerin in die kleine Kammer ging. Nach wenigen Minuten kamen sie zurück, Bruns stecke seinen Bleistift, mit dem er einige Maße auf einem kleinen Holzbrett notiert hatte, wieder in die Tasche und verabschiedete sich. Zu gern hätte sie gewusst, was mit der Kammer passieren sollte, aber Fragen stellen durfte sie nicht, entweder würde die Bäuerin es ihr von selbst erzählen oder sie würde einfach abwarten müssen. In der Zwischenzeit war Wilko wieder bei dem Rat vorstellig geworden und stellte erneut, nachdem er den veränderten Sachverhalt erklärt hatte, einen Antrag auf Zuweisung eines weiteren Kettenmädchens. Begeistert war der Rat nicht, und zuerst sah es auch nicht so aus, als wenn sie über die Angelegenheit positiv urteilen würden, doch war es unumgänglich die Käserei in Betrieb zu halten, und so blieb dem Rat nichts anderes übrig, als der Familie de Fries ein weiteres Mädchen zuzuteilen. Froh, diese Angelegenheit geregelt zu haben, ging Wilko zu seinem Pferd zurück und hatte sich gerade in den Sattel geschwungen, als er den Schmied Düring und seine Gehilfin Janette auf den Dorfplatz kommen sah, beide jeweils 2 Kettenmädchen im Schlepptau. Schnell sprang er wieder vom Pferd herunter, ging nochmals zum Rat und fragte, ob er nicht gleich eines der neuen Mädchen mitnehmen könne. Dagegen hatte der Rat nichts einzuwenden, bat ihn aber darum, bei der Gelegenheit das für Bauer Tjaden in Andersum zugedachte Kettenmädchen mitzunehmen. Wilko gab zu verstehen, dass er die Aufgabe gern übernehmen würde und ging. zum Dorfplatz zurück, wo ihm der Schmied, der auf dem Weg zum Bürgermeister war, um die Schlüssel für die Ketten und Keuschheitsgürtel der Neuen abzuliefern, schon entgegenkam. „Meister Düring,“ rief Wilko ihm zu, „ich soll zwei der Mädchen mit nach Andersum nehmen, ich brauche die passenden Schlüssel.“ „Dann lass uns mal hingehen und sehen, welche von denen du haben
willst.“ Nachdem Wilko auch Janette begrüßt hatte, nahm der die vier Neuen in Augenschein. Eine von ihnen hatte glasige Augen, die schied schon mal aus, eine andere hatte einen wütenden und aufsässigen Blick, die zu erziehen überließ er gern jemand anderem, die Erfahrungen mit Anja hatten ihm voll und ganz gereicht. Als er seine Wahl getroffen hatte, machte der Schmied die anderen zwei Mädchen los und gab Wilko die Enden ihrer Halsketten in die Hand. Der lieh sich vom Schmied die beiden Vorhängeschlösser, befestige links und rechts vom Pferd die Enden an den Steigbügeln und saß auf. Nach einem kurzen „Hü“ setzte sich das Pferd in Bewegung und den Mädchen blieb nichts anderes übrig als mitzulaufen und Schritt zu halten, was aber durch die Fußketten und durch das Scheuern von den Schrittblechen der Keuschheitsgürtel an den Innenseiten ihrer Schenkel nicht so einfach war. Lang war der Weg nach Andersum, lang für den Reiter, der auf die gefesselten Mädchen Rücksicht nehmen musste, aber noch viel länger für die Mädchen. Entführt in eine Gegend die für sie so fremd war wie das Mittelalter, Eisenfesseln an Füßen und Händen, Halsreif mit Kette und einen Keuschheitsgürtel tragen müssend, angebunden an ein Pferd und dazu noch in Holzschuhen laufend, die schon lange schmerzten, dazu auch noch diese entwürdigenden Lumpen auf dem Leib tragen zu müssen, das alleine war schon mehr als hart, doch am Schlimmste war nicht zu wissen, was jetzt auf sie zukommen würde und so heulten sie vor sich hin, dabei wohl wissend, dass sich niemand für ihr Schicksal interessierte. Endlich kamen sie in Andersum an, vor einem der Bauernhäuser hielt der für sie fremde Mann das Pferd an und stieg ab. Gleich darauf kam eine Frau aus dem Haus die sagte: „Ich habe mir schon Sorgen gemacht, wo bist du so lange gewesen?“ „Schneller ging es leider nicht,“ gab Wilko ihr zur Antwort, „eines der Mädchen hätte ich wohl bei mir aufsitzen lassen können, doch bei Zweien mussten sie eben laufen, darum hat es so lange gedauert.“ Monika sah die Mädchen an und fragte ihren Mann: „Welches der beiden Mädchen ist uns zugeteilt worden?“ „Du kannst dir eine aussuchen.“ meinte er, worauf sie sich die beiden Unglücklichen genauer ansah. Die Mädchen standen mit gesenkten Köpfen neben dem Pferd, sie fühlten sich erniedrigt und gedemütigt, kamen sich vor wie ein Stück Vieh, dass den Besitzer wechseln sollte, sehr viel anders konnte es früher bei den Sklavenversteigerungen auch nicht zugegangen sein. „Lass uns die mit den langen, schwarzen Haaren nehmen, die finde ich ganz niedlich.“ fällte Monika ihr Urteil, sich selbst nicht mehr vorstellen könnend, dass es gar nicht mal so lange her war, als sie selbst als neues Kettenmädchen in das Haus von Wattjes geführt worden war. Wilko war es recht, er löste die Kette des dunkelhaarigen Mädchens, gab das Ende der Halskette seiner Frau in die Hand und stieg wieder auf sein Pferd, um nun auch das andere Mädchen an ihren Bestimmungsort zu bringen.
Teil 85 Frau Bültena lief auf die Burschen zu, ging an ihnen vorbei und beachtete sie nicht mal mit einem kurzem Blick. Nach ungefähr 20 Metern blieb sie stehen und schlug den Stock rechts neben dem zugewachsenem Weg in die Erde ein. Auf dem Rückweg zum Wehrturm blieb sie kurz bei den Burschen stehen, sah sie an und achtete streng darauf, dass sie in ihrer Gegenwart die Blicke zu Boden gerichtet hielten. „Kann es sein, dass ihr Hunger
habt?“ fragte sie die Burschen scheinheilig. Heinz, dem genau wie Werner vor Hunger schon ganz schlecht war, antwortete: „Jawohl, Frau Bültena.“ „Nun,“ meinte sie boshaft grinsend, „wenn ihr den Weg bis zum dem eingeschlagenen Stock fertig habt, dann sollt ihr auch etwas zu essen bekommen, vorausgesetzt, ihr habt ordentlich und sauber gearbeitet.“ Befriedigt darüber, ihre Schützlinge zu vollem Arbeitseinsatz motiviert zu haben, kehrte sie zum Turm zurück, holte sich den Schaukelstuhl nach draußen und sah den Jungs bei der Arbeit zu. Während die Burschen nun bei ihrer Arbeit noch einen Schlag zulegten, um das vorgegebene Ziel so schnell wie möglich zu erreichen, wobei sie aber noch daran zweifelten, ob es überhaupt zu schaffen war, saß die Bültena in ihrem Stuhl, ließ sich von der Sonne wärmen und genoss das Leben. Kaum war sie bei ihrer anstrengenden Tätigkeit in einen leichten Schlummer gefallen, als sie von wütendem Hundegebell geweckt wurde. Seufzend und sich selbst bedauernd stand sie auf, um besser sehen zu können, woher der Lärm kam. Lange brauchte sie nicht zu warten, und als sie die Ursache für den Krach erkannt hatte, ging ein zufriedenes Lächeln über ihr Gesicht. Ein Mann kam den Weg entlang, zwei Schäferhunde an der Leine führend. Sobald die Hunde die Bültena erkannt hatten stießen sie ein freudiges Heulen aus, machten einen derartigen Satz nach vorne, so dass dem Hundeführer die Leinen aus der Hand gerissen wurden und stürmten auf ihre alte Herrin zu, um an ihr hochzuspringen und sie auf das Freudigste zu begrüßen. Heinz und Werner, die sich zu dem Zeitpunkt ziemlich genau in der Mitte zwischen der Aufseherin und dem Hundeführer befanden, befürchteten im ersten Augenblick, dass die Hunde auf sie selbst zurennen würden, um so größer war ihre Erleichterung, als die beiden scharfen Schäferhunde an ihnen vorbeiliefen. Nichtsdestotrotz war ihnen schnell klar, dass diese Hunde in Zukunft auf sie aufpassen würden, womit sich ihre Chancen an eine Flucht, woran aber nur Werner dachte, wesentlich minimiert wurden. Der Mann, der die Hunde gebracht hatte, grüßte von der Ferne und sah zu, dass er diese unsympathische Gegend so schnell wie möglich wieder verlassen konnte, sollte die Aufpasserin sich doch selbst um die Tiere kümmern, er zumindest war froh, seinen Auftrag erledigt zu haben. Nur drei Tage später kam wieder Besuch, diesmal wurden 4 Kettenburschen auf einen Schlag gebracht, auch sie waren mit Halseisen, Fuß- und Armfesseln und dem unerlässlichen Keuschheitsgürtel versehen worden. Vorsichtshalber brachte Bültena drei der Burschen jetzt in der oberen Turmkammer unter, die anderen Drei hatten ihren Schlafplatz im mittlerem Turmzimmer, was für die Bültena bedeutete, dass sie nun zweimal täglich den mühsamen Gang bis ganz oben in den Turm machen musste, was ihr, bedingt durch ihre Faulheit und ihr enormes Übergewicht, verständlicherweise unendlich stank. Aber damit waren ihre Leiden noch lange nicht vorbei, musste sie doch nun auch noch jeden Tag für die sechs Burschen kochen. Zwar machte sie sich die Sache so einfach wie nur möglich, Graupensuppe ohne Gemüse und ohne Fleisch war schnell gemacht, doch kam sie nicht umhin, immer wieder mit einem Holzlöffel die Suppe umrühren zu müssen. Wehleidig dachte sie an die guten alten Zeiten beim Torfabbau zurück, da brauchte sie sich um nichts zu kümmern, das Kochen, die Gartenarbeit und die Versorgung des Viehzeugs hatte Anja erledigt, und kochen konnte die, es war die reinste Freude. Als sie nun am späten Nachmittag einen Topf mit Pellkartoffeln aufsetzte, zu dem es eingelegten Hering
aus dem großen Fass geben sollte (etwas anderes hatten die Burschen außer dem Brei noch nie zu essen bekommen), wurde ihr klar, dass sie dabei war, sich zu Tode zu arbeiten. Am gleichen Abend, als die 6 Gefangenen vor dem Turm auf der Erde saßen und ihre magere Kost zu sich nahmen, befragte sie ihre Schutzbefohlenen, welche Tätigkeiten sie denn vor ihrer Verschickung ausgeübt hätten. Zwar konnte sie mit Ausdrücken wie Programmierer, Fernmeldetechniker, Gymnasiast, Kfz-Mechaniker und Elektriker wenig anfangen, aber immerhin hatte einer der Burschen eine Ausbildung als Schlachter angefangen. Das war nun genau er richtige Kerl für die Bültena, so einer musste sich auch auf die Zubereitung von Lebensmitteln verstehen, denn Brühen und Räuchern gehören schließlich zu dem Handwerk. „Seltsam,“ dachte die Bültena bei sich, „nur einer von den Burschen hat angefangen einen richtigen Beruf zu lernen, was immer die anderen gemacht haben, kann ich hier nicht gebrauchen.“ So wurde der arme Heinz von der Bültena nicht nur als Toiletteneimerentleerter, Koch und Putzfrau eingeteilt, nein, ab sofort war er Mädchen für alles. Noch am gleichen Abend holte Bültena eine lange Kette aus dem Keller, befestige das Kettenende am Halseisen von Heinz, nahm ihm dafür aber die Eisenkugel ab. Das andere Ende der Kette befestige sie an einem Eisenring, der nahe der Treppe zum ersten Turmzimmer in der Wand eingelassen war. So war es für Heinz möglich, trotz der Laufkette vom Keller bis in das zweite Turmzimmer gehen zu können. Damit begann für ihn ein Leidensweg, um den er von seinen Kameraden nicht beneidet wurde, stand er doch nun unter der ständigen Aufsicht dieser herrischen Frau. Das einzige, was die Bültena jetzt noch machen musste, war zweimal täglich ins erste Turmzimmer zu gehen, Morgens, um die Ketten loszumachen, Abends, um die Gefangenen wieder dort anzuschließen. Nach drei Tagen hatte sie von der gewaltigen Anstrengung allerdings die Nase voll, den sie fand es wirklich unzumutbar, zweimal täglich die Treppe hoch- und niederzusteigen, und wie allen faulen Menschen fiel ihr schnell die Lösung für das Problem ein.
Teil 86 Monika führte das neue Mädchen in die Küche, befestigte ihre Halskette an der Laufleine und wies ihr einfache Arbeiten an, ging dann wieder nach draußen, um auf ihren Mann zu warten. Kaum war sie aus der Tür hinaus, als die Neue von Birgit wissen wollte, wo um alles in der Welt sie nun eigentlich gelandet wäre, doch Birgit gab ihr nur zu verstehen, dass sie nicht reden sollte, sonst würden sie es am nächsten Sonntag beide bereuen müssen. Der Neuen fiel es schwer keine Fragen stellen zu dürfen, konnte sie ihre Situation doch immer noch nicht richtig einschätzen, aber klugerweise hörte sie auf den geflüsterten Rat des anderen Mädchens und erledigte die ihr übertragenen Aufgaben. Schwierig wurde es nur, wenn beide in der Küche hin- und herlaufen mussten, da konnten sich die Laufketten schnell einmal verwickeln, so dass für keine mehr ein Vorwärtskommen gegeben war. Richtig schlimm wurde es erst am Abend, als Anja aus der Käserei zurückgeführt wurde und ebenfalls an die Laufkette angeschlossen war. Nicht nur, dass die Ketten der Mädchen dauernd klirrten, jetzt sich zu Dritt in der Küche zu bewegen wurde ein logistisches Spiel, denn sobald sie nicht aufpassten, hatten sie das schönste Kettenknäuel gebildet und es kam öfters vor, dass eine von ihnen auf die Nase fiel. Aus
diesem Grund waren Monika und Wilko mehr als froh, als die Umbauarbeiten in der Käserei endlich beendet waren und Anja in der Käserei bleiben konnte. Anja, die bis zu diesem Zeitpunkt von ihrem Umzug keine Ahnung hatte, war mehr als überrascht, als ihr ein paar Tage später gesagt wurde, dass sie ihre Sachen zusammenpacken solle. Die wildesten Gedanken schossen ihr in den Kopf, sie fragte sich, ob sie vielleicht in das Moor zurückgebracht werden würde, doch verwarf sie den Gedanken wieder, da sie sich ihrer Meinung nach nichts zu Schulden hatte kommen lassen. Erst als Monika sie wieder in die Käserei gebracht und dort an der langen Kette angeschlossen hatte, bekam sie zu wissen, dass sie nun ständig hier wohnen würde. Die Freude darüber, endlich allein zu sein und Ruhe haben zu können, war ihr anzusehen. Auch jetzt erst bekam sie die kleine Kammer zu sehen, in der sie bis auf weiteres leben würde, sie hatte eine kleines, vergittertes Fenster, eine Buzze, einen Tisch, drei Stühle und eine Lampe, in einer Ecke stand noch eine Truhe, in der sie ihre Sachen verstauen konnte. Als sie sich genauer umsah, entdeckte sie an den Wänden und am Boden eingelassene Eisenringe, deren Bedeutung ihr sofort klar waren. Als Verpflegung sollte sie zwei mal wöchentlich Lebensmittel bekommen, dazu konnte sie sich, wer hätte es auch verhindern oder kontrollieren wollen, einen Krug frischer Milch trinken. Für ihre dringenden, menschlichen Bedürfnisse gab es draußen einen Abort, der gerade noch dicht genug stand, um ihn trotz der Laufkette noch erreichen zu können. Kaum war Monika gegangen, allerdings nicht ohne sie zu ermahnen, auch ohne Aufsicht die Arbeit gut und schnell zu machen, setzte Anja sich auf einen Schemel und schaute sich in ihrem kleinen Reich um und malte sich aus, wie ihre Zukunft hier in der Käserei wohl aussehen würde. Die Arbeit konnte sie allein bewältigen, auch wenn es nicht einfach werden würde, aber lieber hart arbeiten als immer wieder die Handlangerin der Bäuerin spielen und dauernd sagen zu müssen: Jawohl, Frau de Fries, mache ich sofort fertig, Frau de Fries, ganz wie sie meinen, Frau de Fries. Nein, dann lieber alleine, auch wenn es mehr Arbeit bedeutete, immerhin hatte sie jetzt die Abendstunden ganz für sich alleine. Mit diesen Gedanken machte sie sich frisch ans Werk, noch ganz angefüllt von dem herrlichen Gefühl, nicht mehr auf Schritt und Tritt bevormundet zu werden. Während dieser Zeit gab Birgit sich die größte Mühe das neue Kettenmädchen anzulernen, was ihr aber nicht leicht viel, denn die Neue hatte vor lauter Angst zwei linke Hände, ständig fiel ihr etwas auf den Boden oder sie stieß etwas um, dazu hatte sie als Stadtkind auch noch panische Angst vor allen Tieren, die größer waren als die Hühner. Auch mit ihren Ketten kam sie nicht klar, entweder stolperte sie über die Laufkette oder räumte aus Versehen mit ihrer Handkette den halben Tisch ab. Wenn Monika, die durch ihre Schwangerschaft im Moment öfters mal schlecht gelaunt war, sie dann anfuhr, fing sie hemmungslos an zu Heulen und war zu nichts mehr zu gebrauchen. Ja, man konnte sagen, die Lage im Haus der de Fries hatte sich deutlich verschlechtert. Dafür hatten andere Bewohner im Land der alten Dörfer mehr Glück, so kam eines Tages Anteus Cirksena mit einem Wagen zur Schmiede gefahren, auf dem hinten eine Egge lag, die dringend überholt werden musste. Die Schmiedeleute und natürlich auch Janette hatten sich gerade in die Küche gesetzt um ihre Vormittagsteepause zu machen, als Frau Düring durch das Fenster den Wagen vor die Schmiede fahren sah. „Nun sieh mal an,“ sagte sie, „Anteus Cirksena ist auch wieder im Land, wann ist der denn von seinem Bewährungsjahr wiedergekommen?“
„Keine Ahnung,“ meinte der Schmiedemeister, „aber lange kann er noch nicht hier sein, sonst hätten wir ihn am Sonntag ja in der Kirche gesehen.“ Janette interessierte sich mehr für die belegten Brote als für den Ankömmling, erst als Düring rief: „Nun seht euch das an, der Kerl hebt die Egge mit einer Hand vom Wagen runter, ich glaube, der hat in der letzten Zeit noch mehr Kraft bekommen.“ wurde auch sie neugierig und schaute aus dem Fenster hinaus.
Teil 87 Was sie dort sah gefiel ihr über alle Maßen: Ein junger Kerl in ihrem Alter, ein Kreuz wie ein Kleiderschrank und noch größer als sie selbst. „Wer ist denn das?“ fragte sie Frau Düring. „Das ist Anteus Cirksena, der zweitgeborene Sohn der Familie. Die haben ihren Hof in Sierum, sein älterer Bruder wird ihn eines Tages übernehmen.“ „Dann ist er noch Junggeselle?“ erkundigte sie sich. „Aber ja, wie soll er denn heiraten, wenn er keinen eigenen Hof hat, schließlich will eine Familie ja auch ernährt sein.“ Gerade wollte der Schmiedemeister aufstehen und sich in die Schmiede begeben, doch Janette meinte: „Meister, ich habe heute überhaupt keinen Appetit, trinken sie ruhig noch eine Tasse Tee, ich gehe schon hin.“ Der wollte sich die Arbeit nicht aus den Händen nehmen lassen, doch seine Frau warf ihm einen Blick zu und so blieb er in der Küche sitzen, während Janette geradezu in die Schmiede stürzte. Anteus hatte die Egge in der Schmiede abgestellt und wollte gerade wieder gehen, als Janette in die Werkstatt kam. Bei ihrem Anblick fuhr es ihm durch Mark und Bein. „Was für ein Weib!“ dachte er bei sich und bekam kein Wort heraus. Janette stand da, die Hände im Schoß gefaltet, den Blick schüchtern nach unten gerichtet, mit dem linken Fuß malte sie unsichtbare Zeichen auf den Steinfußboden und sagte mit hochrotem Kopf: „Moin, Anteus Cirksena.“ Er sah sie überrascht an und gab zurück: „Ja, Moin, doch nun sag mal, wer bist du, ich hab dich noch nie gesehen.“ „Ich bin Janette aus Holland und arbeite hier bei Meister Düring als Geselle.“ Nachdem auch er sich vorgestellt hatte, reichte er ihr zur Begrüßung die Hand. Seinen starken Händedruck erwiderte sie ebenso kräftig, und als die beiden sich dabei in die Augen sahen, sprang bei den Beiden der Funke über. Niemand weiß genau, was sie sich alles erzählten, aber als der Schmied nach einer halben Stunde wieder in die Werkstatt kam, sah er sie in eine innigen Unterhaltung vertieft zusammen stehen. „Moin Anteus, auch wieder im Land?“ begrüßte er den jungen Mann, doch zu Janette meinte er: „Was ist mit der Egge, hast du sie ihm schon repariert?“ „Da bin ich noch überhaupt nicht zu gekommen, Meister, ich wollte gerade anfangen.“ Janette hätte sich von ihrem Meister bestimmt noch mehr anhören müssen, machte es dem doch über alle Maßen Spaß, sie ein bisschen zu ärgern, doch da kam auch Frau Düring in die Schmiede, um selbst mal zu sehen, was die beiden jungen Leute die ganze Zeit so trieben. Auch sie begrüßte Anteus und lud ihn ein, doch mal auf einem Sonntagnachmittag zum Tee zu kommen, er hätte von dem Bewährungsjahr doch bestimmt viel zu erzählen. Die Einladung nahm er mit Freuden an, war es für ihn doch eine der wenigen Möglichkeiten, Janette etwas näher zu sein. Diese Begegnung mit dem jungen Mann hatte Janette völlig gewandelt, eine Frohnatur war sie schon immer gewesen, doch jetzt strahlte sie die ganzen Tage über wie eine Sonne. Worüber der Schmied sich allerdings sehr wunderte war, dass sie jetzt tatsächlich zu den Mahlzeiten nur immer noch ein kleines Häppchen aß, und dabei hätte er schwören können, ständig ihren Magen knurren zu hören.
Auch Frau Düring war von der guten Laune angesteckt worden, erst mal freute sie sich für Janette, dass die nun endlich einen Verehrer gefunden hatte, zum anderen setzte sie alle ihre Kraft ein, um die beiden vor den Traualtar zu bringen, Leute zu verkuppeln hatte ihr schon immer Spaß gemacht. Nur der Schmiedemeister hatte ernsthafte Bedenken, ob aus dieser Beziehung wohl etwas werden könne, denn Anteus hatte als zweitgeborener Sohn keinen Anspruch auf den elterlichen Hof, hatte aber auch keinen Beruf gelernt und bisher nur immer auf dem Hof mitgeholfen. Doch die gute Frau Düring ließ sich von solchen Bedenken nicht aus der Ruhe bringen, denn sie war fest entschlossen die Janette, die sie ins Herz geschlossen hatte, unter die Haube zu bringen. So sagte sie etwas herablassend zu ihrem Mann: „Düring, kannst du nicht weiter sehen als bis zu dem Rand deiner Teetasse?“ „Was soll das denn nun schon wieder heißen?“ fragte er etwas säuerlich, in der letzten Zeit schienen ihm sämtliche Frauen immer aufmüpfiger zu werden, so etwas hätte es früher nie gegeben. „Nun hör mal gut zu, mein lieber Mann, hättest du nicht Interesse daran das Geschäft zu erweitern? Jetzt hast du doch eine tüchtige Gesellin, da könntest du doch noch einiges mehr machen.“ „So ein Blödsinn,“ schnaubte er, „es ist nur eine Frage der Zeit, dass Janette wieder nach Holland zurückgeht, dann sitze ich wieder alleine mit der Arbeit, und das ausgerechnet jetzt, wo die Kettenburschen dazugekommen sind und auch die Kettenmädchen immer mehr werden, wie soll ich das denn alles schaffen?“ „Du musst sehen, dass Janette hier bei uns bleibt, dann brauchst du die Arbeit nicht mehr alleine zu machen. „Janette ist nur für ein Jahr hier, bis dahin haben wir nicht nur sämtliche Burschen und Mädchen sicher in die Keuschheitsgürtel verschlossen und ihnen alle anderen Fesseln angelegt, sondern auch noch für Jahre im voraus vorgearbeitet, ob es nun Halseisen, Keuschheitsgürtel oder Armreifen sind. Aber dann habe ich es nur noch mit der normalen Schmiedearbeit zu tun, nur ob sich dann ein Geselle noch rechnen lässt, das glaube ich nicht.“ „Genau das meine ich doch,“ rief die Düring jetzt schon etwas ungehalten, „wenn du weiterhin einen Gesellen arbeiten lassen willst brauchst du noch andere Abnehmer für deine Sachen.“ „Andere Abnehmer,“ schnaubte der Schmiedemeister, „wo soll ich denn noch andere Kunden herbekommen, dass ist bei uns im Land der alten Dörfer wohl schlecht möglich.“ Lächelnd sah Frau Düring ihren Mann an und sagte: Vor einiger Zeit haben wir Frauen uns mit Advokat Meyerdirks unterhalten, und da ist mir im Laufe des Gesprächs eine Idee gekommen.“ Meister Düring hielt nicht viel von Neuerungen und vor allen Dingen nicht von den Ideen seiner Frau, entweder waren ihre Eingebungen für ihn meist teuer oder aber mit viel Arbeit verbunden, so fragte er auch ziemlich misstrauisch, an was sie denn wohl gedacht hätte. Frau Düring schenkte noch einmal Tee ein, setzte sich gemütlich hin und fing an, dem Schmiedemeister ihre Idee in aller Ausführlichkeit zu unterbreiten. Der hielt seine Frau am Anfang für übergeschnappt, dann für unrealistisch, doch langsam, ganz langsam, konnte auch er sich mit der Idee von ihr anfreunden Teil 88 Wieder einmal wurden Lebensmittel zum Wehrturm gebracht, diesmal konnte der Wagen bis an den Turm heranfahren, denn der Weg zur Strasse war von den Burschen in eine Zufahrt verwandelt worden,
die selbst einem Schloss zur Ehre gereicht hätte. Heinz musste die ganzen Lebensmittel alleine abladen und im Turm verstauen, was ihm schwer fiel, denn die Kartoffelsäcke und die Fässer mit den Heringen waren schwer. Der Rest war schneller erledigt, der bestand nur noch aus Graupen, Steckrüben, Karotten und Zwiebeln, sogar Fleisch war dabei: Ohren, Pfoten und Schwänze vom Schwein. Es waren auch noch edlere Fleischstücke dabei, aber die würden die Burschen nie zu sehen bekommen, dafür würde Bültena schon sorgen. Sogar an die Schäferhunde war gedacht worden, in einem Holztrog lagen Lunge, Herz und Pansen. Nicht nur, dass die Hunde diese Innereien liebten, dieses Futter sorgte auch dafür, dass sie scharf blieben. Der Kutscher, der die Waren gebracht hatte, bekam von der Aufseherin den Auftrag den Schmiedemeister zu benachrichtigen, dass es für ihn Arbeit im Wehrturm geben würde. Der versprach, noch am gleichen Tag dem Schmied Bescheid zu geben und fuhr wieder zurück nach Hohedörp. Am nächsten Morgen wurden fünf der Burschen zu ihrem ersten Arbeitseinsatz auf den Feldern abgeholt, Heinz musste im Turm bleiben und die anderen Arbeiten erledigen, obwohl er alles in der Welt dafür gegeben hätte, aus der Nähe von der Bültena zu verschwinden. Er hatte die Fäkalieneimer zu leeren, Holz zu hacken, zwischendurch für die Bültena Tee aufzubrühen, Pellkartoffeln aufzusetzen, für seine Aufseherin eine kleine Zwischenmahlzeit zuzubereiten, die Heringe zu wässern, sämtliche Turmstuben ausfegen, das Fleisch für die Hunde klein zu schneiden, wieder Tee zu machen, und das alles unter der strengen Aufsicht der Bültena. Am späten Nachmittag kam schon wieder ein Wagen zum Turm, diesmal wurden geschnittene Bretter in verschiedenen Längen abgeladen. Zusätzlich zu seiner normalen Arbeit musste Heinz die Bretter in die oberen Turmstuben hinaufbringen, was bei der engen Treppe, die sich ja auch noch in einem Bogen hinaufwand, gar nicht so einfach war, und auch die lange Laufkette war ein Hindernis der besonderen Art, da die auch schon ein nicht unbeträchtliches Eigengewicht hatte. Was Wunder, dass er am frühen Abend, als seine Mitgefangenen wankend vor Müdigkeit und körperlicher Erschöpfung wieder zum Turm zurückgebracht wurden, weder das Essen noch den Tee fertig hatte. Heinz ahnte schon, was auf ihn zukommen würde, gab sich die größte Mühe, das Essen für seine Macker so schnell wie möglich fertigzubekommen, doch bis er dann soweit war, ihnen die gefüllten Holzteller und Kannen mit Tee nach oben zu bringen, hatte sich bei denen ein Frust aufgebaut, den er sofort zu spüren bekam. „Du fauler Hund,“ wurde er angefahren, „du hängst den ganzen Tag hier rum und wenn wir von der Sklavenarbeit wiederkommen, hast du noch nicht mal unseren Schweinefraß fertig.“ „Ich musste doch die ganzen Holzbretter nach oben bringen, das ist doch nicht meine Schuld.“ Doch an wem sonst sollten die Kettenburschen ihren Frust ablassen außer an Heinz? Für den armen Burschen war das zuviel, erst herausgerissen aus der gewohnten Umgebung, Eisenfesseln an Armen, Beinen und Hals, eingezwängt in einen Keuschheitsgürtel, angekettet wie ein Hofhund, dazu den ganzen Tag der Bültena ausgeliefert und nun machten auch noch seine Kameraden ihm das Leben zur Hölle, jetzt war es genug, dieses Leben war nicht mehr auszuhalten. Er stürzte, so schnell wie es die Laufkette zuließ, die Treppe hinunter und rannte aus dem Turm heraus auf die Schäferhunde zu, lieber wollte er sich von den Hunden zerfleischen lassen, als so weiterzuleben. Er war nur noch sieben Meter von den Tieren entfernt, die schon knurrend von ihrem Platz aufgestanden waren und ihn mit gefletschten Zähnen erwartete, als er auf einmal einen gewaltigen Ruck verspüre und auf dem Rücken lag. Es war die Bültena, die reaktionsschnell die Kette gepackt und Heinz zum Stoppen bekommen hatte. Nicht, dass sie menschliche Regungen bekommen hätte, aber dieser Bursche war ihr einfach nützlich, und so musste er ihr erzählen, wie es ihm bei seinen Kameraden ergangen war und dass sie ihm das
Leben zur Hölle machen wollten. Nachdem Heinz erzählte hatte wie es ihm ergangen war, meinte die Bültena, dass es wohl besser wäre, wenn er sich für die Nacht in eine Ecke des Erdgeschosses legen würde, denn sonst könnte es passieren, dass seine Kameraden ihn mit seiner eigenen Kette erdrosseln würden. Heinz, voller Angst, war glücklich nicht mehr in einem der Turmzimmer schlafen zu müssen, denn er hatte den Hass in den Augen der anderen gesehen, und so schlief er ab dem Tag in dem gleichen Raum wie seine Aufpasserin. Nun hatte er keinen Freund mehr, keinen Kameraden, Tag und Nacht war er jetzt dieser fürchterlichen Frau ausgeliefert, doch immerhin hatte er jetzt eine Möglichkeit zu überleben. So war es wirklich kein Wunder, dass er sich mit der Zubereitung des Essens für seine ehemaligen Leidensgenossen keine große Mühe mehr gab, dafür versuchte er den hohen Ansprüchen der Bültena gerecht zu werden, die eine gute Mahlzeit wirklich zu schätzen wusste.
Teil 89 Nein, nicht jeder Frau bekommt eine Schwangerschaft gut, und alle, die im Umkreis von Monika lebten, konnten da ein Lied von singen. Niemand, der Monika vorher gekannt hatte, würde vermutet haben, dass ihr die Schwangerschaft so zusetzen würde und sie eine Wandlung durchmachte, doch diesmal war die Wandlung durchaus negativ. Sie war meistens schlecht gelaunt, ungeduldig in dem Umgang mit den Kettenmädchen, ja, sogar ihren Mann blaffte sie an, es wurde immer schlimmer. Das bekam natürlich auch ihre Adoptivmutter Swantje Wattjes mit, und als sie und Monika eines Vormittagtags bei ihr zum Teetrinken in der Küche saßen, meint sie: „Nun sag mal, mein liebes Kind, was ist eigentlich los mit dir, geht es dir nicht gut oder wirst du von deinem Mann schlecht behandelt?“ „Niemals würde Wilko mich schlecht behandeln, außerdem fehlt mir überhaupt nichts, ganz im Gegenteil, ich weiß überhaupt nicht, was du von mir willst.“ „Ach, Monika, ich will überhaupt nichts von dir, mir ist nur aufgefallen, dass du dich in letzter Zeit verändert hast, und ich muss dir ehrlich sagen, dass mir diese Veränderung nicht besonders gut gefällt.“ „Ich habe mich doch nicht verändert, aber alles um mich herum verändert sich, nicht nur, dass die Käserei viel Arbeit macht, ich habe den Haushalt zu führen, in der Landwirtschaft zu helfen, muss mich um meine Schwiegereltern kümmern, der Garten muss gemacht werden, und zu allem Glück ist das neue Kettenmädchen auch noch ein Trampeltier, das alles fallen lässt und dann nur dasteht zu heulen.“ „Aber hast du das denn nicht alles so haben wollen, wie es jetzt ist?“ fragte Swantje leise. „Das ist ja richtig, aber ich schaffe das alles nicht mehr, es wächst mir einfach über den Kopf, ich kann bald nicht mehr.“ rief Monika und nach langer Zeit wieder fing sie an zu weinen. Das war für Swantje das Zeichen die junge Bäuerin in den Arm zu nehmen und sie zu beruhigen. „So etwas ähnliches habe ich mir schon gedacht,“ meinte sie, „aber warum bist du mit deinen Sorgen nicht zu mir gekommen und hast mit mir darüber gesprochen, hast du denn kein Vertrauen mehr zu mir?“ „Bisher hat doch alles gut funktioniert, ich habe es geschafft etwas aufzubauen, ich liebe meinen Mann und meine Schwiegereltern, die wirklich gut zu mir sind, aber im Moment ist mir alles einfach zuviel, ich kann nicht mehr.“
„Das glaube ich dir gerne, aber ist das wirklich ein Grund, ständig schlecht gelaunt zu sein und seinen Mitmenschen das Leben schwer zu machen? Nein, Monika, wir haben es alle nicht leicht, und wenn es uns nicht gut geht, dürfen wir das nicht an anderen auslassen, das ist nicht richtig.“ „Was soll ich denn tun?“ fragte Monika nun ziemlich kleinlaut, denn sie hatte den Vorwurf ihrer Adoptivmutter wohl verstanden. „Die Lösung ist doch ganz einfach, wir müssen dein Umfeld wieder in Ordnung bringen und zusehen, dass du dich um verschiedene Sachen nicht mehr kümmern brauchst, jedenfalls nicht, solange du schwanger bist.“ „Das wäre ja zu schön um wahr zu sein, ich kann mir aber nicht vorstellen, was man da machen könnte.“ „Als erstes musst du zusehen, dass du mit der Käserei nichts mehr zu tun hast, denn die Belastung ist wirklich zuviel. Die Anja hat sich doch gut bewährt, und ist in der Lage selbstständig zu arbeiten.“ „Ja,“ gab Monika zu, „das stimmt wirklich, sie hat wirklich schnell gelernt und könnte alleine arbeiten, aber für nur eine Frau ist es zuviel Arbeit, die kann sie alleine nicht bewältigen.“ „Und warum stellst du das neue Kettenmädchen nicht einfach für die Käserei zur Verfügung? Dann würde Anja Hilfe haben und dir ginge das ungeschickte Mädchen nicht mehr auf die Nerven.“ „Das wäre wirklich eine Möglichkeit,“ stimmte Monika nachdenklich zu, „doch wenn ich dann hochschwanger bin und nicht mehr so mitarbeiten kann, wie es nötig wäre, was dann?“ „Dann kommt Wilma (zweite Tochter von Wattjes) zu euch, immerhin ist sie jetzt schon fast 15 Jahre alt und kann kräftig zupacken, außerdem gibt es keine Arbeit, mit der sie nicht fertig werden würde.“ „Das stimmt,“ lächelte Monika, „sonst wäre sie auch wohl nicht deine Tochter. Aber wie soll es denn bei euch auf dem Hof mit der Arbeit gehen, Wilma würde euch doch an allen Ecken und Kanten fehlen?“ „Darüber mach Dir keine Sorgen, das bekommen wir schon hin, jetzt müssen wir erst einmal sehen, dass es bei dir auf dem Hof weitergeht, und dass du wieder die Monika wirst, die du sonst gewesen bist.“ Für Monika wurde es nun Zeit zum Gehen, doch bevor sie ging, nahm sie Swantje in den Arm und sagte: „Du bist die einzig richtige Mutter, die ich jemals gehabt habe.“ Glücklich, ja, schon fast ausgeglichen, kehrte sie in ihr Haus zurück, gerade in dem Moment, als sie die Küche betrat, fiel dem neuen Kettenmädchen eine Kumme (Schüssel) aus der Hand und zersplitterte auf den Küchenfliesen. Dem neuen Kettenmädchen liefen, schon bevor Monika ein Wort gesagt hatte, die Tränen herunter, wusste sie doch, dass ihr eine Strafpredigt bevorstand. Um so größer war ihr Erstaunen, als Monika ganz ruhig zu ihr sagte: „Das kann ja mal passieren, pass nur auf, dass du dich nicht an den Scherben schneidest.“ Nach diesen Worten ging sie in den Stall, die Kettenmädchen sahen sich verduzt an und verstanden die Welt nicht mehr, was war auf einmal mit der Bäuerin passiert?
Teil 90 Es war noch früh am Morgen, die Kettenburschen waren gerade zur Arbeit abgeholt worden, als
Schmiedemeister Düring bei dem alten Wehrturm eintraf. Er band sein Pferd an einen Baum an und ging mit gemischten Gefühlen zu der schweren Eingangstür, denn wie alle Leute im Land der alten Dörfer war ihm dieser Ort unheimlich. Mit der Faust klopfte er an die schwere Tür, die ihm nach wenigen Sekunden von einem Kettenburschen geöffnet wurde. Schon kam ihm die Bültena auf ihn zu. „Das ist aber eine Freude, den Schmiedemeister selbst hier begrüßen zu dürfen,“ schleimte sie, denn sie stand auf handfeste Kerle wie den Schmied. „Mir wurde gesagt, dass sie meine Arbeit hier brauchen, was also kann ich für sie tun, Frau Bültena.“ „Nun, Herr Schmiedemeister, es sind hier einige Änderungen notwendig um die Arbeit etwas zu erleichtern, und um mehr Sicherheit zu gewährleisten.“ Bevor sie mit dem Schmied den Turm hinaufstieg, gab sie Heinz noch einen kurzen Befehl: Rühreier mit Speck, dazu Schwarzbrot mit dick Butter darauf, Gurken dazu und Tee, und wenn du das nicht fertig hast, bis wir wieder zurück sind, kannst du dein blaues Wunder erleben. Während Heinz mit seinen Vorbereitungen begann, stiegen Bültena und Düring die zwei schmalen Treppen bis ins zweite Turmzimmer hoch. „Genau hier, wo die Treppe nach unten beginnt, muss eine Tür aus Eisengittern eingebaut werden.“ erklärte sie dem Schmied. Dem war es egal, was die Aufseherin vorhatte und so nahm er Maß. Das gleiche Spiel wiederholt sich in der unteren Turmkammer, nur dass diesmal jeweils eine Tür an den Treppenaufgang nach sowie nach unten eingebaut werden sollte. Doch damit war es noch nicht genug, als die beiden wieder im Erdgeschoss angelangt waren, verlangte die Bültena auch noch eine vierte Gittertür für den unteren Einlass der Treppe, die zum ersten Turmzimmer führte. „Gute Frau Bültena,“ sind diese Sicherheitsvorkehrungen nicht etwas übertrieben?“ fragte der Schmiedemeister, worauf er sich über die Rühreier hermachte. „Mein lieber Schmiedemeister,“ flötete die Bültena so sanft und zärtlich, wie sie es nur vermochte, „ich bin nur eine arme schwache Frau, ich muss doch an meine Sicherheit achten, und außerdem muss alles getan werden, dass die Kettenburschen nicht ausbrechen können, da stimmen sie mir doch sicher zu:“ Düring durchblickte das Anliegen der Bültena zwar nicht, aber irgendeinen Grund würde sie für den zusätzlichen Einbau der Türen wohl haben, außerdem war das für ihn ein fetter Auftrag, so gab er nur zurück: „Die Sicherheit, Frau Bültena, muss bei ihrer schweren Aufgabe selbstverständlich gewährleistet sein, dass sehe ich genau so, noch heute werde ich den Rat um Erlaubnis für die Arbeiten bitten.“ Beide Seite verabschiedeten sich im vollkommenden Einverständnis, zwar hielt jeder den anderen für einfältig, was aber der Zufriedenheit beider Parteien keinen Abbruch tat. Auf dem Ritt zurück nach Hohedörp überschlug der Schmied schon mal, wie viel er dem Rat für die Anfertigung und Montage der Türen wohl berechnen könne, aber auch die Bültena ließ die Zeit nicht ungenutzt verstreichen. „Bursche, komm her!“ lautete der Befehl, der Heinz sofort von der Turmkammer in das Erdgeschoss eilen ließ. Die Aufseherin drückte ihm eine Bürste in die Hand und gab ihm die Order, beide Schäferhunde damit gründlich zu bearbeiten. Heinz machte sich vor Angst fast in die Hose, denn das waren keine Hunde, sondern scharfe Bestien. Trotzdem blieb ihm nichts anderes übrig, als den Befehl auszuführen. Ganz langsam ging er auf die Hunde zu, die ihn zwar kannten, weil er ihnen immer das Futter geben musste, ihn bisher aber nicht näher an ihn herangelassen hatte.
„Ihr seid ja liebe Hündchen, ich will euch ja nur etwas Gutes tun.“ sagte er mit angstvoller Stimme, die Hunde rochen aber schon seine Angst und fingen an zu knurren, als er ihnen näher kam, ohne Futter für sie zu bringen. Zu seiner großen Verwunderung ließen sie sich dann aber doch mit der Bürste bearbeiten, sie schienen es sogar richtig zu genießen, kein Wunder, bekamen sie doch selten Streicheleinheiten und wenn überhaupt, dann nicht so vorsichtig wie von Heinz. Frau Bültena beobachtete die Pflege der Hunde mit Wohlgefallen, und nachdem Heinz seine Arbeit erledigt hatte und er zum Turm zurückkam, lächelte ihm die Aufseherin so freundlich wie sie nur konnte zu und meinte: „Das hast du sehr gut gemacht, mein lieber Junge.“ Hätte Heinz zu diesem Zeitpunkt geahnt, dass die Freundlichkeit der Bültena nur eiskalte Berechnung war, würde er sich zu diesem Zeitpunkt nicht so sehr über das unerwartete Lob gefreut haben, sondern Angst vor der Zukunft bekommen haben, denn der Plan seiner Herrin war ebenso genial wie grausam!
Teil 91 Die Veränderungen im Haus der de Fries begannen damit, dass das neue Kettenmädchen seine kleine Habe zusammenpacken musste und an der Halskette in die Käserei geführt wurde. Dort wurde sie, genau wie Anja, an einer gleich langen Laufkette befestigt. Das Kettenmädchen wusste nicht was es von diesem Umzug halten sollte, aber Monika, die es sich nicht hatte nehmen lassen, sie selbst dorthin zu bringen, klärte sie auf: „Wie du weißt oder auch sehen kannst, bin ich schwanger und habe in den nächsten Monaten nicht die Zeit, um hier in der Käserei zu arbeiten. Anja ist inzwischen mit allen Arbeiten vertraut und wird dich anlernen. Du wirst ihr gehorchen und tun, was sie sagt, sonst könnte es passieren, dass die Schmiedemeisterin dir die Peitsche zu spüren gibt. Haben wir uns richtig verstanden?“ „Jawohl, Frau de Fries.“ sagte das Kettenmädchen gehorsam mit auf den Boden gerichteten Blick und macht den vorgeschriebenen Knicks. Zu Anja gewandt meinte Monika: „Ist hier alles in Ordnung oder gibt es irgendwelche Probleme?“ „Nein, Frau de Fries, es geht alles seinen gewohnten Gang, es ist alles so, wie sie es befohlen haben.“ „Das freut mich,“ meinte Monika, „du machst deine Sache wirklich gut, doch jetzt wirst du dich selbstständig um den Betrieb kümmern müssen, dazu hast du auch noch die Neue anzulernen, und ich will nicht hoffen, dass irgendwelche Klagen kommen.“ „Sie können sich ganz auf mich verlassen, Frau de Fries.“ gab ihre ehemalige Mitgefangene demütig zurück, die auf keinen Fall riskieren wollte, noch einmal unangenehm aufzufallen und damit ihren Aufenthalt im Land der alten Dörfer unfreiwillig zu verlängern. „Das ist sehr schön, inzwischen habe ich auch das Gefühl mich auf dich verlassen zu können, und bisher hast du die Arbeit wirklich gut gemacht. Gibt es irgendetwas, womit ich dir zur Anerkennung deiner Leistungen eine Freude machen kann?“ Anja wusste überhaupt nicht was ihr geschah, solch freundlichen Worte hatte sie von der Bäuerin schon seit langer Zeit nicht mehr gehört, und so war es für sie die Gelegenheit, eine große Bitte auszusprechen und sie sagte zu Monika: „Ich weiß, dass meine Bitte ungehörig ist, Frau de Fries, aber wäre es nicht möglich, mir die Handfesseln mit der Kette abzunehmen, denn damit ist die Arbeit nur schwer zu bewältigen.“
„Nun, sicher würdest du ohne die Handfesseln leichter arbeiten können, aber es ist nun mal bei uns Vorschrift, dass Kettenmädchen die Fesseln tragen müssen, obwohl, gerade bei dieser Arbeit würde es Sinn machen, auf die Handfesseln zu verzichten. Aber wie ich das meinem Mann beibringen soll, ist mir noch nicht klar, der hatte schon große Bedenken, dich überhaupt alleine hier in der Käserei wohnen zu lassen.“ „Oh bitte, Frau de Fries, sprechen sie doch noch mal mit ihrem Mann darüber, ich verspreche ihnen bei alles was mir hoch und heilig ist, dass ich nie wieder einen Fluchtversuch unternehmen werde, die Zeit in Moordorf hat mir gelangt.“ „Ich werde sehen, was ich tun kann, nur versprechen kann ich nichts, die Entscheidung liegt bei meinem Mann und natürlich auch bei dem Rat, dessen Einverständnis wir dafür auch brauchen würden.“ und damit verließ Monika die Käserei, um wieder nach Hause zu gehen. Kaum hatte Monika die Tür hinter sich zugemacht, als Anja ihre neue Mitbewohnerin fragte: „Was ist denn mit Frau de Fries passiert, so kenne ich sie ja überhaupt nicht, sie war ja auf einmal die Liebenwürdigkeit in Person.“ „Ich weiß es nicht, aber seit gestern ist sie wie umgewandelt, ist mir auch egal, Hauptsache, ich muss nicht mehr in dem Bauernhaus leben.“ meinte Helga. „Du hast es bei de Fries doch bestimmt nicht schlecht gehabt,“ meinte Anja verwundert, „mich haben sie jedenfalls immer gut behandelt.“ „Die erste Zeit war es ja auch ganz in Ordnung, aber in den letzten Wochen war die Bäuerin immer schlechter drauf, sogar ihren Mann hat sie angemault.“ „Nun schau einer an, die vorbildliche Monika de Fries hat auch ihre schwachen Seiten, das ist ja interessant, ich hatte schon gedacht, dass sie in jeder Lebenslage ein Musterbeispiel wäre, aber sie muss früher ja auch Mist gebaut haben, sonst wäre sie nicht als Kettenmädchen hierher gekommen.“ „Was sagst du da, Frau de Fries ist als Kettenmädchen hierher gekommen, nein, das kann ich nicht glauben, oder hat man sie gegen ihren Willen hier festgehalten?“ „Nein, sie ist freiwillig hier geblieben, dabei hat sie aber in der ersten Zeit ganz schön Ärger gemacht, sie hat sogar die Schmiedemeisterin tätlich angegriffen.“ Helga war ganz perplex und gab keine Ruhe, bevor Anja ihr nicht die ganze Geschichte von Monikas Werdegang im Land der alten Dörfer erzählt hatte.
Teil 92 Einfach war es nicht für den Schmiedemeister, dem Rat die gewünschten Erneuerungen im Turm schmackhaft zu machen, vier schwere Gittertüren, die dann auch noch mit verschiedenen Schlössern versehen sein sollten, stellten eine immerhin nicht unbeträchtliche Investition dar, doch unter dem Aspekt der Sicherheit stimme der Rat schließlich zu und Düring ging frohgelaunt in die Schmiede zurück, diese Einnahme hatte er sich gesichert. Noch bevor er seine Werkstatt betrat hörte er von fern schon eine wehklagende, weibliche Stimme. „Aha,“ dachte er, „Janette ist mal wieder in ihrem Element und legt ein Mädchen in Eisen.“ Genau so war es, zwei neue Kettenmädchen sollten ihren Schmuck bekommen, eine stand noch angekettet in der Ecke, die andere bekam gerade ihr Halseisen angelegt. Janette frohgelaunt, weil unsterblich
verliebt, sagte gerade zu dem Mädchen: „Nun sieh dir doch mal dieses Halseisen an, dass hat mein Meister selbst geschmiedet, ist es nicht wunderschön?“ Das neue Kettenmädchen konnte die Begeisterung für das Halseisen nicht teilen, im Gegenteil, mit vor Angst weit aufgerissenen Augen sah sie Janette an und hoffte im Innersten ihres Herzens, dass diese Frau nur einen Scherz gemacht hätte. Doch schon Sekunden später hatte sie das Halseisen probehalber umgelegt bekommen, wehren konnte sie sich wegen ihrer Fesseln nicht. Schmiedemeister Düring betrat die Werkstatt, nahm seine Lederschürze vom Haken und meinte zu Janette: „Warte einen Moment, ich bin gleich soweit und helfe.“ Zu zweit ging die Arbeit leichter von der Hand, schnell war das Halseisen angeschmiedet, und da das Mädchen bis auf den Keuschheitsgürtel schon mit allen Eisenteilen versehen war, wurde jetzt sie in einer Ecke der Werkstatt angekettet und ihre Leidensgenossin kam an die Reihe. Auch sie bekam die Hand- und Fußfesseln angelegt, anschließend das Halseisen. Sie überstand diese Prozedur genau so tapfer wie ihre Vorgängerin, hoffte allerdings immer noch, nur einen schlechten Traum zu haben. Der Schmiedemeister war gerade hinten im Lager um zwei passende Keuschheitsgürtel zu holen, als Anteus Cirksena in die Schmiede kam, um eine neue Forke zu kaufen. Für Janette ging die Sonne auf, sie bat Anteus um einen kleinen Augenblick Geduld und konnte das Mädchen gar nicht schnell genug an der Wand anketten. Als Düring aus dem Lager kam und die beiden jungen Leute sich angeregt über Mistforken unterhalten sah, meinte er, dass ihm eine kleine Pause gut tun würde und zog sich in sein Haus zurück, um dem jungen Glück nicht im Wege zu stehen, außerdem hatte er wirklich Teedurst. Janette zeigte ihrem Verehrer die verschiedenen Forken, die sie zum Teil selbst geschmiedet hatte. Dabei passierte es, dass er unabsichtlich ihren Unterarm berührte, was ihr sofort die Farbe ins Gesicht trieb. Da fasste Anteus sich ein Herz und sagte: „Janette, dat mut ik di nu mol seggen, ik mach di woll lieden, wullt du nich mien Brut wordn?“ (Janette, das muss ich dir nun mal sagen, ich mag dich wohl leiden, willst du nicht meine Braut werden?). „Aber Anteus, wie kannst du dich erklären wenn niemand dabei ist, dass ist doch ungehörig, was ist, wenn Meister Düring dahinterkommt?“ „Mit dem Meister Düring und seiner Frau will ich wohl sprechen, daran soll es nicht liegen, gleich diesen Sonntagnachmittag werde ich ihnen meine Aufwartung machen, aber du hast mir noch nicht gesagt, ob du überhaupt meine Braut werden willst.“ „Ach, Anteus, vom ersten Augenblick an, als ich dich gesehen habe, war ich in dich verliebt und habe mir nichts anderes gewünscht, als deine Braut zu werden.“ Beiden schlug vor Glück das Herz bis zum Hals, verliebt sahen sie sich in die Augen, sie umarmten sich zärtlich und wollten sich gerade den ersten Kuss geben, als der Schmied in die Werkstatt kam und rief: „Moin Anteus, wo geit di dat?“ (Hallo Anteus, wie geht es dir?). Wie ertappte Schulkinder sprangen die beiden auseinander, worauf der Schmied sie schadenfroh angrinste und meinte: „Nun sag nicht, deine Egge ist schon wieder kaputt, Anteus Cirksena.“ „Nein, nein, Meister Düring, ich bin nur gekommen um eine neue Forke zu kaufen.“ „Dann ist es in Ordnung, und wenn ich das richtig sehe, wirst du ja schon bestens beraten.“
Kurz darauf hatte Anteus die Forke bezahlt und war gegangen, nicht ohne Janette noch einen schmachtenden Blick zuzuwerfen, der Meister Düring natürlich nicht entging. So hatte der Meister den Rest des Tages nichts besseres zu tun, als Janette eine stundenlangen Vortrag über Keuschheit, Sitte und Moral zu halten, dann erzählte er auch noch von seiner Jungendzeit, und dass er seine Frau das erste Mal geküsste hatte, als sie vor dem Traualtar gestanden hatten, es was anderes wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Der armen Janette waren die ganzen Themen peinlich, tat das nun not, dass der Meister den ganzen Tag darüber schwadronierte? Während sie sich ärgerte und nur kurzsilbige Antworten gab wie: „Ja, Meister; Wie sie meinen, Meister, Bin ganz ihrer Meinung, Meister.“ hatte Düring einen wundervollen Tag, nicht nur, dass er einen dicken Auftrag an Land gezogen hatte, nein, nun hatte er auch noch einen Grund gefunden sich als Moralapostel aufzuspielen, was ihm sichtlich Freude machte. Die einzige Unterbrechung der Moral- und Sittlichkeitsansprache war, als Janette den Mädchen die Keuschheitsgürtel anpasste, wobei sie sich diesmal ausgiebig Zeit ließ. Während der Arbeit sang sie fröhlich vor sich hin, noch nie waren Kettenmädchen von einer so glücklichen Schmiedegesellin in einen Tugendwächter gelegt worden. Der Schmied und seine Frau standen in der Zeit vor der Werkstatt, er durfte nicht hinein, weil er sonst die Mädchen im unbekleideten Zustand gesehen hätte, und seine Frau hielt sich parat, falls eine der Gefangen Ärger machen sollte. „So einen fröhlichen Gesellen hast du noch nie gehabt.“ meinte Frau Düring zu ihren Mann. „Mmmhh, das kann schon sein, aber nun wird es so langsam Zeit an die Zukunft zu denken, denn man soll das Eisen schmieden, solange es heiß ist.“ „Was du nicht sagst, mein guter Düring, wo hast du es nur sitzen?“ „Alles im Kopf, meine Liebe, alles im Kopf.“ antwortete er stolz und merkte nicht, wie er von seiner Frau veralbert wurde.
Teil 93 In dem alten Wehrturm gab es Veränderungen, denn es kam jemand der Fenster in die Schießscharten einsetzte, aber sonst wären die Burschen im nächsten Winter vor Kälte mit Sicherheit eingegangen. Aus den Brettern, die Heinz so mühsam hochgeschleppt hatte, wurden einfache Betten gebaut, die aus einem einfachem Rechteck bestanden und von Heinz mit Stroh gefüllt wurden. Doch war es schon sehr seltsam, dass Heinz sich verstärkt um die beiden scharfen Schäferhunde kümmern musste, das Fressen für die Tiere bekamen sie schon einige Zeit von ihm, aber jetzt hatte er die Biester auch noch jeden Tag das Fell zu bürsten, wovor er sich jedes Mal graute, weil er vor den beiden Tieren eine unheimliche Angst hatte. Doch je mehr Zeit verging, um so mehr gewöhnten sich die Tiere an ihren neuen Pfleger, und es dauerte nur einige Wochen, bis er mit den Hunden machen konnte, was er wollte. Die Bültena sah das mit großem Wohlgefallen, genau so hatte sie es geplant, dieses Weichei von einem Kettenburschen, der ohnehin keine Chance für eine Flucht hatte, sollte sich die Hunde zu Freunden machen, was ja nun auch gelungen war. Nun endlich wurden auch die von der Aufseherin bestellten Gittertüren angeliefert, Schmiedemeister Düring und seine Gesellin setzten die Türen mit viel Kraftaufwand ein, denn der Meister hatte nicht am
Material gespart und dementsprechend schwer waren die handgeschmiedeten Teile ausgefallen. Es war schon später Nachmittag, als die Schmiede ihre Arbeit beendet hatten und die Bültena riefen, um das Werk von ihr abnehmen zu lassen. Ganz genau besah sie sich jede Tür und jedes Schloss, konnte aber zu ihrem Leidwesen keinen Grund zum Meckern finden und sagte gezwungenermaßen: „Nun, Meister Düring, ich muss schon sagen, da habt ihr eine gelungene Arbeit abgeliefert, durch diese Türen wird mir keiner der Burschen entwischen.“ Düring und Janette waren’s zufrieden, packten ihr Werkzeug zusammen und sahen zu, dass sie diesen ungastlichen Ort so schnell wie möglich wieder verlassen konnten, während die Bültena nun zum weitern Teil ihres Planes schritt. Diesen Abend gab es für die Gefangenen Erbsensuppe, und Heinz hatte alles in seiner Macht stehende getan, um sie so schmackhaft wie möglich zu machen, wenn auch die Karotten und Zwiebeln nicht mehr allzu frisch waren, aber immerhin, dafür hatte er Schweinebacken und Pfötchen mitkochen dürfen. Nachdem er die Suppe noch einmal abgeschmeckt hatte, bekam er von Bültena den Auftrag, schon mal die Tonschüsseln und die dazugehörigen Holzlöffel in die oberen Räume zu bringen. Kaum war er die erste Treppe hochgegangen, als Bültena einen Topf holte und sich das meiste Fleisch aus der Suppe herausfischte. Das wäre bei dem miesen Charakter dieser Frau auch ja noch zu verstehen gewesen, aber was sie dann tat, kann nur als eine Schweinerei bezeichnet werden: Griff sie doch in den Salztopf und verwürzte die Erbsensuppe derartig, dass sie noch nicht einmal mehr als Schweinefutter taugte. Von dieser Schandtat nichts ahnend kam Heinz wieder die Treppe hinunter, ging zum Herd und rührte die Erbsensuppe um, die ihm seiner Meinung nach so gut gelungen war. Seltsam nur, dass sie ihm auf einmal so dünn vorkam, doch zu diesem Zeitpunkt dachte er sich noch nichts dabei. Dann sah er aber auch schon den anderen Topf, den Bültena an die Seite gebracht hatte, dachte sich dabei aber nur, dass seine Aufseherin ein verfressenes Miststück sei, die schwer arbeitenden Gefangenen noch nicht einmal die ihnen zustehende Rationen gönnen würde. Nachdem er dann den Küchenbereich aufgeräumt hatte, musste er den von der Bültena gefüllten Topf auf den Herd stellen und die Suppe heißmachen, der große Topf mit der Suppe für die Kettenburschen stand immer noch auf dem Feuer, was sollte bei der Wassersuppe denn auch wohl anbrennen? Von fern war Kettengeklirr zu hören, was bedeutete, dass die Burschen zum Turm zurückgebracht wurden. „Stell meinen Topf mit der Erbsensuppe auf den Tisch, dazu zwei Löffel und zwei Teller, und vergiss mir ja nicht das frische Brot.“ befahl sie Heinz. Der, nichts Böses ahnend, weil er meinte, dass die Bültena den Aufpasser der Kettenburschen zum Essen einladen wollte, kam dem Befehl sofort nach und stellt das Gewünschte auf den Tisch. Kaum stand auch die Suppe da, als er von Bültena aufgefordert wurde, sich ebenfalls an den Tisch zu setzen. Er verstand die Welt nicht mehr, sollte diese fürchterliche Frau ihn jetzt auch noch veralbern wollen? Aber nein, sie füllte seinen Teller, wobei sie ihm mehr Fleisch als Suppe auffüllte. Nachdem sie sich selbst bedient hatte, sagte sie mit einem kleinen Lächeln im Gesicht: „Lass es dir schmecken, jetzt fang an und trödel nicht.“ Das ließ Heinz sich natürlich kein zweites Mal sagen, wann würde er je wieder die Möglichkeit bekommen Fleisch zu essen, also haute er rein, was das Zeug hielt. Noch während er am Schmausen war, kamen seine Mitgefangenen durch den Raum, um in ihr Quartier hochzusteigen. Als sie ihren Mitgefangen am Tisch sahen, lief ihnen bei dem Anblick von dem vielen Fleisch auf Heinz
Teller das Wasser im Mund zusammen und die Vorfreude auf ein gutes Essen war ihnen anzusehen.
Teil 94 Es war für die Kettenburschen aber auch ein harter Tag gewesen, fast ohne Pause hatten sie arbeiten müssen, der Rücken tat weh und manch einer hatte von dem Hackenstiel schmerzende Blasen an den Handflächen. Das alles wäre zu ertragen gewesen, doch heute waren sie durch die Hölle gegangen, denn zum ersten Mal seit langer Zeit waren sie wieder in die Nähe von Mädchen gekommen. Dabei handelte es sich natürlich um Kettenmädchen, die mit ihren Hacken das Rübenfeld vom Unkraut befreien mussten. Immer, wenn die Mädchen die Hacke in die Erde schlugen, sahen die Jungs unter der dünnen Kleidung die Brüste der Mädels im Gleichtakt schwingen, und nach dieser schon recht langen Zeit der Keuschheit genügte schon dieser Anblick, um ihre Freudenspender in den dornigen Gefängnissen wachsen zu lassen. Mit neun Mann standen sie auf dem Feld und jaulten vor Schmerzen wie die jungen Hunde, während die Mädchen, die um die sichere Verwahrung der Burschen wussten, vor Lachen nicht mehr arbeiten konnten. Eins der Mädchen konnte es sich nicht verkneifen, sich mit der Bluse den Schweiß von der Stirn abzuwischen, wodurch ihr strammer Busen für die Burschen sichtbar wurde, was sofort eine zweite Welle des Wehklagens auslöste. Doch jedenfalls hatten sie nun die Hoffnung, zum ersten Mal seit langer Zeit eine anständige Mahlzeit zu bekommen, schließlich hatten sie den gutgefüllten Teller von Heinz gesehen und gingen davon aus, das auch sie das Gleiche zu Essen bekommen würden. Heinz hatte inzwischen seine Mahlzeit beendet und brachte nun den Topf mit der Erbsensuppe in die erste Turmkammer. Erwartungsvoll und freundlich wurde er von den Kameraden begrüßt, doch als der erste sich mit der Kelle an der Suppe bediente, ging der Ärger schon los. „Wo, verdammt noch mal, ist das Fleisch geblieben?“ brüllte der empört. „Das wird dieses Kameradenschwein alleine gefressen haben.“ meinte ein anderer. „Ich hab da nichts mit zu tun,“ rechtfertigte Heinz sich, „das müsst ihr mir glauben, als ich die Suppe gekocht habe war da reichlich Fleisch drin.“ „Aber sicher doch,“ rief Werner, „aber nachdem die Bültena und du euch den Magen vollgeschlagen habt, kriegen wir nur noch diese magere Brühe, du Schweinehund.“ Bevor die Lage eskalierte zog Heinz sich schnell zurück, er konnte die Aufregung seiner Kameraden ja gut verstehen, doch hatte er doch nur auf Befehl gehandelt. Er war gerade wieder unten angekommen, als aus dem Turmzimmer ein wütendes Gebrüll zu hören war, die ersten hatten die Suppe probiert und sofort wieder ausgespuckt, der Fraß war wirklich nicht durch den Hals zu kriegen. Es dauerte nicht lange, bis die empörten Gefangenen die Holzschüsseln die Treppe hinunterwarfen und Heinz drohten, ihm bei erster Gelegenheit den Hals umzudrehen. Der arme Kerl wusste nun wirklich nicht was ihm geschah und was man von ihm wollte, na ja, den größten Teil von dem Fleisch hatten die Bültena und er selbst verzehrt, die Bültena weil sie verfressen war, er aber doch nur auf Befehl. Außerdem war die Erbsensuppe diesmal doch wirklich besser gewesen als sonst, darum konnte er das Verhalten seiner Mitgefangenen nicht verstehen. Ein Ding war ihm allerdings klar: Wenn er gleich in das Turmzimmer gehen musste um den Topf wieder abzuholen, würde er mit seinen Kameraden ein Riesenproblem bekommen, denn dass sie auf ihn
stocksauer waren, hatte er begriffen. Auf einmal wurde es ruhig in dem oberen Zimmer, Heinz, der Topf und Schüsseln wieder abholen musste, hatte ein seltsames Gefühl im Bauch, irgendetwas stimmte dort oben nicht. Er stieg die Treppe hoch und hatte den Raum noch nicht einmal richtig betreten, als ihn der erste Schlag traf. Nacheinander prügelten sie auf ihn ein, bis er halb ohnmächtig am Boden lag. Bültena hörte zwar seine Hilferufe, dachte aber nicht im Traum daran ihm zur Hilfe zu kommen, ganz im Gegenteil, sie grinste vor sich hin und fand, dass alles den gewünschten Gang ging. Blutend wankte Heinz die Treppe hinunter, sich mit der einen Hand an der Mauer abstützend, in der anderen Hand den Topf, dessen Inhalt die Kameraden über ihn geschüttet hatten. Dass er von der Bültena kein Mitleid zu erwarten hatte, war ihm klar, aber das sie ihn anschrie: „Du saust mir den ganzen Raum ein, sieh zu, dass du dich saubermachst, aber ein wenig flott, sonst helfe ich dir nach!“, nein, damit hatte er nun auch nicht gerechnet. Doch was blieb ihm übrig, gehorsam ging er nach draußen und wusch sich an der Pumpe. Aber damit war der Schreckenstag noch nicht zu Ende, denn Bültena hatte noch einen ganz speziellen Auftrag für ihn.
Teil 95 Ruhe und Frieden war wieder eingekehrt in das Haus der de Fries, Monika hatte wieder zu sich selbst gefunden und ihre schlechte Laune abgelegt, sehr zur Freude aller, die täglich mit ihr zu tun hatten. Aber sie hatte nun ja auch keinen Grund mehr sich zu sorgen, denn inzwischen war Wilma Wattjes, ihre Stiefschwester, ins Haus eingezogen und kümmerte sich um den reibungslosen Ablauf des Haushalts und war auch bei der Feldarbeit und bei dem Melken mit dabei. Auch das Kettenmädchen erledigte die ihr übertragenen Aufgaben prompt und zuverlässig, hatte sie die Bäuerin doch als eine energische Person kennen gelernt, mit der man sich besser nicht anlegte. Auch in der Käserei lief alles nach Plan, Anja hatte die Sache gut im Griff, und wenn Helga, ihre Mitgefangene, meinte, dass sie nun ein gemütliches Leben machen könnte, hatte sie sich gewaltig geirrt. Jeden Morgen, wenn die Milch geliefert wurde, trieb Anja die Arbeit erbarmungslos voran, nicht die kleinste Pause gönnte sie Helga und sich. Meist waren sie am Nachmittag mit der Arbeit fertig, doch bevor Feierabend war, wurde die ganze Käserei gründlich saubergemacht. Viel Abwechslung hatten die beiden nicht, zwar gab es in der ersten Zeit genug Gesprächsstoff, doch irgendwann war alles erzählt. Die einzigen Zerstreuungen waren die Zubereitung der eigenen Mahlzeiten und das Lesen in dem einzigen Buch, was im Haus war, in der Bibel. So saßen die Beiden oft auf einer Bank vor dem Haus und betrachteten gelangweilt das Geschehen auf der Strasse, doch außer ein paar Pferdefuhrwerken, einzelnen Leuten und gefangen Mädchen, die an ihrer Halskette durch den Ort geführt wurden, gab es nicht viel zu sehen. Nur eines Nachmittags kam Wilma Wattjes mit einer kleinen Kutsche zur Käserei, nahm Anja wortlos die Laufkette ab und führte sie zur Kutsche und forderte sie auf, sich hinten auf die Ladefläche zu setzen. Schnell befestige sie die Kette an dem Fahrzeug, stieg auf und ließ die Stute antraben. Nach einer guten Stunde kamen sie in Hohedörp an, Wilma lenkte den Wagen zur Schmiede und ließ Anja absteigen, löste die Kette und führte sie in die Schmiede. Mit einem fröhlichen „Moin“ wurde sie von Janette begrüßt, während Anja noch nicht einmal mit einem Blick bedacht wurde. Die aber kannte die Gepflogenheiten der Dorfbewohner inzwischen zu genau, um sich weiter darum zu kümmern. Meister Düring war zwar unterwegs, hatte seine Gesellin aber darüber
informiert, dass ein Kettenmädchen gebracht werden sollte, so wusste Janette, was sie zu tun hatte. Erst nahm sie die eine Seite der Handkette ab, zog sie durch die Öse am Halsreif durch, und löste dann das andere Ende. Nun wurde sie zum Amboss hingezogen, um dort die Armreifen abzunehmen, was mit Dorn und Hammer schnell geschehen war. Wilma bedankte sich bei der Schmiedegesellin und führte Anja wieder zur Kutsche zurück, wobei sie von Janette begleitet wurde, die immer für ein kleines Schwätzchen zu haben war. Gerade hatte Wilma die Halskette von Anja, die jetzt wieder auf der Ladefläche saß, befestigt, als Frau Düring aus dem Haus kam. „Du willst doch wohl nicht wieder wegfahren ohne mir „Moin“ gesagt zu haben, rief sie Wilma zu und drohte ihr mit dem Zeigefinger. „Ich wollte sie nicht störten, Frau Düring.“ gab sie zurück. „Dat is ja Tüünkram, ji beid kummt nu nor binnen, Tee is al lang klor.“ (Das ist ja Blödsinn, ihr beide kommt jetzt herein, der Tee ist schon lange fertig). Nicht nur im Land der alten Dörfer, nein, in ganz Ostfriesland darf eine Einladung zum Tee nicht abgeschlagen werden, auch müssen mindestens 3 Tassen getrunken werden, sonst ist der Gastgeber tödlichst beleidigt. Außerdem wird so lange nachgeschenkt, bis der Gast seinen Löffel in die Tasse legt, das ist das Zeichen dafür, dass er nun nicht mehr möchte. Die drei Frauen machten es sich in der Küche gemütlich, Frau Düring gab in jede Tasse einen dicken Kluntje, schenkte sich selbst als erste den Tee ein, was in Ostfriesland keine Unhöflichkeit ist sondern zum guten Ton gehört, da die erste Tasse meistens nicht so gut durchgezogen ist. Erst danach schenkte sie auch den anderen Tee ein. Der heiße Tee brachte den Kluntje zum Knistern, dann schöpfte sie aus der Kumme Milch vorsichtig die sich oben abgelagerte Sahne ab und gab sie vorsichtig in die Tasse, worauf sich in dem Tee kleine Sahnewölkchen bildeten. Ohne Umzurühren wurde dann der heiße Tee getrunken, und natürlich hatte es Frau Düring sich nicht nehmen lassen, selbstgebackene Zuckerplätzchen auf den Tisch zu stellen. Schnell war eine angeregte Unterhaltung in Gang, Wilma musste von zu Hause und von Monika berichten, während Janette es nicht bleiben lassen könnte von ihrem Verehrer zu schwärmen. Auf einmal bezog sich der Himmel, Minuten später fing es tüchtig an zu regnen. Janette sah aus dem Fenster zur Kutsche hin und meinte: „Sie wird ja ganz nass in dem Regen, ich bringe besser schnell eine Plane raus.“ Während Janette in die Schmiede ging, meinte Frau Düring zu Wilma: „Die Janette ist wirklich eine mitfühlende Seele, wer sie mal als Frau bekommt kann sich glücklich schätzen.“ Kurz darauf kam Janette wieder zurück, zwar etwas nass, aber zufrieden. „Hat sie sich auch anständig bei dir bedankt?“ wollte Wilma wissen, worauf Janette sie verwundert ansah und zurückfragte: „Seit wann können Pferde denn sprechen?“ Nach einer Weile hörte der Regen auf und Wilma machte sich auf den Heimweg, nicht ohne der Stute vorher die Plane abzunehmen und sie Janette mit einem Dankeschön zurückzugeben. Wieder bei der Käserei angekommen wurde Anja von ihr wieder an der Laufkette angeschlossen und ohne sich weiter um die vor Nässe triefende Anja zu kümmern lenkte Wilma die Kutsche zum Hof der de Fries, sichtlich angetan von diesem schönen Nachmittag.
Teil 96 Die Bültena gab Heinz einen Bund mit vier Schlüsseln in die Hand und trug ihm auf, die Gittertüren im Turm zu verschließen, was sie sonst bisher selbst gemacht hatte. „Bitte nicht, Frau Bültena, bitte schicken sie mich nicht nach oben, ich bin dort meines Lebens nicht mehr sicher.“ klagte Heinz, dem allein schon bei dem Gedanken daran das Herz in die Hose rutschte.
„Was geht mich das an, du nichtsnutziger Bengel, du tust, was ich dir sage.“ In seiner Verzweiflung fiel er vor der verhassten Aufseherin auf die Knie und flehte sie mit vor Angst erfülltem Herzen an, ihn von dieser Aufgabe zu befreien. „Wenn du so viel Angst hast, dann nimm von mir aus die Hunde mit nach oben, aber abschließen wirst du die Türen, und wenn es das letzte ist, was du auf dieser Welt machst.“ Zwar hatte Heinz nicht mehr soviel Angst mehr vor den Hunden wie noch vor einiger Zeit, doch traute er den Bestien nicht über den Weg und hatte immer noch Angst, von ihnen angefallen zu werden. Aber welche Alternative hatte er? So rief er die Hunde zu sich: „Sarbas, Blexen, kommt hierher.“ Zu seiner großen Verwunderung gehorchten die Hunde seinem Befehl, standen auf und kamen zu ihm, wobei sie ihre Herrin allerdings etwas verwirrt ansahen, bisher durften sie noch nie auf den Befehl eines Kettenburschen reagieren. Doch als die Bültena ihnen noch beruhigend zusprach, folgten sie Heinz gehorsam in die oberen Turmzimmer. Kaum betrat er das erste Zimmer, als er von den anderen schon wieder beschimpft wurde, und prompt fielen Worte wie Verräter, Drecksau, Schweinehund und andere liebenswürdige Bezeichnungen. Zwei der Burschen kamen auf ihn zu, um ihm noch eine Tracht Prügel zu verpassen, doch hatten die nicht gesehen, dass die Hunde mit nach oben gekommen waren. Sie waren noch nicht mal in der Nähe von Heinz, als Sarbas und Blexen die Zähne fletschten und zu knurren anfingen, wobei sich ihr Nackenhaar sträubte. Mit einem Satz sprangen die Burschen zurück, auch der Rest der Kettenburschen versuchte soviel wie möglich Abstand zu den Hunden zu halten. Heinz durchströmten in diesem Augenblick mehrere Empfindungen: Erleichterung, Dankbarkeit, ein leichtes Machtgefühl, vor allem aber Sicherheit. Mit ungewohnt fester Stimme gab er seinen ersten Befehl: „Die oben wohnen gehen jetzt die Treppe hoch.“ Die vier Angesprochenen zögerten, wollten sie sich von ihm doch keine Befehle erteilen lassen, doch als sie sahen, dass er dem einen der Hunde ganz leise etwas sagte und Sarbas darauf hin anfing zu knurren, folgen sie seinem Befehl, wenn auch nur zögerlich. Kaum hatte der letzte der Vier die Treppe betreten, als Heinz es sich nicht verkneifen konnte zu rufen: „Nun macht mal ein bisschen zu, das dauert ja ewig mit euch.“ Wie auf ein Kommando blieben die vier Jungs stehen, das ging ihnen nun doch entschieden zu weit, aber Heinz, der Sarbas am Halsband festhielt, kam mit dem Hund zu der Treppe hin und brüllte: „Weitergehen, sonst hetz ich den Hund auf euch.“ Sarbas merkte sofort, dass Heinz Probleme hatte, fing wütend an zu bellen und wollte sich auf die Treppe stürzen. So schnell waren die Burschen die alte steinerne Turmtreppe noch nie hochgekommen, und dass trotz der schweren Eisenkugeln, die sie zu tragen hatten. „Schön aufpassen, Blexen, ich bin gleich wieder da.“ befahl Heinz dem anderen Hund, der nun knurrend bei der Tür saß, die aus dem Zimmer nach unten führte. So konnte der neugeborene Hilfsaufseher in aller Ruhe in das oberste Zimmer gehen, die Eisengittertür zuziehen und verschließen, worauf er zusammen mir Sarbas wieder hinunterging und die zweite Treppentür verschloss. Das gleiche Spiel wiederholte sich nun mit der ersten Turmkammer, und als er die letzte Eisengittertür gesichert und den Schlüssel an Bültena zurückgegeben hatte, beschäftige er sich ausgiebig mit den Hunden. Er holte frisches Wasser für sie, bürstete ihnen das Fell und kraulte sie den ganzen die ganze Zeit über. Erst als die Bültena ihm den Befehl gab sich schlafen zu legen, ließ er von den Hunden ab, die sich darauf hin auf ihren Schlafplatz verzogen. Für Heinz war es die erste Nacht im Land der alten Dörfer, in der er ruhig und mit schönen Träumen schlief, auf denn nun hatte er zumindest die Hunde als Freunde gewonnen, und die gaben ihm ein Gefühl der Sicherheit und nahmen ihm viel von seiner Angst.
Noch bevor der nächste Morgen dämmerte wurde Heinz wach, obwohl er so gut wie schon lange nicht mehr geschlafen hatte, doch irgendetwas war anders als sonst. Er wollte sich gerade auf die andere Seite legen, doch da war ihm etwas im Weg: Hatten sich nicht die Hunde links und rechts von ihm hingelegt und teilten sein Lager! Ja, die Hunde beschützten ihn sogar im Schlaf, sie akzeptierten ihn zwar nicht als Herrn oder als Rudelführer, das blieb nach wie vor Frau Bültena, doch instinktiv hatten sie erkannt, dass dieser Mensch ihren Schutz brauchte, und beschützen liegt in der Natur der Schäferhunde, vor allem, wenn sie von dieser Person auch noch ihr Futter bekommen.
Teil 97 „Oh, du meine Güte,“ rief Monika, „ich glaube, jetzt geht es los.“ Wie von einer Tarantel gestochen sprang Wilko vom Stuhl auf, rief ihr zu: „Bleib ganz ruhig, ich hol sofort die Hebamme.“ rannte planlos aus der Küchentür hinaus auf die Strasse, blieb stehen, fasste sich selbst an den Kopf und kam ebenso schnell wieder retour und hetzte in den Stall, um das Pferd herauszuholen und vor die Kutsche zu spannen. Kaum war die Kutsche fahrbereit, als er wieder in die Küche sauste um nach seiner Frau zu sehen. Die saß immer noch in Ruhe am Küchentisch, sah ihren verwirrten Gatten an und meinte: „Nun bleib mal ganz ruhig, das war ja nur die erste Wehe. Jetzt tu mir nur einen Gefallen und fahr nach Hohedörp und hol die Hebamme, aber lass dir um Himmels Willen Zeit und treib das Pferd nicht zuschanden. Wilko drehte auf dem Absatz um, hechtete zur Kutsche, sprang auf und ließ die Peitsche knallen. „Hü, du Mähre, lauf.“ und jagte das arme Pferd im Höllentempo die Dorfstrasse entlang. Währenddessen setzte die alte Frau de Fries einen großen Topf mit Wasser auf, schickte ihren Mann zu Wattjes hinüber und ließ ihn dort Bescheid sagen, dass die Niederkunft von Monika unmittelbar bevorstand. Kurze Zeit später kam Swantje Wattjes herüber, um Frau de Fries und Wilma zur Hand gehen zu können und Monika seelischen Beistand zu leisten. Noch nie war Wilko die Strecke nach Hohedörp so lang vorgekommen, aber endlich erreichte er sein Ziel, sprang aus der Kutsch heraus und klopfte wie ein Verrückter an der Haustür der Hebamme. Eliese Klumpenmoker hatte schon viele Kinder auf die Welt geholt, und übernervöse werdende Väter waren ihr ebenso vertraut wie verhasst, meinten die doch immer, dass ihre Frauen in den letzten Zügen liegen würden. „Na, Wilko de Fries, ist es bei deiner Monika nun so weit?“ fragte sie ihn. „Es kann jeden Augenblick losgehen, lassen sie uns sofort losfahren, es pressiert.“ drängte Wilko und konnte sich vor Ungeduld fast nicht zurückhalten, sich die Hebamme zu schnappen und in die Kutsche zu setzen. Nachdem Frau Klumpenmoker sich nach dem bisherigen Verlauf der Wehen erkundigt hatte, forderte sie Wilko auf, mit in die Küche zu kommen und sich zu ihrer Familie an den Tisch zu setzen, die gerade beim Teetrinken war. Selbstverständlich wurde dem Gast auch eine Tasse eingeschenkt, und obwohl Wilko in diesem Augenblick wirklich nicht nach Tee zumute war, blieb ihm nichts anderes übrig, alles mindestens 3 Tassen zu trinken. In seiner Panik stürzte er sich das heiße Getränk in den Rachen, was ihm sofort Brandblasen im Gaumen bescherte, was ihn aber im Augenblick nicht interessierte. Nach dem dritten Tee legte er schnell seinen Löffel in die Tasse, um nicht noch einmal nachgeschenkt zu bekommen und fragte sich verzweifelt, warum die Hebamme denn wohl noch nicht zur Abfahrt bereit wäre. Endlich hatte sie ihre Tasche gepackt und gab Wilko Bescheid, dass man nun losfahren könne. Der nahm ihr die Tasche ab, rannte zur Kutsche und stellte sie hinein und fragte sich verzweifelt, warum die Hebamme sich nicht etwas schneller bewegen würde. Kaum saß sie in der Kutsche, als er nach der
Peitsche griff und das Pferd antreiben wollte. „Wilko de Fries, das will ich dir sagen, wenn du nicht vernünftig fährst, dann nehme ich dir die Zügel ab und fahre wieder nach Hause, denn ich habe nicht die geringste Lust, mit gebrochenem Hals im Straßengraben zu liegen, ist das klar?“ Eliese Klumpenmoker war als eine resolute Person bekannt, der man besser nicht widersprach, so blieb ihm nichts anderes übrig, als die Kutsche in einem vernünftigen Tempo nach Andersum zurückzulenken, auch wenn er aus Sorge um seine Frau während der Fahrt an die tausend Tode starb. Endlich kamen sie bei dem Hof an, in aller Ruhe stieg Eliese von der Kutsche herunter und bewegte sich langsam in Richtung Haus, was Wilko schon wieder an den Rand des Wahnsinns trieb. Nachdem er das Pferd abgespannt und gestriegelt hatte, wollte er nach dem Rechten sehen und ging in die Küche. Doch bevor er sich versah, hatten die Frauen ihn mit der Aufforderung, doch lieber bei Nachbar Wattjes im Haus zu warten, denn er würde ihnen nur im Weg stehen, schon wieder herausgeworfen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als zu seinem Schwiegervater zu gehen. Das Kettenmädchen machte ihnen Tee, der ihm heute aber nicht recht schmecken wollte, und nervös trommelte er mit den Fingern auf die Tischplatte. „Kann es sein, dass Du etwas nervös bist?“ fragte Wattjes seinen Schwiegersohn. „Ich doch nicht,“ gab der zurück und sah dabei zum hundersten Mal aus dem Fenster hinaus zu seinem Haus hin, ob sich da nicht endlich was bewegen würde. Mit ernsten Gesicht sagte Wattjes: „Sag mal, kennst du dich eigentlich mit kleinen Kindern aus?“ „Was soll es da groß zum Auskennen geben, ja sicher kenne ich mich mit kleinen Kindern aus.“ „Dann verrate mir doch mal, was ein Kind als erstes macht, wenn es auf die Welt kommt.“ „Luftholen natürlich, ist doch klar!“ „Falsch!“ sagte Wattes. „Na ja, dann eben Schreien.“ „Auch falsch!“ sagte sein Schwiegervater „Dann weiß ich es wirklich nicht, was macht denn nun ein Kind als erstes?“ „Platz für nächste Kind natürlich, was denn sonst! Ha, ha ha.“ prustete Wattjes und lachte dabei, dass ihm die Tränen die Wangen herunterliefen. Wilko hatte für die derben Scherze seines Schwiegervaters im Moment noch weniger Verständnis als sonst und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Wilma in die Küche kam und zu Wilko sagte: „Du kannst jetzt rüberkommen, Monika wartet auf dich.“ Ohne zu fragen ob alles klar gelaufen wäre stürmte er hinaus und rannte auf seinen Hof, wo ihm als erste die Hebamme über den Weg lief, doch noch bevor sie etwas sagen konnte, war er auch schon bei Monika, die ihn glücklich anlächelte und ihr erstes Kind in den Armen hielt. „Es ist eine Tochter, kerngesund und munter.“ sagte sie und vertraute dem jungen Vater das Kind an. Stolz betrachtete er den kleinen Wurm und meinte lächelnd: „Sie ist genau so schön wie ihre Mutter.“ und gab sie vorsichtig ihrer Mutter zurück, wobei er sich etwas ungeschickt anstellte. „Du tust ihr schon nicht weh, keine Angst.“ meinte Monika zu ihm.
„Ich weiß, ich weiß, schließlich kenne ich mich mit kleinen Kindern aus.” „Tatsächlich?“ fragte Monika verwundert, „das habe ich ja gar nicht gewusst, wer hat dir das denn beigebracht.” „Och,“ grinste Wilko, „mein Schwiegervater hat mir da was erzählt.“ ging dabei aber nicht näher auf seine speziellen Kenntnisse ein.
Teil 98 Der Sommer neigte sich seinem Ende zu, die meiste Arbeit auf den Feldern war getan. Das sahen natürlich auch die Kettenburschen, die sich schon darauf freuten, nicht mehr sechs Tage die Woche wie die Sklaven arbeiten zu müssen. Dann noch lieber in den stickigen Turmkammern herumhängen und die Zeit verstreichen lassen, auch wenn es sterbenslangweilig war. Der Bültena war es so ziemlich egal, ob die Burschen zum Arbeitseinsatz kamen oder im Turm saßen, solange Heinz sich um alles kümmerte und sie keine Arbeit damit hatte. Ja, sie würde es sich gerade im Winter richtig gemütlich machen, Brennholz für den Ofen hatte sie für ihren Raum genug, die Burschen würden sich wohl warme Gedanken machen müssen, denn sie hatte nicht die geringste Absicht, auch die oberen Kammern heizen zu lassen. Während sie am späten Nachmittag in solche Gedanken versunken in ihrem Lehnstuhl vor der Tür saß und Heinz bei der Arbeit zusah, hörte sie eine Kutsche kommen. Neugierig stand sie auf und fragte sich, um was für einen Besucher es sich wohl handeln könne und aus welchem Grund jemand die Fahrt zu dem Turm unternahm. Erst konnte sie nur erkennen, dass in der Kutsche vier Personen waren, doch als das Gefährt näher kam, beschlich sie ein leicht flaues Gefühl in der Magengegend, denn nun konnte sie den Pastor, den Bürgermeister sowie zwei Mitglieder des Gemeinderates erkennen. Immer wenn die Obrigkeit in der Vergangenheit zu ihr gekommen war, hatte es für sie Probleme gegeben, das letzte mal mit dieser Anja, die sie zu lange im Moor behalten hatte. Doch ihre trüben Gedanken konnten sie nicht davon abhalten, die Herren auf das Freundlichste zu begrüßen. Wie es nun mal Brauch war, bot sie den Gästen Tee an, was selbstverständlich angenommen wurde. Da es ein schöner Tag war, hatte Heinz die Tassen, Kluntje und Sahne auf den Tisch vor die Tür zu stellen, während Bültena die Herren aufforderte, auf den Bänken Platz zu nehmen. Doch die wollten sich, bevor es den Tee gab, erst einmal die verschiedenen Räumlichkeiten im Turm ansehen und stiegen die Treppen hoch. Beflissen wollte die Bültena vorausgehen, doch die Herren meinten, dass sie recht gut alleine klar kommen würden, und so blieb sie unten und überlegte krampfhaft, ob sie sich etwas zuschulden hatte kommen lassen. Da sie aber ein Gemüt wie ein Fleischerhund hatte und ein schlechtes Gewissen für sie ein Fremdwort war, setzte sie sich wieder hin und wartete in aller Ruhe ab, was die Herren denn nun eigentlich wollten. Sie wäre sicher nicht so ruhig geblieben, wenn sie den Rat auf der Besichtigungstour begleitet hätte, denn der war mit den vorgefundenen Räumen absolut nicht einverstanden. Nicht, dass an der Einrichtung, die nur aus provisorischen Betten und den Fäkalieneimern bestand, etwas auszusetzen gehabt hätten, doch das es trotz der geöffneten Schießschartenfenster so erbärmlich stank, dass sie sich ihre Taschentücher vor die Nasen halten mussten, erregte ihr Missfallen aufs äußerste, und als sie sich die Räumlichkeiten genauer ansahen, entdecken sie auch Ungeziefer: Kakerlaken, Silberfische und anderes Getier. Nachdem sie beide Turmzimmer einer genauen Inspektion unterzogen hatten, gingen sie wieder hinun-
ter und stiegen in den Keller hinab. Dort roch es zwar muffig, doch war der Raum relativ sauber, worauf Bültena auch großen Wert legte, lagerte sie doch dort ihre privaten, besser gesagt: abgezweigten Lebensmittel. Mett- und Pümmelwürste sowie ein Räucherschinken hingen dort am Haken, aber auch zwei mit der Schlinge gefangene Wildkaninchen, obwohl das Fangen von Wild in dieser Jahreszeit streng verboten war. Auch gab es einen reichlichen Vorrat an Zucker, Mehl, Kluntje, Butter, eingelegten und eingekochten Früchten und Marmeladen. Dazu kamen dann noch Sachen wie Seife, Handtücher, Bekleidung, usw., alles Dinge, die den Burschen vorenthalten worden waren. Nun, die Herren nahmen das alles zur Kenntnis und begaben sich wieder nach oben, um erst einmal frische Luft zu schöpfen. Jetzt leisteten sie auch der Aufforderung zum Tee folge und setzten sich auf die Bank, vor dem ein roh behauener Tisch stand. Bültena holte den Trekkpott (Teekanne) höchstpersönlich aus der Küche und ließ es sich auch nicht nehmen, selbst den Tee einzuschenken, während sie Heinz den Auftrag gab, einen Imbiss zu richten. Doch angesichts der hygienischen Verhältnisse lehnten die Herren das Angebot zwar dankend, doch sehr bestimmend, ab. Noch während der Teetrinkens war von fern Kettengeklirre zu hören, die neun Kettenburschen wurden in den Turm zurückgebracht. Doch diesmal wurden sie nicht sofort in die Turmkammern hinaufgejagt, sondern hatten sich in einer Reihe aufzustellen, da der Rat die Burschen in Augenschein nehmen wollte. Der Rat brauchte nicht lange, um sich ein Urteil zu bilden, denn was da vor ihnen stand, waren keine Kettenburschen, sondern Gestalten des Jammers: Abgemagert und hohlwangig, einen impertinenten Gestank verbreitend, was auch kein Wunder war, trugen sie doch noch immer die gleiche Kluft wie bei ihrer Ankunft, und hatten bisher keine Erlaubnis gehabt, die Sachen einmal auszuziehen und zu waschen, außerdem konnten die Lumpen, die sie am Leib trugen, nicht mehr als Kleidung bezeichnet werden. Als sich dann bei näherer Untersuchung herausstellte, dass alle Burschen eiternde Stellen von Ungezieferbissen am Körper hatten und der Pastor auch noch Kopfläuse fand, war den Herren vom Rat klar, dass die Bültena nicht nur faul war, sondern sich auch noch bereichert hatte, und, was am allerschlimmsten war, sie hatte ihre Schutzbefohlenen aufs sträflichste vernachlässigt. „Meine Herren, ich denke, wir haben genug gesehen, lassen sie uns wieder zurückfahren.“ sagte der Bürgermeister und wandte sich an die Aufseherin: „Sie, Frau Bültena, werden in Kürze von uns hören, und das, was sie zu hören bekommen, wird ihnen bestimmt nicht gefallen, Guten Tag.“ Nach diesen Worten stiegen die vier Ratsherren in die Kutsche, der Bürgermeister ließ die Pferde antraben und lenkte sie zurück nach Hohedörp, eine Aufseherin zurücklassend, die die Welt nicht mehr verstand: „Warum war der Bürgermeister nur so unfreundlich zu ihr, sollte er mit irgendwas nicht zufrieden gewesen sein?“ Achselzuckend wandte sie sich von dem Anblick der davonfahrenden Kutsche ab und kümmerte sich wieder um ihre Arbeit, indem sie Heinz anfuhr: „Wieso hast du mein Essen noch nicht fertig, du nichtsnutziger Bengel, muss ich mich hier um alles alleine kümmern?“ Heinz verdoppelte sein Arbeitstempo und Bültena ließ sich erschöpft in ihren Lehnstuhl fallen, um sich von der Aufregung wieder zu erholen. Irgendwas hatte dem Rat wohl nicht gefallen, wenn sie auch nicht nachvollziehen konnte, was es auszusetzen gab, und was meinte der Bürgermeister nur mit dem Satz, dass ihr das, was sie zu hören bekommen sollte, nicht gefallen würde? Leicht, ganz leicht, machte sich ein ungutes Gefühl bei ihr bemerkbar, und je tiefer die Sonne am Horizont sank, um so mehr sank auch ihre Stimmung und sie fragte sich selbst immer wieder, was da wohl auf sie zukommen würde.
Teil 99 Advokat Meyerdirks war mal wieder im Land, und sein erster Weg führte wie immer zum Bürgermeister. Der war hocherfreut, den Anwalt gerade jetzt im Land der alten Dörfer zu wissen, denn immer noch
suchten der gesamte Rat eine Lösung für das Problem mit den Kettenburschen, auch war man sich noch nicht darüber einig, wie mit der Aufseherin am besten zu verfahren sei. Den ganzen Nachmittag verbrachten die beiden in der Küche des Bürgermeisters, so manche Idee wurde geboren und gleich darauf wieder verworfen. Es war schlichtweg zum Haare ausraufen, ihnen fiel einfach keine machbare Lösung ein, und doch war klar, dass die Zustände im Turm so schnell wie möglich geändert werden mussten. Erst gegen Abend verabschiedete sich Meyerdirks etwas frustriert von dem Bürgermeister, war es ihm doch mehr als unangenehm, die Sache mit den Kettenburschen nicht in den Griff bekommen zu haben. Nun machte er sich auf den Weg zum Schmiedemeister Düring, an den er eine etwas ungewöhnlich Bitte richten wollte. Dürings fühlte sich durch die Aufwartung des Advokaten auf Höchste geehrt, und für Janette, die natürlich auch mit am Küchentisch saß, war es ein besonderes Erlebnis, mit so einem Mann von Welt zusammensitzen zu dürfen. Selbstverständlich wurde sofort Tee aufgebrüht, und Frau Düring schenkte erst sich selbst, dann Janette, danach ihrem Mann und zum Schluss dem Herrn Advokaten ein. Obwohl es alle von ihnen schon Tausende Male gehört hatten, lauschten sie dem Knistern des Kluntes, als er im Tee versank. Keiner sagte ein Wort, und alle sahen sich die Wölkchen in der Tasse an, die sich durch die vorsichtig hereingelassene Sahne in der Teetasse bildeten. Bevor der Anwalt auf sein eigentliches Anliegen kam, wurden zuerst einmal die Neuigkeiten besprochen, wobei auch die Kettenburschen ein Thema waren. Meyerdirks erzählte, was ihm der Bürgermeister berichtet hatte, Dürings und Janette waren ehrlich erschrocken als sie hörten, wie die Bültena die Kettenburschen vernachlässigt hatte. Das war nicht die Art und Weise, wie dem Land der alten Dörfer anvertraute Menschen behandelt werden sollten, darüber waren sie sich sofort einig. Zwar wurden die jungen Leute, die zu ihnen gebracht wurden, nicht gerade zart angefasst und die meisten konnten sich nicht an die Keuschheitsgürtel und Ketten gewöhnen, doch Hunger und Misshandlungen waren Sachen, die alle auf das Strengste verurteilten. Dann kam Meyerdirks zur großen Freude von Janette auf Anteus Cirksena zu sprechen, was für ein gestandener Kerl er doch wäre und dass Janette und er doch wirklich ausgezeichnet zusammenpassen würden. Janette wurde ganz verlegen, freute sich aber sehr, dass ein so vornehmer Mann Anteil an ihrem Leben nahm. „Ja, Anteus und ich würden gern ein Paar werden, aber das ist nicht so einfach, Herr Anwalt.“ „Nanu,“ wunderte sich Meyerdirks, „ich dachte, ihr wärt Euch schon einig und würdet bald zum Altar schreiten.“ „Das würden wir ja auch gerne, aber von was sollen wir denn leben? Den Hof übernimmt sein älterer Bruder, wie es nun einmal Brauch ist, und Anteus hat immer in der Landwirtschaft gearbeitet und kein Handwerk gelernt, doch als Knecht verdient er nicht genug, um uns beide zu ernähren.“ „Hmm, das ist in der Tat ein großes Problem, ja, ein großes Problem.“ brummelte der Anwalt vor sich hin, dem so auf Schlag auch keine Lösung einfiel. „Was ihm fehlt, ist eine vernünftig bezahlte Arbeit, aber wo soll er die finden, hier im Land der alten Dörfer wird es schwierig werden.“ „Es ist schon eine verrückte Sache,“ gab nun Schmiedemeister Düring seinen Senf dazu, „da ist ein junger Kerl, stark wie ein Bär und kann keine Arbeit finden, doch auf der anderen Seite lebt die Bültena auf Kosten der Allgemeinheit wie eine Made im Speck, so was ist doch nun wirklich nicht richtig.“ Verwundert sah der Advokat den Schmiedemeister an und rief ganz begeistert: „Meister Düring, das ist
doch die Lösung, damit ist uns allen geholfen.“ Schnell verstanden auch die anderen, Anteus könnte anstatt der Bültena die Betreuung der Kettenburschen übernehmen und hätte so ein sicheres Einkommen, dann würde einer Eheschließung zwischen Janette und Anteus auch nichts mehr im Wege stehen. Schnell wurde die kleine Runde sich darüber einig, nichts von dem Plan zu verraten, erst sollte Meyerdirks mit dem Rat sprechen und sehen, was der von dieser Lösung hielt. Vor lauter Begeisterung hätte der Anwalt fast sein Anliegen, wegen dem er überhaupt gekommen war, vergessen, doch nun kam er auf den eigentlichen Grund seines Besuches zu sprechen: „Meister Düring,“ sagte er, „ich hätte da ein etwas ungewöhnliches Anliegen an sie, doch vielleicht können sie mir helfen.“
Teil 100 Advokat Meyerdirks gab sich einen Ruck und erklärte dem Schmied sein Anliegen: „Nun, Meister Düring, es ist so, dass meine älteste Tochter ihre schulische Ausbildung beendet hat und in einiger Zeit ein Studium beginnen wird. Zu meinem Leidwesen ist das in unserer schönen Stadt Emden nicht möglich, und so wird sie nach Oldenburg gehen müssen.“ „Das arme Kind,“ fiel Frau Düring ihm ins Wort, „auf sich allein gestellt in einer großen, fremden Stadt, nein, da hätte ich keine Ruhe mehr.“ „So ist es in der Tat, werte Frau Düring, ihr wisst ja, wie verdorben die Menschen in den großen Städten sein können, und sicher könnt ihr es mir nachfühlen, dass ich mir um meine Tochter große Sorgen mache, denn wie schnell könnte es passieren, dass sie sich von irgendeinem Lüstling betören lässt und ihre Unschuld verliert. Das passt aber nicht zu unseren moralischen Wertvorstellungen und unserer streng christlichen Gesinnung. Aus diesem Grund haben meine Frau und ich uns überlegt, unsere Tochter sicherheitshalber in einen Keuschheitsgürtel zu verschließen, um sie so vor den weltlichen Versuchungen zu schützen und ihren guten Ruf zu wahren. „Wehret den Anfängen!“ rezitierte Meister Düring mit erhobenen Zeigefinger die Bibel und kam sich dabei äußerst gebildet vor. Meyerdirks ließ sich aber auch davon nicht aus dem Fahrwasser bringen und sprach weiter: „Nun ist meine Frage: Würdet Ihr meiner Tochter einen solchen Tugendwächter anpassen wollen, und wäre es möglich, einen besonders schön gearbeiteten Gürtel zu bekommen? Selbstverständlich würde ich für alle Kosten aufkommen, daran soll es nicht scheitern.“ „Das mache ich doch gerne für sie, Herr Meyerdirks, gleich morgen werde ich mich an die Arbeit machen, allerdings wäre es in diesem Fall notwendig, den Gürtel direkt anzupassen, weil es sich in diesem Fall ja um eine Extraanfertigung handelt.“ „Das ist genau der Punkt der mir Sorgen macht, denn wie ihr wisst, hat niemand freien Zutritt zu dem Land der alten Dörfer, und so müsste meiner Tochter der Keuschheitsgürtel außerhalb unserer Gemeinde angepasst werden, und darin sehe ich im Moment doch ein Problem, ja, in der Tat, ein Problem! Ratlos kratze sich Düring am Hinterkopf, das war mal wieder ein neues Problem, doch der Anwalt hatte recht, nur sehr wenige Außenstehende hatten das Recht, in das Land einreisen zu dürfen, und so sah er sich nicht in der Lage, dem Anwalt seinen Wunsch zu erfüllen. Es war Janette, die eine rettende Idee hatte: „Wenn die Tochter von dem Herrn Anwalt nicht zu uns kommen darf, müssen wir eben zu ihr gehen.“ „Daraus wird wohl nichts werden, wir gehen nie in die Welt, damit wird der Rat nicht einverstanden
sein.“ gab Frau Düring zu bedenken. „Das ist mir ja auch klar,“ meinte Janette, „doch wie wäre es, wenn wir die fahrbare Feldschmiede auf die Tjalk bringen würden, dann könnte der Herr Meyerdirks mit einem anderen Schiff die Tjalk irgendwo treffen und wir seiner Tochter den Gürtel anpassen.“ Während sich Herr und Frau Düring zweifelnd ansahen, konnte sich Meyerdirks mit der Idee schnell anfreunden, was es allerdings notwendig machte, eine Sache, die er Frau Düring schon einmal angedeutet hatte, zu unterbreiten. „Nun,“ sagte Meyerdirks bedächtig, „diesen Vorschlag halte ich in der Tat für eine gute Idee, ja, in der Tat, für eine gute Idee. Denn ihr müsst wissen, dass sich die Tatsache, dass die Keuschheitsgürtel bei uns viel getragen werden, in der Welt bekannt geworden ist und ich schon manches Mal gefragt wurde, ob es nicht möglich wäre, so einen Tugendwächter zu beziehen. So gesehen würde sich der Aufwand, die Feldschmiede auf die Tjalk zu bringen, tatsächlich lohnen, in der Tat, tatsächlich lohnen.“ „Ich habe nie verstanden, dass die Leute in der Welt ohne Keuschheitsgürtel auskommen können,“ bemerkte Frau Düring, „wie wollen die denn Sitte und Moral ohne dieses vorzügliche Keuschheitsinstrument gewährleistet wissen?“ „So ist es, meine liebe Frau Düring, so ist es.“ gab der Advokat zurück, „doch allmählich gibt es auch in der Welt Menschen, denen das immer klarer wird und die nun ihre Kinder schützen und behüten wollen.“ „Das mag wohl alles sein,“ meinte der Schmiedemeister, der zwar schnell begriff, dass es sich bei dieser Angelegenheit um ein gutes Geschäft handeln könnte, trotzdem aber von der Aussicht, die Schmiedearbeiten auf einem Schiff zu erledigen, nicht gerade begeistert war, „nur ist es so, dass ich hier unabkömmlich bin und leider für die Arbeit auf dem Schiff nicht zur Verfügung stehen kann, so leid es mir tut.“ „Das ist aber wirklich sehr bedauerlich.“ meinte Meyerdirks, der sich genau wie die anderen am Tisch ein Grinsen verkneifen musste, denn es war allgemein bekannt, dass der Schmied, der das Land der alten Dörfer nur einmal in seinem Leben zur Ableistung seines Bewährungsjahres verlassen hatte, bei der Hinfahrt sowie auch bei der Rückfahrt über der Reling gehangen und pausenlos Neptun geopfert hatte, wovon er aber heute nichts mehr hören oder wissen wollte. Ebenso bekannt war auch, dass er hoch und heilig geschworen hatte, niemals mehr in seinem Leben die Planken eines Schiffes zu betreten. „Aber Meister,“ warf Janette ein, „das könnte ich doch übernehmen, zur Zeit haben wir doch nicht mehr so viel Arbeit wie sonst, im Moment brauchen wir noch nicht mal mehr für die Kettenmädchen- und Burschen vorzuarbeiten, alle haben ihren Schmuck angelegt bekommen und neue Zöglinge kommen doch erst, wenn die anderen wieder entlassen werden.“ „Nun, ja, also, äh, na ja, genaugenommen, wenn man die Sache richtig betrachtet, hast du durchaus recht, Janette, und ein gegen eine zusätzliche Einnahmequelle wäre durchaus nichts einzuwenden, aber ich meine, da gibt es noch viele Sachen zu bedenken, so einfach wird es alles nicht gehen.“ „Aber wir könnten es ja mal versuchen.“ meinte nun Frau Düring, die im Geist schon den zusätzlichen Verdienst vor sich sah. „Lasst es uns doch so machen,“ meinte Meyerdirks, „gleich morgen früh werde ich mit dem Rat sprechen. Als erstes werde ich ihm den Vorschlag machen, Anteus als neuen Aufseher einzusetzen, und dann werde ich sehen, ob ich den Rat nicht davon überzeugen kann, eine weitere Verdienstmöglichkeit zu schaffen, in dem wir die Keuschheitsgürtel auf der Tjalk verkaufen, immerhin hat Monika mit der Käserei es auch geschafft, mehr Geld in das Land der alten Dörfer zu bringen.“
Dieser Vorschlag wurde angenommen, denn ohne die Genehmigung des Rats wäre jede weitere Planung auch sinnlos gewesen, und so wurde noch eine letzte Tasse Tee getrunken, bevor der Anwalt sich verabschiedete. Etwas spät am nächsten Morgen, es war schon sieben Uhr durch, ging Meyerdirks wie versprochen zum Bürgermeister und unterbreitete ihm die beiden Vorschläge, einmal, dass Anteus Cirksena die Betreuung der Kettenburschen übernehmen sollte, zum anderen die Idee mit der Anfertigung von Keuschheitsgürteln auf der Tjalk. Über eine Stunde saßen die beiden Männer zusammen und besprachen die Angelegenheit, dann gab der Bürgermeister den Befehl, die Mitglieder des Rats zusammenzuholen, um die Sache im großen Kreis zu besprechen, aber auch nach Anteus wurde jemand geschickt, um ihn zu der Versammlung hinzu zu ziehen. Während sie noch auf das Eintreffen der Ratsmitglieder warteten, klopfte es an der Tür. „Herein!“ rief der Bürgermeister und Monika betrat das Zimmer. Nachdem Monika die beiden Herren respektvoll begrüßt hatte, wurde sie aufgefordert am Küchentisch Platz zu nehmen. Just hatte sie sich gesetzt, als auch die Frau Bürgermeisterin in die Küche kam und erst mal dafür sorgte, dass für den Besuch Tee angesetzt wurde. „Nun, Frau de Fries, was führt sie zu mir?“ wollte der Bürgermeister von dem ehemaligen Kettenmädchen wissen. „Ja, Herr Bürgermeister,“ erklärte Monika, „es ist einfach so, wir kommen mit der Kapazität der Käserei nicht mehr aus, es wird mehr Milch geliefert als wir verarbeiten können, und wir dürfen doch nicht nur die Milch von einigen verarbeiten, sondern müssen allen die Möglichkeit geben, mehr an der Milch zu verdienen.“ „Das ist wohl war!“ entgegnete der Bürgermeister, der gerne selbst noch mehr Milch zur Käserei geliefert hätte und somit großes Verständnis für diese Situation hatte. Auch der Advokat meldete sich zur dieser Angelegenheit zu Wort und sprach den Bürgermeister an: „Ich denke, es wäre sinnvoll, wenn Frau de Fries, vorausgesetzt natürlich, der Rat ist überhaupt einverstanden, sich eine neue Käsereieinrichtung selbst begutachten würde, schließlich handelt es sich dabei um eine nicht unerhebliche Investition.“ Noch ehe er eine Antwort bekommen konnte, kamen die ersten Ratsmitglieder ins Haus, Monika verabschiedete sich, während Meyerdirks sich zu den Ratsherren begab und sie begrüßte. Nach der offiziellen Eröffnung kam der Bürgermeister schnell auf den ersten Punkt: Sofortige Ablösung von der Bültena durch Anteus Cirksena, der damit dann die monatlichen Bezüge der Aufseherin beziehen würde. Einstimmung wurde dieser Vorschlag begrüßt, und der inzwischen eingetroffene Anteus gefragt, ob er bereit wäre, diesen nicht schlecht bezahlten Posten zu übernehmen. Der überlegte nicht lange, sondern war sofort einverstanden, jetzt war er nicht mehr auf den kargen Lohn eines Knechts angewiesen, sondern würde sein eigenes Einkommen haben, was ihm ermöglichte, Janette zu fragen, ob sie seine Frau werden wolle. Anteus bedankte sich für das ihm entgegengebrachte Vertrauen, versprach gute Arbeit zu leisten und ging zur Schmiede, um seiner Liebsten von der für ihn unverhofften Wendung zu berichten. Der Rat behandelte inzwischen den nächsten Punkt der Tagesordnung, schnell war man sich darüber einig, dass Bültena sich nicht nur am Allgemeingut bereichert hatte, sondern auch die ihr anvertrauten Kettenburschen mehr als nur schlecht behandelt hatte, keiner Bauer im Land der alten Dörfer würde sich
erlauben, auch nur ein Schwein so schlecht zu behandeln. Scheinbar stand keiner der Ratsherren auf gutem Fuß mit der Bültena, denn die vom Pastor geforderte Maßnahme und Bestrafung fand allgemeinen Beifall und es wurde beschlossen, möglichst bald zur Tat zu schreiten. Die Sitzung wurde kurz gestört, Frau Bürgermeister stellte Kannen mit frisch gebrühtem Tee auf den Tisch, den die Herren nach dieser harten Sitzung gut gebrauchen konnten. Doch noch waren nicht alle Punkte erledigt, nun schnitt der Bürgermeister das Thema mit der Erweiterung der Käserei an. Was Wunder, dass die Ratsmitglieder schnell mit einer Vergrößerung einverstanden waren, denn bis auf einen waren sie doch alles Bauern, die von der Käserei profitierten. Auch gegen eine Reise in die Welt von Monika de Fries hatten sie nichts einzuwenden, hatte diese Frau die Käserei doch überhaupt erst eingeführt und bisher auf das Beste verwaltet. Glücklich und zufrieden, alle Angelegenheiten so schnell und reibungslos über die Bühne gebracht zu haben, standen die ersten Ratsherren schon auf und wollten den Raum verlassen, doch da meldete sich Anwalt Meyerdirks zu Wort. „Meine Herren, so leid es mir tut, eine Sache gäbe es da noch zu besprechen.“ Die Ratsherren sahen sich verwundert an, was um aller Welt gab es denn nun wieder für ein Problem, und außerdem war fast Mittag, da würde es nun wirklich Zeit, wieder nach Hause zu gehen. Doch der Advokat war eine Respektsperson, und so setzten die Herren sich wieder hin. Nun erzählte Meyerdirks dem Rat von der in der Welt bestehenden Nachfrage nach Keuschheitsgürteln, kam auf die Schwierigkeiten mit dem Betreten unbefugter Personen in das Land der alten Dörfer zu sprechen, erzählte ihnen von dem Vorschlag, sich eine zweite Tjalk zuzulegen und berichtete auch, dass Janette bereit wäre, die Schmiedearbeiten auf dem Schiff zu erledigen. Als der Anwalt geendet hatte, machte sich zuerst Schweigen am Tisch breit, doch dann hagelte es Proteste: Das wäre nun wirklich eine Risiko, eine weitere Tjalk käme viel zu teuer, die Sache würde sich nicht rechnen lassen, und überhaupt, sie wären Bauern und keine Schmiede oder Seeleute. Anwalt Meyerdirks kannte seine Leute, und so hatte er eine Expertise vorbereitet, die er nun dem Rat vorlegte. Als die Herren sahen, wie viel ein einziger Keuschheitsgürtel kosten sollte, lachten sie lauthals und konnten sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass jemand nur für einen Tugendwächter so viel Geld ausgeben würde, doch schnell wurden sie von Meyerdirks eines besseren belehrt, der ihnen erzählte, was alleine er schon für einen Preis für den Keuschheitsgürtel, den seine Tochter tragen sollte, mit dem Schmied vereinbart hatte. Zwar war der Rat auch jetzt noch nicht vollkommen überzeugt, scheute vor allen Dingen die Kosten für die Tjalk, aber als ihnen klargemacht wurde, dass so ein Schiff jederzeit wieder zu verkaufen wäre und somit die ganze Sache risikolos wäre, fand der Plan schon eher ihre Zustimmung, und als sie dann noch hörten, wie viel der Schmied an Steuern in die Gemeindekassen abführen müsste, waren sie einverstanden, außerdem wurden sie jetzt aber mehr als dringend zu Hause zum Essen erwartet, was dann wohl wirklich den Ausschlag für die Zustimmung gab. Meyerdirks wurde dann von den Bürgermeisterleuten zum Essen eingeladen, was er dankbar annahm, denn seine feine Nase hatte ihm schon verraten, dass es heute Aalsuppe geben würde. Noch nicht einmal drei Tage später standen an einem Vormittag der gesamte Rat inklusive Anteus Cirksena vor dem Turm, um der Gerechtigkeit zu ihrem Lauf zu verhelfen, eine wichtige Person fehlte zwar noch, die war aber schon auf dem Weg und würde in Kürze eintreffen.
Teil 101 Die Herren des Rats bauten sich in einer Reihe vor der Turmtür auf, der Bürgermeister klopfte energisch an die Tür und kurz darauf wurde ihnen von der Bültena geöffnet. „Was für eine Ehre, der gesamte Rat kommt auf einen Besuch zu mir.“ schleimte die Bültena und rief nach hinten: „Heinz, setz sofort Teewasser auf, hoher Besuch ist gekommen.“ Nicht nur der Bürgermeister, nein, der gesamte Rat sah sie mit finsteren Blicken an, die zu fühlende Feindseeligkeit gegenüber der Aufseherin war fast körperlich zu spüren. „Wir sine nicht zum Teetrinken oder auf einen Plausch hierher gekommen, Esmiralda Bültena, sondern um euch für die Schandtaten, die ihr begangen habt, zur Verantwortung zu ziehen.“ sagte der Bürgermeister barsch. „Meiner Treu, Herr Bürgermeister, von welchen Schandtaten sprecht ihr nur, ich habe nur immer meine Pflicht getan und mir nie etwas zu Schulden kommen lassen.“ „Das sehen der Rat und ich aber von ganz einer anderen Seite,“ erwiderte der Bürgermeister, der zur seiner großen Befriedigung das sich nahende Rumpeln von Pferdefuhrwerken hören konnte. „Ihr guten Herren, ich weiß wirklich nicht, warum ihr mich so böse anseht, habe ich denn in irgendeiner Weise euer Missfallen erregt?“ „Unterschlagung von Lebensmitteln und Kleidung für die Kettenburschen, Verwahrlosung und Schlamperei, schamlose Bereicherung, das sind die Punkte, derer ihr euch schuldig gemacht habt, Esmiralda Bültena, schmählich habt ihr das in euch gesetzte Vertrauen missbraucht, was das ganze Land der alten Dörfer in euch gesetzt hatte.“ rief der Pastor empört. „Das ist doch nicht wahr,“ entgegnete die Bültena, „immer bin ich dazu angehalten worden so sparsam wie möglich zu wirtschaften, was ich ja auch gemacht habe, und genau das will man mir jetzt als ein Vergehen vorwerfen?“ „Und wieso hortet ihr im Keller Mettwürste, Schinken, Käse und Butter, eingelegte Gurken, Schnippelbohnen und andere Sachen, und wieso habt ihr haufenweise Seife und Kleidung für die Burschen dort liegen, ja noch nicht einmal die Wolldecken habt ihr herausgegeben, was seid ihr eigentlich für ein Mensch?“ fragte der Bürgermeister ziemlich sauer, dem das Gehabe der Aufseherin nun wirklich gegen den Strich ging. Die Bültena sah von einem zum anderen, jetzt merkte sie, dass die Sache bitterernst und höchstgefährlich wurde, versuchte aber immer noch, das Beste aus der Sache zu machen. „Das sind nur Vorräte für schlechte Zeiten.“ versuchte sie sich aus der Affäre zu ziehen, doch diese verlogene Antwort ließ sie nur noch mehr in Ungnade fallen. „Bringt die Kettenburschen hierher!“ befahl der Bürgermeister, und zum ersten Mal seit langer Zeit stieg sie selbst die Treppen hoch, um die Gittertüren zu öffnen. „Seht zu, dass ihr nach unten kommt, und höre ich ein falsches Wort von euch, werdet ihr es noch bitter bereuen, das schwöre ich.“ fauchte sie die Burschen an. Sie scheuchte die Burschen die Treppen hinunter und jagte sie vor die Tür. Dort waren inzwischen 3 Fuhrwerke angekommen, zwei leere Ackerwagen und die fahrbare Feldschmiede von Meister Düring. Die Männer, die mit den Ackerwagen gekommen waren, bekamen sogleich den Befehl, sämtliche Vorräte aus dem Turmkeller auf den einen der Wagen zu schaffen, während Düring anfing, seine Feldschmiede aufzubauen und anzuheizen.
Es war kaum zu glauben, was aus dem Keller alles zum Vorschein kam, der Ackerwagen füllte sich immer mehr. Während der Bültena bei dem Anblick das heulende Elend überkam, staunten die Ratsherren nicht schlecht, was diese Frau alles zusammengetragen hatte, während die Kettenburschen voller Verlangen und Heißhunger auf die Lebensmittel blickten, die ihnen vorenthalten worden waren. Nachdem der Keller ausgeräumt war, sah sich der Rat noch einmal die Kettenburschen genauer an, tatsächlich waren sie verdreckt, verlaust und unterernährt, die Kleidung bestand nur noch aus Lumpen und sie gaben einen Gestank von sich, der nicht auszuhalten war. Der Bürgermeister ging mit dem Rat zur Seite und flüsternd unterhielten die Herren sich. Schon nach wenigen Minuten nickten sie alle mit den Köpfen und kamen zu dem Turm zurück, wo der Bürgermeister das Wort ergriff. „Esmiralda Bültena, ihr habt das in euch gesetzte Vertrauen auf das Schändlichste missbraucht und euch nicht nur bereichert, sondern diese Burschen schlechter als Vieh behandelt. Aus diesem Grund hat der Rat beschlossen, euch eures Postens zu entheben und einer gerechten Bestrafung zuzuführen. Während er nun das einstimmig beschlossene Urteil verlas, blickte Bültena den Rat mit ungläubigen Augen an. Mit zittrigen Knien ließ sie sich auf die Bank fallen und keuchte entsetzt: „Das könnt ihr doch nicht im Ernst meinen, das dürft ihr nicht machen.“ doch an den verschlossenen Gesichtern der Männer konnte sie erkennen, dass es bitterer Ernst war.
102 Doch, der Rat meinte es wirklich ernst mit seinem Urteil, eine Frau wie die Bültena gehörte nicht in das Land der alten Dörfer und war ab sofort geächtet. Da es in diesem Land kein Gefängnis gab, hatte der Rat beschlossen, Esmiralda Bültena bis zum Ende ihres Lebens in den alten Wehrturm zu verbannen. Nun war der Schmied an der Reihe, seinen Teil zur Bestrafung der ehemaligen Aufseherin zu leisten. Sobald die Kohlen in der Esse heiß genug waren, forderte er Bültena auf, zu ihm an die Feldschmiede zu kommen, um sich in Eisen legen zu lassen. Die weigerte sich energisch, der Aufforderung Folge zu leisten, und wie nun der Schmied und Anteus Cirksena auf sie zugingen, um sie mit Gewalt zur Feldschmiede zu bringen, rief sie ihre Schäferhunde zu sich. „Blexen, Sarbas, hierher zu mir!“ Die Hunde stürmten zu ihr hin, und kaum machten Düring und Anteus noch einen Schritt auf die Bültena zu, fingen die beiden Bestien an die Zähne zu fletschen und zu knurren. Mit diesem Widerstand hatten die beiden nicht gerechnet und machten langsame Schritte nach hinten, um nicht von den Hunden angefallen zu werden. Der Rat sah sich vor ein ungeahntes Problem gestellt, dass er so nicht zu lösen wusste, doch waren es die Kettenburschen, die den Lauf der Gerechtigkeit aufgehalten sahen und sich doch nichts mehr wünschten, als das die verhasste Aufseherin für das, was sie ihnen angetan hatte, bestraft werden würde. „Grundgütiger Gott, nun haben wir aber ein Problem.“ rief der Pastor, „was machen wir denn jetzt?“ Darauf konnte ihm keiner der Ratsherren eine Antwort geben, denn die Hunde machten ihnen doch mehr den Eindruck von wilden Wölfen als von Schäferhunden und keiner von ihnen wollte das Risiko eingehen, von einem der Tiere angefallen zu werden. Da meldete sich Werner ganz zaghaft, indem er wie früher in der Schule die Hand noch oben hielt. „Was willst du?“ fragte der Bürgermeister. „Entschuldigen sie bitte, aber wenn sie die Hunde aus dem Weg haben wollen, gäbe es eine Möglichkeit.“ „Ach ja, willst du dich um die Hunde kümmern?“ wollte der Bürgermeister von ihm wissen.
„Nein, nein“, wehrte Werner sofort ab, „aber Heinz wird mit den Kötern fertig.“ „Wer ist Heinz?“ „Der Vertraute von der Frau Bültena.“ „Nun sieh mal einer an, der Vertraute von der Bültena, das wird ja immer schöner hier! Wer von euch ist denn dieser Heinz?“ „Ich, Herr Bürgermeister“, meldete Heinz sich mit Angstschweiß auf der Stirn zu Wort und kam aus der Turmstube heraus, wo er sich bisher unbemerkt aufgehalten hatte. Tatsächlich hatte sich bisher keiner die Mühe gemacht und nachgezählt, ob auch wirklich alle Kettenburschen vor den Turm gebracht worden waren, und so war die Verwunderung über die eigene Nachlässigkeit doch recht groß. „Hören die Hunde auf dich, hören sie auf dich mehr als auf ihre Herrin?“ wollte der Bürgermeister wissen. „Ich glaube schon.“ gab Heinz vorsichtig zur Antwort. „Dann ruf die Hunde zu dir und leg sie an die Leine.“ forderte der Bürgermeister ihn auf. „Einen kleinen Moment noch, bitte, ich bin sofort wieder da.“ sagte Heinz und ging in das Turmzimmer, um gleich darauf mit zwei Fleischknochen zurück zu kommen. „Sarbas, Blexen, hierher zu mir.“ rief er den Hunden zu, die jetzt sichtlich verwirrt waren. Einerseits hatten sie ihre Herrin zu verteidigen, auf der anderen Seite war da dieser Bursche, der für ihr Fressen sorgte, sie bürstete und neben dem sie jede Nacht schliefen. Nach kurzem Zögern der Tiere siegte ihr Selbsterhaltungstrieb, und so liefen sie auf Heinz zu, um sich von ihm die Knochen geben und sich von ihm an die Leine legen zu lassen. Esmiralda Bültena, die bis dahin noch selbstsicher gegrinst hatte, fiel schlagartig die Kinnlade herunter, doch am Ende war sie noch lange nicht. Sie suchte ihr Heil in der Flucht und wollte durch die Linie der nebeneinander stehenden Kettenburschen hindurchbrechen, die aber waren sich auf Schlag einig und vereitelten die Flucht. Nun hatten Düring und Anteus leichtes Spiel, sich der ehemaligen Aufseherin zu bemächtigen und ihr die Hände auf dem Rücken zusammenzubinden. Während sie die Bültena zur Feldschmiede führten, hatte Janette, deren Anwesenheit in diesem Fall unerlässlich war, bereits ein passendes Halseisen herausgesucht, das der sich immer noch wehrenden Bültena um den Hals geschmiedet wurde. Schnell bekam sie auch Fußfesseln mit einer kurzen Kette dazwischen angelegt, ebenso schnell war auch eine Eisenkugel an der kurzen Fußkette befestigt. Etwas schwierig wurde es, als ihr die Handfesseln angelegt werden sollten, da man ihr dafür die Hände hinter dem Rücken losbinden musste. Sie wollte dann auch gleich anfangen auf die Schmiedeleute loszuprügeln, doch Anteus hatte kein Problem damit, sie in jeder gewünschten Lage festzuhalten. So wurden ihr dann auch die Armreifen fest angeschmiedet, und die Kette, die ihre Armreifen verband, vorher noch durch den Ring des Halseisens gezogen. Zu guter Letzt wurde ihr noch eine Laufkette angelegt, die so lang war, dass sie alle Räume im Turm erreichen konnte. Das Ende dieser Kette wurde von Meister Düring so gut befestigt, dass noch nicht einmal ein Elefant sich hätte losreißen können. Jetzt war Janette an der Reihe, ihre Arbeit zu erledigen. Aus der Werkstatt hatte sie einen schweren Keuschheitsgürtel mitgebracht, den sie jetzt aus der Feldschmiede holte und der Bültena anlegen woll-
te. Doch die wehrte sich trotz ihrer Eisenfesseln mit Händen und Füssen, so das nichts anderes übrig blieb, als ihr noch mal die Hände auf den Rücken zu fesseln. Nachdem sie in den Turm verbracht und die Tür geschlossen worden war, sagte Janette zu ihr: „Wenn du mir jetzt noch einmal Schwierigkeiten machst, lasse ich Anteus Cirksena hereinkommen, der mir dann zur Hand gehen wird.“ Das wollte sie auf jeden Fall vermeiden, und so ließ sie sich zähneknirschend den Tugendwächter anlegen. Fast wäre Bültena von dem Gürtel verschont geblieben, denn nur mit Mühe und Not gelang es Janette, den Taillengurt zu schließen, doch schließlich rastete der Gurt auf der weitesten Stufe ein und sie konnte das Schloss anbringen. „Der ist doch viel zu eng, du dusselige Kuh!“ brüllte die ehemalige Aufseherin, was ihr eine schallende Ohrfeige von Janette einbrachte. Nachdem Janette ihr die Hände wieder befreit hatte, ließ sie die Gefangene stehen und ging zu den anderen vor dem Turm. Bültena nutzte die Zeit um nachzusehen, was ihr an Proviant übrig geblieben war, doch aus Graupen, Zwiebeln, altem Brot und schon angegammelten Kartoffeln konnte sie nichts finden. Während die Bültena sich nun in wüsten Beschimpfungen erging, wurden die Kettenburschen auf den eines der Fuhrwerke verladen, außer Heinz, der mit den Hunden an der Leine dem Wagen hinterher zu laufen hatte. Die Burschen freuten sich über alle Maßen, der Schikane durch die Aufseherin entkommen zu sein und sahen wieder Licht am Ende des Tunnels, sie wussten zwar nicht, was man mit ihnen vorhatte, doch schlimmer als im Turm gewesen war würde es wohl nicht werden können. Der einzige, dem vor der nächsten Zeit graute, war Heinz, der die Rache seiner Mitgefangen fürchtete. Endlich setzte sich der Konvoi in Bewegung, vorweg die Ratsherren in den Kutschen, dann der Wagen mit den Vorräten, dahinter Meister Düring mit seiner Feldschmiede und zum Schluss das Fuhrwerk mit den Burschen darauf, am Ende Heinz mit Sarbas und Blexen an der Leine. Hinter Heinz waren nur noch 2 Reiter auf ihren Pferden, die ein wachsames Auge auf die Burschen hielten. So zogen sie langsam durch das Land der alten Dörfer, dem neuen Bestimmungsort der Kettenburschen entgegen.
Teil 103 Der erste Teil des Weges führte nach Hohedörp, dort trennten sich die Ratsherren von dem Transport, auch Schmiedemeister Düring ging in seine Werkstatt zurück, doch Janette übernahm die fahrbare Feldschmiede. Während sich die Begleitpersonen mit belegten Broten und heißem Tee stärkten, sahen die Burschen mit knurrenden Mägen neidvoll zu. Zwar erregte das heruntergekommene Aussehen wohl etwas Mitleid bei den Frauen, die den Männern die Stärkung brachten, doch hatten sie keine Order bekommen, auch die Burschen zu versorgen und so gingen die Gefangenen leer aus bis auf einen Eimer Wasser mit einer Kelle darin, aus der sie dann nacheinander ihren Durst löschen konnten. Endlich ging die Fahrt weiter, langsam aber stetig nährte man sich dem Ziel. Die Gegend wurde immer kahler, einsam und verlassen. Hier wuchsen nicht einmal mehr Bäume, nur ein paar Sträucher sahen sie am Wegesrand. Dann war von fern ein Dorf zu sehen, und als sie langsam näher kamen meinte einer der Burschen namens Torsten leise zu den anderen: „Das muss dieses Dorf Moorum sein, jetzt weiß ich, was auf uns zukommt.“
Die anderen sahen ihn verständnislos und fragend an, und so sprach er flüsternd weiter: „Nach diesem Ort kommt nur noch ein schmaler Knüppeldamm durch ein Moor, und am Ende des Weges liegt eine Torfabbaustelle, die früher eine Art Straflager für die Kettenmädchen war.“ „Woher willst du das denn wissen, du Klugscheißer?“ fragte Werner. „Du kannst Heinz ja mal fragen, der hat mir gesagt, was die Bültena ihm erzählt hat.“ „Straflager, na Klasse, vom Regen in die Traufe!“ meinte niedergeschlagen einer der Burschen. „Was soll’s,“ meinte Werner, „jedenfalls sind wir die Bültena los, und schlechter als im Turm kann es dort auch nicht werden.“ „Es gibt noch einen großen Vorteil,“ gab Torsten sein Wissen preis, „dieses Moor liegt dicht an der Grenze vom Land der alten Dörfer, wenn es überhaupt möglich ist von hier zu entkommen, dann von dieser Stelle aus.“ Nachdenkliches Schweigen machte sich unter den Burschen breit, jeder hing seinen eigenen Gedanken über eine Flucht nach, und es war keiner dabei, der nicht über eine Flucht nachdachte. Die drei Fuhrwerke rumpelten über die schlechte Strasse in den Ort Moorum hinein, die Burschen sagten nichts mehr und sahen sich nur um. Hier standen nur kleine Häuser, einfach und primitiv gebaut, auch die wenigen Menschen, die sie sahen, machten keinen besonders glücklichen Eindruck. Wenn es hier schon so erbärmlich aussah, was würde sie dann erst im Moor erwarten? So waren ihre Gedanken, als die Kutscher die Pferde zum Stehen brachten und die Burchen den Befehl bekamen von dem Fuhrwerk abzusteigen. Sie standen vor der Hütte, in der auch Anja schon eine schlimme Nacht verbracht hatte, aber im Gegensatz zu Anja wurden sie nicht gleich in die Hütte gebracht, sondern hatten sie vor der Tür auf die Erde zu setzen. In der Zwischenzeit hatte Janette in der Nähe einer Scheune die Feldschmiede aufgebaut, heiße Kohlen wurden ihr aus einem der Häuser gebracht und nach kurzer Zeit war die Esse betriebsbereit. Jetzt wurden die ersten zwei der Kettenburschen weggeführt, mussten in die Scheune, bei der die Feldschmiede stand, hineingehen, dort wartete Janette bereits auf die Burschen. Beide Jungs wurde an dem Halseisen eine längere Kette befestigt, danach riss Janette ihnen die Lumpen vom Leib und befreite sie von den Keuschheitsgürteln. Die Burschen konnten ihr Glück gar nicht fassen, endlich waren sie nach so langer Zeit zum ersten Mal die verhassten Keuschheitsgürtel los. Oh, was war das für ein herrliches Gefühl, und beide konnten es nicht bleiben lassen, Hand an ihr Gemächt zu legen. „Die Hände auf den Rücken, aber sofort!“ befahl ihnen die Stimme von Anteus Cirksena, der seine Braut bei der Arbeit unterstützte. Vollkommen eingeschüchtert gehorchten sie sofort der Aufforderung, und nur Sekunden später waren ihre Arme auf dem Rücken gefesselt. „Du bist als erster dran!“ bestimmte Anteus, der neue Aufseher, und drückte den einen der Burschen auf einen Hocker. Dem wurde Angst und Bange, konnte sich der arme Kerl doch nicht vorstellen, was nun mit ihm passieren würde. Ehe er sich versah, wurde er von sämtlichen Körperhaaren befreit, anschließend musste er sich in einen hölzernern Trog setzen, der mit einer stark übelriechenden Flüssigkeit gefüllt war. Das Gute an der Flüssigkeit war, dass sie eine durchaus angenehme Temperatur hatte, doch schon nach kurzer Zeit in dem Bad find die Haut an zu jucken. Wie der Bursche nun meinte, den Juckreiz nicht mehr aushalten zu können, durfte er aus dem Trog heraussteigen und sich in eine mit Wasser
gefüllte Zinkwanne legen. Auch hier war die Temperatur durchaus angenehm, doch schon nach wenigen Minuten musste er die Wanne verlassen. Nackt, aber zumindest mit gereinigtem und wenn auch haarlosem Körper stand er in der Scheune, fühlte sich trotz der auf dem Rücken zusammengebundenen Hände endlich mal wieder sauber und als Mensch, als Janette auf ich zukam und mit einer Schnur die Weite seiner Taille nahm. Nur Minuten später kam sie mit einem passenden Keuschheitsgürtel, der auch wieder mit einem Stachelbehältnis für den Freudenspender versehen war, wieder zurück. Nun folgte die gleiche Prozedur wie bei der Einlieferung in das Land der alten Dörfer: Janette nahm reichlich Pferdesalbe in die Hand und bestrich damit die Körperteile, die gleich wieder von Eisen umschlossen sein würden. Zwar zuckte der Bursche bei der Behandlung zusammen, aber auf solche Kleinigkeiten hatte Janette noch nie Rücksicht genommen. „Beine breit machen!“ sagte sie nur, und schon bekam der Bursche eine geballte Ladung der hervorragenden Pferdesalbe an seine intimsten Stellen geklatscht. Darauf hin wurde ihm sofort ein jetzt wieder genau passender Keuschheitsgürtel umgelegt, der mit einem schweren Schloss gesichert wurde. Nun hatte der Rat beschlossen, in Zukunft bei den Kettenburschen auch verstärkt auf saubere Kleidung zu achten, aber das Wechseln der Kleidung bei angelegten Hand- und Fußfesseln war doch sehr umständlich. So kamen die Frauen auf die Idee, den Burschen eine Art Sack zu nähen, der auf den Schultern geknöpft werden konnte. Die Begeisterung über dieses neue Kleidungsstück hielt sich absolut in Grenzen, doch was blieb dem Burschen anderes übrig als zu gehorchen?
Teil 104 Als der erste gewaschene, entlauste, kahlgeschorene und in eine Art Sack gekleidete Kettenbursche zu seinen Kameraden zurückgebracht wurde, konnten die sich bei dem Anblick ihres Leidensgenossen vor Lachen nicht halten. Zugegebenerweise sah er auch wirklich bescheuert aus, durch die geschorenen Haare kamen seine Segelohren richtig zur Geltung und seine neue Bekleidung machte einen ziemlich lächerlichen Eindruck. Noch während die anderen lauthals lachten und ihre mehr als gemeinen Kommentare abgaben, brüllte der Bursche zurück.: „Lacht nur, ihr Idioten, aber was glaubt ihr wohl, wie ihr gleich aussehen werdet!“ „Ruhe hier und ab in die Hütte.“ kam der Befehl eines Aufsehers, und so suchte er sich einen Platz in dem Raum aus. Es dauerte nicht lange bis er Gesellschaft bekam, der zweite der Burschen war gerade mit seiner Behandlung fertig geworden und ebenfalls in die Hütte geschickt worden. Diesmal war es der Erstbehandelte, der sich bei dem ungewohnten Anblick seines Kameraden ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Nach und nach füllte sich der Raum, jeder Neuankömmling bekam den gutmütigen Spott der Kameraden zu hören, aber da sie alle im gleichen Boot saßen, nahm es auch keiner übel. Zumindest wurden sie jetzt nicht mehr von Läusen und anderem Ungeziefer gequält, auch war es ein gutes Gefühl, wieder einmal gewaschen und sauber zu sein, solange sie bisher im Land der alten Dörfer waren, hatten sie dieses Gefühl nicht mehr erleben dürfen. Als letzter wurde Heinz, der vorher die Hunde in einer naheliegenden Scheune hatte anbinden müssen, der allgemeinen Reinigungsbehandlung unterzogen. Verständlicherweise hatte er eine Todesangst, auch in den Raum eingesperrt zu werden, wo die anderen Kettenburschen saßen. Doch das Risiko ging Anteus Cirksena, der neue Aufseher, nicht ein und so wurde er in die Scheune zu den Hunden gebracht und dort angekettet.
In der Hütte saßen die Burschen auf dem Stroh, strichen sich selbst immer wieder über die eigene, ungewohnte Glatze oder versuchten, die Position der jetzt wieder stramm anliegenden Keuschheitsgürtel zu ändern, um etwas gemütlicher sitzen zu können. Doch Janette hatte ganze Arbeit geleistet, die Tugendwächter saßen so genau an den Körpern, dass die Burschen die Bemühungen schon bald aufgaben. Noch während die Kettenburschen sich leise über ihre Zukunft unterhielten, betraten drei Frauen den Raum. Die eine brachte einen Stapel Schalen und Holzlöffel, die anderen einen großen Topf mit Steckrübeneintopf. Nachdem sie die Sachen in der Mitte des Raumes abgestellt hatten, verließen sie die Hütte wieder und verschlossen die Tür von außen. Der Eintopf roch hervorragend, und genau so sah er auch aus, denn außer den Steckrüben war noch frisches Gemüse wie Zwiebeln, Karotten, Lauch, Sellerie und reichlich Nackenfleisch mitgekocht worden. Was für ein Festmahl, die Burschen hauten sich die Wampe voll bis nichts mehr hineinging und tatsächlich schafften sie es, den Topf ratzekahl leer zu machen. Kurz darauf kamen die Frauen wieder, um den Topf und die Schalen und Löffel abzuholen. Die Burschen lagen bewegungslos auf dem Stroh und hielten sie die Bäuche fest, da gab es nicht einen, der von der ungewohnt guten und reichlichen Mahlzeit Bauchschmerzen hatte. Dazu kam auch noch, dass die jetzt wieder eng sitzenden Keuschheitsgürtel sich spürbar durch Kneifen und Zwicken bemerkbar machten. Spät am nächsten Morgen, erst eine Stunde nach dem ersten Hahnenschrei, wurde die Tür der Hütte von Anteus geöffnet und die Burschen hatten vor der Tür anzutreten. 10 Schubkarren standen dort in einer Reihe, jeder hatte sich hinter eine der Karren zu stellen und seine Eisenkugel hineinzulegen. Nachdem die Karren nun mit Proviant bepackt waren, hatten sie die Karren aufzunehmen und in Richtung Moor zu schieben. Hinter den neun Burschen lief Heinz mit den beiden Hunden, auch er schob eine Karre, die mit Töpfen und Pfannen vollbepackt war. Ganz zum Schluss marschierte Anteus Cirksena zusammen mit einem älteren Mann namens Temmo, der ihm bei der Arbeit im Moor helfen sollte. Während Anteus sich interessiert umsah (er war schon viele Jahre nicht mehr im Moor gewesen), wurden den Burschen beim Anblick dieser Einöde angst und bange. Kein Haus, kein Baum, vielleicht mal ein dürrer Strauch, ansonsten nur das Quaken der Frösche, und das mal ein Hase aufsprang oder ein Moorhuhn hochflog. Über den holperigen, schmalen Knüppeldamm ging es immer weiter, doch war Anteus kein Unmensch und ließ alle ½ Stunde eine kurze Rast einlegen. Der letzte Mut verließ die Burschen, als sie dann endlich das Moorlager erreichten, hier schien es ihnen nur Elend und Öde zu geben. Zumindest hatten die Hütten die letzte Zeit gut überstanden, und so reinigten die Burschen ihr neues Domizil, während Heinz Temmo und Anteus zur Hand gehen musste, die sich um ihre eigene Hütte kümmerten. Kaum war es einigermassen sauber, als die Kettenburschen sich wieder vor die Schubkarren stellen mussten, um an diesem Tag den Weg nach Moordorf noch einmal hin- und zurück zu machen, da noch etliches an Proviant und Ausrüstung in dem Dorf gelagert war. Begleitet wurden sie dabei von Anteus, der schon dafür sorgen wollte, dass ihm keiner der Burschen entkam. Heinz hingegen hatte sich um die Kochstelle zu kümmern und ein Essen für den Abend vorzubereiten.
Teil 105 So langsam spielte sich das Leben im Torflager ein, 9 der Burschen gingen von Montags bis Sonnabends
zum Torfstechen, immer umschichtig begleitet von Anteus oder Temmo, während Heinz sich um das Essen und alle anderen Arbeiten im Lager kümmerte. Die Verpflegung war anständig, und so hatten die Burschen sich von dem Turmaufenthalt wieder einigermassen erholt. Auch die hygienischen Bedingungen hatten sich wesentlich verbessert, jeden Samstag durften sie baden und bekamen frische Kleidung. Hart aber war die doch schwere Arbeit des Torfstechens und die Langeweile an den Abenden und am Sonntag. Im Laufe der Zeit waren alle Geschichten erzählt worden, kein Witz, den man nicht schon mehrere Male gehört hätte, und das Thema Mädchen wurde überhaupt nicht angeschnitten, weil jedes Mal, wenn einer von seiner Freundin erzählte und die Jungs sich das Mädchen vor ihrem geistigen Auge vorstellten, ein kollektives Wehklagen ausbrach, weil die Dornen in der Eisenröhre sich mehr als schmerzhaft bemerkbar machten. Es war ungefähr eine Woche nach der Umsiedlung der Kettenburschen von dem Turm ins Torflager, als Monika und Janette sich zur ihrer großen Reise rüsteten. Die wenigen Sachen, die sie für die Reise brauchten, waren schnell gepackt, da machte der Proviantkorb, der mit auf die Reise sollte, schon wesentlich mehr Arbeit. Butter, Eier, Brot, Schinken, Käse, kaltes Hühnchen, eingelegte Gurken, Kürbis, Rote Bete, usw., es war schon beachtlich, was da alles zusammen kam. Für Monika war es das erste Mal nach der Geburt ihres Kindes, dass sie wieder einen Keuschheitsgürtel umlegt bekam. Es war erst ein ungewohntes, schnell aber wieder ein vertrautes Gefühl, sicher verschlossen zu sein. Aber darüber machte sie sich sowieso keine Gedanken, denn sie wusste ja, dass sie um den Keuschheitsgürtel nicht herum kam. Frühmorgens nach der Arbeit spannte Wilko die Pferde auf die Kutsche, verlud den Berg von Proviant und die kleine Reisetasche und schon ging es los nach Hohedörp. Dort wartete Janette bereits ungeduldig, nach der langen Zeit im Land der alten Dörfer freute sie sich darauf, ihre Eltern und Geschwister in Holland wieder zu sehen. Wilko wollte, nachdem Janette in die Kutsche gestiegen war, gerade weiterfahren, als Frau Düring aus dem Haus kam, hatte sie doch auch noch einen Fresskorb fertig gemacht. Kopfschüttelnd fragte sich Wilko, wer um alles in der Welt den ganzen Proviant verzehren solle, aber die beiden Frauen meinten, dass Seeluft gewaltig Appetit machen würde. Weiter ging die Fahrt nach Texlum, wo schon Advokat Meyerdirks auf die Gruppe wartete. Nach der allgemeinen Begrüssung wurde das Gepäck und der Proviant auf Schubkarren verladen und über den Deich gebracht. Auch Wilko de Fries war mit auf den Deich gestiegen, wollte er sich bei dieser Gelegenheit die Neuerung im Wattenmeer einmal selbst ansehen. Das Wasserwirtschaftsamt hatte Dalben (Pfähle) in das Wattenmeer rammen lassen und Schwimmstege angebracht, so brauchte die Tjalk jetzt nicht mehr zu ankern, sondern konnte an dem Steg festmachen, auch fiel so das mühsame Übersetzen mit dem Rettungsboot weg. Nachdem Wilko sich verabschiedet hatte, zog die Reisegruppe weiter zu der Tjalk, wo sie mit grossem Hallo begrüsst wurden. Schnell waren die Sachen an Bord verstaut, der Hilfsdiesel war schon warmgelaufen. Nachdem die Vor- und Achterleine eingeholt war, wurde erst die Achterspring, dann die Vorspring losgeworfen und die Reise konnte beginnen. Kurz nach dem Auslaufen wurden die Segel gesetzt, wobei Janette tatkräftig mit anpackte. Wo sonst die beiden Matrosen unter Einsatz ihrer ganzen Kraft die Taue bedienten, stand nun Janette und bewerkstelligte die Arbeit allein, sehr zur Freude der Matrosen, die sich nur allzu gern die Arbeit aus der Hand nehmen liessen. Nach Austausch der wichtigsten Neuigkeiten gingen die beiden Frauen in die Kombüse, um mal wieder einen „Monika-Spezial“ zuzubereiten, selbstredend wurde auch Tee zu aufgebrüht. Bei Windstärken von
4 bis 5 rauschte die Tjalk nur so durch die Nordsee mit Kurs auf das Ijsselmeer, ging dort durch die Schleuse und fuhr weiter nach Urk, dem ersten Zielhafen dieser Reise. Am späten Nachmittag kamen sie in Urk an und fuhren ganz hinten in den Hafen hinein, wo sich das Büro des Hafenmeisters sowie eine Werft befindet, die sich auf den Bau und die Reparatur von Flachbodenschiffen spezialisiert hat. Dort lag auch die Tjalk, die Meyerdirks im Auftrag des Rates gekauft hatte, eine 18 Meter lange Tjalk mit dem Namen Kuisheid.
Teil 106 „Das nenne ich jetzt doch mal einen treffenden Namen.“ meinte der Skipper und frage den Anwalt, ob es sich dabei um den Originalnamen handeln würde. „Nun,“ sagte Advokat Meyerdirks, „diesen Namen hatte die Tjalk bereits, als ich sie gekauft habe. Es ist in der Tat für dieses Schiff der richtige Name, in der Tat, der richtige Name.“ „Das ist ja ein seltsamer Zufall,“ meinte der Skipper, „wem mag die Tjalk wohl vorher gehört haben?“ „Das ist eine Geschichte für sich,“ gab Advokat Meyerdirks zurück, „die Tjalk ist hier auf der Werft vor ungefähr 30 Jahren gebaut worden, Auftraggeber war ein Brauereibesitzer, der 3 Töchter hat. Er hat seine Mädchen streng erzogen, und alle 3 Töchter sollten, was bei uns im Land der alten Dörfer selbstverständlich ist, als Jungfrauen in die Ehe gehen. Darum hat er dem Schiff den Namen „Kuisheid“ gegeben, um seine Töchter, die oft mit gefahren sind, daran zu erinnern, dass sie bis zur Verheiratung keusch zu bleiben hätten. Seltsamerweise sind alle drei noch vor ihrer Eheschliessung schwanger geworden, vielleicht aus Prostest gegen die ständigen Ermahnungen ihres Vaters. Nun ist er zu alt geworden, um die Kuisheid noch selbst segeln zu können, darum hat er sie zum Verkauf angeboten. Durch Zufall habe ich davon gehört und mich mit ihm in Verbindung gesetzt. Zuerst hatte er eine Preisvorstellung, die unseren finanziellen Rahmen gesprengt hätte, doch als ich ihm erzählte, für was das Schiff in Zukunft eingesetzt werden soll, war er hellauf begeistert und hat uns die Tjalk für einen symbolischen Preis überlassen. Allerdings kommen nun noch die Kosten für den Umbau auf uns zu, trotzdem meine ich, dass wir ein mehr als gutes Geschäft gemacht, in der Tat, ein gutes Geschäft.“ „Das ist ja ein tolles Ding,“ sagte der Skipper sah seinen Steuermann an, der die Kuisheid prüfend betrachtete und fragte ihn: „Was sagst Du dem Schiff, Peter Petersen, gefällt es dir?“ „Was für eine Frage,“ gab Petersen zurück, „wie sollte mir eine Tjalk nicht gefallen, außerdem werde ich nun zum ersten Mal als Skipper fahren, darauf habe ich nie zu hoffen gewagt.“ Der Skipper haute Petersen freundschaftlich auf die Schulter und meinte: „Du bist der geborene Seemann, und ich gönne dir deine Stellung als Skipper von ganzem Herzen, aber jetzt möchte ich mir die Tjalk doch gern einmal genauer ansehen.“ „Das geht mir nicht anders.“ gab Petersen zurück und so machten sich alle auf, die neue Tjalk in Augenschein zu nehmen. Auf der Werft wurden sie von dem Chef auf das Herzlichste begrüßt und zu der Kuisheid begleitet. Zuerst wurde das Steuerhaus inspiziert, und da fing für den Skipper und Petersen das erste Problem an, denn da gab es Geräte, von denen sie wohl schon gehört, die sie aber noch nie gesehen hatten. Unter anderem war das Schiff ausgerüstet mit einem Echolot, um die Wassertiefe messen zu können, Radar, um sich bei Nebel orientieren und andere Schiffe, die den Kurs kreuzen könnten, rechtzeitig zu bemerken zu können. Dann gab es auch noch eine Selbststeueranlage, auch „Eiserner Gustav“ genannt sowie ein GMDSS (Global Maritime Distress and Saftey System), ein weltweites Seenot- und SicherheitsfunkSystem und zu guter letzt GPS (Global Positions System).
Der Werftdirektor erklärte den Seeleuten kurz die Bedeutung der einzelnen Geräte und brachte damit Petersen an den Rand der Verzweiflung, während sein Skipper sich diebisch freute, nicht mit einem so modernen und seiner Meinung nach unnötigem Kram belastet zu werden. Die nächste Schwierigkeit gab es im Maschinenraum, denn auf der alten Tjalk gab es zwar auch einen Hilfsmotor, der recht einfach zu bedienen war. Angeworfen wurde der mit einer Kurbel, und wenn er dann endlich lief, brauchte nur alle halbe Stunde etwas Öl auf die Ventile gegeben zu werden. Doch auf der Kuisheid sah der Maschinenraum vollkommen anders aus, da stand ein Diesel, der von den Ausmassen etwas kleiner war als was sie bisher kannten, dafür aber auch die 15-fache Leistung hatte. Außerdem gab es auch noch einen Jockel (Dieselaggregat), dass nur für die Stromversorgung sorgt, zusätzlich gab es noch eine bordeigene Heizung sowie eine Trinkwasserversorgung. Petersen bekam das grosse Flattern, mit so viel nautischer sowie technischer Ausstattung hatte er nicht gerechnet, und er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er mit diesem modernen Kram umgehen sollte. Dazu bekam er von dem Werftdirektor auch noch zu hören, dass für die Bedienung von dem GMDSS eine zusätzliche Prüfung gemacht werden müsse. „Nee, nee,“ sagte Petersen, „den ganzen modernen Schietkram können wir gleich ausbauen, mit so einen Tüddelkram hab ich nichts am Hut.“ „Genau, Peter Petersen, was sollen wir mit diesem neumodischen Zeug, wir fahren bei Wind und Wetter und haben unser Schiff immer sicher ans Ziel geführt, also weg mit diesem Firlefanz.“ gab ihm der Skipper recht. „Das ist wohl wahr,“ sagte Advokat Meyerdirks, „ihr habt eure Tjalk immer sicher in den Hafen gebracht, und ich habe ja auch schon selbst erlebt, wie gut ihr euer Schiff auch bei schlechtem Wetter immer wieder zurückbringt, doch in diesem Fall gibt es, so ungern ich das sage, eine Schwierigkeit, mit der wir leider leben müssen, ja, in der Tat, leider leben müssen.“
Teil 107 „Grundgütiger Himmel,“ stöhnte Petersen, der nun wirklich nichts anderes wollte, als endlich als Skipper auf einem eigenen Schiff zu fahren, „was ist das denn für eine Schwierigkeit?“ Bevor Meyerdirks etwas sagen konnte, meldete sich der Werftdirektor zu Wort: „Nun, Peter Petersen, soviel ich verstanden habe, wollt ihr dieses Schiff gewerblich nutzen, und da sagt der Gesetzgeber, dass ein Skipper heutzutage einen Befähigungsnachweis über die Bedienung dieser Geräte erwerben muss.“ „Und wo bitte, soll ich diesen Befähigungsnachweis so schnell herbekommen?“ fragte Petersen, der sich seines Kommandos schon wieder enthoben sah. „Peter Petersen, du bist doch der holländischen Sprache mächtig, wenn ich mich nicht irre.“ erkundigte sich Meyerdirks nun. „Ja, sicher, Holländisch spreche ich ebenso gut wie unser Platt, warum wollen sie das wissen?“ „Nun,“ gab Meyerdirks zurück, „in Amsterdam fängt in zwei Tagen auf der Seefahrtschule ein Kursus an, an dem du teilnehmen und das Patent machen könntest, dann wären diese Probleme aus der Welt geschafft.“ „Alles andere, wie der Umgang mit dem Schiffsdiesel, der Trinkwasserversorgung, Heizung, der elektrischen Anlage und alles weitere könnten meine Leute ihnen zeigen, auch das ließe sich einrichten.“
machte der Werftdirektor ihm Mut. So kompliziert und umständlich hatte sich Peter Petersen sein erstes Kommando nicht vorgestellt, doch wie er das Grinsen auf dem Gesicht seines Skippers sah, meinte er nur: „Geht in Ordnung, dieses Patent werden ich machen“ Während die Männer noch auf der Schiffsbrücke standen und diskutierten, waren Janette und Monika unter Deck gegangen, um sich die Räumlichkeiten anzusehen. Beim Anblick der Einrichtung verschlug es ihnen glatt den Atem: Die gesamte Einrichtung bestand aus Edelhölzern, überall waren Drechsel- und Schnitzarbeiten zu sehen, auf dem Boden war ein dicker Teppich, alle Lampen und Bulleyes waren aus Messing gearbeitet und auf Hochglanz poliert. In den Schränken stand in Halterungen (Schutz bei Seeganz) teures Geschirr, schweres Besteck und handgeschliffene Gläser. Fassungslos ob dieser vornehmen Ausstattung ließen sich Janette und Monika in die Salonsessel fallen. „Ich habe nie gewusst, dass es eine solche Einrichtung überhaupt gibt.“ meinte Janette und sah sich dabei und immer weiter in dem Salon um, während der Blick von Monika auf die Fernbedienungen fiel, die dort auf dem Tisch lagen. Schnell war ihr klar, wozu sie dienten, eins für ein TV-Gerät, eins für einen Videorecorder und das dritte für eine Stereoanlage, nur konnte sie die Geräte nirgends entdecken. Janette war es, die versehentlich mit ihrer Hand auf einen Schalter kam, der dafür sorgte, dass wie von Geisterhand ein Teil der Seitenverkleidung wie von selbst zurück geschoben wurde. „Ach du liebe Güte,“ sagte Monika, „auf diesem Schiff ist ja wohl alles technisch durchorganisiert.“ Janette sah sie nur verständnislos an und wusste nicht, was sie damit zum Ausdruck bringen wollte, doch Monika nahm eine der Fernbedienungen in die Hand und schaltete damit die Stereoanlage ein. Sobald die irgendwo unsichtbar in dem Raum eingebauten Lautsprecher die ersten Töne von sich gaben, sprang Janette wie von einer Tarantel gestochen hoch und riss vor Schrecken die Augen so weit auf, als wenn der Leibhaftige direkt vor ihr stehen würde, sprang aus dem Sessel hoch und wollte aus dem Salon fliehen. Monika platzte fast vor Lachen, stellte aber sofort den Ton leiser, worauf Janette sich schnell wieder beruhigte. „Was ist das für ein Teufelskram?“ wollte sie wissen. Nun erklärte ihr Monika die Grundprinzipien des Rundfunks, die für Janette immer noch unvorstellbar waren. Noch interessanter wurde es, als dann auch noch der Fernseher sowie der Videorecorder in Betrieb genommen wurden, Janette konnte es nicht fassen, sich bewegende Menschen, Landschaften und Häuser in dem seltsamen Kasten zu sehen und starrte wie gebannt auf den Bildschirm, erst als Monika das Gerät wieder abschaltete, war sie wieder ansprechbar. „Komm, Janette, wir wollen doch mal sehn, wie hier die Küche aussieht.“ forderte sie ihre Freundin zum Aufstehen auf. Auch die Kombüse war auf dem neusten Stand der Technik: Mikrowellenherd, Kaffeemaschine, Spülmaschine, die Küchenblock aus Edelstahl, der Fussboden mit rutschfesten Fliesen ausgelegt. Jetzt ging es Janette ähnlich wie Peter Petersen, sie fühlte sich total überfordert, solche Geräte hatte sie noch nie gesehen, wie , um alles in der Welt, sollte sie denn damit umgehen müssen? Die Frauen gingen wieder an Deck, wo die Männer noch fachsimpelnd zusammen standen. „Na,“ fragte Petersen, „wie sieht es in den unteren Räumen aus?“ „Das ist mit Abstand das schönste Schiff, dass ich jemals gesehen habe.“ rief Monika begeistert, während Janette eher einen nachdenklichen Eindruck machte. „Da scheint Janette aber anderer Meinung zu sein, wenn ich mir sie so ansehe.“ meinte der Skipper. Noch bevor Janette etwas Verkehrtes sagen konnte, dass die Männer eventuell hätte auf die Idee bringen können, einiges von den modernen Sachen in der Küche ausbauen zu lassen, meinte Monika: „Das
liegt nur an der Schönheit der gesamten Einrichtung, soviel Gediegenheit muss der Mensch erst mal verkraften, stimmt’s, Janette?“ „Genau so ist es.“ gab sie zurück, zum Glück hatte sie das Augenzwinkern von Monika bemerkt und sich schnell einen Reim darauf gemacht. Für diesen Tag hatten sie erst mal genug gesehen, und so gingen die Männer auf die Tjalk zurück, während die Frauen noch durch den Hafen bummelten und sich das bunte Treiben ansahen. In Urk hatten sie dazu den Vorteil, in ihrer Kleidung nicht aufzufallen, da viele der Einheimischen auch heute noch Trachten tragen. Janette blieb immer wieder bei den Yachten, die im Hafen festgemacht hatten stehen und sah sich die verschiedenen Relinge an, die zum grössten Teil aus Edelstahl gearbeitet waren. „Was ist das für ein glänzendes Metall?“ wollte sie von Monika wissen, doch die konnte ihr nur sagen, dass das ein Eisen wäre, dass nicht rosten würde. „Sieh an, sieh an,“ meinte Janette nachdenklich und nahm sich vor, am morgigen Tag, noch vor der Besprechung der anfallenden Umbaumassnahmen, sich die Werft mal genau anzuschauen, um etwas mehr über dieses seltsame Eisen zu erfahren.
Teil 108 Kaum war am darauffolgenden Morgen der erste Hammerschlag von der Werft zu hören, als Janette auch schon zu Stelle war. Zuerst machte sie einen Rundgang in der kleinen Halle, besah sich ihr unbekannte Werkzeuge und Einrichtungen, dann aber hatte sie das Objekt ihrer Begierde gefunden, denn einer der Männer fertigte gerade eine Reling aus V4A-Stahl für eine Segelyacht an. Fasziniert beobachtete sie die Arbeiten, vor allem das ihr bisher unbekannte Schweissgerät zog sie vollkommen in den Bann. Sie hätte am liebsten den ganzen Tag zugesehen, doch war für 9:00 Uhr die Besprechung wegen der Umbauarbeiten angesagt. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich kurz vor 9:00 bei dem Bürogebäude der Werft einzufinden, wo die anderen bereits auf sie warteten. Der Werftdirektor Mijnheer ten Kate hatte bereits einen Plan ausarbeiten lassen, der nach den ersten Anregungen von Janette gestaltet worden war. Im Grunde sollte die Einrichtung ähnlich wie in der Schmiede in Hohedörp aussehen, allerdings in etwas kleinerem Ausmass. Vor einer Stunde wäre Janette von dem geplanten Schmiedeeinrichtung noch begeistert gewesen, doch seit sie gerade gesehen hatte, dass sich Metall auch einfacher als im glühenden Zustand verarbeiten ließ, kamen ihr ob der Richtigkeit des Umbaus erhebliche Zweifel. So gab sie dann, als sie gefragt wurde, ob ihr die Einrichtung der Schiffsschmiede zusagen würde, vorsichtig ihre Bedenken preis und berichtete von den Errungenschaften der Technik, die sie erst unmittelbar vorher kennen gelernt hatte. Den Bedarf an neuen Techniken konnten der Skipper und Petersen nicht recht nachvollziehen, doch Mijnheer ten Kate verstand sofort, dass es Janette nicht nur um einfachere Verarbeitung von Metall ging, sondern um den Umgang mit Edelstahl. So hielt Herr ten Kate spontan einen Vortrag über dieses edle Metall, ging dabei auch auf die Verarbeitung ein und sprach dabei auch an, dass durch diesen Methode nicht so viel Platz für die Schiffsschmiede gebraucht werden würde, und es auch keine Rauchentwicklung von der Esse geben würde, was gerade Petersen aufhorchen liess. Als der Werftchef geendet hatte sahen sich die Leute aus dem Land der alten Dörfer etwas unschlüssig an, doch als Advokat Meyerdirks, der nun wesentlich weltoffener war, meinte, dass Janette einen wirklich guten Vorschlag gemacht hätte, und das man gerade, weil man nun mit Menschen in der Welt zu
tun hätte, nicht unbedingt auf dem alten Stand stehen bleiben müsse, sondern sich wegen der Geschäfte, die zu tätigen waren, anpassen müsse, gab es keine Gegenargumente mehr. Nun aber hatte Janette sich eine richtig dicke Suppe eingebrockt, zwar fand sie diese neue Technik der Eisenverarbeitung hervorragend, hatte selbst aber natürlich keine Ahnung, wie sie mit einem Schweissgerät umzugehen hatte. Auch hatte sie geplant, während der cirka drei Wochen langen Umbauarbeiten ihre Familie besuchen zu können. Doch irgendwie erkannte sie auch die grosse Chance etwas für sie absolut Neues zu erlernen, und so war sie damit einverstanden, die nächsten 14 Tage auf der Werft zu verbringen, um sich die Kenntnisse anzueignen, die sie für die Arbeit auf der Kuisheid brauchen würde. Wenig später legte die Tjalk in Urk ab, ohne Peter Petersen und Janette, die inzwischen beide das Gefühl hatten, von den Ereignissen überrollt geworden zu sein, an Bord zu haben. Der Skipper ließ den Hilfsmotor warmlaufen, ließ die Leinen loswerfen und fuhr langsam und bedächtig aus dem Hafen heraus, der neue Kurs führte nun nach Edam, wo sie dann am Nachmittag ankamen. Drei Tage waren Monika und Advokat Meyerdirks nun damit beschäftigt, sich Einrichtungen und Ausstattungen für eine größere Käserei anzusehen, mit anderen Angeboten zu vergleichen und zu handeln wie die Kesselflicker. Endlich hatte man sich für eine Firma entschieden, Preis und Liefertermin ausgehandelt. Nun, wo alles unter Dach und Fach war, segelte die Tjalk nach Urk zurück. Wieder wurde beim Haus des Hafenmeisters festgemacht, und der erste Weg führte auf die Werft, um zu sehen, ob die Umbauarbeiten auf der „Kuisheid“ schon Fortschritte gemacht hätten. Immerhin war sie schon auf die über die Slipanlange auf die Hellig gezogen worden, und einige Arbeiter wieselten auf dem Schiff herum. Tatsächlich war der zukünftige Arbeitsraum von Janette schon in groben Zügen zu erkennen, aber es tat in der Seele weh zusehen zu müssen, wie zwei der Gästekabinen zerlegt wurden, um Platz für die Schmiede zu schaffen. Die gesamte Einrichtung der Kammern war entfernt worden, die edle Holzverkleidung herausgerissen, es war ein Anblick, der einem Tränen in die Augen steigen lassen konnte. Da der Skipper und Monika bei den Arbeiten an Bord doch nur im Weg standen, verliessen sie die „Kuisheid“ schnell und gingen auf die Werkstatt zu, um Janette einen kurzen Besuch abzustatten. Es war wohl Bestimmung oder Schicksal, dass sie genau in dem Moment die Werkhalle betraten, als Janette etwas passierte, was wohl noch keine andere Frau auf dieser Welt fertig gebracht hatte.
Teil 109 Wie ja nun allgemein bekannt, hatte sich Janette, seitdem sie sich in Anteus Cirksena verliebt hatte, doch etwas auf ihre Figur geachtet, und jedes Mal, wenn sie aufgefordert wurde, beim Essen kräftig zuzulangen, den gleichen Spruch gesagt: „Für mich bitte nur ein kleines Häppchen, ich muss auf meine Figur achten.“ Nun bestanden diese Häppchen zwar aus einer doppelten Portion, die ein tüchtiger Arbeiter normalerweise zu sich nahm, aber für eine mehr als gestandene Frau wie Janette waren solche Portionen wirklich nur eine Kleinigkeit, mit Leichtigkeit hätte sie von dem, was sie nun zu sich nahm, das Dreifache essen können. Dazu hatte sie ja auch immer körperlich schwer gearbeitet, und so ist es kein Wunder, dass sie im Laufe der Zeit doch gut abgenommen hatte. Nun war es so, dass Janette sich in der Werfthalle mehr als nützlich gemacht hatte, zwar war sie begierig darauf, den Umgang mit einem Schweißgerät zu erlernen, doch wurde natürlich nicht ständig nur geschweißt, sondern hauptsächlich Eisen verarbeitet. Wie ein Derwisch arbeitete sie, nur dass ein Derwisch wohl kaum einen blauen Arbeitskittel, einen langen Rock und eine dicke Lederschürze getragen hat.
Die Werftarbeiter hatten zwar den ersten Tag, als sie in der Werkhalle tätig wurde, noch über eine Frau als Werftarbeiterin gegrinst, doch schnell hatten sie ihre Meinung geändert, diese Frau stellte noch den Stärksten von ihnen in den Schatten. So war es denn auch kein Wunder, dass sie immer wieder gerufen wurde, wenn es darum ging, ein schweres Teil anzupassen. Und genau bei einer solchen Gelegenheit passierte Janette das Missgeschick, sie hob eine kleine Ankerwinde für eine Segelyacht hoch und musste sich dabei strecken, um das Teil auf Deckshöhe zu heben. Noch bevor der Arbeiter, der auf der Yacht stand, ihr die Winde abnehmen konnte, rutschte Janettes Keuschheitsgürtel über den Hintern weg nach unten und schlug scheppernd auf den Werkstattboden auf. Auf einmal herrschte Stille in der Werfthalle, alle Mann einschließlich des Skippers und Monika, schauten wie gebannt auf den Keuschheitsgürtel und auf Janette und warteten darauf, was sie in dieser peinlichen Situation machen würde. Janette, die nun endlich die Ankerwinde loslassen konnte, schaute nach unten, bückte sich, hob den Keuschheitsgürtel auf und fragte den Werkstattmeister: „Meister, spricht etwas dagegen, wenn ich mir hier in der Werkstatt den Keuschheitsgürtel etwas enger mache?“ „Nein, nein,“ gab der Meister, der zum erstenmal in seinem Leben einen Keuschheitsgürtel sah, zurück, „da spricht nichts gegen, mach das ruhig.“ und kümmerte sich wieder um seine Arbeit. Auch die anderen nahmen ihre Tätigkeiten wieder auf, keiner fing an zu Lachen oder gab einen dummen Kommentar ab, denn instinktiv hatten sie gemerkt, dass für Janette so ein Gürtel eine Selbstverständlichkeit war. „Oh meine Güte,“ dachte Monika bei sich, „ich glaube, ich wäre vor Scham gestorben.“, aber für Janette war das Tragen eines solchen Gürtels einfach das Normalste der Welt. Einige der Arbeiter gingen zu der Werkbank, auf die Janette den Tugendwächter gelegt hatte und besahen ihn sich so unauffällig wie möglich, schliesslich wurde einem so etwas nicht alle Tage geboten. Ganz anders verhielt sich der Meister, der sich dieses Teil ganz genau ansah und anschliessend mit Janette sprach. „Wann wolltest du diesen Gürtel denn enger machen, Janette?“ „Nach Feierabend natürlich, Meister, erst kommt die Arbeit hier, um den Gürtel kümmere ich mich später.“ „Ich mache dir einen Vorschlag,“ meinte der Meister ganz bedächtig, während er sich seine Pfeife stopfte, „du machst dir hier einen neuen Gürtel, aber nicht aus Eisen, sondern aus Edelstahl. Was meinst Du dazu?“ Janette schwebte auf Wolke Sieben, das war doch der Grund gewesen, warum sie eigentlich auf der Werft arbeiten wollte, doch schnell kam sie wieder auf die Erde zurück: „Das ist wirklich gut gemeint,“ gab sie zurück, „doch ich habe kein Geld und kann das Material nicht bezahlen.“ „Dafür arbeitest du hier ja auch, und dass ist bestimmt mehr wert als 2 Streifen rostfreien Stahls,“ bekam sie zur Antwort, „ausserdem habe ich im Moment Zeit und kann dir zur Hand gehen, zumindest was das Schweissen und andere Sachen anbelangt. Monika und der Skipper hatten von Janette unbemerkt das Geschehen beobachtet und das Gespräch mitbekommen, wollten auch nicht weiter stören und gingen auf die Tjalk zurück. Währenddessen hatte Janette schon ihr neues Taillenmass bestimmt, bei dem Schrittblech diente der alte Gürtel als Vorlage. Nun wurde geschnitten, gebogen, ausgetanzt, gefeilt und genietet, mit dem alten Gürtel verglichen und wieder gebogen. Um 17:30 Uhr war Arbeitsende auf der Werft, doch zwei der
Gesellen blieben freiwillig länger und halfen bei der Arbeit mit, weil sie diese Sache doch sehr interessierte. Einer von ihnen kam, als der Gürtel schon fertig war, auf die hervorragende Idee, den Taillengurt von innen mit Kunststoff zu verkleiden, was allgemein Anklang fand, während der andere einen Verschluss konzipierte, der so schnell nicht zu knacken war. Es war schon fast 21:00 Uhr, als der Gürtel endlich fertig war und Feierabend gemacht wurde. Janette bedankte sich bei dem Meister und den beiden Werftarbeiter für die Hilfe, wünschte noch eine gute Nacht und ging, mit ihrem neuen Keuschheitsgürtel in der Hand, zu dem Haus des Hafenmeisters, wo sie für die Zeit in Urk wohnte, und legte sich dort zum ersten Mal den neuen Keuschheitsgürtel. Der Taillengürtel passte wie angegossen, war im Gegensatz zu dem alten Gürtel federleicht und ließ sich durch die Polsterung angenehm tragen. Nun zog sie das Schrittblech durch die Beine, steckte es an der Vorderseite in den Führungsstift und drückte das Schloss zu. Sie machte ein paar Schritte durch das Zimmer und war von dem angenehmen Tragegefühl mehr als überrascht. „Was für ein edles Teil,“ dachte sie bei sich, „den Keuschheitsgürtel zu tragen ist ja das reinste Vergnügen!“ und wollte ihn für die Nacht wieder ablegen, doch wo, in aller Welt, war der Schlüssel?
Teil 110 Als Janette am nächsten Morgen wieder auf die Werft kam, ging sie sofort zu dem Meister und fragte ihn, ob er wüsste, wo sich der Schlüssel zu dem Keuschheitsgürtel befinden würde. Der rief den Gesellen, der das Schloss eingebaut hatte zu sich, zu sich, aber der musste kleinlaut eingestehen, dass er auf die Schlüssel nicht geachtet hätte. Nun wurden sämtliche Regale durchsucht, aber es war wie verhext, nirgends wurden sie fündig.“ Irgendwann gaben sie die Suche auf, schliesslich konnten sie nicht noch mehr teure Arbeitszeit verschwenden. Janette war todunglücklich, nun trug sie diesen wundervollen Keuschheitsgürtel, der im Gegensatz zu dem alten so leicht wie eine Feder war, und jetzt gab es keinen Schlüssel dazu. Sollte es wirklich nötig sein, dieses edle Teil mit Gewalt zu öffnen und damit zu zerstören? Den ganzen Tag über war sie etwas missgestimmt, auch wenn sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Erst als der Arbeitstag dem Ende zu ging, die Gesellen die Werkzeuge wegpackten und die Lehrlinge die Werkstatt ausfegten, fanden sich die Schlüssel wieder an, hatten die doch die ganze Zeit unter der Werkbank gelegen, auf der sie den neuen Keuschheitsgürtel bearbeitet hatten. Der Lehrling gab den Schlüssel seinem Meister, der Meister gab ihn weiter an den Werftdirektor, und der gab ihm der Frau vom Hafenmeister, die ihn dann verwaltete. Während Janette auf der Werft vor allen mit Edelstahl arbeitete und der Steuermann auf der Seefahrtsschule sein Bestes gab, verliess der Skipper mit seiner Tjalk den Hafen, um die mitgebrachten Waren zu verkaufen und an anderer Stelle wieder Ladung zu übernehmen. Da Monika nichts Besseres zu tun hatte, fuhr sie auf dieser Reise mit, sehr zur Freude der gesamten Besatzung, die sich gerne von Monikas Kochkünsten verwöhnen liess. Fast 14 Tage waren seit der Abfahrt aus dem Land der alten Dörfer vergangen, da fuhr die Tjalk wieder nach Urk ein und machte wie beim letzten Mal beim Haus des Hafenmeisters fest. Der Skipper hatte seine Aufträge erledigt und wollte jetzt Janette jetzt zu ihrem Heimatdorf hinter Amsterdam bringen, doch am Nachmittag des gleichen Tages kam Peter Petersen mit bestandenem Patent von der Seefahrtsschule zurück und meinte, dass er Janette nach Hause bringen könne, da er sich mit der „Kuisheid“ doch noch vertraut machen müsse. Dem Skipper war das recht, es wurde für ihn auch höchste Zeit, die geladenen Waren in das Land der alten Dörfer zu bringen, nur fand er es sehr schade, dass Monika von Bord ging und nun auf der „Kuisheid“ mitfuhr, um Janette zu begleiten.
Am nächsten Morgen verliess die Tjalk den Hafen in Richtung Heimat, während Petersen den ganzen Tag auf seinem neuen Schiff verbrachte und nun erst einmal alles genau in Augenschein nahm. Am Nachmittag waren die Umbauarbeiten abgeschlossen und die Werftarbeiter hatten das Schiff verlassen. Kaum waren sie von Bord, als auch schon der bestellte Proviant angeliefert wurde, der gleich verstaut werden musste; auch wurde Diesel gebunkert und die Frischwassertanks aufgefüllt. Während Monika sich um die Kombüse kümmerte, schaute Janette sich in ihrer Bordschmiede um, ob auch wirklich nichts vergessen worden war, aber es war an alles gedacht worden. Dann schloss Janette sich Petersen an, der gerade einen Gang in den Maschinenraum machen wollte und liess sich von dem frisch gebackenen Skipper viele technische Details erklären, die er selbst auch mal gerade erst gelernt hatte. Während sich Petersen anschliessend in seiner Kammer einrichtete, gingen die beiden Frauen zum Haus des Hafenmeisters, um dort Janettes Sachen abzuholen und an Bord zu bringen. Bei dieser Gelegenheit gab die Frau des Hafenmeisters die Schlüssel des Keuschheitsgürtel Monika, die sie vorläufig erst einmal einsteckte. Nachdem Janette sich für die Gastfreundschaft bedankt hatte, nahmen die Frauen Janettes Gepäck und bezogen gemeinsam eine Kammer. Am nächsten Morgen war es dann soweit: Petersen liess den Schiffsdiesel warmlaufen, die Leinen wurden losgeworfen und seine erste Fahrt als Skipper begann. Langsam verliessen sie Urk, um von da aus Kurs auf Amsterdam zu nehmen. Wie auch schon bei der Fahrt zu Monikas Bewährungsjahr fuhren sie mitten durch Amsterdam, von da aus ging es über einige Kanäle zu dem Liegeplatz, den nur Schiffe, die nur von der Gemeinde, die wie die Leute aus dem Land der alten Dörfern nach den alten Traditionen lebten, benutzt werden. Es war nur reiner Zufall, dass gerade ein Pferdefuhrwerk aus dem Dorf an der Anlegestelle war, die Ware zum Anleger gebracht hatten. Mit viel Hallo wurde Janette begrüsst, aber auch Monika war noch nicht vergessen worden. So konnten sich die Frauen den Fussmarsch zum Dorf ersparen und stiegen auf das Fuhrwerk auf, während Petersen an Bord blieb. Etliche Zeit später kamen 2 Reiter zur Anlegestelle, der eine von ihnen ging an Bord, um für eine Woche Petersen zur Hand zu gehen, der andere nahm die Zügel des nun herrenlosen Pferdes und ritt ins Dorf zurück. Petersen legte auch gleich darauf wieder ab und fuhr zurück, es blieb ihm nun eine Woche Zeit, sein Schiff richtig kennen zu lernen.
Teil 111 Oh, was war das für eine Wiedersehenfreude, als das Fuhrwerk bei der Schmiede im Dorf anhielt und Janette ihre Eltern und Geschwister nach so langer Zeit mal wieder in den Arm nehmen konnte. Doch auch Monika wurde ebenso herzlich aufgenommen, und für die holländischen Schmiedeleute war es selbstverständlich, dass die Beiden die Woche bei ihnen im Haus verbringen würden. Getrübt wurde die erste Wiedersehensfreude nur dadurch, dass Janettes Mutter auf den ersten Blick sah, dass ihre Tochter doch wohl tüchtig abgenommen hatte. Ob sie denn nicht genug zu Essen bekommen hätte, wollte sie von ihr wissen, doch Janette meinte, das Abnehmen hätte eine andere Ursache und das wolle sie am Abend in aller Ruhe erzählen. Selbstverständlich, und wie hätte es auch anders sein können, wurde nun erst einmal Tee getrunken, und Janettes Mutter konnte es nicht bleiben lassen Wurst, Käse und Kuchen für eine ganze Kompanie auf den Tisch zu stellen und die Beiden immer wieder aufzufordern, doch tüchtig zuzugreifen. Nach dem Tee machten die Beiden erst mal eine Runde durch das Dorf, doch weit kamen sie nicht, denn bei jedem Haus wurden sie angesprochen, auf das Herzlichtste begrüsst und immer wieder zum Tee ein-
geladen, was sie aber dankend ablehnten, da sie noch einige andere Leute begrüssen wollten. Nur in einem Haus durften sie die Einladung zum Tee nicht ablehnen, und zwar bei Lisbeth van de Meer, der Zwillingsschwester von Frau Wattjes, bei der sie ihr Bewährungsjahr verbracht hatte. Wie verlorene Töchter wurden die Beiden von Lisbeth van de Meer und ihren Töchtern Wiebke und Robine begrüsst, hattet sie doch nicht damit gerechnet, sich jemals im Leben wieder zu sehen. Was gab das für ein Erzählen, gegenseitiges Unterbrechen, Lachen und Scherzen. Schade war nur, dass Mijnherr van de Meer und sein Sohn Pietje noch bei der Feldarbeit waren und erst später nach Hause kommen würden, doch Monika und Janette versprachen, noch einmal an einem Nachmittag wieder zu kommen. Mit diesem Versprechen machten sie sich wieder auf den Rückweg, wobei ihnen auffiel, dass die jungen Burschen, denen sie unterwegs begegneten, zwar freundlich grüssten, aber ihren Blick schnell wieder abwandten, was ihnen etwas seltsam vorkam. Eine Minute später bekamen sie mit, wie zwei Burschen auf der Strasse standen und sich unterhielten. Mit einem Mal wurde einer von ihnen von einem Mädchen, dass nach dem Aussehen wohl seine etwas ältere Schwester gewesen sein könnte, gerufen, und wie ein gut erzogener, kleiner Junge gehorchte er sofort und liess seinen Kameraden stehen. Das nächste Erlebnis dieser Art hatten sie in Janettes Elternhaus, als sie zusammen am Küchentisch sassen, um Abendbrot zu essen. Zur der Runde gehörte auch ein Lehrling des Schmieds, der erst ein halbes Jahr in der Ausbildung war. Diese Junge war so höflich und zuvorkommend, wie es nur selten bei Knaben in diesem Alter anzutreffen ist, fehlte etwas auf dem Tisch, war es für ihn selbstverständlich aufzuspringen und das Gewünschte zu holen. Janette und Monika waren angenehm überrascht von dem allgemein höflichen Verhalten der jungen, männlichen Dorfbewohner. Doch nun mussten die Beiden erst einmal berichten, wie es ihnen in der letzten Zeit ergangen war. Es gab viel zu erzählen, ganz besonders interessant fanden die Schmiedeleute die Neuentwicklung des Keuschheitsgürtels, den sie sich am nächsten Tag unbedingt einmal ansehen wollten, und über die Idee, auf einem Schiff eine Schmiede einzubauen, konnten sie nur den Kopf schütteln und meinten, dass so ein neumodischer Kram wohl keinen Sinn machen würde. Im Gegenzug wollte Monika gern wissen, wie es möglich sei, dass die jungen Männer hier im Ort eher den Eindruck von wohl erzogenen Knaben als von jungen Burschen machen würden. „Nun,“ erklärte der Schmied bereitwillig, „das liegt daran, dass die Burschen fast alle einen Keuschheitsgürtel mit der Stachelröhre tragen, und wie mir mein Kollege aus dem Land der alten Dörfer geschrieben hat, ist dieses Erziehungsinstrument ja auch bei euch mit gutem Erfolg eingeführt worden.“ „Das ist richtig,“ gab Monika zurück, „aber bisher sind bei uns die Gürtel nur bei den Kettenburschen eingesetzt worden, allerdings gibt es eine Ausnahme, und bei dem einen Burschen aus unserem Dorf hat der Gürtel ein wahres Wunder bewirkt. Aber wie kommt es, dass so viele der Burschen hier einen Gürtel tragen?“ „Du weißt doch noch, wer als erster den Gürtel bekommen hat? Richtig, das war der Pietje. Nun wurde aus dem manchmal vorlautem Bengel ein höflicher Junge, was den anderen Frauen so gut gefiel, dass auch sie ihre Söhne verschlossen sehen wollten.“ Ganz nachdenklich meinte Monika: „Das sollte man vielleicht auch bei uns einführen, schaden könnte es bestimmt nicht, und ausserdem sehe ich nicht ein, warum immer nur die Mädchen verschlossen werden müssen.“ und malte sich dabei aus, was der Rat wohl zu so einem Vorschlag sagen würde. Es war schon fast Zeit zum Schlafengehen, als Monika Janette mit dem Ellbogen einen leichten Stoss in die Rippen gab und zu ihr sagte: „Janette, du wolltest deinen Eltern doch noch etwas ganz Bestimmtes erzählen.“ Die druckste zwar noch etwas herum, doch nachdem nun die Neugierde ihrer Eltern geweckt worden war, sagte sie schüchtern wie ein kleines Mädchen: „Ja, es ist nämlich so, das war in der Schmiede, vor-
her hatte ich ihn ja auch noch nie gesehen, und es kam ja auch ganz überraschend, und nun ist es einmal so, wie es ist.“ Ihre Eltern sahen sie nur verständnislos an und hatten kein Wort verstanden, doch da mischte Monika sich ein und sagte: „Janette hat seit einiger Zeit einen Liebsten gefunden und möchte ihn auf wohl heiraten.“ Nun war an Schlafengehen (ausser für den Lehrling) überhaupt nicht zu denken, Janette musste nun erst einmal Bericht erstatten, nicht nur, wie sie in kennen gelernt hatte, sondern auch, was er beruflich machen würde, wie es mit seinem Elternhaus bestellt wäre, usw., nach einer Stunde wussten Janettes Eltern so ziemlich alles über Anteus Cirksena und hatten zur grossen Erleichterung Janettes nichts gegen eine Verbindung mit ihm einzuwenden, ganz im Gegenteil, hatten sie doch insgeheim schon befürchtet, dass ihre stabile Tochter niemals einen Mann bekommen würde. Viel zu schnell verging die Woche in dem holländischen Dorf, da hiess es auch schon wieder Abschiednehmen. Zwar fiel der Abschied schwer, doch Monika freute sich ebenso auf ihre Familie wie Janette auf ihren Anteus. Mit einer Kutsche wurden sie zum Anleger gebracht, wo Petersen schon auf sie wartete. Der junge Mann, der Petersen in der Zeit zur Hand gegangen war, stand auf schon auf den Steg. Nur kurz später legte Petersen ab, fuhr unter Motor langsam durch den kleinen Kanal und hielt Kurs auf Amsterdam. Noch am Vormittag hatten sie die Stadt durchquert und wollten nun weiter zu ihrem Heimathafen. Sie waren gerade auf dem Markermeer, als über UKW ein Gespräch hereinkam, worauf Petersen sofort den Kurs änderte, was den Frauen sofort auffiel. „Ist irgendwas passiert?“ wollte Monika wissen. „Passiert ist zuviel gesagt,“ antwortete Petersen, „wir haben den Auftrag bekommen nach Volendam zu laufen.“ „Was sollen wir denn in Volendam?“ fragte Janette „Dort kommt jemand an Bord, dem ein Keuschheitsgürtel angefertigt werden soll,“ klärte Petersen sie auf, „du kannst mit den Vorbereitungen schon anfangen, die wichtigsten Masse hat man mir durchgegeben und stehen hier auf dem Zettel.“ Janette machte sich gerade auf in ihre Schmiede, als Petersen ihr noch grinsend hinterher rief: „Mach die Sache ordentlich, der Auftraggeber ist eine wichtige Persönlichkeit.“
Teil 112 Kaum hatte die „Kuisheid“ Amsterdam hinter sich gelassen, als Janette die Segel setzte, und unter Vollzeug rauschten sie durch das Markermeer in Richtung Volendam, Während Monika auf das Achterschiff ging und sich dort bei Petersen auf die Pflicht setzte, ging Janette nach unten, um mit den Vorbereitungen für den Keuschheitsgürtel zu beginnen. Herrlich war die Fahrt mit dieser Tjalk, bei einer Windstärke von 5 bis 6 glitten sie nur so dahin und zogen viele neidische Blicke auf sich, was Petersen vor lauter Stolz die Brust schwellen liess. Janette kam erst wieder nach oben, als es Zeit wurde die Segel zu reffen und unter Motorkraft in den Hafen einzulaufen. Sobald die Einfahrt passiert war, gab Petersen 90 Grad nach Steuerbord und hielt auf die kleine Hafenpromenade zu, an der für sie ein Liegeplatz freigehalten worden war. Sie hatten noch nicht einmal richtig festgemacht, als ihre Passagiere auch schon eingetroffen waren,
handelte es sich dabei doch um den Advokat Meyerdirks mit seiner etwas unglücklich aussehenden Tochter Marlies. „Willkommen an Bord!“ rief Petersen aufgeräumt und startete sofort den Diesel, um so schnell wie möglich wieder abzulegen, denn er hatte den Hafenmeister schon kommen sehen und wollte sich das Liegegeld sparen, was ihm auch gelang, da Meyerdirks und Tochter ohne Verzug an Bord kam und Monika die Leinen schnell wieder einholte. Nach der einer kurzen, aber herzlichen Begrüssung meinte Janette zu Marlies: „Je eher wir anfangen, um so besser.“ und ging voraus in ihre Schmiede. Marlies zögerte kurz, sah noch einmal ihren Vater an, ergab sich dann aber in ihr Schicksal, schliesslich hatte sie im Vorfeld zugestimmt und konnte jetzt nicht mehr zurück. Kaum in der Schmiede angekommen wurde sie aufgefordert, sich auszuziehen, was sie auch folgsam machte. Während Janette nach einem ersten Anhalten der vorbereiteten Teile diese noch in Form brachte und miteinander verband, sah Marlies sich nun erst einmal richtig um und wurde stutzig, als sie Eisenringe an den Wänden, am Boden und an der Decke sah, auch der eiserne Halsreif und die Armund Beinfesseln, die sie dabei sah, gaben ihr ein mulmiges Gefühl. Schliesslich fasste sie sich ein Herz und fragte Janette, wofür diese Fesselinstrumente gebraucht würden. „Nur zur Vorsicht, falls sich jemand gegen das Anlegen des Keuschheitsgürtels wehren will, dann kann es sein, dass wir von den Fesseln Gebrauch machen müssen, aber das ist bei dir doch nicht der Fall, oder?“ „Nein,“ gab Marlies zurück, „ich habe mit meinem Vater einen Handel abgeschlossen und trage den Keuschheitsgürtel freiwillig, jedenfalls solange, wie ich am Studieren bin, ausserdem komme ich jedes Wochenende nach Hause und in der Zeit brauche ich den Gürtel nicht zu tragen.“ „Sollte mich nicht wundern, wenn du dieses gute Stück sogar noch freiwillig umlegen würdest, warte nur mal ab, aber jetzt wollen wir mal sehen, ob der Tugendwächter auch richtig passt.“ und forderte Marlies auf, sich auf die Bank zu legen. Marlies gehorchte und liess sich von Janette den Gürtel umlegen. Als der Taillengürtel geschlossen wurde, schnaufte sie ein bisschen, sagte aber keinen Ton, nur als das Schrittblech durch die Beine hochgezogen und angelegt wurde, liefen ihr ein paar kalte Schauern den Rücken herunter. Janette nahm nun eines dieser modernen Vorhängeschlösser, setzte es ein und drückte den Bügel zu. Das leise „Klick“ beim Einrasten des Bügels in das Schloss hatte für Marlies etwas Unheimliches, um nicht zu sagen, etwas Unwiederbringliches. Nun endlich durfte sie aufstehen und einige Schritte gehen, um zu sehen, ob es irgendwo scheuerte oder die Gefahr von Druckstellen gegeben wäre, aber so auf Anhieb schien alles in Ordnung zu sein, worauf Janette den Keuschheitsgürtel wieder aufschloss und ihn ihr abnahm. „Und ich dachte schon, ich müsste den Gürtel gleich umbehalten.“ rief Marlies erleichtert. „Das sollst Du auch, aber erst muss ich den Gürtel noch von den Rückständen der Arbeiten säubern, ausserdem musst du dich an allen Stellen, wo eben das Metall gesessen hat, tüchtig eincremen, damit keine wunden Stellen entstehen.“ und drückte ihr eine Dose mit Salbe in die Hand. „Oh!“ sagte sie nur etwas enttäuscht, obwohl ihr der Gedanke, gleich wieder so seltsam verschlossen zu sein, überhaupt nicht gefiel. Anderseits hätte sie aber auch wohl kaum etwas anderes erwarten können und so nahm sie die Dose mit der Salbe und bestrich die gleich wieder vom Eisen umschlossenen Körperteile. Sie war noch nicht ganz fertig, als Janette mit dem gereinigten Keuschheitsgürtel zurück war und sie
fragte, ob sie sich gründlich eingecremt hätte, was Marlies bejahte. „Lass mich mal lieber nachsehen, bevor du später Probleme bekommst.“ meinte Janette und besah sich die eingeriebenen Stellen. „Du hast viel zu wenig Salbe genommen, also noch mal das Ganze, ich bin gleich wieder zurück.“ und verliess die Schmiede, damit sich das Mädchen ungestört eincremen konnte und ihr es nicht peinlich wurde, dies vor einer anderen Frau zu tun. Dieses Feingefühl kam aber nicht von selbst, denn bei den Kettenburschen war Janette ganz anders zu Werke gegangen, doch Monika hatte Janette klargemacht, dass es zwischen Kettenburschen und zahlender Kundschaft doch einen gewaltigen Unterschied geben würde und der Kunde mit dem nötigen Respekt zu behandeln wäre. Kurz darauf kam Janette zurück, Marlies hatte sich wieder auf die Bank zu legen und bekam den Keuschheitsgürtel jetzt entgültig umgelegt. Nachdem sie wieder aufgestanden war, sah sie an sich herunter, konnte aber nicht viel erkennen, worauf Janette sie aufforderte, nackt bis auf den Keuschheitsgürtel in den kleinen Lagerraum mitzukommen. Marlies fragte sich zwar wozu das gut sein sollte, doch auf Anraten von Monika hatte Janette auf der Rückseite der Lagertür einen grossen Spiegel anbauen lassen, in dem Marlies sich jetzt ausgiebig betrachtete. „So ein Keuschheitsgürtel sieht ja gar nicht mal so schlecht aus.“ meinte Marlies leicht verwundert und durchaus auch etwas angetan von dieser Schmiedearbeit. „Hab ich doch gesagt,“ gab Janette zurück, „du wirst diesen Gürtel noch lieben lernen.“ Kurz darauf waren Janette und Marlies wieder bei den anderen an Deck, und zur grossen Erleichterung von Advokat Meyerdirks schien seine Tochter den Gürtel akzeptiert zu haben, jedenfalls hatte sie keinen unglücklichen oder beleidigten Gesichtsausdruck.. „Nun, mein Kind, alles in Ordnung?“ fragte er seine Tochter, die sich gerade neben ihn auf die Bank setzen wollte. „Alles in bester Ordnung, ich denke, ich werde mich an den Gürtel gewöhnen können.“ gab sie zurück und liess sich auf die Holzbank fallen, was ihr gleich ein kräftiges „Aua!“ entlocken sollte, worauf hin Monika und Janette sich ein Grinsen nicht verkneifen konnten. „Auch der Umgang mit einem Tugendwächter will gelernt sein.“ meinte Monika und forderte Marlies auf, mit ihr in den Salon zu kommen und sich dort eingehend über das Thema Keuschheitsgürtel zu unterhalten, was Marlies gerne tat, während Janette lieber an Deck blieb und die Fahrt mit der Tjalk genoss, ausserdem hatte sie noch eine für sie vollkommen neue Tätigkeit zu verrichten, nämlich das Geld für ihre Arbeit zu kassieren.
Teil 113 Sobald die beiden Frauen im Salon sassen, erzählte Monika von ihren Erfahrungen mit dem Keuschheitsgürtel, was sie am Anfang dabei empfunden hatte, wie eine Frau auch in den kritischen Tagen den Tugendwächter ohne Probleme tragen kann, aber auch, welch ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit so ein Gürtel einer Frau vermitteln kann. Langsam schien sich Marlies an den Gedanken, in Zukunft unter der Woche verschlossen zu sein, gewöhnen zu können, auch wenn sie etwas unruhig in dem Sessel hin- und herrutschte. Dann versuchte sie, Einzelheiten über das Land der alten Dörfer in Erfahrung zu bringen, doch erst mal wich Monika dem Thema aus, dann fing die Tjalk an, unruhiger durch das Wasser zu fahren, für Monika ein Zeichen dafür, dass die Segel gerefft waren und der Hafen nur kurz voraus lag. So war es auch, denn die „Kuisheid“ hatte Lemmer erreicht. Petersen nahm die alte Einfahrt in den
Hafen, die, wenn man von Richtung See kommt, auf der Steuerbordseite liegt. Nach kurzem Warten konnten sie in die Schleuse einfahren und waren, kurz nachdem der Schleusenvorgang beendet war, in dem Binnenhafen und machten dort fest. Hier verliessen Advokat Meyerdirks und seine Tochter das Schiff, Meyerdirks um etliches an Bargeld ärmer, Marlies dafür mit einem etwas breitbeinigen Gang. Den Rest des Tages und die Nacht blieb die „Kuisheid“ in Lemmer liegen, erst am anderen Morgen sollte die Fahrt in Richtung Heimat fortgesetzt werden. So langsam wurde es für Monika und Janette auch Zeit, wieder nach Hause zu kommen, denn die Angehörigen wurden langsam ungeduldig. Als eines der ersten Schiffe verliess die „Kuisheid“ dann am nächsten Morgen den durchaus gastlichen Hafen, und sobald sie wieder auf dem Ijsselmeer waren liess Petersen von Janette die Segel setzen, die erst wieder gerefft wurden, als sie die Schleuse im Kornwerderzand am Abschlussdeich passieren mussten. Doch dann liess Petersen jeden Quadratmeter Segel setzen, um so schnell wie möglich zum Land der alten Dörfer zu kommen. Das war nun für den frischgebackenen Skipper die erste Fahrt mit dem eigenen Schiff in der Nordsee, und obwohl sie nur Windstärke 5 bis 6 hatten, machten sie gute Fahrt über Grund. Der Wind blähte die Segel, die bis auf den letzten Fetzen gesetzt waren, die Tjalk steamte durch die Wellen, so dass es eine reine Freude war. Weder der erfahrene Petersen, noch Monika oder Janette konnten sich der Faszination, die dieses aussergewöhnliche Schiff ausübte, entziehen und so genossen sie die Fahrt in vollen Zügen. Viel zu schnell wurde die heimatliche Küste erreicht, doch auch die schönste Reise neigt sich einmal ihrem Ende zu und so wurde die „Kuisheid“ an dem neuen Steg beim Land der alten Dörfer sicher vertäut. Niemand war am Steg um sie zu begrüssen, aber wie sollte das auch sein, zwar war die „Kuisheid“ mit allen modernen Techniken ausgestattet, doch gab es im Land der alten Dörfer kein Telefon. So gingen Monika und Janette gemeinsam den Steg hinunter auf den Deich, um von dort aus nach Texlum zu kommen, während Petersen lieber an Bord blieb, was Wunder, konnte es ihm an Land denn besser gehen als auf Tjalk? In Texlum angekommen wurden die beiden Frauen herzlich aufgenommen und schnell war für eine Kutsche gesorgt, die sie nach Hause bringen würde. Auf der Fahrt wurde Monika seltsam still, zu sehr hatten die Eindrücke der letzten Wochen auf sie eingewirkt. Zwar hatte sie es geschafft, hier in diesem Land ein anerkanntes Mitglied der Gemeinde zu werden, war von einem Kettenmädchen zu einer anerkannten Frau und Bäuerin aufgestiegen, hatte einen Mann, der sie über alles liebte und mit ihm zusammen auch ein Kind, doch wenn sie daran dachte, dass Janette bald wieder mit der „Kuisheid“ auf Fahrt gehen würde und dabei die Vorzüge der Neuzeit geniessen würde, wurde sie mehr als neidisch. Ja, an Bord verfügte sie nicht nur über elektrisches Licht, nein, sie konnte auch Radio hören oder sich ein Fernsehprogramm ansehen, nachdem sie inzwischen richtig süchtig geworden war. Aber nicht nur das, auch noch fließend kaltes und warmes Wasser, eine Dusche, eine richtige Toilette anstatt einem im Sommer stinkenden und im Winter eiskaltem Plumpsklo. Es war noch gar nicht so lange her, dass Monika von anderen immer wieder beneidet worden, immerhin hatte sie es geschafft, im Land der alten Dörfer einen Betrieb in Form einer Käserei aufzubauen, und nun sollte der Betrieb sogar noch erweitert werden. Doch gab es nicht noch mehr als nur ein zufriedenes Leben in dem kleinen, rückständigen Land und hatte sie das Recht, ihr Kind unter diesen Bedingungen aufwachsen zu lassen? Sie war so von Zweifeln erfasst, dass ihr sogar das fröhliche Geplapper von Janette auf die Nerven ging, was ihre Freundin allerdings nicht bemerkte. In Hohedörp vor der Schmiede war die Fahrt zu Ende, und noch bevor die beiden Frauen sich bei ihrem Kutscher richtig bedanken konnten, stürmte Frau Düring schon aus dem Haus und schloss sie in die Arme. Obwohl Monika jetzt am liebsten sofort weiter nach Hause gefahren wäre, musste sie erst noch
mit ins Haus kommen bis jemand gefunden war, der sie nach Andersum fahren konnte. Doch brauchte sie nicht lange warten, denn der Pastor wollte sich gerade auf den Weg in ihr Heimatdorf machen und es war ihm eine Freude, Monika nach Hause zu bringen. Während der Fahrt machte die junge Frau einen nachdenklichen Eindruck, und so verzichtete der Pastor als feinfühliger Mensch auf eine längere Unterhaltung. In Andersum angekommen gab es Tränen der Wiedersehensfreude auf beiden Seiten, und nachdem die erste Aufregung sich gelegt hatte, musste Monika von den letzten Wochen erzählen, was bei der Menge der Ereignisse eine ganze Weile dauerte. Als sie dann wissen wollte, was es denn im Land der alten Dörfer Neues geben würde, wurden alle am Tisch stumm und ihr Mann sagte: „Während du auf der Reise warst, hat es hier zwei Tote gegeben.”
Teil 114 „Meine Güte, was ist denn passiert?“ fragte Monika entgeistert und sie konnte merken, wie eine eiskalte Hand nach ihrem Herzen griff. „Nun, es waren keine Menschen, die uns unbedingt nahe standen, trotzdem hat es uns allen doch zu denken gegeben.“ „Kann mir jetzt bitte mal jemand erzählen, was denn nun eigentlich passiert ist und wer gestorben ist, bitte sehr, ihr macht einen ja ganz dösig mit euren Andeutungen.“ Wilko de Fries sah seine Frau an und begann zu berichten: „Der erste Todesfall ist besonders schlimm, da es sich um einen Selbstmord handelt.“ begann er seine Ausführungen. „Letzte Woche war jemand damit beauftragt, Lebensmittel zu dem alten Wehrturm zu bringen, in dem die Bültena angekettet ist. Als er dort ankam und nach ihr rief, bekam er keine Antwort, so ging er in das erste Turmzimmer hoch und hat die Bültena gefunden, aufgehangen an ihrer Laufkette.“ „Bestimmt konnte sie die Einsamkeit nicht mehr ertragen, oder es hat ihr zu schaffen gemacht, dass sie geächtet wurde.“ mutmasste Monika und wollte wissen, ob sie denn beerdigt worden wäre. „Verscharrt worden ist sie wie ein alter Köter,“ antwortete ihr Mann, „Selbstmörder werden nicht beerdigt, für solche Menschen ist kein Platz auf unserem Friedhof.“ Monika sagte nichts zu dem Thema, da sie die Einstellung der Leute kannte und sie wusste, dass es besser wäre, mit der eigenen Meinung hinter dem Berg zu halten, und so fragte sie, was denn mit dem zweiten Todesfall wäre. „Das war einer der Kettenburschen, der hat tatsächlich versucht zu fliehen.“ erklärte ihr Wilko. „So wie berichtet wurde, ist das an einem Sonnabend passiert, an diesem Tag dürfen die Burschen baden und anschliessend frische Kleidung anziehen. Die Gelegenheit hat einer von ihnen genutzt, um in das Moor zu laufen und ehe Anteus, der die Flucht mitbekommen hatte und ihm hinterher lief, fing er schon an im Moor zu versinken. Bevor zu seiner Rettung Bretter, Bohlen oder ein Seil geholt werden konnten, hatte das Moor ihn bereits verschluckt. Er war übrigens einer der ersten Kettenburschen, die hier ins Land gekommen waren, Werner soll sein Name gewesen sein.“ „Das sind ja keine guten Nachrichten,“ meinte Monika, „da wird es doch bestimmt noch Ärger geben mit den Behörden aus der Welt.“ „Die waren schon da, zum Glück war Advokat Meyerdirks anwesend und hat alles geregelt, aber es wurden Andeutungen gemacht, dass die Kettenburschen zu streng gehalten werden und es könnte soweit
kommen, dass die Burschen entlassen werden müssen.“ „Das wäre aber schlecht,“ meinte Monika, „wer soll denn die Arbeit machen und was wird aus Anteus, ohne Anstellung hat er keinen Verdienst, ohne Verdienst gibt es keine Heirat mit Janette.“ „Wer die Arbeit machen soll weiss ich auch noch nicht, vielleicht sollten wir ums mehr Kettenmädchen holen, die sind auch leichter zu erziehen als die Burschen, und mit Anteus muss man sehen, aber im Moment wüsste ich auch nicht, wo man ihn einsetzen könnte.“ Monika ging die Sache nicht aus dem Kopf, denn schliesslich war Janette eine gute Freundin von ihr und sie wusste, wie sehr sie es sich wünschte, mit Anteus vor den Traualtar zu treten. Und wirklich, es dauerte nicht lange, da kam Meyerdirks mit einem Schreiben der weltlichen Behörde, dass die Burschen unverzüglich von Ketten zu erlösen seien und in die Freiheit geschickt werden sollten. Schon am nächsten Morgen wurden sie nach Hohedörp gebracht, wo ihnen Meister Düring die Ketten, Halseisen und Keuschheitsgürtel abnahm. Anschliessend bestiegen sie ein Fuhrwerk und wurden nach Texlum gefahren, um dort an Bord der Tjalk zu gehen. Zur Sicherheit begleitete Anteus den Transport, schliesslich konnte man nie wissen, ob es nicht doch noch Probleme geben würde. Doch die 9 Burschen dachten überhaupt nicht daran, irgendwelchen Ärger zu machen, sie wollten nur so schnell wie möglich in die Freiheit. Nur Heinz konnte sich nicht so richtig freuen, zu sehr waren ihm die Schäferhunde ans Herz gewachsen und ihr trauriges Geheul beim Abschied klang ihm immer noch in den Ohren. Es dämmerte schon, als sie am Aussenanleger in Ditzum festmachten, dort stand dann auch ein Kleinbus bereit, der die Burschen weiter beförderte. Die Tjalk legte wieder ab und fuhr zurück, und Anteus sass auf dem Vorschiff und machte sich Gedanken um die Zukunft. Er sah bereits seine Felle wegschwimmen und seine Janette nach Holland zurückkehren, was könnte er ihr denn auch schon bieten als ein einfacher Knecht, der er jetzt wieder werden musste. Es war schon später Abend, als die Tjalk wiederan ihrem Liegeplatz vertäut wurde, und da Anteus nicht so recht wusste, wo er die Nacht verbringen sollte, bot ihm der Skipper an, doch einfach an Bord zu übernachten. Dankbar nahm der das Angebot an, konnte aber die ganze Nacht hindurch keine richtige Ruhe finden, die Zukunftssorgen machten ihm schwer zu schaffen. Er hätte wesentlicher ruhiger schlafen können, wenn er geahnt hätte, dass jemand ihn von seinen Sorgen befreien wollte.
Teil 115 Die „Kuisheid“ profitierte davon, dass nach der Entlassung der Burschen nacheinander an die 20 neue Kettenmädchen in das Land der alten Dörfer kamen. Bisher waren die Mädchen immer mit der Tjalk bis nach Texlum gebracht worden, doch nun konnte praktischer gearbeitet werden. Ein Kutter aus Lauwersoog in den Niederlanden nahm die Mädchen auf, fuhr in die Nordsee Richtung Helgoland und traf unterwegs die Kuisheid, die dann die Mädchen übernahm. Meistens waren es zwei Mädchen, die dann übergeben wurden, aber es waren auch mal nur eine oder auch schon mal drei. Diese Mädchen waren ja nun nicht freiwillig an Bord, sie nahmen an einem Programm der Regierung teil, dass ihnen bei einem in dem Land der alten Dörfer verbrachten Jahr anschliessende Straffreiheit versprach, vorausgesetzt, sie hatten sich gut geführt. Es waren nicht nur junge Menschen, die ein Kavaliersdelikt begangen hatten, nein, es waren notorische Diebinnen, junge Frauen aus dem horizontalem Gewerbe, Drogenabhängige und anderen Gestrauchelte, die durchaus zur Gewalt neigten. Schon bei der ersten Übernahme von zweien der Mädchen gab es Probleme, während die eine sich in ihr
Schicksal ergeben hatte, wollte sich die andere um Nichts in der Welt in Eisen legen lassen. So blieb Janette nichts anders übrig, als beide mit einer so Kette um den Hals so kurz wie nur möglich an der Schiffswand zu sichern, um ungestört ihrer Arbeit an Deck nachgehen zu können, den immer wieder musste die Stellung der Segel geändert werden, um optimale Fahrt machen zu können. Dabei passierte es durchaus, dass Janette, die erst kurz vorher an Deck gewesen war und sich jetzt um den Verschluss der Mädchen kümmerte, von ihrer Arbeit weggerufen wurde, weil der Wind seine Richtung geändert hatte und die Segel wieder anders gesetzt werden mussten. Bei der ersten Fahrt mit den Kettenmädchen akzeptierte Janette das noch, aber bei der zweiten Fahrt wurde es ihr mehr als lästig. Kaum hatte sie ein Mädchen in die Mangel genommen, musste sie auch schon wieder aufhören, das Mädchen wieder an der Bordwand sicher und an Deck. Petersen als Skipper war da unerbittlich, schliesslich wollte er so wenig Diesel wie möglich verbrauchen und möglichst unter Segel fahren. Es blieb nicht aus, dass Janette anlässlich eines Besuchs bei Monika von den doch sehr anstrengenden Arbeitsverhältnissen an Bord der „Kuisheid“ erzählte, und wie es unter Frauen so üblich ist, wenn sie über etwas klagen, ein offenes Ohr fand. „Ihr braucht noch einen Mann an Deck,“ meinte Monika, „dann könntest Du in Ruhe arbeiten und Petersen sein Schiff in Schuss halten, denn Arbeit gibt es auf einem Schiff doch immer.“ „Soweit sind wir auch schon gekommen, aber von den jungen Burschen bei uns will keiner an Bord, die arbeiten lieber an Land und arbeiten bei ihren Eltern in der Landwirtschaft, du weißt ja selbst, dass die Seefahrt hier keinen besonders guten Ruf hat.“ „Und warum nehmt ihr nicht deinen Anteus an Bord, der ist auf dem elterlichen Hof unter dem Befehl seines älteren Bruders doch todunglücklich, ausserdem würde er wieder ein vernünftiges Einkommen haben und ihr könntet doch noch heiraten. „Die Idee gefällt mir wohl, alleine wenn ich daran denke, den ganzen Tag mit Anteus zusammen zu sein, bekomme ich ein Kribbeln im Bauch, aber du weißt auch, was er sich von seinem Bruder anhören musste, als das Torflager aufgelöst worden war. Der hat ihn doch, so wie er sagte, nur aus christlicher Nächstenliebe wieder aufgenommen, sein Bruder hat ihm nie verziehen, dass er damals den Hof verlassen hat. Wenn das jetzt wieder den Bach runtergehen sollte, stände Anteus mit leeren Händen da und hätte nicht einmal ein Dach über dem Kopf.“ „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, und ausserdem müsstest du Anteus ja auch erst mal fragen, was er von dem Vorschlag hält, und auch Petersen müsste damit einverstanden sein.“ „Ich werde so bald wie möglich mit Anteus sprechen.“ rief Janette entschlossen aus, die sich für den Gedanken, ihren Liebsten den ganzen Tag in der Nähe haben zu können, mehr als nur erwärmen konnte. Doch wenn Janette nun gemeint hatte, dass Anteus dem Vorschlag begeistert zustimmen würde, so sah sie sich derbe enttäuscht. „Wer weiss, ob Petersen mich überhaupt haben will, was wird mein Bruder sagen, ein zweites Mal nimmt er mich nicht wieder auf.“ zweifelte er, aber Janette fragte ihn nur, ob er sie immer noch heiraten wolle. Das genügte, um ihm Rückrat zu geben und entschlossen meinte er: „Du hast Recht, was habe ich schon zu verlieren, lass mich so schnell wie möglich mit Petersen sprechen.“ Aber so einfach war es gar nicht Petersen zu treffen, da Anteus nur am Sonntag frei hatte, und dann auch nur den Nachmittag, da am Vormittag der Kirchenbesuch anstand und anschliessend gemeinschaftlich zu Mittag gegessen wurde. Doch diese Zeit war zu kurz, um ganz nach Texlum hin- und zurück zu fahren, bis die Stallarbeit wieder begann. Da blieb nur ein Ding übrig, Janette würde selbst mit Petersen sprechen müssen, obwohl es sich dabei um eine reine Männerangelegenheit handelte, mit der sie sich normalerweise überhaupt nicht befassen
durfte, um ihren Liebsten nicht vor den Augen der anderen lächerlich zu machen. Aber das war ihr jetzt auch egal, schliesslich übte sie erfolgreich einen Männerberuf aus und wusste sich inzwischen wohl zu behaupten. Sobald sie wieder an Bord der „Kuisheid“ war, fasste sie sich ein Herz und sagte zum dem Skipper: „Petersen, ich habe in einer ernsten Angelegenheit mit dir zu reden.“
Teil 116 Petersen, der gerade dabei war, ein Auge in eine Festmacherleine zu spleissen, sah überrascht von seiner Arbeit auf, nahm die Pfeife aus dem Mund und sagte: „Wat hesst du denn up Hart, mien Wicht, prot man tau.“ (Was hast du denn auf dem Herzen, mein Mädchen, erzähl mal). „Petersen,“ sagte sie „auf die Dauer ist das kein Zustand so, nie nicht kann ich meine Schmiedearbeiten in Ruhe machen, denn dauernd muss ich wieder an Deck um mit anzupacken, ob es nun wegen der Segel ist oder wenn wir auf den holländischen Kutter treffen und die Mädchen übernehmen. Versteh mich nicht falsch, ich mache das gerne, aber das wird mir auf die Dauer einfach zuviel.“ Petersen kratzte sich im Bart, überlegte eine Weile und steckte sich dann in aller Ruhe erst seine Pfeife an. Nachdem er eineige tiefe Züge genommen hatte, setzte er bedächtig zur einer Antwort an. „Tja, Janette, so einfach ist das alles nicht, ich gebe ja zu, dass wir ein paar helfende Hände bei uns an Bord gebrauchen könnten, aber wer von den Leuten an Land will denn bei uns an Bord arbeiten, die Seefahrt hat doch noch immer einen schlechten Ruf und die Alten verbieten ihren Söhnen sogar bei uns anzuheuern. Aber das ist nicht meine einzige Sorge, denn wenn wir ganz ehrlich sind, arbeiten wir noch lange nicht kostendeckend, ausser der Tochter von Advokat Meyerdirks, mal abgesehen von denKettenmädchen, hast du noch keinen Keuschheitsgürtel angefertigt, und von dem bisschen Umsatz können wir nicht leben, ich mache mir schon die ganze Zeit Gedanken darüber, wie lange der Rat unser Unternehmen noch finanzieren wird.“ „Ja, das ist ja richtig, bisher lässt der Umsatz noch gewaltig zu wünschen übrig, aber es braucht eben alles seine Zeit.“ „Das brauchst du mir nicht erzählen, dass musst du dem Rat klarmachen, sonst befürchte ich, dass unsere gute „Kuisheid“ bald zum Verkauf angeboten wird.“ „Das ist ja richtig, aber trotzdem gibt es hier an Bord mehr Arbeit als wir beide schaffen können, so oder so, wir brauchen Hilfe.“ „Was uns fehlt,“ gab Petersen, der die Kosten für ein weiteres Besatzungsmitglied mehr als scheute, zurück, „das ist ein Matrosenanwärter, der bekommt nicht soviel Heuer und trotzdem wäre uns geholfen, aber wie gesagt, einfach ist das nicht, denn auch wenn wir einen finden sollten will ich dir wohl sagen, dass ich nicht jeden an Bord nehme.“ „Wie müsste so ein Matrosenanwärter denn beschaffen sein, um vor deinen Augen Gnade zu finden?“ „Willig muss er sein, lernen muss er wollen, Kraft muss er haben, die See muss er lieben und fürchten, seinen Skipper akzeptieren und auch mit dir klarkommen, so stelle ich mir einen solchen Kerl vor. Ja, wenn du mir so einen bringen könntest, den würde ich auf der Stelle anheuern.“ „Tja,“ sagte Janette, „dann ist doch alles klar.“ und schickte sich an, das Schiff zu verlassen, „Was ist nun denn los, bist du nun vergrellt (verärgert), weil das mit einem Matrosenanwärter nicht klappt?“
„Mitnichten, Petersen, ich gehe bloss eben schnell los und hol uns den passenden Mann an Bord, weiter nichts.“ „Wat wullt du daun? Du büst ja breegenklütterig!“ Was willst du machen? Du bist ja durcheinander!). „Ich bin nicht durcheinander, denn ich kenne einen der willig ist, lernen will, Kraft hat, die See liebt, dich als Skipper akzeptiert und der sogar mit mir auskommt. Also Tschüss, Petersen, bis morgen.
Teil 117 „Da wird ja der Seehund in der Pfanne verrückt!“ brummelte Petersen vor sich hin und rechnete sich schon mal aus, was ihn ein Matrosenanwärter im Jahr kosten würde, während Janette zielstrebig nach Texlum marschierte, um von dort aus mit einem Fuhrwerk oder einer Kutsche zu dem Elternhaus von Anteus zu fahren. Sie konnte es gar nicht abwarten, ihm die Neuigkeit zu erzählen und ihn gleich mit an Bord zu nehmen. Da im Moment aber weder Kutsche noch Fuhrwerk zur Verfügung standen, blieb ihr nichts anderes übrig als sich ein Pferd auszuleihen. Auch das erwies sich als nicht so einfach, denn in Anbetracht ihres immer noch hohen Körpergewichts war man nur bereit, ihr einen Kaltblüter zu überlassen, der zwar kräftig gebaut war, dafür aber auch nur sehr langsam lief, an Galopp oder Trapp war bei dem Gaul nicht zu denken. Je länger sie auf dem Pferd sass, um so mehr machte sich ihr Keuschheitsgürtel unangenehm bemerkbar, das Schrittband scheuerte bei jeden Tritt des Pferdes an ihren Schenkeln, dass sie schon daran dachte, zu Fuss weiterzugehen, doch wie würde es in den Augen der anderen aussehen, wenn sie über die Wege lief und das Pferd hinter sich her führte? Nein, lächerlich machen wollte sie sich nicht und so ritt sie weiter. Es war ein langer und schmerzvoller Ritt und sie dankte ihrem Schöpfer aus ganzem Herzen, als sie endlich bei dem Elternhaus von Anteus angekommen war. Sie war noch nicht einmal vom Pferd abgestiegen, als Anteus schon bei ihr war und sie glücklich begrüsste. Auch der Rest der Familie kam heraus, um sie zu begrüssen. Mit der Freundlichkeit war es aber vorbei, als Janette erzählte, dass sie für Anteus eine neue Anstellung gefunden hätte und er sofort auf der „Kuisheid“anfangen könne. „Wenn Du noch einmal den Hof verlässt, brauchst Du mir nicht wieder kommen, einmal habe ich dich aufgenommen, obwohl du mich im Stich gelassen, ein zweites Mal mache ich das nicht mehr.“ sagte Anteus Bruder, der inzwischen der Bauer auf dem Hof war. Im ersten Moment wusste Anteus sich nicht zu entscheiden, doch als er seinen finster dreinblickenden Bruder ansah, der ihm das Leben sauer machte und ihn für Kost und Wohnung arbeiten liess wie einen Sklaven, hatte er seine Entscheidung bereits gefällt, lieber ein Seemann werden und zusammen mit Janette in eine ungewisse Zukunft gehen als hier noch länger den Knecht zu spielen. „Was habe ich schon zu verlieren auf diesem Hof, wo ich weniger gelte ein Aushilfsarbeiter? Mein Entschluss steht fest, ich gehe mit Janette.“ „Dann pack deinen Kram zusammen und sieh zu, dass du es Weges kommst, hier bist du nicht mehr wohl gelitten.“ sagte Anteus Bruder, drehte sich um und ging mit seiner Familie zurück ins Haus.“ „Warte einen Moment, ich hole mir nur meine Sachen, dann können wir gehen.“ sagte Anteus und ging ebenfalls in das Haus, um nach ein paar Minuten mit seinen Sachen, die alle in ein Bündel passten, wieder herauszukommen.
Das Pferd hinter sich herführend machten sich die beiden auf den Weg nach Texlum, wo sie erst spät am Abend ankamen. Nachdem sie den Kaltblüter wieder abgegeben hatten, gingen sie über den Deich auf den Anleger. Schon von fern konnten sie Petersen auf dem Deck sitzen sehen, die unvermeidliche Pfeife im linken Mundwinkel hängend. Als sie bei dem Schiff angekommen waren, rief der Skipper: „Das nenne ich einen stämmigen Matrosenanwärter, willkommen an Bord, Anteus Cirksena, so einen Kerl wie dich kann ich wirklich gebrauchen. Während sich die Männer unterhielten, ging Janette mit Anteus Beutel nach unten und richtete ihm eine Kajüte her, die ab sofort sein neues Zuhause sein sollte. Wie gern hätte sie mit ihm ihre Koje geteilt, doch das war selbstverständlich auch bei dem sonst so weltoffenen Petersen nicht denkbar, aber es würden sich bestimmt Gelegenheiten ergeben, wo sie mit ihrem Liebsten alleine sein würde, dafür wollte sie schon sorgen. Während sie ihren durchaus angenehmen Gedanken nachhing, fühlte sie sich unbewusst an den Keuschheitsgürtel und zum ersten Mal in ihrem Leben empfand sie den Tugendwächter als äusserst störend.
Teil 118 Im Haus von Wattjes ging alles seinen gewohnten Gang, gleichmässig und ruhig verliefen die Tage voller Arbeit und Monika hatte ihre Zweifel, ob sie wirklich bis zum Ende ihrer Tage in diesem Land bleiben wollte, entgültig abgelegt. Auch war sie wieder schwanger, doch zum Glück war sie diesmal dabei nicht so übellaunig wie beim dem ersten Mal, nein, ganz im Gegenteil, sie strahlte eine innere Ruhe aus, die sich wohltuend auf die Menschen in ihrer Umgebung auswirkte. Nun hatte sie auch allen Grund, ruhig und ausgeglichen zu sein, denn die Arbeit ging dem Kettenmädchen gut von der Hand, und wenn es wirklich mal eng wurde, packte ihre Adoptivschwester, die gleich nebenan wohnte, gerne mit an. Beide Käsereien arbeiteten ohne Probleme, und ihr neustes Objekt hatte sie schon in Planung: Von den Schafen, die am Deich liefen, wollte sie die Milch zu FetaKäse verarbeiten, in Salzlake geben und eimerweise in den Handel bringen. Ja, alles hätte ruhig und friedlich weiterlaufen können, wäre da nicht eine Nachricht vom Rat aus Hohedörp gekommen die besagte, dass Anja in 4 Wochen aus dem Dienst entlassen werden solle. Nun war das für Monika keine Überraschung, denn Anja hatte sich während der ganzen Zeit in der Käserei nicht zu Schulden kommen lassen und so hatte sie schon mit diesem Bescheid gerechnet. Dummerweise hatte aber auch Birgit ihre Zeit fast abgedient und würde ebenfalls entlassen werden Aus diesem Grund hatte sie auch schon vor etlichen Wochen die Zuteilung von zwei neuen Kettenmädchen beantragt, und bereits ein paar Tage nach Einreichen des Gesuchs eine positive Antwort bekommen. Für Anja war es wohl der schönste Tag ihres Lebens, als ganz überraschend am frühen Morgen Monika in die Käserei kam. Sie machte zusammen mit Helga den vorschriftsmässigen Knicks und beide warteten mit auf den Boden gesenkten Blicken darauf, von ihrer Herrin angesprochen zu werden. „Meinen Glückwunsch, Anja, deine Zeit im Land der alten Dörfer ist zu Ende und du darfst nach Hause fahren.“ „Ist das wirklich wahr,“ stammelte Anja freudig erregt, „darf ich wirklich nach Hause?“ Unter den neidvollen Blicken von Helga löste Monika die Laufkette von Anjas Halseisen und schickte sie nach draussen zu ihrem Mann, der mit dem Pferdefuhrwerk vor der Käserei wartete.
„Dann setzt dich mal zu mir auf den Kutschbock, wir fahren gleich los.“ meinte Wilko de Fries und half ihr auf den Wagen. Für Anja war dies das erste Mal, dass sie von Wilko de Fries in einem freundlichen Ton angesprochen wurde, denn bisher war er ihr gegenüber mehr als kühl gewesen, was sie sich aber durch die Schwierigkeiten, die sie dem Bauern früher bereitet hatte, selbst zuschreiben musste. Nun kam auch Monika, die Helga erst noch zu erhöhter Arbeitsleistung ermahnt hatte, zu dem Wagen und sagte: „Anja, ich wünsche dir alles Gute, viel Glück in der Welt da draussen und vielleicht denkst du nicht so ganz böse an mich zurück, wenn die Erinnerungen an das Land der alten Dörfer bei dir wachwerden.“ Anja hielt es nicht mehr auf dem Wagen, sie sprang herunter, nahm Monika in den Arm und meinte, dass sie ehemalige Mitgefangene und jetzige Bäuerin in ihrem ganzen Leben bestimmt nie vergessen würde. Nun aber drängte Wilko aber zur Abfahrt, denn es lag noch ein langer Weg vor ihnen. Es war gar nicht so lange her, da wurden die entlassenen Mädchen erst zum Schmied gebracht, der sie dann von allen Fesseln befreite, aber die Zeit konnten sie sich dank der „Kuisheid“ sparen, die Entfesslung war inzwischen Bestandteil der Rückreise geworden. So ging es im gemächlichem Tempo von Andersum über Hohedörp nach Texlum, dort angekommen begleitete Bauer de Fries sein ehemaliges Kettenmädchen auf den Steg, um sie an Bord der „Kuisheid“ abzuliefern und gleichzeitig das neue Kettenmädchen in Empfang zu nehmen
119 Was für ein himmelweiter Unterschied zwischen den beiden Mädchen: Eine glückliche Anja, die nur auf Wolke Sieben zu schweben schien, es nicht mehr abwarten konnte, das Schiff zu betreten um da endlich die verhassten Eisenfesseln loszuwerden und dann in ein paar Stunden wieder in Freiheit zu sein. Auf der anderen Seite das neue Kettenmädchen (Irmgard), zitternd vor Angst, gefesselt mit Hals-, Armund Beinreifen, die mit Ketten verbunden waren, dazu eingeschlossen in einen Keuschheitsgürtel der sich anfühlte, als wenn jemand mit eiserner Hand ihren Unterleib gepackt hätte. Wenn Irmgard auch noch nicht ahnte, was auf sie zukommen würde, war ihr doch klar, dass sie scheinbar die Ablösung für dieses andere Mädchen sein sollte. Zu gerne hätte sie mit ihr gesprochen, doch dazu ergab sich keine Gelegenheit, denn sobald das Mädchen an Bord war, wurde sie von der dicken Frau, die sie selbst in Eisen gelegt hatte, in Empfang genommen und mit den Worten: „Na, dann wollen wir dir mal den Eisenschmuck abnehmen.“ in die Bordschmiede geführt. Während sie den beiden noch nachsah, gab es einen kurzen Ruck an ihrer Halskette, der sie sofort aufschrecken lies. Der Mann, der das andere Mädchen hierher gebracht hatte, hielt nun das Ende ihrer Halskette in der Hand und sagte: „Mein Name ist de Fries, ich bin dein neuer Herr. Wie du dich zu verhalten hast, hat man dir schon beigebracht, wie ich hörte. Also lass uns gehen, wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Nachdem de Fries sich kurz verabschiedet hatte, ging er den Steg hinunter in Richtung Texlum, das verängstigte Mädchen an der Kette hinter sich her führend. Währenddessen legte die „Kuisheid“ ab und nahm Kurs Richtung Nordsee, wo sie sich an einer bestimmten Position mit einem Kutter treffen sollte, der Anja dann an Bord nahm und in Holland an Land bringen sollte. Da kein anderes Kettenmädchen zur Übergabe angemeldet war, würde die „Kuisheid“ von da aus nach Emden fahren, um dort Diesel, Öl und Frischwasser zu bunkern. Auf diesen Abstecher nach Emden freute sich die Besatzung jedes Mal, denn es war immer interessant, die Leute in der Welt zu beobachten.
Nur wurde leider nichts von der geplanten Fahrt nach Emden, weil kurz nach dem Ablegen ein Funkspruch hereinkam, in dem stand, dass der Kutter doch noch ein neues Mädchen an Bord habe, das übernommen werden müsse. „So ein Schiet aber auch.“ schimpfte Petersen, dessen Pläne damit durchkreuzt waren. „Was ist los, Skipper, hast du gerade einen Klaubautermann gesehen oder warum schimpft du so?“ wollte Anteus, der neue Matrosenanwärter wissen. „Wird nichts mit Emden, Anteus, wir müssen doch noch ein neues Mädchen an Bord nehmen.“ „Ja Skipper, ich will dir ja nicht reinreden, aber hast du nicht gesagt, wir müssten dringend nach Emden, um Diesel und Wasser zu bunkern.“ „Weiss ich selbst, Anteus Cirksena, weiss ich selbst, aber wir sollen nach der Übernahme eines Mädchens keine Umwege machen sondern direkt nach Hause zurückfahren, wie du selbst wohl wissen dürftest.“ „Ja, ja, ja, ja, weiss ich wohl Skipper, ist aber wirklich jammerschade, was wäre ich aber auch gern nach Emden gefahren.“ Diesen letzten Satz bekam Janette noch gerade mit, als sie zu den beiden Männern am Ruder ging. „Was ist nun denn los, fahren wir doch nicht nach Emden?“ fragte sie enttäuscht. „Müssen noch ein Mädchen übernehmen.“ brummelte Petersen in seinen dichten Bart, steckte sich seine Pfeife an und schaute finster auf die Kimm. „Schade, wirklich schade, alleine schon wegen der leckeren holländischen Matjes, die dort im Hafen verkauft werden.“ Nun konnte Petersen sich ein Grinsen doch nicht verkneifen und meinte spöttisch: „Ja, Janette, hast du mir nicht erzählt, dass du auf strengster Diät bist?“ „Ich wollte ja auch nur ein kleines Häppchen, Petersen, wirklich nur ein kleines Häppchen, etwas essen muss ich schliesslich.“ gab Janette leicht sauer zurück, Anspielungen auf ihr Gewicht konnte sie immer noch nicht vertragen. „Ich mein ja auch nur,“ sagte Petersen, „denn dein Bauch muss doch so leer sein wie unser Dieseltank.“ Janette sah Petersen nachdenklich an, fing ihrerseits nun an zu grinsen und meinte: „Petersen, ist dir eigentlich klar, dass hier ein seemännischer Notfall vorliegt, der uns dazu zwingt Emden anzulaufen?“ Dem Skipper war sofort klar, auf was Janette hinauswollte, war er doch verpflichtet, immer soviel Diesel im Tank zu haben, dass er im Notfall ohne Segel den nächsten Hafen anlaufen konnte. „Eine gute Idee, Janette, eine wirklich gute Idee, schliesslich müssen die Vorschriften befolgt werden und aus diesem Grund verkünde ich hiermit die freudige Nachricht, dass wir heute Abend in Emden im Hafen liegen werden.“ Frohgelaunt ging Janette in ihre Bordschmiede zurück, um nachzusehen, wie weit Anja inzwischen war. Das Abnehmen der Fesseln und des Keuschheitsgürtels war Janettes Lieblingsarbeit an Bord, noch nie hatte es dabei Ärger oder Widerstand gegeben, ganz im Gegenteil. Auch bei Anja war es nicht anders gewesen, sie war dankbar für jede einzelne Fessel, die ihr abgenommen wurde, und ein richtiges Stöhnen der Erleichterung war der Augenblick, wenn der Keuschheitsgürtel aufgeschlossen und für immer abgenommen wurde.
Danach bekamen die Mädchen Gelegenheit zum Duschen und Haare waschen, ein Luxus, der vor Anschaffung der „Kuisheid“ undenkbar gewesen wäre. Anja machte von diesem Angebot reichlich Gebrauch, wie endlos lange war es her, dass sie geduscht hatte. Janette hatte ihr aus dem Magazin (Lager) noch Kleidung, Wäsche und Schuhe herausgesucht, es war zwar alles nur schlicht und einfach, erfüllte aber seinen Zweck. Kaum hatte Anja sich angezogen, als Janette sie aufforderte, doch mit an Deck zu kommen und die Fahrt zu geniessen. Von Petersen wurde sie freundlich aufgefordert, doch hinten bei ihnen Platz zu nehmen und Anteus kam mit einem grossen Tablett, auf dem Tee und Kekse waren, zu ihnen. So sassen sie in gemütlicher Viererrunde zusammen und Anja fühlte sich zum ersten Mal wieder als ein vollwertiger Mensch und ganz zart wie eine kleine Pflanze machte sich ein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber diesen Menschen breit. Eine harte Zeit hatte sie hinter sich gebracht, auch hatte sie viel erleiden müssen, aber war sie an der strengen Behandlung nicht selbst schuld gewesen? Und was wäre mit ihr passiert, wenn sie nicht in das Land der alten Dörfer gekommen wäre, möglicherweise sässe sie heute in einem Gefängnis. Dabei musste sie an ihre Eltern denken, zu denen sie schon seit Jahren den Kontakt abgebrochen hatte. Was würden die wohl sagen, wenn sie auf einmal in der Haustür stehen würde. Wahrscheinlich würden die Eltern heute nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen, aber das konnte sie ihnen auch nicht verdenken. Jetzt jedenfalls war sie glücklich, es war einfach herrlich als freier Mensch auf diesem Schiff zu sein, Tee zu trinken und sich den Wind um die Nase wehen zu lassen, etwas Schöneres konnte es kaum geben. Um die Mittagszeit kamen sie zu dem vereinbarten Treffpunkt und die „Kuisheid“ legte sich an die Backbordseite des Kutters. Nachdem Anja sich verabschiedet hatte, stieg sie auf den Kutter über und wurde von dessen Skipper begrüsst. Auch wenn sie jetzt kein Kettenmädchen mehr war, so machte sie doch noch einen Knicks und verhielt sich mustergültig. Kaum hatte sie sich an Deck des Kutters umgesehen, als ihr zwei Leute auffielen, die sie aufmerksam ansahen. „Anja,“ sagte die Frau, „komm in meine Arme, mein Kleines.“ und ging auf sie zu, ebenso wie ihr Vater. Anja stand da wie vom Blitz getroffen, konnte es nicht fassen, dass ihre Eltern hier auf dem Schiff waren, „Mama, Papa.“ rief sie, und schon lagen sich die drei in den Armen. Nach der ersten Begrüssungswelle sorgte der Kapitän dafür, dass die Drei unter Deck einen Tee serviert bekam und unter sich sein konnten. Die Mannschaft der „Kuisheid“ hatte die Familienzusammenführung natürlich beobachtet, und es war nicht einer von ihnen dabei, der sich nicht unauffällig eine Träne aus dem Auge wischen musste und Anja dabei alles Gute für ihr weiteres Leben wünschte. Noch bevor das neue Mädchen übernommen werden konnte, kam Anjas Vater wieder an Deck, stieg auf die „Kuisheid“ über und bedankte sich, auch im Namen seiner Frau, für die so gelungene Umerziehung ihrer Tochter, die sich jetzt so verhalten würde, wie sie es sich zu wünschen nie gewagt hätten. Da schoss Janette eine Idee durch den Kopf, sie bat Anjas Vater, doch noch einen Moment zu warten, ging in ihre Schmiede, kam kurz darauf mit einem gefüllten Jutesack wieder und übergab ihm dem verwunderten Vater. Leise sagte Janette zu ihm: „Sollte Anja Anstalten machen, in schlechte Gewohnheiten zurück zu fallen, so legen sie ihr diesen Gürtel an, der bringt sie schnell wieder zur Vernunft. Der gute Mann sah in den Jutesack, erkannte einen Keuschheitsgürtel und meinte: „Der sieht aber ziemlich eng aus, ich glaube nicht, dass Anja da herein passen würde.“ „Bis vor 2 Stunden hat sie ihn noch getragen, und das die ganze Zeit über, glauben sie mir, er passt absolut genau und ist für eine junge Frau ein hervorragendes Erziehungsmittel.“
„Da mögen sie recht haben“, räumte Anjas Vater ein und fragte nach dem Preis. Darauf war Janette nun nicht vorbereitet, ihre Kalkultation beschränkte sich auf den Verkauf von einem neuen KG oder den für die Kettenmädchen, über den Preis von einem gebrauchten Tugendwächter hatte sie sich noch nie Gedanken gemacht und so sagte sie: „Das weiss ich jetzt auch nicht genau, einen gebrauchten Keuschheitsgürtel habe ich noch nie verkauft.“ „Was kostet denn ein neuer Keuschheitsgürtel?“ wollte ihr Gesprächspartner wissen, worauf Janette ihm den Preis nannte. Ohne zu zögern griff Anjas Vater in die Brieftasche und legte das Geld für einen neuen KG auf den Tisch. „Das ist mir die Sache wert.“ meinte er, nahm den Jutesack an sich und ging auf den Kutter zurück. Janette strahlte wie eine ganze Lichterkette, mit so viel Erfolg hatte sie nicht gerechnet, und noch während sie sich den zu erwartenden Gewinn in der Zukunft ausrechnete, wurden auf einmal seltsame Geräusche laut, die sie erst nicht einordnen konnte. Auch Petersen und Anteus waren aufmerksam geworden und sahen zum Kutter hinüber. Da brachten zwei Matrosen eine Gestalt an Deck, bei deren Anblick die Bestatzung der „Kuisheid“ nur noch gaffen konnte wie ein Haufen Blöder. Petersen fing sich als erster und meinte nur: „Oh, du heiliger Bramus, das kann ja noch was werden.“
Teil 120 Schwarze Lackklamotten, schwarze Stiefel, schwarze Strümpfe, schwarze Haare, schwarz lackierte Fingernägel, an diesem Mädchen war alles schwarz, sogar ihr Gesicht war von dem verlaufenen Make up verfärbt. Die Arme hatte man ihr auf dem Rücken zusammengebunden, aber auch die Beine hatte man ihr gefesselt und die seltsamen Geräusche kamen daher, dass sie trotz ihres Knebels sprechen wollte. So eine wütendes und wildes Geschöpf war ihnen bisher noch nicht untergekommen, aber da mussten sie jetzt durch. Anteus ging an Bord des Kutters, packte das Mädchen und klemmte sie wie ein Franzose das Stangenweißbrot unter den Arm und ging zurück auf die „Kuisheid“. Die Leinen wurden losgeworfen, beide Schiffe nahmen langsam Fahrt auf und trennten sich voneinander, da rief der eine der Kutterbesatzung noch: „Den Knebel würde ich an eurer Stelle lieber nicht herausnehmen, wenn ihr Ärger vermeiden wollt.“ Janette rief noch zurück, weil sie wissen wollte was genau er damit meinen würde, doch der Abstand zwischen den Schiffen war schon zu gross. „Dann bring sie mal in meine Schmiede.“ forderte sie Anteus auf, der ihrem Wunsch sofort nachkam. Diesmal konnte es sich das Mädchen nicht unter den Arm klemmen, da der Niedergang für diese Art von Transport zu schmal war, also liess er sie wie einen Kartoffelsack Stufe für Stufe hinunterrutschen, was bei ihr sofort einen Protest in Form von unverständlichen Sprechversuchen und Drehen und Winden des Körpers zur Folge hatte. Anteus, dem solche Reaktionen bisher fremd waren und für die er auch nicht das geringste Verständnis hatte, packte sie einfach beim Kragen, zerrte sie die letzten Meter hinter sich her und bugsierte sie in die Werkstatt. „So ein Aas, so ein verrücktes, habe ich noch nie erlebt, ich glaube es ist besser, wenn ich dir bei deiner Arbeit zur Hand gehe, wer weiss, was die hier sonst noch anstellt.“ meinte er zu Janette. „Bisher bin ich noch mit jeder fertiggeworden, aber die hier scheint eine harte Nuss zu sein, vielleicht hast du recht und bleibst besser hier, jedenfalls bis auf die letzte Arbeit, die werde ich auf jeden Fall alleine machen. Als erstes kannst du ihr mal den Knebel herausnehmen, sie sieht so aus, als wenn sie mal wieder richtig Luft holen müsste.“
Gesagt, getan, Anteus nahm ihr den Knebel ab, der aus einem Ende dünnem Tau sowie einer, jedenfalls dem Geruch nach, länger getragenen, aber nicht gewaschenen Socke bestand. Doch anstatt dankbar zu sein, spuckte sie Anteus an und fing an zu schimpfen und zu fluchen, schlimmer als jeder Dockarbeiter und jeder Bierkutscher. Das war zuviel für den guten Anteus, schon hob er die Hand und wollte ihr eine Ohrfeige versetzen, doch Janette hielt ihn zurück. „Lass man, die kriegen wir schon ruhig, am besten legen wir ihr erst das Halseisen um.“ Nur widerstrebend liess Anteus seine Hand wieder fallen, doch Janette blinzelte ihm zu und da er vollstes Vertrauen zu ihr hatte, hielt er sich zurück. Janette nahm ein Massband, ermittelte den Halsumfang des Mädchens und holte aus einer Kammer ein schweres und fast sechs cm breites Halseisen. „Das müsste ihr passen,“ lächelte sie, „nur finde ich, dass der Eisenring am Halseisen etwas klein ausgefallen ist, aber das lässt sich schnell ändern.“ Schon legte sie das Halseisen in die Esse, löste den kleinen Ring und arbeitete einen grossen, dicken Ring an das Halseisen an. Sobald das glühende Eisen im Wassereimer abgekühlt war, legte sie dem Mädchen das Halseisen zur Probe um. „Normalerweise etwas eng, aber für die da ist das Halseisen weit genug.“ meinte Janette und gab Anteus Anweisung, das Mädchen an den Amboss heranzubringen. Trotz aller Gegenwehr war das Halseisen schnell umgelegt und mit einem glühenden Eisenstift gegen jeden Ausbruchversuch gesichert. Barbara, so hiess das neue Kettenmädchen, war anzusehen, dass ihr der neue Schmuck nicht gefiel, sie versuchte ihren Kopf wie bisher zu bewegen, doch sass das Halseisen so eng, dass ihre Bewegungsfreiheit mit dem Kopf eingeschränkt war. Das hinderte sie aber nicht daran, weiter zu fluchen und die beiden Besatzungsmitglieder auf das Übelste zu beschimpfen. Die aber blieben ganz ruhig und Janette holte aus der Kammer ein Instrument, dass die Barbara schnell zum Schweigen bringen sollte. Hatte sie damals doch schon für einen der ersten Kettenburschen einen Knebel angefertigt, und inzwischen hatte sie das in ihrer reichlich freien Zeit immer wieder neue Modelle angefertigt, was ihr nun zugute kam. Kaum erkannte Barbara den Knebel in Janettes Hand, als sie auch schon schlagartig den Mund hielt und die Beiden nur noch mit funkelnden Augen bitterböse ansah. „Jetzt, wo sie den Mund aufmachen soll, hält sie auf einmal die Klappe.“ meinte Anteus. „Ich bin davon überzeugt, dass sie gleich geknebelt sein wird.“ meinte Janette und fragte Barbara: „Machst du den Mund freiwillig auf oder muss ich nachhelfen?“
Teil 121 Doch ausser einem bösen Blick kam keine Reaktion, und Janette meinte nur: „Wer nicht hören will muss fühlen.“ und trat dem Mädchen mit aller Kraft auf den grossen Zeh. Der kurze Schrei vor Überraschung und Schmerz genügte vollkommen, ihr den Lederball des Knebels einzuführen. Während Anteus ihn von vorne festhielt, befestige Janette ihn von hinten mit einem Stahlband, wodurch der Knebel unverrückbar fest sass. Endlich war wieder Ruhe auf dem Schiff, und das Fluchen und Geschimpfe von Barbara war nur noch gedämpft zu hören. Der nächste Arbeitsgang bestand darin, ihr die Stiefel auszuziehen und die Strumpfhose über den Knöcheln abzuschneiden. Dann wurde eine Kette an einem Deckenhaken der Schmiede befestigt und das andere Ende durch den Eisenring des Halsbands geführt und strammgezogen und ebenfalls an dem Deckenhaken eingehangen, doch nicht bevor Janette die Kette vorher durch eine Art Sack zog. Barbara konnte nur noch auf den Zehenspitzen stehen, sonst wäre sie von dem Halseisen gewürgt worden.
Erst jetzt wurde das Seil um ihre Beine abgenommen, und kaum waren ihre Beine frei, als Barbara schon versuchte, Anteus zu treten, doch ihre Bemühungen waren vergebens. Janette nahm ihr linkes Bein in die Hand und legte ihr eine Fussfessel um, die gleich darauf verschlossen wurde, während Anteus die Gefangene stütze und gleichzeitig festhielt, da sie auf einem Bein nicht stehen konnte. Als auch die zweite Fussfessel angelegt war, nahm Anteus die Gefangene wieder wie eine Teppichrolle unter den Arm und Janette befestigte zwischen den Fussfesseln eine kurze Kette, worauf Anteus sie dann wieder hinstellte und sie auf ihren Zehenspitzen stehen konnte. Doch nun war es an der Zeit, dass Aneus die Werkstatt verliess, denn das Mädchen musste ausgezogen werden und dabei hatten Männer nichts zu suchen. „Ich bleibe in der Nähe, wenn sie Schwierigkeiten macht, bin ich innerhalb von Sekunden zur Stelle.“ sagte er noch beim Hinausgehen. „Du hast gehört was mein Verlobter gesagt hat, also richte dich danach und mach mir jetzt keine Schwierigkeiten mehr.“ warnte Janette sie und löste ihre Handfesseln. Barbara stöhnte erleichtert auf und wollte sofort die Situation ausnutzen und auf ihre Peinigerin einschlagen, doch waren ihre Arme durch die lange Zeit, in der sie gebunden war, eingeschlafen und es war ihr nicht möglich, die Arme kontrolliert zu bewegen. Wehrlos musste sie sich die Armfesseln anlegen lassen, und bevor Janette die Armreifen mit einer Kette verband, zog sie das sackartige Gebilde, dass nun das neue Gewand von dem Mädchen sein sollte herunter und steckte ihre Hände durch die Armlöcher. In aller Schnelle hatte Janette dann auch die Armfesseln mit einer Kette verbunden, jedoch nicht ohne das eiserne Band vorher durch den Ring an dem Halseisen zu ziehen. Barbara war total fertig, sie schaffte es auch nicht, noch länger auf Zehenspitzen zu stehen und gab röchelnde Geräusche von sich, worauf Janette, die ja im Grunde ihres Wesen wirklich ein weichherziger Mensch war, die Halskette soweit verlängerte, dass die Gefangene jedenfalls auf ihren Füssen stehen konnte. Kaum hatte das neue Kettenmädchen erleichtert nach Luft geschnappt, als ihr das Herz vor Schreck fast stehen blieb, denn Janette kam mit einem Messer in der Hand auf sie zu. Wie eine Wahnsinnige riess sie an ihren Ketten, doch Janette beruhigte sie schnell: „Du brauchst keine Angst zu haben, ich werde dich jetzt nur von deiner seltsamen Gewandung befreien.“ sagte sie und zerschnitt Barbaras Kleidung, so dass das Mädchen nur Minuten später als einziges Bekleidungsstück das sackartige Kleid am Körper hatte. Barbara stand schwer nach Atem ringend in der Schmiede, der Knebel und das breite Halseisen machten ihr schwer zu schaffen, Allein die Hand- und Fussfesseln mit den schweren Ketten daran waren waren Barbara unerträglich, und noch schlimmer war das breite und Halseisen, dass ihr normale Bewegungen mit dem Kopf unmöglich machte, doch der Gipfel der Quälerei war der Knebel, der sie nicht nur daran hinderte sprechen zu können, sondern sie auch noch durch den widerlichen Geschmack des Lederballs in ihrem Mund vor Ekel würgen liess. Janette hatte die Schmiede inzwischen verlassen und war in die Last (Vorratsraum auf einem Schiff) gegangen, um von dort einen passenden Keuschheitsgürtel zu holen. Es war unglaublich, wie viel verschiedene Modelle sie dort liegen hatte, vom Gürtel aus einfachem Eisen zur Ausführung in Edelmetall, manche sogar mir eingearbeiteten Verzierungen. Mit geübtem Auge suchte sie einen einfachen Keuschheitsgürtel aus, einfach, aber absolut ausbruchssicher. Mit dem Tugendwächter in der Hand ging sie zurück in die Schmiede, wo Barbara bewegungslos verharrte, doch sobald sie den Keuschheitsgürtel erblickte, war es damit vorbei.
Teil 122 „Oh nein,“ dachte Barbara, „niemals lasse ich mich in einen Keuschheitsgürtel einschliessen, egal was
nun passiert.“ zerrte und riess an ihren Ketten wie eine Wahnsinnige. Am liebsten hätte sie ihren Frust herausgebrüllt, doch durch den Knebel gab sie nur nichtverständliche Geräusche von sich. Janette waren solche Reaktionen bei dem ersten Anblick eines Keuschheitsgürtels durchaus nicht unbekannt, folglich blieb sie ganz ruhig und meinte: „Mädchen, du kannst dich von mir aus wehren wie du willst, aber diese Schmiede verlässt du nur tot oder in einen Keuschheitsgürtel verschlossen.“ Barbara war das egal, sie drehte und wendete sich wie ein Aal an Land und versuchte mit allen Mitteln die Zwangsverschliessung zu verhindern. Ihre Ketten klirrten, hin und her versuchte sie sich zu drehen, um dem Unvermeidlichen doch noch zu entkommen, aber so gefesselt wie sie im Augenblick war hatte sie nicht die geringste Chance. Trotzdem hatte Janette nun Schwierigkeiten ihr den Tugendwächter umzulegen, denn bei diesem Gezappel konnte sie einfach nicht in Ruhe arbeiten. Langsam wurde sie böse und gab Barbara noch einmal den guten Rat, sich nun nicht mehr gegen den Verschluss zu sträuben. Doch das neue Kettenmädchen keuchte vor Wut und Entsetzen, ihre Augen waren weit aufgerissen und der Schweiss stand ihr auf der Stirn, Janette jedoch wurde ruhig wie ein Eisblock, was bei ihr kein gutes Zeichen war, denn sie wollte ihre Arbeit so schnell wie möglich beenden, da die „Kuisheid“ inzwischen Kurs auf Emden genommen hatte und sie den Abend in der Welt geniessen wollte. „Ich sag es dir jetzt zum letzten Mal, hör auf mit dem Gezappel, sonst wird es dir leid tun.“ Janettes Worte jedoch waren wirkungslos, also zog sie die Kette, die von dem Halseisen zur Decke führte, so stramm, dass das Mädchen fast keine Luft mehr bekam. Erst jetzt wurde sie ruhiger, anstatt an Gegenwehr hatte sie nun genug damit zu tun soviel Luft wie möglich zu bekommen. Wie immer arbeitete Janette schnell und sicher, und schon nach kurzer Zeit war der Keuschheitsgürtel perfekt angepasst. Da aber das Gesicht des Kettenmädchens durch die knappe Luftzufuhr eine mehr als ungesunde Farbe bekam, löste sie die Kette wieder ein Stück. Barbara konnte nun auf den Zehenspitzen stehen und atmete durch den Knebel so viel und tief sie nur konnte. In der Zeit hatte die Schmiedin schon ihren Tiegel mit Salbe geholt, nahm eine tüchtige Hand voll heraus und verteilte sie auf Barbaras Taille, eine zweite Portion der Salbe verteilte sie am Hintern, zwischen den Pobacken und den Schamlippen, dabei aber nicht vergessend, die Salbe gut einzureiben. Jetzt erst kam Barbara wieder richtig zu sich und begriff, was mit ihr gemacht wurde, doch nun war es für jede Gegenwehr zu spät, gegen das Umlegen und Verschliessen des Keuschheitsgürtels konnte sie sich nicht mehr wehren. Dafür wurde jedenfalls die Kette am Halseisen gelockert und sie konnte wieder auf eigenen Füssen stehen. „Na siehst du, war doch gar nicht so schlimm.“ strahlte Janette sie an und betrachtete selbstkritisch ihre Arbeit, mit der sie dann aber doch sehr zufrieden war. Barbara wurde nun in einer Ecke der Schmiede angeschlossen, anschliessend räumte Janette ihre Werkstatt auf und ging dann an Deck, um zu sehen ob Emden schon in Sicht wäre. Tatsächlich konnte sie die Hafenstadt schon von der Ferne sehen, auch wenn die Sicht nicht allzu gut war, denn dunkle Wolken zogen auf. Janette ging weiter zum Steuerstand, wo Petersen und Anteus sich gerade einen Becher Tee gönnten. „Das sieht nicht gut aus.“ meinte Petersen zur Begrüssung und zeigte auf die Wolken, und auch das Barometer zeigte an, dass schlechtes Wetter zu erwarten war, wenn auch nicht unbedingt noch heute, doch bis zum nächsten Morgen würde es wohl einen schönen Sturm geben. In Emden angekommen gingen sie gleich längsseits an ein Bunkerschiff, füllten Diesel und Trinkwasser auf und entschlossen sich angesichts des zu erwartenden schlechten Wetters doch lieber gleich zurück zu fahren, sehr zum Leidwesen von Janette, die Abende im Emder Hafen über alles liebte. Doch Petersen
lies sich nicht umstimmen, und so verliessen sie den Hafen wieder um durch das Wattenmeer den Liegeplatz vom Land der alten Dörfer zu erreichen. Sie waren mal gerade eine gute Stunde unterwegs, als über Funk Sturmflutwarnung durchgegeben wurde. Nordwestliche Winde der Stärke 11 bis 12 wurden gemeldet, und schon jetzt hatte die Tjalk mit dem Seegang zu kämpfen. „Was wirst Du jetzt machen?“ wollte Janette von Petersen wissen. „Wir laufen weiter, wenn wir bei dem Wetter eine Wendemanöver versuchen kann es zum Kentern kommen. Also fahren wir weiter in Richtung Helgoland, das ist die einzige Möglichkeit die wir haben, denn bei einer Sturmflut in unser Liegeplatz zu Hause auch nicht sicher. So stampfte die „Kuisheid“ durch die aufgewühlte See, einem ungewissen Schicksal entgegensehend. Auch im Land der alten Dörfer bekamen es die Leute so langsam mit der Angst zu tun, denn der Sturm wurde immer heftiger. Mit gewaltiger Kraft blies dieser Sturm über das Land, vereinzelt wurden Bäume entwurzelt. Alle hofften nun auf das Kippen der Tide, denn bei ablaufendem Wasser wurde das „Schlechtwetter“ meistens mit auf See gezogen. Doch diesmal brachte der Tidenwechsel nicht die erhoffte Besserung, es frischte noch weiter auf und der Sturm entwickelte sich zu einem Orkan, wie ihn selbst die Ältesten im Dorf noch nie erlebt hatten. Die Alten munkelten schon, dass das Ende der Welt gekommen sei, und in den meisten Häusern wurde mit bangem Herzen gebetet. Derweil schlugen harte Brecher immer und immer wieder an den Deich, und das Wasser stieg so hoch, wie es wirklich noch nie gewesen war, doch das bekamen die Leute von Land der alten Dörfer nicht mit, denn keiner war so verrückt, bei einem derartigen Sturm auf den Deich zu gehen und sich die tobende See anzuschauen. Nach 12 Stunden ebbte der Wind etwas ab und die ersten jungen Männer verliessen ihre Häuser, um nach dem Rechten zu sehen, so auch in Texlum. Einer der Männer (Texlum liegt direkt am Deich) bestieg die Deichkrone und glaubte seinen Augen nicht zu trauen: Das Wasser stand nur 2 Meter unter der Deichkrone und langsam wurde der Deich von Wasser durchtränkt und weich. Sofort wurde ihm klar, dass sich alle Bewohner in höchster Lebensgefahr befanden und er lief so schnell er nur konnte in das Dorf zurück und die Bewohner zu warnen. Doch die hörten nicht auf ihn, der Deich hielt schon seit Generationen jedem Unwetter stand und würde auch diesmal halten, bekam er zur Antwort. Kurze Zeit später fing es wieder an zu wehen, es war, als wenn der Sturm nur eine kurze Pause gemacht hätte, um mit noch mehr Kraft zu blasen. Nun schlugen die ersten Wellen schon über die Deichkrone, das erste Wasser lief in das Dorf. Nun bekamen es die Einwohner von Texlum doch mit der Angst zu tun, eilig trieben sie das Vieh aus dem Stall, packten einige Sachen zusammen, spannten die Pferde vor Kutschen und Wagen und flüchteten nach Hohedörp, dass zumindest 3 Meter höher lag als Texlum. Währenddessen tobte der Sturm immer weiter, schon waren die ersten Risse im Deich, und diese kleinen Risse verwandelten sich innerhalb von Minuten zu grossen Spalten. Der blanke Hans schlug immer weiter auf den Deich ein, immer weicher und widerstandsloser wurde der Deich und so dauerte es nicht lange, bis er auf der ersten Stelle brach. Das aufgestaute Wasser suchte sich seinen Weg, mit furchtbarer Gewalt wurden nun weitere Teile des Deiches einfach weggespült und die Nordsee überspülte das Land der alten Dörfer. Auch im Haus von Monika Wattjes bekam man es mit der Angst zu tun, und es wurde überlegt ob es nicht besser wäre, einen sichereren Platz zu suchen, aber das lehnte der Bauer ab. „Bis hierher kann das Wasser selbst bei einem Deichbruch nicht kommen.“ meinte er und machte sich viel mehr Sorgen um
die Leute in Texlum als um sich selbst. Monika aber hatte eine seltsame Vorahnung, und sie drängte ihren Mann dazu, doch vorsichtshalber nach Hohedörp zu fahren, dort könne man sich im Falle eines Falles notfalls noch oben in dem Kirchenschiff in Sicherheit bringen. Zwar hielt der das für überflüssig, da Monika aber nicht aufhörte zu drängeln und er den Dickkopf seiner Frau kannte, liess er sich dann doch breitschlagen und machte sich mit seiner Familie auf nach Hohedörp. Inzwischen war der Deich auf einer Breite von 600 Metern weggespült, ungeheuere Wassermassen wälzten sich über das Land und rissen alles hinweg, was ihnen im Wege stand. Kein Baum, kein Haus, dass dieser ungeheueren Naturgewalt stand halten konnte, und immer weiter erobere sich die Nordsee ihr Land zurück, es kam nicht nur nach Hohedörp sondern überspülte sogar noch Andersum. Zwei Tage und zwei Nächte hielt die Flutkatastrophe an, dann zog sich das Wasser langsam zurück. Den wenigen Überlebenden bot sich ein Bild des Grauens: Nur noch wenige Gebäude standen, die meisten durch die Kraft der Wellen zusammengebrochen, totes Vieh trieb mit aufgeblähten Leibern im Wasser. Ihrer Existenz und ihrer Heimat beraubt stand ein kleines Häuflein Menschen im kniehohen Wasser, fassungslos schauten sie sich um und konnten, obwohl sie es mit eigenen Augen sahen, doch nicht fassen, was sie da sehen musste. Wie sollte es nun weitergehen, würde das Land der alten Dörfer für immer verloren sein oder gab es noch mehr Überlebende, mit denen das Land wieder aufgebaut werden könnte? Die Zukunft war ungewiss, und mit bangem Herzen dachten die Menschen an das, was nun auf sie zukommen würde. Ende