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Sendung vom 21.06.2002, 20.15 Uhr
Anneliese Rothenberger Kammersängerin im Gespräch mit Dr. Ernst Emrich Emrich:
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Grüß Gott, verehrte Zuschauer, ich begrüße Sie herzlich zum Alpha-Forum. Unser Gast ist heute Anneliese Rothenberger, Kammersängerin. Frau Kammersängerin - ich benütze diesen Titel jetzt einmal, auch wenn wir uns später in etwas leichteren Gesprächsformen ergehen wollen -, wie fühlt man sich in einem Fernsehstudio, wie fühlen Sie sich in einem Fernsehstudio? Oh, eigentlich wie zu Hause. Ich habe das ja über viele Jahre hinweg sehr viel gemacht. Und es ist auch noch gar nicht so lange her, dass ich wieder einmal in einem Studio gewesen bin. Das war allerdings doch bereits im November. Die Zeit saust unglaublich. Es macht mir Spaß, mal wieder hier zu sein bei Ihnen. Ich dachte in der Tat auch selbst an das Stichwort "zweite Heimat", denn Sie haben in Ihrem erfolgreichen Berufsleben eigentlich zwei große Karrieren gemacht. Wir werden darauf noch zu sprechen kommen. Aber fangen wir doch einfach mal mit der Zeit an, in der Anneliese Rothenberger noch ein kleines Mädchen war. Sie sind in Mannheim aufgewachsen. Richtig. Sie sind dort in eine bemerkenswert interessante oder gute Schule gegangen, zumindest hatten Sie dort eine gute Lehrerin, die nämlich früh genug entdeckt hat, dass Sie singen können. Das ist wahr. Wie war das? Das war eine Deutschlehrerin, die mitunter auch mal Mathematik unterrichtet hat. Sie selbst hatte als junges Mädchen mal Sängerin werden wollen. Sie war aber die Tochter eines Generals und in der Zeit ihrer Jugend war es einfach unmöglich gewesen, zum Theater zu gehen. Das war einfach etwas Unfeines. So hat sie dann ihre ganzen Ambitionen auf mich übertragen. Dies bedeutete am Anfang große Schwierigkeiten für mich, denn ich musste immer, bevor der Unterricht begann, für die Klassenkameradinnen ein Liedchen vorsingen. Zu dieser Zeit hatte ich natürlich noch große Hemmungen. Aber das hat mir doch dabei geholfen, diese Hemmungen mit der Zeit zu verlieren. Ich war daher später eigentlich schon ganz routiniert, als ich dann anfing zu studieren. Stammt die Beziehung zur Kunst, zur Musik, aus der Familie? Gab es da einen Hintergrund? Gab es da einen Vorgänger oder eine Vorgängerin? Eigentlich überhaupt nicht. Ich will nicht sagen, dass alle Mitglieder meiner Familie völlig amusisch gewesen wären, aber mein Vater war z. B. Kaufmann: Da war nichts in Richtung Kunst. Meine Mutter und die Schwester meiner Mutter hatten beide wunderhübsche Stimmen. Aber für sie wäre es eben auch nie möglich gewesen, ein Studium in dieser
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Richtung zu ergreifen. Man hat das manchmal – etwas zugespitzt – so formuliert: "Nimm die Wäsche von der Leine, die Schauspieler, die Künstler, die Sänger kommen!" Ganz genau. Man nahm diese Leute also nicht so ganz ernst. Ja, dieser Beruf hatte in der Tat einen gewissen Hautgout. Ihr Vater ist sehr früh gestorben: Sie waren noch ein kleines Mädchen, als das geschah. Ich war neun Jahre alt damals. Er ist nur 36 Jahre alt geworden. Er hatte einen Herzklappenfehler. Heute wäre das überhaupt kein Problem: Heute kann man das operieren. Aber damals in den dreißiger Jahren ging das noch nicht. Da war keine Hoffnung. Deswegen war auch meine Kindheit sehr von Krankheiten überschattet. Zwei Jahre vor dem Tod meines Vaters ist auch mein kleiner Bruder, der vier Jahre jünger war als ich, auf der Straße tot gefahren worden, als wir gerade spielten. Das hat dann wohl meinem Vater endgültig das Herz gebrochen. Auch in der Verwandtschaft hat es viel Krankheit und Tod gegeben: Ich war als Kind mehr auf dem Friedhof als draußen auf der Straße beim Spielen mit anderen Kindern. Das war nicht besonders schön. Dann kam auch noch der Krieg. Das war also alles nicht sehr erfreulich. Können Sie uns sagen, wie das mit diesem kleinen Mädchen weiterging – mit oder ohne Unterstützung einer patenten Lehrerin mit viel Verve, um etwas zu verwirklichen, das ihr selbst nicht gelungen ist? Wie lernt man, wie studiert man? Diese Frau hat sich wirklich unglaublich für mich eingesetzt. Sie ging zu meiner Mutter. Sie hat also noch nicht einmal meine Mutter kommen lassen, nein, sie ging zu ihr und hat gesagt: "Dieses Kind muss Sängerin werden!" Ich hatte also ein kleines Stimmchen und auch der Musiklehrer hatte gesagt: "Du hast einen Silberfaden in deinem Stimmchen!" Das war mir natürlich nicht genug: Dieser Faden hätte meiner Meinung nach schon aus Gold sein müssen. Meine Mutter meinte dann jedenfalls, dass das ausgeschlossen sei: Sie könne so ein Studium gar nicht bezahlen. Aber diese Lehrerin hat dann gemeint, dass es dafür Stipendien gäbe: "Ihre Tochter muss da halt bei bestimmten Stellen vorsingen, dann lässt sich das schon machen." Ging das so? Geschah das dann tatsächlich auf diesem Weg? Ja, ich habe vorgesungen, bin aber durchgerasselt: nicht wegen der Stimme, ich hatte mich einfach musikalisch geirrt. Dies hatte einen sehr lustigen Grund. Ich hatte dafür mit einem Korrepetitor kleine Arien einstudiert, die ich dort dann vorsingen musste. Ich besaß aber die Noten dafür nicht. Dieser Korrepetitor hat dann in dieser einen Stunde pro Woche, die ich mit ihm gearbeitet habe, Zeit sparen wollen: Er hat ganz einfach ein sechzehntaktiges Zwischenspiel weggelassen und ging gleich weiter in diesem Stück. Ich habe dieses Stück also gar nicht anders gekannt. Ich kam dann zum Vorsingen und der Korrepetitor, der dort in dieser Prüfung saß, hat das natürlich richtig gespielt, nämlich so, wie es sein sollte. Ich habe dann eben zu früh eingesetzt. Der Direktor, der dabei saß und der zu bestimmen hatte, ob man ein Stipendium bekommt oder nicht, hat dann gemeint: "Moment mal, das weißt du doch, das war verkehrt. Also noch einmal von vorne!" Ich habe dann den gleichen Fehler natürlich ein zweites Mal gemacht. Er meinte dann nur: "Unmusikalisch, die Nächste!" Eine "souveräne" Entscheidung.
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Damit war diese ganze Geschichte erst einmal zu Ende für mich. Ich habe dann aber durch Freunde meiner Mutter eine Sängerin des Mannheimer Nationaltheaters kennen gelernt. Das war die Erika Müller: Sie war eine Richard Strauss-Sängerin. Sie hatte von dieser Sache gehört und sie war zudem auch noch Lehrerin auf der Musikhochschule. Sie hat mich dann bei sich vorsingen lassen. Danach meinte sie dann zu mir: "Also, wenn du kein Stipendium bekommen hast, dann war das falsch! Ich unterrichte dich umsonst!" Toll! Das hat sie dann auch tatsächlich gemacht. Sie konnte das aber nur eineinhalb Jahre lang machen, denn dann kam dieser grauenhafte Bombenkrieg. Und da war wieder alles zu Ende. War das die Zeit, in der Sie nach Thüringen gegangen sind? Dorthin wurde ich verschickt wegen der Bombardierung: nach Hassenberg bei Coburg. Dort habe ich dann für mich alleine weiterstudiert. Ich hatte meine Noten mit, als ich dort bei Bauersleuten wohnte. Dort flogen keine Bomben und ich hatte genug zu essen. Diese Bauern hatten zudem noch einen Kolonialwarenladen. Und so war ich eben erst einmal gerettet. Es gab dort auch noch Anregung durch eine andere Familie, die dort lebte und die sehr musikbeflissen war. Sie sind aber sehr gut vorbereitet, phantastisch. Ja, eines Tages kam in diesen kleinen Laden eine Frau aus Neustadt bei Coburg einkaufen. Oben in meinem Stübchen habe ich gerade gesungen. Diese Frau fragte, wer denn da singt. Die Bäuerin meinte dann: "Ach, das ist so eine kleine Verrückte ausm Zirkus oder so. Die hat man uns geschickt, die singt die ganze Zeit." Diese Frau war eine Arztfrau: Sie lebte dort quasi versteckt, denn sie war Jüdin. Verheiratet war sie mit einem “Arier”: Sie waren von Hamburg weggezogen und hatten dort in Neustadt bei Coburg eine Praxis aufgemacht. Sie bat die Bäuerin jedenfalls, ob sie mich kennen lernen könnte. Ich wurde dann nach unten gerufen und sie fragte mich, ob ich einmal in der Woche oder auch nur alle 14 Tage mit dem Fahrrad nach Neustadt kommen würde, um dort für sie und einen privaten Freundeskreis ein paar Lieder zu singen. Das habe ich dann auch so gemacht und das waren dann auch meine ersten Erfahrungen als Liedsängerin. Das war Hausmusik mit kleinem Publikum, Sie waren sozusagen eine "Kammer"-Sängerin. Ja, so begann das. Die Kammersängerin hat damit freilich nichts zu tun, denn das ist ja die Reichsmusikkammer gewesen, mit der das zu tun hatte. Es war dann so, dass eines Tages der Krieg zu Ende war: Diese Frau hatte als Jüdin natürlich sofort die Möglichkeit zurückzukehren nach Hamburg. Dorthin hat sie mich mitgenommen. So begann dann mein Theaterleben in Hamburg. Kann man sagen, dass Sie mit der Ausnahme von Koblenz ohne Umweg über die Provinz an die großen Bühnen gekommen sind? Denn bei den meisten Sängern und Sängerinnen hat dieser Weg über die Provinz doch länger gedauert. Bei Ihnen war das jedenfalls nicht allzu lang. Ja, das waren gerade mal fünf Vierteljahre oder so. Ich durfte dort in Koblenz allerdings schon ganz schöne Rollen singen. Es war nämlich so gewesen, dass ich damals in Mannheim noch Elevin gewesen bin: Dort hat mich meine Erika Müller diese eineinhalb Jahre unterrichtet. Nach einiger Zeit hat dann aber meine Mutter das Handtuch geworfen und gesagt: "Auch dann, wenn dieser Unterricht nichts kostet: Du musst nett angezogen sein, du musst immer Noten haben. Ich kann das nicht mehr bezahlen. Du musst jetzt wie andere junge Mädchen auch in ein Büro gehen und dort dein
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eigenes Geld verdienen!" Das wäre für mich nun überhaupt nicht infrage gekommen. Da stand es sozusagen Spitz auf Knopf. Was dann kam, war irgendwie merkwürdig. Ich besaß damals einen Bühnenalmanach. Ich habe dann Folgendes mit mir ausgemacht: "Ich werde ihn auf den Boden werfen und die Stadt, die sich dann zeigen wird, werde ich anschreiben und dort anfragen, ob ich als Elevin anfangen kann." Ich warf also den Almanach auf den Boden und auf einer Seite stand dann Koblenz und auf der anderen Seite Konstanz. Beide Theater habe ich dann angeschrieben. Von Konstanz habe ich nie wieder etwas gehört, weil ich damals gar nicht wusste, dass es dort überhaupt keine Oper gibt, denn man hatte dort nur ein Schauspielhaus. Koblenz hingegen hat mir abgeschrieben: "Wir haben keine Vakanz! Wir können Sie leider nicht engagieren! Machen Sie erst einmal Ihr Studium zu Ende, dann werden wir weitersehen!" Aber vier Wochen später kam ein zweiter Brief aus Koblenz. Darin schrieb mir der Intendant, ich solle doch kommen zum Vorsingen, weil eine Sängerin ein Baby erwartet und sie einen Ersatz bräuchten. Ich fuhr nach Koblenz, habe vorgesungen und wurde dann sofort engagiert. Toll! Und ich weiß sogar, was Sie damals in Koblenz im Monat verdient haben, nämlich 142 Reichsmark. Es war ein bisschen mehr. Da muss also irgendwo eine falsche Zahl stehen. Es waren am Tag fünf Reichsmark. Das müssen dann also so ungefähr 240 Reichsmark im Monat gewesen sein. Sie sind also pro Tag bezahlt worden. Nein, ich bin nicht pro Tag bezahlt worden, aber ich habe mir es hinterher mal ausgerechnet, dass das pro Tag fünf Mark gewesen sein müssen. Wenn ich mir mal wieder neue Noten kaufen musste, dann gab es nur eine Suppe. So war das. Aber das war phantastisch. Sie mussten also Ihr Geld für die Noten sparen. Ja, aber ich war doch so glücklich, dass ich singen konnte. Ich war ganz erstaunt, dass ich dafür auch noch Geld bekomme. Wenn heute die jungen Leute aus dem Studium kommen, dann haben sie ja ähnliche Probleme: Wo können sie unterkommen, wo haben sie Chancen. Ja, das ist heute ganz schwierig. Oft werden sie dabei auch kräftig enttäuscht, obwohl doch eigentlich das kulturelle Leben bei uns vielfältiger geworden ist. Damals war es jedenfalls auch nicht so gewesen, dass man hätte sagen können: "Jetzt nach dem Krieg steht doch eigentlich alles offen für eine Sängerin!" Ja, das war überhaupt nicht der Fall. Wie gelang dann eigentlich dieser Sprung von Koblenz nach Hamburg? Das hatte eben mit diesem Arztehepaar zu tun. Das waren Dr. Kegel und seine Frau. Sie haben als Wiedergutmachung auch sofort ein sensationelles Haus an der Elbchaussee bekommen usw. Diese Frau hatte gute Beziehungen, wie das bei den Juden so war, denn sie mussten sich gegenseitig helfen. Ich habe dann eben sehr schnell in der Hamburgischen Musikhalle bei Orchesterkonzerten kleine Arien singen dürfen. Dort hat mich wiederum der Intendant der Staatsoper gehört. Er hat mich gefragt, ob ich nicht mal zum Vorsingen kommen möchte. Ich antwortete ihm, dass ich noch keine Abschlussprüfung hätte. Er meinte aber nur: "Die können Sie bei der Gelegenheit gleich bei uns machen!" Das war Günther Rennert.
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Ja, das war Rennert, ein toller Mann. Was haben Sie denn in den Jahren von 1948 bis 1956 bei Rennert alles singen können? Welche Partien durften Sie dort an der Staatsoper singen? Ich habe sehr viel Modernes singen müssen. Denn es ist ja so: Wenn man damals als kleine Anfängerin an ein Theater kam, dann bekam man natürlich nicht die Premieren. Das haben die damals älteren Damen gesungen. Heute wäre das gar nicht mehr denkbar: Die Gilda in "Rigoletto" oder die kleine Lauretta in "Gianni Schicchi" wurden von Kolleginnen gesungen, die nahezu 60 Jahre alt waren. Das war aber ganz normal. Denn wenn man an so ein Staatstheater gekommen ist, war man damals eben bereits so alt. Heute ist das alles ganz anders: Durch das Fernsehen usw. sind die Ansprüche heute alle ganz anders geworden. Auf jeden Fall musste ich sehr viel Moderne singen. Oder ich sang eine Reihe von anderen Partien, die damit zusammenhingen, dass Rennert zu mir immer gesagt hat: "Sie sind für mich das kleine Luder!" Aus dem Grund habe ich z. B. die Musette in "La Boheme" gesungen oder so etwas in der Art in der Oper "Trotz wider Trotz" von Grüber, die heute kein Mensch mehr kennt, denn auch dort kommt so eine kleine Kokette vor. Solche Sachen habe ich also gesungen, denn er meinte wirklich immer zu mir: "Die Pamina oder die Sophie im 'Rosenkavalier' sehe ich einfach nicht in Ihnen!" Wahrscheinlich weil ich damals so ein richtiger kleiner Quirl war. Das war also zunächst einmal das Soubretten-Fach. Ja, das war zunächst einmal die lyrische Soubrette. Deswegen bin ich dann ja auch von Hamburg weggegangen. Alle Leute haben mir damals gesagt, dass das doch ein Rückschritt sei. Das war es aber überhaupt nicht für mich, als ich damals nach Düsseldorf-Duisburg gegangen bin. Dort wurde nämlich die Deutsche Oper am Rhein neu eröffnet. Der Intendant hatte mich angeschrieben, dass er mich haben möchte. Was ich in Hamburg im Monat verdient habe - obwohl ich dort jeden Abend singen musste -, verdiente ich dann dort pro Vorstellung! Das kann man wirklich nicht als Abstieg bezeichnen. Ich habe auch nur für 24 Vorstellungen im Jahr unterschrieben. Damit hatte ich bereits mehr als vorher in Hamburg, als ich noch jeden Tag singen musste. Von diesen 1100 Mark brutto hatte ich ja eh nur 900 Mark herausbekommen. Und gleichzeitig hatte ich dort natürlich auch meine Stimme überbeansprucht. Und ich habe noch nicht einmal mein Fach singen dürfen. Es meinten also alle Leute, dass es ein Rückschritt sei, wenn man von Hamburg nach Düsseldorf geht. Mir war das aber völlig egal, denn dort durfte ich endlich all die Rollen singen, die ich für mein weiteres Leben als Sängerin brauchte. Der Intendant dort in Düsseldorf hat wirklich genau das Gegenteil dessen in mir gesehen, was Rennert in mir gesehen hatte. Ich habe die Pamina in der "Zauberflöte" und die Sophie im "Rosenkavalier" und die Zdenka in "Arabella" usw. singen dürfen. Ich sang also alles, was ich mir erträumt hatte. Dort war ich aber nur ein Jahr und dann kam der Karajan und holte mich nach Wien. Ich muss hier etwas loswerden, weil ich mir diesen Witz einfach nicht verkneifen kann. Sie kennen ja sicher das "Kom(m)ödchen" in Düsseldorf, dieses berühmte Kabarett. Ja, natürlich. Wissen Sie, was man dort in diesem Kabarett zur Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf gesagt hat, als sie wieder aufgebaut worden war? Nein. Es betraf die Architektur und nicht die Leistung des Ensembles: "Die Deutsche Oper am Rhein kann durch Artilleriebeschuss nur gewinnen!"
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Ach, du lieber Gott. Das war also eine ungeheure Kritik an diesem Neubau. Denn die Leute am "Kom(m)ödchen" behaupteten, die Düsseldorfer meinten, sie hätten sich mit viel Geld etwas ganz Tolles geleistet. Aber da ist schon etwas dran. Besonders schön war dieser Bau nie. Ich will hier aber niemanden vergrätzen, denn wenn ich im Nachhinein an meine Zeit in Düsseldorf zurückdenke, dann muss ich sagen, dass es mir dort sehr gut gegangen ist. In Duisburg stand ja noch das alte Haus. Es war auf jeden Fall so gewesen, dass man dort damals dieselbe Oper immer abwechselnd in Düsseldorf und dann eine Woche später in Duisburg gesungen hat. Das war ganz interessant. Ich kann mir das gut vorstellen, was Sie soeben geschildert haben: Die Erweiterung des Repertoires ist schon wichtig. Man kann auf einmal ganz verschiedene Partien singen und ist nicht so festgelegt und abgestempelt. Ich konnte damit dann auch überall gastieren, was vorher völlig unmöglich gewesen wäre. Denn in Hamburg hatte ich ja nur Britten und Hindemith und Henze und all diese modernen Schinken gesungen. Sie haben ja auch die Lulu von Alban Berg gesungen. Aber ich glaube, das war doch etwas später. Ja, das war sehr viel später. Den Leuten, die Sie wiederum später aus dem Fernsehen kannten, war es jedenfalls nicht so selbstverständlich, dass Sie auch zeitgenössische und moderne Musik gesungen haben. Ja, das war überhaupt nicht bekannt. Denn man hat damals ja auch immer gesagt, dass Hamburg eigentlich so ein bisschen vor dem Tor zur Welt der Moderne stehe. Das änderte sich erst, als dann der Liebermann kam. Rennert ging nach München und Rolf Liebermann kam nach Hamburg. Liebermann war vorher Leiter der Musikabteilung des NWDR gewesen. Als er nach Hamburg gekommen ist, gab es in Hamburg endlich auch viele moderne Sachen. Er hat ja auch selbst komponiert. Natürlich, seine Sachen haben wir dann ja auch gesungen. Jedenfalls war es so gewesen, dass mir noch der Rennert die Lulu angeboten hatte. Ich habe zu ihm gesagt, dass ich mir das erst einmal anschauen müsste. Ich habe also dieses Stück studiert, bin zu ihm hin und habe zu ihm gesagt: "Nein, das tötet mich, das kann ich nicht. Das halte ich stimmlich unter keinen Umständen aus!" Dies musste er einsehen. Zehn Jahre später hat mir dann der Liebermann diese Rolle angeboten. Ich sagte zu Ihm: "Ich habe dem Rennert schon vor zehn Jahren gesagt, dass das nichts für mich ist und habe nein gesagt." Was dann kam, war wirklich typisch Liebermann: "Dass Sie damals nein gesagt haben, war richtig, aber wenn Sie jetzt nicht ja sagen, dann ist es falsch!" Mit dieser stimmlichen Beanspruchung hat es eben auch zu tun, dass Sie von dieser Lulu nur eine sehr knapp bemessene Anzahl an Aufführungen gesungen haben: zwei in Hamburg, zwei an der Met... Ich habe das insgesamt nur 17 Mal gesungen. Das waren zwei Aufführungen in Montreal bei der Weltausstellung, zwei an der Metropolitan Opera, in Hamburg waren es fünf und in München bei den Festwochen drei oder vier. Dort in München war das dann ein Vergnügen, weil der Dohnányi am Pult stand. Er hat das Orchester so schön durchsichtig gehalten und nicht so mit Wrumm, wie das in Hamburg leider der Fall gewesen ist. Diese Rolle war jedenfalls eine Riesenbeanspruchung und gleichzeitig natürlich eine tolle Herausforderung. Für mich war es jedenfalls interessant
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mitzubekommen, dass Rennert in meiner Zeit in Hamburg in mir dieses Luder, das die Lulu ja ist, gesehen hat. Er hat wirklich nichts anderes in mir gesehen als das. Dann ging ich weg und war in Düsseldorf plötzlich das "Seelchen vom Dienst". Auch in Wien war es so: Ich habe dort immer nur die Braven gesungen, die immer Klagenden, die immer Traurigen usw. Als ich dann mit der Lulu rauskam, haben viele Leute erst gesagt: "Was? Das kann die doch gar nicht!" Und vorher hatte man mir gesagt, ich könnte die seelenvollen Partien nicht singen! Das ist schon verrückt. Das ist ja diese alte Sorge, unter der viele Sänger und darstellenden Künstler leiden, dass man abgestempelt ist für ein bestimmtes Fach, dass man sagt: "Die oder der kann nur das!" Auf diese Weise hat man natürlich überhaupt keine Möglichkeit, auch mal andere Facetten des eigenen Könnens zu zeigen. Bei den Sängern ist das natürlich noch einmal anders als bei den Schauspielern. Bei den Sängern ist man ja schon aufgrund seiner Stimme festgelegt. Durch die Stimmlage also. Ja. Ein Schauspieler hingegen kann viel mehr variieren. Die Partien, die ich zu singen hatte, waren eben für die lyrische Sopranstimme gedacht gewesen. Das sind meistens edle und ganz junge Charaktere. Die Sophie solle eigentlich 17 sein und die Zdenka 19 oder so. Wenn man dann mal mit der Zeit selbst 45 Jahre alt wird als Sängerin, dann wird das alles doch recht schwierig. Deswegen habe ich dann eben doch die Lulu gesungen: Die ist nämlich zeitlos. Diese Rolle hatte aber noch einen weiteren Anspruch an Sie, nämlich nicht nur einen stimmlichen, sondern auch einen darstellerischen Anspruch. Ja, das kann man wohl sagen. Sie haben dabei, wie man hört, einen ganz neuen Stil kreiert: etwas, das sich nicht an frühere Darstellungsformen der Lulu anlehnte. Sie haben stattdessen etwas Eigenes geschaffen. Ja, das war wirklich ein Riesenerfolg. Dass ich diese Rolle nach 17 Vorstellungen abgegeben habe, ist ganz leicht zu erklären. Ich habe ja schon angedeutet, dass ich diese Partie auch bei den Festwochen in München gesungen habe. Dort war dann an einem Abend also die Lulu und am nächsten Morgen um 10.00 Uhr bereits wieder die Probe für die Constanze in der "Entführung aus dem Serail". Und am anderen Abend hatte ich dann wieder die Lulu zu singen. Das gingt einfach nicht. Ich hätte mich entweder für dieses moderne schwere Fach entscheiden oder beim Mozart und Richard Strauss bleiben müssen. Und für Letzteres habe ich mich entschieden. Sonst hätte ich viel früher abtreten müssen, denn das hätte mich stimmlich einfach getötet. Sie sind ja neben Ihrer stimmlichen Leistung als Sängerin auch berühmt geworden durch Ihre darstellerischen Leistungen, durch Ihr Hineinfühlen in eine Musiktheaterrolle: nicht nur in die musikalische Partie, sondern eben auch in die schauspielerische Darstellung. Das freut mich, dass Sie das sagen. Das erinnert mich an eine frühe Geschichte aus Ihrer Kindheit, von der es heißt, Sie hätten einmal eine recht knochenbrecherische Rolle gespielt. Wissen Sie, was ich meine? Den Doktor Sägebein. Das war so eine Art Doktor Eisenbart. Ja, gemeint war in der Tat Eisenbart, aber in dem Liedchen hieß er eben
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Sägebein. Damals war ich sieben Jahre alt. Ich selbst war zwar schon einige Zeit nicht mehr im Kindergarten zu der Zeit, aber mein kleiner Bruder war noch im Kindergarten. Sie haben dort eben auch immer solche Elternabende gemacht, bei denen sich die Kinder produzieren durften. Man kann sagen, dass sie mich damals für diesen Abend als Doktor Sägebein engagiert haben. Das hat mich wirklich so fasziniert, dass ich dabei regelrecht Blut geleckt habe, was das Theater betrifft. Mit sieben Jahren! Man hat mir hinterher nämlich gesagt, ich hätte das gemacht wie eine sehr erfahrene Schauspielerin. In diesem Stück kamen die Kinder mit ihren kaputten Puppen zu mir oder wenn ihre Puppen Zahnweh hatte usw. Ich habe dann z. B. mit einer Kneifzange deren kranke Zähne gezogen. Ich habe genau darauf geachtet, dass keiner sieht und merkt, dass da ein vorbereiteter Zahn bereit lag, den ich dann nach dem Ziehen herzeigen konnte. Ich wollte das genau wie ein Profi machen. Ich habe jedenfalls täuschend echt für die Zuschauer mit einer richtigen Kneifzange einer Puppe meinetwegen einen riesigen Ochsenzahn gezogen und dann gesagt: "Ja, das ist ja kein Wunder, wenn die Puppe Schmerzen hat, bei diesem kaputten Zahn!" Meine Mutter war unglaublich stolz auf mich in diesem Moment. Sie meinte, die Leute hätten gesagt: "Aus der wird noch was!" Und so ist es ja auch gekommen. Es wird erzählt, dass vor allem auch Ihr Vater von Ihrer komödiantischen Begabung hingerissen gewesen sei. Ja, das stimmt. Diese Begabung kam dann später der Sängerin zugute. Ja, absolut. Sie waren nämlich nicht nur Liedsängerin, das wurden Sie eigentlich erst später. Zunächst einmal machten Sie eben Musiktheater. Ja, das ist wahr. Ich würde nun gerne auf etwas zu sprechen kommen, will Sie aber vorher lieber fragen, ob Sie damit einverstanden sind: Ihr Gatte ist vor drei Jahren gestorben. Dürfen wir ein bisschen was erfahren über die Zeit, in der Sie sich kennen gelernt haben? Denn das war ja eine ganz wichtige Konstellation für Sie. Das war ungeheuer wichtig für mich. Ich hätte das ohne Ihn nie geschafft. Das wäre ganz ausgeschlossen, denn alleine hätte ich das einfach nicht geschafft. Ich musste dann nämlich eigentlich nur singen, meine Sachen vorbereiten und studieren, was ich mit ihm zusammen gemacht habe, und letztlich am Abend auf der Bühne stehen. Aber dieses ganze administrative Drumherum, all dieses fürchterliche Zeug, für das ich keine Begabung habe, hat er für mich gemacht, im Stillen! Er hat also die ganze Organisation gemacht, sozusagen das Management. Nein, Manager wollte er nicht genannt werden. Er ist auch nie mitgegangen, wenn es um Gagenverhandlungen ging. Das habe ich selbst gemacht. Da ich das als Frau alleine gemacht habe, wurde ich natürlich auch immer wieder über den Tisch gezogen dabei. Alle anderen organisatorischen Dinge hat er für mich erledigt. Wir waren wirklich immer glücklich und das Geld hat natürlich auch immer gereicht. Wie haben Sie sich damals eigentlich kennen gelernt? Das muss eine etwas merkwürdige Geschichte gewesen sein, denn Liebe auf den ersten Blick war das wohl nicht. Nein, er hat schon von Anfang an wahnsinnigen Eindruck auf mich gemacht. Aber er war ein Flegel! Er hatte mich angesprochen und zu mir gesagt: "Sie sind doch diese bekannte Opernassel von der Staatsoper."
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Denn das Ganze spielte sich ja alles noch in Hamburg ab. "Wie kann man heutzutage noch Oper machen!" Er war also absolut gegen die Oper eingestellt, weil er meinte, dass sich so etwas nun wirklich überholt habe und dass all diese fetten Sängerinnen doch nicht zu ertragen seien. Ich meinte dann zu ihm: "Dann müssen Sie halt mal in eine Inszenierung von Günther Rennert kommen und sich anschauen, wie man heute Oper macht." Er hat mir dann tatsächlich versprochen, er käme in "Figaros Hochzeit". Es kamen dann am Abend nur ein paar Blumen und ein kleines Billet, auf dem stand, er käme erst in die Oper, wenn ich die "Aida" sänge. Er wusste aber ganz genau, dass ich die "Aida" nie singen werde. Ich dachte mir dann halt, "Ach Gott, was soll's". Kennen gelernt hatten wir uns jedenfalls in dem Hamburger Künstlerclub "Insel". Wir feierten dort unsere Premiere des "Wildschütz". Danach sind wir dann alle noch auf die Reeperbahn gezogen, weil man uns gesagt hatte, dass es da in der "Washington Bar" einen wunderbaren neuen Sänger mit Gitarre gäbe, der immer von einem Jungen singt, der bald wieder kommen soll. Das war natürlich der Freddy Quinn. Wir sind also alle angedudelt dorthin gefahren. Damals ging es ja noch, dass man in so einem Zustand Auto fuhr. Wir fuhren also auf die Reeperbahn. Mein späterer Mann kam einfach nach dorthin, denn er hatte wohl gehört, dass wir da hinfahren würden. Während sich dort alle mit Freddy Quinn beschäftigt haben, habe ich dann mit ihm gekämpft: ich für die Oper und er gegen sie. Aber es hat – zunächst – nichts genutzt, er kam dann eben nicht in die Vorstellung. Welchen Beruf hatte er eigentlich? Er war Journalist, also ein Kollege von Ihnen. Er hatte sie quasi gejagt, obwohl er keine Ahnung von Oper hatte. Später, als wir verheiratet waren, war er dann selbst der größte Opernliebhaber. Er hat sich wirklich eingearbeitet in dieses Gebiet. Vorher hatte er vermutlich nur wirklich schlechte Inszenierungen gesehen: mit schlechter Besetzung oder richtig verstaubte Inszenierungen. Er war also total dagegen am Anfang und trat vehement für die absolute Instrumentalmusik ein: Er ging nur in Sinfoniekonzerte oder zum Jazz. Aber letztlich habe ich ihn dann doch für die Oper erobern können. Sie zogen dann gemeinsam an einen Ort, den vermutlich kaum jemand kennt, außer den Leuten, die dort im Umkreis von 30 Kilometern selbst wohnen. Sie meinen Neuß? Nein, ich meine den Ort, an dem Sie gemeinsam ein Haus erworben haben. Das war dann aber erst später. Wir gingen von Hamburg weg und wollten uns in Düsseldorf eine Wohnung suchen, weil ich dort doch mein Engagement hatte. Es war aber unmöglich, in Düsseldorf eine Wohnung zu finden. Man hat uns gesagt, dass man nur jenseits der Rheinbrücke etwas finden könnte. Dort läge die Stadt Neuß und dort würde es Wohnungen en masse geben. Dort konnten wir auch tatsächlich ein Häuschen mieten. Danach dann erst haben wir in Hallgarten gebaut. Das war das Stichwort, das ich jetzt erwartet hatte, denn an Neuß habe ich dabei gar nicht gedacht. Hallgarten liegt am Rhein, etwas oberhalb des Rheins im so genannten Rheingau zwischen Wiesbaden und Rüdesheim. Genau. Es liegt märchenhaft schön und das muss auch eine schöne Zeit für Sie gewesen sein. Ja, es war eine wunderschöne Zeit. Wir waren natürlich nur sehr selten zu
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Hause, weil ich danach dann ja gleich nach Wien gekommen bin. Ich war also immer sechs Monate im Jahr in Wien. 1960 kam dann die Metropolitan Opera, wo ich auch jeweils drei Monate im Jahr war. Als wir zurückkamen von dort, waren dann immer gleich die Salzburger Festspiele, die ja auch vier oder fünf Wochen gedauert haben. Damit war das Jahr jedes Mal fast schon rum. So kam es, dass wir pro Jahr höchstens drei, vier Wochen in unserem Häuschen waren. Wir haben dieses Häuschen allerdings selbst gebaut, während das andere davor nur gemietet gewesen war. Heutzutage würde man sagen, Sie haben dann also in der Nähe von Frankfurt gewohnt. Ja, eher in der Nähe von Wiesbaden. Verkehrstechnisch war das ja nicht ganz so toll. Es ist doch völlig egal, ob man von Frankfurt nach Wien fliegt oder von Hamburg aus. Wir waren ja wirklich recht nahe am Frankfurter Flughafen. Mit dem Auto war der Flughafen ja auch noch recht gut zu erreichen damals. Ach, damals war doch auf der Straße noch nichts los. Später sind Sie dann noch einmal umgezogen: Sie wohnen bis heute in Ihrem Haus am Bodensee, und zwar auf der schweizerischen Seite. Ja, das hat sich deswegen ergeben, weil wir von Hallgarten weg wollten. Was mit einer recht traurigen Geschichte zusammenhängt. Ja, das war wirklich eine ganz traurige Geschichte. Denn diese ganze Sache hatte ja wunderbar begonnen. Es gab nämlich am Anfang nur zehn Häuser dort und das ganze Gebiet war Naturschutzgebiet. Mit der Zeit hat aber die Gemeinde Lunte gerochen und dieses Areal für weitere 90 Häuser freigegeben. Damit war das eine Siedlung und entsprach einfach nicht mehr dem, was wir ursprünglich gesucht hatten. Das war ein Jammer, denn die Gegend war natürlich nach wie vor wunderschön. Wir hatten unser Haus auch ganz vorne: Es konnte also keiner vor uns hinbauen. Aber es war trotzdem anders geworden: Es war laut und es herrschte viel Betrieb. Das wollten wir aber nicht. Ich habe dann alle meine Kolleginnen, die mit mir in Wien gesungen haben, wie z. B. die Erika Köth, die Lisa Della Casa, die Christa Ludwig usw. gebeten, uns Bescheid zu geben, wenn sie etwas für uns wüssten. Ich sagte zu ihnen: "Wir wollen kein weiteres Haus mehr bauen. Ihr wisst ja, wie wir leben. Wenn Ihr irgendetwas seht oder hört, das für uns passen könnte, dann sagt uns Bescheid." Die erste, die das getan hat, war die Della Casa. Wir haben uns dieses Haus angeschaut und dann den Schritt dorthin gewagt. Wenn ich es recht weiß, dann sind Sie mit Ihrem Mann 45 Jahre lang verheiratet gewesen. 44 Jahre. Wir kannten uns 45 Jahre und waren 44 Jahre verheiratet. Empfinden Sie das als Rarität in dieser Branche? Das war eine absolute Rarität. Gibt es ein Geheimnis dafür? Wir haben uns einfach so gelassen, wie wir sind. Wir haben nicht versucht, uns gegenseitig zu ändern. Letztlich war es wirklich ein großes Wunder, dass das so gut funktioniert hat, denn wir waren ja z. T. über lange Zeit hinweg 24 Stunden am Tag zusammen. Mein Mann hatte nämlich nach sechs Jahren seinen eigenen Beruf als Journalist aufgegeben, damit er ganz für mich und meine internationale Karriere da sein konnte. Aber wir haben es schon so gemacht, dass in diesem Häuschen jeder sein eigenes
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kleines Reich hatte. Man konnte sich also sehr wohl auch zurückziehen. Wir gingen uns auch nie auf die Nerven. Ich war natürlich schon auch mal alleine weg, es war also nicht so, dass wir immer nur und ausschließlich zu zweit unterwegs waren. Stimmt es, dass sich Ihr Mann gelegentlich auch als therapeutischer Koch bewährt hat? Er hat fabelhaft gekocht, ja. Ich habe die Information, dass er, wenn Sie aus irgendeinem Anlass besonders niedergeschlagen waren, meinetwegen aus gesundheitlichen oder auch aus beruflichen Gründen, für Sie etwas ganz Spezielles gekocht hat. Natürlich hat es auch mal solche Stimmungen gegeben, das ist klar. Er hat dann wohl mit einem Abendessen, das er selbst zubereitet hat, geradezu therapeutische Wunder vollbracht. Er kam dann so gegen sechs Uhr am Nachmittag und meinte: "SherryTime! Jetzt gibt es einen kleinen Sherry." Da sah die Welt dann gleich schon anders aus. Anschließend hat er dann immer irgendetwas Feines gezaubert in der Küche. Es gab allerdings nie das Gleiche. Einmal hat er ganz wunderbar kleine Filetstückchen zusammen mit Kartoffeln in der Pfanne gebraten und unter das Ganze kleine Scheiben von Gemüse gehoben. Das war gigantisch, das war phantastisch. Wenn ich aber zu ihm gesagt habe, "Genau das müsstest du mal wieder machen!", hatte er gar keine Ahnung mehr, wie er das damals gezaubert hatte. Er hat ganz einfach immer alles, was da war, verbraten. Nachdem wir nun schon Wien, Hamburg, München, die Met, Montreal usw. zumindest kurz genannt haben, sollten wir vielleicht doch kurz erwähnen, wo Sie noch überall gewesen sind. Gibt es eigentlich eine große Bühne irgendwo auf der Welt, auf der Sie nicht gestanden haben? Ja, leider, das ist der Covent Garden in London. Ich war sehr oft eingeladen dorthin, aber es klappte aus terminlichen Gründen nie, weil ich jedes Mal schon andere Sachen zugesagt hatte. Das hat mir immer sehr Leid getan. Ich will jetzt nur ein paar Stichworte aufzählen, damit die Zuschauer eine Vorstellung vom Internationalen Zuschnitt Ihrer Karriere bekommen. Sie waren in Aix-en-Provence, in Moskau, in Kapstadt, in Buenos Aires, in Mailand an der Scala, in Tokio usw. Ich habe gehört, dass Sie in Moskau sogar Russisch gesungen hätten. Aber nur die Zugabe, nur die Zugabe. Immerhin. Ich habe dort einen ganzen deutschen Liederabend gesungen: Dort in Russland war ja das phantastischste Publikum, das man sich vorstellen kann. Ich habe auch ein paar Debussy- und Ravel-Lieder gesungen. Denn Französisch können die Leute dort ja alle. Zumindest die, die in ein Konzert gehen, können alle Französisch. Ich war davor in San Francisco gewesen und hatte dort einen Liederabend gemacht. Da traf ich den Kulturbeauftragten des deutschen Generalkonsuls, einen sehr netten Mann. Er hatte zu mir gesagt: "Sie gehen nach Russland?" Wir waren nämlich nicht nur in Moskau, sondern auch in Odessa und in Leningrad, wie es damals noch hieß. "Wenn Sie dort hingehen, dann müssen Sie eine Zugabe in Russisch singen!" Er war in Russland aufgewachsen, weil sein Vater dort Botschafter gewesen war. Und so kam es, dass er mir rein phonetisch ein Lied aufgeschrieben hat. Das war das Lied der Mignon: geschrieben ursprünglich von Goethe und dann von Puschkin ins Russische übersetzt.
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Mit der Musik von Tschaikowski. Das war natürlich ein Bonbon für die Leute dort. Angesagt habe ich dieses Lied ebenfalls auf Russisch. Auch das hatte er mir phonetisch aufgeschrieben. Denn ich konnte ja außer "njet" kein Wort Russisch. Die Leute haben es jedenfalls verstanden. Das Verrückte war ja, dass die Leute dann immer vor zur Bühne kamen und dort eine Lilie hinlegten. In Russland kauft man dafür diese weißen Lilien, die aussehen wie eine Tüte. Oben hinein steckten sie immer einen kleinen Zettel, was sie sich wünschen. Zwei Drittel der Leute wollten, dass ich das "Ave Maria" singe! In Russland! Aber ich konnte das nicht singen, weil der Weissenborn nicht die Noten dafür dabei hatte. Ich selbst hätte es natürlich auswendig singen können, aber ich hätte doch eine Begleitung dafür gebraucht. Aber leider hatte Günther Weissenborn, dieser phantastische Begleiter, die Noten nicht mit dabei. Mein Gott, wenn ich da so zuhöre, könnten Sie noch ewig so weitererzählen. Gerne, haben wir denn noch Zeit? Leider nicht. Wie hört denn normalerweise das Berufsleben einer Sängerin auf? Irgendwann zieht man sich etwas zurück aus dem heftigen Geschäft. Hoffentlich rechtzeitig. Man wird dann Gesangslehrerin usw. Aber bei Ihnen war das ganz anders. Sie haben stattdessen eine zweite Karriere angefangen. Ich hatte ja zunächst einmal 17 Opern live im Fernsehen gesungen. Das war damals am Anfang beim NWDR noch im "Bunker" in Hamburg. Das Orchester saß dabei noch hinter der Bühne im gleichen Raum: hinter dem Rundhorizont wie hier auch im Studio. Schmidt-Isserstedt stand vor dem Orchester und hat dirigiert, während wir vorne gesungen haben. Da haben wir schon etwas geleistet, wie ich sagen muss. Insgesamt waren das im Laufe der Zeit dann 17 Opern. Komplette Opern? Das waren also nicht nur Opernabende mit Arien oder so. Nein, nein, das waren schon komplette Opern wie z. B. "Der Wildschütz", "Schule der Frauen", "La Boheme", "Das Christelflein" von Pfitzner, etwas ganz Schweres eigentlich usw. Wir haben aber auch "L' Heure espagnole" von Ravel gemacht: Das hatten wir in der Staatsoper in Hamburg original auf Französisch gesungen, für das Fernsehen musste ich das dann noch einmal umlernen auf Deutsch, denn im Fernsehen konnten wir das eben nicht auf Französisch machen. Das war die Vorgeschichte, bei der man mich im Fernsehen kennen lernte. Und dann gab es den 90. Geburtstag von Robert Stolz, der in der Philharmonie in Berlin gefeiert wurde. Der beauftragte Produzent war Wolfgang Rademann, den heute jeder von "Traumschiff" usw. kennt. Er kannte auch meinen Mann sehr gut und sagte eines Tages zu ihm: "Ich habe keine Ahnung, wer das moderieren soll. Wer kann denn so etwas moderieren? Das dauert ja mindestens zweieinhalb bis drei Stunden." Mein Mann sagte zu ihm nur: "Die Anneliese macht das!" "Mensch, das ist ja ein Knaller", hat er ihm daraufhin zur Antwort gegeben. Und so wurde ich sofort engagiert. Ich selbst bin gar nicht gefragt worden dabei. Das war dann wirklich so wie das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker: alles wurde dort aus der Philharmonie in Berlin live gesungen und übertragen. Insgesamt waren wohl 200 oder mehr Sender angeschlossen. Und das ist eben gut gegangen. Daraufhin kam Herr Viehöfer, der Vater von Frau Wussow, und fragte mich, ob ich im Fernsehen gerne so etwas machen würde wie der Peter Alexander auf seinem Sektor auf dem Gebiet der Klassik. Diese Idee hat mich wirklich sehr fasziniert. Leider ist das dann aber alles ganz anders gemacht worden. Ich musste nämlich nicht nur über die Oper etwas erzählen und etwas aus
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den Opern singen, sondern ich musste auch andere Sachen singen. Ich habe ja nichts gegen die Operette: Ich habe gerne auch schöne Titel aus Operetten gesungen. Aber ich hatte da z. B. alles im Abendkleid zu machen: Stellen Sie sich vor, ich hatte da Szenen aus "Boheme" im Abendkleid zu singen, zusammen mit Placido Domingo. Aber es ging einfach nicht anders. Das würde man heute so wahrscheinlich nicht mehr machen. Sicher nicht, aber das waren eben 90 Minuten live, da konnten wir uns natürlich nicht umziehen zwischendrin und in andere Kostüme schlüpfen. Das war ausgeschlossen. Insgesamt war das natürlich schon ein Riesenerfolg. Ich weiß, dass sogar der "Spiegel", der ja sonst nicht so zimperlich und auch nicht immer freundlich Ihnen gegenüber gewesen ist, im Jahr 1977 einmal gestehen musste, Sie seien die populärste, ja die einzig wirklich populäre Fernsehfrau in Deutschland. Ja? Ich bin jetzt doch recht überrascht von dem, was Sie sagen. Ich weiß gar nicht, dass der "Spiegel" mir gegenüber mal böse gewesen wäre. Ach, so ein bisschen schon, denn der "Spiegel" kann doch eigentlich nie freundlich sein. Sie meinen wahrscheinlich nicht den "Spiegel" selbst, sondern den Kritiker Umbach. Das stimmt, der hatte immer was zu meckern an mir. Ja, der schrieb im "Spiegel". Er hat mir aber eigentlich nur übel genommen, dass ich von der reinen Klassik weggegangen bin und Fernsehen gemacht habe. Das ist seine Ansicht. Ich finde, dass man dann, wenn man die Begabung dafür hat, auf mehreren Gleisen fahren darf. Nehmen Sie als Beispiel die berühmte Birgit Nilsson. Sie war ja wirklich die größte Wagner-Sängerin aller Zeiten. Wenn sie mit großem Erfolg in New York in der Carnegie Hall einen klassischen Liederabend gesungen hat und die Leute dann eine Zugabe haben wollten, dann ist sie um den Flügel getanzt und hat "Wien, Wien, nur du allein" gesungen. Das Haus ist dabei zusammengebrochen vor Begeisterung. Die Leute sagten sich: "Toll, das kann diese Frau ja auch." Bei uns würden sie jedoch sagen: "Hat sie das nötig?" So ist es. Ich habe auch mal vor Jahren ein Interview mit Gustav Everding gemacht. Ganz am Schluss des Interviews hat er dann zu mir gesagt: "Frau Rothenberger, jetzt mal ehrlich, haben Sie nie bereut, dass sie von der Klassik zur Unterhaltung gegangen sind?" Ich habe im geantwortet: "Nein, alles ist Unterhaltung. Alles ist Unterhaltung, auch die Klassik." Zumindest der Mozart hat ja seine Musik mit Sicherheit auch so verstanden. Ja, absolut. Nein, nein, da lasse ich mir gar nicht reinreden und wenn mich dann deswegen ein paar ganz Orthodoxe in den Eimer schmeißen, dann kann ich es nicht ändern. Man kann nicht jedem gefallen. Sie haben mit diesen Fernsehsendungen aber nicht nur eigene Popularität erreicht, sondern ich nehme an, dass durch Sie auch viele Leute in die Oper oder in Konzerte gegangen sind, die ursprünglich gar keinen Bezug zu dieser Art von Musik hatten. Denn das ist ja schon eine ganz andere Art von Musik als meinetwegen Schlager. Es war also so, dass dadurch viele Leute einen Zugang zu dieser Musik gefunden haben: Sie konnten mit Sicherheit den einen oder anderen "überreden", sich dieser Musik aufzuschließen. Das war ganz bestimmt so, das kann ich wirklich ohne Übertreibung sagen. Es sind dann so viele junge Leute in Liederabende gekommen, die mich nur vom Fernsehen her kannten. Sie haben mir dann gesagt: "Wir haben Sie im Fernsehen gesehen, wie Sie Opern gesungen haben, aber dieser
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Liederabend hier ist das Schönste für uns." Diese jungen Leute haben wir also wirklich für die Klassik gewonnen. Natürlich war das letztlich nur ein ganz kleiner Kreis in der Relation. Im Laufe eines Abends waren das vielleicht nur 20 Leute, aber immerhin, die sind hängen geblieben. Das ist ja die Chance der Massenmedien überhaupt. Denn wer hat auf dem flachen Land sonst je eine Oper zu hören bekommen, als es noch kein Radio und Fernsehen gegeben hat? Wenn es den Leuten dann auch noch so vermittelt worden ist, wie Sie das gemacht haben, dann war das zuträglich für die Kunst und man hat durchaus Leute dafür gewinnen können. Ja, absolut, ich finde das auch. Vor allen Dingen habe ich damals ja auch all diese jungen Talente vorgestellt. Richtig, es waren ja eigentlich drei verschiedene Serien, die Sie gemacht haben. Die eine Reihe hieß "Anneliese Rothenberger gibt sich die Ehre". Das war die Show. Und dann hat man mich gebeten, etwas ganz Bestimmtes zu machen. Man hatte beim Fernsehen nämlich eine sehr große Zahl von kompletten Operetten im Fundus, die damals bei der Produktion sehr, sehr viel Geld gekostet haben. Die Idee war dann, dass man diese Sachen zumindest teilweise noch einmal aufführen könnte. Ja, man hat dann einzelne Bonbons davon herausgenommen und dem ganzen Abend einen neuen Titel gegeben: Das hieß dann nämlich "Traumland Operette". Diese Sendungen habe ich dann moderiert. Die dritte Reihe war diejenige, die Sie soeben erwähnt haben. Ja, da ging es um die jungen Talente. Diese Sendereihe hieß "Anneliese Rothenberger stellt vor". Für diese Sendung mit den jungen Talenten habe ich übrigens von der "Hörzu" und vom Springer Verlag die "Goldene Kamera" bekommen. Sie haben überhaupt irrsinnig viele Auszeichnungen bekommen. Haben Sie denn nicht einen ganzen Schrank voll mit Auszeichnungen zu Hause? Nein, das sind gar nicht so viele. Das sind zwei Bambis, das ist die Goldenen Kamera. Und die Silberne Kamera und noch ein paar weitere mehr. Ja, schon, aber die fallen mir jetzt gar nicht alle ein. Aber wir wollen ja auch nicht so angeben, nicht wahr. Diese eine Goldene Kamera hat mich jedenfalls sehr gefreut, weil sie mir eben für diese Sendung mit den jungen Talenten verliehen wurde. Das war schon eine sehr gute Sache. Ich habe jetzt noch eine ganz läppische Frage, eine familiäre Frage. Das glaube ich gar nicht. Einer Ihrer Großväter muss ein Theaterfan gewesen sein. Denn der hat in der Nähe... Mein Urgroßvater! Das war der Großvater meiner Mutter, er lebte in Berolzheim bei Mosbach. Wo ist das? Das ist im Odenwald. Er ist damals immer vierspännig zur Oper ans Mannheimer Nationaltheater gefahren. Er war ein Bauer, aber vermutlich kein Armer. Und offenbar ein Interessierter, denn er hätte sich ja auch andere
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Vergnügungen leisten können. Ja, ich sagte ja, dass aus der Familie meiner Mutter doch ein bisschen Musisches gekommen ist. Er ist jedenfalls vierspännig in die Staatsoper nach Mannheim gefahren. Herrlich. Haben Sie denn dort im Nationaltheater auch einmal gastiert? Ja, ich habe für meine Mutter, die sehr schwer krank war, extra dort gesungen. Sie hat leider auch sehr viel geraucht und starb dann an Lungenkrebs. Sie hatte sich immer Folgendes gewünscht: Ich hatte doch, wie ich vorhin schon sagte, jahrelang die Musette in "La Boheme" gesungen. Sie wollte aber immer, dass ich auch mal die "Mimi" bin. Diese Rolle habe ich dann für meine Mutter einstudiert: In Hamburg hätte ich diese Rolle nie bekommen, aber das Mannheimer Nationaltheater hat mir angeboten, diese Rolle zu singen. Ich bin dann ohne jede Probe in diese Rolle eingestiegen. Das war nur deswegen möglich, weil ich eben schon jahrelang die Musette gesungen hatte und daher genau wusste, was da auf der Bühne vor sich geht. Als ich dort gastierte, war jedoch meine Mutter leider schon gestorben. Aber ich hatte dann eben auch diese Partie in meinem Repertoire. Man sagt, Sie seien eher bescheiden als primadonnenhaft, hätten nie so ein mordsmäßiges Bohei um sich gemacht. Braucht man das nicht? Gehört das nicht zum Stil und zur notwendigen Selbstdarstellung mit dazu? Sind Sie gut ohne das alles gefahren? Das muss jeder für sich selbst wissen. Ich meine, dass sehr wohl eine gewisse Schicht des Publikums genau darauf hereinfällt, aber die meisten haben es doch sehr viel lieber, wenn man das nicht übertreibt. Und die Intendanten? Die haben es sowieso lieber, wenn das so ist. Denn wenn man so auftritt wie manche andere, dann wissen sie ganz genau, dass es ihnen dabei an die Kasse geht. Das ist doch klar. Geben Sie denn der Oper für die Zukunft noch eine Chance? Das ist jetzt so eine richtige Reporterfrage. Das ist ganz schwer zu beantworten. Ich habe immer gesagt, es ist ausgeschlossen, dass die Oper stirbt. Aber wenn man so weitermacht wie jetzt, mit diesen meiner Meinung nach entsetzlichen Inszenierungen, dann komme ich doch ins Zweifeln. Das sind ja heute ganz absurde Sachen. Wenn im "Fidelio" ein gelber Volkswagen auf der Bühne steht und der Jaquino seine Arie singt, während er den Volkswagen abspritzt, dann hat das mit Beethoven nichts mehr zu tun. Oder nehmen Sie das Beispiel, dass in der Mailänder Scala bei einer Lohengrin-Aufführung gar SS-Leute auf die Bühne gestellt werden. Damit kann ich nichts anfangen. Ich gehe eigentlich nicht mehr in Premieren, weil ich jedes Mal wahnsinnig enttäuscht wieder herauskomme. Ich will mir aber meine Erinnerungen an grandiose Inszenierungen nicht kaputt machen lassen. Ich lebe allerdings nicht in der Vergangenheit, ich finde sehr wohl, dass alles modernisiert werden muss: aber so, wie sich das der Komponist und der Librettist vorgestellt haben! Und wie es einpassbar ist, damit es nicht zu einer Vergewaltigung dessen wird, was vorgegeben ist. Das ist das richtige Wort. Die Marschallin kann einfach nicht im Jeanskleid auftreten, wenn sie von ihrem Feldmarschall singt. Das ist einfach lächerlich, das stimmt alles hinten und vorne nicht. Lassen Sie uns hoffen, dass manche ein Einsehen haben und dass die Oper in der Form, wie sie Ihnen gefallen hat und wie sie vielen gefällt, in einer vernünftigen Entwicklung auch noch weiterhin eine Zukunft hat. Ihnen
wünsche ich alles Gute und bedanke mich sehr für das Gespräch. Das war das Alpha-Forum für heute, unser Gast war die Kammersängerin Anneliese Rothenberger.
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