C G . JU N G G ESAM M ELTE W ER K E
V IE R Z E H N T E R BA N D Erster Halbband
C. GJU N G
MYSTERIUM CONI UNCTIONIS U N T E R S U C H U N G E N Ü B E R D IE T R EN N U N G U N D ZUSAM M EN SETZU N G D E R S E E L IS C H E N G E G E N S Ä T Z E I N D E R A L C H E M IE U N T E R M IT A R B E IT V O N M A R IE -L O U IS E V O N F R A N Z
W A L T E R -V E R L A G O L T E N U N D F R E I B U R G IM B R E IS G A U
H ER A U SG EBER L IL L Y J U N G - M E R K E R f D R . P H IL . E L I S A B E T H R Ü F Ursprünglich herausgegeben als Psychologische Abhandlungen X I von C. G. Jung
5. Auflage 1990 Alle Rechte Vorbehalten © Walter-Verlag, Olten 1971 Gesamtherstellung den grafischen Betrieben des Walter-Verlags Printed in Switzerland IS B N 3-530-40714-}
IN H A L T
Vorwort der Herausgeber
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(1968 und 1983) Vorwort (Oktober 1954) von C. G. J u n g .........................................................................11 I.
D IE K O M P O N E N T E N D E R C O N IU N C T IO
1. Die G e g e n s ä t z e ...............................................................................................................19 2. Der Quaternio
.............................................................................................................. 23
3. Die W aise und die W itwe
..........................................................................................34
4. Alchemie und Manichäismus II.
.................................................................................... 56
D IE P A R A D O X A
1. Die Arkansubstanz und der Punkt 2. Die Scintilla
3. Das Enigma Bolognese III.
.......................................................................... 62
................................................................................................................... 69 ...............................................................................................75
D IE P E R S O N IF IK A T IO N D E R G EG EN SÄ TZ E
1. E i n l e i t u n g .......................................................................................................................114 2. Sol
................................................................................................................................. 117
3. S u l p h u r ............................................................................................................................ 137 4. Luna A. Die Bedeutung des Mondes
............................................................................. 156
B. Der H u n d ..................................................................................................................175 C. Allegoria alchymica
.............................................................................................190
D. Die M o n d n a t u r ....................................................................................................... 203 5. Sal A. Das Salz als A rk an su b stan z.................................................................................. 214 B. Die Bitterkeit
.......................................................................................................223
C. Das Rote M e e r ....................................................................................................... 230 D. Das vierte der d r e i ..................................................................................................241 E. Auf- und Abstieg
..................................................................................................249
F. Die Reise durch die P lan eten h äu ser...................................................................257 G. Regeneration im M e e r w a s s e r .............................................................................269 H. Deutung und Bedeutung des S a l z e s ...................................................................274
V O R W O R T D ER H ER A U SG EBER
Innerhalb des umfangreichen Schaffens von C G . JUNG ist das « Mysterium Con-
iuncfionis» das gew ichtigste W erk seiner späteren Jahre. Er äußerte einmal, es sei ihm immer schmerzlich gewesen, daß man sich in der Tiefenpsychologie aus innerlicher Notwendigkeit m it so vielen Gebieten der Geisteskultur befassen müsse, daß es nirgends zu einer fachwi ssenschaftlichen Vollständigkeit fuhren könne. In der Alchem ie jedoch habe er ein Gebiet gefunden, in welches sich ihm lohnte, ganz einzudringen. D ie alchemistische Tradition erm öglichte es ihm nämlich, seine durch den direkten persönlichen «Abstieg ins Unbewußte» erworbenen Erlebnisse und Einsichten an ein objektiv vorhandenes Parallelma terial anzuschließen und damit darzustellen. D am it war auch ein Anschluß sei ner Einsichten an die historischen W urzeln der europäischen Geistesentwick lung möglich. D ie Alchemie stellt jedoch nicht nur die historische Vorstufe der modernen Tiefenpsychologie dar: nicht zufällig verwendete J ung in seiner Einführung zu
«Psychologie und Alchemie» die Träume eines modernen Naturwissenschaftlers; denn in der Symbolik der A chem ie ist sehr wahrscheinlich auch jene Vereini gung der Psychologie des Unbewußten m it den Ergebnissen der Mikrophysik antizipiert, welche zu erforschen als Aufgabe noch vor uns hegt. Es ließe sich denken, daß die M aterie, wie J ung verm utete, der konkrete Aspekt der Psyche wäre, aber nicht der individuellen Psyche, sondern des kollektiven Unbewußten, und daß die Archetypen in diesem Falle nicht nur die Strukturdominanten des letzteren, sondern ein weltgestaltender Faktor überhaupt sein könnten. Jeden falls weisen die Synchronizitätsphänomene in diese Richtung. D er an die Sprache der A chem ie nicht gewöhnte Leser m ag durch die Fülle der Symbole und die verwirrende Überlagerung ihrer Bedeutungen zunächst be fremdet sein; aber wenn er einige Originalschriften von A chem isten eingese hen hätte, so würde er im Gegenteil erkennen, welch ungeheure Klärungsarbeit
J ung durch sein synoptisches Verfahren in diesem Gebiet geleistet hat, eine wahrhafte «extractio animae» aus dem Chaos.
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Vorw ort der Herausgeber
Außer dem einführenden W erk « Psychologie und Alchemie» waren alle Schrif ten über Alchemie in dem ursprünglichen Manuskript des «Mysterium Coniunctionis» enthalten, wurden aber dann zum Teil getrennt veröffentlicht, so besonders «Die Psychologie der Übertragung». Um die weitere Herausgabe der gesammelten Schriften J u n g s nicht allzu lange zu verzögern, haben sich die Herausgeber zusammen mit dem Rascher Verlag entschlossen, die noch vorhandenen Druckbögen der ersten Ausgabe (1955/56) zu verwenden. Deshalb wurden kéine Angleichungen an die angloamerikanische Ausgabe (The Collected W orks of C. G. Jung, vol. X IV , 1963) vorgenommen. Es wurden jedoch, außer einer vollständigen Bibliographie, auch die bisher unübersetzten lateinischen und griechischen Textstellen in einem Anhang auf deutsch beigefugt, wo sie der speziell interessierte Leser nachschlagen kann. Sommer 1968
Für die Herausgeber Marie-Louise von Franz
P.S. Sämtliche Übersetzungen wurden für diese Neuausgabe anschließend an die betreffenden Zitate in den T ext beziehungsweise die Fußnoten aufgenom men. W inter 1983
Die Herausgeber
V O R W O RT
Das vorliegende Buch —mein letztes - wurde vor mehr als zehn Jahren begon nen. Den Anlaß dazu gab mir ein Aufsatz K arl K erÉNYis über das Ägäische Fest in Goethes «Faust» Vorlage zum Ägäischen Fest ist ja die « Chymische Hochzeit» des Christian R osencreutz, welche ihrerseits wiederum aus der traditionellen Hierosgamos-Symbolik der Alchemie hervorgegangen ist. Ich fühlte mich damals versucht, den KERÎNYischen Aufsatz vom Standpunkt der Alchem ie und der Psychologie aus zu kommentieren, entdeckte aber bald, daß das Them a einen viel zu großen Umfang besaß, als daß es auf ein paar Seiten hätte dargestellt werden können. Ich habe m ich zwar bald an die Arbeit ge m acht, aber es hat mehr als ein Jahrzehnt gedauert, bis alles, was zu diesem zen tralen Problem gehört, einigermaßen gesammelt und gestaltet war. W ie bekannt, habe ich in meinem 1944 erstmals erschienenen Buch « Psycho
logie und Alchemie» 21 gezeigt, wie gewisse archetypische M otive, die der Alche mie geläufig sind, auch in Träumen moderner Personen, welche keinerlei Kenntnisse der Alchemie haben, auftreten. Ich habe bei dieser Gelegenheit den Ideen- und Symbolreichtum, der in den vernachlässigten Traktaten dieser viel fach mißverstandenen «Kunst» verborgen liegt, mehr angedeutet als - wie er es verdienen würde - ausführlich dargestellt; war es doch ein vordringlicheres An liegen, zunächst den Beweis zu erbringen, daß die alchemistische Symbolwelt keineswegs ausschließlich auf den Schutthaufen der Vergangenheit gehört, son dern vielmehr in lebendigster Beziehung zu den neuesten Erfahrungen und Er kenntnissen der Psychologie des Unbewußten steht. Es stellte sich nämlich her aus, daß nicht nur diese moderne psychologische Disziplin den Schlüssel zum Geheimnis der Alchemie liefert, sondern daß umgekehrt auch diese jener eine sinnreiche historische Basis verschafft. Das bedeutete eine zunächst wenig po puläre Angelegenheit, die auch dementsprechend vielfach unverstanden blieb: N icht nur war die Alchemie als Naturphilosophie und als religiöse Bewegung 1 K erényi , Das Ägäische Fest. Die Meergöttenzene in Goethes Faust II. 2 [Die beiden Hauptteile waren zuerst im Eranos-Jahrbuch (1935 und 1936) erschienen.]
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Vorw ort des Verfassers
fast gänzlich unbekannt, sondern auch die moderne Entdeckung der Archetypen w ar den meisten verborgen oder wenigstens unverstanden geblieben. Ja , es gab nicht wenige, die sie für bloße Phantasien hielten, wo doch das bekannte Bei spiel der ganzen Zahlen, die eher entdeckt als erfunden worden sind, sie eines Besseren hätte belehren können, nicht zu sprechen von den «patterns o f behaviour» der Biologie. W ie die Zahlen und Instinktform en, so gib t es noch viele andere natürliche Anordnungen oder Typen, welche durch allgemein bekannte «représentations collectives» (L évy -Bruhl ) dargestellt sind. Das sind keine «metaphysischen» Spekulationen, sondern zu erwartende Symptome der Einheit der Spezies H om o sapiens. Es gibt heutzutage eine so große und vielfältige Literatur, welche die psycho therapeutischen Erfahrungen und die Psychologie des Unbewußten beschreibt, daß jedermann Gelegenheit hat, sich m it den empirischen Befunden und den herrschenden Lehrmeinungen darüber bekannt zu machen. Das gleiche g ilt aber nicht für die Alchem ie, deren allgemeine Darstellungen von der irrigen Annah me, sie sei nichts anderes als eine Vorstufe der Chemie, getrübt sind. H ER BER T SiLB ER ER 3
war der erste, der in den viel wichtigeren psychologischen Aspekt
derselben einzudringen versuchte, soweit sein noch beschränktes Rüstzeug ihm dieses Unternehmen erm öglichte. Es ist schwierig, bei der Abwesenheit moder ner Darstellungen und der relativen Unzugänglichkeit der Quellen sich ein richtiges Bild von der Problem atik der philosophischen Alchem ie zu machen. Es ist die Absicht des vorliegenden W erkes, diese Lücke auszufüllen. W ie schon der selbstgewählte Nam e «spagirische»4 K unst oder die oft wie derholte Devise «solve et coagula» (löse und verfestige) andeuten, sieht der Al chem ist das W esentliche seiner K unst in der Trennung und Lösung einerseits und in der Zusammensetzung und Verfestigung andererseits: Es handelt sich für ihn einerseits um einen Anfangszustand, in welchem gegensätzliche Tenden zen und K räfte miteinander im K am pf liegen, andererseits um die große Frage einer Prozedur, welche die getrennten feindlichen Elemente und Eigenschaften wieder zur Einheit zurückzuführen imstande wäre. Dabei war der Anfangszu stand, das sogenannte Chaos, nicht ohne weiteres gegeben, sondern m ußte als m ateria prim a gesucht werden. Und wie der Anfang des W erkes nicht selbstver ständlich war, so noch viel weniger das Ende desselben. Es gibt zahllose Speku lationen über die N atur des Endzustandes, die sich in dessen Bezeichnungen wi-5
5 Probleme der Mystik u n d ih rer Symbolik. 4 [Von σττάειν = reißen, zerren, ausstrecken, und ötyeipetv = Zusammenhängen, sammeln.]
V orw ort des Verfassers
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derspiegdn. Den meisten gemeinsam sind die Ideen der Dauerhaftigkeit (Le bensverlängerung, Unsterblichkeit, Unverw eslichkeit), der Androgynie, der G eistigkeit und Körperhaftigkeit, der M enschenhaftigkeit, M enschenähnlich keit (hom unculus) und G öttlichkeit. D ie offenkundige Analogie dieser Gegensatzproblematik ist im psychischen Gebiete die Dissoziation der Persönlichkeit infolge des Zusammenstoßes in kompatibler Tendenzen, die in der Regel auf einer unharmonischen Anlage be ruhen. D ie in solchen Fällen geübte «Verdrängung» des Gegensatzes (F R E U D ) fuhrt nur zur Verlängerung und zur Ausdehnung des Konfliktes, das heißt zur Neurose. D ie Therapie konfrontiert daher die G egensitze und zielt auf deren dauernde Vereinigung hin. D ie Bilder des Zieles, die dabei in den Träumen auftreten, gehen vielfach den entsprechenden alchemistischen Symbolen parallel. Ein Beispiel im Großen ist das dem A rzt wohlbekannte Phänomen der «Über tragung» ( F r e u d ) , welches dem M otiv der «chymischen H ochzeit» entspricht. Ich habe, zur Entlastung des vorliegenden W erkes, der Psychologie der Übertra gung 1946 eine besondere Untersuchung5 gewidm et, wobei die alchemistische Parallele als Leitfaden diente. Ebenso kommen die in den Träumen nicht selte nen Andeutungen oder Darstellungen der Ganzheit beziehungsweise des Selbst auch in der Alchem ie vor und bilden dort die vielen Synonyme des lapis philo sophorum, welcher seinerseits von den Alchem isten m it Christus in Parallele gesetzt wurde. Letztere Beziehung gab, um ihrer großen Bedeutung willen, An laß zu einer speziellen Untersuchung «Beiträge zur Symbolik da Selbst»6. W eitere Abzweigungen aus dem Them a dieses W erkes bilden mein Aufsatz über den «Philosophischen Baum »7 die Abhandlung «D ie Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusam m enhänge»8 und «Antwort auf Hiob» ( 1952). D er erste T eil dieses W erkes ist dem Them a der Gegensätze und ihrer Verei nigung gewidm et, der zweite Teil der Darstellung und Kom m entierung eines alchemistischen Textes, der, offenbar von einem Kleriker verfaßt, wahrschein lich dem 13. Jahrhundert angehört und in höchst eigenartiger W eise einen Gei steszustand, in welchem sich Christentum und Alchem ie wechselseitig durch dringen, offenbart. Er versucht m it H ilfe der M ystik des Hohenlieda die anschei nend heterogenen Ideen christlicher und naturphilosophischer Herkunft in Form eines hymnischen Ergusses zusammenzuschmelzen. Es ist dies der T ext 5 D ie Psychologie der Übertragung. Erläutert anhand einer alchemistischen Bilderserie. 6 [Untertitel von:] Aion. 7 In: Von den Wurzeln des Bewußtseins. “ In: [J ung UND P auli,] Naturerklärung und Psyche.
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Vorwort des Verfassers
der sogenannten «Aurora consurgens /» (oder auch «Aurea hora»), welcher von jeher dem T homas von Aquino zugeschrieben wurde. Es ist sozusagen über flüssig zu vermerken, daß die THOMAS-Historiker ihn stets zu den «spuria et fal sa» (illegitim en und fälschlichen Schriften) gerechnet haben oder rechnen wür den; dies wohl aus traditioneller Unterschätzung der Alchem ie! D ie negative Bewertung derselben beruht in der Hauptsache auf mangelndem Verständnis. Man wußte nicht, was sie fur ihre Adepten bedeutete, weil man sie für bloße Goldmacherei hielt. D aß sie das in ihrem besten Verstände nicht ist, hoffe ich in meinem Buche « Psychologie und Alchemie,» gezeigt zu haben. D ie Alchemie hat einem A lbertus Magnus, R oger B acon und auch T homas sehr viel be deutet. W ir haben nicht nur das frühe Zeugnis des Z osimos von Panopolis aus dem 3.Jahrhundert, sondern auch dasjenige des P etrus BONUS von Ferrara aus dem Anfang des 14.Jahrhunderts, welche beide auf den Parallelismus des alchemistischen Arkanums m it dem Gottmenschen hinwiesen. D ie «Aurora consur gens I» versucht, christliche und alchemistische Anschauung zu einen, und ich habe sie deshalb als Beispiel einer Auseinandersetzung des m ittelalterlich-christ lichen Zeitgeistes m it der alchemistischen Philosophie gewählt und gewisser maßen als Illustration zur vorangegangenen D arstellung der alchemistischen Gegensatzproblematik an den Schluß des W erkes gesetzt. Für den ersten und zweiten Teil bin ich verantw ortlich, für den dritten meine M itarbeiterin, Fräulein D r.phil. Marie-Louise von F ranz 9. W ir geben diese Schrift gemeinsam heraus, weil beide Autoren jeweils auch an der Arbeit des an deren beteiligt sind. Außerdem bin ich einer Reihe von anderen Persönlichkei ten Dank schuldig, so namentlich in Sachen hebräischer Tradition in engerem Sinne Fräulein D r.phil. Riwkah Schärf und Herrn D r. Sigmund Hurwitz. Zu besonderer Dankbarkeit aber hat m ich wiederum Frau Lena Hurwitz durch die gewissenhafte Ausarbeitung des Registers und durch ihre Hilfe beim Korrektu renlesen verpflichtet. Ebenso m öchte ich an dieser Stelle meiner früheren Sekre tärin, Frau M arie-Jeanne Boller-Schmid, und Fräulein Magda Pestalozzi für die sorgfältige Ausarbeitung der druckfertigen Reinschrift meinen besten Dank aussprechen. Es melden sich heutzutage wieder allerhand Tendenzen zum W orte, welche das allgemein noch nicht anerkannte Unbewußte eliminieren m öchten, indem
9 [Band QI der Einzelausgabe: Aurora consurgens. Em dem Thomas von A quin zugeschriebenes Dokument der alchemistischen Gegensatzproblematik. Erscheint nicht im Rahmen der Gesammelten W erke.]
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man die Hypothese desselben als persönliches Präjudiz derer, die sich dieser H y pothese bedienen, erklärt. Merkwürdigerweise wird dabei auf die vorgelegten Beweise keine Rücksicht genommen, m it dem bekannten V orurteil, Psycholo gie sei nichts anderes als eine vorgefaßte subjektive M einung. Es ist zwar zuzu geben, daß wohl in keinem anderen Gebiete eine so große Gefahr besteht, daß der Forscher seinen subjektiven Voraussetzungen zum Opfer fällt. Sicherlich muß er in erhöhtem M aße seiner persönlichen Gleichung bewußt bleiben. So jung auch die Psychologie der unbewußten psychischen Vorgänge sein m ag, so hat sie es doch schon zur Feststellung gewisser Tatsachen, die sich in zuneh mendem M aße allgemeiner Anerkennung erfreuen, gebracht. Z u diesen gehört die Gegensatzstruktur der Psyche, welche sie m it allen natürlichen Vorgängen gemeinsam hat. Letztere sind energetische Phänomene, die stets aus einem we niger wahrscheinlichen Zustand von Gegensatzspannung hervorgehen. Diese Form ulierung ist für die Psychologie insofern sogar von besonderer Bedeutung, als das Bewußtsein in der Regel zögert, die Gegensätzlichkeit seines eigenen Hintergrundes einzusehen oder zuzugeben, obschon es gerade daraus seine Energie bezieht. Zu dieser Struktur hat sich die Psychologie gewissermaßen eben erst vorgeta stet, und es stellt sich nun heraus, daß die alchemistische Naturphilosophie un ter anderem die Gegensätze und ihre Vereinigung zu einem ihrer Hauptgegen stände gem acht hat. Allerdings bedient sie sich in ihrer Darstellung einer Sym bolterm inologie, die häufig an die Sprache unserer Träum e erinnert, welche oft m it den Problemen der Gegensätzlichkeit beschäftigt sind. W ährend das Be wußtsein nach Eindeutigkeit strebt und klare Entscheidungen verlangt, muß es sich doch stets aus Gegenargumenten und -tendenzen befreien, wobei besonders inkompatible Inhalte entweder ganz unbewußt bleiben oder gewohnheitsmäßig oder gar geflissentlich übergangen werden. Je mehr dies der Fall ist, desto unbe wußter bleibt die Gegenposition. Da die Alchemisten bis auf verschwindende Ausnahmen nicht wußten, daß sie psychische Strukturen zutage förderten, son dern stoffliche Verwandlungen zu erklären verm einten, so hat sie keine psycho logische Rücksicht oder Empfindlichkeit daran gehindert, Hintergrundvorgän ge ihrer Psyche, vor denen ein bewußterer Mensch sich scheuen würde, zu ent schleiern. Diesem Umstand verdankt es die Alchem ie, daß sie besonders dem Psychologen so viel bedeutet. Aus diesem Grunde auch haben es die Verfasser dieses W erkes für eine w ichtige Aufgabe erachtet, der alchemistischen Auffas sung der Gegensätze und ihrer Vereinigung oder Aussöhnung eine ausführliche Untersuchung zu widmen. W ie abstrus und fremdartig dabei die Sprache und
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V orw ort des Verfassers
Vorstellungskraft der Alchem ie dem Uneingeweihten auch erscheinen m ag, so im m ittelbar und lebensnahe werden sie, wenn durch eine vergleichende Erfor schung ihrer Symbole die Beziehung zu den Vorgängen im Unbewußten zutage tritt. Letztere können einerseits ein M aterial der Träum e, der spontanen Phanta sien und der W ahnideen sein, andererseits können sie in den Schöpfungen der dichterischen Einbildungskraft und in der religiösen Bildersprache beobachtet werden. D ie zur Vergleichung herangezogenen M aterialien wirken auf den aka demisch vorbereiteten Leser insofern oft in hohem M aße befremdlich, als er sol che Stücke nur in ihrer unpersönlichen historischen, ethnischen und geographi schen Um gebung kennt, nicht aber in ihren psychologischen Beziehungen zu analogen Bildungen, welche ihrerseits den verschiedensten Quellen entstam men können. M an wird sich eigentlich selbstverständlicherweise zunächst daran stoßen, wenn gewisse Symbolformen in altägyptischen T exten m it modernen vulgärreligiösen Befunden aus Indien und zugleich aus Träumen eines nichtsah nenden Europäers in nächste Beziehung gesetzt werden. W as dem H istoriker und Philologen schwer fallt, bedeutet für den A rzt kein Hindernis. Von der Bio logie her ist er von der Vergleichbarkeit aller menschlichen Tätigkeiten viel zu sehr beeindruckt, als daß er von der Ähnlichkeit beziehungsweise fundamenta len G leichheit der M enschen und ihrer seelischen Lebensäußerungen ein beson deres Aufheben machen könnte. Ist er Psychiater, so wundert er sich nicht über die prinzipielle Ähnlichkeit psychotischer Inhalte, ob sie nun aus dem M ittelal ter oder der Gegenwart, aus Europa oder Australien, von Indem oder Amerika nern stammen. D ie zugrunde liegenden Vorgänge sind instinktiver N atur, da her universal und ungemein konservativ. D er W ebervögel baut sein N est in sei ner ihm eigentümlichen A rt, gleichviel wo er sich befindet; und wie man kei nen Grund zur Annahme hat, daß er vor dreitausend Jahren ein anderes N est gebaut hat, so besteht auch keine W ahrscheinlichkeit dafür, daß er in den näch sten Jahrtausenden seinen Stil ändern wird. W ennschon der Mensch in seiner modernen Variante m eint, er könne sich unbegrenzt wandeln oder durch äußere Einwirkung verwandelt werden, so bleibt doch die erstaunliche oder —besser — erschreckende Tatsache bestehen, daß er trotz Zivilisation und christlicher Er ziehung m oralisch noch in einer tierähnlichen Unfreiheit befangen ist und da her jederzeit der großen Bestie verfallen kann. Das ist gerade heute eine univer salere W ahrheit denn je, garantiert unabhängig von Bildung, Erziehung, Spra che, Tradition, Rasse und Standort. D ie Erforschung der alchemistischen Symbolik fuhrt sowenig wie die Be schäftigung m it M ythologie vom Leben w eg, nicht m ehr als die vergleichende
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Anatom ie von der Anatom ie des lebenden Menschen. Im Gegenteil dient uns die Alchem ie als ein wahres Schatzhaus der Symbolik, deren Kenntnis fur das Verstehen der neurotischen und psychotischen Vorgänge ungemein hilfreich ist. Um gekehrt aber wird dadurch die Psychologie des Unbewußten auch an wendungsfähig auf jene Gebiete der Geistesgeschichte, wo Symbolik in Frage kommt. Gerade hier ergeben sich Fragestellungen, deren Lebensnahe und Le bensintensität die der therapeutischen Verwendungsmöglichkeit noch übertref fen. H ier sind allerdings noch viele Vorurteile zu überwinden. So wie man glaubt, daß zum Beispiel mexikanische M ythologeme unm öglich m it ähnlichen europäischen Vorstellungen zu tun haben könnten, so hält man es auch für eine phantastische Annahme, daß ein ungebildeter Zeitgenosse klassische Mythen m otive träumen sollte, die doch nur dem Spezialisten bekannt sind. Man meint im m er noch, daß dergleichen Beziehungen w either geholt und darum unwahr scheinlich seien. Man vergißt aber, daß etwa die Struktur und die Funktion der menschlichen O rgane überall m ehr oder weniger die gleichen sind, unter ande rem auch das Gehirn. Insofern die Psyche von diesem Organ in hohem Grade abhängt, wird sie verm utlich auch überall —im Prinzip wenigstens —dieselben Formen hervorbringen. Um dies einsehen zu können, m uß allerdings auch das noch weitverbreitete V orurteil, die Psyche sei m it dem Bewußtsein identisch, aufgegeben werden. Im O ktober 1954
C G . J ung
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D IE K O M P O N E N T E N D E R C O N IU N C T IO
1. D IE G E G E N S Ä T Z E
D ie in der coniunctio sich verbindenden Faktoren sind als Gegensätze gedacht, die sich entweder feindlich gegenüberstehen oder sich liebend gegenseitig anziehen1. Zunächst handelt es sich um einen Dualismus, zum Beispiel der Gegen sätze humidum (feucht) —siccum (trocken), frigidum (k alt) - calidum (w arm ), superiora (O beres) - inferiora (U nteres), spiritus (G eist, eventuell auch anima) - corpus (K örp er), coelum (H im m el) - terra (E rd e), ignis (Feuer) - aqua (W asser), Helles und Dunkles, agens (A ktives) - patiens (Passives), volatile (flüchtig, gasförm ig) - fixum (fest), pretiosum (kostbar, eventuell auch carum ■= teuer) - vile (b illig), bonum (g u t) - malum (böse), manifestum (offenbar) occultum (respektive celatum - verborgen), oriens (O sten) - occidens (W e sten), vivum (lebendig) - mortuum (to t), masculus (m ännlich) - foemina (W eib ), Sol - Luna. O ft ist die Gegensätzlichkeit auch als ein quatem io (V ierheit) angeordnet, das heißt als zwei sich durchkreuzende Gegensätze, wie etwa die vier Elemente oder die vier Eigenschaften (feucht, trocken usw .) oder die vier Himmelsrichtungen und Jahreszeiten2,* woraus sich das K reuz ab Zei chen der vier Elemente und damit als Symbol der unter dem Monde liegenden physischen Schöpfung5 ergibt. Diese vierheifliehe Physis, das Kreuz, findet 1 RlPLAEUS {Duodecim portarum axiom ata philosophica in: Theatrum chemicum, 1602, II, p. 128) sagt: «D ie coniunctio ist die Verbindung getrennter Eigenschaften oder eine Gleichmachung der Prinzipien.» 2 Vgl. dazu die Darstellung der Tetramerie in: Stolcius de Stolcenbbrg , V iridarium thym i cum, Fig. X LII. 5 Vgl. Consilium coniugii in: A rs chemica, p. 79: «.. in hoc lapide sunt quatuor elementa, et assimu latur mundo, et mundi compositione» [in diesem Stein sind die vier Elemente enthalten, und man vergleicht ihn deshalb m it dem Kosm os], Vgl. ferner M aier (D e circulo physico quadrato, p. 17): «Natura, inquam, dum circumgyravit aureum circulum, in ipso motu qualitates quatuor in eo aequa vit, hoc est, homogeneam illam simplicitatem in sese redeuntem quadravit, sive in quadrangulum duxit aequilaterum, hac ratione, ut contraria a contrariis et hostes ab hostibus aeternis quasi vinculis
I D ie Kom ponenten der Coniunctio
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sich auch im Zeichen für Erde ÿ , Venus ? , Merkur $ , Saturn tj und Ju p i ter I f 4. 2
D ie Gegensätze und ihre Symbole sind so allgemein in den Texten verbrei tet, daß es überflüssig ist, dafür Belege aus den Quellen anzugeben. Dagegen lohnt es sich bei der Am biguität der alchemistischen Sprache (tam ethice quam physice!), etwas näher auf die A rt und W eise, wie die T exte die Gegensätze be handeln, einzugehen. Ungemein häufig ist der Gegensatz männlich - weiblich personifiziert als K önig und Königin (im «Rosarium philosophorum» auch als Kaiser und K aiserin), als servus (Sklave) oder vir rubeus (roter M ann) und mu lier candida (weiße F rau )5, in der « Visio Anslei» als Gabricus oder Thabritius und Beja, Königssohn und Königstochter erscheinend6. Ebenso häufig sind theriom orphe Verbildlichungen, welche vielfach Anlaß zu entsprechenden Illustra tionen geben7. Ich erwähne Adler und K röte («Aquila volans per aerem et bufo gradiens per terram ») ais «Emblema» des A v i c e n n a bei M i c h a e l M a i e r 8, von welchen der Adler die Luna darstelle «oder die Ju n o, Venus, Beja, welche flüch tig und beflügelt sei, wie der Adler, der zu den W olken entfliegt und die Strah len der Sonne in seine Augen aufnimmt». D ie K röte «steht im Gegensatz zur Luft, sie ist ein dieser entgegengesetztes Elem ent, nämlich die Erde, auf der al lein sie sich langsamen Schrittes bewegt, und nie vertraut sie sich einem ande ren Elem ent an. D er K op f ist ihr sehr schwer und blickt zur Erde. Aus diesem colligentur, et invicem teneantur.» [Indem also die N atur den goldenen Kreis herumdrehte, har sie in dieser Bewegung die vier darin enthaltenen Eigenschaften einander angeglichen und so ein ho mogenes, in sich zurückkehrendes Einfaches vervierfacht oder in ein gleichseitiges Viereck verwan delt, dadurch daß Gegensätzliches von Gegensätzlichem und Feinde von Feinden mit ewigen Ban den zusammengebunden und gegenseitig festgehalten sind.] P etrus B onus sagt, «in circulo sunt elementa coniuncta vera amicitia» [im Kreis sind die Elemente in wahrer Freundschaft vereint] (M argaritapretiosa novella in: Bibliotheca chemica curiosa, hg. M angetus , II, p. 35b). 4 Vgl. D bb, Monas hieroglyphica (Theatr. chem., 1602, II), p.220. ! Vgl .Cons. coniugii in: A rs chem., p.69f.; Clangor buccinae in : Artis auriferae I, p.484. In der Kab bala liegt der Fall umgekehrt: Rot bezeichnet das Weibliche, W eiß (die linke Seite) das Männliche. Siehe M üller , D er Sohar und seine Lehre, p. 22. 6 Aenigma ex Visione Arislei in: A rt.aurif. I, p. I46ff. Vereinigung von Sonne und Mond: P btrus
B onus (ed. Lacinius ), Pretiosa margarita novella, p. 112. Hierbei spielt der Archetypus der himmli schen Hochzeit eine große Rolle. Auf primitiver Stufe findet sich dieses Motiv bereits im Scha manismus. (E liade , Schamanismus und archaische Ekstasetechnik, p .85) 7 Die vollständigste Sammlung der in Druckwerken erschienenen Illustrationen ist das 1624 in Frankfurt erschienene Viridarium chymicum des Stolcius de Stolcenberg . 8 Symbola aureae mensae, pp. 192 und 199 [der in der Luft fliegende Adler und die auf der Erde gehende K röte].
1. t t e Gegensätze
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Grunde bezeichnet sie die philosophische Erde, die nicht fliegen (sublim iert werden) kann, da sie fest und solide ist. A uf ihr als Basis und Fundament ist das goldene H aus9 zu errichten. W enn es beim W erke die Erde nicht gäbe, würde die Luft davonfliegen, weder hätte das Feuer seine N ahrung, noch das W asser sein G efäß10». Eine andere beliebte Tierdarstellung ist die der beiden Vögel oder Drachen, s von denen der eine geflügelt ist, der andere aber ungeflügelt. Diese Allegorie stam m t aus dem alten T exte «De Chemia Senioris antiquissimi philosophi libel lus» M. D er ungeflügelte hindert den anderen am Fliegen. Sie stellen Sol und Luna, Bruder und Schwester dar, die durch die K unst vereinigt werden12. In den LAMBSPRlNCKschen Symbolen sind es die astrologischen Fische, die, in entge gengesetzter Richtung schwimmend, den Gegensatz von «G eist und Seele» dar stellen. D as W asser, in dem sie sich befinden, ist das «mare nostrum» und wird als corpus15 gedeutet14. D ie Fische haben weder Fleisch noch Knochen (sine omni carne et ossibus)15. Aus ihnen entsteht ein mare immensum, eben die aqua permanens, wie oben. Ein weiteres Symbol sind H irsch und U nicom , die 9 Nämlich das «Schatzhaus» (gazophyladum, domus thesauraria) der Philosophie, welches ein Synonym des aurum philosophorum resp. des lapis ist. VgL die 5. Parabel der A urora consurgens. Die Vorstellung geht auf Alphtoius zurück (Gons, coniugii in: A rs chan., p. 109) und letztlich auf ZoSImos.
der den lapis als weißen, lichtstrahlenden Marmortempel beschreibt (B brthelot , Collection des
andern alchimistes grecs, III, i, 5). 10 Symh. aureae mensae, ρ. 200. 11 Der Druck ist undatiert. Er stammt aber höchstwahrscheinlich aus der Emmelschen Offizin in Straßburg und dürfte in die gleiche Zeit fallen mit der dort 1566 erschienenen A rs chemica, die in puncto Druck, Papier und Format mit unserem «libellus» Ubereinstimmt. Der Autor Senior Z adith FILIUS H amuel könnte vielleicht zu den Harranern des 10.Jahrhunderts gehören oder we nigstens von diesen beeinflußt sein. W enn die von Stapleto n (M uhammad bin Umail: His Date, Writings, and Place in Alchemical History) angeführte Clavis maioris sapientiae mit dem unter dem N a men A rtephius überlieferten gleichnamigen lateinischen Traktat identisch wäre, könnte dies als er wiesen gelten, da dieser Traktat die typische harranische Astrallehre enthält. R uska (Studien zu M . ihn Umail) ordnet Senior in den Kreis der auf ägyptischem Boden entstandenen Turba-letentut ein. 13 SENIOR sagt: «Desponsavi ego duo luminaria in actu, et facta est illa quasi aqua in actu habens duo lumina» [Ich habe also die zwei Leuchten Sonne und Mond in T at und W ahrheit verheiratet, und es entstand sozusagen ein Wasser, das tatsächlich beide lichter enthält] (1. c., p. 15 f.). 11 «Corpus» bedeutet in der Regel (als corpus nostrum) den chemischen Körper, die Materie, moralisch aber den Körper des Menschen. «Meer» ist ein gewöhnliches Symbol des Unbewußten. Der «Körper» wäre demnach alchemistisch auch ein Symbol des Unbewußten. 14 Musaeum hermeticum, p. 343. 15 «Aenigma II» in: A rt. aurif. I, p. 149.
22
I D ie Kom ponenten der Coniunctio
einander im «W alde» begegnen16. D er H irsch bedeutet die anima, das Unicom den spiritus und der W ald das corpus. In den beiden nächsten Bildern der LAMBSPRINCKschen Symbole erscheinen Löwe und Löw in17, beziehungsweise W o lf und Hund, welch letztere einander bekämpfen; sie sind Symbole von ani ma und spiritus. In der Septima Figura symbolisieren zwei Vögel im W alde, der eine flügge, der andere noch nicht flügge, die Gegensätze. W ährend bei den er sten Bildern ein Gegensatz zwischen G eist und Seele zu bestehen scheint, be deutet der Gegensatz der zwei Vögel eher den Konflikt zwischen Geist und K örper. In der O ctava Figura stellen tatsächlich zwei miteinander kämpfende Vögel den Gegensatz zwischen Geist und K örper dar, wie die Beschriftung be weist. D er Gegensatz zwischen Geist und Seele rührt von der Feinstofflichkeit dieser her. Sie neigt damit näher zum hylischen K örper und ist «densior et cras sior» (dichter und gröber) als der Geist. 4
D ie Erhöhung der menschlichen Figur zum K önig oder zur G ottheit oder ihre untermenschliche, theriomorphe Darstellung weisen auf den bewußtseins transzendenten Charakter der Gegensatzpaare hin. Sie gehören nicht zur Ichpersönlichkeit, sondern überragen diese. Letztere steht zwischen ihnen, wie die «anima inter bona et mala sita» (die zwischen Gutes und Böses gestellte Seele). D ie Gegensatzpaare bilden vielmehr die Phänomenologie des paradoxen Selbst, der menschlichen Ganzheit. Daher greift ihre Symbolik nach Ausdrücken kos mischer N atur wie caelum - terra18. Die Intensität des Gegensatzes drückt sich aus in Symbolen wie Feuer - W asser19, Höhe - T iefe20, Tod und Leben21.
16 Siehe Abb. 24o in: (J u n g ,] Psychologie und Alchemie. 17 Das gleiche in «Clavis X I» (der «Eilfite Schlüssel») des B asilius V alentinus , Chymische Schrifften, p.68; im Viridarium , Fig. X I, LV, LXII. Varianten sind Löwe-Schlange (V irid ., F ig .X II), Löwe-Vogel (F ig.I X X X I V ) , Löwe-Bär (Fig.X C III und CVI). l8Vgl. PETRUS B onus , Prêt. marg. nov. in: Theatr. ehern. (1622) V , p.647f.: «Hermes: Necesse esc ut in fine mundi, coelum et terra coniungantur; quod verbum est philosophicum.» [Hermes: Es ist unumgänglich, daß am Ende der W elt Himmel und Erde vereint werden, was ein philosophi sches W o rt ist.] Ferner Mus. herm., p. 803. 19 Ms. incipit «Figurarum aegyptiorum secretarum», 18.Jh ., im Besitze des Autors. 20 «Sic absconditur altitudo et manifestatur profunditas» [So wird die Höhe verborgen und die Tiefe sichtbar gemacht]. (M us. herm ., p.652) 21 Vgl. die oft wiederholte Phrase «de mortuo facit vivum» [aus Totem macht er Lebendiges]. (M y liu s , Phtlosophta reformata, p. 191)
2 . D er Q uatem io
2i
2. D E R Q U A T E R N IO
Z ur Anordnung der Gegensätze in einer Vierheit gibt das « Viridarium» eine in- 5 teressante Illustration (F ig .X L II), die sich auch in der «Philosophia reformata» des Mylius (1622, p. 117) findet. D ie Göttinnen stellen die vier Jahreszeiten der Sonne im Tierkreis (A ries, Cancer, Libra, Capricornus) dar und zugleich die vier Grade der Erhitzung22,* sowohl wie die vier Elemente, die am runden Tisch «zu sammengesetzt» sind25. D ie «Synthese» geschieht durch die Kreisbewegung (circulatio, rota24) in der Z eit, nämlich durch den Sonnenlauf, der durch die Häuser des Tierkreises fuhrt. W ie ich am angeführten O rte gezeigt habe, zielt die circulatio auf die Erzeugung (respektive W iedererzeugung) des runden Ur menschen. Vielleicht darf in diesem Zusammenhang auch ein eigenartiges
OsTANES-Zitat bei Abu ’l-Q asim erwähnt werden. Es schildert die Stellung zwi schen zwei Gegensatzpaaren, also im quatem io: “Ostanes said: ‘Save me, O my God, for I stand between two exalted brilliancies known for their wickedness, and between tw o dim lights; each o f them has reached me and I know not how to save m yself from them’. And it was said to m e, ‘G o up to Agathodemon the G reat and ask aid o f him , and know that there is in thee somewhat o f his na ture, which will never be corrupted.’ And when I ascended into the air he said to me, ‘Take the child o f the bird which is mixed with redness and spread for the gold its bed which comes forth from the glass, and place it in its vessel whence it has no power to come out except whence thou desirest, and leave it until its moistness has departed’ 25.”
22 M yliu s , P hil, ref., p. 118. D er vierte ist die coniunctio, die also auf den Capricornus fiele. 2S M ylius bemerkt dazu (l.c., p. 115): «.. consurgit aequalitas... ex quatuor repugnantibus, in natura communicantibus» [es entsteht eine G leich heit... aus vier sich bekämpfenden, in ihrer N a tur aber sich berührenden Elem enten]. Eine verwandte antike Vorstellung scheint die ηλιακή τράireÇa [Sonnentisch] der orphischen Mysterien darzustellen. Vgl. P roclus, Commentarius in Platonis Tim aeum , 41 d [III, ρ.25θ] : καί Opqeùs οιδε μέν καί τόν τοϋ Διονύσου κρατήρα, ττολλούΐ δέ
καί &λλοΰ$ ιδρύει τερί τήν Η λιακήν τρά ιτε ζαν. [.. und Orpheus kannte den Mischkrug des Dionysos und setzte noch viele andere um den Sonnentisch]. (Vgl. H e RODOT, H istoriae, III, 17 f. [G eschichte, p. 13 ff.] ; P ausanias , G raeciae descriptio, V I, 26,2) 24 Vgl. Psychologie un d A lchem ie, Index s. v. Rad, rota, insbes. [Paragr. 469, Anm. lio ] das Seelen schöpfrad der A cta A rchelai. 25 [Ostanes sagte: «R ette mich, o mein G ott, denn ich stehe zwischen zwei erhabenen Leuchten, die für ihre Bosheit bekannt sind, und zwischen zwei schwachen Lichtern; sie alle haben mich er reicht, und ich weiß nicht, wie ich mich selbst vor ihnen retten kann.» Und es wurde mir gesagt:
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I D ie Kom ponenten der Coniunctio
D er Q uaternio besteht in diesem Fall offenbar aus den zwei m alefici, M ars und Satum . Ersterer ist der Herrscher des Aries, letzterer der des Capricornus. D ie zwei schwächeren Lichter wären in diesem Falle wohl weibliche, nämlich der M ond (C ancer) und die Venus (Libra). D ie Gegensätze, zwischen denen O s r a n e s steht, sind also einerseits männlich —weiblich, andererseits böse—gut. D ie A rt, w ie O stanes über seine Beziehung zu den V ier spricht — er weiß nicht, w ie er sich vor ihnen bewahren soll —deutet auf «Gestimszwang» (h d m arm ene) hin, das heißt auf eine bewußtseinstranszendente Gegebenheit, an deren W urzel der menschliche W ille nicht heranreicht. D ie verderbliche W ir kung der vier Planeten würde, abgesehen von dem durch sie ausgeübten Zwang, darin bestehen, daß jeder von ihnen seine spezifische W irkung auf den Menschen ausübt und dadurch ein Vielerlei von Personen in ihm erzeugt, wo er doch Einer sein sollte26. Herm es, verm utlich, richtet seine Aufmerksamkeit dar-
«Geh hinauf zu Agathodaimon dem Großen und bitte ihn um Hilfe, und wisse, daß in dir etwas von seiner Natur vorhanden ist, das nie verdorben werden wird.» Und als ich in die Luit aufstieg, sagte er zu mir: «Nimm das Junge des Vogels, das m it Röte vermischt ist und sein Bett ausgebreitet hat Air das Gold, das aus dem Glase kommt, und lege es in sein Gefäß, aus dem es nicht herauszu kommen vermag, außer wo du es wünschest, und laß es darin, bis die Feuchtigkeit verschwunden ist».] (H olm yard , Kjiab al-’ilm almuktasab, p-38) 16 Die Idee der Vereinigung der Vielen zur Einheit findet sich nicht nur in der Alchemie, son dern auch schon bei O rigenes (In bomiliae librum Regnorum, l . / 1 , 4 (M ig n e , P.G . X II, col.998]): «Erat vir unus. Nos, qui adhuc peccatores sumus non possumus istum titulum laudis acquirere, quia unusquisque nostrum non est unus, sed est m ulti... Vides, quomodo ille, qui putatur
esse, non est , sed tot in eo personae videntur esse, quot mores, quia et secundum scripturas , sondern viele is t... Sieh, wie jener, der scheinbar ist, gar nicht ist, sondern so viele Personen scheinen in ihm zu sein, als er Charaktereigenschaften hat; weil es nach der Schrift heißt, und sam melte mich von überallher, und ich gebar dem Archonten keine Kinder, sondern riß seine Wurzeln aus und sammelte die zerstreuten Glieder, und ich erkannte dich, wer du seiest. Denn ich gehöre, sagt sie, zur Zahl der Oberen.» Vgl. auch die Vision und Audition Ponar. X X V I, 3: «Ich bin du, und du bist ich, und wo immer du bist, dort bin ich, und ich bin in allen Dingen ausgestreut, und von wo immer du willst, kannst du mich sammeln; indem du mich aber sammelst, sammelst du dich selber.» Die innere Vielheit des Menschen entspricht seiner mikrokosmischen Natur, welche
2. D er Q uatem io
25
auf, daß etwas Inkorruptibles in seiner N atur sei, das er m it dem Agathodaim on27 gemeinsam habe, also etwas G öttliches, offenbar den Keim des Einsseins. Dieser Keim ist das Gold, das aurum philosophorum28, der Vogel des Hermes, respektive der Sohn des Vogels, welcher eben der filius philosophorum ist29. Dieser m uß in das vas Herm eticum verbracht und so lange darin erhitzt wer den, bis die ihm noch anhaftende Feuchtigkeit, das humidum radicale, die prim a m ateria, das heißt das ursprüngliche Chaos und das Meer (das Unbewußte) ver schwunden ist, woraus man auf eine Bewußtwerdung schließen m üßte. W ir wissen, daß die Synthese der V ier eine der Hauptpräokkupationen der Alchemie
in sich die Gestirne und ihre (astrologischen) Wirkungen enthält. So sagt ORIGBNBS (In Lev. hem. V, 2 [MlGNE, P .G . X II, col. 4 4 9 f .]): einteilige re habere intra temetipsum greges b o um ... Intellige habere te et greges ovium et greges caprarum. .. Intellige esse intra te etiam aves coeli. N ec mire ris quod haec intra te esse dicimus; intellige te alium mundum esse in parvo et esse intra te solem, esse lunam, etiam stellas... videas habere te omnia quae mundus habet.» [Merke, daß du in dir sel ber Rinderherden h a st... auch Schaf- und Ziegenherden. In dir sind auch die Vögel des Himmels. Wundere dich nicht, wenn ich sage, dies sei in d ir... Verstehe, daß du ein anderer Kosmos bist im kleinen, in dir sind Sonne, Mond und Sterne... Sieh ein, daß du alles in dir hast, was die W elt ent hält.] Man vergleiche damit, was D orneus (D e tenebris contra naturam in: Theatr. chem., 1 6 0 2 ,1, p. 553: «Quatuor in caelo planetis imperfectioribus, quatuor in corpore nostro correspondere volunt elementa, ut Saturno, Mercurio «(statt Luna, siehe oben> Veneri, et Marti, terra, aqua, aer, et ignis, ex quibus conflatum est, et infirmum propter partium imperfectionem. Plantetur itaque arbor ex eis, cuius radix adscribatur Saturno» [Den vier unteren Planeten am Himmel sollen die vier Elemente in unserem Körper entsprechen, dem Saturn, dem Merkur , der Venus und dem Mars entsprechen Erde, Wasser, Luft und Feuer; aus ihnen ist er aufgebaut und auch ge schwächt wegen der Unvollkommenheit seiner Bestandteile. Also soll man den Baum pflanzen, des sen W urzel dem Saturn zugeschrieben ist], nämlich den philosophischen Baum, das Symbol des Entwicklungsprozesses, der zur Einheit des filius philosophorum, des lapis, fuhrt. (Vgl. J ung , D er philosophische Baum, Paragr. 409.) 27 Der ά γ α θ ό ί δαίμων ist griechisch ein schlangenhafter, chthonischer Fruchtbarkeitsdämon, verwandt mit dem heroischen Genius. In Ägypten ist er ebenfalls ein schlangengestaltiger Lebens und Heilkraft spendender Dämon. Im Berliner Zauberpapyrm ist er der ά γα θό ? γεω ργοί, ein Erdbe fruchter [P reisendanz , Papyri Graecae Magicae I, pp.4 /5 , Z .2 6 ], Auf gnostischen Gemmen ist er mit Henoch vereinigt. Henoch ist schon früh mit Hermes parallelisiert. Die Ssabier, welche den Agathodaimon dem Mittelalter als ein πνεύμα πάρεδρον der magischen Prozedur überlieferten, identifizierten ihn mit Hermes und Orpheus. (CHWOLSOHN, D ie Ssabier und der Ssabismus II, p. 624) O lympiodor (B erthelot , Aich. Grecs, II, rv, 18, pp. 8 7 /8 0 ) erwähnt ihn als «geheimnisvolleren Engel» (μυστικώτερον & γγελόν), als Ouroboros oder «Himmel», womit er zum Synonym des späteren Mercurius wird. 28 Vgl. damit die indische Lehre von Hiranyagarbha, dem «Goldkeim», und Purusha. Hiezu mei ne Ausführungen in: Z ur Psychologie östlicher Meditation. 29 Vgl. ΰληε rrjs öpvi/ftoyovias bei Z osimos (B erthblo T, l.c., III, xliv, 1, p.219).
I D ie Komponenten der Coniunctio
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ist, und ebenso (aber in kleinerem M aße) die der Sieben (scilicet M etalle). So sagt im gleichen T exte Hermes zur Sonne: “And it will be due to thee from me that I cause to come out to thee the Spirits o f thy brethren , O Sun, and that I make them for thee a crown the like o f which was never seen; and that I cause thee and them to be within me, and I will make thy kingdom vigorous” 30. H ier handelt es sich um die Zusammensetzung der Planeten re spektive M etalle m it der Sonne zu einer Krone, die in ihm, nämlich Hermes, sein wird. D ie K rone bedeutet die königliche Ganzheit, welche über der heimarmene steht und die Einheit darstellt. Dies erinnert an die sieben- (oder zwölf) strahlige Lichtkrone, welche die Agathodaimonschlange auf den Gem men träg t31, und ebenso an die Krone der Sapientia in der «Aurora consur
gens» 32. ?
In einem ähnlichen Quaternio sind die vier Eigenschaften angeordnet als «combinationes duarum contrarietatum », «frigidum et humidum, quae .. . non sunt amicabilia caliditati et siccitati»33. W eitere Quatem ionen sind: «D er Stein ist zuerst ein Greis, zuletzt ein Knabe, weil die albedo am Anfang und die rube do am Ende ist34.» Ebenso sind die Elemente angeordnet, nämlich als zwei «ma nifesta»: W asser und Erde, und zwei «occulta»: Luft und Feuer35. Ein weiterer*210
10H olmyard , l.c., p.37 [Und es wird dir von mir zustehen, daß ich die Geister deiner Brüder
12 [M arie -Louise
von
Franz (H g .), pp.47/49] Weiteres Material bei G oodenough , The
Crown o f Victory in Ju daism . Senior (D e chemia, p .4 l) nennt die «terra alba foliata» die «corona vic toriae». In den H eliodori carm ina («Carmen Archelai», Z. 252) bringt die in den Körper zurückkeh rende Seele diesem ein νικητικόν σ τέμ μ «, einen Siegeskranz, mit. In der Kabbala heißt die oberste Sephira (wie die unterste!) Kether, die Krone. In der christlichen Allegorik bedeutet die Krone die humanitas Christi (R abanus Maurus, Allegoriae in Sacram Scripturam [M igne , P .L. C X II, co l.9 0 9 ]). In den A cta Ioannis, § 1 0 9 (Neutestamentliche Apokryphen, p. 190) heißt Christus διάδεμα. 53 Cons. am iugii in: A rs chemica [das Kühle und das Feuchte, die der W arm e und der Trockenheit feindlich sind - Kombinationen zweier Gegensätzlichkeiten], p. 196. 34 Opusculum «authoris ignoti» in: A rt. aurif. I, p. 390, meist als «Rhasis» zitiert. Vgl. auch die T u rba (R uska , T u rba philosophorum , p. 161); ferner EPHRAEM SYRUS (Hymni et sermones, I, col. 136): «Puerulus tuus senex est, o virgo, ipse est Antiquus dierum et omnia praecessit tempora» [dein Knäblein ist ein Greis, o Jungfrau, er selbst ist der Alte der Tage, der aller Zeit voranging]. 35 D orneus , Physica Trism egisti in: Theatr. ehern. (1602) I, p.420. Die Teilung der Elemente in zwei obere, «psychische», und zwei untere, «somatische», geht bereits auf Aristoteles zurück. (Vgl. v. Lippm an n , Entstehung und Ausbreitung derAlchemie I, p. 147.)
27
2. Der Quatemio
Quatemio ist angedeutet in dem Satze des B e r n a r d u s T
r e v is a n u s :
«W as das
Obere ist, hat die Natur des Unteren, und was hinaufsteigt, die N atur des Hin absteigenden 56.» Im «Tractatus Micreris» findet sich folgende Zusammenset zung: «In ihm sind des Himmels und der Erde, des Sommers, Herbstes, W inters und des Frühlings Bilder (figurae), die Männlich keit und die Weiblichkeit. W enn du dies geistig (spirituale) nennst, so ist wahrscheinlich, was du tust; wenn körperlich, so sagst du die W ahrheit; wenn himmlisch, so lügst du nicht; wenn die Erde, so hast du recht berichtet38.» In diesem Fall handelt es sich um einen doppelten Quatemio, dessen Struktur etwa folgendermaßen aussieht:16*
16 L ib er d t a lch m ia in: Theatr. ehern. (1602) I, p.775. 57 Mare ist Synonym der prima materia. 58 T heatr. ch m . (1622) V , p. 111. Dieser Traktat (Micreris “ Mercurius) ist zweifellos alt und wohl arabischer Provenienz. D er gleiche Ausspruch wird auch von M ilvescindus (P e tr u s B o n u s , Pretiosa m arg. nov. in: Theatr. ch m ., 1622, V , p .662f.) zitiert. In der Turba (hg. R u sk a , Lc., P - 320) heißt er M ir n e f in d u s .
28
I Die Komponenten der Coniunctio
Der doppelte Quaternio respektive die Ogdoas stellt eine Ganzheit dar, ein Wesen, das zugleich himmlisch und irdisch, geistig und körperlich ist und sich im «Indischen Meere», das heißt im Unbewußten befindet. Es ist ohne Zweifel der Mikrokosmos, der mystische Adam und zwiegeschlechtige Urmensch gewis sermaßen in seinem pränatalen Zustand, wo er mit dem Unbewußten identisch ist, weshalb im Gnostizismus der «Vater des All» nicht nur als mann-weiblich (beziehungsweise keines von beiden) bezeichnet wird, sondern auch βυ θό ? (Meerestiefe) heißt. In den Scholien zum «Tractatus aureus Hermetis» w findet sich ein Quaternio von superius — inferius, exterius — interius. Diese werden durch die zirkuläre Operation, «Pelecanus» genannt40, zu Einem vereinigt: «Omnia sint unum in uno circulo sive vase» (alle seien Eines in einem Kreise oder Gefäß). «Dieses Gefäß nämlich ist der wahre philosophische Pelikan, und es ist kein anderer in der ganzen W e lt zu suchen.» Dazu gibt der T ext folgendes Diagramm:
B C D E bedeuten die erwähnten Gegensätze, A die Quelle oder den U r sprung und zugleich das Ziel derselben41, F G Oberes und Unteres, «welche ” Dieser Traktat ist arabischen Ursprungs, abgedruckt in: B ibi. ehem. I, p.400ff. 40 «... dum enim rostrum applicat pectori, totum collum cum rostro flectitur in circularem for mam ... sanguis effluens e pectore mortius pullis reddit vitam» [indem er seinen Schnabel an die Brust legt, dreht er den ganzen Hals samt Schnabel in einen K reis... das aus der Brust strömende Blut gibt den toten Jungen das Leben zurück], (l.c., p.442b) 41 «.. tanquam prindpium et fons, a quo reliquae literae defluunt, et simul etiam finis ultimus» [wie als Urprinzip und Quelle, daraus die übrigen Buchstaben fließen, sowie auch als letztes Ziel] (l.c. und p.443a).
2. D er Quatem io
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Buchstaben», wie der T ext sagt, «zusammen alle die verborgene magische Sie benzahl deutlich darstellen». D er M ittelpunkt A , Ursprung und Z iel, «Oceanus sive mare magnum», ist an anderer Stelle als ein «drculus exiguus» (ein sehr kleiner K reis) und als «M ittler» (m ediator) bezeichnet, der «Frieden schafft zwischen den Feinden oder Elementen, so daß sie sich in richtiger Um armung gegenseitig lieben42.*» Dieser kleine innere K reis entspricht dem Merkurbrun nen des « Rosarium», den ich in der «Psychologie der Übertragung» geschildert habe, und wird als der «geistigere, vollkommenere, edlere M ercurius»45, als die eigentliche Arkansubstanz, als ein «spiritus» erklärt, wozu der T ext bemerkt: «Allein der Geist durchdringt alles, auch die festesten K örper44. So besteht die Universa lität (catholicismus) der Religion oder der wahren K irche nicht in einer bestimmten sichtbaren und körperlichen Vereinigung von Menschen, sondern in der unsichtbaren, geistigen Übereinstimmung und Harmonie derer, die fromm und wahrhaft an den einzi gen Jesum Christum glauben. W e r sich nämlich außer diesem K önig der K önige —wel cher der alleine und einzige H irt der geistigen wahren K irche ist —einer gewissen beson deren K irche verschreibt, ist schon ein Sektierer, Schismatiker und K etzer. Denn das Reich G ottes kommt nicht sichtbar, sondern ist in uns, wie unser Heiland selber sagt in
Lukas 17.» 45 42
l.c., p.408b. Vgl. auch die W orte der «Braut» in der Aurora com. I, Kp. 12: «Ich bin die Mitt
lerin zwischen den Elementen, die eines mit dem anderen versöhnt: was warm ist, kühle ich ab; was trocken ist, mache ich feucht; was hart ist, weiche ich auf und umgekehrt.» (Vgl. SlNIOR, D e che mia, p. 34.) n Bibl.chem ., p.408a. 44 «..om nem re m ... solidam penetrabit» (Tabula smaragdina, ρ .2, 9). D ie Satzform «Spiritus enim solus penetrat omnia, quantumvis solidissima corpora» [D er Geist allein nämlich durchdringt alles, sogar die festesten Körper (Bibi, chem., p. 443 a)] ist wohl nicht ohne Bezug auf «Spiritus enim omnia scrutatur, etiam profunda Dei» [«Denn der Geist erforscht alles, auch die Tiefen Gottes»] : 1. K or. 2,10. Der Mercurius der Alchemisten ist ebenfalls ein Spiritus veritatis, eine sapientia Dei, die aber abwärts in die Tiefe der Materie dringt, und deren Erlangung daher ein donum Spiritus Sancti ist. Er ist der Geist, der das Geheimnis der Materie erkennt und dessen Besitz Erleuchtung bedeutet, in Entsprechung zum Paulinischen «quae Dei sunt nemo cognovit, nisi Spiritus Dei». [«So hat auch niemand erkannt, was in G o tt ist, als nur der Geist Gottes» (1. Kor. 2,11)]. 45 Bibi, cbem., p.443a. «Non venit regnum Dei cum observatione» [Das Reich Gottes kommt nicht so, daß man es beobachten könnte] ; «Ecce enim regnum Dei intra vos est» [Denn siehe, das Reich Gottes ist in eurer M itte] (èvtôs υμών) (Luk. 17,20 und 21), was neuerdings m it «unter euch» übersetzt wird, also «in visibili ... et corporeo hominum coctu» [in der sichtbaren körperli chen Gemeinschaft der M enschen], worin sich jene moderne Tendenz manifestiert, den inneren Zu sammenhalt des Menschen durch äußere Gemeinschaft zu ersetzen, wie wenn einer, der keine Ge meinschaft m it sich selber hat, einer äußeren überhaupt fähig wäre. M it dieser verwerflichen Ten denz wird der Vermassung vorgearbeitet.
I Die Komponenten der Coniunctio
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D aß die Ecclesia spiritualis gem eint ist, ersehen w ir aus den W orten des T extes: «Aber du w irst fragen, wo sind denn jene wahren Christen, die frei sind von al ler sektiererischen Ansteckung?» D ie seien weder in Samaria, noch in Jerusa lem , noch in Rom , noch in Genf, noch in Leipzig usw., sondern «überall durch die ganze W e lt zerstreut, in der Türkei, in Persien, Italien, Gallien, Deutsch land, Polen, Böhm en, M ähren, England, Amerika und selbst im fernsten In dien». E r fährt fort: «Ein G eist ist G ott (Spiritus est D eu s)46, und die Ihn anbe ten, müssen Ihn im G eiste und in der W ahrheit anbeten. N ach diesen Erkennt nissen und Einsichten überlasse ich es jedem zu beurteilen, welche nun zur wah ren K irche gehören und welche nicht47.» Aus diesem bemerkenswerten Exkurs ersehen wir zunächst, daß das «cen trum » die V ier und die Sieben zum Einen vereinigt. Das Vereinigende ist der spiritus M ercurii4®, und dieser einzigartige Geist sodann gibt dem A utor Anlaß, sich zu der Ecclesia spiritualis zu bekennen, denn der G eist ist G ott. Dieser reli giöse Hintergrund zeigt sich schon in der Auswahl der Bezeichnung «Pelikan» für den zirkulären Prozeß. Ist doch dieser Vogel eine wohlbekannte allegoria C hristi49. D ie Vorstellung von M ercurius als dem Friedenstifter, Vereiniger der 46 -πνεύμα ό θ εό « (Jo. 4,24). 47 L e , p.443a. 48 In seiner Speculativa philosophia (Theatr. chem., 1 6 0 2 ,1, p.291) sagt DORNEUS über die «Verei nigung»: «Talis est amor philosophicus inter inanimatorum partes, et inimicitia, qualis in partibus hominis . Verum in illis, non magis quam in his, unio vera fieri non potest, corruptione dictarum partium non ablata prius ante coniunctionem: quapropter pacem inter inimicos est quod facias, ut amici conveniant in unum. In omnibus corporibus imperfectis, et ab ultima sua perfectione deficientibus, sunt amicitia et inimicitia simul innatae
2. D er Quaternio
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sich bekämpfenden Elemente und Hersteller der Einheit, hat wohl Beziehung zu E p h eser 2 , 1 3 - 2 2 : «Jetzt aber, in Christus Jesus, seid ihr, die ihr einst fern w art, nahe gekommen in dem Blute Christi. Denn er ist unser Friede, der beide Teile zu einem Ganzen gem acht und die Scheidewand des Zaunes, die Feindschaft, abgebrochen hat in seinem Fleisch, indem er das Gesetz der in Satzungen bestehenden Gebote abgetan hat, um die zwei in ihm selbst zu einem neuen Menschen zu schaffen, dadurch, daß er Frieden stiftete, und um die beiden in einem Leibe m it G ott zu versöhnen durch das Kreuz, nachdem er durch dieses die Feindschaft getötet hatte. Und er kam und verkündigte als frohe Botschaft Frieden euch den Fernen und Frieden den N ahen; denn durch ihn haben wir beide den Z u tritt in einem Geist beim Vater. So seid ihr nun nicht mehr Fremde und Beisassen, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen G ottes, aufgebaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, wobei Christus Jesus sein Eckstein ist, in dem der ganze Bau zu sammengefugt heranwächst zu einem heiligen Tempel im Herrn, in dem auch ihr miter baut werdet zu einer W ohn un g Gottes im G eist50.»
Zur Erläuterung dieser Parallele ist zu bemerken, daß der A utor der Scholien zum «Tractatus aureus'i'i seiner Darstellung der Gegensatzvereinigung folgende Bemerkung vorausschickt: Schließlich erscheine beim W erke «jene sehnlichst erwünschte blaue oder himmlische Farbe, die durch die heilsame W irk samkeit ihres Glanzes den Blick des Schauenden nicht verdunkelt und abstumpft, wie w ir es bei der Strahlung der äußerlichen Sonne sehen. Vielmehr schärft und stärkt sie
diesen, und nicht tötet er den Menschen durch seinen Blick wie der Basilisk, sondern vielmehr ruft er die dem Tode schon N ahen durch das vergossene eigene Blut zurück und gibt ihnen die frühere Unversehrtheit des Lebens wieder, wie der Pelikan51» die victorem mortis excitavit et super omne nomen exaltavit.» [Man sagt auch, daß der Pelikan sei ne Jungen so sehr liebt, daß er sie mit seinen Krallen tötet. Aber am dritten Tage zerfleischt er aus Schmerz sich selber und läßt sein Blut aus der Brust auf die Jungen tropfen und erweckt sie so wie der vom Tode. Der Pelikan bedeutet den Herrn, der die W e lt so geliebt hat, daß er für sie seinen eingeborenen Sohn hingab, den er am dritten Tage als Sieger vom Tode erweckt und über alle N a men erhöht hat.] Pelikan heißt aber auch die Retorte, deren Ausflußrohr wieder in den Bauch des Gefäßes mündet. » Vgl. dazu die Bemerkung zu 2. Kor. 3,6 («littera enim occidit, Spiritus autem vivificat» [«denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig»] bei O lympiodor (B erthelot , Aich, grecs, II, iv, 41, pp. 102/94) : (D er Kenner der verborgenen alchemistischen Kunst spricht zu ihnen) «W ie verstehe ich nun die Wandlung (μ ετα βολή ν) ? W ie sind das W asser und das Feuer feindselig und einander entgegengesetzt, von Natur einander gegenübergestellt, durch Harmonie und Freundschaft im Gleichen zusammengekommen?» 11 Bibi. ehem. I, p.442b.
I D ie Komponenten der Coniunctio
)2
(der nämlich seine toten Jungen wieder m it seinem Blute belebt). In Analogie zum Blute Christi wird der M ercurius als «spiritualis sanguis» (geistiges B lu t) aufgefaßt52. Im Epheserbrief geschieht die Annäherung der Getrennten «in san guine Christi». Christus m acht von Zweien Eines und hat die Scheidewand «in carne sua» aufgelöst. «Caro» ist ein Synonym der prima materia und daher auch des M ercurius53. D as «Eine» ist ein «novus homo». Er versöhnt die beiden «in uno corpore»54, was die Alchem ie bildmäßig durch den zweiköpfigen Herm aphroditen darstellt. D ie beiden haben einen G eist, in der Alchemie eine Seele. M it Christus als lapis angularis (Eckstein) wird der Stein öfters verglichen55. D er Tempelbau auf dem Fundament der Heiligen hat bekanntlich auch den «Hirten des Herm as» zu seiner Vision des großen Gebäudes angeregt, welchem
52 (Aqua permanens) «cuius vis est spiritualis sanguis, id est, tinctura... N am corpus incorporat spiritum per sanguinis tincturam: quia omne quod habet spiritum, habet et sanguinem.» [Das ewi ge W asser, dessen Kraft das geistige Blut ist, das heißt die T ink tu r... Der Körper nämlich läßt den Geist körperlich werden durch die Tinktur des Blutes, denn alles, was Geist hat, hat auch Blut.) (M y liu s , Phil, ref., p .42f.) Dies stammt aus der Turba (R uska , L c., p. 129), resp. aus dem Buche al-Habib (R uska ,
L c., p .42f.).
Schon bei den griechischen Alchemisten galt das Gold als «rotes
Blut des Silbers» (B erthelot , L c., II, IV, 38 und 44, pp. 100 und 105). VgL auch P h o o , Quaestione in Genesim II, § 142 (A. 59): «Sensibilis autem et vitalis (spiritus) sanguis est essentia; dicit enim alibi: omni spiritui carnis sanguis est.» [Der empfindende Lebensgeist ist in seiner Essenz Blut, denn es heißt anderswo: fur allen Geist ist das Blut der Körper.) (L eisegang , D er Heilige Geist, p p .972 u n d 942.) 53 «Fili, aedpere debes de pinguiori came» [Sohn, du mußt vom fetteren Fleisch nehmen] ( Ar i stote les -Z î tat
im Ros. phil. in: A rt. aurif. II, p.318). Lapis «crescit ex carne et sanguine» [Der
Stein wächst aus Fleisch und Blut] (MAHOMET-Zitat aus Rosinus ad Sarratantam in: A rt. aurif. I, p. 308). «.. ovum in carne capere» [das Ei im Fleisch fassen] (L aurentius V entura , D e lepide phi los. in: Theatr. chem., 1602, II, p .274); «..elige carnem teneram, et habebis rem optimam» [wähle das zarte Fldsch, und du hast das Beste] (l.c., p.282). «Caro et sanguis» entsprechen dem «internus et occultus ignis» [inneren, verborgenen Feuer] (D orneus , D e transmut. met. in: Theatr. ehern., 1 6 0 2 ,1, p. 599). Zur patristischen Auffassung vgl. A ugustinus , Quaeütm e in Heptateuchum, I, i x in: M ig n e , P.L. X X X I V , col.616: «Christus figuratus est in carnibus ad vesperam» [Christus nahm Gestalt an im Fleische zur Abendzeit. - N icht wörtlich, auch nach Opera, III/I, col. 692]. 34 Vgl. Aenigm. phil. in: A rt. aurif. I, p. 151: «Et tunc accipe vitrum cum sponso et sponsa, et proiice eos in fornacem, et 6 c assare per tres dies, et tunc erunt duo in carne una.» [Und dann nimm die Retorte mit Bräutigam und Braut, und stelle sie in den Ofen, und röste sie drd Tage lang, und dann werden sie zwei in einem Fleische sdn.] ( = G ene. 2,24; M at. 19,5) 33 «.. quemadmodum Christus. .. Lapis angularis ab aedificatoribus reiectus in sacra scriptura vo catur; Ita quoque Lapidi Sophorum idem accidit» [wie Christus., in der Schrift der Eckstein heißt, der von den Bauleuten verworfen wurde, so geschieht das gleiche auch dem Stein der Weisen] (O rthelius , Epilogus in: Theatr. ehern., 1661, VI, p .431).
2. Der Quatemio
33
die Menschen, ans den vier Himmelsgegenden kommend, sich selber als Steine einfugen, wobei sie fugenlos mit ihm verschmelzen56. Die Kirche ist auf jener petra errichtet, die Petrus den Namen gegeben hat. Des ferneren lernen wir aus den Scholien zum «Tractatus auram , daß der Kreis und das hermetische Gefäß eine und dieselbe Sache sind, daß also mithin das Mandala, das wir aus so vielen Zeichnungen unserer Patienten kennen, der Idee des Wandlungsgefaßes entspricht. Damit trifft auch die meist vorhandene Quaterni tat des Mandala57 mit dem Gegensatzquatemio der Alchemisten zu sammen. Besonderes Interesse beansprucht schließlich die Feststellung, daß die Idee einer allen Konfessionen übergeordneten Ecclesia spiritualis, die sich ein zig auf den Anthropos Christus verpflichtet, Wesenskem der alchemistischen Bestrebung ist. W ährend der Traktat des H
erm es
relativ sehr alt ist, und statt
des christlichen Anthroposmysteriums58 eine eigentümliche Paraphrase oder vielleicht besser Parallele desselben enthält59, datieren die Scholien wohl nicht früher als Anfang des 17.Jahrhunderts60. Der Verfasser scheint ein paracelsistischer Arzt zu sein. Der Mercurius entspricht dem Heiligen Geiste wie dem An thropos; er ist «verus hermaphroditus Adam atque Microcosmus»; «unser Mer curius ist daher derjenige selber, welcher die Vollkommenheiten, Kräfte und Wirksamkeiten des Sol in sich enthält und der durch die Höfe (vicos) und Häuser aller Planeten läuft und in seiner Regeneration die Kraft der Oberen und der Unteren erworben hat, wes halb er deren Verheiratung (matrimonio = coniunctioni) zu vergleichen ist, wie aus der in ihm verbundenen W eiße und Röte hervorgeht. Die Magier ha ben durch ihre W eisheit festgestellt, daß alle Kreaturen zu einer geeinten Sub stanz (unitam substantiam) entwickelt werden müssen» usw.61. Mercurius ist demnach recht eigentlich in seiner rohen Form als prima materia der in die phy sische W elt aufgelöste Urmensch und in seiner sublimierten Form die wieder
56 Neutestamentliche Apokryphen (hg. H ennecke ), Neuntes Gleichnis, p. 369 ff. 57 Siehe [J ung ,] Z ur Empirie des Individuationsprozesses. 58 V gl. dazu A lbert Schweitzers Auffassung der christlichen Vorstellungen als «spätjüdische Eschatologie» ( Geschichte der LehenJesu-Forschung, p. 63 5 ). 59 Siehe T ext in: Psychologie und Alchemie, Paragr. 454. “ Die, wie es scheint, erste Ausgabe derselben, datiert von 1610, ist in Leipzig erschienen unter dem Titel: Hermetis Trismegisti Tractatus vere aureus de Lapidis philosophico secreto. Cum Scboliis Domi nici Gnostii M .D . D ie Scholien sind auch abgedruckt in: Theatr. chem. (1613) IV , p.672ff. Dort wird der Verfasser allerdings als Anonymus bezeichnet.
61 D orneus , D e transmut. met. in: Theatr. chem. (1602) I, p.578.
I D ic Komponenten der Coniunctio
34
hergestellte Ganzheit desselben62. Er verhält sich hier durchaus wie ein basilidanischer Erlöser, der durch alle Planetensphären empordringt, diese überwindend oder der Kraft beraubend. Die Bemerkung, daß er die Kräfte des Sol enthalte, weist auf die oben erwähnte Stelle bei A b u ’ l - Q a s i m hin, wo Hermes sagt, daß er die Sonne mit den Planeten vereint und alle als Krone in sich nehme. Daher stammt wohl die Bezeichnung des lapis als «corona vincens» (sieghafte Kro ne) 63. Die «Kraft der Oberen und Unteren» bezieht sich auf die alte Autorität der ursprünglich alexandrinischen «.Tabula Smaragdina»6*. Unser T ext enthält überdies Anspielungen auf das Hohelied·. «Per vicos ac domos Planetarum» erin nert an Canticum 3, 2: «Per vicos et plateas quaeram quem diligit anima mea» (Durch Gassen und Straßen will ich ihn suchen, den meine Seele liebt)65. Der «candor et rubor» (W eiße und Röte) des Mercurius bezieht sich auf Canticum 5, 10: «Dilectus meus candidus et rubicundus» (Mein Geliebter ist weiß und rot). Er wird dem «matrimonium» verglichen, also der coniunctio, das heißt er «/. so zusagen diese Hochzeit vermöge seiner androgynen G estalt
3. D I E W A IS E U N D D IE W I T W E
In dem am Schluß des letzten Kapitels zitierten Texte erwähnt D o r n e u s , daß Hermes Trismegistus den lapis als «orphanus» (ορφ ανό?, W aise) bezeichnet habe66. «Orphanus» als Bezeichnung eines Edelsteines findet sich bei A l b e r t u s Mag n us.
Der Stein wurde wegen seiner Einzigartigkeit («non unquam alibi vi
sus est», er wurde noch nie anderswo gesehen) «Waise» genannt und soll sich 62 Auch in der Aurora com. I ist am Ende der Sechsten Parabel die Gestalt des Adam aus den vier Elementen dem Adam «aus reiner Essenz», welcher, wie aus dem Schlußsatz hervorgeht, aus der cir culatio der vier Elemente hervorgegangen ist, gegenübergestellt. a G ratarolus , Verae alchemiae... doctrina, II, p. 265. 64 « .. recipit vim superiorum et inferiorum. Sic habebis gloriam totius mundi.» [Er empfingt die Kraft des Oberen und des Unteren. So wirst du die Herrlichkeit des ganzen Kosmos haben.] (Tabula smaragdina in: D e Alchemia, p.363. Ebenso R u sk a , Tab. Sm aragd., p.2.) 65 V gl. Aurora com. I, Kp. 12, Siebte Parabel, pp. 116/117. “ «Mercurius Trism egistus... lapidem vocavit orphanum» (D e trammut. met. in: Theatr. ehem., 1 6 0 2 ,1, p.578). Ich weiß nicht, auf welchen HERMES-Text sich D o rn eu s hier bezieht. Zuerst tritt der «orphanus» in der Pretiosa margarita novella des P b tr u s BONUS auf: «.. hic lapis orphanus pro prio nomine caret» [dieser Stein, eine W aise, hat keinen Eigennamen] ( Theatr. ehern., 1622, V , p. 663). Ebenso in der Ausgabe des IANUS La cin ius von 1546, p. 54r.
3. Dic W aise und die W itwe
35
in der Kaiserkrone befinden. Er soll weinfarben sein («colore quasi vinosus») und gelegentlich in der N acht leuchten - «sed nunc tempore nostro non micat in tenebris» (aber heutzutage leuchtet er nicht mehr in der Dunkelheit)67*. Da A lbe rtu s M a g n u s eine alchemistische Autorität ist, so stellt er vielleicht die unmittelbare Quelle fur D o rn eu s und P et r u s B o n u s dar. Orphanus als Be zeichnung eines Edelsteines will also etwas ähnliches bedeuten wie das moderne «solitaire» - ein passender Name fur den einzigartigen Lapis philosophorum. Dieser Nam e des Steines findet sich in der Literatur außer bei D o rn eu s und P et r u s B o n u s wie es scheint nur in den «Carmina Heliodori»m. Es handelt sich dort um den ορφανοί εξοικο? (heimatlose W aise), der im Beginn des Werkes zum Zwecke der Wandlung getötet wird. Die Bezeichnung «Sohn der W itwe» und «Kinder der W itwe» scheint manichäischen Ursprungs zu sein. Die Manichäer selber werden «Kinder der W it we» genannt69. Der «Waise» des Hermes müßte also eine «vidua» (W itw e) als materia prima entsprechen. Es gibt Synonyme wie mater, matrix, Venus, regina, femina, virgo vel puella praegnans, virgo in centro terrae70, Luna71, meretrix, ve tula (altes W eib) oder vetula extenuata (geschwächt, erschöpft)72, Mater Alchimia, die «an den Schenkeln hydropisch und von den Knien abwärts gelähmt ist73», und schließlich virago (Mannweib). Diese Synonyme beweisen die jung
67 D u C an g e , Glossarium mediae et infimae Latinitatis, s. v. «orphanus», V I, p. 68. “ Hg. G oldschmidt , Carm. I, Z Z . 112-114. H euodor ist ein Byzantiner des 8.Jhs. (G o l d schmidt , l.c., p .2: «Theodosio anno 716-717 regnanti»),
Cassbl (A us Literatur und Symbolik,
p. 248) gibt Arnold (wohl Arnaldus ) als Q uelle fur «orphanus» an, zit. in: Lesser , Lithotheologie, p. 1161 [dort nicht erwähnt]. Ich konnte diese Angabe nicht nachprüfen. ® Im Buch der Geheimnisse soll M ani vom «Sohn der W itw e», Jesus, sprechen. (ScHAEDER, Urform und Fortbildungen des manichäischen Systems, p.75, Anm .) B ousset (D er Antichrist, p.43) weist auf die Herrschaft einer W itw e hin, welche dem Antichrist vorangeht (nach einer griechi schen und armenischen Danielapokalypse·, l.c., p .4 l). Unter die «Kinder der W itw e» werden auch die Freimaurer gerechnet (Eckert , D ie Mysterien der Heidenkirche, erhalten undfortgebildet im Bunde der alten und der neuen Kinder der Witwe). «W itw e» ist in der Kabbala eine Bezeichnung der Malchuth (K norr von R osenroth , Kabbala denudata I, p. 1187).
70 MYLIUS, Phil, ref., p. 173 [Mutter, Mutterleib, Venus, Königin, Frau, Jungfrau oder schwange res Mädchen, Jungfrau im Zentrum der Erde, Mond, Hure, altes W e ib ].
71 G ratarolus, Veraealchemiaeusw., p.265. 72 Dieser Ausdruck findet sich erstmalig in der Aurora consurgens II in: A rt. aurif. I, p. 201. My LIUS (Phil, ref, p. 142) kopiert diese Stelle. D ie Erwähnung der «vieille exténuée» bei P ernety (Dictionnaire mytho-hermétique, p. 280) geht auf diese Quelle zurück. «Centum annorum vetula» in: Aureum saeculum redivivum (M us. herm., p.64). 73 A ur. cons. II in: A rt. aunf. I, p. 196.
36
I Die Komponenten der Coniunctio
fräulich-mütter liehe Qualität, also die mannlose Existenz der prima materia74, die doch «materia omnium rerum» ist75. Vor allem ist die prima materia die Mutter des lapis, des filius philosophorum. M ichael M a ie r 76 erwähnt den Traktat eines anonymen Autors D elph in u s , den er etwas vor 1447 datiert77. Er hebt von diesem hervor, daß er besonders auf dem Mutter-Sohn-Inzest insistierte. M a ier konstruiert sogar einen genealogischen Baum fur die Abstammung der Sieben ( = Metalle). An der Spitze des Baumes erscheint der lapis. Sein Vater ist «Gabritius», der seinerseits von Osiris und Isis abstammt. Nach dem Tode des Osiris heiratet Isis ihren Sohn «Gabritius78» und wird mit Beia identifiziert — «vidua nubit filio suo». Die Witwe erscheint hier also als die klassische Gestalt der trauernden Isis. M a ier widmet diesem Ereignis ein besonderes «Epithala mium Honori Nuptiarum Matris Beiae et filij Gabrici79». «Aber diese mit dem Ausdruck großer Fröhlichkeit begonnene Hochzeit hat die Bitterkeit der Trauer im Gefolge», sagt M a ier und fuhrt den Vers an: Est, quod in ipsis floribus angat, Et, ubi mei, ibi fel, ubi uber, ibi tuber. (W a s in der Blüte selbst beunruhigt, ist: W o Honig, da Galle, wo säugende Brust, da Eiterbeule.)
Denn, «wenn der Sohn mit der Mutter schläft, so tötet ihn diese m it schlangenhaftem Angriff» (viperino conatu). Diese Heimtücke erinnert an die mörderi74 A ur. com. 1, D ritte Parabel, pp. 64/65, ergreifen die sieben Frauen einen Mann. 75 Vgl. «matrices omnium rerum ... die Mutter aller D ing» bei RULANDUS, Lexicon alchemiae, p.327. 76 Symbola aureae mensae, p. 344. 77 Abgedruckt in: Theatr. chem. (1602) ΙΙΙ, p. 871 ff. unter dem T itel Antiqui philosophi Galli Del phinatts anonymi liber secreti maximi totius mundanae gloriae. 78 Auch Gabricus, entspricht also Horus. Horus wird schon altägyptisch m it Osiris gleichgesetzt. Siehe B rug sch , Religion und Mythologie der alten Ägypter, p.406. Der Papyrus M imaut hat: ττοίησον τό δεινά ·πράγμα έμ οΐ τ ώ r ijs χή ρ α « όρφ ανώ κατατετιμημένην [Tu das Numinose an mir, dem W aisensohn der hochgeehrten W itw e]. Pr e isen d a n z (Pap. Graecae M ag. I, pp.54/55) be zieht χ ή ρ α auf Isis und όρφανόν auf Horus, m it dem sich der Zauberer identifiziert. Dem φ ά ρμ α κο« rfjs χ ή ρ α ς [H eilm ittel der W itw e] begegnen wir im Traktat «Isis an Horus» (B erth e lo t , Aich. Grecs, I, xiii, 16, p. 32). 79 Symbola aureae mensae, p. 515. Das Epithalamium [Hochzeitsgedicht zu Ehren der Vermählung von Beia m it ihrem Sohn Gabricus] beginnt m it den W orten: «Ipsa maritali dum nato foedere ma ter / Iungitur, incestum ne videatur opus. / Sic etenim Natura iubet, sic alma requirit / Lex Fati, nec ea est res male grata Deo.» [Indessen vereint sich die Mutter im hochzeitlichen Bund mit dem Sohne. / D aß man nicht meine, es sei ein Inzest: / So nämlich will es die Natur, so verlangte es das ehrwürdige Schicksalsgesetz, / Und dies ist G o tt wohlgefällig- ]
3. Die W aise und die W itwe
37
sehe Rolle der Isis80, welche dem Himmelsvater Re den «herrlichen W urm » auf den W eg legt81. Isis ist aber auch die Heilende, die nicht nur Re von der Vergif tung befreit, sondern auch den zerstückelten Osiris zusammensetzt. Als solche personifiziert sie jenes arcanum, zum Beispiel den T au 82 oder die aqua perma nens83, welche die feindlichen Elemente zum Einen vereinigt. Diese Synthese ist dargestellt im Mythos von Isis, «welche die zerstreuten Glieder seines Leibes sammelte und mit ihren Tränen benetzte und in ein unter dem Nilufer verborgenes Grab legte»84. Isis hat den Beinamen Χημία (die Schwarze)85. A pu LEIUS hebt die Schwärze ihres Mantels hervor (palla nigerrima)86, und seit alters ist sie im Rufe, das Lebenselixier87 zu besitzen sowie in sonstigen magischen Künsten erfahren zu sein88. Auch soll sie die «Alte» (τταλαιά) heißen89, und sie gilt als eine Schülerin des Hermes90, oder sogar als seine Tochter91. Als Lehrerin der Alchemie erscheint sie im Traktat 'Ίσα προφήτιs τώ υΐώ "Ωρω92. Isis ist auch in der Rolle der meretrix erwähnt bei E pip h a n iu s , wo es heißt, sie habe sich in Tyrus prostituiert93. Sie bedeute die Erde, berichtet F irm ic u s M a ter 80 Isis wird in griechisch-römischer Zeit als menschenköpfige Schlange dargestellt. Siehe Abb. 161 bei E rm an , D ie Religion der Ägypter, p. 391. Als δράκων siehe R bitzen stbin , Poimandm, p.31. 81 E rm an , 1. c., p. 301. Der T ex t stammt aus der Z eit des Neuen Reiches. 82 Preisendanz , l.c. II, p.74, Z .234f.: έγώ ειμι Τ σ ι ς ή καλούμενη δρόσος [Ich bin Isis, wel che Tau genannt w ird]. 85 Synonym damit ist aqua vitae. D ie Beziehung des «seelentröstenden» Nilwassers zu Isis ist an gedeutet auf dem vatikanischen Grabrelief einer Isispriesterin, welche die situla (Wassergefäß) hält. D ie zwei großen Parallelen dazu sind einerseits der Wasserbecher der frühchristlichen Kommunion, andererseits das Wassergefäß des Amitabha. Abb. 19 des Reliefs bei EISLER, Weltenmantel und Him melszelt I, p.70. Zum christlichen Wasserbecher siehe [J ung ,] Das Wandlungssymbol in der Messe, Paragr. 311 ff. Zum heiligen W asser im K u lte des Amitabha vgl. Encyclopaedia o f Religion and Ethics I, s.v. Amitayus. 84 Ms. Lat., 18. Jh ., im Besitze des Autors. 85 Eisler , 1. c. II, p. 3 2 8 f, Anm. 1. 86 Metamorphosis, X I, 3, p.225. Vgl. H ippolytus , Elenchos, 1 ,8, p .l3ff. 87 D iodorus , Bibi, hist., I, p.25: τό τή ς α θ α ν α σ ία ς Φ άρμα κον [das Heilm ittel der Unsterb lichkeit] . 88 Sie versucht das Kind des Königs von Phönizien im Feuer unsterblich zu glühen. (P lutarch, D e Iside et Osiride, Kp. 16, p. 2 6 f.) 88 D iodorus , 1. c., I, p. 25. 90 l.c., p.27. 91 «Großer Pariser Zauberpapyrus», Z .2 2 9 0 Î, in: P rhisbndanz, l.c. I,p . 143. 92 [D ie Prophetin Isis an ihren Sohn Horus] B erthelot , Aich. Grecs, I, xiii, pp.28/31. 93 A m oralus, Kp. 104 (Ausgewählte Schriften, p. 161).
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I Die Komponenten der Coniunctio
NUS94, und sie wird mit Sophia gleichgesetzt95. Sie ist μυριώνυμο« (tausendnamig) und für Gutes und Böses Gefäß und Stoff (χώ ρα καί ίίλη) 96. Sie ist der Mond97. Eine Inschrift nennt sie «Eine, die du alles bist989». Sie heißt σώτειρα (Retterin) " . Bei A th en a g o ra s ist sie «die Natur des Aeon, aus welcher Alle wuchsen und durch welche Alle sind100». Alle hier aufgefuhrten Aussagen gelten auch für die prima materia in ihrem weiblichen Aspekt: sie ist der Mond, die Mutter aller Dinge, das vas, besteht aus Gegensätzen, hat mille nomina, ist vetula und meretrix, als Mater Alchimia ist sie die W eisheit und lehrt diese, sie enthält das elixir vitae in potentia und ist Mutter des salvator und des filius macrocosmi, sie ist die Erde und die in ihr verborgene Schlange, das Schwarze und der Tau oder das wunderbare Wasser, das alles Getrennte zusammensetzt. Das W asser heißt dämm die «Mutter», «mater mea, quae mihi inimicatur» (die mich befeindet), aber auch «die, welche alle meine zerteilten und getrennten Glieder sammelt»101. In der « Turba» (Ser m o L IX ) heißt es: «D ie Philosophen haben jedoch die Frau, die ihre Männer tötet, dem Tod preisgegeben; denn der Leib jener Frau ist voll von und . Es werde daher für jenen D ra chen ein ausgegraben, und jene Frau m it ihm begraben, der m it jener Frau fest gefesselt, je mehr er sie bindet und sich um sie herumwälzt, desto mehr durch die
weiblichen , die im Körper der Frau geschaffen sind, in Teile zerschnitten wird. W enn er sich aber m it den Gliedern der Frau vermischt sieht, wird er des Todes sicher, und wird ganz in gewandelt. W en n aber die Philosophen ihn in umgewan delt sehen, so lassen sie ihn einige Tage in der Sonne, bis seine W eichheit verzehrt ist und das trocknet und sie jenes finden. W as dann erscheint, ist der verborge ne W ind 102.» 94 D e errore profanarum religionum, 2,6, ρ. 77. Τ σ ιδ ο ί σώμα γην (P lutarch , Über Isis und Osiris, Kp. 38, p.65). 95 R bitzenstein , Zwei religionsgeschichtliche Fragen, p. 108, ebenso Poimandres, p.44. 96 Plutarch, 1. c., Kp. 53, p. 95. 97 R eitzenstein , Poimandres, p. 270. 96 Corpus inscriptionum Latinarum, X , N r.3800 ( = 3580), aus Capua (heute Museum Neapel): «Te tibi / una quae / es omnia / Dea Isis / Arrius Bai / binus V. C.» 99 R eitzenstein , D ie hellenistischen Mysterienreligionen, p. 26. 100 Athenagoras, Legatio pro Christianis, 22, zit. in: R ahner , Mysterium Lunae, p. 325. 101 R os.phil. in: A rt. a u r if II, p.379. Aus den «Dicta Belini» ( = des APOLLONIUS VON TYANA), D istinctio X X V I I I der Allegoriaesapientum in: Theatr. ehern. (1622) V , p.97. 102 R uska , T urba p h il., p. 247. Der W ind ist das in der prima materia verborgene pneuma. Die letzte Abbildung in M aier , Scrutinium chymicum, schildert dieses Begräbnis (p. 148).
3. Die W aise und die W itw e
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Die coniunctio spielt sich demnach auch in schauerlicheren Formen ab als es die relativ harmlose Darstellung im « Rosarium» zeigt10i*104. Aus diesen Parallelen wird ersichtlich, m it welchem Rechte Michael
Maier die prima materia respektive die weibliche Wandlungssubstanz10* als Isis bezeichnet hat. W ie K erényi an Hand des Beispiels der Medea in glänzender W eise ausführt105, handelt es sich um eine typische Kombination der Motive von Liebe, Heimtücke, Grausamkeit, Mütterlichkeit, Verwandten- und Kinds mord, Zauber, Verjüngung und —G oldI06107. Diese gleiche Kombination erscheint bei Isis und bei der prima materia und bildet den Kern des von der Mutterwelt verursachten Dramas, ohne welches die Vereinigung unmöglich zu sein scheint. In der christlichen Tradition bedeutet die W itw e die Kirche; bei G regor d em
G R O SSEN 107 bildet
die Analogie dazu die Geschichte vom Ölkrug der W it
we (2. Könige, 4), und A ugustin sagt: «Omnis Ecclesia una vidua est, deserta in hoc saeculo»108 usw. Sie ist es «absente sponso, absente viro», denn ihr Bräuti gam ist noch nicht gekommen. So ist auch die Seele «destituta in saeculo». «Aber du bist», fährt A ugustin fort, «keine W aise (orphanus) und zählst nicht unter die W itw e n ... Du hast einen Freund... Du bist die W aise (pupil lus) Gottes und die W itw e G ottes»109. E in e weitere T ra d itio n , die wir hinsichtlich der «W itwe» zu berücksichtigen haben, tritt uns in der K ab b ala entgegen. D o r t ist die verlassene Malchuth die
101 V gl. auch die μ ά χ η θ η λ ε ία (weiblicher Kampf) in den Heliodori carmina (hg. G old schmidt ), Carm. Archelai (IV , p. 56, Z. 230ff.), wo die Materia vor dem Angriff der Wurfgeschosse
flieht und als «Leichnam» im Grabe endet. 104 D ie entsprechende männliche Substanz ist der rote Schwefel, der vir oder servus rubeus [roter Mann oder Sklave], dessen R öte eine Beziehung zu Typhon bildet. Tatsächlich erwähnt M aier in einem «Epicedion Gabrico post recens celebratas nuptias mortuo» (Totenlied, in: Symb. aureae men sae, p.518) den Typhon als mögliche Todesursache. Allerdings schickt er voraus: «D ie dir Ursache des Lebens war, ist sie dir auch des Todes». Aber er sagt dann: «Drei sind es, die deinen Tod mögli cherweise verursacht haben: Typhon, die Mutter und Mulcibers
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vidua, wie es bei K n o r r VON R o sen r o th heißt: «(Almana) Vidua. Est Malchuth, quando Tiphereth non est cum ipsa110.» Tiphereth111 ist der Sohn112 und wird von R eu c h lin als microcosmus gedeutet. M alchuth115 ist die Dom ina114. Sie heißt auch Schechina115 (Einwohnung {G o tte s }) und wird als «virago» be zeichnet116. Die Sephira Tifereth ist der König, daher steht in der gewöhnlichen Anordnung der Sephiroth Tifereth in der Reihenfolge Kether Tifereth Jesöd Malchuth. Kether (die Krone) entspricht der nach oben gerichteten W urzel des Sephirothbaumes117. Jesö d 118 bedeutet die Genitalregion des Urmenschen, dessen K op f Kether ist. Malchuth ist nach archetypischer Vorlage das unten liegende W eibliche119, ln dieser schlimmen, vom Bösen beherrschten W elt ist Tifereth no [W itw e. D as ist Malchuth, wenn Tiphereth nicht bei ihr ist.] Kabbala denudata, 1 , 1, p. 118.
K norrs Quelle ist Mose Cordovbro , Pardes Kimmanim, Kp. 23. 111 «Tiphereth» bedeutet Schönheit. 1121. c., p.202. 113 Das W o rt bedeutet Reich, Herrschaft. 114 L c , p. 528. 115 Sie wird als luna (l.c., p .456), terra (p. 156), sponsa (p .477), matrona, regina coeli, piscina (p .215), mare, puteus, arbor scientiae boni et mali, cerva amorum («ita vocatur Malchuth potissi mum ob mysterium novilunii», p. 77), venter (p. 1$>2) usw. bezeichnet [Erde, Braut, reife Frau, Himmelskönigin, Fischteich, Meer, Ziehbrunnen, Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, Hindin der Liebe (so heißt Malchuth hauptsächlich wegen des Neumondmysteriums), Bauch usw .]. 1161. c.,p . 163. 117 Séfirâ soll von σ φ α ίρ α kommen. Siehe Lo ew e in: H astings (H g.), Encyclopaedia V II, s.v. Kabbala, p. 625 b. D ie neuere Auffassung leitet das W o rt vom Stamm sfr ab, m it der Bedeutung von «Urzahl». Siehe ScHOLEM, M ajor Trends in Jewish M ysticism, p.75. Zu Sephirotbaum vgl. [J ung ,] D er philosophische Baum, Paragr. 411 f f , und SCHOLEM, l.c., p.203. 118 «Fundament». Jesöd wird im alchemistischen M S Fr. 14765, fol. 123 [pl. 8 ], der Bibliothèque Nationale wie der Menschensohn Off. 1,12 ff., d.h. mit dem Siebengestirn in der rechten Hand, mit dem Schwert, das vom Munde ausgeht, und als zwischen den sieben Leuchtern stehend dargestellt. Siehe Abb. 3 im Schlußkapitel [dieses W erkes, Bd. I I ] . 119 V gl. dazu Kabbala denudata I, p.240, 4: «..quod Malchuth vocetur... hortus irriguus Jesch. 58, 11 quando Jesöd in Ipsa est, eamque adimplet, atque irrigat aquis supernis»; p.477: «Cum Mal chuth influxum accipit a 50 portis per Jesod, tunc vocatur... Sponsa» [der bewässerte G arten ... wenn Jesod in ihr ist und sie erfüllt und m it den oberen W assern befeuchtet... wenn Malchuth den Zufluß erhält von den 50 Toren durch Jesod, dann heißt sie die Braut]. Jesod als membrum genita le, p. 222. Siehe auch SCHOLEM, 1. c., p. 222 ff., und HURWITZ, Archetypische Motive in der chassidischen Mystik.
3. Die W aise und die W itw e
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mit der Malchuth nicht vereinigt120. Der kommende Messias wird aber den K ö nig wieder mit der Königin vereinigen, und durch diese Paarung wird Gott sei ne ursprüngliche Einheit wieder herstellen121. Die Kabbala kennt eine reich aus gestaltete Hierosgamos-Phantasie, die sich auch ausdehnt auf die Vorstellungen von der Vereinigung der Seele m it den Sephiroth der Licht- und der Finsternis welt: «Denn es ist das Begehren des Oberen nach dem Frommen wie das Liebesbegehren des Mannes nach dem W eibe, wenn er um sie wirbt122». Umge kehrt ist die Schechina gegenwärtig im Sexualakt: «The absconditus sponsus enters into the body o f the woman and is joined with the abscondita sponsa. This ist true also on the reverse side of the process, so that two spirits are melted together and are interchanged constantly between body and body. . . In the indistinguishable state which arises it may be said almost that the male is with the female neither male nor female’23: at least they are both or either. So is man affirmed to be composed o f the world above, which is male, and o f the female world below. The same is true o f woman.»124 Die Kabbala spricht auch vom Thalamus (Brautgemach) oder Hochzeitsbal dachin (coelum nuptiale), unter dem sponsus und sponsa geweiht werden, wo bei Jesöd als Brautführer (paranymphus) erscheint125. Die Kabbala ist indirekt
120 Vgl. dazu die Sage vom Urvater Okeanos und der Urmutter Tethys, die nicht mehr in eheli cher Umarmung Zusammenkommen (H omer , Ilias, X IV , Verse 300ff., und R oscher, Lexikon V , col. 394, Z. 3 0 f.). M it diesem Hinweis ist nur die Ähnlichkeit des Motivs gemeint, nicht aber eine Sinngleichheit. 121 Vgl. damit die durch die Intervention der Philosophen veranlaßte Paarung von Gabricus und Beya. 122 D er Sohar, hg. M ueller, p. 234. In den bedeutsamen psychotischen Erlebnissen Schrebers (D enkw ürdigkeiten eines N ervenkranken, p. 135 ff.) findet sich hiezu eine Parallele: die «Gottesstrah len» sehnen sich nach ihm und suchen in ihm aufzugehen. 121 Vgl. dazu die Parallele im Agypterevangelium·. «.. wenn die zwei eins werden... und das Männ liche m it dem W eiblich en . .. weder Männliches noch W eibliches» (N eutestam entüche A pokryphen, hg. H ennecke, p. 58). 124 [D er absconditus sponsus (verborgene Bräutigam) geht in den Körper der Frau ein und wird m it der abscondita sponsa (v. Braut) vereint. Dies trifft auch auf die umgekehrte Seite des Prozesses zu, so daß zwei Geister zusammengeschmolzen und ständig von Körper zu Körper ausgetauscht werden. .. In dem ununterscheidbaren Zustand, der daraus hervorgeht, kann beinahe gesagt werden, daß das Männliche m it dem W eiblichen weder männlich noch weiblich ist, zumindest sind sie bei des oder eines von beiden. So wird vom Mann behauptet, er sei zusammengesetzt aus der oberen W elt, die männlich ist, und aus der weiblichen W elt unten. D as gleiche gilt von der Frau.] WAITB, The H oly Kabbalah, p. 381. 125 Kabb. denud. I, p. 338.
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und direkt in die Alchemie rezipiert worden. Es haben wahrscheinlich schon sehr früh Beziehungen stattgefunden, deren Quellen allerdings schwer nachzu weisen sind. Später im 16.Jahrhundert stoßen wir auf direkte Zitate aus dem «Sohar», wie zum Beispiel im Traktate « De igné et sale» des B lasius VlGENER U S 126.
Eine Stelle dieses Traktates ist fur das uns hier beschäftigende Mytholo-
gem der coniunctio von besonderem Interesse. Sie lautet folgendermaßen: D ie Sephiroth «endigen in Malchuth oder Mond, welcher das Letzte ist beim Herunter steigen und das Erste beim Heraufsteigen von der elementarischen W e lt her. D er Mond ist so sehr der W e g zum Himmel, daß die Pythagoräer ihn als die himmlische Erde und irdischen Himmel oder Gestirn bezeichnet haben127, weil die ganze N atur inferior ist in der elementarischen W e lt in Hinsicht auf die intelligible. Sie ist, wie der Zoar (Sohar) sagt, weiblich und passiv und verhält sich wie der Mond zur Sonne. Im selben Maße als von dieser zurückweicht, bis er in die Opposition gelangt, wächst auch sein Licht in bezug auf uns in dieser untern W elt, schwindet aber dahin auf der Seite, die nach oben blickt. Im Gegensatz dazu aber ist er in seiner Konjunktion, während welcher er fiir uns total verdunkelt ist, in jenem Teil, der nach oben blickt, völlig von Glanz erleuchtet. Das, um uns zu belehren, daß je mehr unser Intellekt zu den Sin nesdingen hinuntersteigt, er sich um so mehr von den intelligiblen Dingen abwendet y nd vice versa»I28.
Durch die Identifikation der Malchuth mit der Luna wird eine Brücke zur Al chemie geschlagen, und damit vollzieht sich wiederum jener Vorgang, der schon viel früher die patristische Symbolik von sponsus und sponsa rezipiert hat. Und zugleich ist es eine Wiederholung der Aufnahme des ursprünglich heidnischen Hierosgamos in die Bildersprache der Väter. Damit ergänzt V i g e NERUS
ein Stück, das in der patristischen Allegorik zu fehlen scheint, nämlich
die Verdunkelung der anderen Mondhälfte in der Opposition. W enn die Luna im vollen Schein uns erstrahlt, ist ihre andere Seite am völligsten verdunkelt. u 6 Theatr. chem. (1661) VI, p. lff. B laise DE V ig en ÈRE (oder V igenaire ) war ein gelehrter Kenner des Hebräischen. Er war Sekretär beim Duc de Nevers und dann bei Henri III und lebte
von 1523 bis 1596. 127 Vgl. Proclus , Commentanes on the Timaeus ofPlato\ Orpheus habe den Mond als himmlische Erde (41 e) und die Pythagoräer hätten ihn als ätherische Erde bezeichnet (32b ).
128V igenerus, l.c., p. 17. D ie Malchuth heißt auch Mond (K abb. denud. I, pp. 195 und 501). W eitere Beinamen sind Haus und Nacht, und bei J oseph ben G ikatilla (Schaare ora) Brunnen, Meer, Stein, Saphirstein, Baum der Erkenntnis, Land des Lebens. (Freundliche Mitteilung von Dr. S. Hurwitz.) Malchuth ist das «Reich Gottes», im Sohar beschrieben als Kenesseth Israel, «der my stische Archetypus der Gemeinschaft Israels» (Scholem , L c , p.2Q9).
3. Die W aise und die W itw e
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Diese strikte Durchführung des Sol-Luna-Gleichnisses wäre der Kirche viel leicht etwas peinlich gewesen, obschon die Idee der «sterbenden» Kirche dieser Hinfälligkeit alles Kreatürlichen in gewissem Sinne Rechnung träg t129. Ich er wähne diesen Umstand keineswegs, um die Bedeutsamkeit des ekklesiastischen Sol-Luna-Gleichnisses zu kritisieren. Im Gegenteil möchte ich diese hervorhe ben, denn der Mond steht an der Grenze der sublunaren, vom Bösen beherrsch ten W elt und nimmt, wie unser Autor vernehmlich andeutet, nicht nur an der Licht-, sondern auch an der dämonischen Dunkelwelt teil. Damm ist gerade sei ne Veränderlichkeit symbolisch so bedeutsam: er ist duplex und mutabilis wie der Mercurius und ein Vermittler wie dieser, daher die alchemistische Identifi kation von Luna und Mercurius13013*45. Letzterer besitzt zwar eine Lichtseite, über deren Geistigkeit die Alchemie keinen Zweifel läßt, aber auch eine dunkle Sei te, deren Wurzeln weit hinunterreichen. Das obige Zitat aus dem ViGENEREschen Traktat hat nicht geringe Ähnlich keit mit einem längeren Passus, den Mondlauf betreffend, bei A ugustin in der
Epistola LV, 8 m. Er äußert sich dort über den ungünstigen Aspekt des Mondes, nämlich über dessen Veränderlichkeit, und zwar mit den W orten des Ecclesiasti
cus (27, 12): «Sapiens sicut sol permanet; stultus autem sicut luna mutatur152», und stellt die Frage: «Quis est ergo ille stultus, qui tanquam luna mutatur, nisi Adam in quo omnes peccaverant155?» Der Mond steht also fur AUGUSTIN sicht bar auf der Seite der korraptibeln Geschöpfe, als ein Abbild für deren Torheit und Unbeständigkeit. Dem Gestimsgleichnis des antiken und des mittelalterli chen Menschen liegt laut oder leise die Voraussetzung astrologischer Kausalität zugrunde; also Sol bewirkt Beständigkeit und Weisheit, Luna Wechsel und Torheit (inklusive W ahnsinn)154. A u g u st in verbindet seine Bemerkungen über den Mond mit einer moralischen Betrachtung über das Verhältnis der Menschen zur geistigen Sonne155, wie Vigenerus, dem offenbar die Epistel 129 Vgl. dazu die Ausführungen bei R ahner , Mysterium Lunae. 130 [J ung ,] D er Geist Mercurius, Paragr. 273. 131 Epistolae, col. 195 f. 152 D ie Vulgata hat: «Homo sanctus in sapientia manet sicut sol, nam stultus sicut luna inmutatur.» Übersetzung des Urtextes (Jesus Siracb 27,11): «D ie Rede des W eisen ist allzeit W eisheit, der Tor aber ist wechselvoll wie der Mond.» 133 «W er also ist jener Tor, der wie der Mond wechselt, wenn nicht Adam, in dem alle gesündigt haben?» 134 Sol entspricht dem bewußten, Luna dem unbewußten Manne, d. h. der Anima des Mannes. 135 «Anima quippe humana recedens a sole iustitiae, ab illa scilicet interna contemplatione in commutabilis veritatis, omnes vires suas in externa convertit, et eo magis magisque obscuratur et in
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A u g u s t in s vorlag. A u g u st in erwähnt hier auch die ecclesia als luna und asso ziiert dazu die Verwundung durch den mörderischen Pfeil: «Unde est illud: Paraverunt sagittas suas in pharetra, ut sagittent in obscura luna rectos corde.» (Daher kommt jenes W o rt: Sie haben ihre Pfeile im Köcher bereitet, daß sie beim dunkeln Monde auf die im Herzen Aufrichtigen schössen136.) W ie ersicht lich, versteht AUGUSTIN die Verwundung nicht als Tätigkeit des Neumondes, sondern vielmehr - nach dem Grundsatz «omne malum ab homine» - als Bos heit der Menschen. W ie sehr dabei aber der neue Mond doch in Betracht kommt, zeigt der Zusatz «in obscura luna», der durch den Urtext nicht gewähr leistet ist. Zu dieser andeutungsweise zugestandenen Gefährlichkeit des Mondes will es nicht übel passen, wenn A u g u st in einige Sätze weiter Psalm 71,7 zitiert: «Orietur inquit, in diebus eius iustitia et abundantia pacis, quoad usque interfi ciatur luna.» (Es wird in seinen Tagen die Gerechtigkeit aufgehen und die Fülle des Friedens, bis schließlich der Mond vernichtet wird.) —Statt des starken «in terficiatur» hat die Vulgata das mildere «auferatur», weggenommen wird, oder verschwindet137. Die Gewaltsamkeit der Mondbeseitigung erklärt sich aus un mittelbar folgender Deutung: « ..id est, abundantia pacis in tantum crescet, do nec omnem mutabilitatem mortalitatis absumat.» (D ie Fülle des Friedens wird so weit wachsen, bis sie alle Veränderlichkeit der Sterblichkeit verzehrt.) Dar aus kann man ersehen, daß der Mond m it dieser «mutabilitas mortalitatis», das heißt soviel als m it dem Tode, W esen und Ausdruck gemein hat, und so fährt interioribus ac superioribus suis: sed cum redire coeperit ad illam incommutabilem sapientiam, quanto magis ei appropinquat effectu pietatis, tanto magis exterior homo corrumpitur, sed interior renovatur de die in diem, omnisque lux illa ingenii, quae ad inferiora vergebat, ad superiora conver titur, et a terrenis quodammodo aufertur, ut magis magisque huic seculo moriatur, et vita eius ab scondatur cum Christo in Deo.» [D enn wenn die menschliche Seele sich von der Sonne der Gerech tigkeit entfernt, d. h. von jener inneren Betrachtung der unwandelbaren W ahrheit, wendet sie all ihre Kräfte dem Äußerlichen zu und wird so mehr und mehr verdunkelt in ihrem Inneren und in ihren edleren Teilen; und wenn sie zu jener unwandelbaren W eisheit zurückzukehren beginnt, geht der äußerliche Mensch —je mehr sie dann von der frommen Liebe ergriffen ist —desto mehr zugrun de, aber der innere wird von T a g zu T ag erneuert, und all das Licht des Verstandes, welches sich dem Unteren zuneigte, wendet sich nun dem Oberen zu und entfernt sich so vom Irdischen, um mehr und mehr dieser W e lt
zu ersterben, und ihr Leben birgt sich m it Christus in G ott.]
(I.C .,
col. 196). 136
V ulgata (Ps. 1 0 3 ) hat nur «in obscuro». Übersetzung des Urtextes: «Denn siehe da die G ott
losen! Sie spannen den Bogen und legen den Pfeil auf die Sehne, daß sie im Dunkeln schiessen auf die, die aufrichtigen Herzens sind.» V gl. dazu die «vom Blute trunkenen Pfeüe» in der A urora com. 1 ,7, Zweite Parabel, p. 57. 1,7 f t . 72,7: «In seinen Tagen blüht das R echt und reiches Glück, bis der Mond nicht mehr ist.»
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der T ext fort: «Tunc novissima inimica destruetur mors, et quidquid nobis resi stit ex infirmitate cam is... consumetur omnino» (dann wird der letzte Feind, der Tod, zerstört werden, und was immer uns wegen der Schwäche des Fleisches Widerstand leistet, wird ganz und gar verzehrt werden). Die «interfectio lunae» erweist sich hier als gleichbedeutend m it der «destructio m ortis»138. Mond und Tod offenbaren ihre bedeutsame Verwandtschaft. Durch das peccatum originale und die Verführung des Weibes ( = Mond) in erster Linie ist der Tod in die W elt gekommen, und aus der mutabilitas ist die corruptibilitas geworden139. Die Eliminierung des Mondes aus der Schöpfung ist also ebenso wünschenswert wie die des Todes. M it dieser Negativbewertung des Mondes ist dessen dunkler Seite Genüge getan. Das «Sterben» der Kirche hängt mit dem Geheimnis des dunklen Mondes zusammen140. Für die vielleicht nicht ganz unbewußte, vor sichtige Verhüllung des nefasten Mondaspektes bei A u g u s t i n ist die Rück sicht auf die Gleichung ecclesia = luna genügendes Motiv. Um so rücksichtsloser insistiert aber die Alchemie auf der Gefährlichkeit des Neumondes. Luna ist einerseits die glänzende W eiße des Vollmondes, anderer seits die Schwärze des Neumondes und insbesondere die der Eklipse, der Son nenfinsternis. Ja , sie tut der Sonne sogar etwas an, das von ihrer dunklen Natur kommt. W ie die Alchemie über die Figur der Luna denkt, zeigt wohl am deut lichsten das « C/msilium coniugim141, wo es heißt: «Der Löwe, das heißt die untere Sonne142, verdirbt (vilesdt) durch das Heisch. (Sein Fleisch sei schwach, da er an (Quartanfieber) leide143). So verdirbt der Löw e144 in seiner N atur durch sein zeitlich m it dem Monde verbundenes Heisch (per cam em suam sibi 158 Augustin bemerkt des weiteren, daß der Name Jericho auf hebräisch «Mond» bedeute und daß die Mauern dieser Stadt, die «munimenta mortalis vitae» [Schutzmauern des sterblichen Le bens] , zusammenstürzten (Ep. LV, 10, col. 197). 1WN ach O rigenes (P eriarchon, 1 ,7,4) nahmen Sonne und Mond am Sündenfall teil (nach R ah ner , l.c.,
p. 327).
140 R ahner (l.c., p.314) spricht passend von der «mystischen Finsternis ihrer
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contemporaneam Lunarem vilescit145) und wird zum Verschwinden gebracht (eclipsatur). D er M ond nämlich ist der Schatten der Sonne und wird verzehrt m it den korruptiblen K örpern und durch seine Verderbnis (corruptionem) wird m it Hilfe der Feuchtig keit des M ercur146 der Löwe verdunkelt (eclipsatur), aber dessen Eklipse wird gewandelt zur N ützlichkeit und zu einer besseren N atu r und einer vollkommeneren als die erste.»
D ie Veränderlichkeit und Verdunkelungsfähigkeit des Mondes wird als dessen K orruptibilität gedeutet, und diese negative Eigenschaft verfinstert sogar die Sonne. So sagt der T ext weiter: «Bei der Vermehrung, das heißt bei der Fülle der Schwärze des Bleies, das heißt unseres Erzes, fehlt mein L ich t147, das heißt das der Sonne, und ausgelöscht ist meine Pracht.» Ergänzt wird diese Darstel lung durch eine Stelle, welche wahrscheinlich dem Herausgeber des «.Rosarium» Anlaß zum Bilde vom Tode des Königspaares gegeben hat, aber auch für die dunkle Seite des Sol-Luna-coniugium bedeutsam is t148: « H o c149 itaque completo scias quod habes corpus corpora perforans, et naturam naturam continentem, et naturam natura letantem 150, quod profecto Tyriaca151 philosophorum vo145 D er arabische Originaltext von Senior (D e chem ia, p .9) hat «vilescit per canem» statt «car nem». [D ie angegebene Stelle des lateinischen Textes hat «camem»; das erwähnte arabische Origi nal kann nicht ermittelt werden.] Der Hund ist ein Tier der Hekate und gehört auch zum Mond (siehe Paragr. 174ff.). Im Manichäismus heißt es von dem in die Materie hinabgestiegenen Urmen schen und seinen Söhnen, es sei ihnen das Bewußtsein genommen worden, und sie seien «wie ein Mensch, der von einem tollen Hunde oder einer Schlange gebissen» sei
Reitzenstein-Schaeder, Studien zum antiken Synkretismus aus Iran
(Theodor bar Konai in:
un d G riechenland, p. 343).
146 D ie aqua permanens. 147 Sol spricht.
148Cons. am ,, p. 141 f. 149 Das Vorausgehende ist: «.. incineretur corpus residuum, quod vocatur terra, a qua est extracta tinctura per aquam... Deinde capiti suo iunge et caudae» [man soll den übrigen Körper rösten, der Erde heißt, aus der die Tinktur durch das W asser extrahiert w urde... Dann verbinde ihn
Demokritos (Berthelot, A ich, grecs, II,
i, 3, pp.43/45):
Ή φ ΰ σ κ rrj φ ύ σ ει τέριτεται, καί ή φ ύσις τήν φύσιν vlkçc, καί ή φύσι? τήν φύσιν κ ρ α τεί (D ie Natur freut sich der Natur, die Natur besiegt die Natur, die Natur beherrscht die Natur). 151 «Tyria tinctura» oder «tyrius color»
(Ruska, T u rbap h il.,
Sermo X IV , p. 123ff.); «lapis tyrii
coloris» (l.c., X X I , X X V II). «Sic tyrium nostrum (colorem) in uno quoque regiminis gradu sui coloris nomine nuncupamus» [D er Stein von Purpur - so nennen wir «unseren Purpur» in jeder Stufe des Prozesses beim Namen der Farbe]. (L X II) «Hoc est sulphur rubeum luminosum in teneb ris: et est hyacinthus rubeus, et toxicum igneum, et interficiens: et Leo victor, et malefactor: et ensis scindens, et Tyriaca sanans omnem infirmitatem» [D as ist der rote Schwefel, der im Dunkeln leuch-
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catur, et dicitur vipera, quia sicut vipera concipiendo prae libidinis ardore, caput secat masculi, et pariendo moritur, et per medium secatur. Sic lunaris hum or152 concipiens lu cem Solarem, sibi convenientem, Solem necat, et pariendo progeniem Philosophorum, ipsa similiter moritur, et uterque parens moriendo animas filio tradunt, et moriuntur et pereunt. E t parentes sunt cibus filii» (Nachdem dieses so vollendet ist, mögest du wis sen, daß du den K örper hast, der die K örper durchdringt und die N atur, welche die N atur enthält, und die N atur, die sich an der N atur erfreut, was in der T at die Tyriaca der Philosophen genannt wird, und es heißt auch Giftschlange, weil es wie diese bei der Konzeption aus wollüstiger Glut dem Männchen den K o p f abbeißt und bei der Geburt stirbt und durch die M itte zertrennt wird. So tötet auch die Mondfeuchtigkeit, indem sie das ihr zukommende Sonnenlicht empfängt, die Sonne, und bei der Geburt des Kindes der Philosophen stirbt sie gleicherweise, und beide Eltern übergeben im Tode ihre Seelen dem Sohne und sterben und vergehen. Und d ie E ltern bilden d ie Speise des Sohnes).
Dieses Psychologen! bedeutet eine konsequente Durchführung aller Implika tionen des Sonne-Mond-Gleichnisses. Die Dämonie, welche mit der nächtigen Mondhälfte oder mit der Mittelstellung des Mondes zwischen dem oberen Him mel und der sublunaren W e lt153 verbunden ist, kommt hier zu voller Wirkung. Sonne und Mond enthüllen ihre Gegensatznatur, welche im christlichen SolLuna-Verhältnis bis zur Unkenntlichkeit verwischt ist, und die Gegensätze he ben sich gegenseitig auf, indem ihr Zusammenstoß nach allen Regeln der Ener getik ein Drittes und Neues ergibt, nämlich einen Sohn, der die Gegensätzlich keit der Eltern aufhebt und eine «geeinte Zwienatur» darstellt. Die nahe Berüh rung seines Psychologems mit dem Vorgang der Transsubstantiation ist dem (unbekannten) Autor des «.C on siliu m c o n iu g ii» 154 unbewußt, obschon der letzte Satz unseres obigen Textes das Motiv des Teoqualo (das «Gottessen» der Azte ken) deutlich genug enthält155. Das Motiv ist übrigens auch altägyptisch. In dem Pyramidentext des Unas (V. Dynastie) heißt es: “Unàs rising (as) a soûl tet, und der rote Hyazinth und das feurige, tödliche G ift, der siegreiche, übdtäterische Löwe und das schneidende Schwert und das «Tyriaca», das alle Krankheit heilt] {Prêt. marg. nov. in: Theatr. ehern., 1622, V , p.705). D ie Tyriaca ist identisch m it der Theriaca («Theriak»), welche nichts anderes ist als die Arkansubstanz. 152 Luna spendet den Tau. 153 W o nämlich das Luftreich der Dämonen und des Teufels beginnt. 134 Schmieder [ Geschichte der Alchemie, p. 106£] hält den Autor für einen Araber des 13. Jh s. W ie die Tatsache, daß der Autor den nur im Lateinischen möglichen Fehler carnem —canem übernahm, beweist, m uß er aber zu den frühen Lateinern gehören. 155 Vgl. Einige Kapitel am dem Geschichtswerk des Eray Bernardino de Sahagun (hg. Seler ), p. 258 ff.,
und [J ung ,] Das Wandlungssymbol in der Messe, Paragr. 339ff
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like a god (who) liveth upon his fathers, (and) feedeth upon his mothers” 156. Es ist bemerkenswert, wie die Alchemie anstelle der kirchlich-christlichen Gestal ten von sponsus und sponsa ein Ganzheitsbild schob, welches einerseits mate riell, andererseits geistig war und dem Parakleten entsprach. Zudem bestand eine gewisse Neigung zu einer ecclesia spiritualis. Das alchemistische Äquiva lent des Gottmenschen und Gottsohnes war der Mercurius, welcher als herm aphroditus sowohl das Weibliche, die sapientia und die materia, als auch das Männliche, den Heiligen Geist und den Teufel, in sich schloß. Es bestehen Be ziehungen zwischen der Alchemie und jener Heilig-Geist-Bewegung, die dem 13. und 14. Jahrhundert bekannt und hauptsächlich mit dem Namen G ioacchi NO d a F io re (1145-1202) verknüpft war. Dieser erwartete das baldige Kom men des «Dritten Reiches», nämlich desjenigen des Heiligen Geistes157. Die Eklipse hat die Alchemie auch als einen Untergang der Sonne im (weib lichen) Merkurbrunnen158 oder als Verschwinden des Gabricus im Leibe der Beya dargestellt. Ja , die Sonne (als das Männliche) wird in der Umarmung des Neumondes sogar heimtückisch durch den Schlangenbiß (conatu viperino) der Muttergeliebten getötet oder durchbohrt durch das «telum passionis», Cupidos Pfeil159. Aus diesen Vorstellungen erklärt sich das seltsame Bild in der «Pando
ra)» l6°, auf welchem Christus von einer gekrönten Jungfrau, die unten in einem Schlangenschwanz161 endigt, mit einer Lanze durchbohrt wird. Die älteste Spur 1,6 B udge , T he Gods o f the Egyptians I, p.45. [Unas, der sich als Seele wie ein G ott erhebt, lebt von seinen Vätern, nährt sich von seinen Müttern.] 157 Siehe meine Darstellung in: A ion, Paragr. 137 ff. und 232ff. im
Vgl. dazu den Sonnenuntergang in einem Brunnen voll schwarzen Schlammes im K oran, 18.
Sure [Verse 84/86], p. 249. '59 R ipley , C antilena in: Opera, p. 423. Com. coniugii in: A rs ehern., p. 186: « .. proprio iaculo inter ficit seipsum» [er tötet sich mit seinem eigenen Pfeil]. Rosinus ad S arratan tam (A rt. aurtf. I, p .293): «Qui me miserculam: id est me habentem materiam Mercurialem et lunarem ... ac dilectum meum: id est, pinguedinem solarem mecum: id est, (c)um humiditate Lunari vinculaverit: id est, in unum corpus coniunxerit, Sagitta ex pharetra nostra» [Er, der mich Elende, die ich die Mond- und Mer kurmaterie en th alte... und meinen Geliebten, d.h. die Sonnenfettigkeit, mit mir, d.h. der Mond feuchte, koppelt und zu einem Körper verbindet, hat den Pfeil aus unserem K öch er].
160 p. 249. Das Bild ist reproduziert in meinem Aufsatz Paracelsus als geistige Erscheinung, Bild V. 161 D ie Zeichnung desselben ist allerdings merkwürdig, und es ist zunächst fraglich, ob damit W asser (?) oder D am pf (?) dargestellt sei. D ie Vorlage zu diesem Bild findet sich im sog. D rivaltigkàtsbu ch, fol. 2' (Cod. Germ. Monac. 5 9 8 , 15.Jh.) sowie im Cod. Germ. Aich. Vad., 16.Jh . D ort han delt es sich um einen richtigen Schlangenschwanz. Ein T ext bezeichnet vapores als sagittae (Com . coniugii, p. 127). Vgl. dazu die bogenbewehrten Adler im Hermesbild des SENIOR (Abb. 128 in: Psy chologie und A lchem ie).
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dieser Melusine in der Alchemie findet sich in einem HERMES-Zitat bei O lym P IO D O R :
Παρθένο« ή γη εύρίσκεται έν τη ούρα τη« παρθένου 162. (D ie jungfräu
liche Erde wird im Schwänze der Jungfrau gefunden.) Analog dem verwundeten Christus wird im Codex Ashbumham auch Adam als vom Pfeil getroffen darge stellt 16J. Dieses Motiv der Verwundung greift H onorius von Autun in seinem 24
Hobe/ied-¥Lommentai16i1645*auf. In 4 , 9 heißt es: «Vulnerasti cor meum soror mea sponsa, vulnerasti cor meum in uno oculorum tuorum et in uno crine colli tui.» (D u hast mein Herz verwundet, meine Schwester Braut. Du hast mein Herz verwundet mit einem deiner Augen und mit einer Haarsträhne deines Hal ses,65.) Die sponsa sagt 1 , 4 : «Nigra sum sed formosa», und 5: «Nolite me con siderare, quod fusca sim, quia decoloravit me soi.» (Ich bin schwarz, aber schön. 5: Schaut mich nicht an, da ich dunkel bin — weil mich die Sonne verbrannt hat.) Die Andeutung der nigredo in diesen W orten haben sich die Alchemisten nicht entgehen lassen m. Im Cantuum ist aber noch weiteres und Gefährlicheres über die sponsa angedeutet; 6, 3 hat: «Pulchra es amica mea, suavis et decora sicut Jerusalem: Terribilis ut castrorum acies ordinata. 4: Averte oculos tuos a me quia ipsi me avolare fecerunt... 9: Quae est ista, quae progreditur quasi au rora consurgens167 pulchra ut luna, electa ut sol, terribilis ut castrorum acies or dinata168?» Die sponsa ist demnach nicht nur lieblich und harmlos, sondern 162 B erthelot , Aich, grecs, II, iv, 24, pp. 83/90. 167 Siciic Abb. 151 in : Psychologie und Alchemie. 164 Expositio in Cant. eant. (M igne , P.L. C L X X II. col.419). 165 D ie korrekte Übersetzung des Urtextes ist: «Du hast mich verzaubert, meine Schwester und Braut, du hast mich verzaubert m it einem Blick deiner Augen, mit einem Kettchen in deinem Hals schmuck» (Zürcher Bibel, H ohei. 4,9). Vgl. A urora cons. /, Kp. X I I, Siebte Parabel, pp. 114/115. 167 Hier ist bezeichnenderweise der Ursprung des Titels jenes mystischen Traktates, den wir in dieser Untersuchung folgen lassen [A u rora consurgens I, hg. Marie -Louise von F ranz . Vgl. Vor wort, Anm. 9 dieses Bandes.] 168 D ie genauere Übersetzung des Urtextes lautet {H ohei. 6,4) : «Schön bist du, meine Freundin, wie Thirza , lieblich wie Jerusalem, furchtbar wie Heerscharen. (5 ) W ende deine Augen von mir, denn sie erschrecken mich. (10) W er ist sie, die da herabschaut wie die Morgenröte, schön wie der Vollmond, rein wie die Sonne, furchtbar wie Heerscharen?» [Zürcher Bibel] «Heerscharen», hebt, nidgälöt, wird von den neueren Kommenta toren nirgälöt, Pluralform von Nirgal bzw. Nergal, gelesen. Der babylonische Nergal ist Kriegs und Unterweltgott, Herr der Geister und G ott der Mittags- und Sommerhitze. W ittek in d t {D as Hohe L ied und seine Beziehungen zum Istarku lt, p.8) übersetzt daher «furchtbar wie Planeten». «Es sin d ... offenbar die Gegensätze der Istargestalt gem eint... D ie Göttin ist die holde, Liebe und
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I Die Komponenten der Coniunctio
auch zauberisch und furchtbar, wie jene Seite der Selene, die mit Hekate ver wandt ist. W ie diese ist Luna ττανδερκή« (allsehend), ein allwissendes (ιτάνσοtpos) A uge1®. W ie Hekate erregt sie Wahnsinn, Epilepsie und andere Krank heiten. Ihr besonderes Gebiet ist der Liebeszauber, die Magie überhaupt, in wel cher Neumond, Vollmond und Mondfinsternis eine große Rolle spielen. Die ihr zugeordneten Tiere —Hirsch, Löwe und H ahn170 —sind auch Symbole ihres männlichen Partners in der Alchemie. Als (chthonische) Persephone hat sie (nach P ythagoras ) Hunde171 (nämlich die Planeten). In der Alchemie tritt Luna selber als «armenische Hündin» auf. Die unheimliche Seite des Mondes spielt in der antiken Überlieferung keine geringe Rolle. Die sponsa ist der dunkle Neumond —nach christlicher Auffassung die Kir che zur Zeit der hochzeitlichen Um armung172 —und diese Vereinigung ist zu gleich eine Verwundung des sponsus Sol-Christus. So kommentiert H onorius den Satz «Vulnerasti cor meum» folgendermaßen: « P e r co r a m or intelligitur, qui in corde esse d icitur, e t continens p ro co n ten to p o n itu r; et est sim ilitudo, ab illo qui nim irum aliquam am at, e t ejus co r am ore vulneratur. Ita C hri stus am ore Ecclesiae vulneratus est in c ru c e 175. Priu s vulnerasti co r m eu m , quando causa am oris tui flagellatus sum , u t te facerem m ihi s o ro rem . . . iteru m vulnerasti c o r m eum quando am ore tui in cru ce pendens vulneratus sum , u t te sponsam m ih i facerem gloriae Schönheit spendende, aber sie ist auch zugleich die kriegerische, Männer tötende» (I.c., p.9 ). Noch mehr aber dürfte, der Zauberei wegen, der Unterweltaspekt Nergals als Herr der Geister in Betracht kommen. (Vgl. J astrow , D ie R eligion Babyloniens und Assyriens I, pp. 361, 467 und passim.) Der Lesart nirgälöt schließt sich auch Haller (D as H ohe L ied, p.40) an. Hebr. d und r sind sehr leicht zu verwechseln (M itteilung von Riwkah Schärf).
169 R oscher, Lexikon II/2, col.3138. 170 l.c., col. 3185. 171 l.c., co l.3185. [Vgl. auch Paragr. 174 dieses Bandes und D ie Psychologie der Ü bertragung, Paragr.4584ff.] 172 In kabbalistischer Deutung ist sie Israel als Braut des Herrn. So sagt der Sohar. «Und wann wird er (G ott) Eins genannt? Erst in der Stunde, wenn sich die Matronita (matrona = Malchut) mit dem König paaren wird, wie es heißt
3. Die W aise und die W itw e
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participem, et hoc in uno oculorum 174 tuorum 175» usw. (U nter Herz ist die Liebe zu ver stehen, die im Herzen wohnen soll, und das Enthaltende wird für den Inhalt gesetzt, und es ist ein Gleichnis von jenem, der unzweifelhaft eine Frau liebt, und dessen Herz von der Liebe verwundet wird. So ist Christus durch die Liebe der Kirche am Kreuze verwun det. Zuerst hast du mein Herz verwundet, als ich um deiner Liebe willen gegeißelt wur de, damit ich dich m ir zur Schwester machte... sodann hast du mein Herz verwundet, als ich durch die Liebe zu dir, am Kreuze hängend, verwundet wurde, damit ich dich mir zur Braut, die an der Herrlichkeit teil hat, machte, und das in einem deiner A ugen...)
Der Augenblick dieser Eklipse und mystischen Hochzeit ist der Tod am m K reuz. Das Mittelalter hat darum folgerichtigerweise das Kreuz auch als «Mut ter» verstanden. So heißt es in einem altenglischen «Dispute between Mary an the Cross»176, das Kreuz sei ein falscher Baum, der Mariens Frucht mit tödli chem Trank zerstört habe. Maria klagt: «Kreuz, du bist meines Sohnes schlim me Stiefmutter». Sancta Crux antwortet: »Frau, dir danke ich meine Ehre; deine herrliche Frucht, die ich jetzt trage, strahlt in rothem Blute.» Das Motiv der Verwundung geht in der Alchemie zurück b i s Z o s iM O S (3. Jahrhundert) und dessen Visionen, welche eine Opferhandlung zum Gegen stand haben177. In dieser Vollständigkeit kehrt das Motiv allerdings nicht wie der. Man begegnet ihm zunächst in der «Turba»·. «... illo vulnerato, neci dato (quod) ros iungitur»178. (M it jenem Verwundeten, dem Tod Dahingegebenen, 174 Merkwürdigerweise hat auch im alten Ägypten das Auge m it dem Hierosgamos der Götter zu tun. In den heliopolitanischen Inschriften wird der Tag des Herbstanfanges (also der erlöschenden Sonne) als «Festtag der Göttin », als die «Ankunft der Schwester, um sich m it ihrem Vater zu vereinigen», gefeiert. An diesem T ag vollendet die «Göttin M eh n it... ihre A rb eit..., um den G ott Osiris in das linke Auge (den Mond) eintreten zu lassen». (B rugsch, Religion und Mythologie der alten Ägypter, p. 285 f.) ■’s [H onorius , Opera, in: M igne , P .L . C L X X II, col. 419.] D ie Idee der Verwundung des Erlö sers durch die Liebe hat auch in der späteren Mystik zu sonderbaren Bildern Anlaß gegeben. In einem LibeUus DesideriorumJoannis Amati findet sich folgende Stelle: «Ich habe eine K unst gelernet, und bin ein Schütz worden, der gutte Vorsatz ist mein Bogen, und die unauflhörliche Begierden meiner Seel seynd die Pfeile. D er Bogen ist durch die Hand deß gnädigen Beystand Gottes stets gespannet, und der H. Geist lehret mich, die Pfeil gerad nach dem Himmel zu schießen. G ott gebe daß ich das schießen besser lerne, und einmal das Hertz Jesu treffe!» (Z it. in: Held , Lehen und Wer ke des Angelus Silesius I, p. 157) >'6 Morris , Legends o f the Holy Rood, zit. in: Z öckler , Das Kreuz Christi, p. 240.
B erthelot , Aich, grecs, III, i-iv, pp. 107ff./117ff. Den Aspekt der Schlachtung habe ich be handelt in meinem Aufsatz D ie Visionen des Zosimos-, den Aspekt des Opfertodes in: Das Wandlungs symbol in der Messe.
r8 R uska , Turbaphil.. Sermo LV1II, p. 161.
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I Die Komponenten der Coniunctio
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wird der Tau verbunden.) Der Tau gehört zum Monde, und der Verwundete ist die Sonne179. Im Traktate des P h il a l e t h a «Introitus apertus ad occlusum Regis palatium» 180 ist die Verwundung ein Biß des tollen «corascenischen» Hundes, weshalb das hermaphroditische Kind an Hydrophobie leide181. Im Traktat «De tenebris contra naturam» bringt DoRNEUS das Verwundungsmotiv beziehungs weise den giftigen Schlangenbiß in Zusammenhang mit Genesis 3: «Naturae si quidem per serpentem introducto morbo, lethalique inflicto vulneri quaeren dum est remedium.» (Für die in die Natur durch die Schlange eingeführte Krankheit und die ihr zugefïigte tödliche W unde ist das Heilmittel zu su chen182). Es ist demnach die Aufgabe der Alchemie, das peccatum originale (Erbsünde) auszutilgen, und dies geschieht durch das balsamum vitae (Lebens balsam), welches ein «calidi naturalis cum suo radicali humido temperamen tum» (eine richtige Mischung der natürlichen W ärm e mit ihrer Wurzelfeuch te) sei. «Mundi vitam enim . . . esse naturae lucem atque caeleste sulphur183, cu-
179 H g («Tau») «penetriert» das Gold (Sonne) durch Amalgamierung. 180 D er Traktat soll 1645 geschrieben worden sein. Abgedruckt in: Mus. herm., p. 652 ff. D er Name des Autors E irenaeus P hilaletha ist ein Pseudonym, unter dem der bekannte englische Alchemist Eugenius P hilalethes resp. T homas V aughan (1621-1665) vermutet wurde, zu U n recht, wie es scheint. Siehe dazu W aite , The Works o f Thomas Vaughan, p .X I V f f , und Ferguson , Bibliotheca chemica II, p. 190 ff. 181 M m . herm., p .658f.: (Chaos nostrum) «Hic est infans Hermaphroditus, qui a primis suis in am abilis per Canem Corascenum rabidum morsu infectus est, unde perpetua hydrophobia stultescit, insanitque...» [Unser C haos... ist das zwiegeschlechtige Kind, das früh in seiner W iege durch den B iß des tollwütigen coraszeni sehen Hundes angesteckt wurde, weshalb es in ständiger Tollwut ver blödet und dem W ahnsinn verfällt]. D er «nigricans canis rabidus» [schwärzliche tolle Hund] wird «imbre ac verberibus» [durch Regen und Schläge] verjagt, «sic tenebrae disparebunt» [so werden die Finsternisse aufhören], woraus zu ersehen ist, daß der tolle Hund die nigredo und damit indirekt den finsteren Neumond, der die Sonne ekiipsiert, darstellt (vgl. Senior , De chemia, p.9: «..vilescit per carnem infirmatus Leo» [es wird der Löwe, durch den Hund geschwächt, verdorben] ). Der infans entspricht sinngemäß dem rasenden Attis, diesem κα-τηφέ? άκουσμα Ρ έα $ (dem dun keln Gerücht der Rhea), «den die Assyrer den τρι/ποθητον Ά δ ω νιν (dreimal ersehnten Adonis) nennen», den frühsterbenden Sohngeliebten (H ippolytus , Elenchos, V , 9,8, p.89). Nach der Sage von Pessinus ist Agdistis ( = Kybele), die Mutter des Attis, selber zuerst hermaphroditisch und wird von den Göttern kastriert. Sie versetzt Attis in Raserei, in der er sich das gleiche antut, und zwar bei seiner Hochzeit. Zeus verleiht seinem Körper Unverweslichkeit, womit die von den Alchemisten gesuchte incorruptibilitas des infans parallel geht. (Siehe Pausanias, Graeciae descriptio, lib. V II, cp. X V II, 567, p.209.) 182 Theatr. chem. (1602) I, p.518. 183 Lux naturae und caeleste sulphur sind als identisch zu verstehen.
3. D ie W aise und die W itw e
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ius subiectum est firmamentalis humor aethereus et calor, ut sol et luna.» (Das Leben der W elt sei das natürliche Licht und der himmlische Sulphur, dessen Substanz die firmamentische äthergleiche Feuchte und die W ärm e ist, wie Son ne und M ond184). Die Konjunktion des Feuchten (Mond) und des Heißen (Sonne) ergibt also jenen Balsam, der das unverdorbene und ursprüngliche Le ben der W e lt (primitiva ac incorrupta natura) ausmacht. Genesis 3, 15: « ..e r wird dir nach dem Kopfe treten, und du wirst ihm nach der Ferse schnappen» galt als Präfiguration des Erlösers. D a Christus aber frei war vom Makel der Sünde, so konnte ihm die Nachstellung der Schlange nichts anhaben, wohl aber wurde der Mensch dadurch vergiftet. W ährend der christliche Glaube den Men schen als durch die Heilstat Christi von der Sünde befreit betrachtete, war die Alchemie offenbar der Ansicht, daß die «restitutio ad similitudinem primitivae ac incorruptae naturae» (Wiederherstellung zum Abbild der ursprünglichen, unverdorbenen N atur) durch das Opus der Kunst nachzuholen wäre, was man wohl nicht anders verstehen kann, als daß sie das Erlösungswerk Christi als un vollendet erachtete. Man vermag dieser Ansicht, in Anschauung der unbeküm merten und nach wie vor ausgiebigen Schandtaten des «princeps huius mun di» 185 nicht ganz alle Sympathie zu versagen. Für den Alchemisten, der sich zur ecclesia spiritualis bekennt, ist es natürlich von höchster W ichtigkeit, selber zum «makellosen Gefäß» des Parakleten zu werden und damit, über die imitatio Christi hinaus, die Idee «Christus» zu verwirklichen. Die Art und W eise, wie sich dieser immense Gedanke im Laufe der christlichen Jahrhunderte immer wieder im W üste menschlichen Ungenügens verfangen hat, ist geradezu tra gisch zu nennen. Einen erschütternden Begriff davon gibt nicht nur etwa die Kirchengeschichte, sondern vor allem die Alchemie selber, die sich damit reich lich ihr eigenes Todesurteil verdient hat - in unwillkürlicher Erfüllung ihrer Sentenz «in sterquiliniis invenitur» (es wird in den Mistgruben gefunden). N icht ganz zu Unrecht urteilt A g rippa vo n N et tesh eim , «alcumistas om nium hominum esse perversissimos.. ,186.» In seiner für die Geschichte der alchemistischen Symbolik überaus wertvol len Untersuchung «Mysterium Lunae» erwähnt R a h n e r 187, daß die sponsa
184 l.c. 185
Jo . 12,31 [Fürst dieser W e lt].
188 «Die Alchemisten seien die verdrehtesten von allen Menschen.» (D e incertitudine et vanitate samtiarum, cp. X C [Ausgabe 1585, ohne Paginierung].) 187 p. 431.
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I Die Komponenten der Coniunctio
(Luna, Ecclesia) in ihrem «Wachsen und Erlöschen» die κένωσι«188 des Bräuti gams nachbilde, entsprechend den W orten des heiligen A m b r o siu s 189: M in u itu r Luna u t elem enta repleat. H o c est ergo grande m ysterium . D o n a v it hoc ei qui om nibus donavit gratiam . Exin an ivit eam u t repleat Q u i etiam se exin anivit u t om n ia im pleret. E xin an ivit se u t descenderet nobis, D escen d it nobis u t ascenderet o m n ib u s. . .
Ergo annuntiavit Luna mysterium Christi. («L u n a w ird gem in d ert, dam it sie die Elem en te erfülle. D aru m ist dies ein wunderbares G eheim nis. D e r h a t es ih r gegeben, w elcher allen die G nade gegeben hat. E r h at sie en t leert, d a m it sie fülle; E r, der auch sich entleert h at, daß er alles erfülle. E r h at sich en t leert, daß e r für uns herniederstiege. E r ist für uns hem iedergestiegen, dam it er für alle e m p o rs tie g e ... A lso h a t Luna das G eheim nis C hristi an g ek ü n d igt190. » )
188 = Ausleerung, siehe unten [Paragr. 29].
189 Exameron, IV, 8,32, zit. in: R ahner, l.c., p.431. 190 Herr P rof H . Rahner war so freundlich, mir zu dieser Frage folgende Erläuterung beizusteu ern: «Der theologische Grundgedanke ist immer dieser: das irdische Geschick der Kirche als Leib Christi ist gleichgebildet dem irdischen Geschick Christi, d.h. auch sie geht im Laufe ihrer Ge schichte einem Tod entgegen, sowohl in den einzelnen Gliedern (hier dann der Anknüpfungspunkt für die Lehre von der Ab) als auch in ihrem Gesamtgeschick bis zum letzten Tag, wo sie nach Vollendung ihrer irdischen Aufgabe gleichsam wird und , was man eben in dem Psalmwort 71,7 angedeutet fand: . Diese Gedanken drückte man aus in der Symbolik von der Luna als Kirche. So wie die Kenose Christi sich vollendet in dem Tod, ja bis zum Tod am Kreuz (Phil. 2,8) und eben aus diesem Tod auch seiner Knechtsgestalt der Glanz der Gottnatur verliehen wird, die δό ξα του ιτατρό? (Phil. 2,9,10), wie also dieser Vorgang verglichen werden kann mit dem Sonnenuntergang ( = Tod) und dem neuen Sonnenmorgen ( = H errlichkeit), so ist es nun auch mit der parallel laufenden Kenose der Ecclesia-Luna. J e näher Luna an die Sonne kommt, um so dunkler wird sie, bis zur Finsternis der neumondlichen Synodos: all ihr Licht ist
3. Die W aise und die W itwe
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Die Veränderlichkeit des Mondes wird so paralleli siert mit jener Wandlung 29 des präexistenten Christus aus der göttlichen «Gestalt» in die menschliche durch die «Entleerung» (κένωσκ), angedeutet in dem vielkommentierten Satz
Philipper 2,6: ös έν μορφή θεού υπάρχων ούχ άριταγμόν ήγήσατο τό είναι ίσα θεφ, ά λλα έαυτόν έκένωσεν μορφήν δούλου λαβών. (D er, als er in Gottes Ge stalt war, es nicht für einen Raub hielt, wie G ott zu sein, sondern sich selbst entäußerte, indem er Knechtsgestalt annahm.) Auch die gewundensten Erklä rungen der Theologie sind dabei nie über das lapidare Paradox des H ila riu s 191 «deus homo, immortalis mortuus, aeternus sepultus» (Gott-Mensch, unsterb lich-gestorben, ewig-begraben) hinausgekommen. In umgekehrter Entspre chung fand bei der Kenosis nach E phraem S y r u s eine Entlastung der Kreatur statt: «Quia lassae erant creaturae ferendo figuras maiestatis eius, eas suis figuris exoneravit sicut exoneravit ventrem qui eum gestavit192.» (W eil die Geschöpfe es müde waren, die Präfigurationen seiner Herrlichkeit zu tragen, hat er sie da von entlastet, wie er den Mutterleib, der ihn trug, entlastet hat.) Mit dem Hinweis auf die Kenosis ist die Veränderung des Mondes in kausale 30 Abhängigkeit von der Wandlung des Bräutigams gebracht. In diesem Fall hängt die Verdunkelung der Luna vom sponsus Sol ab; dabei können die Alche misten auf Canticum 1, 4 und 5 verweisen, nämlich auf die Schwärzung des Ant litzes der Geliebten. Auch die Sonne verfügt über tela und sagittae. Ja , die heim liche Vergiftung, die sonst vom Kalten und Feuchten (also von der lunaren aber g ilt das gleiche auch fur die Gesamtkirche und ihr Geschick (Epist. 55,6,10, p .l8 0 f.): sie ver schwindet in die Sonne Christus hinein am Ende der Tage: donec interficiatur Luna. Hier übersetzt Augustinus das W o rt Psalm 71,7 ά ντα να ιρ εθή mit (interficiatur); in der Enarratio in Psalmum '1 ,1 0 (P .L . 36, 9 0 7 f.) verbreitet er sich ausführlich über die Übersetzung dieses griechischen W or tes und gib t es dort m it und wieder. Gemeint ist in allen Stellen die Lehre, daß die K irche in der kommenden Herrlichkeit aufhört, ihr nur für die Erde bestimmtes Heilswerk fort zusetzen, daß sie ganz überdeckt ist von dem Glanz der Sonne Christus, weil sie (und dies ist wie derum eine seltsame Aporie) in der Auferstehung des Fleisches selber (Psalm 71,5) ist dafür das Stichwort.» 1,1 De Trinitate, 1 , 13. Die Stelle lautet wörtlich: « ..ut cum Deus homo, cum immortalis mortu us, cum aeternus sepultus est, non sit intelligentiae ratio, sed potestatis exceptio; ita rursum e con trario non sensus, sed virtutis modus sit, ut Deus ex homine, ut immortalis ex mortuo, ut aeternus sit ex sepulto.» [W ie die Tatsache, daß G o tt Mensch, daß er unsterblich-sterblich, daß er ewig-begraben ist, nicht zur Ordnung des Verstandes gehört, sondern eine Ausnahme des W irkens ist, gehört es wiederum, umgekehrt, nicht zum Bereich der Sinne, sondern der Tugend, daß G ott aus dem Menschen, daß er unsterblich aus einem Toten, daß er ewig aus einem Begrabe nen ^geworden)> ist. —MlGNE, P .L .X , col. 35] 19; Hymni et sermones II, p. 802: «Hymni de ole et oliva, X X V I I , v. 4».
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Seite) ausgeht, wird gelegentlich dem draco frigidus (kalten Drachen) zuge schrieben, welcher einen spiritus igneus volatilis (einen flüchtigen feurigen Geist) enthalte und flammivomus (flammenspeiend) sei. So kommt im 50. Em blema des «Scrutinium»195 dem Drachen die männliche Rolle zu: Er umschlingt die Frau im Grabe in tödlicher Umarmung. Der gleiche Gedanke erscheint auch im 5. Emblema, wo dem W eibe die Kröte an die Brust gelegt wird, damit sie, die Kröte säugend, sterbe und diese wachse194. Die Kröte ist das kalte und feuchte Tier wie der Drache. Sie «entleert» das W eib, wie wenn der Mond sich in die Sonne ergösse. (Vergleiche dazu die manichäische Vorstellung vom Mon de, der seinen «Seeleninhalt» in die Sonne entleert!)
4. A L C H E M I E U N D M A N I C H Ä I S M U S
Eingangs des letzten Kapitels erwähnte ich die Bezeichnung des Lapis als orphanus, Waise. Das Motiv des unbekannten oder abwesenden Vaters scheint hier von besonderem Belang zu sein. Mani ist der «Sohn der W itwe» par excel lence. Sein ursprünglicher Name soll Koüßpucos (Cubricus) gewesen sein. Die sen habe er später vertauscht mit Manes, was ein babylonisches W o rt sei und σκεΰοΐ (vas, Gefäß) bedeute195. Er sei als vierjähriger Knabe einer reichen W it we als Sklave verkauft worden. Diese habe ihn liebgewonnen, später adoptiert und zum Erben ihres Reichtums eingesetzt. Mit ihrem Reichtum erbte er aber auch das eigentliche «Schlangengift» seiner Lehre, nämlich die vier Bücher des Skythianos, des ursprünglichen Herrn seines Adoptivvaters Terebinthos, ge nannt «Budda»196. Dieser Skythianos hat eine legendäre Biographie, die ihn Si mon Magus parallel setzt197; auch soll er, wie dieser, zur Zeit der Apostel nach 155 Maier , Scrutinium chymicum, p. 148.
194l.c., p. 13. Vgl. Aristotelis tractatulus in: A rt.a u rif I, p. 369. 155 E piphanius , Panarium, L X V I, c p .l; Hegemonius, Acta Archelai, L X II, p. 90 f.; Socrates, Historia Ecclesiae, I, 22; T heodoretus, Haereticarum fabularum compendium, I, 26 (M ign e , P .G . L X X X III, coi. 378). 196 Dies könnte eine Beziehung zum Buddhismus sein. D ie manichäische Seelenwanderungsleh re stammt womöglich aus derselben Quelle. Skythianos soll Reisen nach Indien gemacht haben. Nach Suidas (Lexikon, ed. Adler , III, p. 318) war Skythianos-Manes ein Β ρ α χμ ά ν η ? (Brahmane). Vgl. auch Cedrenus , Historiarum compendium, 1 ,456 (M igne , P .G . C X X I, col.498).
197 C yrill von J erusalem , Catech. V I, 22 (M igne , P. G. X X X I I I , col. 575 f.).
4. Alchemie und Manichäismus
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Jerusalem gekommen sein. Er hatte eine dualistische Lehre, die sich, wie es scheint, m it den Gegensatzpaaren beschäftigte, wie E piph a n iu s 198 schreibt, nämlich «weiß und schwarz, gelb und grün, feucht und trocken, Himmel und Erde, N acht und Tag, Seele und Körper, Gutes und Böses, gerecht und unge recht». Aus diesen Büchern soll Mani nach christlicher Tradition seine verderb liche Häresie geschöpft haben, womit er die Völker vergiftete. «Cubricus» ist sehr ähnlich dem alchemistischen Kybrius199, Gabricus200, Kybrich, Kibrich201, Kibric202, Kybrig, Kebrick205, alkibric204, Kibrit205, Kibrith206, Gabricius, Gabrius207, Thabritius, Thabritis208 usw. (arabisch kibrit = Schwefel)209. In der
«Aurora consurgens» steht unmittelbar neben «vetula» «sulphur nigrum» (schwarzer Schwefel), und zwar jene als das Synonym der anima und dieser als das des spiritus. Die beiden bilden ein Paar, das sich etwa mit dem Teufel und seiner Großmutter vergleichen ließe. Die gleiche Beziehung findet sich auch in der « Chymischen Hochzeit», wo ein schwarzer König neben einer verhüllten alten Frau sitzt. Der «schwarze Schwefel» ist eine pejorierende Bezeichnung der akti ven (männlichen) Substanz des Mercurius und weist auf dessen satumisch-finstere Natur, auf das Böse hin210. Er ist der üble Mohrenkönig der Chymischen Hochzeit, welcher die Königstochter zur Konkubine machte (m eretrix!), der Äthiopier anderer Traktate211, eine Analogie zur Figur des Ägypters in der «Pas156 Panarium, L X V I, 2. 199 RULANDUS, Lexicon alchm iae, p.271. 200 Ros.phil. in: A rt. aurif. II, p .246. 201 Practica M ariaeprophetissae in. A rt. aurif. I, p. 321. 202 Scalaphilosophorum in: A rt. aurif. II, p. 116. 203 In der Pandora (p. 297) als «Arsenicus» gedeutet, nämlich das Männliche, Aktive, von άρρην resp. άρσην. 201 Petrus de Silento , Opus in: Theatr. ehern. (1613) IV , p. 1114. 205 Anthonius de Abbatia , Epistolae duae in: R oth -Scholtz, Deutsches Theatrum chemicum III, p.703. 206 PERNETY, Dictionnaire mytho-hermétique, p. 233. 207 l . c , p. 179. 208 Visio Arislei in: A rt. aurif. I, p. 147f. 209 D er Name Cubricus fur Mani ist bisher n id it eindeutig erklärt. V gl. ScHAEDER, Urform und Fortbildungen des manichiäschen Systems, p.88f. Anm. 210 [C hristian R osencreutz , Original 1616, hg. Maack, p.61.] J ung , D er Geist M ercurius, Paragr. 271 und 276. 211 [J ung ,] Psychologie und Alchemie, Paragr. 484. Vgl. auch Aurora consurgens /, cp. V I, pp.48/49: « ... umbra mortis, quoniam tempestas dimersit m e; tunc coram me proddent Aethiopes et inimici mei terram meam lingent» [« ... Schatten des Todes, da die Flut m ich ersäuft hat. Dann werden die
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I Die Komponenten der Coniunctio
sio Perpetuae»212, welcher, vom christlichen Standpunkt aus, eben der Teufel ist. Er ist die aktivierte Dunkelheit des Stoffes, der umbra Solis, welche die jungfräulich-mütterliche prima materia darstellt. Insofern nun die Lehre vom «increatum» in der Alchemie des 16. Jahrhunderts eine gewisse Rolle zu spielen beginnt215, entsteht ein Dualismus, der mit dem manichäischen verglichen wer den darf214. Die Hyle im manichäischen System ist personifiziert in dem dunklen, flüssi gen, menschlichen Körper des bösen Finsterniswesens, wie A u g u st in sagt: (D ie Substanz des Bösen) «habe eine ungestalte Masse, entweder eine grobe, welche sie Erde nennen, oder eine dünne und feine, wie sie die des Luftkörpers ist, welchen bösen Intellekt (malignam mentem) sie sich als durch jene Erde kriechend vorstellen215.» Die manichäische Anthroposlehre hat ihre Doppelheit der Jesusfigur mit der Alchemie insofern gemeinsam, als letztere ebenfalls eine Doppelgestalt des Erlösers kennt: nämlich Christus als Heiland der Menschen (des microcosmus) und als der des macrocosmus in der Gestalt des Lapis philo sophorum. Erstere stellt einerseits einen Christus impatibilis (leidensunfähigen) auf, der für die Seelen sorgt, andererseits einen patibilis (leidensfähigen)216, dem etwa die Rolle eines spiritus vegetativus respektive Mercurius zukommt217. Die ser befindet sich im Leibe der Fürsten der Finsternis und wird durch Engelwe sen, die in Sonne und Mond wohnen, daraus auf folgende W eise befreit: in Äthiopier vor mir niederfallen, und meine Feinde werden meine Erde lecken»]. Vgl. OWGENES, De
oratione, 27,2 (M ign e , P .G . X I , c o l.5 l4 £ : «. .at qui de dracone comedit, non alius est, quam spiri tualis Aethiops, per draconis laqueos mutatus et ipse in serpentem» [so wie der, der vom Drachen isst, nichts anderes ist als ein geistiger Äthiopier, durch die Fallen des Drachen gefangen und selber zur Schlange geworden]. Epiphanius , Panarium, X X V I, 16, spricht von den «Aethiopes denigrati peccato» [durch die Sünde geschwärzten Äthiopiern]. 212 Passio SS. Perpetuae et Felicitatis, hg. von v. Beek, p.26fif. Ich verweise auf die Untersuchung
der Passio von Marie -Louisb von Franz in: [J ung ,] Aion. 213 Vgl. hiezu Paracelsus, Philosophia ad Athenienses, ρ .3 9 θ £ , D orneus , Physica Genesis in:
Theatr. chem. (1602) I, p. 380, und [J ung ,] Psychologie und Alchemie, Paragr. 430ff. 214 V gl. «pater ingenitus, terra ingenita, et aer ingenitus [der ungezeugte Vater, die ungezeugte Erde und die ungezeugte Luft] bei den Manichäern (Augustinus , D e actis cum Felice, I, X V III,
col.742), bei B ardesanes und Marinus (B ousset , Flauptprobleme der Gnosis, p.97), sowie H ermo genes :
τόν θεόν έξ ύλη? συγχρόνου καί άγενήτου ττάντα υετιοιηκέναι [dass der Gott aus der
zeitlich m it ihm koexistenten und ungewordenen Materie alles geschaffen habe] (H ippolytus ,
Fienchos, V III, 17,1, p. 236). 215 Confess., lib. V , cp. x, 20, col.205. 2,6 Contra Faustum, X X , cp. x i i , col. 525. 217 W alch , Entwurfzu eener vollständigen Historie der Ketzereien I, p. 753.
4. Alchemie und Manichäismus
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wechselnd männlicher und weiblicher Gestalt erregen diese die Begierde der Bö sen und deren heftigen Angstschweiß, der auf die Erde fällt und den Pflanzen wuchs befruchtet218. Auf diese W eise wird die himmlische Lichtmaterie aus den dunklen Körpern befreit und in pflanzliche Form übergefuhrt219. Die Erhitzung durch die Begierde hat ihr Analogon in der alchemistischen graduellen Erwärmung jener Körper, die das arcanum enthalten. Dabei spielt das Symbol der Schwitzkur eine bedeutende Rolle, wie gewisse Abbildungen ausweisen22°. W ie bei den Manichäern der Archontenschweiß221 den Regen be deutet, so bedeutet bei den Alchemisten der Schweiß den T au 222. Auch jene ei218 Augustinus , D e natura boni contra Manichaeos, cp. xliv , col. 793 f. 219 Es ist hier auf Faust, 2. Teil, besonders auf die Engelszene beim Tode Fausts zu verweisen. Me phistopheles: «Ihr scheltet uns verdammte Geister / Und seid die wahren Hexenmeister; / Denn ihr verführet Mann und W eib. - / W elch ein verfluchtes Abenteuer! Ist dies das Liebeselement?»
(p.478) 220 M aier , Scrutinium chymicum, p.82ff. « ... lap is... incipit propter angustiam carceris sudare» [der Stein beginnt wegen der Enge des Gefängnisses zu schwitzen] (V entura , D e ratione conficiendi
lapidis in: Theatr. chem., 1602, II, p.293). 221 Hegemoniu S, Acta Archelai [hg. Beeson], IX , p. 14: « ..h ic princeps sudat ex tribulatione sua cuius sudor pluviae sunt.» [Dieser Herrscher schwitzt in seiner N ot, und sein Schweiß ist der Regen.] Christensen (Les Types du prem ier Homme et du prem ier Roi dans l ’histoire légendaire des Ira niens, p. 16) zitiert aus dem Bundahiln (3,19), wie Ohrmazd aus seinem Schweiß den leuchtenden Jüngling gestaltet und wie ebenso aus dem Schweiß Ymirs die ersten Menschen hervorgehen (l.c., p. 35). Nach arabischer Überlieferung schwitzte Ohrmazd wegen seines Zweifelgedankens (aus dem Ahriman hervorging), und aus dem Schweiß entstand Gajomard (p .8 5 f) . Durch den «Schweiß der Hände» des Osiris brachten die Jahreszeitengötter die Ernten hervor (B udge , Coptic Apocrypha in
the D ialect o f Upper Egypt, Introd., p .L X V IIf.). Bei D oRNEUS, De transmut. met. (Theatr. ehern., 1602, I, p. 584) findet sich folgende merkwürdige N otiz über den lapis: « ... in postremis suis operationi bus. .. liquor obscurus ac rubens instar sanguinis, ex sua materia suoque vase guttatim exudat: inde praesagium protulerunt, postremis temporibus hominem purissimum in terras venturum, per quem
liberatio mundi fieret, hunc ipsum guttas rosei rubeive coloris et sanguineas emissurum, quo mun dus a labe redimetur» [am Ende der Behandlungen schwitzt er < d e r Stein]> eine dunkelrote Flüssigkeit wie Blut aus seiner Materie und seinem Gefäß tropfenweise aus, woraus sie die Prophezeiung ableiteten, daß am Ende der Tage ein ganz reiner Mensch auf Erden kommen
wird, durch den die W elt befreit werden und daß er Blutstropfen von rosaroter oder roter Farbe ausscheiden wird, durch die die W elt von ihrem Sündeniäll erlöst werden soll.]. 222 «Et Marcus dicit, concipiunt in balneis, significat calorem lentum et humidum balneorum, in quibus sudat lapis in principio dissolutionis suae» [Und Marcus sprach: «Sie empfangen in den Bä dern», damit meint er die langsame, feuchte Erwärmung der Bäder, in denen der Stein am Anfang seiner Auflösung schwitzt] (Cons. coniugii in: Ars chem., p. 167). D iese Stelle ist ein Kommentar zu Se n io r , D e chemia, p.79. D ie Epistola adH erm annum (Theatr. chem., 1622, V , p.894) sagt: « ... tune accipitur corpus perfectissimum, et ponitur ad ignem Philosophorum ... tu n c... illud Corpus hu-
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Die Komponenten der Coniunctio
genartige Legende, über die uns die «Acta Archelai» berichten, muß hier er wähnt werden, nämlich jene Erfindung, die der Sohn des «lebenden Vaters», der Erlöser, machte, tim die Menschenseelen zu retten. Er konstruierte nämlich ein großes Schöpfrad m it zwölf Krügen, eine rota, die, während sie sich dreht, die Seelen aus der Tiefe schöpft und dem Mondschiff anvertraut223. Die rota kennen wir in der Alchemie als das Symbol des opus circulatorium. W ie die Alchemi sten, so haben auch die Manichäer eine «virago», nämlich die männliche Jung frau Jo ë l224, welche der Eva einen gewissen Betrag an Lichtsubstanz vermittelt h at225. Die Rolle, die sie den Fürsten der Finsternis gegenüber spielt, entspricht derjenigen des Mercurius duplex, welcher ebenfalls das in der Materie verborge ne Geheimnis befreit, nämlich das «Licht über allen Lichtern», den Filius philo sophorum. Wieviel von diesen Parallelen auf direkte manichäische Tradition, wieviel auf indirekte Übermittlung und wieviel endlich auf spontane Wiederer zeugung Zurückzufuhren ist, wage ich nicht zu entscheiden. W ir sind bei diesen Ausführungen von der Bezeichnung des lapis als «orphanus», die D
o rneus
scheinbar unvermittelt bei der Besprechung der Gegensatz
vereinigung erwähnt, ausgegangen. Das beigebrachte Material zeigt, welches ar chetypische Drama von Tod und Wiedergeburt in der coniunctio oppositorum verborgen ist, beziehungsweise welche menschlichen Uraffekte bei diesem Pro blem aufeinanderprallen. Es ist das moralische Problem der Alchemie, jenen weiblich-mütterlichen, von Leidenschaften durchwühlten Urgrund der männli chen Seele mit dem Prinzip des Geistes in Einklang zu bringen —wahrlich eine herkulische Aufgabe!
mectatur, et emittit sudorem quendam sanguineum < Ί > post putrefactionem et mortificationem, Rorem dico Coelicum, qui quidem Ros dicitur Mercurius Philosophorum, sive Aqua Permanens» [dann erhält er seinen vollendeten Körper und legt sich zum Feuer der Philosophen... dann. .. wird jener Körper befeuchtet und scheidet einen blutigen Schweiß aus nach seiner Verwesung und Ver nichtung, das heißt einen himmlischen Tau. Dieser Tau heißt auch Merkur der Philosophen oder ewiges W asser]. Vgl.: Aus dem Schweiße erschafft der Schöpfer den ersten Menschen (E liade,
Schamanismus und archaische Ekstasetechnik, p.320f.Ä). Eliade erwähnt dies in Verbindung mit dem Schwitzbad. 223 T ext in: Psychologie und Alchemie, Paragr. 469. 224 Eine Figur parallel zu Barbelo. 225 «..quae cum adparueric, maribus femina decora adparet, feminis vero adulescentem specio sum et concupiscibilem demonstrat.» [W enn er in Erscheinung tritt, zeigt er sich den Männern als schöne Frau, den Frauen aber als wohlgestalteter und begehrenswerter Jüngling.] (A cta Archelas
[hg. Beeson], IX , p. 14)
4. Alchemie und Manichäismus
«Lerne daher, o Verstand (m ens)», sagt D
o rn eu s,
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«hinsichtlich des eigenen Körpers
anteilnehmende Liebe (charitatem) zu üben, indem du dessen eitles Streben beschränkst, so daß er m it dir zu allem bereit ist. D amit dies geschehe, werde ich mir Mühe geben, daß er m it dir zusammen von der Quelle der K raft (virtus226) trinke, und, wenn dann beide eins geworden sind, ihr in der Vereinigung Frieden findet. Tritt, o Körper, zu die ser Quelle, daß du m it deinem Verstände (m ente) trinkest bis zur Genüge und fürderhin nicht mehr nach Eitelkeiten dürstest. O wundersame W irkung der Quelle, die aus Zwei en Eins und Frieden zwischen den Feinden macht. Die Quelle der Liebe (amoris) kann aus Geist und Seele Verstand (mentem ) machen, aber hier macht sie aus Verstand und Körper den einen Mann (virum u nu m )227.»
226
« E s t... hominum virtus fides vera» [Die Tugend des Menschen ist sein wahrer Glaube]
(D orneus , Spec.phil. in: T heatr. chem., 1602,1, p.298). 222 l.c., p.299.
II
D IE P A R A D O X A
1. D IE A R K A N S U B S T A N Z U N D D E R P U N K T
Die gewaltige Rolle, welche die Gegensätze und ihre Vereinigung spielen, macht es verständlich, warum die alchemistische Sprache so sehr das Paradox liebt. Die Alchemie versucht, um die Vereinigung zu erzielen, die Gegensätze nicht nur zusammen zu schauen, sondern auch zusammen auszusprechen1. Bezeichnenderweise häufen sich die Paradoxien um die Anschauung der Arkansubstanz, von welcher angenommen wurde, daß sie als prima materia die Ge1Vgl. Petrus B o n u s , Pretiosa m argarita novella (T heatr. ehem ., 1622, V, p .660f.): «Antiquissimi philosophorum viderunt hunc lapidem in ortu, et sublimatione su a... omnibus rebus mundi, tam realibus quam intellectualibus... posse in similitudinibus convenire. Unde quaecunque dici et trac tari possunt de virtutibus et vitiis, de coelo, et omnibus, tam cprporeis quam incorporeis, de mundi creatione... et de Elementis om nibus... et de corruptibilibus et incorruptibilibus, et visibilibus et invisibilibus, et de spiritu, et anima, et corpore... et de vita et morte, et bono et malo, de veritate et falsitate, de unitate et multitudine, de pauperitate et divitii, de volante et non volante, de bello et pace, de victore et victo, et labore et requie, de somno et vigilia, de conceptione et partu, de puero et sene, de masculo e t femina, de forti et debili, de albis et rubeis, et quibuslibet coloratis, de inferno et abysso, et eorum tenebris, ac etiam ignibus sulphureis, et de paradiso et eius celsitudine, et claritate, ac etiam pulchritudine, et gloriae eius inaestimabili. Et breviter de iis quae sunt, et de iis quae non sunt, et de iis quae loqui licet, et quae loqui non licet, possunt omnia dicit [sic] de hoc lapide vener ando.» [D ie Ältesten unter den Philosophen sahen, daß der Stein in seinem Aufgang und seiner Sublimation allen Dingen in der W elt, den konkreten und den ideellen, gleichnishaft entspreche. Deshalb kann man von allem reden und verhandeln, von Tugenden und Lastern, vom Himmel und allem Körperlichen und Unkörperlichen bei der W eltschöpfung... von allen Elementen. .. den ver derblichen und den ewigen, sichtbaren und unsichtbaren, von Geist, Seele und K örp er..., und von Leben und Tod und Gut und Böse, von W ahrheit und Irrtum, Einheit und Vielheit, Armut und Reichtum, dem Flüchtigen und dem Festen, Krieg und Frieden, Sieger und Besiegtem, Arbeit und Ruhe, Schlaf und W achen, Empfängnis und Geburt, Knabe und Greis, Mann und Frau, Starkem und Schwachem, von W eißem und Rotem und Andersfarbigem, von Hölle und Abgrund und ihren Finsternissen und auch Schwefelfeuern und vom Paradies und seiner Erhabenheit, Helle und Schön heit und unermesslicher Glorie, kurz: von dem, was ist und dem, was nicht ist, wovon man reden darf und nicht reden darf —all das kann man von diesem verehrungswürdigen Stein aussagen.]
1. Die Arkansubstanz und der Punkt
63
gensätze unvereinigt und als Lapis philosophorum vereinigt enthalte. So wird der Stein2*einerseits als vilis (billig), immaturus, volatilis (unreif, flüchtig), an dererseits als pretiosus, perfectus und fixus (kostbar, vollkommen, fest) bezeich net, oder die materia ist vilis et nobilis5 (gemein und vornehm) oder pretiosa et parvi momenti (unwichtig). «Sie ist sichtbar vor aller Augen, die ganze W elt schaut sie an, berührt und liebt sie, und doch kennt sie keiner»4. «Hic igitur la pis non est lapis»5 sagt die «Turban, «(illa res) vilis et pretiosa, obscura celata et a quolibet nota, unius nominis et multorum nominum»6. Der Stein ist μυριώνυμο>> (tausendnamig) wie die Mysteriengötter, die Arkansubstanz ist das Eine und zugleich das All (Iv τό iräv). Im Komariostraktat, wo der «Philosoph Komarios der Kleopatra die Philosophie lehrt», heißt es: «Er zeigte mit der Hand die Einheit des Ganzen» (ότι τό ττάν έστι μόνα«)7. P ela g io s sagt: «W as redet ihr von der vielfachen Materie? Eine ist die Substanz des Natürlichen und von einer Natur das, was das All überwindet8.» W eitere Paradoxa sind: «Ich bin das Schwarze des W eißen und das Rote des W eißen und das Gelbe des Roten9»; oder: «Das Prinzip der Kunst ist der Rabe, der in der Schwärze der N acht und in der Helle des Tages ohne Flügel fliegt10.» Der lapis ist «in seinem Offenbaren kalt und feucht und in seinem Verborgenen heiß und trocken11». Ein anderer Satz heißt: «Im Blei aber ist das tote Leben1213» ; oder: «Verbrenne im Wasser und wasche im Feuer15.» Die «Allegoriae sapien-
turrm reden von zwei Figuren, von denen «die eine weiß sei und des Schattens
2 D er Stein (lapis) bezeichnet ebensowohl den Ausgangsstoff, die prima materia, als das Endprodukt des opus, den lapis sensu strictiori. 3Oder der filius ist «vilis et carior» [wertlos und der teuerste]. {Com. coniugii in: Ars. ehern., p. 150. Vgl. Senior , D e chemia, p. 11.) 4 Tractatus aureus in : Mus. herm.yp. 10. 5 [Dieser Stein ist also kein Stein.] «Corpus non corpus» [Körper doch nicht Körper], (Rosinus
a d Euthiciam in: A rt. aurif. I, p. 249). 6 H g. R uska , Sermo X III, p. 122: «(Jene Sache) ist billig und kostbar, dunkel, verborgen und jedermann bekannt, eines Namens und vieler Namen.» 7 B e r th elo t , Aich, grecs, IV , xx, 3, pp.29014/279.
8 B erthelot , l.c., IV , i, 7, p.257: τ ί ύμιν και τη -πολλή ύ λη, ένό* övros του φ υσικού, καί μιας φ ύσεω ν νικώση? τό -παν ι. 9 Ros.phil. in: A rt. a u rif II, ρ.258. 101. c., aus: Septem tractatus Hermetis (D e arte chemica, p. 12). 11 Ros.phil., p. 25912 M y u u s , P hil re f, p. 152. 13 Ros.phil., p. 269-
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II Die Paradoxa
entbehre, und die andere rot und der Röte entbehrend14.» Ein «Socrates»-Zitat ebenda sagt: «Suchet die Kälte des Mondes, und ihr werdet die W ärm e der Sonne finden15.» Vom W erke heißt es: «Currens sine cursu, et movens sine m otu16» (laufend ohne Lauf, bewegend ohne Bewegung). «Fac Mercurium per Mercurium17.» Der philosophische Baum hat (wohl in Anlehnung an den Sephirotbaum) seine Wurzeln in der Luft18. W ie sehr Paradoxie und Ambivalenz über dem ganzen W erke ausgebreitet sind, zeigt die «Chymische Hochzeit»: am Hauptportal des Schlosses sind zwei W örter angeschrieben: «Congratulor» und «Condoleo»19 Die paradoxen Eigenschaften des Mercurius habe ich gesondert dargestellt in meinem Aufsatz «Der Geist Mercurius»20. Da Merkur die hauptsächlichste Be zeichnung der Arkansubstanz ist, so muß er in diesem Zusammenhang als ein Paradoxon par excellence erwähnt werden. W as von ihm ausgesagt wird, gilt selbstverständlich auch vom lapis, der bloß ein anderes Synonym der «tausendnamigen» Arkansubstanz ist, wie der «Tractatus aureus de lapide» sagte, «tot haec nostra materia habet nomina, quot res sunt in mundo». (Unsere Materie hat so viele Namen, als es Dinge gibt in der W e lt21.) Die Arkansubstanz ist auch synonym m it jener Monas und jenem vlos άνθρωπον (Menschensohn), von denen es bei HIPPOLYTUS heißt: (M o n o im o s) «ist der A n sich t, daß es einen solchen M enschen geb e, w ie der D ich ter en t sprechend v o m O keanos rede, indem er etw a so sagt:
14 Theatr. cbm . (1622) V , p.67. 151. c , p.87. 16 Tract. Aristotelis in: Theatr. chm . (1622) V , p.886.
17 K hunrath , Von hyl. Chaos, p. 224, und bei anderen Autoren. [Mache den Mercurius durch den Mercurius (Quecksilber).] 18 G loria mundi in: Mus. herm., p.270. 19R osencreutz , Le.,p .18. [Ichgratuliere-Ichkondoliere.] 20 Paragr. 255 ff. 21 Mus. herm., p. 10. 22 Verdichtung von Ilias, X I V (Verse 201 und 246), 200: «Denn ich gehe zu schaun der nähren den Erde Begrenzung,/201: Auch den Okeanos, unsre Geburt, und Thetys, die Mutter.»/246: «Jenes Stroms, der allen G eburt verliehn und Erzeugung.»
1. Die Arkansubstanz und der Punkt
65
worden» usw .2*. «Dieser Mensch ist eine Monade, nicht zusammengesetzt, teilbar, all liebend, allfriedsam, allkriegerisch, in allem im Kampfe mit sich (ιτάντα npôs έαυτήν ιτολ έμ ιο ί), unähnlich, <(und> ähnlich, gleichsam eine musikalische Harmonie, die alles in
sich en th ält... die alles sichtbar macht, indem sie alles erzeugt. Sie ist selber Mutter, sel ber Vater, die zwei unsterblichen Namen.» Das Sinnbild des vollendeten Menschen ( τ ε λείου άνθρώ ιτου) sei, sagt M o n o im o s , das Jo ta, der i-Punkt24. Dieser eine Punkt ist «die
nicht zusammengesetzte, einfache, unvermischte Monade, die ihre Zusammensetzung gänzlich aus dem N ichts hat und doch zusammengesetzt, vielgestaltig, vielgespalten, vielteilig ist. Jener eine, ungeteilte ist der vielgesichtige (ττολυτιρόσωπο?) tau sendäugige und tausendnamige, der eine Punkt des i. Dieser ist das Bild jenes vollende ten, unsichtbaren M enschen... Der Sohn des Menschen ist das eine i, der eine Strich (κ ε ρ α ία ), von oben herabfließend, voll, alles erfüllend, solches in sich enthaltend, das auch
der Mensch, (nämlich) der Vater des Menschensohnes h at25.»
Die Alchemisten scheinen sich unter ihrem lapis oder ihrer prima materia » Ähnliches vorgestellt zu haben. A u f alle Fälle haben sie der Paradoxie des M o NOIM OS
Ebenbürtiges an die Seite zu stellen. So heißt es vom Mercurius: «Iste
enim spiritus generatur e x rebus ponticis26 et ipse vocat ipsum humidum sic cum igneum.» (Dieser G e ist nämlich wird erzeugt aus den Substanzen des Mee res und nennt sich selber das Feuchte, Trockene, Feurige)27; dies in naher Über einstimmung mit der Hermesinvokation der Zauberpapyri, betitelt Στήλη από κρυφο« (Geheime A u fsch rift), wo Hermes als ein ύγροπυρινοψυχρόν πνεύμα (feu ch t-feu rigk alter Geist) bezeichnet wird28. « Elenchos, V III, 12, 2f„ p.232. 24 Eigentlich der i-Strich, als das kleinste griechische Schriftzeichen, entsprechend unserem (im Griechischen nicht existierenden) i-Punkt. Vgl. auch Lu k. 16, 17 f.: εΰκοπ ώ τερον δ ε έσ τιν τόν ουρανόν καί τήν γήν π α ρ ελ θ εΐν ή τοϋ νόμου μίαν κεραίαν ττεσεΐν. [«Es ist aber leichter, daß der Himmel und die Erde vergehen, als daß ein Strichlein des Gesetzes dahinfalle.»] 25H ipp o l y t u s , Elenchos, V III, 12, 5 ff., p.232. Das Ganze ist eine gnostische Paraphrase auf Je h . 1 und zugleich eine bedeutsame Darstellung des psychologischen Selbst. In der jüdischen Tradi tion bezeichnet «Adam» keinen Buchstaben, sondern nur das Häkchen des Jo d (Schaar Keduscha, ΠΙ. 1, in: Encyclop.Ju d a ic a II, c o l.2 4 8 f, s.v. Adam Kadmon). 24 Vom «Meer» der Alchemisten sagt PERNETY (D ia. mytho-herm., s.v. m er): «Leur mer se trou ve par tout; et les Sages y navigent [sic] avec une tranquillité qui n’est point altérée par les vents, ni les tempêtes. Leur mer en général sont les quatre élémens, en particulier c’est leur mercure.» [Ihr Meer ist überall; die W eisen fahren darauf in einer Ruhe, die weder W inde noch Stürme stören. Ihr Meer sind allgemein die vier Elemente und speziell ihr Merkur.] Vgl. dazu Psychologie und Alchemie, Paragr. 57' und 265. Zum «Mann aus dem Meer» (Okeanos) vgl. 4. Esra 11 und 13, Fünftes und Sechstes Gesicht (A pokryphen, hg. K autzsch , II. pp.390ff./395ff). M y l iu s , P hil, ref., p. 192. 28 P ap.IV , Zeilen 1115ff. (P re isen d a n z , Pap. G raecaeM a g .l, pp. llO f./ lll).
66
II Die Paradoxa
Auch das Mysterium des kleinsten Schriftzeichens, in diesem Fall des Punk tes, ist der Alchemie zu eigen. Der Punkt ist das Symbol fur ein geheimnisvolles schöpferisches Zentrum der Natur. So ermahnt das «Novum lumen»19 seinen Le ser: «Aber du, geliebter Leser, wirst vor allem den Punkt der N atur ins Auge fassen.. . und du hast daran genug, aber nimm dich in acht, daß du nicht etwa in den gewöhnlichen
Metallen (metallis vulgi) jenen Punkt suchst, (näm lich) wo er nicht ist. Denn diese Me talle, insbesondere das gewöhnliche Gold, sind tot. Aber die unsrigen sind lebendig, ha ben den Geist und sind überhaupt die, die man nehmen muß. W isse nämlich, daß das Feuer das Leben der Metalle ist.»
Der Punkt fällt zusammen mit der prima materia der Metalle, welche ein «fettes Wasser» (aqua pinguis) darstellt, und letzteres ist ein Produkt von feucht und heiß.
J o h n D e e (1527-1607) spekuliert folgendermaßen: «Es wird nicht unver nünftig sein (anzunehmen), daß durch die vier Geraden, die von einem einzigen und individuellen Punkt in entgegengesetzte Richtungen laufen, das Mysterium der vier Elemente angedeutet wird.» Die Quaternität besteht nach seiner An sicht aus vier im rechten Winkel zusammenstoßenden Geraden. «Auf der Basis des Punktes und der Monade haben Dinge und Sinn zuerst ihren Anfang ge nommen50.» Das Zentrum der N atur ist das «punctum divinitus ortum» (der aus Gott entstandene Punkt)31, das «punctum Solis» im E i32. Davon heißt es in einem « 7z/tAi»-Kommentar, es sei «der Keim des Eies im D otter33.» Aus die sem «Pünktchen» hat die sapientia Dei mit dem schöpferischen W o rt die «un geheure Maschine» des Weltalls gemacht, wie DoRNEUS in seiner «Physica gene
sis» sagt34. Der Punkt ist, wie das «Consilium coniugii» bemerkt, das «Hühn29 Mus. herm., p. 559. 90 «Puncti proinde, monadisque ratione, res et esse coeperunt primo.» (M onas hieroglyphica in:
Theatr. ehem., 1602, II, p. 218f.) 31 Mus. herm., p. 59. 32 Cens, coniugii, pp. 95 und 125: « ...punctus Solis in medio rubeus» [roter Sonnenpunkt in der M itte]. Rubeum ovi ( = D otter) entspricht dem Feuer. «In medio rubei» ist das «quintum elemen tum» [In der Mitte des Roten = Dotters ist das fünfte Elem ent], d. h. die Quintessenz, welcher der pullus (Kücken) entspricht. Siehe M y l iu s , Phil, ref, p. 145. 33 « ... punctum solis id est germen ovi quod est in vitello, quod germen movetur calore gallinae» [der Sonnenpunkt, das heißt der Eikeim im Dotter, der durch die W ärm e der Henne in Bewegung kom m t]. Cod. Berol. Lat. 532, fol. 154' (R uska , T u ria , p. 94). 34 «O admiranda sapientia, quae ex punctulo vix intellegibili, quicquid unquam ingentis machi nae huius, vastae ponderosaeque molis a creatione factum est, solo verbo potuit excitare» [O be wunderungswürdige W eisheit, welche aus einem kaum faßbaren Punkt alles, was je in diesem riesi-
1. Die Arkansubstanz und der Punkt
67
chen» (pullus)35. M y l iu s fugt dazu, daß dies die «avis Hermetis» (Vogel des Hermes) sei36, nämlich der spiritus Mercurii, welcher mit dem vois des Gnosti zismus die Schlangengestalt gemeinsam hat. Derselbe Autor versetzt die Seele in das «punctum cordis medium» (Mittelpunkt des Herzens), zusammen mit dem sp iritu s, welcher dem Engel verglichen werden könne, der mit der Seele in diesem P u n k t «eingegossen» (infunditur) werde (nämlich im Mutterleibe)37. Bei P a r a c e l s u s w ohnt
die an im a iliastri im Feu er, im H erzen . Sie ist impassibilis
(leid en su n fäh ig ), die an im a cagastris d agegen ist passibilis u nd b efindet sich im W a s s e r des P e ric a rd 38. W ie die Erde dem D reieck , das W a s s e r der L in ie, so en t sp richt das F eu er dem Punkt39. Mit D
e m o k r it
w ird h erv o rg eh ob en , daß das
gen Kosmos und seiner schweren Masse zu Beginn geschaffen wurde, durch das W o rt allein ins Le ben rufen konnte]. ( Theatr. ehern., 16 0 2 ,1, p. 382) 35 l.c., pp. 125 und 95.
36 M ylius , Phil, ref, p. 131. 37l.c., p .21. Hier erwähnt M ylius die «crimina spiritus» [Verbrechen des Geistes] aus dem Traktate eines Anonymus (U ber de arte chimica incerti authoris in: Art. au ri/ I, p. 613 f.) : das Verbre chen des Geistes besteht darin, dass er die Seele zu Fall gebracht hat. Er sagt zur Seele: «Ego ducam te ad aeternam mortem, ad inferos, et ad domum tenebrosam. Cui anima: Anima mi spiritus. Quare ad eum sinum non reducis, a quo me adulando exceperis? credebam te mihi devinctum necessitudi ne. Ego quidem sum amica tua, ducamque te ad aeternam gloriam.» [Ich werde dich zum ewigen Tod fuhren, in die Hölle und zum Haus der Finsternis. Ihm antwortet die Seele: O mein Sinn, mein Geist, weshalb fuhrst du mich nicht zum Busen dessen zurück, von dem du mich mit Schmeichelei en herlocktest? Ich glaubte, du seiest mir unabdingbar verbunden; ich bin ja deine Freundin und will dich zur ewigen Herrlichkeit fuhren.] Der G eist aber muß den Körper glorifizieren, «...sed miser ego abire cogor, cum te super omnes lapides preciosos constituero beatamque fecero. Quare te obsecro, cum ad regni solium deveneris, mei aliquando memor existes.» [...d och ich Ar mer m uß nun Weggehen, wo ich dich doch über alle Edelsteine stellen und selig hätte machen wol len. Deshalb bitte ich dich, wenn du zur Schwelle des Himmelreiches kommst, dich meiner einst zu erinnern.] Diese Stelle weist ziemlich deutlich auf L u k. 23,42 hin: «Domine, memento mei, cum veneris in regnum tuum.» [«Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.» —Luther Bibel] D ie Seele hat hier demnach als lapis pretiosissimus die Bedeutung des Erlösers. D er Geist dagegen spielt die Rolle des gnostischen Naas, der Schlange, welche die ersten Eltern zu Fall brach te. Der T ext [p .6 l3 f.] sagt sogar von ihm: «Quod si is spiritus apud animam et corpus manserit, perpetua ibidem esse corruptio» [W enn nämlich dieser G eist bei der Seele und dem Körper bleibt, wäre daselbst ewige Verderbnis]. Zu diesem merkwürdigen Aspekt des Geistes vgl. [J ung ,] Z ur
Phänomenologie des Geistes im Märchen, Paragr. 400ff., Der Geist Mercurius, Paragr. 264 ff., und die be deutsamen Ausführungen von A niela J affé zu «Phosphorus» ( Bilder und Symbole aus E. T. A. Hoff-
manns Märchen «Der Goldne Topf»), Der Geist spielt hier offenkundig die Rolle des luziferischen principium individuationis.
»V gl. [J ung ,] Paracelsus als geistige Erscheinung, Paragr. 201. Coelum Sephiroticum, p . 19.
39 STEEBUS,
68
II Die Paradoxa
Feuer aus «ignei globuli» bestehe40. Diese runde Gestalt habe auch das Licht, daher «punctum Solis». Dieser Punkt ist einerseits das Weltzentrum, «der Mit tele Saltz-Punct des Großen Gebewes der gantzen W eid», wie ihn K rath
hun
-
nennt («Saltz» =» sapientia). Er ist aber «nicht nur alleine das Bandt son
dern auch widerumb der Zerstörer aller zerstörlichen Dinge». Daher ist dieses «Mundi ovum» der «uhralte Saturnus; das . . . geheimnusreiche Bley der W ei sen», andererseits aber auch der «ambigui sexus Hom o Philosophorum Philo sophicus», der «Androgynos Sophorum Catholicus», der «Rebis» usw.41 Die vollkommenste Form ist die runde, und diese beruht auf dem Punkt. Die Sonne ist rund, ebenso das Feuer (nämlich die dasselbe zusammensetzenden globuli ignei des D
e m o k r it o s ).
Gott hat die Sphäre des Lichtes um sich gebildet.
«Deus est figura intellectualis, cuius centrum est ubique, circumferentia vero nusquam» (G ott ist eine geistige Figur , deren Zentrum überall, de ren Peripherie aber nirgends ist)42. Der Punkt symbolisiert das Licht und das Feuer, ebenso die Gottheit, insofern das Licht ein «simulacrum dei» oder «exemplar deitatis» ist. Dieses runde Licht, dessen figura der Punkt bildet, ist auch das «lucidum» oder «lucens corpus», das im Herzen des Menschen seinen Wohnsitz hat. Das «lumen naturae» ist das «humidum radicale», das als «Balsa mus» vom Herzen aus wirkt, wie die Sonne im Makrokosmos und - so muß man schließen - wie Gott im «mundus supracoelestis». So schildert S t e e b u s diesen δεύτερο« θεό« (zweiten G ott) im Menschen43. Derselbe Autor leitet auch das Gold aus dem in die Erde sinkenden Tau respektive «balsamus supracoele stis» ab. Damit bezieht er sich wohl auf die älteren Ausführungen im «Circulusqua d r a t u s ',> des M i c h a e l M a i e r
(1616), wo die Sonne es ist, die das Gold in der
Erde erzeugt. Daher kommt dem Golde, wie M a i e r ausfiihrt, eine «simplicitas» zu, die sich der des Kreises, dem Symbol der Ewigkeit, und der des unteilbaren Punktes nähere44. Das Gold habe eine «forma circularis»45. «Das ist die Linie, die in sich selbst zurückfiihrt, wie die Schlange, die mit dem Kopfe sich beim eigenen Schwänze nimmt, aus welcher jener höchste und ewige Maler und Ge stalter, G o tt..., mit Recht erkannt wird.»46 Das Gold ist ein «circulus bis sec tus», nämlich in vier rechte Winkel geteilt, also eine Quaternität, welche Ein40 Vgl. Aristoteles, Schrift über die Seele, I, 2, p. 16. 41 Von hyl. Chaos («Confessio» des Henricus KHUNRATH), p. 194ff. 42 [BONAVENTURA, Itinerarium , 5.] 431.c., pp. 19, 33, 35 ff., 117. 44 De circulo qu adrato, p. 15. 45 Le., p. 15. 461. c., p. 16.
2. Die Scintilla
<59
teilung die Natur gemacht habe, um den «Gegensatz vom Gegensatz binden zu lassen47». Es könne darum der «urbs sancta» (Apoc. 21, 1 0 ff.: «civitas sancta Ierusalem48») verglichen werden. Es sei ein «triplici muro Castrum aureum cir cumdatum49», eine «aeternitatis imago visibilis50.» «Das Gold ist zwar stumm, was Ton oder Stimme anbelangt, nichtsdestoweniger verkündet es kraft seiner Essenz und legt überall Zeugnis ab von Gott.» Und wie Gott «unus in essentia» ist, so ist das Gold «una substantia homogenea51». Bei D o r n eu s ist die Einheit Gottes52 als der unarius das «centrum ternarii», welches dem Kreise um den Mittelpunkt entspricht53. Der Punkt als Zentrum des Elementenquaternio ist der Ort, an welchem der Mercurius «digeriert und perficiert» wird54.
2. D IE SCINTILLA
Der Punkt ist identisch mit dem σιτινθήρ ” , der scintilla, dem «Seelenfunk lein» M e i s t e r E c k h a r t s 56. W ir begegnen ihm schon in der Lehre des Sa 47 «U t contraria a contrariis colligentur» (Le., p.41). ^ «...id eo q u e aeternae civitatis, Hierusalem ideam repraesentet» (l.c., p .38). VgLauch das himmlische Jerusalem als «Braut» in der A u rora cons. /, K p .5 , p.49, undK p. 10. 49 [Ein goldenes Schloß, von dreifacher Mauer umgeben.] Vgl.dazu die Anthropossymbolik des Codex Brucianus {Psychologie und Alchemie, Paragr. 138f.) 50 [Ein sichtbares Bild der Ewigkeit.] M aier , l.c., p.43. 51 l.c., p.45f.
52 N elken berichtet über einen Geisteskranken mit gnostizistischen W ahnideen, welcher in sei ner Schilderung des Urvaters angab, derselbe sei schließlich zu einem «Pünktchen» zusammenge schmolzen infolge des beständigen Ausfliessens seines Samens. Dieser wurde ihm entlockt durch eine «W elthure», welche aus seinem Blut, das sich m it der Finsternis vermischt hatte, hervorgegan gen war. {Analytische Beobachtungen über Phantasien eines Schizophrenen, p. 536) D ie verzerrte Darstel lung des «vir a foemina circumdatus» hat mit der Krankheit zu tun.
De duello anim i cum corpore in: Theatr. ehern. (1602) I, p. 546. D orneus ist ein Gegner der Quatemität. Vgl. dazu [J ung ,] Psychologie und Religion, Paragr. 10448. * Scholien eines Anonymus zum hermetischen Tract, aur. in: T heatr. ehern, (1613) IV , p.691. 55 B o u sset {Hauptprobleme der Gnosis, p. 321) sagt: «. .daß die Menschen oder wenigstens einige Menschen von Anbeginn an ein höheres, aus der Lichtwelt stammendes Element (den σττινθήρ) in sich tragen, das sie befähige, sich über die W elt der Sieben in die obere W elt des Lichtes, des unbe kannten Vaters und der himmlischen M utter zu erheben.»
56 Meerpohl, Meister Eckhardts Lehre vom Seelenfünklein.
70
II Die Paradoxa
T U R N IN U S 57.
Ebenso soll H e r a k l i t , «der Physiker», die Seele als «scintilla stel
laris essentiae» aufgefaßt haben58. H i p p o l y t u s erwähnt in der Lehre der Sethianer, daß die Finsternis intelligenterweise «den Glanz und den Funken des Lich tes in Knechtschaft halte59», und dieser «allerkleinste Funke» sei unten in den finsteren W assern60 auf feine Art eingemischt61. Ähnlich lehrt S i m o n M a g u s , daß sich in Samen und Milch ein sehr kleiner Funke finde, der sich zu einer un begrenzten und unveränderlichen K raft62 entwickle63. Auch die Alchemie hat ihre Lehre von der scintilla. Sie ist zunächst das feuri ge Erdzentrum, in welches die vier Elemente «in unaufhörlicher Bewegung ih ren Samen projizieren». «Alle Dinge nämlich haben ihren Ursprung in dieser Quelle, und gar nichts in der ganzen W elt wird geboren außer durch diese Quelle.» Im Zentrum wohnt der Archaeus, «der Diener der Natur», den P a r a c elsu s
auch als Vulcanus bezeichnet und mit dem Adech, dem «großen Men
schen», identifiziert64. Der Archaeus als schöpferisches Zentrum der Erde ist gleich dem Protanthropos hermaphroditisch, wie aus dem Epilog zum «Novum
lumm chemicum» hervorgeht: «Aber, wenn einer vom Licht der N atur erleuchtet wird, so verschwindet der Nebel von seinen Augen, und ohne Beschwer vermag er den Punkt unseres Magneten zu erblicken, welcher dem doppelten Strahlen zentrum der Sonne und der Erde entspricht.» Dieser kryptische Satz wird durch ein Beispiel erläutert: W enn man einen zwölfjährigen Knaben neben ein gleich57 I renabus, Adv. haer., I, 24, 1, p .7 lf. D ie πνευμ ατικοί [Geistigen] enthalten einen kleinen Teil des Pleroma (l.c., 11,19,3, p. 150). V gl. dazu die Lehre des Satorneilos bei H ippolytus , Elen
chos. V II, 28, 3, p. 208 58 [Funken von Sternensubstanz] MACROBIUS, Insomnium Scipionis, I, xiv, 19, p.71. 59 Elenchos, V , 19, 7, p. 117: 'Ί ν α ε χ η τον σ π ινθή ρ α δου λεύ οντα [um den Funken in Knecht schaft zu halten]. “ D iese Vorstellung kehrt in der Alchemie in vielen Variationen wieder. Vgl. dazu Maier ,
Symb. aureae mensae, p.380, und Scrut. chym., Emblema X X X I : «Rex natans in mari, damans alta voce: Q ui me eripiet, ingens praemium habebit.» [Der König schwimmt im Meer und ruft laut: W er m ich herausholt, wird ungeheuren Lohn empfangen.] Vgl. auch Aurora cons. I, cp. V I, pp. 50/ 51: «. .quis est homo, qui vivit sciens et intelligens, eruens animam meam de manu inferi?» [wer ist der Mensch, der da lebt, wissend und verstehend, und der meine Seele aus der Hand der Unterwelt errettet?] Vgl. auch cp. 8, Anfang. 61 Elenchos, V , 2 1 ,1 , p. 123. 62 [Zu Simon M agus siehe J u n g , Das Wandlungssymbol in der Messe, Paragr. 359·] Vgl. hiezu
Aion, Paragr. 344149: Parallelfall aus Frances F. W ickes , Von der inneren Welt des Menschen, p. 274. ® Elenchos, V I, 1 7 ,7 , p. 144. 64 Von den dreien essentiis, Kp. IX . Siehe [J u n g ,] Paracelsus als A rzt, Paragr. 3956, und Paracelsus als geistige Erscheinung, Paragr. 168, 209 und 226.
2. Oie Scintilla
71
altriges (und gleich gekleidetes) Mädchen stellte, so könne man sie nicht unter scheiden. Aber wenn man sie auskleide65, so werde der Unterschied offenbar66. Darnach besteht das Zentrum aus einer Konjunktion des Männlichen und des Weiblichen. Dasselbe wird durch die Schrift des A b r a h a m E l e a z a r bestä tigt67: hier klagt die Arkansubstanz im Zustand der nigredo: «Durch C ham 68*der Egyptier werde ich hindurch müssen. . . N o a wird mich in den tief sten M ee re ... waschen müssen, damit meine Schwärze v erg eh e... ich muß angeheftet seyn, an dieses schwarze Kreuz, und m uß darvon durch Elend m it dem Essig gewaschen und weiß gemacht werden, d a m it... mein Herz leuchte wie ein Carfunkel, und der alte Adam aus mir wiederum hervor komme. O ! A dam Cadm tm , wie schöne bist d u !... W ie K ed ar schwarz bin ich anjetzt; ach! wie lange! o komm doch mein M esech® , und entklei de mich, damit meine inwendige Schöne hervorkom m e... Betrübte S u lam ith von innen und außen, die W äch ter der großen Stadt werden dich finden und wund schlagen, dich deiner Kleider berauben. . . und dir den Schleyer nehmen. W e r wird dich denn fuhren aus Edom, aus deiner festen Mauer? . . . D och werde ich wieder glückselig werden, wenn ich von meinem mir durch den Fluch beygebrachten Gift wiederum befreyet werde, und meinen inwendigen Saamen und erste Geburth herfur kommt. Denn der Vater ist die Sonne und die M utter der M ond70.»
W ir ersehen aus diesem Text, daß das «Verborgene», das unsichtbare Zen trum Adam Kadmon, der Urmensch der jüdischen Gnosis ist. Er ist es, der in den «carceres» der Finsternis jammert71 und durch die schwarze Sulamitin des 65 Das Motiv der denudatio geht zurück auf Cant. 5,7: « .. tulerunt pallium meum mihi custodes murorum [«sie rissen mir meinen Überwurf weg, die W ächter der Mauern»] und 5 ,}: «Expoliavi me tunica mea, quomodo induar illa?» [«Ich habe mein Röcklein ausgezogen, wie könnt’ ich es wieder anziehen?»] D ie Entkleidung stellt die extractio animae dar. “ In: M us. herm ., p. 579. 67 Ich habe diesen T ext unten einer ausführlichen Interpretation unterzogen. [Bd. II, Paragr. 257
] 68 Cham bedeutet das Schwarze. Der Ägypter entspricht dem Äthiopier. (M arie-Louise von
Fr a n z , D ie Passio Perpetuae in: JUNG, A ion, p. 4 6 4 ff.) ® «Mesech» bedeutet Mischtrank. ’° Uraltes chymisches W erk [2. Teil: «Kurzer, doch deutlicher Schlüssel» usw.], p. 51 f. Diese Schrift soll das Buch des Abraham le J u if sein, das in der Biographie des N icolas F lamel die große Rolle spielt. Zur Interpretation vgl. unten [Bd. II, 1. c .] . ’’ Eine Handschrift (Incipit: «Figurarum aegyptiorum», 18.Jh ., in meinem Besitz) gibt eine an dere Version des Motives (fol. 21") : «. .fuit quidam homo, qui nihil quidquam profuit nec detineri potuit: omnes enim carceres confregit, imo et poenas omnes parvi fecit, interea quidam simplex vel humilis et sincerus repertus est vir, qui huius naturam bene noverat, et consilium tale dederat, ut is omnibus vestibus exutus denudetur.» [. .es war ein Mensch, der nichts nutz war und nicht festgehal-
72
II Dic Paradoxa
Hohenliedes personifiziert wird. Er geht aus der «coniunctio solis et lunae» her vor. Die scintillae erscheinen oft als «aureae et argenteae», und zwar in Vielzahl in der Erde72. Sie werden dann als «oculi piscium73», bezeichnet. In seinem K a pitel über die Erkenntnis wendet D O R N E U S den Begriff der scintillae in morali scher Form an: «Jeder möge in seinem Innersten fleißig das oben Gesagte be denken und das Gekostete in einem aufrichtigen Geiste hin- und herbewegen: so wird er allmählich sehen, wie von T ag zu Tag mehr und mehr einige Funken (scintillas) vor seinen geistigen Augen aufleuchten und zu einem solchen lichte anwachsen74...» Dieses Licht ist das lumen naturae. So sagt D
o rn eu s
in seiner «Philosophia me-
ditativa»: «W as fur ein W ah n verblendet euch? Denn in euch, und nicht von euch ausgehend, will all dies sein, was ihr außer euch und nicht bei euch suchet. Solches pflegt das Laster des Gemeinen zu sein, daß er alles eigene verachtend immer nur nach dem Fremden g ie r t... In uns nämlich leuchtet dämmrig (obscure) ein Leben, das ein Licht der Menschen ten werden konnte; er brach nämlich alle Gefängnistore, ja verachtete auch alle Strafen. Inzwischen fend sich da auch ein einfacher, bescheidener und ehrlicher Mann, der jenen anderen gut kannte und den R at gab, er solle von allen Kleidern entblößt werden.] D iese Entkleidung bedeutet nach dem Text die Putrefektion. Vgl. B brnardus T revkanus , D e akhem ia in: Theatr. chem. (1602) I, p. 799 ff. Zum Bild des Kerkers vgl. die D ritte Parabel der A urora com. I : «Vom ehernen T or und dem eisernen Riegel der babylonischen Gefangenschaft», p. 6 l f f Auch in den Heliodori Carmina (hg. Goldschmidt , p. 55, Z. 171) heißt es von der nigredo: ώ? τείχισμα, μέλανσιν σκότου? [ein W all wie die Schwärze der Finsternis], (p. 56, Z. 216) φθοράν? χιτώ να [Gewand der Verderbnis]. Dies geht auf die antike Idee von σώμα —σήμα [der Körper - ein Grab] zurück. Vgl. auch Corpus
hermeticum (hg. Scott , I, p. 172): «Zuerst mußt du aber das Gewand, das du trägst, zerreißen, den Mantel der Finsternis, das Gewebe der Unbewußtheit (τό τη9 άγνωσία? ύφασμα), das Verfestigte der Bosheit, die Fessel der Verderbnis, den bewußten (αισθητικόν) Leichnam, das umgelegte Grab» usw. D ie nigredo wird auch als «vestis tenebrosa» [dunkles Gewand] dargestellt. Vgl. Auro
ra com. I, cp.V I, pp. 50/51: « Q u i... vestim entum ... meum non arriserit» [« W e r... mein Gewand nicht verspottet»] und die Parabel im Aureum secutum redivivum des Hinric US M adathanus
(Mus. herm., p .6 1 ): «Vestes abiectae illius ad pedes illius iacebant, erantque nimis rancidae, foetidae, venenosae, etc. atque tamdem hunc in modum loqui incipiebat: (Stolam meam exui, quomodo ean dem iterum induam?)» [Ihre abgeworfenen Kleider lagen zu ihren Füßen, schmutzig und übelrie chend, giftig usw., und endlich begann sie zu sprechen: «Ich habe mein Gewand abgelegt, wie soll ich es wieder anziehen?»]. Vgl. Cant. 5,3. 11 M ylius , Phil, re f; p. 149- Ähnlich MoRIENUS, D e trammut. met. in: A rt. aurif. II, p.45 [golde ne und silberne Funken].
75 M orienus , l.c., p.32. Ebenso Lagneus, Harmonia chemica in: Theatr. chem. (1613) IV , p.870. MSpeculativaphilosophia in: Theatr. chem. (1602) I, p.275.
2. Die Scintilla
73
gleichsam in der Finsternis ist” , das nicht als von uns ausgehend und doch in uns zu suchen ist76, aber nicht von uns stammt, sondern von Jenem , der geruht, auch in uns sei ne W ohn un g zu n eh m en ... Er hat dieses Licht in uns gepflanzt, daß wir beim Lichte dessen, der in unnahbarem Lichte wohnt, das Licht sähen. Dadurch auch sind wir vor den anderen Kreaturen ausgezeichnet. Dadurch sind wir ihm wahrlich ähnlich gemacht, daß er uns einen Funken seines Lichtes gegeben hat. D ie W ahrheit ist also nicht in uns, sondern im Abbild Gottes (in imagine D ei77), das in uns ist, zu suchen78.»
Nach der Ansicht D
o rn eu s’
gibt es im Menschen einen «sol invisibilis», den
er mit dem «Archeus» identifiziert75. Diese «Sonne» ist identisch mit dem «soi in terra» (in Übereinstimmung mit dem oben zitierten «Novum lumen»). Diese unsichtbare Sonne nun zünde ein elementarisches Feuer an, welches des Men schen Substanz verzehre («Corpus itaque reducitur in materiam prim am »)80. Sie wird auch mit «Salz» oder «natürlichem Balsam» verglichen, der «in sich selber Verderbnis und Schutz vor Verderbnis hat». Diesem paradoxen Aspekt ent spricht offenbar der merkwürdige Satz: «Homo quidem est esca, in quam percotem, scilicet Mercurium, et chalybem81 <(scilicet) Caelum, ignis huiusmodi sein75
Jo h . 1,4: « ..i n ipso vita erat: et vita erat lux hominum: et lux in tenebris lucet» etc.
76 «Si homo res in maiori mundo transmutare novit. .. quanto magis id in microcosmo, hoc est, in seipso noverit, quod extra se potest, modo cognoscat hominis in homine thesaurum existere ma ximum, et non extra ipsum.» [W enn der Mensch die D inge im Makrokosmos zu verwandeln ver steht, wieviel mehr wird er im Mikrokosmos, das heißt in sich selbst verstehen, was er außerhalb konnte. Er möge nur realisieren, daß der größte Schatz des Menschen im Menschen liegt, und nicht außerhalb von ihm.] (D ornbus, S p e c .p h ilL c , p. 307). - «Imago Dei» ist Gottesbild im Sinne von Abbild und im Sinne von Archetypus. 78 T beatr. ch m . ( 1ό02) I, p. 460. Siehe auch [J ung ,] A ion, Paragr. 71 f f und passim. 79 «Chemicam artem naturaliter exercet Archeus in homine» [D er Archeus übt die chemische Kunst von Natur aus im Menschen aus]. {Spec. p h il., L c , p.308) D ies in Übereinstimmung mit
P aracelsus. 80 [Daher wird der Körper in seine Urmaterie aufgelöst.] «Quia homo est in corruptione genera tus, odio prosequitur eum sua propria substantia.» [W eil der Mensch in der Verderbnis erzeugt ist, verfolgt ihn seine eigene Substanz voller Haß.] (l.c., p.308) 81 Bedeutet hier Stahl, ist aber auch ein arcanum als «chalybs Sendivogii», welcher der «secrete Salmiac» sei. Letzterer ist Sal armoniacus, welcher den «aufgelösten Stein» bedeute ( R u l a n d , Lex. a k h ., p.412). An anderer Stelle (p .71) wird «Armoniac sal id est stella» [Armoniak-Salz, das ist der Stern] angegeben. Von der wunderbaren aqua heißt es bei
MYUUS {Phil, ref., p.314): « .. ista est
optima, quae extrahitur vi chalybis nostri, qui invenitur in ventre A rietis... ante debitam coctionem est summum venenum» [jenes Wasser ist das beste, das m it Gewalt aus unserem Stahl extrahiert worden ist, den man im Bauche des Widders fin det... vor der gefährlichen Kochung ein äußerst scharfes G ift]. Herr des Aries ist Mars = ferrum. Vgl. dazu «Ares» bei Paracelsus ( [J ung ,] Para
celsus als geistige Erscheinung, Paragr. 1 7 6 ff).
74
II Die Paradoxa
tiliae excussae, fomentum accipiunt, viresque suas exerunt.» (D er Mensch näm lich ist eine Lockspeise, in welcher die durch den Kiesel, das heißt den Mercu rius, und durch den Stahl, das heißt den Himmel, solcherart geschlagene Fun ken den Zunder annehmen und ihre Kräfte zeigen.)82*Der Mercurius ist hier als Kiesel offenbar in seiner weiblichen, chthonischen Form gemeint, und caelum steht für die männliche geistige und quintessentialische Gestalt desselben. Aus dem (nuptialen) Zusammenstoß der beiden entzündet sich der Funke, der Archeus, welcher ein «corruptor corporis» ist, wie der «chemista» ein «corruptor minerarum». Dieser negative Aspekt der scintilla ist bemerkenswert, stimmt aber m it der weniger optimistischen, ärztlich-naturwissenschaftlichen W eltan schauung der Alchemie wohl überein85. Sie stellt die dunkle Seite von W elt und Leben nicht als überwunden hin, sondern macht aus dieser ihr eigentliches Ar beitsgebiet. So ist ihr auch der Feuerpunkt, dieses göttliche Zentrum im Men schen, eine gefährliche Sache, ein stärkstes Gift, das sorgfältigster Bearbeitung bedarf, um es in ein Heilmittel umzuwandeln. Der Prozeß der Individuation hat seine spezifischen Gefahren. D O R N E U S hat den Standpunkt des Alchemisten in dem schönen Satz formuliert: «..nam in rerum natura nihil est, quod non in se mali tantum quantum boni contineat84.» (Denn in der Natur ist nichts, was nicht ebensoviel Böses wie Gutes enthielte.) Bei H
e in r ic h
K h u n r a t h 85
ist die scintilla eins mit dem Elixier: «So wird
nun... Elixeir recht und eigentlich heißen / splendor fulgureus sive scintilla perfecta Unici Potentis ac Fortis, Ein heller schein / Blix und Fewerfunck des einigen Mechtigen und Starcken. . . Es ist das wäre Aqua Permanens semperque vivens86». Die humiditas radicalis ist «geseeliget. . . m it einem universal Feverfunck der Seele der W eid; Alldieweil der Geist des Herrn erfüllet hat den gantzen Weidkreis87». Auch er spricht von einer Vielzahl der scintillae: «Es seind zw ar... Scintillae Animae Mundi igneae, Luminis nimirum Naturae, Fewrige Funcken der Seele der W eid oder des Lichts der Natur / aufif Gottes befehl / dispergiret oder ausgesprenget in und durch das Gebew der großen W eid / in
82 [Verderber des Körpers —Verderber der Minerale] Spec. p h il., 1. c., p. 308. 85 V gl. dazu die oben erwähnten «crimina spiritus» [Verbrechen des G eistes]. 841. c., p. 307. 85 Er ist 1560 geboren, studierte Medizin, doktorierte in Basel 1588 und starb 1605 in Leipzig. 86 [ .. blitzender Glanz und vollendeter Funken des einzig Starken und Mächtigen —ewige, im merdar lebendige W asser] Von hyl. Chaos, p. 54. 871. c., p.63. Vergleiche Aurora a m . 1, Vierte Parabel, cp. IX , p. 83.
3. Das Enigma Bolognese
75
alle früchte der Elementen allenthalben88.» Die Scintilla steht im Zusammen hang mit der Anthroposlehre: «Es ist Filius Mundi M aioris... erfüllet / geseeliget und geschwengert... mit einem ... Fewer Funcklin Ruach Elohim, des Geists / hauchens / Windes oder wehung des dreyeinigen Gottes / das ist / aus... Leib / Geist und Seel der W eid / oder... Sulphure und Sale, Mercurio vnd Universal Fewerfunck des Lichtes der N atur89.» Die «Fewerfuncken der Seele der Weid» waren schon im Chaos, der prima materia am Anfang der W e lt90. Zu gnostischer Höhe erhebt sich K
h un rath
mit der Feststellung:
«Vnd ist vnser Mercurius Catholicus (aus Krafft seines Allgemeinen Fewerfunckens des Lichts der Natur) zweiffels ohne Proteus der uhralten Heidnischen Weisen Meer Abgott / der die Schlüssel zum Meer / u n d ... Gewalt über alles hat: Oceani et Tethyos filius91.» Mehrere Jahrhunderte liegen zwischen M o n o im o s
und K
h un rath
.
Die Lehre des ersteren war dem Mittelalter gänz
lich unbekannt92, und doch kam letzterer wieder auf sehr ähnliche Gedanken, wofür die Tradition kaum verantwortlich gemacht werden kann.
3. D A S E N IG M A B O L O G N E S E 93
Den Gipfel der Paradoxie erklimmt ein sogenanntes antikes «monumentum», u ein Epitaph, angeblich in Bologna gefünden, die Aelia Laelia Crispis-Inscbriß, welche von den Alchemisten usurpiert wurde, wie M i c h a e l M
a ie r
sagt: « .. ab
artifice antiquo statutum sit in Dei honorem et artis chymicae commendatio nem» (von einem antiken artifex aufgerichtet zur Ehre Gottes und zur Empfeh-* * l.c., p.94 [die feurigen Fünklein der W eltseclc, d.h. des Lichts der N atur]. D ie Erfüllung der W elt m it scintillae entspricht wohl einer Projektion der multipeln Luminosität des Unbewußten. Sie he [J u n g ,] Theoretische Überlegungen zum Wesen des Psychischen, Paragr. 388ff. 991. c., p. 170f. [Sohn des M akrokosmos]. ® l.c .,p .2 1 7 . 91 l.c., pp.220f. [Sohn des Okeanos und der Thethys] ; 263f. sind noch zahlreiche Synonyme der scintilla angegeben. Sie ist nur bei H ippolytus erhalten, dessen Elenchos um die M itte des 19.Jhs. auf dem Athos entdeckt wurde. D ie Stelle über das Jo ta (M at. 5,18) bei I renaeus (Adversus haereses, 1 , 111,2; Gegen d ie Häresien, p. 9 ) kann kaum eine Tradition ausgelöst haben. 55 Aus einem Beitrag zur Festschrift Albert Oeri, zum 21. September 194} (p. 265 ff.) hervorgegani “ -
76
Il Die Paradoxa
lung der chymischen Kunst).54 Ich will zunächst den höchst absonderlichen T ext voranstellen. Die Inschrift lautet folgendermaßen:
D.
M.
Aelia, Laelia, Crispis, nec vir, nec mu
Aelia Laeli Crispis, nicht Mann, nicht
lier, nec androgyna, nec puella, nec iuve-
Frau, nicht Zw itter, nicht Mädchen, nicht
nis, nec anus, nec casta, nec meretrix, nec
Knabe, nicht altes W eib , nicht keusch,
pudica, sed omnia.
nicht H ure, nicht schamhaft, sondern al les.
Sublata neque fame, nec ferro, nec ve
W eggerafft weder durch H unger, noch
neno, sed omnibus. —N ec coelo, nec aquis,
durch das Schwert, noch durch Gift, son
nec terris, sed ubique iacet.
dern durch alles. — W eder im Himmel, noch im W asser, noch im Erdreich, son dern überall ruht sie.
Lucius A gatho Priscius, nec maritus,
Lucius A gatho Prisdus, weder Gatte,
nec amator, nec necessarius, neque moe-
noch Liebhaber, noch Verwandter, noch
rens, neque gaudens, neque flens, hanc ne
Trauernder, noch sich freuend, noch wei
que molem, nec pyramidem, nec sepulch-
nend, (hat) weder Grabhügel, noch Pyra
rum, sed omnia.
mide, noch Grabmal (gesetzt), sondern al les.
Scit et nescit, (quid) cui posuerit.
Er weiß und weiß nicht, (was) er wem gesetzt hat.
(H oc est sepulchrum, intus cadaver non habens. H oc est cadaver, sepulchrum extra non habens. Sed cadaver idem est et sepulchrum sibi.)
(D as
ist ein
Grabmal, das keinen
Leichnam in sich birgt. Das ist ein Leichnam, der kein Grab mal um sich hat. Sondern Leichnam und Grab sind sich dasselbe.)
Um es gleich vorwegzunehmen: dieses Epitaph ist ein völliger Unsinn, eine scherzhafte Erfindung9495, die aber ihre Funktion als Mausefalle fur alle nur er 94 Sym bola aureae mensae, ρ. 169. 95 D ies ist schon bald erkannt worden. So schreibt J acob Spon (V oyage d 'Italie, de D alm atie, de Grèce et du Levantfa it a u x années 1615 et 1616 I, p. 53) : «Je prétens même que celuy qui l’a d ’inscrip tion)* fait n’entendoit pas seulement l’oeconomie des noms Latins; car Aelia et Læ lia sont deux fa milles différentes, et Agatho Priscus sont deux surnoms sans avoir aucune famille jointe.» [Ich be haupte sogar, daß derjenige, der sie verfaßt hat, nicht einmal das richtige Vorgehen im Umgang mit lateinischen Namen kennt. Denn Aelia und Laelia sind zwei verschiedene Fami-
3. Das Enigma Bolognese
77
denklichen Projektionen, die im Geiste jener Jahrhunderte nur zu locker saßen, aufs glänzendste bewährte. Sie hat Anlaß gegeben zu einer cause célèbre, einer richtigen psychologischen affaire, die sich über den größeren Teil von zwei Jahrhunderten erstreckte und eine Unzahl von Kommentaren auslöste, um schließlich ein unrühmliches Ende als eine der falsae des «Coipus Inscriptionum Latinarum» zu finden und damit der Vergessenheit anheimzufallen. Der Grund, warum ich dieses Kuriosum im 20.Jahrhundert wiederum ausgrabe, ist die Tat sache, daß es im größten Maßstabe ein Paradigma jener Geisteshaltung ist, die es dem Mittelalter ermöglicht hat, Hunderte von Traktaten über einen nicht existenten und darum schlechterdings unwißbaren Gegenstand zu schreiben. Interessant ist aber nun nicht dieser futile Lockvogel, sondern die Projektion, die er bewirkt hat. Es offenbart sich darin eine ungewöhnliche Bereitschaft, mit Phantasien und Spekulationen herauszuplatzen, mithin ein psychischer Zu stand, den man heutzutage in entsprechend gelehrtem Milieu nur noch als sozu sagen pathologisches Einzelphänomen antrifft. Bei solchen Fällen findet man stets, daß das Unbewußte quasi unter einem Druck steht, beziehungsweise mit stark betonten Inhalten geladen ist. In gewissen Fällen wird die Differential diagnose zwischen Narretei und schöpferischen Inhalten schwierig sein, und es kommt immer wieder vor, daß das eine m it dem anderen verwechselt wird. Solche historischen Phänomene sind, ebensowenig wie individuelle, aus Kau salität allein nicht zu erklären, sondern müssen auch unter dem Gesichtswinkel dessen, was sich nachdem ereignet, betrachtet werden. Alles Psychische ist zu kunftsträchtig. Das 16. und 17.Jahrhundert bedeuten eine Zeit des Überganges aus einer metaphysisch begründeten W elt zu einer Ara immanenter Erklärungs prinzipien, wo es nicht mehr heißt «omne animal a Deo» (jedes beseelte Wesen von G ott), sondern «omne vivum ex ovo» (alles lebendige W esen vom Ei). W as im Unbewußten jener Zeit drängte, das erfüllte sich in der gewaltigen Ent wicklung der Naturwissenschaften, deren jüngste Schwester eine empirische Psychologie ist. W as naiv-unbewußte Anmaßung für ein Wissen um jenseitige und göttliche Dinge hielt, welche doch der Mensch mit Sicherheit nie erkennen Een, und Agatho Priscus sind zwei Geschlechtsnamen, die untereinander keine verwandtschaftliche Beziehung haben.] (p. 351 :) «Si quelque esprit rêveur et mélancholique veut s’amuser à son explica tion, il s’y peut divertir: pour moy j’ay déjà protesté que je ne l’estimois pas antique, et que je vou drais pas prendre la peine d’en chercher le mystère». [W enn irgendein verträumter, melancholischer Geist sich mit ihrer Erklärung die Zeit vertreiben will, mag er sich damit abgeben: ich meinerseits habe bereits festgestellt, daß ich sie nicht für antik halte und mir nicht die Mühe geben möchte, ihrem Geheimnis nachzuforschen.]
78
II Die Paradoxa
kann, und was mit dem Untergang der mittelalterlichen W elt in scheinbar un wiederbringlichen Verlust geriet, das alles wird m it der Kenntnis der Seele wie der auferstehen. Diese Vorahnung künftiger Entdeckungen auf seelischem Ge biet kündigte sich in den Phantasmen und Spekulationen jener Philosophen an, welche uns bis jetzt als die Erzväter steriler Wortschwalle vorkamen. So unsinnig und insipid einem unser Epitaph auch erscheinen mag, so be deutsam wird die Sache, wenn wir es als eine Frage auffassen, die nicht weniger als zwei Jahrhunderte vorgelegt worden ist: W as ist das, was ihr so gar nicht versteht und was nur durch unergründliche Paradoxien ausgedrückt werden kann? Ich möchte selbstverständlich jenen unbekannten Spaßmacher, der sich die sen practical joke geleistet hat, nicht m it der Verantwortung dieser Frage bela sten. Sie bestand schon längst vor ihm in der Alchemie. Auch wird er es sich vielleicht nie haben träumen lassen, daß sein Scherz zu einer cause célèbre wür de, oder daß er damit die Besinnung seiner näheren und ferneren Zeitgenossen auf die Frage nach der N atur des seelischen Urgrundes lenkte, welche in später Zukunft die Gewißheit geoffenbarter W ahrheit ersetzen sollte. Er war «causa Instrumentalis», und seine Opfer, ebenso naiv-unschuldig wie er, machten ihre ersten unwillkürlichen Gehversuche als Psychologen. Es scheint, als ob die erste Nachricht von der Aelia-Inschrift aufgetaucht wäre in dem Traktat eines gewissen M a r i u s L. M im Jahre 1548, und 1 6 8 3 96 schon hat CA ESA R M
ic h a e l
An g elus
a l v A SIU S97
in Venedig
nicht weniger als
4 5 96798 Deutungsversuche gesammelt. In der alchemistischen Literatur ist der Traktat des Arztes N
ic o l a s
Barnaud
von Crest (Dauphiné), der in der zwei
ten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte, erhalten. Er hat die Inschrift alchemistisch 96 D ie Inschrift ist auch erwähnt bei J ohannes T onjola, B asilea sepulta retecta continuata, Basel 1661, p. 101 des Appendix «Exotica monumenta». 97 A elia L aelia Crispis Non N ata Resurgens. Bologna 1683. Unter den Kommentatoren sind Dr.
R eusner , der Autor der R andora , B arnaud , T urrius und V itus , nicht aber M ichael M aier an geführt. 98 F erguson erwähnt 43 Kommentatoren. Es finden sich aber bei Malvasius zwei weitere, ver mutlich persönliche Freunde des Autors, eingefuhrt als «Aldrovandus Ulisses Felsineus commilitoque eius Achilles noster» (p. 29). D ie Zahl der bekannten Kommentatoren erhöht sich also bis 1683 auf 48 (inkl. Maier ). UUSSE Aldrovandi von Bologna lebte von 1522-1605. Er war ein damals berühmter Arzt und Philosoph. Der «Achilles noster» dürfte mit Achilles V olta identisch sein. Sein Nam e ist als der eines bekannten Kommentators der Inschrift erwähnt bei SCHWARTZ, A cta eruditorum (Leipzig 1727), p-333- Leider ist mir sein Traktat unzugänglich. — D ie Gesamtzahl der Kommentatoren ist höher als die hier angegebenen 48.
3. Das Ënigma Bolognese
79
gedeutet, und zwar, wie es scheint, 1 5 9 7 ". W as nun die alchemistische Deu tung anbelangt, so halte ich mich zunächst an den gelehrten M
ic h a e l
M a ie r
und a n B a r n a u d und deren Ausführungen. Die Deutung lautet folgendermaßen: Aelia und Laelia stellen zwei Personen dar, die in einem Subjekt, genannt Crispis, vereinigt sind. B a r n a u d nennt Aelia «solaris», leitet also vermutlich von άέλιοί = Sonne ab. L-aelia deutet er als «lunaris». Crispis (crispus = kraushaarig) komme, meint M a i e r , von den krausen Haaren, welche in ein «feinstes Pulver» verwandelt würden 10°. Damit zielt M a i e r offenbar auf die Tinktur, also die Arkansubstanz. B a r n a u d dage gen sagt, die materia nostra sei «obvoluta, intricata» verwickelt, kraus. Mit ähn lichem Stoff befaßt, sagt Faust: «Ich stand am Tor, ihr solltet Schlüssel sein; zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel...» Diese beiden Perso nen sind, wie M
a ie r
sagt, weder Mann noch Frau, sondern waren es; ebenso war
das Subjekt anfangs ein Hermaphrodit, ist es aber nicht mehr, weil die Arkan substanz sich zwar aus sponsus und sponsa zusammensetzt, darum quasi zwiegeschlechtig, als Drittes aber ein Neues und Eigenartiges ist. Es ist auch kein Mädchen beziehungsweise virgo, weil diese intacta wäre. Beim opus werde die virgo aber mater genannt, obschon sie Jungfrau geblieben sei. Auch sei das Sub jekt kein Knabe mehr, weil die vollzogene coniunctio dagegen spreche, auch keine alte Frau9910101, weil es noch bei vollen Kräften, keine H ure102, weil es nicht um Geld zu haben sei, und schließlich nicht schamhaft, weil die virgo ja mit einem Mann kopuliert sei. Das Subjekt sei aber Mann und Frau, weil sie den ehelichen Akt vollzogen hätten, und ein Hermaphrodit, weil zwei Körper zu einem verbunden würden. Es sei ein Mädchen, weil es noch nicht alt, und ein Jüngling, weil es im Vollbe sitz der Kraft sei. Es sei eine alte Frau, weil es alle Zeiten überdauere (das heißt inkorruptibel sei). Es sei eine Hure, weil sich Beya103 dem Gabritius vor der Ehe prostituiert hätte. Sie sei schamhaft, weil sie durch die nachfolgende Ehe absol
99 Vgl. dazu Ferguson , B ibliotheca ch m ica I, s. B arnaud (p .7 3 f.) und A elia L a elia (p .6). B ar nauds «Commentariolum» ist abgedruckt in: Theatr. chem. (1602) III, p.836ff., ebenso in: B ibi,
dxm . (hg. Manget ) II, p.713. 100 Capillus ist nach R ulandus (L ex.
alcb., p. 131)
ein Nam e des «lapis Rebis», auch wurde die
prima materia in den Haaren vermutet. 101 Vgl. das oben über vidua und vetula Gesagte. i°2 <(N ec casta» fehlt bei Maier [ebenso in den Fassungen T heatr. chem. (1602) III, p.836, (1659) IV . p. 805, und B ibi. chem. (hg. M anget ) II, p. 713]. 103 Von arabisch al-baida, die W eiße.
II Die Paradoxa
80
viert würde104. Das «sed omnia» erklärt eigentlich das Rätsel: alle diese Bezeich nungen weisen auf die Eigenschaften des einen Dinges, und wurden als existent gedacht, sind aber keine Wesenheiten an und für sich. Das gleiche gilt für das folgende «sublata neque fame» usw. Die Substanz (als Ouroboros) verzehrt sich selbst, leidet also keinen Hunger; sie stirbt nicht durch das Schwert, sondern «iaculo proprio se ipsum interficit», wie der Skorpion, der ebenfalls ein Syn onym der Arkansubstanz is t105. Sie wird nicht durch das Gift getötet, denn es ist, wie B a r n a u d sagt, ein «bonum venenum», ein Heilmittel, m it dem sie sich selber wieder belebt (revivificat se ipsum )106. Sie wird aber auch durch alle drei getötet, nämlich durch Hunger nach sich selbst (Ouroboros), durch das Schwert des Merkur107, und durch das eigene Schlangen- oder Skorpiongift. Das beigefügte «sed omnibus» weist wiederum auf die eine Arkansubstanz, von der B a r n a u d sagt: « .. hanc Omnia esse, Omnia in se habere, quibus indiget ad sui perfectionem, Omnia de ipsa praedicari posse, et ipsam vicissim de omni bus108». (Diese sei alles, alles habe sie in sich, wessen sie zu ihrer Vollendung bedürfe, alles könne über sie ausgesagt werden, wie sie selber andererseits über alles .) «Unum enim est totum, ut ait maximus Chi-
'■'* «Matrimonium enim quasi pallium hoc quicquid est vitii, tegit et abscondit.» [D ie Ehe ist sozusagen wie ein Mantel, der alles Laster verdeckt und birgt.] (Symb. aureae mensae, p. 170f.) 105 [tötet sich m it seinem eigenen Pfeil] «Scorpio: id est, venenum. Quia mortificat se ipsum et se ipsum
vivificat.»
[Skorpion, d.h. Gift, weil er sich selber tötet und selber wieder
belebt.] (M ylius , P hil, ref., p.256) Ebenso Ros. p h il. in: A rt. a u r i/ II, p.272. Vgl. dazu: « ..£ύ οΐ. δίκερω ς δίμ ορφ ε! deus iste vester non biformis est, sed m ultiform is... ipse est basiliscus et scor p io ... ipse malitiosus anguis... ipse tortuosus draco, qui hamo ducitur... iste deus vester Lernaei anguis crinibus adornatur.» [Heil, Zweihörniger, Zwiegestaltiger! dieser euer G ott ist nicht zwiegestaltig, sondern allgestaltig... er ist der Basilisk und der Skorpion... die hinterlistige Schlange... der gewundene Drache, der am Angelhaken geführt wird. .. euer G ott hat die Haare der lcmäischen Schlange.] (F irmicus Maternus , D e erroreprof, r e i, 2 1 ,2 , p. HO) 106 «fait sortir les natures de leurs natures et elle revivifie les morts» [Das göttliche Wasser bringt die Naturen aus ihren Naturen heraus und belebt die Toten wieder]. (DjÄ-
BER, L e L ivre du mercure (m ental, occidental etc. in: B erthelot , L a Chim ie au moyen-âge III, p .21}) Vgl. K om anos an K kopatra (B erthelot , A ich, g réa, IV, xx, 15, pp.296/284): ..άνά στηΊΗ έκ τού τά φ ο υ , ... καί τό φάρμακου Ttjs ζωή? είσ ή λ θ ευ irpos a i [Steh auf aus dem G rabe... und das Heilm ittel des Lebens ist in dich eingedrungen.] «..spiritus tingens, et aqua metallina, perfundens se in corpus ipsum vivificando» [der farbgebende Geist und das metallische Wasser, den Körper durchströmend und ihn belebend] (A u rora cons. in: A rt. au rif. I, p. 229). 107 Bezüglich gladius perforans, ensis scindens Mercurii [durchbohrendes Schwert —schneidendes Schwert des Merkur] siehe meinen Aufsatz D ie Visionen des Zosimos. 108 T heatr. chem. (1602) III, p. 844.
3. Das Enigma Bolognese
81
mes109, ob quod sunt omnia, et si totum, non haberet totum, nihil totum esset.» (D as Eine nämlich ist das Ganze, wie der größte Alchemist sagt, wegen
mit dem Hinweis auf das klassische «invenitur ubique» (er wird überall
gefunden), das vom lapis gesagt wird. Es fände sich in allen Elementen und nicht nur in einem. B a r n a u d ist hier etwas subtiler, indem er caelum mit ani ma, terra mit corpus und aqua mit spiritus110 gleichsetzt und so zu der Idee der Ganzheit des lebenden Wesens gelangt: «materiam nostram» sagt er, « . . . simul esse in caelo, terris, et aquis, tanquam totam, in toto, et totam in qualibet parte: adeo ut partes illae, alioquin separabiles, nusquam ab invicem separari possint, postquam unum facta sunt: hinc tota Lex, et Prophetia chemica pendere vide tu r111.» (Unsere Materie sei zugleich im Himmel, auf Erden und im Wasser, gleichsam ganz im Ganzen und ganz in jedem Teile, so sehr, daß jene Teile, ob schon sonst zerteilbar, nirgends voneinander getrennt werden können, nachdem sie Eines geworden sind: daran scheint das ganze Gesetz und die Prophetie der Chemie zu hangen.) Der Nam e dessen, der das Grabmal setzte, Lucius Agatho Priscius, wird er- 55 klärt: Lucius als «lucens», «lucidissimo ingenio donatus112»; Agatho «bonae na turae», «probus»; Priscius ais «priscus» beziehungsweise «senior» oder «inter priscos illos probos philosophos enumeratus» (zu jenen früheren rechtschaffe nen Philosophen gerechnet). M a i e r meint, daß diese Namen das «hauptsächli che Requisit, das zur Vollendung der Kunst nötig sei, bedeuteten». «Nec maritus, nec amator» usw. wolle besagen, daß Aelia ihn zu sich gezo- x gen, «wie der Magnet das Eisen», und in ihre «nebelhafte und schwarze Natur» verwandelt habe. In der Konjunktion wurde er ihr Gatte, und notwendig115 ist ;09 Siehe B erthelot , A ich, grecs, III, x v m , 1, pp. 169/168: Χ ύ μ η ? δ έ κα λώ ? άττεφήνατο « Έ ν γά ρ τό ττάν και δι ’α ύτοϋ τό τταν γέγονεν εν τό τταν καί εί μή ιτάν ε χ ο ί τό τταν, οΰ γ εγ ο ν ε τό τά ν.» [Schön hat Chymes gesagt: Eins nämlich ist das Ganze, und durch es ist alles eines geworden, and wenn nicht alles alles enthielte, wäre es nicht das Ganze.] B arnaud scheint das Pariser Ms.
Nr. 2327 (siehe B erthelot , A ich, grecs, p. jx) gekannt zu haben. ’-10 Er fügt bei «qui solet animam deportare» [der die Seele wegzuschleppen pflegt] (l.c., p.845). VgL dazu das oben erwähnte «crimen» des Geistes.
111 l.c. B arnaud nennt ihn «luce naturae, et divina ornatus» [m it dem Licht der Natur und Gottes begabt] (l.c., p.840). 113 M aier faßt hier (l.c., p. 172) «necessarius» nicht im Sinne von «Verwandter» auf.
82
II Die Paradoxa
er zum Werke. Inwiefern er aber nicht der Gatte usw. ist, verschweigt uns M a ie r . B a r n a u d
sagt: « .. hae sint praecipuae causae, nempe Thorus, Amor, et
Sanguinis nexus, quae aliquem unum movent, in templo m em oriae... colum nam alicui dicare demortuo, et neutra istarum hic militet.» (Dies sind die Hauptursachen, nämlich Ehe, Liebe und Blutsverwandtschaft, die einen veran lassen, einem Verstorbenen eine Säule im Tempel der Erinnerung zu weihen, und keiner von diesen Gründen kommt hier in Betracht) : vielmehr hatte Lucius Agatho eine andere Absicht: er wollte nämlich «die Kunst, die alles lehrt, die von allen die kostbarste und unter diesem Rätsel verhüllt ist, auf der Szene er scheinen lassen», damit die Forscher «der Kunst und wahren Wissenschaft, die allen an W ürde überlegen ist», oblägen. Der Autor nimmt davon allerdings «jene heiligste Erforschung (agnitionem) Gottes und Christi, auf der unser Heil beruht», aus114, womit er jene Restriktion vornimmt, der wir in den Texten oft begegnen. W ie M
a ie r
bei «nec maritus» usw. die Negation wegläßt, so auch bei «ne
que moerens» usw. «In der Tat», sagt er, «kann dies alles von Lucius ebenso wohl positiv gesagt werden und nicht negativ.» Umgekehrt bemerkt B a r n a u d , daß hier das Bild eines «teres, rotundus et intrepidus Philosophus115» gezeich net sei. «Hanc neque molem» usw. erklärt M
a ie r
wiederum positiv, indem die Aelia
selber die moles sei, die als «res firma et immobilis» (etwas Festes und Unbe wegliches) Bestand habe. Damit weist er auf die durch das opus erstrebte incor ruptibilitas hin. Die pyramis bedeute eine Flamme zum ewigen Gedächtnis, was die Aelia sich selber sei. So sei sie auch begraben, da Lucius «omnia, quae debet, eius nomine peragit» (alles, was er muß, in ihrem Namen ausfuhrt). Er ersetzt sie gewissermaßen, nämlich als filius philosophorum ersetzt er die mütterliche prima materia, die früher der einzige wirksame Arkanstoff war. B a r n a u d er klärt, er sei zwar ein Gebäude, das aber den angedeuteten Zweck keineswegs er fülle (indem es nämlich ein Symbol ist). Das nachfolgende «sed omnia» bezieht
1,41.C., p.846 ; ' [Geschliffener, runder und kühner Philosoph] Der «sapiens teres atque rotundus» ist eine Horazische Figur: ein W eiser, der nicht am Irdischen hängt. (Satiren u n d Episteln, 2. Buch, 7.Satire, 8 3 -8 6 , p. 368: «Quisnam igitur liber? Sapiens, sibi qui imperiosus, quem neque pauperies neque mors neque vincula terrent, responsare cupidinibus, contemnere honores fortis, et in se ipso totus teres atque rotundus [«D er W eise, der/ sich selbst beherrscht, den weder Armut, Kerker/ noch Tod aus seiner Fassung setzen kann;/ der Stärke hat, den Lüsten Trotz zu bieten/ und T itel zu verschmähn ; der ganz aus einem Stück/ und rund und glatt ist» ].)
3. Das Enigma Bolognese
83
er auf die «.Tabula smaragdina » in dem oben angedeuteten Sinn, weil das Epi taph überhaupt auf die «medicina summa et catholica» hinweise. «Scit et nescit» usw. M
a ie r
meint, Lucius wisse es zwar zunächst, aber nach
her nicht mehr, weil er selber undankbarerweise vergessen werde. Es ist mir nicht klar, was damit angedeutet sein soll. B a r n a u d versteht das Monument als eine Allegorie des lapis, wessen Lucius bewußt gewesen sei. Das «quid» er klärt er als «quantum», denn er habe den Stein wahrscheinlich nicht gewogen. Auch weiß er natürlich nicht, fxir welchen zukünftigen Entdecker er die In schrift gesetzt hat. Seine Erklärung von «quid» ist offenkundig schwach. Es läge näher, an die Tatsache zu denken, daß ja der lapis ein Fabelwesen kosmischen Ausmaßes ist, welches das menschliche Begreifen übersteigt. Rücksicht auf das Prestige des Alchemisten, der er war, hat ihn wohl an diesem naheliegenden Gedanken verhindert, denn er konnte doch nicht zugeben, daß der artifex selber nicht wisse, was er mit seiner Kunst erzeugt. W äre er ein moderner Psychologe gewesen, so hätte er sich vielleicht mit geringerer Anstrengung zur Einsicht durchringen können, daß das totum des Menschen, das S elb st, per definitio nem 116 die Reichweite der Erkenntnis übersteigt. «Hoc est sepulchrum» usw. Hier begegnen wir (mit Ausnahme der Namens angabe) der ersten positiven Aussage der Inschrift. M a ier ist der Ansicht, daß dies nichts mit dem Grabmal, das kein Grabmal ist, zu tun habe, sondern damit, daß die Aelia selber gemeint sei: «Nam ipsa est continens contentum in se con vertens, atque sic est sepulchrum seu continens, non habens in se cadaver seu contentum; Veluti Lothi coniunx ipsa sibi sepulchrum fuisse dicitur absque ca davere et cadaver absque sepulchro117.» (Denn sie selber ist das Enthaltende, das den Inhalt in sich < selber)» verwandelt, und so ist sie ein Grab oder Enthalten des, das keine Leiche oder Inhalt in sich enthält, wie es vom W eibe Loths heißt, sie sei ihr eigenes Grab gewesen ohne Leiche und ein Leichnam ohne Grab.) Er spielt hier offenbar auf die zweite Version der Arisleus-Vision an, wo es heißt: «Mit solcher Liebe hat den Gabricus umarmt, daß sie ihn gänzlich in ihre Natur aufnahm und in unteilbare Teile zerlegte118». RlPLEY sagt, daß beim Tode des Königs alle seine Glieder in «Atome» zerrissen wer-
116 Insofern es nämlich die Summe bewußter und unbewußter psychischer Vorgänge darstellt. Lc.t p. 173118 Ros. p h il in: A rt. au rif. II, p. 246. Das empirische Vorbild dazu ist die Amalgamisierung des Goldes m it Hg. Daher der Satz «totum opus stat in solutione» [das ganze W erk beruht auf der Lö sung], d. h. der Sonne und des Mondes im Merkur (l.c., p.270).
II Dic Paradoxa
84
den119. Es handelt sich also um das in der Alchemie häufig vorkommende Zer stückelungsmotiv120. Diese Atome sind zugleich oder werden zu den «scintillae albae» (weiße Funken), welche in der «terra foetida121» (übelriechende Erde) auftreten. Sie werden auch als «Fischaugen» bezeichnet122. Die «oculi piscium» werden von den Autoren oft erwähnt, zuerst wohl bei M o R lE N U S R o m a n u s 125 und im «Tractatus Aristotelis» 124, dann bei vielen späteren125. Bei M
a n g et
fin-
ns Opera, p.351: Es entstehe eine «crassities aeris (eine Verdichtung der Luft, d.h. eine Konkreti-
,
sierung des Geistigen) et omnia membra in atomos divellantur». D er «zerrissene König» bezieht sich auf den der Alchemie wohlbekannten Osiris und dessen Zerstückelung. So erwähnt O lympio dor
(B erthelot , A ich, grecs, II, iv, 42, pp. 95/10}) Osiris als ή ταφή έσφιγμενη (das zusammen
gezogene Grab), welches alle seine Glieder verbirgt. Er ist das Prinzip des Feuchten (übereinstim mend m it P lutarch, Isis u n d Osiris, cp. 3 }, p. 57), und «hat das Ganze des Bleies zusammengezo gen» (συνέοφιγξεν), offenbar als dessen Seele. Typhon hat den Sarg des Osiris m it Blei übergossen
(P lutarch, l.c., cp. 13, p.22). Osiris und Isis bilden zusammen die androgyne prima materia (M aier , Symh. au reae mensae, p .3 4 3 f.), und Pernety , D iel, m ytho-herm ., p.359, s.v. Osiris). Er hat
i
Beziehung zum «kranken» oder «gefangenen» K önig, zum «Rex marinus» (A risteus-V ision). Er ist
-ιτολυόφθαλμοί [vieläugig] (oculi piscium!) - D iodorus , B ibi, h ist., 1 , 1.) - und wie Attis ττολύpoptpos [vielgestaltig] (analog dem «versipellis [wandelbaren] Mercurius»!), auch ποτέ δ έ ... νέ-
κυν ή θεόν ή τον ακαριτον (eine Leiche, oder ein G ott, oder der ohne Frucht), wie es im Attishymnus heißt (H ippolytus , Elenchos, V , 9,8, p.99). Er muß aus Grab oder Gefängnis befreit wer den. Vgl. dazu den täglichen Königsritus des Augausschneidens in Erinnerung an das Horusauge, welches die Seele des Osiris enthielt. (C ampbell, T he M iracutous B irth o f K ing Amon-Hotep III, p.67) Am 1. Phamenoth (Frühlingsanfang) tritt Osiris in den Neumond ein. Dies ist die σύνοδο? mit Isis (P lutarch, 1. c.). «Et sicut sol a principio occultatur in Lunam, ita in fin e ... extrahitur a Luna.» [Und wie die Sonne zuerst im Mond verborgen ist, wird sie am Ende aus dem Mond heraus gezogen.] (V entura , D e ratione conficiendi lapidis in: Theatr. chem., 1602, II, p. 276) 120 Vgl. dazu meinen Aufsatz D as W andlungssymbol in d er M esse [Paragr. 345 ff , 4 0 0 ,4 l0 f.]. 121 D er üble Geruch ist «Gräbergeruch» (M aier , l.c., und MoRlENUS in: A rt. au rif. II, p . 33).
I
«Nam et eius (corporis mortui)» odor est malus, et odori sepulchrorum assimilatur [Denn sein (des toten Körpers> Geruch ist ein übler und gleicht dem Gestank der Gräber].» Der Gestank in der Unterwelt ist schon eine ägyptische Vorstellung (siehe Book o f Gates, III, in: W allis B udge , Coptic A pocrypha in the D ialect o f Upper Egypt, p. LX V I. 122 «Purus laton tamdiu decoquitur, donec veluti oculi piscium elucescat.» [D as reine Laton soll so lange gekocht werden, bis es wie Fischaugen darin aufleuchtet.] (M orienus in: A rt. au rif. II,
i
^
p.32.) 1251. c. Es handelt sich um Dampfblasen, die in der Lösung aufsteigen. 124 «..quousque Terra lucescat, veluti oculi piscium» [bis die Erde wie Fischaugen aufleuchtet] (T heatr. chem., 1622, V , p.884). 125 «..grana instar piscium oculorum» [Körner wie Fischaugen] (A qu arium sapientum in: Mus. herm ., p.91). «..gem m ae... tanquam oculi piscium» [Edelsteine wie Fischaugen] (L agneus, H ar m onia chem ica in: T heatr. chem ., 1613, IV , p. 870). «.. in principio... quasi grana rubea, et in coagula tione velut oculi piscium» [am A nfang., wie rote Körner und bei der Verfestigung wie Fischaugen]
j
3. Das Enigma Bolognese
83
det sich ein dem «Malus Philosophusl26» zugeschriebenes Symbol, welches Au gen in den Gestirnen, in den W olken, im Wasser und in der Erde zeigt. Die dazugehörige Beschriftung lautet: «Hic lapis est subtus te, Erga te, supra te, et circa te.» (Dieser Stein ist unter dir, nahe bei dir, über dir und um dich.)127 Die Augen zeigen an, daß der lapis im Werden begriffen ist und aus den überall ver breiteten Augen entsteht128. So sagt R i p l e y 129, daß bei der «Austrocknung des Meeres» (desiccatio oder calcinatio) schließlich eine Substanz übrigbleibe, die «wie ein Fischauge leuchte». Dieses leuchtende Auge ist nach D
o rn eu s
die
Sonne130, welche das «Zentrum ihres Auges» gewissermaßen als Geheimnis der W ärm e und der Erleuchtung dem Herzen des Menschen einsenke. Das Fischau ge ist stets offen, wie die Augen Gottes131. Etwas derartiges schwebte auch den Alchemisten vor, wie der Umstand beweist, daß E i r e n a e u s O Ausgabe des N
ic o l a s
F l a m e l 133
r a n d u s 132
seiner
als fromme Sentenz Zacchanas 4,10 voransetzt:
«Quis enim despexit dies parvos et laetabuntur et videbunt lapidem stagneum in manu Zorobabel. Septem isti oculi Domini qui discurrunt in universa terra.» Dazu gehört 3,9: «Super lapidem unum septem oculi sunt134.» Auf diese Stelle könnte sich F i r m i c u s M
atern us
beziehen135: «(Alterius profani sacramenti
(M y l iu s , P hil, ref., p. 193). Idem in Regulae seu Canones in: T heatr. chem. (1602) II, p. 153 ff. «..quan
do veluti oculi piscium in eo elucescunt» [wenn wie Fischaugen in ihm aufleuchten] (V entura , D ela p .p h il. in: T heatr. chem., 1602, II, p. 333). 126 «Malus» vermutlich Magus, bei R u SKA (T u ria , p-271) als arabischer Autor erwähnt. Siehe [J u n g ,] D er Geist M ercurius, Paragr. 287. 12' B ibi. chem. II, Tab. IX , Fig. 4. Frei nach Rosinus ad S arratan tam in: A rt. a u r if I, p. 310. 28 Offenbar dasselbe meint auch D o rn bu s (D e transm ut. met. in: Theatr. chem ., 1 6 0 2 ,1, p.607), wenn er vom Phönix als der Wandlungssubstanz sagt: «..cuius pulli rostro em unt matri oculos» [dessen Junge der M utter mit dem Schnabel die Augen ausstechen]. ;2‘ Optra., p. 159. 10 Physica Trism egisti in: Theatr. chem. (1602) I, p.423. ■ Scheftelowitz , D as Fischsymbol im Ju dentum un d Christentum , p. 383’2 Pseudonym eines mir unbekannten Autors. 11 N icholas Flam m et, H is Exposition o f the H ieroglyphicall Figures, usw. ;M Der genaue T ext lautet: «Ja, die den T ag kleiner Anfänge verachtet haben, sie alle werden mit Freuden den Schlußstein in der Hand Serubbabels sehen. D iese sieben sind die Augen des Herrn, ji c über die ganze Erde schweifen.» Dazu gehört 5,9: «Denn siehe, auf dem Steine, den ich vor J o ses hingelegt habe — auf einem Steine ruhen sieben Augen — siehe, auf diesem will ich nun die Schrift eingraben.» 11 D e errore p rof, r e i, 2 0 ,1, p. 107. Diese Beziehung g ilt dann, wenn der Stein der sieben Augen ■adit als Schluß-, sondern, wie hier, als Grundstein des Tempels aufgefasst wird. D ie andere Bezies n g ist die auf den lapis angularis [Eckstein], der in der österlichen Feuerweihe m it dem silex pa«-Id isiert wird, aus dem der Funke hervorspringt. Vgl. Erste Oration des Karsamstag: «Deus, qui
86
II Dic Paradoxa
signum est θεό« έκ -πέτρα«...) alius est lapis, quem deus in confirmandis funda mentis promissae Hierusalem missurum se esse promisit: Christus nobis vene randi lapidis significatione monstratur.» (Das Zeichen eines anderen heidni schen Mysteriums ist «Gott aus dem Felsen136». Ein anderer ist der Stein, den Gott versprochen hat zu senden zur Begründung des verheißenen Jerusalem137. Auf Christus wird durch die Bedeutung des verehrungswürdigen Steines hinge wiesen.) W ie der «eine Stein» dem Alchemisten den Lapis bedeutete138, so die oculi piscium die sieben Augen oder das eine Auge Gottes, welches ja die Sonne ist. Nach ägyptischer Vorstellung ist das Auge der Sitz der Seele, so ist zum Bei spiel Osiris verborgen im Auge des H orus139. Das Auge ist in alchemistischer Auffassung der «Himmel» (coelum) : «Est quasi oculus quidam visusque ani mae, quo saepe affectus animae nobis et consilium indicatur, cuius radiis et intuitu omnia coalescunt.» (Es ist gleichsam ein Auge und ein Schauen der See le, durch das uns oft der Zustand der Seele und ihre Absicht angegeben wird, und durch die Strahlen und das Herunterblicken
eine «virtus», Kraft, ja, ein «animal quoddam perfec
tum» (ein gewisses vollkommenes Lebewesen). Daher haben auch die Alchemisten ihre quinta essentia als coelum bezeichnet. Der Idee der virtus entspricht die Be zeichnung des Heiligen Geistes als oculus142, parallel zu der Anrufung des Her mes im Papyrus X L V I (British M useum )143: « Έ ρ μ η __ ήλιου οφθαλμέ.» Das per filium tuum, angularem scilicet lapidem, claritatis tuae fidelibus ignem contulisti productum ex silice» [«G ott, der du den Gläubigen durch deinen Sohn, als den Eckstein, das Feuer deiner Klarheit m itgeteilt hast, das aus dem Kiesel hervorgegangen ist»] (M issale Rom an um ). 136 Bezieht sich auf die Felsgeburt des Mithras. 137 D as himmlische Jerusalem der Apokalypse. 138 Vgl. dazu das unten im Kapitel «Adam und Eva» über den kabbalistischen Stein Gesagte, ins besondere über den lapis als Malchuth. 139 Campbell, l.c . Nach Plutarch (L c , cp. 55, p.99) soll Typhon (der böse Bruder-Schatten des Osiris) dem Horus das Auge bald verletzt, bald ausgerissen haben, was auf den Neumond zu deuten sei. Zur Beziehung zwischen Auge und chemia ist P lutarch (l.c., cp .33, p-58) wichtig: ε τ ι τήν Α ίγ υ π το ν
έν
το«
μ ά λ ισ τα
μ ελά γ γ εισν
ούσαν, ώ σ π ερ
τό
μ έλαν
του
οφ θα λμ ο ύ ,
Χ η μ ια ν κα λο ΰ σ ι καί καρδία π α ρεικά ξου σι [«das meist schwarzerdige Ägypten nennen sie, wie das Schwarze im Auge, Chemia, und vergleichen es dem H erzen»]. 140 STEEBUS, Coelum Sephiroticum yp. 11. 141 ln P lat. T im ., cp. 23. —Unter Berufung auf Leo Hebraeus, D ialoghi d i Am ore. 142 G arnerus de S. V ictore , G regorianum (M igne , P. L. C X C III, col. 166). 143 [Hermes —Auge der Sonne] Preisendanz , Pap. G raecae m ag. I, pp. 194/195, Z .401/405.
3. Das Enigma Bolognese
87
Gottes-Auge strahlt Kraft und Licht aus144, und so sind auch die oculi piscium kleinste Seelenfunken, aus denen sich die Lichtgestalt des filius wieder zusam mensetzt. Sie entsprechen den in der finsteren Physis gefangenen Lichtteilchen, deren Sammlung ein Hauptanliegen des Gnostizismus und Manichäismus war. Eine ähnliche Vorstellungsstruktur weist das «siddhasila» des Jainismus auf: «The loka < = W elt> is held in the middle o f the aloka < = Nichtwelt>, in the form of the trunk of a man, with siddhasila at the top, the place where the head should be. This siddhasila is the abode of the omniscient soûls, and may be called the spiritual eye of the universe145.» Das Auge ist, wie die Sonne, ein Symbol sowohl als auch eine Allegorie des Bewußtseins146, wofür keine weiteren Belege nötig sind. In der Alchemie wer den die scintillulae zum Gold (soi) zusammengesetzt, in den gnostischen Syste men werden die Lichtatome der Gottheit reintegriert. Psychologisch weist diese Lehre auf den Persönlichkeits-respektive Ich-Charakter der psychischen K om plexe hin: wie der Ich-Komplex durch Bewußtsein ausgezeichnet ist, so besteht die Möglichkeit, daß auch andere, sogenannt unbewußte Komplexe als Partial seelen wenigstens eine gewisse eigene «Luminositat» besitzen147. Aus diesen Atomen entsteht die Monade (und der lapis mit allen seinen Bedeutungen), entsprechend der Lehre des E p i k u r , welcher aus dem Zusammenkommen der Atome sogar die Gottheit ableitet14®. Die Erklärung der Beya beziehungsweise Aelia als «Grabmal» liegt dem Al chemisten insofern nahe, als dieses Motiv in seiner Anschauung keine geringe Rolle spielt. Sein vas (Gefäß) nennt er sepulchrum oder, wie das « Rosarium», «tumulus rubeus petrae»149. Die « Turba» sagt, es müsse dem Drachen und der
144 D io d o r u s , B ibi, hist., I, n : Ό σ ιρ ιν τιο λ υ ό φ ϋ α λ μ ο ν... ιτα νταχή γ ά ρ έιτιβ άλλοντα τ ά ΐ Αχτίνα? ώσττερ ο φ θα λ μ ο ί? ττολλοί? [den vieläugigen O siris... überallhin seine Strahlen sendend wie mit vielen A ugen]. ■4! R a d h a k r ish n a n , In dian Philosophy I, p. 333. 146 Vgl. u.a. R aban us M aurus , A llegoriae in Sacram Scripturam (M ig n b , P .L. C X II, col.1009): «Oculus e st... claritas intellectus» [Das Auge ist die Helle des Verstandes]. Des näheren erörtert in meinem Aufsatz Theoretische Überlegungen zum Wesen des Psychischen [Paragr. 388ff.].
48 H ippo l y tu s , Elenchos, I, 22, 1 , p.26: έκ 8 έ τώ ν άτόμω ν συνελθου σώ ν γ ε ν έ σ θ α ι καί τόν θεόν καί τ ά σ τ ο ιχ ε ία καί τ ά έν αύτοί? τ ά ρ τ α καί ζώ α καί δ λ λ α [Es entsteht aus den sich ausammenfugenden Atomen sowohl der G ott als die Elemente und alles in ihnen: Lebewesen usw .]. 149 [roter Steingrabhügel] «Posito autem hoc Uno in suo sepulchro sphaerico» [Nachdem man Ä e se n einen in sein rundes Grab gelegt hat] (T ract. A ristot. in: Theatr. ehern., 1622, V , p.886).
«■Vas) Dicitur etiam sepulcrum» [(D as Gefäß) heißt auch Grab] (H o gh ela n d e , D e alchem iae d if-
II Die Paradoxa
Frau ein «Grabmal ausgegraben» werden150. Das Begrabensein ist identisch mit der nigredo151. Ein griechischer Traktat handelt den Prozeß ab als die «Acht Gräber»152. Alexander findet das «sepulcrum Hermetis» mit dem Geheimnis der K unst155. Der «König» ist im Saturn begraben154, in Analogie zum begrabenen Osiris155. W ährend der nigredo des Begrabenseins herrscht die Frau («E t quam diu nigredo durat, foemina imperat156» ), in Übereinstimmung mit der SonneMond-Eklipse respektive der Synodos mit dem Neumond.
So sei, schließt Maier , sepulchrum und cadaver dasselbe. Und B arnaud sagt: «Begrabet, sagen sie, ein jedes im Grabe des anderen. Denn wenn Sulphur, Sal und Aqua oder Sol, Luna und Mercurius in unserer Materie sind, so lassen wir sie extrahieren, kon jugieren, begraben und mortifizieren, das heißt in Asche verwandeln; so geschieht es, daß das N est den Vögeln zum Grabe wird, und umgekehrt die Vögel das N est in sich aufnehmen und mit ihm sich fest verbinden. Es geschieht, sage ich, daß Seele, Geist und Körper, Mann und Frau, Aktives und Passives, in einem und demselben Subjekt, in das Gefäß versetzt, mit eigenem Feuer bebrütet und unterstützt vom äußeren Magisterium der K unst, zu ihrer Zeit (in die Freiheit) entweichen157.»
Mit diesen W orten ist die totale Gegensatzvereinigung angedeutet, die «summa medicina», welche nicht nur die Körper, sondern auch die Geister heilt. Das «Entweichen» weist auf einen Zustand der Gefangenschaft hin, dem durch die Versöhnung der Gegensätze ein Ende bereitet wird. Damit wird offenbar etwas ficu ltatibu s in: T heatr. chem., 1602,1, p. 190). Vas = sepulcrum, carcer (V entura , D e lap. p h il. in: T heatr. chem ., 1602, II, p. 289). Auch in der A urora com. / (cp. 12, p. 117) soll «der Stein von der Türe meines Grabes» entfernt werden. 1.0 «Effodiatur igitur sepulchrum illi Draconi» [Man soll jenem Drachen ein Grab ausheben]
(R uska , T u rba, Sermo L IX , Z . 24, p. 162). 1.1 D orneus , Physica Trism egisti in: T heatr. ch m . (1602) I, p.463. 152 B erthelot , A ich, grecs, IV , xxiii, pp. 315/ 302. 1.1 A lbertus M agnus , Super arborem A ristotelis in: T heatr. ch m . (1602) II, p.527. 1.4 «Tumulus ergo in quo R ex noster sepelitur, Saturnus...dicitur» [Jener Grabhügel also, in dem unser K önig Saturn begraben ist] ( Introitus apertus in: M us. herm ., p.688).
1.5 Firmicus M aternus , D e err. p rof. rel., 2,3, p. 76: «in adytis habent idolum Osiridis sepultum» [in ihren Heiligtümern haben sie das Bild des Osiris in seinem G rabe]. 156 U ber A tze in: M us. herm ., p. 332. Vgl. U tdus puerorum in: A rt. au rif. II, p. 189: «Hinc dicit Avicenna: Quam diu apparuerit nigredo, dominatur obscura foemina, et ipsa est prior vis nostri la pidis.» [Dam m sagt Avicenna: Solange nigredo herrscht, regiert die dunkle Frau, und sie ist die zu erst erscheinende K raft unseres Steines.] 157 Commentarium in·. Theatr. chem. (1602)111, p .847f.
i. Das Enigma Bolognese
89
angestrebt, was der Inder als «nirdvandva» (frei von den Gegensätzen) bezeich net, eine Anschauung, die dem christlichen W esten, in dieser Form wenigstens, fremd ist. Es handelt sich um eine Relativierung der Gegensätze, welche den unüberbrückbaren Konflikt der christlichen Kampfeinstellung mildern, ja hei len soll158. Die hier gegebene Deutung der enigmatischen Inschrift ist für das zu neh men, was sie ist: nämlich als ein Dokument für die alchemistische Denkweise, die hier mehr über sich selber aussagt, als durch das Epitaph gewährleistet zu sein scheint. Man muß sich in dieser Hinsicht behutsam ausdrücken, denn es sind noch viele andere Erklärungen möglich, die auch unternommen worden sind155. Vor allem drängt sich die Frage der Echtheit und Herkunft des Monu mentes auf. Keiner von den drei bisher erwähnten Autoren hat die Inschrift ge sehen. Es gab, wie es scheint, zur Zeit des M a l v a s i u s (1683) nur zwei Origi nalabschriften, die eine von Bologna, die andere von Mailand. Die von Bologna endet mit «cui posuerit». Die von Mailand fügt das «Hoc est sepulcrum» usw. dazu, und der Satz «Scit et nescit cui posuerit» der Bologneser Version enthält hier ein «quid». Ebenso steht am Kopfende der Mailänder Version ein dunkel bleibendes A.M . P .P . D. gegenüber einem D .M . (Diis Manibus) der anderen. M a l v a s iu s
gibt an, daß der Stein zerstört worden sei 16°; er führt aber Augen
zeugen an, welche die Inschrift gesehen und kopiert haben wollen, vor allem I o a n n e s T U R R IU S
von Brügge, welcher in einem Brief vom Januar 1567 an
R lC H A R D U S V lT U S
schreibt, er habe das Epitaph selber «gelesen» (quod hisce
oculis lectum), und zwar in der Villa eines Marcus Antonius de la Volta beim
iw Vgl. dazu Psychologie un d A lchem ie, Paragr. 23 ff. Der Umstand, daß die Alchemisten beim Versuche, das Rätsel zu lösen, gleich an das Bedeutendste dachten, was sie kannten, nämlich an das Geheimnis ihrer Kunst, ist für jene Zeit begreiflich, insofern es damals Rätsel gab über G ott, die
Heilige Schrift u.a.m. Vgl. Lorichius , A enigm atum libellus, worin auch das Hermaphroditenrätsel •dum mea me g en itrix...» enthalten ist (fol. C 7 f.). :v; D ie von Athanasius K ircher in seinem Oedipus Aegyptiacus II, cp. VI, p.418) unternomme ne Deutung ist rein alchemistisch und zeichnet sich durch keinerlei Originalität aus. Er nennt die Inschrift «Primum Aenigma Chymicum». Er erwähnt, dass W ilhelmuS B aroldonus Anglus eine kabbalistische Deutung gemacht habe. Ebenso ist das Monument erwähnt in: D rexelius , Opera I, p.69: «Extat epitaphium antiquum Bononiae quod multorum fatigavit ingenia... Sunt qui hoc aenigma interpretantur animam hominis, alii nubium aquam, alii Nioben in Saxum mutatam, alii aiia.» [Es besteht ein altes Epitaph in Bologna, das den Verstand vieler (Gelehrter) erschöpft h a t... Es gibt welche, die das Rätsel als Seele des Menschen deuten, andere als Regenwasser, wieder andere als die in Stein verwandelte N iobe und noch andere als anderes.] 160 All dies bei Malvasius, A elia L aelia usw., p. 55.
II Die Paradoxa
90
ersten (Meilen-)Stein außerhalb der Porta Mascharella von Bologna. Es sei, wie der Augenzeuge und Kommentator I o a n n e s C a s p a r i u s G e v a r t i u s berichtet, in der W and, welche die Villa mit der Kirche verbinde, eingemauert. Einige der eingemeißelten Buchstaben seien durch die Länge der Zeit «et quasi quadam rubigine corrosae» (durch etwas wie eine gewisse Roströte zerfressen), was ein Zeugnis fiir das Alter des Epitaphs sei161. M
a l v a s iu s
bemüht sich, unter Bei
bringung zahlreicher römischer Epitaphe die Echtheit unseres Dokumentes zu erweisen10163. Seine Theorie ist folgende: «■(Epitaphium} Loquitur n em p e... de Filia Laelio nascitura, eademque Sponsa Agathoni designata; sed non Filia, sed non Sponsa, quia concepta, non edita; quia non orta, sed aborta; qua propter tali ac tanta spe frustratus Agatho, jam pridem delectus in coniugem, et a sorte elusus, hac Aenigmatica Inscriptione iuremerito sic et ipse lusit, vel ludentis speciem praebuit.» (D ie Inschrift spricht nämlich von einer Tochter, die dem Laelius noch geboren werden soll und dem Agatho als Braut zugedacht ist; aber sie ist weder Tochter noch Braut, weil sie, zwar empfangen, doch nicht geboren ist, weil sie nicht ge boren, sondern als Frühgeburt abgegangen ist. Deshalb hat Agatho, der schon seit lan gem als G atte ausersehen war, in solcher und so großer Hoffnung enttäuscht und vom Schicksal betrogen, selber durch diese rätselhafte Inschrift m it Recht sich so verspottet oder sich < wenigstens} den Anschein eines Spottenden gegeben,6}.)
Einen beträchtlichen Anlauf aber nimmt unser Autor, um dem Urheber des Epitaphs gerecht zu werden. Er nennt den Agatho «modo hujus, modo illius Scientiae peritissimum» (bald in dieser, bald in jener Wissenschaft sehr erfah re n )164, ja er vergleicht ihn als «auspicatissimi... Ternarii Cultorem exi m ium 165» mit Hermes Trismegistus und bezeichnet ihn als einen «Ter maxi mum» (Dreimalgrößten) unter stillschweigender Berufung auf den Schlußsatz der «Tabula smaragdina» 166, weil nämlich die Inschrift nach der Dreizahl geteilt ist167, worüber unser Autor des längeren disseriert. Dabei gerät er mit den vier 161 l.c., p. 103. 162 D ie Inschrift ist, wie mir Herr Prof. Felix Staehelin in Basel freundlichst nachwies, im Corp. inscr. h a t. X I, 1 ,1 ,1 5 *, 88*, unter den Falsae angeführt. 163 l.c., p.4 0 f. 164l.c., p.90. 165 «Außerordentlicher Verehrer der hochbedeutsamen Dreizahl.» 166 «Itaque vocatus sum Hermes Trismegistus, habens tres partes philosophiae totius mundi.» [«Und mir hat man deßwegen den Namen Hermes Trismegistus gegeben/weil ich alle drey Theil der W eißh eit dieser gantzen W elt besitze.» (R uska , T ab. S m a ra g d pp. 2/3) 167 «Numero Deus impari gaudet»! [G ott erfreut sich an der ungeraden Zahl.] (D orneus , Phy sica Trism egisti in: T heatr. ehern., 16 0 2 ,1, p.435)
3. Das Enigma Bolognese
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Elementen und den vier Qualitäten in jene Schwierigkeiten, mit denen sich eben die Alchemisten herumschlagen, nämlich mit der Deutung des Axioms der
Maria168*. Übrigens bewegt er sich auch mit seiner Abortusidee im Bannkreis der Alchemie, ganz abgesehen vom Gnostizismus1®, sagt doch der «Tractatus
Aristotelis» ,7°: «Hic Serpens est calidus, quaerens exitum ante ortum, perdere vo lens foetum, cupiens abortum» (Diese Schlange ist hitzig, sie sucht den Aus gang vor der Geburt, sie will den Foetus verlieren und begehrt die Früh geburt 171... ) Es handelt sich natürlich um den serpens Mercurii beziehungswei se die prima materia, welche nach der Ansicht des Traktates danach drängt172, den Wandlungsprozeß zu durchlaufen und den in ihr verborgenen Inhalt (Lichtsamen der anima mundi) seiner Blüte entgegenzuführen. Von den vielen Meinungen der Kommentatoren möchte ich eine anführen, die mir wert erscheint, der Vergessenheit entrissen zu werden. Es ist die Ansicht der beiden verhüllt angedeuteten Freunde des Autors: Lucius Agatho sei ein wirklicher Mensch (homo verus), Aelia Laelia hingegen eine fingierte Frau (fic ta foemina) gewesen, oder vielmehr ein in weiblicher Gestalt erscheinender «Malus Genius» oder «gottloser Geist» (Improbus Spiritus), der «in der Luft herumfliege» nach der Meinung des einen, nach dem anderen hingegen ein Geist, der sich in der Erde aufhalte und in einer Junonischen Eiche «infixus et adhaerens» (gebannt und daranhängend) sei; «also eine Sylvana..., Nympha, Hamadryas», welche, als die Eiche gefällt und verbrannt wurde, genötigt gewe sen sei, einen anderen Aufenthaltsort zu suchen und so «gleichsam als Tote, in 168 Siehe Psych. un d A ich., Paragr. 26 und 209. ‘» V g l. die Stratiotiker, Phibioniter usw. bei EPIFHANIUS, Panarium , X X V I , 5, p.40, sowie die gleiche Vorstellung im Manichäismus (R eitzenstein UND Schaeder, Studien zum antiken Synkre tismus aus Iran un d G riechenland, p. 346). Für die Alchemie ist im besonderen die «dritte Sohnschaft» des B asilides wichtig: Die unten in der ιτανσιτερμία zurückgelassene υιότη? (Sohnschaft) ist έν τή άμορφ ία κα τα λ ελ ειμ μ ένρ οίονεί έκ τρ ώ μ α τι (in der Formlosigkeit zurückgelassen, ähnlich einer Frühgeburt) (H ippolytus , Elenchos, V II, 26, 7, p. 205). Vgl. dazu die Ausdrucksweise des Pau lus in 1. Kor. 15,8: Έ σ χ α τ ο ν δέ ττάντον ώ σιτερει τώ έκ τρ ώ μ α τι ώ φ η κάμοί [«Zuletzt aber von allen erschien er gleichsam als der Fehlgeburt auch mir.»] ;' c Dieser Traktat gehört zu den alten Lateinern, resp. «Arabizanten», von unsicherer Verbincking mit arabischer Tradition. 1-1 Theatr. chem. (1622) V , p.881. ■’2 «..naturae subtilitas... causam dedit augmentationis et vitae, et se in naturas perfectissimas reduxit» [die Feinheit der N atur... gab die Ursache des W achstums und Lebens und wandelte sich m die vollendetsten Naturen], «.. hic Serpens... tanquam Bufo nigerrimus tumescit, e t ... petit a sua tristitia Uberari» [Diese Schlange schwillt wie die schwärzeste Kröte und.. verlangt, von ihrer Traurigkeit befreit zu werden].
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II Die Paradoxa
diesem Sarkophag» einen solchen gefunden hätte. So sei sie «vom geliebten und liebenden Agatho gefeiert, beschrieben und gekennzeichnet worden173.» Aelia ist nach dieser Auffassung die Anima des Agatho, projiziert in eine «Ju nonische Eiche». Die Eiche gehört zu Jupiter, ist aber auch der Ju n o heilig174. Sie ist in übertragenem Sinne, als ein femininum und Trägerin der Animapro jektion, im Verhältnis zu Jupiter beziehungsweise Agatho die coniunx, bezie hungsweise die geliebte Frau. Die Nymphen, Dryaden usw. sind mythologisch Natur- und Baumnumina, psychologisch aber Animaprojektionen175, wenn es sich um männliche Aussagen handelt. Diese Deutung findet sich in der «.Dendroiogia» des obenerwähnten U L Y SSES A l ü R O V A N D U S: « . . dico
Aeliam, Leliam, Crispim ex Hamadryadibus unam fuis
s e ... id est Quercui in suburbano agro Bononiensi applicitam, seu inclusam, quae mollissima simul et asperrima apparens jam a bis mille forsitan annis inconstantissimos Protei in morem tenens vultus Lucii Agathonis Prisci Civis tunc Bononiensis Amores ex chao certe, id est confusione A gathonia... elicitos anxiis curis et solicitudinibus implevit» (Ich sage, die Aelia Laelia Crispis sei eine von den Hamadryaden gewesen..., das heißt eine, die mit einer Eiche im Stadtgebiet von Bologna verbunden oder darin eingeschlossen war. Sie erschien ihm in zärtlichster und rauhester W eise, und, indem sie schon seit etwa zwei tausend Jahren nach der Art eines Proteus die unbeständigste Miene zur Schau trug, hat sie die Liebe des Lucius Agatho Priscus, des damaligen Bologneser Bürgers, sicherlich aus dem Chaos, das heißt der Agathonischen Verwirrung hervorgelockt und mit ängstlichen Sorgen und Bekümmernissen e rfü llt...)176. Man kann sich nicht leicht eine trefflichere Beschreibung jenes weiblichen Ar chetypus, der das Unbewußte des Mannes charakterisiert, nämlich des Anima bildes, ersinnen, als die Gestalt der hier geschilderten unsterblichen «incertissi ma amasia» (äußerst ungewisse Geliebte), die als ein neckender Quälgeist ihn gerade in der Stille der «nemora et fontes» (Haine und Quellen) verfolgt. W ie ersichtlich, gibt der T ext der Aelia-Inschrift keinen Anlaß, die Aelia gerade als eine Dryade (Eichennymphe) zu deuten. A l d r o v a n d u s belehrt uns aber, daß die Porta Mascharella von Bologna, vor welcher die Inschrift gefunden worden m Malvasius, 1. c., p. 19. m A u f dem Kapitol befand sich eine dem Capitolinus heilige, uralte Eiche. Bezüglich «Junonia» siehe P l u t auch, Quaestiones Rom anae [Ü ber römische G ebräuche, 89, p .4 0 l] . 175 Siehe [J ung ,] Psych. u n d A ich ., Paragr. 116f., und Paracelsus als geistige Erscheinung, Paragr. 179f. und 2 l4 ff.
3. Das Enigma Bolognese
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sein soll, in römischer Zeit «Junonia» geheißen habe, woraus er schließt, daß die Juno offenbar der genius loci gewesen sei. Zur Unterstützung seiner Hypo these, daß Aelia eine Dryade sei, fuhrt der gelehrte Humanist ein römisches Epitaph, das in dieser Gegend (in hisce partibus) gefunden wurde, an. Es lautet angeblich: CLODIA PLAVTILLA SIBI, ET QVERCONIO AGATHONI, MARITO OPTIMO, USW.
Dieses Epitaph findet sich in der Tat im «Corpus Inscriptionum Latinarum·»'71, aber dort lautet die entscheidende Stelle: Q. VERCONIO AGATHONI.
Es ist also ein Quintus Verconius, der sich die Verwandlung in einen dem Au tor passenden Querconius gefallen lassen mußte. Den rätselhaften Passus «hoc est sepulchrum» erklärt er damit, daß die Eiche den zum Bau des Grabmals nötigen Baustoff geliefert habe! Zur Begründung fugt er bei, daß ein eben dort befindliches D orf den Namen Casaralta habe178, welchen er in casa (H aus), ara (Altar) und alta (hoch) zerlegt. Als weiteren Beitrag bringt er ein italienisches Gedicht von einer Sonnenund Mond-Eiche, welche die elementarische W elt darstelle179: Dentro un giardin di vaghi fiori adomo Girre un fior rosso, e una bianca Rosa, Dodici rami cinge d’ogn’intomo Una gran Quercia, che nel mezzo posa, E d’ogni ramo grande, e grosso ch’hà Quattro sole, e non più ghiande ei dà. |ΤΊ Corp. Im cr. L a t., X I , 1., pp. 163,884: M v t in a . Für die Richtigkeit dieser Angabe muß ich dem Autor die Verantwortung überlassen. 1,9 [In einem Garten, mannigfach geschmückt m it Blumen, wachsen eine rote Blume und eine weiße Rose —Z w ölf Äste umgeben von allen Seiten eine große Eiche, die in der M itte steht, und an jedem großen, dicken Ast, die sie hat, bringt sie nur vier, und nicht mehr, Eicheln hervor.] «Ter num tandem aenigma erit de Quercu, mundum elementarem repraesentante in caelesti quoddam-
II Die Paradoxa
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Diese Anspielung auf die W elteiche des PHEREKYDES fuhrt uns direkt zum Sonnen-Mond-Baum der Alchemie, zur roten und weißen Rose180, zum servus rubeus und der femina alba (oder columba alba181) und zu den vierfarbigen Blü ten des Baumes im W estland182. R e u s n e r s «Pandora» von 1588 hat den Baum als ein fackeltragendes, weibliches W esen dargestellt, dessen gekrönter K opf die Baumkrone trägt183. Der Baum ist durch sein weibliches Numen personifiziert. Die Deutung des A l d r o v a n d u s bewegt sich im Rahmen alchemistischen Denkens, wie der Traktat des B e r n a r d u s T r e v i s a n u s (Graf von der March und Trevis, 1406-1490) zeigt184. Es handelt sich um eine Parabola185, in welcher der Adept ein klares Brünnlein findet, in schönstem Stein gefaßt und auf einem Eichenstamm befestigt (munitum supra quercinum truncum), und das Ganze von einer Mauer umgeben. Dies ist das Bad des Königs, in welchem dieser Er neuerung sucht. Ein Greis (Hermes als Mystagog) erklärt dem Adepten, wie der König dieses Bad errichtet hat; dieser habe nämlich eine alte Eiche, welche mitten entzweigespalten war, hineingesetzt186. Der Brunnen sei von einer dikken Mauer umgeben, erst von einem harten hellen Stein und dann von einer hohlen Eiche verschlossen187. modo viridario plantata, ubi Sol et Luna duo veluti flores circumferuntur» [Endlich wird da das drit te Rätsel sein von der Eiche, welche die Elementarwelt darstellt und die in einem himmlischen Gar ten steht, wo Sonne und Mond wie zwei Blumen herumkreisen] (1. c., p. 149a). 180 Zu weiß und rot vgl. Sohar, I, fol. la : «W ie die Rose unter den Domen (C ant. 2 ,1 ff.) rot und weiß gefärbt ist, so sind in der Gemeinschaft Israels die Gnade (chessed) und das Gericht (din).» Im Gegensatz zur Alchemie ist R o t der weiblichen und W eiß der männlichen Seite des Sefirotsystems zugeordnet. (M itteilung von D r.S. Hurwitz.) 181 Vgl. dazu die Tauben «in sylva Dianae» (M us. herm ., p.659). Das Taubensymbol dürfte sich direkt aus der christlichen Allegorik herleiten. Dabei kommt die m ütterliche Bedeutung der Taube in Betracht, die Bezeichnung der Maria als «columba mystica» ( Godefridus , HomiUae D om inicales in:
M igne , P.L. C L X X IV , co l.38), ferner die Bezeichnung der «verborgenen Mutter» als Taube (T h o m asakten, 50, in: N eutestam entliche A pokryphen, p. 270) und die Taubensymbolik des Parakleten bei
Philo (Q uis rerum divinarum heres sit, 234, p .5 2 f). N elken beschreibt die Vision eines Geistes kranken vom «Urgott», der auf der Brust einen Lebensbaum m it weißen und roten Früchten hat und auf dem eine Taube sitzt (A nalytische Beobachtungen über Phantasien eines Schizophrenen, p. 540f.).
182Abu ’l-Q äsim M uhammad, K itäb a l-’ilm usw., hg. Holmyard , p. 23. 183 Abb.231 in: Psychologie u n d A lchem ie. Vgl. die Sapientia Dei als lignum vitae [Baum des Le bens] in der A u rora cons. I, cp. I, pp. 32/33.
184B ernardus T revisanus, D ealchem ia liber, p.773ff 185l.c., p.799f. 188
«.. induxit quercum veterem fissam per medium, qui < = quae> tuetur a solis radiis, umbram
faciens» (L c.). 187 « .. primo duro lapide et claro clauditur, tum demum cava quercu.» (L c.)
3. Das Enigma Bolognese
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W ie ersichtlich, kommt es der Parabel nur darauf an, die Eiche mit dem Bad in Verbindung zu bringen. In der Regel handelt es sich um das Hochzeitsbad des königlichen Paares. In unserer Erzählung fehlt aber die Königin, indem der König allein erneuert wird. Diese nicht gewöhnliche Version188 legt die Vermu tung nahe, daß die Eiche als weibliches Numen die Königin ersetze. Besteht diese Annahme zu Recht, so ist es von besonderem Belang, daß die Eiche das eine Mal gespalten und das andere Mal hohl ist. Bald scheint die Eiche der Brun nenstock, bald ein schattenspendender lebendiger Baum, bald der Brunnentrog zu sein. Diese Unklarheit schildert die verschiedenen Aspekte des Baumes: als Brunnenstock ist sie gewissermaßen der Ursprung der Quelle, als Brunnentrog ist sie das Gefäß und als schützender Baum die M utter189. Seit alters ist der Baum Ursprung des Menschen190, also Lebensquelle. Das Gefäß und das Bad werden von den Alchemisten als «uterus» bezeichnet191. Der Spalt oder die 188 D er König ist meist nur dann allein, wenn er im laconicum (Schwitzbad) sitzt. 189 D er T ext ist in dieser Hinsicht unzweideutig: «Petii rursum utrum fonti Rex esset amicus, et fons ipsi? qui ait, mirum in modum sese vicissim amant, fons Regem attrahit, et non Rex fontem: nam Regi velut mater est.» [Ich fragte wieder, ob der König der Freund der Quelle sei und sie seine Freundin? Er antwortete: Sie lieben sich auf wunderbare Art, aber die Quelle zieht den K önig zu sich, nicht der König die Quelle: denn die Quelle ist fur den König gleichsam eine Mutter.] (l.c., p.801) Ein ähnlicher Zusammenhang findet sich bei K yrillos (M ystag., II, 4): τό σωτήριον έκεινο ύδωρ και τά φ ο ? ύμΐν έγ έν ετο και μήτηρ [dieses Heilwasser ist euch geworden zum Grab und zur Mutter] (U sener , D as W eihnachtsfest, p. 173149). 190 Vgl. dazu O v id , M etamorphoses, V II [p. l l l ] :
ante oculos eadem mihi quercus adesse, / Et
rami totidem, totidemque animalia ramis / Ferre suis visa est» [Vor meinen Augen schien die glei che Eiche zu stehen, m it ebenso vielen Ästen und Geschöpfen in ihren Ä sten]. Aus der von ISIDO-
mos stammenden Angabe betreffend die «geflügelte Eiche» (υιτάττερο? ßpüs) des Phereky ZXS geht hervor, daß diese wie eine Frau von einem Kapuzenmantel (φάρο?) verhüllt ist. (D iels, D te Fragm ente d er V orsokratiker II, p.202.) D ie «Verhüllung» ist ein Attribut der Artemis χ ιτώ ν η , χ ιτώ ν ια und besonders der Istar: sie ist tasmetu, die Verhüllte, die Situri-Sabitu, die auf dem Thro ne des Meeres sitzt, «mit einer Hülle umhüllt». (W ittek in d t , D as H ohe L ied , p. 15) Das ständige Attribut der Istar ist die Palme. Nach dem K oran, Sure 19, p. 253, wird [nach der zitierten Stelle: hat] Maria unter einer Palme geboren, ebenso gebiert Leto unter der Palme auf Delos. Maja gebiert
eien Buddha unter Assistenz des Salbaumes. D ie Menschen sollen der Eiche entstammen (P auly W issowa , Realencyclopädie, s.v. «Drys»). W eiteres siehe [J ung ,] D er philosophische Baum , Paragr. 4l8f., 458 ff. 191 W ie die liturgische Bezeichnung des Taufeteines. Siehe die Praefatio in der Benedicto fontis [Karsamstagsliturgie] : «Qui hanc aquam regenerandis» usw. «Per matricem, intendit fundum cu curbitae» [M it dem Mutterleib meint er den Boden der Retorte] (Cons. coniugii in: A rs. ehern.,
T 704). «.. vas spagiricum ad similitudinem vasis naturalis esse construendum» [das spagirische Geci nach Art des Naturgefäßes anzufertigen] (D o rn eu s , Phys. Trismeg. in: T heatr. (hem ., 16 0 2 ,1, 7.430). Das «vas naturale» ist der Uterus (A u rora cons. //in: A rt. a u r if I, p .203).
II Die Paradoxa
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Höhlung des Stammes weisen auf diese Bedeutung hin192. Das Bad des Königs ist an sich schon eine Matrix, zu der sich der Baum wie ein Attribut verhält. Häufig, wie zum Beispiel auf der Rjpley Scrowle195, steht der Baum im Hochzeits bad, entweder als Säule oder direkt als Baum, in dessen Krone das Baumnumen in Gestalt der schlangenschwänzigen Melusine ( = Anima) erscheint. Die Ana logie mit dem Baum der Erkenntnis im Paradies ist unmittelbar einleuchtend194. Die dodonäische Eiche ist Orakelstätte, was der Anima als Mystagogin ent spricht195. Der so oft schlangengestaltige Mercurius erscheint als Baumnumen im GRiMMschen Märchen vom «Geist in der Flasche»196. In diesen Zusammenhang gehört wohl jener etwas dunkle T ext des S e n i o r 197:
«Item dixit Marchos198 et est tempus in isto genito quod nascitur de quo facit talem simi litudinem. Tunc aedificabimus sibi talem domum, quae dicitur monumentum Sihoka199. Dixit, terra est apud nos quae dicitur tormos, in qua sunt reptilia comedentes opaca ex 192 «Et locus generationis, licet sit artificialis, tamen imitatur naturalem, quia est concavus, con clusus» [Und obwohl der O rt der Zeugung künstlich ist, ahmt er doch den natürlichen nach, inso fern er hohl und abgeschlossen ist] (Oms. am iugii, 1. c., p. 147). 193 Siehe Psych. u n d A k h ., Abb. 257. 194 Es ist eine weitverbreitete Vorstellung, daß Seelen und Numina als Schlangen erscheinen (z. B. das heroische Numen: Kekrops, Erechtheus usw.). Vgl. auch CHRYSOSTOMUS, H om ilia X X V I (a lia s X X V ) in Joannem (M igne , P. G. L IX , col. 153) : «Quod est m atrix embryoni, hoc est aqua fideli: in aqua enim fingitur et formatur. Primum dicebatur: Producant aquae reptile animae viventis... ex quo autem Jordanis fluenta ingressus est Dominus non amplius reptilia animarum vi ventium, sed animas rationales Spiritum sanctum ferentes aqua producit. [W as der Uterus fur den Embryo ist, das ist fur den Gläubigen das (Tauf-)W asser, da er im Wasser geformt und gestaltet wird. Denn zuerst heißt es: Es mögen die W asser das Reptil der lebenden Seele erzeugen. Seit er aber die Höhle des Jordans betreten hat, erzeugt Christus nicht mehr die Reptilien lebender Seelen, sondern das W asser erzeugt nun vom Heiligen G eist erfüllte, vernunftbegabte Seelen.] 195 Psych. un d A k h ., Abb. 8,19·
196 [J ung ,] D er G eist M ercurius, Paragr. 239 [und Anm. 214] und 247 f. 197 D e chem ia, p. 78. ,9e Wahrscheinlich identisch m it dem M arcus G raecUS, dem Verfasser des sog. «Feuerbuches». Er ist schwer zu datieren. (Siehe von Lippmann , Entstehung un d A usbreitung d er A lchem ie I. p.477 ff.) Seine Erwähnung bei Senior , dessen arabische Schriften vorliegen, dürfte ihn wohl vor das 10.J h . datieren. Bei B er THELOT, L a Chim ie au moyen-âge III, p. 124, ist ein Gespräch zwischen Marqouch, K önig von Ägypten, und Safendja, König von Said, erwähnt. Siehe dazu: T he A rabu Treatises on A khem y by M uham m ad B in U m ail (10.J h .) und den Excursus von STAPLETON AND HuSAIN [M . b. U m ail: H is D ate, W ritings, a n d Place in A khem ical History ] , p. 175.
199
Stapleton (1. c., p. 17712) hat hier: « It is a house, which is called the grave (qabr) o f Sahafa
She said (qälat) etc. Possibly the name Märiyah has been omitted.» [Es ist ein Haus, welches das Grab von Sahafa genannt wird. Sie sagte usw. Möglicherweise wurde der Name M. ausgelassen.]
3. Das Enigma Bolognese
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lapidibus adurentibus, et bibunt super eis sanguinem hircorum nigrorum, manentes in umbra, concipiunt in balneis, et pereunt in aëre, et gradiuntur supra mare et manent in monumentis et etiam manent in sepulchris, et pugnat reptile contra mascu lum suum, et in sepulchro manet masculus eius 40. noctibus et in domuncula 40. nocti bus» usw. (Ebenso hat Marchos gesagt: Es ist dies die Zeit bei diesem Erzeugten, daß es geboren werde, worüber er das folgende Gleichnis macht: W ir werden ihm dann ein sol ches Haus bauen, welches das Grabmal von Sahafä genannt wird. Er «(beziehungsweise Maria)» hat gesagt: Es gibt eine Erde201 bei uns, welche torm os202 genannt wird, in wel cher sich Schlangen203 ^beziehungsweise Hexen)· befinden, welche das D unkle204 aus den ätzenden «(wörtlich: brennenden^ Steinen «(respektive Mineralien)» fressen und auf diesen das Blut schwarzer Böcke trinken205; im Dunkeln bleibend, empfangen sie in den Bädern206 und gebären in der Luft, und sie schreiten auf dem M eere207, und sie halten sich in Grabmälern und auch in Grüften auf, und die Schlange kämpft gegen ihr Männ chen, und ihr Männchen verharrt für 4 0 N ächte im Grabe und im kleinen Hause für 40 N äch te208 usw.) 200 Statt pereunt (vgl. l.c., p. 79: «parit in aere»), 201 Oder eine «Gegend»? 202 D as griechische τόρμο? = Loch? D er arabische T ext hat tümti. m Das arabische W o rt für «reptile» hat eigentlich die Bedeutung von «Hexe». Siehe STAPLEto n
(l.c., ρ. 17714): «The Arabie word properly means witches who consume the livers {iecora statt
opaca} o f children and drink the milk o f black goats [Das arabische W o rt bedeutet eigentlich Hexen, welche die Leber von Kindern verzehren und die M ilch schwarzer Ziegen trinken]. StapleTON verwirft «reptile».
204 Arabisch: die Leber. 205 Dies erinnert an ein Altarfeuer und ein Bocksopfer. Vgl. «optimus sanguis hircinus» [bestes Bocksblut] (A urora com. I, c p .X , pp.86/87). Schon bei P ibechios (BERTHELOT, A ich. Grecs, III, x x v . 3, p. 186) ist αίμα τρά γου ein Synonym des göttlichen Wassers. Das Blut wird hier ähnlich
gebraucht zur «Ernährung der Geister», wie in der Nekyia, wo Odysseus schwarze Schafe und für Teiresias besonders einen schwarzen W idder opfert: «Schwarz entströmte das Blut, und aus dem Erebos kamen / Viele Seelen herauf der abgeschiedenen Toten» ( Odyssee, 11.Gesang, V . 32ff.). 206 Dies dürfte sich auf den «gelösten» Zustand im flüssigen Medium beziehen. “ 'A ls volatilia [flüchtige Substanzen] und vapores [Dämpfe]. 208 Dies dürfte wohl ein christlicher Einfluß sein. Das A quarium sapientum (M m . herm ., p.117) sagt darüber: «Christus in deserto quadraginta diebus totidemque noctibus jejunavit, quemadmo dum etiam per quadraginta menses in terra condonatus est, et miracula edidit: per quadraginta ho ras in sepulcro jacuit: quadraginta dies, inter resurrectionem a mortuis, et adseensionem suam ad coelos, cum discipulis conversatus vivum sese ipsis repraesentavit» [Christus fastete in der W üste vierzig Tage und Nächte, wie er auch während vierzig Monaten auf Erden weilend Wunder wirkte und vierzig Stunden im Grabe lag; vierzig Tage sind es auch zwischen seiner Auferstehung von den Toten und seiner Auffahrt zum Himmel, als er sich seinen Jüngern als Lebendiger offenbarte]. «Vierzig» ist eine Präfiguration der Dauer des Werkes. Nach 1. M ose 50,3 dauert das Einbalsamieren der Ägypter 40 Tage. Vierzig scheint eine magische Vielheit der Vier, nämlich 10 (denarius!) X 4.
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II Die Paradoxa
Die lateinische Übersetzung «Schlangen» statt «Hexen» hängt zusammen mit der weitverbreiteten primitiven Vorstellung von Totengeistern als Schlan gen, wozu das Opfer von Bocksblut nicht übel paßt, indem Opfer schwarzer Tiere an chthonische Numina die Regel bilden. Im arabischen T ext handelt es sich um weibliche Wüstendämonen (jinns). Darum heißt es, daß sie «im Bade empfangen» und «gegen ihre Männchen kämpfen». Das grabbewohnende N u men ist eine ebenfalls weitverbreitete Anschauung, die bis in die christliche Le gende hineinreicht. Ich habe diese Vorstellung einmal in einem bedeutsamen Traum eines zweiundzwanzigjährigen Theologiestudenten angetroffen. Ich gebe den Traum vollständig wieder, so daß diejenigen meiner Leser, die sich auf die Sprache des Traumes verstehen, den ganzen Umfang des angedeuteten Pro blems erkennen können m. Der Träumer steht vor einem verehrungswürdigen schwarz gekleideten Greis. Er weiß, daß dies der weiße Magier ist. Dieser hat soeben eine längere Belehrung beendet, an die sich der Träumer nicht erinnern kann. Er behielt nur die letzten Worte des Ma giers: «Und hier brauchen wir nun die Hilfe des schwarzen Magiers.» In diesem Au genblick geht die Türe auf, und herein tritt ein ganz ähnlicher verehrungswürdiger Grés, in W eiß gekleidet. Der Träumer weiß, daß dies der schwarze Magier ist. Die ser wirft énen fragenden Blick auf den Träumer. Der wetße Magier aber bemerkt schnell: «Du kannst ruhig reden. Er
3. Das Enigma Bolognese
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Das Grabmal war offenbar vom Geiste der Jungfrau bewohnt, welche sich zum König als dessen Anima verhält. Sie wird, wie die Nymphe bei M a l v a s iu s ,
zum Verlassen ihrer bisherigen W ohnstätte genötigt. Ihre chtho-
nische und finstere Natur verrät sich durch die Verwandlung in ein schwarzes Pferd, das eine Art von Wüstendämon darstellt. Es handelt sich hier also um die weitverbreitete Auffassung der Anima als Pferdeweib und Nachtmar, ein ei gentlicher «spiritus improbus» (böser Geist) und zugleich um das bekannte Märchenmotiv des alternden Königs, dem die Lebenskraft abhanden gekommen ist. Als sous-entendu scheint eine lebenerneuernde magische Hochzeit mit der Nymphe geplant zu sein (etwa in der Art des unsterblichen Merlin mit seiner Fee), denn im Paradies, dem Apfel- und Liebesgarten, einen sich alle Gegensät ze: «Ihre W üste machte er zum Paradies und ihre Steppe gleich dem Garten des Herrn» (Jesaja 51, 3), und dort «wird der W o lf zu Gast sein bei dem Lamme und der Panther bei dem Böcklein lagern. Kalb und Jungleu weiden beieinan der, und ein kleiner Knabe leitet sie. Kuh und Bärin werden sich befreunden, und ihre Jungen werden zusammen lagern; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Der Säugling wird spielen an dem Loch der Otter, und nach der Höhle der Natter streckt das kleine Kind die Hand aus» (Jesaja 11, 6 - 8 ) . Dort kom men W eiß und Schwarz in königlicher Hochzeit zusammen, «gleich dem Bräu tigam, der sich den Kopfschmuck aufsetzt, und wie die Braut, die ihr Geschmei de anlegt» (Jesaja 6 1 ,1 0 ). Die beiden gegensätzlichen Magier bereiten offenbar das W erk der Einigung vor, und was dies für einen jungen Theologen bedeuten muß, das kann man sich nur als jene große Schwierigkeit vorstellen, deren Lö sung die spekulative Alchemie als ihre vomehmlichste Aufgabe erachtet hat. Daher fährt unser SENIOR-Text fort: «..erit vacans sicut columbae albae210 et prosperabitur gressus et proiidet semen suum supra marmorem211 in simulachrum, et venient corvi volantes et cadunt supra illud et 2.0 D ie Liebesvögel der Astarte. 2.1 Marmor ist hier die weibliche Substanz, die sog. Satumia (oder Luna, Eva, Beya usw.), welche den Sol auflöst. «.. marmor coruscans, et illud est Elixir ad album» [der funkelnde Marmor wird mm weißen Elixier] (M ylius , Phil, ref., p. 234). «Et de là changea sa forme noire et devint comme marbre blanc et le soleil était le plus haut» [Und da wandelte sie ihre (?) schwarze Form und wurde
wie weißer Marmor, und die Sonne stand am höchsten] (Ms. 3022 Bibi, de l’Arsenal, Paris). Zum Höchststand der Sonne vgl. [J un g ,] D ie Visionen des Zosimos, Paragr. 86 (III, v 1”1), 9 5 ,1 0 7 f. «Mar mor» ist auch eine Bezeichnung der «aqua sibi similis» [des sich selber ähnlichen W assers], d.h. des Mercurius duplex (P hilalbtha, D e Metallorum metamorphosis in: M us. herm., p. 770). Unsere Stelle wird im Cons. coniugii (p. 167) kommentiert. «.. et proijcient semen super marmore simulach-
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II Die Paradoxa
colligunt. Deinde volabunt ad cacumina montium, ad quae nemo potest ascendere, et de albantur et ibi pullulant. .. Similiter non novit hoc nisi quae concoepit intra se in capite suo.» (Er
rorum, et in aqua sibi simili deifica, et venient corvi volantes, et cadunt super illud simulacrum. In tendit nigredinem ... per corvos.» (Sie werden ihren Samen auf den Marmor der Bildnisse > und in das sich selber ähnliche ^gleiche?) vergöttlichende Wasser projizieren.) D ie Auffassung des Con
silium scheint auf das hinzuweisen, was die Alchemie auch als «statua» bezeichnet. Der Ursprung dieser Idee liegt wohl im KoMARios-Traktat (B erthelot , Aich, grecs, IV , xx, 14, p.283). Es heißt, daß die Seele, nachdem der finstere Schatten vom Körper entfernt ist, den leuchtend gewordenen Körper aus dem Hades aufwecke, damit er sich aus dem Grabe erhebe, da er Geistigkeit und G ött lichkeit angezogen habe. Vgl. den genauen T ext unten, im Kapitel über «Die Statue» [Bd. II, Paragr. 224]. In der Aurora cons. II {A rt. a u ri/ I, p. 196) ist die mater Alchimia ebenfalls eine Statue, die aber aus verschiedenen Metallen besteht. Ähnlich sind die sieben Statuen des Raymundus
Lullius (siehe Nortons Ordinali, Chap. I, in: Theatrum chemicum Britannicum , p.21). Bei M yuus {Phil, r e f , p. 19) heißt es: «Maximum quidem mysterium est creare animas, atque corpus inanime in statuam viventem confingere.» [D as größte Wunder besteht darin, Seelen zu erschaffen und den leblosen Körper in eine lebendige Statue umzuformen.] Nach der mandai sehen Lehre (B ousset .
Hauptprobleme der Gnosis, p.34) und der naassenischen (H ippolytus , Elenchos, V, 7, 6, p.80) war Adam eine «körperliche» oder «leblose» Säule. Ebenso heißt es bei H egemonius {A cta Archelai. V III, 7, 25, l.c., p. 13), daß der «vir perfectus» eine «Lichtsäule» sei, und auf diesen bezieht sich der Satz: «Tunc autem haec fient, cum statua venerit» [D as wird aber dann geschehen, wenn die Statue kommt] (Le., X I II , p.21). A u f solche Vorstellungen geht ein Satz wie der des R aymundus Lul lius ( Codicillus, cp .X L II?) zurück: «Semper extrahis oleum < = anim a) a corde statuarum: quia
anima est ignis in similitudine, et ignis occultatus.» [Immer extrahiert man das O l
Senior {D e chemia., p.65) sagt: «Calefacimus eis aquam extractam a cordibus statuarum ex lapidibus» [W ir wärmen sein < ? ) W asser, das von den Herzen der Statuen aus Stein kom m t]. Une im Ros. phil. {A rt. aurif. II, p.335) heißt es: « ... animas venerari in lapidibus: est enim mansio earum in ipsis» [Seelen in Steinen verehren: sie haben nämlich in diesen ihre B leib e]. Vgl. dazu die in Kreuzform errichtete Statue des Hermaphroditen, welche «schwitzt», bei B arDESANES
(Schultz , Dokumente der Gnosis, p .L V ). D ie Statue oder Säule steht in Beziehung zum Licht- und Feuerbaum sowohl wie zur W eltachse. V gl. dazu die von Adonai Sabaoth errichtete Säule im Buch II der Sibyllinischen Weissagungen, V.239f- [hg. KuRFESS, p .6 l]. W eiteres in: [JUNG,] D er philoso
phische Baum, Paragr. 421 ff.
212Siehe STAPLETON and H usain , Excursus, p. 178. 215 Arabisch: sie werden Eier legen (Stapleton and H usain , 1. c ) .
?. Das Enigma Bolognese
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Unser T ext beschreibt die Auferstehung nach dem Tode, und, wenn nicht al les trügt, geschieht diese in Form einer coniunctio, eines Zusammenkommens des W eißen (Taube) mit dem Schwarzen (Rabe), nämlich dem Geiste, der den Grabstein bewohnt (siehe die Belege in der obigen Fußnote!). D a in diesem Fall fiir das Weibliche sowohl wie das Männliche, wie das übrigens häufig ge schieht, theriomorphe Symbole (Schlangen und Tauben) gesetzt sind, so deutet dieser Umstand auf die Vereinigung unbewußter Faktoren214. Die Raben, die den Samen (oder das Vereinigungsprodukt?) aufnehmen215 und damit auf die Bergspitzen fliegen, stellen spiritus oder etwas wie hilfreiche Geister (familia res?) dar, welche das W erk dort vollenden, wo das Können des Artifex nicht mehr hinreicht. Es sind nicht, wie im « Faust», schöne Engel, sondern dunkle Boten des Himmels, welche bei dieser Gelegenheit selber «weiß» werden216. Übrigens sind auch die Engel im « Faust» nicht aller Verflihrungskunst ledigzu sprechen, und das «non posse peccare» (Nicht-sündigen-Können) der Engel überhaupt ist bekanntlich so relativ zu nehmen, daß die Frauen wegen einer ge wissen moralischen Schwäche der gefiederten Himmelsboten, welche sich in Urzeiten schon einmal als fatal erwiesen hat, in der Kirche das Haupt verhüllen müssen. Ähnliche Motive kommen auch in modernen Träumen vor, und zwar bei Personen, die auch nicht von ferne mit Alchemie zu tun haben. So träumt ein Patient folgendes: «Am Fuße einer hohen Felswand brennt ein großes Holzfeuer; die
Flammen steigen hoch auf mit Rauchentwicklung. Die Gegend ist einsam und roman tisch. Hoch in den Lüften kreist eine Schar großer schwarzer Vögel über dem Feuer. Von Zeit zu Zeit schießt einer der Vögel im Sturzflug direkt in das Feuer, um er den selbst gewollten Verbrennungstodfindet - dabei wird er weiß211.» W ie der Träumer spontan anmerkte, hatte der Traum numinosen Charakter, was in Anbetracht seiner Bedeutung leicht verständlich ist: handelt es sich doch um ein Phönix wunder, das heißt um eine Wandlung und Wiedergeburt (Verwandlung der ni-
214 Z ur Z eit der Behandlung des Gegensatzproblemes bei einer Patientin träumte diese: «Am
Ufer eines Sees
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II Die Paradoxa
gredo in die albedo, der Unbewußtheit in «Erleuchtung»!), entsprechend den Versen des « Rosariumphilosophorum» 21S: Darauß zwen Adler fügen und verbrennen jr gefider Und fallen bloß in die Erd nider. Und werden hinwider gefidert schon.. .
Kehren wir nach diesem Exkurs über Wandlung und Auferstehung zu dem Motiv der Eiche, das von den Kommentatoren des «Enigma» zur Diskussion ge stellt wurde, zurück. W ir begegnen der Eiche noch in einem anderen alchemistisehen Traktat, nämlich im « Introitus apertus ad oedusum regis palatium» des P h i l a l e t h a . Es heißt dort: «Lerne also, wer die Gefährten des Cadmus sind, wer die Schlange, die jene auffraß, was die hohle Eiche (cava quercus) ist, an welche Cadmus die Schlange, sie durchbohrend, geheftet hat.»218219 Zum Verständnis dieser Stelle muß ich auf den Mythus des Kadmos, eines Verwandten des pelasgischen Hermes ithyphallikos220, zurückgreifen. Der Held zog aus, um seine verlorengegangene Schwester Europa zu suchen. (Diese hatte sich von Zeus, der sich zu diesem Zwecke in einen Stier verwandelte, entfuhren lassen.) Er erhielt aber den göttlichen Befehl, die Suche aufzugeben und statt dessen einer Kuh, die beiderseits durch Mondflecke gezeichnet war, zu folgen, bis sie sich zur Ruhe niedergelegt habe. Zugleich wurde ihm Harmonia, die Tochter von Ares und Aphrodite, zur Frau versprochen. Als die K uh sich nie derlegte, wollte er sie opfern und sandte seine Gefährten aus, um das zum Opfer nötige Wasser zu holen. Sie fanden es in einem dem Ares heiligen Hain, der von einem Drachen, dem Sohn des Ares, bewacht war. Dieser tötete die mei sten. Kadmos, darüber ergrimmt, erschlug den Drachen und erhielt Harmonia zur Gattin. Die Zähne des Drachen säte er aus, worauf gewappnete Männer der Erde entstiegen, die sich gegenseitig bekämpften und töteten, so daß nur fünf übrigblieben, die ihn zum Führer erkoren. Die Anheftung der Schlange an die Eiche scheint eine Zutat unseres Autors zu sein. Dieser Akt stellt die Bannung des gefährlichen Dämons in die Eiche dar221, worauf nicht nur der Kommentar 218 A rt. au rif. II, p.293. [Vgl. JUNG, D ie Psychologie der Übertragung, Paragr. 528.] 219 Mus. h e r m p.654. 220 Als Kulturheros wird Kadmos vom 3 .Jh . v. Chr. an m it Hermes Kadmilos identisch. 221 W ie die Hamadryaden Baumnumina sind, so auch die Schlangen. Eine Schlange hütet den Hesperidenbaum und die Areseiche in Kolchis. Melampus erhält die Sehergabe von Schlangen, die er in einer hohlen Eiche fand.
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zur Aelia-Inschrift bei M a l v a s i u s , sondern auch das GRiMMsche Märchen vom «Geist in der Flasche» hinweist222. Der psychologische Sinn des Mythus ist durchsichtig: Kadmos hat seine » Schwester-Anima verloren, weil diese m it dem höchsten Gotte in das Reich des Über- und Untermenschlichen, nämlich in das Unbewußte, entflohen ist. Auf göttliches Geheiß soll er keine Regression zur Inzestsituation begehen, darum wird ihm eine Frau in Aussicht gestellt. Seine Schwester-Anima fuhrt ihn als Psychopompos in Kuhgestalt (dem Stier-Zeus entsprechend) seinem Schicksal als Drachentöter entgegen, denn der Übergang vom Bruder-Schwester-Verhältnis zur exogamen Beziehung ist nicht so einfach. Aber wenn er ihm gelingt, so erreicht er Harmonia, die eine Schwester des Drachen ist. Der «Drache» ist offen kundig Disharmonie, wie die aus seinen Zähnen hervorgehenden Kämpfer be weisen. Diese erledigen sich aber gegenseitig selber, wie in Anwendung der pseudo-demokritischen Maxime: «Natura naturam vincit» (D ie N atur besiegt die N atur), welche nichts anderes ist als die begriffliche Formulierung des Ouroboros. Kadmos hält sich an Harmonia, während die Gegensätze des Unbe wußten sich in projizierter Form gegenseitig selber auffressen. Dieses Bild stellt das Verhalten eines abgespaltenen Konfliktes dar: er verläuft in sich selber. Im Großen ist dies der Fall mit Yang und Y in in der klassischen chinesischen Phi losophie. Damit geht Hand in Hand das Unbewußtsein der moralischen Gegen satzproblematik. Erst mit dem Christentum fingen die «metaphysischen» Ge gensätze an, in das menschliche Bewußtsein einzudringen, und zwar in der Form einer beinahe dualistischen Gegenüberstellung, die im Manichäismus ih ren höchsten Gipfel erreichte. Diese Häresie zwang die Kirche zu einem wichti gen Schritte, nämlich zur Formulierung der Lehre von der privatio boni, mittels welcher sie die Identität von «gut» und «Sein» feststellte. Das Böse als ein μή öv (ein Nichtseiendes) fiel zu Lasten des Menschen - «omne bonum a Deo, omne malum ab homine» 223! Diese Idee zusammen mit derjenigen des peccatum ori ginale bildete die Grundlage zu einem moralischen Bewußtsein, das in der Menschheitsgeschichte ein Novum darstellt: es wurde nämlich die eine Hälfte des vordem wesentlich metaphysischen Gegensatzes auf eine psychische Gege benheit reduziert, und der Teufel hatte sein Spiel verloren, wenn er nicht auf eine moralische Schwäche des Menschen stieß. Das Gute aber blieb metaphysi sche Substanz, die ihren Ursprung in Gott und nicht im Menschen hatte. Die
222 [J ung ,] D er Geist Mercurius. 225 [Alles Gute von Gott, alles Böse vom Menschen] Siehe A ion, Paragr. 80ff.
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II Die Paradoxa
macula peccati hatte das ursprünglich gute Geschöpf verdorben. In der dogma tischen Anschauung ist daher das Gute noch völlig projiziert, das Böse dagegen nur teilweise, insofern die Leidenschaft des Menschen eine wesentliche Quelle desselben ist. In der alchemistischen Spekulation setzt sich dieser Prozeß der Inte gration metaphysischer Projektion insoweit fort, als darin ein Bewußtsein davon, daß die Gegensätze psychischer Natur sind, wenigstens zu dämmern beginnt. Sie drücken sich zunächst in der Duplizität des Mercurius aus, welche in der Einheit des lapis (unus est lapis!) aufgehoben ist. Der lapis wird vom Adepten (D eo conceden te) gemacht und wird als Äquivalent des homo totus erkannt. Diese Entwicklung er scheint als von hoher Bedeutung, insofern sie einen Versuch zur psychischen Inte gration der (vordem projizierten) Gegensätze darstellt. Die alchemistische Deutung wird Kadmos als Mercurius in männlicher Form (als Sol) erklären. Er sucht nach seinem weiblichen Gegenstück, dem ar gentum vivum, das eben seine Schwester (Luna) ist. Diese tritt ihm aber in der Form des serpens mercurialis entgegen, den er zuerst erlegen muß, da er den wütenden Kam pf der gegensätzlichen Elemente ( = Chaos) in sich enthält. Daraus entsteht die Harmonie der Elemente, und die coniunctio kann stattfinden. Die spolia des Kampfes, in diesem Fall die Drachenhaut, werden nach alter Sit te an die hohle Eiche, die Mutter, geopfert, als an die Vertreterin des heiligen Haines und der Quelle, also an das Unbewußte als Ursprungsstätte des Lebens, welches aus Disharmonie Harmonie hervorgehen läßt224. Aus der Feindschaft der Elemente wird der im lapis besiegelte Freundschaftsbund derselben, welcher die Unauflösbarkeit (incorruptibilitas) des Steines gewährleistet. Dieser alche mistischen Logik kommt die Tatsache entgegen, daß nach dem Mythus Kad mos und Harmonia zu Stein erstarren (offenbar infolge eines embarras de ri chesse: aus lauter Harmonie geschah nichts mehr!), nach anderer Version selber zu Schlangen wurden «et même en basilic», wie Dom P e r n e t y bemerkt, «car le résultat de l’œuvre incorporé avec son semblable, acquiert la vertu attribuée au basilic, comme le disent les Philosophes».225 Für diesen phantasiereichen Autor
224 D as Antönen musikalischer Vorstellungen bestätigt sich in der Alchemie insofern, als es dar in auch musikalische Kompositionen gibt. M aier hat sich in der A talanta fugiens in dieser Kunst versucht. Beispiele finden sich abgedruckt bei J ohn R ead , Preluäe to chemistry, p. 281 ff. Zur Paralle lisierung der Alchemie m it der Musik siehe B erthelot , Aich, grecs, III, x u v , 1, p.212, und V I, XV, 2 ff., p .4 l0 f. 225 [und sogar zu einem Basilisken / .. denn das Ergebnis des W erkes, m it seinem Abbild einver leibt, nim m t die dem Basilisken zugeschriebene Kraft an, wie die Philosophen sagen.] Les Fables
égyptiennes et grecques II, p. 121.
3. Das Enigma Bolognese
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ist Harmonia natürlich die prima materia, und die unter Assistenz aller Götter stattfmdende Hochzeit des Kadmos226 die coniunctio Solis et Lunae, aus wel cher dann die Tinktur beziehungsweise der lapis hervorgeht. P e r n e t y s Deu tung der Harmonia würde nur dann richtig sein, wenn sie noch mit dem Dra chen verbunden wäre. D a sie aber das Reptil verloren hat, muß sie folgerichti gerweise später m it ihrem Gatten sich in eine Schlange verwandeln. So bleibt M a l v a s i u s mit den interessanteren seiner Kommentatoren im es Bannkreis alchemistischer Mythologeme, was insofern nicht verwunderlich ist, als die Hermetische Philosophie in dem ihr damals zukommenden weiteren Sinne die einzige geistige Methode war, die einige Hilfe versprach bei der not wendigen Auffüllung dunkler Löcher in der Kontinuität des Verstehens. Das Enigma Bolognese und dessen Kommentierung ist sogar das Paradigma κατ’ έξοχήν für die Methode der Alchemie überhaupt. Es hat genau gleich gewirkt wie die Unbegreiflichkeit der chemischen Vorgänge: W ie diese, so hat der Phi losoph auch die Paradoxie der Aelia-Inschrifi so lange angestarrt, bis die arche typischen Strukturen des kollektiven Unbewußten das vor ihm liegende Dunkel zu erhellen anfingen227. Und, sollte nicht alles täuschen, auch die Inschrift scheint eine Phantasie zu sein, welche ihren Ursprung jener paradoxen massa confusa des kollektiven Unbewußten verdankt. Der Gegensätzlichkeit des Un bewußten kommt der Archetypus der hochzeitlichen coniunctio hilfreich entge gen, und durch ihn wird das Chaos geordnet. Der Versuch einer Feststellung des unbewußten Zustandes begegnet einer ähnlichen Schwierigkeit wie die Atomphysik: der Akt der Beobachtung verändert das Objekt derselben. Infolge dessen ist vorderhand kein W eg abzusehen, auf dem eine objektive Feststellung über die eigentliche Natur des Unbewußten möglich wäre. W enn man nicht mit M a l v a s i u s von der antiken Herkunft der Aelia-In- 86 Schrift überzeugt ist, so muß man sich in der mittelalterlichen Literatur nach möglichen Quellen oder wenigstens Analogien umsehen. In dieser Hinsicht
226 P e r n b t y leitet die Cadmia von Cadmus her. Cadmia wird bei R uland als Kobalt verstanden (was Kobold bedeutet). Cadmia scheint Zinkoxyd und sonstige Zinkverbindungen zu bedeuten.
(v. Lippmann , Entstehung und Ausbreitung der Alchemie II, p. 24) Kadmos kommt in die Alchemie hinein, da er die Kunst des Goldgrabens und -bearbeitens erfunden habe. Cadmia findet sich schon im Arzneischatz des G alen als trocknendes M ittel bei tiefen Geschwüren. (D e simplicium medica
mentorum facultatibus, IX , col. 1122) Ebenso ist sie P linius ( N aturalis historiae libri X X X V II, X X X I I , cp. 7, IV , p. 424, und X X X I I I , cp. 5, V , p .35 usw.) bekannt. 227 Etwa ähnlich, wie der Hochzeitsreigen der tanzenden Paare in der KEXULEkhen Benzolring vision. [Vgl. J u n g , D ie Psychologie der Übertragung, Paragr. 353.]
106
II Die Paradoxa
könnte das Motiv der dreifachen Todesvoraussage respektive -Ursache weglei tend sein228. Dieses Motiv findet sich in der «Vita Merlini» im alten französi schen Roman de Merlin sowie in dessen späteren Nachahmungen in der spani schen und englischen Literatur des 15.Jahrhunderts. Ein Hauptstück in dieser Hinsicht scheint mir aber das sogenannte Hermaphroditus-Epigramm, das M a t h ie u d e
V en dôm e
(um 1150) zugeschrieben wird, zu sein. Es lautet:
Cum mea me mater gravida gestaret in alvo, Quid pareret fertur consuluisse deos. Phoebus ait ‘puer est’, Mars 'femina, luno 'neutrum. Iam, qui sum natus Hermaphroditus eram. Quaerenti letum dea sic ait 'occidet armis; Mars: Cruce; Phoebus: Aqua. Sors rata quaeque fuit. Arbor obumbrat aquas; conscendo; labitur ensis Quem tuleram casu, labor et ipse super; Pes haesit ramis, caput incidit amne, tulique —Vir, femina, neutrum —flumina, tela, crucem2292301. Auf eine andere Parallele, die, im Gegensatz zu der eben erwähnten, spät an tiken Datums ist, verweist M
a ie r .
Es
handelt sich um ein «Aenigma Platoni
cum»: «Vir, non vir, videns, non videns, in arbore, non in arbore, sedentem non sedentem, volucrem, non volucrem, percussit, non percussit, lapide, non lapi de250.» Die Lösung ist: Ein einäugiger Eunuch hat eine an einem Strauch hän gende Fledermaus mit einem Bimsstein leicht gestreift251. Dieser Scherz war al
228 Siehe dazu Cr a w fo r d , E l Horoscopo det H ijo d el Rey A lcaraz en d «L ibro d e Buen A m or», pp. 184 ff.
229 «Als meine Mutter, schwanger, mich im Leibe trug,/ Da, hieß es, habe sie die Götter gefragt, was sie gebären würde./ Phöbus sagt: Es ist ein Knabe; Mars: Ein Mädchen; Ju no: Keines von bei den./ W ie ich geboren wurde, war ich ein Zwitter./ A uf die Todesfrage sagt die Göttin: Er wird durch W affen umkommen;/ Mars: Am Kreuz; Phoebus: Im Wasser. Das Schicksal hat bestimmt, daß es jedes sei./ D er Baum überschattet das W asser; ich steige hinauf,/ Das Schwert, das ich trug, entfällt mir zufällig, und ich falle darüber./ Der Fuß bleibt in den Zweigen hängen, das Haupt fällt in den Strom/ Und ich - männlich, weiblich, keins von beiden - habe Wasser, W affe und Kreuz erduldet.» (T ra u be , 0 Rom a nobilis, p. 317 ff.) 230 Symb. aureae mensae, ρ. 171. [Ein Mann, kein M ann; sehend, blind; im Baum, nicht im Baum; sitzend, nicht sitzend; trifft und trifft nicht m it einem Stein, der kein Stein ist, einen Vogel, der kein Vogel ist.] 231 Das Rätsel bezieht sich auf die Bemerkung P latons (P oliteia, V , 479 B C ): «Es gleicht, sagt er, dem, was man Doppelsinniges auf Gastmahlern vorbringt und dem kindischen Rätsel von des
3. Das Enigma Bolognese
107
lerdings zu handgreiflich, als daß er zu einer alchemistisehen Auswertung An laß geboten hätte. Ebenso ist das Hermaphroditus-Epigramm den Alchemisten verborgen geblieben, soviel ich weiß. Es wäre vielleicht ein etwas günstigeres Objekt für ihre Deutung gewesen. Spielerische Vorlagen dieser Art liegen wohl der Aelia-Inschrift zugrunde. Der Ernst, den die Alchemisten aus dem Spiel ge macht haben, hat aber nicht bloß darin seine Berechtigung, daß ein Ernst hinter jedem Scherz steht, sondern auch darin, daß die Paradoxie das natürliche Me dium darstellt, worin sich bewußtseinstranszendente Tatbestände ausdrücken können. Die Sprache der indischen Philosophie, welche ähnliche transzendente Begriffe zu formulieren sich bestrebt, nähert sich daher nicht selten jener Para doxie, die unserem Gebiete so vertraut ist, wie folgendes Beispiel zeigt: Ich bin kein Mensch, - bin auch kein G ott, kein Kobold, kein Brahmane, Krieger, Bürger, Shüdra, kein Brahmanschüler, kein Hausvater, Waldeinsiedel, auch Bettelpilger bin ich nicht, Erwacher zum Eigen ist mein W esen 2’2.
Eine weitere, wohl ernstlich in Betracht kommende Quelle ist bei R ichar DUS V i t u s
von Basingstoke erwähnt2” . Er hält dafür, daß die Aelia Laelia eine
«Niobe transformata» darstelle, und stützt diese Deutung durch den Hinweis auf
ein Epigramm, das dem A g a t h i a s S c h o l a s t i c u s , einem byzantinischen
Geschichtsschreiber, zugeschrieben wird254. Es lautet folgendermaßen: Eunuchen W u rf nach der Fledermaus, wo sie damit spielen, womit und worauf er sie geworfen habe.» Das Scholion hiezu gibt das oben zitierte «Vir non vir» usw. In anderer Form als R ätsel des Panarkes angeführt (A thenaeus, Deipnosophistes, X IV , 16): ό τ ι β ό λ ο ι ξύ λ ω τ ε καί ού ξΰ λ ω καθημένην ό ρ ν ιθ α και ούκ ό ρνιθα άνηρ τ ε κ’ούκ άνήρ λ ίθ ω τ ε καί οΰ λίθιρ τούτον γά ρ έσ τι τό μέν ν ά ρθηξ, τό δέ νυκτηρί?, τό δε εύνοϋχο?, τό δ έ κίσηρι?. [..d aß er werfe auf Holz, das kein Holz ist, einen dasitzenden Vogel, der keiner ist, er selber ein Mann und keiner, mit einem Stein, der keiner ist. M it all dem ist gemeint: ein Strauch, eine Fledermaus, ein Eunuch, ein Bims stein.] 252 Z im m er , D er Weg zum Selbst, p. 54. 2» R ichardus V it u s B asinstochius, Aelia Laelia Crispis epitaphium antiquum usw. 254 D ie Autorschaft des Agathias ist unsicher. Er befand sich 577 und 582 in Byzanz. Er verfaß te unter anderem einen Κ ύ κλ ο ? τώ ν νέων έιτιγραμμάτων [Zyklus neuer Epigramme], von wel chen viele in der A nthobgia Palatina et Planudea noch erhalten sind. Darunter findet sich auch das unsrige. (Siehe A nthobgia Graeca epigrammatum, ed. STADTMÜLLER II/ l, p.210, Nr. 311.) Bei Eu sth a tiu s M acrem bolites ( Aenigmata, p.209, 8 H ) findet sich die oben erwähnte Deutung eines H o lobolus , das Epigramm beziehe sich auf Lots W eib.
108
II Die Paradoxa
Dieses Grab hat innen keinen Leichnam. Dieser Leichnam hat außen kein Grab. Sondern er ist sich selber Leichnam und G rab35.
Allerdings meint V
it u s ,
überzeugt von der Echtheit des Bologneser Monumen
tes, A g a t h i a s habe sein Epitaph in dessen Nachahmung geformt, während es irgendwie ein Vorläufer sein oder doch wenigstens von derselben Quelle, aus welcher der unbekannte Verfasser der Aelia-Inschrift geschöpft hat, stammen muß. Die Niobe scheint für R i c h a r d u s V
it u s
einen Animacharakter zu haben,
denn, in seiner Deutung fortfahrend, faßt er die Aelia (oder, wie er schreibt: «Haelia») als Anima, von der er m it V e r g i l 3 6 sagt: «Igneus est illi vigor et Coelestis origo: a qua nunc hic Haelia nominatur.» (Feurig ist ihr die Kraft und himmlisch der Ursprung. Von dieser nimmt nun hier «Aelia» ihren Namen.) «Laelia» aber werde sie genannt wegen der Luna, welche auf die Seelen der Menschen einen verborgenen Einfluß ausübe. Die menschliche Seele sei «Androgyna» (mann-weiblich) «cum virgo viri, et vir muliebrem gerit» (da die Jungfrau eine männliche und der Mann eine weibliche Seele habe)237. Dieser be merkenswerten psychologischen Einsicht fügt VlTUS noch eine andere bei: die Seele sei auch als «altes W eib» bezeichnet, da der Geist (animus) junger Leute schwach sei, womit die Erfahrung, daß die anima bei allzu jugendlicher Einstel lung des Bewußtseins in Träumen oft als alte Frau dargestellt wird, treffend aus gedrückt ist. Man sieht, unser Autor rät deutlicher und psychologischer auf die Seele als der oben erwähnte A l d r o v a n d u s . W ährend dieser ihren mythologischen, so hebt jener ihren philosophischen Aspekt hervor. In seinem Brief vom Februar 1567 an J
oh an n es
T u r r iu s
schreibt er, daß die Seele eine Idee sei «von so gro
ßer Macht, daß sie die Formen selbst und die Dinge erzeuge», auch habe «sie sozusagen die Selbstheit der ganzen Menschheit in sich238». Sie stehe über aller individuellen Verschiedenheit. « .. sic si seipsam volet anima cognoscere, in ani mam debet intueri, inque eum praecipue locum, in quo inest virtus animae, sa-2 2'\ . δ Τύμβο? ούτο? Έ νδον ούκ εχει νεκρόν / δ νεκρό? ούτο?, έκτο? ούκ εχει τάφον, / ά λ λ ’ αυτό? αυτου νεκρό? έστι καί τάφο?. (V itus , L e, ρ. i l ) 36 [A eneis, V I Vers 730.] 257 [Zitate l.c., pp. 27 und 29-] Diese psychologische Erkenntnis, die wir im 20.Jh . wieder ent decken mußten, scheint bei den Alchemisten des ausgehenden 16.Jhs. Gemeingut gewesen zu sein. 238 «.. habet in se ... totius Humanitatis quasi dicerem α ύ τό τη τα .» [Er hat in sich sozusagen die «Selbstheit» der ganzen Menschheit.] (I.C., p. 48)
3. Das Enigma Bolognese
109
pientia259.» (So, wenn sich die Seele selber kennen will, muß sie sich selber be trachten und in jenen O rt , wo die Kraft der Seele, die W eis heit, wohnt.) Das ist gerade, was den Erklärern der Bologneser Inschrift pas siert: in der Dunkelheit des Enigma schaut sich die Seele selber an und nimmt die ihrer Struktur innewohnende und zugrunde liegende Weisheit, die auch ihre ganze Stärke ausmacht, wahr. Und, fugt VlTUS bei, «nichts anderes ist der Mensch als seine Seele 24°». Bemerkenswerterweise ist nun aber diese Seele so ganz anders beschrieben, als etwa eine biologische oder personalistische Psycho logie von heutzutage sie darstellen würde: Sie ist aller individuellen Verschie denheiten bar; sie besitzt die «αύτότη? totius humanitatis» (Selbstheit der gan zen Menschheit), ja sie erzeugt sogar aus der Macht ihrer sapientia die Objekte. Diese Beschreibung paßt viel eher auf die anima mundi als auf die «animula va gula» des persönlichen Menschen, will einen bedünken, wenn nicht jene rätsel hafte Grundlage alles Seelischen, nämlich das kollektive Unbewußte, gemeint sein sollte. V
it u s
kommt zum Schluß, daß unsere Inschrift nichts anderes be
deute als die anima, die der Materie aufgeprägte und verbundene Form 241. Das ist wiederum gerade das, was den Erklärern unterläuft: sie formulieren den uner kennbaren Inhalt der Inschrift nach der Prägung, die ihr die Seele gibt. Die Ansicht des V i t u s ist nicht nur originell, sondern auch von nicht zu un terschätzender Tiefe. Allerdings fällt ihm dieses Verdienst nicht ungeschmälert zu, indem er, wie es scheint, zu seiner tieferen Auffassung erst durch den Brief des J
oh an n es
T u r r iu s
vom Januar 1567 gelangt ist. T U R R IU S ist der Ansicht,
daß Aelia und Laelia «forma et materia» darstellen. Das «nec coelo, nec aquis» usw. erklärt er folgendermaßen: «Da die prima materia nichts ist, sondern einzig durch die Imagination begriffen wird, so kann sie in keinem dieser Orte enthal ten sein242.» Sie ist nicht Gegenstand der Sinne (« ... sub sensum non cadat»), son dern wird nur durch den Intellekt erfaßt («solo intellectu concipitur»), darum könne man auch nicht wissen, wie jene Materie beschaffen sei. W ie ersichtlich, beschreibt auch die Auffassung des T
u r r iu s
die Projektion der Seele und ihrer
Inhalte, wobei die sekundäre Erklärung einer petitio principii gleichkommt. 2» l.c .,p .5 0 . 240 «.. nihil aliud esse hominem, quam animam ipsius.» [D er Mensch sei nichts anderes als seine Seele.] (1. c., p. 50) 241 «Animamque ut ideam hoc Epitaphio notari.» [D ie anima werde als Idee durch dieses Epi taph bezeichnet.] (1. c., p.46) 242 «Prima materia cum nihil sit, sed imaginatione sola comprehendatur, nullo istorum locorum contineri potest.» (l.c., p.40)
110 91
II Die Paradoxa
W ie schon aus dem Titel seines Buches hervorgeht: «Allegoriaperipatetica d e
generatione, amicitia et privatione in Aristotelicum Aenigma Elia Lelia Crispis»24i*, sieht F o r t u n i u s L i c e t u s die ganze aristotelische Philosophie in unserem Mo nument. Er erwähnt die Angabe, es sei «sculptum in silice, parietibus Aedium Divi Petri dudum inserto in eminenti loco» gewesen. Er sagt aber nicht, er habe es mit eigenen Augen gesehen, da es zu seiner Zeit nicht mehr bestand, wenn es überhaupt je bestanden hat. Er ist der Meinung, die Inschrift enthalte die Zu sammenfassung einer ernsthaften philosophischen Theorie von der Entstehung der res mundanae, der weltlichen Dinge und Geschöpfe, und zwar sei die Theo rie « seien ti fico-morali s» oder «ethico-physica», «Scopum Autoris esse mirifice complecti Generationis, Amicitiae ac Privationis attributa». Darum sei das Grabmal ein wahres Schatzhaus.244
9>
Nachdem L i c e t u s über eine Reihe früherer Autoren zum selben Thema refe riert hat, erwähnt er die Schrift des J . C a s p a r i u s G e v a r t i u s , welcher die Theo rie aufstellte, daß die Inschrift das W esen des «Amor» beschreibe. Dieser Autor bezieht sich auf die Verse des Komikers A l e x i s bei A t h e n a e u s : «Die Maler scheinen m ir... den Eros nicht zu kennen, alle die da Bilder von diesem Dämon machen. Er ist nämlich weder weiblich noch männlich, auch weder Gott noch Mensch, weder unverständig noch auch verständig, sondern irgendwie zusam mengesetzt aus allem; und er trägt in einem Urbild ( tuitos ) viele Einzelgestal tungen (είδη) in sich; denn sein W agem ut ist der eines Mannes, seine Feigheit die einer Frau, seine Unverständigkeit ist die des Wahnsinns, seine Vernunft (λόγο?) aber ist die eines Verständigen, seine ungestüme Leidenschaft ist die eines Tieres, seine unbezwingliche Leidensfähigkeit die des Diamanten und sein Ehrgeiz der eines Däm ons.»245
94
Die Originalschrift des J . C a s p a r i u s G e v a r t i u s konnte ich mir leider nicht beschaffen. Es gibt aber einen späteren Autor, C a i e t a n u s F e u x V e r a n u s , der in seinem W erke «Pantheon argenteae elocutionis» die Amortheorie anscheinend als seine eigene Erfindung wieder aufnimmt. Er erwähnt eine Reihe früherer Kommentatoren, unter denen aber G e v a r t i u s auffallenderweise fehlt. Da letz terer in früheren Listen genannt wird, so ist es kaum wahrscheinlich, daß dieser Autor dem V e r a n u s entgangen sein sollte. Der Verdacht des Plagiates liegt da24i Padua 1630. 244 pp. 166—169 [in Stein gehauen, lange im Bau von St. Peter an hervorragender Stelle in die W and eingelassen - D as Ziel des Autors sei es, auf wunderbare W eise die Attribute der Zeugung, Freundschaft und ihrer Frustration zu umfassen]. 245 Athenaeus, Dapnosopbistes, lib. X I I I , 13, p
3. Das Enigma Bolognese
111
her nahe. Er verficht seine Thesis m it viel Geschick, und bei der unleugbaren Paradoxie des Eros fällt ihm die Aufgabe, die er sich gestellt hat, auch nicht zu schwer. Von seinen Argumenten möchte ich nur eines, nämlich das über den Schluß der Inschrift, erwähnen: «Schließlich endet die Grabschrift», sagt er, «
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II Die Paradoxa
ligenz gekoppelt ist. Der Geist weht, wo er w ill... Es ist dem Verfasser C. Sc h w a r t z 248 mit unzulänglichen Mitteln geglückt, einen treffenden Einfall zu haben, dessen Tragweite er aber keinesfalls einsah. Er war nämlich der Ansicht, daß Lucius Agatho Priscius mit seinem Denkmal nichts anderes als die Kirche gemeint habe. Er hält die Inschrift daher nicht für klassischen, sondern christli chen Ursprungs, womit er gegenüber allen anderen zweifellos Recht hat. Aber seine Begründungen sind fadenscheinig: so will er das D .M . durchaus in «Deo Magno» verkehren - um nur ein Beispiel zu geben. Obschon seine Deutung nicht im geringsten überzeugt, so erscheint es doch als eine bedeutende Tatsa che, daß die Gestalt der Kirche zum Teil dasjenige ausdrückt und zum Teil an Stelle dessen steht, was die humanistischen Philosophen an seelischen Geheim nissen in die Aelia-Inschrift projizierten. Um nicht schon Gesagtes zu wiederho len, muß ich meinen Leser auf die Darstellung der Schutzfunktion der Kirche, welche sich in meiner Schrift «Psychologie und Religion» findet, verweisen248249. Die deutenden Projektionen, mit denen wir uns hier beschäftigt haben, sind mit Ausnahme der letzten identisch mit jenen seelischen Inhalten, welche zur Zeit der Renaissance und des großen Schismas aus dem Rahmen des dogmati schen Bildes herausgefallen sind und seitdem im Zustand der Säkularisierung verharrten, wo sie dem immanenten Erklärungsprinzip, das heißt der naturali stischen und personalistischen Deutung ausgesetzt waren. Daran hat erst die Entdeckung des kollektiven Unbewußten etwas geändert; in den Grenzen des seelischen Erlebnisses tritt dieses nämlich an die Stelle des Platonischen Reiches ewiger Ideen, und statt der modellhaften Formgebung durch die letzteren ge währt es durch seine Archetypen die apriorische Bedingung aller Sinngebung. Zum Schluß muß ich noch eines Dokumentes, welches mir in unseren Zu sammenhang zu gehören scheint, Erwähnung tun: es betrifft die Anekdote von M e is t e r E c k h a r t s
«Tochter». Ich setze dieses Stück in extenso und in der U r
sprache her: «Ein tohter kom ze einem predierklöster und vordert meister Eckeharten. D er porte-
nêre sprach, Si sprach, Er sprach, Si sprach
3. Das Enigma Bolognese
113
noch ein frow e noch ein w itw e noch ein junefrowe noch ein herre noch ein dierne noch ein kneht.) D e r portenêre gien c zuo m eister Eckehart. E r tet also. Si sprach zuo im , als si zuo dem portenêre gesprochen hete. E r sprach diebez kint, dîn rede ist w ârhaftig unde behende: berihte m ich baz, w ie dû ez m einest.) Si sprach
Dieses Stück ist mehr als zwei Jahrhunderte älter als die früheste Erwähnung 100 der Aelia-Inschrift und könnte darum, wenn überhaupt literarische Beeinflus sung vorliegt, höchstens von M a t t h i e u
de
V endôm e
abhängen, was mir aber
sowenig wahrscheinlich vorkommt wie die Herkunft der Vision des «nackigen Buben» von der antiken Idee des puer aetemus. In beiden Fällen handelt es sich nämlich um bedeutende Archetypen, in jenem um das «Göttliche Mädchen» (Anima), in diesem um das «Göttliche K ind251». W ie wir zur Genüge wissen, können solche Urbilder jederzeit und irgendwo spontan Wiedererstehen, ohne daß der geringste Beweis einer äußeren Übermittlung vorläge. So könnte diese Geschichte ebensogut die visionäre Phantasie des M e i s t e r E c k h a r t oder eines seiner Schüler oder eine Gerüchtbildung gewesen sein. Für ein wirkliches Ereig nis ist sie doch etwas zu eigentümlich. Aber gelegentlich ist die Wirklichkeit ebenso archetypisch wie menschliche Phantasie, und manchmal scheint «die Seele außerhalb des Körpers zu imaginieren 252», wo alsdann die Dinge gleich sam unsere Träume zu spielen beginnen. 2» P feiffer (H g.), Deutsche M ystiker des 1 4 .Jhs. II, p.625. 2,1 Siehe J u n g UND K f.r é n y i , E inführung in das Wesen d er M ythologie [J u n g s Beiträge G W I X /l]. 252 D e sulphure (M us. herm ., p.617): « .. anima, ... quae extra corpus profundissima imaginatur et hisce assimilatur D eo [die Seele, welche außerhalb ihres Körpers vieles Tiefste imaginiert und darin Gott ähnlich ist].
III
DIE PERSONIFIKATIONEN DER GEGENSÄTZE
1. EIN LEIT U N G
Die alchemistische Bemühung, die Gegensätze zu einigen, gipfelt in der «Chymischen Hochzeit» als dem das W erk vollendenden supremen Einigungsakt. Nachdem die Feindschaft der vier Elemente überwunden ist, besteht immer noch der letzte und stärkste Gegensatz, den die Alchemisten nicht treffender als durch die wechselseitige Beziehung von Männlich und W eiblich ausdrücken konnten. Man denkt bei dieser Gegenüberstellung zwar in erster Linie an die Kraft der Leidenschaft und der Liebe, welche die getrennten Pole zueinander zwingt, und vergißt dabei den Umstand, daß es solch heftiger Attraktion doch nur dort bedarf, wo ebenso starkes Widerstreben die Teile auseinanderhält. Zwar ist «Feindschaft gesetzt» nur zwischen der Schlange und dem W eibe {Ge nesis 3,15), aber dieser Fluch erstreckt sich auch auf die Beziehung der Ge schlechter zueinander. Eva ist gesagt: «Nach deinem Mann wirst du verlangen; er aber soll dein Herr sein!» (3,16). Und zu Adam ist gesagt, daß um seinetwil len «der Erdboden verflucht» sei, weil er «auf seines Weibes Stimme gehört» habe (3,17). Urschuld liegt zwischen den beiden, nämlich eine gebrochene Feind schaft, welche nur unserer Vernunft, nicht aber der (seelischen) N atur als wider sinnig erscheint. Unsere Vernunft ist eben von der Physis in hohem Maße und öfters zuviel beeinflußt, so daß ihr die Vereinigung der Geschlechter als das ein zig Sinngemäße und der Vereinigungsdrang als der vor allem sinnreiche Trieb erscheint. W enn wir Natur in höherem Sinne als den Gesamtbegrifif alles Er scheinenden fassen, so ist ihr einer Aspekt das Physische, ihr anderer aber das Pneumatische. Seit alters ist jenes das Weibliche, dieses das Männliche. Ziel des ersteren ist Einigung, Ziel des letzteren aber Unterscheidung. Unserer gegenwärti gen Vernunft fehlt es, aus Überschätzung des Physischen, an geistiger Orientie rung, das heißt am Pneuma. Die Alchemie scheint davon eine Ahnung zu ha ben, denn wie anders käme sie auf jenen sonderbaren Mythus vom Lande des Meerkönigs, in welchem nur Gleiches m it Gleichem gepaart wird, und infolge-
1. Einleitung
115
dessen Unfruchtbarkeit herrscht1? Es ist offenbar ein Reich unschuldiger Freundschaft, eine Art Paradies oder Goldenes Zeitalter, dem die «Philoso phen» als Vertreter der Physis mit gutem Rat ein Ende zu bereiten sich veran laßt fühlen. W as aber nun geschieht, ist keineswegs eine natürliche Vereini gung der Geschlechter, sondern ein «königlicher» Inzest, eine schuldhafte Handlung, die alsbald in Gefängnis und Tod fuhrt und erst darnach die Frucht barkeit des Landes herstellt. Als Gleichnis ist dieser Mythus allerdings doppel sinnig; er kann, wie die Alchemie überhaupt, physisch sowohl wie pneuma tisch2*verstanden werden. Das physische Ziel ist das Gold, die Panazee, das éli xir vitae, das pneumatische dagegen die Wiedergeburt des (geistigen) Lichtes aus dem Dunkel der Physis, die heilende Selbsterkenntnis und die Befreiung des pneumatischen Leibes aus der corruptio des Fleisches. Es ist ein subtiler Zug der « Visio», daß derjenige König ist im Unschuldsrei che, welcher eine Paarung der Geschlechter im Sinne führt. So sagt der rex ma rinus: «Ich habe allerdings einen Sohn und eine Tochter, und deshalb bin ich der König meiner Untertanen, weil ja diese nichts davon (horum nihil) besit zen. Ich jedoch habe einen Sohn und eine Tochter in meinem Gehirn getragen (gestavi)}.» Der König ist also ein potentieller Verräter am paradiesischen Un schuldszustand, indem er die Möglichkeit einer Zeugung «im Kopfe hat», und eben deshalb ist er König, weil er der Versündigung am bisherigen Unschulds zustand fähig ist. Da er auch ein anderer sein kann, ist er mehr als jeder seiner Untertanen, und daher mit Recht König, obschon er, von der physischen Seite gesehen, als ein schlechter Herrscher gilt4. Auch hier zeigt sich wiederum der Gegensatz der Alchemie zum herrschen den christlichen Ideal, welches den ursprünglichen Unschuldszustand durch das Klosterleben und später durch den Priesterzölibat wieder herzustellen sich be strebte. Der Konflikt zwischen dem Leben der W elt und dem Sein des Geistes, der ursprünglich im Liebesmythus von Mutter und Sohn latent angelegt war, wurde durch das Christentum zur mystischen Hochzeit des sponsus (Christus) und der sponsa (Ecclesia) erhoben, durch die Alchemie aber in die Physis ver setzt als coniunctio solis et lunae. Die christliche Lösung des Konfliktes ist eine rein pneumatische, wobei die physische Beziehung der Geschlechter zur Allego1 V isio A n slei in: A rt. a u r if I, p. I46ff. 2 « .. tam moralis, quam chymica» (M aier , Symb. aureae mensae, p. 156). * A rt. a u r if I, p. 147. 4
D ic Philosophen sagen zu ihm: «Domine quamvis rex sis, male tamen imperas et regis.»
[Herr, obwohl Ihr K önig seid, herrscht und lenkt Ihr doch sehr schlecht.] (l.c., p. 147)
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III Die Personifikation der Gegensätze
rik und über ein legal bestimmtes Maß hinaus sogar zu einer das peccatum ori ginale perpetuierenden oder steigernden Sünde wurde. Die Alchemie aber erhob gerade die allerschlimmste Übertretung des Gesetzes, nämlich den Inzest, zum Sinnbild der Gegensatzvereinigung und hoffte auf diesem W ege zum aureum saeculum (Goldenen Zeitalter) zu gelangen. Beide Richtungen erblicken die Lösungsmöglichkeit in einer Hinausverlegung der Geschlechterverbindung in ein anderes Medium; die eine projiziert sie in den Geist, die andere in den Stoff. Keine aber verlegt das Problem dorthin, wo es entstanden ist, nämlich in die Seele des Menschen. io*
Es läge gewiß nahe, anzunehmen, daß es bequemer sei, eine so unerhört schwierige Frage auf ein anderes Gebiet abzuschieben und dort als gelöst darzu stellen. Aber eine solche Erklärung ist doch zu billig und insofern psychologisch falsch, als man annehmen müßte, das Problem wäre als solches einmal bewußt gestellt, als peinlich erkannt und infolgedessen auf eine andere Basis verschoben worden. Dieser Kniff entspricht modernen Überlegungen, nicht aber dem Gei ste der Vorzeit, und es gibt keine historischen Belege für dergleichen neuroti sche Operationen. Vielmehr sprechen alle Dokumente dafür, daß das Problem schon immer als außerhalb des uns bekannten Psychischen liegend erschien. Es war der Hierosgamos der Götter, die mystische Prärogative der Herrscher, der priesterliche Ritus usw. Es handelt sich um einen Archetypus des kollektiven Unbewußten, der mit steigendem Bewußtsein einen immer größeren Einfluß auf das Bewußtseinsleben ausübte. Es scheint allerdings heute, als ob die kirchliche Allegorik von Bräutigam und Braut, ganz zu schweigen von der völ lig obsoleten coniunctio der Alchemie, dermaßen verblaßt sei, daß man dem Be griff des Inzestes nur noch in der Kriminalistik und der Psychopathologia se xualis begegne. F r e u d s Entdeckung des sogenannten «Ödipuskomplexes», eines Spezialfalles des Inzestproblems überhaupt und dessen geradezu universa ler Verbreitung, hat aber die alte Problematik reaktiviert, jedoch zunächst nur für psychologisch interessierte Ärzte. Wennschon der Laie von gewissen ärztli chen Kenntnissen sehr wenig weiß oder eine schiefe Vorstellung davon hat, so ändert dies an den Tatsachen ebensowenig wie die laienhafte Unkenntnis des vorhandenen Prozentsatzes von Tuberkulose- oder Psychosefällen.
ιοί
Der Arzt weiß heute, daß das Inzestproblem sozusagen überall mehr oder weniger deutlich vorkommt und sofort an die Oberfläche dringt, sobald die üblichen Vordergrundillusionen weggeräumt sind. Er kennt es aber meist nur von der pathologischen Seite und beläßt es deshalb unter dem Odium seines Namens, ohne an der Demonstration der Geschichte sich klarzumachen, daß
2. Sol
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das peinliche Geheimnis des ärztlichen Konsultationsraumes die embryonal kümmerliche Vorstufe einer säkularen Problematik ist, welche in der überper sönlichen Sphäre der kirchlichen Allegorik und in den Fundamenten der N atur wissenschaft eine Symbolik von größter Bedeutung erzeugt hat. Er sieht meist nur die «materia vilis et in via eiecta» (billige, auf die Straße geworfene M .) auf der pathologischen Seite, ohne die pneumatische Implikation auf der anderen Seite zu ahnen. Sähe er diese, so könnte er auch erkennen, wie der verlorenge gangene Geist, verhüllt in unansehnliche, ja verwerfliche Gestalt, in jedem wie derkehrt und in gewissen vorbestimmten Fällen endlose Verwirrung und Zer störung im Kleinen und im Großen anrichtet. Das psychopathologische Pro blem des Inzestes ist die mißverständliche Naturform der Gegensatzvereini gung, die als seelische Aufgabe entweder noch nie bewußtgeworden oder, wenn einmal bewußt, wieder aus dem Gesichtskreis verschwunden ist. Die Personen, die das Drama dieses Problems darstellen, sind Mann und ιοβ Frau, in der Alchemie König und Königin, Sol und Luna. Ich gebe nun im Fol genden eine Darstellung von der Art und W eise, wie die Alchemie die symboli schen Vertreter des supremen Gegensatzes charakterisiert.
2. S O L
Die Sonne bedeutet in der Alchemie zunächst das Gold, mit dem sie ihr Zei- w chen Θ gemeinsam hat. Aber wie das «philosophische» Gold nicht das «ge wöhnliche» ist5, so ist auch die Sonne weder das metallische Gold6 noch der Himmelskörper7. Das eine Mal heißt «Sonne» eine im Gold versteckte, aktive Substanz, die als tinctura rubea daraus extrahiert wird. Das andere Mal ist die 5 «Aurum nostrum non est aurum vulgi» (S e n io r , D e chem ia, p. 92). 6 « .. aurum et argentum in metallina sua forma lapidis nostri materiam non esse» [Gold und Silber in ihrer Metallform sind nicht die Materie unseres Steines]. {T ractatu s aureus in: M us. herm ., p .}2 )
' Sol ist um der Nichtoxydierbarkeit des Goldes willen ein Arkanum, welches das Consilium amiugii m it den W orten beschreibt: « .. substantia aequalis, permanens, fixa, longitudine aeternitatis» [eine homogene Substanz, unveränderlich, fest, von der Dauer der Ewigkeit] ( A rs chem., p. 58). «Est enim Sol radix incorruptibilis» [D ie Sonne nämlich ist das unverderbliche Grundelement (W u r zel)]. «Immo non est aliud fundamentum artis, quam Sol et eius umbra» [Wahrhaftig, nichts ande res ist die Grundlage der Kunst, als die Sonne und ihr Schatten] (l.c., p. 138).
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III Die Personifikation der Gegensätze
Sonne als Himmelskörper der Besitzer einer magisch wirkenden und wandeln den Lichtstrahlung. Die Sonne als Gold und als Himmelskörper8 enthält dann einen aktiven Sulphur von roter Farbe, der heiß und trocken ist9. U m dieses ro ten Sulphurs willen ist die alchemistische Sonne, wie auch das entsprechende Gold, r o t10. W ie jeder Alchemist wußte, verdankt das Gold seine Röte der Bei mengung von Cu (Kupfer), das heißt von Kypris (Venus), welche in der grie chischen Alchemie einmal die Wandlungssubstanz dargestellt h at11. Die Röte, das Heiße und das Trockene sind die klassischen Eigenschaften des ägyptischen Typhon, der als böses Prinzip, wie der alchemistische Sulphur, mit dem Teufel nahe Beziehung hat. Und wie Typhon sein Reich im verpönten Meere hat, so besitzt auch die Sonne einmal als «soi centralis» ihr «Meer» und ihr «rohes, konkretes Wasser» (aquam crudam perceptibilem), das andere Mal als «sol coe lestis» ebenfalls ihr «Meer» und ihr «subtiles, imperzeptibles Wasser». Dieses «Meerwasser» (aqua pontica) wird aus Sonne und Mond extrahiert. Im Gegen satz zum typhonischen Meere aber wird die lebenspendende Kraft des Wassers hymnisch gepriesen, was keineswegs bedeuten will, daß es unter allen Umstän den etw as Gutes sei12. Ist es doch gleichbedeutend m it dem zweifelhaften Mer cu rius, dessen giftige Natur vielfach erwähnt wird. Der typhonische Aspekt der aktiven Son nen su bstanz, des sulphur rubeum und der «aqua non madefaciens m an u s» (W a s s e r, das die Hände nicht naß m ach t)13, des «Meerwassers», soll
nicht außer Betracht fallen. Der Autor selbst kann in diesem Zusammenhang und an dieser Stelle eine Andeutung des Bewußtseins seiner Paradoxie nicht un8 R üPESCISSA, L a Vertu et la propriété de la quinte essence, p. 19: «Jceluy soleil est vray o r ... L’or de D ieu est appelé par les Philosophes, Soleil; car il est fils du Soleil du Ciel, et est engendré par les influences du Soleil ès entrailles et veines de la terre.» [Diese Sonne ist echtes G o ld ... D as Gold Gottes wird von den Philosophen Sonne genannt; denn es ist Sohn der Himmelssonne und wurde gezeugt durch die Einflüsse der Sonne in den Eingeweiden und Adern der Erde.] 9 D er Schwefel ist sogar identisch mit dem Feuer. Vgl. Cens, coniugii (A rs chem ., p .217): «Scias igitur quod ignis sulphur est, id est Sol» [W isse also, daß das Feuer Schwefel ist, das ist Sonne]. Bei
M ylius (P hil, ref., p. 185) ist Sol mit Sulphur identisch, d.h. der alchemistische Sol bedeutet die aktive Substanz der Sonne oder des Goldes. 10 «Sol noster est rubeus et ardens» [Unsere Sonne ist rot und brennend] (Z acharius, Opuscu lum in: Theatr. chem., 1602, I, p.840). B ernardus T revisanus geht so weit, zu behaupten: «Sol nihil aliud est, quam sulphur et argentum vivum.» [D ie Sonne ist nichts anderes als Schwefel und Quecksilber. ] (Exzerpt in den A nnotationes ex N icolao Flam m ello, 1. c., p. 860). 11 O lympiodor (B erthelot , Collection des anciens alchim istes grecs, II, rv, 43, p. 103): «Bestreiche damit die Blätter der leuchtenden Göttin, der rötlichen Kypris.» 12 Vgl. dazu unten die Sulphurparabel, wo das Wasser «periculosissima» ist. 15 H oghelande, D e alchem ia difficu ltatibu s in: Theatr. chem. (1602) I ,p .l8 1 .
2. Sol
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terdrücken: «Man stoße sich dicht an den in meinen Traktaten nach den Ge pflogenheiten der Philosophen gelegentlich vorkommenden Widersprüchen. W enn man Verstand hat, bedarf man ihrer; man findet keine Rose ohne Dor nen14.» W ie gesagt, ist die aktive Sonnensubstanz etwas Günstiges. Als sogenannter ιοβ «Balsam» tropft sie aus der Sonne und erzeugt Zitronen, Orangen, W ein und im Mineralreich das G old15. Im Menschen bildet der Balsam «humidum illud radicale, ex sphaera aquarum supracoelestium»; er ist das «lucens» oder «luci dum corpus», das «von Geburt des Menschen die innere W ärm e anfacht, und von dem alle Willensbewegung (motus voluntatis) und das W esen des ganzen Lebenstriebes (totius appetitus principium) herrührt». Er ist der «Lebensgeist» und hat «seinen Sitz im Gehirn und seine Regierung im Herzen16». In den «Tetralogien des Platon», einer ssabischen Schrift, ist der spiritus ani-
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malis, der Sonnensulphur, noch ein ττνεΰμα “πάρεδρον, ein spiritus familiaris, das heißt ein dienstbarer Geist, der zur Hilfe beim W erke mit magischen Invokationen herbeigezwungen wird17. Aus dem über die aktive Sonnensubstanz Gesagten dürfte erhellen, daß «Sol» 110 in der Alchemie viel weniger irgendeine bestimmte chemische Substanz als viel mehr eine «virtus», eine geheimnisvolle Kraft, ist18, welcher eine erzeugende19 und verwandelnde W irkung zugeschrieben wurde. W ie die physische Sonne das Universum erhellt und erwärmt, so gibt es im menschlichen Körper auch ein 14 N ovum lumen chemicum in: M us. herm ., p. 581 f. 15 Steebus , Codum sephiroticum , p. 50. Paracelsus (D e natu ra rerum, Sudhoff X I, p. 330) sagt: «Nun ist das leben anders nichts dan ein astralischer balsam, ein balsamische impression, ein himlisches und unsichtbares feur, ein eingeschlossner luft» usw. In dem von Adam von B odenstein 1562 herausgegebenen W erk T heophrasti Paracelsi erem itae Ubri V D e v ita longa usw. fol. c 7 \ heißt es: «.. tractans de quadam virtute invisibili... vocat eam balsamum, omnem corporis naturam exce dentem, qui duo corpora coniunctione conservat, et coeleste corpus una cum quatuor elementis su stentat.» [(Von der unsichtbaren W irksamkeit handelnd) nennt er sie Balsam, der alle physische Narur überrrifft, der die zwei Körper in Verbindung bewahrt und den himmlischen Körper m it den Wer Elementen zusammen unterhält.]
16 [Jene W urzelfeuchte aus der Sphäre der überhimmlischen W asser] Stbebus, L c., ρ. 117 f. Der Mond schöpft von der Sonne «universalem formam atque vitam naturalem» [seine Gesamtform und sein natürliches Leben] (D orneus , Physica genesis in: Theatr. ehern., 1 6 0 2 ,1. p. 397) P lat, quart, lib n in: T heatr. ehern. (1622) V , p. 130, und passim. 18 «Fatuum esset cum plurimis credere, solem esse duntaxat ignem caelestem» [Es wäre töricht, mit der Menge zu glauben, die Sonne sei nur ein himmlisches Feuer.] (DORNEUS, Phys. Trism egisti in: Theatr. chem., 1602 , 1, p.423)
19N och mit Proclus (Kom m entar ln
Tim aeum 18 B, hg. D iehl, I, p.43).
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III Die Personifikation der Gegensätze
Sonnenarkanum im Herzen, von wo Leben und W ärm e ausströmt20. «Mit Recht daher», schreibt D
o rn eu s,
«ist er der Erste nach Gott (primus
post Deum) und ist Vater und Erzeuger aller genannt21, weil in ihm jeglicher Dinge Samen- und Bildkraft wohnt» (quorumvis seminaria virtus atque forma lis delitescit)22. Diese Kraft wird als Sulphur bezeichnet23. Sie ist ein heißer Le bensdämon, der mit der Sonne in der Erde, nämlich dem «ignis centralis» und «gehennalis» nächste Beziehung hat. Es gibt daher auch einen «sol niger», eine schwarze Sonne, die mit der nigredo und putrefactio, dem Todeszustand, koinzidiert24. W ie Mercurius, so ist in der Alchemie auch Sol ambivalent, ni
Die Wunderkraft der Sonne rührt nach D O R N E U S daher, daß in ihr «alle ein fachen Elemente enthalten sind, wie im Himmel und den anderen Himmelskör pern». «..unicum dicimus elementum esse solem» (ein einiges [und einziges] Element sei die Sonne), sagt unser Autor, womit er sie also ex silentio mit der Quintessenz identifiziert. Diese Auffassung erklärt der merkwürdige Satz des
«Consilium coniugmr. «Sie
20 D orneus (Phys. Trismeg. in: Theatr. ch m ., 1 6 0 2 ,1, p.424) sagt: «U t fons vitae corporis huma ni, centrum est cordis eius, vel id potius quod in eo delitescit arcanum, in quo viget calor naturalis» [W ie der Lebensquell des menschlichen Körpers das Zentrum seines Herzens ist, und das nament lich, weil darin das Geheimnis wohnt, in dem die Naturwärme leb t].
21 ZosiMOS (BERTHELOT, A ich, grecs, III, xxi, 3, p. 175) zitiert den Ausspruch des H ermes:
Ή λιο ? ό -πάντα -ποιων [Helios (Sonne) ist der Erschaffer von allem ]. 221. c., p.424. V om Keimpunkt des Eies heißt es (Cod. Berol. Lat. 532 fbl. 154v): «Punctum solis i. e. germen ovi, quod est in vitello» [D er Sonnenpunkt, d. h. der Eikeim, der im D otter is t]. 2ä 1. c. «Masculinum et universale semen primum et potissimum est eius naturae sulphur, genera tionum prima pars omnium, ac potissima causa. Proinde a Paracelso prolatum est, sol et homo per hominem, generant hominem.» [D er männliche Allsame und das W irksame davon ist der Schwefel, der Hauptanteil und die Hauptursache aller Zeugung. W eshalb Paracelsus vortrug, daß die Sonne und der Mensch durch den Menschen den Menschen erzeuge.] 24 Siehe unten. D ie alchemistische Sonne entsteht auch aus den Finsternissen der Erde, wie aus A urora consurgens I , K p .X I, Sechste Parabel, pp. 108/109, hervorgeht: « .. terra fed t Lunam ... dein de ortus est sol... post tenebras, quas posuisti ante ortum solis in ipsa» [D ie Erde also ist es, die den Mond gemacht hat zu seiner Zeit, dann aber ging die Sonne au f... nach der Finsternis, die du auf Erden gesetzt hast vor Sonnenaufgang»]. 25 A rs. ch m ., p. 158. Das Blut ist auf primitiver Stufe bekanntlich Seelensitz, die Haare bedeuten Lebens- und Gotteskraft (R ieht. 13,5 und 16,17 ff.).
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2. Sol
ber-, Heil- und Wachstumskraft26, die ebensosehr in der Sonne wie im Men schen und in den Pflanzen anzutreffen ist, weshalb nicht nur die Sonne, sondern auch der Mensch, und insbesondere der erleuchtete Mensch, nämlich der Adept, kraft der universalen virtus das Gold erzeugen kann. Daß das Goldmachen nicht auf chemischem, das heißt gewöhnlichem, W ege erfolge, war D
o rn eu s
(und noch manchem anderen) klar27, weshalb er die Chrysopoee als «miracu lum» bezéichnete. Das Wunder geschieht durch eine «natura abscondita», eine metaphysische Wesenheit, «die nicht mit den äußeren Augen, sondern allein durch den Verstand (mente sola) wahrgenommen wird28». Sie ist «coelitus infu sa29» (vom Himmel eingegossen) unter der Bedingung, daß sich der Adept so weit wie möglich den göttlichen Dingen genähert und zugleich aus den Stoffen die feinsten Kräfte «ad actum miraculosum idoneae» (zum Wunder geeignet) ausgezogen hat. «Es gibt», sagt unser Autor, «im menschlichen Körper eine ge wisse äthergleiche Substanz, welche dessen übrige elementare Teile erhält und in ihrer Fortdauer unterstützt (continuare facit)ä0». Diese Substanz oder Kraft (virtus) werde «von der Verderbnis des Körpers» gehindert; die Philosophen 26 Vgl. dazu die Arbeiten von Lehmann , Preuss, R öhr
u.a.
Eine Zusammenstellung in meinet
Schrift Ü berpsychische Energetik un d das Wesen der Träum e, Paragr. 104ff. 27 V gl. P etr u s B o n u s , Prêt. m arg. nov. in: Theatr. chem. (1622) V , p. 648: «Et hoc modo alchemia est supra naturam, et est divina. Et in hoc lapide est tota difficultas istius artis, neque potest assignari sufficiens ratio naturalis, quare hoc ita esse possit: et sic cum intellectus non possit hoc comprehendere, nec satisfacere sibi sed opportet ipsum credere, sicut in miraculosis rebus divinis, ita ut fundamentum fidei Christiani, quod supra naturam existit, a non credentibus primo existimetur verum omnino, quoniam finis eius miraculose, et supra naturam completur. Ideo tunc solus Deus est operator, quiescente natura artifice.» [Und so ist die Alchemie übernatürlich und göttlich. Und in diesem Stein liegt die ganze Schwierigkeit der Kunst, und man kann keinen genügenden Natur grund angeben, weshalb dies so sein könnte. Und so, da der Verstand es nicht verstehen und sich begnügen kann, muß man an ihn glauben wie an die göttlichen W under oder wie an die Grundlage des christlichen Glaubens, die übernatürlich ist und von den Ungläubigen zuerst als wahr angenommen werden muß, da ja auch seine Vollendung durch ein übernatürliches Wunder geschieht; dann nämlich wirkt nur G ott weiter, und die Naturwirksamkeit hört auf und ruht.]
28S pei.phil. in: T heatr. chem. (1602) I, p. 298; ferner Phil, chem., 1. c., p.497. 29 Vgl. A urora corn. I, K p .X , Fünfte Parabel, pp. 94/95: «Cum non suffecissem mirari de tanta rei virtute sibi coelitus indita et infusa» [«D a ich mich nicht genug wundem konnte über die große Wirkungskraft der Sache, die ihr vom Himmel her eingegeben und eingeflößt worden w ar»]. w P hil, m edit. in: T heatr. chem. (1602) I, p. 456. Eine ähnliche Stelle l .c , p.457, lautet: «Porro in humano corpore latet quaedam substantia caelestis naturae paucissimis nota, quae nullo penitus in diget medicamento, sed ipsamet est sibi medicamentum incorruptum.» [Ferner hegt im menschli chen Körper eine gewisse himmlische Substanz verborgen, von Natur den wenigsten bekannt; diese bedarf gar keines Heilmittels, sondern ist sich selber das unverderbliche Heilmittel.]
122
III Die Personifikation der Gegensätze
aber hätten «durch eine gewisse göttliche Inspiration erkannt, daß man dieses Vermögen (virtutem) und diese himmlische Kraft (vigorem) von ihren Fesseln befreien könne31». Diese Kraft nennt D
o rn eu s
«veritas». Sie ist «die höchste
Kraft (virtus), eine unüberwindliche Festung, welche nur sehr wenige Freunde hat, dagegen von unzähligen Feinden belagert ist». Sie wird vom «unbefleckten Lamme verteidigt», und bedeutet daher das himmlische Jerusalem im inneren Menschen: «In dieser Burg ist der wahre und unbezweifelte Schatz, der nicht von Motten gefressen, noch von Einbrechern geraubt, in Ewigkeit verwahrt und nach dem Tode von hier weggebracht wird32. ..» in
Bei D
o rn eus
wird also die scintilla des göttlichen Feuers, die dem Men
schen als Lebensprinzip eingesenkt ist, zu dem, was G o e t h e in seiner ersten
«Faust»-Fassung als «Faustens Entelechie», welche von den Engeln weggetragen wird, bezeichnet hat. Das ist der Schatz, den der «animalis homo» nicht kennt. «Facti sumus sicut lapides oculos habentes et non videntes» (W ir sind gemacht wie Steine, die Augen haben und nicht sehen)3}. m
Man kann nach alldem sagen, daß der alchemistische Sol als «quaedam luminositas» (ein gewisser Schimmer) in einer bestimmten Hinsicht dem «lumen naturae» gleichzusetzen wäre. Letzteres ist die eigentliche Erleuchtungsquelle der Alchemie, und von daher hat Pa r a c e l s u s dieselbe Quelle auch für die ärzt liche Kunst in Anspruch genommen. So hat Sol nicht weniges zu tun mit der Ent
stehung des modernen Bewußtseins, das sich in den letzten zwei Jahrhunderten in zunehmendem Maße auf die Beobachtung und Erfahrung der natürlichen Ge genstände stützte. Sol scheint daher einen beträchtlichen psychologischen Tat bestand zu bedeuten. Es dürfte sich darum lohnen, dessen Eigenschaften noch des weiteren zu verfolgen, wozu die Literatur reichlich Gelegenheit bietet, iw
Durchgehend gilt Sol als die männliche und aktive Hälfte des ihm begrifflich übergeordneten Mercurius, fur dessen eigenartige Psychologie ich den Leser auf meine Schrift «Der Geist Mercurius» verweisen muß. Dieser ist, da er in seiner alchemistischen Gestalt in der Wirklichkeit gar nicht existiert, eine unbewußte Projektion, und da er einen absoluten Grundbegriff darstellt, so bedeutet er no lens volens das Unbewußte selber. Er ist seinem W esen nach das Unbewußte, in dem nichts unterschieden werden kann, da er aber als spiritus vegetativus ein51*
51 l.c., p.457. » l.c., p.458. 55«.. non intelligit animalis homo.» [.. der animalische Mensch versteht dies nicht.] (l.c., p.459)
123
2. Sol
Wirkendes ist, muß er stets als Unterscheidbares in der Wirklichkeit erschei nen. Er ist daher passenderweise als duplex, als activus und passivus, bezeichnet. Sein «aufgehender», aktiv erscheinender Teil ist zutreffend Sol genannt, und erst durch diesen wird auch der passive Teil wahrnehmbar. Letzterer hat darum den entsprechenden Namen Lima empfangen, denn diese borgt ihr Licht von der Sonne54. Mercurius entspricht nachweisbar dem kosmischen voire der anti ken Philosophen. Die mens humana ist ein Derivat desselben und das tagwache Leben der Seele, das man als Bewußtsein bezeichnet55. Dieses fordert als uner läßliches Gegenstück ein dunkles, latentes, nichterscheinendes Seelisches, das Unbewußte, dessen Vorhandensein eben nur durch das Licht des Bewußtseins erkannt werden kann56. W ie das Tagesgestirn sich aus dem nächtlichen Meere erhebt, so entsteht das Bewußtsein onto- wie phylogenetisch aus dem Unbe wußtsein und versinkt allnächtlich wieder in diesen natürlichen Urzustand. Diese Doppelheit der psychischen Existenz ist Vor- und Urbild für die Sol-Luna-Symbolik. So sehr fühlt der Alchemist die Doppelheit seiner unbewußten Voraussetzung, daß er der Sonne einen Schatten andichtet gegen alle astronomi sche Evidenz: «Sol et eius umbra perficiunt opus57.» M
ic h a e l
M a ie r ,
von dem
dieser Satz stammt, macht sich das onus explicandi allerdings leicht, indem er an Stelle der umbra Solis den Erdschatten setzt, wie im Discursus X L V seines « Scrutinium» zu sehen ist. Er kann sich offenbar dem Eindruck der astronomi schen Wirklichkeit nicht entziehen. Dann zitiert er aber den klassischen Satz54*6
54 Vgl. dazu die alte Anschauung, daß die Sonne dem rechten, der Mond aber dem linken Auge entspreche. (O lympiodor in: B erthelot , A ich, grecs, II, iv, 51, p. 111). ” W ie die Sonne für den mittelalterlichen Naturphilosophen der G ott der physischen W elt war, so macht das Bewußtsein den «kleinen G ott der W elt» aus. 56 W ie die Sonne, so ist auch das Bewußtsein ein «oculus mundi» (W eltauge). (V g l. P ic o DELla
M irandola , D isputationes in astrologiam , III, x, p.471) Im H eptaplus (V II, iv, p.55) sagt PlCO:
«Cum Solem . .. Plato visibilem filium Dei appellet, cur non intelligamus nos imaginem esse invisi bilis filii. Qui si lux vera est illuminans omnem mentem expressissimum habet simulachrum hunc Solem, qui est lux imaginaria illuminans omne corpus.» [D a Plato die Sonne den sichtbaren Sohn Gottes nennt, warum wollen wir dann nicht verstehen, daß wir das Abbild des unsichtbaren Sohnes sind? W en n dieser das wahre Licht ist, das allen Sinn erleuchtet, so hat er als deutlichstes Bild die Sonne, welche das bildformende Licht ist, das jeden Körper erleuchtet.] i7
[D ie Sonne und ihr Schatten vollenden das W erk] (M aier , Scrutinium, p. 133). Diese Vorstel
lung findet sich schon in der T u rba (hg. R uska , p. 130): «Qui autem sapientum venenum sole et eius umbra tinxit, ad maximum pervenit arcanum.» [W er aber das G ift der W eisen mit der Sonne und ihrem Schatten färbt, ist zum höchsten Geheimnis gelangt.] «.. in umbra solis est calor lunae.» [.. im Schatten der Sonne ist die W ärm e des Mondes.] (MYUUS, P hil, ref., p. 22).
124
III Die Personifikation der Gegensätze
des Hermes: «Fili, . . . extrahe a radio suam umbram58», worin deutlich zu ver stehen gegeben ist, daß der Schatten im Sonnenstrahl enthalten ist und darum aus ihm ausgezogen werden könne (was immer dies zu bedeuten hat). In eng ster Verbindung mit diesem Satz steht die Vorstellung eines Sol niger, einer schwarzen Sonne, die bei den Alchemisten erwähnt wird59. Dieser Anschauung kommt die sinnenfällige Tatsache entgegen, daß es ohne Licht keinen Schatten gibt, womit also der Schatten gewissermaßen auch von der Sonne ausgeht. Dazu verlangt aber die Physik einen dunklen Körper, der sich zwischen die Son ne und den Beobachter schiebt. Diese Bedingung gilt nun aber nicht fur den alchemistisehen Sol, indem dieser selber gelegentlich als schwarz erscheint. Ihm eignen Licht und Finsternis. «W as ist schließlich dieser Sol ohne Schatten», fragt M
a ie r ,
«dasselbe, was eine Glocke ohne Schwengel.» W ährend der Sol
das Kostbarste ist, bedeutet der Schatten eine «res vilissima» oder «vilius alga» (wertloser als Seegras). Das antinomistische Denken der Alchemie setzt ja zu jeder Position eine Negation und umgekehrt. «.. in manifesto sunt corporalia, et in occulto spiritualia» (äußerlich ist es körperlich, im verborgenen aber geistig), sagt S e n i o r Z a d i t h 40. Diese Anschauung gilt überhaupt fur alle der Alchemie geläufigen Eigenschaften, und jegliches Ding trägt seinen Gegensatz in sich41.
58 [Sohn, extrahiere vom Sonnenstrahl seinen Schatten] L c., p.134 (aus cp. II des Tractatus au reus in: A rs. chem., p. 15). 59 Vgl. Mylius , P hil, ref., p. 19. Hier ist sol niger die mit caput corvi synonyme Bezeichnung der «anima media natura» [Seele von mittlerer (und vermittelnder) Natur] im Zustand der nigredo, welche eintritt, wenn die «Terra auri suo proprio spiritu solvitur» [die Erde des Goldes in ihrem eigenen G eist aufgelöst w ird], was psychologisch eine vorübergehende Auslöschung des bewußten Standpunktes durch einen Einbruch des Unbewußten bedeutet. M ylius verweist auf die «prisd phi losophi» als Quelle des «sol niger». Eine ähnliche Stelle findet sich 1. c., p. 118: «.. obscuratus est Sol in ortu suo. Et haec denigratio est operis initium, putrefactionis indicium, certumque commixtionis principium» [die Sonne wurde verdunkelt in ihrem Aufgang. Und die Schwärze ist der Beginn des W erkes, das Anzeichen der Verwesung und sicherer Beginn der M ischung]. Diese nigredo ist eine «variabilis purgatorii umbrositas» [wechselnde Dunkelheit des Fegfeuers] (L c.). Bei R iplaeus, Chymische Schrifften, p.51, wird ebenfalls die «dunkle» Sonne erwähnt, und es wird beigefugt: «.. also must du gehen durch das Thor der schwärtze, so du des Paradißes lie c h t in der weisse wilt bekommen.» Vgl. auch T u rba (hg. RUSKA, p. 145): «nigredo solis». 40 D e chem ia, p. 91. 41 W ie der sol niger eine Gegensonne darstellt, so auch die Sonne, die unsichtbar im Zentrum der Erde eingeschlossen ist. (Siehe Prodrom us Rhodo-stauroticus, Vr.) Eine ähnliche Vorstellung auch bei Laurentius V bntura : «Et sicut sol a principio occultatur in Lunam, ita in fine occultatus ex trahitur a Luna.» [Und wie die Sonne am Anfang im Mond verborgen wird, so wird sie am Ende verborgen aus dem Mond extrahiert.] (D e lapide philos, in: T heatr. chem ., 1602, II, p.276)
2. Sol
125
Für das alchemistische Denken ist der Schatten keine bloße «privatio lucis», m wie es M
a ie r
haben möchte, sondern wie Glocke und Glockenschwengel beide
von tastbarer Substanzialität sind, so auch Licht und Schatten. N ur auf diese W eise kann nämlich der ganze Satz des Hermes verstanden werden. Er lautet: «Mein Sohn, ziehe aus dem Strahl dessen Schatten aus und das Schmutzige, das daher kommt, daß sich Nebel über ihn legen, ihn besudeln und sein Licht ver hüllen; weil er durch N o t und durch seine Röte verbrannt wird42.» Der Schat ten ist hier zweifellos ganz konkret gedacht; er ist ein Nebel, der sogar imstande ist, das Licht nicht nur zu verdunkeln, sondern sogar zu beschmutzen (coinqui nare ist ein starker Ausdruck hiefur!). Die rubedo des Sonnenlichtes weist auf dessen sulphur rubeum, das aktive, brennende, also zerstörende W irkung hat. Im Menschen ist das «sulphur naturale» identisch mit einem «ignis dementaris, das «die Ursache der Verderbnis» ist, und dieses Feuer wird durch «die den mei sten unbekannte, unsichtbare Sonne entzündet. Diese ist die Sonne der Philoso phen». Der natürliche Schwefel habe nämlich die N dgung, zu sdner ersten N a tur zurückzukehren, wodurch der Körper «schweflig» (sulphureum) und damit geschickt (habile) werde zur Aufnahme des Feuers, das den Menschen «zu sei nem ersten Wesen verderbe» (ad primam suam essentiam corrumpentis)43. Die Sonne ist hier offenbar ein Instrument im physiologischen wie psychologischen Drama der Rückkehr zur prima creatio beziehungsweise prima materia, das heißt zum Tode, der durchschritten werden muß, wenn man zum ursprüng lichen Zustand der einfachen Elemente (nämlich der prima materia) und zur natura immaculata des vorweltlichen Paradieses zurückgelangen will. Dieser Prozeß war D
o rn eu s
eine physische sowohl wie geistig-moralische Angele
genheit. Sol erscheint hier in einem zweifelhaften Licht - einer «lux sulfurea» - er ne korrumpiert, und zwar offenbar vermöge seines Schwefels44.
42 Tract, aureus in: A rs. chem., p. 15. 45
Es handelt sich bei D orneus (Spec. p h il. in: Theatr. chem., 1602, I, p.308) zunächst um eine
physiologisch verderbliche W irkung, welche die Salze des Körpers in K alk überführe, wodurch der Körper schweflig werde. D iese medizinische Observation wird aber eingeleitet durch den Satz: «Quia homo est in corruptione generatus, odio prosequitur eum sua propria substantia» [W eil der Mensch in der Verderbnis gezeugt ist, verfolgt ihn seine eigene Substanz mit H a ß ]. Dam it ist die Erbsünde und die von ihr ausgehende Verderbnis zum Tode gemeint. 44 Ich übersehe dabei nicht, daß die Gefährlichkeit des soi auch darauf zurückgehen kann, daß seine Strahlung das wunderbare Wasser enthält, das aus dem Licht von Sonne und Mond ausgezo gen wird («quae ex radiis solis vel lunae vi magnetis extracta est»), —M ylius , P hil. re/., p.314) In
126
III Dic Personifikation der Gegensätze
Nach alldem bedeutet Sol die Wandlungssubstanz, das heißt die prima mate ria sowohl als die Goldtinktur. Der anonyme Traktat «De arte chimica» unter scheidet zwei Teile oder Stufen des lapis. Die prima pars nennt er «sol terrenus» (irdische Sonne). Ohne diese wird das W erk nicht vollendet45. Im zweiten Teil des opus wird die Sonne m it dem Mercurius verbunden. «Diese Stoffe (lapides) sind auf der Erde tot und schaffen nichts, wenn man ihnen nicht die Tätigkeit des Menschen angedeihen läßt.
Hieraus geht hervor, daß die Verbindung von Sol und Mercurius ein Hierosgamos ist, wobei letzterem die bräutliche Rolle zufällt. W enn man sich nicht zu sehr an der Geschmacklosigkeit dieser Analogie stößt, so wird man sich - aequo animo - die Frage vorlegen, ob das Arkanum des opus alchymicum, wie es von den alten Meistern verstanden wurde, nicht tatsächlich als similitudo und Äqui valent des kirchlich-dogmatischen Mysteriums gelten kann. Entscheidend bei dieser Frage ist für den Psychologen nur die subjektive Einstellung des Alche misten. W ie ich in «Psychologie und Alchemie» gezeigt habe, ist dieses Bekennt nis keineswegs ein Unikum.
diesem Wasser wird putrefiziert, weil es «ante debitam coctionem ... summum venenum» [vor der gebührlichen Kochung äußerst giftig] ist (l.c.). D iese aqua permanens ist das ύδωρ δεϊον (göttli ches Wasser), wobei τό θειον der Schwefel ist. Das W asser heißt Schwefelwasser und ist Mercu rius. Θ ειο ν oder δήΐον (H omer ) besaß im Altertum apotropäische Kraft und hieß vielleicht des halb «göttlich»(?). 45 «Sine Sole terreno opus Philosophicum non perficitur.» (A rt. au rif. I, p. 580). 46 D er T ex t hat hier bloß «auri similitudinem profundam» [ein tiefes Gleichnis des Goldes], ohne Verb. 47 A rt. au rif. I, p. 580ff.
2. Sol
127
Die im Sprachgebrauch der Kirchenväter häufige metaphorische Bezeich- ne nung Christi als Sol48 wird von den Alchemisten wortwörtlich genommen und auf ihren sol terrenus übertragen. W enn wir uns an dieser Stelle erinnern, daß der alchymische Sol psychologisch dem Bewußtsein, der Tagseite der Psyche, entsprechen dürfte, so müssen wir diesem also noch die Christusanalogie hinzu fugen, welche, wie gezeigt, für Sol gilt. Christus erscheint als Sohn in erster Li nie, und zwar als Sohn seiner Mutterbraut. Die Sohnesrolle fällt auch dem Ich bewußtsein zu, indem dieses ein Abkömmling des mütterlichen Unbewußten ist. Nach der Erzautorität, der «Tabula smaragdina», ist Sol der Vater des Mer curius, der hier als weiblich und als Mutterbraut erscheint. Als letztere ist er mit Luna identisch und gelangt auf dem W ege der kirchlichen Luna - Maria - Ec clesia-Symbolik zur Gleichstellung mit der Jungfrau. So heißt es in den «.Exerci
tationes in Turbam»: «...w ie das Blut der Ursprung des Fleisches, so ist Mercu rius der Ursprung des S o l... und so ist Mercurius Sol, und sein Sol ist Mercu rius49.» Damit ist Sol Vater und Sohn zugleich, daher auch seine weibliche Ent sprechung Mutter und Tochter in einer Person, und überdies sind das Männli che (Sol) und das Weibliche (Luna) bloße Aspekte einer und derselben Sub stanz, die zugleich Urheber und Resultat der beiden darstellt, nämlich des Mer curius duplex, von dem die Philosophen sagen, in ihm sei alles enthalten, was von den Weisen gesucht wird. Das Schema dieses Gedankens ist eine Quaternität: Principium Mercurius Filius
Filia
Frater
Soror
Pater
Mater
Sol
Luna Filius Mercurius
48 Besonders als «soi iustitiae» (vgl. z .B . M al.4 ,2 ). «Sicut enim sol sub nube, sic Sol justiciae latuit sub humana came.» [W ie die Sonne unter der W olke, so verbarg sich die Sonne der Gerech tigkeit unter der fleischlichen Erscheinung.] (HONORIUS von Autun , Speculum Ecclesiae, M igne , P. L C L X X II, col.921) Dementsprechend ist auch der gnostische Anthropos identisch m it der Son ne. (V gl. R eitzenstein , Poim andres, p.280.) 49 A rt. a u rif I, p. 155.
128
iw
III Die Personifikation der Gegensätze
So sehr dogmatische Vorbilder in der Solsymbolik anklingen, so unähnlich ist deren Schema; denn das dogmatische Schema ist eine Trinität, welche nur das götdiche Sein umfaßt, nicht aber das Universum50. Das alchemistische Schema umfaßt zwar anscheinend nur die Stoffwelt, nähert sich aber um seiner Vierheit willen doch einer Totalitätsvorstellung, wie uns diese im Symbol des zwischen Erde und Himmel errichteten Kreuzes entgegentritt. Das Kreuz ist das christliche Ganzheitssymbol implicite, drückt es doch als Marterinstrumen: einerseits das Leiden des menschgewordenen Gottes an der Erde und als Quater ni tät das auch die Stoffwelt umschließende Universum aus. W enn wir nun in dieses Kreuzschema die vier Figuren des göttlichen Weltdramas einsetzen nämlich den Vater als auctor rerum, den Sohn und dessen W iderpart (zu dessen Bekämpfung er ja Mensch geworden ist), den Teufel, und den Heiligen Geist so ergibt sich folgende Quaternität: Pater Auctor
Filius
Diabolus
Salvator
Antichristus
Spiritus Sanctus 120
Ich will die verschiedenen Aspekte dieser Vierheit hier keiner näheren Dis kussion unterziehen. Es ist dies bereits anderen Ortes geschehen51. Ich erwähne das Schema hier zum Vergleich mit dem alchemistischen. Solche Vierheiten sind logische Grundeigenschaften des gnostischen Denkens, welches K O EP G EN 50 D ie alchemistische Entsprechung der Trinität ist der serpens tricephalus (dreiköpfige Schlan ge = Mercurius). Vgl. dazu Psychologie u n d A lchem ie, Abb.54. 51 [J u n g ,] Versuch einer psychologischen D eutung des Trinitätsdogm as, Paragr. 243 ff. D ie in diesem Schema vielleicht anstößige Gegenüberstellung von Christus und Teufel setzt eine innere Bezie hung voraus (welche schon bei den Ebionäern des E piph a n ius als die von zwei Brüdern aufgefaßc wurden). Etwas Derartiges scheint auch A n g elu s S ilesius gefühlt zu haben: «Dafern der Teufel könnt aus seiner Seinheit gehn / So sähest du ihn stracks in Gottes Throne stehn.» ( Cherubinischer W andersm ann, I, 143, p.31) Unter «Seinheit» versteht A n g elu s die «Selbheit, die verdammt», was unweigerlich von allem Selbstsein gilt, das seine Identität m it G ott nicht erkennt.
2. Sol
129
treffend «kreisförmig» genannt h at52*. W ir sind ähnlichen Figuren bereits bei der Beschreibung der Gegensätze begegnet, die häufig in Quaternitäten ange ordnet sind. Der Rhythmus des Schemas ist ein Dreischritt: Beginn Alchemisch:
1
Origo Mercurius Auctor Ί
Christlich:
1
J
—
f Entfaltung
[ Ziel
-j Sol
j Filius
[ Luna
I Mercurius
Entfaltung des Konfliktes Salvator
Pater
J
Diabolus
der Paraklet ►■*“ · -K
Heiliger Geist Ecclesia oder Reich Gottes
Das alchemistische Drama führt von «unten», das heißt von der Finsternis 121 der Erde nach «oben», zu dem geflügelten, geistigen W esen des filius macrocosmi und der lux moderna; das christliche Drama dagegen stellt ein Herabkom men des himmlischen Reiches auf die Erde dar. Man hat den Eindruck einer
Spiegelung, als ob der von oben kommende Gottmensch —wie es die gnostische Legende will - sich in den dunklen Wassern der Physis spiegelte. Das Verhält nis des Unbewußten zum Bewußtsein ist bis zu einem gewissen Grade komple mentär, wie zum Beispiel die einfachen somatischen Reizträume und elementa52
D er Gedankenverlauf in den Psalmen und den Propheten ist «kreisförmig. Auch die Apoka
lypse besteht aus spiralischen Bildern... ln der Kreisordnung... liegt ein Hauptmerkmal der gnostisehen Denkform.» (K oepgen , Gnosis des Christentums, p. 149) K oepgen zitiert als Beispiel Ephraem
Syru s : «Erfreue den Leib durch die Seele, die Seele aber gib dem Leibe zurück, damit beide sich
freuen, daß nach der Trennung sie wieder verbunden sind» (l.c., p. 151). Das könnte ebensogut ein Alchemist, vom Ouroboros handelnd, gesagt haben. Ist doch dieser das Ursymbol der alchemistischen W ahrheit. K oepgen nennt auch das Dogm a «kreisförmig». Das Dogma ist « im Sinne einer kreisförmig lebendigen W irklichkeit. .. D ie Dogmen sind der religiösen W irklichkeit zuge wandt, und diese ist » (l.c., p.52). K oepgen spricht von der «Tatsache des Nichtwissens und des Nichterkennens, die im Innem des Dogmas selbst liegt» (p .51). Diese Bemerkung zielt auf den Grund oder einen der Grunde der «Rundheit»; es handelt sich um Begriffe der Annäherung an eine vorhandene, aber nicht beschreibbare Tatsache, der man sich darum nur durch eine Zirkumambulation nähern kann. Zugleich sind diese Tatsachen Sphären (σ φ α ίρ α = K ugel), die sich in unbe stimmbare W eite erstrecken, und zwar deshalb, weil sie Prinzipien darstellen. Psychologisch entspre chen sie Archetypen. D ie gegenseitige Überschneidung und Interpenetration gehört zu ihrer W esen heit. D as «Runde» eignet nicht nur dem Dogma, sondern auch dem alchemistischen Denken in be sonderem Maße.
III Die Personifikation der Gegensätze
130
re psychogene Symptome zeigen53. (Daher stammt wohl die sonderbare Idee, daß das Jenseits zum Diesseits komplementäre Eigenschaften habe, wie etwa R u d o l f S t e in e r
lehrt.) Eine sorgfältigere Beobachtung und Analyse ergibt al
lerdings einen Befund, den man nicht in allzu mechanischer W eise als bloße Komplementierung auffassen kann, sondern vielmehr als Kompensierung deuten muß. Das hindert aber keineswegs, daß sehr viele Träume einen fur oberflächli che Betrachtung deutlichen Komplementärcharakter tragen. Dementsprechend könnte man die alchemistische Bewegung als eine Spiegelung der christlichen ansehen54. K
oepgen
unterscheidet bezeichnenderweise zwei Aspekte Christi:
den absteigenden, menschgewordenen Gott und den gnostischen, aufsteigenden Christus, der zum Vater zurückkehrt. Letzteren kann man mit dem alchemistischen filius regius nicht zusammenfallen lassen, obschon in der Anschauung K o epgen s
eine sozusagen genau Parallele zu unserem Sachverhalt vorliegt55.
Die Erlöserfigur der Alchemie ist inkommensurabel mit Christus. Während dieser G ott ist und vom Vater gezeugt, ist jener Seele der Natur, welche der in den Stoff eingesenkten Sapientia Dei, dem weltschaffenden Logos, entstammt. So ist der filius regius auch ein Gottessohn, aber von entfernterer Abstammung und nicht in der Jungfrau Maria, sondern in der Mater Natura gezeugt, eine τρίτη υίότηξ (dritte Sohnschaft) im Sinne des B a s i u d e s 56. Man darf bei der Be griffsstruktur des filius allerdings an keine Traditionseinflüsse denken, sondern es handelt sich um ein autochthones Gebilde, das einer unbewußten, logischen Weiterentwicklung von Ansätzen entstammt, die schon in frühchristlicher Zeit das Bewußtseinsfeld erreicht haben, und zwar mit der gleichen unbewußten Notwendigkeit, aus der sich auch die spätere Begriffsentfaltung ergeben hat.
55 So besonders Hunger-, Durst-, Schmerz- und Sexualträume. Ein Komplement ist auch die weibliche Natur des Unbewußten beim Manne. MZum kompensatorischen Aspekt der «Spiegelung» vgl. Psych. u n d A ich., Paragr. 2 6 ff. 551. c., p. 112. 56 Vgl. dazu D er G eist M ercurius, Paragr. 282 f. Auch in anderer Hinsicht ist der filius philosopho rum ein «Dritter», nämlich dann, wenn wir jene schon bei den Ebionäem des Epiphanius einset zende Entwicklung im Begriffe des Teufels berücksichtigen (Panarium , X X X ) . Sie sprechen von zwei von G ott aufgestellten Gestalten, der eine der Christus, der andere der Teufel. Letzterer wird nach dem Bericht des PSELLUS von den Eucheten als Satanael und älterer Bruder Christi bezeichnet. Näheres in: D er G eist M ercurius, Paragr. 271 f. [und A ion, Paragr. 229]. Dazu verhält sich, als do num Spiritus Sancti und Sohn der prima materia, der filius regius wie eine «dritte Sohnschaft», die mit jener eine entferntere Abstammung von der G ottheit gemeinsam hat. (Z u der υίότη? τριμερή« siehe H ippolytus , Elenchos, V II, 22,7ff., p.198.) D ie «Sohnschaften» stammen vom «wahren Lich te» {/oh . 1,9), also vom Logos, der sapienta Patris (H ippo l y tu s , L e , V II, 22,4, p. 198).
2. Sol
m
Das kollektive Unbewußte ist eben nach unserer modernen Erfahrung ein Le bensprozeß, der nach eigenen inneren Gesetzen weiterschreitet und zu gegebe ner Zeit wie eine Quelle zutage tritt. Daß dies, wie im Falle der Alchemie, in so unklarer und verwickelter W eise geschieht, liegt wesentlich an der großen seeli schen Schwierigkeit antinomistischen Denkens, welches sich stets an der eben falls unerläßlichen Forderung der logischen Eindeutigkeit und der gefühlsmäßi gen Absolutheit der metaphysischen Figuren stößt. Das «bonum superexcedens» (überströmende Gute) der Gottheit erträgt keine Integration des Bösen. Zwar hat N
ic o l a u s
C u sa n u s
den Gedanken der «coincidentia oppositorum»
gewagt, aber an der letzten Konsequenz, der Relativität des Gottesbegriffes nämlich, ist ein A n g e l u s S i l e s i u s zerbrochen, und nur der verwelkte Lorbeer des Poeten liegt auf seinem Grab. Er hat mit J
acob
Böhme
an der Quelle der
Mater Alchimia getrunken. Aber auch die Alchemisten sind an ihrer eigenen Verwirrung erstickt. Es scheint darum, als ob es wiederum die ärztlichen Natur forscher wären, welche, m it neuen Erkenntnismitteln ausgerüstet, diesen Pro blemknäuel aus der Projektion herauszuheben hätten, indem sie ihn zu einer Aufgabe der Psychologie machen. Das konnte früher nie geschehen, schon ein fach darum nicht, weil es keine Psychologie des Unbewußten gab. Der ärztliche Forscher ist aber durch seine Kenntnisse von den archetypischen Prozessen in die vorteilhafte Lage versetzt, in den zunächst abstrus und grotesk erscheinen den Symbolverbindungen der Alchemie die allernächsten Verwandten jener Phantasieserien zu erkennen, welche einerseits der Wahnbildung paranoider Schizophrenieformen und andererseits den Heilungsvorgängen der psychogenen Neurosen zugrunde liegen. Die turmhohe Verachtung, die andere Fakultäten für die scheinbar so negligiblen Seelenvorgänge «pathologischer Individuen» hegen mögen, sollen den Arzt nicht schrecken in der Erfüllung seiner Pflicht des Helfens und Heilens. Der Seele kann er aber nur helfen, wenn sie ihm in der einmaligen Seele des Einzelnen entgegentritt, und wenn er ihre irdischen und überirdischen Dunkelheiten kennt. Er möge bedenken, daß es auch eine nicht minder wichtige Aufgabe ist, den Standpunkt des Bewußtseins, der Eindeutig keit, der «Vernunft», des anerkannten und bewährten Guten gegen den reißen den Strom zu verteidigen, welcher im Dunkel der Seele in alle Zukunft fließt ein πάντα ρεΐ, das nichts unverändert läßt und unaufhaltsam nie wiederzubrin gende Vergangenheit erzeugt. Es weiß, daß es zwar ein schlechthin Gutes im Bereich menschlicher Erfahrung nicht gibt; aber er weiß auch, daß es für viele Menschen besser ist, von einem absoluten Guten überzeugt zu sein und auf die Stimme jener zu hören, welche Bewußtseinsüberlegenheit und Eindeutigkeit
III Die Personifikation der Gegensätze
132
vertreten. Er mag sich damit begnügen, daß der, welcher zum Licht auch den Schatten fugen kann, den größeren Reichtum besitzt. Er wird nicht in Versu chung kommen, die Rolle des Gesetzgebers zu übernehmen, noch wird er sich als Wahrheitskünder gebärden: er weiß, daß der Kranke, Leidende oder Hilflose nicht als Publikum, sondern als Herr oder Frau X vor ihm steht, und daß der Arzt etwas Tastbares und Hilfreiches auf den Tisch zu legen hat, ansonsten er kein Arzt ist. Seine Aufgabe liegt stets beim Einzelnen, und er ist überzeugt, daß nichts geschehen ist, wenn diesem Einzelnen nicht geholfen wurde. Er ist in erster Linie dem Einzelnen verantwortlich, und erst in zweiter Linie der Sozie tät. W enn er daher die individuelle Behandlung einer Kollektivmaßnahme not wendigerweise vorzieht, so geschieht dies in Übereinstimmung mit der Erfah rung, daß soziale oder kollektive Beeinflussung in der Regel nur Massenrausch, aber allein die W irkung von Mensch zu Mensch wirkliche Wandlung herbeizufuhren verm ag57. Es kann dem Alchemisten kaum ganz verborgen geblieben sein, daß sein Sol irgend etwas mit dem Menschen zu tun hat. So sagt D O R N E U S : «Homo fuit a principio sulphur». (Der Mensch ist von Anfang an Schwefel gewesen.) Der Schwefel ist ein verderbliches Feuer, das «von der unsichtbaren Sonne... ent zündet wird». Und diese ist der «sol philosophorum58», der doch andererseits auch das ersehnte und hochgepriesene aurum philosophicum, ja das Ziel des ganzen Werkes ist59. Obschon D o r n e u s hier die Sonne mit ihrem Schwefel als einen sozusagen physiologischen Bestandteil des menschlichen Körpers ansieht, so ist es doch klar, daß es sich um physiologische Mythologie, das heißt um Projektion, handelt. W ir haben im Verlaufe unserer Betrachtung des öfteren gesehen, daß die alchemistischen Projektionen bei völliger Abwesenheit aller Psychologie ein Bild gewisser Grundtatsachen der Seele entwerfen und quasi in der Materie wieder spiegeln. Zu diesen Grundtatsachen gehört das primäre Gegensatzpaar Bewußt
sein —Unbewußtes, dessen Symbol Sol —Luna ist. 57
D er Fall der Psychotherapie liegt in letzter Linie nicht anders als derjenige der somatischen
Medizin. D er chirurgische Eingriff z. B. erfolgt beim Einzelnen. Ich erwähne diesen Umstand, weil gewisse moderne Tendenzen bestehen, die Seele durch Gruppenanalyse zu behandeln, wie wenn sie ein kollektives Phänomen wäre. D am it fällt sie als individuell außer Betracht. ’8 Spec. p b il. in: T heatr. chem. (1602) I, p.308.
59
R ipley , Chymische Schnfften, p. 35: « .. dann wird dein W erck die vollkommene weisse bekom
men / dann kehre dich von O rient gegen M ittag / daselbst soll es ruhen an einer fewrigen Stadt / dann all da ist die Erndte oder Ende des W erck s... Als dann leichtet die Sonne m it eitel röhte in jhrem G rck el / unnd triumphiret nach der Finstemiß».
2. So!
m
Daß das Unbewußte personifiziert auftritt, wissen wir zur Genüge: am häu- 124 figsten ist es der sogenannte Anima-Typus60, welcher in der Ein- oder Mehrzahl das kollektive Unbewußte darstellt. Das persönliche Unbewußte wird durch den Schatten personifiziert61. Seltener dagegen kommt die Darstellung des kol lektiven Unbewußten als weiser Alter vor62*. (Ich rede hier nur von der männli chen Psychologie, die man allein m it der alchemistischen vergleichen darf!) Die Luna als Repräsentantin der psychischen Nachtseite ist in Träumen womöglich noch seltener. Bei den Produkten der Aktiven Imagination dagegen tritt das Mondsymbol schon viel häufiger auf, wie auch die Sonne, die psychische Licht welt und das taghelle Bewußtsein darstellend. Ähnlich wie im Fall der Luna hat das moderne Unbewußte für Sol als Traumsymbol nicht viel übrig65. Das «Hellwerden» («es tagt», es wird «klar») kann im modernen Traum ebensogut und sogar m it Präferenz als das Aufleuchten eines elektrischen Lichtes darge stellt sein. W as m it Sol und Luna gemeint ist, läßt sich treffend m it G o e t h e s W orten ausdrücken: W en n auch Ein T ag uns klar-vernünftig lacht, In Traumgespinst verwickelt uns die N ach t!64
Daß das Unbewußte projiziert und symbolisiert erscheint, hat nichts Ver- m wunderliches an sich, da es ja auf eine andere W eise gar nicht wahrgenommen werden könnte. Aber mit dem Bewußtsein scheint es eine andere Bewandtnis zu haben: Bewußtsein als ein Inbegriff des Bewußten scheint alles dessen zu er mangeln, wessen es zu einer Projektion bedarf. Projektion ist ja wohlverstanden kein willkürliches Geschehnis, sondern ein dem Bewußtsein von «außen» Ent gegentretendes, ein Anschein des Objektes, wobei es dem Subjekt verborgen bleibt, daß es selber die Lichtquelle ist, welche das Katzenauge der Projektion zum Aufleuchten bringt. Luna erscheint daher denkbar, Sol als Projektion dage gen kommt uns prima vista als contradictio in adiecto vor, und doch ist Sol nicht minder eine Projektion als Luna. W ie wir nämlich von der wirklichen
60 Näheres in meinem Aufsatz Über den Archetypus m it besonderer Berücksichtigung des A nim abegrif fes. Ein Beispiel fur die Anima in der Mehrzahl findet sich in: Psych. un d A ich., Paragr. 58 ff. 61 Beispiele fur beide Typen finden sich im Zweiten T eil von Psych. und A ich. Siehe auch A ian, Kp. II und III. Ein anderes Problem - welches hier nicht berücksichtigt ist - ist der Schatten des Seihst. 62 Ein Beispiel in: Psych. u n d A ich., Paragr. 159. 65 Beispiel eines seltenen Sonnentraumes in: Psych. und A ich., Paragr. 180ff. 64 [Paust, 2.T eil, 5. Akt, Mitternacht.]
134
III Die Personifikation der Gegensätze
Sonne nichts als Licht und W ärm e wahrnehmen und ihre sonstige physische Beschaffenheit nur durch Schlußfolgerung erkennen können, so geht auch das Bewußtsein von einem dunklen Körper aus, nämlich vom Ich, dieser unerläßli chen Bedingung alles Bewußtseins; ist letzteres doch nichts anderes als die As soziation eines Objektes oder Inhaltes m it dem Ich. Das Ich, als das angeblich und fiktiv Allerbekannteste, ist in Wirklichkeit ein höchst komplexer Tatbe stand, der unergründliche Dunkelheiten in sich schließt. Ja , man könnte es so gar als eine relativ konstante Personifikation des Unbewußten selber definieren oder als jenen ScHOPENHAUERschen Spiegel, in welchem das Unbewußte des eigenen Gesichtes gewahr wird65. Alle Urwelten vor dem Menschen waren physisch vor handen. Sie waren ein namenloses Geschehen, aber kein bestimmtes Sein, denn es gab jene minimale Konzentration des ebenfalls vorhandenen Psychischen noch nicht, welche das W o rt aussprach, das die ganze Schöpfung aufwog: «Das ist die W elt, und das bin ich.» Das war der erste Tag der W elt, der erste Son nenaufgang nach dem Urdunkel, als jener bewußtseinsfähige Komplex, der Sohn der Dunkelheit, das Ich, erkennend Subjekt und Objekt schied und damit der W e lt und sich selber zum bestimmten Sein verhalf66, denn er gab ihr und ® D er Begriff des Selbst kann in diesem Zusammenhang nur beiläufig erwähnt werden; er ist eine hypothetische Zusammenfassung des an sich unbeschreibbaren Ganzen, dessen eine Hälfte das
Ichbewußtsein und dessen andere Hälfte der Schatten ist. Dieser bewegt sich als (meistens) inferiore oder negative Persönlichkeit im Rahmen des empirisch Feststellbaren. Er umfaßt jenen T eil des kol lektiven Unbewußten, der in die persönliche Sphäre hineinragt und dort das sog. persönliche Unbe wußte bildet. Er stellt gewissermaßen die Brücke dar zu der nur bedingt persönlichen Gestalt der Anima und über diese hinaus zu den unpersönlichen Figuren des kollektiven Unbewußten. D er we sentlich intuitive Begriff des Selbst umfaßt Ichbewußtsein, Schatten, Anima und das kollektive Un bewußte in unbestimmbarer Erstreckung. Als Ganzheit ist das Selbst eine coincidentia opposito rum; es ist daher hell und dunkel, und zugleich beides nicht. W ie Angelus Silesius sagt (l.c., II, 146, p. 77) : «Gott ist ein lautrer Blitz und auch ein dunkles N icht, / Das keine Kreatur beschaut in ihrem Licht.» Hypostasieren wir das Selbst und leiten aus ihm (als einer gewissermaßen präexisten ten Persönlichkeit) (das Ich und seinen Schatten ab, dann erscheinen diese als die empirisch bis zu einem gewissen Grade faßbar gewordenen Gegensätze, die im Selbst präformiert sind. D a ich nun nicht geneigt bin, eine spekulative Begriffswelt aufzubauen, die doch nur zur öden Haarspalterei sog. philosophischer Diskussionen führt, so lege ich diesen Überlegungen kein besonderes Gewicht bei. W enn solche Begriffe dazu dienen, ein empirisches Material vorläufig zu ordnen, so haben sie ihren Zweck erfüllt. Über das Verhältnis der Begriffe Selbst und G ott an sich hat der Empiriker nichts zu sagen. 66
Gen. 1,1-7, enthält die Projektion dieses Vorganges. Dam it ist der Bewußtseinsvorgang als ein
objektives Ereignis geschildert, dessen handelndes Subjekt nicht etwa das Ich, sondern Elohim ist. W ie der Primitive sich sehr oft nicht als Subjekt seines Denkens empfindet, so ist es auch möglich, daß das Bewußtsein in fernster Vergangenheit als ein dem Ich zustoßendes Geschehen erschien, das
2. Sol
lîî
sich selber Stimme und Namen. Der lichtstrahlende Sonnenkörper ist das Ich und sein Bewußtseinsfeld - «Sol et eius umbra» —außen Licht und innen Dun kelheit. In der Quelle des Lichtes ist Dunkles genug, um daraus Projektionen zu bilden, denn die Basis des Ich ist die Dunkelheit der Psyche. Die in Ansehung der Wirklichkeit nicht zu überbietende W ichtigkeit der
126
Tatsache des Ich macht es nun erklärlich, warum diesem infinitesimalen Teil chen des Universums die Personifikation als Sol mit allen Implikationen dieses Bildes zukommt. Die göttliche Eigenschaft des Sol war dem mittelalterlichen Geiste noch ungleich lebendiger als uns, weshalb wir ohne weiteres annehmen dürfen, daß der Gesamtcharakter des Sonnenbildes bei allen allegorischen oder symbolischen Anwendungen desselben implicite vorhanden war. Z u der Ge samtbedeutung des Sol gehört mm unbedingt seine vielfache Verwendung als
Gottesbild, und zwar auch im christlichen Bereiche. Obschon die Alchemisten sehr nahe an die Einsicht herankamen, daß das Ich
127
die geheimnisvoll evasive Arkansubstanz und der gesuchte lapis sei, so wurde ihnen doch keineswegs bewußt, daß sie m it dem Sonnengleichnis die Gottheit mit dem Ich in eine innere Beziehung brachten. W ie schon mehrfach bemerkt, ist die Projektion kein Willkürakt, sondern ein natürliches, dem Zugriff des Be wußtseins entzogenes Phänomen, das der N atur der menschlichen Psyche eigen ist. W enn es also diese N atur ist, die das Sonnengleichnis erzeugt, so ist damit natürlicherweise, das heißt von der Natur selber, eine Identität von Gott und Ich ausgesprochen. In diesem Fall kann man nur noch die unbewußte Natur der Blasphemie bezichtigen, nicht aber den diese erleidenden Menschen dafür ta deln. Es ist die übliche Überzeugung des Okzidents, daß Gott und Ich das Al lerverschiedenste seien. Indien dagegen hält deren Identität für selbstverständ lich. Der indische Geist ist in seiner Art der weltschöpferischen Bedeutung des im Menschen erscheinenden Bewußtseins innegeworden67. Der W esten dageerst in der Folgezeit im Subjekt integriert wurde. Erleuchtung und Inspiration, die doch nichts ande res als plötzliche Bewußtseinserweitcrungen sind, haben auch noch für das moderne Gefühl ein an deres Subjekt als das Ich. Zum Problem der Bewußtseinsentwicklung siehe N eumann , Ursprungsgeschichte des Bewußtseins, p. 117 ff. 67
R igveda, 10,31,6 (D eussen , Geschichte d er Philosophie I, I, p. 140) : «Und dies Gebet des Sängers,
aus sich breitend, / W ard eine Kuh, die vor der W elt schon da war; / In dieses Gottes Schoß zu sammen wohnend, / Pfleglinge gleicher Hegung sind die Götter.» — A tharvaveda, 4,1 (D eussen, D ie G eheim lehre des V eda, p. 11): «Brahman zuerst vor Zeiten ward geboren; / Und später deckt* es auf der Seher glanzvoll, / Indem er seine tiefsten, höchsten Formen, / Den Schoß des, was da ist und nicht ist, aufschloß. / - 3. Der Wissende entstand, der Ihm Verwandte, / Alle Geburten kund zu tun der Götter; / Er riß heraus das Brahman aus dem Brahman, / T ief, hoch, zu seinen Satzungen
III Die Personifikation der Gegensätze
136
gen hat die Kleinheit, Schwäche und Sündhaftigkeit des Ich betont, obschon er den einen Menschen zur Gottheit erhoben hat. Die Alchemisten aber haben die heimliche Gottähnlichkeit wenigstens gewittert, und die Intuition eines A n g e lus
Sil e s iu s
hat sie schließlich auch unverhüllt ausgesprochen68.
Diese verwirrend widerspruchsvollen Aspekte löst der Osten, indem er das Ich, den persönlichen Atman im universellen Atman aufgehen läßt und damit das Ich als ein Spiel der Maja erklärt. Der westliche Alchemist wird sich der Sachlage überhaupt nicht bewußt. W o aber seine unausgesprochene Vorausset zung und sein Symbol die Ebene bewußter Gnosis erreichen, wie dies bei A n g e l u s S il e s iu s
der Fall war, da ist gerade die Kleinheit und Demut des
Ich 69 der Anlaß dazu, im äußersten Gegensatz die Identität zu erkennen70. Die Möglichkeit solcher Einsichten beruht nicht etwa auf einem willkürlichen Da fürhalten gewisser ausgerenkter Köpfe, sondern darauf, daß die Natur der Seele, die sich in Ost und W est gleichbleibt, solche Wahrheiten unmittelbar oder in durchschaubare Metaphern gekleidet ausspricht. Die Möglichkeit dieser Aussa ge wird begreiflich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß das menschliche Be wußtsein in einem gewissen Sinne weltschöpferische Eigenschaft hat. Diese Konstatierung beleidigt keine religiöse Überzeugung, denn letzterer bleibt es unbenommen, das menschliche Bewußtsein, durch welches sozusagen eine zweite Weltschöpfung erfolgte, als ein göttliches Instrument aufzufassen. Ich muß meinen Leser darauf aufmerksam machen, daß meine obigen Aus führungen über die Bedeutung des Ich ihm leicht Anlaß geben könnten, mich eines groben Widerspruchs zu zeihen. Er wird sich vielleicht daran erinnern, an
drang durch er.» — V âjasaneyi-sam hitâ, 34,3 (D eussen , l.c., p.17): «Der als Bewußtsein, Denken und Entschließen, / Der als unsterblich Licht verweilt im Menschen». 68 Ich gebrauche hier die Ausdrücke «Ich» und «Bewußtsein» als äquivalent, m .E. sind sie Aspekte eines und desselben Phänomens. Es kann nicht wohl ein Bewußtsein geben ohne ein Sub jekt, das iveiß, und vice versa. 69 «Mensch, wirst du nicht ein Kind, so gehst du nimmer ein, / W o Gottes Kinder sind: die Tür ist gar zu klein.» {C herubinischer W andersm ann, 1 , 153, p. 33). 70 «Ich bin Gotts Kind und Sohn, er wieder ist mein Kind: / W ie gehet es doch zu, daß beide beides sind?» (1. c., I, 256, p.47) «G ott ist mein Mittelpunkt, wenn ich ihn in mich schließe: / Mein Umkreis dann, wenn ich aus Lieb in ihn zerfließe.» (III, 148, p. 120) «W er ist, der mir, wie weit und breit ich bin, zeigt an? / W eil der Unendliche (G ott) in mir wandeln kann.» (IV , 147, p. 162) «Gott ist noch mehr in mir, als wenn das ganze Meer / In einem kleinen Schwamm ganz und beisammen war.» (IV , 156, p. 163) «Das Ei ist in der Herrn, die Henn ist in dem Ei; / D ie Zwei im Eins und auch das Eines in der Zwei.» (IV , 162, p. 164) «G ott wird, was ich jetzt bin, nimmt meine Mensch heit an: / W eil ich vor Er gewest, drum hat er es getan.» (V , 259, p.213)
3. Sulphur
137
anderen Stellen meiner Schriften einem ähnlichen Argument begegnet zu sein. N ur stand dort an Stelle des Ich das Selbst, nämlich der persönliche Atman im Gegensatz und in Übereinstimmung mit dem überpersönlichen. Ich habe das Selbst, wie bekannt, als die Ganzheit der bewußten und unbewußten Psyche, das Ich dagegen als zentralen Bezugspunkt des Bewußtseins definiert. Es ist ein wesentlicher Teil des Selbst, welcher pars pro toto für dasselbe eintreten kann, wenn man die Bedeutung des Bewußtseins im Auge hat. W enn man dagegen die psychische Ganzheit hervorheben möchte, so würde man sich eher des Aus druckes «Selbst» bedienen. Es handelt sich also keineswegs um eine wider sprüchliche Definition, sondern bloß um einen veränderten Standpunkt der Be trachtung.
3. S U L P H U R 7·
Der Schwefel verdient es, um seiner eigentümlichen Rolle willen, etwas näher uo unter die Lupe genommen zu werden. Zunächst interessiert sein bereits ange töntes Verhältnis zu Sol: er wird als prima materia des Sol bezeichnet, wobei natürlich unter Sol das Gold verstanden ist. (M it letzterem wird Sulphur gele gentlich sogar gleichgesetzt7172*.) Sol stammt daher von Sulphur ab. Die nahe Be ziehung der beiden erklärt die Auffassung des Sulphur als «Freund der Luna»7}. W enn das Gold (Sol) mit seiner Braut (Luna) vereint wird, so «wird mit ihr auch der coagulierende Schwefel, der im (körperlichen) Gold nach außen ge wendet (extra versum) war, umgekehrt» (introvertiert)74. Diese Bemerkung weist auf die psychische Doppelnatur des Schwefels hin (Sulphur duplex); es gibt weißen und roten Schwefel, wobei der weiße die aktive Substanz des Mon des und der rote die der Sonne ist75. Im roten soll die spezifische «Kraft» des Sulphur größer sein76. Seine Duplizität hat aber auch noch eine andere Bedeu tung: er ist einerseits prima materia, und in dieser Form ist er brennend und ät71 Oder Sulfur. Dieses Kapitel ist z .T . in den N ova A cta P aracdsica (Einsiedeln 1949), p .27ff., abgedruckt.
72 VENTURA, D e rat. conf. lap. in: T heatr. chem. (1602) II, pp. 334 und 335. 75 Figurarum aegyptiorum usw., Ms. 17. Jh . 74 Introitus apertus in: M us. herm ., p. 652. 75 T ract, aureus in: M us. herm ., p. 33; M ylius , P hil, ref., p. 54.
76 V entura , 1. c., p. 342.
III Die Personifikation der Gegensätze
138
zend (adurens) und der Materie des Steines «feind»; andererseits, «gereinigt von aller Unreinigkeit, ist er die Materie des Steines»77. Sulphur ist überhaupt eines der vielen Synonyme zur Bezeichnung der prima materia78 in ihrem doppelten Aspekt, nämlich als Ausgangsmaterial und als Endprodukt. Am Anfang steht Sulfur crudum oder vulgare, am Ende ist es aber ein Sublimationsprodukt des Prozesses79. Seine feurige Natur wird übereinstimmend betont80, und zwar be steht diese Feurigkeit nicht bloß in seiner inflammabilitas, sondern in seiner ok kulten Feuematur. W ie immer, so deutet auch hier die Anspielung auf okkulte Eigenschaften daraufhin, daß der in Frage stehende Stoff Gegenstand unbewuß ter Projektionen ist. Diese verleihen nämlich in der Regel numinose Bedeutung. Seiner durchgehenden Doppelheit entsprechend, ist der Schwefel einerseits körperlich und irdisch8182, andererseits ein okkultes, geistiges Prinzip. Als irdi scher Stoff stammt er aus der «Fettigkeit der Erde» (ex pinguedine terrae)81, worunter das humidum radicale als die prima materia zu verstehen ist. Er wird gelegentlich bezeichnet als «cinis extractus a cinere» (Asche aus Asche ausgezo gen) 83. «Asche» ist ein Inbegriff des «untenbleibenden» Körperlichen und der zurückbleibenden Schlacke, womit die chthonische N atur des Schwefels fast hy perbolisch betont ist. Er ist als männlich gedacht, insofern er rot ist84. Unter die77 T ract, aureus, l.c., pp. 24 und 25. 78 M us. herm ., pp. 21 und 11; Ae g id iu s de V adis , D ialogus in: T heatr. chem. (1602) II, p.100,
und RlPLAEUS, A xiom ata philosophica in: T heatr. chem., I.C., p. 125. 79 l.c. Als «sulphur incremabile» ein Endprodukt in: Theatr. chem ., l.c., p. 302. Ebenso D e sulphure in: M us. herm ., p.622. 80 Cons. am iugti in : A rs. chem., p. 217. Bei Paracelsus (H uSER II, p. 521) ist Sulfur eines der drei primären Feuer («fewer ist der leib der sêlen»). In der V ita longa (hg. BODENSTEIN, fol.a 6V) heißt es: «Sulphur est omne id quod incenditur, nequicquam concipit flammam nisi ratione sulphuris.» [Schwefel ist alles, was sich entzünden kann, und nichts enflammt sich, was nicht Schwefel ent hält.] B ernardus T revisanus (D e chemico m iraculo in: Theatr. chem. (1602) I, p. 793) sagt: «Sul phur enim aliud nihil est, quam purus ignis occultus in Mercurio.» [Schwefel ist nichts anderes als reines, verborgenes Feuer im Merkur.] Bei M ylius (P hil, r e f, p. 50) ist der philosophische Schwefel «simplex ignis vivus, alia corpora mortua vivificans» [ein einfaches, lebendiges Feuer, das die ande ren, toten Körper belebt]. Ähnlich Penotus , Regulae, in: T heatr. chem. (1602) II, p.150. Sulphur als «magna flamma» wird der kleinen Lebensflamme des Alchemisten gefährlich. (D e sulphure in: Mus. herm ., p. 637) 81 R iplaeus, Opera om nia, p. 150. 82 Tract, aureus in: M us. herm ., p. 24. 85 A u rora cons. I I in: A rt. a u n f. I, p.229. 84 In der Symboltabelle des Penotus (T heatr. chem., 1602, II, p. 1, 2, 3) steht der parallel zur «vi rilitas prima» und den «D ii caelestes». Sozusagen gegensätzlich zu den Himmlischen ist die weitere Zuordnung von leo, draco und unicomu.
3. Sulphur
139
sem Aspekt stellt er das Gold respektive Sol dar85. Als chthonisches Wesen schlechthin hat der Schwefel nächste Beziehung zum Drachen. So heißt es von diesem, er sei «nostrum secretum sulfur»86. Als solcher ist der Schwefel auch die aqua divina, die als Ouroboros symbolisiert wird878. Diese Analogien machen ihn oft beinahe ununterscheidbar vom Mercurius, indem das gleiche von beiden ausgesagt wird. «H ic est noster naturalis ignis certissimus, noster Mercurius, sulphur» usw. heißt es im « Tractatus aureus de lapide» M. In der « Turba» ist das argentum vivum ein feuriger Körper, der sich genau so verhält wie der Schwe fel89. Letzterer ist bei P a r a c e l s u s mit Sal (Salz) Erzeuger des Mercurius, der durch Sonne und Mond geboren wird90. Oder er ist «in profundo... naturae Mercurii91», oder «von der N atur des Mercurius92, oder Sulphur und Mercurius sind «Bruder und Schwester»93. Dem Schwefel wird das «posse metalla solvere, occidere, vivificare» des Mercurius zugeschrieben94. Mit dieser innigen Beziehung zum Mercurius wird es offenbar, daß der 132 Schwefel eine geistige oder seelische Substanz von universaler Bedeutung darstellt, von der ungefähr alles gilt, was von ersterem ausgesagt wird. So ist der Schwefel die anima nicht nur der Metalle, sondern der Naturwesen überhaupt; im « Trac tatus aureus de lapide» wird er mit «nostra anima» parallel gesetzt95*. In der « Tur ba» heißt es: «Sulfura sunt animae, quae in quatuor fuerant occultae corpori bus» (D ie Schwefel sind Seelen, die in den vier Körpern verborgen waren) 98 85 Com. coniugii in : A rs. chem., p. 217, und Epistola a d Hermannum in : Theatr.chem . (1622) V ,p . 893.
88 M ylius , P hil, ref., p. 104; A nnotationes zu Z acharius in: T heatr. chem. (1602) I, p.859. 87 M ylius , 1. c., p. 179; M us. herm ., p. 37. 88 M us. herm ., p. 39. [Dies ist unser zuverlässigstes Naturfeuer, unser Merkur, Schwefel usw.] 89 T u rba (hg. R uska ), p. 149. Z .2 lff . Im Com. coniugii, p.66, heißt es: «Omne argentum vivum sulphur» [Alles Silber ist lebendiger Schwefel], ein «PLATO»-Zitat; desgleichen l.c ., p.202. 90 D epestilitate, I, (H usbr, 1589, pars I I I, p .24; Sudhoff X IV , p .597). 91 GEBER-Zitat bei B ernardus T revkanus in: Theatr. chem. ( 1602) I, p. 793. 92 MORIENUS-Zitat, l.c. * R iplaeus, Chymische S chafften , p. 32. Mercurius als das «W eib» des Sulphur, «so die Schwän gerung der Fracht von ihm empfehet» (1. c., p. 70f.). 94 [die Fähigkeit, Metalle aufzulösen, zu töten und wiederzubeleben] O e sulphure in: M us. herm ., p.626. 95 M us. herm ., p. 39. «Nostra» bedeutet hier natürlich: wie wir, die Alchemisten, sie verstehen. Ähnlich in: T u rba (hg. R uska ), p. 123. 98
l.c., p. 149. D ie «vier Körper» beziehen sich auf die antike Tetrasomie , die aus vier Metallen
besteht. D orneus ( Congeries P aracdsicae in: T heatr. chem., 1 6 0 2 ,1, p.622) wirft den Griechen vor, sie hätten ihre Vierzahl (eben die Tetrasomie) in ein Reich teuflischer Idole, das von Saturn, Venus, Mars und Merkur beherrscht sei, verkehrt.
l4 0
III Dic Personifikation der Gegensätze
P a r a c e l s u s 97
bezeichnet den Schwefel ebenfalls als Seele. Bei M
y l iu s
kommt
aus dem Schwefel das fermentum, welches «die Seele ist, die dem unvollkomme nen K ö rp er... das Leben gibt»98. Im «Tractatus Micreris» heißt es: «..quousque natus viridis tibi appareat, qui eius est anima, quam viridem avem et aes, et sul phur philosophi nuncupaverunt» (.. bis dir der grüne Sohn erscheint, welcher dessen99 Seele ist, welche die Philosophen grünen Vogel und Erz und Schwefel genannt haben100). Die Anima wird auch als das «Verborgene (occultum) des Schwefels» bezeichnet101. Die grüne Farbe weist im Bereiche der christlichen Psychologie auf spermati sche, zeugende Eigenschaft. Grün ist darum die dem Heiligen Geiste als einem schöpferischen Prinzip zugeschriebene Farbe102. So sagt D
o rn eu s
vom Schwe
fel: «Der männliche und universale Samen, der erste und mächtigste, ist der Schwefel seiner Natur, aller Zeugungen erster Teil und mächtigste Ursache103.» Er ist der Lebensgeist, spiritus vitae, selber. In seinem Traktat «De tenebris con
tra naturarm schreibt
D o rn eu s:
«W ir haben vorhin gesagt, das Leben der
W elt sei das Licht der N atur und der himmlische Schwefel, dessen Grundlage (subiectum) die ätherische Feuchtigkeit und die W ärm e des Firmamentes ist, nämlich Sol und Luna104.» Sulphur hat hier bereits kosmische Bedeutung er langt und wird mit der lux naturae, der naturphilosophischen Erkenntnisquelle par excellence, gleichgesetzt. Dieses Licht leuchte allerdings nicht ungehindert, meint D
o rn eu s.
Es werde nämlich durch die Finsternisse der Elemente des
menschlichen Körpers verdunkelt. Für ihn ist also Sulphur eine lichte, himmli sche Wesenheit. Immerhin ist dieser Schwefel «ein Sohn, der von den unvoll kommenen stammt», aber «bereit ist, die weißen und purpurnen Ge-
97 [D e natura rerum = ] D egeneratione rerum naturalium , I (S ud ho ff X I , p.319). 98 P h il refi, p. 203. 99 Bezieht sich auf vorausgehendes «sol». 100 T heatr. chem. (1622) V , p. 103. 101 H o gh ela n d e , U ber d e aU him iae d ifficu ltatibu s in: T heatr. ch m . (1602) I, p. 171. 102 D ie Gottheit ist das Grüne; im Cherubinischen W andersmann (I, 90, p.24) des Angelus SileSIUS: «D ie Gottheit ist mein Saft: was aus mir grünt und blüht, / D as ist sein heilger G eist, durch den der Trieb geschieht.» 101 Physica Trism egisti in: T heatr. ch m . (1602) I, p.423. «Pater e t semen masculum» [der Vater und der männliche Sam en]: LuLLlus-Zitat bei Hoghelande, l.c., p.172. «Substantia sulphuris... quasi semen paternum, activum et formativum» [die Substanz des Schwefels ist gleichsam der väter liche Samen, aktiv und gestaltend] : THOMAS-Zitat, Lc. 1
3. Sulphur
141
wänder anzuziehen105». Bei R i p l a e u s ist er «ein Geist der gebährenden Krafft/ so da wircket in der feuchte106...» . Im Traktat «D esulphure» ist er «die Kraft (virtus) aller Dinge» und eine Quelle der Erleuchtung und alles W issens107. Er weiß schlechterdings alles108. Bei dieser Bedeutung des Sulphur lohnt es sich, einen kurzen Blick auf des- m sen Wirkungen, wie die Alchemisten sie angeben, zu werfen. Vor allem wirkt er brennend und verbrennend: «Die kleine Kraft dieses Schwefels verbrennt einen starken K örper109.» Mit letzterem ist die Sonne gemeint, wie aus dem Satz her vorgeht: «Der Schwefel schwärzt die Sonne und verbrennt sie.» Er verursacht oder bedeutet die Putrefaktion, «die in unseren Tagen niemals gesehen wurde», wie das « Rosarium» sagt110. Ein drittes Vermögen ist das des Koagulierens111, und ein viertes und fünftes das des Färbens (tingere, colorare) und des Reifens (m aturare)112*. Das «putrefacere» (faulen) wird auch verstanden als «corrumpe re» (verderben). Der Schwefel ist die «Ursache der Unvollkommenheit aller Metalle»; er ist das «Korruptiv der Vollendung»; er «veranlaßt die Schwärze in jeglichem W erke»; «viel Schwefeligkeit ist Ursache der Verderbnis»; der Schwefel ist «schlecht und nicht gut gemischt»; er ist «schlecht und von schlechtem, stinkendem Geruch und von schwacher Kraft» (virtutis debilis). Seine Substanz ist dicht und zähe, und seine korrumpierende W irkung beruht ei nerseits auf seiner Entzündbarkeit, andererseits auf dem «irdischen Unrat», der er ist (terrea foeculentia). «Er verhindert die Vollendung in allen seinen W erken m.» 105 Phil, cbem ., l.c., p.482. i°6 Chymische Schrifften, p. 10. 107 «.. sed quod maius est, in Regno eius est speculum in quo totus Mundus videtur. Quincunque in hoc speculum inspicit, tres partes sapientiae totius Mundi in illo videre et adiscere potest, atque ita sapientissimus in hisce tribus Regnis evadet» [doch, was noch mehr ist: in seinem Reich ist ein Spiegel, in dem man die ganze W elt sieht. W er in diesen Spiegel schaut, kann in ihm die drei Berei che der W eisheit der ganzen W e lt sehen und kennenlemen und so selber als W eiser aus diesen drei Reichen hervorgehen]. (M us. herm.> p.635) 108 l.c., p.637, wird ein Gespräch des Alchemista m it einer Stimme (vox) geschildert. D er A. fragt: «Domine, scitne etiam Sulphur aliquid in Metallis?» V ox: «D ixi tibi, quod omnia scit, et in metallis multo melius quam alibi» [Herr, w eiß der Sulphur auch etwas von den Metallen? Stimme: Ich habe dir gesagt, daß er alles weiß, und bei den Metallen noch besser ab anderswo] ; L c , p.634: «.. est cor omnium rerum» [er ist das Herz aller D in g e ]. 109 T u rba (hg. RUSKA), p. 125, Z. lOf. no A rt. a u r if II, p.229.
111 Z acharius, Opusculum in: T heatr. chem. (1602) I, p.842. 112 D e sulphure in: M us. berm .,p .6 3 2 . m M y u u s , P hil, ref.y p .6 l ff.
142
»s
III Die Personifikation der Gegensätze
Diese ungünstige Schilderung hat einen alten Adepten offenbar dermaßen beeindruckt, daß er bei den causae corruptionis die Marginalnotiz «diabolus» anbrach t e " 4. Diese Notiz ist sehr erleuchtend: sie bildet den Kontrapunkt zu der Lichtrolle des Sulphur; er ist ein Lucifer oder Phosphorus, vom schönsten Stern am chymischen Firmament bis zu den Schwefelhölzern «candelulae, quas vetulae ad accendendum ignem vulgo vendunt» (Kerzchen, welche gewöhnlich alte Frauen zum Feueranzünden verkaufen)114115. W ie so viele andere Eigenschaf ten, so hat er auch diese äußerste Paradoxie mit dem Mercurius gemein, außer dem noch, wie dieser, eine Beziehung zu Frau Venus, jedoch diskreter und ver borgener angedeutet: «Unsere Venus ist nicht der vulgäre Schwefel, welcher brennt und verbrannt wird mit der Verbrennung des Feuers und der Verderbnis, sondern das W eiße der Venus der Weisen wird verbrannt mit der Verbrennung der W eiße und der Röte (albedinis et rubedinis), welche Verbrennung die gänz liche W eißung (dealbatio) des ganzen Werkes ist: daher werden zwei Schwefel und zwei argenta viva erwähnt116, und diese sind, was sie
ne
Eine andere Anspielung findet sich in einer Parabola des Traktates «De sul
phure» 12°: ein Alchemist sucht den Schwefel. Seine Quest fuhrt ihn in den Hain der Venus, und er erfährt dort durch eine Stimme, die sich später als die des Sa turn zu erkennen gibt, daß Sulphur auf den Befehl seiner Mutter gefangen sei. Er wird gerühmt als der «mille rerum artifex» (Schöpfer von tausend Dingen), als das Herz aller Dinge, als der, welcher den Lebewesen den Verstand (intellec tus) beibringt, als der Erzeuger aller Blumen und Blüten auf Kraut und Baum
114 So in dem in meinem Besitz befindlichen Exemplar der M iosop h ia reform ata, p.62. Bei
G lauber (D e natu ra salium , pp. 43 und 41) ist der sulphur der «rechte schwartze Höllen Teuffel», der sich in der Hölle mit dem Salz streitet. 115 D e sulphure in: M us. herm ., p.640. D ie candelulae sind «Elychnia ex sulphure, quo subducun tur fila, aut ligna, Schwefel Kärtzlein» [Lichter aus Schwefel, in welchen Fäden oder Hölzer ge taucht sind]. (R ulandus, Lexicon, p .4 5 7 , 13) 116 N äm lich unten und oben, grob und fein, stofflich und geistig. 117 Sie sind aber eines und dasselbe. W ie oben, so unten, und vice versa. Vgl. Tab. Smaragd, (hg.
R uska ), p.2, 2. 118 «Natura natura gaudet», nach dem Axiom des D emokritos (B erthelot , A ich, grecs, II, I, 3, pp. 45/43). 115 Andeutung des Ouroboros. Der T ext findet sich in: Resinus a d SarraUmtam in: A rt. a u r if I,
p.302. 120M us. herm ., p .6 3 3 ff.
3. Sulphur
14?
und schließlich als «omnium colorum pictor» (Maler aller Farben)121. Dies könnte auch ohne weiteres eine Schilderung des Eros sein. Zudem erfahren wir, daß seine Gefangenschaft ihm darum auferlegt wurde, weil er sich den Alchemi sten als zu willfährig seiner Mutter gegenüber gezeigt habe. Obschon nicht ge sagt wird, wer seine Mutter ist, so dürfen wir doch vermuten, daß es Venus sel ber sei, die den unartigen Cupido eingesperrt h at122. Diese Deutung ergibt sich zwanglos aus dem Umstand, daß erstens der Sulphur, dem Alchemisten unbe wußt, sich in dem Hain der Venus123 befindet (der W ald hat wie der Baum mütterliche Bedeutung!), daß zweitens Saturn sich als «praefectus carceris» vor stellt, wobei den damaligen alchemistischen Kennern der Astrologie die ge heimnisvolle Art des Saturn bekannt w ar124*, daß drittens nach dem Verschwin den der Stimme der Alchemist in Schlaf fällt, in dem er visionär im selben Hain eine Quelle erblickt und dabei den (personifizierten) Sulphur; und daß endlich viertens die Vision abschließt m it der chymischen «Umarmung im Bade». Ve nus ist hier zweifellos der amor sapientiae, der die etwas vulgivagen Allüren des Sulphur dämpft. Letztere aber kommen wohl daher, daß sein Sitz im Ouroboros sich in der cauda draconis befindet123. Sulphur ist das Männliche par excellence und das «Sperma homogeneum»126, und da es vom Drachen heißt «impraegnat 121 E in P a t ie n t tr ä u m t: « £ r werden T iere gejagt. D er Teufel, als Schutzpatron derselben, tritt au f. In
seinem schw arzbraunen Gesicht erscheinen p lötzlich a lle F a rb e n : u n d dann ein zinnoberroter Fleck a u f d er Wange.» 122 A ls M u tte r k ä m e a u ß e rd e m n u r n o c h L u n a in B e tr a c h t . S ie t r it t sp ä te r in d e r P a ra b e l e b e n fa lls auf, a b e r in der G e s t a lt d e r D ia n a , a ls o in d e r T o c h te r -S c h w e s te r -R o lle . 125 D i e d em S u lp h u r z u g e sc h rie b e n e g r ü n e F a rb e , se in e F a r b ig k e it ü b e r h a u p t, w e lc h e ic h o b e n e rw ä h n t h a b e , h a t e r m it der V e n u s g e m e in , w ie d ie V e r s e in der Gemma gemmarum z eig e n (A u ß le g u n g R h ith m o r u m B a s ilij u sw ., F I I I V) : «Von Venere. D u r c h s ic h tig / grü n / lie b lic h v o n glan tz/ / B in ic h v o n F a rb e n g a r u n d g a n tz / / D o c h s te c k t in m ir e in r o th e r G eist/ / K e i n N a m e n w e is ic h w ie e r h eist/ / D e n ic h v o n m e in e m M a n n b ek am / / D e m s tre itb a r e n M a r ti lo b e s a m » u sw . — D e r « ro th e G e is t» is t e b e n u n s e r S u lp h u r - « o m n iu m c o lo r u m p ic to r» . 124 I n d e r Occulta chemicorum philosophia
p.564f.
(B asilius V alentinus , Trium ph W agen A ntim onii,
[e n th ä lt d ie o b ig e n V e r s e ] ) fin d e t s ic h e in e a s tro lo g is c h e C h a ra k te ris tik d es S a tu rn u s: er is t
der « P r o b e r a u s s e rk o h rn » , u n d S o l u n d L u n a , d ie « a lle in d u rc h ih n b e s te h n » , re sp . deren c o n iu n c tio , e rh itz t sein e n k a lte n L e ib , « b a ss d e n n e in ju n g s W e i b » . S c h o n in der a n tik e n , v o r p to le m ä is c h e n T r a d itio n s te h t S a tu rn in V e r b in d u n g m i t d u b io se n L ie b e sa ffä ren .
(B ouchî -Leclercq, L ’A strologie
grecque, p . 4 3 6 1) M us. herm ., p .6 2 3 , e r w ä h n t d ie « ca rceres in fe rn a le s , u b i su lp h u r lig a tu m ia c e t» [d ie H ö lle n k e rk e r , w o S u lp h u r g e fe s s e lt l i e g t ] . 121 « . . cau d a < d ra c o n is> e s t su lp h u r eiu s » [d e r S ch w a n z is t sein S c h w e fe l] (Gons, coniugii in : A rs.
chem., p. 140). 126J ohan nes Amehung (Jean de M e u n g ) in: D em onstratio naturae (M us. herm ., p. 162). J ean de
Meung lebte ca. 1250-1305.
144
III Die Personifikation der Gegensitze
se ipsum (schwängert sich selbst)», so ist die cauda sein männlicher, sein Ra chen aber der weibliche Teil; und wie es von Beya127 heißt, daß sie ihren Bruder vollständig in ihren Leib aufgenommen und dort in Atome zerteilt habe, so frißt sich auch der Drache vom Schwanz her auf, bis sein ganzer Körper in sei nen K op f aufgeschluckt ist128. D a der Schwefel das innere Feuer des Mercurius ist129, so nimmt er selbstverständlich teil an dessen gefährlichster und bösester Natur, personifiziert im Drachen und im Löwen, was die Gewalttätigkeit, und im Cyllenius, was die concupiscentia betrifft130. Der Drache, an dem der Schwe fel teilhat, ist öfters der Drache von Babel, oder genauer: es ist das «caput draco nis» (Drachenhaupt), welches ein «venenum pernitiosissimum» (verderblich stes G ift), einen vom fliegenden Drachen ausgehauchten Giftdampf darstellt. Das Drachenhaupt kommt «mit großer Geschwindigkeit aus Babylon» hervor. Der «draco alatus» (geflügelt), welcher das argentum vivum darstellt, wird aber erst nach seiner Vereinigung mit dem «draco sine alis» (ohne Flügel), welcher dem Schwefel entspricht, zu dem giftschnaubenden Ungetüm131. Dem Sulphur fällt hier eine bösartige Rolle zu, welche m it dem sündenbeladenen Babel gut zusammenpaßt. Überdies setzt das «Scriptum Alberti» diesen Drachen der men schenköpfigen Schlange des Paradieses gleich, welche die «imago et similitudo Dei» (Gottebenbildlichkeit) im Kopfe trug, worin auch der tiefere Gmnd liegt, warum der Drache den ihm verhaßten Körper ganz in seinen K op f auffrißt. «Caput eius vivit in aeternum et ideo caput denominatur vita gloriosa, et angeli serviunt ei.» (Sein
127 I n d e r z w e ite n F a ssu n g der V isio A risleiin : R os.phil. (A rt. au n f. I I , p .2 4 6 ) .
128 A lbertus M agnus , Superarborem A ristotelis in: Theatr.chem . (1602) II,p.526f. 129 « .. in su lp h u r e P h ilo s o p h o ru m to tu m h o c a rc a n u m la te t, q u o d e tia m in p e n e tra lib u s M e rc u ri: c o n tin e tu r » [im S c h w e fe l der P h ilo s o p h e n i s t d ie ses g a n z e G e h e im n is v e rb o rg e n , das a u c h im In n e r s te n d es M e rc u riu s i s t ] . (M us. herm ., p . 6 4 } ) 180 Z u le tz te r e m v g l. m e in e n A u fsa tz D er G eist M ercurius, P a ra g r. 2 7 8 .
1.1 F lamellus, Summarium philosophicum in: M us. herm ., p. 173. 1.2 A lbertus M agnus , 1. c ., p . 52 5 . 115 « D a v e r lä ß t i h n d e r Teufel; u n d sie h e , E n g e l tra te n h e ra n u n d d ie n te n ih m .»
143
3. Sulphur
scheidungsfahigkeit beizubringen, so daß sie die Unvollkommenheit der W erke des Demiurgen erkennen konnten. Als der Sohn der sieben Planeten ist der Drache deutlich der filius macrocosmi, und als solcher teils Parallelfigur, teils Rivale Christi154. Das Drachenhaupt enthält den kostbaren Stein, was wohl heißt: Das Bewußtsein enthält das symbolische Bild des Selbst; und wie der La pis die Gegensätze in sich vereinigt, so assimiliert das Selbst Bewußtseinsinhal te und Unbewußtes. M it dieser Bedeutung des caput draconis steht sein tradi tioneller W ert als günstiges Omen in bester Übereinstimmung. W ir kehren wieder zum Sulphur zurück. Aus dem bisher Gesagten geht d» deutlich hervor, daß Sulphur der Inbegriff einer aktiven Substanz ist. Er ist der «spiritus metallorum135» oder bildet mit dem argentum vivum, als dem anderen «spiritus naturae», die beiden Prinzipien und die «materia» der Metalle, indem sie selber Metalle «in potentia» sind156. Er bildet auch den Stein zusammen mit dem Mercurius157. Ja , er ist das «Herz aller D inge158» und die «Kraft (virtus) aller D inge159». Bei einer Aufzählung der Synonyme des lapis als «secretum to tum, et vita uniuscuiusque rei» (das ganze Geheimnis und das Leben jeglichen Dinges) neben aqua und humor, sagt das «Consilium coniugihr. «Das Ol, wel ches die Farbe aufnimmt, das heißt den Glanz der Sonne, ist selber der Schwe fel140.»
M
y l iu s
vergleicht ihn mit dem Regenbogen: «Es leuchtet aber der
Schwefel gleich dem Regenbogen über den W assern »... «der Bogen der Iris steht mitten auf dem reinen, flüssigen und fließenden W asser und mitten auf der E rd e»... «von daher wird die ganze Eigentümlichkeit (proprietas) des Schwefels und seine natürliche Ähnlichkeit durch den Regenbogen ausge drückt.» Und so ist der Schwefel, insofern er durch den Regenbogen dargestellt wird, eine «divina et mirabilis peritia» (eine göttliche und wunderbare Erfah1M S ie h e Psych. und A ich., P a ra g r. 26.
135 M ylius , P hil, ref., p. 185. 06 V entura , D elap.phil. in (Theatr. chem., ( 1 6 0 2 )
II,
p.262.
1371. c ., p . 2 7 6 .
m M us.herm ., p .6 3 4 . 139 l . c . , p . 6 3 5 . 140 I n : A rs. chm ., p .6 6 . A ls ä h n lic h der « a n im a m e d ia n a tu ra » b e s c h rie b e n i n d en Aphorismi Basi-
liani (Theatr. chm ., 1 6 1 3 , I V , p .3 6 8 ) : « A n im a n s a u te m v is, ta n q u a m M u n d i g lu tin u m , in te r S p iri tu m a tq u e c o rp u s m e d iu m e s t, a tq u e u triu s q u e v in c u lu m , in S u lp h u re n im iru m ru b e n tis a tq u e rra n sp are n tis o le i cu iu sd a m , v e lu ti S o l in M a io re M u n d o , e t c o r M ic r o c o s m i.»
[ D i e b e s te h e n d e
K r a ft ab e r, w ie e in L e im der W e l t , is t das M it tle r e z w isch en G e is t u n d K ö r p e r u n d b e id e r B a n d , im S c h w e fe l e in e s ro te n , d u rc h s ic h tig e n Ö le s , w ie d ie S o n n e im M a k r o k o s m o s u n d das H e r z im M ik r o k o sm o s < M e n s c h e n > .]
III Die Personifikation der Gegensätze
146
rung). W enige Zeilen weiter, nachdem er Sulphur als die eine Komponente der aqua erwähnt hat, schreibt M
y l iu s ,
der Mercurius (eben die aqua) müsse durch
Destillation gereinigt werden «ab omni feculentia terrestri, et cadit Lucifer: hoc est, immunditia et terra maledicta e coelo aureo» (von allem irdischen Unrat, und es fällt Luzifer, das ist die Unreinigkeit und die verfluchte Erde, aus dem goldenen H im m el)141. Luzifer, der der schönste Engel war, ist zum Teufel ge worden, und Sulphur ist «de faeculentia terrae» (vom Unflat der Erde). Hier, wie bei dem oben erwähnten Drachenkopf, steht Höchstes und Tiefstes nah bei sammen. Obschon eine Personifikation des Bösen, steht der Schwefel mit der Pracht des Regenbogens über Erde und Wasser, ein «vas naturae» (natürliches G efäß)142 der göttlichen Wandlung. Nach all dem Vorgebrachten ist es einleuchtend, daß der Schwefel fiir die Al chemisten eines der vielen Synonyme der geheimnisvollen Wandlungssubstanz ist143. Dies drückt sich wohl am deutlichsten in der « Turba» aus: «Röstet es daher sieben Tage hindurch, bis es glänzend wie Marmor wird, weil es, wenn es so wird, ein größtes Geheimnis ist, da der Schwefel mit dem Schwefel ge mischt worden ist; und das größte W erk ist von daher bewirkt worden, wegen der ge genseitigen Verwandtschaft, weil Naturen, die ihrer N atur begegnen144, sich freuen145.»
Das ist ja das Charakteristikum der Wandlungssubstanz, daß sie «alles, wessen sie bedarf» (omne quo indiget) bei sich hat, also ein völlig autonomes Wesen ist, wie der Drache, der sich selbst zeugt, gebiert, tötet und verschlingt. Es ist fraglich, ob es den Alchemisten, die alles, nur keine konsequenten Denker wa ren, je deutlich zum Bewußtsein gekommen ist, was sie mit solchen Bildern ei gentlich aussagen. Dem W ortlaut nach handelt es sich bei ihrer Vorstellung um ein «increatum», um ein Wesen ohne Anfang und Ende, welches keines 141 P hil, ref., p. 18. E in e ä lte re Q u e lle is t D e arte chim ica in : A rt. au rif. I , p. 6 0 8 . 142 « V o n L u lliu s so
145D u r c h w e g s
genannt» (H oghblande, D ealch . d iff. in: T heatr. chem., 1602,1, p. 190).
so b e i
Khunrath, Von hyl.
p . 2 5 2 ) « n o m e n a q u a e d iv in a e»
Chaos, p .2 6 4 . I n : Kosinus a d Euthiciam (A rt. au rif. I,
[N a m e d e s g ö tt lic h e n W a s s e r s ] . B e i ZACHARIUS (T heatr. chem.,
1 6 0 2 , 1, p .8 3 1 ) is t S u lp h u r d ie « p in g u e d o in ca v e rn is te rrae » [F e ttig k e it in d en H ö h le n d e r E r d e ]. V g l. a u c h R ula n d u s , Lex. alch ., p .4 5 3 . PERNETY (D ia . mytho-herm ., p p .4 6 8 , 4 6 9 , s .v . so u fre ) sag t: « . . o n v o it le m o t d e soufre a ttr ib u é à b ie n d es m a tiè r e s m ê m e très-o p p o sé e s e n tr e e l l e s . . . L e s P h ilo s o p h e s o n t d o n n é à c e s o u fre u n e in fin it é d e n o m s .» [M a n s ie h t das W o r t S c h w e fe l a u f v ie le , selb st u n te re in a n d e r g a n z g e g e n s ä tz lic h e S to ffe a n g e w e n d e t... D i e P h ilo s o p h e n h a b e n d ie sem S ch w e fe l z a h llo s e N a m e n g e g e b e n .] 144 A n s p ie lu n g a u f das A x io m
14' luria (hg. R u SKA), p. 192.
des D emokriTOS [vgl. A n m . 118] .
147
3. Sulphur
Zweiten bedarf. Ein solches Ding kann per definitionem nur Gott selber sein, allerdings - müssen wir beifügen —Gott im Spiegel der Physis gesehen und da her bis zur Unkenntlichkeit verdunkelt. Das «unum», wonach die Alchemisten streben, entspricht der «res simplex», die der «Liber quartorum» als «Deus» be zeichnet146. Diese Andeutung ist allerdings ein Unikum, auf das ich bei der Ver derbtheit des in Frage kommenden Textes kein zu großes Gewicht legen möch te, obschon die Spekulationen eines D o rn eu s über das «unum» und den «una rius» dem angedeuteten Gedanken nicht allzu ferne stehen. So sagt auch die
«Turba»·. «Und dennoch sind es nicht verschiedene Naturen, noch mehrere, sondern eine einzige , die ihre Kräfte in sich hat, durch die sie über die anderen Dinge hervorragt. Seht ihr nicht, daß der Meister m it Einem begonnen und durch Eines geendigt hat? Dann hat er jene Einheiten das 'W asser des Schwefels“ genannt, das die ganze N atur besiegt147.»
Die Besonderheit des Sulphur drückt sich auch in dem Paradox aus, daß er «incremabile» (unverbrennbar) und ein «cinis extractus a cinere» (Asche aus Asche ausgezogen) sei148. Seine W irkung (als aqua sulfurea) ist unendlich149. Das «Consilium coniugii» sagt von ihm: «Sulphur nostrum non est sulphur vul gi 15°», was sonst vom philosophischen Gold gesagt wird. Bei
PA RA C ELSU S
(«Li
ber Azotb») wird der Schwefel als «lignum» und «linea vitae» und als vierfach (entsprechend den vier Elementen) bezeichnet. Aus ihm erneuere sich der Geist des Lebens151. Vom philosophischen Sulphur sagt
M
y l iu s
,
daß ein solcher auf
Erden nicht gefunden werden könne, außer in Sol und Luna, und er werde kei-
146« . . r e s e x q u a s u n t re s e s t D e u s in v is ib ilis , e t im m o b ilis , c u iu s v o lu n ta te in te llig e n tia c o n d ita e s t, e t v o lu n t a te e t in te llig e n tia e s t a n im a s im p le x , p e r a n im a m s u n t n a tu ra e d isc re ta e , e x q u ib u s g e n e ra ta e s u n t c o m p o s ita e » [d a s S e ie n d e , a u s d e m d ie D in g e s ta m m e n , is t d e r u n s ic h tb a re , u n b e w e g te G o t t , d u rch d e ssen W i l l e n d e r W e l t g e i s t g e s c h a ffe n w u rd e , u n d a u s W i l l e u n d G e i s t d ie e in fa c h e S e e le , u n d d u rc h s ie d ie u n te rs c h ie d lic h e n D i n g e d e r N a t u r , a u s d e n e n d ie z u sa m m e n g e se tz te n D in g e e n ts ta n d e n s in d ] . (Thealr. chem., 1 6 2 2 , V , p . 1 4 5 ) 147 H g .
R uska , p.255
148 Aurora com. II in : A rt. aurif. I , p . 229 . « S u lp h u r in c o m b u s tib ile » im Qms. coniugii, p . 1 4 9 . 149 « . .n o n h a b e t in a c tu su o fin e m , q u ia t i n g it in in fin it u m » [ e r h a t k e in E n d e i n se in e m W i r k e n , da er in s U n e n d lic h e fä rb e n k a n n ] (1. c ., p . 1 6 4 ). 150 [ U n s e r S c h w e fe l is t n ic h t d e r g e m e in e S c h w e fe l] l . c . , p . 1 9 9 . 151 B e i
Sudhoff X I V
, p . 555 f. s ta tt S u lp h u r tp ; h ie r w ie o b e n b e i
v e rb u n d e n . O h n e A n g a b e
von
te x tk r itis c h e n o d e r a n d eren
M ylius
Gründen
Azoth u n te r d ie Spuria. Ic h k a n n d ie se r A n s ic h t n ic h t b e ip flic h te n .
m it d em R e g en b o g en
rech n et
Sudhoff
d e n U ber
III Die Personifikation der Gegensätze
148
nem
genannt,
wenn
er
ihm
nicht
von
Gott
offenbart
werde152*.
D o rn eu s nennt ihn den «filius genitus ab imperfectis» (Sohn, erzeugt von den unvollkommenen «(Körpern)·), welcher, wenn sublimiert, zu dem «höchst aus gezeichneten Salz der vier Farben» werde. In dem alten «Tractatus Micreris» ist er sogar schlechthin als «thesaurus Dei» bezeichnet155. W ir wollen uns mit diesen Aussagen über den Schwefel als Arkan- und Wandlungssubstanz begnügen. Ich möchte nur die Bemerkung des P aracel sus
über dessen vierfache Natur und die des PARACELSUSschülers DORNEUS
über die vier Farben als Symbole, die auf die Totalität hinweisen, hervorheben. Die psychische Wesenheit, die in allen solcherweise charakterisierten Arkansubstanzen als Projektion erscheint, ist das unbewußte Selbst. Um dieser Tatsache willen drängt sich immer wieder die bekannte Lapis-Christus-Parallele154 auf, was auch beim Sulphur der Fall ist in der oben erwähnten Parabel vom Aben teuer des Adepten im Haine der Venus. W ie erwähnt, schläft er dort, nach einem längeren, belehrenden Gespräche mit der Stimme des Saturnus, ein. Im Traume erblickt er neben der Quelle des Haines zwei männliche Gestalten, die eine ist Sulphur, die andere Sal. Ein Streit erhebt sich, und Sal fugt dem Sulphur ein «vulnus incurabile» (unheilbare W unde) bei. Alsbald entströmt dieser das Blut in Gestalt «weißester Milch». In noch tieferem Schlafe wandelt sich dieses Wasser in einen Fluß. Aus dem Haine tritt Diana und badet in dem wunderba ren Wasser. Ein vorübergehender Fürst (Sol) sieht sie, und beide entbrennen in Liebe zueinander, worauf sie in Ohnmacht fällt und untersinkt. Die Gefolg schaft des Fürsten will aus Furcht vor dem gefährlichen W asser sie nicht ret ten 155, worauf er sich in den Fluß stürzt und von ihr in die Tiefe gezogen wird. Daraufhin erscheinen ihre Seelen über dem Flusse und erklären dem Adepten, 152 P hil, r e f, p. 5 0 f . 15i T heatr. chem. ( 1 6 2 2 ) V , p . 1 0 6 . 154 A u s fü h rlic h b e h a n d e lt i n : Psychologie u n d A lchem ie, I I I , K p . 5. 155 D e r F lu ß is t zw ar k le in , a b e r « p e ric u lo s is sim u s » . D i e D ie n e r s a g e n , s ie h ä tte n e s s c h o n e in m a l v e r s u c h t, ü b e rz u se tz e n , ab e r « v ix a p e ric u lo a e te m a e m o r tis ev a sim u s» [s e ie n m i t k n a p p e r N o t d e r G e fa h r d es e w ig e n T o d e s e n t r o n n e n ] . E s h a n d e lt s ic h a ls o n ic h t u m e in e g e w ö h n lic h e L e b e n sg e fa h r, son d ern u m d en ewigen Tod. D i e D ie n e r fu g e n h in z u : «. .s c im u s e tia m q u o d e t a lii n o s tr i a n te c e s s o res h ic p e rie ru n t» [w ir w isse n , d a ß a u c h m a n c h e u n se rer V o r g ä n g e r h ie r u m g e k o m m e n s in d ] . D i e D i e n e r sin d d ie A lc h e m is te n , u n d der F lu ß , resp . dessen W a s s e r , s y m b o lis ie rt d ie ih n e n d ro h e n d e G e fa h r, d ie a lle m A n s c h e in n a c h das Ertrinken ist. D i e p s y c h is c h e G e fa h r d es Opus b e s te h t in d e r A u s lö s u n g d es U n b e w u ß te n u n d des d a d u rch v e ru rs a c h te n V e r lu s te s der S e e le — d a h e r der « e w ig e T o d » . Ic h b e s itz e e in a lc h e m is tis c h e s M s . d es 1 7 .J h s ., in w e lc h e m im V e r la u f d e r B ild e rs e rie e in E in b r u c h d es U n b e w u ß te n e r fo lg t u n d B ild e r e rz e u g t, d ie a lle M e rk m a le d e r S c h iz o p h r e n ie a n sic h tra g e n .
3. Sulphur
149
sie würden «in corpora tam polluta» (in so unreine Körper) nicht mehr zurück kehren, und sie seien froh, derselben ledig zu sein. Sie würden schwebend blei ben, bis die Nebel und W olken verschwunden seien. Hier kehrt der Alchemist in seinen früheren Traum zurück, und mit vielen anderen Alchemisten findet er die Leiche des Sulphur bei der Quelle, wo jeder sich ein Stück davon nimmt, um damit (ohne Erfolg) zu laborieren156. W ir erfahren des weiteren, daß Sul phur nicht nur «medicina», sondern auch «medicus» ist - der verwundete Arzt™. Sulphur erleidet das gleiche Schicksal wie das corpus, das von der Lanze des Mercurius durchbohrt wird. Ich verweise den Leser auf das Bild aus der « Pando
ra» (1588), das ich in «Paracekica» reproduziert habe. Das corpus ist dort sym bolisiert als der von der Lanze einer Melusine, Lilith oder Edem durchbohrte Christus (als zweiter A d am )158. 156D e sulphure in: M us. form ., p. 639£ 157Prof. Karl Kerényi hat mir freundlichst das Ms. seiner gerade für Ärzte ungemein interes santen Untersuchung A sklepios un d seine K ultstätten zur Verfügung gestellt. (Es ist unterdessen in den Ciba-Vcröffentlichungen erschienen.) Der Autor bezeichnet den Urarzt als den «verwundeten Verwundenden» (z .B . M achaon). Merkwürdigerweise gibt es aber noch andere Parallelen zu unse rem Traktat: Der princeps ist als «vir fortis» bezeichnet. Er ist zweifellos die Sonne und überrascht die Diana im Bade. D er Geburtsmythos des Asklepios lautet: Apollo überrascht Coronis (die «Krä he») im Bade. Coronis als die Schwarze bezieht sich auf den Neumond (σύνοδο? solis et lunae), dessen Gefährlichkeit sich im Namen ihres Vaters Phlegyas (was m it «Brandstifter» wiedergegeben werden kann) zeigt. Ihr Bruder oder Oheim ist Ixion, der Vergewaltiger und Mörder. D ie Bezie hung der Coronis zum Mond erhellt auch daraus, daß Phoibe (M ond) ihre Ahnfrau ist. Als Coronis schon schwanger ist m it dem Sohne Apolls, Asklepios, läßt sie sich m it dem chthonisehen Ischys (ισ χ ύ ? = Stärke), dem vir fortis, ein und wird zur Strafe von Artemis getötet. D as K ind wird von Apollo aus dem Leibe der Mutter und aus dem Feuer des Holzstoßes gerettet.
Kerényi nimmt eine
Identität des hellen Apollon mit dem dunkeln Ischys an. (Eine ähnliche Identität wäre AsklepiosTrophonios.) D ie Verletzungen der Ärzte sind meist Pfeilschüsse. Auch Asklepios erleidet dasselbe Schicksal, getroffen vom Geschosse des Zeus, und zwar wegen eines «excès de zèle et de pouvoir»; er hatte nämlich nicht bloß Kranke geheilt, sondern auch T o te zurückgerufen, was dem Pluton zu viel wurde. (Vgl. auch von Wilamowitz-Moellendorff, Isyllos von Epidauros, p.44ff.) Das N o vum lum en chemicum erwähnt ein «Aenigma Coronidis» (M us. form ., p. 585 ff.), welches aber außer der wunderbaren «aqua aliquoties in somno tibi manifestata» [W asser, das dir öfters in Träumen offenbart worden ist] nichts enthält, was auf den Mythos hinwiese. Dom
Pernety (Fables égyptien
nes et grecques II, ρ. 152) deutet Coronis korrekt als putrefactio, nigredo, caput corvi, und den Mythos überhaupt als opus, was natürlich überraschend paßt, da ja die Alchemie ihrerseits, was sie selber nicht wußte, ein Kind dieser Mythologie oder jener matrix ist, aus der der klassische Mythos als älterer Bruder entsprang.
158p. 99 [und Paracelsus als geistige Erscheinung, Bild V ]. V gl. dazu auch A bb.150 in: Psycb. un d A ich. D ort ist das eine der verwundenden «tela passionis» [Pfeile der Leidenschaft] m it dem Zei chen des Merkur (Caduceus), das andere m it dem des Sulphur geziert.
150
III Die Personifikation der Gegensätze
Diese Analogie zeigt, daß dem Schwefel als Arkansubstanz die Analogie mit Christus zuerkannt wird und also dem Alchemisten etwas Ähnliches bedeuten muß. Man könnte, ob solcher Absurdität verärgert, sich wegwenden, wenn man nicht einsehen müßte, daß sich die Analogie bald deutlicher, bald mehr andeu tungsweise dem Alchemisten von seiten des Unbewußten aufgedrängt hat. Es gibt gewiß keinen größeren Unterschied als zwischen der heiligsten Vorstel lung des Bewußtseins und dem mineralischen Schwefel und dessen übelriechen den chemischen Wandlungen. Keinesfalls ist daher diese Analogie sinnenfällig, sondern kann nur dadurch entstanden sein, daß sich durch vertiefte und leiden schaftliche Beschäftigung mit dem chemischen Stoffe allmählich ein tertium comparationis im Geiste des Alchemisten herausgebildet und mit größter Insistenz sich ihm aufgedrängt hat. Das Gemeinsame der beiden so äußerst inkom mensurablen Vorstellungen bildet das Selbst, diese Idee des ganzen Menschen, welche einerseits im «Ecce homo» ihre schönste und bedeutendste Entfaltung erreicht hat, andererseits als das Geringste, Verächtlichste, Unbedeutendste er scheint, und eben gerade in dieser Gestalt dem Bewußtsein sich von seiten des Unbewußten nähert. Als ein Begriff der menschlichen Ganzheit ist das Selbst per definitionem ein Größeres als die ich-bewußte Persönlichkeit, indem es dar über hinaus auch den persönlichen Schatten und das kollektive Unbewußte um faßt. Umgekehrt aber erscheint dem Ich-Bewußtsein das ganze Phänomen des Unbewußten als dermaßen unbedeutend, daß es eher aus einer privatio lucis er klärt wird159, als daß man ihm eine autonome Existenz zuerkennen würde. Zu dem ist das Bewußtsein kritisch und mißtrauisch allem sogenannten Unbewuß ten gegenüber als einer verdächtigen und unreinen Sache. So ist die psychische Phänomenologie des Selbst paradox wie die indische Anschauung vom Atman, der einerseits die W elt umfaßt und andererseits als Däumling im Herzen wohnt. Der östlichen Atman-Purusha-Idee entspricht psychologisch im Westen die Gestalt Christi, der einerseits die zweite Person der Trinität und Gott selber, andererseits, was sein menschliches Dasein betrifft, von der Stallgeburt (sozusa gen unter den Tieren geboren) an bis zum schmählichen Kreuzestod zwischen zwei Verbrechern die Jesajanische Figur des leidenden Gottesknechtes160 ent spricht. N och schärfer spannt die naassenische Gnosis nach H ip p o l y t u s den 1,9 Was übrigens auch in der Bezeichnung «Un-Bewußtes» hervortritt. 160Jes. 5 2 ,1 4 : « W i e sic h v ie le ü b e r ih n e n ts e tz te n - so e n ts te llt, n ic h t m e h r m e n s c h lic h w a r sein A u s se h e n u n d se in e G e s ta lt n ic h t w ie d ie d e r M e n s c h e n k in d e r » ; 5 3 ,2 f.: « E r w u c h s a u f v o r u n s w ie e in S c h o ß , w ie e in e W u r z e l a u s d ü rre m
Erdreich; er h a tte w e d er G e s t a lt n o c h S c h ö n h e it, d a ß wir uns g e fa lle n h ä tte . V e r a c h te t w a r e r u n d v erla sse n von
n a c h ih m g e s c h a u t, k e in A n s e h e n , d a ß e r
5. Sulphur
151
vom Erlöser dargestellten Gegensatz. Die eindrucksvolle Stelle lautet161: «.Öff net die Tore, ihr, die ihr Herrscher seid, und erhebt euch, ihr ewigen Pforten, und der König des Ruhmes wird einziehen162.’ Das ist ein W under der W un der. .Denn wer’, sagt er , ,ist dieser König des Ruhmes? Ein W urm , und kein Mensch, eine menschliche Schmach und ein Auswurf des Vol kes163, dieser selbst ist der König und mächtig im Kriege.’» Der Krieg aber be ziehe sich, wie sie meinen, auf den Konflikt widerstreitender Elemente im K ör per. Diese Assoziation der Psalmstelle mit der Idee des Konfliktes ist keine zu fällige, denn die psychologische Erfahrung zeigt, daß die Symbole des Selbst in den Träumen und in der Aktiven Imagination in den Augenblicken heftigsten Zusammenpralles gegensätzlicher Standpunkte auftreten, und zwar als kompen satorische Versuche, den Konflikt zu vermitteln und «aus Feinden Freunde zu machen», wie ein Alchemist sagt. Daher wird der Lapis, der ja aus dem Lind wurm entsteht, als salvator und mediator gepriesen, indem er das aus dem Un bewußten hervordrängende Äquivalent des Erlösers darstellt. Die Lapis-Christus-Parallele schwankt zwischen bloßer Analogie und weitreichender Identität, wird aber im allgemeinen nicht konsequent zu Ende gedacht, so daß eine Dop pelheit der Auffassung bestehen bleibt. Das ist um so weniger verwunderlich, als wir ja heute auch noch nicht allgemein soweit sind, Christus als die psychische Realität eines Archetypus verstehen zu können, unbeschadet seiner Historizität. Ich zweifle nicht an der historischen Wirklichkeit eines Jesus von Nazareth, aber die Gestalt des «Menschensohnes» und Erretters Christus hat archetypische Vor aussetzungen. Diese bilden den Grund zu den alchemistischen Analogien. Die Alchemisten als Naturforscher erwiesen ihren christlichen Geist in der «pistis» gegenüber dem Objekt ihrer Wissenschaft, und es war nicht ihre Schuld, daß in vielen Fällen sich die Psyche als stärker zeigte denn der chemi sche Stoff und dessen wohlbehütete Geheimnisse. Erst die moderne Schärfung des beobachtenden Verstandes wies auf die W aage als den Schlüssel zu den ver schlossenen Pforten der chemischen Verbindungen, nachdem schon Jahrhun derte zuvor die alchemische Ahnung die Bedeutung von «pondus, gradus et mensura164» hervorgehoben hatte. Die nächste und unmittelbarste Erfahrung M e n s c h e n , e in M a n n d e r S c h m e rz e n u n d v e r tra u t m i t K r a n k h e it , w ie e in e r , v o r d e m m a n d a s Ant
litz verhüllt; so verachtet, d aß er uns nichts g a lt.» (Z ü r c h e r Bibel). 161 Elenchos, V , 8,18, p.92.
162 Ps. 24,7 ff. 165 Ps. 22,7 ff.
l6i Gewicht, Grad und Maß [von Franz, A u rora com. /, Vierte Parabel, pp. 68/69].
142
152
III Die Personifikation der Gegensätze
am Stoffe war dessen Durchseeltheit, welche für den mittelalterlichen Men schen noch eine Selbstverständlichkeit war, und überdies demonstrierten ihm jede Messe, ja jeder kirchliche Ritus und die Wunderwirkung der Reliquien die sen für ihn natürlichen Sachverhalt. Es bedurfte schon der französischen Aufklä rung und der tiefen Erschütterung des metaphysisch verankerten Weltbildes, um einen
L
a v o is ie r
zu
ermutigen, die W aage endlich in die Hand zu nehmen.
Zunächst aber waren die Alchemisten fasziniert von der Seele des Stoffes, die dieser, ihnen unbewußt, von der menschlichen Seele mittels der Projektion empfangen hatte. Sie verfolgten daher bei aller intensiven Beschäftigung mit dem konkreten Stoff diese Spur, die allerdings in ein Gebiet, das nach heutigem Ermessen m it Chemie auch nicht im entferntesten zu tun hat, führte. Die geisti ge Arbeit in dieser Richtung bestand in einer vorwiegend intuitiven Erfassung und Auskristallisierung von psychischen Tatbeständen, wobei der Intellekt nur bescheidene Famulusdienste leistete. Dem Resultat dieser eigenartigen For schung aber zeigte sich auf mehrere Jahrhunderte hinaus keine Psychologie ge wachsen. W enn man jemand nicht versteht, so hält man ihn in der Regel für dumm. Das Unglück der Alchemisten bestand darin, daß sie leider selber nicht wußten, wovon sie sprachen. Immerhin besitzen wir Zeugnisse genug von der Hochschätzung, die sie ihrem Gegenstand entgegenbrachten, und von der Be wunderung, die ihnen das Geheimnis des Stoffes einflößte. Entdeckten sie doch — um bei unserem Paradigma des Sulphur zu bleiben — in diesem Stoffe, der eines der habituellen Attribute der Hölle und des Teufels bildet, so gut wie in dem giftigen, listigen und treulosen Mercurius die Analogie zu der heiligsten Gestalt ihrer Religion. Sie gaben daher dem Arkanum Symbole, die dessen bös artige, gefährliche und unheimliche N atur bezeichnen sollten, und wählten dazu gerade solche, welche in positivem Sinne in der ihnen bekannten patristischen Literatur für Christus gebraucht wurden. Ich nenne die Schlange, den Lö wen, den Adler, das Feuer, die W olke, den Schatten, den Fisch, den Stein, das Einhorn und das Rhinozeros, den W urm , den Nachtraben, den Mann, der von der Frau umgeben ist, die Henne, das W asser und andere. Diesem seltsamen Gebrauch kommt nun allerdings die Tatsache entgegen, daß eine Mehrzahl der patristischen allegoriae neben ihrer positiven Bedeutung auch eine negative auf weisen. So bedeutet zum Beispiel der räuberische W o lf bei
E
u c h e r iu s
Apostel Paulus «in bonam partem», «in malam» dagegen den Teufel.
10 U berform ularum spiritalis inteUigentiae, V
[Migne, P . L
L [ = 5 0 ], c o l.7 5 l] .
165
den
3. Sulphur
153
Aus diesem Sachverhalt muß man schließen, daß die Alchemisten die eigen- 143 tümliche psychologische Tatsache der Existenz eines Schattens entdeckt haben, welcher der bewußten positiven Gestalt (kompensierend) gegenübersteht. Der Schatten bedeutete ihnen keineswegs eine privatio lucis, sondern vielmehr eine solche Wirklichkeit, daß sie sogar dessen stoffliche Dichtigkeit zu erkennen vermeinten und kraft dieses Konkretismus ihm die W ürde der Matrix, einer inkorruptiblen und ewigen Substanz, zugeschrieben haben. Dieser sozusagen psy chologischen Entdeckung entspricht auf religiösem Gebiet die historische Tat sache, daß erst mit dem Christentum der Teufel, der «ewige Widerpart Chri sti», eigentliche Gestalt angenommen hat, und daß ferner schon im Neuen Testa ment die Figur des Antichrist auftaucht. Es hätte nun nahegelegen, daß die Al chemisten auf die Idee gekommen wären, sie hätten aus der finsteren Materie den Teufel hervorgelockt. Daß Andeutungen in dieser Hinsicht vorhanden sind, haben wir bereits gesehen. Das sind aber Ausnahmen; weit überwiegend und eigentlich charakteristisch fur die Alchemie ist die optimistische Auffas sung, daß dieses Dunkelwesen bestimmt sei, zur medicina zu werden, wie uns die Bezeichnung des an sich sehr verdächtigen Sulphur als «medicina et medi cus» zeigt. Gerade diese Benennung ist auch eine allegoria Christi bei A m b r o s i u s 1615.
Die griechische Bezeichnung als pharmakon (Gift und Heilmittel)
zeigt diese Ambivalenz. In unserer Sulphurparabel ist der Strom des «gefähr lichsten» Wassers, das so vielen den Tod gebracht, die Analogie zu der «aqua e latere Christi», respektive «flumina de ventre Christi16167». W as hier der Strom der Gnade ist, bedeutet dort tödliches Gift, dem aber heilende Möglichkeiten innewohnen. Diese Angabe ist nicht bloß Euphemie oder propitiierender Optimismus, sondern entspricht der intuitiven Wahrnehmung der kompensatorischen W ir kung der Gegenposition. Sie ist also nicht dualistisch zu verstehen als ein schlechthin Entgegengesetztes, sondern als eine zwar unzweifelhaft gefährliche, aber nichtsdestoweniger hilfreiche Ergänzung der Bewußtseinsposition. Das entspricht der funktionellen Wirklichkeit des Unbewußten. Dieses erweist sich in der ärztlichen Erfahrung in der Tat als von kompensatorischer Tendenz be wegt und erflillt, wenigstens in der Breite des Normalen. Auf pathologischem Gebiete glaube ich Fälle beobachtet zu haben, in denen die Tendenz des Unbe wußten nach allem menschlichen Ermessen als hauptsächlich destruktiv angese-
166 Explanatio Psalmorum U [ M i g n e , P . L X I V , c o l. 1 0 1 1 u n d 1 0 8 6 ] . 167 S tr ö m e a u s d e m L e ib e C h r is ti. [ V g l.
R ahner , Flumina de ventre Christi. ]
144
154
III Dic Personifikation der Gegensätze
hen werden muß. In solchen Fällen scheint mir aber die Überlegung nicht un angebracht zu sein, daß die Selbstvemichtung des hoffnungslos Untauglichen oder Bösen in höherem Sinne ebenfalls als kompensatorisch gelten kann. Gibt es doch Mörder, die ihre Hinrichtung als angemessen, und Selbstmörder, die ih ren nahenden Tod als Triumph empfinden. So haben die Alchemisten zwar nicht die verborgene Struktur des Stoffes, wohl aber die der Seele entdeckt, obschon sie sich ihrer Entdeckung in diesem Sinne wohl kaum richtig bewußt waren. Ihre naive Lapis-Christus-Parallele zeigt dabei nicht bloß eine Symbolisierung des chemischen Arkanums, sondern auch eine solche der Gestalt Christi. Die Identifizierung oder Parallelisierung Christi m it einem chemischen Faktor, dessen Wesen eine reine Projektion des Unbewußten ist, hat eine Rückwirkung auf die Deutung des Erlösers. W enn nämlich a (Christus) = b (Lapis), und b = c (Unbewußtes) ist, dann ist a = c. Man braucht nun solche Schlüsse keineswegs bewußt zu ziehen, um sie wirk sam zu machen. W enn nur ein Anstoß, wie zum Beispiel durch die Lapis-Chri stus-Parallele, gegeben ist, dann zieht sich der Schluß von selbst, auch ohne daß er das Bewußtsein erreicht, und bleibt das unausgesprochene, geistige Eigentum jener Richtung, welche die Gleichung erstmals vollzog. Auch geht dieses Eigen tum als integrierender Bestandteil des Geisteszustandes auf die Erben über, in diesem Fall auf die Naturwissenschaft in erster Linie. Die Folge obiger Glei chung besteht in einer Überleitung des religiösen Numens auf die Physis, und damit schließlich auf den Stoff, der dadurch die Möglichkeit erhält, nunmehr seinerseits zu einem «metaphysischen» Prinzip zu werden. In Verfolgung ihrer Grundgedanken hat daher die Alchemie, wie ich in «Psychologie und Alchemie» gezeigt habe, folgerichtigerweise dem Sohne des Geistes einen Sohn der Erde und der Gestirne (respektive der Metalle), dem Menschensohn oder filius microcosmi einen filius macrocosmi gegenübergestellt und damit unwissentlich bekundet, daß ihr ein Prinzip innewohne, welches zwar den Geist nicht erset zen, ihm aber doch autonom gegenübertreten könne. Es war ihr allerdings mehr oder weniger bewußt, daß ihre Einsicht und W ahrheit zwar auch göttlicher Provenienz waren, aber nicht der heiligen Offenbarung, sondern der individuel len Inspiration oder dem lumen naturae, nämlich der in der Natur verborgenen sapientia Dei, entstammten. Die Autonomie ihrer Erkenntnisse hat sich erwahrheitet in der Emanzipation der Wissenschaft von der Prärogative des Glaubens. Menschlicher Intoleranz und Kurzsichtigkeit ist der Umstand zuzuschreiben, daß es schließlich zwischen Glauben und Wissen zum offenen Konflikt kam. Konflikt oder Vergleich inkommensurabler Dinge ist eine Unmöglichkeit. Die
3. Sulphur
155
einzige mögliche Haltung ist die der gegenseitigen Duldung. Keines kann dem anderen die Gültigkeit nehmen. Die vorhandenen religiösen Überzeugungen beruhen, neben ihrer übernatürlichen Begründung, auf psychologischen Tatsa chen, die ebensogut gültig existieren wie diejenigen irgendeiner Erfahrungswis senschaft. W enn das auf der einen oder anderen Seite nicht verstanden werden sollte, so tut das den Tatsachen weiter nichts, denn diese bestehen, ob der Mensch sie begreift oder nicht, und wer die Tatsachen nicht auf seiner Seite hat, zieht früher oder später den kürzeren. Damit möchte ich das Kapitel über den Sulphur beschließen. Diese Arkan- 14« Substanz hat uns Anlaß zu einigen allgemeinen Betrachtungen gegeben, was in sofern nicht ganz zufällig ist, als der Schwefel die aktive Sonnensubstanz bedeu tet, das heißt ins Psychologische übersetzt, das trabende Moment im Bewußtsein, nämlich einerseits den W illen, den wir wohl am besten als einen dem Bewußt sein unterstellten Dynamismus auffassen, andererseits das Getriebensein, eine unwillkürliche Motivierung oder Bewegtheit, die von bloßen Interesse bis zur eigentlichen Besessenheit reicht. Der unbewußte Dynamismus dürfte dem Sul phur entsprechen, denn das Getriebensein ist das große Geheimnis des mensch lichen Lebens, die Durchkreuzung unseres bewußten W illens und unserer Ver nunft durch ein entflammbares Wesen, das bald als verheerender Brand, bald als lebenspendende W ärm e erscheint. Die causa efficiens und finalis dieser Unfreiheit liegt im Unbewußten und 147 bildet dasjenige Stück der Persönlichkeit, das dem Bewußtseinsmenschen zur Ganzheit noch hinzugefugt werden müßte. Es ist zunächst ein unansehnliches Bruchstück — ein «lapis exilis, in via eiectus»1
156
III Die Personifikation der Gegensätze
Teilung der menschlichen Erscheinung ist Effekt des Bewußtseins, welches nur aus den supraliminalen Vorstellungen besteht. Kein psychischer Inhalt kann be wußtwerden, ohne eine bestimmte energetische Spannung zu besitzen. Sinkt diese, so wird der Inhalt unterschwellig, das heißt unbewußt. Durch diesen Umstand wird eine Auswahl unter den möglichen Inhalten getroffen, indem die bewußtseinsfähigen von den bewußtseinsunfähigen geschieden werden. Aus dieser Trennung entsteht einerseits das Bewußtsein mit seiner durch Sol darge stellten Tageshelle, andererseits der Schatten, welcher der «umbra solis» ent spricht. Das Getriebensein stammt daher aus zwei Quellen; aus dem Schatten einer seits und aus dem Anthropos andererseits. Dieser Sachverhalt erklärt hinläng lich die paradoxe Natur des Sulphur, der einerseits als corruptor dem Teufe! nicht allzu ferne steht, andererseits aber als Christusparallele erscheint.
4. L U N A
A. Die Bedeutung des Mondes Luna ist, wie zur Genüge schon erwähnt, das Gegenstück zu Sol, daher kalt1'1 , feucht, lichtschwach bis dunkel, weiblich, körperlich, passiv usw. Demgemäß ist ihre bedeutendste Rolle die der Partnerin in der Konjunktion. Sie ist als weibliche Gottheit von mildem Glanz, die Liebhaberin. Schon P l in iu s nenn: sie ein «femininum ac molle sidus» (ein weibliches und sanftes Gestirn). Sie ist «soror et sponsa» (Schwester und Braut), «mater et uxor Solis»170 (Mutter und Gattin des Sol). Zur Illustration der Sonne-Mond-Beziehung haben die Alche misten gerne das Hohelied benützt171, wie zum Beispiel die «Aurora consurgens /> in ihren «Confabulationes delecti cum dilecta»172. In Athen galt der Neu-
« S o l c a lid u s, L u n a frig id a e s t.» ( G loria m undi in : Λ Ι« ί. herm ., p . 2 7 5 )
170 D orneus , Physica Trism egisti in : T heatr. ehern.
( 1 6 0 2 ) I , p .4 2 4 .
171 « Id q u e P h ilo s o p h i d iv e rs im o d e in d ig ita ru n t, a tq u e S p o n s o , e t S p o n s a e (q u e m a d m o d u m etiarr. S a lo m o n in C a n tic o C a n tic o ru m su o a it ) c o m p a ra r u n t.» [ D a s h a b e n d ie P h ilo s o p h e n a u f v e rsc h ie d e n e A r t a n g e d e u te t u n d < s ie > m it d e m B r ä u tig a m u n d d e r B r a u t ( w ie S a lo m o n i m H o h e n lie d ) v e r g lic h e n .] (A qu arium sapientum in : M us. herm ., p .9 0 ) 172 [ S ie b t e P a r a b e l: V o m G e s p rä c h d e s L ie b e n d e n m it d e r G e lie b t e n in : A urora cons. I, p p . 114 i 115 f f ]
Das
u n m itte lb a r e V o r b ild w a r w o h l
Seniors Epistola Solis a d Lunam crescentem [D e chem ia.
4. Luna
157
mondstag als der günstigste Hochzeitstermin, ebenso ist es arabische Sitte, am Neumondstag zu heiraten; Sonne und Mond sind Ehegatten, die am 2 8 .Tag sich umarmen m. Diesen alten Auffassungen entsprechend ist der Mond ein Ge fäß der Sonne: Luna ist ein universales «receptaculum omnium», insbesondere der Sonne174, und wird auch «infundibulum terrae» (Trichter der Erde) ge nannt, indem sie «die Kräfte des Himmels aufnimmt und ausgießt» (recipit et effundit)175, oder es wird gesagt, daß die «Mondfeuchtigkeit» (lunaris humor) das Sonnenlicht aufnehme176, oder daß Luna sich der Sonne annähere, um aus ihr «gleichsam wie aus einer Quelle die universale Form und das natürliche Le ben zu schöpfen177», oder sie vermittelt die Konzeption des «universalen Sa mens der Sonne» in der Quintessenz, dem «venter et uterus naturae» (Bauch und Gebärmutter der N a tu r)178. In dieser Hinsicht besteht eine gewisse Analop . 7 £ ] ; e in e A n r e g u n g h iez u k a n n a u sg e g a n g e n s e in v o n
C icbro, D e natura deorum,
I I I , 1 1 : « N is i
v ero lo q u i so le m c u m lu n a p u ta m u s , c u m p r o p riu s a cc e sse rit» [w e n n w ir n ic h t g la u b e n , d ie S o n n e sp re ch e m it d em M o n d , w e n n e r n ä h e r r ü c k t ] . L u n a w u rd e m i t d e r G a t t in p a r e x c e lle n c e , n ä m lic h J u n o , id e n tifiz ie rt: « . . lu n a m a c Iu n o n e m e a n d e m p u ta n te s » [s ie g la u b e n , der M o n d u n d J u n o se ie n das g le ic h e ]
(M acrobius, S atu rnalia, I ,
x v , p .2 4 3 ) .
173 W ittek in d t , D as H ohe L ied und seine Beziehungen zum lstarku lt, pp. 13 und 23. Weiteres bei Eisler , W eitenm antel und H im m elszelt, pp. 122 ff, 370,435,602. 174 P en o tu s (A d d itio) in: T heatr. ehern. (1602) I, p.681.
175 Steebus, Coelum sephiroticum , p. 138.
D i e u r s p rü n g lic h e A n s ic h t b e i
Plutarch, Isis u n d Osiris,
cp. 4 3 , p .7 6 , Z. 7: v o n H e lio s e r fü llt u n d b e fru c h te t, e n ts e n d e u n d v e r te ile (κα τασιτείρουσαν) sie < S e le n e > d ie sc h ö p fe ris c h e n K e im e ( γ ε ν ν η τ ι κ ά * ά ρ χ ά ΐ ) .
176 Cons. coniugii in·. A rs. ehem ., p .l4 l. 177 D o rn eu s , Physica genesis in : Theatr. ehem. ( 1 6 0 2 ) I , p . 397. S c h o n b e i Firmicus M aternus (M attheseos, 1 , 4 , 9 , p. 1 3 ) b e g e g n e n w ir der Id e e , d a ß d e r M o n d a n d e r S o n n e e in e A r t W ie d e r g e b u r t e rle b e , w e lc h e r G e d a n k e d an n im p a tr istisc h e n M o n d -K ir c h e -G le ic h n is se in e h ö c h s te E n tfa ltu n g fin d e t. V g l. R a h n er , M ysterium Lunae.
178 D o r n eu s , Phys. Trism . in : Theatr. ehern. ( 1 6 0 2 ) I , p .4 2 6 . S c h o n b e i d e n S to ik e r n i s t L u n a d ie M it t le r in z w isch en d e r W e l t d e r e w ig e n S te rn e u n d d e m u n te re n R e i c h d es Ir d is c h e n ; e b e n s o s te h t b ei M acrobius {In somnium Scipionis, I , 2 1 , ρ . 1 0 6 ) d e r M o n d a n d e r G re n z e d e r g ö t t lic h e n u n d der v e r g ä n g lic h e n D in g e . M e n n e n s (A u rei velleris u sw . in : Theatr. ehern., 1 6 2 2 , V , p .3 2 1 ) s a g t: « V e r u m L u n a, c u m in fim u s s it p la n e ta ru m , u t m a tr ix c o n c ip e r e fe r tu r v ir tu te s a s tro ru m o m n iu m re b u sq u e in fe r io rib u s d e in c e p s im p a r t ir i. . . L u n a u n iv e rsa s sid e ru m v i r e s . .. g ig n e n d is re b u s c u n c tis e t p o tis s i m u m ea ru m s e m in ib u s in fe r t in s e r it q u e . . . » [ D a der M o n d d e r u n te rs te < erdnächste)> P la n e t is t, so ll er w ie e in S c h o ss d ie K r ä ft e a lle r S te r n e a u fn e h m e n u n d a n d ie u n te r e W e l t w e it e r g e b e n ... d e r M o n d p fla n z t e in u n d sä t a lle K r ä ft e der S t e r n e .. . in a lle e n ts te h e n d e n D i n g e u n d b e so n d e rs in ih ren S a m e n ] A u c h ü b t d ie L u n a ih re n le b e n sp e n d e n d e n E in flu s s a u f d ie M in e ra lie n a u s: « . . . e t i a m in in te r ra n e is e iu sd e m < scl. te rra e )> v is c e r ib u s la p id u m , m e ta llo ru m , im o a n im a n tiu m sp e c ie s e x c ita n do c o n d e n d o q u e .» [ ..a u c h im In n e m d e r E rd e , d e n E in g e w e id e n v o n S te in e n , M e ta lle n u n d so g a r L e b e w ese n d u rch E r re g e n u n d K o c h e n ]
158
III Die Personifikation der Gegensätze
gie zwischen Mond und Erde, wie schon P lutarch und Macrobius ange ben179. So sagt «Aurora consurgens /» : «Terra fecit Lunam» (die Erde hat den Mond gemacht), wobei man nie außer acht lassen darf, daß Luna auch Silber bedeutet. Aber die Aussage der Alchemie über Luna ist dermaßen komplex, daß man ebensowohl behaupten kann, das Silber sei nichts als ein weiteres Synonym oder Symbol für das arcanum «Luna». Immerhin kann eine Aussage, wie die eben erwähnte, in erster Linie durch den Hinblick auf die vermeintliche Erzent stehung in der Erde veranlaßt sein. Auch die Erde «empfängt» die Kräfte der Gestirne, die Sonne erzeugt das Gold in ihr usw. « Aurora consurgens I» setzt da her die Erde der sponsa gleich: «Ego sum illa terra sanctae promissionis» (Ich bin jene Erde der heiligen Verheißung) 18°, oder der Hierosgamos wenigstens findet in der Erde statt181. In der albedo fallen Erde und Mond in eines, indem einerseits die Erde sublimiert oder kalziniert als «terra alba foliata» erscheint, von der gesagt wird, sie sei «das gesuchte Gute», «wie weißester Schnee182*» , an dererseits Luna als die Herrin der albedo185 die «femina alba» der coniunctio184 und die «mediatrix albedinis185» (Mittlerin der W eißung) ist. Ihr Sulphur ist 179 P lutarch ,
Orph. fr. SV. ά λ λ η
De fa d e in orbe lunae, 2 8 , p .2 7 3 . M acrobius , In somn. Sap., I, γ α ϊ α . S ie h e EISLER, Weltenrrumtel und Himmelszelt I I , p . 6 5 7 2 .
1 1 , p. 5 6 ff., u n d
180 K p . X I , S e c h s t e P a ra b e l, p p . 1 0 8 / 1 0 9 ; K p . X I I , S ie b te P a r a b e l, p p . 1 2 2 / 1 2 3 . 181 « Is t e v u lt c o n c u m b e re c u m m a tre su a in m e d io te rra e » [ E r w ill s ic h m it se in e r M u tte r in m it te n der E rd e v e r e in ig e n ],
et sale in : Theatr. ehern.,
(A llegoriaesapientum in : Theatr. ehern.,
1 6 2 2 , V , p .6 9 ) V ig e n e ru s
(D eigne
1 6 6 1 , V I , p .9 8 ) sa g t: « E t c o e lu m c o rp u m in c o r r u p tib iliu m e t in a lte r a b iliu m
sed es e t v as e s t, L u n a q u a e h u m id ita ti p ra esid e t, a q u a m e t te rra m re p ra e se n ta t» [U n d der H im m e l, d e r O r t a lle r u n v e rd e rb lic h e n , u n w a n d e lb a re n K ö r p e r u n d ih r G e ia s s , i s t d e r M o n d , d e r das F e u c h te re g ie rt u n d so W a s s e r u n d E rd e v e r t r i t t ] . 182 Ros.phil. in :
Art. aurif.
I I , p .3 3 8 f .: « C u m a u te m v id eris te rra m sic u t n iv e m a l b i s s i m a m ... e s t
c in is a c in e re e t te rra e x tra c tu s , s u b lim a tu s, h o n o r a t u s ... e s t q u a e s itu m b o n u m , te rra a lb a fo lia ta .» [ W e n n d u a b e r d ie E rd e s ie h s t w ie w e isse n S c h n e e . . . das is t d ie a u s der E rd e u n d d e r A s c h e e x tra h ie r te A s c h e , s u b lim ie rt, g e e h r t . . . d ie w e isse , g e b lä tte r te E rd e, das g e s u c h te Z ie l.] 181 « P r im u m e n im o p u s ad a lb u m in d o m o L u n a e» [ D a s h e iß t das e rste W e r k zur a lb e d o g e s c h ie h t im H a u s e d e r L u n a ] .
(Arcan. herm. phil. opus,
X X X V I I in : M a n g etu s ,
Bibi. ehem.
II,
p. 661 b ) 184 D e r servu s ru b ic u n d u s u n d d ie fe m in a a lb a b ild e n das tr a d itio n e lle P aar. D i e « W e iß e » k o m m t a u c h in d e r c h in e s is c h e n A lc h e m ie v o r u n d w ird m i t e in e r J u n g f r a u v e r g lic h e n : « .. t h e w h ite liv e s in s id e lik e a v irg in .» ( W u AND D a v i s , « W e iß e » d e s M o n d e s v g l. a u c h
An Ancien! Chinese Treatise on Alchemy, p .2 3 8 ) Z u r Ü b e r se tz u n g v o n Cant. 6,10: « W e r is t d as: S ic h er
W ittekin dts
h e b e n d / w ie der M o n d ( ? ) / s c h ö n w ie d ie W e i ß e » ( l .c ., p .8 ) . L e b ä n ä = d ie W e i ß e , a ls B e z e ic h n u n g d e s M o n d e s b e i Jes. 2 4 ,2 3 u n d 3 0 ,2 6 .
182 «Luna plena est mediatrix albedinis.» (R iplaeus,
mundiin·. Mus. herm .,ρ.2Π , und Fons ehern, phil.
Opera omnia chemica, p.362) Ähnlich Gloria
( l . c . , p .8 0 9 ) .
4. Luna
159
weiß, wie schon erwähnt. Insbesondere erscheint das plenilunium (Vollmond) als wichtig: «Fulgente Luna in suo plenilunio» (wenn der Mond in seiner Fülle leuchtet), wird der «tollwütige Hund», die Gefahr, die dem göttlichen Kind droht, vertrieben186. Bei Senior ist die Luna plena die Arkansubstanz. (Siehe unten.) Nach antiker Tradition ist Luna die Spenderin der Feuchtigkeit und die Her- no rin des wässerigen Cancer (® ). Michael Maier sagt, daß die «umbra solis» nicht zerstört werden könne, wenn die Sonne nicht in den ® eintritt, der ® aber sei «das Haus der Luna und Luna die Herrin der humores187» (daher der Säfte). Sie ist nach «Aurora consurgens II» selber das W asser188, «roris nutrix larga189» (die freigebige Amme des Taues). Rahners Untersuchung über das «Myste
rium Lunae» zeigt ausführlich den ausgedehnten Gebrauch, den die Väter vom Gleichnis des Mondtaues für die Gnadenwirkungen der kirchlichen Sakramente machten. Auch hier hatte die patristische Symbolik stärksten Einfluß auf die alchemistische Allegorik. Es ist ein Lebenstau und -saft, der von der Luna aus geht: «Diese Luna ist ein Lebenssaft (succus aquae vitae), der im Mercurius ver borgen ist190.» Schon die griechische Alchemie nahm ein Prinzip im Monde an (τήν Tfjs σελήνη? ουσίαν), die «Flüssigkeit des Philosophen» (τά υγρά τοΰ φιλο σόφου) wie Christianos 191 sie nennt192. Die in der Antike hervorgehobene Be186Introitus apertus
in : M us. herm ., p .4 5 9 . D ie s e s S tü c k g e h ö r t i n d e n M y th u s d e s « in fa n s n o s te r
H e r m a p h ro d itu s » , d e r h ie r n ic h t e r ö r te r t w e rd e n k a n n . 187 Symb. aureae mensae, ρ. 3 7 8 . 188 Art. au rif. I , ρ . 191. 185 Cons. coniugii in: A rs chem ., p .5 7 . Ä h n lic h Rosmus a d Sarratantam (A rt. aurif. I , p . 3 0 1 ) : « H u m id ita s . . . ex dominio Lunae» [ D i e Feuchte aus dem H a u s d es M o n d e s ] . M acrobius s a g t d a rü b e r:
«Sed n e s c io quae proprietas... e t q u a ed a m natura inest lu m in i, q u o d d e ea d e flu it, quae h u m e c te t co rp o ra , et velut o c c u lto ro re m a d e fa cia t» [Aber irg e n d e in e E ig e n s c h a f t ... u n d e in e g e w is s e A r t
liegt in diesem Gestirn, die von ih m herabfließt u n d d ie K ö r p e r b e fe u c h te t u n d w ie m it g e h e im e m Tau benetzt]. (S atu rn alia, V II, XVI, p. 565) 190 M us. herm ., p . 8 0 9 . 191 Er vergleicht sie m it der π ηγή àévao s τοΰ παραδείσου (die immerfließende Quelle des Pa ra d ie s e s ). (B e r th e lo t ,
Aich, grecs, V I ,
i, 2 ,
Z.
8 , p . 3 9 6 . B e i M acrobius (Somn. Scip.) 1 , 11, p .5 8 ) is t
Luna «mortalium co rp o ru m et autor et conditrix» [U r h e b e r u n d G rü n d e r d e r ste r b lic h e n K ö r p e r ] , und 1 , 1 9 , p .9 1 , h e iß t e s: « φ υ σ ι κ ό ν autem id e s t, cresce n d i n a tu ra , d e lu n a ri a d n o s g lo b o s ita te p e r veniunt» [d as N a tu r h a ft e , d. h. die Natur des W a c h s tu m s , g e la n g t zu u n s d u rch d a s R u n d d e s M o n des]. 192’0 Χ ριστια νό? is t k e in E ig e n n a m e , so n d ern d ie B e z e ic h n u n g , u n te r d e r e in A n o n y m u s als der p h ilo s o p h u s C h ristian u s g e h t. E r s o ll e in u n g e fä h re r Z e it g e n o s s e d e s S teph an us von A lexan d ria u n d d a m it d es K a is e r s H e r a d iu s g e w e s e n sein . E r d ü rfte d a h e r u m d ie W e n d e d e s 6 ./ 7 .J h s .
g e le b t h a b e n .
III Die Personifikation der Gegensätze
160
Ziehung des Mondes zur Seele195 kommt zwar in der Alchemie auch vor, aber mit einer anderen Nuance. Einerseits —und dies ist das Gewöhnliche —stammt vom Monde jener Tau, oder der Mond ist jene «aqua mirifica»194, welche den Körpern die Seelen auszieht oder ihnen Leben und Seele verleiht. M it Merkur zusammen begießt Luna den zerstückelten Drachen mit ihrer Feuchtigkeit und belebt ihn wieder, ja «macht ihn leben, laufen, wandeln und seine Farbe zur Art des Blutes verändern»195. Als Ablutionswasser fällt der Tau vom Himmel, rei nigt den Körper und bereitet ihn zur Wiederaufnahme der Seele v o r196, das heißt es bewirkt die albedo, den weißen Unschuldszustand, der mondähnlich und bräutlich den sponsus erwartet. ui
D a die Alchemisten vielfach Arzte waren, so beeinflußten die Ansichten der Galenischen Medizin sicherlich ihre Vorstellungen vom Monde und dessen Wirkungen. G alenus nennt Luna «princeps», der «merito terrestrem hanc re gionem gubernat: non potentia caeteros planetas, sed vicinitate exuperans» (der mit Recht diese irdische Region leitet, indem er die übrigen Planeten nicht an Macht, sondern an Nähe übertrifft)197. Auch macht er ihn für alle körperlichen Veränderungen in Krankheit und Gesundheit verantwortlich, ebenso sind seine Aspekte für die Prognose maßgebend.
152
Der uralte Glaube an den Mond als Förderer des Pflanzenwuchses führt in der Alchemie nicht nur zu ähnlichen Aussagen, sondern auch zu der merkwür digen Vorstellung, daß Luna selber eine Pflanze sei. So sagt das «Rosariumphilo sophorum», Sol werde «animal magnum» (Großes Tier) genannt, der Mond da gegen «planta» (Pflanze)198. Es gibt in den alchemistischen Illustrationen zahl reiche Sonnen- und Mondbäume199. Im «Scriptum Alberti» sitzt der «circulus Lunaris» (Mondkreis) als «ciconia» (Storch) auf einem wundersamen Baum 19î D e r M o n d e m p fä n g t d ie S e e le n V e r sto rb e n e r, sie h e H eg em o n iu s , A cta A rchelai, h g . B eeson , p ,1 2 f . V o m M o n d k o m m t d ie S e e le ( . . τ η ν
Si ψ υ χ ή ν
ή σ ε λ ή ν η . . . ι τ α ρ έ σ χ ε ν e is τ ή ν γ έ ν έ σ ι ν :
P lutarch , D e fa d e in orhe lunae, X X V I I I , d e u ts c h p .2 7 2 f .) W e i t e r e s M a te r ia l in der H a lle n s e r D is s . v o n C apelle ,
D e luna stellis lacteo orhe animarum sedibus.
159 « A q u a m e r c u r ia lis L u n a e» u n d « fo n s m a tris » [M u tte r b r u n n e n ]. S ie h e
Ros. adS arrat.
in :
Art.
au rif. I, p. 299 .
195Scriptum A lberti in : T heatr. ehem. I I 196R os.phil. in : Art. au rif. I I , p . 2 7 5 ff. 197 \De diebus decretoriis, c o l. 6 1 7 .]
( 1 6 0 2 ) , p .5 2 5 .
196 A rt. au rif. I I , p .2 4 3 . 199 S ie h e Psych.
und A ich.,
A b b . 1 1 6 , 13 1 u n d 1 8 8 . V g l. a u c h d ie S o n n e n - u n d M o n d b ä u m e der
« D o m u s S o lis » d es A lexanderrom ans·. « F o r s ita n v u ltis v id ere s a cra tissim a s a rb o res S o lis e t L u n e , q u e a n n u n tie n t v o b is fu tu ra ? » [ W o l l t ih r v ie lle ic h t d ie h o c h h e ilig e n S o n n e n - u n d M o n d b ä u m e seh e n ,
4. Luna
161
beim Grabmal des Hermes200. G a l e n u s 201 soll die arbor philosophica folgen dermaßen erklärt haben: «Das ist ein gewisses Kraut oder eine Pflanze mit Namen Lunatica oder Berissa202, deren W urzel metallische Erde, der Stamm rot, von einer gewissen Schwärze durchzogen, und deren Blätter denen des Majorans ähnlich sind; es gibt deren dreißig entsprechend dem Alter des Mon des im W achsen und Abnehmen. Ihre Blüte ist gelb205.» Ein Synonym der Lunatica ist die Lunaria, deren Blüten D o r n e u s erwähnt, welcher ihnen wun derbare Kräfte zuschreibt204. K h u n r a th sagt in seiner sogenannten « Confessio»: «Aus diesem Saltz Fontinlein wechst auch herfür der Baum Solis et Lunae, der Rothe und weiße Corallen Baum unseres Meers», welcher eben die Lu naria ist und deren «Saltz» die «Luna Philosophorum et Dulcedo Sapientum» (Süßigkeit der W eisen) heißt205. Eine alte Quelle, die «Allegoriae super librum
Turbae», beschreibt die m it dem Mond verbundene Pflanze folgendermaßen: «In der Meer-Luna ist ein Schwamm gepflanzt206, der Blut und Bewußtsein
die euch die Zukunft künden werden?] (H il k a [H g .], D er altfranzösische Prosa-Alexanderrom an, p.203f.) 200 Super arborem
Aristotelis in: Theatr. ehem. II (1602) p. 527.
201 Natürlich hier ein alchemistischer Pseudo-G alenuS. Dem GALENUS wurde ein Liber secreto rum zugeschrieben, das mir leider unzugänglich ist. 202 Aurora cons. I I in: A rt. a u rif I, p.222. D u CANGE (Glossarium, Appendix, p.38) gibt an: Β ή ρ α σ σ α , τό μώ λυ in lexico Botanico M S Reg. Molix. Das Kräuter-Buch des T abern aem on ta nus
erwähnt Β η σ α τ ά = α ρ μ α λα = Ρ ήγανον άγριον, Peganum sylvestre «von Galeno, Μ ώ λυ
genannt», Hermelraute, die man öfters m it dem giftigen Schierling verwechselt habe. Ein Heilm it tel für Epilepsie und melancholische Phantasien, macht schläfrig und trunken wie W ein , wird in Liebestränken verwendet (p. 408 K und 409 A, B ) . D iosgorides C D e medica materia, III, 46, p. 242, unter Sylvestris ruta) gibt an: « . .. Cjuod in Cappadocia, et Galatia Asiae fin itim amoly didtur» [das in Kappadokien und in Galatien nahe an Kleinasien Moly h eiß t]. G alenus , D e simplirium medica mentorum facultatibus, V II, col. 1097, gibt an: «Moly, Ruta sylvestris: Radicem habet nigram, et flo rem lacteum» [hat eine schwarze W urzel und rine milchweiße B lü te]. Zu «Moly» siehe R a h n er , Die seelenbeilende Blume. Moly und Mandragora in antiker und christlicher Symbolik. m Aurora cons. I I in: A rt. aurif. I, p.222. D ie gelbe Blüte erinnert an Cheyri, das Wunderkraut
des P aracelsus. V gl. [J ung ,] Paracelsus als geistige Erscheinung, Paragr. 171 und Anm .7. Im Laby rinthus medicorum (S udhoff X I , p. 206) erwähnt P aracelsus die Lunatica: «also ist auch in der lu natica der Lauf des ganzen Mons, n it sichtbar aber in spirim.» 2,A D ie flores nennt er «philosophis tamen familiarissimos» [den Philosophen ganz vertraut]. (D e transmut. met. in: Theatr. ehern., 1602,1, p.581) 205 In: Von hyl. Chaos, p. 279. 206 «In maris Luna est spongia plantata» [Im Mond des Meeres ist ein Schwamm gepflanzt]. (A rt. aurif. I, p. 141). Es ist mir nicht gelungen, zur «maris Luna» eine Parallele zu finden. «Meer» bedeutet immer das solvens, d. h. die aqua permanens. Darin badet, taucht unter oder ertrinkt Sol oft
162
III Die Personifikation der Gegensätze
(sensum) h at207, in der Art eines Baumes, der im Meer gepflanzt ist und sich nicht vom Orte bewegt. W enn du die Pflanze behandeln willst, so nimm eine Sichel mit, um sie abzuschneiden, aber gib recht acht, daß nicht das Blut heraus fließt, da es ja das Gift der Philosophen ist208.» Nach alldem scheint die Mondpflanze eine Art Alraun zu sein und hat darum nichts zu tun mit der botanischen Lunaria oder dem Mondkraut. Auch das Kräuterbuch des Tabernaemontanus, das alle magico-medizinischen Eigen schaften der Pflanzen sorgfältigst gesammelt hat, kennt die alchemistische Lu natica oder Lunaria nicht. Dagegen hat die Lunatica, wie ersichtlich, nächste Be ziehung zum Meerbaum der arabischen Alchemie209 und damit zur allgemeinen Vorstellung von der arbor philosophica210, die ihrerseits wieder ihre Parallelen allein. Zur Luna im Bade ist Diana, wie oben gezeigt, die Entsprechung. Sie geht aber in ihrem Bad nie unter, da sie ja das W asser selber ist. 207 Spongia heißt nicht nur Schwamm, sondern auch Bimsstein, wegen der gleichen löcherigen Struktur. So sagt der Liker quartorum ( Theatr. chm ., 1622, V , p. 190) : «Illud vero quod est vapor, vel in eis partibus subtilitas non retinetur nisi a corpore duro... et quandoque est lapis qui circundat substantias, velut spongia» [Das aber ist der Dampf, doch in seinen Teilen wird das Subtile nicht zurückgehalten, es sei denn in einem harten K ö rp er... und zuweilen ist es ein Stein, der das Subtile wie ein Schwamm um gibt]. Vielleicht abhängig (?) von dieser Stelle schreibt M ylius (Phil, ref, p. 107): «Sic Sol et Luna cum prima aqua calci nantur philosophice, ut corpora aperiantur, et fiant spongiosa et subtilia, ut aqua secunda possit ingredi» [W enn Sonne und Mond zuerst philosophisch durch das erste W asser aufgelöst werden, so dass die Körper sich öffnen und schwammartig und subtil werden, damit das zweite W asser besser eindringen kann], R ulandus (L ex. alch., p.44 3 f.) übernimmt von D iosgorides (D e med. mat., V , 85) die Unterscheidung der Schwämme in männli che (von denen eine Art «tragos», Bock, heißt) und weibliche. Ihre Asche wird als blutstillendes M ittel benutzt. Dazu fugt R ulandus aus Avicbnna bei, dass die spongia «Seelen habe» (habetque animas), womit wohl vapores, d.h. Gase, die sich bei der Erwärmung entwickeln, gemeint sind. So dann aber hat «anima» bei den Alchemisten auch immer jene Bedeutung, welche Avicbnna (Tractatulus in: A rt. aurif. I, p.418) m it den W orten formuliert: «..pars superior est anima, quae totum lapidem vivificat, et reviviscere facit.» [D er obere T eil ist die Seele, welche den ganzen Stein belebt und Wiederaufleben läßt.] In der T at hebt R ulandus auch hervor, dass der spongia «inesse intellec tum» [Verstand eign e], weil sie, wenn sie Geräusche höre oder, wenn sie beim Ausreißen berührt werde, sich zusammenziehe. Er hält sie für ein «Zoophyton, neque animal, neque frutex, sed tertiam quandam habet naturam» [eine Tierpflanze und weder ein T ier noch eine Frucht, sondern sie hat eine dritte N atu r]. ** A rt. aurif. I, p. 141. m Vgl. dazu Psych. und A ich.. Paragr. 537, wo ich den T ext des Abu ’L-Qasim in der Übersetzung
Holmyards angeführt habe. 210 Psychologie un d A lchm ie, Abb.122, 131, 135, 186 und 188 usw. Laurbntius V entura er
wähnt ein HALY-Zitat über den «Punkt», wobei er dazu bemerkt, « ..quod radices suarum minerarum sunt in aere, et summitates in terra. Et quando avelluntur a suis locis, auditur sonus terribilis, et
4. Luna
163
im Baum der kabbalistischen Sephiroth211, der christlichen Mystik212 und der in dischen Philosophie215 hat. Die Bemerkung des R u l a n d u s , daß nämlich dic spongia «Verstand habe» im und die des K
h un rath
,
daß die Essenz der Lunaria die dulcedo sapientum sei,
weist auf die allgemeine Vorstellung hin, daß der Mond in einer geheimen Be ziehung zum menschlichen Geiste stehe214. Darüber hat die Alchemie allerhand sequitur timor magnus. Quare vade cito, quia cito evanescunt» [daß die W urzeln ihrer Minerale in der Luft und auf den Bergspitzen seien. Und wenn man sie von ihrem O rt ausreißt, hört man einen gräßlichen Laut, und es folgt ein großer Schrecken. Darum gehe schnell, da sie rasch verschwin den], (D e lap. philos. in: Theatr. chem., 1602, II, p. 257). Es handelt sich offenbar um einen Alraun, der schreit, wenn man ihn auszieht. Siehe dazu meine Ausführungen über den Philosophischen Baum. 111 D er Baum ist hier G ott selber: «D ie Schöpfung war, damit G ott als Herr und Beherrscher erkannt werde; er, der Stamm und die W urzel die W elt.» (Sohar, I, fol. 11 b, in: Real-Encyclop. d. J u dentums II) J osef ben Abraham G ikatilla sagt: «W isse, dass alle heiligen Gottesnam en., sämt lich von dem vierbuchstabigen Namen JH W H abhängig sind. W irst du dagegen einwenden, dass ja doch der Name Ehjeh der Grund und die Quelle ist, so wisse, dass der vierbuchstabige Name etwa dem Stamm eines Baumes gleicht, während der Name Ehjeh die Wurzel dieses Baumes ist. Von ihm gehen weitere Wurzeln aus und verbreiten sich Zweige nach jeder Richtung hin» usw. (W in ter u n d
W ünsche, D ie jüdische Literatur seit Abschluss des Kamms III, p.267) Von der «Krone»
(K ether) heißt es: «Sie ist die Quelle, die den Baum befeuchtet und die Säfte durch alle Arme und Zweige treibt. Denn du, Herr der W elten, der du der Grund aller Gründe, die Ursache aller Ursa chen bist, du bewässerst den Baum aus jener Quelle, welche wie die Seele im Körper überall Leben verbreitet» usw. (Aus Tikkune Sohar, in: JOEL, D ie Rdigionsphilasopbie des Sohar, p.308f. Ebenso
B ischof, Elemente der Kahbalah I, p. 82. ) 212J an
van
R ui SBROECK (1294-1381) sagt, vom Baume des Zachaeus handelnd (Luk. 19): «Er
soll den Baum des Glaubens hinaufklettern, der da von oben gen unten wächst, denn er hat seine Wurzeln in der Gottheit. Dieser Baum hat zwölf Äste, das sind die zwölf Gebote. D ie unteren han deln von Gottes Menschentum und von den zehn Punkten, die unserer Seligkeit, der geistlichen und der leiblichen, vonnöten sind. D ie oberen Zweige des Baumes aber handeln von der Gottheit, von der Dreiheit der Personen und von der Einheit der Natur Gottes. An dieser Einheit im W ipfel des Baumes soll der Mensch sich festhalten, denn da muss Jesus vorbeiziehen m it allen seinen Ga ben. [ D ie 'Zierde d er geistlichen H ochzeit, p.258). 211 Katha-Upanishad, VI/1 (Sacred Books o f the East X V , p. 21) : «There is that ancient tree, whose roots grow upward and whose branches grow downward; — that indeed is called the Bright, that is called Brahman, that alone is called Immortal. All worlds are contained in it, and no one goes beyond.» [D a ist dieser alte Baum, dessen W urzeln aufwärts und dessen Äste abwärts wachsen; — dieser wird in der T at der Helle genannt, dieser heisst Brahman, dieser allein wird der Unsterbliche genannt. Alle W elten sind in ihm enthalten, und keine geht über ihn hinaus.] 214 Skr. man-as, n., bedeutet engl. mind. Es begreift alle intellektuellen wie auch emotionalen Prozesse in sich, kann also einerseits bedeuten: Verstand, Intellekt, Nachdenken, Gedanke usw., an dererseits Seele, Herz, Gewissen, Verlangen, W illen usw. Manas ist ein Organ der inneren «Seele», nämlich des Atman. (M acD onell, A Sanskrit English Dictionary, s. v. man-as) Rgveda 10,90 (D eus-
164
III Die Personifikation der Gegensätze
zu sagen, was uns um so mehr interessiert, als wir wissen, daß der Mond ein beliebtes Symbql für gewisse Aspekte des Unbewußten ist - dies allerdings nur beim Manne. Bei der Frau entspricht der Mond dem Bewußtsein, die Sonne aber dem Unbewußten (siehe unten!). Dies hängt zusammen mit dem gegen sätzlichen Geschlechtstypus im Unbewußten (Anima beim Manne, Animus bei der Frau!). ns
Schon in der Simonianischen Gnosis ist Helena, das heißt Selene, die πρώτη έν ν ο ια 215, die sapientia216 und die έιτίνοια. Die letztere Bezeichnung findet sich
bei H i p p o l y t u s ,
wo
es heißt: «In der zu jener Zeit geborenen Helena wohnte
die Έ π ί ο ν ο ι α 217.» In seiner Ά π ό φ α σ ι ς μ ε γ ά λ η (Großen Erklärung) sagt S i m o n : «Es gibt zwei Schößlinge aller Äonen, die weder Anfang noch Ende haben, aus einer W urzel: diese ist eine gewisse Kraft (δύναμι?), ein unsichtbares und unbegreifliches Schweigen (σιγή). Von diesen Kräften erscheint die eine von oben, und das ist eine gro ße Kraft, der Geist des Ganzen (vous τών όλων), der alles verwaltet, männlich; die andere aber ^erscheint) von unten, ein großes Nachdenken (έιτίνοια μεγάλη), weiblich und al les gebärend. Darauf einander gegenüberstehend, paaren sie sich und lassen mitten im Zwischenraum eine unbegreifliche Luft erscheinen, die weder Anfang noch Ende hat; in dieser aber ein Vater, der alles trägt und das ernährt, was Anfang und Ende hat. Dieser ist der, der steht, stand stehen wird, der eine mann-weibliche K raft ist, ent sprechend der vorher bestehenden, unbegrenzten K raft, die weder Anfang noch Ende hat, in Einsamkeit (μονότητι) verharrend.»218
»e
Dieses Stück ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Es stellt eine con junctio Solis et Lunae dar, welche S im o n , wie es scheint, auch in seinem Leben
SEN, D ie G eheim lehre des V eda, p .9 ): «Aus seinem Manas ist der Mond geworden, / Das Auge ist als
Sonne jetzt zu sehn» usw. Es handelt sich um die beiden Augen des Purusha, des makrokosmischen Urmenschen, der die W elt schafft, indem er sich —nach primitiver Ansicht —in diese wandelt, was vermutlich noch dem «adaptatione» der T abu la sm aragdina zugrunde liegt. B rhadäranyaka-U panishad, I, 3 ,1 6 , p. 81, sagt: “W hen the mind had become ffeed frotn death, it became the moon.” [Als die Seele vom Tod befreit worden war, wurde sie zum Mond.]
215 BOUSSET, H auptproblem e der Gnosis, ρ.78. Έ ν ν ο ια bedeutet Gedanke, Begriff, Nachdenken, Ansicht, auch Bedeutung, und im Gegensatz zu &voux (Gedankenlosigkeit), in moderner Auffas sung auch Einsicht und Bewußtheit, während άνοια an gewissen O rten passend mit Unbewußtheit wiederzugeben wäre (z.B. im Corpus Hermeticum). In der Orphik ist Selene die irotvootpos κούρη (das allweise Mädchen).
216 C lemens R o m a n u s , Recognitiones (M igne , P. G . I, II, xn, col. 1254). 217 Elenchos, V I, 1 9 ,2 , p. 145. ’E m v o ia bedeutet Einfall, Erfindung, Absicht, Vorhaben. 218 H ippolytus , l.c., 18,2 f f , p. 144.
4. Luna
165
mit Helena, der Prostituierten von Tyrus, ihrer Ishtarrolle entsprechend, kon kretisiert hat. Infolge der Paarung mit der soror oder besser filia mystica er scheint ein mann-weibliches pneuma oder spiritus, merkwürdigerweise als άήρ (Luft) bezeichnet. Indem pneuma sowohl wie spiritus ursprünglich «bewegte Luft» bedeuten, so wirkt diese Bezeichnung als «Luft» archaisch, oder dann ge wollt physikalisch. Daß aber in Wirklichkeit pneuma im Sinne von Geist ge meint sein muß, geht daraus hervor, daß die Eltern mit Begriffen gekennzeich net werden, die noetischen Charakter haben und damit der «geistigen» Sphäre zugehören, nämlich ooüs, έννοια und έιτίνοια. Von diesen dreien ist nous der all gemeinste Begriff, der zur Zeit des S i m o n promiscue mit pneuma gebraucht wurde. Ennoia so gut wie epinoia bedeuten nichts anderes, als was nicht gele gentlich auch mit nous wiedergegeben werden könnte. Sie unterscheiden sich von letzterem nur durch ihren speziellen Charakter, indem sie mehr das Beson dere und Inhaltliche am allgemeinen Begriff des nous betonen. Zudem gehören sie zu dem in diesem Zusammenhang nötigen genus femininum, während ό vois ein masculinum ist. Auf alle Fälle aber beweisen sie die Wesensähnlichkeit der Syzygiekomponenten und deren «geistige» Natur. Jedem, der die Alchemie einigermaßen kennt, wird die Ähnlichkeit der Si- 157 monianischen Anschauung mit derjenigen der «Tabula smaragdina» auffallen: «Et sicut omnes res fuerunt ab u n o, meditatione unius: sic omnes res natae fuerunt ab hac una re, adaptatione219. Pater eius est Sol, mater eius Luna; portavit illud ventus in ventre suo220.» Da «alle» aus der Meditation des Einen hervorgegangen sind, so gilt dies im auch von Sol und Luna, denen daher ein ursprünglich pneumatischer Charakter zukommt. Sie stellen die geistigen Urbilder dar, aus deren Paarung der filius215 215 R u sk a verwirft m it R echt die Variante «adoptione». 220
R u sk a , 1. c., p. 2. Übersetzung [von J u n g ] : «Und so wie alle D inge vom Einen geworden
sind, durch die Meditation des Einen, so sind alle , per calorem et humiditatem suam» [D ie Luft ist die Mittlerin zwischen dem Feuer und dem W asser durch ihre W ärm e und Feuchtigkeit]; p.31: « ..aer est vita uniuscuiusque rei» [die Luft ist das Lebensprinzip jeden Dinges] ; p.30: «..natus sapientiae in aere nascitur» [der Sohn der W eisheit ist in der Luft geboren].
III Die Personifikation der Gegensätze
166
macrocosmi hervorgeht. Sol und Luna sind in der späteren Alchemie unzweifel haft Arkansubstanzen und volatilia, das heißt spiritus221. Kehren wir nun zur Luna zurück und vernehmen wir, was die Texte zu ih rem noetischen Aspekt zu sagen haben! Die Ausbeute ist erstaunlich gering; immerhin finden wir im «Rosariumphilosophorum» den Satz: «Nisi me interfece ritis, intellectus vester non erit perfectus, et in sorore mea Luna crescit gradus sapientiae vestrae et non cum alio ex servis meis, etsi sciretis secretum meum». (W enn ihr mich nicht getötet haben werdet, so wird euer Verständnis nicht vollkommen sein, und in meiner Schwester Luna wächst der Grad eurer W eis heit, und nicht mit einem anderen meiner Diener, auch wenn ihr um mein Ge heimnis wüßtet222.) Diesen Satz schreibt der Kompilator M
y l iu s
in seiner «Philosophia reformata»
von 1622 unbesehen ab223. Beide geben als Quelle die «Metaphora Belini philo sophi de Sole» an224. Die «Dicta Belini» finden sich in den «Allegoriae sapien-
tum». Dort lautet aber der Satz: «N uncio ergo vobis omnibus sapientibus, quod nisi me interficiatis, non potestis sapien tes nuncupari. Si vero me interfeceritis, intellectus vester erit perfectus, et in sorore mea crescit luna, secundum gradum sapientiae nostrae et non cum alio ex servis meis, etsi sci retis secretum meum.» (Ich kündige euch W eisen allen an: wenn ihr mich nicht tötet, so könnt ihr nicht W eise genannt werden. W enn ihr mich aber getötet haben werdet, so wird euer Verständnis vollkommen sein, und es wächst in meiner Schwester Luna ent sprechend dem Grade unserer W eisheit, und nicht m it einem anderen meiner Diener, auch wenn ihr um mein Geheimnis w ü ß tet.)225
Beünus ist, wie R uska wohl mit Recht vermutet, Apollonius von T ya na 226, dem in der « Turba» einige Sermone zugeschrieben sind. Im Sermo 221
Vgl. dazu SENIOR, D e chemia, p .20: «..spiritus et anima quando decocti fuerint, in iteratione
destillationis, et tunc permiscentur permixtione universali, et unus retinebit alterum, et fient unum. Unum in subtilitate et spiritualitate» [W enn Geist und Seele gekocht worden sind in wiederholter Destillation, so vermischen sie sich in einer Allvermischung, und eines wird das andere festhalten, und sie werden eins werden. Eins in Feinheit und G eistigkeit]. 222 In: A rt. aurif. II, p.380. «Diener» bezieht sich auf die Planeten resp. auf die diesen entspre chenden Metalle. 221 p. 175. Hier zitiert er den Satz anscheinend aus der Epistola Solis ad Lunam , die sich bei SENIOR (D e chemia, p. 7 ff. ) findet, wo aber dieser Satz nicht vorkommt. 224 Ros.phil. in: A rt. aurif. II, p. 378, und Mylius , Phil, ref., p. 309. 225 In: Theatr. chem. (1622) V ,p .9 6 ff. [Z itat p .9 7 ]. 226 Turba, passim. W eitere Verstümmelungen desselben Namens sind Boiemus, Belcnus, Balinas, Bellus, Bonellus usw.
4. Luna
167
X X X I I behandelt Bonellus das Problem des Todes und der Wandlung, das ja auch in unserem T ext anklingt. Alle übrigen Sermones des Bonellus haben mit unserem T ext nichts zu tun, und das Auferstehungsmotiv will, wegen seiner Ubiquität, auch nicht viel heißen, so daß die «Dicta» m it der « Turba» wohl kei nen Zusammenhang haben. Eher vielleicht käme als Quelle respektive als Anre gung zu den «Dicta» der (harranische?) Traktat des A r t e f i u s «Clavis maioris sapientiae» in Betracht. Es heißt dort: «..d ixit magister noster Belenius Philo sophus, ponas lumen tuum in vase vitreo claro, et nota quod omnis sapientia mundi huius circa ista tria versatur227», an anderer Stelle: «Una vero die vocavit me magister meus Bolemus Philosophus et dixit mihi, eja fili, spero te esse ho minem spiritualis intellectus, et quod poteris pertingere ad gradum supremum sapientiae228.» Hierauf folgt eine Erklärung darüber, wie aus dem ersten Einfa chen zwei gegensätzliche Naturen, das Aktive und das Passive, entstehen. Zu erst habe Gott «absque sermonis prolatione» (ohne ein W o rt zu äußern), also schweigend, gesagt, «sit creatura talis» (es möge ein solches Geschöpf sein), und damit war das Einfache (simplex) vorhanden. Darnach schuf G ott die N a tur, respektive die «materia prima», das «primum passivum, sive receptivum» (oder empfängliche), in welchem alles im Prinzip und «in potentia» vorhanden war. Um diesen Zustand von Suspension zu beenden, schuf Gott die «causa agens», «ähnlich dem Himmelskreis, den er Licht zu nennen beschloß. Dieses Licht aber erhielt eine sphaera, eine gewisse erste Kreatur innerhalb seiner Höh lung». Die Eigenschaften dieser sphaera waren W ärm e und Bewegung. Es war offenbar die Sonne, während das Kalte und Passive notwendigerweise dem Mond entspricht229. 227 In: Theatr. ch m . (1613) IV , p.221. «Unser Meister, der Philosoph Belenius, sagte: Setze dein Licht in ein helles Glasgefäß, und beachte, daß sich alle W eisheit dieser W elt um die folgenden drei bewegt», nämlich um drei Formen der Verbindung der Seelen: 1. im Körper, 2. in der Seele, 3. im Geiste (l.c., p .222). 228 «An einem Tage aber rief mich mein Meister, der Philosoph Bolemus, und sagte mir: Eja Sohn, ich hoffe, daß du ein Mann von geistigem Verständnis seiest und zum höchsten Grad der W eisheit gelangen könnest.» 229 Ich kann es mir an dieser Stelle nicht versagen, auf die bemerkenswerte Analogie hinzuwei sen, welche zwischen S im on v o n G it t a und dem Pseudo-ApoLLONius einerseits und Laotse an dererseits in der Auffassung der principia mundi besteht. D ie Komponenten des T ao sind das männ liche Y ang und das weibliche Y in, jenes heiß, hell und trocken, dieses kalt, feucht und dunkel wie der (Neu-)Mond. Vom Anfangswesen heißt es im Tao-te-king (K p .2 5 ): «Es gibt ein W esen, chao tisch vollendet, / Ehe Himmel und Erde wurden. / So still, so leer! / Allein steht es und ändert sich nicht. / Im Kreise läuft es und wird nicht gefährdet. / Man kann es auch ansehn als die Mutter der W elt.» (Übersetzung von R ousselle , L au -D si’s G ang durch Seele, Geschichte un d W elt, p. 193)
168
ία
III Dic Personifikation der Gegensätze
Es scheint mir nicht unwahrscheinlich, daß die «Dicta Belini» mit dieser Ar TEFius-Stelle Zusammenhängen und nicht mit der « Turba», mit deren A pollo Nius-Sermonen sie nichts zu tun haben. Es dürfte sich daher um eine von der « Turba» unabhängige Tradition handeln; dies um so mehr, als A r t e f iu s ein sehr alter Autor arabischer Herkunft zu sein scheint230. Die Lehre vom «sim plex» hat er mit dem « Liber quartorum» 23>, das ebenfalls harranischen Ur sprungs sein dürfte, gemein. Ich habe hier seine Schöpfungslehre angeführt, ob schon in den «Dicta» keine Parallele dazu vorliegt. Sie schien mir aber wegen ihrer inneren Verwandtschaft mit der « Apophasis» des S im o n erwähnenswert zu sein. In den « Dicta» handelt es sich nicht um die ursprüngliche Trennung, son dern vielmehr um die Synthese, welche in einer ähnlichen Beziehung zur Subli mation des menschlichen Geistes («exaltatio intellectus») steht wie die Proze duren des « Uber quartorum» 232.
161
Zu der Beziehung zwischen Luna und Intellekt gehört auch die zu Mercu rius, der schon astrologisch und mythologisch derjenige göttliche Faktor ist, der m it Epinoia das meiste zu tun hat. Die alchemistische Beziehung hat antike Vorlagen. Ich will diejenige des Hermes zum Nous beiseite lassen und nur er wähnen, daß bei P luta rch Hermes im Monde sitzt und mit diesem hemm kreist (wie Herakles in der Sonne) 233. In den Zauberpapyri wird Hermes angeru fen: « Έ ρ μ η κοσμοκράτωρ, ένκάρδιε, κύκλε σελήνη?, σ τρ ο γ γ υ λ έ καί τε τράγω νε» (Ο Hermes, Herrscher der W elt, der du im Herzen bist, Kreis des Mondes, runder und viereckiger234).
162
In der Alchemie ist Mercurius das rotundum κατ’ εξο χή ν . Sein kaltes und feuchtes W esen bildet die Luna (das heiße, trockene den Sol)235, oder sie ist um gekehrt die «propria substantia Mercurii236». Aus der Luna kommt die aqua Mercurialis (oder aqua permanens)237, oder sie belebt mit ihrer Feuchtigkeit, gleicherweise wie Mercurius, den getöteten Drachen wieder238. Ebenso spielt 230 Eventuell ist er mit Senior identisch, vgl. Stapleton
and
H usain , M uham m ad bin U m ail,
p .1262. 251 In: T heatr. chem. (1622) V , p. I l4 ff. 2,2 Psych. un d A ich ., Paragr. 3 6 6 ff. a i b is un d O siris, c p .X ll, p .7 2 f.
234 P reisendanz , Pap. G raecae m ag. II, p. 139. 235 Gloria mundi in: M us. herm ., p. 266f. 236 [eigentliche Substanz des Mercurius] M y u u s , P hil, ref., p. 185. Ähnlich Epistola a d Herm annum in: T heatr. chem. (1622) V , p.893. 237 Ros. a d S a rra t. in: A rt. auri/ Α ,γ . 299238 Scriptum A lberti in: T heatr. chem. (1602) II, p. 525.
4. Luna
169
der circulus lunaris eine Rolle im «Scriptum Albertr», wo auf dem Baum, der sei ne Grüne innen hat statt außen, ein «Storch sitzt, der sich gleichsam den Kreis des Mondes nennt239». In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, daß auch der Seele, deren Beziehung zum Monde bereits behandelt wurde, die Rundheit zukommt. So heißt es bei C ä s a r i u s
von
H e is t e r b a c h ,
daß die Seele
eine «natura sphaerica» habe, «ad similitudinem globi lunaris» 24°. Nach dieser Abschweifung kehren wir zur Frage zurück, welche das « Rosa- i6j rium» m it seinem Zitat aus den «Dicta Belini» aufgeworfen hat. Es ist eines der à-peu-près-Zitate, die für das «Rosarium» charakteristisch sind241. Zur Erklärung des ganzen Zitates ist anzumerken, daß der Sprecher nicht eindeutig ist. Das « Rosarium» supponiert, es sei Sol. Es läßt sich aber durch den weiteren Text der «Dicta» leicht dartun, daß es sich ebensosehr um den filius philosophorum als um Sol handelt. Dies geht schon aus dem Umstand hervor, daß das Weibliche bald als soror, bald als mater, bald als uxor bezeichnet wird. Diese seltsamen Be ziehungen erklären sich durch die primitive Tatsache, daß der Sohn den wieder geborenen Vater darstellt; ein Motiv, das uns durch christliche Übung wohlbe kannt ist. Der Sprecher ist also der Vater-Sohn, dessen Mutter dem Sohne die Schwester-Gattin ist. Die Lesart des «Rosarium» ist klar, dagegen ist die der
«Dicta» undeutlich: Der Satz «in sorore mea crescit luna» (in meiner Schwester nimmt der Mond zu) muß lauten: «Intellectus erit perfectus et crescit» (sein Verstand wird vollkommen sein und wächst), usw. Der Beweis dafür liegt in «non cum alio ex servis meis» (nicht m it einem anderen meiner Diener). «Se cundum gradum sapientiae nostrae» (gemäß dem Grad unserer W eisheit) steht im Gegensatz zu «intellectus vester» und bezieht sich daher auf die Weisheit des Sol redivivus, vermutlich gleichzeitig auch auf die soror Luna, daher «no stra» und nicht «mea». «Gradus» ist nicht nur möglich, sondern dem opus sogar eigentümlich, indem Sol die Wandlungsstufen242 vom Drachen, Löwen und Ad ler bis zum Hermaphroditus durchläuft. Dabei stellt die jeweilige Stufe auch ei nen neuen Grad von Einsicht, W eisheit und Einweihung dar, ähnlich wie die 2,91. c., p. 527. Zur Bedeutung des Storches: «G conia serpentes devorat, carnes eius contra omnia venena valent.» [D er Storch iß t Schlangen, sein Fleisch ist gegen jedes G ift immun.] ( A u ra velleris in: Theatr. ehern., 1622, V , p.446) D er Storch ist also ein Drachentöter und ein Symbol der damonenüberwindenden Lima; letzteres ein Attribut, das der Kirche eignet. 240 [eine runde Natur habe in der Art der Mondscheibe] Dialogus miraculorum, IV , cp .x x x ix , und I, x x x il (pp. 208, 39). Eine weitete Beziehung des Mondes zur Seele liegt auch darin, daß er ein receptaculum animarum ist. Vgl. H egemonius , Acta archelai, V III, 7, 26,1. c., p. 13. 241 Siehe Psych. und A ich., 14018,2 2 0 107, 385e6. 242 V gl. K alid , Liber trium verborum, V I, in: A rt. aurif. I, p. 257 f.
III D ic Personifikation der Gegensätze
170
mithrischen άετοί, λέοντες ήλιόδρομοι usw., welche ja auch Grade der Einwei hung bezeichnen. «Nisi me interfeceritis» (wenn ihr mich nicht tötet) bezieht sich in der Regel auf die mortificatio des Drachen, also der ersten gefährlichen und giftigen Stufe der anima ( = Mercurius), die aus ihrer Gefangenschaft in der prima materia befreit wurde243. Diese anima wird auch mit Sol identifi ziert244. Sol wird sehr häufig als Rex bezeichnet, und es gibt eine Darstellung, in der er von zehn Männern erschlagen wird245. Er erleidet also die gleiche mortifi catio wie der Drache, nur m it dem Unterschied, daß es nie ein Suizid ist. Sol ist eben, insofern der Drache die Vorstufe des filius Solis darstellt, gewissermaßen der Vater des Drachen, obschon von diesem ausdrücklich gesagt wird, daß er sich selber erzeuge, mithin ein «increatum» ist244. Ebenso ist Sol, insofern er sein eigener Sohn ist, auch der Drache. Es gibt dementsprechend ein coniugium des Drachen mit dem W eibe, welches nichts anderes sein kann als Luna oder die lunare (weibliche) Hälfte des Mercurius247. Ebenso wie Sol muß daher auch Luna als die Mutter im Drachen eingeschlossen sein. Von der mortificatio im Sinne einer Tötung ist allerdings meines Wissens nirgends die Rede. Immerhin ist sie m it Sol in den Drachentod einbezogen, wie der Satz des «Rosarium» an deutet: «.. draco non moritur nisi cum fratre suo et sorore sua248.» Die Idee, daß der Drache oder Sol sterben muß, gehört in das Mysterium der Wandlung. Die Tötung wird auch, diesmal in der Form einer bloßen Verstüm melung, am Löwen vollzogen, indem diesem die Tatzen abgehauen249, und am Vogel, dem die Flügel abgeschnitten werden250. Die mortificatio bedeutet die Überwindung des Alten, Vorausgehenden, sowie der zunächst entstandenen ge fährlichen Vorstufen, die durch Tiersymbole gekennzeichnet sind. 243 «.. natus est draco in nigredine... et interficit seipsum» [der Drache ist in der Schwärze gebo ren und tötet sich selbst]. (Ros. phil. in: A rt. aurif. II, p. 230) D ie «anima in compedibus» [Seele in Fesseln] findet sich schon im Traktat des So ph e , des Ägypters (B erth e lo t , Aich, grecs, III, x l ii , 1,17, p. 2 1 3 ) :.. έν TOLS σ τ ο ιχ ε ίο ΐ! σ υνδ εθεΐσα ν θ εία ν ψ υχήν (in den Elementen gebundene gött liche Seele).
244 «Mundi animam praecipue in sole collocamus.» [Die Weltseele denken wir uns in erster Li nie in der Sonne.] (M ylius , Phil, ref., p. 10) 245 Abb. 8 in: M ylius , 1. c., p. 359, und Fig. CI in: Stolcenberg , Viridarium chymicum. 2«
Vgl. Psych. und A ich., Paragr. 430f.
247 Vgl. dazu das letzte Emblema des Scrutinium chymicum von M ichael Maier , p. 148. 248 In: A rt. aurif. II, p .224: «Der Drache stirbt nicht, außer m it seinem Bruder und seiner Schwester.» Auf p. 241 findet sich die Stelle nochmals, und es wird hinzugefiigt: «Id est, Sole et Luna» [d. h. mit Sonne und M ond]. 249 Abb. im Titelblatt des Songe de Poliphile (Psych. und A ich., Abb. 4). 230 Senior , De chem ia, p. 15.
4. Luna
171
Zur Deutung von «intellectus crescit in sorore mea» (das Verstehen wächst ws in meiner Schwester) ist zu berücksichtigen, daß schon bei den Stoikern eine Art von philosophischer Mythendeutung einsetzt, die wir heute ohne weiteres als psychologisch empfinden. Diese Deutungsarbeit ist mit der christlichen Ent wicklung keineswegs abgebrochen, sondern in etwas anderer Art fleißig weiter geübt worden, nämlich in der patristischen Hermeneutik, welche auf die alchemistische Symbolik einen entscheidenden Einfluß hatte. Schon die Johanneische Deutung von Christus als vorweltlicher Logos (Johannes 1,1) ist ein solcher Versuch, den «Sinn» der Wesenheit Christi zu umschreiben. Das spätere Mit telalter und insonderheit die Naturphilosophen haben die Sapientia Dei zum Kernstück ihrer Naturdeutung und damit zu einem neuen Naturmythus ge formt. Sie waren dabei wesentlich beeinflußt von den Schriften der Araber und der Harraniter, jener letzten Ausläufer griechischer Philosophie und Gnosis, de ren Hauptvertreter T a b it ib n Q u r r a im 10. Jahrhundert ist. Eine dieser Schrif ten - der «Uber Platonis quartorum» - ist ein Dialog, in welchem Thebed (Ta bit) sprechend auftritt. In diesem Traktat spielt der intellectus in seinem natur philosophischen Aspekt eine derartige Rolle, wie es erst bei D o r n e u s (16. Jah r hundert) wieder der Fall ist. A uf die antike psychologische Deutung beruft sich
Pico d e l l a M ir a n d o l a und erwähnt, daß die «Graeci Platonici» Sol als διά ν ο ια 251 und Luna als δ ό ξα 252 bezeichnet hätten, was an die Simonianischen «nous» und «epinoia» erinnert253.
Pico
selber charakterisiert den Unterschied
als den zwischen scientia (W issen) und opinio (Meinung) 254. Er meint, daß der Geist (animus), insofern er sich zum Geiste (spiritus) Gottes hinwende, leuchte und daher Sol genannt wird. Dem Geiste Gottes entsprechen die «aquae supe riores» (Genesis 1,7). Insofern aber der menschliche Geist sich den «aquae infe riores» zuwende, beschäftige er sich mit den sinnlichen Faktoren (sensuales po tentiae) «unde infectionis aliquam contrahit maculam» (woher er einen Makel der Ansteckung beziehe) und daher Luna genannt werde255. Es ist, wie ersicht lich, beide Male des Menschen Geist oder besser Psyche, die aber beide einen
251 = Denken, Verstand, Geist. 2,2 = Vorstellung, Ansicht. P ic o fugt hinzu: «Pro suae doctrinae dogmatis» [gemäß den Lehr sätzen seiner Lehre] (H eptaplus in: Opp. om n., IV , iv, p. 32). 253 Am selben O rte erwähnt P ico , daß PLATON und «gewisse jüngere» Philosophen Sol als «in tellectum qui actu est, Lunam eum, qui est potentia» [Verstand in aktuellem Sein, den Mond in seinem möglichen Sein] gedeutet hätten. 254 l.c. 2,5 l.c.
172
III D ic Personifikation der Gegensätze
doppelten Aspekt haben, einen nach oben, zum Lichte, den anderen nach unten, zur Dunkelheit, welche der Mond regiert (Solem praeesse diei, Lunam autem praeesse nocti). «Da wir ja», sagt P ico , «ferne wandern vom Vaterland und in dieser N acht und Finsternis des gegenwärtigen Lebens weilen, so gebrauchen wir am meisten jenes, das zu den Sinnen hinzieht, weshalb wir auch mehr mei nen als wissen»256, welche pessimistische, aber wohl sehr richtige Ansicht im Einklang steht mit der geistigen Finsternis und sündigen Schwärze dieser sublu naren W elt, die so dunkel ist, daß selbst noch der Mond davon einen Flecken abkriegt (wie oben angedeutet). 166
Der Mond erscheint in einer der Sonne gegenüber benachteiligten Lage: Die se hat die Konzentration vor ihm voraus, «unico Sole dies lucescit» (von einer einzigen Sonne leuchtet der Tag). Luna dagegen — «quasi minus potens257» — hat die Hilfe der Sterne nötig in Hinsicht des Zusammensetzens, des Trennens, des vernünftigen Überlegens, des Definierens usw.258. Dagegen scheinen die ap petitus als «potentiae sensuales» zur Mondsphäre zu gehören, nämlich Zorn (ira) und Begierde (libido) oder die «concupiscentia», m it einem W ort. Die Leidenschaften sind durch die Tiere (bestiae) bezeichnet, weil wir jene mit die sen gemeinsam haben, und weil, «was noch unglückseliger ist, sie uns oft zu einem tierischen Leben veranlassen25S>». Luna hat nach PlGO Verwandtschaft mit der Venus: «Sie hat eine Affinität zur Venus, was sich besonders darin kundtut, daß sie im Taurus, der Venus Haus, so sublimiert wird, daß sie nirgends als mehr glückbringend und wohltätiger erscheint260.» Taurus ist das Haus des Hierosgamos von Sol und Luna261. Ja , P ic o erklärt den Mond für «die unterste 256 l.c. 257 «Gleichsam weniger mächtig». 258 Vgl. dazu die Idee des «inneren Firmamentes» als eines Symbols des Unbewußten in: [J u n g ,] Theoretische Überlegungen zum Wesen des Psychischen [ und Paracelsus als A rzt, Paragr. 2 9 ff.]. 259 1. c., cp. V , p. 32. P ic o fugt hinzu: «Hinc illud Chaldaeorum: Vas tuum inhabitant bestiae ter rae, et apud Platonem in rep discimus habere nos domi diversa genera brutorum» [daher stammt jener Spruch der Chaldäer: Dein Gefäß bewohnen die Tiere der Erde, und bei Platon lesen wir in der Politeia, wir hätten bei uns verschiedene Arten von wilden T ieren ]. Vgl. dazu den oben zitierten T ext von O r ig e n e s . Der englische Mystiker P o rd age spricht in seiner Sophia (p. 108 der deutschen Ausgabe von 1699) von den «Greuel-Völckern» in der Seele. 260 H eptaplus, II, iii, p. 20. 261 Vgl. D ee , M onas hieroglyphica in: Theatr. chem. (1602) II, p.219: «Et lunari certe Semicirculo < £ > ad solare <Θ> complementum perducto: Factum est vespere et mane dies unus. Sit ergo pri mus, quo lux est facta Philosophorum.» [Und wenn der Halbkreis des Mondes mit dem vollen Kreis der Sonne ergänzt ist, dann ist Abend und Morgen, ein Tag. Er ist also das erste Zeichen, wo das Licht der Philosophen entsteht.] D ie Vereinigung von Θ und C ergibt das Zeichen des Tau-
4. Luna
173
und unedelste Erde aller Gestirne2®», daran erinnernd, daß bereits A r i s t o t e l e s den Mond der Erde verglichen habe. Luna sei inferior im Vergleich mit den an deren Planeten263. Das Novilunium ist insofern ungünstig, als es die wachsen den Körper der Nahrung beraubt und ihnen auf diese W eise Schaden bringt264. Psychologisch will dies bedeuten, daß die Vereinigung des Bewußtseins ist (Sol) m it seinem weiblichen Gegenstück, dem Unbewußten (Luna), zunächst ein unerwünschtes Resultat hat: es entstehen giftige Tiere, wie Drache, Schlan ge, Skorpion, Basilisk, K röte265; sodann Löwe, Bär, W olf, Hund266; und schließ lich Adler267 und Rabe. W ie man sieht, entstehen zuerst kaltblütige, dann warmblütige Raubtiere, schließlich Raubvögel oder unglückverkündende Aas fresser. Die ersten Kinder des matrimonium luminarium sind also wenig erfreu lich. Das kann aber nur daher kommen, daß in beiden Eltern ein dunkles Übel sitzt, das in den Kindern an den T ag kommt, wie es ja auch im Menschenleben oft der Fall ist. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Fall eines zwanzigjähri gen Bankcommis, der einige hundert Franken entwendete. Sein alter Vater, der Hauptkassier an derselben Bank war, wurde allgemein bedauert, da er schon seit vierzig Jahren als ein Muster getreuester Pflichterfüllung seine verantwortungs volle Tätigkeit ausübte. Zwei Tage nach der Verhaftung des Sohnes verduftete der Vater - wie es sich herausstellte —unter Mitnahme einer Million nach Süd amerika. Es war also doch etwas «in der Familie». W ir haben ja bereits bei Sol gesehen, daß er entweder einen Schatten besitzt, oder es gibt gar einen Sol ni ger. W ie es in dieser Beziehung um Luna steht, vernahmen wir bereits, als wir vom Neumond handelten. In der «Epistola Solis ad Lunam crescentem»268 er-
rus
des domicilium Veneris. D ie Vermählung von Tag und Nacht ist der Grund fur die (seltene)
Bezeichnung des lapis als «filius unius diei» [Sohn eines einzigen T ages]. 262
«Lunam terram statuimus infimam ignobi li ssimamque omnium siderum, uti est terra om
nium elementorum opacitate, itidem substantiae et maculis illi persimilem.» [D er Mond, sagten wir, ist der unterste, niedrigste aller Himmelskörper, wie die Erde, der er von allen Elementen durch seine D ichte der Substanz und seine Flecken sehr ähnlich ist.] ( H eptaplus, II, II, p. 18) 265
«Lunam quidem scimus omnibus inferiorem.» [Vom Mond allerdings wissen wir, daß er der
unterste von allen ist.] (/» astrologiam , X , IV) 264 1. c., III, v. 265 Eine abgemilderte Form ist der Salamander. 266 Mehrfach zitiert wird der «coraszenische Hund» (Sol) und die «armenische Hündin» (Luna). Siehe unten 1 267 Vom Adler heißt es, daß er seine eigenen Flügel oder Federn fresse: er ist also eine zweite Auflage des Ouroboros. 268 Senior , D e chem ia, p. 7 ff.
174
III Die Personifikation der Gegensätze
kündigt sich Sol vorsichtig: «(si) non intuleris mihi nocumentum, ô Luna» (wenn du mir keinen Schaden zufiigst) m . Luna hat ihm völlige Auflösung ver sprochen, während sie selber koaguliert, das heißt fest und mit seiner Schwärze bekleidet würde (induta fiiero nigredine tua) 27°. Sie nimmt damit freundlichst an, daß ihre Schwärze von ihm stamme. Das Ehegespräch hat also bereits be gonnen . . . Luna ist der «Schatten der Sonne, mit den korruptiblen Dingen wird sie verzehrt, und durch ihre Verderbnis wird der Löwe verdunkelt269270271». Nach alter Anschauung steht der Mond auf der Grenze der ewigen, ätheri schen Dinge und der hinfälligen Erscheinungen des irdischen, das heißt sublu naren Bereiches272273. M a c r o b iu s sagt: «A luna enim deorsum natura incipit ca ducorum, ab hac animae sub numerum dierum cadere, et sub tempus incipiunt. ... Nec dubium est, quin ipsa sit mortalium corporum et autor et conditrix275.» (Vom Mond abwärts fängt die Natur der vergänglichen Dinge an, von hier fan gen die Seelen an unter die Zahl der Tage und unter die Zeit zu fallen. . . Und es besteht kein Zweifel, daß sie selber der sterblichen Körper Urheber und Begründer ist.) Ja , der Mond ist auch, vermöge seiner Feuchtigkeit, der Verur sacher der Fäulnis274. Die hymnisch gepriesene Lieblichkeit des plenilunium der Dichter und Kirchenväter verdeckt eine dunkle Seite, die aber dem auf Tatsa chen gerichteten Auge des Empirikers275 nicht verborgen bleibt. Der Mond, als das der Erde nächste Gestirn, hat an der Erde und deren Leiden teil, und dassel269 l.c., p.9. Eingedenk der gefährlichen Rolle der Luna: «Nemo m e enecat, nisi soror mea.» [Niemand bringt m ich um als meine Schwester.] (Exercitationes in Turbam in: A rt. a u n f I, p. 173) 270 Wofür gelegentlich Cant. 1,4: «Nigra sum» und 5 «.. quod fusca sim, quia decoloravit me
sol» [Hobel. 1,5: «ich bin schwarz» und 6: «.. daß ich so schwarz bin, denn die Sonne hat m ich so verbrannt». - LuTHER-Bibel] angeführt wird. 271 Cons. coniugii in: A rs chem., p. 136: «Luna enim, est umbra Solis, e t cum corporibus corruptibi libus consumitur, et per ipsius corruptionem ... Leo Eclipsatur» usw. [D er Mond ist nämlich der Schatten der Sonne und wird m it den verderblichen Körpern aufgelöst, und durch seinen Zerfall... wird der Löwe ausgelöscht]. 272 ln somn. Sdp ., I, xxi, p. 106: «Et sicut aetheris, et aeris: ita divinorum, et caducorum luna confi
nium est.» [So wie der Mond zwischen Äther und Luft ist, so steht er zwischen dem Göttlichen und dem Vergänglichen.] 273 l.c., I, xi, p.58. 274 D er calor und ros lunaris «putrefecit carnem» [die W ärm e und der Tau des Mondes lassen das Fleisch verderben]. (M acrobius , Satu rnalia, V II, xvi, p. 565) 275 D ie empirische Methode der Ärzte ist nach I sid o r v o n Sevilla eine Häresie (L ib er etymolo giaru m , IV , iv, fol. x x i r). Es gib t drei haereses medicorum : «Secunda empirica (metodica) i. e. experientissima inventa est ab Esculapio.» [D ie zweite Methode ist die empirische, am erfahrensten eingeführt von Äskulap.]
4. Luna
175
be bedeutet das Mondgleichnis fiir die Kirche sowohl wie fur Maria als Mittle rinnen 27
B. Der Hund Auf diese dunkle Seite der Selene deutet schon die antike Anrufung derselben 1« als κυνώ (ή κΰων = Hündin) 278 im sogenannten Großen Pariser Zauberpapyrus. Ebendort ist auch erwähnt, daß in der zweiten Tagesstunde Helios als Hund er scheint279. Diese Feststellung ist insofern von Interesse, als die «symbolizatio280» durch den Hund281 durch den vielleicht ursprünglich arabischen Traktat 276 V gl. dazu Rahner , D as christliche M ysterium von Sonne u n d M ond, p. 220. 277 D ie Mittelstellung des Mondes und seiner Parallele, der Kirche, wird vom Alchemisten W il helm
M ennens (A ureum vellus in: Theatr. ehern., 1622, V , p.460) erwähnt: «Quod fieri dicunt cum
Lunae lumen incipit crescere, usque ad quintam decimam Lunam, et rursus ad tricesimam minui, et redire ad cornua, donec nihil penitus lucis in ea appareat. Secundum hanc opinionem, Luna in alle goria... significat ecclesiam, quod ex parte quidem spirituali lucet ecclesia, ex parte autem carnali, obscura est.» [W as, wie sie sagen, geschieht, wenn das Mondlicht zu wachsen beginnt bis zum fünf zehnten und dann wieder abnimmt bis zum dreißigsten und wieder die Sichel zurückkehrt, bis fast kein Licht mehr daran ist. Gemäß dieser Ansicht bedeutet der Mond allegorisch . .. die Kirche, da
sie im Aspekt des Geistes zwar leuchtet, im fleischlichen Aspekt jedoch dunkel ist.» Man beachte die gerecht abwägende Betonung der beiden Mondaspekte. Das ist der Geist wissenschaftlicher W ahrheit gegenüber den Retouchierungen der kerygmatischen Absicht, die in beiden christlichen Konfessionen eine bedenkliche Rolle spielt.
278 Preisbndanz , Pap. G raecae m ag., I, p. 142: Pap. IV , Z .2280. W eiter heißt es, Selene habe die Stimme eines Hundes (l.c., p.162, Z .2 8 1 0 ); ähnlich Z .2550, p.152. D ie Vermischung mit Hekate verstärkt natürlich dieses Attribut. Vgl. dazu Siecke , B eiträge zu r genauen Kenntnis d er M ondgottheit hei den G riechen, p. 14f. In: Ilias, V I, 344, bezeichnet sich Helena als «schauderhafte, Böses ersinnen de Hündin» ( kuvos κακομ ηχάνου ό κ ρ υ ο έσ σ η ΐ). Kuves sind die frechen, schamlosen Mägde der Penelope. 2781. c. In der zwölften Stunde als Krokodil: p. 124, Z. 1650, p. 126, Z . 1695. V gl. Drachensohn der Sonne! 280 Dieser Terminus findet sich im neunten Kapitel des D ialogus philosophiae von P enotus (T heatr. ehern., 1602, II, p. 107). Es handelt sich bei symbolizatio um Parallelisierung und Parabolisicrung, kurz um amplificatio, dasselbe was Clemens Alexandrinus (Strom ata, V , 4 6) als συμβολυ κή ερμη νεία (symbolische Deutung) bezeichnet. 281 D er Hund zeichnet sich symbolgeschichtlich durch einen ungemein großen Beziehungs reichtum aus, welchen zu erschöpfen ich hier nicht versuchen möchte. Zur gnostischen Parallele logos-canis gibt es auch eine christliche, nämlich Christus-canis, vermittelt durch die Formel «mitis electis, terribilis reprobis» [sanft m it den Auserwählten, furchtbar m it den Verworfenen], d. h. ein
III Die Personifikation der Gegensätze
176
des K a l id , «Liber secretorum», in die abendländische Alchemie eingedrungen ist. Alle entsprechenden Stellen, die ich nachweisen konnte, gehen direkt oder indi
rekt auf K
a l id zurück282.
D ie ursprüngliche Stelle lautet:
«Hermes285. .. dixit: Fili, accipe canem masculum Corascenen, et caniculam Armeniae, et iunge in simul, et parient canem coloris coeli, et imbibe ipsum una siti ex aqua maris: quia ipse custodiet tuum amicum, et custodiet te ab inimico tuo, et adiuvabit te ubicun que sis, semper tecum existendo in hoc mundo et in alio. Et voluit dicere Hermes, pro cane et canicula, res quae conservant corpora a combustione ignis et eius caliditate284.» Einige Zitate gehen vom ursprünglichen T ext aus, andere von der Variante des
«Rosariumphilosophorum», welche folgendermaßen lautet: «Hali, Philosophus et Rex Arabiae in suo Secreto dicit: Accipe canem coëtaneum, et ca tulam Armeniae, iunge simul, et hi duo parient tibi filium canem, coloris coelici: et iste filius servabit te in domo tua ab initio in hoc Mundo et in alio285.» Als erklärende Parallelen dazu gibt das «Rosarium» die Verbindung des W eißen mit dem Roten und zitiert S e n i o r : «Servus rubicundus candidam duxit uxo-
«pastor verus» [wahrer H irte]. So sagt
Gregorius: «.. vel qui alii huius gregis canes vocantur nisi
Doctores sancti»? [E xpositio m oralis in I S , X X , i x ] . Zu gedenken ist auch des «canis Indicus» der auf der Erde ein Vierfüßer ist, im W asser aber zum Fische wird. D iese Wandelbarkeit macht ihn zu einer Allegorie des Paulus (all dies und mehr zusammengestellt bei PiciNELLUS, M undus symbolicus, s.v. canis, p.254, 115). Bei
Horapollo ( H ieroglypbica, 37, in: Selecta hieroglyphica, I,
p.82) wird die
Ansteckungskraft des Hundes (bes. rabies und Milzsucht hervorgehoben. W egen seines reichen symbolischen Kontextes ist der Hund ein passendes Synonym der Wandlungssubstanz.
282
K hai.id
ibn J azid (um 700), ein Omaijadenprinz. D er L ib er secretorum ist ihm unterschoben.
D er T ex t wird zitiert in: T heatr. ehern. (1613) IV , p.859. 285 Eines der vielen Hermeszitate, deren Herkunft dunkel ist. 284 [Hermes hat gesagt: Mein Sohn, nimm den coraszenischen Hund und die armenische Hün din und paare sie, und sie werden dir einen Hund von himmelblauer Farbe gebären, und gib ihm dann, wenn er einmal Durst hat, Meerwasser zu trinken. Denn er wird deinen Freund bewachen und dich vor deinem Feind behüten und dir überall helfen und immer m it dir sein in dieser W elt und in der anderen. Und Hermes wollte mit den W örtern Hund und Hündin die D inge bezeichnen, wel che die Körper vor dem Brand des Feuers und seiner Hitze bewahren.] In: A rt. au rif. I, p. 340f. 285 [D er Philosoph und Herrscher Arabiens, Hali, sagt in seinem Secretum: Nimm den coëtanischen Hund und die armenische Hündin, paare sie, und sie werden dir einen Hundesohn gebären von himmelblauer Farbe, und dieser Sohn wird auf dich achtgeben von Anfang an, in dieser W elt und in der anderen.] In: A rt. au rif. II, p.248. Dieser T ext wird auch zitiert in: Lagneus, H arm onia chem ica (T h eatr. ehern., 1613, IV , p.832).
4. Luna
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rem» usw.286. Es ist klar, daß es sich bei der Paarung um nichts anderes als die königliche Hochzeit von Sol und Lima handelt. Die theriomorphe Gestalt von Sol als Löwe und Hund und von Luna als ito Hündin zeigt, daß ein Aspekt der beiden luminaria vorhanden ist, der das Be dürfnis zur «symbolizatio» in tierischer Gestalt begründet, das heißt die beiden sind in gewissem Sinne auch bestiae beziehungsweise appetitus (Strebungen), obwohl diese als «potentiae sensuales», wie wir gesehen haben, dem Monde zu geteilt werden. Es gibt aber auch einen Sol niger, der allerdings, bezeichnender weise, der Tagessonne gegenübergestellt und deutlich von ihr geschieden ist. Diesen Vorteil hat der Mond nicht, denn er ist offenkundig bald hell und bald dunkel. Psychologisch will dies heißen, daß das Bewußtsein gemäss seiner N a tur sich von seinem Schatten absetzt, das Unbewußte dagegen m it seiner eige nen negativen Seite nicht nur gemischt, sondern obendrein noch mit dem vom Bewußtsein abgestoßenen «Schatten» belastet ist. Die Sonnentiere Löwe und Adler sind zwar vornehmer als die Hündin, aber nichtsdestoweniger Tiere, und zwar Raubtiere, was bedeuten will, daß auch das sonnenhafte Bewußtsein seine gefährlichen bestiae hat. Oder, wenn Sol der Geist und Luna der Körper ist, so hat auch der Geist eine concupiscentia oder superbia, welche in einseitiger Be wunderung des Geistes gerne übersehen wird. Der Hundesohn des K
a l id
ist der hochgepriesene «Sohn der Philosophen», m
und damit wird die Ambiguität dieser Gestalt hervorgehoben: sie ist hellstes Licht und tiefste Nacht zugleich, also eine vollkommene coincidentia opposito rum, als welche die Göttlichkeit das Selbst ausdrückt. Dieser dem christlichen Gefühl als unmöglich erscheinende Gedanke ist eben dermaßen logisch und un ausweichlich, daß er sich, zwar auf wunderlich verschlungenen W egen, in der Alchemie zur Geltung durchgedrängt hat. W eil es sich um eine natürliche W ahrheit handelt, ist es nicht erstaunlich, daß sie sich schon viel früher deut lich zum W orte gemeldet hat. So lesen wir im «Elenchos» des H i p p o l y t u s , daß nach A r a t u s «Kynosura287 der Bär ist, die zweite Schöpfung, die kleine, der schmale W e g 288, und nicht der große Bär (ή ‘Ελίκη). Denn er fuhrt nicht zurück, sondern weist den W e g nach vorne, auf geradem Pfade, denen, die ihm folgen: Er gehört zum Hund ( kuvos ουσα). Denn ein Hund ist der Logos (κΰων γάρ ό X ô y o s ), der teils die Herde, wel-
286 «Der rote Sklave hat die weiße Gattin geheiratet» (l.c.). 287 κυνόσουρα heißt «Hundeschwanz» und bedeutet den Kleinen Bären. 288 Vielleicht Beziehung auf M ai. 7,14: «D ie Pforte ist eng und der W eg ist schmal, der zum Leben hinflihrt.»
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III Dic Personifikation der Gegensätze
Tiere aus vernichtet, teils alle Dinge erzeugt, und, wie sie sagen, κύων
ch e r v o n den W ö lfe n n a ch g e stellt w ird, sch ü tz t un d b ew ach t, te ils die w ild en der S ch ö p fu n g v e rja g t und ist, das h e iß t erzeu g en d 289.»
A r a t u s verbindet den Hund m it dem Pflanzenwachstum und fährt fort: « W e n n dan n der A u fg an g des H u n d es sta ttfin d et, so w erden d ie Leben den v o n den T o ten d u rch den H u n d u n tersch ied en : es verw elkt n ä m lich in der T a t alles, w as n ic h t W u r zel g e sch la g en h at. D ie se r n u n , sagen sie, der H u n d , ist ein gew isser g ö ttlic h e r L o g o s; er tra t als e in R ic h te r der Leben d en u n d T o te n auf, und g le ic h w ie der H u n d als G estirn in bezu g a u f d ie H erv o rb rin g u n g der P flanzen in B e tra c h t k o m m t, so auch der L og os in bezu g a u f d ie h im m lisch en P flan zen , sagen sie, d ie M en sch en . D ie se r U rsa c h e h alb er is t n un d ie zw eite Sch ö p fu n g K y n o su ra als ein B ild d er L og ossch öp fu n g (λ ο γικής κ τίσ εω ς) am H im m e l h in g esetz t. M itte n zw ischen den b eiden S ch ö p fu n g en er streck t sich der D ra ch e , der v erh in d ert, d a ß etw as v o n der g ro ß e n Sch ö p fu n g a u f d ie k lei n e ü b erg eh t, u n d der das in der Sch ö p fu n g E x isten te (τ ά κ α θ εσ τη κ ό τα ), g le ic h w ie den E n g o n a si29“, b ew ach t, ind em er b eo b a ch tet, w ie u n d a u f w as fü r ein e W e is e je g lich e s in der k lein en S ch ö p fu n g e x istie rt (κ α θ έσ τ η κ ε ).»
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Der «filius canis»291 des K a l id ist von «himmlischer Farbe», womit seine himmlische Herkunft von den großen Luminarien angedeutet ist. Die blaue Farbe oder Hundeähnlichkeit292*kommt auch jener als περεηφικόλα294 bezeichneten Frau zu, welche von dem ergrauten, geflügelten, ithyphallischen, alten Manne (πρεσβύτης) verfolgt wird. Er ist als φάος ρυέντης, als «herabfließendes Licht» bezeichnet. Sie dagegen sei ή φικόλα, was «das finstere W asser (τό σκοτ εινόν ύδωρ) bedeute294». Hinter diesen Gestalten verbirgt sich eine coniunctio Solis et Lunae, wobei beide, Sonne und Neumond, in ungünstigem Aspekt auftreten. Auch hier erscheint zwischen ihnen die «Harmonie» (αρμονία) eines da zwischen aufgerichteten Geistes (πνεύματος), welcher etwa der Stellung des fi lius philosophorum entspricht. Der filius spielt bei K a l id die typische Rolle eines πνεύμα πάρεδρον beziehungsweise spiritus familiaris, dessen Anrufung oder Herbeizwingung für Schriften harranischen Ursprungs charakteristisch ist.
289 Elenchos, IV , 4 8 ,1 0 -1 3 , p. 72 f. κύειν bedeutet «schwanger sein», auch erzeugen. Das verwand te κυνεΐν heißt «küssen». 290 Ό έγ γ ό να σι [l.c., ρ.73: Έ ν γ ό ν α σ ι], der Kniende, ein Sternbild, nämlich Herakles. Dazu Elenchos, IV , 4 8 ,1 3 , p. 73. 291 «Canis» als Synonym des Lapis. Siehe Lagneus, H arm , ehem ., 1. c., p. 822.
292 W endland [H g ] hatKuvoeiôïj [hundegestaltig] ;κυανοειδή [blaugestaltig] ist Konjektur. 291 Eine K onjektur ist π ερσ εφ ό νη Φ λ υ ά . 284 Elenchos, V , 2 0 ,6 f., p. 122.
4. Luna
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Eine Parallele fur den Hundegeist bietet uns « Faust» in der Gestalt des Pudels, dessen Hülle Mephistopheles als familiaris des Alchemisten Faust entsteigt. Der Inzesttraum einer Patientin kann in diesem Zusammenhang erwähnt m werden: «Zwei Hunde kodieren. Das Männchen geht mit dem Kopf voran in das
Weibchen hinein und verschwindet in dessen Bauch19'1.» Die theriomorphe Symbolik zeigt immer an, daß ein psychischer Vorgang auf der tierischen Stufe, das heißt .n der Instinktsphäre, stattfindet. Der Traum stellt eine umgekehrte Geburt als das Ziel eines Sexualaktes dar. Dieser archetypische Sachverhalt liegt dem In zestmotiv überhaupt zugrunde und ist auch beim modernen Menschen längst vor allem Bewußtsein da. Dieser Archetypus steht auch hinter der primitiven Anschauung, daß im Sohne der Vater wiedergeboren ist, ebenso hinter dem Hierosgamos von Mutter und Sohn in heidnischer und christlicher Ausprä gung295296 und bedeutet das Höchste und das Tiefste, das Hellste und das Dunkel ste, das Beste und das Verworfenste. Es ist das Bild oder Schema fiir die Erneue rung, die Wiedergeburt und für jedes Verschwinden und Entstehen von symbo lischen Gestalten. Das Hundemotiv ist die notwendige Ergänzung zur überschwenglich gepriesenen Lichtnatur des Steines. Außer dem Spruche des K a l id gibt es noch ande re Aspekte des Hundes, die sich aber nur andeutungsweise hier und dort be merkbar machen. Eine dunkle Stelle findet sich bei L a u r e n t iu s V e n t u r a 297: «De ratione conficiendi lapidisphilosophici» : « R u m p e e rg o domum, frange parietes, purissimum inde extrahe succum298 cum sangui
ne; coqu e u t edere possis. Unde dicit Arnaldus in libro Secretorum299: Purga lapidem: :ere p ortam : frange caniculam: elige carnem teneram, et habebis rem optimam. In ima ergo re o m n ia m em b ra latent, omnia metalla lucent. Horum duo sunt artifices, duo vasa, ru o tem p ora, duo fructus, duo fines, una salus, etc. so°.»
295 Das M otiv des Verschwindens findet sich in der zweiten Version des Gabricus-Beya-Mythus ( R os.phtl. in: A rt. au rif. II, p.246) und in der «submersio Solis» (l.c., p. 315). 296 Der nämliche Archetypus bildet den Hintergrund des Nikodemusgespräches (Jo. }). 297 Ein venetianischer Arzt des 16-Jhs. 298 D er T ext hat «succu». Es könnte daher auch heißen: «Das Reinste m it Saft und Blutauszie hen.» 299 Schmieder (G eschichte d er A lchem ie, p. 153) erwähnt eine Handschrift des Arnaldus de V il lanova: D e secretis naturae, ebenso
Lbnglet
du -Fresnoy , H istoire d e la philosophie herm étique III,
p.325. 9X1 In: T heatr. chem. (1602) II, p. 292 f. «Brich also das Haus ab, zerstöre die W ände, ziehe von da den reinsten Saft m it Blut aus, koche, damit du essen kannst. Daher sagt Arnaldus im Buch der Ge-
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III Die Personifikation der Gegensätze
Dieser T ext ist reichlich dunkel. Im vorausgehenden Abschnitt erwähnt VEN TURA
die Einheit des lapis und der medicina, das «Noli alienum introduce
re» und das «nihil extraneum»301 unter Anführung von Zitaten aus G e b e r , « Turba» und R o s a r i u s . Dann spricht er von den «superflua removenda302». Der lapis sei von N atur aus «purissimus». Er sei daher genügend gereinigt, wenn er «aus seinem Haus herausgeführt und in einem fremden Haus einge schlossen» würde. Der T ext fährt fort: «Im eigenen Haus wird der fliegende Vogel erzeugt und im fremden H ause303 der fingie rende Stein, beide fliegenden V ögel304 hüpfen auf die Tische und Hauptgerichte der K ö nige305, weil die beiden, der gefiederte und der gerupfte (deplumata) V ogel306, diese
heimnisse: Reinige den Stein, zermalme die Türe, zerstückle die Hündin, wähle das zarte Fleisch aus, und du wirst das Beste haben. In einer Sache sind alle Teile verborgen, leuchten alle Metalle. Deren zwei sind die Laboranten, zwei die Gefäße, zwei die Zeiten, zwei die Früchte, zwei die Ziele, eines das Heil» usw. 301 «Führe nichts Fremdes ein» und «nichts Äußerliches», eine oft wiederholte Sentenz! 302 «Zu entfernendes Überflüssiges», ebenfalls geläufige Phrase! 303 D er Begriff «domus» stammt ursprünglich wohl aus der Astrologie. «Domus» bezeichnet hier einerseits die matrix der Substanz (als domus propria, eigenes Haus), andererseits (als domus aliena, fremdes H .) das chemische Gefäß (z.B . domus vitrea, gläsernes H .). D ie «avis volans» (flie gender Vogel) ist ein Gas, das sich aus der matrix entwickelt. Der Stein dagegen bedeutet hier den Körper, der nicht, wie das Gas, sein Haus verlassen würde, sondern in ein anderes Gefäß versetzt werden muß. Das Gas (spiritus) ist unsichtbar und weiblich, gehört also zur unbewußten Sphäre, der Körper dagegen ist sichtbar und tastbar, also sozusagen «wirklicher». Er ist hier männlich und gehört daher zur bewußten Sphäre (beim M anne), weshalb die domus aliena als Bewußtsein aufzu fassen wäre und dementsprechend die domus propria als Unbewußtes. 304 In der Trennung kann der eine Vogel fliegen, der andere nicht. In der Vereinigung aber ent steht der geflügelte Hermaphrodit. 305 Der Urtext [l.c., p.292] lautet hier: «.. utraque avis volans ad regum mensas et capita salit.» [beide Vögel fliegen zu den Tafeln der Könige und hüpfen auf ihr Haupt.] D ie einzige Parallele hiezu ist vielleicht bei Senior (D e chem ia, p. 78) : «.. et venient corvi volantes et cadunt supra illud» [und es kommen Raben geflogen und lassen sich darauf nieder] usw. D er Gedanke ist offenbar, daß die Vögel an der königlichen Mahlzeit teilnehmen, vielleicht nicht unbeeinflußt durch M ai. 22,2 ff. (prandium regis, Mahl des Königs) und Apoc. 19,9 («Beati qui ad coenam nuptiarum», «Selig sind die, welche zum Hochzeitsmahl» usw.). R ex bedeutet immer Sol, die königliche Tafel, die helle T a geswelt und damit das Bewußtsein, in und von welchem die Inhalte des Unbewußten (die Vögel) anerkannt werden. Es sind «die Fische und die Vögel», die den Stein bringen. Vgl. dazu Psych. und A U h., Paragr. 433, und A ion , Paragr. 224. 306 Variante des «ohne Flügel fliegenden Vogels» des Senior (D e chem ia, p. 37). Zum gerupften Vogel vgl. A llegoriae super Turbam (A rt. a u r if I, p. 140): «Recipe Gallum, crista rubea coronatum et vivum plumis priva» [Nim m den m it rotem Kam m gekrönten Hahn und rupfe ihn lebendig] usw.
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sichtbare K unst gegeben haben307 und die Gemeinschaft der Menschen nicht aufgeben308 können. D er V ater309 derselben treibt die Faulen zur Arbeit an, die M ut ter310 nährt die von Mühen erschöpften Söhne, erquickt und schmückt erschlaffte Glie der.»
Hier beginnt unser vorhin zitierter Text: «Rumpe ergo domum» usw. W enn der Leser das Vorangehende mit den Fußnoten gelesen hat, so wird er diese Auf forderung als die typische alchemistische Prozedur der «extractio spiritus sive animae» und damit als die Bewußtmachung unbewußter Inhalte verstehen. Bei der solutio, separatio und extractio werden succus lunariae, sanguis, aqua per manens entweder verwendet oder ausgezogen. Diese «Flüssigkeit» stammt aus dem Unbewußten, ist aber nicht immer der eigentliche Inhalt, sondern oft mehr eine W irkung desselben auf das Bewußtsein. Es handelt sich dabei wohl um. jene dem Arzt gut bekannte indirekte W irkung konstellierter unbewußter In halte, welche einer Anziehung, Assimilation oder Richtungsänderung auf das Unbewußte hin gleichkommt. Man beobachtet diesen Vorgang nicht nur bei dem allmählichen Entstehen von hypochondrischen Obsessionen, Phobien und Wahnideen, sondern auch in Träumen, Phantasien und schöpferischen Vorgän gen, wo der unbewußte Inhalt eine Zuwendung der Aufmerksamkeit erzwingt. Letztere ist der succus vitae311, das Blut, die vitale Anteilnahme, die der Patient unbewußterweise auch dem Arzte abnötigt und ohne welche kein wirklicher 307 D ie beiden Vögel sind die beiden luminaria, Sol et Luna, resp. deren spiritus. D er eine Vogel ist männlich und «sine alis» (ohne Flügel), der andere weiblich und beflügelt. Als «colligatae» (m it einander verbunden) stellen sie die coniunctio dar. Sie sind die Eltern des Lapis, welcher sozusagen identisch ist mit «ars nostra», denn er ist das «artificium». 308 «..hominumque consortia relinquere nescit» [er kann die Gemeinschaft der Menschen nicht verlassen] (L e , p.292). M it anderen W orten: «Sie bleiben bei den Menschen», was an das «semper tecum existendo» (immer mit dir bleibend) des KALID-Textes erinnert. Die Vögel sind personifi zierte Inhalte des Unbewußten, die, wenn einmal bewußtgemacht, nicht mehr unbewußt werden können. Bekanntlich beruht ein wesentlicher, wenn auch nicht ausschlaggebender Teil der analyti schen Therapie auf der Tatsache, daß die Bewußtmachung meist eine psychische Veränderung her beifuhrt. 309 Sol als Tagesgestim. 310 Luna als Mutter der Lebenden und Herrscherin der Nacht. 311 D er succus vitae ist wiederum die aqua permanens, die merkwürdigerweise u.a. auch als «Hund» bezeichnet wird, wie eine Stelle im Traktat Opus praedaru m M agistri V alentini ( T heatr, ehem., 1613, IV , p. 1069) beweist: «.. aqua..., quae Canis Balsami dicitur, sive lac virginis, aut argen tum vivum nostrum, seu anima aut ventus, aut cauda draconis» [das Wasser, welches «Hund des Balsams» heißt oder Jungfrauenmilch oder unser Quecksilber oder Seele oder W ind oder Drachen schwanz] .
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III Die Personifikation der Gegensätze
therapeutischer Effekt erhofft werden kann. Die dem Unbewußten zugewendete Aufmerksamkeit wirkt wie eine Inkubation, eine Bebrütung312 mit jenem lang samen Feuer, welches die primi gradus des Werkes verlangen313, daher auch die oft verwendeten Begriffe der decoctio, digestio, putrefactio und solutio. Es ist in der Tat, wie wenn die Aufmerksamkeit das Unbewußte erwärmte und belebte und damit die Schranken niederbräche, die es vom Bewußtsein trennen. Um die im «Hause314» des Unbewußten verborgenen und eingeschlossenen Inhalte (anima in compedibus!) zu befreien, muß die «matrix» eröffnet werden. Diese aber ist eben die canicula, die Mondhündin, die den als wesentlich empfundenen Persönlichkeitsteil im Bauche trägt, wie die Beya den Gabricus. Dieses Gefäß muß zerbrochen werden, um den kostbaren Inhalt, die «caro tenera»315, heraus112 D er Vergleich der Arkansubstanz m it dem Ei ist häufig. Z. B. im Traktat ιιερ ΐ τοΰ ώου [Über das Ei] (B e r th e i B t , A ich. Grecs, I, III, 1, p. 18), wo die Entsprechungen lauten: ot δ έ λ ίθ ο ν εγ κ έφ α λ ο ν (G ehirnstein..) . .. έτερ ο ι λ ίθ ο ν τον où λ ίθ ο ν (Stein nicht S te in )... έτερ ο ι τ ό τοΰ κόσμον μίμημα, imago mundi, wie in der T u rba (hg. R u sk a , Sermo IV , p. 112) und an zahlreichen anderen Stellen. 513 V gl. die häufig vorkommende Vorschrift «lento igne» (m it langsamem Feuer). 314 «Domus» wird, wie oben erwähnt, häufig verwendet, z. B. als «domus thesauraria» (Schatz haus) zur Bezeichnung des Raumes, in welchem sich das arcanum befindet, oder des chemischen Gefäßes, resp. Ofens, als «domus vitrea». (Vgl. V isio A rislei in: A rt. a u r if I, p. 148.) 315 Caro (Fleisch; tenera = zart) ist ein Name der Arkansubstanz, namentlich wenn sie «belebt» wird. So heißt es im Oms. am . in : A rs ehem ., p. 2 }4 : «.. recipit ille globus carnem, id est coagulatio nem, et sanguinem, id est tincturam» [jene Kugel nimmt das Fleisch in sich auf, d.h. das Festge wordene bzw. die T in ktu r]. D ie Vorlage hiezu verrät D o rn eu s in seiner Spectulativa philosophia (T heatr. chem., 1 6 0 2 ,1, p. 300) m it den W orten: «Ex his possunt philosophicae transmutationes intelligi: nonne scimus et panis et vini puriorem substantiam in carnem et sanguinem transmutari»? [Daraus kann man die philosophischen Wandlungen verstehen: wissen wir nicht, daß die edleren Teile von Brot und W ein sich in Fleisch verwandeln?] Ebenso deutlich ist B brn a r d u s T revisa n us
(D e alch. in: Theatr. chem., 1 6 0 2 ,1, p.802), wenn er vom «König» sagt: «.. iam suam camem
sanguineam rubeam tradit omnibus manducandam» [schon gibt er sein blutrotes Fleisch allen zu essen]. In der Transm utatio m etallorum [p. 599] sagt D o rn eu s , daß die «medicina plusquam perfec ta fieri potest per propriam carnem, et suum sanguinem» [mehr als vollkommen werden kann durch ihr eigenes Fleisch und Blut] in Übereinstimmung mit dem obigen Consilium-TAt&t. Ebenso ein MALCHAMECH-Zitat in: R os.phil. (A rt. au rif. II, p. 238) vom Lapis «crescit ex carne et sanguine» [er wächst aus Fleisch und B lu t]. D ie «caro pinguis» [das fette Fleisch] ist eine mehrfach vorkom mende Vorstellung; so ein PseudoARISTOTELES-Zitat bei M y l iu s (P h il, ref., p.277): «Fili, accipere debes de pinguiori carne» [Sohn, nimm vom fetteren Fleisch] und (l.c., p .7 0 ): «... sed frustum com ede de carne pingui» [aber iß einen Bissen vom fetten Fleisch] - ein MoRiENUS-Zitat aus DE V il lan ova ,
Thesaurus thesaurorum in: A rt. au rif. II, p.406. Caro ist ein Hinweis auf die «fleischliche»
Natur des Menschen, die durch das opus tangiert wird. Dies betont der L ib. P lat, quart. (T heatr. chem., 1622, V , p. 144), nämlich die W ichtigkeit des «habere scientiam corporis, grossi, turbidi car-
4. Luna
1»
zuziehen, denn sie ist die una res, um die sich das ganze W erk dreht. In dieser einen Sache sind alle Teile (des W erkes) enthalten516. Zu diesen Teilen gehören zwei artifices, nämlich in der symbolischen Sphäre Sol und Luna, in der mensch lichen der Adept und die soror mystica317 (gleichsam eine Wiederholung von Simon und Helena!) und in der psychologischen das männliche Bewußtsein und das weibliche Unbewußte ( = Anima). Die zwei Gefäße sind wiederum Sol und Luna318, die zwei Zeiten sind wohl die zwei Teile des Werkes, nämlich das «opus ad album» und «ad rubeum»319. Ersteres ist das opus Lunae, letzteres das
nei, quod est pondus naturarum, et pervenit ad animam simplicem» [die Kenntnis zu besitzen vom groben, konfusen, fleischlichen Körper, weil er die Schwere der D inge ist und sich zur einfachen Seele wandelt], die der ewigen Idee am nächsten steht. 116 D ie Betonung der Einheit der Arkansubstanz findet sich bei de V illanova (l.c., p.379): «Est enim lapis unus, una medicina, cui nil extranei additur, nec diminuitur, nisi quod superflua removentur.» [D er Stein ist nämlich einer, eine Medizin, der nichts Äußeres beigefugt noch wegge nommen wird, außer der Entfernung des Überflüssigen.] N och stärker das K as.p h il. (A rt. a u r if II, p. 206) : «.. unus est lapis, una medicina, unum vas, unum regimen unaque dispositio» [eint ist der Stein, eine Medizin, ein Gefäß, ein Verfahren und eine Anordnung]. 117 Klassische Paare sind Zosimos und Theosebeia, Nicolas Flamel und Peronelle, Mr. South und seine Tochter. Eine gute Lebensbeschreibung von Flamel findet sich in: Leo Larguier , L e Faiseur d ’or N icolas Flam el. Der M utus liber (La Rochelle 1677), der in einem Neudruck vorliegt, stellt das mysterium Solis et Lunae als die alchemistische Operation zwischen Mann und Frau in lauter Bil dern dar. D aß ein so abstruses und auch ästhetisch sich keineswegs empfehlendes W erk im 20.Jh . wieder gedruckt werden kann, zeigt die geheime, über alles Verständnis hinausgehende Anteilnah me der Psyche an ihrem eigenen Mysterium. Ich habe versucht, die Psychologie dieser Beziehung darzustellen in meiner Schrift D ie Psychologie d er Übertragung. 518 Vgl. dazu die Abbildung des M utus liber, wo dieses M otiv reichlich vorkommt. 119 Das opus ist an gewisse symbolische Zeiten gebunden. Z. B. sagt das A rcanum herm eticaep h i losophiae opus, C X X X V II, in: M angetus , B ibi. ehem. II, p.661: « .. primum enim opus ad album in domo Lunae; secundum in secunda Mercurii domo terminari debet. Primum autem opus ad rubeum in secundo Veneris domicilio; postremum vero in altero regali Jovis solio desinet, a quo R ex noster potentissimus coronam pretiosissimis Rubinis contextam suscipiet.» [D as erste W erk zum W eißen geschieht im Haus des Mondes, das zweite W erk muß im zweiten Hause Merkurs beendet werden. Das erste W erk zum Roten im zweiten Haus der Venus, das letzte aber endet im königlichen Thronbereich Jupiters, von dem unser allmächtiger K önig seine m it edelsten Rubinen besetzte K ro ne em pfingt.] Außer dieser Zeitzuteilung gibt es noch eine Reihe anderer, so z.B. O m . coniugii (A rs chem .) p.65: «Albus in occasu Solis incipit apparere super facies aquarum, abscondens se usque ad mediam noctem, et postea vergit in profundum. Rubeus vero et opposito operatur, quia incipit ascendere super aquas in ortu Solis, usque ad meridiem, et postea descendit in profundum.» [D er weiße Stein beginnt bei Sonnenuntergang über den Wassern zu erscheinen, sich verbergend bis Mitternacht, und dann wendet er sich zur Tiefe. D er rote Stein aber bewegt sich umgekehrt, er be ginnt bei Sonnenaufgang übers W asser zu steigen, bis Mittag, und steigt nachher in die Tiefe hinab.]
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III D ic Personifikation der Gegensätze
opus Solis320. Psychologisch entspricht diese der Herausstellung der unbewuß ten Inhalte (opus Lunae) als dem ersten Teil der analytischen Arbeit und der Integration dieser Inhalte im wirklichen Leben des Individuums (opus ad ru beum!). Die zwei Früchte321 sind diejenigen des Sonnen- und Mondbaumes322, nämlich Gold und Silber, respektive die wiedergeborenen und sublimierten Sol und Luna. Die psychologische Parallele ist die erzielte Veränderung des Unbe wußten sowohl als des Bewußtseins, eine Tatsache, die jeder erfährt, der sich m it dem Unbewußten methodisch auseinandersetzt. Es sind zwei Ziele, nämlich die erwähnten Veränderungen. Es ist aber una salus wie una res: es geht um die selbe Sache am Anfang und am Ende, um etwas, was schon immer da war und doch erst am Ende erscheint: es ist die Tatsache des Selbst, jene unbeschreibliche Ganzheit des Menschen, die zwar nicht anschaulich gemacht werden kann, aber als intuitiver Begriff unerläßlich ist. Empirisch kann nur festgestellt werden,
320V g l Senior , D e chem ia, p . 2 6 ff.
S e in e D a r s te llu n g i s t n ic h t g e ra d e k la r, w a s, w ie e r ü b rig e n s
s e lb s t a n d e u te t, m i t d e n U n k la r h e it e n d e s P ro z e d e re ü b e r h a u p t z u s a m m e n h ä n g t.
SENIOR
sa g t
( p . 2 8 ) : « E t o p u s se c u n d u m e s t a lb ific a t io e t ru b ific a tio , e t sa p ie n te s h a e c d u o o p e r a in u n u m c o n tra x e r u n t. N a m q u a n d o lo c u n tu r d e u n o , lo c u n tu r e tia m d e a lio , u n d e d iv e rs ific a n tu r le g e n tib u s e o ru m s c r ip ta .» [U n d d as z w e ite W e r k i s t d ie W e i ß u n g u n d R ö t u n g , u n d d ie W e i s e n h a b e n d ie zw ei in e in s z u s a m m e n g e le g t. D e n n w e n n s ie v o m e in e n re d e n , re d e n s ie a u c h v o m a n d eren u n d z u d em v o n n o c h an d e re m , w e sh a lb ih re S c h r ifte n fü r d ie L e ser v e rw irre n d w irk e n .]
321 D a s ba ,
R e s u lta t d e s W e r k e s w ird h ä u fig a ls « fru c tu s » ( F r u c h t ) c h a r a k te ris ie r t. I c h e rw ä h n e Tur
S e r m o L V I I I (h g . R u s k a , p . 1 6 1 ) : « C u r a rb o re m d im is is ti n a rra re , c u iu s fru c tu m q u i c o m e d it,
n o n e s u rie t u n q u a m ? » [ W a r u m e rz ä h ls t du n ic h t v o m B a u m , d essen F r u c h t je n e , d ie d a v o n e sse n , n ie m e h r h u n g e r n lä ß t? ] D ie s e S t e lle is t w o h l n ic h t o h n e B e z u g a u f Jo . 6 ,3 5 :» .. q u i v e n it ad m e , n o n e s u r i e t ... n o n s itie t u n q u a m .» D i e T u rba fä h r t fo r t: « D ic o , q u o d ille s e n e x d e fru c tib u s illiu s a rb o ris c o m e d e re n o n c e s sa t ad n u m e ri p e rfe c tio n e m , q u o u s q u e s e n e x ille iu v e n is f i a t . . . p a te r filiu s fa ctu s e s t!» [ I c h b e h a u p te , d a ß je n e r G r e is n ic h t a u fh ö rt, v o n d en F rü c h te n je n e s B a u m e s zu e sse n , b is zur v o lle n d e te n Z a h l, d. h . b is der G r e is z u m J ü n g l i n g . . . u n d der V a te r z u m S o h n g e w o rd e n i s t ] . E s is t fra g lic h , o b es sic h h ie r u m e in e c h r is tlic h e In te r p o la tio n h a n d elt.
322 A b b ild u n g e n
der a rb o r p h ilo s o p h ic a sin d h ä u fig . I n der p a tr istisc h e n S p ra c h e is t der B a u m
d ie « a rb o r fru c tife r a in c o rd ib u s n o s tr is ex c o le n d a » [d e r in u n se re n H e rz e n zu h e g e n d e fr u c h tb r in gende B au m ]
(G regorius , Super Cant, eant., I I ,
3 , in : M lG N E , P . L . X X I X , c o l .4 9 5 ) , w ie der W e i n
s to c k der O s tk ir c h e : « T ib im e t , D e i v a te s, in v is io n e v isu s e s t ta n q u a m v itis a m p la , u n iv e rs u m o r b e m im p le n s d iv in is v e rb is , q u a si fru c tib u s » [ D i r , d e m S e h e r G o t t e s , e rs c h ie n e r w ie e in re ic h e r W e in s t o c k , d en g a n z e n E rd k re is m it g ö t t lic h e n W o r t e n w ie m i t F rü c h te n e r fü lle n d ].
Studites , Hymnus de S. Ephrem , in : Pitra , A nalecta sacra I , d e r tra g e n d e W e in s t o c k ] (A u rora cons.
15,1
und
5:
(T heodorus
p . 3 4 l ) . « E g o v itis fru c tific a n s » [ I c h b in
p. 1 1 8 f .) P a rs I I d e r A urora b e z ie h t s ic h e b e n fa lls a u f J o
« A n ig n o r a t is q u o d to ta d iv in a p a g in a p a r a b o lic e p ro c e d it? N a m C h r i s t u s ... m o d u m
se rv a v it e u n d em , e t d ix it: E g o su m v itis v e r a ...» (A rt. a u n f I , p.
D er philosophische Baum .
186).
W e it e r e s sie h e in
[J ung ,]
4. Luna
185
daß das Ich von einem unbewußten Wesen überall umgeben ist. Diesen Beweis liefert jedes gewöhnliche Assoziationsexperiment, welches das öftere Versagen des Ich und seines Willens ad oculos demonstriert. Die Psyche ist eine Glei chung, die nicht aufgeht ohne den Faktor des Unbewußten, und stellt eine Ganzheit dar, die das empirische Ich einerseits und dessen bewußtseinstranszen dente Grundlage andererseits umfaßt. Es ist noch einer Funktion des Hundes, welche in der Alchemie eine Rolle m spielt, zu gedenken. Im « Introitus apertus» des P h i l a l e t h a findet sich folgende Stelle: «Dieses ist der hermaphroditische Sohn, der von der W iege an durch den Biß des tollwütigen corascenischen Hundes angesteckt ist, weshalb er infolge chroni scher Hydrophobie verblödet und rast; ja, er scheut und flieht vor dem W asser, das ihm doch näher ist als jedes natürliche Ding, o Schicksal! Es sind aber im Haine Dianas ein Paar Tauben, die seine rasende W u t besänftigen. Dann wird der ungeduldige, schwärzli che, tolle Hund, damit er keinen Rückfall der Hydrophobie erleide und, im W asser ver sunken, darin zu Grunde gehe, fast erstickt an die Oberfläche des W assers kommen; du aber jage ihn m it Wassergüssen und Schlägen in die Flucht und halte ihn ferne, so wer den die Finsternisse schwinden. W enn der Mond in seinem vollen Lichte scheint, gib ihm Flügel, und ein Adler wird wegfliegen323324.»
Der hier angedeutete Zusammenhang mit dem Mond läßt erkennen, daß der m gefährliche, nächtliche und kranke Hund seine W andlung in den Adler zur Zeit des Pleniluniums erfährt. Hier schwindet seine Finsternisnatur, und er wird zum Sonnentier. Man muß daher annehmen, daß sein schlimmster Zustand auf das Novilunium fällt. Es ist klar, daß hier auf eine psychische Störung324 Bezug genommen wird, mit der auch der «infans Hermaphroditus» in einem gewissen Stadium infiziert ist. Wahrscheinlich geschieht dies ebenfalls im Noviluni u m 325*, das heißt zur Zeit der nigredo. W ieso der wasserscheue, tolle Hund ins W asser gelangt, ist nicht ersichtlich, wenn er sich nicht überhaupt schon von Anfang an in den «aquae» (inferiores) befindet. Unserem T ext geht nämlich der
323 M us. berm ., p.658f. 324 « S p a g y r i. . , e x ip sa L u n a o le u m e l i c i u n t ... ad versu s m o r b u m ca d u cu m o m n e s q u e c e re b ri af fe c tu s » [ D i e A lc h e m is t e n . . . e n tlo c k e n d e m M o n d s e lb e r d a s Ö l g e g e n d ie F a lls u c h t u n d a lle H i m e r k ra n k u n g e n ] .
(P enotus , A dd itio
i n : T heatr. chem .,
1602,1, p.714)
325 L u n a in fiz ie r t n ic h t n u r , so n d ern i s t a u c h s e lb e r k ra n k o d er a n fä llig . Ih r e e in e K r a n k h e it is t das u n s b e r e its b e k a n n te s u lp h u r c o m b u s tib ile (d e r b r e n n b a r e S c h w e fe l), das ih r ä u ß e rlic h a n h ä n g t. D i e an d e re is t « K ä l t e u n d e x z e s s iv e F e u c h tig k e it» .
chem.y 1602, III, p. 365)
(H ollandus, Operum m ineral, lib.
i n : Theatr.
186
III Die Personifikation der Gegensätze
Satz voraus: «Es wird das Chamäleon entstehen, das heißt unser Chaos, in wel chem alle Geheimnisse in potentiellem Zustand verborgen sind.» Das «Chaos» aber ist als prima materia identisch mit den «Wassern» des Anfangs. Nach O
l y m p io d o r
haust im Blei (materia prima) ein Dämon, der die Adepten ver
rückt m acht526. Merkwürdigerweise vergleicht auch
W
e i
Po- Y A N G , der chinesi
sche Alchemist des 2.Jahrhunderts, das Blei mit einem in Lumpen gekleideten Verrückten527. An anderer Stelle spricht
O
l y m p io d o r
von dem «von Gott Ver
fluchten» (θεοκατάρατο«), der in der «schwarzen Erde» steckt. Dieser Verfluch te ist der Maulwurf, der, wie
O
l y m p io d o r
aus einem hermetischen Buche er
zählt, ein Mann gewesen war, der die Sonnenmysterien ausplauderte und des halb von Gott verflucht und geblendet wurde. Er habe «die Gestalt der Sonne gekannt, wie sie w ar528». Es ist nicht schwer, in diesen Andeutungen der Alchemisten jene gewisse Ge fahr zu erkennen, die mit dem Unbewußten entweder wirklich oder eingebilde termaßen verbunden ist. Das Unbewußte hat sich in dieser Hinsicht eine schlechte Reputation erworben, nicht etwa darum, weil es an sich unbedingt ge fährlich wäre, sondern weil es Fälle von latenter Psychose gibt, welche zum Ausbruch der manifesten Katastrophe nur noch eines Anstoßes bedürfen. Als solcher kann schon die Aufnahme eines Status praesens genügen oder die Be rührung eines Komplexes. Das Unbewußte wird aber auch gefürchtet, und zwar von solchen, deren bewußte Einstellung im Widerspruch zu ihrer eigenen N atur steht. Natürlich nehmen dann die Träume oft unangenehme und bedroh liche Gestalt an, denn die vergewaltigte N atur kann sich rächen. Das Unbewuß te ist an sich indifferent und funktioniert normalerweise als Kompensation zum Bewußtsein. Im Unbewußten schlummern die Gegensätze beieinander; sie wer den erst durch das Bewußtsein auseinandergerissen, und je einseitiger und ver krampfter der Standpunkt des Bewußtseins ist, desto peinlicher oder gefährli cher wird die Reaktion des Unbewußten. Für ein solid gegründetes, bewußtes Leben gibt es keine Gefahr von seiten des Unbewußten. W o aber nicht nur eine verkrampfte und hartnäckige Einseitigkeit, sondern auch eine gewisse Schwäche 526. . μ α ν ία « Ίτερ ι-ττίιττο υ σ ιν , ά λ λ ’ ο ύ v o f. [ S ie v e rfa lle n d e m W a h n , n ic h t d e r E in s ic h t.]
thelot , A kh . grecs, I I , iv , 46,
B7(W u
and
(B er
p.97)
D avis , A n A ndern Chinese T reaiise on Alchemy,
p .2 3 7 u n d p. 2 3 8 ) b e s c h r e ib t d ie
G e is te s k r a n k h e it, d ie d e n A d e p te n b e fä llt. [ V g l. J ung , D er philosophische B aum , P a ra g r. 4 3 2 ff.]
528 B erthelot , A ich, grecs,
I I , iv , 5 2 , p . 1 0 1 . E in A lc h e m is t w ü rd e sa g e n , e r h a b e d a s G e h e im n is
d e s G o ld e s g e k a n n t. P s y c h o lo g is c h w ü rd e e s b e d e u te n , e r h a b e u m d ie W a n d lu n g d e s B e w u ß ts e in s g e w u ß t , d ie ih m a b e r m iß r a te n s e i, s o d a ß e r s t a t t in s L ic h t in tie fe r e D u n k e lh e it g e r ie t.
4. Luna
187
des Urteils vorhanden ist, da können die Annäherung und der Einbruch des U n bewußten gefährliche Inflation, Verwirrung und Panik stiften, denn eine der nächstliegenden Gefahren ist die Identifikation mit den Gestalten des Unbe wußten. Bei einer labilen Disposition kann dies aber gleichbedeutend mit Psy chose sein. Die Raserei des angesteckten Sohnes wird durch die Tauben der Diana «mit n» Liebkosungen besänftigt» (was die Bedeutung des hier verwendeten «mulcere» ist). Die binae columbae sind ein Pärchen, und zwar ein Liebespärchen. Die Tauben sind nämlich die Vögel der Astarte529. Sie stellen in der Alchemie, wie alle geflügelten W esen, spiritus oder animae dar, oder, in der technischen Spra che, aqua, nämlich die extrahierte Wandlungssubstanz530. Das Erscheinen des Taubenpärchens weist auf die bevorstehende Hochzeit des filius regius und auf die durch die Vereinigung erfolgende Aufhebung der Gegensätze. Der filius ist von dem Bösen bloß infiziert, während letzterer, der tolle Hund, selber subli miert und im Plenilunium in den Adler verwandelt wird. In dem Traktat des Abra h a m E leazar
tritt der lapis an Stelle des Hundes in seiner dunklen, weib
lichen Gestalt und wird der Sulamitin des Hohenliedes verglichen. Der Stein sagt: «Ich muß aber seyn wie eine Iona (d.i. Taube)»331. Im Traktat «Introitus apertus ad occlusum Regis palatium» 332 findet sich noch eine andere, in diesen Zusammenhang gehörende Stelle: «W enn du diese trokkene Erde mit dem ihr eigenen W asser zu benetzen weißt, die Poren der Erde erweitern wirst, und dieser äußere (externus) Dieb m it den Übeltätern hinaus geworfen wird, so wird das W asser durch eine Zugabe von wahrem Schwefel vom aussätzigen Schmutz (sorde leprosa) und von der überflüssigen hydropi-52
525 « In p h ilo s o p h ic a M e r c u r ii s u b lim a t io n e .. . p r im a H e r c u le u s la b o r o p e ra n ti i n c o m b i t ... lim e n e n im a c o m u p e tis b e llu is c u s t o d it u r ... e a ru m fe r o c ita te m s o la D ia n a e in s ig n ia e t V e n e r is c o lu m b a e m u lc e b u n t, si t e fa ta v o c a n t.» [ I n d e r p h ilo s o p h is c h e n S u b lim a tio n d es M e r k u r o b lie g t d ie e rste H e r k u le s a rb e it d e m A lc h e m is t e n ... d ie S c h w e lle w ird n ä m lic h v o n g e h ö rn te n B e s tie n b e w a c h t ... d e re n W ild h e it n u r d ie Z e ic h e n D ia n a s u n d d ie T a u b e n d e r V e n u s b e s ä n ftig e n w e rd e n , w e n n d ich das S c h ic k s a l r u ft.]
(D ’Espagnet , A rcanum h em . p h il.,
X L I I , in :
Mangetus, B ibi. ehem.
I I , p .6 5 3 )
D i e T a u b e n se lb e r sin d u r s p rü n g lic h « c o rv o r u m p u lli» ( R a b e n ju n g e , l . c . , L X I X , p .6 5 5 ) . D i e Ilta r p rie s te r in n e n sin d « T a u b e n » k le in a s ia tis c h e n G ö t t i n
melszelt
(W ittek in d t , Das Hohe Lied, p. 1 2 ) ,
ττελειάδε?,
W ild ta u b e n , g e n a n n t w e rd e n .
w ie a u c h d ie P r ie s te rin n e n der
(E isubr, Weltenmantel und Him
I , p . 1 5 8 ) . D i e T a u b e is t a u c h B e ig a b e d e r h e tt itis c h e n , o b s z ö n d a r g e s te llte n M u tte r g ö tt in
(W ittek in d t , L e ,
p .5 0 f .) .
E leazar, U raltes Chymisches W erk, I, p. 34. ” 'l .c . , I I , p . 5 2 . 552 V o n
P hilaletha, c p .
V I , in :
Mus. herm., p .6 5 7 .
ιβο
188
III Die Personifikation der Gegensätze
sehen Feuchtigkeit gereinigt werden, und so wirst du virtuell das Brünnlein des Ritters von Trevis haben, dessen Wasser mit Recht der Jungfrau Diana geweiht sind. Dieser Dieb ist ein Nichtsnutz, der mit arsenikalischer ■(giftiger)· Bosheit ausgerüstet ist und den der geflügelte Jüngling scheut und flieht. Seine Braut ist nämlich die aqua centralis, obschon er seine heiße Liebe zu ihr nicht zu zeigen wagt wegen der Nachstellungen des Räubers, dessen Machenschaften in der Tat unvermeidlich sind. Es sei dir hier Diana günstig, welche wilde Tiere zu bändi gen weiß, und deren Taubenpaar mit seinen Flügeln die Bosheit der Luft mäßi gen wird, so daß die Luft leicht durch die Poren eindringt, und der Jüngling (adolescens) sogleich die Fundamente der Erde erschüttert3}5, und eine finstere W olke erzeugt; du (a b e r) wirst die W asser darüber hinaufführen bis zum Glanze des Mondes, und so werden die Finsternisse, die über dem Angesicht der Tiefe lagen, durch den in den Wassern sich bewegenden Geist zerstreut werden. So wird auf Gottes Geheiß das Licht erscheinen.» W ie ersichtlich, handelt es sich bei dieser Stelle um eine Variation desselben Themas, dem wir im vorangegangenen T ext begegnet sind. Dem Hermaphro ditus entspricht hier der «iuvenis alatus» (geflügelter Jüngling), dessen Braut die Quelle der Diana ist (das heißt Luna als Quellnymphe). Dem «canis rabi dus» (tollwütiger Hund) parallel ist hier der Dieb oder Nichtsnutz, der eine gif tige Bosheit (arsenicalis malignitas) besitzt. W ie dort die «rabies», so wird hier die «malignitas» durch die pennae columbarum gemäßigt. Die Flügel des Jüng lings deuten auf dessen Luftnatur; er ist ein Pneuma, das belebend in die Poren der Erde eindringt; womit nichts anderes gemeint ist als die hochzeitliche Verei nigung des spiritus vitae mit der «arida terra virgo» (dürren jungfräulichen Erde), oder die Vermählung des Windhauches mit dem Wasser, das der virgo Diana geweiht ist. Der geflügelte JüngEng wird ja als «spiritus se in aquis mo vens» (Geist, der sich im W asser bewegt) bezeichnet, womit auf den Engel, der die Wasser von Bethesda aufrührte, hingedeutet ist354. Sein Feind, der Dieb und Räuber, der ihm nachstellt, ist, wie der vorausgehende T ext erkennen läßt, der brennende Schwefel («sulphur externum vaporosum comburens»), also, wie wir im Kapitel über Sulphur sahen, sulphur vulgi, begabt mit dem bösen Geist, m
D e r T e x t is t h ie r v e rd o rb e n , « c o n c u tit s ta tim p e ro le d o s» . Ic h le se « te rra e sed es» . E s h a n d e lt
s ic h h ie r u m d ie A u fe r s te h u n g d e s L a p is a u s d e r E rd e , in d ie e r a ls « a e r so p h o ru m » ( L u f t d e r W e i s e n ) e in g e d ru n g e n i s t (e in e d e r z a h lre ic h e n A n d e u tu n g e n d e r c o n iu n c tio !) . D i e G e b u r t d e s L a p is w ird m it C h ris ti A u fe r s te h u n g p a r a lle lis ie rt. D a z u g e h ö r t d a s E rd b e b e n (M at. 2 8 ,2 : « E t e c c e te rra e m o t u s fa c tu s e s t m a g n u s » ),
” V « .5 ,2 ff.
4. Luna
189
dem Teufel, oder von diesem wenigstens in der Hölle gefangen gehalten335, was dem im Wasser fast ertränkten Hund entspricht. Daß Hund und Dieb mitein ander identisch sind, geht auch hervor aus der Bemerkung, Diana wisse «wilde Tiere zu bändigen». Die binae columbae enthüllen sich hier in der Tat als das vermutete Liebespaar, unter welchem die Liebschaft der Diana mit dem Schäfer Endymion angedeutet ist. Diese Sage galt ursprünglich der Selene. Durch das Erscheinen der Diana kommt unvermeidlich ihr Jagdtier, der 182 Hund, mit, der eben ihre dunkle Seite darstellt. Ihr Dunkel zeigt sich darin, daß sie auch eine Göttin des Verderbens und des Todes ist, welche niefehlende Pfei le verschießt. Den Jäger Actaeon zum Beispiel, der sie heimlich im Bade be wunderte, verwandelte sie in einen Hirsch, so daß seine eigenen Hunde ihren Herrn nicht mehr erkannten, sondern in Stücke rissen. Aus diesem Mythus stammt wohl erstens die Bezeichnung des lapis als «cervus fugitivus»336, und 355 « ..c la v e s h a b e t a d c a rc e re s in fe rn a le s , u b i su lp h u r lig a tu m ia c e t» [e r h a t d ie S c h lü s s e l zur U n te rw e lt, w o S u lp h u r g e fe s se lt l i e g t ] . (D e Sulfure in : M us. herm ., p. 6 2 3 ) 336 H ä u fig e r is t «serv u s fu g itiv u s » [flü c h tig e r H irs c h , f. S k la v e ] . C e rv u s k o m m t v o r b e i
von
N ettesheim (D e incertitudine et vanitate omnium scientiarum ,
AGRIPPA
cp . X C , p. 4 2 3 ) : « . . . s tu lta m y ste
ria ac in a n ia a e n ig m a ta , de le o n e v irid i, de ce rv o fu g itiv o » [d u m m e G e h e im n is s e u n d a lb e rn e R ä t sel v o m g rü n e n L ö w e n , v o m flü c h tig e n H ir s c h ] u sw . E in e A b b ild u n g v o n D ia n a u n d A c ta e o n in F ig . I V d e r T it e lb ild e r des M us. herm. (re p ro d . b e i
B ernoulli, Seelische Entw icklung im Spiegel der
A lchem ie). A u f d e n F ig u re n ta b e lle n b e i M angeTUS (B ibi. ehem. I I , T a b . I X , F ig . X I I I ) e rs c h e in t der H irs c h als E m b le m des M a h o m e t p h ilo s o p h u s . E r is t e in S y m b o l der S e lb s tv e rjü n g u n g b e i
rius von
Autun (M igne , P .L .
Hono
C L X X I I , c o l .8 4 7 ) , w o e s h e i ß t , d a ß d e r H ir s c h , w e n n e r e in e g i f t i
g e S c h la n g e v e r s c h lu c k t h a b e , W a s s e r tr in k e , u m d a s G i f t lo sz u w erd en , u n d d a b e i H ö r n e r u n d H a a re a b s to ß e - so s o llte n a u c h w ir « e t c o rn u a s u p e rb ia e a c p ilo s m u n d a n a e su p e rflu ita tis d e p o n e re » [s o w o h l das G e w e ih d e s S to lz e s a ls a u c h d ie H a a re w e lt lic h e r O b e r flä c h lic h k e it a b le g e n ] u sw . In der G r a ls le g e n d e h e iß t e s , d a ß C h ris tu s s e in e n J ü n g e r n b is w e ile n a ls w e iß e r H ir s c h m it v ie r L ö w e n (=
v ie r E v a n g e lis te n ) e rs c h e in e . A u c h h ie r i s t e rw ä h n t, d a ß e r s ic h v e r jü n g e n k a n n (L e Saint-
G raal, h g . Hucher, p p . 2 1 9 u n d 2 2 4 ) . R ulandus (L ex. dich., p . 138 ) e rw ä h n t n u r e in e n « ce rv ic u la e s p iritu s » , w e lc h e r a u s e in e m K n o c h e n im H e r z e n d es H ir s c h e s sta m m e . D o m
Pernety (D ict.
mytho-herm étique, p . 7 2 ) s a g t v o m « C e rv e a u o u C o e u r d e c e r f» : « C e s t la m a tiè r e d e s p h ilo s o p h e s » . D e r L iv re des secrez de nature e r z ä h lt v o m H ir s c h e n : « L e s e r f e s t u n e b e s te b ie n c o g n e u e le q u e l se re n o u v e lle q u a n t il se s e n t fo ib le e t v ie il. I l v a a u n fre m ie r e t ca v e t a n t au p ié q u i l e n tr a it u n e se rp e n t e t la d e ro m p t am le p ié , ap réz la m e n iu e e t a d o n c il e n fle e t ain sy se re n o u v e lle e t p o u r c e i l v it I X C a n s se lo n c e q u e 1 o n tr e u v e e n 1 e s c rip tu re e t il a m a in te s n o b le s v e r tu s . . . L e s o s d u eu er du s e r f v a u lt m o u lt p o u r c o n fo rte r le e u e r h u m a in .» [ D e r H ir s c h is t e in w o h lb e k a n n te s T ie r , d a s, w e n n e s s ic h sc h w a c h u n d a lt fü h lt, s ic h ern e u e rt. E r g e h t zu e in e m A m e is e n h ü g e l u n d g r ä b t s o tie f , b is e r e in e S c h la n g e h e rv o rz ie h t, d ie e r m i t d e m F u ß e z e r tritt. D a n n i ß t e r s ie u n d s c h w illt d a ra u fh in a n , w o d u rc h e r s ic h e r n e u e rt. D a h e r le b t e r n e u n h u n d e rt J a h r e , w ie v o n ih m g e s c h r ie b e n s te h t, u n d er h a t z a h lre ic h e w e r tv o lle E ig e n s c h a fte n . . . D i e H e r z k n o c h e n d e s H ir s c h e s sin d h ilfre ic h z u r S tä r k u n g d es m e n s c h lic h e n H e r z e n s .]
(D elatte, Textes latin s et vieux fran çais relatifs a u x Cyranides, p . 346)
III Dic Personifikation der Gegensätze
190
zweitens der «canis rabidus», welcher nichts anderes als die rachsüchtige und heimtückische Neumondseite der Diana darstellt. Die im Kapitel über Sulphur besprochene Parabel enthält ebenfalls das Motiv der «Überraschung im Bade». Dort ist es aber Helios selber in leichter Verhüllung, und die Beziehung ein Bruder-Schwester-Inzest, der mit dem Ertrinkungstod für beide endet. Diese Katastrophe gehört zum Inzest, und durch diesen wird das königliche Paar er reicht, nachdem zuvor Tiere getötet wurden oder einander töteten,}7. Die Tiere (Drache, Schlange, Löwe usw.) stellen bereits die böse Leidenschaft dar, welche schließlich als Inzest zutage tritt. Sie gehen eigentlich an ihrer wütenden Natur zugrunde, ebenso Sol und Luna, deren höchstes Begehren anscheinend im Inzest gipfelt. D a aber alles Vergängliche auch ein Gleichnis ist, so hat der Inzest, wie bereits erwähnt, die Bedeutung der unmittelbaren Vorstufe zur unio opposito rum M8. Aus Chaos, Finsternis und Bosheit geht schließlich ein neues Licht auf, nachdem der Tod die «technae inevitabiles» (die unvermeidlichen Machen schaften) des Bösen gesühnt hat.
C. Allegoria alchymica Dem Laien auf dem Gebiete der Psychologie des Unbewußten werden die bei den Texte vom tollen Hund und vom Dieb wohl recht kraus und wunderlich Vorkommen. Sie sind es aber nicht mehr als die Träume, die dem Psychothera peuten als tagtägliches Problem vor liegen; und wie die Träume, so lassen sich auch solche Texte in vernünftige Sprache übersetzen. Zur Deutung von Träu men brauchen wir einige Kenntnis von den persönlichen Voraussetzungen des Träumers; zum Verständnis der alchemistischen Parabeln aber müssen wir die symbolischen Voraussetzungen der Alchemie kennen. Im ersteren Fall amplifizieren wir mit der persönlichen Lebensgeschichte, im letzteren m it den Aussa gen der alchemistischen Texte. Ausgerüstet mit solchen Kenntnissen, ist es we der im einen noch im anderen Fall allzu schwierig, einen unserem Bedürfnis als37* 337 D a e s sic h h ie b e i u m se e lis c h e W a n d lu n g h a n d e lt, k ö n n te v ie lle ic h t a u c h d ie d u n k le S t e lle im N a a s se n e r h y m n u s
(H ippolytus , Elenchos,
V , 1 0 ,2,
p. 103)
w o d ie L e id e n d e r S e e le e rw ä h n t w e rd e n ,
h ie r h e ra n g e z o g e n w erd en . . . Ψ υ χ ή . . . ελ α φ ιο ύ ( έ λ ά φ ο υ
θανάτφ
μ ε λ ε τ η ρ ά (θ α ν ά τ ο υ μ ε λ έ τ η σ ι
Miller )
D iels ) κρατούμενη
μορφήν
περικείμενη κοπιά
(d ie S e e l e . . . e in g e h ü llt in d e r G e
s ta lt d e s H irs c h e s , erm ü d e t, ü b e r w ä ltig t v o n d en M ü h s a le n d es T o d e s ) . D e r T e x t i s t a b e r d e rm a ß e n u n s ic h e r, d a ß er k a u m d o k u m e n ta risc h e n W e r t b e s itz t. 538 S ie h e dazu [J u n g ,]
D ie Psychologie der Übertragung, P a ra g r.
4 l9 ff.
4. Luna
191
genügend erscheinenden Sinn zu erkennen. Eine Deutung kann im Einzelfall kaum je überzeugend bewiesen werden. Sie erweist sich meist erst dann als rich tig, wenn sie sich ihrerseits als heuristische Hypothese bewährt hat. Ich möchte daher abschließend den letzten, etwas deutlicheren T ext des
P
h il a l e t h a
339
so
übersetzen, wie es unsere ärztliche Psychologie mit einem Traum täte: Text: W enn du diese trockene Erde m it dem ihr eigenen W asser zu benetzen weißt, die
Tu si aridam hanc Terram, aqua sui ge neris rigare sciveris, poros Terrae laxabis,
Poren der Erde erweitern
Deutung: W enn du deinen Mangel an Phantasie, an Einfällen und innerer Belebtheit, im den du als Stockung und unfruchtbare Ode empfindest, mit jenem Interesse be trachtest ( = «trächtig machst»), welches eben in dem Alarm besteht, den man als Folge des inneren Todes und als R uf der W üste (nicht selten ein «call o f the wild») vernimmt, so kann etwas werden, denn die innere Leere birgt eine eben so große Fülle, wenn du dich nur so lässest, daß sie in dich eindringen kann. W enn du dich zugänglich erweisest für den R uf der W üste, so wird die Sehn sucht nach Erfüllung die öde Leere deiner Seele so beleben wie ein Regen die trockene Erde. (So spricht die Seele zum Laboranten, der mit stierem Blick auf seinen Ofen starrt und sich hinter den Ohren kratzt, weil ihm nichts mehr ein fällt.) und dieser äußere Dieb m it den Ubeltä-
et externus hic fur cum Operatoribus ne-
tern hinausgeworfen wird,
quitiae foras projicietur,
Du bist so steril, weil, ohne dein Wissen, etwas wie ein böser Geist die Quel- 1» le deiner Phantasie, den Brunnen deiner Seele, verstopft. Der Feind ist dein ro her Schwefel, der dich mit dem höllischen Feuer der Begehrlichkeit, der concu piscentia, brennt. Du möchtest Gold machen, weil du denkst: «Armut ist die größte Plage, Reichtum ist das höchste G u t340.»
339
[Introitus apertm
540 [G O ETH E,
in :
Mus. herm., p . 6 5 7 .]
D er Schatzgräber.
[B a lla d e n in : W e r k e I , p . 1 8 3 £ ]
192
III Die Personifikation der Gegensätze
Du möchtest Ergebnisse, die deiner superbia schmeicheln, kurz, du möchtest und erwartest eine Zweckdienlichkeit, aber davon, wie du mit Schrecken ahnst, ist keine Rede. Darum willst du nicht fruchtbar sein, denn es wäre ja bloß um Gottes —aber leider nicht um deinetwillen. so wird das W asser durch eine Zugabe
purgabitur aqua per additamentum Sul-
von wahrem Schwefel vom aussätzigen
phuris veri a sorde leprosa, et ab humore
Schmutz und von der überflüssigen hydro-
hydropico superfluo
pischen Feuchtigkeit gereinigt werden
Also befördere diese rohe und vulgäre Begehrlichkeit, die ebenso kindisch wie kurzsichtig nur Ziele innerhalb deines Horizontes kennt, hinaus - aller dings, zugegeben — der Schwefel ist ein spiritus vitalis; zwar ein «Jezer Horra 541», ein böser Geist der Leidenschaft, aber eben doch, wie dieser, ein aktives ELement; aber dessen unter Umständen nützliche Bosheit steht hindernd zwi schen dir und deinem Ziel. Das W asser deines Interesses ist nicht rein, sondern mit dem Aussatz der allen gemeinsamen Begehrlichkeit vergiftet. Von dieser Kollektivkrankheit bist du auch angesteckt. Also, bitte, denke einmal nach, «ex trahe cogitationem», was steckt alles hinter dieser Begehrlichkeit? «Ein Hun gerleiden nach dem Unendlichen», wie du siehst, mit dem Besten nicht zufrie den, denn es ist «der Hades», dem alle Begehrlichkeit «rast und Feste feiert». Je mehr du an dem hängst, was alle W elt möchte, desto mehr bist du ein Jeder mann, der jedenfalls sich selber noch nicht entdeckt hat, infolgedessen wie ein Blinder durch die W elt stolpert und als ein Führer der Lahmen in somnambuler Sicherheit ins Leere tritt, wohin ihm alle Gelähmten folgen. Ein «Jedermann» ist nämlich immer viele. Reinige dein Interesse von jeglichem Kollektivschwe fel, der allen wie eine Lepra anhängt. Das Begehren brennt ja nur, um auszu brennen, und in und aus diesem Feuer entsteht der wahre Lebensgeist, der ein Leben nach eigenen Gesetzen hervorbringt, und nicht durch die Myopie unserer Absicht und durch die plumpe Anmaßlichkeit unseres Willensaberglaubens verkrüppelt ist. und so wirst du virtuell das Brünnlein des
habebisque in posse Comitis a Trevis Fon-
Ritters von Trevis haben, dessen W asser
tinam, cujus Aquae sunt proprie Dianae
m it Recht der Jungfrau Diana geweiht sind.
Virgini dicatae.
541 S o in d e m b e k a n n te n R ü C X E R T sc h en G e d ic h t . J e z e r h a -ra h e i ß t « T r ie b d e s B ö s e n » .
4. Luna
193
«Das Lebendge will ich preisen, / Das nach Flammentod sich sehnet342» —das heißt im eigenen Feuer zu verbrennen und sich nicht etwa darum als Kom et oder als wandelnder Leuchtturm vorzukommen, der den anderen den «richti gen» W e g weist, ohne ihn selber zu kennen. Das Unbewußte wünscht ein In teresse an und für sich und verlangt zunächst so akzeptiert zu werden, wie es ist. W enn die Existenz des Gegenüber einmal festgestellt ist, dann mag nicht nur, sondern soll das Ich sich m it der dadurch erhobenen Forderung auseinanderset zen. Ohne die Anerkennung des vom Unbewußten gegebenen Inhaltes ist des sen kompensatorische W irkung nicht nur unmöglich343, sie verkehrt sich sogar ins Gegenteil, weil sie sich dann wortwörtlich durchzusetzen sucht. Die Fontina des B e r n a r d u s T
r e v is a n u s
ist das Erneuerungsbad, das schon früher erwähnt
wurde. Indem die Quelle beständig fließt, drückt sie ein ebenso stetes Fließen des Interesses zum Unbewußten hin aus, das heißt eine Art von beständiger Aufmerksamkeit oder religio, die man auch Andacht nennen könnte. Damit wird der Übertritt unbewußter Inhalte ins Bewußtsein erheblich erleichtert. Das ist dem seelischen Gleichgewicht auf die Dauer nur förderlich. Diana als Numen und Nymphe dieser Quelle formuliert trefflich jene Gestalt, die wir als Anima bezeichnen. Indem nämlich die Aufmerksamkeit sich dem Unbewußten zuwendet, gibt dieses auch seine Inhalte her, die dann ihrerseits wie eine Quelle lebendigen Wassers das Bewußtsein befruchten, welches ebensosehr eine terra arida ist wie das Unbewußte, wenn die beiden Hälften des seelischen Lebens voneinander getrennt sind.
Dieser Dieb ist ein Nichtsnutz, der m it
H ic fur est nequam arsenicali maligni-
arsenikalischer Bosheit ausgerüstet ist und
täte armatus, quem juvenis alatus horret et
den der geflügelte Jüngling scheut und
fugit,
flieht.
Es ist offenbar eine schwierige Sache, ja wie
d
’E s p a g n e t 344
sagt, ein «Hercu- i«7
leus labor», diese «depuratio a sordibus». Darum kehrt der T ext wieder zum «Dieb» zurück. W ir sahen bereits, daß der Dieb eine Art von Selbstberaubung personifiziert, die, wie es scheint, nicht leicht abzuschütteln ist; beruht sie doch auf einer Denkgewohnheit, die durch Tradition und Milieu unterstützt wird:542 542 [G oethb , W estöstlicher D iw an. Buch des Sängers. Selige Sehnsucht.] 343 Dies g ilt natürlich nur innerhalb des Prozesses der Auseinandersetzung. 344 [A rcanum herm . philos. opus, X U I , in : M a n g etu s , B ibi, ch m . II, p. 653- (Herkulische Mühe Reinigung von Schmutz)]
194
III Die Personifikation der Gegensätze
W as man nicht in irgendeiner W eise ausbeuten kann, ist uninteressant - daher die Unterschätzung der Seele. Ein weiterer Grund dazu ist die habituelle Ent wertung aller Dinge, die man nicht mit Händen tastet und nicht versteht, und in weiterer Hinsicht ist die bisherige Erziehung - so notwendig sie auch war von der unvermeidlichen Schuld nicht freizusprechen, der empirischen Seele zu einer schlechten Reputation verholfen zu haben. Neuerdings gesellt sich zum traditionellen Irrtum noch eine angeblich biologische oder materialistische An sicht, welche den Menschen bis jetzt nicht weiter hinauf als bis zum Herdentier und seine Motivationen noch nicht über die Kategorien von Hunger, Machtund Geschlechtstrieb hinaus verstanden hat. Man denkt in Hunderttausenden und Millionen von Exemplaren, wobei dann natürlich keine anderen Fragen mehr wichtig sind, als wem die Herde gehört, wo sie weidet, ob genügend Käl ber geworfen werden und die entsprechende Menge Milch und Fleisch produ ziert wird. Angesichts der ungeheuren Zahlen verblaßt jeder Gedanke an Indivi dualität, denn die Statistik löscht alle Einmaligkeit aus. Im Anblick solcher Macht und solchen Elendes geniert sich der Einzelne überhaupt zu existieren. Der reale Lebensträger aber ist der Einzelne. Er allein fühlt das Glück, er allein hat Tugend und Verantwortung und Ethik überhaupt. Die Masse und der Staat haben nichts dergleichen. Allein der Mensch als Einzelwesen lebt, der Staat hin gegen ist ein System, eine bloße Maschine, um Massen zu sortieren und anzu ordnen. W e r also in menschlichen Dingen minus den Menschen, dagegen aber in großen Zahlen denkt und dabei sich selber atomisiert, der ist an sich selber zum Räuber und Dieb geworden. Er hat den Aussatz kollektiven Denkens mit gemacht und ist zum Insassen jenes kranken Zuchtstalles, genannt «totalitärer Staat», geworden. Unsere Zeit enthält und produziert genug von jenem «rohen Schwefel», der mit «arsenicalis malignitas» den Menschen daran hindert, zu sei nem eigenen Sein zu gelangen. 188
Ich habe «arsenicalis» mit «giftig» wiedergegeben. Diese Übersetzung ist aber etwas zu modern. N icht alles nämlich, was die Alchemie als «Arsen» be zeichnet, ist wirklich As. «Arsen» heißt ursprünglich das «Männliche» (&ρσην) und ist wesentlich arcanum, wie das R u l a n d s c h e «Lexicon» von 1612 noch be weist. Dort ist Arsenicum ein «hermaphrodith, das Mittel / dadurch Schwefel und Mercurius zusammen vereiniget werden / hat Gemeinschafft: mit beyden Naturen / darumb wirdt er Sol und Luna genennet». Oder Arsenicum ist «Luna, unser Venus, Schwefels Gesell» und die «Seel»
Hier ist Arsenik nicht
4. Luna
195
mehr der männliche Aspekt der Arkansubstanz, sondern der hermaphroditische, ja sogar weibliche. Damit gerät der Arsenik in die verdächtige Nähe des Mon des und des rohen Schwefels und büßt seine Sonnenverwandtschaft ein. Als «Schwefels Gesell» ist er darum wohl giftig, wie dieser brennend ist. Insofern die Arkansubstanz immer auf den unbewußten Hauptinhalt hinweist, so zeigt deren Beschaffenheit, in welcher Beziehung der Inhalt zum Bewußtsein steht. Hat das Bewußtsein ihn akzeptiert, so hat er positive Gestalt, wenn nicht, dann negative. Ist dagegen die Arkansubstanz gespalten, das heißt in zwei Gestalten vorhanden, dann ist der Inhalt teils akzeptiert, teils zurückgewiesen: er wird un ter zwei verschiedenen und zu einander inkompatiblen Aspekten gesehen und daher für zwei verschiedene Dinge gehalten. In unserem T ext ist letzteres der Fall: dem Dieb ist der geflügelte sponsus iw gegenübergestellt, als der Vertreter einer anderen Ansicht, oder als die Personi fikation des «sulphur verum», jenes Geistes der inneren W ahrheit, der den Menschen nicht an seiner Beziehung zur Masse, sondern an der zum Mysterium der Seele mißt. Dieser geflügelte Jüngling (der geistige Mercurius) ist sich of fenbar seiner Schwäche bewußt und «schaudert» (horret) vor dem sulphur vul· gi. Der Standpunkt des inneren Menschen ist so bedroht, wie der des äußeren überwältigend ist. Manchmal rettet ihn ja nur seine Unsichtbarkeit. Er ist so wenig, daß niemand ihn missen würde, wenn er nicht die conditio sine qua non des inneren Friedens und Glückes wäre346. Und schließlich fühlt weder ein «Achtzig Millionen-Volk», noch der Staat, sondern der Einzelne Glück und Zu friedenheit. Man wird nie um das einfache Rechenexempel herumkommen, daß auch der größte Haufen von Nullen keine Eins ergibt, und auch das lauteste Gerede wird die einfache psychologische W ahrheit, daß je größer die Menge, desto nichtiger der Einzelne, nicht aus der W elt schaffen. Der scheue und zarte Jüngling stellt alles dar, was in der Seele Flügel hat, 190 oder dem Flügel wachsen möchten. Er stirbt aber am Gifte des kollektiven Massen-Statistik-Organisationsdenkens, und der Einzelne verfallt dem katastropha len Wahnsinn, der früher oder später jede Masse erfaßt, nämlich der Todesbe geisterung der Lemminge. Auf menschlichem Gebiet heißt diese Krieg. 346 «In Mannigfaltigkeit findst du das eine n ich t/ Dein Aug von allem ab m uß einwärts sein ge rieht’;/ Und kannst du auch dich selbst vergessen und verlieren,/ So wirst du G ott in dir, das wahre Eins bald spüren.» (T br stb eg en , Gastliches Blumengärtlein inniger Seelen, Nr. 102, p.24) «Gott macht m ich nimmer gut, such ich ihn außer mir:/ Schau D ich nicht umb, Dein H eil ist nir gends als in Dir. (VON CZEPKO, Sexcenta mmodisticha Sapientum , zit. H e ld [h g .], Angelus Silesius I, p.179)
III Die Personifikation der Gegensätze
196
Seine Braut ist nämlich die aqua centra
E t licet Aqua centralis sit hujus Sponsa,
lis, obschon er seine heiße Liebe zu ihr
tamen Amorem suum erga illam ardentis-
nicht zu zeigen wagt wegen der Nachstel
simum non audet exerere, ob latronis insi
lungen des Räubers, dessen Machenschaf
dias, cujus technae sunt vere inevitabiles.
ten in der T at unvermeidlich sind.
191
Das Ziel des geflügelten Jünglings ist eine höhere Erfüllung als die Ideale der kollektiven Organisation, die samt und sonders nichts anderes sind als Be dingungen und Notbehelfe der baren Existenz, und insofern diese das absolute Fundament ist, wird niemand ihre W ichtigkeit leugnen, aber sie stellen noch keineswegs jene Lebensluft dar, die der Mensch zum Leben haben muß. W enn aber seine Seele nicht lebt, so kann ihn nichts vor der Verblödung retten. Seine Existenz ist der Nährboden, auf dem seine Seele sich entwickeln will und muß. Der Übermacht und Brutalität der kollektiven Überzeugung aber hat er nichts entgegenzusetzen als das Mysterium seiner lebendigen Seele.
192
Es ist das alte, in jedem Menschenleben ausgefochtene Drama der Gegensät ze, wie immer diese benannt werden. In unserem Text ist es offenbar der Kampf des guten Geistes gegen den bösen, in alchemistischer Sprache so ausgedrückt, wie er heute in politischer Sprache formuliert wird. Unser Text spricht bereits annähernd die Mystikersprache des Barock, die Sprache eines J (1575-1624), eines A b r a h a m gelu s
19}
S il e s iu s
von
Fra n c k en berg
acob
Böhme
(1593-1652) und eines A n
(1624-1677).
W ir erfahren, daß der iuvenis alatus der aqua centralis verlobt ist. Diese Quelle ist der Seelenbrunnen, der «Brunnen der W eisheit347», aus dem das inne re Leben quillt. Die Quellnymphe ist letzten Endes Luna, die Mutter-Geliebte, woraus evidenterweise folgt, daß er Sol, filius solis, Lapis, aurum philosophi cum, lumen luminum, medicina catholica, ima salus usw. ist. Er ist das Beste, Höchste und Wertvollste in potentia. Er wird aber nur wirklich, wenn er sich m it Luna, «corporum mortalium mater» (Mutter der sterblichen Körper) ver binden kann. Sonst droht ihm das Schicksal des puer aeternus im «Faust», der zu dreien Malen sozusagen in Rauch aufgeht34®. Der Adept muß daher stets darauf bedacht sein, das hermetische Gefäß gut zu versiegeln, um den, der drin sitzt, am Davonfliegen zu hindern. Der Inhalt wird aber «fixiert» durch das Myste rium der coniunctio, in der sich die extremen Gegensätze einen, wo der Tag sich147 147 « .. Brunnen der W eisheit; alle Durstigen tranken daraus». (H a m b 4 8 ,1 , in : KAUTZSCH, Apokryphat u n d Pseudoepigraphen des A lten Testaments, II, p. 264) 348 2. T eil: Knabe Lenker, Homunculus und Euphorion.
4. Luna
197
mit der N acht vermählt, «wenn zwei eins sind, und wenn das Äußere ist wie das Innere, und wenn das Männliche zusammen mit dem Weiblichen, weder Männ liches, noch Weibliches ist349350». Dieses dem Anfang des 2.Jahrhunderts angehö rende apokryphe λόγιον ’Ιησού (Ausspruch Jesu) ist in der Tat zugleich auch ein Paradigma für die alchemistische Gegensatzvereinigung. Offenkundig ist dieses Problem ein eschatologisches, aber insofern nicht abstrus (abgesehen von der krausen, zeitbedingten Sprache), als es weltweite Geltung hat, vom Tao des L ao-T se
bis zur «coincidentia oppositorum» des C u s a n u s . Diese Idee ist ja
auch eingegangen in die christliche Vorstellungswelt als die apokalyptische Hochzeit des Lammes (Offenbarung 19,9), und es gibt selten einen Höhepunkt religiösen Gefühls, wo dieses ewige Bild der königlichen Hochzeit nicht er schiene. Ich vermag nicht mehr, als das Vorhandensein des Bildes und seine Phäno- m menologie festzustellen. W as aber die Vereinigung der Gegensätze bedeutet, übersteigt menschliche Vorstellungskraft. Damm kann der weltkluge Stand punkt eine solche «Phantasie» auch ohne weiteres von der Tagesordnung abset zen, denn es ist doch klar: tertium non datur. Allerdings ist damit nichts getan, denn es handelt sich um ein «ewiges» Bild, um einen Archetypus, von dem man den Sinn des Menschen für einige Zeit, aber niemals auf die Dauer, ablenken kann 35°. In der Zeit, wo dieses Bild verdunkelt ist, hat das menschliche Leben seinen ihm eigentümlichen Sinn verloren und damit sein Gleichgewicht. Solan ge einer weiß, daß er der Lebensträger, und es dämm wichtig ist, daß er lebt, so lange lebt auch das Mysterium seiner Seele - gleichgültig, ob bewußt oder un bewußt. W e r aber den Sinn seines Lebens nicht mehr in der Erfüllung desselben sieht und auch an kein ewiges Menschenrecht zur Freiheit eines solchen Erfullens glaubt, der hat seine Seele verraten und verloren und durch einen W ahn ersetzt, der ins Verderben führt, wie unsere Zeit so deutlich demonstriert. 349 C lemens R om an us , Epistola I I a d Corinthios, cp. X I I in: M ig n e , P.G.L. I, col. 345. 350 D ies hat die in unseren Tagen erfolgte «Declaratio solemnis» des Dogmas der Assumptio B. V. M. wieder einmal dargetan. Ein katholischer Autor bemerkt passenderweise dazu: «There seems to be some stränge rightness in the portrayal o f this reunion in splendor o f Son and Mother, Father and Daughter, Spirit and Matter.» [Es scheint eine eigenartige Richtigkeit in der Darstellung dieser Vereinigung in Herrlichkeit von Sohn und Mutter, Vater und Tochter, Geist und Materie zu liegen. (WHITE, The Scandai o f the Assumption in: L ife o f the Spirit V , p. 199) In Ergänzung dazu sind die W orte der Apostolischen Konstitution M unificentissim us Deus zu erinnern: «In hac die V irgo Mater ad aethereum thalamum est assumpta» [An diesem Tage ist die Jungfrau-Mutter in das himmlische Brautgemach aufgenommen worden], (A n t o n iu s von Pa dua , «Sermo in Assumptione S. Mariae Virginis», Sermones, III, ρ. 730)
198
III Dic Personifikation der Gegensätze
Die «Machenschaften des Räubers» (technae latronis) sind, wie unser Text sagt, «inevitabiles». Sie gehören schicksalsmäßig zum Drama der Gegensätze, wie der Schatten zum Licht. Daraus kann die Vernunft allerdings kein bequemes Rezept machen, denn die Unvermeidbarkeit mindert nichts an der Schuld des Bösen, sowenig wie am Verdienst des Guten. Minus bleibt Minus, und nach wie vor rächt sich alle Schuld. «Auf das Unrecht folget das Übel», wie der Kapuziner in Wallensteins Lager sagt - eine banale Wahrhei t, die immer wieder und gern ver gessen wird, und darum kann der iuvenis alatus seine Braut nicht ohne weiteres heimfiihren. Das Böse ist nicht endgültig auszumerzen; es ist ein unvermeidli cher Bestandteil des Lebens, und es bleibt nicht ohne Folgen, sondern muß di rekt oder indirekt bezahlt werden. Der Dieb, den die Polizei nicht erwischt, hat doch immerhin sich selbst bestohlen, der Mörder sich selbst gerichtet. In unserem T ext wird dem Dieb alles Böse zugetraut; in Wirklichkeit aber handelt es sich um ein Ich mit seinem Schatten, in welchem sich die Abgründigkeiten menschlicher Natur ankündigen. Wachsende psychologische Einsicht verhindert mehr und mehr die Projektion des Schattens, und die Zunahme an Erkenntnis führt logischerweise zum Problem der Gegensatzvereinigung, denn man versteht zuerst, daß man seinen Schatten nicht auf andere projizieren kann, und hernach, daß es keinen Vorteil hat, auf der Schuld des anderen zu insistie ren, da es so viel wichtiger ist, seine eigene Schuld zu kennen und zu besitzen, denn sie ist Teil des eigenen Selbst und eine Bedingung, ohne welche sich nichts in dieser sublunaren W elt verwirklichen kann. Es ist zwar nichts gesagt davon, daß Luna das Dunkle personifiziert, jedoch ist der Neumond, wie wir zur Genüge sahen, sehr verdächtig. Der geflügelte Jüngling aber liebt seine Mondbraut und damit die Nacht, der sie angehört, denn die Gegensätze fliehen sich nicht nur, sondern ziehen sich sogar an. Das Böse erweist sich bekanntlich, besonders wenn man es nicht zu deutlich merkt, als sehr attraktiv und am mei sten dann, wenn es in idealistischer Verkleidung auftritt. Angeblich hindert das Böse den iuvenis alatus an seiner Liebe zur «casta Diana», in Wirklichkeit steckt es schon im idealen Jüngling und im Dunkel des Novilunium, und die Furcht des Jünglings besteht hauptsächlich darin, am Ende sich selber in der Rolle des gemeinen Sulphur zu entdecken. Diese Rolle ist dermaßen abscheu lich, daß sich der Edle nicht darin sehen kann und sich m it den Nachstellungen des Feindes entschuldigt. Es ist, wie wenn er es so lange nicht wissen dürfte, bis er erwachsen genug ist, um sich mit der Tatsache abzufinden, daß man dankbar sein muß, wenn man unerwarteterweise einem Apfel ohne W urm und einer Suppe ohne ein Haar darin begegnet.
4. Luna
199
Unter diesen Voraussetzungen ist der nächste Satz unseres Textes unschwer
197
verständlich: Hier sei dir Diana günstig, die wilde Tiere zu bändigen weiß,
Esto hic tibi Diana propitia, quae feras domare novit,
Das Dunkle, das dem Hellen entgegensteht, ist die ungehemmte Triebhaf- 198 tigkeit der Natur, die sich ohne und gegen das Bewußtsein durchsetzt. W er also Gegensätze einen will, dem sei Diana, die Herrscherin über wilde Tiere, gnädig, denn sie kommt ja als Braut in Frage, und es ist noch abzuwarten, was sie an wilden Tieren zu präsentieren hat. Vielleicht nimmt sich der Dieb daneben kläglich aus. deren Taubenpaar m it seinen Flügeln die
binae columbae pennis suis aeris maligni-
Bösartigkeit der Luft mildern wird,
tatem temperabunt,
Allerdings gibt es daneben das zärtliche Taubenpaar, ein offenbar harmloser Aspekt derselben Sache, welcher der Sünden Menge zu decken vermag, obschon das theriomorphe Symbol an sich einer «Deutung nach unten» fähig wäre. In diesem Sinne ist das Symbol aber schon darum nicht zu deuten, weil der Aspekt der ungebändigten Tierheit und der Bosheit im einen Fall vom tollen Hunde, im anderen vom Dieb und Räuber dargestellt ist. Im Gegensatz dazu sind die Tauben Embleme der Unschuld und der Gattenliebe sowie des Spiritus sanctus und der Sapientia, von Christus und der jungfräulichen M utter551. Aus diesem «Kontext» der Taube geht die Art der Intention hervor, welche sie darstellt: sie ist das genaue Gegenstück zur malignitas des Feindes. Beide zusammen reprä sentieren sozusagen den Anfall und Angriff eines gegensätzlichen Wesens auf das engere Bewußtsein des Menschen. Der Zweck oder Erfolg dieses Anfalles ist wohl die Bewußtseinserweiterung, die ja stets, wie es scheint, nach dem Muster Ebenso Milde, Zahmheit, Friedfertigkeit (Taube des N oah), Einfachheit (M at. 10,16). Auch Christus wird als Taube bezeichnet: «Columba ftiit Dominus Je s u s ... dicens, Pax vob is... En co lumba, en oliva virens inore» usw. [Eine Taube war unser Herr Je s u s ... als er sprach, Friede sei m it e u ch ... das ist die Taube, siehe den grünenden Ölzweig in ihrem Schnabel.] (BENEDICTUS Fer NANDIUS, zit. bei P iq n e l l u s , M undus symbolum, cp. X X , p. 283) PlGNELLUS nennt Maria Virgo «columba purissima» (1.c.). Das Aureum velim des M e n n en s ( Theatr: ehern., 1622, V , p.311) deutet die «Taube» folgendermaßen: «Unde Propheta exclamat: Quis dabit mihi pennas ut colum bae , videlicet, cogitationes, contemplationesque immaculatas ac simplices» usw. [W es halb der Prophet ausruft: W er wird mir Flügel geben wie die der Taube, d. h. makellose und einfa che Gedanken und Einsichten].
199
200
III Die Personifikation der Gegensätze
von Genesis 3,4 erfolgt: «Mit nichten werdet ihr sterben; sondern Gott weiß, daß, sobald ihr davon esset, euch die Augen aufgehen werden und ihr wie Gott sein und wissen werdet, was gut und böse ist.» 200
Es ist offenbar ein Moment supremer Möglichkeiten nach «oben» und nach «unten». In der Regel ist es allerdings zunächst ein Nacheinander: ein Guter verfällt dem Bösen, und ein Böser bekehrt sich zum Guten, womit für eine an spruchslosere Auffassung der Fall erledigt ist. Ein feineres moralisches Empfin den oder eine tiefere Einsicht kann es nicht leugnen, daß dieses scheinbare Nacheinander in Wirklichkeit ein Nebeneinander ist, was vielleicht wohl nie mand deutlicher empfunden hat als Paulus, der wußte, daß er einen Pfahl im Fleische trug, und ein Satansengel ihm ins Gesicht schlug, damit er sich nicht überhebe352. Das Nacheinander ist eine erträgliche Vorstufe zur tieferen Er kenntnis des Nebeneinander, welches den Nachteil hat, ein ungleich schwieri geres Problem zu sein als das erste. Wiederum leichter erträglich ist dabei die Anschauung, daß Gut und Böse zwar geistige, aber äußere Mächte sind, in de ren Zweikampf der Mensch sich verwickelt findet; schwieriger dagegen die Ein sicht, daß die Gegensätze unausrottbare und unerläßliche Bedingungen unseres seelischen Lebens überhaupt sind, und zwar dermaßen, daß Existenz und Leben an sich schon Schuld bedeuten. Selbst ein gottgeweihtes Leben wird doch im mer noch von einem Ich gelebt, das gegenüber Gott von einem Ich spricht und ein Ich behauptet, das nicht sofort in die Gottheit fällt, sondern sich eine Frei heit und einen W illen reserviert, die es gewissermaßen außerhalb der Gottheit aufrichtet. W ie kann es dies der Übermacht Gottes gegenüber? N ur durch Selbstbehauptung, die sich ihre freie W ahl ebensosehr sichert wie Luzifer. Alles Verschiedensein von Gott ist Entfernung, Entfremdung, Abfall. Der Sündenfall war schon im Paradies unvermeidlich. Darum ist Christus «sine macula pecca ti», da er die ganze Gottheit darstellt und von dieser durch sein Menschsein nicht geschieden ist353. Die Menschheit unterhalb ist aber durch die macula der Trennung von Gott gebrandmarkt. Dieser Status wäre unerträglich, wenn dem Bösen nichts entgegenstünde als Gesetz und Moralgebot, wie im vorchristli chen Judentum, dem der Reformator und Rabbi Jesus die fortgeschrittenere und psychologisch richtigere Anschauung beizubringen suchte, daß nicht Gesetzes treue, sondern vielmehr Liebe und Güte dem Wesen des Bösen im Gegensatz entsprechen: Die Flügel der Tauben mäßigen die malignitas aeris, die Bosheit 552 2. K or. 12,7. 353 W as allerdings, wie die Lehre von der Kenosis, ein Paradox ist, vor dem die Vernunft den Atem anhält.
4. Luna
201
des Luftgeistes («princeps potestatis aeris huius» - Epheser 2,2), und sie sind die einzigen, die diese W irkung haben. daß der Jüngling leicht durch die Poren
quod per poros facile ingreditur adoles-
eindringe, sofort die Fundamente der Erde
eens, concutit statim
erschüttere und die finstere W olke errege.
banque tetricam suscitat.
Ist die Bosheit gemäßigt, so ist auch die Sündhaftigkeit oder deren üble Fol- joi ge gemildert, und das, was Flügel hat, kann die Erde umarmen. . . denn es han delt sich um den Vollzug des Hierosgamos, um Verirdischung des Geistes und Vergeistigung der Erde, um eine unio oppositorum, eine Versöhnung der Ge trennten ( Epheser 2 ,1 4 )3” , mit einem W ort: um den ersehnten Akt der Erlö sung, wo die Sündhaftigkeit des Daseins, die ursprüngliche Spaltung, in Gott wieder aufgehoben wird. Das damit verbundene Erdbeben ist einerseits eine An spielung auf die Höllenfahrt und Auferstehung Christi, andererseits aber auch eine «Erschütterung» der banalen (irdischen) Existenz des Menschen, in dessen Leben und Seele das Bedeutende eingebrochen ist, von dem er zugleich bedroht und erhöht wird. Es ist stets ein intuitives Erlebnis und eine Wirklichkeit der Möglichkeit 202 nach. Es ist die Präfiguration und Antizipation eines noch zukünftigen Zustan des, die Ahnung eines stillschweigenden, sozusagen unbewußten Einsseins von Ich und Nicht-Ich. Mit Recht als unio mystica bezeichnet, bildet es das Grund erlebnis aller einigermaßen lebendigen Religionen, die nicht bereits zum Konfessionalismus verflacht sind, sondern das Mysterium noch besitzen, von dem die anderen nur den Ritus kennen, den es erzeugt hat, und somit wenigstens den leeren Beutel bewahren, in dem einst das längst verflogene Gold lag. Die Erschütterung bewirkt die Verfinsterung durch die W olke, das heißt das 2» Bewußtsein gerät, wegen der Erschütterung seines bisherigen Standpunktes, in 554 Meine K onjektur [vgl. Paragr. 180, Anm. 333]. w Ein Gedanke, welcher im Dogm a der Assumptio mitspielt, und zwar besonders hervorgeho ben durch die Unverweslichkeit des Körpers, welcher als irdisches Gefäß der G ottheit der Bundesla de verglichen wird. D ie Konstitution M unificentissim us D eus sagt: «Arcam foederis, incorruptibili ligno instructam ... quasi imaginem cernant purissimi Mariae Virginis corporis, ab omni sepulcri corruptione servati immunis» [D ie Bundeslade, von unverweslichem Holz gebau t... halten sie für ein Bild des reinen Körpers der Jungfrau Maria, der von aller Grabesverwesung unverderbt bewahrt wurde]. In den W orten der D efinitio: « ... fuisse corpore et an im a. .. assumptam» [sie sei m it K ör per und Seele zum Himmel gefahren] ist die himmlische Koexistenz des wirklichen irdischen K ör pers m it der Seele unzweideutig ausgedrückt.
202
III Die Personifikation der Gegensätze
die Dunkelheit, wie die Erde beim Tode Christi, dem die Auferstehung folgen wird. Dieses Bild will bedeuten, daß die Erweiterung des Bewußtseins zunächst Erschütterung und Verfinsterung bedeutet, dann aber Ausweitung des Men schen zum ganzen Menschen, zum Menschen schlechthin, der um seiner Unbeschreiblichkeit willen als «mystische», das heißt intuitive Erfahrung bezeichnet werden m uß; darum ziemt sich auch der Name Anthropos, weil dieser die Kon tinuität der Idee durch die Jahrtausende dartut. du aber wirst die W asser darüberhinausfuhren bis zum Glanze des Mondes.
tu undas superinduces ad Lunae usque candorem,
W ie oben schon gezeigt, kommt dem W asser hier die Bedeutung von «be fruchtendem Interesse» zu, und seine Hinaufführung umschreibt die Tatsache, daß es sich jetzt dem Plenilunium, dem holdseligen und friedlichen Gegensatz zum finsteren Neumond und dessen Gefahren, zuwendet. Und so werden die Finsternisse, die auf
atque ita Tenebrae, quae supra abyssi fa
dem Angesicht der Tiefe lagen, durch den
ciem erant, per spiritum se in aquis m o
Geist, der sich in den W assern bewegt,
ventem discutientur. Sic jubente D eo Lux
vertrieben werden. So wird auf Gottes Ge
apparebit.
heiß das Licht erscheinen.
Das Auge, das bis jetzt auf die dunklen Gefahren des Bösen gerichtet war, wendet sich zum Kreise des Mondes, wo der ewige Äther der Unsterblichen be ginnt, und die finstere Tiefe kann sich selber überlassen bleiben, da ja der Geist sie von innen bewegt, erschüttert und wandelt. W enn das Bewußtsein sich dem Unbewußten nähert, so empfängt nicht nur es den erschütternden Schock, son dern es dringt auch etwas vom lich t des Bewußtseins in die «Finsternis» des Unbewußten. Die Folge davon ist, daß es dem Bewußtsein nicht mehr so fern, fremd und angsterregend gegenübersteht, und dadurch wird die sdiließliche Vereinigung angebahnt. Natürlich ist mit der «Erhellung» des Unbewußten keineswegs gemeint, daß das Unbewußte von nun an weniger unbewußt sei. Davon ist keine Rede. W as aber geschieht, ist, daß die Inhalte des Unbewußten leichter ins Bewußtsein übergehen als bisher. Das Licht, das schließlich er scheint, ist die Lux moderna der Alchemisten, die neuerliche Erweiterung des Bewußtseins, der eben erfolgte weitere Schritt in der Verwirklichung des An thropos, und jeder dieser Schritte bedeutet eine erneuerte Gottesgeburt. Damit schließen wir unsere Kontemplation des Textes.
4. Luna
203
D. Die Mondnatur Haben die Alchemisten nun tatsächlich derartige Gedanken gehegt und in 206 ihrer verschnörkelten Metaphorik verborgen? M it anderen W orten: Hat der P h il a l e t h a ,
der pseudonyme Verfasser unseres Textes, denn Gleiches oder
Ähnliches gedacht, was ich zur Deutung vorbringe? Ich halte das fur ausge schlossen und glaube vielmehr, daß diese Autoren jeweils das Beste, Treffendste und Deutlichste, was sie ersinnen konnten, zu ihrer Sache sagten. Für unseren Geschmack und unser intellektuelles Bedürfnis erscheint diese Höchstleistung aber noch dermaßen unbefriedigend, daß wir selber uns zu einem neuerlichen Versuch, das gleiche mit noch deutlicheren W orten zu sagen, gedrängt fühlen. Dabei ist es uns klar, daß das, was wir darüber denken, niemals von den Alche misten gedacht worden ist, sonst wäre es längst zuvor unzweifelhaft ausgekom men. Die «Philosophen» gaben sich alle erdenkliche Mühe, das Geheimnis des Steines zu er- und verraten, wobei sie den Alten den Vorwurf machten, sie hätten auch gar zu dunkel geschrieben und zu vieles verborgen. W enn sie mit eigenen W orten «typice», «symbolice» oder «metaphorice» schrieben, so war das jeweils das Beste, was sie zu sagen wußten, und dank dieser Bemühung sind wir heute überhaupt in der Lage, etwas von den Geheimnissen der Alchemie zu verstehen. Alles Verstehen, das nicht direkt mathematischer Natur (die nämlich nichts 207 versteht, sondern formuliert) ist, fällt unter die Kategorie des Zeitbedingten. W as der Alchemie zugrunde liegt, ist ein echtes und rechtes Mysterium, das vom 17.Jahrhundert an unzweideutig als seelisch verstanden wurde. W ir Mo derne können uns darunter auch nichts anderes vorstellen als ein psychisches Produkt, dem man seinen Sinn mittels der Methode und der Erfahrungen der ärztlichen Psychologie des 20.Jahrhunderts entlocken kann. Ich bilde mir aber nicht ein, daß die psychologische Deutung eines Mysteriums notwendigerweise
das letzte W o rt sein müsse. Ist es ein Geheimnis, so muß es noch andere Aspek te haben. Allerdings bin ich der Meinung, daß die Psychologie die Alchemie ih res Geheimnisses entkleiden kann; aber das Geheimnis des Geheimnisses ent rätselt sie nicht. Darum steht zu erwarten, daß eine spätere Zukunft unseren Versuch als ebenso metaphorisch und symbolisch empfinden wird, wie es uns mit der Alchemie ergangen ist, und daß dann das Mysterium des Steines oder des Selbst einen Aspekt entwickeln wird, der uns heute noch unbewußt, aber in unseren Formulierungen doch bereits angedeutet ist, und zwar in so schleierhaf ter W eise, daß sich der zukünftige Forscher ebenso fragen wird, ob wir wußten, was wir mit unseren W orten meinten.
204
a»
III Die Personifikation der Gegensätze
Vom bedenklichen und gefährlichen Aspekt des Neumondes haben wir be reits früher ausführlich gehandelt. Im Neumond wird eben der Gipfelpunkt der Mondabnahme, die im Volksaberglauben nicht immer als günstig gilt, erreicht. Der Neumond gefährdet die Kindsgeburt und die Hochzeit. Stirbt der Vater bei abnehmendem Mond, so bringt dies den Kindern Unglück. Dem Neumond (das heißt der feinen Sichel nach dem Neumond) muß man Verbeugungen ma chen, sonst bringt er Unglück. Auch das Mondlicht ist gefährlich. Es kann Mondsucht verursachen, die vom «Mondwolf» kommt. Das Ehebett, schwange re Frauen und kleine Kinder sollen vor dem Mondlicht geschützt werden. W er beim Mondlicht näht, näht sich das Sterbekleid, usw.356.
209
Der Passus über den Mond bei P a r a c e l s u s (De Pestilitate, III, 95) gibt treff lich die Stimmung wieder, welche das blasse Mondlicht umwittert: «Iezt m erk et, w o nun ein verzagter forchtsam er m ensch vorhanden ist und h a t im e selbs die im agin ation geb oren und im p rim irt die g ro ß e forch t, du rch ein solch m ittel ist der m on im him el das corpus m it h ü lf seiner Sternen, wan ein solch forchtsam er verzagter m ensch (in ) voller im agin ation den m onden anschauet, so sihet er in das speculum vene nosum m agn u m naturae und w ird der siderische g e ist und m agnes hom inis also vergiftet durch die Stern und m on. aber ir sollet das noch scherfer vo n uns verm erken in dem w eg. der forchtsam e m ensch h at seine äugen basiliskischer art gem ach t durch sein im agination und inficirt den Spiegel, den m o n und die Stern du rch sich selbs erstlich und hernach so als denn der m on vo n dem im aginirenden m enschen inficirt ist, das g a r leich t und g a r bald geschieh t, v o n der m agnetischen kraft w egen, so der siderische leib und geist m it dem g e stim , m on u n d Sternen der g ro ß en na tu r hat, so w ird alsdan der m ensch wider vergiftet vo m solchen Spiegel des m onden und Sternen, darein er gesehen h a t, und das darum b. w ie ir sehet, das es natürlich geschieh t, das so ein schw angere frau zur zeit, so sie m enstruosisch ist, den spiegel befleket, verder b et m it irem g esich te; dan zu solcher zeit ist sie g iftig und h a t basilisken äugen e x causa m enstrui e t venenosi sanguinis , so heim lich in dem leib der frauen lig t und dis nirgend sterker als in den äu g en ; denn da stehet der siderische geist des beflekten leibes dem siderischen m agneten offen u n d bloß, quia e x m enstruo e t venenoso sanguine m ulieris causatur e t nascitur basiliscus, ita luna in coelo est oculus basilisci coeli < W e il aus dem giftigen M enstruationsblut der Frau der Basilisk entsteht, so ist auch der M on d am H im m el das A u ge des H im m elsbasilisken.>. und w ie der spigel beflekt, w ird von der flauen, also auch w erden durch den m onden herwider beflecket die äugen und der siderische geist und leib des m enschen. und das darum b, das zu solcher zeit des forchtsam en im aginirenden m enschens äugen schw ach und blöde sein
5,6 BÄCHTOLD-St ä UBLI, H andw örterbuch des deutschen A berglaubens V I, s.v. Mond.
4. Luna
205
und der siderische geist und leib ziehen an sich den gift aus dem spiegel des monden dar ein du gesehen hast, und nicht, das ein mensch alein den gewalt hat, also den mon zu vergiften mit dem gesicht, nein; ich sage also, das am meristen die menstruosischen frauen also den mon und sterne vil eher und auch mer vergiften, dan alle man und das gar leicht, dan wie ir sehet, das sie den leiblichen metallischen, und das noch mer ist, den glesern Spiegel vergiften und beflekent, noch vil mer und beider verunreinigen sie den mon und Sterne zu solcher zeit, und so der mon nur zu solcher Zeit ins wasser scheinet und die frau das wasser ansihet, so ist der mon schon vergiftet, und noch durch vil wege mer, welches nit gut wer, alles so klar zu offenbaren, und solche Vergiftung des monden geschieht darumb: er ist auch das bloße auge des geistes und siderischen leibes und wird, wie ir sehet, oft neu und jung, darum wie ein junges kint, so das in ein Spiegel sihet, darein zuvor ein menstruosische frau gesehen, so wird es ubersichtig und schilend und werden im auch seine äugen vergiftet, beflecket und verderbet, wie der Spiegel von der menstruosischen flauen ist beflecket worden, also auch der mon, also auch der mensch vergiftet wird, und wie der mon, wenn der neu wird und jung, ist giftiger art, das ir mer ken sollet auf zwo art, als am element wasser und auch dem holz, leimen etc. so das zu Unrechten Zeiten genomen wird, nicht gut brennet, sonder wurmstichig, giftig, bös und faul ist. also ist auch der monden, darumb er auch so leicht vergiftet wird vom bloßen ansehen und (der) monde mit seinem scheinen ist das humidum ignis, kalter natur, dar umb es auch den gift leicht zu entpfahen geschikt ist557.» Auf der Tabelle der Zuordnungen und Entsprechungen des P enotus 558 ge- 210 hören zum Mond: Schlange, Tiger, die Manen, Lemuren, und schließlich die Dii infernales. Die Zuordnungen zeigen deutlich die dem Alchemisten auffal lende Unterweltnatur des Mondes35738359. Seine «häretische» Empirie hat ihn über den patristischen Sprachgebrauch hinaus zur Anerkennung der dunklen Mond seite geführt; zu einem Aspekt also, der sich zur Allegorisierung der lieblichen sponsa Christi nicht mehr eignete. Und wie bei der kirchlichen Mondallegorie die Hündin vergessen wird, so pflegt das männliche Urteil diese auch zu verges-
357 Sudhoff (H g.) X IV , p .6 5 lf. 358 Versteckt unter dem Pseudonym des B. À Po rtu Aq uitan o , in: T heatr. ch m . (1602) Π, p. 1 2 3 . 355 D er Mond hat auch Beziehung zum Saturn, dem astrologischen maleficus. In den D icta B elin i ist Saturn gewissermaßen «Vatermutter» der Luna: «Ego sum», sagt der Lapis, «illuminans omnia mea et facio lunam apparere patenter de interiore de patre meo satumo [sic], et etiam de matre do minante, quae mihi inimicatur.» [Ich bin der, der alles Meinige erleuchtet, und ich lasse den Mond offen hervortreten aus dem Inneren von meinem Vater Saturn und auch aus der herrschenden M ut ter, die mir feindselig ist.] Saturn spielt ihm gegenüber die Rolle des Typhon. Zerstückelung! (A lle goria sapientum in: T heatr. ch m ., 1622, V , p. 97)
III Die Personifikation der Gegensätze
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sen, wo es sich um eine überschätzte Frau handelt. Man soll sich nicht täuschen - das Hundegeheul der Hekate mag näher oder ferner ertönen, es ist immer da als ein unheimlicher Revers zu einem unzweifelhaft empfehlenswerten Avers. Dies gilt von allem Weiblichen, und nicht zuletzt auch von der Anima des Mannes. Die Mythologie des Mondes ist Anschauungsunterricht in weiblicher Psychologie360. Der Mond mit seiner Gegensatznatur ist, in gewissem Sinne, ein Vorbild der Individuation, eine Präfiguration des Selbst: «..esse matrem et uxorem solis, quae foetum spagiricum a sole conceptum in sua matrice uteroque vento gestat in aere361362». Dieses Bild entspricht dem häufig vorkommenden Psychologem der schwangeren Anima, deren Kind dem Selbst entspricht, respektive durch die Attribute des Heldenkindes ausgezeichnet ist. W ie die Anima das kollektive Unbewußte repräsentiert und personifiziert, so Luna die sechs Planeten bezie hungsweise die Metallgeister oder metalla spiritualia. So sagt D orneus: «Aus Saturn, Merkur, Jupiter, Mars, Venus kann nichts und kein anderes Metall entste hen als Luna (das heißt Silber).. . Denn Luna besteht aus sechs geistigen Metallen und deren Kräften, von denen jedes zwei h a t... Luna hat vom Planeten Merkur, vom Aqua rius und den Gemini, oder vom Aquarius und den Fischen die Verflüssigung (liquatio nem) und den weißen G lanz.. . von Jupiter, Sagittarius und Taurus die weiße Farbe und ihre große Beständigkeit im F e u e r... von Mars, Cancer und Aries die H ärte und ihren guten K la n g ... von der Venus, den Gemini und der Libra das Maß der Verfestigung (coagulationis) und die H äm m erbarkeit... von Sol, dem Leo und der Virgo echte Rein heit und die große Beständigkeit gegen die K räfte des F eu ers... von Saturn, der Virgo und dem Scorpio oder vom Capricornus den homogenen Körper, die reine Feinheit (pu ram munditiem) und die Standhaftigkeit gegenüber der FeuersgewaltM.»
So ist Luna sozusagen Summe und Inbegriff der Metallnaturen, die alle Auf nahme in ihrer schimmernden W eiße finden. Sie repräsentiert die vielen, wäh rend Sol fur sich von ausgezeichneter Natur ist, als «septimum ex sex spirituali-
360 Esth er Ha r d in g hat in einem verdienstvollen und dem ärztlichen Psychologen nützlichen Buche Woman's M ysteria (deutsch: Frauen-Mysterien) 1935 die Mondpsychologie dargestellt (bes. K p .X II: «The Inner M ean ingof theM oon Cycle»).
561 D oRNEUS (Phys. Trismeg.) in: Theatr. chem. (1602) I, p.424. Übersetzung: «Mutter und Gat tin des Sol, welche den vom Sol empfangenen arkanen Embrio in ihrem Leibe und Uterus durch den W ind in der Luft trägt.» (Anspielung auf die Tabula smaragdina·. «Portavit illud ventus in ventre suo.» [D er W ind hat es in seinem Bauch getragen.) (D e alchemia, p. 363) 362 D e transmut. met. in: Theatr. chem. (1602) I, p .6 4 lf.
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bus metallis». Er ist «in se ipso nihil aliud... quam purus ignis»563. Diese Rolle der Luna kommt auch der Anima zu, welche die Vielheit der Archetypen perso nifiziert, und ebenso auch der Kirche und der Beata Virgo, die, beide von Mondnatur, die vielen schützend sammeln und vor dem Sol iustidae vertreten. Luna ist das «universale receptaculum omnium» (das universale Gefäß aller), die «prima ianua in coelo» (erste Türe im H im m el)564, und W il h e l m M e n n e n s 365 sagt, daß sie die Kräfte aller Gestirne in sich sammle wie in einem Mut
terleib, um sie dann den sublunaren W esen auszuteilen366. Aus dieser Eigen schaft scheint sich ihre angebliche W irkung im «opus ad Lunam» zu erklären, indem sie der Tinktur den Charakter und die Kräfte aller Gestirne vermittelt. So sagt das «Fragment der persischen Philosophen367»: «Mit dieser Tinktur werden alle Toten belebt, so daß sie ewig leben, und das ist das ersterschaffene Fer ment368, nämlich das «ad Lunam369» und damit das «Licht aller Lichter und Blü te und Frucht aller Lichter370, das alles erleuchtet» usw.371. Dieser beinahe hymnische Preis, welcher der materia lapidis, respektive der 2» tinctura, gespendet wird, bezieht sich in erster Linie auf Luna, denn in ihrem Werke der W eißung geschieht die illuminatio. Sie ist «die Mutter in dieser Kunst». In ihrem Wasser ist «Sol, gleich wie ein Feuer verborgen» 372, was par allel geht der Auffassung der Selene als μήτηρ του κόσμου (Mutter der W elt) bei P l u t a r c h . Jeweils am 1. Phamenoth tritt Osiris in die Selene ein, was offen-* * * [siebtes von den sechs geistigen M etallen] Übersetzung: «.. in sich selbst nichts anderes als reines Feuer» (l.c., p .642). 364 PENOTUS, D e médicament, ehern, in: Theatr. chem. (1602) 1, p.681. 365 A urei velleris in: Theatr. chem. (1622) V , p. 321. 366 Parallele zu der gnadenspendenden Maria mediatrix der Kirche. 367 Rachaidihi, Veradiani, Rhodiani, et Kanidis philosophorum Regis Persarum: D e materia philosophici
lepidis .. .fragmentum (A rt. aurif. I, p. 397 ff. [Z itat p. 398] ) 368 Vermutlich der Äther als die quinta essentia. 369 D as opus ad Lunam ist die W eißung (albedo), die m it dem ortus Solis verglichen wird. 370 d. h. aller luminaria (Gestirne). 371 « .. um hac tinctura vivificantur omnes mortui ut semper vivant, et hoc est fermentum pri mum elementarum, ed est ad Lunam, et hoc est lumen omnium luminum, et est flos et fructus om nium luminum, quod illuminat omnia» [m it dieser Tinktur werden alle Toten wiederbelebt, so daß sie ewig leben, und das ist das erste verwirklichte Ferment, d. h. es gehört zur Mondphase und ist das Licht über allen Lichtern und die Blüte und die Frucht aller Lichter, weil es alles erleuchtet]. (Fragmentum, 1. c., p. 398) 372 «Primum namque aqua destillata pro Luna aestumatur: Sol enim, tamquam ignis, in ea occul tatus est» [W enn nämlich das Wasser zuerst destilliert ist, hält man es für den Mond, die Sonne ist nämlich wie ein Feuer darin verborgen].
(Gloria mundi in: Mus. herm., p.280)
III Die Personifikation der Gegensätze
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bar mit der Friihlingssynodos gleichbedeutend ist. «So setzen sie die Kraft (δύναμιν) des Osiris in den M ond575». Selene werde als mannweiblich bezeichnet, und sie sei von Helios erfüllt und geschwängert. Ich erwähne diese Aussagen, weil sie dartun, daß der Mond ein doppeltes Licht besitzt, außen ein weibliches, innen aber ein männliches, das als Feuer in ihm verborgen ist. Luna ist eigent lich die Mutter der Sonne, das heißt als Psychologem: das Unbewußte ist schwanger mit Bewußtsein und gebiert es. Es ist die Nacht, die älter ist als der Tag: Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar, D as stolze Licht, das nun der Mutter N acht D en alten Rang, den Raum ihr streitig macht.574
214
Aus dem Dunkel des Unbewußten geht das Licht der Erleuchtung der albedo auf. Im Unbewußten sind die Gegensätze in potentia enthalten, daher stammt dessen Hermaphroditismus, der die Fähigkeit zu spontaner und autochthoner Erzeugung erklärt. Diese Idee findet sich im gnostizistischen Begriff des «Vater m utter575» wieder, ebenso in der naiven Vision des Bruder Klaus576 und auch in der modernen Vision M a it l a n d s 577, des Biographen der Anna Kingsford.
215
Zum Schluß muß ich mit einigen W orten auf die nicht ganz einfache Psy chologie des Mondes zu sprechen kommen. Die alchemistischen Texte sind zwar - sozusagen ausschließlich - von Männern verfaßt; infolgedessen entstam men die Aussagen über den Mond der männlichen Psychologie. Immerhin spie len die Frauen in der Alchemie, wie bereits mehrfach angedeutet, eine gewisse Rolle, die es nicht undenkbar macht, daß die «symbolizatio» gelegentlich eine weibliche Beeinflussung erfuhr. Überhaupt wirkt die Nähe sowohl wie die Fer ne der Frau spezifisch konstellierend auf das Unbewußte des Mannes. W as zu viel oder zuwenig ist, wird durch das Unbewußte kompensatorisch ergänzt. W o die Frau ferne oder unerreichbar ist, schafft das Unbewußte eine Weiblichkeit im Manne, die sich überall und in allen erdenklichen Formen durchdrängt, wor aus dann entsprechende Konflikte entstehen. J e einseitiger die bewußte geistig-37456 373 Isis u n d O siris, cp. 43, p.76. spricht. 374 [Faust, l.T e il, Studierzimmer; Mephisto spricht.] 375 Z. B. bei M arkos .
376 Lavaud, L a V ieprofonde d e N icola de Flue, p. $4. 377 M aitland , A nna K ingsford. H er L ife, Leiters, D iary a n d W ork, p. 130. Ich habe diese bemer kenswerte Vision ausführlich erwähnt in meinem Kommentar zum Geheim nis d er Goldenen Blüte, dem von R ichard W ilhelm herausgegebenen taoistisch-alchemistischen T ext [Paragr. 40].
4. Luna
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männliche Haltung ist, desto niedriger, banaler, vulgärer und biologischer wird die kompensatorische Weiblichkeit des Unbewußten sein. Diese dunkle Er scheinung wird vielleicht als solche gar nicht bewußt, weil sie längst zuvor mit Sentimentalität und Süßlichkeit zum Schutze des Bewußtseins und der Selbst achtung so überdeckt wurde, daß man den Schwindel nicht nur selber glaubt, sondern auch andere m it Vergnügen darauf hereinfallen läßt. Eine zugestande nermaßen biologische oder sogar vulgäre Einstellung zum Weiblichen erzeugt eine übermäßig erhöhte Bewertung der Weiblichkeit im Unbewußten, wo sie gerne die Form der Sophia (Sapientia) oder der Gottesmutter annimmt. Häufig verfällt sie aber der Entstellung durch alle möglichen Erfindungen der Misogy nie, womit sich das männliche Bewußtsein gegen weiblichen Einfluß schützt, dafür sich aber unberechenbaren Launen und unvernünftigen Ressentiments preisgibt. Männliche Aussagen über weibliche Psychologie leiden prinzipiell an der 216 Tatsache, daß stets dort die stärkste Projektion von unbewußter Weiblichkeit vorhanden ist, wo ein kritisches Urteil am notwendigsten wäre, das heißt also dort, wo ein Mann emotional verwickelt ist. Luna, wie die Alchemie sie meta phorisch schildert, ist zunächst ein Spiegelbild der unbewußten Weiblichkeit des Mannes; sie ist aber auch in dem Sinne Prinzip der weiblichen Psyche, wie die Sonne das der männlichen. Diese Charakterisierung leuchtet besonders in der astrologischen Auffassung von Sonne und Mond ein, ganz abgesehen von der ewig vorhandenen mythologischen Voraussetzung. Die Alchemie läßt sich ohne den Einfluß ihrer älteren Schwester, der Astrologie, nicht wohl denken. Bei der psychologischen Beurteilung der Luminaria wollen die Aussagen dieser drei Gebiete berücksichtigt sein. W enn nun Luna die weibliche Psyche so cha rakterisiert wie Sol die männliche, so wäre das Bewußtsein als Sol eine nur männliche Angelegenheit, was offenbar nicht möglich ist, da die Frau ebenfalls Bewußtsein besitzt. D a wir nun im bisherigen Sol mit Bewußtsein, Luna aber mit dem Unbewußten identifiziert haben, so würden wir hier zum Schlüsse ge zwungen, daß die Frau kein Bewußtsein haben könne. Der Fehler unserer Formulierung liegt erstens darin, daß wir den Mond schlechthin für das Unbewußte gesetzt haben, während dies hauptsächlich für das Unbewußte des Mannes gilt, und zweitens haben wir dabei ganz übersehen, daß der Mond nicht nur dunkel, sondern ebenfalls ein Lichtspender ist, mit an deren W orten, auch ein Bewußtsein darstellen kann. Letzteres nun ist bei der Frau der Fall: das weibliche Bewußtsein hat in einem gewissen Sinne eher Mond- als Sonnencharakter. Sein «Licht» ist das mildere des Mondes, das eher
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210
III Dic Personifikation der Gegensätze
verbindet als unterscheidet. Es läßt nicht wie das harte, grelle Tageslicht die nicht miteinander zu verwechselnden Objekte der W elt in ihrer unerbittlichen Verschiedenartigkeit und Getrenntheit hervortreten, sondern verbindet in täu schendem Scheine Nahes und Fernes, verwandelt mit Zauberkunst Kleines in Großes und Hohes in Niederes, löscht in bläulichem Dämmer die Farben aus und faßt die nächtliche Landschaft in ungeahnter Einheit zusammen. 218
Von rein psychologischen Erwägungen ausgehend habe ich anderenorts das männliche Bewußtsein mit dem Begriff des Logos und das weibliche mit dem des Eros zu kennzeichnen versucht. Ich habe dabei unter «Logos» das Unter scheiden, Urteilen und Erkennen verstanden und unter «Eros» das In-Beziehung-Setzen. Beide Begriffe galten mir als intuitive Anschauungen, welche nicht genau oder erschöpfend definiert werden können, was vom wissenschaftli chen Standpunkt aus zwar bedauerlich, vom praktischen aus dagegen eher wert-
< voll war, da beide Begriffe ein ebenso schwer zu definierendes Erfahrungsgebiet einigermaßen kennzeichneten. 219
Da man kaum einen psychologischen Satz aufstellen kann, den man nicht alsbald umkehren müßte, so treten uns auch hier die Gegenbeispiele sofort vor die Augen: Männer, denen es keineswegs um Urteil und Erkennen geht; Frauen, die ein fast übertrieben männliches Unterscheidungs- und Urteilsver mögen an den Tag legen. Ich möchte solche Fälle als die regelmäßigen Ausnah
men bezeichnen. Sie beweisen meines Erachtens die häufige Tatsache einer psy chisch prädominierenden Gegengeschlechtigkeit. W o immer dies der Fall ist, handelt es sich um ein Vordringen des Unbewußten, eine entsprechende Zurückdrängung des spezifischen Bewußtseins, ein Vorherrschen des Schattens und des Ge gengeschlechtes und in gewissem Maße sogar um ein Vorhandensein von Be sessenheitssymptomen (worunter Unfreiheiten aller Art, wie Zwangsphänome ne, Phobien, Obsessionen, Automatismen, Affekte usw. zu verstehen sind). Die Tatsache dieser Inversion ist wahrscheinlich die psychologische Hauptquelle für die alchemistische Anschauung des Hermaphroditus. Beim Manne ist es die lu nare Anima, bei der Frau der solare Animus, welche beide das Bewußtsein in hohem Maße beeinflussen. W enn auch off einem Manne seine Animabesessen heit weniger klar ist, so hat er doch einen um so deutlicheren und leichter ver ständlichen Eindruck von der Animusbesessenheit seiner Frau und - vice versa. 220
Logos und Eros sind intuitiv-intellektuelle Entsprechungen der archetypi schen Anschauungen von Sol und Luna. Nach meinem Dafürhalten sind die beiden Luminaria von so unübertrefflicher Anschaulichkeit, daß ich sie der en geren Bezeichnung als Logos und Eros sogar vorziehen möchte, obschon letzte-
4. Luna
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re eine gewisse psychologische Eigentümlichkeit treffender und faßbarer be zeichnen als die unbestimmteren Sol und Luna. Der Gebrauch dieser Begriffe erfordert allerdings eine stets wache und lebendige Phantasie, was nicht die Sa che jener ist, die temperamentmäßig rein intellektuelle Begriffe vorziehen. Die se bringen einem zwar etwas Fertiges und Abgeschlossenes entgegen, während ein archetypisches Bild nichts hat als seine nackte Fülle, die dem Intellekt als «unfaßbar» erscheint. (« W o faß ich dich, unendliche N atur?»578) Erstere bedeu ten einen geprägten und negotiierbaren W ert, letzteres dagegen Leben. W enn die Formel der lunaren Natur des weiblichen Bewußtseins zu Recht 221 besteht —bei dem consensus omnium in dieser Hinsicht kann man schlecht se hen, wieso sie es nicht sollte —, dann müßte man daraus den Schluß ziehen, daß solches Bewußtsein von dunklerer, sozusagen nächtlicher Beschaffenheit sei und offenbar vermöge dieser spärlichen Erleuchtung über Unterschiede hinweg sehen könne, über die das männliche Bewußtsein höchstens zu stolpern vermag. Es braucht wahrhaftig ein mondartiges Bewußtsein, um über alles Trennende hinweg zum Beispiel eine große Familie zu einen, und so zu reden und zu han deln, daß die harmonische Beziehung der Teile zum Ganzen nicht nur nicht ge stört, sondern sogar gefördert wird. Und wo ein Graben zu tief ist, da täuscht ein Mondstrahl darüber weg. Ein unsterbliches Beispiel ist Sainte Catherine d’Alexandrie bei A n a t o l e F r a n c e (« L ’Ile des pingouins») und ihr Vorschlag zur Güte, als die himmlische Synode in der Tauffrage in eine Sackgasse geraten war, da die Pinguine zwar Tiere, aber nun doch einmal von St. Maël getauft sei en; so bittet sie den lieben Gott: «C’est pourquoi je vous supplie, Seigneur, de donner aux pingouins du vieillard Maël une tête et un buste humains, afin qu’ils puissent vous louer dignement, et de leur accorder une âme immortelle, mais petite.»378379 Diese unübertreffliche lunare Logik kann den foror rationalis leicht zur 222 W eißglut bringen. Glücklicherweise verläuft sie meist im Dunkeln oder ver hüllt sich im Schimmer der Unschuld. Die Mondnatur ist ihr eigener bester Schutz, was dort sofort deutlich wird, wo die unbewußte Männlichkeit in ein weibliches Bewußtsein durchbricht und den Eros beiseiteschiebt. Da ist es häu fig mit dem Charme und dem versöhnlichen Halbdunkel vorbei; statt dessen
378 [Faust, 1. T eil, N acht; Faust spricht.] 379 [p. 39: Darum bitte ich dich, Herr, du mögest den Pinguinen des alten Maël K o p f und O ber körper von Menschen geben, damit sie dich ordentlich preisen können, und ihnen eine unsterbliche Seele gewähren, aber eine kleine.]
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III Die Personifikation der Gegensätze
wird ein Standpunkt bezogen und mit Rechthaberei verteidigt, wobei jeder Hieb das eigene Fleisch trifft, und all das mit brutaler Kurzsichtigkeit aufs Spiel gesetzt wird, was der Weiblichkeit teuerstes Ziel wäre. Und aus unerfindlichen Gründen - wohl ganz einfach, weil es jetzt Zeit dazu ist —ändert sich das Bild wieder: der Neumond ist wieder einmal überstanden. Der Sol, der das weibliche Unbewußte personifiziert, ist nicht die Tagesson ne, sondern eine Entsprechung des Sol niger. Es ist nicht der eigentliche Sol ni ger der männlichen Psychologie, jenes alter Ego, jener Bruder Medardus aus den
«Elixieren des Teufels» von E.T.A. Hoffmann, oder die krasse Gegensatzidenti tät Dr. Jekyll and Mr. Hy de380. Der unbewußte Sol der Frau ist zwar dunkel, aber nicht άνθρακώδη« (kohlschwarz), wie es vom Mond heißt, sondern mehr wie eine chronische Sonnenfinsternis, die höchst selten total ist. Das weibliche Bewußtsein leistet sich normalerweise soviel Dunkelheit wie Licht, so daß, wie das erstere nicht ganz hell, das letztere, nämlich das Unbewußte, nicht ganz dunkel sein kann. Allerdings, wo auf Grund eines zu starken solaren Einflusses die Mondphasen unterdrückt werden, da nimmt einerseits das weibliche Be wußtsein einen überhellen, solaren Charakter an, das Unbewußte hingegen wird schwärzer und schwärzer —nigrum nigrius nigro —und beides ist für beide auf die Dauer unerträglich. So himmlisch friedlich und so zauberisch versöhnend der Mondschein leuch tet, so unerleuchtend und reizlos ist der dunkle Sol. Er verspricht ausführlich, ein Licht zu sein, weil er keines ist, und eine große W ahrheit, weil er stets dane ben trifft, und eine bedeutende Autorität, die immer Unrecht hat oder nur so viel Recht, wie jener blinde Kater, der am Tage halluzinierte Fledermäuse zu fangen suchte, unversehens einmal eine wirkliche fing und daraufhin völlig un belehrbar wurde. Ich will nicht ungerecht sein — so etwa ist der weibliche Sol, wenn er allzu deutlich wird. (Und er muß eben ein bißchen deutlich werden, bis der Mann ihn versteht!) W ie der Mann normalerweise seine Anima nur in projizierter Form kennen lernt, so auch die Frau ihren dunkeln Sol. Ist ihr Eros in der Ordnung, so wird ihr Sol nicht zu dunkel sein, und der entsprechende Projektionsträger wird viel leicht sogar eine nützliche Kompensation bedeuten. Stimmt es dagegen nicht mit ihrem Eros (Untreue an der Liebe selber!), so entspricht der Dunkelheit ih res Sol eine männliche Person, die animabesessen ist und minderwertigen Geist verzapft, der bekanntlich so berauschend wie starker Alkohol ist.580 580 [S t ev e n so n , The Strange Case o fD r. Je k y ll a n d M r. Hyde.]
4. Luna
213
Der dunkle Sol der weiblichen Psychologie hat mit der Vaterimago zu tun, 226 indem ja der Vater der erste Träger des Animusbildes ist. Er gibt diesem virtuel len Bild Inhalt und Form, denn er ist vermöge seines Logos die Quelle des «Geistes» für die Tochter. Diese Quelle fließt leider häufig auch dort trübe, wo man klares Wasser vermuten sollte. Der Geist, welcher der Frau frommt, ist eben nicht ein bloßer Intellekt, sondern mehr als das: er ist eine Haltung, näm lich ein Gast, in welchem man lebt. Auch ist ein sozusagen «idealer» Geist nicht immer das beste, wenn er nicht zugleich auch versteht, wie man m it der Natur, respektive m it dem Tiermenschen, adäquat umgeht, was allerdings wirklich ide al wäre. Ein Vater hat daher in jeder Hinsicht Gelegenheit, am Wesen der Tochter nicht weniges zu verderben, was dann der Erzieher, der Ehemann und im Neurosenfall der Arzt auszubaden hat. Denn «das vom Vater Verdorbene381» kann nur wieder durch einen Vater, und «das von der Mutter Verdorbene» nur wieder durch eine Mutter hergestellt werden. W as wir auf diesem Gebiet beob achten, könnte man als psychologische Erbsünde oder als Atridenfluch, der durch Generationen wirkt, bezeichnen. Man sei bei der Beurteilung solcher Dinge weder des Guten noch des Bösen zu sicher. Die beiden halten sich die Waage. Dem Kulturoptimisten aber sollte es in unserer Zeit dämmern, daß die Kräfte des Guten weder zu einer vernünftigen Weltordnung, noch zu einem einwandfreien ethischen Verhalten des Einzelnen hinreichen, die Kräfte des Bö sen aber so mächtig sind, daß sie die Ordnung überhaupt in Frage stellen und den Einzelnen in ein teuflisches System der furchtbarsten Verbrechen einspan nen können, wobei auch ein ethisch veranlagter Mensch seiner sittlichen Ver antwortung schließlich vergessen muß, um überhaupt existieren zu können. Die malignitas des kollektiven Menschen hat sich in unserer Zeit erschrecken der denn je in der Geschichte offenbart, und an diesem objektiven Maßstab sol len die größeren und kleineren Sünden gemessen werden. Denn mehr kasuisti sche Feinheit tut uns not, weil es sich längst nicht mehr darum handelt, das Böse auszurotten, sondern um die schwierige Kunst, etn größeres Übel durch ein
kleineres zu ersetzen. Die Zeit der dem habituell predigenden Moralisten so teu ren «sweeping Statements», welche seine Aufgabe in angenehmster W eise er leichterten, ist vorüber. Man entgeht dem Konflikt auch nicht durch eine Leug nung der moralischen W erte. Der bloße Gedanke daran ist schon instinktfremd und naturwidrig. Jede Menschengruppe, die nicht gerade im Gefängnis sitzt, wird entsprechend dem Maß ihrer Freiheit auf den ihr seit alters gewohnten 3811 Ging, Hexagr. 18, Gu: D ie Arbeit am Verdorbenen. (H g. W ilhelm , I, p. 55 ff.)
214
III Die Personifikation
Pfaden wandeln. W as immer die intellektuelle Definition und Bewertung von Gut und Böse sei, dieser Gegensatz ist nie aus der W elt zu schaffen, denn nie mand kann ihn vergessen. Auch der vom Bösen sich erlöst fühlende Christ wird, wenn der Rausch vorüber ist, sich daran erinnern, daß sogar Paulus «den Pfahl im Fleische» nicht loswerden konnte. 227
Diese Andeutungen mögen genügen, um die Eigenart jenes Geistes, dessen die Tochter bedarf, einigermaßen anzudeuten: es sind die Wahrheiten, die zur Seele sprechen; die Dinge, die nie laut und aufdringlich tönen, sondern in der Stille den Einzelnen erreichen, jenen Einzelnen, der den Sinn der W elt aus macht. Solchen Wissens bedarf die Tochter, damit sie es einem Sohne weiter gebe.
5 .S A L
A. Das Salz als Arkansubstanz 228 In diesem Kapitel behandle ich nicht nur das Salz, sondern auch eine Reihe von Symbolismen, welche damit in nächster Beziehung stehen, so zum Beispiel die «Bitterkeit» des Meeres, das Meerwasser und dessen «baptismale» Eigenschaft, die es dann wieder mit dem «Roten Meer» verbindet. Letzteres habe ich noch in den Kreis meiner Betrachtungen einbezogen, jedoch nicht das Symbol Meer an und für sich. Da Luna das Unbewußte symbolisiert, so bedeutet Sal als Attribut desselben eine Spezifikation des lunaren Symbolismus. Das erklärt den Umfang dieses Kapitels: es sind einige weitläufige Exkurse nötig geworden, um den durch das Salz ausgedrückten Aspekten des Unbewußten gerecht zu werden und zugleich deren psychologische Bedeutung zu erläutern. 229
Kraft der dem Mittelalter als axiomatisch erscheinenden Lehre von der correspondentia entsprachen sich die Prinzipien der vier W elten, der intelligibeln oder göttlichen, der himmlischen, der irdischen und der infernalischen582. 582 V lG EN ERU S (D e Ig n eet sale in: Theatr. chem., 1661, V I, p. 32 f.) spricht von «tres mundi». Das Feuer auf der Erde entspricht der Sonne am Himmel, und diese dem Spiritus Sanctus «in mundo intelligibili»; p. 39 erinnert er sich aber plötzlich an die vierte, vergessene W elt: «.. quartus est in fernalis intelligibili oppositus, ardoris et incendii absque ullo lumine.» [drei W elten —in der Ideen welt - die vierte ist die der Ideenwelt entgegengesetzte, voll Brand und Feuer, ohne Licht.] Dement sprechend unterscheidet der Autor auch vier Arten von Feuer.
215
5. Sal
Üblich war allerdings die Einteilung in drei W elten entsprechend dem Prinzip der Trinität, nämlich Himmel, Erde, H ölle583. So war auch der Alchemie die Dreiheit geläufig. Seit P a r a c e l s u s trat hauptsächlich die Dreiheit Sulphur — Mercurius — Sal hervor, die als Entsprechung der Trinität gedacht wurde. G e org
von
W e l l in g ,
der Nachschreiber von J
ohann
R u d o lf G lau ber,
ist
noch 1735 der Überzeugung, daß seine Triade Feuer — Sol - Salz383384 «in der W urtzel gantz und gar einerley» sei385. Die Verwendung der Trinitätsformel in der Alchemie ist so häufig, daß weitere Belege sich erübrigen. Eine besondere Feinheit unserer Formel Sulphur —Mercurius —Sal besteht darin, daß die Mit telfigur, Mercurius, androgyner N atur ist und somit am männlichen roten Schwefel einerseits und andererseits am lunarischen Salz386 teilnimmt. Die dazu gehörige Entsprechung in den coelestia ist das Planetenpaar Sol und Luna, «in intelligibilibus» (der geistigen W e lt) aber Christus in seiner mystischen Andro gynie oder als «vir a foemina circumdatus»387, das heißt als sponsus und sponsa (ecclesia). W ie die Trinität, so ist auch die alchemistische «Triunität» eine ver kappte Quaternität, und dies infolge der Duplizität der Mittelfigur: Mercurius zerfällt in eine männliche und eine weibliche Hälfte einerseits, andererseits aber 383 Himmel - Erde - Hölle ist wie Sulphur - Mercurius - Sal eine Scheindreiheit: die Erde ist doppelt, einerseits oberirdische Lichtwelt, andererseits unterirdische Schattenwelt. 384 Feuer = Sulphur; Sol = Mercurius (als Mutter und Sohn des Sol). 385 Opus M ago-cabbalisticum et Theosophicum, p. 30. 386 In einem Hermeszitat des Ros. p h il. (A rt. au rif. II, p. 244) wird das «Sal nostrae lunariae» (Salz unserer Mondpflanze) erwähnt. «Sal autem reperitur in nobili quodam Sale, et in rebus omni bus: Q uo circa veteres Philosophi illud vulgarem Lunam appellaverunt.» [D as Salz findet man in einem bestimmten edlen Salz und in allen Dingen, weshalb es die alten Philosophen gemeinen Mond nannten.] (M us. herm ., p. 2 1 7 ) D as Salz aus dem Polarmeer ist lunarisch-weiblich, das aus dem Äquatorialmeer solarisch-männlich (W E L L IN G , l . c . , p. 1 7 ) . G l a u b e r nennt das Salz weiblich und parallelisiert es m it Eva (D esign atu ra salium , m etallorum et planetarum , p. 12). 387 [D er von der Frau umgebene Mann]
GREGORIUS, In prim um
Regum expositiones, I, I, 1, in:
M i g n e , P. L. L X X IX , col. 23. D iese Vorstellung findet sich in wortwörtlicher Ausgestaltung im ti
betanischen sowohl wie im bengalischen Tantrismus als Shiva und Shakti, die Maja erzeugende Bildnerin. Aber auch in der Alchemie begegnen wir der gleichen Vorstellung: G ott habe «circa se ipsum amorem. Quem alii spiritum intellectualem a se mere et igneum, non habentem formam, sed transformantem se in quaecunque voluerit, et coaequantem se universalis... Unde rite per quandam similitudinem animae naturae Deum aut D ei virtutem, qua omnes res sustinet, Animam mediam naturam, aut anima Mundi appellamus.» [um sich die Liebe. Andere halten ihn für einen ideellen Geist feuriger Natur ohne Gestalt, aber sich in alles beliebige wandelnd und sich allem angleichend, weshalb man mit Recht gleichnishaft der Seele der Natur G ott oder das W irken Gottes zuschreiben darf, durch das er alles erhält. W ir nennen es die Seele von mittlerer Natur oder W eltseele.] (M y -
UUS, P hil, ref., pp. 8 und 9)
D er letzte Satz ist ein Zitat aus D e arte chim ica in: A rt. au rif. I, p. 591.
216
I I I D i e P e r s o n ifik a tio n der G e g e n s ä tz e
ist er auch der giftige Drache und der himmlische Lapis. Dabei ist völlig klar, daß der Drache dem Teufel und der Lapis dem Christus analog ist, entspre chend der kirchlichen Auffassung des Teufels als eines autonomen Widerpartes Christi. Dazu kommt, daß nicht nur der Drache mit dem Teufel / identisch ist, sondern auch der negative Aspekt des Sulphur, nämlich sulphur comburens, wie G lauber vom Sulphur sagt, «ja der rechte schwartze Höllen Teuffel / welcher durch kein Element zu überwinden / als allein durchs Saltz388.» Entsprechend ist das Salz eine «lichte» Substanz, ähnlich dem Lapis, wie wir noch sehen wer den. 230
Aus all dem ergibt sich folgendes Schema:
$ Mercurius Lapis
S Sulphur
Sal ?
? Mercurius Schlange
231
Es handelt sich also hier um einen der uns bereits bekannten Gegensatzquaternionen, der sich für gewöhnlich in einer Triade verbirgt, analog der christli chen Trinität, die sich als solche nur durch Ausscheidung eines vierten Teilneh mers am göttlichen Drama behauptet. M it diesem zusammen ergäbe sich an statt einer Trinität eine christliche Quatemität. Schon lange bestand nach einer solchen ein gewisses psychisches Bedürfnis, aus welchem jene bekannten mittel alterlichen Darstellungen der Assumptio und Krönung Mariens hervorgegan gen sind, und nicht nur diese, sondern auch die sozusagen unerläßliche Stellung der Deipara als Mediatrix, die derjenigen des Christus Mediator entspricht, al lerdings m it dem Unterschied, daß Maria die Gnade nur übermittelt und nicht erzeugt. Die neuerliche Dogmatisierung der Assumptio Beatae Virginis Mariae58 588 L e , p. 43.
5. Sal
217
betont die Aufnahme nicht nur der anima, sondern auch des corpus Mariae in den Kreis der Trinität, wodurch jene zahlreichen mittelalterlichen Quatemitätsdarstellungen, die nach dem Schema Heiliger Geist (Taube)
Christus
G ott Vater
Maria konstruiert sind, dogmatisch verwirklicht werden. Nachdem das kirchliche Lehramt lange genug gezögert hat, und seit der Deklaration der Conceptio im maculata beinahe ein Jahrhundert vergangen ist, hat sich der Papst erst 1950, gedrängt durch eine immer stärker werdende populäre Strömung389390, veranlaßt gesehen, die Assumptio als geoffenbarte W ahrheit zu erklären. Aller Anschein spricht dafür, daß diese Dogmatisierung hauptsächlich durch das religiöse Be dürfnis der katholischen Massen motiviert wurde. Dahinter steht das archetypi sche Numen der weiblichen Gottheit390*, welche erstmals auf dem Konzil von
389 «Decursu autem temporum huiusmodi postulationes ac vota, nedum remitterent, cotidie ma gis et numero et instantia succrevere.» [Im Laufe der Zeiten ließen Gesuche und W ünsche dieser Art nicht nach, sondern wuchsen täglich noch an Zahl und Dringlichkeit.] {M unificentissim us Deus,
P-5) 390 Ein katholischer Autor sagt von der Assumptio: «Nor, would it seem, is the underlying m otif itself even peculiarly Christian; rather would it seem to be but one expression o f a universal archéty pal pattem, which somehow responds to some deep and widespread human need, and which finds other similar expression in countless myths and rituals, poems and pictures, practices and even phi losophies, all over the globe.» [Das zugrunde liegende Motiv scheint überdies nicht einmal speziell christlich, eher möchte es als nur ein Ausdruck eines universellen archetypischen Grundmusters er scheinen, das irgendwie einem tiefen allgemein vorhandenen menschlichen Bedürfnis entspricht und anderswo ähnlichen Ausdruck findet in ungezählten Mythen und Ritualen, W erken der Poesie und der bildenden Kunst, Gebräuchen und sogar Philosophien über die ganze W elt hin.] W h it e , O . P., T he Scandai o fth e Assumption, p. 200)
(VICTOR
218
III Die Personifikation der Gegensätze
Ephesus 431 gebieterisch ihren Anspruch auf den Titel der Theotokos (Gottes gebärerin) anmeldete, im Gegensatz zum nestorianischen Rationalismus einer bloßen anthropotokos (Menschengebärerin). Die körperliche Aufnahme ist seit jeher als historisches und materielles Ereig nis betont worden, weshalb auch die Alchemisten sich der Assumptionsdarstellungen bedienten, um die Glorifikation der Materie in ihrem Opus zu schildern. Die Abbildung dieses Vorganges in der « Pandora»591 enthält nun unterhalb der Krönungsszene eine Art Wappenschild, zwischen den Symbolen von Matthäus und Lukas, in welchem die Extraktion des Mercurius aus der prima materia dar gestellt ist. Der extrahierte spiritus erscheint in monströser Gestalt: der Kopf ist von einem Halo umgeben und erinnert an das traditionelle Christushaupt; die Arme sind Schlangen, und die untere Hälfte des Körpers gleicht einem stili sierten Fischschwanz592*. Dies ist nun unzweifelhaft die aus den Fesseln des Stof fes befreite anima mundi, beziehungsweise der filius macrocosmi, der Mercurius-Anthropos, welcher vermöge seiner Doppelnatur nicht nur geistig und physisch ist, sondern auch moralisch Höchstes und Tiefstes in seiner N atur ver einigt595. Das Bild der « Pandora» weist auf das große Arcanum hin, welches die Alchemisten etwas unklar als in der Assumptio impliziert fühlten. M it der sprichwörtlichen Dunkelheit der sublunaren Materia ist von jeher auch der «Herrscher dieser W elt», nämlich der Teufel, verbunden. Er ist jene metaphysi sche Figur, die sich außerhalb der Trinität bewegt, aber als Widerpart Christi eine conditio sine qua non des Erlösungsdramas darstellt594. In der Alchemie entsprechen ihm die dunkle Seite des Mercurius duplex sowie der aktive Schwe fel, wie wir sahen. Auch birgt er sich im giftigen Drachen, der die chthonische Vorstufe zum lapis aethereus bildet. Den mittelalterlichen Naturphilosophen, insonderheit dem G e r a r d u s D
orn eu s
(Ende 1 6 . Jahrhundert) war es völlig
klar, daß zur Triade ein Viertes gehört, denn der lapis ist von jeher eine Elementenquaternität. Die Alten stießen sich nicht an der Implikation des bösen Gei stes. Im Gegenteil dürfte ihnen die Zerstückelung und Selbstaufzehrung des
591 Hg. R e u sn e r , p. 253. Siehe Psychohgie und A lchem ie, Abb. 232. »2
Vgl. dazu die Darstellung eines Menschen m it Fischschwanz in einem Fußbodenmosaik der
Kathedrale von Pesaro aus dem 6 .Jh . m it der Inschrift «Est homo non totus medius sed piscis ab imo» [Er ist nicht ganz Mensch, [sondern nur] bis zur M itte, unten aber Fisch]. ( B b c k e r , D ie D ar stellung Jesu C hristi unter d m B ilde des Fisches, p. 127) iiB Näheres in [J ung ,] D er G eist M ercurius, Paragr. 267 ff. Vgl. auch die Arkanlehre des P a r a c elsu s
in: [J ung ,] Paracelsus als geistige Erscheinung, Paragr. 159ff
Siehe [Jung,] Versuch einer psychologischen D eutung des Trinitätsdogm as, Paragr. 248 £, 252 ff
5. Sal
219
Drachen als ein eher verdienstvolles W erk vorgekommen sein. D
o rn eu s
aber
erkannte in der Quaternität einen prinzipiellen Gegensatz zur Trinität, nämlich deren Weiblichkeit, die ihm als «ex parte diaboli» erschien, weshalb er den Teufel als «serpens quadricornutus» bezeichnete. Mit seiner Erkenntnis hat er wohl bis auf den Grund des Problems gesehen595. In seiner Refutation identifi ziert er das Weibliche mit dem Teufel vermöge der beiden eigentümlichen (weiblichen) Zweizahl. Der Teufel ist, wie D
orn eu s
meint, der binarius sel
ber, indem er am Schöpfungsmontag, am «dies lunae», über den Gott sein Wohlgefallen nicht ausgesprochen hat, nämlich am Tage des «Zweifels» und der Trennung, erschaffen wurde393*396. D
o rn eu s
spricht aus, was das Bild der
«jPandora» sub rosa andeutet. W enn wir diesen Gedankengang der Alchemie mit der durch das neue Dog- 2» ma praktisch hergestellten (nicht als solche definierten!) christlichen Quatemität vergleichen, so wird ohne weiteres klar, daß es sich dabei um einen «obe ren», der menschlichen Ganzheit übergeordneten, Quaternio handelt, der sich dem gnostischen Moses-Quaternio psychologisch vergleichen läßt397. Der Mensch und der dunkle Abgrund der W elt oder des deus absconditus sind darin noch nicht aufgenommen. Der Alchemist aber ist der Herold einer noch unbe wußten Tendenz zu einer maximalen Integration, welche einer femen Zukunft Vorbehalten z u sein scheint, aber schon im Zweifel des O
r ig e n e s
über das end
gültige Schicksal des Teufels ihren Anfang genommen hat. In der philosophischen Alchemie kommt dem Salz die Bedeutung eines kos- 2a mischen Prinzips zu. Nach seiner Stellung in der Quaternität ist es der weibli chen (lunaren) Seite und der oberen (lichten) Hälfte zugeordnet. Es ist daher kein Wunder, daß «Sal» eine der vielen Bezeichnungen der Arkansubstanz ist. Diese Bedeutung des Salzes scheint sich im frühen Mittelalter unter arabischem Einfluß entwickelt zu haben. Ihre ältesten Spuren finden sich in der « Turba phi losophorum», wo Salz- und Meerwasser bereits Synonyme der aqua permanens sind398, und bei S e n i o r ,
w o
es heißt, daß aus dem Salz der Mercurius werde399.
393 Näheres in: [JUNG,] Psychologie un d Religion, Paragr. 104ff. 596 D e tenebris contra naturam in: Theatr. chem. (1602) I, p.527. [Vgl. auch Psych. un d Re/., Paragr. 104“ , 120".] 397 Näheres hiezu in: [ J u n g ,] Λ um, Paragr. 359 ff. 398 Hg. R u SKA, p. 28}. 399 «Primo fit cinis, postea sal, et de illo sale per diversas operationes Mercurius philosophorum.» [Zuerst entsteht Asche, dann Salz, und aus diesem Salz durch verschiedene Operationen der Merkur der Philosophen.] Z it in: A urora cons. I I (A rt. a u r if I, p. 210) und in: Clangor buccinae (A rt. au rif. I,
220
III Die Personifikation der Gegensätze
Sein Traktat gehört zu den frühesten Autoritäten der lateinischen Alchemie. Bei ihm spielt auch das «sal Alkali» bereits die Rolle der Arkansubstanz, und der Autor erwähnt, daß die dealbatio «salsatura» (Salzung) genannt werde400. In den ebenfalls ziemlich alten «Allegoriae sapientum» wird der lapis als «salsus» (salzig) bezeichnet401. A r n a ld u s d e V illa n o v a (1235?—1313) sagt, daß der, «welcher das schmelzbare Salz und das imverbrennliche Öl besitze, Gott loben könne». Daraus ist die Arkansubstanz des Salzes deutlich ersichtlich402. Das
«Rosarium philosophorum», das sich in besonderem Maße auf die alten lateini schen Quellen stützt, bemerkt, daß das «ganze Geheimnis im präparierten ge meinen Salze liege405» und die «Wurzel der Kunst der sapo sapientum» (W o rt spiel: Seife der W eisen) sei, der auch die Basis (minera) aller Salze bilde und «sal amarum» genannt werde404. W er das Salz kenne, der wisse auch um das Ge heimnis aller alten W eisen405. Die Salze und Alaune seien die Helfer des Stei nes, wie es an anderer Stelle heißt406. I saacus H o lla n d u s bezeichnet das Salz als ein Medium zwischen der terra sulphurea und dem Wasser. Diesen habe G ott ein gewisses Salz eingegossen, «um die beiden zu vereinigen (copulanda), und die Alten haben dieses Salz das Sal Sapientum genannt407». Bei den Späteren tritt Sal als Arkansubstanz noch deutlicher hervor. Bei M y Lius (1622) ist es synonym m it der «Tinctura»408; es ist der Erddrache, der sei nen eigenen Schwanz frißt, und die «Asche», das «Diadem deines Herzens»409. Das «Salz der Metalle» ist der Lapis410. B a siliu s V a len t in u s spricht von p.488). Ein Hermeszitat (A rt. au rif. II, p.244) spricht vom «sal nostrae lunariae» [Salz unserer Mondpflanze]. 400 D e chem ia in: Theatr. chem. (1622) V , p.231. 401 In: Theatr. chem. (1622) V , p.77. Zu «Salsatura» siehe A urora cons. I I (A rt. au rif. I, p.205). 402 Z it. in: Ros.p h il. (A rt. au rif. II, p. 244). 405 l.c. 404 l.c., p.222; ferner p.225, wo übrigens das Salz auch «clavicula quae claudit et aperit» [Schlüsselchen, das öffnet und verschließt] genannt wird. In der Parabola V II der A u rora cens. I [hg. F r a n z ] , pp.
1 2 2 /1 2 3 ,
von
bezeichnet sich die Braut als «davis» [Schlüssel].
405 A rt. au rif. II, p. 244. 406 l.c., p.269. D er T ext fügt bei: «Qui non gustaverit saporem salium, nunquam veniet ad optat um Fermentum fermenti» [W er nicht den Geschmack der Salze gekostet hat, ist noch nicht zum ersehnten Ferment der Fermente gelangt]. 407 Opera m in eralia in: Theatr. chem. (1602) III, p .411. 408 P hil, r e f p. 189. 4041. c., p. 195. 410
l.c., p.222. Übrigens auch in: Ros. p h il. (A rt. au rif. II, p. 208), ebenso bei K hunrath , A m phi
theatrum sapientiae, p. 194, und M us. herm ., p. 20.
5. Sal
221
einem «sal spirituale»411. Es ist der Sitz jener Virtus, welche die «Kunst» ermög licht412, der «nobilissimus thesaurus413», das «gute und edle Salz», das zwar «nicht von Anfang an die Gestalt des Salzes hat und dennoch Salz genannt wird»; es wird «durch sich selber unrein und rein, es löst und coaguliert, schließt sich selber auf und zu» usw.414, ja es ist «die quinta essentia über allen Dingen und in allen Kreaturen415». «Das ganze Geheimnis liegt im Salz und seiner Lösung416.» Die «ewig währende Wurzelfeuchte (humidum radicale per manens)» besteht in Salz417. Es ist synonym mit «oleum incombustibile418», und es ist überhaupt ein Mysterium, das man verbergen m uß419. Insofern also Sal die Arkansubstanz ist, wird es auch mit gewissen Synony- 236 men derselben identifiziert. In erster Linie stellt es ein ens centrale dar. Bei K h u n r a t h ist das Salz das «physische Zentrum der Erde420». Bei V ig e n e r u s
ist Salz der eine Bestandteil wenigstens «jener jungfräulichen und reinen Erde, welche im Zentrum aller zusammengesetzten Elementaria, respektive in der Tiefe derselben eingeschlossen ist421». G l a u b e r nennt das Salz das «Centrum Concentratum Elementorum422». Obschon die Arkansubstanz meist mit dem Mercurius identisch ist, so wird doch 237 nur selten eine Beziehung des Salzes zu diesem angedeutet. S e n io r zum Beispiel gibt an, daß «per diversas operationes» aus dem Salz Mercurius entstehe423, und
411 Z i t a t in :
{Tract, aureus
in :
Mus. herm.,
p . 3 1 ) . D i e S c h r ift e n d e s
Basilius Valentinus sta m
m e n n ic h t aus d e m 1 5 ., so n d ern sin d e in e F ä ls c h u n g d e s 1 7 .J h s . 412 « A le x a n d e r M a g n u s , M a c e d o n ia e R e x , ad n o s , in p h ilo s o p h ia su a , ita a i t : . . . B e n e d ic tu s D e u s in c o e lo s ie t, q u i a rte m h a n c in S a le c re a v it» [A le x a n d e r d e r G r o ß e , K ö n i g v o n M a z e d o n ie n , s a g t zu u n s in s e in e r P h ilo s o p h ie : G e p r ie s e n sei G o t t im H im m e l, d e r d ie s e S a lz k u n s t g e s c h a ffe n h a t ] , ( Gloria mundi in :
Mus. herm., p . 2 1 7 )
413 [e d e ls te r S c h a tz ] l . c . , p .2 1 8 .
414 l.c., p.216. 4151. c ., p. 217. A u c h a ls « B a ls a m u m n a tu ra e » « q u in tu m E le m e n tu m » 416 Hyl.
(Khunrath, Hyl. Chaos, p . 258)
u n d (a ls M e er)
(V igenerus , De igne et sak i n : Theatr. ehern., 1661, VI, p. 122).
Chaos, p. 256.
4171. c ., p . 2 5 7 . 4 ,8 1. c ., p . 2 6 0 . 4,9
Khunrath, Amphitheatr. sap., p. 194 .
Cham, p.257. De igné et sale, 1. c ., p . 4 4 . 422 De natura salium, p .4 4 . 420 Hyl.
421
D a z u fu g t G l a u b e r d e n V e r s : « Im S a ltz u n d F e w r, / is t v e rb o rg e n
d e r S c h a tz s o th e w r.» 425
Aurora ams. II in : Art. aurif.
M e e r w a s s e r S y n o n y m e d e s M e rc u riu s .
I , p. 2 1 0 . E b e n s o sin d i n d e r
Turba, w ie
sc h o n e rw ä h n t, S a lz u n d
222 K
III Die Personifikation der Gegensätze
h u n r a t h
identifiziert letzteren mit dem «Sal Commune»424. Gerade
weil durch das «Sal Sapientiae» die Beziehung zum Mercurius eigentlich gege ben wäre, fällt die Seltenheit solcher Identifikationen auf. Ich kann mir das nur so erklären, daß Salz erst in späterer Zeit prinzipielle Bedeutung erlangte und dann gleich als selbständige Figur in der Triade Sulphur —Mercurius —Sal auf trat. E n sinnfällige Beziehung hat Salz zur Erde, allerdings nicht zur Erde schlechthin, sondern vielmehr zur «terra nostra», worunter natürlich die Arkansubstanz zu verstehen ist425. Dies geht klar hervor aus der oben erwähnten Iden tifikation des Salzes mit dem Erddrachen. Die Stelle bei
M
y l iu s
lautet: «W as
unten im Kolben zurückbleibt, ist unser Salz, das heißt unsere E d e , und es ist von schwarzer Farbe, ein Drache, der seinen Schwanz verzehrt: Denn der Dra che ist die Materie, die nach Abdestillierung ihres Wassers zurückbleibt, und jenes Wasser wird Drachenschwanz genannt, und der Drache ist dessen Schwär ze, und der Drache wird mit seinem W asser getränkt und coaguliert und so ver zehrt er seinen Schwanz426.» Bemerkenswert ist die sonst sehr seltene Beziehung des Salzes zur Schwärze427, denn es ist wegen seiner sprichwörtlichen W eiße stets mit der albedo assoziiert. Ohne weiteres zu erwarten hingegen ist die enge Beziehung zwischen sal und aqua, die ja schon durch das Meerwasser anschaulich gegeben ist. Die aqua maris oder pontica spielt als Synonym der aqua perma nens eine bedeutende Rolle, ebenso der Begriff «mare» (Meer). Daß dabei das Salz eine wichtige Komponente ist, und ebenso die Luna, geht aus den W orten des
V lG E N E R U S
hervor: «Es gibt nämlich nichts, in dem die Feuchtigkeit aus
dauernder, oder was feuchter wäre als das Salz, aus welchem das Meer zum größ ten Teil besteht. Es gibt auch nichts, in dem der Mond seine Bewegung deutli cher zeigte als im Meer, wie aus dessen Flut und Ebbe... ersehen werden kann.» Das Salz habe «humiditatem inexterminabilem»: «Das ist die Ursache, warum das Meer nicht austrocknet428».
K
h u n r a t h
identifiziert die bekannte femina
alba oder candida mit dem «Qistallinen Saltz» und dieses m it dem weißen
424 Hyl.
Chaos, p . 2 5 7 .
(Tract, aureus in : Mus. herm., p . 2 0 ) . F e r n e r Clangor huccinae in : Art. aurif. I , p. 4 8 8 , u n d Scala philosophorum i n : Art. aurif. I I , p . 1 0 7 . 426 Phil, ref., p . 1 9 5 . 427 E in e S t e lle in d e r Gloria mundi (Mus. herm., p .2 1 6 ) : « .. a b in itio . . . . S a l e s t, n ig ru m fe r m e a c 425 « . . n o s tr u m e s t sal, h o c e s t , n o s tr a te rra » [u n s e r S a lz , d a s h e i ß t u n s e re E r d e ]
fo e tid u m » [a m A n fa n g is t d a s S a lz so z u sa g e n sch w a rz u n d ü b e lr ie c h e n d ]. 428 [u n e n d lic h e F e u c h te ]
D eigne et sale,\.c.,p. 9 8 .
5. Sal
223
W asser429. «Unser Wasser» kann ohne Salz überhaupt nicht gemacht wer den430, und ohne Salz ist kein Erfolg des Opus möglich431. Nach der Ansicht des J
o a n n es de
R u p e sc issa (um 1350) ist das Salz «Wasser, welches die Trocken
heit des Feuers coaguliert hat432». B. Die Bitterkeit Untrennbar von sal und mare ist die Eigenschaft der amaritudo (Bitterkeit). Für 259 das ganze Mittelalter war die Etymologie des I s id o r u s
von
S e v il l a gültig:
«Mare ab amaro433.» Bei den Alchemisten ist die amaritudo zu einem gewisser maßen technischen Begriff geworden. So spricht der Traktat « Kosinus ad Euthiciaim434 in einem Dialog zwischen Zosimos und Theosebeia folgendermaßen: (Zosim os:) «Es ist der Stein, der in sich die Herrlichkeit und die Farbe hat. Und sie: W oher kommt dessen Farbe? Er antwortete: Aus seiner stärksten Bitterkeit. Und sie: W oher kommt dessen Bitterkeit und Stärke (intensio) ? Er antwortete: Aus der Unreinheit seines Metalls.» Im Traktat «Rosinus ad Sarratantam Episco pum»435 heißt es: «Nimm den Stein, der schwarz, weiß, rot, gelb und ein wun derbarer Vogel ist, welcher in der Schwärze der N acht und in der Helle des Ta ges ohne Flügel fliegt: aus der Bitterkeit, die in seiner Kehle ist, wird die Fär bung gewonnen» usw. R ip l a e u s sagt: « .. jedes ding in seiner ersten Matery corrupt und bitter.» Die Bitterkeit ist ein tingierendes Gift436. M y l iu s sagt: «Unser Stein nämlich ist von stärkstem Geiste (fortissimi spiritus), bitter und ehern (aeneus)437», und das «Rosariumphilosophorum» erwähnt, daß das Salz bit ter sei, weil es aus der «minera maris» (Mineral des Meeres) entstünde438. Der
«Uber Alze»w sagt: «O Natur dieses Stoffes (rei), wie sie den Körper in einen **>Hyl. Chaos, p. 1 9 7 f. 4301. c ., p . 229 . 431 l . c . , p .2 5 4 . 452 O e confectione lapidis in :
Theatr. ehern.
( 1 6 0 2 ) I I I , p . 199-
433 Liber etymologiarum, X I I I , 1 4 , fo l. lx v i ii 7. 434 E in d u rch a ra b is c h -la te in is c h e Ü b e r lie fe r u n g v e r s tü m m e lte s « Z o s im o s ad T h e o s e b e ia m » . I n :
Art. aurif. I , p . 2 6 4 . 435 Art. aurif. I , p .3 1 6 f f . F e r n e r: Ros.phil. (Art. aurif. I I , p . 2 5 8 ) ; Mylius, P hilref-, aureus , i n : Ars ehem., p . l 1 f. 436 Chym. Schrifften, p . 100. ■ 437 Phil, ref-, p. 2 4 4 ; fe rn e r Ros.phil. i n : Art. aurif. I I , p . 2 4 8 . 438 A rt. aurif. II, p. 222. 435 Mus. h em ., p . 3 2 8 .
«
p .2 4 9 ;
Tract,
224
III Die Personifikation der Gegensätze
Geist verwandelt... wie sie allein kommt und erscheint, alle Stoffe (res) über windet und vortrefflich ist, ein bitterer und herber Essig, der das Gold zu reinem Geiste m acht440.» Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, daß offenbar auf den scharfen Geschmack des Salzes und des Meeres angespielt wird. Der Grund, warum der Geschmack gerade als bitter und nicht einfach als salzig angegeben wird, dürfte zunächst in einer gewissen Ungenauigkeit der Sprache liegen, indem amaras scharf, beißend, herb bedeutet und darum auch auf die kränkende Rede und den verletzenden W itz übertragen wird. Einen wichtigen Einfluß hat die Sprache der Vulgata, da sie eine der Hauptquellen für das Spätlateinische überhaupt dar stellt. D er durchgehend moralische Gebrauch, den die Vulgata von amaras und amaritudo macht, gibt auch dem alchemistischen Gebrauch dieser W orte eine nicht wegzudenkende Nebenbedeutung. Dies geht zum Beispiel aus den W or ten des Canonicus R
ip l a e u s
deutlich hervor: «Jedes D ing in seiner ersten Mate
rie ist corrapt und bitter.» Die Zusammenstellung dieser Attribute weist auf den inneren Zusammenhang der beiden hin: corruptio et impuritas (Verderbnis und Unreinheit) stehen auf einer Linie; sie bezeichnen den Zustand der corpora imperfecta, also den Anfangszustand, die materia prima. Zu den bekanntesten Synonymen letzterer gehören «Chaos» und «Meer», und zwar m it ihrer klassi schen, mythologischen Bedeutung des Weltanfangszustandes, und das Meer ins besondere als ιταμμήτηρ, als matrix aller Geschöpfe441. So heißt, wie bereits er wähnt, die conditio sine qua non des Prozesses «aqua pontica». Das Salz nun, das «aus der minera maris entsteht», ist infolge seines Ursprungs bitter; die Bit terkeit stammt aber auch aus der impuritas des corpus imperfectum. Dieser scheinbare Widersprach wird überbrückt durch den Bericht des P l u t a r c h , daß bei den Ägyptern das Meer als etwas Unreines und Unvertrautes (μηδέ σΰμφυλον αύτή«) und als die Domäne des Typhon galt. Das Salz nannten sie «Schaum des Typhon442». In seiner «Philosophia reformata» von 1622 erwähnt M y u u s «spuma maris» (Schaum des Meeres) und mare (purificatum) mit acetum, Steinsalz, Vogel und Luna als äquivalente Synonyme des «lapis occultus443». Die 440 E in T u r b a z ita t a u s d em S e r m o X V d e s H r it is (o d e r F ic te s - S o c r a te s ). S ie h e R u sk a ,
phil.,
Turba
p . 1 2 4 f.
441 [A llm u t te r , M u tte r s c h o ß ] 442 bis
und Osiris, cp . I I ,
Psych. und Aich.,
P a ra g r. 5 6 f. u n d 4 7 6 .
p p. 5 5 / 5 6 .
443 D e r T e x t is t e in G e d ic h t , das M y l i u s a u s ä lte re r Q u e lle z itie rt. D i e H a u p ts te lle n la u te n fo l g e n d e rm a ß e n : « E s t la p is o c c u ltu s , e t in im o fo n te se p u ltu s, / V i l is e t e ie c tu s , fim o v e l s te r c o re te c t u s . . . / E t la p is h i c a v is, e t n o n la p is, a u t a v is h ic e s t . . . / . . . n u n c s p u m a m a ris v e l a c e tu m , / . . .
5. Sal
225
Unreinheit des Meeres ist hier durch die Attribute «purgatum» und «purifica tum» indirekt festgestellt. Der Schaum des Meeres erscheint auf derselben Linie mit dem Salz und —was von besonderem Interesse ist —mit dem Vogel, natür lich der avis Hermetis, woraus plötzlich die oben erwähnte «f?äwVm»-Stelle vom Vogel, in dessen Kehle die Bitterkeit sitzt, verständlich wird. Der Vogel ist dar um parallel zum Salz, weil dieses ein spiritus444, ein volatile ist, das die Alchemi sten als Vogel darzustellen pflegen. Da die Austreibung des Geistes durch die verschiedenen Arten der Verbren-
241
nung (combustio, adustio, calcinatio, assatio, sublimatio, incineratio, usw.) be wirkt wird, so liegt es nahe, das Endprodukt als cinis (Asche) zu bezeichnen und zwar wiederum doppelsinnig, einmal nämlich als scoria, faex usw. (Rück stand), das andere Mal als spiritus, respektive avis Hermetis. So sagt das «Rosa
rium philosophorum»: «Sublimiert mit Feuer, bis aus ihm der Geist herausgeht, welchen du in ihm finden wirst, und er heißt avis (Vogel) oder ci nis Hermetis (Asche des Hermes). Daher sagt auch Morienus: Verachte die Asche nicht, denn sie ist das Diadem deines Herzens und die Asche aller dauer haften (permanentium) Dinge445», das heißt soviel als der Geist, welcher in einem glorifizierten Körper wohnt. Dieser Vogel respektive Geist erscheint als m it den Farben verbunden. Zuerst ist der Vogel schwarz, dann wachsen ihm weiße Federn, und schließlich werden sie farbig446. Auf ähnliche W eise mausert sich der chinesische Vetter der avis Hermetis, der «Scharlachvogel447». Von diesem heißt es im Traktat des W ei Po-YA N G : “The fluttering Chu-Niao (scarlet bird) flies the five colours448”, welche folgendermaßen angeordnet sind: Nunc quoque gemma salis, Almisadir sal generalis / . .. Nunc mare purgatum cum sulphure purifi catum» [Es gibt einen verborgenen Stein, im Quell versunken, / billig und verworfen oder von Mist bedeckt... / Und dieser Stein ist ein Vogel, und kein Stein oder Vogel ist h ie r... / . . . Nun Meerschaum oder Steinsalz... / Nun auch Salzstein, Almisadir, allgemeines S a lz ... / N un ist das Meer gereinigt, m it Schwefel geläutert]. {Phil, r e f, p. 305) «Gemma» hat zu dieser Z eit die einfache Bedeutung von «Stein». (Siehe RULANDUS, Lex. a kh ., s.v. gemma, p .2 4 lf.) 444 Vgl. oben: lapis fortissimi spiritus. 445 In: Art. au n f. II, p.282f.
446V g l. R o sen creu tz , Chymische Hochzeit, p .9 4 f f . 447 D er Phönix, welcher diesem Wundervogel entspricht, wird von Maier ebenfalls als sehr far big geschildert: «.. cuius collum aureus fulgor, reliquum corpus purpureus color in pennis cinxit. » [seinen Hals hat ein goldener Glanz, den übrigen Körper hat Purpurfarbe im Gefieder umgeben]
{Symb. aureae mensae, p. 598) 448 W u AND D a vis, An Ancient Chinese Treatise usw., pp.218, 258. [Der flatternde Chu-Niao (Scharlachvogel) fliegt in fünf Farben.]
242
226
Mi
III Die Personifikation der Gegensätze
Die Erde nimmt als quintum elementum die zentrale Stellung ein, ist aber nicht quinta essentia und Ziel des opus, sondern dessen Basis, was auch der Rol le der terra als Arkanmaterie in der westlichen Alchemie entspricht449.
im
Zur Ableitung und Sinnverwandtschalt der avis Hermetis möchte ich noch beifugen, daß A e l ia n u s berichtet, der Ibis sei dem Hermes, dem Vater der λ ό γ ο ι lieb, da er in seiner Gestalt (ειδο«) der Natur des Logos gleiche: das Schwar
ze nämlich und Schnellflüglige könnte man dem verschwiegenen und introver tierten (ένδον έττιστρεφομένω) Logos vergleichen, das W eiße aber dem geäu ßerten und schon gehörten W ort, welches ein Diener und Bote des inneren (W ortes) ist450. 2«
Es wird dem modernen Verstände nicht leicht, gerade das Salz, diese feucht kalte, lunarisch-terrestrische Substanz, sich als Vogel und Geist vorzustellen. Geist ist — chinesisch formuliert - Yang, das heißt das Feurige und Trockene, was mit den Vorstellungen H e r a k u t s sowohl wie m it den christlichen von 445 Es nimmt sich sonderbar aus, wenn die Herausgeber von W ei Ρο -yang der Ansicht sind, daß zwischen chinesischer und westlicher Alchemie keine fundamentale Analogie bestehe. Die Ähnlichkeit ist im Gegenteil frappant. iK D e natura animalium, X , 29, [hg.
Hercher, I, p. 257].
5. Sal
227
den Feuerzungen des Heiligen Geistes wohl zusammenstimmt. Allerdings hat die Luna, wie wir oben sahen, unzweifelhafte Beziehungen zu mens, manas, mind, Verstand usw. Diese sind aber zum Teil zweideutiger Natur. Die Erde kann sich zwar eines besonderen Erdgeistes und anderer Dämonen ihres Berei ches rühmen, die aber eben «Geister» sind und gerade kein «Geist». Die «kalte» Seite der Natur ist nicht ohne Geist, aber es ist ein Geist besonderer Art, wel cher der christlichen Ära als dämonisch galt und darum nirgends Anerkennung fand als im Gebiete nächtlicher Wissenschaften und Künste. Dieser Geist ist der schlangengestaltige Nous oder Agathodämon, der m it Hermes im helleni stischen Synkretismus zusammenfließt. Auch die christliche Allegorik und Ikonologie hat sich seiner bemächtigt, begründet durch Johannes 3,14: «Und wie Mose in der W üste die Schlange erhöhte, so muß der Sohn des Menschen er höht werden.» Der serpens mercurialis, der «Geist Mercurius», ist die Personifi kation und lebendige Fortsetzung jenes Geistes, der in dem Στήλη άττόκρυφοτ (Geheime Inschrift) betitelten Gebet des Großen Pariser Zauberpapyrus folgen dermaßen angerufen wird: «Sei gegrüßt, ganzes Gebäude des Luftgeistes, sei gegrüßt, Geist, der vom Himmel bis auf die Erde dringt und von der Erde, die im mittleren Raume des Alls Hegt, bis zu den Grenzen des Abgrundes, sei gegrüßt, Geist, der in mich dringt und mich erfaß t... sei gegrüßt, Anfang und Ende der unverrücklichen N atur, sei gegrüßt, Umdrehung der Ele mente voll unermüdlichen Dienstes, sei gegrüßt, des Sonnenstrahles Dienst, Beglänzung der W e lt, sei gegrüßt, des nächtlich scheinenden Mondes ungleich leuchtender (άνισολαμττήΐ) Kreis, seid gegrüßt, der Luftdämonen Geister insgesamt... O großes, größtes, kreisförmiges, unbegreifliches Gebilde der W e l t ... ätherischer... wassergestaltiger, erdgestaltiger, feuergestaltiger, windgestaltiger, lichtgestaltiger, dunkelgestaltiger, wie Stern glänzender, feucht-feurig-kalter Geist (ύγροττυρινοψυχρόν ιτνευμα451...»
Hier wird in großartiger W eise ein Geist beschrieben, der zu dem Pneuma 24« der christlichen Lehre in scheinbar schärfstem Gegensatz steht. Diese antike Anschauung ist der Geist der Alchemie, den man heutzutage als das in den Raum und die Dinge projizierte Unbewußte auffassen kann. Obschon von den frühen Christen als Teufel erklärt, ist er doch nicht schlechthin mit dem Bösen identisch, sondern hat bloß die unangenehme Eigenschaft, jenseits von Gut und Böse zu stehen und jedem, der sich mit ihm identifiziert, das gefährliche Ge schenk dieser Eigenschaft zu verleihen, wovon der Fall N ietzsche und die Epi-
4,1 Prbisendanz, Pap.
G raecae M ag. I, p. liof., Pap. IV , Zeilen 1115-1X66.
III Die Personifikation der Gegensätze
228
demie, die ihm folgte, ein sprechendes Beispiel ist. Dieses «Jenseits von Gut und Böse» ist nämlich nicht etwa jene «sechstausend Fuß» darüber, sondern vielmehr dieselbe Distanz darunter oder besser davor. Es ist jener Geist des chaotischen Urgewässers vor dem zweiten Schöpfungstage, nämlich vor der Trennung der Gegensätze, und mithin vor dem Bewußtsein. Darum fuhrt er den, der ihm verfällt, nirgends empor oder heraus, sondern zurück in das Chaos der Urwelt. Dieser Geist entspricht jenem Stück der Psyche, das dem bewußten Menschen noch nicht assimiliert ist, und dessen W andlung und Integration für den Alchemisten das Anliegen eines langen und mühseligen opus war. Der arti fex dieser Unternehmung war sich, in seiner Art, der Gefahren seines Werkes wohl bewußt, und darum bestehen seine Operationen zum großen Teil aus Maßnahmen, die denjenigen der kirchlichen Riten entsprechen. Die Rückkehr zum Chaos verstehen die Alchemisten als einen Teil des opus. Es ist das Stadium der nigredo und mortificatio, das vom ignis purgatorii und der albedo gefolgt wird. Der Geist des Chaos ist unerläßlich zum W erke und kann vom Heiligen Geiste («ars donum Spiritus Sancti», die Kunst ist eine Gabe des Heiligen Geistes) überhaupt nicht unterschieden werden, wie auch der alttestamentliche Satan einen Aspekt Jahwes darstellt. Das Unbewußte ist gut und böse, und weder gut noch böse. Es ist die Mutter aller Möglichkeiten. Nach diesen mir nötig erscheinenden Bemerkungen über den «Salzgeist»
( K h u n r a t h ) kehren wir wieder zurück zum Problem der amaritudo. W eil das bittere Salz aus dem unreinen Meere entsteht, so ist es begreiflich, daß die «.Glo
ria mundi» es als «ab initio» «nigrum ferme ac foetidum452» (meistens schwarz und übelriechend) bezeichnet. Die Schwärze sowohl wie der üble Geruch, wel cher von den Alchemisten als «odor sepulchrorum» (Gräbergeruch) bezeichnet wird, gehören zur Unterwelt und damit zur Sphäre der moralischen Finsternis. Diesen Charakter der Unreinheit teilt auch die «corruptio», welche, wie er wähnt, R ip la e u s als parallel zur «Bitterkeit» gebraucht. V ig e n e r u s bezeichnet sal als «corruptibile», und zwar im Sinne der Vergänglichkeit und Verderbnis des Leibes im Gegensatz zur feurigen und «inkorruptibeln» Natur des Gei stes453. Der bereits deutlich moralische Gebrauch der ursprünglich physischen Ei gentümlichkeiten steht nun, gerade bei einem Kleriker w ie R ip l a e u s , in klarer 4,2 In M us. herm ., p.216 4,s «Ad hoc, scilicet spirituale, ignis, ad illud vero scilicet corruptibile Sal refertur» [Dazu wird der geistige Körper, das Feuer, auf jenes unverderbliche Salz bezogen.] (D e igné et sale in: T beatr. chem., 1661, V I, p .7)
5. Sal
229
Abhängigkeit von der kirchlichen Sprache. Hierüber kann ich mich kurz fassen, indem ich mich auf die wertvolle Untersuchung HUGO R a h n e r s «Antenna
Crucis, II: Das Meer der Welt» 454 stützen darf. In dieser Schrift findet sich alles von patristischer Allegorik zusammengestellt, was für das Verständnis der alchemistischen Symbolik in Betracht kommt. Der patristische Gebrauch von «mare» ist gekennzeichnet durch den Satz A u g u s t in s : «Mare saeculum est» (Das Meer ist die « W e lt» )455. Es ist ein «Inbegriff der W elt, als des dem Teufel verfallenen... Elementes». So sagt H il a r iu s : «Profundum maris sedem intelligimus inferni» (Unter der Tiefe des Meeres verstehen wir den Sitz der H ölle)456 Das Meer ist der tristis abyssus, ein Überrest des ursprünglichen Abgrundes457, also des Chaos, das die Erde bedeckte. Dieser Abyssus stellt für A u g u s t in den «dem Teufel und den Dämonen nach ihrem Sturz belassenen Machtbereich» dar458. Der Abyssus ist einerseits die «profunditas aquarum impenetrabilis459», andererseits die «profunditas peccatorum» (Tiefe der Sünden)460. Bei G r e g o r iu s MAGNUS ist das Meer «aeternae mortis profunda» (die Tiefen des ewigen
Todes)461. Seit alters schon ist es der Sitz der Dämonen, der δαίμονες ένύδριοι462 (Wasserdämonen). Es beherbergt den Leviathan ( Hiob 3,8) 46\ welcher in der Sprache der Väter ein Synonym des Teufels ist. R a h n e r belegt die patristischen Gleichungen: diabolus = draco = leviathan = cetus magnus = aspis = dra co464. H ie r o n y m u s sagt: «. .diabolus maria undique circumdat et undique pon tum» (der Teufel umgibt die Meere von allen Seiten her, und von überall den Pontus) 465. Auch die Bitterkeit des Salzwassers gehört in diesen Zusammen hang. Sie ist nämlich eine der Eigentümlichkeiten der Hölle und der Verdamm nis, welche in den Exerzitien des I g n a t iu s v o n L o y o l a vom Übenden ausge kostet werden muß. Der vierte Punkt des Exercitium V lautet: «..gustare gustu (imaginationis) res amaras, ut lachrymas, tristitiam, et vermem conscientiae466» 454 Z . f kath. Theol. L X V I (1942), p .8 9 ff 455 Enarr. in Ps. 92,7, zit. bei 4,6 Tract, in Ps. 6 8 ^ 8 ,1. c.
Rahner, 1. c., p. 90. [Migne, P. L. IX , coi. 487]
457 R a h n er , 1. c., p. 105. 4581. c., p. 106. 455 [undurchdringliche W assertiefe] Enarr. in Ps. 41,13, l.c .,p .l0 6 . 460 Enarr. in Ps. 33,10, l.c. 481 Herrn. 11,4, l.c. 462 A b t , D ie Apologie des Apuleius, p. 1834,
zit. Rahner, p. 102.
465 Schon die Septuaginta haben fur Leviathan μ εγ α κήτος (großer W alfisch). 464 l . c , ρ. 108.
4
III Die Personifikation der Gegensitze
230
(m it dem Geschmacke bittere Dinge, wie Tränen, Traurigkeit und den W urm des Gewissens auskosten). Noch farbiger drückt sich die «Praxis exercitiorum spi
ritualium» des S e b a s t ia n u s I z q u ie r d u s S.J. (1695) aus: «Gustus torquebitur perpetua fame, sitique rabiosa, in quarum levamen dabitur miseris Damnatis pro cybo absynthium, pro potu autem aqua fellis46467468.» (D er Geschmack wird durch beständigen Hunger und rasenden Durst gequält, zu deren Stillung den elenden Verdammten als Speise W erm uth und als Trank Gallenwasser gereicht wird.) G Das Rote Meer In einem an alchemistische Paradoxie erinnernden Gegensatz zum obigen Sinn des Meeres hat das Rote Meer die Bedeutung des heilenden und wandelnden
Taufwassersm , in völliger Entsprechung zur aqua pontica der Alchemisten. A u g u s t in u s sagt: «Mare Rubrum significat Baptismum» (Das Rote Meer bedeu
tet die Taufe)469. H o n o r iu s
von
A u t u n sagt: «Mare Rubrum est baptismus
sanguine Christi rubicundus, in quo hostes: sciliat peccata, submerguntur» (Das Rote Meer ist die glühendrote Taufe durch das Blut Christi, in welchem die Feinde, nämlich die Sünden, ertränkt werden) 47°. Hier muß auch die peratische Auffassung des Roten Meeres erwähnt werden: das Rote Meer habe die Ägypter verschlungen. Ägypter aber seien alle Unwis senden (ot άγνοοΰντε«). Die Auswanderung aus Ägypten bedeute die aus dem Körper, der ein kleines Ägypten sei (eben ein Inbegriff der Sündhaftigkeit), und das Überschreiten (ττερύσοα471) des Roten Meeres sei das des Wassers der Verderbnis, welches der Kronos ist. Das Jenseits des Roten Meeres sei ein Jen seits der Schöpfung. Die Ankunft in der W üste sei ein «Werden außerhalb der Zeugung» (εξω γενέσεω* γενέσδαι). Dort fänden sich alle beisammen, «die Götter der Verlorenheit» (oi δεοί τή« άπωλεία«) und «der Gott des Heiles472». Das Rote Meer bedeutet ein Wasser des Todes für die «Unbewußten», für die «Bewußten» hingegen ein Taufwasser der Wiedergeburt und des «Hinüberge466 Versio literalis, p. 63 f. 467 1. c., p. 77. D er letzte S a tz entsprichtJe r . 23,15 : «Cibabo eos absinthio et potabo eos feile.» 468 D ö l g e r , Antike und Christentum I I , p. 6 3 f f , zit. in:
Rahner, Antenna Crucis 2 , Le., p . l l l .
469 Tract, in loannis Εν., X L V , cp. 9 , coL 2 1 3 2 a . 470 Speculum Ecclesiaein: M i g n e , P .L , C X X X I I , c o l.9 2 1 .
471 Davon kommt die Bezeichnung «Peraten» her, es sind die «Transzendenten». 472 H ippo l y tu s , Elenchos, V , 16,4 ff., p. 111 £
5. Sal
231
hens». Unter den Unbewußten sind diejenigen zu verstehen, denen die Gnosis, das heißt die Erleuchtung über W esen und Bestimmung des Menschen im kos mischen Rahmen fehlt. Modem ausgedrückt, sind es diejenigen, denen die In halte des persönlichen und des kollektiven Unbewußten unbekannt sind4734475. Ersteres entspricht dem «Schatten» und der sogenannten «inferioren Funktion474», in gnostisch-christlicher Sprache: der Sündhaftigkeit und der abzuwaschenden impuritas des Täuflings. Das kollektive Unbewußte drückt sich in den den mei sten Mysterien eigentümlichen mythologischen Lehren aus, die das geheime Wissen einesteils über den Ursprung aller Dinge und anderenteils über den W eg zum Heil offenbaren. Die Unbewußten, die ungereinigt und ohne er leuchtete Führung das Meer durchschreiten wollen, ertrinken, das heißt sie blei ben im Unbewußten stecken und verfallen insofern dem geistigen Tode, als sie sich in ihrer Einseitigkeit nicht mehr weiterentwickeln können. Um weiter- und hinüberzukommen, müßten sie sich auch dessen bewußt werden, was ihnen und ihrer Zeit bisher unbewußt blieb, also in erster Linie des inneren Gegensat zes, nämlich all jener Inhalte, die zur herrschenden Ansicht irgendwie in Oppo sition stehen. Die fortlaufende Auseinandersetzung mit der jeweiligen Gegen satzposition des Unbewußten habe ich seinerzeit als «transzendente Funktion» bezeichnet475, indem die Konfrontation bewußter (rationaler) mit bis dahin un bewußten (irrationalen) Daten notwendigerweise eine Modifikation des Stand punktes überhaupt ergibt. Änderung aber ist nur möglich, wenn das «andere» zugelassen wird, und zwar mindestens bis zur bewußten Kenntnisnahme. So sollte zum Beispiel ein Christ von heutzutage sich eigentlich nicht mehr auf ein einseitiges Bekenntnis versteifen, sondern sich der Tatsache bewußt sein, daß die Christenheit seit vierhundert Jahren im Zustand des Schismas existiert; in folgedessen ist jeder einzelne Christ in seiner Seele gespalten. Diese Wunde wird natürlich weder behandelt noch geheilt damit, daß jeder auf seinem Stand punkt beharrt. Hinter seinen Mauern kann er sich zwar seiner absoluten und einheitlichen Überzeugung freuen und sich des Konfliktes enthoben wähnen, aber außen unterhält er eben durch seine Intransigenz den Konflikt und fährt fort, die Verbohrtheit und Verstocktheit des anderen zu beklagen. Es scheint, als 473 Es gibt ein fiir eine bestimmte Zeitepoche oder Gesellschaftsschicht bezeichnendes Niveau der Bewußtseinsschwelle. Man könnte diese einem Wasserstandspegel vergleichen. Das Unbewußte dringt überall da vor, wo das Bewußtsein sich zurückzieht, und vice versa. W as nicht im Blickfeld liegt, bleibt unsichtbar und bildet den Inhalt des Unbewußten. 474 Oder «minderwertigen Funktion». Vgl. [J u n g ,] Psychologische Typen, Paragr. 852 f.
475l . c . , Paragr. 908.
[Vgl. auch J u n g , D ie transzendente Funktion.]
III Dic Personifikation der Gegensätze
232
ob das Christentum von jeher die Religion der Streitsüchtigen gewesen sei und sich auch jetzt noch Mühe gebe, den Zank ja nie einschlafen zu lassen. Merk würdigerweise verkündet es anhaltend das Evangelium der Nächstenliebe. Man käme erheblich weiter, wenn man wüßte, daß der Majorität der anderen eine Minorität im Eigenen entgegenkommt. M it solcher psychologischer Erleuch tung, die heutzutage ja keinen Offenbarungscharakter mehr hat, da der com mon sense dazu genügt, kann der W e g zur Einung der Gegensätze beschritten werden, womit man dann eben, entsprechend der peratischen Lehre, an den Ort kommt, wo «die Götter der Verlorenheit mit dem Gotte des Heils zusammen sind». Dam it sind offenbar die destruktiven und konstruktiven Kräfte des Un bewußten gemeint. Diese coincidentia oppositorum bildet eine Parallele zur Schilderung des messianischen Erfüllungszustandes beiJesaja 35,5 ff. und l l ,6 f f , allerdings mit einem bedeutenden Abstrich: der O rt des «Werdens außerhalb der Schöpfung» (vermutlich eines opus contra naturam) ist hier nicht etwa das Paradies, sondern ή έρημο«, die Verlassenheit und die Einöde. Jeder nämlich, der sich auch nur eines Teiles des Unbewußten durch Bewußtmachung bemächtigt, gerät etwas außerhalb seiner Zeit und Gesellschaftsschicht eis τήν έρημον, in die Verlassenheit, wie unser T ext bemerkt. Aber nur dort besteht die Möglichkeit, den «Gott des Heils» anzutreffen. Licht nämlich wird offenbar in der Finsternis, und das Rettende in der Gefahr. In seinem Sermon über Lukas 19,12 sagt M e is t e r E c k h a r t :
«Und wer ist wohl edler, als der zur Hälfte geboren ist vom Höchsten und Besten, das die W elt bietet, und zur andern Hälfte aus dem innigsten Grunde der göttlichen N atur und der göttlichen Einsamkeit? Und so spricht der Herr im Propheten Hosea:
Ich bin auf den H IP P O L Y T U S -Text etwas ausführlicher eingegangen, weil das Rote Meer dem Alchemisten etwas Besonderes bedeutet. Schon die « Turba» er wähnt in Sermo L X II die «tyrische Farbe», «welche aus unserem reinsten roten Meere ausgezogen wird». Sie ist parallel zur tinctura philosophorum, die als
schwarz bezeichnet wird, und die man «aus dem Meere» (a pelago) auszieht477. Auch der alte Traktat «Rasinus ad Euthiciam» erwähnt das Rote Meer: «Und 476 [«Vom edlen Menschen», p. 115] Diese Stelle bezieht sich auf H osea 13,5 (Vulgata): «Ego cognovi te in deserto, in terra solitudinis»; (Zürcher B ibel): «Ich habe dich erwählt in der W üste, dich geweidet in dem Lande der Glut.» 477 T u rba, Hg.
Ruska, p . 16 4 .
5. Sal
233
wisse», sagt er, «daß unser Rotes Meer tingierender ist als alle Meere, und daß das Gift478, wenn es gekocht wird und fault und färbt, jeglichen Körper durch dringt479.» Die Tinktur ist die Färbetunke und das Taufwasser der Alchemisten, hier als aus dem Roten Meer stammend geschildert. Diese Darstellung ist ver ständlich aus der patristischen und gnostischen Deutung des Roten Meeres. Es handelt sich um das Blut Christi, in welchem wir getauft sind, daher die Paralle lisierung der Tinktur, des Salzes und der aqua pontica mit sanguis und cruor480. In sehr eigenartiger W eise erscheint das Rote Meer in dem alten Traktat des A r is t o t e l e s A l c h y m is t a
254
«Ad Alexandrum Magnum de Lapide philosophico»
usw.481. Dort sagt ein «Rezept»: «N im m die Schlange und lege sie auf den W agen m it den vier Rädern und laß sie sich so oft zur Erde zurückwenden, bis sie in der Tiefe des Meeres untertaucht, und nichts mehr sichtbar ist außer dem schwärzesten toten Meer. Und dort möge der W agen m it den Rä dern bleiben, bis so viele Dämpfe aus der Schlange aufsteigen, daß die ganze Fläche (pla nicies) trocken und durch die Austrocknung sandig und schwarz wird. U nd das ist die Erde, die keine Erde ist, sondern ein Stein, der jeden Gewichtes ermangelt» .. . W en n aber die Dämpfe in Form von Regen sich niederschlagen, «mögest du den W agen vom W asser ins Trockene fuhren und du hast die vier Räder auf den W agen geladen und du erreichst das Ergebnis (effectum), wenn du weiter zum Roten Meere Vordringen willst, laufend ohne Lauf, bewegend ohne Bewegung (currens sine cursu, movens sine m otu)».
Dieser sonderbare T ext bedarf einiger Erläuterung: Die Schlange ist die prima materia, genannt Serpens Hermetis, «welche er dem König An tiochus übersandte, um dich und dein Heer zu bekämpfen482». Die Schlange wird «im W agen ihres Gefäßes durch vierfache Umdrehung der Natu ren von da heraus geführt, aber sie möge sicher eingeschlossen werden» usw. Die Räder sind die «rotae elementorum». Das Gefäß, respektive der W agen ist das «sepulchrum sphaericum» (das sphärische Grab) der Schlange483. Die vier478 Venenum [G ift] oder φ άρμακον [Heilm ittel] ist ein Synonym der Tinktur. m A rt. au rif. I, p.272. 480 G loria m undi in: M us. herm ., p.216: (sal) «in labore enim instar cruore fit» [das Salz wird in der Bearbeitung wie B lu t]. 481 D er T itel fährt fort: « ..o lim conscriptus et a quodam Christiano philosopho collectus». In: Theatr. ehem. (1622) V ,p .8 8 0 ff. [Zitat p .885f.] 482 H ier fugt der Autor [p. 886] noch die Sentenz bei : « .. melius est gaudere in opere, quam lae tari in divitiis sive virtuoso labore.» (Besser ist es, sich am opus zu erfreuen als am Reichtum oder an trefflicher Arbeit.) Das seltene «virtuosus» entspricht dem griechischen ενάρετο?.
«υ^.,ρ.βδό.
255
234
III Die Personifikation der Gegensätze
fache Umdrehung der Naturen entspricht der alten Tetramerie (Vierteiligkeit) des opus, nämlich der Wandlung durch die vier Elemente, das heißt von der Erde bis zum Feuer. Der Symbolismus dieser Ausführungen beschreibt in Kürze das Essentielle des opus: die Schlange des Hermes und Agathodämon, der Nous der kalten Seite der Natur, mit anderen W orten das Unbewußte, wird eingefan gen im sphärischen Gefäß, welches aus diaphanem Glas besteht und (nach alchemistischer Auffassung) die W elt sowohl wie die Seele bedeutet484. Die psy chologische Auffassung erkennt darin jene psychische Entsprechung der W elt, welche das Bewußtsein von W elt und Seele ist485. Die Wandlung entspricht dem psychischen Assimilations- und Integrationsprozeß, der transzendenten Funk tion486. Diese Funktion vereinigt die Gegensatzpaare, welche, wie die Alchemie zeigt, dann in einem quaternio angeordnet sind, wenn sie eine Ganzheit betref fen. Die Quaternität einer Ganzheit tritt natürlich nur dort in Erscheinung, wo es sich nicht bloß um eine faktische («unbewußte»), sondern um eine bewußte und diskriminierte Totalität handelt, wo also zum Beispiel der Horizont nicht bloß schlechthin als beliebig teilbarer Kreis, sondern als aus vier wohldefinier ten Punkten bestehend gedacht wird. Dementsprechend kann die faktische Per sönlichkeit durch einen kontinuierlichen Kreis dargestellt werden; als bewußte müßte sie aber als ein, durch eine bestimmte Teilung charakterisierter Kreis be schrieben werden, was am ehesten auf eine Quaternität hinausläuft. Die Vierheit der Grundfünktionen des Bewußtseins entspricht dieser Forderung. Es ist daher - möchte man sagen - nichts als natürlich, daß der W agen des A r i s t o t e les
vier Räder487 hat, die den vier Elementen oder Naturen entsprechen. Der
W agen als sphärisches Gefäß und als Bewußtsein ruht auf den Elementen, das heißt den Grundfünktionen488, wie die zuerst schwimmende Geburtsinsel des Apollo, Delos, auf den vier Stützpfeilern, die ihr Poseidon machte. Die Räder sind natürlich außen am W agen und sind dessen motorische Organe, genau wie die Funktionen des Bewußtseins, welche die Beziehung der Psyche zu der Um484 In der Predigt über «Quasi vas auri solidum ornatum omni lapide pretioso» (E id . L, 10 [sic] ) sagt M eister Eckhart : «Ich hân gesprochen ein wörtefin, daz mac man sprechen von sant Augu stinus unde von einer ieglîchen guoter sêle, wie die sint gellchet einem guldxnen wazze, daz da ist veste unde stête unde hat an sich edelkeit alles gesteines.» (P feiffer , Deutsche M ystiker II, p. 67) 485 N icht nur das Gefiiß muß rund sein, sondern auch das «fimarium», in welches es zur Erwär mung gesetzt ist (l.c., p.887). Das fimarium besteht aus «fimus equinus» (Pferdemist). 486 Siehe Psychol. Typen, Definitionen, s. v. «Individuation» und «Transzendente Funktion». 487 V gl. dazu Psychologie und A lchem ie, Paragr. 469. 488 Siehe meine Darstellung in: D ie Beziehungen zwischen dem Ich un d dem Unbewußten, Paragr. 367.
235
5. Sal
gebung ermöglichen. Es muß in diesem Zusammenhang aber hervorgehoben werden, daß das, was wir heute als Funktionsschema bezeichnen, archetypisch vorgebildet ist, und zwar durch eines der ältesten Ordnungsschemata, welches die Geschichte kennt, nämlich durch die Quaternität, welche stets eine reflek tierte, beziehungsweise differenzierte, Ganzheit darstellt. Ganz abgesehen von ihrer sozusagen universalen Verbreitung erscheint sie auch spontan in den Träu men, wo sie meist die Ganzheit der Persönlichkeit respektive der Psyche aus drückt. Der «W agen des Aristoteles» kann in diesem Sinne als ein Symbol des Selbst verstanden werden. Das Rezept sagt nun, daß dieses symbolische Vehikel in das Meer des Unbe- 25« wußten eingetaucht werden soll, und zwar zum Zwecke der Erhitzung und Ausbrütung489; es ist ein «Tapas»-Zustand490, das heißt eine Inkubation vermittels «Selbsterhitzung». Dam it ist offenkundig ein Introversionszustand gemeint, in welchem man den im Bewußtsein eingefangenen unbewußten Inhalt bebrüten und digerieren muß. Bei dieser Operation werden die Beziehungen zur Außen welt abgebrochen und die Fühlhörner der W ahrnehmung und des Ahnens, des Unterscheidens und W ertens eingezogen, die vier Räder werden gleichsam «auf den W agen geladen», das heißt außen steht alles still, nur im Innem der Seele drehen sich die Räder und die zyklischen Abläufe, welche das Mandala der tota len Persönlichkeit491, die Urzeichnung des Selbst, dem Bewußtsein nahebrin gen. Solange das Bewußtsein aber den Prozeß seiner Integration nicht vollendet hat, ist es wie vom «schwärzesten Meer» bedeckt, das heißt von Unbewußtheit eingehüllt und verdunkelt, und in heißer Bedrängnis, wie der Held im W alfischbauch während der Nachtmeerfahrt492. Durch die Bebrütung wird der schlangenhafte Inhalt zum Verdampfen gebracht, also wortwörtlich «subli miert», das heißt soviel als erkannt und zum Gegenstand bewußter Auseinan dersetzung gemacht. Durch die «evaporatio» erfolgt die «Austrocknung einer Erdoberfläche», d ie 257 sandig (arenosa) und schwarz zutage tritt. Offenbar ändert hier das Bild, und es
489 Vgl. die Erhitzung und Ausbreitung auf dem Meeresgründe im dreifachen Glashaus der Arisleusvision. Deutsche Übersetzung von R u s k a [D ie Vision des A risleus] , p. 22ff 490 «Tapas» ist der technische Ausdruck, der die Selbstbebrütung im Dhyanazustand bezeichnet. 491
Zur Darstellung und Psychologie des Mandala siehe W
il h e l m u n d
J
ung,
D as Geheimnis der
Goldenen B lüte [Kommentar Paragr. 31 ff.] ; Psych. un d A lch.y Paragr. 122ff.; Z ur Em pirie des lndividuationsprozesses; Ü ber M andalasym bolik; A ion, Paragr. 405 f. 492 Siehe dazu [ J u n g ,] Symbole d er W andlung, Paragr. 308 f f , und die Arisleusvision, welche das Vorbild zu dem M otiv des im Bade schwitzenden Königs zu sein scheint.
236
III Die Personifikation der Gegensätze
spielt die Vorstellung der sich verziehenden Sintflut herein, was psychologisch bedeuten will, daß die schwarze Decke der Unbewußtheit, welche das werdende Symbol verhüllte, weggezogen wird. «Arena» (Sand) gilt als der «reine Cörper deß Steins493», weshalb unser T ext hier die neu erscheinende Erde als «lapis omni carens pondere» (Stein, ganz ohne Gewicht) erklärt. W arum er gewicht los ist, wird durch den T ext nicht erklärt. Es bleibt offenbar nichts mehr Mate rielles, das allein Schwere besitzt, übrig, sondern nur noch der psychische Pro jektionsgehalt. 258
Das opus ist an dieser Stelle allerdings nicht zum Ende gekommen, da noch die nigredo (terra nigra) herrscht und der Leib des Steines noch schwarz ist. Es ist darum nötig, daß die «evaporationes» sich zur Ablution der Schwärze niederschlagen, «unde tota terra albescet» (von wo an die ganze Erde weiß wird). Der Regen fällt nun so reichlich, daß die Erde in ein Meer verwandelt zu werden droht. Daher die Anweisung: man möge den W agen aufs Trockene fuhren! Hier spielt offenbar wieder die Idee der Arche Noah und der Sintflut herein494. Mit dem Einbruch der Flut würde der vorige Zustand wieder hergestellt, und das Resultat des bisherigen opus wäre wieder vom Unbewußten verschlungen. Dieses Motiv erscheint auch im Drachen, der die Leto und das Gestirnsweib
{Apokalypse 12) verfolgt. 259
W enn der W agen wieder im Trockenen ist, so will das offenbar heißen, daß er dann sichtbar, respektive bewußt bleibt, «und dann», sagt der T ext, «hast du die Räder auf den W agen gelegt» (imposuisti in plaustrum)495. Damit sind die «vier Naturen» oder «Elemente» gesammelt und im sphärischen Gefäß enthal ten, das heißt die vier Aspekte oder Funktionen sind dem Bewußtsein inte griert, womit der Totalitätszustand vorbereitet oder beinahe erreicht ist. W äre er tatsächlich erreicht, so wäre hier das opus vollendet. Man wird aber den «ef fectus» erst erreichen, wenn man weiter «fortschreitet» (progredi). Mit dem «ef fectus» ist also etwas gemeint, was noch mehr bedeutet als die Integration der vier Naturen. W enn man das Aufladen auf den W agen als die Bewußtmachung der vier Funktionen deutet, so ist in der Tat erst die Möglichkeit des Bewußt493 R u l a n d u s , Lex. alch., s.v. arena, p. 53.
494 Merkwürdigerweise findet sich auf einer Darstellung des vierrädrigen Wagens (siehe unten! [Paragr. 27855s ] ) die Beschriftung «Foederis ex arca Christi cruce sistitur ara» usw. [Aus der Bun deslade wird durch das Kreuz Christi ein Altar gem acht]. (12.Jh .) 495 «Plaustrum» bezeichnet auch den W agen am Himmel, die Ursa maior. Das Sternbild charak terisiert den Nordpol des Himmels, welche Stelle, wie gezeigt wurde, von großer Bedeutung in der Symbolgeschichte ist: sie ist ein Vorbild der Struktur des Selbst.
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5. Sal
haltens des ganzen vorliegenden Materials, nämlich der hauptsächlichen Aspek te der Seele, erreicht. Es erhebt sich dann aber die Frage, wie diese Fülle diver genter Faktoren, die vordem durch zum Teil unüberwindlich scheinende In kompatibilitäten getrennt waren, sich benimmt, das heißt wie das Ich damit fer tig wird. Das sonderbare Bild der Nousschlange, die auf einem W agen thront, erin- mo nert an die wagenfahrenden schlangengestaltigen Götter Südindiens, zum Bei spiel an das ungeheuerliche Gebäude der schwarzen Pagode von Puri, die selber ein steinerner W agen ist. Ich möchte unseren T ext allerdings nicht mit indi schem Einfluß in irgendwelchen direkten Zusammenhang bringen, denn es gibt eine andere, unmittelbare Vorlage dazu, und das ist die Vision Ezechiel 1 von den vier Wesen mit Menschen-, Löwen-, Stier- und Adlergesicht. Den vier Ge stalten sind vier Räder beigeordnet, «und sie waren so gearbeitet, als wäre je ein Rad mitten in dem andern. Sie konnten nach allen vier Seiten gehen, ohne sich im Gehen zu wenden496.» Das Ganze bildet den fahrenden Thron einer «Ge stalt, wie ein Mensch anzusehen». In der Kabbala spielt dieser «W agen» eine beträchtliche Rolle als das Vehikel, auf dem die Frommen zu G ott fahren, re spektive die menschliche Seele sich mit der Weltseele vereinigen kann. Eine noch nähere Quelle könnte HONORIUS VON A u t u n sein: in seinem 2« Kommenar zum Hohenlied erklärt er zu 6,11, «anima mea conturbavit me propter quadrigas Aminadab», daß seine «animalis vita» ihn darum störe, weil die «quadriga» die vier Evangelisten bedeute. Diesen W agen hätten die Apostel und ihre Jünger durch die W elt gezogen. In den Evangelien habe Christus ge sagt: «W enn ihr nicht Buße tut, so werdet ihr zugrunde gehen und ins ewige Feuer kommen» (Lukas 13,3). Und es sei zu ihm (H o n o r iu s ) gesprochen, wenn es heiße: «Revertere, revertere, Sunamitis» (Canticum 6 ,1 2 )497. 496
Ez. I ,l6 f . und 26 (Zürcher Bibel). D ie in erster Linie in Betracht kommende Vulgata hat hier
(1,16): «Et aspectus rotarum et opus earum quasi visio maris: et una similitudo ipsarum quatuor: et aspectus earum et opera quasi sit rota in medio rotae». D ie prinzipiell ähnliche Vision findet sich auch Zach. 6,1: «Et ecce quatuor quadrigae egredientes de medio duorum montium». An den W a gen waren Pferde gespannt. Bei drei W agen sind die Farben der Pferde rot, weiß, schwarz, beim vierten gescheckt (Vulgata 6,3 «equi varii fortes»). D ie Pferde bewegen sich nach den vier Him melsrichtungen. Eine bemerkenswerte Parallelvision bei einem Indianer: vgl.
Neidhardt, B lack
E lk Speaks. Bring the L ife Story o f a Holy M an o f the O galala Sioux, p. 23· In Black Elk’s Vision stehen im W esten zwölf Rappen, im Norden zwölf Schimmel, im Osten zwölf Füchse und im Süden zwölf Falben. 497 [«Meine Seele hat mich in größte Verwirrung gestürzt wegen der W agen des Aminadab». Dieser Satz fehlt in der Zürcher Bibel.] Zürcher Bibel, H obel. 7,1: «W ende dich, wende dich, Sula-
238
III Die Personifikation der Gegensätze
Psychologisch entspricht die Ezechielvision einem Symbol des Selbst, das sich aus vier individuellen Wesenheiten und Rädern, das heißt differenten Funktionen zusammensetzt. Drei sind dabei theriomorph und nur eine anthropomorph dargestellt, was vermutlich bedeuten will, daß nur eine Funktion das Niveau des Menschen erreicht hat, während drei sich noch im unbewußten (Tier-)zustand befinden. Das Problem von Drei und Vier (Trinität und Quaternität) spielt in der Alchemie als das Axiom der Maria eine große Rolle498 und hat wie die Ezechielvision mit dem Gottesbilde zu tun. Die Symbole des Selbst sind in der Regel Ganzheitssymbole; die Gottesbilder dagegen sind es nur gele gentlich. In ersterem Fall überwiegen Kreis und Quatemität, im letzteren Trini tät und Kreis, und dies nur im Falle abstrakter Darstellung, welche bekanntlich nicht die einzig vorkommende ist. Diese Andeutungen mögen genügen, um die seltsame Idee des Schlangenwa gens einigermaßen aufzuhellen. Er ist ein Symbol der Arkansubstanz und der Quintessenz, des Äthers, der alle vier Elemente enthält, und zugleich ein Got tesbild, oder vielleicht genauer, ein Bild der anima mundi, worauf der serpens mercurialis deutet, der seinerseits wieder von den Alchemisten als jener «Le bensgeist», der «in den Rädern war499», aufgefaßt wurde. In diesem Zusammen hang muß auch erwähnt werden, daß nach Ezechiel 1,18 die ineinander laufen den Räder voll Augen waren 50°. Alte Illustrationen produzieren daher etwas wie ein Astrolabium, um diese Vision darzustellen. M it der Vorstellung von Rädern ist natürlich die der Bewegung nach allen Seiten verknüpft, denn die «oculi Do mini» dringen überall hin, wie es Zacharias 4,10 heißt: «Septem isti oculi Domi ni qui discurrunt in universa terra501.» Und so heißt es auch (6,7) von den Pfer den: «Et quaerebant ire et discurrere per omnem terram502». Die Augen sind ebenfalls rund und werden etwa mit Rädern verglichen, zum Beispiel «Augen wie Pflugräder». Ebenso scheinen sie ein eigenartiges Symbol für das, was ich als die multipeln Luminositäten des Unbewußten bezeichnet habe. Ich verstehe mitin.» Dies natürlich bei
Honorius im
moralischen Sinn. Siehe Expos, in Cant. cant. in:
Mignb,
P.L. C L X X II, col.462. ,5e V on den Alchemisten werden auch die drei Männer im Feuerofen in diesem Zusammenhang erwähnt (D an . 3 ,20f£). m «Quia spiritus vitae erat in rotis» ( Ez. 1,21). V gl. hiezu Psych. u n d A ich., Paragr. 471. 500 «Und ich sah, daß sie Felgen hatten, und ihre Felgen waren voll Augen ringshe rum an allen vier Rädern.» (Zürcher Bibel) D ie Vulgata hat: « .. statura quoque erat rotis et altitu do et horribilis aspectus: et totum corpus plenum oculis in circuitu ipsarum quatuor». 501 Zürcher Bibel: «Diese sieben sind die Augen des Herrn, die über die ganze Erde schweifen.» 502 Zürcher Bibel: « .. und da sie fortstrebten, die Erde zu durchziehen».
5. Sal
239
darunter die anscheinende Möglichkeit, daß Komplexe überhaupt ein gewisses Bewußtsein beziehungsweise eine eigene Luminosität besitzen, welche sich, wie ich vermute, im Symbol des oder der Seelenfunken, der Augen (Polyophthal mie) und des Sternhimmels ausdrückt503. Vermöge seiner «sonnenhaften» Natur ist das Auge ein Symbol des Bewußt- 264 seins, und die vielen Augen deuten dementsprechend eine Vielheit von Bewußt seinszentren an, die zu der Einheit eines gewissermaßen facettierten Insekten auges zusammengefaßt sind. Insofern nun die Ezechielvision psychologisch als ein Symbol des Selbst aufzufassen ist, so darf in diesem Zusammenhang die in dische Definition des Selbst, in diesem Fall des Hiranyagarbha, als «collective aggregate of all individual souls» erwähnt werden504. Die Ezechielvision ist insofern psychologisch bedeutsam, als die in ihr darge- xis stellte Quaternität das Vehikel, den W agen jenes, der einem Menschen gleich sah, bedeutet. Die Quaternität samt dem in den Rädern befindlichen spiritus vi vus stellt das empirische Selbst dar, nämlich die Totalität der vier Funktionen. Diese vier sind empirisch nur zum Teil bewußt. Die Auxiliärfunktionen zum Teil und die «minderwertige», inferiore oder subliminale Funktion505 sind auto nom, das heißt der bewußten Anwendung entzogen und kommen nur indirekt, durch ihre öfters störenden Wirkungen als ein fait accompli zum Bewußtsein. Ihre spezifische Energie addiert sich zur normalen Energie des Unbewußten und verleiht diesem damit einen Antrieb, der es zu eigentlichen spontanen Einbrü chen ins Bewußtsein befähigt. W ie bekannt, lassen sich solche Einbrüche schon beim Assoziationsexperiment regelmäßig beobachten506. Die Quaternität des Selbst erscheint in der Ezechielvision recht eigentlich als 266 der psychologische Unterbau der Gottesvorstellung. G ott bedient sich ihrer als seines Vehikels. Die Psychologie kann die Struktur dieses Unterbaues feststel len. Darüber hinaus hat die Theologie das W ort. Zur Aufklärung vieler Miß verständnisse, gerade von theologischer Seite, möchte ich hier wiederum hervor heben, daß es einer Wissenschaft nicht zusteht, Schlüsse zu ziehen, die über den Bereich möglicher Erkenntnis hinausreichen. Ich verspüre nicht das geringste Bedürfnis, das «Selbst» an die Stelle Gottes zu setzen, wie mir kurzsichtige Kri tik öfters unterstellt hat. W enn indische Philosophen den Atman mit dem Gottbegriff in eins fallen lassen und wenn viele Abendländer Gleiches oder m Siehe [J u n g ,] Theoretische Überlegungen zum Wesen des Psychischen, Paragr. 395 f. 504 R a m a n u g a s Kommentar zu den Vedânta-Sûtras in: Sacred Hooks o f the E ast X LV H I, p. 578.
505 Siehe Psychol. Typen, Definitionen, s.v. Minderwertige Funktion. 506 A nalyse d er A ssoziationen eines Epileptikers.
240
III Die Personifikation der Gegensätze
Ähnliches tun, so handelt es sich zunächst um ein subjektives Dafürhalten und nicht um Wissenschaft. Ein consensus generalis hierüber wäre allerdings an sich wieder ein Faktum, welches für eine empirische Psychologie ebensosehr in Be tracht fiele wie die bemerkenswerte Ansicht vieler Theologen, daß religiöse Aussagen mit der Psyche überhaupt nichts zu tun hätten. Und ebenso kenn zeichnend ist es für die mystische Philosophie der Alchemisten, daß auf ihrem W agen der serpens mercurialis thront. Er ist ein Lebensgeist, der als W agen den aus den vier Elementen bestehenden Körper benützt. In diesem Sinne ist der W agen dann auch das Symbol des irdischen Lebens. Ein Vers am Schluß eines georgischen Märchens lautet507: Einen W agen hab’ ich auf den Berg geschleppt Ist geworden wie ein Berg Rufet mich aus diesem Leben ’nüber in das Ewige.
267
Ich habe oben betont, daß mit der Herstellung des Quaternitätssymboles der Wandlungsprozeß noch keineswegs zum Abschluß gelangt ist. Die weitere Fortsetzung des Opus führt vielmehr zum gefährlichen Durchgang durch das Rote Meer, welches Tod und Wiedergeburt bedeutet. Es ist nun sehr merkwür dig, daß unser Autor, wie der HippoLYTUS-Text, eben an dieser Stelle durch sei ne Paradoxie «currens sine cursu, movens sine motu» (laufend ohne Lauf, sich bewegend ohne Bewegung) eine Koinzidenz der Gegensätze darstellt, wie letz terer das Zusammensein der «Götter der Verlorenheit» mit dem «Gotte des Heils» andeutet. Die in Frage stehende Quatemität bedeutet, wie wir gesehen haben, einen Gegensatzquaternio, eine Synthesis von vier ursprünglich ausein anderstrebenden Funktionen. Die Zusammenstellung ist zwar bildmäßig gelun gen, aber in der seelischen Wirklichkeit ist durch die Bewußtmachung der gan zen Psyche508 eine überaus problematische Situation entstanden. Man kann sie m it einer einzigen Frage in ihrem ganzen Umfang charakterisieren: W as fange ich mit dem Unbewußten an?
268
Hiefür gibt es nun leider keine Rezepte oder allgemeine Regeln. W as man bei diesem langwierigen und dem Psychotherapeuten nur allzu bekannten Pro zeß im Prinzip wenigstens beobachten kann, habe ich in meiner Schrift «Die Be
ziehungen zwischen dem Ich und dm Unbewußten» darzustellen versucht. Für den 507 «D er kahlköpfige Gänsehirt» in: K aukasische M ärchen, N r. 11. 506 «Ganz» ist hier natürlich nur relativ gemeint. Es handelt sich in W irklichkeit bloß um die hauptsächlichsten Aspekte der individuellen Psyche sowohl wie des kollektiven Unbewußten.
5. Saî
241
L a ie n s in d d ie E rfa h r u n g e n a u f d ie s e m G e b i e t s c h le c h th in e in e terra in c o g n ita , d ie m a n m i t a llg e m e in e n F o r m e ln n ic h t z u g ä n g lic h m a c h e n k a n n . S e lb s t d ie s o n s t s o fr u c h tb a r e P h a n ta s ie d e r A lc h e m is te n v e r s a g t h ier v ö l l i g . N u r e in e g r ü n d lic h e U n t e r s u c h u n g d e r T e x t e , d ie e in e la n g w ie r ig e A u f g a b e d a rste llt, k ö n n t e h ie r e in ig e s l i c h t sch affen . D i e g le ic h e A u f g a b e w a r te t u n serer B e m ü h u n g a u f p s y c h o th e r a p e u tis c h e m G e b ie t e . A u c h h ie r lie g e n T a u s e n d e v o n s y m b o lis c h e n B ild e rn , T r ä u m e n , P h a n ta sie n u n d V is io n e n v o r , d ie e in e r v e r g le i c h e n d e n B e a r b e it u n g harren. V o r d e r h a n d lä ß t s ic h m i t e in ig e r S ic h e r h e it n u r s a g e n , d a ß e s s ic h u m e in e n a llm ä h lic h e n A n g le ic h u n g s p r o z e ß h a n d e lt, w o b e i b e id e P o s itio n e n , d a s B e w u ß t s e in u n d d a s U n b e w u ß t e , m o d ifiz ie r t w e rd e n . D i e in d iv id u e lle n V e r s c h ie d e n h e ite n sin d d a b e i seh r g r o ß , w i e ü b r ig e n s a u c h b ei d e n A lc h e m is te n .
D . D a s v ie r te d er drei
A u f se in e r m y s tis c h e n W a n d e r u n g 509 (p e r e g r in a tio ) e r r e ic h t M i c h a e l M a i e r ( 1 5 6 8 —1 6 2 2 ) das R o t e M e e r , u n d zw a r a u f fo lg e n d e W e is e : Er reist n ach d e n v ie r H im m e ls r ic h t u n g e n , n a c h N o r d e n O ste n =
=
E u ro p a , W e s t e n
=
A m e r ik a u n d
A s i e n 510. B e im V e r la s s e n v o n A s ie n , w o er s ic h n a c h S ü d e n =
A fr ik a
w e n d e t, fin d e t er e in e M e r k u r s ta tu e au s S ilb e r m i t e in e m g o ld e n e n H a u p t. D i e se w e is t n a c h d e m P a ra d ies, das er v o n fern e sieht. D e r G a r t e n E d e n is t, u m sei ner v ie r S tr ö m e w ille n , u n d w e il er d en S itz des u r s p r ü n g lic h a n d r o g y n e n U r m e n s c h e n ( A d a m ) d a rste llt, e in in der c h r is tlic h e n I k o n o lo g ie b e lie b te s M a n d a la, a lso e in S y m b o l der G a n z h e it , m it h in
( v o m p s y c h o lo g is c h e n S ta n d p u n k t
au s) d es S e lb st. W e n n m a n n u n d ie v ie r H im m e ls r ic h t u n g e n u n d d ie v ie r E le m e n te als s y m b o lis c h e s Ä q u iv a le n t der v ie r G r u n d fu n k tio n e n des B e w u ß ts e in s a u ffa ß t, so h a t der A u t o r d a h er m i t sein er A n k u n f t in A s ie n drei d a v o n b e w u ß t g e m a c h t. D a m i t g e l a n g t er zu der v ie r te n u n d le tzte n . D ie s e is t n a c h p s y c h o lo g is c h e r A n a lo g i e d ie «in ferio re », das h e iß t d ie d u n k e ls te u n d am m e is te n u n b e w u ß t e v o n allen . D a z u p a ß t A fr ik a n ic h t ü b e l. I m B e g r iffe , sich d ieser v ie r te n F u n k tio n z u z u w e n d e n , h a t er p lö t z lic h d ie V is io n des Paradieses als d e s U r b il des der G a n z h e it , w o m i t ih m g e w is s e r m a ß e n a n g e z e ig t w ir d , d a ß das Z i e l sei n er R e is e e b e n in der E r r e ic h u n g d er G a n z h e it b esteh e . B e z ü g lic h d e s Z e i t p u n k tes, in w e lc h e m er A f r ik a erreich te, g i b t er d en E in tr itt des S o l in sein d o m ic i-
505 Symb. aureae mensae, ρ. 568ff. [bes. 594ff.] 510 M a ier macht folgende Gleichungen: Europa = terra, America = aqua, Asia = aer, Africa = ignis.
2»
242
III Die Personifikation der Gegensätze
liu m L e o u n d d e n S ta n d d e r L u n a im C a n c e r a n ( « L u n a te n e n te C a n c r u m sui d o m ic ilii fa s t ig iu m » ) . D i e N a c h b a r s c h a ft d er b e id e n H ä u s e r d e u te t a u f d ie co n iu n c tio S o lis e t L u n a e h in , a lso a u f d ie V e r e i n i g u n g d er su p r e m e n G e g e n s ä tz e , d ie K r ö n u n g d e s O pu s u n d d a s Z i e l der p e re g rin a tio . E r f u g t d a ru m b e i « q u o d m a g n a m m ih i s p e m o p t im i a u g u r ii fe c it» (w a s m ir g r o ß e H o f f n u n g v o n b e s te m V o r z e ic h e n m a c h te ) . D i e v ie r te F u n k t io n h a t ih r e n S it z i m U n b e w u ß t e n . D ie s e s w ir d m y t h o lo g is c h g e r n e als g r o ß e s T i e r g e k e n n z e ic h n e t, z u m B e is p ie l als L e v ia th a n , W a l fisch , W o l f u n d D r a c h e . A u s d e m S o n n e n h e ld e n m y th u s w is s e n w ir , d a ß e s im W a lf is c h b a u c h s o
heiß is t,
d a ß d e m H e ld e n d a v o n d ie H a a r e a u s g e h e n 511. A u c h
A r is le u s u n d sein e G e fä h r te n le id e n i m M e e r g e fä n g n is u n te r g r o ß e r H i t z e 512. D i e A lc h e m is te n v e r g le ic h e n ih r F e u e r g e r n e d e m « ig n is G e h e n n a lis » ( H ö l l e n feu er) o d e r d e n F la m m e n d e s P u r g a to r iu m s .
Maier
g i b t e in e S c h ild e r u n g v o n
A fr ik a , d ie an e in e B e s c h r e ib u n g d er H ö l l e erin n ert: « in c u lta , torrid a, s itib u n d a 513, ste rilis e t v a c u a 514» (u n b e b a u t, v e r s e n g t, d ü rsten d , u n fru c h tb a r u n d leer). D i e Q u e l le n seien so selte n , d a ß d o r t T ie r e d er v e r sc h ie d e n s te n A r t z u s a m m e n k ä m e n u n d sich v e r m is c h te n , « u n d e n o v i fo e tu s n o v iq u e o ris a n im a lia n a scu n tu r» (w o h e r n e u e G e b u r te n u n d T ie r e v o n n e u e m A u s s e h e n e n ts te h e n ) , d a ru m h e iß e es a u c h , d a ß « A fr ic a sem p er a liq u id n o v i» (im m e r e tw a s N e u e s ) h e rv o r b r in g e . D o r t w o h n t e n a u c h P a n e , S atyre, H u n d s k o p fa ffe n (c y n o c e p h a li) u n d H a lb m e n s c h e n , « n e b s t u n z ä h lig e n A r t e n w ild e r T ie r e » ; e in e S c h ild e r u n g des U n b e w u ß t e n , d ie v o n g e w is s e n m o d e r n e n A u ffa s s u n g e n k a u m ü b e r b o te n w ird .
Maier
b e r ic h te t d e s fern eren , d a ß in der G e g e n d d e s R o t e n M e e r e s e in T i e r v o r
k o m m e m i t N a m e n « O r tu s » ( A u f g a n g ) . E s h a b e e in e n r o te n K o p f m i t g o ld e n e n b is z u m H a ls r e ich e n d e n L in ie n , sc h w a rz e n A u g e n , e in w e iß e s G e s ic h t , w e iß e V Order- u n d sch w a rze H in te r fü ß e . D i e Id e e dieses T ie r e s le it e t er a b v o n d e r B e m e r k u n g des
AviCENNA:
« R e s , c u iu s c a p u t e s t r u b e u m , o c u li n ig r i e t p e d e s a lb i,
e st m a g is t e r iu m 515.» E r is t ü b e r z e u g t, d a ß s ic h d ie S a g e v o n d ie s e m T i e r a u f d e n
511 Frobbnius , D as Z eitalter des Sonnengottes, pp. 82 und 415 f. 512 «..intenso aestatis calore» [in intensiver Sommerhitze). (A en igm ap h il., I, in: A rt. a u r i/ I,
p.148) 515 «Sitibundus» bezeichnet den auf dem Meere Verschmachtenden («sitibundi in medio Oceani gurgite»),
5141. c., p. 594. M aier ergänzt das Bild der Hölle durch die Legende vom Oryx: «Ibi Oryx in summo aestu sitibunda lachrymis quasi effusis et gemitibus iteratis ardorem solis detestari traditur.» [D ort soll Oryx in höchster Hitze vor Durst schmachtend m it Tränen und wiederholten Klagen die Sonnenhitze verfluchen.) 111 [D as W erk ist eine Sache, deren Haupt rot ist, deren Augen schwarz, deren Füße w eiß sind.)
5. Sal
243
P h ö n ix b e z ie h e , d er sich e b e n fa lls in je n e n G e g e n d e n au fh ä lt. W ä h r e n d er sich u m d ie N a c h fo r s c h u n g n a c h d e m P h ö n ix b e m ü h te , h a b e er « d u rch e in G e r ü c h t v e r n o m m e n » , d a ß n ic h t w e i t v o n d o rt e in e P r o p h e tin , d ie E ry th r ä is c h e S ib y lle g e h e iß e n , e in e H ö h le b e w o h n e . E s is t d ie je n ig e S ib y lle , d ie a n g e b lic h das K o m m e n C h r is ti v o r a u s g e s a g t habe. M a i e r b e z ie h t sich h ie r w o h l n ic h t a u f das B u c h V I I I d er
Sibyllinen, V e r s
2 1 7 , v o n w o 27 V e r s e m i t fo lg e n d e n B u c h s ta b e n
b e g in n e n : Ι Η Σ Ο Υ Σ Χ Ρ Ε Ι Σ Τ Ο Σ Θ Ε Ο Υ Υ Ι Ο Σ Σ Ω Τ Η Ρ Σ Τ Α Υ Ρ Ο Σ , son d ern a u f d e n d e m M it te la lte r h a u p ts ä c h lic h b e k a n n te n B e r ic h t d e s A u g u s t i n u s 516, u n d z itie r t a u c h d ie S te lle in der K ir c h e n g e s c h ic h t e d e s E u s e b i u s ü b e r d ie S ib y lle . E r h e b t h e rv o r, d a ß s ic h d ie s ib y llin is c h e W e i s s a g u n g a u f d e n « a d v e n tu s C h r is ti in ca rn em » ( A n k u n f t C h r is ti in fle is c h lic h e r G e s t a lt) b ezieh e . D a ß d a s M a r e E r y th r a e u m ein g e h e im n is v o lle r O r t ist, h a b e n w ir s c h o n o b e n
m
g e s e h e n . H ie r erfah ren w ir aber b e m e rk e n s w e rte E in z e lh e ite n . E rste n s e in m a l k o m m t u n se r A u t o r an d ieses M e e r im M o m e n t, w o er d ie R e is e d u r c h d ie drei ( K o n t in e n t e ) b e e n d e t h a t u n d sich n u n a n s c h ic k t, d ie k r itis c h e v ie r te S p h ä re z u b etreten . D u r c h das
Axiom der Maria k ö n n e n
w ir erfah ren u n d a u c h im « Faust»
lesen , w e lc h b e d e u te n d e n I n h a lt d ie sch ein b a r u n s c h u ld ig e F r a g e a m E in g a n g des « Timaios» hat:
«Sokrates: Eins, zwei, drei - aber der vierte, mein lieber Timaios, von denen, die gestern die Gäste waren und heute die Gastgeber sind, wo bleibt er uns denn? Timaios: Ein Unwohlsein, Sokrates, hat ihn befallen; denn aus freien Stücken wäre er diesem Beisammensein nimmermehr fern geblieben517.» D e r Ü b e r g a n g v o n d rei zu v ie r is t e in P r o b le m 518, d a s a u c h d ie z w e id e u t ig e F o r m u lie r u n g d er M a r ia n ic h t e r h e llt 519. M a n b e g e g n e t d e m D i l e m m a v o n drei
l.c., p. 199- Aus dem U ber de an im a artis, der mir leider nicht zugänglich ist. Als «Aenigma» ange
führt im cp. X des R osarius des Arnaldus
de
VlLLANOVA, p.42, in: G ratarolus, V erae alchem iae
usw., II. 516 [Jesus Christus Gottes Sohn Erlöser Kreuz] D e à v itate D ei, X V III, 23. Vgl. dazu K u rfess , Sibyllinische W eissagungen, pp. 170/172. 517 [T im aios u n d K ritias, h g . APELT,p.29·] 518 Es gibt zwei armenische Alexandersagen, von denen die erste folgendermaßen lautet: «Als Alexander von Macédonien eben auf die W e lt gekommen war, lief er gleich im Zimmer umher. Als er aber an die vierte Ecke kam, schlug ihn ein Engel nieder und gab ihm damit zu verstehen, daß er bloß drei W eltteile erobern werde.» In der zweiten Sage erobert Alexander drei W eltteile, nicht aber den vierten, welcher derjenige der sogenannten «Armen-Gerechten» ist. Ein Meer umgibt ihn und trennt ihn von den anderen Erdteilen. (K aukasische M ärchen, N rn.71 und 73) 519 Siehe Psych. u n d A ich., Paragr. 209. Zum Problem im Tim aios siehe [J u n g ,] Versuch einerpsy- * chologischen Deutung des Trinitätsdogm as, p. 181 ff.
m
244
III Die Personifikation der Gegensätze
u n d v ie r ö fte rs u n d in m a n c h e r le i G e s t a lte n , u n d a u c h in M a i e r s « Symbola» er w e is t s ic h d er S c h r itt v o n d rei zu v ie r a ls e in e b e d e u te n d e E n t w ic k lu n g , a n g e k ü n d ig t d u r c h d ie V is io n d e s Paradieses. D i e s p r ic h w ö r tlic h h e iß e R e g io n des R o t e n M e e r e s e rre ic h t u n se r A u t o r zu d e m n o c h z u E n d e J u li, a ls o in « in te n so ae sta tis ca lo re » . D a s w i l l w o h l sa g e n , d a ß e s ih m n u n m e h r « h e iß w ir d » , u n d zw a r u n g e w ö h n lic h h e iß , e t w a w ie in d e r H ö lle , d e n n er n ä h e rt s ic h h ie r jen er S p h ä re sein er P s y c h e , v o n d er n ic h t g a n z zu U n r e c h t b e h a u p te t w ir d , d a ß sie v o n « P a n e n , S a ty ren , A f f e n u n d H a lb m e n s c h e n » b e w o h n t sei. E s is t u n sc h w e r zu seh e n , d a ß e s h ie r u m d ie T ie r s e e le im M e n s c h e n g e h t . S o g u t n ä m lic h der M e n s c h e in e n K ö r p e r h a t, d er sic h i m P r in z ip v o m T ie r le ib n ic h t u n te rs c h e id e t, so h a t a u c h sein e P s y c h o lo g ie g e w is s e r m a ß e n u n te re S to c k w e r k e , in d e n e n n o c h d ie G e is t e r v e r g a n g e n e r M e n s c h h e its e p o c h e n h a u se n , s o w ie d ie T ie r s e e le n aus d er Z e i t d e s A n t h r o p o p it h e c u s , ferner d ie « P s y c h e » d e s k a lt b lü tig e n Sauriers u n d zu a lle rtie fs t d ie tra n sze n d e n te U n b e g r e iflic h k e it u n d P a ra d o x ie d e r s y m p a th is c h e n u n d p a r a s y m p a th isc h e n p s y c h o id e n V o r g ä n g e . K e i n W u n d e r , d a ß es u n se re m W e ltr e is e n d e n e r s c h e in t, als o b er a m h e iß e sten O r t — er b e fin d e t s ic h in d er A r a b ia fe lix — a u c h n o c h d ie g r ö ß t e S o m m e r h itz e e r w is c h t h ä tte ! E s w ir d ih m s o z u sa g e n p e in lic h s t b e w u ß t , d a ß e s ih m an d ie H a u t g e h t: « N a m
t u a res a g itu r , p a rie s c u m p r o x im u s a r d e t520.» E r w ir d
G a s t g e b e r u n d G a s t , Esser u n d S p e is e selb er sein. D i e « in n u m e r a b ile s b e lu a r u m sp ecies» A fr ik a s k ü n d ig e n sic h s c h o n am R o te n M e e r an , u n d zw a r d u r c h d e n fa b u lo se n V ie r fü ß le r « O r tu s » , w e lc h e r d ie v ie r a lc h e m is c h e n F arb en in sic h v e r e in ig t, n ä m lic h s c h w a rz , w e iß , r o t u n d e in ig e G o ld s t r e if e n 521 an K o p f u n d H a ls. M a i e r z ö g e r t n ic h t, d e n O r t u s m i t d e m P h ö n ix , d e m an deren le g e n d ä re n B e w o h n e r der A r a b ia f e l i x 522, z u id e n tifiz ie r e n , w o h l v e r m ö g e w e n ig e r d es A u s s e h e n s , a ls v ie lm e h r d e s N a m e n s , d e n n letzterer n im m t n a c h sein er S e lb s tv e r b r e n n u n g , d ie in Ä g y p t e n b e s o r g t w ir d , je w e ils w ie d er n e u e n A n f a n g u n d A u f g a n g , e b e n w i e d ie e rn eu erte S o n n e in H e lio p o lis .
520
[Dann geht es um deine Sache, wenn die benachbarte W and brennt. — Horaz , Epistolae, I,
xv iii, 84] ’21 [unzähligen Arten wilder T iere; vgl. Paragr. 570] Entsprechend der ξά νθ εσ κ , dtrinitas, Gelbung.
522 I sidorus
von
Sevilla, U ber etym ologiarum , X I I, cp. 7, fol. lxvv: «Fenix arabiae avis dicta
quod colorem fëniceum habeat et quod sit in orbe singularis et unica.» [D er Phönix, ein Vogel von Arabien, heißt so, weil er von purpurner Farbe und im ganzen Erdkreis einmalig und einzigartig ist.]
5 . Sal
245
D a s T i e r O r t u s is t je n e s « a n im a l» d er A lc h e m is te n , w e lc h e s d ie le b e n d ig e
zn
V ie r h e it in ihrer erste n S y n th e s e d a rste llt. U m z u m e w ig le b e n d e n G e i s t v o g e l z u w e rd e n , b e d a r f e s d e s v e r w a n d e ln d e n F eu ers, d a s e b e n in A f r ik a g e fu n d e n w ir d , das h e iß t im Z u s a m m e n p r a ll m i t u n d d u r c h d ie E r fo r s c h u n g der v ie r te n F u n k tio n u n d d er T ie r s e e le , d ie u n s e b e n im T i e r O r t u s e n tg e g e n tr itt. M a i e r d e u te t e s als P h ö n ix , w o m i t e s e in e n B e d e u tu n g s w a n d e l erfäh rt, d er seh r w e i t r e ic h t, w i e s ic h so fo r t h e ra u sste ile n w ir d . N e b e n sein er T ie r s e e le n ä m lic h e n td e c k t u n ser A u t o r s o z u sa g e n in d e r N a c h b a r s c h a ft e in e w e ib lic h e M e n s c h e n s e e le , e in e V i r g o , d e r er z u n ä c h st a ls im p o r tu n e r G a s t g e g e n ü b e r t r it t 523, u n d z w a r is t es d ie S ib y lle , w e lc h e d en a d v e n tu s C h r is ti g e w e is s a g t h a t. A m R o t e n M e e r b e g e g n e t er a lso d er T ie r s e e le in G e s t a lt ein es Q u a te r n itä ts m o n s tr u m s , w e lc h e s s o z u sa g e n d ie p r im a m a te ria d e s S e lb s t d a rstellt u n d als P h ö n i x z u m S y m b o l d er W ie d e r g e b u r t w ir d . D a s M y s te r iu m , das h ie r a n g e d e u te t w ir d , is t o ffe n b a r e in e B e r ü h r u n g m i t d er T ie r s e e le , aber n ic h t n u r d ies, son d ern a u c h - m a n m ö c h t e sa g e n zu g le ic h e r Z e i t u n d am g le ic h e n O r t e in Z u s a m m e n tr e ffe n m i t d er A n im a , e in e m w e ib lic h e n P s y c h o p o m p o s , der d e m A u t o r d e n W e g z u m M e r c u r iu s so w o h l w i e zu r A u f f in d u n g d e s P h ö n ix w e is e n s o l l 524. E s is t b e m e rk e n s w e rt, d a ß das T i e r der S y m b o ltr ä g e r d e s S e lb s t ist. D ie s e A n d e u tu n g b e i M a i e r fin d e t sic h a u c h b e i m o d e r n e n M e n s c h e n , d ie v o n A lc h e m ie k e in e A h n u n g h a b e n 525. D a m i t is t w o h l d ie T a t s a c h e a u s g e d rü c k t, d a ß d ie S tr u k tu r der G a n z h e it im m e r s c h o n v o r h a n d e n , ab er i m tie fs te n U n b e w u ß t e n b e g r a b e n w a r, w o sie im m e r w ie d e r a u fg e fu n d e n w e r d e n k a n n , v o r a u s g e s e tz t, d a ß je m a n d das R is ik o a u f s ic h n im m t, se in e n g r ö ß t m ö g lic h e n B e w u ß t s e in s u m fa n g d u r c h g r ö ß t m ö g lic h e S e lb s te r k e n n tn is zu erreich e n — e in « p o tu s acerb u s a m a ru sq u e » (e in h e rb e r, b itte re r T r a n k ) , d er s o n s t d er H ö l l e V o rb e h a lte n ist. D e r T h r o n G o t t e s s c h e in t k e in g e r in g e r P r e is s o lc h e r M ü h e n z u sein . S e lb ster k e n n tn is n ä m lic h — in d e s W o r t e s to ta le r B e d e u t u n g — is t k e in e in s e it ig in te l le k tu e lle r Z e itv e r tr e ib , son d ern e in e R e is e d u r c h d ie v ie r K o n tin e n t e , w o m a n a lle n G e fa h r e n zu L a n d e , z u W a s s e r , in d e r L u ft u n d im F e u e r a u s g e s e tz t ist. E in to ta le r E r k e n n tn is a k t, d er d ie se n N a m e n v e r d ie n t, u m g r e ift d ie v ie r o d e r d rei h u n d e r ts e c h z ig A s p e k t e d e s Seins. D a b e i k a n n v o n n ic h ts « a b g e s e h e n » w e rd e n .
523 «Quem tu hic quaeris, inquit, peregrine? Ad virginem non licitum est viro appropinquare.» [W en suchst du hier, Fremder? sprach sie. Ein Mann darf nicht einer Jungfrau nahen.] D ie Sibylle verzeiht ihm aber, da er «discendi percupidus» [sehr lernbegierig] ist (Lc., p. 597). 524 Zu dieser Rolle der Anima vgl. Psych. u n d A ich., Paragr. 73 f. 525 N äm lich in der Form von symbolischen Tieren, die in den Träumen als Vorstufen des Selbst auftreten.
27«
III Die Personifikation der Gegensätze
246
W e n n I g n a t i u s v o n L o y o l a d e m Ü b e n d e n d ie I m a g in a tio n d u r c h d ie f ü n f S in n e 526 r e s p e k tiv e d ie im it a t io C h r is ti « in u s u s e n s u u m 527» e m p fie h lt, so h a t er d a b e i d ie A b s ic h t , e in e m ö g lic h s t v o lls t ä n d ig e « R e a lis ie r u n g » d e s K o n t e m p la tio n s g e g e n s ta n d e s z u e rzie le n . G a n z a b g e s e h e n v o n d e n m o ra lis c h e n u n d so n sti g e n W i r k u n g e n so lc h e r M e d ita tio n is t ih r H a u p te ffe k t e in T r a in in g d e s B e w u ß ts e in s , d er K o n z e n tr a tio n s fä h ig k e it, d er A u fm e r k s a m k e it u n d d er K la r h e it d e r V o r s t e llu n g . D e n g le ic h e n E ffe k t h a b e n a u c h d ie e n tsp re c h e n d e n Y o g a f o r m e n . I m G e g e n s a t z zu d ie s e n tra d itio n e lle n R e a lis ie r u n g s w e is e n , w o e s sic h u m e in e H in e in v e r s e t z u n g in e in e v o r g e z e ic h n e te F o r m h a n d e lt, g e h t es b e i der S e lb s te r k e n n tn is, a u f d ie M i c h a e l M a i e r a n s p ie lt, u m e in e H in e in v e r s e t z u n g in
das S e lb s t, w i e e s e m p ir is c h v o r g e fu n d e n
w ir d .
E s is t a ls o n ic h t jen es
« S e lb s t» , d a s m a n s ic h v o r z u s te lle n b e lie b t, n a c h d e m m a n s o r g fä ltig z u v o r d ie R o s in e n a u s d e m K u c h e n h e r a u s g e p ic k t h a t, son d ern d a s S o se in d e s e m p ir i s c h e n I c h m i t a lle m , w a s e s t u t, u n d w a s m i t ih m g e s c h ie h t. D ie s e o d io s e A n g e le g e n h e it m ö c h t e je d e r g e r n e lo s sein , w e s h a lb das I c h im O s t e n a ls I llu s io n er k lä r t u n d i m W e s t e n d er G e s t a lt C h r is ti z u m O p f e r g e b r a c h t w ird . 277
D i e m y s tis c h e p e r e g r in a tio v e r fo lg t d e m g e g e n ü b e r d e n Z w e c k , a lle T e i l e der W e l t , n ä m lic h d ie g a n z e E r s tr e c k u n g d e s B e w u ß t s e in s m ö g lic h e n , z u erfassen, w ie w e n n das P r in z ip d ieser m y s tis c h e n B e s tr e b u n g d ie k a rp o k r a tia n is c h e Id e e w ä re , d a ß m a n v o n k e in e r S ü n d e e r lö s t sei, d ie m a n n ic h t b e g a n g e n h a t. N i c h t A bw en du n g vom
e m p iris c h e n S o sein , son d e rn m ö g lic h s t v o lls t ä n d ig e E rfa h
r u n g d e s I c h in sein er S p ie g e lu n g in d e n « z e h n ta u s e n d D in g e n » is t d ie G r u n d te n d e n z d er p e r e g r in a t io 528. D ie s e A b s ic h t g e h t fo lg e r ic h tig e r w e is e aus der p sy c h o lo g is c h e n E rk e n n tn is h e rvo r, d a ß s e lb st G o t t n ic h t erfah ren w e r d e n k a n n , w e n n k e in a u c h n o c h so fu tile s u n d lä c h e r lic h e s I c h e in b e sc h e id e n ste s G e f ä ß a n b ie te t, u m d ie E in w ir k u n g des A lle r g r ö ß te n a u fz u fa n g e n u n d m i t N a m e n zu n en n e n . D i e B e d e u t u n g d er v a s -S y m b o lik b ei d e n A lc h e m is te n z e ig t, w ie sehr es d e m a r tife x daran la g , z u m r e c h te n I n h a lt a u c h das r ic h t ig e G e f ä ß z u h a b e n , d e n n « u n u s e s t la p is, u n a m e d ic in a , u n u m vas, u n u m r e g im e n , u n a q u e d is p o s it io » 529.
526 «Videre visu, audire auribus, olfacere odoratu, gustare gustu, tangere tactu» [Sehen m it den Augen, hören m it den Ohren, riechen m it der Nase, schmecken mit dem Geschmacks-, tasten mit dem Tastsinn] (E xercitia spiritu alia, I. Hebdomada, Exercit. V , p .6 }f. [verkürzt zitiert] ). 527 Primus modus orandi, quarto, p. 166 b.
528 ANGELUS Silesius (Cherub, W andersm ann, Buch III, Nr. 118, p. 116) sagt zwar: «Mensch, geh nur in dich selbst! Denn nach dem Stein der W eisen/Darf man nicht allererst in fremde Lande rei sen.» Aber ohne die W elt hat noch keiner sich selbst entdeckt. 529 [E iner ist der Stein, eine Medizin, ein Gefäß, ein Verfahren und eine Anordnung. (Ros. p h il. in: A rt. a u r if II, p. 206; vgl. Paragr. 167 516 dieses Bandes.)]
5. Sal
247
D i e a q u a n ostra, d ie W a n d lu n g s s u b s t a n z , is t so g a r ih r e ig e n e s G e f ä ß 530. V o n
h ie r b is z u m p a r a d o x e n B e k e n n tn is des A n g e l i u s S i l e s i u s ist es n ic h t m e h r a llz u w e it: G o t t is t m e in M it t e lp u n k t , w e n n ic h ih n in m ic h s c h lie ß e ; M e in U m k r e is d a n n , w e n n ic h aus L ie b in ih n z e r flie ß e 531.
M a i e r s eryth rä isch er q u a d r u p e s , g e n a n n t O r t u s , e n ts p r ic h t d e m v ie rrä d rig e n
278
W a g e n d e s A r i s t o t e l e s A l c h y m i s t a . D e r s o g e n a n n te T e tr a m o r p h is t e in G e b ild e der fr ü h m itte la lte r lic h e n I k o n o g r a p h ie 532, in w e lc h e m d ie v ie r F lü g e lw e sen der E z e c h ie lv is io n zu e in e m v ie r fü ß ig e n M o n s tr u m v e r e in ig t w u r d e n . E b e n so fin d e n w ir d ie v ie r R ä d e r als « q u a d r ig a » u n d z u g le ic h als V e h i k e l d er G o t t h e it v e r sta n d e n b e i SUGER, d e m
G la s m e is te r v o n
S a in t D e n is ( 1 2 . J a h r h u n
d e rt) 533. D e r W a g e n is t b e s c h r ifte t: « Q u a d r ig e A m in a d a b » , w a s s ic h a u f
cum 6 ,
Canti
11 b e z ie h t: «. .a n im a m e a c o n tu r b a v it m e p r o p te r q u a d r ig a s A m in a d a b »
( M e in e S e e le h a t m ic h in U n r u h e g e s tü r z t w e g e n d er W a g e n d e s A m i n a d a b ) 534. A u f e in e m v ie rrä d rig e n W a g e n s te h t G o t t V a te r u n d h ä lt d e n C r u c ifix u s v o r sich . In d e n B ild e c k e n fin d e n sich zu r w e ite r e n E r g ä n z u n g d ie v ie r E v a n g e lis te n s y m b o le , w e lc h e n a c h c h r is tlic h d ie F lü g e lw e s e n d e s E z e c h ie l fo rtsetzen . S o b il d e n a u c h d ie v ie r E v a n g e lie n g e w is s e r m a ß e n d a s Q u a te r n itä ts p o d iu m , a u f d e m d er E rlö ser ste h t. M i t d er D e u t u n g d e s T ie r e s O r t u s als P h ö n ix e n t s t e h t e in e V e r b in d u n g m it d e m v o n d er S ib y lle g e w e is s a g te n C h r is tu s , d e n n d er P h ö n i x is t e in e b e k a n n te A lle g o r ie d er resu rrectio C h r is ti s o w ie der resu rrectio m o r tu o r u m ü b e r h a u p t 535.5 3 *2 0
550 M ylius , P hil, ref., pp. 33 und 245. »> 1. c., Nr. 148, p. 120. 552 Siehe Psych. u n d A ich., Abb. 53. 553 M âle, L ’A rt religieux du X II*”“ siècle en France, p. 182. ,M D ie Stelle ist korrupt [vgl. Paragr. 261497] . W örtlich steht da: «Meine Seele setzte mich W agen Amminadibs». Es gibt viele verschiedene Deutungen und Konjekturen, von denen ich hier nur die von RlWKAH SCHÄRF erwähnen möchte: Merkäbä kann auch der Sonnenwagen im Kultus sein (2. Kim. 23,11). ’Amminadbi, Königsname von Ammon, ’Amm, ’Ammi, semitischer Gottesna me: möglicherweise Versetzung auf den Sonnenwagen? 555 Ambrosius sagt: «Doceat nos haec avis vel exemplo sui resurrectionem credere» [Dieser V o gel soll uns durch sein Beispiel lehren, an die Auferstehung zu glauben].
Epiphanius: «Cur igitur
Judaei iniqui, Domini nostri Jesu Christi triduanam resurrectionem non crediderunt, cum avis trium dierum spatio seipsam suscitet?» [W arum haben dann diese ungerechten Juden die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus nach drei Tagen nicht geglaubt, wo doch dieser Vogel in einer Spanne von drei Tagen wieder aufersteht?] (Beide Zitate in: P icin ellu S, M undus symholicus, IV , lvi, Ab schnitt 576, p. 322 b, und Abschnitt 578, p. 323 a).
279
III Die Personifikation der Gegensätze
248
E r is t d a s W a n d lu n g s s y m b o l p a r e x c e lle n c e . B e i d ieser w o h lb e k a n n t e n B e d e u t u n g d e s P h ö n ix u n d d er eryth rä iseh e n S ib y lle w ir k t es e r s ta u n lic h , d a ß a m A n f a n g d e s 1 7 .J a h r h u n d e r ts e in A u t o r e s w a g e n k o n n te , d ie S ib y lle z u ersu ch en , ih m n ic h t e t w a d e n W e g z u C h r is tu s z u z e ig e n , so n d e rn ih m v ie lm e h r z u sagen , w o er d e n M e r c u r iu s fin d e n k ö n n e ! D i e s e S te lle b e w e is t w ie d e r u m s c h la g e n d d e n P a ra lle lis m u s v o n M e r c u r iu s u n d C h r is tu s . A u c h d e r P h ö n ix fig u r ie r t hier k e in e s w e g s in sein er c h r is tlic h -a lle g o r is c h e n R o lle , son d e rn als T r ä g e r u n d U r s p r u n g s o r t d e s U n iv e r s a lh e ilm itte ls , d er « M e d ic in a irae e t d o lo r is» ” 6. S o w ie a ls o d ie S ib y lle e in s tm a ls das K o m m e n d e s H e r r n a n g e z e ig t h a t, s o s o llte sie je t z t d e n W e g z u m
M e r c u r iu s w e ise n . C h r is tu s is t d er A n t h r o p o s , d e r U r
m e n s c h : M e r c u r iu s h a t d ie s e lb e B e d e u tu n g , u n d d er U r m e n s c h s te llt d ie ur s p r ü n g lic h e , r u n d e G a n z h e it dar, w e lc h e in d ie G e fa n g e n s c h a ft d er M ä c h t e d ie ser W e l t g e r a te n ist. I m F a lle C h r is ti w ir d n u n e in v ö llig e r S ie g s o w o h l w ie ein e g ä n z lic h e B e fr e iu n g d es U r m e n s c h e n a u s g e s a g t, w o m i t d ie a lc h e m is tis c h e U n t e r n e h m u n g e ig e n t lic h ü b e r flü s s ig w ä re . W i r k ö n n e n n u r k o n sta tie r e n , d a ß d ie A lc h e m is t e n o ffe n b a r an derer M e i n u n g w a r e n u n d zu r E r g ä n z u n g e in e r als u n v o lls t ä n d ig e m p fu n d e n e n E r lö s th e it ih r e « M e d ic in a irae e t d o lo ris» s u ch te n .
280
Es ist bezeichnend für die Auffassung M a i e r s , daß der bei ihm sonst ausge sprochen personifizierte Mercurius nicht die Hauptvorstellung ist, sondern viel mehr eine durch den Phönix, den Geistvogel, vermittelte Substanz, also eigent lich eine Sache und kein lebendes W esen, und dies als Symbol einer Ganzheit oder Ergänzung zur Ganzheit, deren Desideratum das Christussymbol anschei nend nicht erreichte537. Man fragt sich unwillkürlich, ob nicht am Ende gerade die intensive Verpersönlichung der göttlichen Gestalten, wie sie im Christentum und ganz besonders im Protestantismus üblich ist53S, vom Unbewußten her durch eine sächlichere Auffassung kompensiert, das heißt einigermaßen gemildert wird.
,i6Heilmittel gegen Zorn und Schmerz (M aier, Symb. aureae mensae, p. 597). 537 w enn man in dieser Hinsicht die spontan produzierte ikonographische Symbolik moderner Menschen untersucht, so findet man als Zentralfigur die Menschengestalt relativ selten, dafür um so häufiger aber ein sachlich abstraktes Zeichen, welches Totalität ausdrücken soll. Gelegentlich be gegnet man einem Gesicht resp. Kopf, was aber die Analogie m it der Alchemie nur noch erhöht. (Vgl. Psych. un d A ich., Paragr.530.) D er stärkste Ausdruck des Abstrakt-Sachlichen in der alchemistischen Symbolik ist wohl der des Lapis. Ich habe bereits in meinem Buch über Psychologie un d R eli gion, Paragr. 1 56f£, auf diese Eigenart der psychologischen Zentralfiguren aufmerksam gemacht. 5i8 Hievon ist auszunehmen die dritte Person, der Heilige Geist, der von Vater und Sohn ge haucht wird (spiratio activa et passiva). Er ist, wie auch seine gewöhnliche bildliche Darstellung als Taube dartut, diejenige Gestalt, die am meisten der «Persönlichkeit» entbehrt. D ie Neigung der Al chemie zur Heilig-Geist-Religion habe ich bereits erwähnt. [Vgl. A ion, Paragr. 141 ff.]
5. Sal E.
249
A u f- u n d A b s tie g
A u f d e r S u c h e n a c h d e r G a n z h e i t h a t d e r A u t o r a u ß e r d er E r fa h r u n g v o n d rei K o n t in e n t e n
und
H im m e ls r ic h t u n g e n
b is
je t z t
e in e
S ta tu e d e s
2«
M e r c u r iu s
ο δ η γ ό « , d e r z u m P a ra d ie s w e is t , e n t d e c k t ; er h a t d a s P a ra d ies v o n fe rn e g e s e h e n , h a t d ie T ie r s e e le u n d d ie n a c h o b e n w e is e n d e S ib y lla -A n im a g e fu n d e n , u n d je tz t rät sie ih m , d ie sie b e n o s tia N i l i , das h e i ß t d a s N i l d e l t a , a u fz u su c h e n , u m d o r t d e n M e r c u r iu s zu fin d e n . D e r F o r tg a n g sein er P ilg e r fa h r t g le i c h t e t w a d er R e is e d e s P h ö n i x au s A r a b ia , w o er w o h n t , n a c h Ä g y p t e n , w o er s tir b t u n d w ie d e r er s te h t. M a n d a r f d a h e r v ie lle ic h t v e r m u te n , d a ß es d e m A u t o r ä h n lic h e r g e h e n soll. W i r erfah ren zw a r n ic h ts d a v o n , d a ß er e t w a ü b e r das R o t e M e e r g e s e t z t u n d d a m it d e n w u n d e r b a r e n D u r c h g a n g d e s V o lk e s Isra el in u m g e k e h r te r R i c h t u n g n a c h g e a h m t h ä tte . W i r erfah ren a b e r b a ld , d a ß d o c h e tw a s w i e e in W i e d e r g e b u r ts m y s te r iu m sta ttfin d e n so ll, d e n n M a i e r v e r g le ic h t d ie sie b e n M ü n d u n g e n m i t d en sie b e n P la n e te n . E r e r r e ic h t zu e rst das o s tiu m C a n o p ic u m , w o er d en S a tu r n b e h e im a te t fin d e t. V o n d e n fo lg e n d e n P la n e te n lä ß t s ic h n o c h m i t S ic h e r h e it M a r s e r k e n n e n , w ä h r e n d d ie S tä d te d er a n d eren u n d e u tlic h e r g e s c h il d e rt sind . U n t e r m a n c h e r le i F ä h rn issen u n d M ü h e n d u r c h w a n d e r t d e r A u t o r d ie sieb en R e g io n e n , o h n e d e n M e r c u r iu s a n zu treffe n . E r fin d e t ih n n ic h t e in m a l in d essen e ig e n e r S tad t. S c h lie ß lic h m u ß er u m k e h r e n u n d d en g a n z e n W e g in u m g e k e h r te r R i c h t u n g u n te r d ie F ü ß e n e h m e n , b is er w ie d e r am o s tiu m d e s S a tu rn a n g e la n g t ist, w o er n u n d e n M e r c u r iu s ta ts ä c h lic h an trifft. E r erfäh rt v o n d ie s e m a lle r h a n d G e h e im e s , aber z u m P h ö n ix g e l a n g t er n ic h t. E r w ir d aber später w ie d e r zu r ü c k k e h re n , u m d o c h n o c h d ie P a n a z e e zu erla n g e n . I n e in e m E p ig r a m m
«Ad Phoenicem»
b it te t er z u m S c h lu ß d en W u n d e r v o g e l, d e m W e i
sen s e in e F ed ern zu g e b e n 5ä9, u n d in e in e m E p ig r a m m a u f d ie « M e d ic in a P h o e n icia e» s te llt er d ie se ü b e r alle R e ic h t ü m e r d er W e l t u n d h ö h e r als V e r s ta n d u n d M e n s c h als e tw a s Ü b e r m e n s c h lic h e s 540. D i e fü r d en v ie r te n E rd te il, d ie F e u e r re g io n u n d d ie « m in d e r w e r tig e » F u n k tio n ty p is c h e E r fa h r u n g w ir d v o n M a i e r als e in A u f - u n d e in A b s t i e g d u rc h d ie sieb en P la n e te n s p h ä r e n d a rg e ste llt. W e n n m i t d er b is h e r ig e n p e r e g r in a tio n ic h t s c h o n das o p u s a lc h e m ic u m g e m e in t w a r, so is t es h ie r o h n e Z w e i f e l der Fall.
«.. sapiens, pennas cui dabis, oro, tuas» [der W eise, dem du, wie ich dich bitte, deine Federn geben w irst]. (Symb. aureae mensae, ρ. 606) 540 «Divitiae cedant et opes, huic cedat et aurum,/Cui mens non eadem, non homo, sed pecus est.» [Reichtum und Schätze, sogar das Gold, sind weniger wert als sie, und wer nicht gleichen Sin nes ist, der ist kein Mensch, sondern ein Tier.] (I.C., p.607)
282
III Die Personifikation der Gegensätze
250
D a s o p u s b e d e u te t e in e n tra n situ s, e in e ιτ έ ρ α σ κ im g n o s tis c h e n S in n , a lso ein H in ü b e r g e h e n u n d e in e W a n d l u n g , d e ren S u b je k t u n d O b j e k t d er « v e r s ip e llis ( v ie llis tig e r ) M e r c u r iu s» ist. I c h w i l l d a s W e s e n d es tra n situ s, d a er h ie r n u r g e streift w ir d , n ic h t d es w e ite r e n d a rtu n , d a d ie s d ie b e s o n d e re A u f g a b e e in e r D a r s te llu n g d e s o p u s w äre. E in A s p e k t des tra n situ s is t, w i e w ir seh e n , d e r A u f - u n d A b s t i e g d u r c h d ie P la n e te n s p h ä r e n , d e m w ir h ie r e in ig e W o r t e w id m e n m ü s sen. W i e d ie
«Tabula smaragdina»
z e ig t, d ie n t der A u f - u n d A b s t i e g z u r V e r e i
n i g u n g der K r ä ft e des U n te r e n m it d e n e n des O b e r e n , u n d v ic e — versa. D a b e i is t b e so n d e rs zu b e a c h te n , d a ß es sich b e im o p u s m e is t u m e in e n A u f s t i e g h a n d e lt, w e lc h e r v o n e in e m A b s t i e g g e f o l g t ist, w ä h r e n d das w a h r s c h e in lic h e g n o s tis c h -c h r is tlic h e V o r b ild zu e rst e in e n A b s t i e g u n d d a n n e in e n A u f s t i e g dar ste llt. H i e z u g i b t es im e r w ä h n te n G e b i e t za h lre ic h e B e le g e , d ie w i r n ic h t an zu fiih ren b ra u ch e n . I c h w i l l s ta tt d essen d ie W o r t e e in e s d er g r o ß e n g r ie c h is c h e n V ä te r , n ä m lic h B a s i l i u s , an fiih ren . In sein er E r k lä r u n g z u
Psalm 1 7 ,
1 0 : « ..in
c lin a v it c o e lo s e t d e sc e n d it, e t c a lig o s u b p e d ib u s e j u s 541», s a g t er: « D ie s e s n u n s a g t D a v i d : G o t t s tie g v o m d ie
F e in d e
z ü c h tig e .
Er
H im m e l h e ru n te r z u m e in e r H ilf e u n d d a m it er
p r o p h e z e it
aber
lic h t v o ll
C h r is ti
M en sch w erd un g
(έ ν α ν θ ρ ώ -π η σ ι? ), in d e m er s p rich t: E r h a t d ie H i m m e l g e n e i g t u n d is t h e ru n ter g e s tie g e n . G e r a d e n ic h t n ä m lic h h a t er d ie H im m e l d u r c h b r o c h e n u n d n ic h t das M y s te r iu m o ffe n b a r g e m a c h t , son d ern i m v e r b o r g e n e n s tie g er z u r E rd e h in u n ter, w ie d er R e g e n a u f das F e l l 542, w e il d ie F le is c h w e r d u n g g e h e im u n d u n b e k a n n t w a r u n d v e r b o r g e n das K o m m e n in d ie W e l t o r d n u n g
(έ ν τ η ο ικ ο ν ο
μ ία ) 543.» Z u V e r s 1 1 : « E t a s c e n d it su p er C h e ru b im , e t v o la v it » , s a g t B a s i l i u s : « D e n n i m A u f s t i e g s tie g er ü b e r d ie C h e r u b im e m p o r , w e lc h e D a v i d a u c h F lü g e l der W i n d e n e n n t, w e g e n d e ren g e flü g e lt e r u n d stü r m is c h e r N a t u r . U n t e r d e n F lü g e ln d er W i n d e is t a u c h d ie W o l k e z u v e r ste h e n , d ie ih n a u f n a h m 544.» I n lap id arer W e i s e fa ß t I r e n a e u s d a s M y s te r iu m in d e n W o r t e n z u s a m m e n : « D e n n er is t es, d er h e r a b s tie g u n d h in a u fs tie g , d ie M e n s c h e n z u e r lö s e n 545.»
541 [Zürcher Bibel Ps. 18,10: «Er neigte den Him m el und fahr herab,/Wolkendunkel unter sei nen Füssen.»] 5421T0KOS = W olle, Schafschur, lat. vellus = Vließ. D ie Stelle bezieht sich auf Ps. 71,6: «Des cendet sicut pluvia in vellus» [Zürcher Bibel 72,6: «Er ist w ie Regen, der herabströmt auf die A u » ] , ebenso auf lu d .6,37: «...ponam vellus hoc lanae in area: si ros in solo vellere faerit» [ich lege da einen Haufen W olle auf die Tenne: fallt dann bloß auf die W olle Tau» usw.]
545 P itra , AnaU cta sacra V, p. 85 f. 544 Bezieht sich auf A cta 1,9: «Nubes suscepit eum ab oculis eorum.» [«Und eine W olke nahm ihn auf, so daß er ihren Blicken entschwand.»] 445 A dv. h aer., I I I, VI, 2 [F ü n f Bücher gegen d ie H äresien, I, p. 220]
5. Sal
251
I m G e g e n s a t z d a zu h a n d e lt e s s ic h in d er A lc h e m ie zu e rst u m d e n A u f s t i e g u n d d a n n u m d e n A b s t ie g . I c h erin n e re an d e n A u f s t i e g u n d A b s t i e g d er S e e le in d er B ild e r fo lg e d e s
«Rosarium philosophorum» M6 u n d
v o r a lle m a n d ie fü r d ie
g a n z e m itte la lte r lic h e A lc h e m i e r ic h tu n g g e b e n d e n S ä tz e d er
«Tabula smaragdi
na»: (4 )
«Pater ejus est Sol, m ater ejus Luna; portavit illud ventus in ventre suo; nutrix ejus terra est.»
(6 )
«Vis ejus integra est, si versa fuerit in terram.»
(8 )
«Ascendit a terra in coelum, iterumque descendit in terram, et recipit vim supe riorum et inferiorum. Sic habebis gloriam totius mundiM7.»
D i e s e w ic h t ig e n L e its ä tz e b e s c h r e ib e n (b a ld im n e u tr u m , b a ld im m a s c u li-
m
n u m ) d a s « S o n n m o n d k in d » , das in d ie W i e g e d er v ie r E le m e n te g e l e g t w u r d e u n d o ffe n b a r d u r c h sie u n d in d er E rd e s e in e v o lle K r a f t e rreich t, z u m H im m e l a u fs te ig t, d o r t d ie K r ä ft e d e s O b e r e n a u fn im m t, u n d d a n n zu r E rd e z u r ü c k k e h rt, w a s, w ie es sc h e in t, e in e A r t triu m p h ie r e n d e r G a n z w e r d u n g b e d e u te t ( « g lo r ia to tiu s m u n d i» ) . D i e A n r e d e « s ic h a b e b is » r ic h te t s ic h w o h l an d e n P h ilo s o p h e n , d e n n er is t d er a r tife x des « filiu s p h ilo s o p h o r u m » . W e n n ih m d ie W a n d l u n g d er A r k a n s u b s ta n z g e lin g t , so b e d e u te t das z u g le ic h a u c h d ie E r la n g u n g sein er e ig e n e n G a n z h e it , w e lc h e als g lo r ia to tiu s m u n d i ersch ein t. D i e a lte n M e is te r sp rach en d a ru m v o m « d ia d e m a co rd is tu i» od er v o n der « c o r o n a v ic t o riae 4 548» als e in e m an d eren S y m b o l der G a n z h e it. 7 5 6 E s is t k e in Z w e if e l, d a ß d ie A r k a n s u b s ta n z , o b sä c h lic h od er p e rso n ifiz ie rt, v o n der E rd e a u fs te ig t, e in e G e g e n s a t z v e r e in ig u n g v o llz ie h t u n d w ie d e r zu r E rd e z u r ü c k k e h r t, w a s z u g le ic h ih re e ig e n e W a n d l u n g z u m « e lix ir» b e d e u te t.
546 Dargestellt in: [J ung ,] D ie Psychol. d er Ü bertragung, Bilder 7 und 9. 547 T ab.
S m a ra g d
., hg. R u sk a , p.2. —[J ungs Übersetzung:]
(4) «Sein Vater ist Sol, seine Mutter
Luna; der W ind hat es in seinem Bauche getragen, seine Amme ist die Erde.» (6) «Seine Kraft ist ganz, wenn sie sich zur Erde gewandt hat.» (8) «Es steigt von der Erde zum Himmel, und wiederum steigt es herunter zur Erde und nimmt die Kraft der oberen und unteren auf. So wirst du die Herrschaft der ganzen W elt haben.» 548 D ie Beziehung zu 1. Thess. 2,19: «.. nostra spes, aut gaudium, aut corona gloriae» [«unsre Hoffnung oder unsre Freude oder unser Ruhmeskranz»] ist fraglich, ebenso zu Jes. 28,5: «Erit D o minus exercituum corona gloriae» [«.. wird der Herr der Heerscharen... zur herrlichen Krone und zum glänzenden Stirnreif))]. Hingegen zuJes. 61,3: «..darem eis coronam pro cinere» [«.. da ihnen ein Kopfschmuck gegeben wird statt der Asche»] bedeutsam für die alchemistische Verbindung von cinis mit diadema und corona. Vgl. auch GOODENOUGH, T he Crown ofV ictory.
285
252
III Die Personifikation der Gegensätze
«E r s te ig t a u f u n d s te ig t h e rn ied e r im B a u m e d er S o n n e » , b is er z u m E lix ie r w i r d 549. J e m a n d h a b e g e s a g t 550, e r w ä h n t d a s
«Consilium amiugihr.
«Und wenn ich nackt zum Himmel aufgestiegen bin, dann werde ich bekleidet auf die Erde kommen und alle Rohstoffe (minerae) vervollständigen (com plebo)551. Und wenn wir in der Quelle von Gold und Silber getauft sein werden, der Geist unseres Körpers m it dem Vater und dem Sohne zum Himmel hinaufge stiegen und wieder heruntergekommen sein wird, dann werden unsere Seelen wieder auf leben (reviviscent), und mein animalischer K örper wird weiß (candidum) bleiben, das heißt des M ondes552.» 286
I n d ie s e m T e x t b e s te h t d ie G e g e n s a t z v e r e in ig u n g in e in e m A u f s t e ig e n zu m H im m e l ( m it V a te r u n d S o h n als d e n b e id e n an deren P e r s o n e n ) u n d e in e m A b s te ig e n zu r E rd e im T in k tu r b a d e . D e r ir d isc h e E ffe k t is t in ersterem F a ll ein e c o m p le t io m in e r a r u m ( V o lle n d u n g der M in e r a le ) , in le tz te r e m e in e W ie d e r b e le b u n g d e r S e elen u n d e in e V e r k lä r u n g d e s a n im a lis c h e n K ö r p e r s , d er v o r h e r o f- ' fen b ar « d u n k e l» (n ig r u m , fu s c u m ) w ar. E in e an d ere P a ra lle le la u te t:
«Es steigt von ihm 555 seine Seele empor und wird bis zum H im mel erhöht, das heißt zum Geist, und sie wird zum aufgehenden Sol, nämlich rot, im wachsenden Mond, zur solaren N a tu r554. Und dann wird die Leuchte der zwei Lichter (lucerna duorum lumi n u m 555), nämlich das W asser des Lebens, zu seinem Ursprung zurückkehren, das heißt zur Erde, und schwindet dahin und wird erniedrigt und verfault und wird an seinen Ge liebten556, den terrestrischen Schwefel, geheftet557.»
2β7
H ie r is t das A u fs t e ig e n d e d ie S e e le d er A r k a n s u b s ta n z , d e s in k o m b u s tib le n S c h w e fe ls . D i e a n im a a ls L u n a e r r e ic h t ih r p le n ilu n iu m , d e n s o n n e n ä h n lic h e n
549 Cons. com ugii, ρ. 118. 550 Dieser Jem and ist, wie sich aus dem späteren T ext herausstellt, die «dilecta» des H obenLiedes, nämlich die «Luna». Sie spricht hier zu Sol. 551 Vermutlich Beziehung auf die T abu la sm aragdina. 552 L e , ρ. 128, oder «in arbore aurea», p.211. Es besteht hier wohl eine Beziehung zuJ o . 3,13: «Et nemo ascendit in caelum, nisi qui descendit de cælo». m Es ist vorher vom «sulphur nostrum» die Rede. Sulphur — aktive solare Substanz. 554 «In Luna crescente, in naturam Solarem». Es könnte daher auch übersetzt werden: «Indem sie in der Luna zur solaren Natur heranwächst» [ l . c , p .165]. 555 D as Licht von Sonne u n d M ond 556 D ie Ausgabe von 1566 hat hier [p. 165] «figitur amanti eum», ich lese «eam». 557 Cons. comugtiy p. 165 (Komm entar zu Senior, D e chemia,, p. 15). V gl. hiezu die «Umstellung der Lichter» in der Kabbala.
5. Sa!
233
G la n z , u m n a c h h e r w ie d e r a b z u s te ig e n z u m n o v ilu n iu m , u n d zu r U m a r m u n g d e s terre strisch e n S c h w e fe ls, d er h ie r aber T o d u n d V e r w e s u n g b e d e u te t. H ie h e r g e h ö r t je n e s c h a u e rlic h e D a r s t e llu n g der n e u m o n d lic h e n c o n iu n c tio , w e lc h e s ic h in M a i e r s « Scrutinium
chymicum»
fin d e t: das W e i b u n d der D r a c h e lie g e n
in U m s c h li n g u n g im G r a b e 558. E in e an d ere B e s c h r e ib u n g g i b t D o r n e u s in sei n er
«Physica Trismegisti»:
« D a d u r c h w ir d e s d a n n s c h lie ß lic h g e s c h e h e n , d a ß
d ie s e ir d isc h e , s p a g y r is c h e G e b u r t (fo e tu ra ) s ic h m i t h im m lis c h e r N a t u r b e k le i d e t d u r c h d e n A u f s t i e g u n d z u le tz t d u r c h ih r e n A b s t i e g d ie N a t u r d e s E rd ze n tr u m s in sich tb a re r W e i s e a n n im m t, in d e m d a b e i n ic h ts d e s to w e n ig e r i m g e h e i m e n d ie N a t u r d e s h im m lis c h e n Z e n tr u m s fe s tg e h a lte n w ir d , < je n e N a t u r ,> w e lc h e sie < d ie G eb u rt)» d u r c h d e n A u f s t i e g e r w o rb e n h a t 559.» D ie s e s W e s e n n u n b e s ie g e « d ie s u b tile u n d g e is t ig e K r a n k h e it im m e n s c h lic h e n G e i s t e u n d a u c h a lle k ö rp e r lic h e n , in n e re n w i e ä u ß e re n F e h le r» . D a s M e d ik a m e n t sei a u f s o lc h e A r t z u s ta n d e g e k o m m e n , « q u o m u n d u s crea tu s e s t» ( a u f w e lc h e d ie W e l t ersch a ffen w u r d e ) . A n an derer S te lle b e m e r k t D o r n e u s , d er « fo e tu s sp a g iric u s » (a lc h y m is c h e E m b r y o ) w e r d e v o m F e u e r g e tr ie b e n , z u m H im m e l z u ste ig e n , das h e i ß t a u s d er u n te re n H ä lf t e d e s K o c h g e f ä ß e s zu r o b ere n , d ie v o n d en P h ilo s o p h e n als « H im m e l» (c a e lu m ) b e z e ic h n e t w e rd e , u n d v o n d o r t « s te ig e er w ie d e ru m h e rn ied e r» , n a c h d e m er d ie n ö t ig e R e i f u n g e r la n g t h a t, u n d k e h r t z u r E rd e z u r ü c k , w a s h e iß e n w o lle : « D ie s e r G e i s t w ir d w ie d e r u m k ö r p e r lic h , n a c h d e m er fr ü h e r aus e in e m K ö r p e r z u G e i s t g e w o r d e n i s t 560.» Im W id e r s p r u c h z u m G e i s t der
«Tabula smaragdinas),
d en D o r n e u s h ie r
v e r tr itt, b e t o n t er an an derer S te lle : « N e m o e n im a sc e n d it in c a e lu m q u o d q u a e ritis, n isi q u i d e c a e lo ( q u o d n o n q u a e r itis ) d e sce n d it, illu m in e t e u m »
(N ie
m a n d n ä m lic h s te ig t in d e n H im m e l, d e n ih r su ch e t, h in a u f, w e n n n ic h t d e rjen i g e , der v o m H im m e l, d e n ih r n ic h t su c h e t, h e ru n te r ste ig t, ih n e r le u c h t e t ) 561. U n s e r A u t o r is t u n g e fä h r d er erste A lc h e m is t, d e m g e w is s e A u s s a g e n seiner « K u n s t » p r o b le m a tis c h w e r d e n 562. D e s h a lb sc h a fft er h ie r e in ch r is tlic h e s A li b i
,ie Emblema L, p. 148: «Draco mulierem, et haec illum interimit, simulque sanguine perfundun tur.» [D er Drache tötet die Frau, und sie ihn, und beide werden in Blut getränkt.] 5,9 In: Theatr. chem. (1602) I, p.409. 1.c., p.431. D er Autor fugt hinzu: «..aenigm ate hoc olim involutum est a philosophis. Fac fixum (inquiunt) volatile, et rursus volatile fixum, et totum habebis magisterium.» [Dies ist in die sem Rätsel von den Philosophen verhüllt worden. Mach das Feste flüchtig, sagen sie, und das Flüch tige wieder fest, und dann wirst du das ganze W erk haben.] 561 Spec. p biL in: T heatr. chem. (1602) I, p. 276. Hier ist die oben eiwähnte Beziehung zu J o . 3,13 noch deutlicher. V gl. Psych. u n d A ich.. Paragr.93 und 112.
288
254
III Die Personifikation der Gegensätze
fü r d en a llz u b a s ilid a n is c h sich g e b ä rd e n d e n fo e tu s sp a giricu s. Z u g le i c h is t er s ic h ab e r a u c h der u n a u flö sb a re n E in h e it v o n o p u s u n d a r tife x b e w u ß t 563. S e in e n ic h t le ic h t zu n e h m e n d e n S p e k u la tio n e n s in d g e le g e n t lic h v o n h ö c h s te m p sy c h o lo g is c h e m In teresse, so z u m B e is p ie l der Satz: « S im u l d e sce n su s in q u a tu o r e t ascen su s a d m o n a d e m .» ( Z u g le i c h < is t> der A b s t i e g z u d en v ie r u n d der A u f s tie g zu r E in h e it r e s p e k tiv e M o n a d e .) D a r u n te r k a n n m a n n u r v e r s te h e n , d a ß
D o r n e u s das A b s t e ig e n u n d A u fs t e ig e n als e in e n g le ic h z e it ig e n V o r g a n g au f f a ß t 564. D i e « vier» sin d d ie v ie r E le m e n te . D i e M o n a s is t d ie im
«d en arius»
( Z e h n z a h l) w ie d e r ersch ein en d e , u r s p r ü n g lic h e E in h e it u n d das Z i e l d e s o p u s, n ä m lic h d ie E in h e it der P e r s ö n lic h k e it, p r o jiz ie r t in d er E in h e it d e s L a p is. D e r A b s t i e g is t a n a ly tis c h , als Z e r le g u n g (s e p a r a tio ) in d ie v ie r K o m p o n e n t e n der G a n z h e it ; der A u f s t i e g d a g e g e n s y n th e tis c h , als d ie Z u s a m m e n s e tz u n g d e s d e n ariu s au fzu fassen . D ie s e S p e k u la tio n s tim m t ü b e r e in m i t der p s y c h o lo g is c h e n T a ts a c h e , d a ß d ie K o n fr o n ta tio n d e s B e w u ß t s e in s m i t d e m U n b e w u ß t e n ein er seits e in e A u f lö s u n g der P e r s ö n lic h k e it, an d ererseits u n d z u g le ic h e in e Z u s a m m e n s e tz u n g der G a n z h e it b e d e u te t. D i e s lä ß t s ic h d e u tlic h b e o b a c h te n in M o m e n te n p s y c h is c h e r K r is e n , w o g e r a d e d ie S y m b o le d er E in h e it, z u m B e is p ie l M a n d a la s , in T r ä u m e n a u ftreten . « W o aber G e fa h r is t, w ä c h s t das R e tte n d e au c h » ( H ö l d e r l i n ) 565. I s a a c u s H o l l a n d u s s ie h t ascen su s u n d d e sce n su s als
So sagt er z. B. : «Disce ex te ipso, quicquid est et in caelo et in terra, cognoscere, ut sapiens fias in omnibus. Ignoras caelum et elementa prius unum fuisse, divino quoque ab invicem artificio separata, ut et te et omnia generare possent? Si hoc nosti, reliquum e t te fugere non potest, aut inge nio cares omni. Rursus in omni generatione, separatio talis est necessaria, qualem de te supra dixi flendam, antequam ad verae philosophiae studia velum applices. Ex aliis nunquam unum facies quod quaeris, nisi prius ex te ipso fiat unum» [Lerne aus dir selber erkennen, was im Himmel und auf Erden ist, damit du in allem weise wirst. Oder weißt du nicht, daß Himmel und Erde zuerst eines waren und durch ein göttliches W irken getrennt wurden, damit sie dich und alles erzeugen konnten? W enn du das weißt, kann dir auch der Rest nicht entgehen, oder du bist völlig ohne Ver stand. Hinwieder ist bei jeder Erzeugung eine solche Trennung zuerst nötig, wie ich vorher sagte, sie solle von dir gemacht werden, bevor du dich dem Studium der wahren Philosophie widmest. Aus anderem wirst du nie zu einem machen, was du suchst, wenn nicht zuerst aus dir selber einer geworden ist] (1. c. p. 276). D ie Stufen des Aufstieges sind 1. Studium fidei [des Glaubens], 2. cogni tio Dei per fidem [Gotteserkenntnis durch den Glauben], 3. amor ex cognotione Dei [Liebe aus der Gotteserkenntnis] usw. (Physica T rithem ii, l.c .,p .4 4 9 ) 564 Eine ähnliche Ansicht ist angedeutet [D e transm ut. m et,], p. 589: «Decoquendus igitur, assan dus, et fundendus: ascendit atque descendit, quae quidem operationes omnes unica sunt igne solo facta .» [Also soll man es kochen und rösten und schmelzen, es steigt auf und nieder, und all diese Operationen sind eine einzige, nur vom Feuer bewirkt.] 50 [Patm os, W erke II: Gedichte, p. 347.]
5. Sal
255
Eigenschaft des «hellen Paradieswassers» an566, womit etwas wie das Schwingen einer und derselben Sache nach zwei Seiten angedeutet scheint. Des ferneren macht D
o rn eu s
die Bemerkung über den Mercurius, daß er «per vicos ac do
mos Planetarum omnium transcurrit» (durch die Höfe und Häuser aller Plane ten hindurchläuft) und bei seiner Wiederherstellung die Kraft des Oberen und des Unteren in sich aufnimmt567. W ährend die älteren Autoren sich strikte an die «Tabula smaragdina» hal- 289 ten 568, verraten die neueren unter Vortritt des D
o rn eu s
eine gewisse Neigung,
den Prozeß umgekehrt darzustellen. So sagt zum Beispiel M
y l iu s ,
daß die Erde
nicht aufsteigen könne, ohne daß zuvor der Himmel heruntersteige. Immerhin könne die Erde nur dann zum Himmel sublimiert werden, wenn sie in «ihrem eigenen Geiste gelöst569 und zu einem Körper m it diesem» werde570. Der Paracelsist P e n o t u s ist noch deutlicher: «W ie aber», so sagt er, vom Mercurius sprechend, «vom Philosophen der Sohn des Men schen (filius hominis) erzeugt (generatur) und die Frucht der Jungfrau hergestellt (effi citur) wird, so ist es nötig, daß er (der filius) von der Erde erhöht (exaltatur), (und) von D e la p id ep b il. in: Theatr, chem. (1602) II, p. 142: « .. clara aqua paradisi... cuius crebro in caelum ascendit atque in terram descendit.» [Das helle W asser des Paradieses.. . durch dessen er oft zum Himmel empor- und wieder zur Erde heruntersteigt.] 567 D e transm ut. met., 1. c., p. 578. 568 D as Rosarium philosophorum formuliert Aufstieg und Abstieg folgendermaßen: «Lapis noster transit in terram, terra in aquam, aqua in aërem, aër in ignem, ibi est status, sed descendetur e con verso.» [Unser Stein geht in die Erde über, von dort in die Luft, von dort ins Feuer, und dort wird er fest, aber den Abstieg macht er umgekehrt.] (A rt. au rif. II. p. 250f.) v Das Wasser, in welchem die Erde gelöst wird, ist aber deren anima oder Spiritus, von wel chem S e n io r sagt: «Haec aqua divina est Rex de coelo descendens.» [Dieses Wasser ist der vom Himmel herabsteigende König.] Er war aber zuvor in der Erde. Vgl. Ros. p h il. in: A rt. au rif. II. p. 283. 570
P h iL ref, p.20. Diese Anschauung stammt aus dem Traktat D e arte chim ica (A rt. au rif. I,
p.612). Hier ist der descensus m it der incarnatio Dei identisch. Unsere Stelle ist nämlich gefolgt von dem Texte: «Hac similitudine tibi satisfaciam: Filius D ei delapsus in virginem, ibique caro fi guratus homo nascitur, qui cum nobis propter nostram salutem veritatis viam demonstrasset, pro nobis passus et mortuus, post resurrectionem in coelos remeat. Ubi terra, hoc est, humanitas, exalta ta est, super omnes circulos Mundi, et in caelo intellectuali sanctissimae Trinitatis est collocata.» [Durch folgendes Gleichnis will ich es dir klarmachen: Der Sohn Gottes kam in die Jungfrau herab, wurde dort, in Fleisch gestaltet, Mensch, und als er uns um unseres Heiles willen den W eg der W ahrheit gezeigt hatte, litt er für uns und starb und kehrte nach der Auferstehung in den Himmel zurück. W o dann die Erde, d. h. die Menschheit, erhöht wurde über alle Kreise der W elt und in den intelligibeln Flimmel der allerheiligsten Dreifaltigkeit gesetzt wurde.] (P h iL r ef, p .20f.)
III Die Personifikation der Gegensätze
256
aller Irdischkeit (terreitate) gereinigt werde; dann steigt er als Ganzes in die Luft empor und wird in Geist verwandelt. So wird das W o rt des Philosophen erfüllt: E r steigt von der Erde in den H im mel, und so nim mt er die K raft des Oberen und des Unteren an sich, und so legt er seine irdische und unreine N atur ab» usw.571.
Diese völlige Identifizierung des Lapis mit dem «filius hominis» muß natürlich mit einer Himmelfahrt enden. Damit entsteht aber ein Widerspruch zu der ur sprünglichen und universalen Auffassung des Lapis als der tinctura oder medici na, die ja nur Sinn hat, wenn sie sich den unedlen Stoffen, das heißt dem Unte ren zuwendet. Das Obere hat keine Arznei nötig, denn es ist sowieso schon inkorruptibel. E n Erlöser, der vom Stoffe ausgeht und zum Stoffe zurückkehrt, wurde aisgemach undenkbar: wer den Stein unbedingt mit Christus in eines setzte, hörte auf zu laborieren, und wer das Laborieren vorzog, gab langsam die mystische Sprache auf. Ascensus und descensus, Höhe und Tiefe, Auf und Ab beschreiben ein emo tionales Realisieren von Gegensätzen, welches allmählich zu einem Ausgleich derselben fuhrt oder fuhren soll. Daher kommt dieses Motiv auch sehr häufig in Träumen vor als das Den-Berg-hinauf-und-hinunter-Steigen, Treppensteigen, mit E ft, Ballon oder Flugzeug Auf- oder Absteigen usw.572. In diesem Sinne ent spricht das Motiv dem Kam pf des geflügelten mit dem ungeflügelten Drachen, das heißt dem Ouroboros, und D
o rn eu s
bezeichnet es auch als die «destillatio
circulatoria573» und als das «vas spagiricum <(das arkane G efaßt, das nach der Ähnlichkeit des natürlichen Gefäßes zu konstruieren ist». Damit ist die sphäri sche Form gemeint. Das Zwischen-den-Gegensätzen-Schwanken oder Hin-undHergeworfenwerden ist in der DoRNEUSschen Deutung ein In-den-GegensätzenEnthaltensein. Die Gegensätze werden zu einem Gefäß, in welchem jenes W e sen, das zuvor bald das eine, bald das andere war, vibrierend schwebt, wodurch das peinliche Suspendiertsein zwischen Gegensätzen sich allmählich in eine bi laterale Tätigkeit des Mittelpunktes verwandelt574. Damit kündigt sich die söge-
571 D e m edicam entis chemicis, A dditio, in: T heatr. chem. (1602) I, p.681. 572 V gl. Psych. u n d A ich., Paragr.64ff. und 7 8 f. 573 Phys. Trismeg. in: T heatr. chem. (1602) Ι,ρ.430. 574 Dieses M otiv klingt nicht selten in von Patienten gezeichneten Mandalas an, wo der Mittel punkt entweder durch einen flatternden Vogel oder durch eine pulsierende Zyste oder ein Herz dar gestellt wird. (In der Pathologie spricht man von «Vorhofflattern».) Ebenso gehört hieher die kon zentrische W ellenbildung (JUNG, Z ur Em pine des Individuationsprozesses, Bild 8) oder ein die M itte umgebender W ellenzug (L c , Bild 3 und Fig. 2).
5. Sal
257
nannte «Befreiung von den Gegensätzen», das nirdvandva der indischen Philo sophie, an, was ja nicht eigentlich eine philosophische, sondern vielmehr eine psychologische Entwicklung ist. Die «Aurelia occulta» faßt diesen Gedanken in den W orten des Drachen zusammen: «Aus einem viele und aus vielen eines, aus berühmtem Geschlecht hervorgehend, steige ich vom Kleinsten zum Höchsten empor. Die unterste Kraft der ganzen Erde wird mit der höchsten vereinigt. Ich bin daher das eine und die vielen in m ir575 ...» Mit diesen W orten deutet der Drache an, daß er die (chthonische) Vorstufe des Selbst darstellt.
F. Die Reise durch die Planetenhäuser W enn wir nach unserem Exkurs über ascensus - descensus wieder zur Wände- 291 rung M ic h a e l M a ie r s durch die ostia Nili, welche die sieben Planeten bedeu ten, zurückkehren, so bringen wir die vertiefte Erkenntnis dessen mit, was die Alchemisten und somit auch unser Autor gemeint haben, wenn sie von ascensus und descensus sprachen: es war die Befreiung der Seele aus den Fesseln der Fin sternis, das heißt aus dem Unbewußten, ihr Aufstieg zum Himmel, das heißt ihre Bewußtwerdung, und dann ihre Rückkehr zur Erde, das heißt zur harten Wirklichkeit, und zwar als tinctura oder Heiltrank, ausgerüstet mit den Kräften des Oberen. W as dies psychologisch bedeutet, könnte leicht aus der vMypneroto-
machia Poliphili» ersehen werden, wenn deren Sinngehalt nicht allzusehr von einem geradezu unerschöpflichen Meere ausschmückender Einzelheiten über schwemmt wäre. Es muß darum hervorgehoben werden, daß der umfangreiche erste Teil des Romans den Aufstieg in eine Heroen- und Götterwelt, die Initia tion in ein Venusmysterium und die Erleuchtung, respektive die annähernde Deifikation von Poliphil und Polia schildert. Im zweiten, kleineren Teil folgt eine geradezu enttäuschende Ernüchterung und Abkühlung, welche in der Er kenntnis gipfelt, daß alles nur ein Traum war. Es ist ein Abstieg zur Erde, zur Wirklichkeit des Alltags, wobei es nicht ganz klar ist, ob der Held «in occulto caelestis centri natura quam per ascensum acquisierat576», festhalten konn te. Man möchte daran zweifeln. Immerhin hat sein bedeutendes Abenteuer uns ein psychologisches Monumentum hinterlassen, das für den Verlauf und die
575 In: Theatr. chem. (1613) IV , p. 575. 576 D o b n e u s , Phys. Trismeg. in: T heatr. ch m ., 1602, I, p.409 (.. im Geheimen die Natur des himmlischen Zentrums, welche er durch den Aufstieg erworben hatte).
258
III Die Personifikation der Gegensätze
Symbolik des Individuationsprozesses schlechthin beispielhaft ist. Es ist weni ger von der Sprache als vielmehr vom Geist der Alchemie durchdrungen und erleuchtet damit auch die dunklen «aenigmata et griphos» derselben577. Die Reise M a ie r s durch die ostia Nili, respektive die sieben Planetensphä ren, beginnt mit Saturn, dem kältesten, schwersten, fernsten, dem maleficus und Aufenthaltsort des Bösen, dem unheimlichen senex, und steigt auf zur Sonnen nähe des Mercurius-puer, des vom Adepten Gesuchten und Ersehnten. Es ist ein Aufstieg von Sonnenferne zu Sonnennähe, von Dunkelheit und Kälte zu Licht und W ärm e, von Alter zu Jugend und von Tod zu Wiedergeburt. Aber man kehrt denselben W e g wieder zurück, und nicht in der Sonnennähe ist der ge suchte Mercurius zu finden, sondern an jenem Punkte, von dem man ursprüng lich ausgegangen ist. Das mutet sehr psychologisch an. In der Tat geht das Le ben nie irgendwo anders weiter als gerade dort, wo es zum Stillstand gekommen ist578. Der gesuchte Mercurius ist der spiritus vegetativus, ein Lebensgeist, der es an sich hat, daß er alle Planetenhäuser durchläuft, das heißt den ganzen Zo diakus. Man könnte ebensogut sagen: das ganze Horoskop, oder, da dieses die chronometrische (das heißt zeitliche) Entsprechung des individuellen Charak ters ist, alle Persönlichkeits- oder Charakterkomponenten. Die individuelle Ei genart nämlich ist nach alter Auffassung jener Fluch oder Segen, den die Götter der Geburt dem Kinde in Gestalt günstiger oder nefaster Aspekte in die W iege legen. Das Horoskop ist jenes «chirographum», die «Handschrift», von der es heißt, «daß er die gegen uns lautende Urkunde austilgte, die durch die Satzungen wider uns war; und er hat sie aus dem W ege geräumt, indem er sie ans Kreuz heftete. Nachdem er die Gewalten und die Mächte gänzlich ent waffnet hatte, führte er sie öffentlich zur Schau auf und triumphierte in sich über sie579.» Diese schon sehr alte Ansicht von einem sozusagen mitgegebenen Schuld brief, auf die der Kolosserbnef Bezug nimmt, ist die okzidentale Version der Idee eines pränatalen Karmas. Es sind die Archonten, die alten der Sieben, welche der Seele das Schicksal aufprägen. So sagt auch Priscillian (gestorben um 385), 577 [Gleichnisse und Rätsel] Vgl. dazu die gründliche psychologische Analyse des Textes in: L in d a F ie r z -D a v i d , D er Liebestraum des P oliphilo, insbes. p. 57 ff.
578 Eine psychologische Konstatierung, die bekanntlich erst dann ganz wahr wird, wenn man sie auch umkehren kann. 579 Col. 2 ,l4 fi: «.. delens quod adversus nos erat chirographum decretis, quod erat contrarium no bis, et ipsum tulit de medio, adfigens illud cruci: expolians principatus, et potestates, traduxit confi denter, palam triumphans illos in semet ipso.»
5. Sal
259
daß die Seele auf ihrem Abstieg in die Geburt durch «gewisse Kreise» komme, wo sie von bösen Mächten gefangengenommen und nach dem W illen des Ob siegenden in verschiedene Körper gezwängt und ihr überdies eine «Handschrift zugeschrieben» werde, auf der vermutlich die Einwirkungen der verschiedenen Planetensphären eingetragen sind580. Diesem Abstieg der Seele durch die Plane tenhäuser entspricht auch ihr Durchgang durch die Planetentore, wie sie O r i -
GENES schildert: das erste Tor ist von Blei und dem Saturn zugeschrieben581, woraus ersichtlich ist, daß M a ie r offenbar alter Tradition folgt582. Die peregri natio chymica ist überhaupt eine Wiederholung der alten «Himmelsreise der Seele», die sich namentlich in Persien entwickelt zu haben scheint. W ir wollen auf das Motiv des transitus durch die Planetenhäuser in diesem Zusammenhang nicht näher eintreten583; es genüge uns zu wissen, daß Mercu rius durch sie hindurchläuft, und so auch der Philosoph M ic h a e l M a ie r auf seiner mystischen Reise584. Letztere hat andeutungsweise den Charakter der «Heldenfahrt», deren Motive wenigstens soweit sichtbar werden, daß man den Archetypus unschwer erkennen kann: an der kritischen Stelle («Furt») begeg net der Autor dem Tier Ortus, welches die vier Farben am Kopfe trägt. W o ein Ungetüm, da ist die schöne Jungfrau nicht ferne, denn die beiden haben be kanntlich etwa wie ein geheimes Einverständnis, so daß selten das eine ohne das andere vorkommt: die Sybille als Seelenführerin erscheint und weist ihm den W eg zu Mercurius, unter welchem in diesem Fall Hermes Trismegistos, der Mystagoge par excellence, zu verstehen ist.
580 «Dehinc '(animam)> descendentem per quosdam circulos a principatibus malignis capi et se cundum voluntatem victoris principis in corpora diversa contrudi eisque adscribi chirographum.» [Von da steige die Seele durch bestimmte Kreise herab und werde von bösen Mächten gefangen und nach dem W illen des Siegers in verschiedene Körper gestoßen, und es werde ihr eine Hand schrift aufgeschrieben.]
(Orosius, A d Aurelium Augustinum commonitorium in:
Corp. script, ecd. Lat.
X V III, p. 153) 581 Contra Celsum, V I, 22, in:
Migne, P. G ., I X , col. 1324.
582 D ie Reihe scheint in der Regel m it Satum zu beginnen
(vgl. Bousset, D ie Himmelsreise der
Seele, p. 229 ff ). 583 Ich verweise dafür auf die Darstellung bei CUMONT, Textes et monuments relatifs a u x mystères de M ithra I, p. 3 6 ff.,
Boussets oben
erwähnte Abhandlung und
Reitzenstein, Himmelswanderung
und Drachenkampf p. 33 ff. 584 V gl. «Wanderung» in: Psychologie und Alchemie, Paragr. 100f., 304f. und 457. Zu Merkur vgl. das M otiv «puer-senex» in: [«Knabe und Greis»].
Curtius,
Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, p. 108ff.
294
260
295
III Die Personifikation der Gegensätze
H erm as erzählt, daß er auf der campanischen Straße einem Ungeheuer gleich dem Meerdrachen κήτος begegnet sei: «Auf seinem Kopfe aber hatte das Tier vier Farben: schwarz, dann feuer- und blutrot, dann goldgelb, dann weiß. Nachdem ich an dem Tier vorüber und ungefähr 30 Fuß wei tergegangen war, begegnete mir eine Jungfrau, geschmückt wie eine Braut, die aus ihrer Kammer hervorgeht, ganz in weißem Gewände und mit weißen Schuhen, bis zur Stirn verschleiert, eine Mitra war ihre Kopfbedeckung, und ihr Haar war weiß585.»
296
Die Übereinstimmung der beiden Erzählungen ist dermaßen vollständig, daß man versucht ist anzunehmen, daß M a ie r den « Hirten» gelesen hat. Leider ist das nicht sehr wahrscheinlich. Er hat zwar eine gute humanistische Bildung, aber ich vermochte in seinen Schriften keine Anzeichen patristischer Belesen heit zu entdecken. Bei der Behandlung der Schriften eines A lbertu s M a g n u s und eines T h o m a s A q u in a s 586 hätte ihm leicht eine Bemerkung in dieser Richtung entschlüpfen können. Aber man findet nichts, und es ist auch nicht wahrscheinlich, daß M a ie r gerade von den Apokryphen Kenntnis gehabt haben sollte.
297
H erm as deutet die Jungfrau, die ihm begegnet, als Kirche, M a ie r , fünfzehn hundert Jahre später, als erythräische Sibylle, womit es sich wieder einmal bestä tigt, daß das Neuere das Ältere ist. Die «hohe Herrin» fuhrt den H er m a s zum Reiche des dreieinigen Gottes, M a ie r aber zum Trismegistos und Trisomatos, zum triadischen Mercurius, der ihm das Auferstehungsgeheimnis des Phönix verraten soll587. Er kann den Mercurius nur dadurch finden, daß er den Ritus der ascensio und der descensio, der destillatio circulatoria, durchläuft, indem er beim schwarzen Blei, in der Finsternis, Kälte und Bosheit des Malefizsternes Sa turn beginnt, vermutlich in der Reihe bis zum feurigen Sol aufsteigt, wo Gold im höchsten Feuer geglüht und von aller Unreinigkeit befreit wird, und schließ lich wieder zum Saturn zurückkehrt, wo er dieses Mal aber den Mercurius antrifft und nützliche Lehren von ihm empfängt. Saturn ist hier aus einem Un glücksstern zum Hause der W eisheit, einer «domus barbae», geworden, wo der
585 D er H irt des Hermas, IV , 1,10-2,1 (H ennecke, Neutestamentl. Apokryphen, p.343). 586 I n d e n Symbola aurea mensae, p a ssim . 587 Ich mache auch aufmerksam auf die Parallele Drachen-, Jungfrau- und Triadensymbolik in der Hypnerotomachia (hg. POPELIN), insbes. die Begegnung mit dem dreizüngigen Drachen und der chthonischen Triade, gefolgt vom Reiche der Königin Eleuterilida (F ierZ-D avid , l.c., pp.50ff. und 75f£). Zu Sibylle vgl. CURTIUS, l.c., p. 112 ff. (Paragr. 9: «Greisin und Mädchen»].
5. Sal
261
«sapientissimus omnium» (der weiseste von allen), der dreimalgrößte Hermes selber lehrt588. Auch H er m a s beginnt beim Schwarzen; seine Herrin erklärt ihm folgendermaßen: «Das Schwarze bedeutet diese Welt, in der ihr wohnt, das Feuer- und Blutrote aber, daß diese Welt in Blut und Feuer vernichtet wird. Der goldene Teil seid ihr, die ihr dieser Welt entflohen seid. Denn wie das Gold durch das Feuer geläutert und brauchbar wird, so werdet auch ihr geprüft, die ihr unter ihnen wohnt... Der weiße Teil aber ist die künftige Welt, in der die Auserwählten Gottes wohnen werden. Denn fleckenlos und rein werden die sein, die Gott fur das ewige Leben auserwählt hat589.» In der Alchemie läutert sowohl das Feuer, wie es auch die Gegensätze zur 29e Einheit zusammenschmilzt. Das Empordringende vereinigt die Kräfte des Unte ren mit den Kräften des Oberen und offenbart seine ganze Macht, wenn es wie der zur Erde zurückkehrt590. Darunter ist einerseits die Panazee oder «medicina catholica» zu verstehen, andererseits aber auch ein belebtes, menschenähnliches Wesen, nämlich der filius philosophorum, der off als Jüngling oder als Herm aphroditus oder als ein Kind dargestellt wird. Er ist zwar eine Parallele zum gnostischen Anthropos, erscheint aber auch als άνθρω ιτάριον, als eine Art Heinzelmännchen, das als πνεύμα ττάρεδρον, spiritus familiaris, dem Adepten im Opus beisteht und dem Arzt hilft, zu helfen591. Dieses W esen steigt hinauf und hinunter und vereinigt das Untere mit dem Oberen, woraus eine neue Kraft gewonnen wird, die im alltäglichen Leben sich weiter auswirkt. Auch die Herrin des H er m a s rät diesem: «D u nun rede ohne Unterlaß zu den Ohren der Heiligen592», das heißt wirke unter deinen Mitmenschen, indem du die Kunde vom Auferstandenen verbreitest. W ie nun M aier bei seiner Rückkehr den Mercurius antrifïf, so begegnet 299 dem H ermas bei der nächsten Vision der Poimën, den Hirt, «ein weißes Fell um die Schultern, einen Ranzen auf dem Rücken und einen Stab in der Hand».
588 «Itaque vocatus sum Hermes Trismegistus, habens tres partes Philosophiae totius mundi.» [Daher heiße ich dreimalgrößter Hermes, da ich die drei Bereiche der W eisheit der ganzen W elt besitze.] (T ab.
S m a ra g d ,
(hg. R u sk a ), 12, p .2) D ie domus barbae kommt von arab. al-birba, Pyra
mide und Pyramidengrab, wo Hermes begraben sein soll. 589 O er H irt des H erm as, IV , 3 ,2 -},5 [1. c .] . 550 «Vis eius integra est, si versa fuerit in terram.» (T ab. s m
a r a g d .,
6, l.c., p.2)
59' Vorbildlich hieftir sind Asklepios und sein Kabir Telesphoros. Vgl. hiezu K er ÉNYI, D er gött liche A rzt, pp· 97 und 100; Meier , A ntike Inkubation und moderne Psychotherapie, p.46ff. 592 D er H irt des H erm as, IV , 3 ,6 [l.c.].
262
III Die Personifikation der Gegensätze
H erm as
erkannte in ihm den, dem er «übergeben worden» 593 war, nämlich den
Hirten des Lammes, das er selber war. Der pastor bonus hat ikonologisch die nächste Beziehung zum Hermes kriophoros (dem Lammtragenden). So fließen schon in der Antike diese beiden Rettergestalten zusammen. W ährend H e r m a s seinem Hirten «übergeben» ist, übergibt umgekehrt Hermes seinem Schüler M a ie r
seine Kunst und Weisheit und setzt ihn damit in den Stand, selber etwas
zu tun und zu wirken mittels des zauberischen caduceus, der beim alchemistischen Arzt den Äskulapstab mit der einen Schlange ersetzt. Die Schlange des Asklepieion will bedeuten: der Gott heilt; der caduceus, nämlich der Mercurius in Form der coniunctio in der Retorte, hingegen besagt: in den Händen des Arztes liegt das vom Gott geschenkte Zaubermittel594. 300
Die mehrfachen Analogien zwischen zwei so weit voneinander liegenden Texten ermöglichen eine psychologische Auffassung der darin angedeuteten Wandlungen. Die Farbfolge koinzidiert sozusagen mit der Planetenfolge. Grau und Schwarz entspricht dem Saturn595 und der bösen W e lt; es ist der Anfang im Dunkeln, in der Melancholie, Angst, Bosheit und N ot dieser W elt, das heißt der menschlichen Alltäglichkeit. Es ist gerade M
a ie r ,
von dem der Satz vom
® L c , V , 1—4 , p. 344. 594 Zur Deutung des Caduceus vgl. Servius, in V ergilii carm ina com m entarii, IV , 242 [Hg. Thilo und Hagen, I, p. 508] : «Nam serpentes ideo introrsum spectantia capita habent ut significent inter se legatos colloqui et convenire debere... Unde enim ... legati pacis caduceatores dicuntur... Q ui bus caducei duo mala adduntur unum Solis aliud Lunae... Mercurius haec tam fera animalia concor dat, nos quoque concordare debere certum est.» V III, 138 [II, p. 220] : «Alii Mercurium quasi medicurrium a Latinis dictum volunt, quod inter coelum et inferos semper incurrat... Caduceus illi adeo adsignatur, quod fide media hostes in amicitiam conducat». [Denn die Schlangen haben ihre Köpfe gegeneinander gewendet, um zu zeigen, daß Gesandte miteinander reden und Übereinkom men sollen ... W eshalb auch die Friedensgesandten... Schlangenstabträger h eißen ... Diesen Schlangen werden zwei Äpfel hinzugefugt, einer von der Sonne, der andere vom M on d... Mercurius versöhnt so diese zwei wilden Tiere; und auch wir sollten sicherlich miteinander in Eintracht leben. - Andere leiten das W ort Mercurius als «medicurrius» vom Lateinischen ab, «hin- und herlaufend», weil er immer zwischen Himmel und Unterwelt hin- und h ereilt... Ihm wird der Schlangenstab zu geordnet, weil er durch Vertrauensvermittlung die Feinde zur Freundschaft bringt.] —Ein mittelal terlicher Autor,
PlERIUS, sagt vom
Caduceus: «.. perfacile is discordes animos in concordiam trahet,
duosque angues, hoc est odia mutua, doctrinae suae virga in unum obligabit.» [Sehr leicht zieht er die streitenden Gemüter zur Eintracht hin, indem er die zwei Schlangen, d. h. den gegenseitigen Haß, durch den Stab seiner Lehre in eines verbindet.] (Z it. in: III, cp.
PlQNELLUS, M undus symbolicus, lib.
XI, p. 152b.)
595 «Primo regnat Saturnus in nigredine» [Zuerst regiert Saturn in der nigredo (Schwärze)]. (Symb. aureae mm sae, p. 156)
5. Sal
263
«nobile aliquod corpus» stammt, «quod de domino ad dominum movetur, in cuius initio sit miseria cum aceto596». M it «dominus» ist der Archon und Herr scher des Planetenhauses gemeint. Unser Autor fugt bei «ita et mihi eventur um» (so wird es auch mir geschehen). M it dieser Dunkelheit und Schwärze ist psychologisch die Verirrung und Verlorenheit des Menschen gemeint; jener Zustand, der in moderner Zeit der Anlaß zur psychologischen Analyse des sta tus praesens wird, nämlich der genauen Untersuchung aller jener Inhalte, wel che Ursache oder wenigstens Ausdruck der problematischen Situation sind. Diese Tätigkeit erstreckt sich bekanntlich auch auf die irrationalen Inhalte, de ren Ursprung im Unbewußten vermutet wird, also auf Phantasien und Träume. Die Analyse und Deutung der Träume konfrontiert den Standpunkt des Be wußtseins m it den Aussagen des Unbewußten, wodurch der zu enge Rahmen des bisherigen Bewußtseins gesprengt wird. Diese Auflockerung verkrampfter Anschauungen und Einstellungen entspricht passend der solutio und separatio elementorum durch die aqua permanens, welche schon vorher im «Körper» vor handen war und durch die Kunst daraus «hervorgelockt» wird. Dieses W asser ist eine anima oder ein spiritus, das heißt eine psychische «Substanz», welche nun ihrerseits wieder auf das Ausgangsmaterial angewandt wird. Dies ent spricht der Verwendung des Traumsinnes zur Aufklärung der vorhandenen Pro bleme. Solutio wird in diesem Sinne von D o r n e u s definiert597. Die zuvor dunkle Situation wird allmählich erhellt wie eine finstere Nacht, joi in welcher der Mond aufgeht. Die Erhellung geht gewissermaßen vom Unbe wußten aus, indem es in erster Linie die Träume sind, welche der Aufklärung auf die Spur helfen. Dieses aufdämmernde Licht entspricht der albedo, dem Mondlicht, das nach der Auffassung anderer auch den ortus solis andeutet. Die nunmehr zunehmende Rötung entspricht einer Vermehrung von W ärm e und Licht, welche von der Sonne, also aus dem Bereich des Bewußtseins, stammen. Dies entspricht der wachsenden Anteilnahme, beziehungsweise Implikation, des Bewußtseins, welches anfängt, auch emotional auf die vom Unbewußten produzierten Inhalte zu reagieren. Durch die Auseinandersetzung mit dem Un bewußten, welche zunächst einen «hitzigen» Konflikt bedeutet, bahnt sich aber
596 [vom edlen K ö rp er..., der von Herrn zu Herrn geht, an dessen Anfang Elend mit Bitternis herrscht] l.c., p.568. 597 Spec. p h il. in: Theatr. ch m . (1602) I, p. 303: «.. ut per solutionem corpora solvuntur, ita per cognitionem resolvuntur philosophorum dubia.» [W ie durch die Auflösung die Körper aufgelöst werden, so werden durch die Erkenntnis die Zweifel der Philosophen gelöst.]
264
III Die Personifikation der Gegensätze
die Zusammenschmelzung oder die Synthese der Gegensätze an. Die Alchemie drückt dies durch die rubedo aus, in welcher sich die Hochzeit des roten Mannes m it der weißen Frau, des Sol und der Luna, vollzieht. Obschon sich die Gegen sätze fliehen, streben sie doch nach Ausgleichung, indem ein Konfliktzustand zu lebenswidrig ist, als daß er dauernd festgehalten werden könnte. Dabei rei ben sich die Gegensätze gegenseitig auf: der eine frißt den anderen, wie die bei den Drachen oder sonstigen reißenden Tiere der alchemistischen Symbolik. Astrologisch ausgedrückt, entspricht dieser Prozeß einem Aufstieg vom fer nen, kalten, dunklen Saturn durch die Planetenreihe bis zur Sonne. Den Alche misten war der Zusammenhang des individuellen Temperamentes mit den Pla netenstellungen klar, denn dergleichen astrologische Elementargedanken waren im Mittelalter wie schon in der Antike Gemeingut der Gebildeten. Der Auf stieg durch die Planetenkreise bedeutete daher soviel wie eine Abwicklung der horoskopisch angezeigten Charaktereigenschaften oder eine retrograde Befrei ung von dem durch die Archonten aufgeprägten Charakter. Bewußtes oder un bewußtes Vorbild eines solchen Aufstieges war der gnostische Erlöser, der ent weder m it List die Archonten betrügt oder m it Gewalt ihre Macht bricht. Zu diesem Motiv gehört auch die Lesung vom «Schuldbrief». Insbesondere emp fand der spätantike Mensch seine seelische Situation als eine fatale Abhängig keit von Gestirnsmächten, von der sogenannten Heimarmene, ein Gefühl, das man mit der modernen Vererbungs- und Belastungslehre, respektive mit deren pessimistischem Gebrauch, vergleichen kann. Eine ähnliche Demoralisation stellt sich auch in vielen Neurosenfällen ein, wo die Patienten die symptombil denden psychischen Faktoren als unabänderliche Tatsache, gegen die es keine Auflehnung gibt, hinnehmen. Das Durchschreiten der Planetenhäuser hat da her, wie das Passieren der großen Hallen in der ägyptischen Unterwelt, die Be deutung der Überwindung eines psychischen Hindernisses, beziehungsweise eines «autonomen Komplexes», der passenderweise von einem astrologischen Planetengott oder -dämon dargestellt wird. W er alle planetarischen Kreise über wunden hat, ist frei von Zwang geworden; er hat die corona victoriae erlangt, und damit die Gottähnlichkeit. Die psychologische Sprache unserer Zeit drückt sich allerdings bescheidener aus: die Reise durch die Planetenhäuser reduziert sich auf die Bewußtmachung der guten wie der schlechten Charaktereigenschaften, und die Apotheose will nicht mehr bedeuten als eine größtmögliche Bewußtheit, welche mit größt möglicher Freiheit des W illens einhergeht. Das Ziel ist unübertrefflich darge stellt durch das alchemistische Symbol des μεσουράνισμα ήλιου (Mittagsstel-
5. Sa!
265
lung der Sonne) bei Z o s im o s 59®. Aber dieser Höhepunkt fuhrt zum Abstieg. Der mystische Wanderer M a ie r kehrt zu jenem ostium zurück, von dem er aus gegangen war. Er macht also gewissermaßen wiederum jenen descensus animae, der ursprünglich zur Anschreibung des «chirographum» geführt hat. Er wan dert ja wieder durch die vorher überwundenen Planetenhäuser zurück zum fin steren Saturn. Das heißt wohl, daß die Seele, die bei ihrem Abstieg in die Ge burt mit einem horoskopischen Charakter belastet wurde, nunmehr im Bewußt sein ihrer Gottebenbildlichkeit den Archonten die Stirne bietet und das Licht unverhüllt in die Finsternis der W e lt hinabträgt. Auch hier erhebt die Psychologie keine besonderen Ansprüche: W as vordem 304 eine unwillig geschleppte Last war, für deren Vorhandensein die ganze Ver wandtschaft angeklagt wurde, ist durch größtmögliche Einsicht (die sehr be scheiden sein kann!) als Besitzstand der eigenen Persönlichkeit erkannt, und ebenso ist verstanden worden (was nicht immer selbstverständlich zu sein scheint!), daß man aus nichts anderem leben kann als aus dem, was man ist. Unser peregrinus findet bei seiner Rückkehr zum Hause des Satum den
305
längst gesuchten Mercurius5* . M a ier geht merkwürdig rasch über dieses doch so bedeutsame Zusammentreffen hinweg und erwähnt bloß «multos sermones invicem habitos» (viele wechselseitige Gespräche), deren Inhalt aber nicht mit geteilt wird. Dies ist umso erstaunlicher, als Mercurius entweder den persönli chen Aspekt des großen Lehrers, wie hier, oder den Charakter der Arkansubstanz besitzt, was beides doch eine ergiebige Quelle für weitere Offenbarungen wäre. Mercurius bedeutet ja den erleuchtenden Nous, der das Geheimnis der W andlung und der Unsterblichkeit kennt. Nehmen wir an, es sei kein bloßer Zufall, daß M
a ie r
hier plötzlich schweig-
sam wird, sondern eine Absicht oder eine Notwendigkeit. Diese Annahme ist insofern nicht ganz unberechtigt, als der Autor einer der Mitbegründer der in ternationalen Rosenkreuzergesellschaft war600 und sich daher zweifellos in der Lage befunden hätte, des längeren und breiteren über die hermetischen Arcana zu disserieren. W as wir von den sogenannten Rosenkreuzergeheimnissen wis sen, erklärt keineswegs deren Geheimhaltung. Das gilt übrigens von den mei sten «Mysterien» dieser Art. Es ist sehr bezeichnend, daß die «mysteria» der al-*·
*·
Berthelot, Aich, grecs, III, ν*»!, pp. 118/126.
559 Genauer: Bevor er zum Hause des Satum kommt, «in aliquo ostiorum» [an irgendeiner der Mündungen]. (Symb. aureae mensae, p.603)
6001. c., p. 477. W aite , The Real History ofthe Rosicrucians. p. 268 ff.
3 06
266
III Die Personifikation der Gegensätze
ten Kirche sich schon bald in «sacramenta» verwandelten. Das W o rt mysterium ist zur Floskel geworden, indem am Ritus alles offen zutage liegt. C h r is t ia n R o sen c r eu tz hat seiner «Chyrmschen Hochzeit» das M otto vorgesetzt: «Arcana publicata vilescunt; et gratiam profanata amittunt. Ergo: ne Margaritas obiice porcis, seu Asino substerne rosas.» (Öffentlich gewordene und profanierte My sterien welken dahin und verlieren die Gnade. Also: wirf die Perlen nicht den Säuen vor oder streue dem Esel keine Rosen.) In dieser Haltung könnte das Mo tiv zum Schweigen liegen. Man hat ja in vielen Fällen in Erfahrung gebracht, was in gewissen Mysterien geheimgehalten und unter den schwersten Eiden ver schwiegen wurde, und hat sich reichlich gewundert, warum oder wozu derarti ges überhaupt geheimgehalten wurde. Man glaubte, auf Wichtigtuerei oder Prestigeabsichten der Priesterschaft, respektive der Mysteriengenossenschaft, schließen zu müssen. Daß auch dieser Mißbrauch vorhanden ist, kann nicht be zweifelt werden. Aber der eigentliche Grund besteht darin, daß ein dringendes Bedürfnis vorhanden ist, an einem oder vielleicht an dem Geheimnis teilzuneh men, ohne welches das Leben seinen höchsten Sinn verliert. Der geheimgehalte ne Inhalt ist zwar nicht verbergungswürdig, aber seine hartnäckige Geheimhal tung verrät ein ebenso ausdauerndes psychisches Motiv zur Geheimhaltung, und das ist das Geheimnis, das eigentliche Mysterium. Es ist merkwürdig, ge heimnisvoll und «mysteriös», daß überhaupt die Geste der Geheimhaltung ge macht wird; mit anderen W orten: W arum braucht der Mensch das Geheimnis, und wozu erschafft er ein künstliches, das er sogar zu einem hochheiligen Ritus ausgestaltet? Das jeweils Verborgene ist mehr oder weniger irrelevant, denn es ist an sich nicht mehr als ein Bild und Zeichen, das auf einen nicht näher zu definierenden Inhalt hinweist. Dieser ist nun allerdings alles andere als gleich gültig, indem er nämlich die lebendige Gegenwart eines numinosen Archetypus bedeutet. Wesentlich ist zunächst das Verbergen, welches eine Ausdrucksgebär de darstellt; eine Gebärde, die ein dahinterliegendes, unbewußtes arrheton sym bolisiert, also etwas, was entweder noch nicht bewußt ist oder nicht bewußt werden will oder kann. Kurz gesagt: es ist die Gegenwart eines Unbewußten, das eine immer wiederkehrende Rücksichtnahme und Aufmerksamkeit vom Be wußtsein erfordert. Mit der Inanspruchnahme des Interesses wird die fortlaufen de Wahrnehmung und Assimilierung jener Einflüsse und Wirkungen des Ge
heimen ermöglicht. Für die Lebensführung bedeutet dies einen Vorteil, indem die Inhalte des Unbewußten sich kompensatorisch zum Bewußtsein verhalten und damit, wenn wahrgenommen und erkannt, eine Ausbalancierung, die sich als lebensfördemd erweist, bewirken. Auf primitiver Stufe haben daher die My-
5. Sal
267
sterien hauptsächlich W achstum, Fruchtbarkeit und Gesundheit fördernde Wirkung. Und wenn an diesem Ritus nichts Gutes wäre, so wäre er vermutlich entweder nie zustandegekommen oder schon längst verschwunden. Die gewalti ge psychische W irkung der Eleusinien zum Beispiel steht außer Frage. Durch die psychotherapeutische Erfahrung ist die Bedeutung des Geheimnisses wieder zu einer akuten Frage geworden, nicht etwa nur in religiöser oder weltanschauli cher Hinsicht, sondern auch in Ansehung der Gewissensforderungen, welche die Individuation an den Menschen stellt. Maiers Schweigen ist beredt, wie wir bald finden, wenn wir versuchen, das vsi psychologische Äquivalent des descensus und der Auffindung des Mercurius herauszustellen. Die größtmögliche Bewußtheit konfrontiert das Ich m it sei nem Schatten und die individuelle seelische Existenz m it einer kollektiven Psy che. Diese psychologischen Termini klingen zwar leicht, wiegen aber schwer, denn sie bedeuten einen fast unerträglichen Konflikt und einen seelischen Eng paß, dessen Schrecken nur der kennt, der ihn durchschritten hat. W as man da bei über sich selber sowohl wie über Menschen und W e lt erfahren hat, ist so beschaffen, daß man nicht gerne davon spricht, und übrigens ist es dermaßen schwer zu bechreiben, daß einem schon beim bloßen Versuch dazu der M ut ent fällt. Es braucht also keineswegs eine leichtfertige Ausflucht zu sein, wenn M a ie r
seine sermones m it Mercurius bloß andeutet. Beim Zusammenstoß mit
Leben und W elt gibt es Erlebnisse, welche imstande sind, ein langes und gründ liches Nachdenken zu erzeugen, woraus mit der Zeit Einsichten und Überzeu gungen emporwachsen (was die Alchemisten eben mit ihrer arbor philosophica ausdrücken). Die Abfolge dieser Erscheinungen ist gewissermaßen geordnet durch zwei Archetypen, nämlich den der Anima, der unbedingtes Leben aus drückt, und den des Alten Weisen, der den Sinn personifiziert601. Unser Autor ist von der Anima-Sibylla bereits zum Durchlaufen der Planetenhäuser als der Vorbedingung alles weiteren geführt worden. Es ist daher nur logisch, daß er gegen das Ende des descensus den dreimal größten Hermes, die Quelle aller Weisheit, antrifft. Damit ist in treffender W eise der Charakter jenes Geistes oder Denkens geschildert, das man nicht wie eine intellektuelle Operation sel ber besorgt, als «kleiner Gott der W elt», sondern das einem zustößt, wie wenn es von einem anderen käme, nämlich von einem Größeren, etwa dem großen Geist der W elt, nicht unpassend als τρισμέγιστο? bezeichnet. Das lange Nach denken, die «immensa meditatio», ist nach alchemistischer Definition ein «col601 Näheres in meinem Aufsatz Über d ie Archetypen des kollektiven Unbewußten, Paragr.66 und 79.
268
III Die Personifikation der Gegensätze
loquium internum cum aliquo alio, qui tamen non videtur» (ein inneres Zwie gespräch mit einem anderen, der aber unsichtbar ist) ®2.
joe
Vielleicht hätte uns M a ie r doch etwas mehr verraten, wenn Mercurius, wie der Bericht lautet, es nicht so eilig gehabt hätte, indem der Zufall es wollte, daß er «damals gerade die Rolle des Schiedsrichters zwischen der Eule und den diese bekämpfenden Vögeln» zu übernehmen hatte®5. Diese Anspielung bezieht sich auf eine kleine Schrift M a ie r s «Jocus severus», welche die W eisheit der Alchemie gegen ihre Gegner verteidigt, ein Thema, das auch in den «Symbola aureae men sae» in Form von Argumenten und Gegenargumenten eine bedeutende Rolle spielt. Man ist daher zu der Annahme berechtigt, daß der Autor in zunehmen den Gegensatz zu seiner geistigen Umwelt geriet, je mehr er sich in die gehei men Spekulationen der hermetischen Philosophie vertiefte. Es hätte sich in der Tat auch nichts anderes erwarten lassen, denn die hermetische Bilderwelt um spielt das Gebiet des Unbewußten. Die unbewußte Kompensation zielt immer auf die am stärksten verteidigten, weil fragwürdigsten, Bewußtseinspositionen, wobei ihre scheinbar feindselige Einstellung bloß jenes unliebenswürdige Ge sicht widerspiegelt, welches das Ich dem Unbewußten zuwendet. In W irklich keit aber ist die Kompensation durch das Unbewußte keineswegs als feindlicher Akt beabsichtigt, sondern im Gegenteil als notwendige und daher im Grunde genommen hilfreiche Ergänzung und als Versuch, das Gleichgewicht wieder herzustellen. Ihre Konstellation bedeutet aber für den Autor nicht nur einen äu ßeren, sondern auch einen inneren, schwerwiegenden Konflikt, der mit Uber zeugungsfestigkeit nicht aus der W elt geschafft, sondern nur verschärft wird. Denn jede einseitige Überzeugung ist begleitet von der Stimme des Zweifels, der jede bloß geglaubte Sicherheit in Unsicherheit, welche der W ahrheit besser entspricht, verwandeln möchte. Die schon von A b ä l a r d annähernd erkannte W ahrheit des «sic et non» ist für den Machttrieb des Intellektes schwer zu ertra gen; kein W under daher, daß M a ie r in seiner Auseinandersetzung sozusagen steckenblieb und seine Auffindung des Phönix ad calendas Graecas verschieben mußte. Er ist glücklicherweise ehrlich genug, nie zu behaupten, er hätte den Stein oder das philosophische Gold je gemacht, und hat eben darum nie einen trügerischen Schleier über sein Opus gebreitet. Dank seiner Gewissenhaftigkeit hat er es den späten Nachfahren ermöglicht, wenigstens zu ahnen, wie weit er602
602 R ulandus, Lex. alch., s.v. «meditatio», p.327 [J ungs Übersetzung der deutschen Syntax ang e p a ß t],
Symb. aureae mensae, p.603f.
5. Sal
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in der Kunst gekommen ist und wo seine Bemühungen zum Stillstand kamen. Es ist ihm, mit anderen W orten, nie geglückt, jenen Punkt zu finden, wo sich Konflikt und Auseinandersetzung logischerweise erübrigt hätten; jenen Punkt nämlich, wo sic et non die zwei Aspekte einer und derselben Sache sind. «Du wirst nie das Eine machen, wenn du nicht selber zuvor Eines geworden bist», sagt ein Meister604. G. Regeneration im Meerwasser Nach diesen längeren Ausführungen über die Symbolzusammenhänge, die sich 309 vom Meer und dessen Aspekten abzweigen, kehren wir wieder zurück zum Salz und zum Salzwasser. Die aqua pontica (oder permanens) verhält sich zu einem Teil wie das Taufwasser der Kirche. Seine Hauptfunktion ist die ablutio, die Reinigung des Sün ders, in der Alchemie die des «laton», das heißt des «unreinen Körpers605»; da her der oft wiederholte Satz, der dem obsoleten Autor E lb o I n t e r f e c t o r zuge schrieben wird606: «Dealbate latonem607, et libros rumpite, ne corda vestra rum pantur» (W eißet den Laton und zerreißet die Bücher, damit eure Herzen nicht zerrissen werden) 608. Das «Rosariumphilosophorum» variiert die ablutio609 latonis dadurch, daß die W aschung nicht durch W asser, sondern durch «Azoth et 604 D o rn eu s , Spec.phil. in: Theatr. chem. (1602) I, p.276.
605 Ros. ad Sarrat. in: A rt. aurtf. I, p. 280: «Laton autem est immundum corpus» [Laton ist aber der unreine K örper]. 606 Z. B. M aier , Symb. aureae mensae, ρ. 215. 607 D er «Laton dealbatus» ist mit dem «cristallinen Saltz» identisch
(Khunrath, Hyl. Chaos, Mylius {Phil,
p. 197). Laton ist ebenfalls Arkansubstanz, aber sozusagen m it negativem Vorzeichen.
ref\, p.199) sagt: «Laton est ex Sole et Luna compositum corpus imperfectum ci trinum: quod cum dealbaveris, e t ... ad pristinam citrinitatem perduxeris, habes iterum Latonem ..., tunc intrasti per ostium, et habes artis principium.» [Laton ist der aus Sonne und Mond zusammengesetzte unreine gelbe Körper; wenn du ihn w eiß machst u n d ... zu seiner früheren gelben Farbe zurückbringst, hast du wieder Laton. .. aber dann hast du das T or durchschritten und hast den Anfang des W erkes.] Es ist die prima materia lapidis im Zustand der vilitas, woraus dann die «pretiosa margarita» entsteht. D iese Stelle scheint dem Cons. coniugii (A rs. chem., p. 134) entnommen. Laton ist «terra nigra» (schwarze Erde, p.80, ähnlich p.39). N ach DU Cange [ Glossarium V , p.37: «.. dectri vel de Latone»] habe «Lato» m it «electrum» zu tun (siehe v. Lippmann, Entstehung und Ausbreitung der Alche mie I, p. 481). 608 D as Ros. phil. zitiert diesen Satz [p. 277J ; das gleiche GEBER-Zitat hat [Phil, ref., pp. 39 und 297] «reponite» statt «rumpite». 609
D er Prozeß der ablutio wird von den Alchemisten als «destillatio» verstanden (siehe
P hil, r e f, p.35).
Mylius,
310
III Die Personifikation der Gegensätze
270
ignis610» stattfindet, also eine Art Feuertaufe, wie ja auch das «Wasser» öfters als «Feuer» bezeichnet wird611. Im katholischen Ritus entspricht dem die Über reichung der brennenden Taufkerze in Übereinstimmung mit Matthäus 3,11: «ipse vos baptizabit in Spiritu sancto et igni612.» Ihren Wandlungsprozeß be zeichnen die Alchemisten auch ungescheut als «Taufe» (baptismus). So sagt zum Beispiel das « C onsilium coniugm r. «Et si in fonte auri et argenti baptisati fuerimus, et spiritus corporis nostri cum patre et filio in coelum ascenderit, et descenderit, animae nostrae reviviscent, et corpus meum animale candidum per manebit, scilicet Lunae613.» (Und wenn wir in der Gold- und Silberquelle ge tauft sein werden und der Geist unseres Körpers mit dem Vater und dem Sohne zum Himmel hinaufgestiegen und heruntergestiegen sein wird, dann werden sich unsere Seelen wieder beleben, und mein animalischer Körper wird weiß bleiben, nämlich der Luna.) Die Subjekte dieses Satzes sind Sol und Luna. «A u ro ra consurgens /» unterscheidet drei Taufarten: «..baptizando flumine sanguine et flammis614» (durch Taufen im Fluß, im Blut und im Feu er), womit die christlichen Vorstellungen direkt auf die chemische Prozedur übertragen werden. Dies gilt auch für die Idee, daß die Taufe ein Eintauchen in den Tod sei, entsprechend Colossenses 2,12: «..consepulti ei in baptismo, in quo et resurrexistis» («indem ihr mit ihm begraben worden seid in der Taufe»). So gibt die Symboltabelle des P b n o t u s folgende Zuteilungen zum «Mysterium baptismatis»: Luna, Manes et Lemures (Totengeister und Gespenster), Dii in fernales (Unterweltgötter) und als Stufe im Prozeß die solutio, welche die totale Auflösung des corpus imperfectum in der aqua divina, die submersio, die morti ficatio und das Begräbnis bedeutet615. Die putrefactio findet im Grabe statt, und 610 Ein HBRMBS-Zitat: «Azoth et ignis latonem abluunt, et nigredinem ab eo auferunt.» [Azoth und Feuer waschen den Laton und beseitigen dessen Schwärze.) (Art. aurif. II, p. 277) 611 M y l iu s hat: «Ignis et aqua latonem abluunt et eius nigredinem abstergunt.» [Feuer und
W asser waschen den Laton und reinigen dessen Schwärze.) 612 D ie mit der Taufe verknüpfte Feuersymbolik drückt sich besonders deutlich aus im Hymnus des hl.
Romanos, D e Theophanw. 'θεω ρώ ν
έν μ έσ ω τώ ν ρ είθρ ω ν τόν ιτοτε / ιταίδων τριώ ν μέ
σον φ α νέντα δρόσον έν / m ip i νυν ιτυρ έν τ ώ Ιο ρ δ ά ν η λάμιτον usw. Übers.: «Indem ich ihn schaue inmitten der Fluten, ihn, der einst mitten unter den drei Jünglingen (.D an. 3,24 ff.> wie Tau im Feuer erschien, jetzt ein Feuer im Jordan leuchtend...» (P it r a , Analecta sacra Ι,Ρ -2 1 ).
615 [p. 128.) 614 [K p. IX , Vierte Parabel, pp. 70/71.) Eine weitere Stelle lautet: «Cum autem flammis baptizat, tunc infundit animam» [«W enn er aber in Feuerflammen tauft, dann flößt er die Seele ein»),
615 \Theatr. chem. (1602) II, p .123; Penotus = B.
à
Portu Aquitanus)
Das klassische Bei
spiel hiefür ist die Auflösung des Gabricus im Leibe der Beya: « ... in partes indivisibiles divisit» [in unzerteilbare Teile zerlegte] (Ros.phil. in: Art. aurif. II, p. 246).
5. Sal
271
der üble Geruch, der sie begleitet, ist derjenige der Gräber616. Das Motiv des Einschließens in der Unterwelt kommt schon in der griechischen Alchemie vor, in einer Stelle des KoMARios-Traktates, 13, 17: έν γάρ τώ "Αδη κατάκλεισον αύτά und 13, 20 : .. έν τώ "Αδη κλείσατε αύτά (schließt sie
PHANOS (7.Jh .) sich so antikisierend ausgedrückt hat, bleibe dahingestellt. D ie Stelle gehört in der T at in den KOMARIOS-Traktat, wo sie sich 10, 22 ff., p. 293, dem Sinne nach bereits findet. Es heißt dort: τιτρ ώ σκο υ σ ιν αύτήν κλΰδω νε? ... έν τ ώ -Α δ ει κ α ί”εν τώ τά φ ω έν ώ κα τά κειντα ί: -Ο ταν δέ ά ν εω χ δ ή ή τάφ ο?, άνα βήσονται α υ τά έξ -Α δ ο υ ώ? ο ια βρέφ ο? έκ γα στσό?. Übers.: «D ie W ogen verletzen sie ... im Hades und im Grabe, in dem sie liegen. W enn aber das Grab geöffnet ist, dann werden sie aus dem Hades heraufsteigen wie das Neugeborene aus dem Bau che.» 618 Catecheses mystagogicae, IV, 4 [M igne , P. G . X X X I I I , col. 1079] . 619 [Das W asser fuhrt ihn wie einen Sterbenden ins Grab, der Heilige Geist aber wie einen Auf erstehenden zum Himmel. PiTRA, A nalecta sacra, V , p .l5 0 b .] 620 B e r t h e l o t , IV , i i , 2 , 1 0 f, p. 262. 621 A n A ncient Chinese Treatise on A lchem y, pp. 238 und 251.
III Die Personifikation der Gegensätze
272
was unmittelbar an die ΰδατα τά ευλογημένα (gesegneten W ässer) des K o m a Rios-Traktates erinnert: auch sie bringen den Frühling622*. Der uralte Gebrauch des Wassers beim Opfer und die große Rolle, die es besonders in Ägypten (fiir uns das Ursprungsland der westlichen Alchemie) spielte, waren wohl die Vor stufen der späteren Wassersymbolik Dabei dürften Vorstellungen des Volks glaubens und -aberglaubens, wie sie uns noch in den Zauberpapyn entgegentre ten, eine vermittelnde Funktion ausgeübt haben: so könnte es auch ebensogut ein alchemischer Traktat gesagt haben, wenn es in einem Papyrus heißt: έγώ φυτόν άνομα ßatfs, έγώ άττόρροια αΐματο«... ό έκπεφυκώ« έκ τοΰ Β υ θ ο ί6Ά. . . , έγώ είμι τό ιερόν δρνεον Φοΐνιξ624. . . , έγώ είμι ό Ή λ ιο « ... έγώ είμι Άφ ροδείτη... έγώ είμι Κρόνο« ό δεδειχώ« φώ«... έγώ είμιΌσιρι« ό καλούμενο« ύδωρ, γώ είμι Τσι« ή καλούμενη δρόσο«, έγώ είμι Ήσενεφυ« <(Isis-Nephthys> ή καλούμενη έαρ usw.625. Ein personifiziertes hydor theion könnte sich leicht solcher Sprache bedienen. Die W irkung der christlichen Taufe ist die Ablution der Sünden und die Aufnahme in die Kirche als das irdische Reich Christi, die Heiligung und W ie dergeburt durch die gratia sanctificans (heiligmachende Gnade) und die Verlei hung des character indelebilis (unauslöschliches Merkmal) des Getauftseins. Die W irkung der aqua permanens ist ebenso wunderbar. So sagt die «Gloria
mundhr. «Das Mysterium jedes Stoffes (rei) ist das Leben, das heißt W asser; das Wasser nämlich löst den Körper in Geist auf und weckt einen Geist von den Toten auf» (a mortuis excitat vivum aliquem spiritum)626. Die·Auflösung in Geist, die Volatilisierung oder sublimatio entspricht chemisch der Verdamp-
622Berthelot, 1. c., IV , XX, 8 ,9
und 12, pp. 2 9 2 ,293,294.
Im Traktat Ή το ΰ μυστικού δδατο« ττοίησι« des Christianos
(Berthelot, Le., V I, v, 6,
12, p.4o4) findet sich das ένα βύσσα ιον ύδω ρ [Wasser des Abgrundes; Titel: «D ie Herstellung des mystischen Wassers»; im Buche steht μ υθικού, von J ung verändert.]
624 W o h l die früheste Erwähnung des Phönix findet sich bei Zosimos (BBRTHELOT, 1. c., III, vi, 5, 2, p. 121) als ein O stanes-Zitat von einem ά ε-ros χαλκούϊ, κατερχόμενο« έν ττηγη καθαρή καί λουόμενο« καθ’ ημέραν, έντευθεν άνανεούμενο«. [Der eherne Adler steigt in die reine Quelle, wäscht sich darin und wird täglich von dort erneuert.]
625Preisendanz, Pap. G raecae M ag. II, p.73f., Pap. X I I, Z. 228-239. Übersetzung
[von J ung] :
«Ich bin die Pflanze m it Namen Ba'is, ich bin ein Ausfluß des Blutes... der Auswuchs des Abgrun d e s... ich bin der heilige Vogel P h ö n ix... ich bin H elio s... ich bin A phrodite... ich bin Kronos (Saturn), der Licht gezeigt h a t... ich bin Osiris, genannt W asser, ich bin Isis, genannt Tau, ich bin Esenephys, genannt Frühling» usw. 626 M us. herm ., p. 262. Diese Ansicht wird dem «Socrates» in den Mund gelegt. Sie entspricht ei nigermaßen dem Inhalt des Sermo X V I der T u rbaphiL [hg.
Ruska, p. 125 £ ].
5. Sal
273
fung oder wenigstens der Austreibung vergasbarer Bestandteile wie Quecksil ber, Schwefel usw. Psychologisch aber kommt sie der Bewußtmachung, das heißt der Integration eines bis dahin unbewußten Inhaltes gleich. Unbewußte Inhalte sind gleichsam irgendwo im Körper versteckt, etwa wie ein Krankheits dämon, dessen man im Bewußtsein nicht habhaft werden kann, ganz besonders dann, wenn sie körperliche Symptome, deren organische Ursachen nicht nach zuweisen sind, verursachen. Der «Geist», der von den Toten aufgeweckt wird, ist in der Regel der «Geist Mercurius», der als anima mundi allen Dingen inhä rent ist, und zwar in latentem Zustand. In unserem Traktat ist es zwar, wie aus dem der zitierten Stelle unmittelbar folgenden Abschnitt hervorgeht, sal, von dem gesagt wird: «Und das ist jenes, welches wir suchen: alle unsere Geheim nisse nämlich umfaßt es in sich.» Das Salz aber «nimmt seinen Ursprung aus dem Mercurius». Sal ist also hier ein Synonym der Arkansubstanz. Das Salz spielt bekanntlich auch im römischen Ritus eine beträchtliche Rolle, zunächst einmal in geweihtem Zustande als Zusatz zum Weihwasser, und dann beson ders in der Taufzeremonie, wo dem Täufling einige Körnchen geweihtes Salz verabreicht werden mit den W orten: «Accipe sal sapientiae; propitiatio tibi sit in vitam aetemam.» (Empfange das Salz der W eisheit; es möge dir Versöhnung sein zum ewigen Leben.) 627 Da die Alchemie sich bestrebt, ein unverwesliches corpus glorificationis her- su Zustellen, so hat sie, wenn ihre Absicht gelingt, in der albedo (W eißung) jenen Zustand des Körpers erreicht, welcher, als makellos, der Zersetzung keine Mög lichkeiten mehr bietet. Daher wird der weiße Körper der Asche628 (cinis) als «diadema cordis» (Diadem des Herzens) oder unter dem Synonym «terra alba foliata» (geblätterte weiße Erde) als «Corona victoriae» (Siegeskranz) bezeich net629. Die «Asche» ist identisch mit dem «reinen Wasser», das «gereinigt ist von den Finsternissen der Seele, von der Materie der Schwärze. Es wird nämlich von ihm <(dem Wasser> abgetrennt die Bosheit (malitia) dessen, was die schlechte Irdischkeit ist630.» Diese «terrestreitas mala» ist die «terra damnata» anderer Autoren, welche jenen «Erdenrest, zu tragen peinlich631», jene nicht ab621 [R itu ale Rom anum .] 62s Asche ist der «kalzinierte», ausgeglühte, d.h. von aller Zersetzbarkeit befreite Körper. 629 SENIOR, D e chem ia, p. 41 : «Terra alba foliata, est Corona victoriae, quae est cinis extractus a
cinere, et corpus eorum secundum.» [D ie weiße, geblätterte Erde ist der Siegeskranz, das ist die aus der Asche extrahierte Asche und ihr zweiter Körper.] ®° 1. c., p. 40. 631 [Verdammte Erde] — [Faust, 2 .Teil, 5. Akt, Schlußszene: D ie vollendeteren Engel, p.483.]
274
III Die Personifikation der Gegensätze
zuwaschende moralische Mangelhaftigkeit des sterblichen Menschen darstellt. Cinis ist bei S e n io r synonym mit «vitrum» (Glas), das um seiner Inkorruptibilität und diaphanitas willen dem gesuchten Körper nahezukommen schien. Das vitrum steht seinerseits wieder in Verbindung mit dem Salz, das als «terra illa virgo et pura» (jene jungfräuliche, reine Erde) gepriesen wird, denn das «pul cherrimum vitrum cristallinum» (das allerschönste kristallische Glas) bestehe in der Hauptsache aus dem sal Sodae (Sodasalz), welchem Sand als Bindemittel beigemischt sei. So ist die Glaserde aus zwei inkorrupdblen Substanzen gebil det®2. Dazu kommt noch das Feuer, das «reine» Element par excellence. Im «scharfen» oder «brennenden» Geschmack des Salzes glaubte man das ihm inne wohnende Feuer zu erkennen, mit dem es ja auch die konservierende Eigen schaft gemeinsam hat. So wird zum Beispiel A l e x a n d e r M a g n u s Macedoniae Rex zitiert, der gesagt habe: «Ihr sollt wissen, daß das Salz Feuer ist und Trokkenheit632633.» Oder, die Salze sind «von feuriger N atur»634. Aus diesem Grunde besteht auch eine Beziehung zum Schwefel und desen essentieller Feuernatur635. Bei G l a u b e r sind «Feur und Saltz im gründe der Natur einerley», und deshalb würden Feuer und Salz «Bey. . . allen Verständigen Christen. . . in hohem werthe gehalten / der Unweise aber weiß nicht mehr davon / als eine Kühe / Schwein oder ander W elt-Thier / das ohn Verstand dahin lebet». Auch tauften die «Abyssiner» mit W asser und Feuer. Ohne Feuer und Salz hätten auch die Hei den keine Opfer bringen können, und der Evangelist Markus habe gesagt, daß «alle Menschen mit Fewr und alle Opffer mit Saltz sollten gewürtzet seyn636».
H. Deutung und Bedeutung des Salzes W ie Asche ist auch Salz ein Synonym der albedo (oder dealbatio) und iden tisch mit lapis albus, soi albus, Luna plena, terra alba fructuosa, mundificata et calcinata usw.637. Die Beziehung zwischen cinis und sal ist durch die Pottasche 632 V igenerus , D e igné et sale in: Theatr. chem. (1661) V I, pp. 44 und 45. 633 M us. berm ., p. 217.
634 V igenerus , 1. c., p. 57. 635 1. c., p.127. 636 D e natu ra salium , ρρ. 17 und 16. G iauber bezieht sich hier auf M arc. 9,49: «Omnis enim igne salietur, et omnis victima sale salietur.» 637 [weißer Stein, weiße Sonne, Vollmond, weiße, fruchtbare Erde, gereinigt und ausgeglüht] M y l iu s , P hil, r e f, p. 20.
5. Sal
275
gegeben, und die brennende und ätzende Eigenschaft der Laugen ist ja be kannt638. Schon Senior erwähnt, daß man die dealbatio als «salsatura» (Sal zung) bezeichnet habe639. Das Dunkel dieser mannigfachen einander überschneidenden Bedeutungen des Salzes beginnt sich etwas aufzuhellen, wenn wir des weiteren vernehmen, daß einer der vornehmsten Sinngehalte von sal der der Seele ist. Als weiße Sub stanz ist es das «weiße W eib, das Qistalline Saltz», das «sal magnesiae640 no strae» ist eine «scintilla animae mundi» (ein Funken der W eltseele)641. Bei G lau ber
ist das Salz weiblich und entspricht der Eva642. «Sal terrae est anima»
(das Salz der Erde ist die Seele). Dieser bedeutungsschwangere Satz der «Gloria
mundi»643 enthält die ganze Ambiguität der Alchemie: einerseits ist anima jene «aqua permanens, quae solvit et coagulat», also die Arkansubstanz, die stets das Wandelnde und zugleich das zu Wandelnde ist, die natura, quae vincit natu ram, und andererseits die menschliche Seele, die so im Körper gefangen ist wie die scintilla animae mundi im Stoffe, und infolgedessen die gleichen Wandlun gen des Todes, der Reinigung und der schließlichen Glorifikation durchläuft wie der lapis. Sie ist die tinctura644, die «alle Stoffe verfestigt» (coagulat), ja sie «fixiert» (figit) sich selbst, sie stammt «aus der Mitte der Erde» (de media ter ra) und ist die «destructa terra, et nulla res in terra est tincturae similis» (die zerstörte Erde, und kein Ding auf Erden ist der Tinktur ähnlich)645. Die anima 638 Vgl. dazu das dem
Rasis oder Garlandius zugeschriebene W erk L ib er d e alum inibus et s a li
bus, hg. R u sk a , Paragr. 76ff., pp.80ff./121ff.: « D e speciebus salium». Diese rein chemische Schrift arabischen Ursprungs vermittelt einen Eindruck von den chemischen Kenntnissen der frühmittelal terlichen Alchemie. 639
Senior , 1. c., p. 42.
640 «Magnesia» hat bei den Alchemisten in der Regel die Bedeutung von Arkansubstanz, und keineswegs eine spezifisch chemische. 641 K h u n ra th , H yl. Chaos, p. 197. 642 D e signatura salium , p. 12. Zu Eva als das im Manne enthaltene W eibliche vgl. Psych. un d A ich., Paragr. 192 [und Psych. u n d R elig., Paragr. 4740] . 643 M us. herm ., p. 217. 644 [das ewige W asser, das auflöst und verfestigt] 1. c., p. 217 f. 645 W ie sehr die tinctura das «Taufwasser» ist, sieht man im griechischen W ortlaut, z. B. Ber thelot, 1. c., V I, x v iii, 4 ,2 ; p. 449: σ ώ μ α τα δντα, 'πνεύματα γίνοντα ι, ινα έν τη κ α τα β α φ η τού ττνεύματο5 βάψ ει. [W as Körper ist, wird Geist, damit es im Taufbad des Geistes taufen kann.]. (Ähnlich auch bei
Pelagios (Berthelot, l.c., IV , i, 9, 17ff., p.258). Dies erinnert Zosimos (Berthelot, l.c., III, 8 ,7 , ρ .245): βατττισθει-
durchaus an die berühmte Kraterstelle bei
σ α τ ω κρα τηρι [sich eintauchend in den M ischkrug], was sich auf die Taufe der Theosebeia in der Poimandresgemeinde bezieht.
3 15
III Die Personifikation der Gegensätze
276
ist also kein irdisches, sondern ein transzendentales Ding, unbeschadet des Um standes, daß es in einer Retorte erscheinen soll. Dieser Widerspruch hat dem mittelalterlichen Geiste noch keine Beschwerden verursacht. Der Grund hiefiir ist kein schlechter: jene Philosophen waren von ihrem seelischen Tatbestand dermaßen erfüllt, daß sie in ihrer Naivität die psychische Sachlage einfach ge treulich reproduzierten. Das Unbewußte, personifiziert und dargestellt durch die Anima, ist an sich transzendent, kann aber im Bewußtsein, das heißt in die ser W elt, erscheinen in der Gestalt eines «Einflusses» auf bewußte Vorgänge. (Man beachte das «Wasser»-Gleichnis, das unserer Sprache immer noch anhaf tet!) W ie die Weltseele alles durchdringt, so auch das Salz. Es ist schlechthin überall und erfüllt daher die Erwartung an die Arkansubstanz, daß sie nämlich überall gefunden werde. Der Leser wird mit mir die nicht geringen Schwierig keiten der Darstellung des Salzes und seiner ubiquitären Beziehungen empfun den haben. Es stellt das weibliche Prinzip des Eros, der alles zueinander in Be ziehung setzt, in nahezu vollkommener W eise dar. Es wird in dieser Hinsicht nur vom Mercurius übertroffen, und die Ansicht, daß es vom Mercurius abstam me, ist daher begreiflich. Gerade als anima, als scintilla animae mundi, ist sal sozusagen die Tochter des spiritus vegetativus der Schöpfung. Sal ist weit unbe stimmter und universaler als sulphur, der durch seine feurige Natur relativ ein deutig bestimmt ist. Von der Verwandtschaft mit der anima mundi, die bekanntlich im Urmen schen (Anthropos) personifiziert erscheint, ist es nicht mehr weit zur Analogie mit dem Christus. G
lau ber
selbst macht die Parallele Sal — Sol = A — Ω (Al
pha - Omega) 64
lau ber
ursprüng
lich Q) gewesen sei6·7, also ein doppeltes Ganzheitssymbol; der Kreis nämlich als faktische, das Quadrat als diskriminierte Ganzheit. Es gibt in der Tat noch ein anderes Zeichen für das Salz, nämlich φ zum Unterschied von Î = Venus, welche zum mindesten m it Verstand und W eisheit weniger zu tun hat als das Salz. G
lau ber
bemerkt (wie oben erwähnt) vom Salz, daß es «den schwartzen
Höllen teuffei überwinde», nämlich das sulphur comburens648. Bei der Schöp fung sei Salz «das erste Fiat» gewesen649. Christus sei das sal sapientiae, das bei 646 D f signatura salium , p.15. 647 1. c., p. 2 }. 646 [verbrennender Schwefel] O e n atu ra salium , p . 42. w l.c .,p .4 4 .
5. Sal
der Taufe verabreicht werde650. G
eorg
von
277 W e l l in g
fuhrt diese Gedanken
des näheren aus: Christus ist das Salz, Fiat ist das Verbum, das zu unserer Erhal tung von Ewigkeit gezeugt ist. Christus ist das «süße fixe Saltz der stillen sanfften Ewigkeit». Der Leib ist, wenn durch Christus gesalzen, tingiert (respektive getauft) und darum inkorruptibel651. Die Christusparallele des Salzes eignet der späten alchemistischen Spekula- 318 tion, die nach J
acob
Böhme
einsetzte. Sie ist wie ersichtlich durch die Glei
chung sal = sapientia ermöglicht. Schon in der Antike hat sal die Bedeutung von W itz, Verstand, Geist, gutem Geschmack usw., wie zum Beispiel C ICERO einmal sagt: «Sale et facetiis Caesar... vicit omnes» (Mit Verstand und feinem Scherz hat Cäsar... alle besiegt) 652. Ausschlaggebend für die Anschauungsbil dung in der Alchemie war aber die Vulgata. Schon das «sal foederis» (Salz des Bundes) im Alten Testament hat moralische Bedeutung653. Im Neuen Testa ment findet sich die eine klassische Stelle, Matthaeus 5,13: «Vos estis sal terrae» (Ihr seid das Salz der Erde), die sich an die Jünger richtet und diese gewisserma ßen als Personifikationen der höheren Einsicht und der göttlichen W eisheit an spricht (wie ihnen auch als άττόστολοι und Verkünder der Botschaft die Rolle der άγγελοι zukommt, um die Herrschaft des Gottesreiches auf Erden der Struktur des himmlischen Reiches möglichst anzugleichen). Die andere Stelle ist Marcus 9,50: «Habete in vobis sal et pacem habete inter vos.» (Habet Salz in euch und Frieden untereinander.) Hiezu gehört die früheste neutestamentliche Erwähnung des Salzes, und sie trägt klassischen Charakter, nämlich Colossenses 4,6: «Sermo vester semper in gratia, sale sit conditus, ut sciatis quomodo oporte at vos unicuique respondere». (Eure Rede sei immer liebenswürdig, mit Salz ge würzt, damit ihr wißt, wie ihr einem jeden antworten müßt.) Das Salz ist hier unzweifelhaft die Einsicht, das Verständnis und die W eis- 319 heit. Bei Matthäus sowohl wie bei Markus handelt es sich um ein Salz, das von «Verdummung» bedroht ist. Offenbar muß dieses Salz scharf, wie die Ampeln der klugen Jungfrauen brennend, erhalten werden. Dazu ist wohl eine Pflege des
Geistes erforderlich, welche zum Beispiel durch die Versteifung auf die aus schließliche Betonung des Glaubens keineswegs gewährleistet ist. Jedermann wird zugeben, daß es die Aufgabe der Kirche ist, das Weisheitsgut, die aqua doctrinae, in ursprünglicher Reinheit zu bewahren und doch, dem wechselnden « ° l .c .,p .5 i. 6.1 Opus m ago-cM alisticum , pp. 6 und 31. 6.2 D e officiis, 1 , 133. 6” Z .B . Lev. 2,13.
278
I I I D i e P e r s o n ifik a tio n der G e g e n s ä tz e
Geiste der Zeiten Antwort schuldend, an deren Veränderung und Differenzie rung so weiterzuarbeiten, wie es die Väter taten. Das antike Christentum wurde ja der gebildeten römischen W elt unter anderem auch als eine «Botschaft» in philosophischem Gewand bekannt, wie wir dies zum Beispiel bei H ip p o l y t u s deutlich sehen können. Es war eine konkurrenzfähige philosophische Doktrin, die mit T h o m a s einen gewissen Gipfel der Vollkommenheit erreichte. Sozusa gen bis ins 16-Jahrhundert hinein entsprach der philosophische Wahrheitswert der christlichen Doktrin gradmäßig demjenigen der wissenschaftlichen W ahr heit von heutzutage. Die Ärzte und Naturforscher des Mittelalters fanden sich jedoch vor Proble men, für welche die kirchliche Doktrin keine Antwort hatte. In der Bedrängnis von Krankheit und Tod zögerten die Ärzte nicht, auch die Araber und damit jenes Stück Antike zu Rate zu ziehen, welches die Kirche glaubte ausgerottet zu haben, nämlich die mandäischen und sabäischen Reste des hellenistischen Syn kretismus. Daraus zogen sie ein sal sapientiae, welches der kirchlichen Doktrin anscheinend so unähnlich war, daß bald ein gegenseitiger Assimilationsprozeß einsetzte, der die merkwürdigsten Blüten trieb. Die kirchliche Allegorik blieb, Soweit ich dies feststellen konnte, im wesentlichen beim klassischen Gebrauch von sal. N ur H il a r iu s ( f 367) scheint etwas tiefer in die Natur von sal einge drungen zu sein, indem er bemerkt, daß das Salz «zugleich das Element des Wassers und des Feuers enthalte654.» Dazu bemerkt P ic in e l l u s : «Zwei Ele mente, die eine unerbittliche Feindschaft zwischen sich schüren, finden sich in wunderbarem Bunde im Salz. Das Salz nämlich ist ganz Feuer, und ganz W as ser655.» Im übrigen rät er zum sparsamen Gebrauch des Salzes: «..aspergatur sermo sapientia, non obruatur655», und ein anderer, früherer Bearbeiter der kirchlichen Allegorik, NlGOLAUS C a u ss in u s S.J.656, erwähnt das Salz überhaupt nicht. Dies ist nicht sehr erstaunlich, denn in welchem Verhältnis stehen W eisheit und Offenbarung zueinander? W ie gewisse Bücher des alttestamentlichen Ka nons zeigen, gibt es neben der Sapientia Dei, die in der Offenbarung sich äußert, auch eine menschliche Weisheit, die man nicht hat, wenn man sie nicht 6,4 Com mentarium in M atthaei Evangelium , IV , 10
[Migne, P .L
IX , col.934] : «Sal est in se uno
continens aquae et ignis elementum; et hoc ex duobus est unum.» [D as Salz enthält in sich Wasser und Feuer und ist so eines aus zweien.) 05 [D ie Rede sei m it Salz bestreut, nicht überschüttet.) M undus symholicus, lib. X I I, xxvii, 260 und 263, pp. 711 b und 712 a. ^ P olyhistor symholicus.
5. Sal
279
übt und ausbildet. Markus 9,50 ist daher eine Ermahnung, gewissermaßen dafür Sorge zu tragen, daß man immer genügend Salz bei sich haben sollte, was sich gewiß nicht auf die geoffenbarte W eisheit bezieht, denn diese kann der Mensch nicht besorgen oder erzeugen; wohl aber kann er seine eigene W eisheit pflegen und vermehren. Daß gerade Markus diese Ermahnung enthält, und auch Paulus aus seiner jüdischen Voraussetzung heraus sich ähnlich ausdrückt, entspricht dem traditionellen Judäo-Hellenismus der damaligen jüdischen Gemeinden. Für das Salz einer menschlichen W eisheit bietet eine autoritäre Kirche allerdings geringen Raum. Es ist daher ebenfalls nicht verwunderlich, daß das sal sapien tiae eine unvergleichlich größere Rolle außerhalb der Kirche spielt. So erwähnt Iren a eu s
( f nach 190) die Ansicht seiner Gnostiker, daß «das Geistige dazu
hinausgesandt , damit es hienieden durch die Vermählung mit dem Seeli schen gestaltet, erzogen und emporgehoben werde. Das sei das 657». Das Geistige als das Männliche, vereinigt mit dem Weiblichen als dem Seelischen, ist weit davon entfernt, eine Phantasie der Gnostiker zu sein: sie hat ihren Nachklang gefunden in der Assumptio Mariae, in der Verei nigung von Tipheret und Malchut und in dem GoETHEschen «Das Ewig-Weib liche zieht uns hinan658». H
ip p o l y t u s
erwähnt dieselbe Ansicht als die der Se-
thianer. Er sagt: «W enn aber diese W elle, erregt aus dem W asser durch den W in d und schwanger ge macht in ihrer N atur, den Sprößling des W eiblichen in sich genommen hat, so hält sie das von oben ausgestreute Licht vermittels des W ohlgeruches des Geistes (ττνεύμοιto s)
6,9 zusammen, das heißt den Geist (v o ü v )660 in verschiedenen Gestalten geformt.
Dieses < L ich t) ist ein vollkommener G ott, aus dem unerzeugten Licht von oben und aus dem Geiste (ιτνεύματο?) heruntergebracht in die menschliche N atur, als wie in einen Tempel, durch die Kraft der N atur und die Bewegung des W indes aus dem W asser ge zeugt, vereinigt und vermischt den Körpern gleichsam wie Salz, das den Geschöpfen zu grunde liegt, und ein Licht der Finsternis, strebend danach, von den Körpern gelöst zu werden, und nicht imstande, die Lösung zu finden und einen Ausweg fur sich selber. Ein kleinster Funken nämlich wird v erm isch t...» (H ier folgt eine verdorbene und kontro verse Stelle, die ich überspringe.) « ...alles nun, Nachdenken und Sorge des Lichtes von oben ist es, wie und auf was für eine A rt der Geist (v o is ) vom Tode des sündhaften und
6,7 R efutatio [A dv. haeraes] , I, vi, 1, Bd. I, p. 18. [Faust, 2 .T eil, Schluß.) 659 «Pneuma» hat hier die Bedeutung eines «heiligen Geistes», und weniger die von W ind. 660 Als «Geist» im Sinne von Verstand, Vernunft, mind.
280
I I I D i e P e rs o n ifik a tio n d e r G e g e n s ä tz e
dunklen Körpers losgelöst würde, von dem Vater unten (το ύ κ ά τ ω θ ε ν )661, welcher der W in d ist, der in Getöse und Schrecken die W ogen aufwühlte und einen vollkommenen Geist (ν οϋ ν ), seinen Sohn, erzeugte, welcher aber dem W esen nach nicht sein eigentli cher Sohn war. Er war nämlich ein Strahl von oben, von jenem vollkommenen Licht, überwältigt im finsteren und furchtbaren und bitteren und verunreinigten W asser, und er ist ein leuchtender Geist (ιτνεύμα φ ω τεινόν), dahingetragen über dem W asser662...»
Diese wunderlich schöne Stelle enthält so ziemlich alles, was die Alchemi sten sich über das Salz zu sagen bemühten: Salz ist der Geist, das Lichtwerden des Körpers (albedo), die scintilla animae mundi, gefangen im finsteren Ab grund des Meeres und eben dort gezeugt als ein Licht von oben und als ein «Sprößling des Weiblichen». Man beachte, daß die Alchemisten von H IP P O L Y keine Ahnung haben konnten, denn seine verloren geglaubten «Philosophenmenât) sind erst Mitte des 19-Jahrhunderts in einem der Athosklöster wieder
TU S
entdeckt worden. W er beide kennt, den Geist der Alchemie und die Gnostiker darstellung des H ip p o l y t u s , ist immer wieder aufs tiefste beeindruckt von der inneren Verwandtschaft dieser beiden Bereiche des Geistes. Der Schlüssel zu der obigen und anderen ähnlichen Stellen des « Elenchos» ist, wie ich gezeigt habe, die Phänomenologie des Selbst663. Das Salz ist nun aller dings kein häufiges Traumsymbol. Es erscheint aber in der kubischen Gestalt des Kristalls664, welcher in vielen Patientenzeichnungen die Mitte und somit das Selbst darstellt; ebenso wird die oben erwähnte signatura salis durch die quaternäre Grundstruktur der meisten Mandalas in Erinnerung gerufen. W ie die vielen Synonyme und Attribute des Steins bald den einen, bald den anderen Aspekt desselben hervorheben, so auch die zahllosen Symbole des Selbst. Abge sehen von seiner konservierenden W irkung hat das Salz hauptsächlich die über tragene Bedeutung von sapientia. Z u diesem Aspekte möchte ich noch einige Bemerkungen machen. Ein alchemistischer T ext sagt: «In den mystischen Alle gorien unserer Weisen wird gesagt: W e r ohne Salz operiert, der wird tote K ör per nicht auferwecken... W e r ohne Salz laboriert, spannt einen Bogen ohne Sehne. Man muß hier nämlich wissen, daß die genannten Weisen eines bei wei tem anderen Salzes, als diese vulgären Mineralien es sind, bedürfen... Sie nen661 Beides, der Tod und der untere Vater, sind präzediert von demselben άιτό [von], und daher parallel oder gar identisch, insofern der Erzeuger des Lebens auch der des Todes ist. Auch dies ist ein Hinweis auf die Gegensatznatur des auctor rerum [Urhebers aller D in g e]. 662 Elenchos, V , 19, l4 f£ , p. 119f665 Siehe [J u n g ,] A ion [«Beiträge zur Symbolik des Selbst»]. 664 D er kubische Salzkristall wird bei VON WELLING, l.c., p .4 l, hervorgehoben.
5. Sal
281
nen das Salz die medicina selber» usw.665. Diese W o rte sind zweideutig: Salz be deutet hier ebensogut W itz und Verstand, wie sapientia. W as es mit diesem sal in opere auf sich hat, zeigt eine andere Stelle, die Arkansubstanz betreffend: «Und dies ist das Blei der Philosophen, welches sie Blei der Luft nennen, in wel chem sich die strahlende, weiße Taube befindet, die
h un rath
schaut die Aussagen über das Salz in kühner W eise
zusammen: «Unser W asser», sagt er, «(so ohne Saltz der W eisheit nicht ge macht kan werden, ja es ist das Saltz der W eisheit selbst) sagen die Philosophi ist ein Fewer, ja ein Saltzfewr das rechte Menstruum Vegetativum Universale». «Ohne Saltz» hat die Arbeit keinen Erfolg669. Im Amphitheatrum bemerkt der selbe Autor: «Das Salz ist von den Weisen nicht ohne ernstlichen Grund mit dem Beinamen der W eisheit geschmückt worden.» Das Salz ist der Lapis, ein «Mysterium celandum» (ein geheimzuhaltendes Mysterium)670. V iG E N E R U S sagt, der Erlöser habe auch seine Apostel erwählt, «daß sie das Salz der Men schen seien und diesen die reine und unverderbliche Doktrin des Evangeliums verkündigten» usw. Von den «Cabalistae» weiß er zu berichten, daß die «com putatio671» des hebräischen W ortes «melach» (sal) 78 ergebe. Diese Zahl könne durch jeden Divisor geteilt werden und ergebe immer ein W o rt, das sich auf das
665 T ract, aureus in: M us. herm ., p. 20. 666 G rasseus , A rca arcan i in: Theatr. ehern. (1661) V I, p. 314. 667 G loria m undi in: M us. herm ., p. 216. 668 In: M us. herm ., p.88. 669 Hyl. Chaos, pp. 229 und 254. 470 A m phitheatrum chemicum, p. 197. D er Lapis aber entspricht dem Selbst. 671 D ie computatio bedeutet die sog. isopsephia, nämlich jene Summe, welche sich aus den Zah lenwerten der einzelnen Buchstaben eines W ortes ergibt und dieses mit einem anderen W o rt mit dem gleichen Zahlenwert parallelsetzt.
III Die Personifikation der Gegensätze
282
«mysterium nominis Divini» beziehe. W ir wollen uns in seine Schlußfolgerun gen nicht weiter vertiefen und nur anmerken, daß aus allen diesen Gründen «ad cultus Divini administrationem in omnibus oblationibus et sacrificiis672» das Salz verwendet werde. Glauber bezeichnet Christus als das «Sal Sapientiae» und den Lieblingsjünger Johannes als «mit dem Saltz der W eißheit gesaltzen673».
im
Neben der lunaren Feuchtigkeit und der terrestrischen Qualität des Salzes stechen die Eigenschaften der amaritudo und der sapientia am meisten hervor. W ie in dem Doppelquaternio der Elemente und der elementaren Eigenschaften Erde und Wasser die Kälte gemeinsam haben, so bilden auch amaritudo und sa pientia einen durch ein Drittes vermittelten Gegensatz. Das beiden Gemeinsa me ist, so inkommensurabel die beiden Vorstellungen auch zu sein scheinen, psychologisch die Funktion des Gefühls. Tränen, Leid und Enttäuschung sind bitter, die W eisheit aber ist die Trösterin in jedem seelischen Schmerz; ja, Bit terkeit und W eisheit bilden eine Alternative: W o Bitterkeit, da fehlt die W eis heit, und wo Weisheit, da gibt es keine Bitterkeit. Der weiblichen Natur also ist das Salz als der Träger dieser schicksalhaften Alternative zugeordnet. Die männliche Sonnenhaftigkeit, welche die rechte Hälfte unseres Doppelquaternio 672 «Zum Gottesdienst in allen Darbringungen und Opfern.» (D e igné et sale in Theatr. ehern., 1661, V I, pp. 129 und 130) m D e natura salium , pp. 51 und 25. Christus als sal sapientiae stellt ein weiteres Symbol des Selbst dar.
3. Sal
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beansprucht, kennt weder Kälte, noch Schatten, noch Schwere, weil sie, solange alles wohl steht, sich möglichst mit dem Bewußtsein, das heißt in der Regel mit der Idee, die man von sich selber hat, identifiziert. In dieser Idee pflegt der Schatten zu fehlen. Erstens weil sich niemand gerne etwas Minderwertiges ein gesteht, und zweitens weil die Logik es verbietet, eine weiße Sache schwarz zu nennen. Ein guter Mensch hat gute Eigenschaften, und nur der Böse hat schlechte Eigenschaften. Vom Prestige wollen wir vollends schweigen. Ein tref fendes und allgemein bekanntes Beispiel fur das männliche Präjudiz sind der Übermensch N
ie t z s c h e s
und die «blonde Bestie», das goldglänzende Sonnen
tier, der Löwe, christlich eine allegoria diaboli und Sinnbild des Heidentums (darum so häufig eine Säulenbasis bildend!), alchemistisch die Warmblüterstufe, welche nach der Tötung des draco mercurialis erreicht wird, ein Sinnbild un gezügelter concupiscentia (infolge welcher ihm die Pfoten abgehauen werden!). Der Übermensch sträubt sich gegen das Mitleid und gegen den «häßlichsten Menschen», welcher den gewöhnlichen bedeutet, der man eben ist. Der Schat ten darf nicht gesehen, sondern muß geleugnet, verdrängt oder in etwas Unge wöhnliches umgebogen werden. Die Sonne strahlt immer, und alles strahlt ihr Licht zurück. Nirgends ist Raum gelassen für prestigehemmende Schwäche. So wird der sol niger nirgends gesehen. Sein Vorhandensein wird nur in einsamen Stunden gefürchtet.674 Dahingegen steht es m it der Luna anders: In jedem Monat wird sie bis zur j» Unkenntlichkeit verdunkelt, was jedermann sehen und wissen kann, und sie sel ber kann es niemandem verheimlichen, nicht einmal sich selber. Sie weiß, daß dieselbe Luna bald hell, bald dunkel ist. Von einer dunklen Sonne aber hat noch niemand gehört. Man nennt diese Eigenschaft der Luna die Natumähe der Frau, während der feurige Glanz und die erhitzte Luft von außen die Dinge umspie len, was man gerne als männlichen Geist bezeichnet. Trotz allen Leugnungs- und Verdunkelungsversuchen gibt es ein Unbewuß- 526 tes, das heißt einen sol niger, der den Anlaß bildet zu einer geradezu überra schenden Häufigkeit der männlichen Gespaltenheit, wo die eine Hand nicht weiß, ja nicht wissen darf, was die andere tut. Aus dieser Spaltung in der männ lichen Seele einerseits und aus dem regelmäßigen novilunium der Frau anderer seits erklärt sich die bemerkenswerte Tatsache, daß die Frau beschuldigt wird, alles Dunkle an den Mann heranzubringen, während er sich im Gedanken
m [Z u
Nietzsches Begriffen vgl.
alogie d er M oral, p. 322.]
A lso sprach Z arathustra, p. 382 ff. und passim, und Z ur Gene
284
I I I D i e P e r s o n ifik a tio n d e r G e g e n s ä tz e
sonnt, der ihn umgebenden Weiblichkeit eine wahrhafte Quelle von Lebens kraft und Erleuchtung zu sein. In Wirklichkeit hat er oft sein Bestes getan, wenn er den Glanz seines Geistes in profundesten Zweifel zog. Es fällt dem «Geiste» (der neben anderem auch ein großer Betrüger wie Mercurius ist) nicht schwer, in überzeugender W eise ein Heer der Sünden zuzugeben und damit auch noch das gefälschte Gefühl einer ethischen Haltung zu verbinden, ohne im geringsten einer wirklichen Einsicht nahezukommen, welche nämlich nie ohne Beteiligung des Gefühls erlangt werden kann. Dieses wird eben vom Intellekt nur da zugelassen, wo es ihm paßt. Das lunare Dunkel der Frau ist für den Mann die Quelle zahlreicher Enttäuschungen, die leicht Bitterkeit bewirken, aber ebensosehr auch die W eisheit gewährleisten, sofern sie vom Manne ver standen werden. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn er bereit ist, seinen sol niger, nämlich den «Schatten» anzuerkennen. Eine Bestätigung für unsere Deutung des Salzes als Eros, das heißt als Ge fühlsbeziehung, ergibt sich auch daraus, daß, wie wir oben sahen, die amaritudo der Ursprung der Farben ist. Farben sind, wie aus den Zeichnungen und Male reien der Patienten, welche durch Aktive Imagination ihre Analyse unterstützen und begleiten, hervorgeht, Gefühlswerte. So beobachtet man häufig, daß zuerst nur zum Bleistift oder zur Feder gegriffen wird, um flüchtige Skizzen von Träu men, Einfällen und Phantasien festzuhalten. Von einem gewissen Moment an aber bedient sich der Patient der Farben, und zwar von jenem Augenblick an, wo ein bloß intellektuelles Interesse von einer gefühlhaften Anteilnahme abge löst wird. Gelegentlich beobachtet man das gleiche Phänomen auch in Träu men, die in einem solchen Moment ausgesprochen farbig werden, oder wenn auf einer besonders lebhaften Farbe insistiert wird. Die Enttäuschung nun, als ein Schock für das Gefühl, ist nicht nur die Mut ter der Bitterkeit, sondern auch die mächtigste Triebfeder der Gefühlsdifferen zierung. Das Versagen eines Lieblingsplanes, das der Erwartung nicht entspre chende Benehmen einer geliebten Person usw. bildet den Anstoß entweder zu einem mehr oder weniger brutalen Affektausbruch oder zu einer Modifikation und Anpassung des Gefühls, und damit zu einer höheren Entwicklung dessel ben. Diese gipfelt in der W eisheit, und zwar dann, wenn sich zum Gefühl auch die Nachdenklichkeit und die verstandesmäßige Erkenntnis gesellen. Weisheit ist nie gewalttätig, und darum tut in ihr das eine dem anderen auch keine Ge walt an. Angesichts einer solchen Deutung des Salzes und seiner Eigenschaften muß man sich, wie übrigens in allen Fällen, wo es sich um alchemistische Aussagen
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handelt, die Frage vorlegen, ob auch die Alchemisten sich ähnliches gedacht ha ben. W ie unser Material zeigt, war ihnen die moralische Bedeutung der amari tudo durchaus bewußt, und ebenso meinten sie mit sapientia keineswegs etwas anderes, als was man gemeinhin darunter versteht. W ieso aber die Weisheit aus der Bitterkeit hervorgeht oder inwiefern die Bitterkeit den Ursprung der Farben darstellt, darüber lassen sie uns im Dunkeln. W ir haben auch keinen Anlaß zu glauben, daß diese Zusammenhänge ihnen selbstverständlich gewesen wären, so daß sie Erläuterungen dazu für überflüssig halten konnten. Irgendeiner hätte es sonst gewiß einmal ausgeplaudert. Es besteht darum die viel größere W ahr scheinlichkeit, daß sie es einfach so gesagt haben, ohne daß dem ein bewußter Erkenntnisakt zugrunde gelegen hätte. Überdies kommt dazu, daß die Summe aller Aussagen sich höchst selten oder nie bei einem Autor als ein formulierter Sinnzusammenhang dargestellt findet, sondern vielmehr erwähnt der eine dies, der andere jenes, und erst die Zusammenschau, wie wir sie hier vornehmen, er gibt das ganze Bild675. A uf diese Methode weisen die Alchemisten selber hin, und ich muß hervorheben, daß es ihre Ratschläge waren, die mich auf die Spur der psychologischen Deutung brachten. So sagt zum Beispiel das «Rosariumphi losophorum»·. «Lege de parte in partem» (Lies von Seite zu Seite), oder ein ande rer Meisterspruch: «Librorum habeat magnam copiam» (Er soll viele Bücher besitzen), oder: «Liber librum aperit» (Ein Buch erklärt das andere). Das bis ins 19 .Jahrhundert sozusagen völlige Fehlen des psychologischen Gesichtspunktes (der übrigens auch heute noch größten Mißverständnissen begegnet) macht es aber unwahrscheinlich, daß dem Alchemisten etwas wie psychologische Auffas sung zum Bewußtsein gekommen ist. Vielmehr bewegen sich seine moralischen Begriffe ausschließlich auf der Linie der Synonyme und Analogien, mit einem W ort: der Entsprechung (correspondentia). Und so handelt es sich wohl um Aussagen, die nicht aus einem bewußten, sondern vielmehr aus einem unbewuß
ten Denkakt hervorgehen, wie Träume, Einfälle und Phantasien, bei denen man auch immer erst nachher durch sorgfältige Vergleichung und Analyse herausfin det, was sie eigentlich bedeuten. Das Rätsel der Rätsel ist natürlich die immer wieder sich erhebende Frage, wie die Alchemisten eigentlich ihre Substanzen sich vorgestellt haben. W as be deutet zum Beispiel ein «sal spirituale»? Die einzig mögliche Antwort auf diese 675 O lympiodor (B erthelot , l.c., II, iv, 38, 1, p. 91) sagt ebenfalls: Τ ο σ α ύ τη κλεΐ? λόγου τη? έγκυ κλ ίου τέχ ν η ? ή σύνοψι?. (So ist der Sinnschlüssel zu der kreisförmigen Kunst die Zu sammenschau.) D ie T u rba sagt: «. .quanto magis libros legebam, tanto magis mihi illuminabatur» [je mehr Bücher ich las, desto mehr wurde es mir klar] [hg. R uSKA, Sermo X V , p. 125].
350
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Frage scheint folgende zu sein: Die materia chemica war ihnen dermaßen unbe kannt, daß sie zugleich ein Projektionsträger war, das heißt ihr Dunkel wurde ausgeftillt durch unbewußte Inhalte, und so stellte sich eine «participation my stique», das heißt eine unbewußte Identität676 mit dem chemischen Stoffe her, welche bewirkte, daß sich dieser zum Teil wenigstens wie ein unbewußter In halt verhielt. Von dieser Beziehung bestand eine gewisse Ahnung, welche es den Alchemisten ermöglichte, Aussagen über den Stoff zu machen, die man gar nicht anders als psychologisch verstehen kann. In seiner « Confessio» sagt K h u n r a t h : «Et Lux Sal facta e s t... ein Saltzleib... sal sapientiae677.» Und derselbe Autor sagt, daß der «Mittele Saltz Punct» dem «Tartarus Mundi maioris» entspreche, also der Hölle678. Dies steht in einiger Übereinstimmung mit dem verborgenen Feuer im Salz. Als Arkansubstanz muß dem Salz die Paradoxie und Doppelnatur zukommen. So sagt die «Gloria mun
di», «quod in Sale duo Sales sient» (daß im Salz zwei Salze seien), nämlich sul phur und die «radicosa humiditas» (das humidum radicale), das heißt die denk bar stärksten Gegensätze; darum wurde es auch Rebis genannt679. V iG E N E R U S stellt fest, daß das Salz aus zwei Substanzen bestehe, indem die Salze am sulphur und am argentum vivum Teil hätten680. Letztere entsprechen dem K h u n r a t h schen «Künig und Küniginne», den beiden Wassern «Roth und W e is681». Das 076Ich entlehne den Begriff der «participation mystique» im oben definierten Sinne den Arbeiten ÜVY-B ruhls. Neuerdings wird diese Idee von Ethnologen abgelehnt, z.T. mit der Begründung, daß die Primitiven sehr gut zwischen den Dingen zu unterscheiden wüßten. Letzteres ist unzweifel haft; es ist aber auch nicht zu leugnen, daß bei ihnen inkommensurable D inge dasselbe inkommen surable tertium comparationis besitzen können. Man denke nur an die ubiquitäre Applikation von «mana», das W erwolfmotiv usw. Überdies stellt die «unbewußte Identität» ein psychisches Phäno men dar, m it dem der Psychotherapeut sozusagen täglich zu tun hat. Von gewissen Ethnologen wird ebenso der m it der participation aufs engste verbundene Begriff des «état prélogique» abge lehnt. D er Ausdruck ist in der T a t nicht gerade glücklich, denn der Primitive denkt in seiner Art genauso logisch wie wir. U vy -B ruhl wußte dies, wie ich m ich in persönlicher Unterhaltung über zeugen konnte. Er verstand als «prélogique» nur die unserer rationalistischen Logik widerstreiten den primitiven Voraussetzungen. D iese sind allerdings öfters befremdlich und verdienen, wenn auch nicht die Bezeichnung «prélogique», so doch «irrational». Erstaunlicherweise hat Lévy -B ruhl in seinem postum veröffentlichten Tagebuch diese beiden Begriffe widerrufen. Dies ist um so merk würdiger, als er sich m it seinen Begriffen auf einem psychologisch durchaus sicheren Boden befand. 677 [Und das lic h t ist Salz geworden - Salz der W eisheit] HyL Chaos, p. 74. Diese Stelle ist wohl nicht ohne Beziehung auf Jo b . 1,9: «Erat lux vera, quae illuminat» usw. 678 [unterster Grund des Makrokosmos] l.c., p.194. 679 [Re-bis, Zwei-Ding] M u s.h erm .^ . 218. 680 D e igné et sale in: T heatr. ch m . (1661) V I, p. 127.
5. Sal
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Salz erscheine während der Arbeit (in labore) wie Blut (instar cruoris)681682. «Es ist sicher», sagt D o r n e u s , «daß aus dem menschlichen Blute ein Salz, der na türliche Balsam des Körpers, erzeugt werde. Es hat in sich die corruptio und den Schutz (praeservationem) vor der corruptio, denn in der natürlichen Ordnung gibt es nichts, was nicht ebensoviel Böses wie Gutes enthielte683.» D o r n e u s war ein Arzt, und sein Ausspruch bedeutet ein für den empirischen Standpunkt der Alchemie bezeichnendes Geständnis. Zur finsteren Natur des Salzes gehören dessen «Schwärze und Gestank», wel- 332 che die «Gloria mundi» hervorhebt684. Es bleibt bei der Auflösung der leben den Körper einerseits zuletzt übrig als «ultimum in corruptione» (Letztes bei der Verfaulung), ist aber andererseits «primum in generatione» (Erstes bei der Zeugung) 685. M y l iu s identifiziert das Salz ausdrücklich mit dem Drachen als dem Ouroboros686. Die Identität des Salzes mit dem typhonischen Meere haben wir bereits erwähnt. Von hier aus könnte man es leicht auch mit dem Leviathan, dem Drachen des Meeres, identifizieren687. Auf alle Fälle besteht eine gewisse amüsante Beziehung des Salzes zum Leviathan, insofern als
A b r a h a m E l e a z a r , ein Kenner der kabbalistischen Tradition, in Anlehnung an Hiob 41,20 folgendes berichtet: «Denn der Behemoth ist ein wilder Ochse, welchen der Höchste der zukünftigen W elt, wie auch den Leviathan eingesal zen oder mit (Salz) gewürzt aufbehält688», und dies offenbar als Nahrung für 681 H yl. Chaos, p. 197 f. 682 G loria m undl in: Aius. herm ., p. 216. 888 Spec.phil. in: T heatr. chem. (1602) I, p. 307. [Vgl. Paragr. 334: lat. Original.] m M us. h e m ., l.c. 685 Steebus , Coelum sephiroticum , p. 29. 686 P hil, ref., p. 195. 087 Ich kann mich nicht erinnern, dieser Beziehung in den Texten je begegnet zu sein. 888 U raltes Chymisches W erk, p. 62. In gekürzter Form ist diese Geschichte erzählt in: B in Go r io n ,
Sagen d er Ju d en , p. 12: «Alles was der Herr in seiner W elt geschaffen hat, hat er Männlein und
W eiblein geschaffen; auch den Leviathan, den Riesendrachen, den gewundenen Drachen, hat G ott erst Männlein und W eiblein geschaffen, und so auch den großen Stier; aber täten sich von ihnen Männlein und W eiblein zusammen und zeugten Ju nge, sie würden die W elt zerstören. W as tat der Herr? Er verschnitt die Männlein und schlachtete die W eiblein; aber das Fleisch salzte er ein, und es wird bis zum großen Mahle frisch bleiben.» D ie Originalstelle findet sich, wie mir Dr. phil. Riwkah Schärf nachwies, im Babylonischen Talm ud, Traktat Baba Bathra, Fol. 74b. Üb. Goldschmidt, B d V III, p. 207. Es heißt dort, daß G ott die gefährliche Begattung dieser Tiere verhindert habe, indem er das Männchen kastrierte und das W eibchen tötete und cs fiir die Frommen in der zukünftigen W elt einsalzte. D as gleiche soll er auch m it dem Behemoth getan haben. Zur Erklärung möchte ich beifugen, daß die beiden Urtiere Leviathan (W asser) und Behemoth (Land) mit ihren W eibchen
288
I I I D i e P e r s o n ifik a tio n d e r G e g e n s ä tz e
die Bewohner des Paradieses689, oder was immer diese zukünftige W e lt bedeu ten mag. »j
Eine weitere düstere Beziehung des Salzes ist diejenige zu dem maleficus Sa turnus, die wir bereits erwähnt haben bei jener Stelle des G r a s s e u s von der Taube, die im philosophischen Blei steckt. Bei der Identität von mare und sal weist V
ig e n e r u s
daraufhin, daß die Pythagoräer das Meer wegen seiner «bitte
ren Salzigkeit.. . Träne des Saturn» genannt hätten690. Schließlich wird dem Sal um seiner typhonischen Verwandtschaft willen auch mörderische Eigenschaft691 zugetraut, wie wir bereits im Kapitel über Sulphur sahen: Sal ist der Mörder des Sulphur, der diesem ein «incurabile vulnus» (unheilbare W unde) zufugt. Dies ist eine seltsame Parallele zur WAGNERschen Auffassung der Amfortaswunde, indem letztere vom «Weiblichen» 692 verursacht wird, und zwar durch einen Zu sammenstoß zwischen dem Gralskönig und dessen W iderpart (Schatten) Klingsor. In der Parabel vom Sulphur spielt also Sal die dunkle Neumondrolle der Luna.
m
Sal als Naturding «tantum mali quam boni continet» (enthält soviel Böses wie Gutes). Als Meer ist es die ΐΓαμμήτηρ, als Träne des Kronos die Bitterkeit und Traurigkeit, als sputum maris ein Auswurf des Typhon, und als «helles Wasser» die Sapientia selber.
335
Die «Gloria mundi» sagt, daß die aqua permanens ein «helles und dermaßen bitteres Wasser sei, daß es niemand genießen kann*3». In einer hymnischen Invokation sagt der Traktat des weiteren: « , . ö aquam in acerba specie, quae tu elementa conservas! ô naturam vicinitatis, quae tu naturam solvis! ô naturam
einen Gegensatzquaternio bilden. D ie coniunctio oppositorum auf der Tierstufe, d. h. in unbewuß tem Zustand, wird, als gefährlich, von G ott verhindert. D ie unbewußte Koinzidenz der Gegensätze würde das Bewußtsein auf einer tierischen Stufe zurückhalten und damit eine Weiterentwicklung desselben verhindern. Bezeichnend für die Beziehung des W eiblichen zum Salze ist der Umstand, daß es gerade das W eibchen ist, das eingesalzen wird. 689 N ach alter Tradition hat G ott nach dem Sündenfall das Paradies weggenommen und in die Zukunft versetzt. 690 [l.c., p. 122] V gl. P lUTARch, Isis und Osiris, 32, 9 f. [p. 56] : .. τό ύιτό τώ ν Π υΟ αγορικών λεγό μ ενο ν, tbs ή θά λα ττο ί Κ ρόνου δόικρυόν έσ τιν [«..d er Ausspruch der Pythagoräer, daß das Meer eine Thräne des Kronos sei»].
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®'· Vgl. dazu die gnostische Anschauung, daß Kronos eine «wasserfarbene Kraft sei, die alles zer störe» (H ippolytus , Elenchos, V , 16, 2, ρ. 11). Siehe in bezug auf die weiteren Zusammenhänge des «hellen» Wassers meinen Aufsatz D er G eist M ercurius, Paragr. 274. 692 [Kundry, von Klingsor «besessen»; vgl. Uhlig, R ichard W agners P arsifal, p .2 7 f.] m M us. herm ., p. 222.
5. Sal
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optumam, quae tu naturam ipsam superas! ... cum lumine coranata et nata es, ... et quinta essentia ex te orta est694.» Diesem W asser sei keines auf der Erde ähnlich mit Ausnahme eines einzigen, nämlich «jener Quelle in Judäa», welche «fons salvatoris, vel beatitudinis» (Quell des Erlösers und des Heils) genannt werde. «Die Philosophen haben mit großer Mühe durch die besondere Gnade Gottes jene edle Quelle gefunden.» Aber die Quelle sei an so geheimem Orte gelegen, daß nur wenige ihr «Sprudeln» kennten, und man den W e g nach Ju däa, wo sie aufzufinden wäre, nicht wisse. Deshalb konnte jener Philosoph695 wohl ausrufen: «O aquam in amara acerbaque specie! Durum enim difficileque cuivis fit, ut fontem illum inveniat696». Die Arkannatur sowohl wie die morali sche Bedeutung des Wassers leuchten unmittelbar ein, und zugleich wird es hier klar, daß es sich keineswegs um die aqua gratiae oder doctrinae der Kir chenlehre handelt, sondern daß es aus dem lumen naturae hervorgeht. Sonst müßte der Autor der «Gloria mundi» nicht ausdrücklich hervorheben, daß jenes Judäa, der Ursprung seiner Quelle, «in arcano loco» sei. Denn wäre es die Kir chenlehre, so müßte sie niemand an «geheimem Orte» ausfindig machen, da diese jedermann zugänglich ist. Auch wäre der Ausruf des Philosophen ganz und gar unverständlich: «O Wasser, von allen für wertlos gehalten, ob dessen Wertlosigkeit und Gewundenheit697 niemand, da er daran gehindert wird, zur ^Vollendung derj> Kunst gelangen und dessen ungeheure Kraft (virtutem) ins Auge zu fassen imstande ist: alle vier Elemente sind nämlich in ihm sozusagen verborgen» usw. Daraus geht unzweifelhaft hervor, daß es sich um die aqua per manens oder pontica, das Urwasser, handelt, in welchem die vier Elemente ent halten sind. Die psychologische Entsprechung des chaotischen Urgewässers698 494 l.c., p.213. Übers.: «O W asser von herber Art, das du die Elemente erhältst! O Natur der Verwandtschaft, als welche du die Natur lösest! O beste Natur, als welche du die Natur selbst über windest ... M it dem Lichte bist du gekrönt und geboren... und die Quintessenz ist aus dir hervorge gangen.» 495 M o r ib n u s : In dessen Traktat findet sich bloß der Ausdruck «aqua benedicta» (p. 34), ferner der Gedanke des «unus fons» (p. 26), der vier Qualitäten und schließlich die wichtige Feststellung, daß niemand zur Vollendung des W erkes gelange, «nisi per animae afflictionem» (p. 18) [geweih tes W asser - eine Quelle - außer durch das Leiden der Seele]. (D e transm ut. met. in: A rt. au rif. II) 496 M us. herm ., p. 214. Übers.: «O Wasser von bitterer und herber Art! Jeden kommt es nämlich hart und schwierig an, jene Quelle zu finden.» 497 «Curvitatem», Krümmung, wohl eine Anspielung auf die Gewundenheit des Wasserlaufes und der «rivuli» des serpens mercurialis [Bächlein der Merkurschlange]. 498 «Darkness there was: at first concealed in darkness this All was undiscriminated chaos.» [Dunkelheit herrschte: zuerst in Dunkelheit verborgen war dieses All ungeschiedenes Chaos.] (R ig-ved aX , 129, 2, in: The Hymns o f the R tg -v ed all, p.575)
290
III Die Personifikation der Gegensätze
ist das Unbewußte, welches jene Alten nicht anders zu erfassen wußten als in projizierter Form, wie übrigens auch heute noch die meisten Menschen den Bal ken im eigenen Auge nicht zu sehen vermögen, wohl aber den Splitter in des Bruders Auge. Diese Primitivität benützt zum Beispiel die politische Propagan da und überwältigt den Naiven mit seinem eigenen Defekt. Der einzige Schutz gegen diese kaum zu überschätzende Gefahr ist die Erkenntnis des eigenen Schattens. Der Anblick dieser Dunkelheit bedeutet Erleuchtung, das heißt Er weiterung des Bewußtseins durch die Integration von bisher unbewußten Per sönlichkeitskomponenten. Die Bemühung der FREUDschen Psychotherapie um die Bewußtmachung des Schattens ist eine ebenso logische wie verdienstliche Antwort auf die allgemein verbreitete Unbewußtheit und die naive Projektions tendenz des Publikums. Es ist, wie wenn F r e u d mit sicherem Instinkt die unge heure geistige Epidemiegefahr, die Europa drohte, noch hätte abwenden wollen. Dabei hatte er aber übersehen, daß die Konfrontation m it dem Schatten keine harmlose Sache ist, die m it «Vernunft» zu erledigen wäre. Der Schatten ist der noch lebendige und wirkliche Primitive im zivilisierten Menschen, und unsere kultürliche Vernunft bedeutet ihm nichts. Er verlangt jene Mittel, die in den Religionen Gestalt gewonnen haben. Selbst damals, als zu Beginn der französi schen Revolution die «Vernunft» siegte, wurde sie schleunigst zur «déesse» ge macht und in Notre-Dame inthronisiert. Der Schatten hat eine gefährliche Fas zination, und darum schützt dagegen nur ein anderes Faszinosum. Der primiti ven Geistesverfassung des Schattens ist mit Vernunft nicht beizukommen, auch beim vernünftigsten Menschen nicht, sondern nur mit einer Erleuchtung, deren Art und Maß dem Grade der Verdunkelung in einer eigentümlichen Weise, nämlich im völligen Gegensatz, entspricht. Der Primitive ist besiegt, wenn er ver blüfft ist. Das hat der böse Geist der politischen Propaganda wohl begriffen. Kein anständiger Mensch aber kann, ohne moralisch unterzugehen, mit geisti ger Massenverfuhrung operieren. Er kann sich nur bemühen, als einzelner Mensch aufrecht zu bleiben (sofern ihm dies gelingt). Er hat dazu Hilfe nötig, denn die hochgepriesene Vernunft versagt. In solchen Situationen nämlich zeigt sich, daß «vernünftig» all das heißt, was den Herren X Y Z als zweckmäßig er scheint, und es ist durchaus fraglich, ob diese Zweckmäßigkeit nicht eben im Grunde genommen das Unvernünftige im schlimmen Sinne ist. Auch der beste W ille kann dieses Dilemma gelegentlich nicht entscheiden. Dies ist der Mo ment, wo sich der primitive Mensch einer höheren Autorität und einer ihm un faßbaren Entscheidung anvertraut. Der Zivilisierte funktioniert in seinem abge steckten Raum zweckmäßig respektive vernünftig. Gerät er aber mit einem ihm
5. Sal
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unlösbar scheinenden Dilemma über die Grenzen seiner Zivilisation hinaus, dann ist er der Primitive: dann hat er «Einfälle» und handelt auf «Eingebun gen» hin; dann denkt er nicht mehr, sondern es denkt in ihm; dann braucht er «magische» Praktiken, um seine Lebenführung zu sichern, denn dann wird die latente Autonomie des Unbewußten aktiv, und dieses fängt an, sich so zu mani festieren, wie es dies zu allen Zeiten getan hat. Die gute Botschaft der Alchemie lautet nun: wie in Judäa einstmals «eine ss6 Quelle aufgesprudelt» ist, so gibt es auch eine arcana Judaea, nach der man den W e g nicht so leicht findet, und eine verborgene Quelle, deren W asser derma ßen wertlos erscheint699 und zugleich so bitter ist, daß es kaum als zu irgend etwas tauglich erachtet wird. W ir wissen aus vielen Andeutungen700, daß der Mensch und sein Inneres der «arcanus locus» ist, in welchem jene «aqua solvens et coagulans», jene medicina catholica oder Panazee, jene scintilla des «natürli chen Lichtes701» gefunden wird. Unser T ext zeigt, wie sehr die Alchemisten ihre Kunst der göttlichen Offenbarung parallelsetzten und sie zum mindesten als eine wesentliche Ergänzung derselben auffaßten. Es waren allerdings wenige electi (Auserwählte), welche die aurea catena (goldene Kette) bildeten, die Himmel und Erde verbindet, aber sie sind die Väter der Naturwissenschaft un serer Tage. Sie sind die unwissentlichen Verursacher des Schismas zwischen dem Glauben und dem Wissen, und sie haben der W elt zum Bewußtsein ge bracht, daß mit der Offenbarung weder Vollständiges noch Endgültiges gesagt ist. «Quae cum ita sint», sagt ein kirchlicher Schriftsteller des 17.Jahrhunderts, «satis erit humano in genio post lucem fidei, Divinae maiestatis veluti refractos radios in mundo et rebus creatis agnoscere702». Die «refracti radii» entsprechen der «quaedam luminositas» (gewissen Helligkeit) in den Naturwesen. Die Offenbarung vermittelt generelle Wahrheiten, welche aber sehr oft die individuelle und konkrete Situation nicht im geringsten erhellen, auch geht das uns unerläßliche Mikroskop, die Maschine überhaupt, keineswegs aus der über lieferten Offenbarung hervor. Da sich nun das menschliche Leben nicht aus-
699 D ie «vilitas» ist auch ein Präjudiz gegen Christus. V g l Jo b . 1,46: «A Nazareth potest aliquid boni esse?» 700 V gl. Psych. und A ich., Paragr. 421. 701 Oder, wie M o rie n u s (A rt. a u n f II, p. 32) anschaulich sagt, «donec veluti oculi piscium elu cescat» [bis es wie Fischaugen aufleuchtet]. 702 C au ssin u s , Polyhistorsym bolicus, p.9. Übers.: «Da sich die D inge nun so verhalten, so wird es, neben dem Licht des Glaubens, den menschlichen Geist befriedigen, gleichsam die gebrochenen Strahlen der göttlichen Majestät in der W elt und in den geschaffenen Dingen zu erkennen».
337
292
III Die Personifikation der Gegensätze
schließlich, ja nicht einmal zu einem beträchtlichen Teil auf den Höhen ewiger Wahrheiten abspielt, so hat die von den Alchemisten und alten Ärzten erschlos sene Erkenntnisquelle der Menschheit willkommene und große Dienste gelei stet; so große, daß das geoffenbarte Licht flir viele überhaupt erloschen ist. Im zivilisierten Raum genügt aber scheinbar die Vernunft und «der Herren eigener Verstand». Außerhalb dieses Raumes leuchtet oder sollte das Licht des Glau bens leuchten. W o aber die Finsternis es nicht begreift (das ist ja die Prärogati ve der Finsternis!), da muß sich einer im Dunkel mühen, ein Opus verrichten, um die «Fischaugen» der Meerestiefe zum Aufleuchten zu bringen, oder die «re fracti Divinae maiestatis radii» aufzufangen, auch wenn daraus ein Licht ent steht, welches die Finsternis, wie gewöhnlich, nicht begreift. W enn aber eine «lux in tenebris lucet, quae tenebras comprehendit703», dann ist die Finsternis aufgehoben. Denn dann ist die Sehnsucht der Finsternis nach dem Licht erfüllt, wenn das Licht durch die Finsternis nicht mehr erklärt werden kann. Die Fin sternis hat nämlich ihren eigenen Intellekt und ihre eigene, sehr ernst zu neh mende Logik. Nur jene «lux, quam tenebrae non comprehenderunt704705», kann die Finsternis erleuchten. Alles, was die Finsternis von sich aus erfaßt, denkt und begreift, ist finster, darum wird sie nur erhellt durch das ihr Unerwartete, Ungewollte und Unbegreifliche. Die psychotherapeutische Methode der Akti ven Imagination liefert treffliche Beispiele in dieser Hinsicht; gelegentlich sind es auch ein numinoser Traum oder ein äußeres Ereignis, welche ähnliche W ir kung haben. Die Alchemie verkündet eine der Offenbarung sozusagen parallelgeordnete, wenn nicht äquivalente Erkenntnisquelle, die ein «bitteres» W asser liefert und sich dem menschlichen Urteil keineswegs empfiehlt. Es ist herb und bitter oder wie Essig10’’ (acetum), das heißt es kommt einen schwer an, die Dunkelheit und Schwärze der umbra solis anzunehmen und diese Finsternis des Schattens zu durchschreiten. Es ist in der T at bitter, hinter seinen hochfliegenden Idealen,
703 Übers.: W enn ein «Licht in der Finsternis leuchtet, welches die Finsternis begreift.» 704 «Ein Licht, das die Finsternisse nicht begriffen haben» [zuJo b . 1,5]. 705 M a ie r schreibt: «Esse in Chemia nobile aliquod corpus... in cuius initio sit miseria cum ace
to, in fine vero gaudium cum laeticia, ita et mihi eventurum praesupposui, ut primo multa aspera, amara, tristia, taediosa gustarem, perferrem et experirer, tandem omnia laetiora et faciliora visurus essem.» [Es gibt in der Alchemie einen bestimmten edlen K ö rp er..., an dessen Anfang steht Elend m it Essig, an dessen Ende jedoch Freude und Glück; so, vermute ich, würde es auch mir ergehen, daß ich zuerst viel Herbes, Bitteres, Traurigkeit und Ekel kosten, ertragen und erfahren, dann aber endlich Glücklicheres und Leichteres sehen werde.] (Symb. aureae mensae, ρ .568)
5. Sal
293
seinen einseitigen und oft verbohrten, aber um so mehr gehätschelten Überzeu gungen, seinen ehrgeizigen, heroischen Ansprüchen kruden Egoismus, infantile Begehrlichkeiten und Bequemlichkeiten entdecken zu müssen. Diese peinliche Korrektur und Relativierung bildet eine unvermeidliche Etappe in jedem psy chotherapeutischen Prozeß. W ie die Alchemisten sagen, beginnt der Prozeß m it der nigredo oder erzeugt diese als unerläßliche Vorbedingung der Synthese, denn Gegensätze, die nicht konstelliert und zum Bewußtsein gebracht sind, können auch nie geeinigt werden. Freud ist bei der bloßen Reduktion auf die minderwertige Hälfte der Persönlichkeit stehengeblieben, beziehungsweise bei dem Glauben, ihrer mit Vernünftigkeit Herr werden zu können. Dabei hat er die dämonische Gefährlichkeit der dunklen Seite, die ja nicht nur in relativ harmlosen Infantilismen besteht, mehr oder weniger übersehen. Der Mensch ist weder so vernünftig noch so gut, daß er dem Bösen eo ipso gewachsen wäre. Die Dunkelheit kann ihn auch verschlingen, namentlich dann, wenn er Gesin nungsgenossen findet. Die Anhäufung in der Masse verstärkt die Unbewußtheit und damit das Böse lawinenartig, wie die zeitgenössischen Ereignisse bewiesen haben. Die Gesellschaftsbildung kann aber auch das Gute fördern; sie ist sogar notwendig wegen der moralischen Schwäche der meisten Menschen, die, um sich überhaupt halten zu können, sich an äußeres Gutes anklammem müssen. Die großen Religionen sind psychische Heilssysteme, die allen denen einen Halt ermöglichen, die sich nicht allein tragen können, und ihrer sind die über wältigende Mehrzahl. Trotz der unzweifelhaft «häretischen Methode» beweisen die Alchemisten mit ihrer positiven Einstellung zum kirchlichen Christentum mehr Klugheit als gewisse moderne Aufklärer. Auch verraten sie —sehr im Ge gensatz zu der heutigen rationalistischen Tendenz - ein zwar sonderbares, aber in all seiner «curvitas» doch beträchtliches Verständnis für die Bilderwelt, über der sich auch der christliche Kosmos aufbaut; eine W elt, deren tragischen Ver lust der Moderne als ein schweres Defizit zu tragen hat. Sie ist für ihn in ihrer historischen Form unwiederbringlich verloren. Dieser Verlust hat bereits Mil lionen von geistig Verarmten erzeugt und sie gezwungen, ebenso klägliche wie giftige Ersatzmittel zu gebrauchen, wofür unsere Zeitgeschichte erschütternde Belege liefert. Für diese Entwicklung kann man niemand verantwortlich machen. Es ist das m rastlose Weiterschreiten der geistigen Entwicklung oder Veränderung, deren bewegende Kräfte den Horizont des Einzelnen bei weitem überschreiten. Er kann mit dieser Entwicklung nur möglichst Schritt halten und sie soweit zu ver stehen suchen, daß er davon nicht blindlings verschluckt wird. Das ist ja leider
294
III Die Personifikation der Gegensätze
das Bedenkliche der Massenbewegung auch im Guten, daß sie blinden Glauben fordert und fordern muß. Die Kirche kann ihre Bilderwahrheiten nicht erklä ren, da sie ja keinen Standpunkt außerhalb anerkennt. So bewegt sie sich immer nur im Rahmen ihrer Bilder, und ihre Argumente bleiben petitiones principii. Die Herde harmloser Schafe war von jeher der symbolische Prototyp der gläubi gen Menge. Zwar kennt die Kirche wohl jene W ölfe im Schafsgewand, welche den Glauben der Menge in die Irre fuhren, um diese dann zu zerreißen. Die Tra gik ist, daß das blinde Vertrauen, das ins Verderben führt, eben gerade in der Kirche geübt und dort als höchste Tugend gepriesen wird. Zwar sagt ein Lo gion: «Estote ergo prudentes sicut serpentes706», und die Bibel selber hebt be kanntlich die calliditas (Lebensklugheit, Verschmitztheit) und die astutia (Li stigkeit) der Schlange hervor. W o werden diese zwar nötigen, aber weniger löb lichen Eigenschaften gebührend entwickelt und ausgebildet? Die Schlange ist ein Inbegriff moralischen Abscheus geworden, und doch ist der, welcher ihre Klugheit nicht besitzt, gerade wegen seines blinden Glaubens dem Verderben ausgesetzt. Die Alchemisten wußten um die Schlange und um die «kalte» Hälfte der N atur707, und sie sagten genug, um uns späte Nachfahren erkennen zu lassen, daß ihre Kunst sich darum mühte, jene Schlange des nächtlichen Nous, den ser pens mercurialis, durch die Stufen der W andlung bis zum «thelesmus», zur Vollendung, zu fuhren708. Die damit Hand in Hand gehende, mehr oder weni ger symbolische oder projizierte Integration des Unbewußten hat dabei offenbar so viele günstige Wirkungen entfaltet, daß sich die Alchemisten zu optimisti schen Aussagen ermutigt fühlten.
706 «Darum seid klug wie die Schlangen» (M at. 10,16). 707 Darüber berichtet H ippo l ytu s folgende Ansicht der Peraten: ό καθολικό? otpis, φησίν, oütos
έσ τιν ό σοφ ό? τή? E lia s λόφο? (D ie universale Schlange ist die weise Rede der Eva.) Das sei
das Mysterium und der Fluß des Paradieses, und das Zeichen, das Kain schützte, damit ihn niemand töte, denn der G ott dieser W elt (ό θ ε ό ? το ϋ δε τού κόσμου) habe sein Opfer nicht akzeptiert. Die ser G ott erinnert sehr an den princeps huius mundi [Fürst dieser W elt] desJohannesevangelium s. Bei den Peraten ist es natürlich der Demiurg, der ιτατήρ κ ά τω θεν , der Vater aus der Unterwelt. (Siehe Elenchos, V , 1 6 ,8f., p. 112.) 706 «Pater omnis thelesmi totius mundi est hic.» [Er ist der Vater aller Vollendung.] (T ab. Sm aragd., hg. R uska , 5., p.2)
G E S A M M E L T E W E R K E V O N C .G JU N G
Bei Arbeiten mit mehreren Auflagen geben wir die Jahreszahlen der ersten und der zuletzt erschienenen Auflage der deutschen Einzelausgaben an. Bände, die vor 1971 erschienen sind, sind im Rascher Verlag, Zürich, erschienen, alle Bände nach 1971 im W al ter-Verlag, Olten.
1. B a n d , 1 9 6 6 ,1 9 8 1 ,1 9 8 9 P S Y C H IA T R IS C H E S T U D IE N Zur Psychologie und Pathologie sogenannter okkulter Phänomene. 1902 Über hysterisches Verlesen. 1904 Kryptomnesie. 1905 Uber manische Verstimmung. 1903 Ein Fall von hysterischem Stupor bei einer Untersuchungsgefangenen. 1902 Über Simulation von Geistesstörung. 1903 Ärztliches Gutachten über einen Fall von Simulation geistiger Störung. 1904 Obergutachten über zwei widersprechende psychiatrische Gutachten. 1906 Zur psychologischen Tatbestandsdiagnostik. 1905
2. B a n d , 1 9 7 9 ,1 9 8 7 E X P E R IM E N T E L L E U N T E R S U C H U N G E N STUD IEN ZUR W ORTASSOZIATION
Experimentelle Untersuchungen über die Assoziationen Gesunder (Jung und R iklin). 1904/1906 Analyse der Assoziationen eines Epileptikers. 1905/1906 Über das Verhalten der Reaktionszeit beim Assoziationsexperiment. 1905/1906 Experimentelle Beobachtungen über das Erinnerungsvermögen. 1905 Psychoanalyse und Assoziationsexperiment. 1905/1906 D ie psychologische Diagnose des Tatbestandes. 1906/1941 Assoziation, Traum und hysterisches Symptom. 1906/1909 D ie psychopathologische Bedeutung des Assoziationsexperimentes. 1906 Über die Reproduktionsstörungen beim Assoziationsexperiment. 1907/1909 D ie Assoziationsmethode. 1910 D ie familiäre Konstellation. 1910
296
Schriftenverzeichnis PSYCHOPHYSISCHE UNTERSUCHUNGEN
Uber die psychophysischen Begleiterscheinungen im Assoziationsexperiment. 1907 Psychophysische Untersuchungen mit dem Galvanometer und dem Pneumographen bei Normalen und Geisteskranken (Jung und Peterson). 1907 W eitere Untersuchungen über das galvanische Phänomen und die Respiration bei Normalen und Geisteskranken (Jung und Ricksher). 1907 Statistisches von der Rekrutenaushebung Neue Aspekte der Kriminalpsychologie D ie an der Psychiatrischen Klinik in Zürich gebräuchlichen psychologischen Untersuchungsmethoden Ein kurzer Überblick über die Komplexlehre Zur psychologischen Tatbestandsdiagnostik: Das Tatbestandsexperiment im Schwurgerichtsprozeß N äf
3. B and , 1968,1985 P S Y C H O G E N E S E D E R G E IS T E S K R A N K H E IT E N Über die Psychologie der Dementia praecox: Ein Versuch. 1907 Der Inhalt der Psychose. (Nachtrag: Über das psychologische Verständnis pathologischer Vorgänge.) 1908/1914 K ritik über E. Bleuler «Zur Theorie des schizophrenen Negativismus». 1911 Über die Bedeutung des Unbewußten in der Psychopathologie. 1914 Über das Problem der Psychogenese bei Geisteskrankheiten. 1919 Geisteskrankheit und Seele («Heilbare Geisteskranke?»). 1928 Über die Psychogenese der Schizophrenie. 1939 Neuere Betrachtungen zur Schizophrenie. 1956/1959 D ie Schizophrenie. 1958
4. B and, 1969,1985 F R E U D U N D D IE P S Y C H O A N A L Y S E D ie Hysterielehre Freuds: Eine Erwiderung auf die Aschaffenburgsche Kritik. 1906 D ie Freudsche Hysterietheorie. 1908 D ie Traumanalyse. 1909 Ein Beitrag zur Psychologie des Gerüchtes. 1910/1911 Ein Beitrag zur Kenntnis des Zahlen traumes. 1910/1911 Monton Prince «The Mechanism and Interpretation o f Dreams»: Eine kritische Besprechung. 1911 Zur K ritik über Psychoanalyse. 1910 Zur Psychoanalyse. 1912 Versuch einer Darstellung der psychoanalytischen Theorie.
1913/1955
Schriftenverzeichnis Allgemeine Aspekte der Psychoanalyse. 1913 Über Psychoanalyse. 1916 Psychotherapeutische Zeitfragen (Briefwechsel Jung/Loÿ). 1914 Vorreden zu «Collected Papers on Analytical Psychology». 1916/1917/1920 D ie Bedeutung des Vaters für das Schicksal des Einzelnen. 1909/1962 Einführung zu W .M , Kranefeldt «Die Psychoanalyse». 1930 Der Gegensatz Freud-Jung. 1929/1969
5. Band , 1973,1985,1988 S Y M B O L E D E R W A N D L U N G * 1952 Erster Teil: Einleitung Über die zwei Arten des Denkens Vorgeschichte Der Schöpferhymnus Das Lied von der Motte Zweiter Teil: Einleitung Über den Begriff der Libido D ie W andlung der Libido Die Entstehung des Heros Symbol der Mutter und der Wiedergeburt Der K am pf um die Befreiung von der Mutter Das Opfer Schlußwort Anhang: D ie Millerschen Phantasien
6.
Band , i960,1981,1986,1989
P S Y C H O L O G I S C H E T Y P E N 1921/1950 Einleitung Das Typenproblem in der antiken und mittelalterlichen Geistesgeschichte Über Schillers Ideen zum Typenproblem Das Apollinische und das Dionysische Das Typenproblem in der Menschenkenntnis
♦Eine Neubearbeitung von «W andlungen und Symbole der Libido». 1912
297
298
Schriftenverzeichnis D as Typenproblem in der Dichtkunst Das Typenproblem in der Psychopathologie Das Problem der typischen Einstellung in der Ästhetik Das Typenproblem in der modernen Philosophie D as Typenproblem in der Biographik Allgemeine Beschreibung der Typen Definitionen Schlußwort Anhang: Vier Arbeiten über Psychologische Typologie. 1913,1925,1928 und 1936
7. B a n d , 1 9 6 4 ,1 9 8 1 ,1 9 8 9 Z W E I S C H R IF T E N Ü B E R A N A L Y T IS C H E P S Y C H O L O G IE Über die Psychologie des Unbewußten. 1943/1966 D ie Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewußten. 1928/1966 Anhang: Neue Bahnen der Psychologie. 1912 D ie Struktur des Unbewußten. 1916
8. B a n d , 1 9 6 7 ,1 9 8 2 ,1 9 8 7 D IE D Y N A M IK D E S U N B E W U S S T E N Über die Energetik der Seele. 1928/1971 D ie transzendente Funktion. 1916/1958 Allgemeines zur Komplextheorie. 1934/1971 D ie Bedeutung von Konstitution und Vererbung für die Psychologie. 1929 Psychologische Determinanten des menschlichen Verhaltens. 1936/1942 Instinkt und Unbewußtes. 1928/1971 D ie Struktur der Seele. 1928/1969 Theoretische Überlegungen zum W esen des Psychischen. 1947/1954 Allgemeine Gesichtspunkte zur Psychologie des Traumes. 1928/1971 Vom W esen der Träume. 1945/1971 D ie psychologischen Grundlagen des Geisterglaubens. 1928/1971 Geist und Leben. 1926/1969 Das Grundproblem der gegenwärtigen Psychologie. 1931/1969 Analytische Psychologie und Weltanschauung. 1931/1969 W irklichkeit und Überwirklichkeit. 1933 D ie Lebenswende. 1931/1969 Seele und Tod. 1934/1969 Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge. 1952 Über Synchronizität. 1952
Schriftenverzeichnis
9- Band , 1976,1985,1989 Erster Halbband: D IE A R C H E T Y P E N U N D D A S K O L L E K T IV E U N B E W U S S T E Über die Archetypen des kollektiven Unbewußten. 1935/1954 Über den Begriff des kollektiven Unbewußten. 1936 Über den Archetypus m it besonderer Berücksichtigung des Animabegriffes.
1936/1954 D ie psychologischen Aspekte des Mutterarchetypus. 1939/1954 Über Wiedergeburt. 1940/1950 Zur Psychologie des Kindarchetypus. 1940/1950 Zum psychologischen Aspekt der Korefigur. 1 9 4 1 / 1 9 5 1 Zur Phänomenologie des Geistes im Märchen. 1946/1948 Zur Psychologie der Schelmenfigur. 1954 Bewußtsein, Unbewußtes und Individuation. 1939 Zur Empirie des Individuationsprozesses. 1934/1950 Über Mandalasymbolik. 1938/1950 Mandalas. 1955
9. Band , 1976,1985,1989 Zweiter Halbband: A I O N 1951 UNTERSUCHUNGEN ZUR SYMBOLGESCHICHTE
Das Ich Der Schatten D ie Syzygie: Anima und Animus Das Selbst Christus, ein Symbol des Selbst Das Zeichen der Fische D ie Prophezeiung des Nostradamus Über die geschichtliche Bedeutung des Fisches D ie Ambivalenz des Fischsymbols Der Fisch in der Alchemie D ie alehemistische Deutung des Fisches Allgemeines zur Psychologie der christlich-alchemistischen Symbolik Gnostische Symbole des Selbst D ie Struktur und Dynamik des Selbst Schlußwort
299
300
Schriftenverzeichni s
10. B and , 1974,1981,1986 Z I V I L I S A T I O N IM Ü B E R G A N G Über das Unbewußte. 1918 Seele und Erde. 1931/1969 D er archaische Mensch. 1931/1969 Das Seelenproblem des modernen Menschen. 1928/1969 Über das Liebesproblem des Studenten. 1928 D ie Frau in Europa. 1927/1965 D ie Bedeutung der Psychologie fur die Gegenwart. 1933/1969 Zur gegenwärtigen Lage der Psychotherapie. 1934 Vorwort zu «Aufsätze zur Zeitgeschichte». 1946 W otan. 1936/1946 N ach der Katastrophe. 1945/1946 Das Schattenproblem. 1946/1947 Nachwort zu «Aufsätze zur Zeitgeschichte». 1946 Gegenwart und Zukunft. 1957/1964 Ein moderner Mythus. Von Dingen, die am Himmel gesehen werden. 1958/1964 D as Gewissen. 1958 Gut und Böse in der Analytischen Psychologie. 1959 Vorrede zu Toni W o lff «Studien zu C G . Ju ngs Psychologie». 1959 D ie Bedeutung der schweizerischen Linie im Spektrum Europas. 1928 Der Aufgang einer neuen W elt. Eine Besprechung von H. Keyserling «Amerika. Der Aufgang einer neuen W elt». 1930 Besprechung von H. Keyserling «La Revolution mondiale et la responsabilité de l’esprit». 1934 Komplikationen der amerikanischen Psychologie. 1930 D ie träumende W elt Indiens. 1939 W as Indien uns lehren kann. 1939 Anhang: Neun kurze Beiträge. 1933—1938
11. B a n d , 1 9 6 3 ,1 9 8 3 ,1 9 8 8 Z U R P S Y C H O L O G IE W E S T L IC H E R U N D Ö S T L IC H E R R E L IG IO N WESTLICHE RELIGION
Psychologie und Religion. 1940/1962 Versuch einer psychologischen Deutung des Trinitätsdogmas. 1942/1948 ' Das Wandlungssymbol in der Messe. 1942/1954 Vorwort zu V. W ith e «God and the Unconscious». 1952 Vorwort zu Z. Werblowsky «Lucifer and Prometheus». 1952
Schriftenverzeichnis Bruder Klaus. 1933 Über die Beziehung der Psychotherapie zur Seelsorge. 1932/1948 Psychoanalyse und Seelsorge. 1928 Antwort auf Hiob. 1952/1967 ÖSTLICHE RELIGION
Psychologischer Kommentar zu «Das tibetanische Buch der Großen Befreiung». 1955 Psychologischer Kommentar zu «Das tibetanische Totenbuch». 1935/1960 Yoga und der Westen. 1936 Vorwort zu. D .T . Suzuki «D ie große Befreiung. Einführung in den Zen-Buddhismus». 1939/1958 Zur Psychologie östlicher Meditation. 1943/1948 Über den indischen Heiligen. Einführung zu H. Zimmer «Der W eg zum Selbst». 1944 Vorwort zum «I Ging». 1950
12.
B a n d , 1 9 7 2 ,1 9 8 4 ,1 9 8 7 ,1 9 9 0
P S Y C H O L O G I E U N D A L C H E M I E 1944/1952 Vorwort [undatiert] zur 2. englischen Auflage von 1967 Einleitung in die religionspsychologische Problematik der Alchemie Traumsymbole des Individuationsprozesses. 1936 Die Erlösungsvorstellungen in der Alchemie. 1937 Epilog
13.
1943
B a n d , 1 9 7 8 ,1 9 8 2 ,1 9 8 8
S T U D IE N Ü B E R A L C H E M IS T IS C H E V O R S T E L L U N G E N Kommentar zu «Das Geheimnis der goldenen Blüte». 1929/1965 Der G eist Mercurius. 1943/1948 D ie Visionen des Zosimos. 1938/1954 Paracelsus als geistige Erscheinung. 1942 D er philosophische Baum. 1945/1954
14.
B a n d , 1 9 6 8 ,1 9 8 4 ,1 9 9 0
M Y S T E R I U M C O N I U N C T I O N I S 1955/1956 Erster Halbband 14/1: 1968,1984,1990 D ie Komponenten der Coniunctio D ie Paradoxa D ie Personifikationen der Gegensätze: Einleitung —Sol —Sulphur —Luna - Sal
302
Schriftenverzeichnis Zweiter Halbband 14/II: 1968,1984,1990 Rex und Regina Adam und Eva Die Konjunktion Ergänzungsband 14/III: 1973, 1984, 1990 «Aurora Consurgens» (Herausgegeben und kommentiert von M.-L. von Franz)
15. B a n d , 1 9 7 1 ,1 9 8 4 ,1 9 9 0 Ü B E R DAS P H Ä N O M E N DES G E IS T E S IN K U N S T U N D W ISSE N SC H A F T Paracelsus. 1929/1969 Paracelsus als Arzt. 1941/1942 Sigmund Freud als kulturhistorische Erscheinung. 1932/1969 Sigmund Freud. Ein Nachruf. 1939 Zum Gedächtnis Richard Wilhelms. 1930/1965 Über die Beziehung der Analytischen Psychologie zum dichterischen Kunstwerk. 1922/1969 Psychologie und Dichtung. 1930/1950 «Ulysses». Ein Monolog. 1932/1969 Picasso. 1932/1969
16. B a n d , 1 9 5 8 ,1 9 8 4 ,1 9 9 0 PRAXIS DER PSYCHOTHERAPIE ALLGEMEINE PROBLEME DER PSYCHOTHERAPIE
Grundsätzliches zur praktischen Psychotherapie. 1935 W as ist Psychotherapie? 1935 Einige Aspekte der modernen Psychotherapie. 1930 Ziele der Psychotherapie. 1929/1969 D ie Probleme der modernen Psychotherapie. 1929/1969 Psychotherapie und Weltanschauung. 1943/1946 Medizin und Psychotherapie. 1945 D ie Psychotherapie in der Gegenwart. 1945/1946 Grundfragen der Psychotherapie. 1951 SPEZIELLE PROBLEME DER PSYCHOTHERAPIE
Der therapeutische W ert des Abreagierens. 1921 D ie praktische Verwendbarkeit der Traumanalyse. 1934/1969 D ie Psychologie der Übertragung. 1946
Schriftenverzeichnis 17.
B a n d , 1 9 7 2 ,1 9 8 5 , 1988
Ü BER D IE E N T W IC K L U N G D ER P ER SÖ N L IC H K E IT Über Konflikte der kindlichen Seele. 1910/1969 Einführung zu F.G . W iekes «Analyse der Kindesseele». 1931/1969 Über die Entwicklung und Erziehung des Kindes. 1923 Analytische Psychologie und Erziehung. 1926/1969 Der Begabte. 1943/1969 D ie Bedeutung des Unbewußten für die individuelle Erziehung. 1928 Vom Werden der Persönlichkeit. 1934/1969 Die Ehe als psychologische Beziehung. 1925/1969
18. B a n d , 1981 DAS SYM BO LISCHE LEBEN VERSCHIEDENE SCHRIFTEN
Erster Halbband 18/1 Über Grundlagen der analytischen Psychologie. 1935 Symbole und Traumdeutung. 1961 Das symbolische Leben. 1939 Ergänzungen zu G W 1, 3,4. Zweiter Halbband 18/11 Ergänzungen zu G W 5, 7 —17
19. B a n d , 1983 BIBLIOGRAPHIE D ie veröffentlichten Schriften von C. G. Ju ng: Originalwerke und Übersetzungen D ie Gesammelten W erke von C. G. Ju ng Seminare von C. G. Jung.
20. B a n d GESAM TREGISTER noch nicht erschienen
Supplementband Seminare KINDERTRÄUM E
BRIEFE in drei Bänden 1906—1961
303