8.Juli 2011 an der
Unterstützt von www.designkritik.dk
Birgit S. Bauer Hr sg. Design theoretisch ent wer fen | planen | for schen
Reader zum Symposium DESIGN THEORETISCH
Design theoretisch entwerfen/ planen/ forschen
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt ISBN 978-3-8482-0597-4
Birgit S. Bauer (Hrsg.)
Design Theoretisch
Design Theoretisch entwerfen | wissen | planen Freitag, 8. Juli 2011 Kunsthochschule Kassel Das Symposium Design Theoretisch wurde zusammengestellt und moderiert von Birgit S. Bauer, www.designkritik.dk Eine Veranstaltung des Fachbereichs Produkt Design an der
[04]
Vorwort von Birgit S. Bauer
[06] Design als Wissenskultur: Zum Stand der Forschung
Vorstellung der Rednerinnen
[10]
Claudia Mareis
Semiotik – der Zukunftscode
[28]
Gerdum Enders
Arabesken zum Design: Theorie – Forschung – Wissenschaft
[32]
Bernhard E. Bürdek
Designwissenschaft – Mehr als Briefmarken sammeln?
[40]
Felicidad Romero-Tejedor
Concerned Design
[48]
Kai Rosenstein
Systemdesign ohne System – Reflexionen über ein Semester Vertretungsprofessur an der Kunsthochschule Kassel
[58]
Thomas Fankhänel
Forschung als Ringen um Arbeit
[76]
Hans Ulrich Reck
Studentische Texte
[90]
Podium I
[96]
Podium II
[102]
Was bedeuten die Begriffe Designforschung, Designwissenschaft und Designtheorie heute? Was bedeuten sie in Zukunft und besonders für die Lehre? So hoch die Frequenz dieser Begriffe in den letzten Jahren gestiegen sein mag, so unscharf sind die Abgrenzungen ihrer Bedeutung. Welche Entsprechung haben die Begriffe in unterschiedlichen Bereichen des Design, wie werden sie ausgelegt und wie werden aus ihnen Zielsetzungen für die Lehre umgesetzt? Wird man zukünftig einen Doktorgrad im Design brauchen? Ab wann heißt ›Research‹ ›Forschung‹ ? Sind Wissenschaft und Design gar Gegenpole? Das Symposium
diskutierte diese Fragen
und Begriffe und hatte darüber hinaus die Aufgabe, als Teil einer Positionsbestimmung für das Produktdesign in Kassel zu dienen. Das Kasseler Professorenkollegium aus dem Produktdesign, bestehend aus Hardy Fischer, Jakob Gebert und Oliver Vogt sprach mich Anfang 2011 an, ob ich nicht im Sommer eine Veranstaltung zu dem Themenfeld Designtheorie – Wissenschaft – Forschung organisieren wolle. Gern! Das Symposium zeigte, wie divers die Zugänge der noch jungen Disziplin Design zu Theorie und Wissenschaft sind und wo zwischen der Euphorie für beginnende wissenschaftliche Etablierung des Designs und den Eitelkeiten des akademischen Betriebs sich zarte Erkenntnisse und Methodiken ableiten. Als zentrales Thema dieser Diskurse etabliert sich momentan die Kernfrage nach der Wissensgenerierung im Design, ihrer Verortung in den unterschiedlichen Ausprägungen der Praxis oder beispielsweise in den neuen Formaten einer theoretischen Reflexion der Disziplin durch Designwissenschaft und -forschung. Diese Entwicklungen in einem wissenschaftshistorischen Kontext zu betrachten, ist meines Erachtens eine wichtige Aufgabe der zukünftigen Lehre im Design. Dr. Claudia Mareis, ihres Zeichens studierte Designerin und promovierte Kulturwissenschaftlerin und bekannt durch das 2011 erschienene Buch ›Design als Wissenskultur. Interferenzen zwischen Design- und Wissensdiskursen seit 1960‹, ist mit ihrer distanzierten Betrachtung des Feldes die Keynote-Speakerin des Symposiums.
Ihren Beitrag haben wir aus diesem Grund als einziges Kapitel des Readers direkt aus ihrem Originalmanuskript übernommen. Mein Ausgangspunkt: Ich bin Herausgeberin und Redakteurin von www.designkritik.dk , einer Plattform, die Designkritik und Designtheorie verständlich machen möchte. Frei von institutioneller Anbindung gehen wir den Fragen insbesondere von Studierenden des Design in engagierten Diskursen nach. Zusammen mit Studierenden des Fachbereichs Produkt Design ist im Nachgang dieses Symposiums dieser Reader entstanden, der von den Studierenden verfasste Zusammenfassungen der Vorträge enthält. Zusätzlich reflektieren die Studierenden in eigenen Textbeiträgen ihre Sicht auf das Gehörte. Die Texte zeigen, dass die Kluft zwischen Praxis und Theorie im Design nicht in den Inhalten liegt, sondern in einer mangelnden 'Praxis der Theorie' – dem stetigen Reflektieren und Diskutieren. Das Material zu der vorliegenden Veröffentlichung wurde in einem kollektiven Experiment erstellt, einem so genannten Booksprint. Gemeinsam wurden an einem Wochenende Transkripte erstellt, Texte diskutiert und eigene Schreibexperimente gestartet. Das Ergebnis ist für jeden der TeilnehmerInnen der Kristallisationspunkt eines ganz persönlichen Prozesses. Eines Prozesses, der bei den TeilnehmerInnen vielleicht in der Kürze eines Semesters zu mehr Mut und Inspiration zum Zuhören, Diskutieren und Schreiben geführt hat – nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Birgit S. Bauer Berlin, Frühjahr 2012 Eine Videodokumentation der Vorträge finden Sie auf www.designkritik.dk
[04/05]
Claudia Mareis Die Hauptrednerin des Symposiums stellt den Stand der Forschung zum Wissen im Design dar. Ihre Untersuchung porträtiert einen historischen Punkt der Diskussionskultur um Design und seine Wirkung im Zusammenspiel gesellschaftlicher Kräfte und Institutionen. In ihrem Beitrag untersucht sie, ob Wissenschaft und Design wirklich Gegenpole sind oder gar Klischees, die in Wirklichkeit auf gemeinsame Methoden der Wissensgenerierung zugreifen, und sie zeigt, wie man durch den Begriff der Wissenskultur die Eigenheiten des Designs fassen könnte.
Gerdum Enders war spontan bereit, statt der kurz vor dem Symposium erkrankten Gesche Joost mit einem Vortrag einen Einblick in seine Arbeit zu liefern. Der an der Hochschule in Hildesheim lehrende Professor stellt einen pragmatischen Umgang mit Designtheorie vor und erklärt, wie die Lehrenden und Studierenden das Feld der Semiotik für das Produktdesign einsetzen können. Wie setzt man semiotische Codes strategisch ein? Wie codieren wir ein Symposium, die Hochschule, uns selbst? Im Zeichenforscher-Kittel semiotisch bestens ausgestattet liefert Enders Argumente und Einsichten für angewandte Designtheorie.
Bernhard E. Bürdek ist Professor und Autor zahlreicher richtungweisender Publikationen zum Thema Design. Zuletzt gab er den Sammelband ›Design, Anfang des 21. Jahrhunderts‹ heraus. Er repräsentiert den ›Offenbacher Weg‹, eine spezifische theoretische Reflexion von Design, die sich unter anderem verstärkt mit Produktsemantik befasst. Bürdek kennt die Eigenheiten der politischen Hochschullandschaft, in der die Ausbildungsstätten für Design sich profilieren wollen. In seinem Vortrag ›Arabesken zum Design‹ kritisiert Bürdek die undifferenzierte Herangehensweise an Design und Wissenschaft und plädiert dafür, dass vor einem Schritt in neu zu erfindende wissenschaftliche Paradigmen die präzise Formulierung der Disziplin Design stehen muss.
Felicidad Romero-Tejedor stellt eine Disziplin des Design vor, die sich in ausgeprägtem Maße wissenschaftlicher Methodik bedient: das Cognition Design. Anhand des gleich lautenden Studiengangs in Lübeck erklärt sie die Verschränkung von praktischer Arbeit und theoretischer Vertiefung im Curriculum. Sie zeigt auf, wo die Schwachpunkte der derzeitigen Begriffsbildung liegen und wie die Disziplin darauf reagieren könnte.
[06/07]
Thomas Fankhänel
war im Sommersemester 2011 Vertretungsprofessor im Bereich Systemdesign an der Kunsthochschule Kassel. Ihn zeichnet aus, dass er selbst einige Zeit bei Wolfgang Jonas, den er vertrat, studiert hatte, andererseits aber seine akademische Karriere in Fach Psychologie fortgesetzt hat. Anhand einer eingehenden Textanalyse konfrontiert er Aussagen von Wolfgang Jonas mit seiner eigenen wissenschaftlichen Perspektive. Dessen 48-seitige Abrechnung ›Research through Design‹ stellt in angreifbaren Thesen implizit dar, dass Design, wenn es an der Schnittstelle zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen agiert, streitbar und schlüssig argumentieren muss. Fankhänel lädt dazu ein, Jonas als Protagonisten einer designwissenschaftlichen Strömung zu diskutieren. Mit einfachen argumentativen Mitteln zeigt er, wie der Anspruch für und wider eine Wissenschaftlichkeit von Design diskutiert werden kann.
Kai Rosenstein kommt als Vertreter des ehemals an die ZHdK angegliederten Designforschungsinstitutes Design2context – ehemals, denn die ZHdK hat sich wegen der zu wenig angewandten Ausrichtung kürzlich von dem Institut getrennt. Kai Rosensteins Ansatz eines ›Concerned Design‹ ist ein Beispiel für die engagierte persönliche Forschungsarbeit, die das Institut auszeichnete. Wie intensiv ist die forschende Auseinandersetzung mit Design, wenn es keine Vorgaben gibt?
Hans Ulrich Reck
ist einer der profiliertesten Kunst-und Designtheoretiker; zahlreiche Veröffentlichungen, unter anderem mit Bazon Brock, zeigen seine unermüdliche Begriffsarbeit um die soziokulturelle Lesbarkeit von Design. In einem Gespräch tauscht er sich mit Birgit S. Bauer von www.designkritik.dk über die Grundgegebenheiten individueller und gesellschaftlicher Wissensgenerierung und deren politischer Dimension aus. Denn das Wichtigste, zeigt Reck auf, sei die Subsistenz. Wie verhandeln wir Wissen als Indiz kultureller Machtverhältnisse?
Podien Zwei Podiumsdiskussionen runden die Veranstaltung ab. In der ersten Runde mit dem Arbeitstitel ›Wissenskultur Design: Wissenschaft und Design / Hindernisse, Begriffe und Denkaufgaben‹ diskutieren die Referenten darüber, wie sie die unterschiedlichen Entwicklungen der Wissensgenerierung durch Design beurteilen. In der zweiten Diskussion ›Designwissenschaft und -forschung in der Lehre: Strukturwandel und Paradigmenwechsel‹ geht es um die konkrete Umsetzung von Designforschung an den verschiedenen Institutionen. Wie sehen die Curricula in der Praxis aus? Welche Rolle spielt der Bologna-Prozess für diese Ausbildungszyklen?
[08/09]
Claudia Mareis Dr. phil. Claudia Mareis ist Design- und Kulturwissenschaftlerin. Sie forscht derzeit bei eikones, dem Nationalen Forschungsschwerpunkt für Bildkritik an der Universität Basel, an einem Projekt zur Geschichte der Kreativitätstechniken im kurzen 20. Jh. Daneben lehrt sie Designtheorie an mehreren schweizerischen und internationalen Hochschulen (darunter Hochschule der Künste Bern, Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel, Hochschule Luzern, Humboldt-Universität zu Berlin). Seit 2008 ist sie Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung (DGTF), seit 2011 Mitglied der Fachkommission für Forschung in Kunst, Kunstwissenschaft, Design und Architektur des Schweizerischen Nationalfonds.
Im Folgenden werde ich einige Überlegungen zum Stand der Designforschung skizzieren, konkret wird die Frage erörtert, welchen analytischen Wert eine Betrachtungsweise für die Designforschung haben kann. Bekanntlich führen Fragen nach der Identität und Eigenart von Designforschung sowie zu Unterschieden im Vergleich mit benachbarten Forschungsfeldern rasch zu einer hohen diskursiven Komplexität und können den Eindruck evozieren, dass sich die einschlägigen Debatten im Kreis drehen. Diese diskursive Komplexität wird nicht selten dadurch befördert, dass ›Design‹, ›Wissenschaft‹ und ›Forschung‹ oft auf eine generalisierende Weise behandelt werden, ohne dass genauer auf historische, soziokulturelle oder pragmatische Spezifizierungen eingegangen wird. In dieser Situation lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten und genauer zu analysieren, wie sich aus der ehemals gewerblichen Designtätigkeit im Verlaufe des 20. Jh. eine neue Wissenskultur des Designs, die Designforschung entwickelt hat. Nun gibt es freilich zahlreiche Möglichkeiten, eine solche Entwicklung zu analysieren. Naheliegend wäre es, die Entwicklung von Designprofession zu Designforschung im Sinne einer historischen Topologie anhand wichtiger Etappen, wegweisender Konzepte oder herausragender Akteure der Designforschung zu skizzieren. Beispielsweise mit Blick auf das Bauhaus zu Beginn des 20. Jh., auf das internationale in der Nachkriegszeit, oder, als aktuelles Beispiel, auf die Bologna-Reform, deren Folgen für die Designausbildung wir heute noch nicht absehen können. Doch gerade um eine solche chronologisch strukturierte Darstellung der Entwicklung der Designforschung soll es im Folgenden nicht gehen. Die einschlägigen historischen Etappen sind bekannt, ebenso wurden die daraus resultierenden Spiel- und Kampfplätze vielfach schon abgesteckt.
Vielmehr interessiert mich stattdessen eine methodische Frage, nämlich ob und was eine historiographische Perspektive überhaupt zum aktuellen Stand der Designforschung beitragen kann, [10/11]
die gegenwärtig vor allem auf Praxis, Anwendung, Innovation und Zukunftsfähigkeit ausgerichtet ist. Auch wird zu präzisieren sein, welche Zugänge sich in dieser Hinsicht konkret eignen könnten. Die Perspektiven, die ich im Folgenden kurz vorstellen und zur Diskussion stellen möchte, stammen aus der historischen Diskursforschung sowie aus der Wissenschaftsforschung. Beide Ansätze liegen auch meinem Buch hauptsächlich zugrunde und wurden dort ausführlicher dargestellt.¹
Zunächst möchte ich mich der Frage widmen, wie, vereinfacht gesagt, Geschichte und Design bzw. Designforschung überhaupt zueinander kommen können. Von Gui Bonsiepe stammt der prägnante Satz, dass die Zukunft »der Raum des Design« sei, da die Vergangenheit bereits geschehen und »die Entwurfsakten somit verschlossen« seien.² Diese Aussage kann stellvertretend für eine weit verbreitete Auffassung im Design und in der Designforschung genommen werden, die impliziert, dass ›Design‹ und ›Geschichte‹ als Konzepte vermeintlich wenig miteinander zu tun haben. Im Gegenteil: Design wird in der Regel als eine zukunftsgerichtete, vorwärtsgewandte, praxisnahe, also als eine höchst dynamische Tätigkeit verstanden, während die historische Analyse tendenziell als verstaubt, rückwärtsgewandt, textlastig und passiv-rekonstruierend gilt. Christopher Frayling, von dem ein viel zitierter Text zur praxisbasierten Forschung in Kunst und Design stammt, liefert für diese Sichtweise gleich auch den passenden Beleg. Wissenschaftliche Forschung werde, so argumentiert Frayling, assoziiert mit obskuren Ecken in hoch spezialisierten Bibliotheken, in denen einsame Forscher hausten,
¹ Mareis, Claudia: Design als Wissenskultur. Interferenzen zwischen Design- und Wissensdiskursen seit 1960. Bielefeld. 2011.
² Bonsiepe, Gui: Interface. Design neu begreifen. Mannheim. 1996 [1993], S. 26. ³ Frayling, Christopher: Research in Art & Design. Research Paper. Vol. 1, Nr. 1. Royal College of Art London. 1993/94, S. 1.
demgegenüber stelle man sich Forschung in Kunst und Design als etwas vor, »what artists, craftspeople and designers do all the time«, »deeds not words«, also Taten statt Worte.³ Auch für Alain Findeli handelt das Projekt einer Designforschung »vom tätigen Leben des zeitgenössischen Menschen«.⁴ Es geht in den genannten Positionen also wesentlich um ein vom Design ausgehendes dynamisches und konstruktives Potential, das in den Debatten zu einer Forschung über, durch und mit Design eingegrenzt und bestimmt werden soll. Diese Sichtweise ist jedoch keineswegs neu, sondern hat historische Grundlagen. Bereits in der Nachkriegszeit im war das Konzept einer konstruktivistischen Designtätigkeit zentral. Der Entwurf wurde namentlich mit ›Konstruktion‹ und ›Synthese‹ in Verbindung gebracht, während Wissenschaft mit ›Analyse‹ assoziiert wurde. In dieser Lesart werden durch den Entwurf disparate, sowohl materielle wie immaterielle Gegenstände zusammengeführt und zu einer neuen, sinnstiftenden Einheit, zu einer Synthese verbunden, während die Wissenschaften ihren Gegenstand – so die Annahme – analytisch zerstückeln und ihn so bisweilen aus den Augen verlieren. Eine solche Unterscheidung findet sich etwa 1966 bei Sydney Gregory, der schreibt, dass die Naturwissenschaften »analytisch« seien, der Entwurf hingegen »konstruktiv«.⁵ Auch Herbert Simon schlägt in den 1960er Jahren in eine ähnliche Richtung ein, indem er schreibt: »The natural sciences are concerned with how things are. Design, on the other hand, is concerned with how things ought to be, with devising artifacts to attain goals.«⁶ Es geht also um die Zuschreibung einer Zukunftsfähigkeit und Zielgerichtetheit der entwerferischen und gestalterischen Praktiken.
⁴ Findeli, Alain: Die projektgeleitete Forschung: Eine Methode der Designforschung. In: Michel, Ralf (Hg.): Swiss Design Network. Erstes Design Forschungssymposium. Zürich, 2004, S. 40–51, hier S. 48.
⁵ Gregory, Sydney A.: Design and the Design Method. In: ders. (Hg.): The Design Method. London. 1966, S. 3–10, hier S. 6.
⁶ Simon, Herbert A.: The Sciences of the Artificial. Cambridge, Mass./London. 1996 [1969], S. 115. [12/13]
Die Unterscheidung zwischen einer konstruktiven, synthetisierenden Entwurfstätigkeit einerseits und den analytischen Wissenschaften andererseits hat sich erstaunlich lange gehalten – sie findet bis heute in der praxisbasierten Designforschung wieder.
Designforschung wird dort bis heute in Kontrast zu den (vermeintlich) analytischen Wissenschaften als ein alternatives, praxis- und lebensnahes Forschungsmodell projektiert. Erstaunlich ist dieser Befund vor allem, wenn man bedenkt, dass damit ein stereotypes und höchst verkürztes Bild von Wissenschaft – nämlich von Wissenschaft als Naturwissenschaft – am Leben gehalten wird, obwohl dieses von der Wissenschaftsgeschichte längst schon revidiert und aktualisiert worden ist. Ich erinnere hier exemplarisch an den Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger, der in seinen historischepistemologischen Studien zur Molekularbiologie gezeigt hat, dass und vor allem wie wissenschaftliche Experimentalsysteme erst durch materiale Prozesse des Konstruierens, Entwerfens, Synthetisierens und Realisierens konstituiert werden.⁷ Ebenso können, mit Blick auf das Design, zweifellos auch in gestalterischen Entwurfsprozessen analytische Momente und Qualitäten gefunden werden.
Die Unterscheidung zwischen ›Synthese‹ und ›Analyse‹ bzw. zwischen ›Design‹ und ›Wissenschaft‹ wird also genau in dem Moment fragwürdig, wenn man sich von den begrifflichen Kategorien abwendet und sich konkreten Praktiken zuwendet. ⁷ Rheinberger, Hans-Jörg: Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas. Göttingen. 2001. Als methodische Einführung siehe auch: ders.: Historische Epistemologie zur Einführung. Hamburg. 2007.
Ich will damit nicht sagen, dass solche Begriffsdefinitionen sinnlos wären. Sie können im Gegenteil sehr wohl als produktive Modelle fungieren, um damit gewisse Sachverhalte heuristisch zu erhellen und zu klären. Was bei der Arbeit mit solchen Modellen aber oft vergessen wird, ist, dass Modelle bzw. Begriffe keine derart existente Wirklichkeit abbilden und kein ›wahres Wesen‹, eine Essenz ihres Gegenstandes freilegen, da Essenzen– ebenso wie die Begriffe und Modelle, mit denen sie erfasst werden sollen – von Menschen erzeugte Dinge sind. Arthur Lovejoy hat diesbezüglich treffend angemerkt: »Die Welt der konkreten Dinge ist kein getreues Abbild des Reiches der Essenzen. Die Merkmale und das Ausmaß an Inhalt und Vielfalt, die sie besitzt, hat sie zufällig. [...] Sie ist nun einmal eine Welt der Kontingenz.«⁸ Doch ungeachtet dieser Einsicht wird die Frage, was Designforschung sei, oft essentialistisch gestellt. Es wird nach einem ihr zugrunde liegendem Wesen, einem zentralen Kern oder einem essentiellen Alleinstellungsmerkmal der Designforschung gefragt. Eine solche Herangehensweise bringt fast unweigerlich mit sich, dass zunächst bestimmte – und zwar nicht wenige – Begriffe und Relationen definiert, bzw. Unterscheidungen getroffen werden müssten, bevor von Designforschung in einem theoretischen Sinne gesprochen werden könnte. So stehen etwa folgende, hinlänglich bekannte Bestimmungen und Unterscheidungen im Raum: zwischen Designpraxis und Designtheorie, zwischen Wissenschaft und Forschung, zwischen Design und Wissenschaft sowie zwischen Analyse und Synthese. Ebenfalls stehen unterschiedliche Forschungsmodelle zur Auswahl, etwa Grundlagenforschung, angewandte Forschung, anwendungsorientierte Grundlagenforschung, Designforschung, künstlerische Forschung, praxisbasierte, projektbasierte Designforschung, Forschung über, durch und mit Design… Verstehen Sie mich nicht falsch: All diese Identitäts- und Differenzbestimmungen machen für Designforschende durchaus Sinn, um den eigenen Standort und die eigene Position innerhalb von aktuellen Wissensdebatten zu verorten. Sie werden jedoch dann problematisch, wenn in Vergessenheit gerät, dass es sich dabei bloß um Modelle handelt, also um künstliche Schubladen, in welche die Welt nie gänzlich hineinpassen kann; wenn in Vergessenheit gerät, dass Modelle selbst Bestandteile von multiplen Aushandlungsprozessen sind, seien sie sozialer, kultureller oder ökonomischer Art. [14/15]
Kontingent bedeutet in diesem Zusammenhang auch, dass die Art und Weise, wie wir heute über ›Design‹, aber auch über ›Forschung‹, ›Wissenschaft‹ und ›Wissen‹ sprechen, weder zwingend ist, noch eine überzeitliche und allgemeingültige Essenz ihres Gegenstandes darzustellen vermag.
Seite 15:
⁸ Lovejoy, Arthur O.: Die große Kette der Wesen. Geschichte eines Gedankens. Frankfurt/Main. 1993, S. 397.
Dieser Hinweis auf die historische, soziokulturelle Konditionierung von Wissensdiskursen mag für Historiker/innen und Soziologen/innen banal klingen, er wird indes in den aktuellen Debatten rund um die Designforschung wenig beachtet – mit eben dem Hinweis darauf, dass Design zukunftsgerichtet sei und nicht in der Vergangenheit stattfinde.
Eine solche Geschichtsvergessenheit kann in der Designforschung etwa dann beobachtet werden, wenn Design in einem naturalistischen Sinne definiert wird. Zur Verdeutlichung dieses Punktes möchte ich exemplarisch Nigel Cross’ Buch zitieren – es wären aber ebenso gut auch andere Autoren möglich. Cross postuliert darin, dass man axiomatisch, also grundlegend, davon ausgehen müsse, dass es designspezifische Formen des Wissens gebe, die sich von anderen Wissensformen in den Wissenschaften und den Künsten unterscheiden: »Design has its own distinct ›things to know‹, ways of knowing them, and ways of finding out about them.«⁹ Cross spitzt den von ihm beschwörten epistemologischen Sonderstatus von Design noch weiter zu, indem er konstatiert, dass bislang »zwei Kulturen« das Bildungswesen dominiert hätten, die Wissenskulturen der Natur- und Geisteswissenschaften. Dabei sei aber das Design als »dritte Wissenskultur« vernachlässigt worden. Entsprechend dieser Prämisse entwickelt er die vielfach zitierten Konzepte der , bzw. eines genuinen Designwissens . Für unsere Fragestellung ist von Interesse, auf welche Weise er die Eigenständigkeit eines solchen Designwissens argumentiert. Er tut dies nämlich, indem er Design als anthropologische Konstante auffasst, indem er also behauptet, dass entwerferische bzw. gestalterische Fähigkeiten und Fertigkeiten ›von Natur aus‹ gegeben seien und Bestandteil einer natürlichen conditio humana seien: »The ability to design is a part of human intelligence, and that ability is natural and widespread amongst the human popu-
⁹ Cross, Nigel: Designerly Ways of Knowing. London. 2006, S. 1. [16/17]
lation.«¹⁰ Andernorts beschreibt er diesen Gedanken noch prägnanter mit der Formel »Design ability is a form of natural intelligence.«¹¹ Hier trifft genau das zu, was Roland Barthes über den Mythos der conditio humana geschrieben hat: dass sich dieser sich auf eine sehr alte Mystifikation stützt, die seit jeher darin besteht, »auf den Grund der Geschichte die Natur zu setzen.«¹² Der Mythos entzieht also »dem Objekt, von dem er spricht, jede Geschichte«¹³ und gibt stattdessen ein vermeintlich »natürliches Bild des Realen« wieder.¹⁴ Überträgt man diese Sichtweise auf das Konzept der designerly ways of knowing, dann wird ersichtlich, dass zur Legitimierung eines eigenständigen Designwissens eine Naturalisierung des Designs behauptet wird, die einhergeht mit seiner Enthistorisierung.
An die Stelle von kultur- und designhistorischen Analysen tritt nunmehr eine epochenübergreifende, universalistische Erzählung von Design als naturgegebeneM Talent. Vergessen werden dabei aber all die komplexen soziokulturellen Prozesse, Regeln, Techniken sowie die Personen, Orte und Materialien, die den Erwerb von gestalterischen Fertigkeiten überhaupt erst ermöglichen.
Das Naturalisierungsmotiv ist jedoch nur ein Leitmotiv unter vielen, die das Verständnis von Design in der Designforschung heute prägen.
¹⁰ Ebd., S. 100. ¹¹ Cross, Nigel: Natural Intelligence in Design. In: Design Studies. Vol. 20, Nr. 1. 1999, S. 25–39, hier S. 31. ¹² Barthes, Roland: Mythen des Alltags. Frankfurt/Main. 1964, S. 17. ¹³ Ebd., S. 141. ¹⁴ Ebd., S. 130.
In meinem Buch Design als Wissenskultur habe ich einige solcher Leitmotive thematisiert und anhand von Schlüsseltexten der Designforschung herausgearbeitet. Neben dem bereits genannten Motiv der ›Synthese‹ gehören dazu auch Motive wie ›Innovation‹, ›implizites Wissen‹ oder ›Praxis‹.¹⁵ Namentlich das Motiv der ›Praxis‹ fungiert heute als richtungweisendes Konzept der Designforschung. Dabei geht es um weitaus mehr als um die affirmative Frage, auf welche Weise und in welchen Kontexten praxisbasierte Forschung zur Anwendung kommen kann. Vielmehr verdichtet sich in dem Praxismotiv ein grundlegender Wertediskurs mit distinkten Sprachregelungen und sogar Sprechverboten – ein Umstand, den auch Clive Dilnot kommentiert hat. Seiner Ansicht nach leidet das Design nicht nur darunter, dass es von Seiten anderer Wissenschaften zu wenig akademische Anerkennung erhält, sondern auch, dass viele Designpraktizierende nur das unter ›Design‹ verstehen wollen, was sie selbst bereits tun. »This strategy has enormous advantages for designers. It immediately reduces design as a whole to what they are doing at any moment in time«, so Dilnot.¹⁶ Nimmt man seine Aussage ernst, kann vermutet werden, dass die derzeit zu beobachtende forcierte Praxisnähe der Designforschung auch einen stabilisierenden Effekt auf die Designpraxis aufweist. Unter Vorbehalt dieser Prämisse wäre im Weiteren danach zu fragen,
ob die praxisbasierte Designforschung tatsächlich ein avanciertes Modell von Forschung darstellt; oder ob darin nicht vielmehr ein traditionelles Modell von Praxis konserviert wird.
¹⁵ Siehe Mareis: Design als Wissenskultur. 2011, 3. Kapitel. ¹⁶ Dilnot, Clive: The State of Design History. Part II: Problems and Possibilities. In: Margolin, Victor (Hg.): Design Discourse. History. Theory. Criticsm. Chicago/London. 1989, S. 233–250, hier S. 233.
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Wie auch immer man sich zu dieser Frage stellen mag, so legt Dilnots Aussage doch zumindest nahe, dass in einem Diskurs wie der Designforschung, in dem Praxis und Forschung derart eng miteinander verwoben sind, es keineswegs unerheblich ist, was explizit, vielmehr aber noch implizit, unter ›Praxis‹ verstanden wird. Anders formuliert, prägt das Verständnis dessen, was aus historischer Sicht als ›gute‹, ›richtige‹ oder ›gültige‹ Designpraxis bewertet wurde, auch (oft in unausgesprochener Weise) die Konzepte der Designforschung heute und wäre dementsprechend als ein historischer Wertediskurs kenntlich zu machen.
Die genannten Leitmotive ordnen also den Designforschungsdiskurs auf eine bestimmte Weise, und sie tun dies nicht nur auf der Ebene von Text oder Sprache. Vielmehr greifen sie grundlegend in die Art und Weise ein, wie wir heute Design erforschen und welche Forschungsmodelle dabei bevorzugt werden. Wenn man das Vokabular der Diskursforschung verwendet, dann könnte man anstelle von Leitmotiven auch von ›diskursiven Regelmäßigkeiten‹ sprechen. Darunter versteht man Aussagen, Begriffe und Konzepte, die sich in einem Diskurs häufig wiederholen und diesen so als sinn- und ordnungsstiftende Elemente stabilisieren und strukturieren.¹⁷ Die Stabilisierung und Strukturierung erfolgt bezeichnenderweise eher implizit als explizit. Die diskursiven Regelmäßigkeiten werden oft als gegeben angenommen, oder, mit Bezug auf Roland Barthes, sie werden als ›naturgegeben‹ vorausgesetzt. Wenn ich von Diskursen spreche, so ist damit aber nicht einfach ein praxisfernes Sprechen über die Dinge gemeint. Folgt man Michel Foucault, dem wichtigsten Diskurshistoriker des 20. Jh.,
¹⁷ Sarasin, Philipp: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. Frankfurt/Main. 2003, 48 f.
dann sind Diskurse selbst als Praktiken zu verstehen, »die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen«.¹⁸
¹⁸ Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. Frankfurt/Main. 1981, S. 74. 20/21]
In diesem Sinne gibt es weder ein Sprechen, das von bestimmten historischen Praktiken unbeeinflusst bleibt, noch gibt es geschichtslose und diskursfreie Praktiken. Mit Blick auf die Designforschung hält eine diskurshistorische Perspektive produktive Möglichkeiten bereit, für das Design zentrale, aber dennoch unausgesprochene Leitmotive zu thematisieren und somit der wissenschaftlichen Kritik und Verhandlung zugänglich zu machen. Eine diskurshistorische Sichtweise auf die Geschichte des Wissens bringt aber auch mit sich, dass bestehende disziplinäre Grenzen und Wissensordnungen grundlegend in Frage gestellt werden.
Wissensgeschichte verläuft nicht, wie es Foucault wiederholt gezeigt hat, entlang von festgelegten Disziplingrenzen oder Praxis-TheorieDichotomien, sondern entfaltet sich quer zu bestehenden Ordnungen des Wissens und betrifft Randbereiche des Wissens, die nicht akademisch valorisiert sind.
Damit würde sich zum Beispiel der notorisch beschworene Graben zwischen Designtheorie und Designpraxis sowie überhaupt die Grenzen zwischen Design, Kunst und Wissenschaft als durchgängig, vielleicht sogar als obsolet erweisen. Obsolet in dem Sinne, dass diese Grenzen in der Diskursgeschichte selbst als historisch kontingente und somit potentiell veränderliche Grenzen lesbar gemacht werden. Auch die Vorstellung einer kausalen, teleologischen Geschichte sowie in letzter Konsequenz auch die Idee eines explizit wissenden Subjekts werden bei einer solchen Herangehensweise in Frage gestellt. Nach Foucault werden Menschen in bestimmte Diskurse hineingeboren, folglich bestimmen diese Diskurse das menschliche ›Machen‹ und damit auch die Geschichte dieses Machens grundlegend mit. Entsprechend stellt sich die historische Analyse eines Diskurses nicht als »eine Theorie des wissenden Subjekts« dar, sondern als »eine Theorie diskursiver Praxis«.¹⁹ Neben der historischen Diskursanalyse lassen sich auch in der Wissenschaftsforschung verwandte Ansätze finden. Die Wissenschaftssoziologin Karin Knorr Cetina hat die Komplexität von Wissensdiskursen als »Konstruktionsmaschinerien des Wissens« beschrieben, als Gefüge von Konventionen und Instrumenten, die sich als organisiert, dynamisch, aber eben auch nur als teilweise reflektiert erweisen und die von einzelnen Personen selbst nur begrenzt bestimmt werden können.²⁰ Ihre Aussage lässt sich dahingehend deuten, dass möglicherweise gerade diejenigen Akteure, die am tiefsten in diese Wissensmaschinerien involviert sind, am wenigsten Auskunft über ihr Wissen und seine Entstehungsbedingungen geben können.
¹⁹ Foucault: Archäologie des Wissens. 1981, S. 15. ²⁰ Knorr Cetina, Karin: Wissenskulturen. Ein Vergleich naturwissenschaftlicher Wissensformen. Frankfurt/Main. 2002, S. 23.
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Was aber bedeutet das Gesagte nun für die Designforschung? Können unter diesen Umständen überhaupt Schlüsse über das Design gezogen werden? Vor allem ist die Frage zentral, ob und auf welche Weise mit Blick auf das Gesagte dennoch das ›Spezifische‹, das ›Charakteristische‹ an Design und Designforschung benannt können – wenn man eine essentialistische Engführung oder eine ahistorische Theoriebildung vermeiden will. Ein Vorschlag, der in dieser Hinsicht produktiv sein könnte, bezieht sich auf das Konzept der Wissenskultur von Karin Knorr Cetina. In ihrem Buch geht sie der Frage nach, worin sich benachbarte Wissensformen in den Wissenschaften unterscheiden und wie ihre Beschreibung in einer nicht-essentialistischen Weise angegangen werden kann. Sie plädiert dafür, »eine komparative Optik als Paradigma des Sehens« zu benutzen, um so benachbarte, jedoch verschiedene Wissensformen miteinander zu vergleichen und ihre jeweiligen kulturellen Charakteristiken zu benennen.²¹ Als ›Wissenskultur‹ bezeichnet sie »diejenigen Praktiken, Mechanismen und Prinzipien, die gebunden durch Verwandtschaft, Notwendigkeit und historische Koinzidenz, in einem Wissensgebiet bestimmen, wie wir wissen, was wir wissen«.²²
Mit dem Begriff der ›Wissenskultur‹ wird also einerseits auf die konkreten Praktiken der Wissenserzeugung aufmerksam gemacht, andererseits wird damit zugleich die historisch-kulturelle Dimension von Wissen adressiert.
²¹ Knorr Cetina, Karin: Wissenskulturen. 2002, S. 15. ²² ebd., S. 11.
Folgt man Knorr Cetina, so bereichert die Anbindung an den Kulturbegriff den Wissens- und Praxisbegriff in mehrerlei Hinsicht: Erstens verweist der Kulturbegriff »auf die Brüche in der Einheit und Einförmigkeit von Praxis«, zweitens auf verschiedenartige komplexe Muster, »die sich in lebensweltlichen Zusammenhängen überlagern und anhäufen« und drittens fügt der Kulturbegriff dem Wissens- und Praxisbegriff eine »Sensibilität für Symbole und Bedeutungen« hinzu.²³ Das heißt, Wissen und Praktiken werden als situierte Phänomene innerhalb bestimmter Kontexte und Situationen definiert, nicht jedoch in einer allgemeingültigen Weise. Für die Designforschung könnte diese Konzeption von Wissen beispielsweise bedeuten, dass so basale Annahmen wie das Konzept der »bösartigen Probleme« von Horst Rittel,²⁴ die generalistische Designdefinition von Herbert Simon²⁵ oder aber das Konzept eines »reflektierten Praktikers« von Donald Schön²⁶ nicht unhinterfragt als allgemeine Befunde über die Designpraxis von der Designforschung übernommen werden dürfen, sondern dass diese Annahmen und Konzepte ihrerseits einer historischen Kontextualisierung bedürfen und als historische Konzepte gelesen werden sollten. Konsequenterweise werden so historische Einflüsse bedeutsam, die zu einer bestimmten Zeit zwar zentral für das Verständnis von Design und Wissen waren, die aber heute womöglich einer Aktualisierung bedürfen. Solche Einflüsse wären in der Nachkriegszeit etwa das militärisch-technologische Wettrüsten im Kalten Krieg, die utilitaristischen Modelle der Kreativitätspsychologie, die interdisziplinäre Epistemologie der Kybernetik, strukturalistische Entwurfsmodelle, Konzepte von Wissens- und Expertengesellschaften oder auch die virulente Debatte zu den unvereinbaren Kulturen der Natur- und Geisteswissenschaften. Nimmt man also eine historisch-vergleichende Sicht auf die Designforschung ein, dann würde sich zeigen, dass Designforschung nicht als ein epistemologischer Sonderfall und das Wissen im Design nicht als eine kategorisch oder essentiell gesonderte Wissensform zu verstehen ist.
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Vielmehr sind in dieser Sichtweise Fragen nach den konstitutiven Wissensbeständen des Designs ohne die Betrachtung von diskursübergreifenden Entwicklungszusammenhängen sowie ohne vergleichende Analyse von spezifischen, soziokulturellen und materialen Praktiken kaum zu beantworten.
Seite 25
²³ Knorr Cetina, Karin: Wissenskulturen. 2002, S. 21 f. ²⁴ Rittel, Horst; Webber, Melvin: Dilemmas in a General Theory of Planning. In: Policy Sciences. Vol. 4. 1973, S. 155–169.
²⁵ Simon, Herbert A.: The Sciences of the Artificial. Cambridge, Mass./London. 1996 [1969], S. 111 ff.
²⁶ Schön, Donald: The Reflective Practitioner. How Professionals Think in Action.New York. 1983.
Will die Designforschung an einer zeitgemäßen Geschichtsschreibung des Wissens partizipieren, so wird sie meines Erachtens kaum umhin kommen wird, sich über praxisbasierte und angewandte Fragestellungen hinaus auch in einer differenzierten und kritischen Weise mit den Kriterien und Werten, aber auch mit den Mythen und Kulturen des wissenschaftlichen und gestalterischen Arbeitens auseinanderzusetzen. Das bedeutet nicht, dass alle Designforschenden zu Historiker/innen mutieren sollen, oder dass man allein von der Geschichte lernen sollte. Vielmehr geht es um die sehr viel grundlegendere Einsicht, dass nicht nur aktuelle Texte als historische Texte lesbar gemacht werden können, sondern dass ebenso in aktuellen Praktiken historische Praktiken weitergeführt werden. Dahinter steht in letzter Konsequenz die Frage: Wie genau kam es, dass bestimme Vorstellungen von Design und Wissen so dominant für unser heutiges Verständnis der Designforschung geworden sind? Und wie würde sich die Designforschung in Zukunft verändern, wenn wir mehr über ihre Vergangenheit wüssten?
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Gerdum Enders stellt die Stationen seiner Karriere so dar: »Abitur, Surfboard-Designer, Aufnahmeleiter bei der documenta 8, Studium der Wirtschaftswissenschaften – mit Diplom in der Tasche kam ich 1988 zur Swatch AG (CH). Mein erstes Konzept liegt heute noch bei mir in der Schublade: Das Projekt 5 Jahre Swatch / 50 Millionen Uhren führte via Swatch Newseum geplant zum Sammelkult. Marketing für Design – geht doch. Darüber ›masterte‹ ich dann noch mein zweites Diplom: Design als psychologische und ökonomische Determinante des Marktes. Mit diesem Know-How wurde ich Design Consultant, u. a. bei Thonet, Vorwerk, Vobis, Carrera und Leonardo. In einem Sabbatical folgte die theoretische Reflexion: Meine Dissertation führte zu meinem ersten Buch über DesignMarketing & -Management (s.u.).
Mein Forschungsinteresse liegt in der angewandten Semiotik. Hierzu habe ich ein Expertennetzwerk gegründet. Global Mind Network integriert durch die geschützte Methodik ›Systemcoding®‹ Marketing, Design und Technik. Zielsetzung ist evolutionäres Management von Zeichensystemen: Produkte, Marken, Architektur und Kommunikation.« Seminare Transdisziplinäre Design-Seminare und integrative Projekte mit hohem Praxisbezug Publikationen * Design als Element wirtschaftlicher Dynamik: Ansätze zu einer Theorie des Produkt-Design im Kontext einer kulturell und semiotisch verstandenen Information und Kommunikation, Wissenschaft und Kunst (Kasper, Schröer, Wand-Wittkowski 1999) * Forschung erfolgreich vermarkten. Ein Ratgeber für die Praxis (mit Hans Olaf Henkel und Thomas Brand, Springer 2003) * Bedeutungsmanagement für Produkt und Kommunikation. Die Zeit der Zeichen: angewandte Semiotik im Marketing (Logos 2006) * Design Zoom. Talking, Writing, Thinking about Future Needs (hg. von Gerdum Enders, Sabine Foraita, Dominika Hasse (Fruehwerk 2010) * Der Zukunftscode: Evolutionäre Strategien für Marketing, Design, Technik, von Gerdum Enders und Dirk Hampel (Fruehwerk 2011)
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Protokoll von Lion Wolff
Gerdum Enders behandelt das Thema Kultur und Praxis. Er bezeichnet sich selbst als Grenzgänger, da er sich mit den Themen Entwerfen, Planen, Forschen, Design, Marketing und Technik beschäftigt. Enders studierte Wirtschaft und ist Stiftermitglied im ›Rat für Formgebung‹ und Mitglied in der ›Deutschen Gesellschaft für Semiotik‹. »Wir nehmen Zeichen wahr, diese werden dann verarbeitet. Darum geht es bei Design«. Semiotik ist die Lehre der Zeichen, erklärt er gleich zu Anfang. Alles sei codiert und habe eine Bedeutung. »Es klingt sehr einfach bis banal, aber hat man es erst mal verstanden, kann die Nutzung der Semiotik sehr mächtig sein.« Kulturelle Regeln wirken überall im Hintergrund und weisen bestimmte Verhaltensmuster auf, wie zum Beispiel, dass der Chef eines Unternehmens das größere Auto fährt. Die Art der Kleidung, das Auto, das ich fahre, wie ich lebe – das sind alles Codes, so Enders. In einer Gesellschaft des Überflusses müsse sich ein Produkt durchsetzen und auf eine bestimmte Zielgruppe hin zwischen den anderen Produkten einordnen. Ein Produkt braucht also einen Code, um sich am Markt zu behaupten. Das kann durch Zeichen wie Form, Farbe, Packaging erreicht werden. Eine Wasserflasche unterscheidet sich von anderen Wasserflaschen erst einmal durch ihr Etikett. Natürlich sind auch neuronale Zeichen wie akustische Codes sehr wichtig, da das Auge heutzutage sehr überlastet sei. Es ist eigentlich, so Enders, ganz einfach: Der Kunde hat ein Gehirn, empfängt ein Zeichen und verarbeitet dieses. Dann stellt sich die Frage: »Welches ist der richtige Code?« Ein sinngemäßer, also bedeutungsvoller Code sei wichtig, sagt Enders. Die wiederkehrende Frage des Gefallens oder Nicht-Gefallens ist sekundär, wichtig ist die Gliederung in Wahrnehmungsmuster, Denkmuster und Handlungsmuster. Diese drei Muster wirken immer zusammen und sind signifikant für die Entscheidung, ob etwas gefällt. Idealerweise senden der Produktcode und der Kommunikationscode dieselbe Bedeutung. Aber welche Bedeutung ist die richtige in unserer Kultur, in unserer Zeit? Enders arbeitet mit seinen Kollegen, indem sie immer wieder dieselben
drei Fragen stellen: »Wer sind wir? Wer sind die Anderen? Wo wollen wir hin?« Es gibt also auf der einen Seite den Nutzer, der ein sinnvolles Produkt sucht, auf der anderen Seite gibt es Unternehmen, die Innovationen schaffen wollen. Immer öfter gibt es auch die sogenannten Co-Creations: Hier arbeiten Nutzer und Unternehmen zusammen. »Wie reduziere ich Komplexität? Idealerweise so, dass ich auf eine einfache Codierungsregel komme. Das heißt, Produkte, Kommunikation und Architektur gehorchen einer Regel.« So schildert Enders die größte methodische Herausforderung seines Ansatzes. An zwei Beispielen verdeutlicht er diesen Ansatz: Der Glasvertrieb ›Leonardo‹ beispielsweise hatte die Botschaft »Glasgeschenke zum Träumen«. Der neue und evolutionär geklärte Code fokussiert heute die Marktwerte Emotion, Inspiration und Qualität: »Diese drei Dinge sollen immer erfahrbar und erlebbar sein, wenn man mit Leonardo zu tun hat.« Aber wenn man sich die Zielgruppen genauer anschaut, was bedeutet Leonardo dann für wen? Es müssen verschiedene Zeichen für verschiedene Zielgruppen gesetzt werden, damit das Unternehmen überleben kann. Das Unternehmen ›Leonardo‹ habe zum Beispiel ein repräsentatives Gebäude erbauen lassen, dessen Architektur ebenfalls der Methode der Codierung von Wertbegriffen gehorcht. Das Gebäude sei qualitativ hochwertig, wenn man durchgehe, erwecke es Emotionen. Und wenn man dort ankommt, werde man inspiriert. Es sei also komplett und ganz bewusst nach den Unternehmenswerten durchcodiert. Brandland nennt man das in der modernen Design- und Markensprache. Als zweites Beispiel zeigt Enders einen modernen Kamin namens ›xeoos‹. Dieser habe die Marktwerte innovativ, ökologisch und faszinierend. Enders erklärt die Kommunikationsidee der Werbung und die einzelnen Bestandteile des Kamins. Er zeigt, wie ganz bewusst auf moderne Materialien und eine besondere Werbekampagne gesetzt wurde und dass diese Zeichen die Marktwerte repräsentieren. Am Ende seines Vortrags möchte Enders seinen Zuhörern drei wesentliche Punkte mitgeben: »Zeichendenken hilft – Semiotik funktioniert! – Alles hat Bedeutung!«
»Denken Sie Design als Code!« [30/31]
Bernhard E. Bürdek studierte Produktgestaltung an der HfG Ulm, an der Werkkunstschule Kassel und am Institut für Umweltplanung Ulm, danach BWL/VWL an der Universität Stuttgart. Er lehrt an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main Designtheorie und Designmethodologie. Gastdozenturen führten ihn nach Brasilien, Mexiko, Rumänien und Taiwan, Vortragsreisen durch Europa, Asien, Lateinamerika und in die USA. 1990 war er Mitbegründer des Designbüros Vision & Gestalt in Obertshausen, in dem Projekte aus den Gebieten Produktdesign, Interface/Interaction und Design-Kommunikation für nationale und internationale Klienten durchgeführt werden. Bernhard E. Bürdek ist Autor mannigfaltiger Publikationen, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Zuletzt erschien von ihm: Design, Anfang des 21. Jahrhunderts (hg. zusammen mit Petra Eisele, Ludwigsburg 2011, av edition). Er ist ständiger Berater der form – Zeitschrift für Gestaltung.
Protokoll von Martin Holzhauer
»Ich möchte mit einem Buch anfangen, das mich tief beeindruckt hat: Mateo Kries' ›Total Design. Die Inflation moderner Gestaltung‹ ist im letzten Jahr erschienen. Jenseits mannigfaltiger Fehler ist es kaum glaublich, wie man heute Bücher so ganz ohne Lektorat herstellen kann. Kries dokumentiert, was Gert Selle schon vor 20 Jahren geschrieben hat: Unser gesamtes Leben wird von Design vereinnahmt. Für die Massenmedien muss Design einfach stylish sein, dann kommen die Produkte von den jungen Designer auch in die Magazine. Aber so viele Young Talents, wie es heute anscheinend gibt, haben wir bisher nie gesehen. Und spätestens nach einem Jahr sind die wieder alle vergessen. Das Zeitalter der Beschleunigung ist auch im Design einfach nicht mehr zu stoppen. Aber das Design trägt ja selbst maßgeblich dazu bei: Der Text von Mateo Kries bleibt auch an der Stelle, an der er als Ausweg aus der Designinflation die Rettung im Sozialen sieht, reichlich dümmlich – aber das hatten wir auch schon in den 1960er und 1970er Jahren. Der nächste Schritt war dann das Design für die Dritte Welt – Viktor Papanek lässt grüßen – und auch Papanek wird momentan wieder recycelt. Obwohl, wie mein Lehrer Gui Bonsiepe einmal sagte: ›Was der Papanek produziert hat, das war Bombast aus Pappe.‹ Nach dieser Einleitung zunächst einmal ein paar übergeordnete Aspekte. Denn wir müssen uns schon im Vorfeld drüber im Klaren sein, über welche Art von Design wir hier und heute überhaupt sprechen wollen.«
Im Übergang vom 20. ins 21. Jahrhundert zerfällt das Design in zwei große Bereiche: In ein technisch- oder Hightech-orientiertes und in ein kunsthandwerkliches Design. Das kunsthandwerkliche Design basiert auf individuellen Rückzügen ohne gesellschaftlichen Hintergrund. Basis sind die Begehren, die laut Gernot Böhme gar nicht befriedigt werden können, sondern allenfalls neue Begehren erzeugen. In den allermeisten [32/33]
Designdiskursen geht es allerdings um individuelle Ausdrucksformen, mit vermeintlichen Übergängen von Design zur Kunst. Das technisch orientierte Design ist stärker an Technologie und Gesellschaft orientiert, so beispielsweise die ökologische Moderne oder Fragen nach Open Source-Modellen. Die Designer sind hier nicht mehr die Erfinder, sondern die Designer sind die Interpretanten der Technik.
»Im Mittelpunkt steht die These: ›Design kann als die Hermeneutik der Technik verstanden werden.‹« Beispielsweise sieht der neue chinesische Hochgeschwindigkeitszug noch den Zügen von Siemens sehr ähnlich – in zehn Jahren wird sich das geändert haben. Die Firma Linde gewinnt mit einem »semantisch aufgeladenen Gabelstapler« (»Transportferrari«) den Red Dot Award, genau wie ein »kongenialer Stahlfeinblechstuhl«, hergestellt von Wilkahn, entworfen von Stefan Diez. Hier wird die These untermauert, dass Design die Hermeneutik der Technik ist, »denn es geht immer um technologische Innovationen und deren produktsemantische Interpretationen.« Paul Flowers, Chef des Grohe Design Team, kommt der deutsche Stil sehr entgegen, an der Hochschule von Newcastle musste er jede Designentscheidung begründen. Donald A. Norman plädiert für die Ausbildung neuer Designer und fordert, dass Design nicht mehr an Kunsthochschulen vermittelt werden sollte. Dieses naturwissenschaftlich-sozialwissenschaftlich basierte Design ist allerdings etwas zu einseitig. Offenbach entschied sich für eine stärker geisteswissenschaftliche Orientierung.
Designtheorie wird meist von Nichtdesignern betrieben. Sie schreiben darüber verschiedenste Texte und Bücher, die häufig keine Wirkung haben.
»Designtheorie sollte eigentlich von Designern entwickelt werden. Aber aufgrund deren allgemeiner Sprachlosigkeit oder sogar weitgehender Unfähigkeit, mit Sprache umzugehen, übernehmen das dann gerne Andere […] Aber das beginnt sich mit den jungen Doktoranden endlich zu verändern.« Als Vergleich dazu wird in der Physik zwischen theoretischer Physik und Experimentalphysik unterschieden. Theoretische Grundlagen werden mathematisch begründet, oder aber: Thesen führen zu einer neuen Theorie, die experimentell überprüft werden kann. Experimentalphysik leitet aus ihren Beobachtungen empirische Modelle ab. Die Theoretische Physik beschreibt Gesetzmäßigkeiten der Physik.
Kann eine Theorie in der Physik nicht experimentell bestätigt werden, so muss sie verworfen werden. »Wenn man […] das auf das Design überträgt, sind 95 Prozent der Theorien für die Mülltonne. Sie haben experimentell oder in der Praxis keinen Bestand. Physiker würden allerdings auch nicht zulassen, dass Nicht-Physiker ihre Theorien entwickeln.«
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Die analoge Umsetzung im Design setzt allerdings eine genauere Definition von Design voraus, wovon wir noch zu weit entfernt sind. »Die Postmoderne wurde zum Tummelfeld von Sozial-, Kultur-, Medien-, Literatur- und anderen Wissenschaften.« Die haben allerdings keine Erfahrung mit Design oder damit, was Design in der Praxis ist und eigentlich tut.
Die Frage nach der Disziplin ist in der deutschen Diskussion noch nicht angekommen. Es entstanden »unsägliche Debatten [über] Inter-, Trans-, Multidisziplinarität«. Forscher werden allerdings für ihre disziplinäre Forschung bezahlt (Manfred Fassler).
Interdisziplinarität kann erst entstehen, wenn das Design eine eigene Disziplin entwickelt hat. Im Design geht es um die Produkte und die Gestaltung; es geht schlicht um die »Frage von Form und Kontexten«. Im Bericht des Expertengremiums ›Nationale Plattform Elektromobilität‹ beispielsweise sieht man, dass in diesem Bereich kein Designer tätig wird. Für die Designer bleibt die Gestaltung der Ladestationen.
»Die Frage der technologischen Komplexität ist derart gestiegen, dass ein ernsthaftes Einmischen weit auSSerhalb der Reichweite von Designern liegt.«
Design ist die Hermeneutik der Technik. Gerade der neu entstehende Markt der Elektrofahrzeuge wird ein neues Feld für die Designer werden. »Dabei geht es nicht um Erfindungen, sondern um produktsemantische Interpretationen neuer Fahrweisen und Ausdrucksformen für diese Elektroflitzer.« In diesem Zusammenhang steht einer der gravierendsten Designirrtümer: »Lucius Burkhardts These ›Design ist unsichtbar‹ geistert ja immer noch durch die Köpfe der Designer.« Diese These wurde 1980 aus der Systemtheorie abgeleitet und sollte eigentlich nur bedeuten, dass sich Designer auch über die sozialen, ökologischen und ökonomischen Bedingungen ihrer Arbeit und deren Folgen im Klaren sein sollten. Lucius Burkhardt war allerdings Soziologe und »verstand von Formen gar nichts«. Von den Designern wurde diese These »jahrzehntelang nachgeplappert«. Das Gegenteil ist der Fall:
»Design macht sichtbar.«
»Anfang Mai 2011 fand in Weimar die Tagung der Gesellschaft für Designgeschichte statt. Dort wurde unter anderem auch über die Frage referiert, wie groß in China bestimmte Elemente von Audi-Fahrzeugen eigentlich sein durften, um auf dem dortigen Markt erfolgreich zu sein. Und warum die dortigen Automobile 10 Zentimeter länger sein müssen als in Europa. Designwissenschaft ist ein hocheloquentes Thema. Was das eigentlich ist, ist ja recht einfach. Mein verehrter akademischer Lehrer Siegfried Maser sagte einmal: ›Wissenschaft ist etwas, was Wissen schafft.‹ Auf der Diskussion ›Vier Positionen zum Design‹ sagte der Kollege Ostmann: ›Das muss hier nochmal mit aller Härte gesagt werden:
Es kann keine Wissenschaft ohne klar umrissenen Gegenstand geben!
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Wenn Design der Gegenstand von Designwissenschaft sein soll, dann sollte man sich zunächst überlegen, wie man Design definiert.‹
Noch ist das Gebäude der Designwissenschaft ein improvisierter Rohbau. Diese Fachwissenschaft muss erst mal entsprechende Terminologien und Theoriebildungen entwickeln. So schreibt Hans Ulrich Reck in der Zeitschrift formdiskurs (Heft 1, I/1996): ›Design wird kaum je den Punkt erreichen, an dem allein die konsequente Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse automatisch perfektes Design ergibt.‹ Zu viele Kulturen bleiben auch in diesen Disziplinen unerforscht. Selbst wenn alle Designfaktoren rational erschlossen wären, würde allein die ungeheure Menge an Information derzeit nur intuitiv zu bewältigen sein.
Dennoch ist Industriedesign heute dort, wo die Medizin sich vor 500 Jahren befand. Wir müssen endlich das Zeitalter der Kurpfuscher und Bader hinter uns bringen und lernen, unsere Arbeit mit diesem Nachdruck und mit Argumenten zu untermauern. «
»Auch die Designforschung sollte ein Prozess sein, in dem man sich an den epistemischen Dingen, also an den erkenntnistheoretischen Punkten abarbeitet.
Wenn Designer forschen, so muss es eine Erkenntnis ergeben.« Forschung soll Wissen und Erkenntnis in der Disziplin voranbringen. Noch ein anderes Beispiel: Die Archäologie erforscht die Menschen und deren Hinterlassenschaften – die Gebäude, Werkzeuge etc. Daraus konstruiert sie ganze Lebensweisen.
Designforschung ist also die Forschung an einer eigenen Ordnung der Dinge, einer Archäologie der Dinge. »Das sollte man nicht den Massenmedien überlassen.« Denn all diese Hinterlassenschaften werden maßgeblich vom Design geprägt.
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Felicidad Romero-Tejedor Geboren 1967 in Barcelona. 1990 Licenciatura in Bellas Artes, Studienrichtung Design an der Universität Barcelona. 1995 Promotion über digitale Medien an der Universität La Laguna. 2001 Vertreungsprofessur an der FH Flensburg. Seit 2002 Professur für das Design digitaler Medien, seit 2004 Leitung des Designlabors an der FH Lübeck. Seit 1996 Redaktion der Hochschulzeitschrift ›Öffnungszeiten. Papiere zur Designwissenschaft‹.
Buchveröffentlichungen * Arte Fractal. Estética del Localismo (mit Holger van den Boom, 1998) * Design. Zur Praxis des Entwerfens (mit Holger van den Boom, Olms 2000, 2003, 2012) * Der denkende Designer. Von der Ästhetik zur Kognition. Ein Paradigmenwechsel (Olms 2007) * Positionen zur Designwissenschaft (hg. von Felicidad Romero Tejedor und Wolfgang Jonas, Kassel University Press 2010) * Was verpasst? Gespräche über Gestaltung (Olms 2011)
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Protokoll von Birgit S. Bauer
Felicidad Romero-Tejedor beleuchtet in ihrem Vortrag die Rolle der Designwissenschaft als Anwendung in der Praxis und die Frage nach der Etablierung einer Designwissenschaft. Einer Wissenschaft, die es eigentlich ja noch gar nicht gibt – trotz steigender Anzahl von Promotionsvorhaben in diesem Gebiet.
»In der Designwissenschaft erleben wir Momente der Normalwissenschaft und solche, in denen die Wissenschaft eine Revolution erlebt.« Romero-Tejedor erläutert die Bedeutung gängiger Begriffe im Umfeld von Design und stellt gleichzeitig die jeweiligen Kritikpunkte als Risiken des Diskurses dar. Zum Beispiel:
»Design Thinking: Sogar die Ingenieure verkaufen uns diesen Begriff als neu – die Designer empfinden ihn als Platitüde!« Weitere Begriffe stellt Romero-Tejedor als typische Aussagen aus der Designprofession dar: Design Thinking z. B. wäre so gesehen nur ein Modewort, nicht mehr. Ist Designmethodik nur eine abstrakte Pedanterie? Aussagen wie ›Grafiken über Grafiken und noch mehr Grafiken‹ oder auch ›Kreativität kann man
nicht beschreiben, da lassen wir die Finger raus‹ sind häufige Abwehrreaktionen gegen den Begriff. ›Designmanagement? Das ist nur wirtschaftliches Denken, der ökonomische Teil, die Dienstleistung, die das Design bringen soll.‹ ›Design als Formproblem: Blendet alle anderen Fragen, die das Design behandelt, aus – z. B. wissenschaftliche, psychologische, soziale.‹ ›Und wo hört die Produktsemantik auf? Die Denke der Produktsemantik geht nur bis zum Kaufvorgang. Was danach kommt, spielt keine Rolle.‹ Polysemie [Mehrdeutigkeit von Zeichen], hier der Produktsemantik zugeordnet, hat den Vorteil, dass man davon ausgeht, dass der Kunde kreativ ist. Aber es gibt die berechtigte Kritik, dass die Polysemie eine Art Beliebigkeit in den semantischen Inhalt unseres Produktes bringt. Zu Designrhetorik höre man oft: ›Designrhetorik – ist das mehr als nur Überzeugungskunst?‹ Und auch Systemdesign ist nicht gleich Systemdesign. Eigentlich entstammt es der Physik der 1920er Jahre, Hauptmerkmal dieses Zweiges ist ein behavioristisches Menschenbild, das davon ausgeht, dass das menschliche Verhalten manipulierbar ist und durch bestimmte Formen angesprochen werden kann. Das heutige Systemdesign hat sich in das Gebiet der Kommunikationssysteme verwandelt, auch dank Niklas Luhmann. Weitere Aussagen zu Begriffen wie ›Designtheorie: Fern von der Praxis, bringt nichts, ist impotent‹, ›Designforschung: Ist nur dann wertvoll, wenn sie zwischen Praxis und Theorie vermitteln kann‹ und ›Designwissenschaft: Sie ist nicht konsolidiert und hat keine Community, es gibt keine Grundlagen‹ sorgen für einen Überblick des Spannungsfeldes zeitgenössischer Designbefindlichkeit.
Romero-Tejedor zeigt das Titelblatt der von ihr herausgegebenen Publikation ›Öffnungszeiten 25/2011 – Papiere zur Designwissenschaft‹. Ihre Forderung: Die entstehende Designwissenschaft braucht ein paradigmatisches Lehrbuch! Die konsequente Sammlung von wissenschaftlichen Papers dazu könnte der Anfang eines solchen Werkes sein. Ihre designwissenschaftliche Arbeit bewegt sich im Feld des Cognition De-
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sign, das sich mit dem Entwurf von Kommunikationssystemen beschäftigt. Basis der wissenschaftlichen Arbeit im Cognition Design ist ein Dreiseitigkeitsmodell des Menschen: der organischen Seite, der psychischen und der sozialen Seite. Die organische Seite wird laut Romero-Tejedor von der Ergonomie beschrieben. Die psychischen und sozialen Komponenten sind für ihr Fachgebiet, das Cognition Design, die wichtigsten, denn sie führen zu der Frage:
»Wie muss etwas sein, damit die Performance des Designs gelingt?« Um das zu illustrieren, stellt Romero-Tejedor dem Konzept des Cognition Design ein No-Cognition-Design gegenüber, das die Beziehungen zwischen Elementen als fixe Beziehungen beschreibt und mit einem behavioristischen, manipulierbaren Menschenbild operiert. Max Weber bezeichnet diese Systeme als ›stahlhart‹: Sie sind per se nicht anpassungsfähig und flexibel. Das Konzept des Cognition Design sieht stattdessen die Beziehungen zwischen den Elementen eines Systems in einer zeitlichen Dynamik.
Romero-Tejedor schildert, wie Systemdesign im Kontext von Cognition Design die Komplexität von Systemen, beispielsweise dem Internet, reduziert. Hier fungieren z.B. Suchmaschinen als Komplexitätsfilter, die, statt lange Listen von Inhalten zu zeigen, helfen, genau das zu sehen, was man auch sucht. Systemdesign leiste in diesem Fall, ein bestimmtes Ziel ohne Umwege zu erreichen. Die Designer, die sich mit Cognition Design beschäftigen, erstellen Selektionsmuster aus designwissenschaftlicher Perspektive – eine Temporalisierung der Komplexität (nach Niklas Luhmann). Systemdesign hilft, semantische Selektionen in Benutzerillusionen zu gestalten. Wenn ich z.B. Auto fahre, möchte ich das Gefühl haben, das Auto zu kontrollieren, ohne dass ich gleich den ganzen Motor verstehen
muss. Man muss nicht wissen, wie das gesamte Auto funktioniert, sondern ein Konzept von einem Auto haben, dass einen von A nach B bringt. Design reduziert hier die Realität und passt sie auf den Anwender an.
Romero-Tejedor stellt ein Standardmodell von Wissenschaft einem erweiterten Modell von Designwissenschaft gegenüber. Elemente der Wissenschaft sind Theorie, empirische Wissenschaft und angewandte Forschung. Designwissenschaft hat die gleichen Entsprechungen, darüberhinaus die Punkte: ›Gestalterische Praxis‹ und ›Designtheorie, Künstlertheorie und Hermeneutik‹.
Was bringen die einzelnen Elemente in das Modell ein? Die Designtheorie bringt die theoretischen Grundlagen in die Designwissenschaften ein, z. B. die Künstler-Designertheorie, die eine Philosophie zu der eigenen Praxis entwickelt, die ihrerseits wieder auf die Theorie einwirkt. Hermeneutik wird meistens von Literaturwissenschaftlern betrieben. Das Element der empirischen Wissenschaft bedeutet in dem genannten Modell einer Designwissenschaft folgendes: Das, was wir durch Beobachtung lernen – z. B. auch aus Statistiken –, das, was dann aus der Perspektive der Designwissenschaft interpretiert werden kann. Eine Fragestellung ist zudem, welche Komplexitätsstufen der Designforschung für eine Designwissenschaft nötig sind. Wichtig im Designwissenschafts-Modell sind auch die gestaltenden Praktiker, die sich durch ihre Erfahrung in die Theorie einbringen.
Quantitative Forschung, so Romero-Tejedor, funktioniere wunderbar – für die Drittmittel-Aquise. Die qualitative Forschung funktioniere eben nicht unmittelbar für die Verwertung im Industriekontext. Qualitative Forschung umfasst die Bereiche von der Theorie bis zur Gestaltungs[44/45]
praxis, also auch ›Forschung durch Design‹. Die phänomenologisch-kritische Erfassung von Problemlagen ist laut Romero in der qualitativen Forschung ein zentraler Punkt. Qualitative Forschung bedeutet, Designphänomene ohne Wissen und Vorurteil zu beschreiben; beispielsweise auszublenden, welche Probleme Design in der Gesellschaft verursacht. Soziologen können gesellschaftliche Probleme beschreiben, aber sie haben nicht den designwissenschaftlichen Zugang dazu, weil sie nicht wissen, wie Design funktioniert. Beispiel: Viele Verbraucher finden, das Apple-Produkte gut gestaltet sind, aber sie könnten nicht genau sagen, warum. Hier knüpft die qualitative Designforschung an. Die quantitative Forschung hingegen gibt mehr konkrete Antworten auf punktuelle Fragen. Beispielsweise kann quantitative Forschung empirische Erkenntnisse darüber liefern, wie Nutzer einen Drehknopf interpretieren. Wenn wie im Versuch die Mehrzahl zum Anschalten nach rechts dreht, ist das ein quantifizierbares Forschungsergebnis. Die quantitative Forschung dient zur »Gewinnung von Regeln und Gesetzen für die Designentwicklung«. Ein Problem dabei: Sie bietet nur lokale Lösungen, ohne Berücksichtigung der Komplexität. Sie ist nicht kontextsensitiv. Die qualitative Forschung trägt zur strategischen Verbesserung der Wirkungsweise von Design bei, unter anderem kann sie auch bei der Beantwortung der Frage helfen, was Design in Zukunft dürfen oder nicht dürfen sollte. Beispielsweise wenn es um die Moral der Gegenstände geht: Dürfen Designer Waffen entwerfen? Die qualitative Forschung ist in der Lage, ethische Diskurse und kulturelle Dialoge abzubilden. Was wir in der Designwissenschaft machen müssen, ist eine kritische Theorie zu entwickeln, die die Wirkungen von Design auf designwissenschaftlicher Basis anschaut. Also nicht nur deskriptiv, sondern auch präskriptiv, uns Normen gebend, die uns sagen, worauf wir achten müssen, woran wir denken müssen, wenn wir die Praxis ausüben. Dabei geht es immer um die Verbesserung des Designs, nicht um eine selbstverliebte Wissenschaft.
Frau Romero-Tejedor ist Professorin für das Design digitaler Medien und hat seit 2004 die Leitung des Designlabors an der FH Lübeck inne. Die Lernziele an der Hochschule in Lübeck beschreibt Romero-Tejedor folgendermaßen: Designwissenschaftliches Denken wird durch die Methodologie mit der Praxis verbunden, konkret durch Maßnahmen wie: * Stärkung der methodischen Arbeitsweise, beispielsweise durch Gruppenarbeit, in der alle Einfälle argumentiert werden müssen * Konsequente Dokumentation, die der wissenschaftlichen Reflexion dient
Beispielhaft zeigt Romero Tejedor Diplomarbeiten: Diplomarbeit von Boris Lisdat: Technische Orientierung für Feuerwehr (Betreuung: Romero-Tejedor | Zusammenarbeit mit Bachorski Design und Dräger) Diplomarbeit von Katrin Riemann: Digitale Graffiti-Tour für Hamburg (Betreuung: Romero-Tejedor | Zusammenarbeit mit SinnerSchrader Hamburg)
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Kai Rosenstein lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und Zürich und ist Mitglied der Aktionsgruppe Rennsalon und der DGTF. Er studierte bis 2001 Industrie- Design in Darmstadt. Später gründete er mit Marco Niedermeyer studioschoenstrasse und inszenierte Veranstaltungen für die Automobilindustrie sowie den Konsumgüter- und Finanzsektor. Zu den Kunden zählten unter anderem Daimler, die Deutsche Börse und der Lederwarenhersteller Goldpfeil. Seit 2010 berät er öffentliche Institutionen, u.a. den RegionalparkRheinMain, zu Fragen der Designkultur.
Am Institut für Designforschung Design2context der Zürcher Hochschule der Künste lehrt und forscht Kai Rosenstein seit 2008 – sowohl im MAS DesignCulture als auch im Kontext der von Pro Helvetia und SNF geförderten Forschungsprojekte des Instituts. Seine Untersuchungen richten den Fokus auf die Rolle und Verantwortung des Designs als eine normative Kraft der Erlebnisgesellschaft. 2010 hat er gemeinsam mit Diana Djeddi den Salon Frankfurt ins Leben gerufen. Dort und in anderen Zusammenhängen publiziert und referiert er regelmäßig an der Schnittstelle von wissenschaftlicher und gestalterischer Forschung.
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Protokoll von Anna Holzapfel
stellt Kai RoIn seinem Beitrag zum Symposium senstein das Institut vor und versucht anhand von beispielhaften Forschungsprojekten die Begriffe Designforschung, Designwissenschaft und Designtheorie zu definieren. Am Anfang stehen die Fragen:
Rosenstein beginnt mit der Fragestellung, welche Forschung wohl für welches Design fruchtbar sein könne. Um aber diese Frage beantworten zu können, müsse erst mal bestimmt werden, von welchem Design überhaupt die Rede ist – die Skizzierung einer Designpraxis sei notwendig, bevor man deren Forschung näher definieren kann.
»Manchmal fühlt sich das an, als ob wir den zweiten Schritt vor dem ersten gehen wollen.« Das Verhältnis von Forschung und Praxis lasse sich jedoch nicht ausreichend beleuchten, ohne über den Modus, das , zu sprechen. Es stellt sich damit die dritte Frage:
Rosenstein spricht zunächst von unterschiedlichen Formen der Wissensproduktion. Aus den Disziplinierungsbestrebungen im Design ergeben
sich verschiedene Forschungsansätze und Wissenskonzepte der Designforschung: Vor allem als angewandte Forschung und künstlerische Forschung oder Designforschung als wissenschaftliche Disziplin im Sinne der Grundlagenforschung. Entscheidend für Rosenstein ist es, die Designforschung frei zu machen von naturwissenschaftlichen Methoden und stattdessen den Blick verstärkt auf geisteswissenschaftliche Herangehensweisen zu lenken. Er stimmt Kathrin Busch zu, die in diesem Zusammenhang eine Neuaufteilung der Felder von Wissenschaft und Kunst beziehungsweise Gestaltung fordert. Sie argumentiert,
»dass die Prozesse der Akkumulation, Argumentation und Präsentation von Forschung auf Darstellungsformen angewiesen sind, und so die Herstellung von Wissen untrennbar mit der Darstellung des Wissens verbunden ist.«�¹ Beide gewinnen an wissensgenerierender Bedeutung. Daraus folge laut Kathrin Busch,
»dass die Wissenschaft nicht der alleinige Ort der Produktion von Wissen ist, sondern dass sich in den geschichtlichen Repräsentationsformen im Sinne von jeweiligen Problematisierungsweisen, Formaten und Techniken Wissen artikuliert. Zudem flieSSen in die wissenschaftlichen Erkenntnisse ästhetischer Entscheidungen künstlerische Darstellungskonventionen mit ein, die von den Künsten vorgegeben sind.«² � Kathrin Busch, Vortrag an der ABK Stuttgart, 09.06.2011 � ebd.
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Das Résumé dieser Feststellungen sei eine Veränderung des Verhältnisses von Wissen und Gestaltung, was wiederum Folgen für das Verhältnis von Theorie und Praxis habe. Laut Kathrin Busch stünden Theorien nicht nur im Dienste der Praxis, sondern seien selbst Konstruktionen einer sozialen Praxis. Und zwänge man Theorie ausschließlich in eine bestehende Praxis ein, würde man sie um das beschneiden, was vielleicht für eine noch ausstehende Praxis von Bedeutung sein könnte. Es sei wichtig, Design als eigenständige Wissensform zu verstehen, in der es nicht nur als ›Objekt der Reflexion‹, sondern auch als ›Subjekt der Wissensproduktion‹ funktioniere. Anhand der zweiten Frage erörtert Rosenstein die kulturelle Wirksamkeit des Designs in seinen verschiedenen Ausformungen. Er nimmt Clifford Geertz‘ Bezug auf Max Weber auf und beschreibt Kultur als ein aus ›gemachten Objekten der Gestaltung‹ , welches weit mehr als ›nur Schrift und Bild‹ beinhalte. Inszenierungen, Szenografien, räumliche Beziehungen und urbane Strukturen ergäben eine Wirklichkeitskonstruktion, die ›von politischen Bedingtheiten, Machtansprüchen, sozialen Setzungen durchzogen‹ sei. In diesem ›heterogenen Sinnhorizont‹ solle, Clifford Geertz folgend, die Designwissenschaft eine eher interpretierende sein, eine, die nach Bedeutungen suche, keine wissenschaftlich-experimentelle, die Gesetzmäßigkeiten aufspüre.³ Schön ist an dieser Stelle Rosensteins Verweis auf Jacques Rancière, der philosophisch zu verstehen gibt, wie Design unmittelbar, direkt, vielleicht auch manchmal unbeabsichtigt oder marginalisierend in der Gesellschaft wirkt: Der Designer muss berücksichtigen, dass nach Rancière
� Vgl. Clifford Geertz, Dichte Beschreibung, Frankfurt am Main 1987, S. 9
»das Ziehen von Linien, die Anordnung von Worten, die Verteilung von Flächen zugleich Aufteilungen des gemeinschaftlichen Raumes vornehmen.«⁴
� Jaques Rancière, Die Fläche des Designs, in ders.: Die Politik der Bilder, Zürich 2006, S. 107 [52/53]
Rosenstein führt diesen Gedanken weiter und folgert: Design sei die ›Formierung des Politischen auf einer Ebene des Ästhetischen‹.
Diese Frage leitet den zweiten Teil des Vortrags ein. Rosenstein stellt einige der am Institut im Zeitraum 2004-2010 entstandenen Forschungsarbeiten vor, welche entweder von der Leitung des Instituts initiiert wurden oder von Studenten des Postgraduiertenstudiengangs Master of Advanced Studies (MAS) in DesignCulture. Eine Grundregel des Instituts ist, dass weder für Firmen noch für Nationen, sondern für ›uns als Bürger der Welt‹, also aus einem persönlichen Interesse heraus, geforscht wird. Die Forschung soll einen ›Beitrag zur Entwicklung der Disziplin Design‹ bieten. Rosenstein stellt die Fülle der entstandenen Forschungsprojekte dar. Er unterscheidet zwischen Forschungen zum Thema ›Design als Prozess‹ und ›Design als Artefakt‹ mit Untergruppen wie ›Produkt‹‚ ›Typographie‹, ›Narration‹, ›Raum/Stadt‹. Rosenstein betrachtet die Forschungsprojekte nach drei Themengebieten: ›Designforschung im Kontext der Politik, der Gesellschaft und des civisme‹; ›Designforschung im Kontext von Schrift und Zeichen, bzw. im Kontext von Visualität, Repräsentation und Identität‹ sowie ›Designforschung im Kontext kultureller Entwicklungen‹. Rosenstein stellt dar, dass sich einige Forschungsprojekte jeweils zweien oder sogar allen genannten Themengebieten zuordnen lassen. Daraus ergibt sich genau das zusammenhängende Bedeutungsgewebe, von dem Rosenstein mit Verweis auf Clifford Geertz zu Anfang sprach. Dieser große, weite Blick auf die Gesellschaft aus verschiedensten Perspektiven und die Frage, wie Design hier eingreifen und wirken kann, steht im Zentrum der Arbeit von Je mehr sich das Design von der Materialität löse, umso eher seien nicht mehr die unbestreitbaren Tatsachen Gegenstand der Untersuchung, sondern die
umstrittenen Konstruktionen, entsprechend Bruno Latours matters of concern�, die auch anders hätten sein können oder andere Potenziale hätten entwickeln können, so Rosenstein. Das Infragestellen und vielleicht sogar das ›Unbestimmte‹ dieser Herangehensweise bestimme die Forschung von . Die Frage, welches Wissen Designforschung generiert, lasse sich dahingehend beantworten, dass Forschungen am Institut versuchen, etwas über die ›Dispositionen‹, also die
›Funktionen, Wirkweisen, Zusammenhänge und Bedeutungen der Designkultur in verschiedensten gesellschaftlichen Konstitutionsprozessen‹ in Erfahrung zu bringen. Rosenstein verweist hier noch einmal auf die konstitutive Leistung des Designs als
›Formierung des Politischen auf einer Ebene des Ästhetischen‹.
⁵ Vgl. hier und im folgenden: Bruno Latour, A Cautious Prometheus, Keynote lecture for the Networks of Design, 03.09.2008
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Der Wert der Forschungen liegt darin, eine kritische Designpraxis weiter zu fördern, die sich auch der Ausmaße bewusst ist, in denen sie ›Bedeutungsgewebe, Wirklichkeitskonstruktionen und Sinnhorizonte schafft und Manipulationen, Homogenisierungen und Ein/Ausgrenzungen vornimmt‹.
»Eine kritische Designpraxis ist sich der Ausmasse bewusst, in denen sie Bedeutungsgewebe, Wirklichkeitskonstruktionen und Sinnhorizonte schafft und Manipulationen, Homogenisierungen und Ein/Ausgrenzungen vornimmt.«
Rosenstein schlägt dafür den Begriff des vor und beruft sich auf fünf Vorteile des Konzepts Design im Umgang mit den die Latour formuliert hat. Kurz gefasst sind dies: Erstens die Bescheidenheit des Designkonzeptes an sich, zweitens die Aufmerksamkeit gegenüber dem Detail, drittens die Bedeutungsarbeit in Bezug auf die von Latour beschriebenen , viertens die Idee, etwas zu verändern, statt es zu von Grund auf neu zu erschaffen und zuletzt die Berücksichtigung der ethischen Dimension von Design. Laut Rosenstein seien diese fünf Axiome die Grundlage der Fragestellungen aller Forschungen des Instituts – und letztendlich sei die � Suche nach den � treibende Kraft und Grundsatz des Instituts.
⁶ ebd.
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Thomas Fankhänel Studium für Industriedesign an der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein in Halle (Schwerpunkte Produktdesign, Psychologie der Gestaltung, Designtheorie) Studium für Psychologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg (Diplom), Nebenfach Philosophie (Schwerpunkt Ästhetik) Promotion in Sozialpsychologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena Lehrveranstaltungen zu Theorien der Ästhetik, zu Konsumentenpsychologie und Marketing, zur Rolle des Fehlers im Design, zur Produktsprache und Semiotik.
Was hat Jonas mit Systemdesign gemeint?
Thomas Fankhänel trat im Sommersemester 2011 die Vertretung der Professur Systemdesign an, die vormals von Wolfgang Jonas bekleidet wurde. In seinem Vortrag zieht Fankhänel eine Bilanz der Arbeit seines Vorgängers. Einerseits präsentiert er die Ergebnisse einer Umfrage unter den Studierenden, andererseits interpretiert er Aussagen aus einer aktuellen Publikation seines Kollegen Jonas auf deren Gehalt. Ziel Fankhänels war es, herauszufinden, was mit dem Begriff gemeint war und wie sich das in der Arbeit von Wolfgang Jonas wiederfindet. Gleichzeitig führt Fankhänel anhand einer Textanalyse vor, dass die Designforschung und -wissenschaft weder einen eigenen Forschungsgegenstand habe noch genuine Formen der Wissensgewinnung für sich in Anspruch nehmen könne.
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Was ist Systemdesign?
In seiner Umfrage unter 43 Studierenden des Studiengangs wurde deutlich, dass die Mehrzahl der Befragten Systemdesign als theorielastig wahrnahm. In einigen Fällen wurde Systemdesign sogar mit Theorie verwechselt. Im Großen und Ganzen, so resümiert Fankhänel, gab es große Unklarheit über den Gegenstand des Faches. So nahm er einen Text von Wolfgang Jonas zum Gegenstand einer Textanalyse
Wolfgang Jonas ist ein Repräsentant dieser Bewegung des Denkens im Design. Insofern sei es interessant, sich mit den Theorien zu befassen, die in diesem Kontext entstehen. Was steckt überhaupt dahinter? Was haben die Theorien über das Design zu sagen?
Fankhänel erkennt folgende Aussagen als Quintessenz des Textes:
1. Design als Forschungsmethodik 2. Erkenntnismethode Research-ThroughDesign (RTD) 3. Evolutionäre Erkenntnislehre 4. Design antikausal
Die wiederkehrenden Argumente für Research-Through-Design in Jonas' Textbeitrag gibt Fankhänel so wieder: 1. Die evolutionäre Erkenntnislehre 2. Die Frage, ob Design an die Grenzen kausaler Erklärung stoße
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1. Design als Forschungsmethodik
Jonas zitiert Alain Findeli:
»Practice is only a support for research (a means, not an end), the main product of which should remain design knowledge.« Designpraxis sei nur ein Mittel für die (Design-) Wissensgewinnung, um die es letztendlich gehe.
Thomas Fankhänel interpretiert diese Forschungsmethodik folgendermaßen: »Das erste, was [im Text] klar gemacht wird, ist, das die Praxis nichts zu melden hat. Das war eine große Enttäuschung für mich. Designpraxis ist [in Jonas' Augen] nichts weiter als ein Mittel für die Wissensgewinnung.«
1. Design als Forschungsmethodik
Jonas zitiert Nigel Cross:
»We must avoid totally swamping our research with different cultures imported either from science.« Eine Beeinflussung der Designforschung durch die Wissenschaftskultur sei dringend zu vermeiden.
Als zweiten wichtigen Gedanken erkennt Fankhänel in dem Text die Abgrenzung des Designs zur Wissenschaft. Diesem stellt Fankhänel andere Aussagen von Nigel Cross, z.B. aus einem Text von 1999, gegenüber. Seiner Meinung nach meint Cross etwas anderes als das, was Jonas in seinem Buch zitiert hat.
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1. Design als Forschungsmethodik
Jonas zitiert Nigel Cross:
»There are forms of knowledge peculiar to the awareness and ability of a designer.« ›Design Research: A Disciplined Conversation‹, Design Issues 1999, 15/2, S. 7.
Demnach verfügten Designer über designspezifische Inhalte und Fähigkeiten.
Interpretation Nigel Cross von Wolfgang Jonas:
»He [Cross] calls this ›designerly ways of knowing‹, claiming that design is a genuine way of knowledge production, different from science.« Michel R. (Ed.): Design Research Now, 2007, S. 187-207
Die Behauptung eines designspezifischen Wissens, so Fankhänel, impliziere die Behauptung, Design sei ein besonderer Weg der Wissensgewinnung. Cross will laut Fankhänel aber eher darauf hinaus, dass Designer eigentlich ein ganz spezifisches Wissen haben, was ihre Arbeitspraxis, ihr berufliches Selbstverständnis angeht. Jonas hingegen behaupte, dieses deute auf einen genuinen Weg der Wissensproduktion hin. Aus der Behauptung Cross', der Designer habe ein ganz spezifisches, seiner beruflichen Tätigkeit entsprechendes Wissen, werde bei Jonas die Annahme, Design sei ein besonderer Weg der Wissensproduktion. Wissensproduktion, meint Fankhänel, sei bisher die Aufgabe der Wissenschaft gewesen – insofern sei das eine Ausdehnung des Tätigkeitsfeldes in Richtung Wissenschaft.
1. Design als Forschungsmethodik
Wolfgang Jonas:
»Research about design [...] does not essentially contribute to the development of design as a knowledge creating discipline.« Forschung über Design trage nichts bei zum Design als Forschungsdisziplin.
Hier kommentiert Fankhänel: »Das ist die Abfuhr an die Designtheorie klassischer Art. Jonas behauptet, die Forschung über Design, das Nachdenken über das, was im Design passiert, trage nichts bei zu Design als Wissen herstellende Disziplin. Diese Wissenschaftsdisziplin Design, die hier postuliert oder als Zielmarke in den Raum gestellt wird, die könnte die klassische Designtheorie nicht [mehr] gebrauchen. Die wird also hier schon abgespalten.«
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Thomas Fankhänel bemerkt:
»Der Antrieb für diese Lehre [von Wolfgang Jonas] war, das Design aus seiner klassischen Funktion herauszulösen und in eine ganz andere Position zu bringen, zu einem Mittel für die Forschung, für die Wissenschaft zu rekrutieren.«
2. Erkenntnismethode Research-Through-Design (RTD)
Zur Methodik von Research-Through-Design findet Fankhänel folgende Aussagen:
»One might even go further ... and argue that RTD is the generic pattern for scientific research.« Man könne sogar behaupten, dass RTD zum übergeordneten Prinzip der wissenschaftlichen Forschung werden könne.
Fankhänel interpretiert den Abschnitt: In der Wissenschaft könne auch die Designmethodik – also Research-Through Design – die wissenschaftliche Methode ersetzen. Dies sei ein Schritt, die Wissenschaft zu verbessern.
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Auf die Frage, was Research-Through-Design genau sei, findet Fankhänel folgendes Zitat von Jonas:
2. Erkenntnismethode Research-Through-Design (RTD)
»The epistemological status of RTD is still weak.« RTD sei als Erkenntnislehre noch nicht anerkannt. und:
»The challenge lies in the further clarification of RTD. What kind of process model, guiding Research-Through-Design, might be able to provide something like ‚foundations‘?« Eine Herausforderung sei also die nähere Bestimmung von RTD – welches Prozessmodell könnte RTD als Grundlage dienen?
2. Erkenntnismethode Research-Through-Design (RTD)
»Now we have to do research about RTD, in order to understand the processes of RTD better, research for RTD, in order to improve the process of RTD.« RTD müsse erst erforscht werden, um es verstehen und verbessern zu können.
Thomas Fankhänels Übersetzung dieses Jonas-Zitats: »Der epistemische Status sei schwach – die Herausforderung liege in der weiteren Aufklärung des RTD – und als letztes dann der Punkt, dass man weitere Forschungen zu erledigen habe zu diesem Thema. Also keine einzige Aussage darüber, was dieses neue Mittel eigentlich sein soll!« An Beispielen wie der Soll-Ist-Diskrepanz und dem definitorischen Unterschied zwischen Aufgaben und Problemen zeigt Fankhänel, dass Design eben gar nicht so besonders und unterschiedlich zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen sei. Bei Research-Through-Design (RTD) sei es ähnlich. Das ist zumindest Fankhänels Eindruck aus Jonas‘ Text: Die Wissenschaft, so wie sie jetzt ist, sei nicht in Ordnung. Der Weg dorthin sei die Erneuerung. Was so besonders an Research-Through-Design sein solle, das sei eigentlich nicht so klar und bleibe in dem Text von 2007 völlig offen. [68/69]
Von den Argumenten, die für Research-Through-Design im vorliegenden Text ins Feld geführt werden, interessiert Fankhänel daraufhin das der evolutionären Erkenntnislehre. Er kritisiert die fehlende Definition der evolutionären Erkenntnislehre im Text und erklärt: »Evolutionäre Erkenntnislehre ist sinngemäß, […] ›natürliche Zuchtauswahl des Wissens‹ […]. Wenn man sich früher in der Wildbahn gut bewährt hat, durfte man weiterleben, während die anderen der Nahrungskette zum Opfer gefallen und ausgestorben sind. Und so ist es hier auch mit dem Wissen. Die Gedanken, die sich als richtig, als nützlich im Überlebenskampf erwiesen haben, diese Gedanken haben dann als das ›wahre Wissen‹ überlebt.« Dieses überlieferte, bewährte Wissen gelte als wahr, weil es sich im Kampf gegen die Naturgewalten bewährt habe, erläutert Fankhänel weiter die evolutionäre Epistemologie. Jonas behaupte, dass Design die Disziplin sei, die aus dieser Art von Wissen Nützliches zu gewinnen vermöge – weil Design immer nach Problemlösungen strebe, während die Wissenschaft das nicht tue.
3. Evolutionäre Erkenntnislehre
Wolfgang Jonas:
»Design ability is the essential human characteristic. It is the means for obtaining knowledge of the world.« Design sei das Mittel zur Erlangung von Erkenntnissen über die Welt.
Thomas Fankhänel zu dieser Aussage Jonas‘: »Dieses Argument können wir relativ leicht entkräften, und zwar folgendermaßen: Nehmen wir an, am Anfang steht ein Problem. Design, Systemdesign sei auf die Lösung von Problemen ausgerichtet. Probleme heißen in der Wissenschaft Wirkungen. Die Wirkung hat auch immer eine Ursache. Und der Wissenschaftler produziert eine Theorie über einen kausalen Zusammenhang von einer Ursache auf eine Wirkung. Damit ist der Wissenschaftler mit seinem Job fertig und im Idealfall sucht er sich das nächste Problem. Das ist eine vereinfachte Darstellung dessen, was in der Wissenschaft passiert.«
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Allerdings greife auch das Design auf Theorien; auf wissenschaftliche Theorien sowie auf Alltagstheorien zurück – auch nichts anderes als Wirkungszusammenhänge. Designer würden, so Fankhänel, nur die Ursache für das Problem beseitigen und so zu Problemlösungen kommen. Das Argument gegen die evolutionäre Erkenntnislehre nach Jonas sei ganz simpel: dass es ja Arbeitsteilung gebe in einer komplizierter gewordenen Welt. Die evolutionäre Erkenntnistheorie hingegen gebe es schon seit circa 120 Jahren und sei auf einfachere Weltmodelle hin entwickelt. Deshalb, so Fankhänel, mache die Wissenschaft kein schlechteres Wissen als das Design.
Zum zweiten Argument für eine Wissenschaft nach Designprozess-Logik analysiert Fankhänel so: Jonas behaupte, dass Design nicht ablaufe wie in der Wissenschaft, es gäbe andere Vorstellungen, Anschauungen, es sei ein anderes Denken und eine eigene Logik. Jonas schreibe, dass die Wissenschaft nichts anderes tue, als die bereits formulierten Hypothesen zu bestätigen. Fankhänel: »Das ist natürlich etwas vereinfacht, aber im Prinzip hat er damit recht. Hypothesen sind nun mal immer der Anfang, bevor man ins Forschen geht. Nun ist das schon ein Problem, wenn man sagt: ›Wenn ich nur schon vorhandene Hypothesen bestätige, dann kann ich ja kein neues Wissen generieren, ich berufe mich ja immer auf das Wissen, das ich schon habe! Nun ist das nicht so ganz richtig, denn ich kann jetzt was behaupten. Z.B. Blau wäre wärmer als Grün – da werden Sie sagen, das ist Blödsinn. Aber ich kann es behaupten, – dann wäre es neues Wissen, und wenn ich es durch ein Experiment bestätigen könnte, dann wäre es auch neues Wissen. Das heißt, ich habe es mir ausgedacht, es ist neues Wissen. Was ich ihnen zeigen will, ist, dass Design durchaus dem wissenschaftlichen Treiben folgt und dass meines Erachtens kein Unterschied zu sehen ist.
Jemand stellt sich hin und sagt, eine Ursache X, ein Feuer, und da könne man löschen mit Wasser, und die Wirkung ist das gelöschte Feuer, die Ursache ist das Löschen mit Wasser. Das behauptet jemand, und dann steht es im Raum. Was macht der Wissenschaftler dann? Er führt ein Experiment durch, meistens mit einer Vergleichsgruppe und Kontrollbedingungen. Und wenn er dann ein Ergebnis hat wie dieses, dann ist bestätigt, dass diese kausale Beziehung auch existiert, und er kann seine Theorie formulieren und sagen: Jawoll, Kausalität ist bestätigt. Ursache X erzeugt Y, ich habe meine bestehende Hypothese bestätigt.« Was Jonas nun sage, sei jedoch, dass Design anders sei, nicht nach diesem Prinzip, sondern nach dem Prinzip der Evolution funktioniere. An einem weiteren Beispiel erläutert Fankhänel: »Evolution arbeitet mit Mutation. Was in der Evolution nicht stattfindet, ist, dass eine Hypothese formuliert wird, bevor experimentiert wird. Wie ist es im Design? Da bin ich der Auffassung, es ist eigentlich doch eher wie in der Wissenschaft! Denn wenn ich vor meinem Skizzenblock sitze und ich beginne, einen Entwurf zu zeichnen, dann bin ich ja nicht orientierungslos, sondern folge ja auch bestehenden Hypothesen, über das, was mein Design auszeichnen soll.« Als Beleg zitiert Fankhänel bekannte Designer wie z.B. Hartmut Esslinger, die Erkenntnisse über die Kriterien erfolgreichen Designs geäußert haben. Design sei also kein evolutionärer Akt, sondern folge genauso Hypothesen wie die Wissenschaft.
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Fankhänels abschließende Prämissen für das Design: 1. Design in der Designtheorie wieder mehr zum Thema machen
»Ich habe das Gefühl, es ist mehr Theorie über Theorie und wenig Analyse dessen, was passiert. Aber das ist die Crux, da sind so viele Fragestellungen, dass man das irgendwann ignoriert. Es kann nicht sein, dass das Fach eine neue Erkenntnislehre wird. Das ist eine unschöne Entwicklung.« 2. Designtheorie-Ausbildung »Das Wichtigste wäre, dass man die Studierenden befähigt, mit Theorien umzugehen. Wenn das Systemdesign als Theorie einsortiert wird, heißt das ja, dass man sich für Theorien interessiert und dass man studieren möchte, was die anderen Fächer denken. Was man da liest und wie man mit dem umgeht, was man liest. Man muss eine Befähigung herstellen im Umgang mit Theorie, im Theoriebau.«
3. Das Systemdesign (oder erkenntnisorientiertes Design) »Darin liegt, wie ich finde, eine Chance. Es geht im Design immer darum, eine gute Idee zu bekommen, sozusagen die Grenzen des Denkens, wie es jetzt ist, zu transzendieren, sich zu transzendieren und irgendwie ein Stück weiter zu kommen. Nur das wird belohnt und positiv bewertet. Eine Anleitung zu bekommen, ein Kreativitäts-Training in Richtung Transzendenz der eigenen Grenzen; der Frage, welches didaktische Modell geeignet ist und positive Wirkung erzielen kann. Eine Möglichkeit wäre, durch Abstraktion der Gestaltung und dadurch, im Abstrakten zu bleiben, nicht in die gängigen Denkschablonen abzurutschen. Also mit Distanz den Leuten zu dienen, die in diesem Beruf arbeiten sollten.«
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Hans Ulrich Reck Prof. Dr. phil. habil.. Philosoph, Kunstwissenschaftler, Publizist, Kurator. M. A. 1976, Dr. phil. 1989, Habilitation/venia legendi für ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaften‹ 1991. Seit 1995 Professor für Kunstgeschichte im medialen Kontext an der Kunsthochschule für Medien in Köln, davor Professor und Vorsteher der Lehrkanzel für Kommunikationstheorie an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien 1992-1995, Dozenturen in Basel und Zürich 1982-1995. Publikationen zuletzt: � Pier Paolo Pasolini: Spiel Form Künste. (München, 2010) � Zu einer Kunstgeschichte des Improvisierens hg. v. Bernd Ternes (Hamburg 2010) � Traum. Enzyklopädie (München, 2010)
� Diskursive Twin Towers/ Theorieturnier der Dioskuren, 2 Bde. – Bd. 1: Utopie und Evidenzkritik, Bd. 2: Tarnen und Täuschen (gemeinsam mit Bazon Brock, Hamburg 2010) � Knacki (gemeinsam mit Erik Steinbrecher, Basel 2008) � Index Kreativität (Köln 2007) � EIGENSINN DER BILDER. Bildtheorie oder Kunstphilosophie? (München 2007) � Das Bild zeigt das Bild selber als Abwesendes (Wien/ New York 2007) � THE MYTH OF MEDIA ART. The Aesthetics of the Techno/ Imaginary and an Art Theory of Virtual Realities (Weimar 2007) � Außerdem: audiolectures 03 zur Geschichte der Künste im medialen Kontext; Netzaufbereitung der Vorlesung des Wintersemesters 2009/10 an der Kunsthochschule für Medien zum Thema »Traum- Bilder, Imagination und Deutungen. Momente zu einer Kunst- und Kulturgeschichte des ›Onirischen‹« (Redaktion: Hans Ulrich Reck; Gestaltung: Florian Kuhlmann; Netzpublikation Februar 2010 unter: http://www.khm.de/audiolectures/audiolectures03/) � Zusammen mit Andreas M. Kaufmann Konzeption, Entwicklung und Realisierung der Ausstellungsinsel »Ich kann, weil ich will, was ich muss« für ›Ruhr Atoll 2010. Kunst und Energie‹ im Rahmen der Aktivitäten und Ausstellungen der Kulturhauptstadt Ruhrgebiet/Essen (Baldeneysee Essen vom 12. Mai bis Ende September 2010; http://www.ruhr-atoll.de) www.khm.de/kmw/reck/ www.hansulrichreck.de www.khm.de/audiolectures/
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Birgit S. Bauer im Gespräch mit Hans Ulrich Reck Protokoll von Simon Frambach
Frage: Warum tun sich Wissenschaft und Design zusammen so schwer? »Das liegt an einzelnen Wissenschaftlern. Die Designtheorie begleitet die Kunstgeschichte der europäischen Künstlerausbildung, als eine Kunst des Entwerfens im Hintergrund. Sämtliche epistemische Fragen, die dort bewegt werden, haben natürlich mit der zunehmenden Unterteilung der Wissenssysteme und der zuständigen Autoritäten ein Konfliktpotenzial dargestellt, das in vielerlei Richtungen wirkt. [...] Die vorgeführte Ablehnung Wissenschaft gegen Design [...] als etwas, das mit anderen Wissenschaften nichts zu tun hätte, ist natürlich abwegig [...].« Es gehe, so Reck, um‚ »kreative Potenziale, die sich immer wieder rechtfertigen müssen in einer Kultur, die metatheoretisch-epistemisch und diskursiv Dispositive entwickelt.« Der Begriff ›epistemisch‹ meint die erkenntnisorientierte Wissenschaft, die sich mit der Art befasst, wie Wissen zustande kommt. »Unsere Gesellschaft verwertet Prozesse explizit. Sie werden thematisiert, sie werden diskursiv identifiziert und sie werden auch oft entsprechend verwaltet. Die Künstler wehren sich auf der Ebene des Nichtssagens dagegen, Designer können das nicht machen.« Reck stellt die Frage, ob Designtheorie überhaupt mit Wissensformen zu tun habe, oder ob es sich nicht um die Reflexion von Prozessen anderer Art handele, die nicht darauf zielen, Wissen, also nützliches Wissen, anzuhäufen: »Die Designtheorie würde einen großen Fehler machen, wenn sie meint, sie könnte über den Nachweis der Nützlichkeit, der Wissensoder Auswertungsformen, das beschreiben, was getan wird.« Frage: Gibt es einen gegenseitigen Dünkel in der praxisorientierten Disziplin Design und ein Klischee von Wissenschaftlichkeit, welches wiederum bei Designern auf Ablehnung stößt?
Hans Ulrich Reck bestätigt eine immer noch vorherrschende Meinung über die Trennung zwischen Theorie und Praxis und wundert sich, dass es immer noch viele gebe, die diese Trennung vertreten- »dass man immer noch davon reden kann, ohne schamrot zu werden.« Allerdings habe er bei den vorhergehenden Vorträgen schöne Ansätze im Bezug auf die Praxis als implizite immanente Theorie wahrgenommen. Bei dem Konflikt zwischen Theorie und Praxis gehe es letztendlich um einen Kampf um gesellschaftliche Einflussgrößen. »Als die erste Entwurfsakademie für Künstler und entwerfende Handwerker 1563 von Giorgio Vasari gegründet wurde [...], seither gibt es diese Themen. Nur hat man diese damals anders gelöst: Man hat das Handwerk im Atelier gelernt [...] sowie entfaltete Formen des Zeichnens und führte mit Mäzenen eine Diskussion über die Rezeption antiker Kunstwerke [...]. Man hat aber in der Gesellschaft nicht über das, was man an der Akademie lernt, diskutiert. Das war sehr sinnvoll, diesen Diskurs hat man abgeschottet. Man hat allerdings in der Öffentlichkeit gesagt: Wir haben jetzt eine andere Rolle als Künstler und die zeichnet sich dadurch aus, dass wir mit Humanisten Gespräche führen können und dass wir weiterhin so gut sind wie die alten Handwerker. Jetzt ist das Problem, dass man aus dieser Akademie heraustritt, mit der Rechtfertigung, dass man da irgendein theoretisches Wissen erarbeitet hätte, ein ganz besonderes Wissen, dass man dann der Gesellschaft zur Verfügung stellt. Und das verkennt im Grunde die Situation.« Dass Handeln-Können aus Wissen in der Gesellschaft überhaupt nicht mehr lagerübergreifend funktioniere, das sei ein großes Problem.
»Die drei Sphären Wissenschaft, Kultur und Weltbürgertum haben nichts mehr miteinander zu tun. [...] Bestimmende Entscheidungen in der Wissenschaft sind nicht mehr übersetzbar in ein weltbürgerliches Laienverstehen.«
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Insofern sei die Rivalität zwischen Design und Wissenschaft nur eine abgeleitete Problematik. Design als Kunsttheorie sei zudem ein Bestandteil der Geisteswissenschaften seit eh und je. Allerdings sei Design auch keine Naturwissenschaft. »Obwohl: [Herbert] Simons ›Die Wissenschaften vom Künstlichen‹ spricht vom Ingenieur als kalkulierenden Erfinder universaler Symbolverarbeitung [...]. Das war vielleicht die weitestgehende Formulierung einer Wissenschaft des Designers als Ingenieur in der Kulturgeschichte.« Frage: Stichwort Tacit Knowledge (implizites Wissen) nach Michael Polanyi: »Wie ist diese Art der Wissensgewinnung im Design [...] aus ihrer Perspektive zu beobachten?« »Der Ethnologe Dan Sperber spricht in seinem Buch zum Beispiel von stummem Wissen. Er sagt, eine Kultur funktioniere nur über dieses stumme Wissen, also über das, was nicht expliziert oder reflektiert werden muss [...] Vielleicht ist die Stärke oder Lebensfähigkeit eines kulturellen Zusammenhangs aus diesem, vielleicht schon mythologisch anonymen Wissen, das eine Kultur trägt, gespeist.«
»Ich habe den Eindruck, dass Designkonzeptionen, auch in der Moderne, auch utopisch formuliert, im Grunde in diesen stummen Bereich regulierend eingreifen möchten. Dass sie tragende Entwürfe formulieren möchten, über die man gar nicht reden muss. Ganz im Unterschied zum abgeschiedenen, zoologischen Gärtchen der Kunst [...] «‚ wo man nicht auf eine implizite Wirkung abziele, da man ein Kunstobjekt sonst nicht identifizieren könne, sondern als Teil der Alltagswelt wahrnehme.
»Wenn man den Umweg über die Wissenschaften geht, macht man das immer so, dass man sagt, Design ist eine Problemlösung. Und das ist meiner Meinung nach der gröSSte Fehler. Natürlich werden auch Probleme erforscht und gelöst - gerade im Design. Aber es gab viele Problemlösungen, die sich als das Gegenteil herausgestellt haben.«
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»Das Wissen von Design-Reflexionen hätte doch mit der Steigerung von Wahrnehmungsfähigkeiten von Problemen zu tun, also mit Komplexität und nicht mit der Reduktion von Komplexität.« Grundlegend müsse sich jeder Design entwerfende Mensch Wissensfolgen und Kenntnisse aus verschiedensten Gebieten aneignen. Gute Design-Reflexion laufe auf eine Bereicherung der Welt hinaus, auf eine Komplexitätssteigerung, und nicht auf eine Problemlösung, da diese nie funktioniere. Frage: Richard Sennett spricht in seinem bei Designern beliebten Buch viel über das implizite Wissen, aber bezieht sich auf das Verhältnis Meister und Schüler und einer Art Philosophie des Tuns. Allerdings gibt es daran auch Kritik. [...] Wie beurteilen Sie Sennetts Sichtweise? Hans Ulrich Reck meint, Richard Sennett beschreibe z.B. die Werkgeheimnisse der Werkstätten
Eher als ›Handwerk‹ würde Hans Ulrich Reck allerdings das erste Buch von Richard Sennett namens empfehlen: »Das ist ein designtheoretisch extrem relevantes Buch, das mit urban Soziologie und Chicago zu tun hat. Es geht um den Gebrauch von Ordnungs- und Nicht-Ordnungssystemen. [...] Er beschreibt sehr gut die Kooperationen und die Kenntnisse, die je spezifisch angelegt werden. Also: Werkstätten als Wissenszusammenhang oder Erfahrungszusammenhang, mit spezifischen Geheimnissen. Die Geheimnisse bilden sich dabei, weil einige Erkenntnisse eher intern bleiben, die also von Erfahreneren auf Unerfahrene übergehen. Da gibt es aber keine universalen Handlungswissenschaften. Wahrscheinlich ist es mehr eine Reflexion von Methoden, die zu bestimmten Resultaten führt.« Als Beispiel führt Hans Ulrich Reck die Geheimnisse der Geigen von Antonio Stradivari an, deren spezieller Klang nicht erklärbar sei.
Frage: Designer haben ein bisschen Angst, dass ihre Arbeit durch vermehrte Forschung und vermehrten Anwendungsbezug vielleicht ein bisschen entzaubert wird. Wollen Designer weiterhin ihren Genius behalten und pflegen? [...] »Die Probleme liegen in dem Modell des Homo Faber, des schaffenden Menschen, des selbsterzeugenden Menschen. [...] Das heißt, es gilt nur in der Welt, die wir in der Geschichtsphilosophie des 18. Jahrhunderts haben: Man macht selber die Geschichte, weil man die Gesetze der Natur versteht, durch deren Anwendung, indem man alles bauen kann, was diesen Gesetzen entspricht. [...] Durch die Entäußerung des Tuns kann man sich wieder aneignen, was das Eigene ist. Das Kapital von Karl Marx, die Arbeitstheorie, diese Vergegenständlichung des lebendigen Arbeitsvermögens: Nach diesem Modell macht Sennett das. Und das geht natürlich per se nicht für Systeme, die artifiziell sind und auf einer apparativen Vermittlung von Tätigkeiten beruhen. Wo man nicht mehr einen kreatürlichen Urheber dahinter hat, sondern wo sich diese ganze Welt des Maschinischen [sic] [...] verselbstständigt und zu einer eigenständigen Welt wird. Zu einer zweiten oder dritten Natur. Die Analyse von Sennett berührt das jedoch nicht einmal, weil das nicht mehr rückübersetzt werden kann auf Urheberschaft und auf Schöpferisches.«
»Ich finde Designtheorie deshalb so wichtig, weil sie eine Reflexion bedeutet in diesem weltbürgerlichen Sinne des Reflektierens auf Probleme.« »Plötzlich ist das, was ein Individuum tut, im lernenden Entdecken und Beschreiben der Welt ein Forschungsprojekt. Das ist ein Problem.« »Ich würde wissen wollen, wo sich ein Forschungsprojekt nicht ausschließlich und primär mit den eigenen Interessen beschäftigt, die als Motiv notwendig sind. [...]
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»Die Beschäftigung mit dem, was Sie [Studierende] interessiert, ist ein Eigenwert in sich. Lassen Sie sich nicht einreden, es wäre erst dann sinnvoll, wenn es ein Forschungsprojekt sein könnte. [...] « »Haben Sie bitte nicht die Meinung, dass eine Recherche deshalb schon
besser wäre, weil Sie damit einen PhD machen könnten.« Allerdings könne sich für die Promovierten in Zukunft ein Problem ergeben, wenn keine Hochschule mehr einen Designer beschäftigen will, der nicht promoviert hat.
»Ich finde diese Höherqualifikationen stehen, abgesehen vom Wert, den sie in sich haben, auch in Relation zu einer extremen Gefährdung der Arbeit in unserer Gesellschaft.« Frage: Es ist zu beobachten, dass international Verwunderung darüber herrscht, dass man in Deutschland Wissenschaftlichkeit stark formalisiert, z.B. in Form von Doktorarbeiten in Fächern wie Architektur und Design – und damit in eine Sphäre hineinträgt, in der es gar nicht nötig wäre, zu formalisieren. Das ist zum einen eine wissenschaftliche Sprachlichkeit, aber auch wenig Mut zum Risiko – ungleich der gestalterischen Praxis, die viel experimenteller und mutiger ist. Wie kommt das? Hans Ulrich Reck stimmt dieser Beobachtung zu und ergänzt, dass man mit dem Bezug zur Wissenschaftlichkeit oft Geisteswissenschaften rezipiere. »Wenn man jedoch meint, geisteswissenschaftliche Standards übernehmen zu müssen, und mit denen Design aufzubereiten [...], dann tut man sich keinen Gefallen.« Er nimmt Bezug auf die Promotion, die mit der Anforderung aufwarte, nach eingehender Recherche einen Schritt über das Erforschte hinauszugehen. Durch eine standardisierte Wissenschaft gebe es die Tendenz zu häufiger Repetition und Formalisierung.
»Ich finde das ganz schädlich. Wissenschaft hat schon mit Erkennen-Wollen zu tun. [...] Dem Wissen als Designer, dass diese Dinge (deutet auf Hocker) als in der Welt stehende Objekte natürlich nicht nur Gebrauchsgegenstände sind, sondern auch epistemische Objekte.« Außerdem sei wissenschaftliche Reflexion nichts, was man Praktikern zur Verfügung stelle, damit sie bessere Objekte fertigen. Vielmehr gehe es um ein Nachdenken über den Stellenwert, den solche Dinge haben. »Die geistige Inkorporation von bestimmten Dingen in Objekten ist natürlich ein Forschungsfeld. [...] Und ich weiß nicht, wieso man da standardisieren muss. Ich finde, gerade in Künsten und Wissenschaften sollte man das nicht tun.« Frage: Durch die Digitalisierung wurde ein Angriff auf die Exklusivität von Design losgetreten sowie ein Hinwegsetzen über alte Distributionsgrenzen. Der Entwurf wurde nicht mehr durch eine einzelne Person im Atelier gemacht, sondern findet kollektive Wege. Kommen diese Dinge schnell genug in die Sphären der Theoriebildung? » [...] Das Allerwichtigste ist die Subsistenz. Also überleben können. Aber um überleben zu können, reicht es nicht, nur Überlebenstechniken zu haben. Subsistenz meint das, wovon man sich nährt. Und eigentlich ist es das Höchste, dass man leben kann, bezahlen kann, was man muss, bescheiden lebt, aber seine Projekte verfolgen kann. Und die in konsequenter Identifikation damit umsetzen kann. Das ist eigentlich der Hintergrund, vor dem wir reden, wenn wir von digitaler oder sonstiger Revolution reden.[...] Ich glaube, das muss man einfach im Auge behalten. Und wenn bei jemandem die Erarbeitung einer wissenschaftlichen Reflexion zur Subsistenz gehört, dann muss man dieser im Alltag der Arbeit eine Form geben. Inhaltlich sowie vom Stellenwert her. [...] «
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Eine Arbeit zu bekommen, die mit den eigenen Interessen vermittelbar ist, das ist das eigentliche Privileg. Wie schon [Georges-Louis Leclerc] de Buffon im Achtzehnten Jahrhundert sagte: Stil hat, wer seine Tätigkeit und seine Interessen konsequent und mit Würde ausführen kann. Das ist aber im Grunde leider ein Privileg heutzutage.« In Bezug auf die Digitalisierung sagt Reck: »Da passieren tausend interessante Dinge. Ich fühle mich in der philosophischen Reflexion der Wissenschaften relativ müde. Ich wäre heute lieber Aktivist in Netzzusammenhängen. [...] Zum ersten Mal zeigt sich doch, dass es Gegenkontrollen und Möglichkeiten der Selbstorganisation gibt, kommunikativ diese Machthierarchien zu unterlaufen. Das finde ich extrem interessant, und es hat sehr viel mit Design zu tun.« Zur Digitalisierung kommentiert er, mithilfe eines Zitates von André Leroi-Gourhan aus seinem Werk , dass die Externalisierung von Wissen in Apparaturen wie Computern eine simple Fortsetzung der Externalisierung, des Speicherns in der Menschheitsgeschichte sei. »Das ist anthropologisch überhaupt nichts Neues.« Jedoch seien »die Nutzung, die Verschiebung und das oppositionelle Potential« interessante Merkmale. »Jetzt hat man Möglichkeiten, extrem viele kommunikative Prozesse der Erörterung in die Gesellschaft hinein zu tragen, die im Grunde vollkommen unerwünscht sind.« Als Beispiel führt Hans Ulrich Reck das Aufdecken von Plagiaten in Doktorarbeiten an: »Da hat sich die systemische Politik ein Bein gestellt, mit der Forderung, in jeder Schule und Universität Computer bereit zu stellen.« Dabei hätten Akademiker heutzutage zu gute Geräte und zu viel Zeit. »Und was machen sie? Sie sagen: Wir wollen doch mal schauen, was denn die Leute so treiben, die uns hier die Geräte liefern und die Arbeit wegnehmen.« Dieses Vorgehen sei extrem intelligent. »Hier wird etwas thematisiert, was gar nicht fassbar war, was jetzt gefasst wird durch Prozesse der gesellschaftlichen Einigung von entwerfenden, reflektie-
renden Menschen unterhalb der gesellschaftlichen Formationsprinzipien. Das könnte ein Modell für Selbstorganisation sein.« Frage: Inwiefern kann eine fundierte, theoretisch basierte Praxis im Design ihr kritisches Potenzial voll ausschöpfen? Lässt sich durch Aspekte wie Open Design wieder etwas politisieren, was angesichts einer starken Individualisierung von Positionen sehr langweilig geworden ist? Das Design hat die technische Revolution zwar nicht vorangetrieben, aber es ist Teil davon. Und ich frage mich, ob das Design dadurch wieder mehr kritisches Potenzial ausschöpfen kann? Hans Ulrich Reck findet, dass solche Fragestellungen unbedingt an die Universitäten gehören. »Wie bildet sich informelles Wissen? Wie kann man damit umgehen? Was sind die wirklichen Einflussgrößen im Design? Wo verlaufen die Machtverhältnisse?« Er führt dazu das Beispiel der Haute Couture in Frankreich an, die nunmehr in China hergestellt wird und nicht mehr in spezialisierten französischen Ateliers. »Das Verschwinden von Wissen, die Umorganisierung von Fähigkeiten, von Kenntnis, [...] das gehört doch reflektiert.« Er hält zudem das weltbürgerliche Räsonieren für extrem wichtig. ‚»Wo gäbe es nochmals so eine Plattform wie früher das Internationale Designzentrum? Was ist die Funktion von Kunsthochschulen? Wir müssen da alle einen Beitrag leisten.«
»Man müsste entwickeln, recherchieren, wahrnehmen, Dinge situieren und nicht schon Erkenntnisse auswerten; schon gar nicht in irgendwelchen langweiligen Doktorarbeiten, die nach Schema F geschrieben werden.«
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Frage: Wie kommen äußere Veränderungen in die Akademien hinein? Können Akademien äußere gesellschaftliche Veränderungen noch gut genug abbilden? Reck gibt zu bedenken, dass Kunsthochschulen aus einem speziellen Bedarf an gesellschaftlicher Selbstreflexion, auch durch Bedarf an Organisation von Wissen hervorgegangen sind. »Es ging auch um die Wahrheitsfrage, die Entwicklung von offenem Erkennen. [...] Wenn man aus der Gesellschaft heraus durch diese Funktion der ständigen kritischen Reflexion, des Erkennens und dann auch des Handelns in den Hochschulen nicht mehr fähig, ist mit der Lebenswelt umzugehen, [...] dann werden Hochschulen und Universitäten zu Grunde gehen.« Hans Ulrich Reck spricht sich zudem radikal für Entbürokratisierung aus:
»Was heiSSt denn eigentlich Nachdenken über ein Curriculum an einer Kunsthochschule? [...] Ich sehe nicht, wozu ein generalisierbares Curriculum überhaupt notwendig sein soll.«
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Birgit S. Bauer, Gerdum Enders, Claudia Mareis, Kai Rosenstein, Hans Ulrich Reck
Protokoll von Lion Wolff
Das erste Podium zielt auf die Verwobenheit von Theorie und Praxis. Birgit S. Bauer bezieht sich direkt auf Claudia Mareis’ Buch und möchte klären, welche Formen von Wissenserlangung, welche Hindernisse, Begriffe und Aufgaben die Anwesenden heutzutage sehen. Claudia Mareis: Designwissenschaft und Designforschung sollen sich sehr heterogen entfalten. Es soll nicht nur eine Form der Designforschung, zum Beispiel die praxisbasierte Forschung, bevorzugt werden. Darüber hinaus hält Mareis es für wichtig, ein Bewusstsein zu sensibilisieren, dass Gestalter dazu bringt, dass die Praxis und ihre Entscheidungen stärker als bisher an historische Diskurse oder kulturelle Praktiken zu lehnen und rät von einem »naiven Zugang zur Praxis« ab. Frage: Wie steht es beispielsweise in Hildesheim um die angewandte Designforschung; wie sind Theorie und Praxis dort verwoben? Gerdum Enders: Wissenskultur habe immer etwas mit Austausch zu tun, aber man komme nur so wenig zum Austausch, da der Vortrag selber oft zu viel Zeit einnehme. Im Zwanzigminutentakt behandele Hildesheim verschiedene Themen mit ausreichenden Pausen dazwischen, um sich auszutauschen. Hierfür nennt Enders verschiedene Beispiele von praktischen und wissenschaftlichen Gästen, u.a. Ernährung, Cyberspace,
Brainfood. Dazu wird über das Format und das Ziel entschieden, wie anschließend weitergearbeitet werden soll. Frage: Welchen Anspruch hat
gehabt?
Kai Rosenstein: Dass sich dort erheblich unterschiedliche Positionen und Wiederstreite zwischen ideologischen Herangehensweisen und dem Versuch, anschlussfähig zu bleiben, gebildet haben und sich noch bilden, mache die Kultur dieses Instituts aus und sei für den Erkenntnisgewinn in jedem Forschungsprojekt notwendig. Ab dem Moment, wo man als Designstudent das Bedürfnis habe, etwas zu erfahren, also man von der Erkenntnissehnsucht getrieben sei, könne man laut Rosenstein von Forschung sprechen. Hans Ulrich Reck ergänzt, dass dieser Erkenntnistrieb einen Sinn habe. Dass etwas bereits im Rahmen einer Forschung behandelt wurde, heiße nicht, dass es abgeschlossen sei – vieles habe mit eigenen Erfahrungen zu tun und müsse selbst erlebt werden. Im Bezug auf Claudia Mareis sagt Reck, es sei eine große wissenschaftliche Anstrengung, die Geschichte zu halten und sich diese mit all ihren Verschiebungen anzueignen, da man Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte nicht mehr trennen könne.
»Wissenschaft wird schlecht, wenn sie die Wissenschaftsgeschichte eliminiert. Und Wissenschaftsgeschichte, die keine wissenschaftliche Fragestellung hat, erstarrt in Ritualen.« Die Historisierung der eigenen Fragestellungen sei ein selbstorganisiertes Forschungsfeld, man solle nicht an fremden Maßstäben messen, was Wissenschaft eigentlich sei. Claudia Mareis merkt an, dass auffälligerweise die Designgeschichte auf dem Symposium nicht angesprochen wurde. Sie glaubt, dass das kein Zufall ist, da die Zukunftsorientierung, die für das Design als charakte[90/91]
ristisch gilt, bisweilen den Blick auf die Vergangenheit versperrt. Ihr ist wichtig, daran zu erinnern, dass es nicht nur herausragende Gestalter und auffällige Konzepte sind, die maßgeblich für die Designgeschichte sein könnten, sondern sie hält es für ein inspirierendes Modelle, auch Gegenkonzepte und unsichtbare Macht-Wissens-Diskurse in Betracht zu ziehen. Kai Rosenstein nennt dazu das Beispiel von Andreas Koop, über das Verhältnis der Veränderung der Typografie der letzten 800 bis 1000 Jahre und deren Widerspiegelungen in Machtverhältnissen. Er erklärt, dass es genau nicht nur um die Analyse der Designsituation im Moment gehe, sondern dass dort tatsächlich auch historische, designgeschichtliche Aspekte integriert werden. Frage: Nimmt die Fähigkeit zur Kritik unter den Studierenden ab? Wo liegt das kritische Potenzial in der Wissenschaftlichkeit und was macht es aus? Welche Risiken geht man ein, wenn man kritische Potenziale in der Wissenschaft nutzen möchte? Hans Ulrich Reck geht davon aus, dass der Ausgangspunkt die künstlerische Existenz sei und nicht das Machen oder die Ästhetik. Er sieht hohes reflexives Potential in der Praxis des Designs und beschreibt selbstempfundene Problemzusammenhänge, die man nicht als Job verfolgen soll, sondern als ein persönliches, vitales Interesse, etwas in Erfahrung bringen zu wollen. Es gehe im Design, aber auch in den Wissenschaften, um Erkenntnisfortschritt und nicht um ›Wissen‹, fährt er fort. Entgegen der Annahme, Wissen entstehe durch die Bestätigung von Hypothesen, spricht Reck davon, dass man sich Hypothesen ›leihe‹, um sie falsifiziert zu sehen – die Zukunft sei ›stärker‹ und bringe immer wieder Widerlegungen für alle Erkenntnisse mit sich.
»Die heutige Wahrheit ist ein noch nicht entdeckter Irrtum.«
Kai Rosenstein erklärt, der erste Schritt sei es, sich in den Diskurs zu wagen, sich mit der Selbstüberzeugung einem Thema zu stellen, welches vielleicht nicht unbedingt in den eigenen Berufskontext passen müsse. Die meisten Forscher seien auch Praktiker, da man die Möglichkeit hat, Forschungsfragen, die aus der Praxis entstehen, zu behandeln. Reck ergänzt, dass man sehr vorsichtig mit der Institutionalisierung von Forschungsprozessen sein muss. Die Situation habe sich verändert: Mit der Einführung zusätzlicher Zyklen in der Ausbildung kommen finanzielle Belastungen auf die Studierenden zu und auch besonders hohe Erwartungen auf ein ›Hinausgehen‹. Wohin? – In die Gesellschaft! Erkenntnisprozesse enden aber nicht mit dem Studium, sondern sollten weitergehen. Reck sieht eine Gefahr darin, mit postgradualen Ausbildungswegen Erkenntnisdrang zu verschulen, denn:
»Herrschaft beginnt da, wo man etwas genau formulieren kann.« Gerdum Enders: In Hildesheim stelle man sich die Frage, was sie in der Evolution von den anderen 81 Kunst- und Gestaltungshochschulen in Deutschland unterscheide? Hildesheim mache integrative Projekte, die die Zukunftsfähigkeit der Designer behandeln. Die Frage sei, lohne sich das Studium? Was müsse man können, um in der Wirtschaft zu bestehen?
»Die Arbeitslosigkeit ist bei Produktdesignern höher als generell bei den Akademikern. Was brauche man in einer sich schnell verändernden, komplizierten Welt, um sein Wissen anzuwenden?« Enders bezeichnet dieses als Erfahrungswissen. Man müsse auch Mechanismen oder Algorithmen schulen, wie man sich in dieser kom[92/93]
menden, komplexer werdenden Welt orientiert. Enders erklärt, dass sie ihren [semiotischen] »Hochschulcode« geklärt haben und mit anderen Hochschulen verglichen haben. Daraufhin haben sie sich überlegt, wie man sich von Anderen unterscheiden könne, um sich zu profilieren. Letztendlich entscheide der Markt, ob ihre Strategie schlau und klar sei. Claudia Mareis fragt: Was denn überhaupt als zukunftsfähiges Wissen gelten könne und wie man dieses zu einer gegebenen Zeit bestimmen könne. Sie möchte sich Reck anschließen und führt an: Was man den Studierenden mitgeben könne, sei im besten Fall eine tiefe Beunruhigung, dass Wissen keine Gewissheit ist, sondern dass Theorie- und Geschichtsbildung sich immer verändern.
»Wie wir heute über Geschichte oder Theorie sprechen, so ist gestern darüber nicht gesprochen worden und es wird morgen noch einmal anders sein. Die Herausforderung besteht darin, sich die Wissenschaft dort zum Vorbild zu nehmen, wo sie gut und interessant ist.«
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Birgit S. Bauer, Bernhard E. Bürdek, Thomas Fankhänel, Felicidad Romero-Tejedor
Protokoll von Simon Frambach Frage: Herr Reck sprach von der Abschaffung des Curriculums, was meinen Sie dazu? Bernhard E. Bürdek erklärt, dass das Bestreben der Abschaffung aller Curricula gut gemeint sei, allerdings wäre man beim Promotionsprogramm in Offenbach jüngst gezwungen gewesen, curriculare Strukturen zu entwickeln. So bekam die HfG Offenbach nur das Promotionsrecht, wenn sie bestimmten minimalen curricularen Strukturen nachkam. Ohne Curriculum hätte es zudem in Offenbach keine Unterstützungsgelder gegeben. Letztendlich komme man nicht um curriculare Strukturen herum. Felicidad Romero-Tejedor schränkt ein, dass das Abschaffen aller curricularen Strukturen an Kunsthochschulen funktionieren könne. Die Frage sei aber, wie die Designer nach ihrem Studium überleben müssten. Macht eine Designhochschule nur , ohne Curriculum, laufen die Designer Gefahr, in der Arbeitswelt von Technikern ausgebootet zu werden, die kein Problem damit hätten, das Design zu übernehmen. Thomas Fankhänel ist gespalten: Einerseits sei das eine interessante Möglichkeit, andererseits verlängere eine Promotion die Ausbildungszeit. Gleichzeitig bringe jede höhere Qualifikation eine Asymmetrie zu einem zukünftigen Chef; man mache es sich nicht leicht, wenn man höher
qualifiziert sei als der Chef. Die höhere Qualifikation spiele aller-dings bei der Personalauswahl eine Rolle, wo Promotion zukünftig als Voraussetzung zu einer Anstellung gesehen werden könnte. Wenn es im Arbeitsmarkt knapp werde, gewännen Promotionen zunehmend an Bedeutung. In einem entspannten Arbeitsmarkt verliere die Promotion hingegen an Bedeutung. Frage: Kann eine Promotion nicht auch einfach als eine Vertiefung der Bildung gesehen werden? Thomas Fankhänel: Man müsse Qualifikationsmöglichkeiten anbieten, die sich auf ein besseres Verständnis des Designs selbst richten. Wichtig sei eine Spezialisierungslaufbahn, die man schon früh im Studium wahrnehmen kann, damit ein Interesse an theoretischer Arbeit wachsen könnte. Interesse müsse dabei immer entwickelt und auch gelernt werden. Letztlich gebe die Promotion die besondere Qualifikation, in einem Begriffssystem zu operieren, welches anderen Absolventen fremd sei, wodurch sich wieder andere Chancen auf dem Arbeitsmarkt ergeben könnten. Bernhard E. Bürdek erklärt, dass das Promotionsprogramm in Offenbach aus zwei Dritteln Theorie und einem Drittel Praxis bestehe (wie auch in Weimar). Es orientiere sich damit am englischen PhD (wobei man an der HfG Offenbach einen Dr. Phil. vergebe). Bürdek ist überzeugt davon, dass die Zusammensetzung aus Theorie und Praxis sehr stimmig sei. Dabei gebe es eine wissenschaftliche Arbeit sowie einen praktischen Teil, in dem eine Theorie verifiziert oder falsifiziert werde. Das Promotionsprogramm in Offenbach wäre der Versuch, die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis etwas aufzuheben. Frage: Wie krisenfest ist die Institution eines Hochschulmodells? Am Beispiel Kassel war zu beobachten, dass eine Fakultät immer kleiner wird, während sie Krisen erlebt, die in den Veränderungen eines Faches liegen. Früher blieben Professoren oft Jahrzehnte an einer Hochschule. Heutzutage ist das nicht mehr so. Die aus der Profession in die Akademie kommenden Lehrenden haben ganz andere Vorstellungen und Ansprüche an ihre Karriere als früher. Wie beweglich sind die Strukturen? [96/97]
Bernhard E. Bürdek kann aus eigener Erfahrung aus Offenbach berichten, die Situation an den Hochschulen, durchaus Zwischenwege zu finden, sei dabei sicherlich erstrebenswert. Auf sechs Jahre befristete Stellen sieht er allerdings kritisch. Felicidad Romero-Tejedor stimmt der Kritik an einer zeitlichen Stellenbefristung zu.
Es fehle den Lehrenden Zeit für die Reifung in der wissenschaftlichen Arbeit. Gleichzeitig müssten die Lehrenden permanent die Zeit nach den sechs Jahren im Kopf behalten und sich fragen, wie sie danach weiterkämen. Thomas Fankhänel erläutert, dass das primäre Opfer bei befristeten Stellen die Studentenschaft sei. Insgesamt sei die Lehre weiter nach hinten gerutscht, da Hochschulen zunehmend mit existenziellen Maßnahmen zu kämpfen hätten. Als Folge werde nichts mehr in die Lehre investiert, was wiederum zu schlechten Prüfungsleistungen führe. Er äußert auch große Bedenken wegen des Bachelor-/Master-Systems. Frage: Gibt es auch positive Utopien in einer beschleunigten Welt, in der Wissen schneller ausgetauscht wird? Designer versuchen mitunter, Theorie und Praxis in einer Person zu definieren. Kann das in der Lehre überhaupt in Personalunion durch so wenige Menschen gemacht werden? Oder braucht man einen schnelleren Personalwechsel und neue Modelle des Lernens, in Bezug auf die Demokratisierung des Wissens sowie jüngsten Entwicklungen im Open Source Design? Felicidad Romero-Tejedor meint, dass die Vorteile bei einem schnellen Wechsel der Lehrenden sein könnten, dass Studenten direkter einzelne Themen mit der Industrie ausführen oder ein besseres JobSprungbrett bekämen. Bernhard E. Bürdek bemerkt, dass die HfG Offenbach schmerzhafte
Erfahrungen mit einer schnell wechselnden Professur von drei Jahren gemacht habe. Bernhard E. Bürdek sieht die Hochschulen hier unter großem Druck. Eine Studentin aus dem Publikum von der Karlsruher Hochschule äußert sich positiv über raschen Wechsel der Professuren, da man bei einem häufigen Wechsel mehr Eindrücke erhalte. Zudem sei die entstehende Dynamik ähnlich einer dem Studenten bevorstehenden Dynamik in der Arbeitswelt. Felicidad Romero-Tejedor befürchtet, dass ein Professor, der nach einem Jahr sein Wissen verbraucht habe, offenbar für den Job unterqualifiziert sei. Bernhard E. Bürdek äußert am Beispiel Offenbach die Hoffnung, nicht nur akademischen Nachwuchs zu produzieren, sondern auch mit einem praxisbasierten Promotionsprogramm anschlussfähig an Fragestellungen zu sein, die sich im Bereich der Industrie stellen. Eine Statistik der DGTF (Deutsche Gesellschaft zur Designtheorie und -forschung e.V.) verzeichnet 13 Orte in Deutschland, an denen man in Design promovieren könne. Thomas Fankhänel betont, dass es bei diesen Promotionsvorhaben eine Abbruchquote von 50 Prozent gebe. Publikum/Hardy Fischer:
Was passiert, wenn alle promovieren und dann dem Arbeitsmarkt begegnen? Was passiert mit Absolventen, die nicht promoviert haben? Und welche Auswirkungen könnte eine verwissenschaftlichte Denkweise auf das Design haben?
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Thomas Fankhänel betont, dass es eine Hinwendung zu Arbeitsmarktnischen gebe, am Beispiel der Marktforschung, die zumeist aus Psychologen und Betriebswirtschaftlern bestehe, denen eine Ahnung von Produkten weitestgehend fehle. Auf diese Problematik bezogen, könne man Produktdesigner mit Qualifikation für Marktforschung ausbilden, die das Gebiet der Markforschung durch eine zielgerichtete Lehre in bestimmten Hinsichten ergänzen könnten. Publikum/Jakob Gebert: Er äußert den Eindruck, dass es in Zukunft immer schwieriger werde, ohne Promotion in die Lehre zu gehen. Gebert befürchtet, dass Universitäten anhand von Promotionen ihren eigenen Nachwuchs generieren würden. Außerdem finde dadurch eine dramatische Degradierung der Promotion statt, auch weil sich zunehmend die Frage stelle, ob eine höhere Zahl Studierender auch eine höhere Zahl Promovierender zur Folge haben müsse. Birgit S. Bauer bemängelt die vorherrschende lineare Auffassung von Arbeitsmärkten und ökonomischen Strukturen, die momentan tiefgreifenden Veränderungen unterworfen seien. Kai Rosenstein betont, dass eine Promotion eine vollkommen eigenständige Auseinandersetzung mit der Disziplin bedeute. Er deutet aber die Möglichkeit an, für diese Auseinandersetzung auch andere Formen als eine Promotion finden zu können. Publikum: Eine Zuhörerin wirft die Frage auf, wie eine Promotion in Designwissenschaften stattfinden kann, wenn die Auseinandersetzung mit theoretischer Arbeit während einem praktisch ausgerichteten Studium gar nicht stattfinden konnte. Eine promovierende Designerin aus Offenbach betont, dass es an der HfG Offenbach eine individuelle Betreuung gebe, die auf einzelne Bedürfnisse eingehen könne, was den Einstieg in theoretische Arbeit erleichtere. Claudia Mareis ergänzt, dass das Aneignen von Theorien immer einen gewissen Zeitraum, eine Inkubationszeit, erfordere, der bei einem zeitnahen Aufeinanderfolgen von praxisbasierter Ausbildung und PhD fehle.
Anschließend erinnert sie an einen FAZ-Artikel von Peter Geimer, in dem betont wurde, dass praxisbasierte Doktorarbeiten im Design erst noch ausweisen müssten, ob sie für den Designmarkt relevant qualifizieren oder ob sie wissenschaftlich anschlussfähig wären.
»In vielen Wissenschaftsdisziplinen gibt es grosses Interesse an Design, und es ist an der Zeit für Designer, entsprechend wissenschaftlich zu forschen und sich selbst aktiv am Aufbau dieses akademischen Feldes zu beteiligen.«
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Studentin Produkt Design Kunsthochschule Kassel
Kommentar zum Symposium Design Theoretisch im Juli 2011 an der Kunsthochschule Kassel Mit dem Beginn des Designtheorie-Symposiums stellt sich schnell heraus, dass meine Vorstellung des Feldes der Designtheorie als ein einziger Begriff zu eng gefasst war. Schnell tauchen weitere separat behandelte Felder wie Forschung, Wissenschaft sowie Geschichte der Designtheorie auf und spannen damit ein Netz aus Begriffen, die sich nicht mit dem praktischen Design zu vereinbaren scheinen. Die Praxis des Gestaltens und die Theorie und Forschung trennen scheinbar unüberbrückbare Gräben, das an den jeweiligen Thematiken der Redner schnell deutlich. Die Tiefe, mit der sie sich in diesen bewegen ist vom Alltag des Produktdesigns weit entfernt. Gleichzeitig stellt sich bezüglich der spürbaren Diskrepanz zwischen der Praxis und der Theorie eine Art von Unverständnis bei mir ein. Die Praxis ergänzt sich meiner Ansicht nach mit der Theorie: Es ist die Durchführung einer Idee und resultiert letztendlich in einer gesammelten Erfahrung. Bei jeder neuen Problemstellung, jeder Aufgabe sind andere Wissensbereiche gefragt, wodurch nicht unbedingt ein tiefes, aber ein sehr breites Wissen bei den Designern entsteht. Designtheorie beschäftigt sich unter anderem sehr intensiv mit den Prozessen der Problemlösung, aus diesem Grunde könnte die Theorie – wie der Modellbau – als ein weiteres Werkzeug des Gestaltens gesehen werden. Die Reflexion dieser Methoden offenbart anhand des Prozesses und der Ergebnisse die Effizienz, die Möglichkeiten sowie die Grenzen von Gestaltungsarbeit. Wissen erwächst aus praktischen Erfahrungen, was die
in anderen Entwurfsprozessen angewendet werden kann. Durch die Variation der Verknüpfungen zu vielen Wissensbereichen steigt einerseits die Komplexität, es ist aber auch ein höheres Maß an Reflexions- und Kritikfähigkeit nötig – der Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit? Das Symposium zeigte darüber hinaus aufgrund der sehr verschiedenen Redner und ihrer Sichtweisen deutlich, dass es auch kein Grundrezept für die Lehre in methodisch-theoretischen Fächern geben kann. Vielmehr muss die Besetzung von Stellen in der Lehre die Suche nach Persönlichkeiten sein. Persönlichkeiten, die es den Studenten ermöglichen, sich auch im Feld der Theorie zu entfalten, sich zu vernetzen, und ihr ganz spezifisches Profil herauszubilden. In Kassel ist die Verknüpfung einer theoretischen Reflexion mit der Designpraxis derzeit schwach. Eines wird dennoch vom ersten Semester an mitgegeben: die tiefe Beunruhigung, die Claudia Mareis zum Thema des nützlichen Wissens erwähnte. Die tiefe Beunruhigung, aus der Fragen und Kritik resultieren, um zum Gegenstand von Veränderungen zu werden.
Studentin Produktdesign Kunsthochschule Kassel
Große Begriffe wie Designtheorie, Designwissenschaft und Designforschung standen auf dem Symposium DESIGN THEORETISCH zur Debatte. Im Laufe der Vorträge zeigte sich schnell, dass diese Begriffe (noch) nicht definiert sind, und dass jeder der Eingeladenen diese anders auslegt und in seiner eigenen Sprache formuliert. Die Diskussionen sind für mich nicht immer nachvollziehbar, aber es sind Diskussionen, die unterschiedliche Blickwinkel zulassen und Perspektiven öffnen: Welchem Vortragenden kann ich gut folgen, was verstehe ich nicht oder lehne ich ab und woran liegt das? Wie beeinflusst [102/103]
die Sprache der einzelnen Referenten und die Art des Vortrags meinen Eindruck von ihnen und dem Gesagten, den Inhalten? Ist eine gemeinsame, wissenschaftliche Sprache hinsichtlich der Unterschiedlichkeit der extrem individuellen Akteure im Schauspiel Design überhaupt möglich? Gerade aus diesen Unklarheiten in Vorträgen und Diskussionen des Symposiums ergaben sich für mich Fragestellungen und Stichworte, die mich weiterhin beschäftigen. Aufmerksam geworden bin ich vor allem bei der Frage, wo (Design-) Forschung beginnt, wie unterschiedlich diese definiert wird und wie und wann sie praktiziert werden kann. Darüber hinaus die Frage, welche Formen von Wissen in der Disziplin Design unterschieden werden, und inwieweit diese überhaupt getrennt voneinander betrachtet werden können. Interessant sind für mich in diesem Zusammenhang die Positionen von Kai Rosenstein und Hans Ulrich Reck, die den Begriff Forschung unterschiedlich auslegen. Rosenstein stellt in seinem Vortrag das Institut Design2context vor. Dort werden Forschungen aus dem persönlichen Interesse des Einzelnen heraus initiiert, die gewonnenen Erkenntnisse in Form von umfangreichen Recherche-Ergebnissen festgehalten und der ›Design-Community‹ zugänglich gemacht. Interessant ist daran, dass auf diese Weise durch den – im Verhältnis – kleinen Beitrag jedes Einzelnen eine riesige Datenbank entsteht, die immer mehr Aspekte der Gesellschaft beleuchtet und kritisch untersucht. ›Concerned Design‹ wie Rosenstein es nennt, kann durch eine solche Vielfalt möglich werden. Reck hält dagegen, indem er behauptet, Forschung sei etwas, was über den persönlichen Erkenntnisdrang hinausgehen muss, wenn sie bestehen will. Denn Forschung will nicht bloß Gegebenheiten untersuchen, erkunden und sichtbar machen, sondern muss noch einen Schritt weitergehen, nämlich neues Wissen generieren. Beide Positionen sind nachvollziehbar. Rosensteins Arbeit macht Lust, selbst forschend tätig zu werden und Projekten eine fundierte Recherche voran zu stellen, sich mutig in komplexe Themengebiete zu wagen. Die Designwissenschaft sei eine eher interpretierende, nach Bedeutungen suchende, als eine naturwissenschaftlich exakte Wissenschaft, behauptet Rosenstein mit einem Verweis auf Max Weber. Das scheint logisch, vor allem, wenn man
Designwissenschaft als eigene Disziplin im Spannungsfeld zwischen Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft verortet – ein Aspekt, der beim Symposium heftig diskutiert wurde. Aber auch Recks diskrete Warnung, nicht allzu schnell von Forschung zu sprechen, wenn vielleicht erst Recherchearbeit geleistet ist, hat ihre Berechtigung. Denn Interpretationen und Bedeutungen mag es viele geben, aber sie müssen fundiert, gut begründet sein und auf Neues verweisen, wenn sie gesellschaftlich relevant sein wollen. Am wichtigsten ist trotzdem, dass (angehende) Designer zum Forschen ermutigt werden, ohne dass beim Begriff Wissenschaft ein monströses Fragezeichen erscheint. Das schafft Rosenstein mit einem gut nachvollziehbaren und klaren Vortrag, der in erster Linie das Institut Design2context vorstellt, statt Begriffe zu klären. Claudia Mareis gelingen mit ihrer unaufgeregten, ruhigen Art feine und komplexe Sprachgebilde, denen man gern folgt. Sie betont den Wert von Designgeschichte, die es als lebendig zu begreifen gilt, und die über die Geschichte von Stilen und Objekten hinausgehend als einen Wissens-Schatz von Theorien, Methoden und Denkweisen zu begreifen ist. Herrn Reck hört man auch gern zu. In nicht unnötig komplizierter, niemals banaler Sprache stellt er eine Vielzahl von Themen zur kritischen Betrachtung und beweist einen differenzierten, spannenden Blick auf unsere Gesellschaft. Nicht immer war das Gesagte verständlich – mal wortgewaltig, fast verkomplizierend, mal leicht nachlässig herunter gebrochen, mal schludrig-schräg, mal ironisierend, mal treffend genau war die Sprache der Referenten. Ich habe das Symposium trotz oder gerade wegen der begrifflichen Wirrungen, der höchst unterschiedlichen Ausdrucksweise der Referenten und obwohl es zu keiner Klärung der drei großen Begriffe Designtheorie, Designforschung und Designwissenschaft kam, als sehr inspirierend erlebt. Vielleicht ist eben genau dies das Kennzeichen von Designwissenschaft – dass sie sich als dritte Form einer Wissenschaft abzeichnet, indem sie [104/105]
geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Kategorien und Ausdrucksformen kombiniert. So wie ich als Designerin entwerfe, indem ich collagiere, wild assoziiere, aus Bekanntem neue Verbindungen herstelle, um etwas Interessantes herzustellen, so muss vielleicht auch in der Designwissenschaft verfahren werden: Verschiedene Wissenskategorien müssen untersucht, herangezogen, aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und gemischt werden, unterschiedliche Blickwinkel zugelassen werden, um das Gebilde Designwissenschaft zu formen. Design-Dinge lassen sich nun mal nicht wie naturwissenschaftliche Phänomene mithilfe von lateinischen Termini wissenschaftlich exakt auf einen Nenner bringen. Design-Anatomie Apropos Naturwissenschaft: Wenn ich als Designerin mal wieder die Anatomie der Dinge studiere, gehe ich dabei durchaus naturwissenschaftlich vor, einer Chirurgin nicht unähnlich. So wie ein Chirurg braucht ein Designer unterschiedlichste Fähigkeiten: zum einen praktische, ja handwerkliche Fähigkeiten, die sowohl fein, genau, vorsichtig, zart sein müssen, wie auch grob, zerstörerisch und dreckig sein können. Skalpell bitte! An Modellen und Prototypen nimmt er mit einer Fülle von Werkzeugen komplizierte Operationen vor, und manchmal pfuscht er auch, wenn es nicht mehr anders geht oder sehr schnell gehen muss (kein Chirurg darf dies tun, und Designer sollten es auch nicht – aber wir wissen alle, dass es hin und wieder vorkommt). Auch braucht er die Fähigkeit zur Analyse – den wachen und schnellen Geist eines Arztes, um eine Diagnose stellen zu können –, und um den bestmöglichen Weg zur Heilung des Patienten zu finden. Zugespitzt gesagt, ist der Patient des Designers unsere Gesellschaft, die Welt, in der wir als Designer agieren wollen. Je nach Auslegung meiner entwerferischen Tätigkeit habe ich die Wahl, mit einem Projekt minimalinvasiv oder radikal in der Gesellschaft zu operieren. Letztendlich aber hoffentlich mit dem Ziel, positive Veränderungen, vielleicht die Genesung eines zumindest kleinen (Körper-) Teils zu erreichen. So wie Ärzte sich immer weiter auf ein Fachgebiet spezialisieren, aber ihr allumfassendes Grundwissen nicht verlieren dürfen; wie sie im Laufe ihrer Ausbildung
und auch danach weiter forschend auf dem neuesten Stand der Technik sein müssen, so müssen auch wir als Designer uns einen kleinen Wirkungsbereich in dieser riesigen Disziplin suchen, ohne unser Verständnis für die Welt in ihrer Gesamtheit zu verlieren, immer auf der Höhe der Zeit. Wir wollen der Welt etwas Gutes tun, haben aber auch genügend Gift im Schrank, um sie zu zerstören. Dass der Arzt eine große Verantwortung trägt, liegt auf der Hand. Etliche Designer haben vielleicht mehr zu verantworten, als sie wissen. Natürlich ist Design für mich mehr als das Bekämpfen von Krankheiten, so wie es auch mehr ist als das Lösen von Problemen. Auch Medizin ist mehr als die Behandlung von Kranken, auch Medizin kann hohe Kunst sein bis hin zum persönlichen künstlerischen Ausdruck eines plastischen Chirurgen, der eine Nase designt – und vor allem ist Medizin auch Forschung. Der Forschungsbericht eines Arztes wird jedoch anders aussehen als der Forschungsbericht eines Designers. Für die Teile unseres Körpers, seine Krankheiten und all die vielfältigen medizinischen Phänomene gibt es genaue Fachausdrücke, auf die sich Mediziner in aller Welt einigen konnten. Für das Design sind diese noch nicht definiert. Ob und wie dies geschehen kann, bleibt auch nach dem Symposium offen und spannend.
Die Frage nach der richtigen Balance zwischen Praxis und Theorie im Design wird immer wieder neu aufgeworfen. Als eine sehr praktische, aber nicht einmal klar definierte Disziplin tut sich Design schwer, sich auf einen Weg zu einigen, denn weder die rein praktische oder die rein theoretische Auseinandersetzung mit Design definiert hinreichend, was Design eigentlich ist. Die Designwissenschaft, noch ein ganz junges Unterfangen, sucht ihren eigenen Weg. Hans Ulrich Recks Beispiel wieder aufgreifend: Die Physik trennt Theorie und Praxis streng und lässt sich diese nicht von Fachfremden verfassen. Kunstwissenschaft hingegen [106/107]
wird aber auch nicht von Künstlern gemacht. Ob Designwissenschaft mehr der Geisteswissenschaft oder der Naturwissenschaft zuzuordnen ist, kann momentan wohl als unentscheidbar gelten. Design ist zu vielfältig, um es je definitiv zuordnen zu können. So verschieden, wie die Ansätze in der Praxis sind, so unterschiedlich können die Wege in der Theorie sein. Auch die Option, als Designer zu promovieren, wird das nicht ändern. Möglicherweise dient sie einer stärkeren Anerkennung von anderen Wissenschaften. Es kann allerdings nicht der alleinige Sinn der Promotion sein, die nötige wissenschaftlich-theoretische Ausbildung zu liefern – da Motiv muss der Erkenntnisdrang sein. Die Grundlagen einerDesignwissenschaft (z.B. Designgeschichte) müsen also noch viel mehr ein wichtiger Teil der Ausbildung zum Designer sein. Allzu oft scheint Designtheorie im Studium, zumindest aus meinem persönlichen Blickwinkel, eher Stiefkind der Praxis zu sein. Als Nebenfach wird es nur nebenbei abgehandelt, getrennt von der praktischen Entwurfsarbeit. Ein bisschen Theorie erfährt zwar auch das Entwurfsprojekt, doch wird dieses nicht selten zu nachlässig behandelt. Meist an das Ende der eigentlichen Arbeit angehängt, oft sogar zeitlich weit vom Entwurfsprozess entfernt, in Form einer Dokumentation. Diese verkommt aber leicht zum schicken Werbeheft des Entwurfes. Zahlreiche Bilder, aufwändiges Layout, spezielle Bindung machen die Dokumentation zwar optisch ansprechend, vernachlässigen aber den Inhalt. Dies geschieht aber selten aus mangelnder theoretischer Auseinandersetzung. Vielmehr geht diese zwischen Modellbau, Recherche, Materialbeschaffung, Präsentationsvorbereitung oder Experimenten unter. Die Zeit fehlt, und eingespart wird, wo man es am wenigsten oder erst bei genauer Betrachtung sieht. Recherche geht schneller über Google und bleibt viel zu oberflächlich. Am Ende verschwindet die Dokumentation im Regal. Die Theorie wird, abgekoppelt vom Entwurfsprozess, als Wahlfach nachgeholt. Von genau diesem Vorwurf kann ich mich natürlich auch selbst nicht befreien. Gerade mit Blick auf noch nachzuholende oder bereits bewältigten Dokumentationen, die zwar die Arbeit beschreiben, genauere theoretische Auseinandersetzung aber vernachlässigen. Eine Veranstal-
tung wie das Symposium zeigt, wie groß der Bereich Designtheorie und Designwissenschaft ist und welche Möglichkeiten existieren. Die von Kai Rosenstein präsentierten Arbeiten von Design2context decken auf, wie verschieden Designforschung sein kann und wie unterschiedlich die Ausmaße oder Formate. Designforschung und -wissenschaft kann auch außerhalb einer Promotion stattfinden und darf ruhig schon früher und stärker Teil des Studiums sein. Das nötige Grundwissen für theoretische Auseinandersetzung und wissenschaftliches Arbeiten sollte vermittelt werden. Vielleicht nicht nur als isoliertes Seminar, sondern als begleitendes Wahlfach. Passend zum Thema des Hauptprojekts. Theorieseminar und Entwurfsprojekt könnten sich gegenseitig unterstützen. Die grundsätzliche Angst oder Ablehnung vor wissenschaftlichem Arbeiten, die oft bei Designstudenten zu beobachten ist, würde damit verringert. Der von Prof. Bürdek angeführten Sprachlosigkeit der Designer würde früh entgegengewirkt. Meist wird Diplom- oder Masterstudenten klar, dass sie gerne mehr wissenschaftliches Arbeiten gelernt hätten, wenn sie eine Promotion anstreben. Die Promotion für Designer, die momentan noch fast ein Kuriosum ist, stellt dann auch oft die erste echte Auseinandersetzung mit wissenschaftlichem Arbeiten dar. Die Promotion sollte auch nicht nur eine Verlängerung der Ausbildung sein, wie von Kai Rosenstein im zweiten Podium befürchtet, auch sollte nicht jeder Designstudent promovieren müssen, um wissenschaftlich arbeiten zu können. Designer müssen selbst forschen und das Maß ihrer Wissenschaftlichkeit selbst definieren. Mit welchen Verfahren im späteren Berufsleben der Erkenntnisgewinn weiter vorangetrieben werden kann, machen beispielsweise Fachgebiete wie die Informatik vor. Sie zeigen, wie Forschung über die Universität hinaus funktionieren kann. Hier bilden sich eigenständige Gruppierungen und Zusammenschlüsse, die sich austauschen, ihre Arbeiten gegenseitig präsentieren und weiterentwickeln. Nicht nur in streng geregelten Rahmen, sondern in unterschiedlichsten Formen. So treffen sich alle vier Jahre auf dem ›Chaos Communication Camp‹ hunderte Informatiker, Techniker und andere Computerinteressierte aus verschiedensten Tei[108/109]
len der Welt zum Zelten, um sich auszutauschen und weiterzubilden. Sowohl durch Vorträge zu verschiedensten Themen, als auch in zahlreichen Workshops und Präsentationen, die mit anderen Fachbereichen, besonders häufig Kunst und Design, verzahnt sind. Oder einfach nur zum gemeinsamen Bauen und Experimentieren mit Technik. Eine solche lebendige Vernetzung zwischen Praxis und Theorie im Design zu etablieren, könnte ein Ziel sein.
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gebührt allen, die an der Durchführung der Veranstaltung im Sommer 2011 so engagiert mitgewirkt haben: (alphabetische Reihenfolge) Leonie Aretz Martin Holzhauer Tim Makeroth Olav Val und dem Kollegium des Fachbereichs Produkt Design an der Kunsthochschule Kassel Prof. Hardy Fischer Prof. Jakob Gebert Prof. Oliver Vogt und dem Rektor der Kunsthochschule Christian Philipp Müller für die Pressearbeit: Henrik Hornung Last, but not least: Angelika Kampe Geschäftszimmer Produkt Design
Redaktion: Birgit S. Bauer Mitarbeit: Carmen Buttjer Simon Frambach Anna Holzapfel Martin Holzhauer Lion Wolff
Lektorat: Stephanie Wurster Layout: Marijke Debatin und Paulina Sos Bildnachweise: S. 10 Claudia Mareis: Reinhard Wendler S. 28 Gerdum Enders: Nikolaus Frank S. 32 Bernhard Bürdek: Sigrid Bürdek S. 48 Kai Rosenstein: privat S.40 Felicidad Romero-Tejedor: Holger van den Boom S. 58 Thomas Fankhänel: privat S.80 Hans-Ulrich Reck: Ursula Büchel Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt ISBN 978-3-8482-0597-4
8.Juli 2011 an der
Unterstützt von www.designkritik.dk
Birgit S. Bauer Hr sg. Design theoretisch ent wer fen | planen | for schen
Reader zum Symposium DESIGN THEORETISCH
Design theoretisch entwerfen/ planen/ forschen
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt ISBN 978-3-8482-0597-4
Birgit S. Bauer (Hrsg.)